Beiträge zum Forum Tunnelbau mit Ausstellung „Historische Alpendurchstiche“ anlässlich der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels am 18.11.2016 in Aachen

Zusammengestellt von AOR Dipl.-Ing. M. Feinendegen

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen • RWTH Aachen Heft 20 • 2016 Herausgeber: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martin Ziegler

© Geotechnik im Bauwesen Band 20

Herausgeber: Geotechnik im Bauwesen Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen Univ.-Prof. Dr.-Ing. M. Ziegler Mies-van-der-Rohe-Str. 1 52074 Aachen

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar. l. Auflage 2016 Druckerei & Verlagsgruppe Mainz GmbH Aachen

ISBN 978-3-95886-124-4

Wissenschaftsverlag Mainz in Aachen Süsterfeldstr. 83 52072 Aachen Telefon: 0241/873434 www.verlag-mainz.de

Bei dieser Ausgabe handelt es sich um die genehmigte Zweitveröffentlichung des o.g. Werks über die Universitätsbibliothek der RWTH Aachen University.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Vorwort des Herausgebers I

Vorwort des Herausgebers

Als in der Fakultät beschlossen wurde, den innerhalb des Sonderforschungsbereichs 532 „Textilbeton“ zu errichtenden Demonstrator als Ausstellungspavillon und Veranstaltungsraum zu konzipieren, war schnell die Idee geboren, die Ausstellung Historischer Alpendurchstiche auch einmal in Aachen zu zeigen. Die Anregung hierzu kam von Peter Zbinden, den ich für den Teil „Organisation von Großprojekten“ innerhalb der Vorlesung „Bau und Berechnung von Tunneln“ im neu geschaffenen Masterstudiengang Geotechnik und Tunnelbau als Lehrbeauftragten hatte gewinnen können. Wie so oft bei Großprojekten in der Realität verzögerte sich auch hier im Kleinen die Fertigstellung des Pavillons. Die Gründe hierfür waren ähnlich wie bei den Großprojekten, z.B. ein zwischenzeitlich abgesprungener Planer und mit vertretbarem finanziellen Aufwand nicht mehr zu erfüllende Genehmigungsauflagen. Dies führte zwischenzeitlich sogar zu Überlegungen, den bereits fertig gestellten Rohbau wieder abzureißen. Durch eine Nutzungsänderung vom Veranstaltungsraum zum studentischen Lernraum wurde dem Pavillon dieses Schicksal erspart. Glücklicherweise blieben uns die Schweizer Verbindungsleute, Prof. Fechtig und Prof. Sinniger, die auch schon die Ausstellung zur NEAT, der Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen mit Lötschberg- und Gotthard-Basistunnel initiiert hatten, gewogen und versicherten uns, dass uns die Ausstellung trotz der Verzögerung weiterhin zur Verfügung stehen würde. Dies erwies sich, als es dann endlich konkret wurde, als gar nicht so einfach, denn die Ausstellungsstücke mussten erst einmal wieder aufgefunden werden. Es ist der Beharrlichkeit der Herren Fechtig, Sinniger und Zbinden zu verdanken, dass sie die Ausstellung schließlich im Tessin ausfindig machten und sogar selbst dorthin fuhren, um sich vom guten Zustand der Exponate zu überzeugen. Für dieses Engagement und die tatkräftige Mithilfe bei der Organisation des Transports und der Beschaffung der entsprechenden Genehmigungen sei den Herren ganz herzlich gedankt. Mein Dank geht in diesem Zusammenhang auch an Herrn Navone vom Archivio del Moderno in Mendrisio, der die Exponate verwaltet und uns bereitwillig mit den notwendigen Informationen für die Planung der Ausstellung versorgte und auch bei der Überführung unterstützte. Ein besonderer Dank geht an die Firma Herrenknecht, die uns ein Modell der im Gotthard-Tunnel eingesetzten Tunnelbohrmaschine für die Dauer der Ausstellung zur Verfügung stellte, womit sehr anschaulich die Brücke vom historischen zum modernen Tunnelbau geschlagen wird. In unserem Fall hatte die verzögerte Fertigstellung des Ausstellungspavillons auch etwas Gutes, denn so wurde es möglich, die „Historischen Alpendurchstiche“ im Jahr der Fertigstellung und Inbetriebnahme des neuen Gotthard-Basistunnels zu zeigen. Und da so viel über das Scheitern von Großprojekten gesprochen wird, hier aber offensichtlich der Gegenbeweis angetreten wurde, dass auch Jahrhundertbauwerke sowohl im kalkulierten Kosten- als vor allem auch im geplanten Zeitrahmen fertiggestellt werden können, lag es nahe, die Gründe hierfür einmal näher zu beleuchten. Dabei sollte weniger die Technik im Vordergrund stehen, die in den seltensten Fällen für das Scheitern von Großprojekten verantwortlich ist und über die gerade beim Gotthard schon vielfach berichtet wurde, sondern vielmehr die Art der vertraglichen Gestaltung und des Umgangs

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 II Vorwort des Herausgebers zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Diesbezüglich gibt es offenbar länderspezifische Besonderheiten, die wir im Rahmen dieses Tunnelbauforums näher beleuchten wollten. Ich war daher sehr froh, dass ich bei meiner Referentenanfrage ohne großes Zögern Zusagen von Auftraggebern und Auftragnehmern erhielt, die in verantwortlicher Stellung in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Gepflogenheiten bei der Abwicklung großer Tunnelbauprojekte tätig waren und auch noch weiter tätig sind. Der Bogen spannt sich von den Tunnelgroßprojekten in der Schweiz über Österreich, Deutschland, Skandinavien, Großbritannien bis nach Katar. Entsprechend vielfältig sind auch die Vorgehensweisen und die Erfahrungen bei diesen Großprojekten. Ich danke den Referenten für Ihre Mühe bei der Vorbereitung der Vorträge und für ihre Disziplin, die es ermöglichte, den Tagungsband rechtzeitig zur Veranstaltung fertig zu stellen. Ich danke ferner den Mitgliedern und Förderern des mit veranstaltenden Fördervereins der Geotechnik im Bauwesen der RWTH Aachen e.V., die mit Ihren Mitgliedsbeiträgen und ihrer besonderen finanziellen Unterstützung den Rahmen dieser Veranstaltung erst möglich machten. Der Studiengesellschaft für Tunnel und Verkehrsanlagen STUVA e.V. und dem Centrum für Deutsches und Internationales Baugrund- und Tiefbaurecht CBTR e.V. danke ich dafür, dass sie die Schirmherrschaft übernommen haben. Mein Dank geht auch an die Mitarbeiter des Lehrstuhls, die durch Ihren unermüdlichen Einsatz zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben. Namentlich darf ich hier das engere Organisationskomitee um Herrn Feinendegen, Herrn Sprengel, Herrn Düber und Frau Herkens nennen. Ein besonderer Dank geht auch an die Mitarbeiter der Halle, die die Ausstellungsstücke sorgfältig ausgepackt, fotographisch dokumentiert und schließlich auch, wie gewohnt, findig installiert haben. Und danken möchte ich nicht zuletzt den Studierenden der Fakultät für Bauingenieurwesen, die bereitwillig einige Tage auf die Nutzung ihres inzwischen lieb gewonnenen studentischen Lernraums verzichteten und somit die Ausstellung erst ermöglichten. Bleibt zu hoffen, dass sich dadurch ein möglichst großer Teil des Mutes und des Pioniergeistes der damaligen Tunnelbauer auf die heute Studierenden übertragen hat.

Aachen, November 2016

Martin Ziegler

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Danksagung III

Danksagung

Unser Dank gilt den Personen, Institutionen, Unternehmen und Organisationen, ohne deren Unter- stützung diese Veranstaltung nicht hätte durchgeführt werden können. Ein besonderer Dank geht an die nachfolgend genannten Firmen sowie den Förderverein der Geotechnik im Bauwesen der RWTH Aachen e.V. und seine zahlreichen Unterstützer:

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 IV

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Inhaltsverzeichnis V

Inhaltsverzeichnis

Vorwort des Herausgebers I

Danksagung III

Inhaltsverzeichnis V

1 Von den historischen Alpen- und Juradurchstichen zu den Erfolgsfaktoren des Gotthard-Basistunnels 1 1.1 Einleitung ...... 2 1.2 Politischer Prozess ...... 3 1.3 Erkenntnisse aus früher erstellten Bauwerken im schweizerischen Alpenraum ...... 4 1.3.1 Urner Loch (Bauzeit 1707 bis 1708, 64 m lang) ...... 4 1.3.2 Gotthard-Bahntunnel (Bauzeit 1872 bis 1882, 15.003 m lang) ...... 6 1.3.3 Lötschberg-Bahntunnel (Bauzeit 1907 bis 1913, 14.612 m lang) ...... 10 1.3.4 Hauenstein-Basistunnel (Bauzeit 1912 bis 1916, 8.134 m lang) ...... 13 1.3.5 Gotthard-Straßentunnel (Bauzeit 1970 bis 1980, 16.942 m lang) ...... 15 1.3.6 Erkenntnisse aus der ersten Planung für einen Gotthard-Basistunnel 1975 ...... 16 1.3.7 Sondierstollen für den Straßentunnel am Rawil 1974 - 1978 ...... 17 1.3.8 Erkenntnisse aus dem Stand der Technik ...... 18 1.4 Fazit ...... 20

2 Ausbau der Schieneninfrastruktur in Deutschland 23 2.1 Netzplanung und Schieneninfrastrukturgroßprojekte bei der DB Netz AG ...... 24 2.2 Netzentwicklungsstrategie: Netzkonzeption 2030 ...... 25 2.2.1 Handlungsbedarf ...... 25 2.2.2 Gesamtkonzept ...... 26 2.2.3 Maßnahmenbündel ...... 27 2.2.4 Umsetzungskonzeption ...... 28 2.3 Verbesserungen bei der Realisierung von Großprojekten in der Schieneninfrastruktur ...... 30 2.3.1 Handlungsbedarf ...... 30 2.3.2 Optimierungsansätze ...... 31

3 Europäische Tunnelbauverträge, Rahmenbedingungen, nationale Sonderwege, Internationale Lösungsansätze 41 3.1 Einleitung ...... 41 3.2 Vertiefung ...... 44

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 VI Inhaltsverzeichnis

3.2.1 Moderne Herangehensweise: Vertragliche Risikozuweisung ...... 48 3.2.2 Risikozuweisungen in den USA ...... 48 3.3 Zusammenfassung...... 58

4 Umgang mit den Erfolgsfaktoren bei Projektierung und Bau des Gotthard- Basistunnels 59 4.1 Projektanforderungen und Erfolgsfaktoren...... 59 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren...... 62 4.2.1 Respekt vor der Aufgabe ...... 62 4.2.2 Sorgfältige Projektvorbereitung ...... 64 4.2.3 Geeignete Organisationsform und Prozesse ...... 65 4.2.4 Konsequentes Qualitäts- und Risikomanagement ab den frühesten Projektphasen ...... 68 4.2.5 Partnerschaftlicher Umgang mit Unternehmern und Dritten ...... 75 4.2.6 Unternehmens- und Projektkultur - Respektvoller Umgang gegenüber Personen und Umwelt ...... 83 4.3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen ...... 85 4.4 Verdankung ...... 86

5 Vertragsgestaltung vor und nach Vergabe: Erfahrungen aus dem Großprojekt Stuttgart-Ulm 89 5.1 Einleitung ...... 89 5.2 Vergabe des Albvorlandtunnels (NBS Wendlingen-Ulm) ...... 91 5.2.1 Vergaberecht ...... 92 5.2.2 Risiken im Vergabeprozess ...... 93 5.2.3 Erfahrungen aus dem Vergabevorgang ...... 97 5.3 Vertragliche Regelungen - Bewährung in der Ausführung ...... 97 5.3.1 Der Fildertunnel und die Zuführung Obertürkheim / Untertürkheim ...... 97 5.3.2 Die Geologie und ihre Überraschungen ...... 99 5.3.3 Eingriffe des AG in den Bauablauf und die Logistik ...... 101 5.3.4 Resumee ...... 104

6 Eisenbahntunnel in Österreich 105 6.1 Vorwort ...... 105 6.2 Tunnelsysteme und Vortriebsmethoden ...... 108 6.3 Tunnelbaulose ...... 110 6.4 Projektmanagement...... 111 6.5 Vertragsgestaltung ...... 114

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Inhaltsverzeichnis VII

7 Metro Doha : Design-Build plus Provisional Sums - Erfahrungen beim Bau der Metro mit diesem besonderen Vertragsmodell 119 7.1 Einleitung ...... 120 7.2 Projektvorstellung ...... 120 7.3 Rückblick auf die Tunnelbauarbeiten ...... 121 7.3.1 Geologie ...... 121 7.3.2 Vortrieb und Logistik ...... 122 7.3.3 Leistungen, Verschleiß, Schäden ...... 124 7.3.4 Tübbinge ...... 126 7.3.5 Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz ...... 127 7.3.6 Klimatisches und kulturelles Umfeld ...... 128 7.3.7 Personal ...... 129 7.4 Vertragsmodell „Design-Build plus Provisional Sums“ ...... 130 7.4.1 Grundlegende Gestaltung des Vertragsmodells ...... 130 7.4.2 Erfahrungen bei der Projektabwicklung ...... 131 7.5 Zusammenfassung ...... 132

8 Geteilter Erfolg ist doppelter Erfolg - Erfahrungen aus dem Projekt Crossrail 135 8.1 Einleitung ...... 135 8.2 Crossrail - ein Infrastruktur-Großprojekt quer durch London ...... 136 8.3 Tunnelabschnitte ...... 137 8.4 Stationen ...... 138 8.5 Umgebung des Tunnels ...... 140 8.6 NEC-Verträge ...... 141 8.7 Vertragsmodell Crossrail ...... 142 8.7.1 Anrechenbare Kosten ...... 142 8.7.2 Der Mechanismus des Zielpreises ...... 143 8.8 NEC-ECC in der praktischen Umsetzung ...... 143

9 Skandinavische Infrastrukturprojekte: Anspruch und Wirklichkeit - Ein Rundgang anhand von Beispielen 147 9.1 E04 Förbifart Stockholm, FSE 403 Johannelund ...... 148 9.1.1 Projektbeschreibung ...... 148 9.1.2 Skandinavische Tunnelbauweise ...... 150 9.1.3 Vertragsform ...... 152 9.2 E39 Eiganestunnel, Stavanger, Norwegen ...... 153 9.2.1 Projektbeschreibung ...... 153 9.2.2 Vertragsform ...... 154 9.3 Citybanan Stockholm, Odenplan und Vasatunnel ...... 154

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 VIII Inhaltsverzeichnis

9.3.1 Projektbeschreibung ...... 154 9.3.2 Vertragsform ...... 156 9.4 Citytunnel Malmö Los E201, Schweden ...... 156 9.4.1 Projektbeschreibung ...... 156 9.4.2 Vertragsform ...... 157 9.5 E18 Grimstad - Kristiansand, Norwegen ...... 158 9.5.1 Projektbeschreibung ...... 158 9.5.2 Vertragsform ...... 159 9.6 Västlänken Centralen ...... 159 9.6.1 Projektbeschreibung ...... 159 9.6.2 Vertragsform ...... 160 9.7 Übersicht der Vertragsformen ...... 161 9.8 Typische Merkmale Skandinavischer Großprojekte ...... 162 9.8.1 Fokus Samverkan ...... 162 9.8.2 Fokus HSE ...... 163 9.8.3 Fokus Mensch ...... 163 9.8.4 Fokus Kultur „Janteloven“ ...... 164 9.8.5 Fokus Bonus/Malus Anreize ...... 164 9.8.6 Fokus Ressourcen ...... 164 9.8.7 Fokus Sprengvortrieb ...... 165

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Von den historischen Alpen- und Juradurchstichen zu den Erfolgsfaktoren des Gotthard-Basistunnels 1

1 Von den historischen Alpen- und Juradurchstichen zu den Erfolgsfaktoren des Gotthard-Basistunnels

Dipl.-Ing. (HTL) Peter Zbinden 1992 - 1997 Stv. Direktor Projektleitung AlpTransit Gotthard der SBB 1998 - 2007 CEO der AlpTransit Gotthard AG

Bild 1-1 Lötschberg Südrampe und Gotthard-Basistunnel Durchschlag Faido 2006

„Wer die Geschichte nicht kennt, ist gezwungen sie zu wiederholen.“ (Georg Santayana, Philosoph 1863 - 1952)

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 2 1.1 Einleitung

Zusammenfassung Am 1. Juni 2016 wurde der vom Schweizervolk am 27. September 1992 beschlossene Bau des Gotthard-Basistunnels der SBB zum Betrieb übergeben. Mit der politischen Vorlaufzeit von ca. acht Jahren für die „Neue Eisenbahn Alpen Transversale“ (NEAT) dauerte die gesamte Planung und der Bau des Gotthard-Basistunnels ca. 32 Jahre. Wenn heute von einem Erfolg gesprochen wird, so stellt sich die Frage, warum dies so ist. Der Beitrag zeigt, wie zu Beginn der Planung in den 90-er Jahren in den Unterlagen der historischen Alpen- und Juradurchstichen nach Erfahrungen gesucht und wie diese Erkenntnisse umgesetzt wurden. Die Umsetzung dieser Erkenntnisse und die politische Vorarbeit des Parlamentes, der Regierung und nicht zuletzt des Verkehrsdepartementes führten zu den in diesem Beitrag beschriebenen Erfolgsfaktoren für den Bau des Gotthard-Basistunnels. Entscheidend dabei ist, dass die Erkenntnisse aus früheren Bauten zu Grundsätzen für die Planung und die Ausführung ganz zu Beginn festgelegt und während der gesamten Zeit gegen Einflüsse von außen verteidigt wurden. Nicht alles ist gelungen. Die Zukunft wird dies zeigen.

1.1 Einleitung Als der Gotthard-Basistunnel 1992 vom Schweizervolk beschlossen wurde, konnte man bereits auf mehr als 30 Jahre Basistunnelplanung zurückblicken. Dies allein aber reichte nicht aus, um das anspruchsvolle Werk in Angriff nehmen zu können und es zielgerichtet zu Ende zu führen. Um das folgende Ziel der Projektleitung AlpTransit Gotthard der SBB erreichen zu können: „Wir wollen das Projekt Gotthard-Basistunnel in der vereinbarten Qualität, möglichst rasch und zu minimalen Kosten realisieren“ bedurfte es noch einiges mehr als nur der 30-jährigen Erfahrung der vorangegangenen Planung, zumal diese noch keinen Erfolg ausweisen konnte. Der Blick in die weiter zurückliegende Vergangenheit von ausgeführten Bauwerken war also angesagt. Damit begann die Suche in verschiedenen Archiven und Publikationen über früher erstellte Tunnelbauwerke, um daraus die notwendigen Lehren ziehen zu können. Übrigens prägte Helmut Kohl zur selben Zeit im Deutschen Bundestag am 1. Juni 1995 den Satz: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“ Er meinte damit die deutsche Politik, und wir suchten zur gleichen Zeit in der Vergangenheit nach Erfahrungen im Tunnelbau, um das Projekt nach den gesteckten Zielen realisieren zu können. Die politische Diskussion vor der Volksabstimmung wirkte wie ein Brainstorming und so konnte der Gefahrenkatalog vervollständigt werden. Vor allem Punkte, die zu Problemen in zeitlicher und finanzieller Hinsicht führten, wurden in den Medien breit diskutiert. Die Herausforderungen und die Lösungen dazu wurden allmählich in einem Qualitätsmanagement systematisch aufgenommen und gepflegt.

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Bild 1-2 „Die Ingenieurwissenschaften“, Holzstich, Reproduktion des Wandgemäldes von Ernst Hildebrand um 1890 in der Technischen Hochschule Charlottenburg

„Wer die Gefahren kennt, kann zu deren Beherrschung die notwendigen Maßnahmen zeitgerecht planen und umsetzen. Wer die Chancen kennt und die Maßnahmen dazu ergreift, kann zur effizienteren Zielerreichung beitragen.“ In den nachfolgenden Ausführungen wird dargelegt, welche Lehren aus verschiedenen ausgeführten Bauwerken gewonnen und wie sie zu Erfolgsfaktoren wurden.

1.2 Politischer Prozess

Bild 1-3 Nationalratssaal des Bundeshauses Bern

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 4 1.3 Erkenntnisse aus früher erstellten Bauwerken im schweizerischen Alpenraum

Im Hinblick auf die Volksabstimmung am 27. September 1992 war dem Schweizer Stimmvolk der Nutzen der Neuen Eisenbahn Alpentransversale (NEAT) am Lötschberg und am Gotthard zu erklären. Die Gegner der NEAT argumentierten mit wesentlich höheren Kosten als dem vom Parlament genehmigten Kreditrahmen. Zudem waren sie der Meinung, dass sich die NEAT nie rentieren würde und damit betriebswirtschaftlich nicht zu vertreten sei.

Bild 1-4 Cartoon Bundesratszüglein 1992

Da das Verkehrsdepartement der Eidgenossenschaft die SBB schon früh in das Konzept, in die Aussagen über Kosten und Bauzeit involviert hatte, konnte das anfangs kleine Team an vorderster Front mitarbeiten. Die Argumente der Gegner wirkten wie ein Brainstorming und vervoll- ständigten den Gefahrenkatalog der Projektleitung AlpTransit Gotthard der SBB. Auf die Vorwürfe der Gegner während des politischen Prozesses wurden Antworten gesucht und auch gefunden. Damit entstand ein erster Entwurf von einem Maßnahmenkatalog zur Beherrschung der Gefahren. Der politische Prozess kann deshalb mit Recht als erster Erfolgsfaktor und als Fundament des Erfolges beim Bau des Gotthard-Basistunnels genannt werden. Er verbesserte ohne Zweifel die Qualität der Aussagen über Bauzeit und Kosten.

1.3 Erkenntnisse aus früher erstellten Bauwerken im schweizerischen Alpenraum

1.3.1 Urner Loch (Bauzeit 1707 bis 1708, 64 m lang) 1707 bis 1708 erstellte der Festungsbaumeister Pietro Morettini im Auftrag der Bevölkerung im Urserental, Kanton Uri, das sogenannte Urnerloch. Statt wie im Auftrag festgeschrieben den Tunnel 1709 fertigzustellen, konnte Morettini bereits Mitte August 1708 den Tunnel dem Verkehr über den Gotthardpass übergeben. Dies zum Erstaunen der Urserentaler. Als Vertragssumme

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Von den historischen Alpen- und Juradurchstichen zu den Erfolgsfaktoren des Gotthard-Basistunnels 5 waren 1680 französische Taler vereinbart. Trotz der raschen Realisierung entstanden dem Unternehmer Kosten in der Höhe von 3080 Talern. Der Bauherr, also die Bevölkerung des Urserentales, hatte Einsehen für die missliche Lage des Unternehmers und erstattete ihm 1400 französische Taler als „Trinkgeld“.

Bild 1-5 Das Urnerloch, Photographie von G. Sommer, Neapel um 1890

Bild 1-6 Das Urnerloch, Zeichnung von André Paul Perret

Welche Erkenntnisse wurden gewonnen? Der Bonus kann als eine nachträgliche, außerhalb des Vertrages stehende Prämie für schnellere Bauausführung angesehen werden. Denn dadurch konnten die Zölle für das Passieren des Tunnels früher als vorgesehen erhoben und die teuren Unterhaltskosten für den stiebenden Steg in der Schöllenenschlucht eliminiert werden. Der nutznießende Bauherr hat sich damit äußerst fair verhalten.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 6 1.3 Erkenntnisse aus früher erstellten Bauwerken im schweizerischen Alpenraum

1.3.2 Gotthard-Bahntunnel (Bauzeit 1872 bis 1882, 15.003 m lang)

Bild 1-7 Louis Favre (links) und Alfred Escher (rechts)

1872 bis 1882 erstellte der Genfer Einzelunternehmer Louis Favre im Auftrag der Gotthardbahn- Gesellschaft den „großen Tunnel“ durch den Gotthard. Das Vertragswerk bestand aus einer Vertragsurkunde mit 14 Artikeln auf zehn Seiten, dem Bedingnisheft (Annex 1) von acht Seiten und dem Kostenanschlag (Annex 2) von vier Seiten. Ein Längenprofil (1:5.000, Höhen 1:2.000) samt Situationsplan, sieben Blätter mit Normalprofilen und je ein Situationsplan (1:1.000) über die Endstücke in Göschenen und Airolo ergänzten die Textdokumentation zum vollständigen Vertragswerk.

Bild 1-8 Seite 1 und 10 des Originalvertrages „betreffend die Ausführung des großen Gotthardtunnels“

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Maschinen, Geräte und Einrichtungen wurden durch den Bauherrn vorfinanziert, wobei der Unternehmer die Rückzahlung inkl. 5 % zu gewährleisten hatte. Vorgeschrieben war ebenfalls, dass der Unternehmer die Bohrhämmer vom Mont-Cenis-Tunnel (gebaut 1857 bis 1871, 12,2 km lang) verwenden musste. Sie wurden jedoch in Mailand zurückbehalten, weil der italienische Mitbewerber den Auftrag von der Gotthardbahn-Gesellschaft für die Ausführung des Gotthardbahn-Tunnels nicht erhalten hatte. Louis Favre war gezwungen, auf seine Kosten und ohne Entschädigung durch die Gotthardbahn-Gesellschaft neue Bohrhämmer zu beschaffen.

Bild 1-9 Stoss-Bohrmaschine, System Ferroux, Einsatz am Gotthardbahn-Tunnel

Weiter war vereinbart, dass die Gotthardbahn-Gesellschaft die Installationsplätze in Göschenen und Airolo vor dem Baubeginn herrichten und die Visurlinien abstecken musste. Sowohl die Herrichtung der Installationsplätze wie auch die Absteckung der Visurlinien waren beim Beginn der Tunnelarbeiten nicht ausgeführt, so dass Louis Favre wiederum gezwungen war, sie ohne Bezahlung selbst vorzunehmen, wenn er sein Bauprogramm einhalten wollte. Die Bauzeit wurde vertraglich unabänderlich auf acht Jahre ab Vertragsgenehmigung durch den Schweizerischen Bundesrat festgelegt. Die Vertragssumme betrug Fr. 47.804.300,- wobei der Ausbruch mit einem Einheitspreis von Fr. 2.800,- pro Meter Tunnel, unabhängig von der Geologie, vergütet wurde. Die Gewölbeausmauerung wurde nach Ergebnis über sieben Einheitspreise bezahlt. Der Unternehmer hatte auf seine Rechnung und Gefahr für alle unvorhersehbaren Schwierigkeiten einzustehen „welche sich bei dem Vollzug der Arbeiten infolge Beschaffenheit des Gesteins überhaupt, in Folge außergewöhnlich starken Wasserandrang, in Folge von Elementarschaden- ereignissen oder aus ähnlichen Gründen irgendwelcher Art ergeben möchten“. Für den Fall des Todes des Unternehmers hatten seine Erben den Vertrag zu übernehmen und innert Monatsfrist einen Sachverständigen zu benennen, welcher das Werk vollendet.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 8 1.3 Erkenntnisse aus früher erstellten Bauwerken im schweizerischen Alpenraum

Bild 1-10 Göschenen, Installationsplatz und Bahnhofareal um 1882

Der „große Tunnel“ ging per 1. Januar 1882 und damit mit vierzehneinhalb Monaten Verspätung in Betrieb. Dies kann angesichts der weitgehend unbekannten Geologie, der damaligen technischen Möglichkeiten und der äußerst schwierigen Umstände beim Bau als eine außerordentlich gute Leistung angesehen werden. Die Einzelfirma von Louis Favre resp. der Erben ging in Konkurs und die zu Beginn geleistete Erfüllungsgarantie von acht Mio Fr. fiel vollständig an die Gotthardbahn-Gesellschaft.

Bild 1-11 Portal Göschenen, Werkzug bei Schichtwechsel um 1880

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Während des Baus des Gotthard-Bahntunnels verunfallten 177 Mineure tödlich. Nicht gezählt sind diejenigen, die später an Silikose verstarben. Dies ergibt pro Kilometer Tunnel zwölf Menschenleben. Welche Erkenntnisse wurden gewonnen? Der Vertrag zwischen Louis Favre und der Gotthardbahn-Gesellschaft (Direktionspräsident Alfred Escher) kann als Totalunternehmervertrag mit vollständiger Übernahme des gesamten Risikos angesehen werden. Das Risiko war einseitig verteilt und nach heutigem Ermessen wohl unfair. Die Formulierungen im Bedingnisheft sind eindeutig zu Gunsten der Gotthardbahn-Gesellschaft abgefasst. Das Verhalten der Gotthardbahn-Gesellschaft während der Ausführung kann ebenfalls als unfair bezeichnet werden, wenn man zusätzlich das oftmalige Zurückbehalten der monatlichen Abschlagszahlungen infolge des nach Ansicht der Gotthard-Bahn zu großen Abstands zwischen dem Richtstollen und dem Haupttunnel betrachtet. Die Erstreitung der Abschlagszahlungen vor dem Kantonsgericht in Luzern war mühsam und zeitraubend und absorbierte kostbare Zeit von Favre. Es ist daher nicht erstaunlich, dass bald danach in der Schweiz das Zivilgesetzbuch und das Obligationenrecht mit Vertragsartikeln geschaffen wurden. Parallel dazu wurden 1912 die ersten allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauarbeiten als SIA Norm 118 mit 24 Artikeln publiziert. Der Arbeitssicherheit und der Unfallverhütung ist von Anfang an die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken. Die hohe Zahl der tödlich verunfallten Personen war und ist nach heutigem Ermessen nicht akzeptabel.

Bild 1-12 Urtheil des Schiedsgerichtes in Sachen Gotthardbahn-Gesellschaft gegen Tunnelunternehmung Louis Favre

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1.3.3 Lötschberg-Bahntunnel (Bauzeit 1907 bis 1913, 14.612 m lang)

Bild 1-13 Materialzug vor dem Portal Nord in Kandersteg um 1912

Anders als beim Gotthard-Bahntunnel wurde dieser durch ein französisches Baukonsortium (Enterprise Générale du Lötschberg) mit starker einheimischer Beteiligung, insbesondere beim leitenden Personal, ausgeführt. Die Arbeiten begannen auf der Nordseite in Kandersteg am 15. Oktober 1906 und auf der Südseite in Goppenstein am 1. November 1906. Nach der geologischen Prognose waren keine Besonderheiten zu erwarten. Für die Unterquerung des Gasterntales wurde offenbar angenommen, dass der Kandergletscher den Talboden nicht tief ausgehoben habe und somit genügend Fels über dem Tunnelniveau vorhanden sei. Diese Annahme wurde offenbar mit dem hochliegenden Abfluss der Kander aus der Klus oberhalb Kandersteg begründet.

Bild 1-14 Bohrturm im Gasterntal 1906 „hätte das Unglück im Gasterntal verhindern sollen“

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Am 23. Juli 1908 um 02.30 Uhr, erfolgte bei Vortriebs-km 2.674 rund 180 m unterhalb des Gasterntals eine Sprengung. Sofort drangen etwa 7.000 m³ Sand und Kies vermischt mit Wasser in den Stollen ein. Die vordersten 1,5 km Tunnel wurden vollständig aufgefüllt, und 26 Arbeiter kamen ums Leben. Ebenfalls wurden einige Stollenpferde verschüttet. Im Gefolge dieses Einbruchs musste eine neue Trassierung gefunden werden, um den Lockermaterialtrog des Gasterntals zu umfahren. Während des Baus des Lötschberg-Bahntunnels kamen insgesamt 64 Personen ums Leben. Nicht eingerechnet sind diejenigen, die später durch die Silikose starben. Dies ergibt pro Kilometer Tunnel 4,5 Menschenleben.

Bild 1-15 Zeichnungen zur Linienführung und zur Geologie und Auffüllung des Gasterntales, Emanuel Ramu 190?

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Welche Erkenntnisse wurden gewonnen? 1906 soll gemäß Bild 1-14 im Gasterntal ein Bohrturm zwecks einer Bohrung errichtet worden sein. Ob die Bohrung 1906 oder erst nach dem Wassereinbruch 1908 ausgeführt wurde, kann anhand der öffentlich zugänglichen Unterlagen nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Es kann aber davon ausgegangen werden: Wenn das Ergebnis der Bohrung und damit die Tiefe der Auffüllung des Gasterntales mit Kies, Sand und Wasser schon 1906 bekannt gewesen wäre, hätte man wohl eine andere Linienführung gewählt. Unterlagen im Archiv einer Privatperson zeigen nämlich, dass die Frage des Tiefganges des Gasterntales und Linienführungsvarianten zur Umgehung des Gasterntales vor dem Einbruch diskutiert wurden. Ebenfalls zeigen Aufzeichnungen von Messungen der Wassertemperatur an der Tunnelbrust, dass diese rückläufig war, was auf fließendes Gewässer schließen ließ. Dies müsste den Verantwortlichen wohl bewusst gewesen sein. Warum die Gefahr eines Einbruches im Gasterntal nicht gesehen oder ignoriert wurde, war für uns nicht erklärbar. Um aber ein solches Ereignis vermeiden zu können, beschloss die Projektleitung AlpTransit Gotthard, das Vier-Augen-Prinzip und das Qualitätsmanagement bei der Planung 1993 und später auch bei der Ausführung einzuführen.

Bild 1-16 SQS-Zertifikat ISO 9001 für die Projektleitung AlpTransit Gotthard der SBB vom 18. Dezember 1997

Trotz aller Vorsicht kam es auch bei den Erkundungsmaßnahmen am Gotthard-Basistunnel zu einem Wasser-Schlamm-Einbruch, glücklicherweise ohne Personenschäden. Dies war für uns eine Warnung und gleichzeitig Ansporn, das Qualitätsmanagement und das Vier-Augen-Prinzip weiter

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Von den historischen Alpen- und Juradurchstichen zu den Erfolgsfaktoren des Gotthard-Basistunnels 13 zu entwickeln und konsequenter anzuwenden, was 1997 zum ersten Zertifikat der Schweizerischen Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS) führte. Die Anzahl der tödlich Verunfallten ist zwar pro Kilometer Tunnel kleiner als beim Gotthard- Eisenbahntunnel. Sie ist trotzdem nicht akzeptierbar, weshalb die Überlegung reifte, die Unfallverhütung mit einem ganzheitlichen Sicherheitskonzept anzugehen.

1.3.4 Hauenstein-Basistunnel (Bauzeit 1912 bis 1916, 8.134 m lang) Aufgrund der großen Angebotsdifferenzen bei der ersten Submission entschloss sich die SBB am 3. Oktober 1911 zu einer zweiten Ausschreibung. Am 12./13. Januar 1912 wurde der Bauvertrag mit der Julius Berger AG in Berlin vom Verwaltungsrat der SBB genehmigt und der angesuchte Baukredit von Fr. 24 Mio. auf Fr. 26 Mio. erhöht. Der Vertrag regelte die Beziehung zwischen der Generaldirektion SBB und der Unternehmung in einer nach heutiger Auffassung recht elementaren Weise. Aus dem Vertrag gehen folgende Eckpunkte hervor: Auftragssumme Fr. 19.817.734,-, Baubeginn so rasch als möglich, das Bauprogramm ist sechs Wochen nach Baubeginn einzureichen, Vollendungstermine: Durchschlag 13. Januar 1916 und Abschluss der Arbeiten ein Jahr später am 13. Januar 1917, Konventionalstrafe Fr. 500,- für jeden späteren Tag, Prämie Fr. 300,- für jeden früheren Tag. Ferner war festgelegt, dass der Vortrieb nie mehr als 500 Meter der fertigen Mauerung vorauseilen dürfe. Integraler Bestandteil des Vertrages war u.a. auch das geologische Gutachten von Prof. F. Mühlberg, das im Auftrag der SBB erstellt wurde. Die Prognose stimmte mit dem angetroffenen Befund gut überein.

Bild 1-17 Karte der Schweiz mit den historischen Alpendurchstichen

Kurz nach Inbetriebnahme des Hauenstein-Basistunnels zeigten sich erste Schäden an der Fahrbahn und dem Tunnelgewölbe. Die Schäden wurden durch den im Juragebirge vorhandenen

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 14 1.3 Erkenntnisse aus früher erstellten Bauwerken im schweizerischen Alpenraum

Anhydrit ausgelöst. Bereits im Juni 1889 erschien in der „Deutschen Bauzeitung“ ein Aufsatz von Ing. Kauffmann über „Tunnel in pressbaren und blähenden Gebirgsarten“. Darin wird unter anderem beschrieben wie dieser Situation zu begegnen ist. Das Phänomen des „quellfähigen Gebirges“ war also bekannt. Es stellt sich also die Frage, weshalb diese damals schon bekannte Erkenntnis nicht umgesetzt wurde. Aus den Bauwerksakten geht hervor, dass die Unternehmung diese Situation verschwieg und später die SBB dafür mit Fr. 100.000,- entschädigen musste. Es muss angenommen werden, dass dies infolge der im Vertrag in Aussicht gestellten Prämie für die frühere Vollendung von Fr. 300,- pro Tag geschah. Bezugnehmend auf die Schlussrechnung, die eine frühere Vollendung von 18 Monaten und eine Gutschrift von Fr. 160.000,- für die Unternehmung ausweist, kann die vorangegangene Vermutung erhärtet werden. Aus den Akten geht weiter hervor, dass die damals Verantwortlichen der SBB auf die Kosten drückten, weil der Kostenvoranschlag zu tief war und die Bauleitung anhielt, rigoros zu sparen, um keine Kostenüberschreitungen hervorzurufen. Drei Jahre nach der Eröffnung des Hauenstein-Basistunnels wurden von 1919 bis 1923 die Schäden behoben und die Tunnelstrecken für Fr. 5,012 Mio. saniert resp. rekonstruiert. Die Sanierungskosten betrugen also kurz nach der Eröffnung ca. ein Viertel der ursprünglichen Gestehungskosten. Damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Aus den Akten geht weiter hervor, dass der damalige Kreisdirektor die veranschlagten Kosten für die Sanierung als zu hoch empfand und die notwendige Sanierung von 2.084 m auf 200 m reduzieren wollte mit dem Satz „da man nun endlich einmal mit dem Hauenstein fertig werden und den uneingeschränkten Verkehr in demselben aufnehmen müsse“. Eine zweite Rekonstruktion/Sanierung erfolgte ca. 55 Jahre später. 1980 bis 1987 wurde der Hauenstein-Basistunnel nochmals für Fr. 150 Mio. oder nominal das Sechsfache der ursprünglichen Kosten rekonstruiert resp. saniert. Welche Erkenntnisse wurden gewonnen? • Die Kostenvoranschläge dürfen nicht nach politischen oder anderen Kriterien erstellt werden. • Das Bonus/Malus-System ist sorgfältig anzuwenden. Mögliche Auswirkungen auf die Qualität sind zu beachten. • Die Erstellergeneration trägt gegenüber den späteren Betreibergenerationen eine hohe Verantwortung. • Investitionskosten können nicht unabhängig von späteren Betriebskosten betrachtet werden. • Das Bauleitungspersonal muss eine entsprechend große Erfahrung haben und die Entlohnung muss angemessen und korrekt sein.

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1.3.5 Gotthard-Straßentunnel (Bauzeit 1970 bis 1980, 16.942 m lang)

Bild 1-18 Nordportal Gotthard Straßentunnel in Göschenen mit Teufelsstein

Beim Gotthard-Straßentunnel richtete sich unser Augenmerk auf die Streitigkeit und deren späte Erledigung vor einem Schiedsgericht. Publikationen dazu gab es keine. Doch einige der damals involvierten Personen konnten von uns interviewt werden. Übereinstimmend waren alle der Meinung, dass die Erledigung des Streites zwischen der Bauherrschaft und den Unternehmungen viele Jahre nach der Eröffnung durch ein Gericht für alle Beteiligten unbefriedigend war. Unbeteiligte Personen hatten über einen Streit zu entscheiden und bereits zum zweiten Mal musste am Gotthard ein Gericht urteilen.

Tabelle 1-1 Todesfälle früher und heute bei Tunnelbauwerken

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 16 1.3 Erkenntnisse aus früher erstellten Bauwerken im schweizerischen Alpenraum

Während des Baus des Gotthard-Straßentunnels verunfallten 17 Personen tödlich. Dies ergibt pro Kilometer Tunnel ein Menschenleben. Welche Erkenntnisse wurden gewonnen? Die Beteiligten am Gotthard-Straßentunnel waren über die im Werkvertrag vorgesehenen Artikel zur Erledigung eines Streites vor einem Schieds- oder ordentlichen Gericht nicht glücklich und empfanden dies als nicht mehr zeitgerecht. Die Anregung des Schweizerischen Baumeisterverbandes 1994 zur Suche nach einer besseren Lösung wurde durch die Bauherrschaft AlpTransit Gotthard wohlwollend aufgenommen. Zusammen mit den schweizerischen Planungsverbänden, der schweizerischen Bauindustrie, dem schweizerischen Baumeisterverband und den öffentlichen Bauherren (Amt für Straßen- und Flussbau, SBB und Kantone) wurde unter der Regie der Schweizerischen Straßen- und Verkehrsfachleute (VSS) eine Empfehlung für die Streiterledigung ausgearbeitet. Sie wurde in die neu überarbeiteten Werkverträge von AlpTransit Gotthard übernommen. Auch wurde erkannt, dass die Arbeitssicherheit gegenüber dem Bau des Straßentunnels nochmals wesentlich verbessert werden musste. Wäre man nämlich damit zufrieden gewesen, hätte dies bedeutet, dass man mit der gleichen Zahl tödlich Verunfallter pro Kilometer, ca. 65 tödliche Unfälle für den Gotthard-Basistunnel in Kauf genommen hätte.

1.3.6 Erkenntnisse aus der ersten Planung für einen Gotthard-Basistunnel 1975 Die Planung für einen Basistunnel am Gotthard in den 1970-er Jahren wurde von den SBB mit dem Bauprojekt 1975 abgeschlossen. Die Ausschreibungen waren kurz vor der Publikation, als der schweizerische Bundesrat die weitere Bearbeitung für einen Gotthard-Basistunnel einstellen ließ. Die Konjunktur in Europa und damit die Einnahmen im Güterverkehr der SBB waren rückläufig. In der Folge wurde die Lötschbergbahn auf Doppelspur ausgebaut.

Bild 1-19 Werner Rutschmann, Neue Eisenbahn-Alpentransversale Gotthard-Basislinie

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Dank der Weitsicht der damaligen Generaldirektion der SBB wurde aber die Projektarbeit der beauftragten Ingenieurbüros geordnet beendet. Das heißt, dass alle Akten mit dem bis anhin gesammelten Wissen korrekt archiviert und im Archiv der SBB abgelegt wurden. Bei der NEAT- Aufarbeitung zwischen 1986 und 1989 konnte die SBB dank ihres umfangreichen und ordentlich abgelegten Wissens im Archiv einen wesentlichen Beitrag zu den Arbeiten leisten. Als die Botschaft für die NEAT (Lötschberg und Gotthard) vom damaligen Verkehrsdepartement erarbeitet wurde, war das Wissen der früheren Ingenieure, welches in privaten Archiven und im Archiv der SBB gelagert war, gefragt. Welche Erkenntnisse wurden gewonnen? Die Erkenntnisse der geologischen Erkundungen inkl. der Kenntnisse des Scheiteltunnels waren für das Projekt 1975 aufgearbeitet und dokumentiert. Die Vortriebsleistungen in den verschiedenen Gesteinsformationen nach Vortriebsart (konventionell und TBM) waren nachvollziehbar dokumentiert. Die vorgesehenen Kosten waren in einem Kostenvoranschlag detailliert hinterlegt. Auch wenn das Projekt von 1975 nicht dem jetzt ausgeführten Basistunnel entspricht, konnten mit entsprechenden Teuerungsbetrachtungen -wie sich im Nachhinein zeigt- erhärtete und stabile Zahlen für die Bauzeiten und für die Kosten geliefert werden. Den damaligen Ingenieuren und Geologen unter dem Projektleiter Werner Rutschmann kann an dieser Stelle für die gute Vorarbeit eine hohe Anerkennung ausgesprochen werden.

Tabelle 1-2 Vergleich der wichtigsten Kenngrößen in Funktion der Projektentwicklung

1.3.7 Sondierstollen für den Straßentunnel am Rawil 1974 - 1978 Für den vorgesehenen Straßentunnel der Autobahn A 6 zwischen den Kantonen Bern und Wallis wurde in der zweiten Hälfte der 1970-er Jahre ein Sondierstollen zwecks Erkundung des Gebirges erstellt. Dabei wurden dem Gebirge initial Wassermengen bis zu 1000 l/s entnommen. 1978 ergaben dort routinemäßig durchgeführte Lot-Messungen in der Mauer, dass sich die Bogenmauer der Talsperre Zeuzier um 5 mm in Richtung Wasser verschoben hatte. Das Becken wurde aus Sicherheitsgründen teilweise entleert, aber es hatten sich bereits meterlange Risse gebildet. Der Untergrund bei der Bogenmauer hatte sich bis zu 13 cm gesenkt. Die Talflanken hatten sich um 8 cm gegeneinander zubewegt. Die Bogenmauer wurde so in den Schraubstock genommen. In der

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 18 1.3 Erkenntnisse aus früher erstellten Bauwerken im schweizerischen Alpenraum

Folge musste die Bogenmauer aufwändig saniert werde. Zudem entstand dem Inhaber des Lac de Zeuzier ein Schaden infolge der fehlenden Stromproduktion. Die weiteren Projektarbeiten für einen Straßentunnel am Rawil wurden 1986 vom Bundesrat eingestellt. Welche Erkenntnisse wurden gewonnen? Dass Tunnelbauten das Gebirge entwässern, war damals ja nicht neu. Dass sie aber an der Oberfläche solche Schäden anrichten können, war für die Tunnelbauer und Geologen überraschend, denn sonst hätten sie mit Sicherheit Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Diese Erkenntnis nahmen wir zum Anlass, das Landesnivellement über den Gotthard- und den Lukmanierpass in eigener Regie zu Beginn des Projektes des Gotthard-Basistunnels 1994 zu kontrollieren.

Bild 1-20 Vermessung der Geländebewegungen im Bereich der Stauhaltung St. Maria

Die letzte Messung erfolgte vor dem Bau des Gotthard-Straßentunnels 1970. Das Resultat überraschte alle Beteiligten, zeigten sich doch im Gotthardgebiet Absenkungen bis zu 12 cm. Daraus konnte geschlossen werden, dass der Bau des Straßentunnels diese Senkung ausgelöst hatte. Diese Situation veranlasste die Projektleitung AlpTransit Gotthard, nach Lösungen zu suchen, wie die Staumauern Curnera, Val Nalps und Santa Maria im Sommer und im Winter permanent überwacht werden können. Entscheidend war auch, dass die Messungen so früh wie möglich beginnen konnten, um das Verhalten des Gebirges im ungestörten Zustand zu kennen.

1.3.8 Erkenntnisse aus dem Stand der Technik Neben den oben genannten historischen Alpendurchstichen wurden in die Grundlagenarbeit die Erkenntnisse der neueren Bauwerke wie z.B. des Kanaltunnels, der Neubaustrecke Hannover- Würzburg, der Neubaustrecke Köln-Rhein-Main etc. eingebaut. Nicht zu vergessen ist, dass die Projektleitungen der langen Alpentunnel in Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz sich regelmäßig zweimal jährlich, am Anfang unter der Leitung von AlpTransit Gotthard, trafen, um Erfahrungen auszutauschen. Aus der Zusammenarbeit mit den Betreibern des Kanaltunnels und

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Von den historischen Alpen- und Juradurchstichen zu den Erfolgsfaktoren des Gotthard-Basistunnels 19 den Erkenntnissen aus dem Brand vom 18. November 1996 erkannte die Projektleitung AlpTransit Gotthard folgenden Grundsatz für die Planung „robust und einfach“ als einen wesentlichen Faktor für niedrige Betriebskosten. Aus den Projekten Flughafenanschluss Zürich-Kloten der SBB, Zürcher S-Bahn und Um- und Ausbau des Hauptbahnhofs Zürich wurde erkannt, dass eine umfassende Bestellung mit Betriebs-, Unterhalts- und Sicherheitskonzept eine wesentliche Voraussetzung ist für das Gelingen eines Großprojektes.

Bild 1-21 STOP-RISK Plakat auf der Baustelle Gotthard-Basistunnel in Bodio-Pollegio

Die intensive Arbeit für ein umfassendes Qualitätsmanagement, die Suche nach einem Konzept für die Verhinderung von Unfällen und die Ausbildung und Schulung aller Mitarbeiter etc. wurden als Stand der Technik ins Projekt integriert.

Bild 1-22 Buchdeckel TUNNELLING THE GOTTHARD, FGU Fachgruppe für Untertagebau

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 20 1.4 Fazit

Die Art und Weise von Ausschreibungen für Planer und Unternehmer nach erfolgter Risikoanalyse und die Auswahl der geeignetsten Partner nach entsprechenden Eignungs- und Zuschlagskriterien gehört ebenfalls zu den Erfolgsfaktoren. Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, wenn alle wichtigen Punkte hier aufgeführt würden. Der Autor empfiehlt deshalb, das Buch der FGU „Tunnelling the GOTTHARD“ zu konsultieren, in dem alle wesentlichen Erkenntnisse dargelegt sind und zur Nachahmung empfohlen werden.

1.4 Fazit Nachfolgend werden nur die wesentlichsten Erkenntnisse aufgeführt, die entweder aus den Archiven von abgeschlossenen Bauwerken oder durch die Berücksichtigung des Wissens nach dem Stand der Technik zu Erfolgsfaktoren führten. Die ausführliche Darlegung und Begründung der nachfolgenden aus der Sicht des Autors wesentlichen Erfolgsfaktoren können dem Buch der FGU „Tunnelling the GOTTHARD“ entnommen werden. Die Reihenfolge ist nicht nach der Wichtigkeit, sondern nach der Projektabfolge gewählt. • Die NEAT-Botschaft und die politische Beratung in den eidgenössischen Räten mit der Volksabstimmung am 27. September 1992 • Der frühe Einbezug der SBB für die Grundlagenbeschaffung und die Mitwirkung bei den technischen und finanziellen Angaben für die Botschaft • Der Rückblick in die Vergangenheit, um aus früher gemachten Fehlern zu lernen • Geeignete Organisation der Bauherrschaft, der Aufsichts- und der politischen Behörden mit ungeteilter Verantwortung und klaren Kompetenzen • Korrekte und keine politisch manipulierten Kostenangaben • Vier-Augen-Prinzip und konsequentes Qualitätsmanagement mit Risikoanalysen und Maßnahmenplan • Betriebs-, Unterhalts- und Sicherheitskonzept als Bestellung für die Planung • Auswahl von geeigneten Planungsteams zu fairen Preisen • Klare Grundsätze zu Planung und Projektierung • Der frühe Einbezug der Raumplanung, der Architektur und der Umweltschutz- organisationen • Zusammenarbeit und Wissensaustausch mit Lehre und Praxis • Auswahl der geeignetsten und wirtschaftlich günstigsten Unternehmer über die richtigen Eignungs- und Zuschlagskriterien • Keine Abgebotsgespräche nach Offertabgabe • Klare und faire Ausschreibungen, faire Verträge mit Einbezug eines Streitschlichtungs- teams und faires Verhalten der Vertragspartner • Die Arbeitssicherheit hat oberste Priorität Ein Vergleich zwischen den Kostenangaben des Bundesbeschlusses von 1991 mit einem Streumaß von -10 % / +30 % bis +40 % und den mutmaßlichen Endkosten nach der Eröffnung des Gotthard- Basistunnels (Bild 1-23) zeigt, dass die zu Beginn gewählte Strategie und die konsequente

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Von den historischen Alpen- und Juradurchstichen zu den Erfolgsfaktoren des Gotthard-Basistunnels 21

Umsetzung der Erfahrungen aus früher erstellten Alpendurchstichen zum Erfolg führten. Ohne die große Leistung der beauftragten Ingenieure, Geologen und Unternehmer hätte dieses Resultat aber nicht erreicht werden können. Sie und die Mitarbeitenden der AlpTransit Gotthard haben das Wesentlichste zum Erfolg beigetragen. Wie diese Erfahrungen im Detail umgesetzt wurden, kann dem Beitrag „Umgang mit den wesentlichen Erfolgsfaktoren beim Bau des Gotthard-Basistunnels“ von Dipl.-Ing. (ETH) Heinz Ehrbar entnommen werden.

Bild 1-23 Kostenangaben des Bundesbeschlusses 1991 im Vergleich mit dem voraussichtlichen Endergebnis des Gotthard-Basistunnels (Preisbasis 1998)

Literaturverzeichnis Kalman Kovári und Robert Fechtig (2004): Historische Alpendurchstiche in der Schweiz, Gesellschaft für Ingenieurbaukunst Alfred Etterlin: Rekonstruktion Hauenstein-Basistunnel Werner Rutschmann: Neue Eisenbahn-Alpentransversale, Gotthard-Basislinie, SBB Historic, 2004 Kilian T. Elsasser und Alexander Grass (2016): Drei Weltrekorde am Gotthard, Verlag „Hier und Jetzt“ Heinz Ehrbar, Luzi Gruber und Alex Sala (2016): Tunneling the GOTTHARD, mit Fachbeiträgen von über 100 Autoren, Fachgruppe für Untertagebau des SIA

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 22 1.4 Fazit

Christian Furrer, Hans-Peter Vogel, Hans-Peter Fagagnini, Peter Zbinden, Heinz Ehrbar und andere (2016): Unser Weltrekord-Tunnel Gotthard, Verlag Weltbild Robert Fechtig und Max Glättli (1990): Projektierung und Bau der S-Bahn Zürich SBB, Kreis III: Der Hauptbahnhof Zürich im Wandel der Zeit Privates und SBB Archiv Kilian T. Elsasser und Stephan Appenzeller (2013): Pionierbahn am Lötschberg

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Ausbau der Schieneninfrastruktur in Deutschland 23

2 Ausbau der Schieneninfrastruktur in Deutschland

Prof. Dr. rer. nat. Dirk Rompf Vorstand Netzplanung und Großprojekte, DB Netz AG

Zusammenfassung In den kommenden Jahren wird die Nachfrage für Personenverkehr auf der Schiene zwischen und in den Metropolen weiter wachsen. Außerdem wird ein zusätzlicher Anstieg des Schienengüterverkehrs prognostiziert. Mit der Netzkonzeption 2030 hat die DB Netz AG ein Gesamtkonzept für den langfristig marktgerechten Neu- und Ausbau der Eisenbahninfrastruktur in Deutschland mit dem Zeithorizont 2030 entwickelt. Um dieses Gesamtkonzept zeitgerecht zu realisieren, besteht in Bezug auf die Planung und Ausführung von Infrastrukturgroßprojekten Handlungsbedarf, um insbesondere den Projektablauf zu beschleunigen und die Produktivität zu erhöhen. Zur Optimierung hat die DB Netz AG sechs Stellhebel identifiziert. Die „frühe Bürgerbeteiligung“ und „bestätigte Sonderwege innerhalb der DB“ sind bereits eingeführt. Außerdem befindet sich die Anwendung von „Building Information Modeling“ zurzeit in der Pilotierung. Ferner diskutiert die DB Netz AG gerade die Umsetzung von drei weiteren Stellhebeln mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Dazu gehören die „Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung“, die „Übernahme der Aufgaben der zentralen Anhörungsbehörde durch das EBA“ und die Umsetzung von „projektpartnerschaftlicher Zusammenarbeit“.

Summary The demand for passenger transport by rail will prospectively continue to grow between and within cities, especially metropolitan areas. In addition, a further increase of demand for rail freight is predicted. With the “NetworkDesign 2030”, DB Netz AG has a global approach to the long-term market-oriented construction and expansion of railway infrastructure in Germany developed with a time horizon until the year of 2030. With respect to the planning and execution of infrastructure major projects it will be necessary, in particular to accelerate the project workflow and increase productivity. Regarding optimization DB Netz AG has identified six levers. The "early public participation" and "confirmed special processes within the DB" have already been introduced. In addition, there is the use of "Building Information Modeling" that is currently in the pilot phase. Furthermore, DB Netz AG is discussing the implementation of three other levers with the Federal Ministry of Transport and Digital Infrastructure such as a new financing model for major rail infrastructure projects called "Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung", "the EBA becomes the central hearing authority" and "project partner cooperation".

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 24 2.1 Netzplanung und Schieneninfrastrukturgroßprojekte bei der DB Netz AG

2.1 Netzplanung und Schieneninfrastrukturgroßprojekte bei der DB Netz AG Die DB Netz AG ist das Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn AG (DB). Mit rund 39.200 Mitarbeitern und Auszubildenden zum Stand Ende des Jahres 2015 betreibt sie ein ca. 33.200 km langes Streckennetz mit rund 61.000 km Gleisen und 68.500 Weichen sowie über 25.000 Eisenbahnbrücken und rund 700 Tunneln. Für über 400 Eisenbahnverkehrsunternehmen wird die Infrastruktur in hoher Qualität und Verfügbarkeit diskriminierungsfrei zur Verfügung gestellt (s. Bild 2-1).

Bild 2-1 Übersicht Infrastruktur der DB Netz AG (Zahlen gerundet)

In Bezug auf den Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur ist die Verantwortung für die strategische Netzentwicklung und die Realisierung der Neu- und Ausbauprojekte im Ressort „Netzplanung und Großprojekte“ gebündelt. Die durchgängige Projektverantwortung von der Projektidee über die Planung bis zur Ausführung in einer Hand minimiert Schnittstellen, erhält Know-how über die Projektlaufzeit und schafft Anreize für ein nachhaltiges Projektmanagement.

Bild 2-2 Überblick Großprojekte bei der DB Netz AG und in Deutschland (Beispiele) in Mrd. Euro

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Das Gesamtvolumen der Neu- und Ausbauprojekte der DB Netz AG beträgt rd. 90 Mrd. €. Dabei beinhaltet das Projektportfolio die größten Infrastrukturprojekte in Deutschland, wie z. B. die Aus- und Neubaustrecke (ABS/NBS) Karlsruhe-Basel mit einem Gesamtwertumfang (GWU) i.H.v. 11,8 Mrd. Euro oder das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit (VDE) Nr. 8, wovon der Abschnitt Leipzig-Erfurt-Nürnberg einen GWU i.H.v. 10,3 Mrd. Euro umfasst (s. Bild 2-2).

2.2 Netzentwicklungsstrategie: Netzkonzeption 2030 Da Infrastrukturgroßprojekte in der Regel einen Vorlauf von vielen Jahren benötigen, ist für einen bedarfsgerechten Ausbau des Schienennetzes der DB Netz AG eine langfristige Strategie unerlässlich. Auf Basis einer Verkehrsprognose wurde mit der Netzkonzeption 2030 ein Zielnetz entwickelt, das sich an drei Leitfragen orientiert: • Mit welchen Neu- und Ausbaumaßnahmen können unter bestmöglicher Ausnutzung der vorhandenen Infrastruktur bestehende Engpässe gelöst und die Kapazität im Schienennetz gesteigert werden? • Wie können mögliche verkehrliche Wechselwirkungen dieser Maßnahmen aufgezeigt werden, die bei Entscheidungen zu deren Realisierung zu berücksichtigen sind? • In welcher zeitlichen Reihenfolge sollten diese Maßnahmen umgesetzt werden?

2.2.1 Handlungsbedarf Die Wachstumstrends im Schienenpersonenverkehr folgen dem Trend der Bevölkerungsentwicklung, wonach insbesondere die Metropolregionen in Deutschland wachsen. Entsprechend wächst auch die Verkehrsnachfrage auf der Schiene zwischen und in den Metropolen.

Bild 2-3 Wachstumstrends im Schienenverkehr bei einem engpassfreien Zielnetz

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 26 2.2 Netzentwicklungsstrategie: Netzkonzeption 2030

Bild 2-3 zeigt für den Fernverkehr einen erwarteten Anstieg der Personenkilometer von 2010 bis 2030 um 26 %. Der Regional- und Stadtverkehr in Metropolen soll im selben Zeitraum um 16 % wachsen. Ferner wird für den Schienengüterverkehr von 2010 bis 2030 eine Zunahme der Tonnenkilometer um 42 % prognostiziert. Durch die steigende Verkehrsnachfrage, insbesondere auf den Hauptkorridoren, ist absehbar, dass es im Schienennetz selbst unter Berücksichtigung laufender Ausbaumaßnahmen zu wachstumshemmenden Engpässen kommen wird.

2.2.2 Gesamtkonzept Um die Wachstumstrends zielgerecht zu adressieren, hat die DB Netz AG mit der Netzkonzeption 2030 ein Gesamtkonzept für den langfristig marktgerechten Neu- und Ausbau der Eisenbahninfrastruktur mit Zeithorizont 2030 entwickelt. Damit werden die notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen geschaffen, um den Wachstumskurs des Schienenverkehrs in Deutschland fortsetzen zu können. Das Zielnetz, mit dem die prognostizierten Nachfragesteigerungen sowohl im Schienengüter- als auch im Schienenpersonenverkehr bewältigt und somit wachstumsbedingte Infrastrukturengpässe vermieden werden können, wurde mithilfe von vier Stoßrichtungen (s. Bild 2-4) entwickelt. Diese werden im Folgenden an Beispielen erläutert.

Bild 2-4 Stoßrichtungen der Netzkonzeption zu Engpassbeseitigung und Kapazitätssteigerung

Einen wichtigen Beitrag zur Kapazitätssteigerung auf Korridoren liefert der Ostkorridor, mit dem ein neuer und attraktiver Laufweg für den Nord-Süd-Güterverkehr geschaffen wird. Dabei wird zu einem großen Teil das bestehende, noch nicht voll ausgelastete Schienennetz im Osten Deutschlands genutzt. Möglich wird das vor allem durch den zweigleisigen Ausbau der noch überwiegend eingleisigen Strecke zwischen Uelzen und Stendal, sowie durch die Elektrifizierung der Strecke zwischen Hof und Regensburg in Nordostbayern. Die steigungsarme Strecke und der direkte Laufweg machen die Verbindung dabei besonders attraktiv. Zusätzlich wird die Region

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Ausbau der Schieneninfrastruktur in Deutschland 27

Halle/Leipzig mit ihrem bedeutenden Güterverkehrsaufkommen besser in Richtung Süden angeschlossen. Die Qualitätsverbesserung durch neue, attraktive Angebotskonzepte steht z.B. beim Infrastrukturausbau im Untersuchungsraum zwischen Hanau und Fulda/Würzburg im Mittelpunkt. Auf dieser Relation kommen Verkehrsströme in Nord-Süd-Richtung und Ost-West-Richtung zusammen. Insbesondere im Fernverkehr können durch mehrgleisigen Aus- und Neubau zu erreichende Fahrzeitverkürzungen für neue Angebotskonzepte genutzt werden. Zu nennen ist hier etwa ein Halbstundentakt auf den Hauptrelationen im Fernverkehrsnetz. Von den damit verbundenen Kapazitätsausweitungen profitiert auch der Güterverkehr auf den im heutigen Ausbauzustand überlasteten Strecken. Ein weiterer Nutzen ist eine deutliche Verbesserung der Betriebsqualität im Personen- und Güterverkehr. Für eine starke Produktivitätssteigerung im Güterverkehr sorgt der Netzausbau für 740 m lange Güterzüge. Durch eine Reihe punktueller Maßnahmen wie die Verlängerung von Überholgleisen auf den Hauptkorridoren kann das Netz für lange Güterzüge ertüchtigt werden. Hierdurch sinken vor allem die Produktionskosten der Güterverkehrsunternehmen und damit steigt die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene gegenüber anderen Verkehrsträgern. Zudem lässt sich mit dem 740m-Netz bei relativ geringen Investitionen die Kapazität der Schiene steigern, da mit derselben Anzahl von Zügen mehr Waren transportiert werden können. Die Kapazitätssteigerung in den Knoten begegnet dem besonders starkem Wachstum in und um die Metropolen und den schon heute durch hohe Auslastung verspätungsanfälligen Verknüpfungsstellen im Netz. In Frankfurt (Main) etwa lässt sich mit der Entflechtung der Verkehrsströme im Zulauf auf den Hauptbahnhof in den Bereichen Frankfurt (Main) Stadion und Frankfurt (Main) Süd, sowie der Neuordnung von Regional- und Fernverkehr im Hauptbahnhof selbst nicht nur die Kapazität erhöhen, sondern auch gegenseitige Beeinträchtigungen der Züge bei der Ein- und Ausfahrt deutlich reduzieren.

2.2.3 Maßnahmenbündel Bei einer stark vernetzten Infrastruktur wie dem Schienennetz der DB Netz AG reichen die Effekte einer Ausbaumaßnahme oft weit über das direkte Umfeld hinaus. Entsprechend entstehen auch zwischen Neu- und Ausbaumaßnahmen Wechselwirkungen, die es zugunsten fundierter Entscheidungen zum Ausbau zu berücksichtigen gilt. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, wurden die Maßnahmen der Netzkonzeption 2030 in verkehrlich verknüpfte Bündel zusammengefasst. Zur Ermittlung dieser Maßnahmenbündel diente eine Verkehrsstromanalyse auf Basis einer Prognose des Schienenverkehrs für das Jahr 2030 im Zielnetz. Darin wird untersucht, welcher Anteil der Züge eines Netzquerschnittes im Bereich einer Ausbaumaßnahme auch einen Netzquerschnitt im Bereich eines anderen Ausbauprojekts befährt. Bei einem Anteil, der im Mittel bei mindestens 50 % gemeinsamer Züge liegt, ist der verkehrliche Zusammenhang eng genug, um

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 28 2.2 Netzentwicklungsstrategie: Netzkonzeption 2030 eine gebündelte Betrachtung der beiden Maßnahmen zu rechtfertigen. Im Ergebnis wurden mit den Maßnahmen des Zielnetzes 24 Maßnahmenbündel gebildet (vgl. Bild 2-5).

Bild 2-5 Maßnahmenbündel der Netzkonzeption 2030

Diese Bündel geben insbesondere eine Orientierung darüber, welche Maßnahmen gemeinsam in die politischen Entscheidungs- und Finanzierungsprozesse eingesteuert werden sollten. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass der volle verkehrliche Nutzen der Ausbaumaßnahmen durch das Zusammenwirken der Einzelmaßnahmen erreicht wird.

2.2.4 Umsetzungskonzeption Nach der Entwicklung des Zielnetzes und der Maßnahmenbündel gilt es die Frage zu beantworten, welches der beste Migrationspfad zum Zielnetz ist. Um eine optimale, zeitliche Einordnung der einzelnen Projekte zu erreichen, wird ein Masterplan zum Ausbau entwickelt, der • alle für die Realisierung des Zielnetzes erforderlichen Maßnahmen umfasst; • diese Maßnahmen jahresscheibenscharf auf einem Migrationspfad zum Zielnetz bestmöglich anordnet. Es zeigt sich schon jetzt, dass z.B. aufgrund begrenzter finanzieller Mittel oder langer Realisierungszeiträume von Infrastrukturgroßprojekten nicht alle Maßnahmen im Zielnetz bis zum Jahr 2030 umgesetzt werden können. Notwendig ist also eine verkehrlich sinnvolle und wirtschaftlich tragfähige Priorisierung. Eine zeitnah realisierte Maßnahme sollte zum Beispiel

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Ausbau der Schieneninfrastruktur in Deutschland 29 einen isolierten verkehrlichen Nutzen aufweisen, der mit der Inbetriebnahme eintritt. Eine Maßnahme, die erst in einem fortgeschrittenen Ausbauzustand des restlichen Netzes voll wirksam wird, sollte dagegen möglichst spät realisiert werden. In einem ersten Ansatz wurden fünf Umsetzungsstufen definiert (vgl. Bild 2-6), die sich an Neu- und Ausbaumaßnahmen mit hohem finanziellen Volumen und großer Wirkung auf den zukünftigen Fahrplan orientieren. Bestandteil der jeweiligen Umsetzungsstufe sind auch verkehrlich damit eng zusammenhängende Maßnahmen. Im Fall von Stuttgart 21 ist das zum Beispiel die Ausbaumaßnahme Augsburg-Friedrichshafen-Lindau, die in Kombination mit Stuttgart 21 und der Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm Voraussetzung für eine schnelle Direktverbindung Stuttgart-Lindau ist.

Bild 2-6 Umsetzungsstufen zur Netzkonzeption 2030

Es zeichnet sich ab, dass der Elektrifizierung zwischen Marktredwitz und Regensburg eine Schlüsselrolle zukommt. Dieses Projekt schafft mit Fertigstellung eine große Kapazitätsausweitung und Attraktivitätssteigerung im Nord-Süd-Güterverkehr. Daher werden bereits jetzt -vor dem Beginn der Detailplanung- Möglichkeiten zur Beschleunigung des Projektes untersucht. In einem nächsten Schritt wird die Umsetzungskonzeption zu einem jahresscharfen Plan unter Berücksichtigung weiterer Restriktionen verfeinert. Einschränkungen sind dabei nicht nur die Verfügbarkeit finanzieller Mittel, sondern z.B. auch baubetriebliche Wechselwirkungen zwischen den Projekten. Da wichtige Korridore nicht gleichzeitig durch mehrere Baumaßnahmen über einen längeren Zeitraum stark beeinträchtigt werden sollten, ist hier auch eine enge Abstimmung zwischen den Ausbauprojekten erforderlich. Neben der verkehrlichen und wirtschaftlichen Optimierung des Ausbaus bietet die Umsetzungskonzeption auch den Kunden der DB Netz AG eine klare Perspektive, wann sich

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 30 2.3 Verbesserungen bei der Realisierung von Großprojekten in der Schieneninfrastruktur

Angebotsverbesserungen umsetzen lassen, die wie im Falles des Halbstundentakts im Fernverkehr zum Teil umfangreiche Vorbereitungen seitens der Eisenbahnverkehrsunternehmen erfordern.

2.3 Verbesserungen bei der Realisierung von Großprojekten in der Schieneninfrastruktur

2.3.1 Handlungsbedarf In Bezug auf die Planung und Ausführung von Großprojekten besteht insbesondere aus zwei Gründen Handlungsbedarf. Zum einen sind große Schieneninfrastrukturprojekte durch lange Laufzeiten gekennzeichnet. Wie in Bild 2-7 dargestellt, dauert ein Großprojekt der DB Netz AG von der Grundlagenermittlung bis zur Inbetriebnahme im Durchschnitt ungefähr 18 Jahre. Dabei werden für die Planung und Genehmigung rund zehn und für die Ausführung rund acht Jahre benötigt.

Bild 2-7 Durchschnittliche Laufzeit von großen Schieneninfrastrukturprojekten

Aufgrund der langen Laufzeiten kann es z.B. zu Richtlinien- und Gesetzesänderungen kommen, wodurch die Planung häufig nachbearbeitet werden muss. Dies führt dann zu weiteren zeitlichen Verzögerungen und zu höheren Planungs- und Projektkosten. Außerdem kann es bei langen Projektzeiträumen zu mehreren Personaländerungen sowohl im Projekt als auch in der Politik, in Behörden und bei Auftragnehmern kommen, wodurch zusätzliche Zeit benötigt wird, um Beziehungen und Vertrauen zu den Stakeholdern neu aufzubauen. Zum anderen weist das Baugewerbe eine deutlich niedrigere Produktivität auf als das sonstige produzierende Gewerbe und der Dienstleistungssektor. Auf Basis der Auswertungen des statistischen Bundesamtes (2015) zeigt Bild 2-8, dass die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigem im Baugewerbe seit 1992 stagniert. Hieraus lassen sich Optimierungsbedarfe ableiten.

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Bild 2-8 Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigem für verschiedene Branchen

2.3.2 Optimierungsansätze Über fast alle Projektphasen wurden die folgenden sechs Stellhebel zur Beschleunigung von Großprojekten identifiziert: 1. Durchführung von frühen Bürgerbeteiligungsverfahren, 2. Anwendung bestätigter Sonderwege innerhalb der DB, 3. Einführung der Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung, 4. Einführung von Building Information Modeling, 5. Eisenbahnbundesamt (EBA) als zentrale Anhörungsbehörde, 6. Anwendung projektpartnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer.

Bild 2-9 Wirkung von sechs Stellhebeln (Nr. 1-6) zur Beschleunigung von Großprojekten

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 32 2.3 Verbesserungen bei der Realisierung von Großprojekten in der Schieneninfrastruktur

Wie in Bild 2-9 dargestellt, sollen die sechs Stellhebel die Projektlaufzeiten von rund 18 auf ca. 14-15 Jahre verkürzen. Die „frühe Bürgerbeteiligung“ (1) und „bestätigte Sonderwege innerhalb der DB“ (2) sind bereits eingeführt. Die Nutzung von Building Information Modeling (4) befindet sich zurzeit in der Pilotierung. Ferner diskutiert die DB Netz AG die Umsetzung der drei übrigen Stellhebel gerade mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Dazu zählen die „Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung“ (3), „EBA als zentrale Anhörungsbehörde“ (5) und „projektpartnerschaftliche Zusammenarbeit“ (6). Im Folgenden werden die sechs Stellhebel noch einmal genauer erläutert.

Frühe Bürgerbeteiligungsverfahren Infrastrukturprojekte müssen nicht mehr nur funktionale, technische, wirtschaftliche und rechtliche Kriterien erfüllen, sondern sie müssen auch von den Bürgern mitgetragen werden. Deshalb verfolgt die DB Netz AG als Vorhabenträger das Ziel einer frühen Bürgerbeteiligung und umfassenden Kommunikation. Die formalen Genehmigungsverfahren alleine reichen dazu nicht aus. Vielmehr müssen die Menschen frühzeitig, klar und ehrlich durch die jeweiligen Projektverantwortlichen u.a. in Bezug auf Nutzen, Kosten und Sicherheitsrisiken sowie ihre individuelle Betroffenheit informiert und beteiligt werden. Insbesondere bei innerstädtischen Großbaustellen stehen Veränderungen im Stadtbild, mögliche Wertverluste sowie Belastungen aus Lärm, Staub und Erschütterungen im Vordergrund.

Bild 2-10 Bürgerbeteiligungen und politischer Dialog in ausgewählten Großprojekten

Um den Anforderungen einer frühen Bürgerbeteiligung gerecht zu werden, erstellt die DB Netz AG anhand eines selbst entwickelten Leitfadens für Stakeholder-Management für jedes Infrastrukturgroßprojekt einen spezifischen Kommunikationsplan mit folgenden fünf Schritten: 1. Stakeholder-Analyse mit Identifikation und Evaluierung von direkt Betroffenen und Interessierten,

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2. Projektbewertung, insbesondere in Bezug auf mögliche Konfliktfelder, 3. Entwickeln und Identifizieren von Botschaften und Botschaftern für das Projekt (Nutzen und die Notwendigkeit des Projekts klar formulieren; Unterstützer und Multiplikatoren mobilisieren), 4. Auswahl der geeigneten Kommunikationsinstrumente für die spezifische Projektsituation (Information, Beteiligung und Mitgestaltung), 5. Projektspezifische Kommunikationsplanung inkl. Ausgestaltung der Instrumente mit Festlegung der aufeinander abgestimmten Inhalte, zeitlicher Einordnung und Ressourcenplanung. Konkrete Aktivitäten zur Bürgerbeteiligung wurden z.B. bei den Projekten NBS/ABS Hamburg- Bremen-Hannover, Rhein-Ruhr-Express (RRX), ABS/NBS Hanau/Würzburg-Fulda, NBS Rhein/Main-Rhein/Neckar und Brennerzulauf (ABS 36) angewendet. Spezifische Maßnahmen waren u.a. Dialog- oder Beteiligungsforen, Internetportale und Projektwebsites und Bürgerveranstaltungen (vgl. Bild 2-10). Die DB Netz AG versteht die frühe und umfassende Bürgerbeteiligung als einen Kernprozess im Management von Infrastrukturprojekten. Sie hat das Ziel, dass alle Projektverantwortlichen der DB den Dialog gemäß dem Leitfaden für Stakeholder-Management durchführen, um so qualifizierte Ingenieursarbeit im Konsens mit Bürgern und Gesellschaft zu leisten. Im Ergebnis erwartet die DB Netz AG durch den frühzeitigen und umfassenden Dialog mit Bürgern und Politik stabilere Planfeststellungsverfahren.

Bestätigte Sonderwege innerhalb der DB Zur Parallelisierung im Vorlauf zum physischen Baubeginn und zum Einhalten von Terminzielen hat die DB intern den fallweisen Einsatz folgender definierter und bestätigter Sonderwege eingeführt, welche die Projektlaufzeit um bis zu acht Monate verkürzen können: a) Vorgezogene Ausführungsplanung: bis zu fünf Monate, b) Veröffentlichung (Aufruf zum Wettbewerb) ohne Baufreigabe in finanzieller Hinsicht: bis zu fünf Monate, c) Vergabe (Erteilung Zuschlag) ohne Baufreigabe in finanzieller Hinsicht: Zeiteinsparung fallweise unterschiedlich, d) Veröffentlichung (Aufruf zum Wettbewerb) vor Erlangung des bestandskräftigen Planrechts: bis zu acht Monate. Aus den definierten und bestätigten Sonderwegen können sich folgende Risiken für die DB Netz AG ergeben: • Eigenmittelrisiken, • Nachtragspotentiale, • Terminrisiken aus Verzögerungen bei der Vergabe mit Folge eines gestörten Bauablaufs, • Überschreitung von Angebotsfristen, • Ersatz von Angebotserstellungskosten bis zu weitergehendem Schadenersatzanspruch.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 34 2.3 Verbesserungen bei der Realisierung von Großprojekten in der Schieneninfrastruktur

Daher wählt die DB Netz AG die definierten und bestätigten Sonderwege nur, wenn das Risiko aus der Terminverzögerung für das Projekt größer ist, als das Risiko aus dem gewählten Sonderweg.

Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung Die Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung (BUV), die zurzeit zwischen der DB und dem BMVI verhandelt wird, ist ein neues Modell zur Finanzierung der Neu- und Ausbauprojekte für Schieneninfrastruktur durch den Bund.

Bild 2-11 Vorteile der Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung

Durch die Einführung der BUV würden sich für beide Verhandlungspartner mehrere Vorteile ergeben, die das Bild 2-11 genauer erläutert. Insgesamt besteht das Ziel, mithilfe der BUV die Großprojekte stabiler zu realisieren und den Verwaltungsaufwand zu senken. Dazu beinhaltet die BUV u.a. die folgenden Bausteine: • die Projektförderung, d.h. eine Förderung aller dem Projektziel dienenden Kosten, was insbesondere eine Aufhebung der Trennung von Planungs- und Baukosten sowie der Unterscheidung von nichtgefördertem Aufwand und geförderten Investitionen bedeutet; • eine systematische parlamentarische Befassung mit Bedarfsplanprojekten; • eine Beteiligung der DB mit Eigenmitteln, die sich vorrangig an der Tragfähigkeit der Projekte orientiert; • die Pönalisierung des Inbetriebnahme-Meilensteins als Output-Kontrolle; • eine vertiefte Planungsbegleitung durch das EBA in Verbindung mit einer optimierten, projektbegleiteten Antrags- und Verwendungsprüfung, die zu höherer Planungssicherheit und einer weiteren Beschleunigung der Projektdurchführung führen soll;

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• eine realistische Kostenprognose zum Ende der Vorplanung („Gesamtwertprognose“); • einen durchgängigen Regelwerksrahmen für Bedarfsplanprojekte, d.h. Umfassen aller Leistungsphasen sowie Integration bestehender Finanzierungsmodelle, z.B. der Sammelvereinbarung (SV) 38.

Building Information Modeling Die DB Netz AG arbeitet an modernen digitalen Methoden wie „Building Information Modeling“ (BIM) und deren Integration in die Planungs- und Bauprozesse. Mithilfe eines digitalen geometrischen Modells kann das Planen, Bauen und Betreiben eines Bauwerks und der Infrastruktur simuliert und bewertet werden. Räumliche 3D-Modelle lassen sich mit Terminen (4D) und Kosten (5D) über alle Planungsschritte verknüpfen, zuverlässige und aktuelle Informationen sind für alle Projektbeteiligten jederzeit verfügbar. Komplexe Sachverhalte werden somit anschaulich und nachvollziehbar, die Planungs- und Bauprozesse effektiver. Weitere Potentiale liegen im Facility-Management und der optimierten Verwaltung des Anlagevermögens. Mit der Anwendung von BIM lassen sich signifikante Beiträge zum weiteren optimierten Planen und Bauen erwarten, wie z.B.: • bessere Planungsqualität, u.a. durch Kollisionsprüfungen zwischen Gewerken und eine integrierte Gesamtplanung aller Gewerke in einem 3D-Modell; • Akzeptanzsteigerung großer Projekte, u.a. durch Variantenbetrachtungen und Visualisierung komplexer Gesamtzusammenhänge; • höhere Terminsicherheit, u.a. mit Bauablaufmodellen in 5D und Minimierung "vergessener Leistungen"; • höhere Kostensicherheit und Effizienzsteigerung, u.a. durch genauere vollständige Mengen- und Kostendaten einschließlich transparenter Aktualisierung; • bessere Lebenszyklusbetrachtungen, u.a. durch Bilanzanalysen (Energie, CO2) vor Baubeginn und frühzeitige Übergabe digitaler Bauakten. Die Einführung von BIM bei der DB Netz AG ist in den folgenden drei Phasen geplant: Die Phase I (Initialisierung) diente der Schaffung von Grundlagen und Voraussetzungen und ist bereits abgeschlossen. In Phase II werden dann bis 2017 elf Pilotprojekte initiiert. Wie in Bild 2-12 dargestellt, sind die Pilotprojekte über ganz Deutschland und über alle Leistungsphasen (Lph) verteilt. In der Phase III (Professionalisierung) folgt die Fixierung der Erkenntnisse aus der Pilotierung in den Regelbetrieb. Ab Ende 2020 sollen dann alle neuen standardisierbaren und komplexen Projekte der DB Netz AG mit BIM geplant werden.

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Bild 2-12 BIM-Pilotprojekte der DB Netz AG

EBA als zentrale Anhörungsbehörde Bei einer Analyse des BMVI (2016) von 22 Schieneninfrastrukturprojekten hat das Anhörungsverfahren mit einem Anteil von rd. 51 % den größten Zeitbedarf im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens, welches durchschnittlich insgesamt 3,6 Jahre dauert. Für die Schienenwege des Bundes gibt es 31 Anhörungsbehörden in den Ländern. Damit bekommt jede einzelne Anhörungsbehörde selten die Aufgabe, ein Planfeststellungsverfahren für ein Großprojekt zu begleiten. Daraus entstehen keine oder nur sehr geringe Möglichkeiten für Lernerfahrungen zur Optimierung der Prozesse und den langfristigen Kompetenzaufbau bei den einzelnen Bearbeitern.

Bild 2-13 Zeitanteile von Planfeststellungsverfahren bei 22 Großprojekten in %

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Um Synergien in der Abwicklung zu erreichen, besteht der Vorschlag, Anhörungs- und Planfest- stellungsverfahren bei einer Behörde zu bündeln. Dadurch ergeben sich folgende Chancen: • Verzicht auf Doppelprüfung von Planfeststellungsunterlagen, • einfachere Entscheidungsabwägung, wenn das EBA direkt an der Anhörung beteiligt ist, • höhere Ressourcenverfügbarkeit und Lerneffekte bei Gesamtverantwortung innerhalb einer Organisation. Im Ergebnis erwartet die DB Netz AG durch die Zusammenlegung von Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde eine Verkürzung der durchschnittlichen Gesamtdauer von Planfeststellungsverfahren um rund 14 % bzw. sechs Monate.

Projektpartnerschaftliche Zusammenarbeit von Auftraggeber und Auftragnehmer In Großprojekten treffen viele Projektbeteiligte von Bauherren, Planern und Unternehmen mit unterschiedlichen Interessen aufeinander. Anstelle einer konfrontativen Projektabwicklung mit der oftmaligen Folge von Termin- und Kostenüberschreitungen verfolgt die DB Netz AG partnerschaftliche Lösungen für eine bessere Zusammenarbeit. Dazu zählen in Übereinstimmung mit den Handlungsempfehlungen der "Reformkommission Bau von Großprojekten" u.a. folgende Ansätze (BMVI, 2016): • Frühzeitiger Abschluss von Partnerschaftsverträgen mit den Auftragnehmern, • Verpflichtung zu einer partnerschaftlichen Projektabwicklung, • außergerichtliche Streitbeilegung durch Vereinbarungen auf der Grundlage von Verfahrensordnungen für Mediation und Adjudikation, • Ausschreibung und Vergabe von Bauleistungen nicht ausschließlich auf Basis Preis, sondern auch nach qualitativen Wertungskriterien, wie z.B. Betriebs- und Folgekosten (Vergabe an den Wirtschaftlichsten), • eindeutige Verteilung und Fortschreibung von Risiken ab Projektbeginn mit allen zugänglichen Daten und Informationen zur Erfassung von Risiken im Haushalt. Für wichtige Lösungsansätze hat der Bund im Rahmen eines „Aktionsplanes“ Gesetzesänderungen angekündigt, u.a. um • die vergaberechtlichen Grundlagen für die Anwendung kooperationsorientierter Vertragsmodelle zu schaffen, die bei privaten Bauprojekten in Deutschland und bei öffentlichen Bauprojekten im Ausland bereits erprobt sind, • die grundsätzliche Zulässigkeit von Nebenangeboten zu regeln, • die Zulässigkeit der Vereinbarung von Bonus-Malus-Regelungen in Bauverträgen zu regeln (dito Zuwendungsrecht), • der öffentlichen Hand die Möglichkeit zur Nutzung von Zielpreissystemen zu eröffnen und • rechtliche Hemmnisse bei der Vereinbarung und Durchführung externer Streitbeilegungsverfahren zu beseitigen (einschließlich Bereitstellung von Verfahrensordnungen für Mediation und Adjudikation).

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Zur Umsetzung der Kernempfehlungen zur partnerschaftlichen Projektzusammenarbeit der Reformkommission ist die DB bereit, sich an entsprechenden Pilotprojekten zu beteiligen. Daher wurde das DB-Pilotprojekt „VDE 8.1 Coburg-Hallstadt, PFA 23: Hallstadt Breitengüßbach“ (vgl. Bild 2-14) ausgewählt, für welches ein Planfeststellungsbeschluss vorliegt. Die Vergabe ist für das Jahr 2017 geplant. Somit sollen die Baufirmen ab Lph fünf eingebunden werden. Dabei wird der klassische DB-Bauvertrag um partnerschaftliche Vertragselemente ergänzt.

Bild 2-14 DB-Pilotprojekt 1: VDE 8.1 – Coburg - Hallstadt, PFA 23: Hallstadt Breitengüßbach

Grundsätzlich ist der folgende Ablauf geplant: 1. Planung Lph drei/vier durch Ingenieurbüro, 2. Vorbereitung der Bauvergabe im Team Projektleitung / Einkauf / Recht, 3. Bauvergabe an Baufirma über Verhandlungsverfahren nach wirtschaftlichen Kriterien (Preis/Qualität) und bester technischer Lösung. Aus dem DB-Pilotprojekt erwartete die DB Netz AG folgenden Nutzen: • Kulturwandel von konfrontativ zu kooperativ, • Vermeidung langer Gerichtsverfahren, • Projektoptimierung durch Anreizmechanismen, • Bauabwicklung mit Kosten- und Termintreue, • Reduzierung des Aufwands für Nachtragsmanagement.

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Literaturverzeichnis Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Reformkommission Bau von Großprojekten, Komplexität beherrschen – kostengerecht, termintreu und effizient, Endbericht, Berlin.

Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Monitoring Planfeststellungsverfahren, Berlin.

Statistisches Bundesamt (2015): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Fachserie 18 Reihe 1.5, 2014, Wiesbaden.

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Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Europäische Tunnelbauverträge, Rahmenbedingungen, nationale Sonderwege, Internationale Lösungsansätze 41

3 Europäische Tunnelbauverträge, Rahmenbedingungen, nationale Sonderwege, Internationale Lösungsansätze

Prof. Dr. Bastian Fuchs, LL. M. (CWSL) 1) Dr. Andreas Höckmayr 2) 1) Rechtsanwalt, Honorarprofessor für Deutsches und Internationales Baurecht, München 2) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, München/Pfaffenhofen Der Titel dieses Beitrags ist gewaltig, so dass kaum ein Beitrag ihm tatsächlich gerecht werden kann. Spannt er doch einen immensen Bogen quer durch den Kontinent, will gleichzeitig Grundsätzliches wie auch Spezifisches in der aktuellen Vertragspraxis aufzeigen und dann auch noch, tatsächlich zu guter Letzt, Lösungsansätze für die „gute Praxis“ der Zukunft aufzeigen - und das international. Die Autoren verfolgen dabei zwei Ansätze: Zum einen wird untersucht, wie das ganz klassische Thema „Gebirgs“- bzw. „Baugrundrisiko“ in den nationalen Bauverträgen gelöst wird, wobei sich die Autoren auf ausgewählte Rechtsordnungen konzentrieren (Gegenstand dieser Ausarbeitung). In einem weiteren Antritt werden die Autoren moderne vertragliche Ansätze, die in verschiedenen Nationen bzw. Rechtskreisen für Infrastruktur-Projekte zum Einsatz kommen, im Vortrag vertiefen.

3.1 Einleitung Tunnelbauten sind, grob vereinfacht, dadurch gekennzeichnet, dass sie zumindest in wesentlichen Teilen unterhalb der Erdoberfläche tief im Baugrund bzw. Gebirge -also einem bei Planung und Vertragsschluss nicht einsehbaren und damit grundsätzlich geologisch unbekannten Bereich- realisiert werden sollen. Diese Konstellation bedingt, dass über die Durchführbarkeit der projektierten Baumaßnahmen und die damit verbundenen Kosten, ungeachtet aller moderner Methoden zur Erkundung der Baugrund- bzw. Gebirgsverhältnisse, in denen ein Tunnel aufgefahren werden soll, stets eine Unsicherheit (in technischer wie in wirtschaftlicher) Hinsicht besteht. Die damit verknüpften Gefahren lassen sich als „emerging risks“ verstehen. Deren abstrakte Existenz bzw. Ausmaß steht zum Zeitpunkt der Bau-Entscheidung und der vertraglichen Bindung als Risiko mit der Möglichkeit der Verwirklichung fest. Ungeachtet des konkreten Verständnisses von emerging risks sind diese durch ein Änderungsrisiko charakterisiert, das sich bei einem Abweichen vorgefundener Umstände von erwarteten Umständen realisiert. Zeigt sich beispielsweise beim Vortrieb eines Tunnels eine unerwartete Gebirgsschicht oder Bergwasser, kann sich der Bau verzögern und verteuern. Es können auch Schäden auftreten. Realisiert sich damit ein Risiko, das bei der Projektierung nicht bekannt war und deshalb in die Kalkulation nicht einbezogen werden konnte, dann liegt eine Änderung im Vergleich zum vorausgesetzten Verlauf

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 42 3.1 Einleitung der Projektdurchführung vor. Dieses Risiko wird allgemein als Baugrundrisiko verstanden und findet in der DIN 4020:2010-12 in Abschnitt A 1.5.3.17 nachfolgende Definition in Deutschland: „Baugrundrisiko: ein in der Natur der Sache liegendes, unvermeidbares Restrisiko, das bei Inanspruchnahme des Baugrunds zu unvorhersehbaren Wirkungen bzw. Erschwernissen, z.B. Bauschäden oder Bauverzögerungen, führen kann, obwohl derjenige, der den Baugrund zur Verfügung stellt, seiner Verpflichtung zur Untersuchung und Beschreibung der Baugrund- und Grundwasserverhältnisse nach den Regeln der Technik zuvor vollständig nachgekommen ist und obwohl der Bauausführende seiner eigenen Prüfungs- und Hinweispflicht Genüge getan hat." Dieses Risikoverständnis zeigt eine für das Bauwesen spezifische Modifikation des Risikobegriffs, die auf die vor Durchführung einer Baumaßnahme durchgeführten Bemühungen zur Feststellung des aus einer ex ante Sicht bestehenden Risikos abzielt. Ungeachtet des Bestehens einer Vielzahl von Risikodefinitionen lässt sich Risiko allgemein als möglicher Schaden oder der mögliche Verlust einer Vermögensposition verstehen, wobei bereichsspezifische Definitionen meistens die gefährdete Vermögensposition präzisieren. Während allgemeine und auch branchenspezifische Risikodefinitionen in unterschiedlicher Formulierung die Folge der Manifestation eines Risikos bereits in dessen Definition einbeziehen, wird das Baugrundrisiko ausdrücklich als Restrisiko definiert, das auf einer vorangegangenen Gefahrenbeurteilung beruht. Dabei lässt sich Gefahr als „Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf erkennbar zu einem Schaden durch von außen kommende Ereignisse führen [wird], wobei Gewissheit nicht erforderlich sei, sondern große Wahrscheinlichkeit genüge", verstehen. Das Baugrundrisiko ist demnach ein Risiko, dem ein Risikobeurteilungsprozess vorausgeht, der jedoch der Verborgenheit der Beurteilungsmaterie Baugrund entsprechend nie sämtliche mit der Nutzung des Baugrunds verbundenen Gefahren erfassen kann. Nach dem (alten) Beiblatt 1 zur DIN 4020, ist das Baugrundrisiko „unvermeidbar", da geotechnische Untersuchungen grundsätzlich nur von beschränkter Aussagekraft sind und insbesondere „[...] der Baugrund einschließlich seiner Inhaltsstoffe ein inhomogener, von der Natur vorgegebener Werkstoff ist, der in seiner Gesamtheit nur näherungsweise erkundet und mit technischen Modellbildungen (z.B. durch geometrische Annahmen und mechanische Eigenschaften für Standsicherheitsnachweise und Setzungsberechnungen) beschrieben werden kann". Das Baugrund- bzw. Gebirgsrisiko ist jeweils in Bezug auf ein konkretes Bauvorhaben zu untersuchen und zu bestimmen; die Heranziehung von -wenn auch vergleichbaren- Grundstücken ist nicht geeignet, die jeweiligen Restrisiken eines konkreten Bauvorhabens zu identifizieren. Dies ändert freilich nichts daran, dass -auch abhängig von der jeweiligen Bautechnik und der Art des Bauvorhabens- sich regelmäßig nur wenige, aber typische Risiken realisieren. Beispielhaft lassen sich folgende Sachverhalte aufzählen: • Mächtigkeit, Schichtung und Tragfähigkeit von Boden- und Felsschichten, • Klüfte und Störzonen, • Quellfähigkeit (je nach Gesteinsart),

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• Lage und Zustand des Grundwassers (z.B. GW-Stockwerke; Aggressivität), • Temperatur, • Kontamination des Bodens, • Fremdkörper im Boden. Im inneralpinen und voralpinen Raum wurden die Boden- und Gebirgsverhältnisse durch ihre typische eiszeitliche Entstehungsgeschichte geprägt. Damit aber sind -in technischer Hinsicht- schwierigere Boden- und Gebirgsverhältnisse als konkret erwartet eigentlich keine „Überraschungen", sondern allgemein vorhersehbare Folgen klimagesteuerter Erosions- und Akkumulationsphasen, die allenfalls an einem konkreten Ort, nicht aber allgemein überraschen können. Es ist daher Aufgabe der Baugrundsachverständigen, dieses geologische Grundlagenwissen über die Beschaffenheit alpiner Böden durch eine entsprechende Auswahl der Untersuchungsberichte und Verfahren zu berücksichtigen. An der grundlegenden engen Beschränkung der Aussagekraft von Stichproben ändert dies jedoch nichts, sodass das Baugrund- bzw. im Tunnel- und Stollenbau das Gebirgsrisiko als Restrisiken immer bestehen bleibten. Das hier beschriebene Verständnis des Baugrundrisikos bezieht sich somit ausschließlich auf die Risiken, die sich aus der naturgegebenen Unmöglichkeit einer exakten Beschreibung der Baugrundverhältnisse vor Durchführung von Baumaßnahmen ergeben: Baugrund bzw. Gebirge sind über lange Zeit durch die Erdgeschichte entstanden, verändert und zudem von Menschenhand bearbeitet worden, z.B. durch Bergbau. Diese Besonderheit des „Universal-Bestandteils" eines jeden Bauwerks, sei es ein Einfamilienhaus oder ein „Jahrhundert-Tunnel", wie etwa in der Schweiz der Gotthard-Basistunnel, in Österreich der entstehende Brenner-Basistunnel oder in Deutschland die ICE-Tunnel auf der Strecke Ingolstadt-Nürnberg, nachzuvollziehen, ist für Juristen schwierig. Denn die unumstößliche Tatsache, dass ein Bauwerk immer nur dann entstehen kann, wenn die Wechselwirkung mit dem Baugrund bzw. Gebirge hergestellt wird, erschließt sich nicht von selbst. Vielmehr bedarf es dazu des Verständnisses, dass jedes Bauwerk auf, im und mit dem Baugrund bzw. Gebirge entsteht. Einen besonderen Aspekt des mit der Errichtung von Bauwerken vebundenen Risikos, insbesondere im Tunnelbaubereich, hat das OLG München unter Bezugnahme auf das Schrifttum als Systemrisiko verstanden. Dieses beruhe darauf, dass bei der Herstellung jedes Bauwerks die mit der dazu angewandten Technik (wie etwa der Bohrpfahl- oder Schlitzwandherstellung, Bodenvereisung oder Hochdruckinjektion) verbundenen Risiken als Risiken eines technischen Systems nie zur Gänze im Voraus abgeschätzt werden können, da derartige Systemfehler mit der Beschaffenheit des Gebirges und damit dem Baugrund- bzw. Gebirgsrisiko in Zusammenhang stehen. Wie das Baugrund- bzw. Gebirgsrisiko sind auch Systemrisiken selbst bei größtmöglicher Sorgfalt und umfassender Anspannung aller gebotenen Optionen der Vorabklärung nicht zur Gänze auszuschließen. Damit können Systemrisiken im Ergebnis ebenfalls als emerging risks verstanden werden, die sich auf die Unberechenbarkeit technischer Abläufe beziehen und mit der Komplexität des Bauvorhabens zunehmen. In der Praxis mag allerdings eine Differenzierung des echten Baugrundrisikos und eines apparatebezogenen Systemrisikos nicht immer möglich sein. Die Literatur führt dafür etwa das Beispiel an, dass sich der Greifer eines Schlitzwandgeräts mit

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 44 3.2 Vertiefung einem großen Findling verkeilt und nicht mehr gezogen werden kann. Diese Konstellation erfordert aufwendige Bergungsmaßnahmen durch Umspundung. Damit realisiert sich womöglich das echte Baugrundrisiko, da eine unerwartete Bodenformation Ursache der Komplikation war und womöglich eine seitlich ausgebrochene Felsplatte zwischen das Bohrwerkzeug und den seitlichen Boden geglitten war und dort als Keil gewirkt hat. Der Auftraggeber wird die Auffassung vertreten, dass die Ausführung der Arbeiten nicht sachgerecht erfolgt ist und sich nur deshalb die Felsplatte aus dem Verbund mit dem umliegenden Boden lösen konnte.

3.2 Vertiefung Die praktische Relevanz des Gebirgsrisikos zeigt sich darin, dass kaum ein Tunnelbauprojekt ohne juristische Auseinandersetzungen zum Gebirgsrisiko durchgeführt werden kann. Typische Beispiele der Realisierung dieses Risikos sind etwa der oben angesprochene Greifer einer Baumaschine, der bei der Schlitzwandherstellung Probleme bereitet, da eine Felsscholle in den Schlitz gleitet oder Bohrpfähle, die trotz Wasserauflast nicht hergestellt werden. Im Tunnelbau etwa zählen Karsthöhlen, die aufwendig verfüllt werden müssen, zu den Paradebeispielen der Gebirgsrisikoverwirklichung. Nicht nur in Deutschland und Österreich spielt aufgrund der geografischen Gegebenheiten der Tunnelbau eine bedeutsame Rolle. Auch in der Schweiz mit ihrer vergleichbaren Topographie haben Tunnelbauten eine weitreichende volkswirtschaftliche Bedeutung. Dies zeigt etwa die derzeitige Diskussion über die Sanierung des Gotthardtunnels, durch den wesentliche Teile des transalpinen Transports geführt werden. Ein auch im Hinblick auf die damit verbundene Kostenexplosion längst prototypisches Tiefbauvorhaben, das nicht alleine, aber zu einem erheblichen Maß die Fertigung von Tunneln umfasst, ist das Projekt „Stuttgart 21" in Deutschland. Projekte dieser Größenordnung, aber auch weit geringeren Volumens, haben über die Grenzen der Nationalstaaten hinausreichende Bedeutung, da bei ihrer Vergabe supranationale Vorschriften zu beachten sind. So kommen bei Tunnelbauten gemäß Art. 1 Abs. 2 der für diese seinerzeit anwendbaren Sektorenrichtlinie die supranationalen Vergabevorschriften zur Anwendung, die einheitliche Voraussetzungen für Gebiete aus dem Binnenmarkt schaffen sollen. Die Vorgaben dieser Richtlinie gelten jedoch als kompliziert und schwer zu administrieren. Für die Schweiz gelten diese Richtlinien nicht unmittelbar, werden aber über den autonomen Nachvollzug von Richtlinien de facto ebenfalls angewendet bzw. durch entsprechende Rechtsnormen Schweizer Rechts substituiert. Dies zeigt, dass Bauvorhaben wie Tunnelprojekte schon vergaberechtlich über nationale Rechtsordnungen hinausreichende Bedeutung haben. Aus Sicht der Bauindustrie besteht daher auch ein legitimes Interesse an einer Vereinheitlichung nationaler Rechtsvorschriften des Tiefbaurechts, da dies die Beteiligung an Ausschreibungen im gesamten Binnenmarkt einschließlich der Schweiz bzw. die Administration von Aufträgen erheblich erleichtert. Eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften einzelner Staaten ist aber auch insofern von Bedeutung, als Großprojekte meistens von mehreren Unternehmen, etwa in Form einer ARGE, durchgeführt werden und einheitliches Recht die Kooperation von Anbietern in Bietergemeinschaften wie bei der Projektdurchführung erheblich

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Europäische Tunnelbauverträge, Rahmenbedingungen, nationale Sonderwege, Internationale Lösungsansätze 45 vereinfacht. Unmittelbare Bedeutung hat die Konfrontation mit verschiedenen Rechtsordnungen schließlich bei grenzüberschreitenden Projekten wie dem Brenner-Basistunnel, der nach seiner Fertigstellung Österreich mit Italien verbindet. De lege lata werden Begriffe wie der des Gebirgsrisikos in den verschiedenen europäischen Rechtsordnungen unterschiedlich gehandhabt; wie oben erörtert, besteht nicht einmal innerhalb einer nationalen Rechtsordnung wie der Deutschlands ein einheitlicher Umgang mit dem Begriff. Nachfolgend werden in einem ersten Überblick die grundlegenden rechtlichen Regelungen zur Übertragung des Gebirgsrisikos bzw. dessen Verständnis sowie zur Normierung des Begriffs Baugrund in den Rechtsordnungen der in die vorliegende Arbeit einbezogenen Staaten erörtert: In den maßgeblichen Normen der österreichischen Rechtsordnung wird der Begriff Baugrund nicht erwähnt. Der Baugrund wird jedoch dem Baustoff zugeordnet, wie der OGH unmissverständlich ausführt: „Unter Stoff ist alles zu verstehen, aus dem oder mit dem das Werk herzustellen ist, so auch der Grund und Boden, auf dem der Bau aufzuführen, oder das Gebäude, an dem die Arbeit zu verrichten ist." Ausgehend von diesem Verständnis normiert § 1168a ABGB: „Der Verlust des Stoffes trifft denjenigen Teil, der ihn beigestellt hat. Misslingt […] das Werk infolge offenbarer Untauglichkeit des vom Besteller gegebenen Stoffes […] so ist der Unternehmer für den Schaden verantwortlich, wenn er den Besteller nicht gewarnt hat." Nach dem Wortlaut des Gesetzes wird das Risiko damit in erster Linie dem Auftraggeber zugeordnet, sofern der Auftragnehmer rechtzeitig seine Prüf- und Hinweispflichten erfüllt, was die Formulierung „gewarnt" verdeutlicht. Auch die vom Austrian Standards Institut in Wien geschaffenen ÖNORMEN befassen sich ausführlich mit der Beschreibung der Baugrundverhältnisse, so z.B. in der ÖNORM B 4402 (Erd- und Grundbau - Geotechnische Untersuchungen für bautechnische Zwecke) oder in der für den Tunnelbau wesentlichen Vorschrift der ÖNORM B 2203 1 und 2 (Untertagebauarbeiten Werkvertragsnorm). Ebenfalls ist hier eine maßgebliche Verantwortlichkeit des Auftraggebers für das Baugrundrisiko erkennbar. Bei den ÖNORMEN handelt es sich jedoch, wie bei den anderen zur Normsetzung erlassenen Vorgaben, nicht unmittelbar um Gesetzesrecht, worauf im Vortrag einzugehen ist. Anders als der österreichische hat der schweizerische Gesetzgeber den Begriff des Baugrunds ausdrücklich in der Rechtsordnung normiert. Art 376 Abs. 3 OR lautet: „Ist das Werk wegen eines Mangels des vom Besteller […] angewiesenen Baugrundes […] zugrunde gegangen, so kann der Unternehmer, wenn er den Besteller auf diese Gefahren aufmerksam gemacht hat, die Vergütung der bereits geleisteten Arbeit und der im Lohne nicht eingeschlossenen Auslagen und, falls den Besteller ein Verschulden trifft, überdies Schadensersatz verlangen." Abgesehen von der terminologischen Differenzierung entspricht diese Regelung auch dem in anderen Rechtsordnungen verfolgten Grundsatz, den Baugrund als vom Besteller bereitgestellten

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Stoff zu verstehen. Unter der Voraussetzung, dass der Auftragnehmer seine -insbesondere auf einer Kenntnis der Gefahrgeneigtheit des Baugrunds beruhenden- Hinweispflichten erfüllt, trägt demnach der Auftraggeber das Gebirgsrisiko. Dies folgt auch aus der Regelung des Art. 365 Abs. 3 OR: „Zeigen sich bei der Ausführung des Werkes Mängel an dem […] angewiesenen Baugrund […], so hat der Unternehmer dem Besteller ohne Verzug davon Anzeige zu machen, widrigenfalls die nachteiligen Folgen ihm selbst zur Last fallen." Anhand der Formulierung dieser Norm ist aber erkennbar, dass der Unternehmer bereits dann für die Tragung des Gebirgsrisikos verantwortlich ist, wenn er „Mängel" der im Vorhinein festgelegten Gebirgseigenschaft nicht unverzüglich dem Auftraggeber anzeigt. Durch diese stringente Regelung werden in der Schweizer Rechtsordnung mittels einer eindeutigen Festlegung des Wortlauts Auslegungsprobleme vermieden und es erfolgt eine unmissverständliche Zuordnung des Gebirgsrisikos. In den „Allgemeinen Bedingungen für Bauarbeiten" des Schweizer Ingenieur- und Architekten- Vereins wird diese strikte Zuordnung des Gebirgsrisikos in der SIA-Norm 118, Art 58 Abs. 2 wieder abgeschwächt. Nach der zitierten Norm hat der Bauherr „mangelhafte Angaben […] über den Baugrund" zu verantworten, falls er „durch eine Bauleitung vertreten oder selbst sachverständig oder durch einen beigezogenen Sachverständigen beraten war". Die SIA-Normen sind als Regelungswerk eines privaten Normsetzers jedoch nur dann anwendbar, wenn dies ausdrücklich vereinbart wurde. SIA 118 kommt die Bedeutung von allgemeinen Geschäftsbedingungen zu, sodass ein ausdrücklicher Einbezug in ein konkretes Rechtsgeschäft zur wirksamen Vereinbarung erforderlich ist. Die maßgeblichen deutschen gesetzlichen Regelungen zur Tragung des Gebirgsrisikos finden sich im Werkvertragsrecht der §§ 631 ff BGB. Eine ausdrückliche Erwähnung des Begriffs „Baugrund" kennt das deutsche Recht nicht. Höchstrichterlich ist entschieden, dass der Begriff „Stoff" alle Gegenstände umfasst, aus denen, an denen oder mit deren Hilfe das Werk herzustellen ist und damit grundsätzlich, was jedoch umstritten ist, auch den Baugrund. § 644 Abs. 1 BGB trifft hinsichtlich der Gefahrtragung für den Stoff, aus dem das Werk zu fertigen ist, folgende grundsätzliche Anordnung: „Der Unternehmer trägt die Gefahr bis zur Abnahme des Werkes. Kommt der Besteller in Verzug der Annahme, so geht die Gefahr auf ihn über. Für den zufälligen Untergang und eine zufällige Verschlechterung des von dem Besteller gelieferten Stoffes ist der Unternehmer nicht verantwortlich." Als Folge ist die Verantwortlichkeit des Bestellers in § 645 BGB normiert: „Ist das Werk vor der Abnahme infolge eines Mangels des von dem Besteller gelieferten Stoffes oder infolge einer von dem Besteller für die Ausführung erteilten Anweisung untergegangen, verschlechtert oder unausführbar geworden, ohne dass ein Umstand mitgewirkt hat, den der Unternehmer zu vertreten hat, so kann der Unternehmer einen der geleisteten Arbeit

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Europäische Tunnelbauverträge, Rahmenbedingungen, nationale Sonderwege, Internationale Lösungsansätze 47 entsprechenden Teil der Vergütung und Ersatz der in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen verlangen." Auch die deutsche Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) befasst sich als untergesetzliches Regelungswerk mit der Tragung des Gebirgsrisikos. So ist zunächst grundlegend § 13 Abs. 3 VOB/B anzuführen: „Ist ein Mangel zurückzuführen auf die Leistungsbeschreibung oder auf Anordnungen des Auftraggebers, auf die von diesem gelieferten oder vorgeschriebenen Stoffe oder Bauteile oder die Beschaffenheit der Vorleistung eines anderen Unternehmers, haftet der Auftragnehmer, es sei denn, er hat die ihm nach § 4 Absatz 3 obliegende Mitteilung gemacht." Auf weitere VOB/B Vorschriften sowie auch die Regelungen der VOB/C, welche ebenfalls ausdrücklich den Begriff „Stoff" nennen, sei an dieser Stelle ergänzend verwiesen. Rechtsvergleichend zeigt die Behandlung des Gebirgsrisikos in der Bau- und Gerichtspraxis der Länder Österreich, Schweiz und Deutschland auf den ersten Blick, dass die Schweizer Rechtsordnung und weitgehend auch die Österreichs, vergleichsweise klare Regelungen treffen, sodass im Unterschied zu Deutschland die Gerichte seltener mit Fällen zum Gebirgsrisiko befasst werden. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass -wie oben angesprochen- die besonders deutlich formulierten Regelungen der SIA, Normen eines privaten Normsetzers sind, die den Status von AGB haben und daher ausdrücklich vereinbart werden müssen, in der Praxis allerdings auch regelmäßige Anwendung finden. Vergleichbares gilt für die maßgeblichen ÖNORMEN. In Deutschland besteht hingegen nach Englert die Schwierigkeit, dass auch Gerichte häufig die Gleichung „Baustoff = Baugrund" nicht nachvollziehen können, sodass sich zwar eine vielfältige, aber keineswegs als einheitlich überzeugend bewertete Rechtsprechung zum Gebirgsrisiko entwickelt hat, die von ebenfalls sehr unterschiedlichen Bewertungen des Schrifttums flankiert wird. Ein vergleichender Blick in das (alte) FIDIC 1987 Red Book Clause 12.2. zeigt: Die Fédération Internationale des Ingénieurs-Conseils (FIDIC) gibt als internationaler Berufsverband mit Sitz in Genf eine Reihe von Vertragsmustern für unterschiedliche Anwendungsbereiche heraus, die das Baugrundrisiko explizit behandeln. So normiert die angesprochene Clause 12.2. die Zuweisung des Baugrundrisikos an den Unternehmer, wenn dieser sich „adverse physical conditions" oder „physical obstructions" gegenübersieht, mit denen er trotz angemessener Erfahrung und Sorgfalt nicht rechnen musste. In der Version 1999 formuliert das Red Book ähnlich. Im Falle von „natürlichen (physikalischen) Bedingungen einschließlich der Bodenbeschaffenheit und der hydrologischen Bedingungen, die für den Unternehmer unvorhersehbar waren", stehen dem Unternehmer daraus resultierende Mehrkosten und ein Anspruch auf Zeitverlängerung zu. Schon diese internationalen Regelungen zeigen, dass die in Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch in den Niederlanden angenommene Risikoverteilung bei Realisierung des geologischen Baugrundrisikos beim Fehlen ausdrücklicher vertraglicher Vereinbarungen, keinesfalls ein „Inselphänomen" ist. Bedenkt man, dass selbst in England, wo nach den Untersuchungen von Hök die grundsätzliche Zuweisung des Baugrundrisikos auf den Unternehmer auf der Grundwertung beruht: „Sieh, ob Du das tun kannst, und sag uns, zu welchem Preis Du es tun kannst. Überzeuge

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Dich selbst, ob Du es tun kannst, bevor Du den Vertrag abschließt", Tendenzen der Aufweichung dieser Haltung zu beobachten sind, erscheint es vorstellbarer, dass die mitteleuropäische Konzeption des Baugrundrisikos zunehmend andere Rechtssysteme erreicht, als umgekehrt ein Paradigmenwechsel in den deutschsprachigen Staaten. Nun zur Kontrastierung und Internationalisierung ein Blick über den Atlantik nach Nordamerika:

3.2.1 Moderne Herangehensweise: Vertragliche Risikozuweisung Im Jahre 1976 beschrieb das US National Committee on Tunneling Technology of the National Research Council das Problem im Zusammenhang mit Tunnelbauarbeiten als eine Serie von neuen und unvorhersehbaren Umständen im Zusammenhang mit dem Baugrund. Zwei namhafte US- amerikanische Juristen, die sich mit Baugrundproblemen befassten, beschrieben die Baugrunduntersuchung im Vorfeld einer Baumaßnahme als ebenso wichtig wie eine verantwortungsbewusste Verteilung der anstehenden Risiken im Umfeld der Gestaltung eines soliden Bauvertrags. Wenn das eine oder das andere oder beides nicht geschieht, kann es leicht zu einer wirtschaftlichen Katastrophe kommen. Aus diesen Gründen heraus hat sich in den USA seit den späten 1970er Jahren eine Entwicklung ergeben, wonach durch eine gezielte Risikozuweisung eine kalkulierbare Vertragsleistung möglich geworden ist. Die Konsequenzen daraus sind neben niedrigeren Angebotssummen (weil eben nicht enorme Potenziale für etwaige Risiken eingerechnet werden müssen) auch eine höhere Rechtssicherheit für alle Beteiligten.

3.2.2 Risikozuweisungen in den USA

1. Zuweisung der Baugrundrisiken nach dem Common Law Das Vertragsrecht in den USA, das sich auch mit dem Baugrundrisiko („differing site conditions“) befasst, hat sich über mehrere Dekaden hinweg entwickelt, die wiederum durch mehrere maßgebliche Entscheidungen des US Supreme Courts sowie mehrerer Supreme Courts einzelner Bundesstaaten gestaltet wurden. a. Strict Contract Liability Während des 19. Jahrhunderts haben die amerikanischen Gerichte maßgeblich die sogenannte „strict contract liability“ Theorie angewendet, anstatt allzu intensiv auf abweichende Baugrundverhältnisse zu achten. Nach dieser Theorie ist es so, dass der Unternehmer an sein Versprechen, eine bestimmte Leistung zu erbringen, auch verbindlich gehalten war. Ein maßgeblicher Fall in der historischen Rechtsprechung, Dermott v. Jones, war vom US Supreme Court zu entscheiden. Darin ging es um den Bau mehrerer Wohnanwesen, Warenhäuser und Ladengeschäfte in Washington, D.C. Der Architekt des Bauherrn hatte die Spezifikationen vorbereitet. Das Problem im vorliegenden Fall war, dass eines der Gebäude einsank und andere Gebäude mitbeschädigt wurden, weil der Untergrund nicht hinreichend tragfähig für die Gebäude war. Der Bauherr ließ die Bauwerke einreißen und neu aufbauen. Der Unternehmer sollte für die

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Kosten entsprechend aufkommen. In einem wegweisenden Urteil entschied der US Supreme Court für den Bauherrn, der insoweit von den unerwarteten Baugrundrisiken freigestellt wurde: „This covenant [to complete the buildings ready] it was his duty to fulfill, and he was bound to do whatever was necessary to its performance. Against the hardship of the case, he might have guarded by provision in the contract. Not having done so, it is not in the power of this court to relieve him. He did not make that part of the building fit for use and occupation. […] It is a well settled rule of law, that if a party by his contract charge himself with an obligation possible to be performed, he must make it good, unless its performance is rendered impossible by the act of God, the law or the other party. Unforeseen difficulties, however great, will not excuse him. […] [This idea] rests upon a solid foundation of reason and justice. It regards the sanctity of contracts. It requires parties to do what they have agreed to do. If unexpected impediments lie in the way, and a loss must ensue, it leaves the loss where the contract places it. If the parties have made no provision for dispensation, the rule of law gives none. It does not allow a contract fairly made to be annulled, and it does not permit to be interpolated what the parties themselves have not stipulated.” In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahre 1874, Stees v. Leonard, entschied der Supreme Court von Minnesota erneut gegen den Bauunternehmer. Das Gericht entschied maßgeblich, dass bis zur Grenze der Unmöglichkeit der Leistung hin der Unternehmer an sein Versprechen gebunden und gehalten sein solle. In dem Fall ging es im Wesentlichen darum, dass der anstehende Baugrund zu viel Wasser enthielt und erneut nicht in der Lage war, die vorgesehenen Gebäudelasten zu tragen. Nachdem Schäden aufgetreten waren und der Unternehmer sich geweigert hatte, eine Mängelbeseitigung vorzunehmen, klagte der Bauherr auf teilweise Rückzahlung des bereits geleisteten Werklohns sowie Schadensersatz und Ersatzvornahme- mehrkosten. Das Gericht entschied zunächst, dass keine der Parteien vernünftigerweise die Bodenbedingungen hatte vorhersehen können, welche die ordnungsgemäße Herstellung der Bauleistung extrem schwierig habe werden lassen: „The general principle of law which underlies this case is well established. If a man bind himself, by a positive, express contract, to do an act in itself possible, he must perform his engagement, unless prevented by the act of God, the law, or the other party to the contract. No hardship, no unforeseen hindrance, no difficulty short of absolute impossibility, will excuse him from doing what he has expressly agreed to do. This doctrine may sometimes seem to bear heavily upon contractors; but, in such cases, the hardship is attributable, not to the law, but to the contractor himself, who has improvidently assumed an absolute, when he might have taken only a qualified liability.” In einem vergleichbaren modernen Fall entschied der Missouri Court of Appeals entsprechend dieser alten, restriktiven Regelung zu Lasten des Unternehmers: „The doctrine of impossibility of performance excuses a party to a contract from performance when an Act of God, the law, or the other party renders performance impossible. If a party desires to be excused from performance in the event of contingencies arising after the formation of a contract, it is that party’s duty to provide therefore in the contract.”

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Im Jahr 1899 lehnte der US Supreme Court Mehrvergütungsansprüche eines Bauunternehmers ab, der beim Bau des Brooklyn Navy Yards artesisches Wasser angetroffen hatte. Obwohl der Bauherr eine Baugrundbeschreibung beigestellt hatte, welche diese Rahmenbedingungen nicht vorgesehen hatte, entschied der Supreme Court dennoch zugunsten des Bauherrn: „The advertisement to which [the plaintiff submitted] an answer called for a full and explicit statement of what was proposed to be done by the contractors, and what were the requirements upon which they expected to rely. The contractors were experienced and competent dock builders. If it had been their intention to only undertake to build the dock for the price stipulated, provided a guarantee was afforded them by the United States that the soil upon which the dock was to be constructed was to be of a particular nature, conforming to a plan then existing, a purpose so important, so vital, would necessarily have found direct and positive expression in the bid and specifications, and would not have been left to be evolved by a forced and latitudinarian construction of the word available, used only in the nature of a recital in the specifications, and not in the contract. The fact that the bidders knew that a test of the soil in the yard had been made, and drew the contract providing that the dock should be located on a site to be designated by the United States without any express stipulation that there was a warranty in their favor that the ground selected should be of a defined character, precludes the conception that the terms of the contract imposed such obligation on the government, in the absence of a full and clear expression to that effect, or at least an unavoidable implication.” Diese Risikozuweisung wurde unter anderem damit begründet, dass es einem Unternehmer freistünde, unvorhersehbare Risiken im Vertrag ordentlich zu regeln und entsprechende Vorsorge zu treffen. Diese Herangehensweise wird bis zum heutigen Tage in strengen Entscheidungen weiterhin angewendet. b. Preexisting Duty Rule Zusätzlich zu der vorbeschriebenen Regel entwarfen die amerikanischen Gerichte die sogenannte „preexisting duty rule“. Danach war die Rechtslage so, dass selbst in dem Fall, dass ein Bauherr dem Unternehmer zusätzliche Vergütung versprochen hatte für die Fertigstellung der Arbeiten, die nach Baugrundproblemen erschwert worden war, er eben diese Zusatzvergütung nicht leisten musste, mit Hinweis auf die Erforderlichkeit des erneuten Austauschs von gegenseitigen Leistungen („consideration“). Da es an diesem besonderen Tatbestandsmerkmal fehlte, wiesen die Gerichte unter diesem Aspekt verschiedene Zahlungsklagen ab: „‘That a promise to pay a man for doing that which he is already under contract to do is without consideration’ is conceded by respondents. The rule has been so long embedded in the common law and decisions of the highest courts of the various states that nothing but the most cogent reasons ought to shake it. […] Nothing we have said is intended as denying parties the right to modify their contracts, or make new contracts, upon new or different considerations, and binding themselves thereby. What we hold is that, when a party merely does what he has already obligated himself to do, he cannot demand an additional compensation therefore, and although by taking

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Europäische Tunnelbauverträge, Rahmenbedingungen, nationale Sonderwege, Internationale Lösungsansätze 51 advantage of the necessities of his adversary he obtains a promise for more, the law will regard it as nudum pactum, and will not lend its process to aid in the wrong.” Nachdem allerdings zunehmend Gerichte diese Vorgehensweise als harsch und ungerecht empfanden, mehrten sich die Entscheidungen, wonach auch im Falle der Abwesenheit des Tatbestandsmerkmals der „consideration“ eine Zusatzvereinbarung der Parteien anerkannt wurde und einer darauf aufbauenden Zahlungsklage stattgegeben wurde. In zunehmender Zahl wurde diese Einschränkung durch die Gerichte immer stärker vorgenommen mit der Folge, dass der konsequent um eine Zusatzvergütung verhandelnde Unternehmer eine bessere Erfolgsaussicht im Hinblick auf abweichende Bodenbedingungen erreichen konnte. c. Beschränkung des Vertragsumfangs: Umfang der übernommenen Pflichten Zusätzlich zu den vorbeschriebenen Regeln grenzten die amerikanischen Gerichte die strengen Regeln des Common Law, die sich maßgeblich zu Lasten des Unternehmers ausgewirkt und ihm die Konsequenzen von abweichenden Baugrundbedingungen auferlegt hatten, insofern ab, dass sie die vertraglichen Verpflichtungen neu interpretierten und im Auslegungsweg einschränkten. Auf diese Weise erreichten die Gerichte, dass das „Baugrundrisiko“ von dem Bauherrn zu tragen war: „In the context of building contracts, extra work refers to ‘work not contemplated by the parties at the time of contract and entirely independent of what is required in performance of the contract.’ [Einzelzitate gelöscht] Additional work, on the other hand, is work ‘necessarily required in the performance of the contract, but the necessary of which arises from unanticipated conditions.’” Ganz generell kommt es nun in den vorbeschriebenen Konstellationen immer stärker auf die Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen an. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass je allgemeiner die Vertragsdokumente die Leistung des Unternehmers beschreiben, desto mehr an Leistung in der geschuldeten Leistung als enthalten angesehen werden. Wenn hingegen die Parteien die wechselseitigen Leistungen und Pflichten besonders detailliert und akkurat beschreiben, dann ist es umso wahrscheinlicher, dass ein Gericht eine bestimmte Leistung als nicht bereits von vorneherein geschuldet ansieht, insbesondere wenn eine bestimmte Leistung erforderlich wird, um bei abweichenden Baugrundverhältnissen zu einem Erfolg zu kommen: „[T]he material to be excavated by the contractors is limited to “soil, earth and stones.” These words as used in this contract do not include a ledge of solid rock. The minute reference to “soil, earth and stones”, words which have a somewhat definite significance and common understanding, excludes the large mass or ridge of rock usually referred to as ledge. If the [contractors] had been required, under the contract, to excavate for the cellar without reference to any particular kind of material that might appear under the surface of the earth in making the excavation, then the principle would apply.” Derartige Vertragsregelungen, die sich mit „extra works“ befassen, werden auch heute noch regelmäßig verwendet. Naturgemäß kommt es in diesem Rahmen immer noch auf die Qualität der Baugrunduntersuchungen an, ob die mangelnde Qualität der Untersuchungen für den

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Bauunternehmer erkennbar war und ob die ausgeschriebenen Massenvordersätze zu hoch, zu niedrig, und falls eine der Varianten einschlägig ist, erkennbar oder nicht erkennbar falsch waren. Nachdem die Auslegungspraxis für diese Probleme und Unsicherheiten für alle Beteiligten nicht zufriedenstellend war, beauftragte die US Regierung im Jahre 1987 eine unabhängige Kommission mit der Ausarbeitung von Vertragsbedingungen für abweichende Baugrundverhältnisse: die „changed conditions clause“. Dazu gleich noch näher. d. Implizite Gewährleistung für die Angemessenheit der beigestellten Pläne und Baugrundbeschreibungen Ergänzend zu den allgemeinen Regeln erarbeiteten die amerikanischen Gerichte für die Fälle, in denen von Seiten des Bauherrn oder dessen Planern Unterlagen beigestellt wurden, die Doktrin der Gewährleistung für die Angemessenheit beigestellter Bauunterlagen, wie etwa Pläne, Baubeschreibung oder Baugrundgutachten. Auch mithilfe dieser Doktrin sahen sich die Gerichte in der Lage, eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen: „[T]he owner’s action in furnishing detailed plans and specifications control not only the particular result to be accomplished but also the particular construction methods to be followed and used in supports and implied warranty in keeping with the intention and expectation of the parties that the plans, specifications, and soil conditions were such as would permit successful conclusion of the work. The State was the party in control who dictated the entire contract and retained control from start to finish. The evidence reasonably indicates that the [contractor] had neither the time nor the information prior to becoming a bidder nor the right of control in planning or executing the work which under the contract and the plans and specifications rested with the State. We think it may reasonably be said that in the instant case the party who had the superior knowledge and the complete control was the State.” In der Musterentscheidung Filbert v. City of Philadelphia wurde dies näher konkretisiert. Dabei ging es u.a. darum, ob der Bauherr oder der Unternehmer das Risiko abweichender Baugrundbedingungen tragen sollte, wobei die abweichenden Bedingungen für beide Parteien nicht vorhersehbar waren und der Unternehmer verpflichtet war, sich akkurat an die Vorgaben des Bauherrn zu halten. Der Supreme Court of Pennsylvania entschied zugunsten des Unternehmers mit der Begründung, dass der Bauherr sowohl die Baustelle ausgesucht hatte als auch durch die Wahl des Verfahrens und der Materialien und das einschlägige Design die meiste Kontrolle innehatte und dementsprechend die anfallenden Risiken zu tragen habe: „[The contract contains] a description of the numerous things to be done in the construction of the reservoir and the ornamentation of the grounds with the general statement ‘and all work necessary to make a complete and perfect reservoir ready for use and to leave the grounds in a suitable conditions,’ as the basis of the contention that it was the duty of the contractors to turn over to the city a reservoir that would not leak, although the one they constructed and delivered was in exact accordance with the plans and specifications. The leaking of the reservoir appears to have been due to the insufficient thickness of the clay bottom. The clay used would have been sufficient if it had rested upon solid rock; but the foundation of the reservoir was micaceous rock

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Europäische Tunnelbauverträge, Rahmenbedingungen, nationale Sonderwege, Internationale Lösungsansätze 53 which contained fissures, through which the water which percolated through the clay found an outlet. This defect in the reservoir was not due to defective material or workmanship in its construction. To hold the [contractors] answerable for it would be to hold them as warranting that the reservoir should be a perfect reservoir, notwithstanding that its defects might be due entirely to its site or to the specifications. This is precisely the position taken by the city, and it cannot be sustained. […] This is not a case of an undertaking absolutely to construct a particular thing, or to construct a thing according to plans furnished by the builders, or of the failure because an accident to the works or the sinking of the foundation on which the structure was to stand. The failure to obtain the result desired was not owing to the failure to do the work as agreed, but the causes over which the [contractors] at no time had control.” Der US Supreme Court entschied einige Jahre später einen ähnlich gelagerten Fall: „The contractor shall examine the plans and specifications carefully, with all the subcontractors, before signing contracts; if he object or find fault with any part or parts he shall notify the architect in writing before signing contract. Anything to which he does not object he guarantees in signing contract as being approved by him and being responsible for same in every respect; and should any defect appear later he shall make good such defect, and if instructed change same to the grade of work generally approved as standard. [T]he single question here is whether the contractor or owner is responsible for the loss resulting from the sinking of the east wing of the foundation wall caused by the insufficiency of the soil to support the building. […] What differentiates [Filbert] from those in which the doctrine of absolute liability of the contractor is imposed is the authority of the architect or superintendent in charge to make changes in the drawings and specifications at his discretion, to supervise and direct the work, and to compel obedience by the contractor to any order the architect or superintendent may make concerning the drawings, specifications or work. [The architect] was authorized to make any changes in work he deemed desirable, and the owner could discharge the contractor if he failed to comply with the architect’s orders and complete the work at the contractor’s expense. […] With such extensive power lodged with the architect, we are of the opinion that the rule of absolute liability of the contractor for defective plans and specifications and insufficiency of the soil to support the building is not applicable under the circumstances of the case. The contractor cannot reasonably be expected to know or discover the defect in the soil, and, as we have held, was not responsible under the facts of the case, for the condition of the soil which was not guaranteed by the provision of the specifications in question but however this may be, this clause of the specifications should be strictly construed in view of the fact that the contract confers authority on the architect to change and alter the original plans and specifications as he may think desirable. It is manifest that the soil where the structure was being erected was insufficient to support the building, and that it was impossible to erect a substantial building there on the foundation supported by the footings provided in the drawings. […] The rule of impossibility of completion for which the contractor is not responsible may therefore be properly involved. It [the doctrine of sanctity of contract] has an exception if the work to be done is absolutely impossible. […] Hence, if the plans were strictly followed … it would simply result that the building never could be finished, in accordance with them, and the case could be within the exception of impossibility.”

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In einer weiteren Entscheidung (US v. Spearin) entschied der Supreme Court, in welchem ebenfalls die US Regierung für ein Trockendock in Brooklyn Navy Yard die detaillierten Pläne und Bodengutachten beigestellt hatte. In der Konsequenz der Spearin doctrine werden Auftraggeber an der Richtigkeit ihrer Vorgaben gemessen, jedenfalls soweit sie die Richtigkeit nachvollziehen und beurteilen können: 2The general rules of law applicable to these facts are well settled. Where one agrees to do, for a fixed sum, a thing possible to be performed, he will not be excused or become entitled to additional compensation, because unforeseen difficulties are encountered. Thus one who undertakes to erect a structure upon a particular site, assumes ordinarily the risk of subsidence of soil. But if the contractor is bound to build according to plans and specifications prepared by the owner, the contractor will not be responsible for the consequences of defects in the plans and specifications. This responsibility of the owner is not overcome by the usual clauses requiring builders to visit the site, to check the plans, and to inform themselves of the requirements of the work. […] The duty to check plans [here] did not impose the obligation to pass upon their adequacy to accomplish the purpose and view and the provision concerning contractor’s responsibility cannot be construed as bridging rights arising under specific provisions of the contract.” e) Fehlerhafte Darstellung der Baugrundverhältnisse Der US Supreme Court hatte in den Anfängen des 20. Jahrhunderts eine weitere Regel entwickelt, die der „sanctity of contract“ Regel entgegenwirken sollte, nämlich für diejenigen Fälle, in welchen massive Fehldarstellungen der Baugrundverhältnisse festzustellen waren, und in denen den Auftraggebern arglistiges Verhalten nachgewiesen werden konnte. Beispielhaft entschied der Supreme Court in Christie v. U.S.: „There was a deceptive representation of the material, and it misled. In opposition to the seemingly irresistible conclusion that claimants were justified in their reliance upon the drawings, it is contended that the river was alluvial and its character warned claimants of the possible conditions which existed, and that, besides, the court found ‘They admitted they had reason to, and did expect to encounter some logs.’ The contentions are attempted to be supported by the alluvial character of the river, as we have said, its tortousity, its fluctuations between high and low water in the winter and summer, and that for twenty years the U.S. has operated a snag boat for the removal of stumps and sunken logs from the channel of the river. But inferences from such facts could only be general and indefinite, and were not considered by the government as superseding the necessity of special investigations and special report. It assumed both were necessary for its own purpose and subsequently would be to those whom it invited to deal with it. Knowledge of the result of such investigations would protect the government, it might be, against an extravagant price based on conjecture of conditions, and enable contractors confidently to bid upon ascertained and assured data.”

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2. Vertragliche Risikozuweisungen bezüglich des Baugrundrisikos Die Bauvertragsparteien entschieden sich infolge der Entscheidungen nach dem Common Law relativ schnell, die Risikozuweisungen durch entsprechende vertragliche Regelungen zu beeinflussen. Um wirtschaftlich zerstörerische Konsequenzen zu vermeiden und Rechtssicherheit zu gewinnen, begannen die Unternehmer wie auch die Auftraggeber, entsprechende Regelungen zu erarbeiten. Im Jahre 1987 beauftragte die Federal Highway Administration of the US Department of Transportation die Erarbeitung geeigneter Klauseln und ordnete darüber hinaus an, dass die so erarbeiteten Klauseln bei Bundes- und Staats-Autobahn-Projekten verwendet werden sollten. Das Engineering Joint Contract Documents Committee Conditions of Contract weist dazu folgende Standardformulierungen auf: „4.2. Subsurface and Physical Conditions: 4.2.1. Reports and Drawings: Reference is made to the Supplementary Conditions for identification of: 4.2.1.1. Subsurface Conditions: Those reports of explorations and tests of subsurface conditions at or contiguous to the site that have been utilized by ENGINEER in preparing the Contract Documents; and 4.2.1.2. Physical Conditions: Those drawings of physical conditions in or relating to existing surface or subsurface structures at or contiguous to the site (except Underground Facilities) that have been utilized by the ENGINEER in preparing the Contract Documents. 4.2.2. Limited Reliance by CONTRACTOR Authorized; Technical Data: CONTRACTOR may rely upon the general accuracy of the "technical data" contained in such reports and drawings, but such reports and drawings are not Contract Documents. Such "technical data" is identified in the Supplementary Conditions. Except for such reliance on such "technical data," CONTRACTOR may not rely upon or make any claim against OWNER, ENGINEER or any of ENGINEER's Consultants with respect to: 4.2.2.1. the completeness of such reports and drawings for CONTRACTOR's purposes, including, but not limited to, any aspects of the means, methods, techniques, sequences and procedures of construction to be employed by CONTRACTOR and safety precautions and program incident thereto, or 4.2.2.2. other data, interpretations, opinions and information contained in such reports or shown or indicated in such drawings, or 4.2.2.3. any CONTRACTOR interpretation of or conclusion drawn from any "technical data" or any such data, interpretations, opinions or information. 4.2.3. Notice of Differing Subsurface or Physical Conditions: If CONTRACTOR believes that any subsurface or physical condition at or contiguous to the site that is uncovered or revealed either: 4.2.3.1. is of such a nature as to establish that any "technical data" on which CONTRACTOR is entitled to rely as provided in paragraphs 4.2.1 and 4.2.2 is materially inaccurate, or

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 56 3.2 Vertiefung

4.2.3.2. is of such a nature as to require a change in the Contract Documents, or 4.2.3.3. differs materially from that shown or indicated in the Contract Documents, or 4.2.3.4. is of an unusual nature, and differs materially from conditions ordinarily encountered and generally recognized as inherent in work of the character provided for in the Contract Documents; then CONTRACTOR shall, promptly after becoming aware thereof and before further disturbing conditions affected thereby or performing any Work in connection therewith (except in an emergency as permitted by paragraph 6.23), notify OWNER and ENGINEER in writing about such condition. CONTRACTOR shall not further disturb such conditions or perform any Work in connection therewith (except as aforesaid) until receipt of written order to do so. 4.2.4. ENGINEER's Review: ENGINEER will promptly review the pertinent conditions, determine the necessity of OWNER's obtaining additional exploration or tests with respect thereto and advise OWNER in writing (with a copy to CONTRACTOR) of ENGINEER's findings and conclusions. 4.2.5. Possible Contract Documents Change: If ENGINEER concludes that a change in the Contract Documents is required as a result of a condition that meets one or more of the categories in paragraph 4.2.3., a Work Change Directive or a Change Order will be issued as provided in Article 10 to reflect and document the consequences of such change. 4.2.6. Possible Price and Times Adjustments: An equitable adjustment in the Contract Price or in the Contract Times, or both, will be allowed to the extent that the existence of such uncovered or revealed condition causes an increase or decrease in CONTRACTOR's cost of, or time required for performance of, the Work; subject, however, to the following: 4.2.6.1. such condition must meet any one or more of the categories described in paragraphs 4.2.3.1 through 4.2.3.4, inclusive; 4.2.6.2. a change in the Contract Documents pursuant to paragraph 4.2.5 will not be an automatic authorization of nor a condition precedent to entitlement to any such adjustment; 4.2.6.3. with respect to Work that is paid for on a Unit Price Basis, any adjustment in Contract Price will be subject to the provisions of paragraphs 9.10 and 11.9; and 4.2.6.4. CONTRACTOR shall not be entitled to any adjustment in the Contract Price or Times if; 4.2.6.4.1. CONTRACTOR knew of the existence of such conditions at the time CONTRACTOR made a final commitment to OWNER in respect of Contract Price and Contract Times by submission of a bid or becoming bound under a negotiated contract; or 4.2.6.4.2. the existence of such condition could reasonably have been discovered or revealed as a result of any examination, investigation, exploration, test or study of the site and contiguous areas required by the Bidding Requirements or Contract Documents to be conducted by or for CONTRACTOR prior to CONTRACTOR's making such final commitment; or 4.2.6.4.3. CONTRACTOR failed to give the written notice within the time and as required by paragraph 4.2.3. 4.3. Physical Conditions--Underground Facilities:

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Europäische Tunnelbauverträge, Rahmenbedingungen, nationale Sonderwege, Internationale Lösungsansätze 57

4.3.1. Shown or Indicated: The information and data shown or indicated in the Contract Documents with respect to existing Underground Facilities at or contiguous to the site is based on information and data furnished to OWNER or ENGINEER by the owners of such Underground Facilities or by others. Unless it is otherwise expressly provided in the Supplementary Conditions: 4.3.1.1. OWNER and ENGINEER shall not be responsible for the accuracy or completeness of any such information or data; and 4.3.1.2. The cost of all of the following will be included in the Contract Price and CONTRACTOR shall have full responsibility for: (i) reviewing and checking all such information and data, (ii) locating all Underground Facilities shown or indicated in the Contract Documents, (iii) coordination of the Work with the owners of such Underground Facilities during construction, and (iv) the safety and protection of all such Underground Facilities as provided in paragraph 6.20 and repairing any damage thereto resulting from the Work. 4.3.2. Not Shown or Indicated: If an Underground Facility is uncovered or revealed at or contiguous to the site which was not shown or indicated in the Contract Documents, CONTRACTOR shall, promptly after becoming aware thereof and before further disturbing conditions affected thereby or performing any Work in connection therewith (except in an emergency as required by paragraph 6.23), identify the owner of such Underground Facility and give written notice to that owner and to OWNER and ENGINEER. ENGINEER will promptly review the Underground Facility and determine the extent, if any, to which a change is required in the Contract Documents to reflect and document the consequences of the existence of the Underground Facility. If ENGINEER concludes that a change in the Contract Documents is required, a Work Change Directive or a Change Order will be issued as provided in Article 10 to reflect and document such consequences.” In den neueren Ansätzen wird generell zwischen den sogenannten Typen I und II differenziert. Grundsätzlich erfordern beide Modelle abweichende Verhältnisse unterhalb der Erdoberfläche oder zumindest in der Art und Weise, dass sie nicht sofort einsehbar sind (1), dass sie von physischer Art sind (2), dass diese Bedingungen sich an der Baustelle finden (3), und dass sie schließlich erheblich von den Bedingungen abweichen, die nach den Bauvertragsunterlagen zu erwarten waren (4). Typ I setzt weiter eine Abweichung der tatsächlich vorgefunden von den ausgeschriebenen Bedingungen vor. Typische Vorgaben ergeben sich regelmäßig aus den Zeichnungen, Plänen, Bodengutachten und ähnlichen Dokumenten. Weiter muss der Anspruchsteller zeigen, dass er vernünftigerweise sich auf die Richtigkeit der Unterlagen und Informationen verlassen konnte. Typ II hingegen setzt eine völlig ungewöhnliche und überhaupt nicht annehmbare Situation vor, mit der kein Unternehmer nur ansatzweise rechnen konnte.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 58 3.3 Zusammenfassung

3.3 Zusammenfassung Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Vertragsparteien in den USA, aber auch zunehmend in anderen Rechtsnationen, heutzutage in nahezu allen Verträgen Klauseln zu abweichenden Baugrundbedingungen aufgenommen haben. Diese Klauseln verteilen je nach Vertragsgestaltung die aufkommenden Risiken auf die einzelnen Beteiligten. Sie leiten häufig die Risiken, abweichend von den Regeln des Common Law, mehr zu dem Auftraggeber hin. Nichts desto weniger ist es auch hier so, wie auch in der Bundesrepublik Deutschland, dass in jedem Fall eine eingehende Vertragsprüfung und ggf. auch eine Vertragsauslegung der Beantwortung der Frage, wer nun die anfallenden Kosten für abweichende Baugrundverhältnisse tragen muss, vorauszugehen hat. Je genauer die vertraglichen Regelungen eine Risikozuweisung vornehmen, desto klarer und rechtssicherer können die Parteien die wechselseitigen Vertragspflichten abarbeiten. Eine solche Vorgehensweise wäre in noch stärkerem Maße auch in der Bundesrepublik Deutschland wünschenswert. Ein erster Ansatz dazu können die Vertragsbedingungen des Konditionenvereins Spezialtiefbau sein. Sie sollten sich generell durchsetzen und zu einer breiten Akzeptanz finden.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Umgang mit den Erfolgsfaktoren bei Projektierung und Bau des Gotthard-Basistunnels 59

4 Umgang mit den Erfolgsfaktoren bei Projektierung und Bau des Gotthard-Basistunnels

Dipl.-Ing. (ETH) Heinz Ehrbar DB Netz AG, Frankfurt am Main vormals Leiter Tunnel- und Trasseebau Gotthard, AlpTransit Gotthard AG

Zusammenfassung Ein Projekt erfolgreich zu realisieren heißt, die anfänglich gestellten Anforderungen an das Projekt vollumfänglich zu erfüllen. Die Projektanforderungen umfassen dabei eindeutig mehr als nur die Anforderungen bezüglich Qualität, Kosten und Terminen. Es gilt auch die Anforderungen der Arbeitssicherheit, zur Schonung der Umwelt, bezüglich Organisation und Prozessen, die Anforderungen des Marktes und der öffentlichen Meinung zu berücksichtigen. Der nachfolgende Artikel zeigt auf, mit welchen Überlegungen und Maßnahmen die an das Projekt Gotthard- Basistunnel gestellten Anforderungen gemeistert wurden, welche somit wesentliche Erfolgsfaktoren waren.

Summary Implementing a project successfully means the complete fulfilment of the initial set of the project requirements. The project requirements include clearly more than just the requirements with regard to quality, costs and deadlines. The requirements of occupational health and safety, of environmental protection, with respect to organization and processes, as well as the requirements of the market and of the public opinion need to be considered. This paper shows which considerations and measures were imposed on the Gotthard Base Tunnel Project in order to fulfil the project requirements. An indication on the decisive success factors is given.

4.1 Projektanforderungen und Erfolgsfaktoren Der Bau von Großprojekten lässt sich bildlich mit einer schwierigen Bergtour vergleichen. Die Ziele, das Erreichen des Gipfels und die sichere Rückkehr, sind klar formuliert. Dabei will man den Gipfel gesund, mit haushälterischem Einsatz der Kräfte, ohne Umweltschäden zu verursachen und in gutem Einvernehmen mit dem Bergführer erreichen. Der Bergsteiger bereitet sich dementsprechend sorgfältig vor, um diese Ziele zu erreichen (Bild 4-1). Die Wahl des Bergführers, die Beschaffung der richtigen Ausrüstung, die Analyse der Wettervorhersage und die richtige Routenplanung sind wesentliche Faktoren, damit das Vorhaben trotz der im Hochgebirge stets lauernden Gefahren möglichst gut gelingt. Analog verhält es sich mit dem Bau von Großprojekten. Großprojekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Vielzahl an Projektanforderungen zu erfüllen haben.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 60 4.1 Projektanforderungen und Erfolgsfaktoren

Bild 4-1 Bergsteiger ©bergsteigen.tips

Ein weit verbreiteter Irrtum besteht darin zu glauben, der Erfolg wäre dann gegeben, wenn die Anforderungen des magischen Dreiecks des Projektmanagements, nämlich die geforderte Qualität, das Terminziel und das Kostenziel erfüllt sind. Das Erfüllen dieser Anforderungen ist eine notwendige Voraussetzung für den Projekterfolg, aber keine hinreichende. Für den vollständigen Projekterfolg müssen auch die Anforderungen der Arbeitssicherheit und des Umweltschutzes, die Anforderungen an die Organisation und an die Prozesse, an die lokalen Gegebenheiten (Geologie, Topographie etc.), an die lokalen Marktverhältnisse und die öffentliche Meinung berücksichtigt werden (Bild 4-2). Großprojekte reagieren äußerst sensibel darauf, wenn auch nur eine der Anforderungen nicht richtig beherrscht wird, wie verschiedene Beispiele zeigen [1]. Das Nichtbeherrschen einer Anforderung kann ein Projekt verunmöglichen oder aber verzögern und verteuern. Im Extremfall ist die geforderte Funktionalität langfristig nicht gewährleistet.

Bild 4-2 Projektanforderungen

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Umgang mit den Erfolgsfaktoren bei Projektierung und Bau des Gotthard-Basistunnels 61

Im Bild der Bergtour sind die Projektanforderungen die schwierigen Passagen und allfällig verschlechterte Wetterbedingungen, welche zu meistern sind und für die es gewappnet zu sein gilt. Die Erfolgsfaktoren wiederum umschreiben alle Maßnahmen zur optimalen Vorbereitung. Aus der langen Geschichte des schweizerischen Tunnelbaus lassen sich für den Bau von Großprojekten die folgenden Erfolgsfaktoren herleiten [1]: a) Respekt vor der Aufgabe − Berücksichtigung von Erfahrungen − Zusammenarbeit und Wissensaustausch mit Lehre und Praxis b) Sorgfältige Projektvorbereitung − Schaffung eines positiven politischen Umfelds durch Aufzeigen des Projektnutzens und den frühzeitigen Einbezug von Betroffenen − Schaffung einer stabilen Finanzierung für korrekte und nicht politisch manipulierte Kostenangaben − frühzeitiger Einbezug der Betreiberinteressen − Betriebs-, Unterhalts- und Sicherheitskonzepte als Grundlage für die Bestellung der Planung c) Wahl von geeigneten Organisationsformen und optimalen Prozessen − Schaffung einer geeigneten Organisation der Bauherrschaft, der Aufsichtsorgane und der politischen Behörden − Sicherstellen der aufgabengerechten, eindeutigen und ungeteilten Verantwortung bei klar zugewiesenen Kompetenzen − Auswahl der am besten geeigneten Planungsteams bei einer fairen Vergütung d) Konsequentes Qualitäts- und Risikomanagement ab den frühesten Projektphasen − Schaffung klarer Grundsätze zu Planung und Projektierung (Projektbasis) − das Sicherstellen des Vier-Augen-Prinzips als Bestandteil eines konsequenten Qualitätsmanagements e) Partnerschaftlicher Umgang mit den Auftragnehmern − Sicherung des partnerschaftlichen Verhaltens durch vertragliche Regelungen − Auswahl des geeignetsten und wirtschaftlich günstigsten Unternehmers über richtig formulierte Eignungs- und Zuschlagskriterien − Widerspruchsfreie Ausschreibungen mit fairer Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer − Einbezug eines Streitschlichtungsteams f) Unternehmens- und Projektkultur unter Berücksichtigung ethischer Prinzipien − Arbeitssicherheit hat erste Priorität − Durch den frühen Einbezug der Raumplanung, der Architektur und der Umweltschutzorganisationen aus Betroffenen Beteiligte machen. − Etablierung einer nachvollziehbaren Unternehmens- und Projektkultur (VVV- Kultur)

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 62 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

4.2.1 Respekt vor der Aufgabe Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Projektverantwortlichen zu Beginn eines Großprojekts Respekt vor der übernommenen Aufgabe und dem betroffenen Umfeld haben. Mangelnder Respekt vor der Aufgabe führt zu Übermut und zu Überraschungen, oft verbunden mit negativen Auswirkungen. Schon eine an sich geringe Ursache kann wegen der großen Hebelwirkung ein Großprojekt in arge Schieflage oder gar zum Scheitern bringen, wie die Beispiele im Beitrag von Peter Zbinden zeigen [1].

Bild 4-3 Geologisches Befundprofil 2011 mit Gebirgstemperaturen

Die Verantwortlichen des GBT der ersten Stunde waren sich ihrer hohen Verantwortung bewusst und suchten deshalb von Anbeginn den Wissensaustausch mit dem Betreiber des längsten Eisenbahntunnels in Europa, dem Kanaltunnel (heute Eurotunnel) [1]. Zudem war man sich bewusst, dass beim Projekt Gotthard-Basistunnel anspruchsvolle Fragestellungen zu beantworten waren, welche sich im Grenzbereich der wissenschaftlichen Erkenntnisse befanden (Bild 4-3). Dies betraf insbesondere einzelne Fragen der baulichen Machbarkeit, aber auch Fragen der Materialtechnologie. Es war deshalb nichts als konsequent, dass die beiden Projektorganisationen am Lötschberg und am Gotthard beschlossen, für die Projektphase gemeinsame Arbeitsgruppen zu bilden, welche sich mit den Fragen der baulichen Machbarkeit (Arbeitsgruppe Bautechnik, Leitung Prof. Dr. Kovári, ETH Zürich) und den speziellen Fragen der Materialtechnologie

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Umgang mit den Erfolgsfaktoren bei Projektierung und Bau des Gotthard-Basistunnels 63

(Arbeitsgruppe Materialtechnik, Leitung Prof. Dr. Böhni, ETH Zürich) auseinanderzusetzen hatten. Die Arbeitsgruppen waren gemischt zusammengesetzt, mit Mitgliedern aus dem Bereich der Wissenschaft, Projektverfassern, Unternehmervertretern und ausgewählten Experten aus der Praxis und dem Bauherrn. Die Projektverfasser hatten ihre Projektvorschläge diesen Fachgremien vorzulegen und Lösungen zu suchen, welche von den Arbeitsgruppen gegenüber dem Bauherrn mit positiver Empfehlung mitgetragen wurden. Die Projektverantwortung blieb in ungeteilter Form beim Projektingenieur. Typische Ergebnisse aus dieser Zusammenarbeit waren die Konzepte zur Durchörterung der bautechnisch schwierigen Zonen in der Piora-Mulde und des nördlichen Tavetscher Zwischenmassivs sowie das Abdichtungs- und Entwässerungskonzept mit der Entwicklung einer neuartigen Qualität an Abdichtungsfolien, welche bei hohen Temperaturen und Drücken eine 100- jährige Lebensdauer zu garantieren haben. Unter der Devise „ein Weltrekord genügt“, galt der Grundsatz, dass am längsten Verkehrstunnel der Welt keine unnötigen Experimente getätigt werden. Neue technische Lösungen basierten deshalb auf der Weiterentwicklung von bereits bewährter Technik. Für die Durchörterung des nördlichen Tavetscher Zwischenmassivs musste für das dort anstehende druckhafte Gebirge mit bisher noch nicht dagewesenen Überlagerungshöhen von bis zu 900 Metern eine Baumethode entwickelt werden. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus dem deutschen Steinkohle- Bergbau und von italienischen und französischen Tunnelbauten in ähnlichen (aber nicht identischen) Verhältnissen wurde ein neuartiges, konsistentes Vortriebskonzept entwickelt (Bild 4-4). Dieses beruhte auf einem in der damaligen Fachwelt stark diskutierten kreisförmigen Vollausbruch, der sofortigen Sicherung mit einem Felssicherungssystem mit hohem Deformationsvermögen und dem Einsatz wenig verformungsfähiger Stützmittel (wie z.B. Spritzbeton) erst im Bereich der abgeklungenen Deformationen. Für alle Elemente des Konzeptes gab es aber schon Erfahrungen. Die Durchörterung des bautechnisch schwierigen 1150 Meter langen nördlichen Tavetscher Zwischenmassivs mit der geplanten Vortriebsgeschwindigkeit von einem Meter pro Tag unter Einhaltung der Kosten- und Terminziele ist der Beweis für die Richtigkeit der gewählten Lösung.

Bild 4-4 Konzept und Ausführung der Durchquerung des TZM Nord

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 64 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

Auch bezüglich des Einsatzes der technischen Ausrüstung gab es großen Respekt. Um das Gesamtsystem nicht zu „überzüchten“, galt der Grundsatz „so viel wie nötig - so einfach wie möglich“ [1], ein Grundsatz, der sich später auf Grund äußerer Umstände nicht mehr in der gewünschten Konsequenz umsetzen ließ.

4.2.2 Sorgfältige Projektvorbereitung Während das Bauprojekt 1975 der SBB zu einem Basistunnelprojekt [2] noch am fehlenden politischen Willen scheiterte, änderte sich die Stimmung nach der Eröffnung des Gotthard- Straßentunnels im Jahr 1980 rasch. Die Mitte der 80er Jahre festgestellte Verkehrszunahme im Gütertransitverkehr schürte Ängste vor einer Lastwagenlawine auf den schweizerischen Transitstrecken, insbesondere in den engen Alpentälern. Parallel dazu dominierten ökologische Themen die Innenpolitik, wie z.B. die Debatte über das Waldsterben. Das Fenster für eine Entscheidung zu Gunsten der Eisenbahn-Basistunnel-Projekte war eine kurze Zeit offen. Dies wurde vom damaligen Verkehrsminister Adolf Ogi erkannt und er ließ das Konzept der Neuen Eisenbahn Alpentransversalen (NEAT) ausarbeiten. Für die Ausarbeitung dieses Konzeptes konnte bezüglich der baulichen Konzepte und der Kostenermittlung auf die hochwertigen Vorarbeiten aus dem Bauprojekt 1975 der SBB zurückgegriffen werden. Das NEAT-Konzept mit der Untertunnelung der Schweizer Alpen mit drei Basistunneln (Lötschberg, Gotthard und Ceneri) war in jenem politischen Umfeld mehrheitsfähig geworden. Dank dem Konzept der Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene war die Bevölkerung vom Nutzen des Projektes überzeugt und stimmte diesem im Jahr 1992 mit 63,6 % Ja-Stimmenanteil zu. Dank der Verlagerungspolitik des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene wurde das NEAT-Projekt rasch zum größten schweizerischen Umweltprojekt. Der endgültige Durchbruch war aber trotz gewonnener Volksabstimmung noch nicht erzielt. Im Gefolge der sich ab 1994 verschlechternden wirtschaftlichen Randbedingungen kam eine intensive Diskussion über die Finanzierbarkeit des Projektes auf. 1992 war die Politik noch davon ausgegangen, dass die künftigen Nutzergenerationen ihren Anteil an den Investitionen beizusteuern hätten, weshalb eine Finanzierung der Investitionen zu 75 % über den privaten Kapitalmarkt vorgesehen war. Neue betriebswirtschaftliche Berechnungen zeigten nun, dass der künftige Betreiber nicht in der Lage sein würde, die Zinslast und die Rückzahlungsverpflichtungen zu übernehmen, weshalb neue Finanzierungsmodelle unter Berücksichtigung des volkswirtschaft- lichen Nutzens gefunden werden mussten. Mit der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA, Zustimmung 57,2 % im September 1998) und der Zustimmung zum Bundesbeschluss über Bau und Finanzierung von Infrastrukturvorhaben des öffentlichen Verkehrs („FinöV-Fonds“, Zustimmung 63,5 % im November 1998) war per Ende 1998 eine langfristig stabile Finanzierung gesichert. Allerdings kam es damit zu einer kräftigen Kostenumverteilung von der künftigen Nutzergeneration zum heutigen Steuerzahler. Die Interessen der Politik und der künftigen Betreiber blieben damit jedoch gewahrt. Mit dem Bau des nun mehrfach etappierten NEAT- Projekts konnte begonnen werden.

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4.2.3 Geeignete Organisationsform und Prozesse Der Bau der NEAT-Achsen in der Schweiz war eine nationale öffentliche Aufgabe, für welche die Exekutive des Landes verantwortlich war. Oberstes Exekutivorgan auf nationaler Ebene ist der schweizerische Bundesrat. Die operative Umsetzungsverantwortung lag beim Departement für Umwelt, Energie, Verkehr und Kommunikation (UEVK) und beim Bundesamt für Verkehr (BAV). Das Parlament, als Vertreter des Souveräns, hatte in diesem Konstrukt die oberste Aufsicht über die Projektrealisierung sicherzustellen. Dazu setzte das Parlament mit der NEAT- Aufsichtsdelegation (NAD) einen speziellen Ausschuss ein. Die NAD überwachte die Arbeit des Bundesrates, des Departements (= Ebene Ministerium) und des Bundesamtes für Verkehr. Sie prüfte insbesondere die Einhaltung der Kosten und Termine, der Kredite und der vom Bund bestellten Leistungen sowie der rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen. Gestützt auf die positiven Erfahrungen beim Bau der S-Bahn Zürich und beim Umbau des Hauptbahnhofs Zürich wurde für die operative Umsetzung des Projektes von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) mit einem entsprechenden Angebot frühzeitig das Besteller-Ersteller- Prinzip vorgeschlagen (Bild 4-5) und schließlich gegenseitig vereinbart.

Bild 4-5 Das Besteller-Ersteller-Modell

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 66 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

Dieses Beschaffungsprinzip erlaubte eine klare Entflechtung der politischen Verantwortlichkeiten von den unternehmerischen, sorgte für systemimmanente Kontrollen an der Nahtstelle Besteller- Ersteller und damit für ein hohes Maß an Transparenz. Den größten Teil der delegierbaren Bauherrenfunktionen übertrug der Bund mittels einer entsprechenden Vereinbarung an die neu gegründete Projektgesellschaft AlpTransit Gotthard AG [3], welche damit die Erstellerfunktion wahrnahm. In einer zusätzlichen separaten Vereinbarung wurden zwischen dem Bund und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) die Sicherstellung der Betreiberinteressen geregelt [4]. Beim Aufbau der gesamten Projektorganisation wurde darauf geachtet, dass die Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen in einem gegenseitig ausgewogenen Verhältnis standen (Kongruenzprinzip) und dass die Entscheidungshoheit innerhalb der vereinbarten Zuständigkeiten auf die tiefstmögliche operative Ebene delegiert wurde, um rasche Entscheidungen vor Ort zu ermöglichen (Subsidiaritätsprinzip). So verblieb die gesamte operative Verantwortung konsequent bei den Erstellergesellschaften. Es darf die damaligen Verantwortlichen für den Aufbau der Organisation der NEAT-Projekte mit Stolz erfüllen, dass sie den Mut hatten, das in hohem Maße handlungsfähige Besteller-Ersteller- Modell zu wählen, mit welchem stets rasche und stufengerechte Entscheidungen ermöglicht wurden. Der Erfolg auf den NEAT-Achsen am Gotthard und am Lötschberg hat die Richtigkeit des gewählten Modells bestätigt. Bild 4-6 veranschaulicht in vereinfachter Weise die zentrale Funktion der Erstellergesellschaften welche die Steuerungskreisläufe sowohl gegenüber dem Besteller als auch gegenüber den ausführenden Auftragnehmern zu bedienen hatten.

Bild 4-6 Die Erstellergesellschaft im Zentrum der Projektsteuerungsaktivitäten

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Bild 4-7 Aufbau NEAT-Controlling-Weisung (NCW))

Die Aufbau- und die Ablauforganisation (Prozessmodell) wurden auf Bestellerseite (Bund) als auch auf Erstellerseite (AlpTransit Gotthard AG, ATG) erarbeitet, dokumentiert und in Kraft gesetzt, bevor überhaupt mit den Projektierungs- und Bauarbeiten im großen Stil begonnen wurde. Entstanden sind leicht lesbare, praxistaugliche und sich auf das Grundsätzliche beschränkende Anweisungen in Form der NEAT-Controlling-Weisung des Bundes (NCW, Bild 4-7) und in Form des Projekthandbuchs der ATG.

Tabelle 4-1 Inhaltsverzeichnis Projekthandbuch ATG

ATG-Handbuch (allgemeiner Teil) Leitfäden Führungsprozesse Kernprozesse Unterstützungsprozesse 1. Geschäftsführung 6. Tunnel- und Trasseebau 13. Dokumentation 2. Risikomanagement 7. Bahntechnik 14. Informatik 3. Personal 8. Inbetriebsetzung 15. Umweltmanagement 4. Kommunikation 9. Bewilligungsverfahren 16. Arbeitssicherheit 5. Finanzen und Compliance 10. Vertragsmanagement 17. Qualitätsmanagement 11. Liegenschaftsmanagement 12. Geomatik

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 68 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

4.2.4 Konsequentes Qualitäts- und Risikomanagement ab den frühesten Projektphasen

Klare Grundsätze Die neue Alpentransversale am Gotthard stellte in Anbetracht der Größe, der langen Bauzeit, der politischen Bedeutung und des außergewöhnlich langen Gotthard-Basistunnels für alle Beteiligten eine nicht alltägliche Herausforderung dar. Dabei war den Projektverantwortlichen von Anfang an klar, dass das Großprojekt AlpTransit Gotthard kein Abenteuer werden durfte. Der Bund als Auftraggeber musste sich darauf verlassen können, dass das Projekt so ausgeführt wurde, wie es von Parlament und Volk beschlossen wurde: in der verlangten Qualität, im vorgegebenen Zeitraum und im vereinbarten Kostenrahmen [7]. Es war deshalb selbstverständlich, dass sich die Verantwortlichen schon ab den frühesten Projektphasen intensive Gedanken darüber machten, wie dieses im Brennpunkt des nationalen und internationalen Interesses stehende Bauvorhaben bestmöglich und treffsicher realisiert werden konnte. Basierend auf der damals gültigen Norm SN EN ISO 8402 „Qualitätsmanagement - Begriffe“ (1994), wurde unter dem Begriff „Qualität“ die Gesamtheit von Merkmalen eines Projektes verstanden, welche geeignet waren, festgelegte oder vorausgesetzte Anforderungen zu erfüllen. Die damalige Projektleitung AlpTransit Gotthard der SBB1 und später die AlpTransit Gotthard AG ließen sich bei der Festlegung der Qualitätsforderung vom Grundgedanken leiten, dass die Qualitätskriterien nicht nur die bau- und bahntechnischen sowie betrieblichen Aspekte, sondern zusätzlich auch die zeit- und kostenbezogenen Größen, aber auch die gesellschaftlichen Anliegen umfassen sollten. Dementsprechend wurde die Bauwerksqualität wie folgt definiert (SN EN 8602, 1994): Bauwerksqualität ist die technisch und wirtschaftlich optimale Erfüllung aller festgelegten, vereinbarten und vorausgesetzten Anforderungen des Bestellers an ein Bauwerk in Bezug auf das fertige Produkt, d.h.: • Bauwerke oder Anlagen (Funktion, Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Ästhetik usw.) • die Kosten (Investitions-, Betriebs-, Unterhalts und Folgekosten usw.) • und die Termine (Planungs- und Bauzeit, Nutzungsdauer usw.), unter angemessener Berücksichtigung der Anliegen der Gesellschaft (Immissionen, Ressourcen, Ökologie usw.).

1 Bis Ende 1997 war die Bauherrenfunktion in einer Projektorganisation der Schweizerischen Bundesbahnen angesiedelt, Projektleitung AlpTransit SBB. Ab 1998 ging diese Organisation in die neu Erstellerorganisation „AlpTransit Gotthard AG“ über. Im Zuge dieses Beitrags wird für beide Organisationen der Begriff Bauherr verwendet.

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Alle Projektbeteiligten waren vertraglich verpflichtet, das Notwendige zu tun, um die mit den konkreten Projektanforderungen festgelegten Qualitätsziele auch zu erreichen. Dadurch entstand ein wirkungsvolles, integrales und projektspezifisches Qualitätsmanagement (PQM). In Anbetracht der langen Projektdauer wurde das Qualitätsmanagement‐System nie als starres Regelwerk, sondern als ein sich stets weiterentwickelndes Führungsinstrument verstanden, welches Initiative und Innovation fördern sollte. Eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und nicht eine der Schuldzuweisung wurde angestrebt. Mit der konsequenten Durchsetzung eines systematischen, projektbezogenen Qualitätsmana- gements (PQM) wollte der Bauherr sicherstellen, dass a) alle wesentlichen Anforderungen des Bestellers und der öffentlichen Meinung an das Projekt AlpTransit Achse Gotthard rechtzeitig erkannt und während des Baus und der Nutzung insgesamt optimal erfüllt wurden, b) die Wahrscheinlichkeit von mangelhaften Projektgrundlagen und -annahmen sowie von Fehlentscheidungen minimal war, c) die zielrelevanten Projektgefahren erkannt, eliminiert oder wenigstens möglichst gering gehalten und unter Kontrolle gebracht werden konnten, bzw. Chancen genutzt werden d) und allfällig notwendige Präventiv- und Korrekturmaßnahmen rechtzeitig eingeleitet wurden. Das PQM sollte dabei weder als allgemeines „Schmiermittel“ flächendeckend eingesetzt werden, noch durfte es die Beteiligten von ihrer Selbstkontrolle und Eigenverantwortung entbinden. Der Bauherr vertrat dementsprechend die Grundhaltung, dass sich das PQM primär auf die wesentlichen, phasenbezogenen Projektrisiken konzentrieren sollte. Als Projektrisiken wurden die folgenden besonders gefährdeten Projektanforderungen betrachtet: • Investitionskosten, • Bauzeit, • Sicherheit (Bauwerkssicherheit, Arbeitssicherheit, betriebliche Sicherheit), • Dauerhaftigkeit, • Gebrauchstauglichkeit, • Unterhaltskosten. Die Rangfolge der Projektrisiken war von der betrachteten Projektphase und vom konkreten Bauvorhaben abhängig. So stellte z.B. die Dauer des Bewilligungs- und Genehmigungsverfahrens vor allem in den Phasen Vor- und Auflageprojekt ein großes zeitliches Risiko dar, während es in den nachfolgenden Phasen Bau- und Ausführungsprojekt praktisch bedeutungslos wurde. Der Bauherr beauftragte praktisch ausschließlich ISO 9001-zertifizierte Auftragnehmer, welche somit über ihr eigenes unternehmensbezogenes Qualitätsmanagementsystem (UQM) verfügten. Um ihrer Vorbildfunktion den Auftragnehmern gegenüber gerecht zu werden, ließ sich die AlpTransit Gotthard AG bei ihrer Gründung im Jahr 1998 nach ISO 9001 zertifizieren. Mit dem ISO-Standard, bauherrenseitigen Vorgaben und der vertraglichen Verpflichtung der

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 70 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

Auftragnehmer, diese Vorgaben einzuhalten, stellte der Bauherr sicher, dass ein in sich geschlossenes projektbezogenes Qualitätsmanagement entstand (Bild 4-8).

Bild 4-8 Das PQM bildet die projektbezogene Klammer über die verschiedenen unternehmensbezogenen Qualitätsmanagementsysteme (UQM)

Mit diesen Regelungen im Bereich des Qualitätsmanagements im Bauwesen hatte der Bauherr Neuland betreten. Die Auftragnehmer gingen diesen Weg mit hoher Professionalität mit, wie das Beispiel der Arbeitsgemeinschaft Transco Sedrun zeigt. Diese ließ ihr Führungssystem gleich zu Beginn der Ausführungstätigkeit im Jahr 2002 ebenfalls nach ISO 9001 zertifizieren. Rückblickend kann festgestellt werden, dass sich die konsequente Anwendung des gewählten Qualitätsmanagementsystems eindeutig bewährt hat.

Vier-Augen-Prinzip Vier Augen sehen mehr als zwei. Eine einfache Tatsache, für die erfolgreiche Abwicklung von Großprojekten aber von größter Bedeutung. Die Erstellerorganisation entschloss sich, das Regelgeschäft von einem Team von externen Fachleuten mit internationaler Erfahrung unabhängig von den projektierenden Ingenieuren begleiten zu lassen. Dem Bauherrn sollte die Gewissheit gegeben werden, dass die Risiken von den Projektingenieuren richtig erkannt und geeignete bauliche Maßnahmen zu deren Beherrschung eingesetzt waren. Für ausgewählte Risikoschwerpunkte, wie z.B. die langen TBM-Vortriebe in Faido, die Durchörterung der druckhaften Zonen im Teilabschnitt Sedrun und den Tunnelbau im Gebiet der Stauanlagen wurden weitere themenspezifische Arbeitsgruppen unter Einbezug der zuständigen

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Umgang mit den Erfolgsfaktoren bei Projektierung und Bau des Gotthard-Basistunnels 71

ETH-Professoren, Unternehmervertretern und der Projektingenieure und örtlichen Bauleitung geschaffen. Diese Arbeitsgruppen kamen im Fall von außerordentlichen Ereignissen als rasche Eingreiftruppe zum Einsatz. Alle Gremien haben wertvolle Beiträge geleistet und wesentlich dazu beigetragen, dass bauliche Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe abgewendet werden konnten. Das „Vier-Augen-Prinzip“ war unverzichtbarer Teil des Qualitätsmanagements und wurde als echte unabhängige Projektbegleitung gelebt und nicht als „Chefaufsicht“ in der Linienfunktion verstanden, welche nicht frei von ökonomischen Sachzwängen gewesen wäre.

Systematisches Risikomanagement ab den frühesten Phasen Die Projektverantwortlichen waren sich vom Projektbeginn an bewusst, dass das vollumfängliche Erfüllen der Projektziele in jedem Prozessschritt gefährdet sein konnte (Bild 4-9). Nur wer mögliche Gefahren frühzeitig erkennt, kann rechtzeitig und verantwortungsbewusst die notwendigen Maßnahmen einleiten. Das Risikomanagement war deshalb von Anbeginn an ein wesentlicher Bestandteil des Projektmanagements. Klar formuliertes Ziel war die Minimierung der Projektgefahren und die optimale Nutzung von Chancen.

Bild 4-9 Grundprinzip des Risikomanagements [8]

Dazu wurde ein einfaches, in der Umsetzung aber äußerst wirkungsvolles, semiquantitatives Risikomanagement eingeführt (Bild 4-10). Semiquantitativ bedeutet, dass die Eintretenswahrscheinlichkeit qualitativ mit drei Kategorien (klein, mittel, hoch) umschrieben

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 72 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren wurde, während die Bewertung des Schadensausmaßes bezüglich Kosten und Zeit in Franken und Monaten bewertet wurde. Diesem System liegt der Gedanke zu Grunde, dass es für viele der baulichen Risiken keine verlässlichen Stichproben gibt, welche eine probabilistische Analyse mit exakten Eintretenswahrscheinlichkeiten erlauben. Man wollte keinesfalls mit prozentscharfen Wahrscheinlichkeiten eine Genauigkeit vortäuschen, welche es im Bauwesen nicht geben kann. Das angewandte Risikomanagement hatte den Vorteil, einfach zu sein und damit allseits, auch auf den Baustellen, akzeptiert und umgesetzt zu werden.

Bild 4-10 Semiquantitativer Ansatz des Risikomanagements

Obwohl das Risikomanagementsystem einfach war, erlaubte es, hochkomplexe Aufgaben zu meistern, wie z.B. den Tunnelvortrieb im Bereich der Stauanlagen der Kraftwerke Vorderrhein. Bei der Wahl der Linienführung des GBT wurde bewusst entschieden, die drei Stauhaltungen der Kraftwerke Vorderrhein im Raum Sedrun - Lukmanier (vgl. Bild 4-11), nicht direkt zu unterfahren, kannte man doch den schweren Schadenfall aus dem Jahr 1978 bei der Staumauer Zeuzier als Folge des Baus des Sondierstollens zum Autobahntunnel Rawil [9]. Eine massive Beschädigung der Staumauern hätte eine langdauernde Beeinträchtigung der Vortriebsarbeiten für den GBT mit Kostenfolgen im dreistelligen Millionenbereich und mit Terminverzögerungen von mehreren Monaten bis Jahren zur Folge gehabt. Aufgrund der entsprechenden Erfahrungen mit der Staumauer Zeuzier wurde die Eintretenswahrscheinlichkeit als „mittel“ eingestuft, womit sich ein Risikoniveau von sechs ergab, welches zwingend nach Gegenmaßnahmen verlangte. Die folgenden Maßnahmen wurden definiert:

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Tabelle 4-2 Maßnahmenplanung zum Tunnelbau im Bereich der Stauanlagen

Typ Beschreibung Begründung

Organisatorisch • Einsatz eines Expertengremiums • Aufgabenstellung im Grenzbereich • Enger Informationsaustausch mit dem der damaligen wissenschaftlichen Eigentümer der Stauanlagen zur Erkenntnis Abstimmung der Modellvorstellungen • Hohes Schadenpotenzial und der Maßnahmenpläne • Verkürzung der Reaktionszeiten • Enger Informationsaustausch mit den Aufsichtsbehörden

Materiell • Installation eines ganzjährig täglich • Sammlung von Erfahrungen über das messenden Geländeüberwachungs- natürliche Verformungsverhalten, systems mindestens zwei Jahre vor Schaffung einer Datengrundlage zur Vortriebsbeginn (Bild 4-11) Modellverfeinerung. • Jährliche Messung von mehr als 100 km ober- und unterirdischer Präzisions- nivellementsstrecken (Bild 4-11)

• Planung von Maßnahmen zur Behebung • Schaffung von von allfälligen Schäden an den Handlungsspielräumen für den Staumauern (Injektionen, „worst case“ Entspannungsschnitte)

Ressourcen • Vorhalten von Geräten und Materialien, • Ermöglichung rascher Abdichtungs- welche Injektionen in klüftigem Gebirge maßnahmen aus dem Tunnelvortrieb bei hohen Wasserdrücken erlaubten im Fall der Erfordernis

Ab dem Jahr 2000 wurden die Maßnahmen während rund 15 Jahren konsequent umgesetzt. Dank dem messtechnischen Überwachungssystem konnte die dem Vortrieb folgende Setzungsmulde im hochalpinen Gelände ganzjährig beobachtet werden (Bild 4-11). Die kontinuierlich verfeinerten Modelle erlaubten es, die Gefährdungspotenziale der betroffenen Stauanlagen mit angemessener Genauigkeit vorherzusagen. Am 13. September 2006 kam es im direkten Einflussbereich der Staumauer Nalps zu einem Wasserzutritt von initial 13 l/s. Wegen des hohen Gefährdungspotenzials wurde während dreier Monate eine Injektionskampagne zur Zuflussreduktion ausgeführt. Die zufließende Wassermenge konnte auf etwas unter 3 l/s reduziert werden. Die Verformungen der Mauer Nalps blieben stets im akzeptablen Bereich.

Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob die Verformungen ohne Injektionen nicht auch im zulässigen Bereich geblieben wären. Angesichts des kritischen Ortes und der Erstmaligkeit des Wassereintritts hätte eine Untätigkeit mit Sicherheit nicht zum notwendigen Vertrauen seitens der Aufsichtsbehörden und des Kraftwerksbetreibers geführt, dank welchem sich später wesentlich umfangreichere Maßnahmen verhindern ließen.Im Sommer 2010 kam es nämlich auf der letzten Strecke der TBM-Vortriebe in Faido im Bereich der höchsten Überlagerungen zu großen Wasserzutritten (initial mehr als 90 Liter pro Sekunde, Bild 4-12) [9]. Dank der verfeinerten Modelle, der gewonnenen Erfahrungen und der bereits geplanten Maßnahmen zur Schadensbeseitigung an der Mauer Santa Maria konnten im gegenseitigen Einvernehmen mit dem

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 74 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

Kraftwerksbetreiber und der Aufsichtsbehörde die ursprünglichen Zuflussgrenzwerte überschritten und auf langwierige Injektionskampagnen verzichtet werden, obwohl damals an der benachbarten Staumauer Nalps bereits Setzungen von rund 4 cm registriert wurden.

Bild 4-11 Geländeüberwachungssystem (links) und gemessene Setzungsmulde im Jahr 2013 (Nord-Süd-Ausdehnung rund 12 km bei einer Breite von ca. 7 km)

Bild 4-12 Wasserzutritt im TBM-Vortrieb Faido im Jahr 2010 (links) und Messpfeiler im Val Termine oberhalb der Stauhaltung Santa Maria

Ohne die aus dem Risikomanagement hergeleiteten Maßnahmen (Tab. 4-2) wären im Jahr 2010 die zu Projektbeginn festgelegten tiefen Zuflussgrenzwerte uneingeschränkt einzuhalten gewesen, was zu langwierigen und teuren Injektionskampagnen geführt hätte. Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe und weit über ein Jahr Bauzeitverzögerung wären die Folgen gewesen. Dies alles hätte wenige Wochen vor dem bereits kommunizierten Durchschlagsdatum stattgefunden. Mit Sicherheit wäre dem Projekt nebst erheblichen Mehrkosten auch ein erheblicher

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Reputationsschaden entstanden. Die Investitionen in die risikomindernden Maßnahmen haben sich in diesem Fall mehrfach ausbezahlt.

Künftiger Handlungsbedarf zum Qualitätsmanagement Für künftige Projekte ergibt sich trotz des angewandten integralen PQM ein Handlungsbedarf. Dieser betrifft vor allem den Nachweis der einheitlichen Produktqualität. Die am GBT eingesetzten Baumaterialien hatten durchweg die aktuellen Industriestandards zu erfüllen. Trotzdem kam es in Einzelfällen zu Qualitätsproblemen, weil die Industriestandards einer laufenden Entwicklung unterworfen sind. Dieses Phänomen kann bei lang dauernden Projekten zu einer Rechtsunsicherheit führen. Die vorhandenen Industriestandards sind deshalb eine notwendige Voraussetzung zur Sicherung der geforderten hohen Qualität, hinreichend sind sie aber nicht. Dazu braucht es zusätzliche Überlegungen: 1. Bei einem Großprojekt wie dem Gotthard-Basistunnel genügt das Vertrauen in die normgemäßen Qualitätsprüfungen alleine nicht. Der Bauherr muss deshalb aufgrund seiner spezifischen Risikoanalyse für systemrelevante Produkte bewusst festlegen, welche Eigenschaften ihm bei diesen Produkten besonders wichtig sind und mit welchen Mitteln (auch bauherrenseitig angeordneten Prüfungen) er den einheitlichen Qualitätsstandard langfristig sicherstellt. 2. Die Dokumentation der Ergebnisse der Qualitätsprüfungen ist im heutigen Bauwesen nicht mehr zeitgemäß. Zur Beantwortung von Fragestellungen zur Qualität eines einzelnen Bauelementes über das gesamte Objekt war am GBT das händische Befüllen von Vergleichstabellen das Standardwerkzeug (wie in vielen andern Projekten auch). Diese Methode ist aufwändig und liefert kaum zeitgerechte Resultate. Es ist ein Gebot der Stunde, die Dokumentation der eingebauten Qualität durch den Einsatz neuester digitaler Techniken wie Building Information Management und künstlicher DNA konsequent und systematisch einen großen Schritt vorwärts zu bringen. „Weg vom Papier - hin zur digitalen Dokumentation“ muss das Motto sein.

4.2.5 Partnerschaftlicher Umgang mit Unternehmern und Dritten

Frühe Grundlagenarbeit Wie im Tagungsbeitrag von P. Zbinden gezeigt, gab es in der Geschichte des schweizerischen Tunnelbaus verschiedene Beispiele von konfrontativer Projektabwicklung [1]. Im Hinblick auf die Realisierung der AlpTransit-Bauten hat sich deshalb die schweizerische Bauwirtschaft, an deren Spitze der Schweizerische Baumeisterverband, bereits anfangs der 90er Jahre für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit stark gemacht. Die Vorschläge fielen bei den Verantwortlichen für die Gotthard-Achse auf fruchtbaren Boden. Unter dem Motto „in guten Zeiten an die schlechten denken“, gingen die Vertreter von Bauherren, Unternehmern und Planern ans Werk.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 76 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

Unter der Leitung des Bundesamtes für Verkehr (BAV) und mit starker Mitwirkung des Schweizerischen Baumeisterverbandes (SBV), des Bundesamtes für Straßenbau (heute ASTRA), des Kantonsingenieurs Bern, des Baurechtsexperten Prof. Gauch, der Projektingenieure und der Bahngesellschaften BLS und SBB fand im März 1992 das Seminar „große Verkehrsinfrastruktur- vorhaben in der Schweiz“ in Beatenberg statt. Ziel dieses Seminars war die Suche nach einer verbesserten Partnerschaft aller Beteiligten, um faire und möglichst widerspruchsfreie Verträge abschließen zu können und damit das Potenzial für Spekulationen möglichst gering zu halten. Aus dem „Beatenberg-Seminar“ heraus entstand die „Arbeitsgruppe Verträge AlpTransit“ welche 1995 zum Schluss kam, dass die bewährte Norm SIA 118 „Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten“ anzuwenden sei. Diese Empfehlung wurde nach eingehender Auseinandersetzung mit den FIDIC-Bedingungen abgegeben. Wegen ihrer Herkunft aus der englischen Baupraxis wurden die FIDIC-Bedingungen als für schweizerische Verhältnisse wenig geeignet beurteilt. Man entschied sich, nicht ohne Not auf das Bewährte zu verzichten, dieses aber wo nötig mit gezielten Maßnahmen zu verstärken. Damit wurde der in der SIA 118 seit der Revision 1977 vereinbarte partnerschaftliche Ansatz für die kommenden Großprojekte gesetzt.

Streitschlichtung Weil die Norm SIA 118 grundsätzlich auf die Realisierung kleinerer und mittlerer Bauvorhaben, nicht aber auf Großprojekte zugeschnitten war, war deshalb trotzdem Handlungsbedarf angesagt. Die Gruppe „Große Infrastrukturbauten Bauwirtschaft“ (GIB) der Schweizerischen Bauwirtschaftskonferenz verfasste dann 1996 Vorschläge zur Übernahme bewährter ausländischer Vertragsregeln wie das Einführen einer Streitschlichtung oder angemessener Erfüllungsgarantien. Die Umsetzung der Empfehlungen zur außergerichtlichen Streitbeilegung erfolgte 1998 mit der von der Vereinigung Schweizerischer Straßenfachleute herausgegebenen Empfehlung VSS 641'510 „Streiterledigung“ (Bild 4-13), welche die aus dem amerikanischen Raum stammenden Mechanismen der „Alternative Dispute Resolution“ (ADR) aufnahm. Die darin enthaltenen Verfahren führen aber nicht per se zum Erfolg. Nur wenn sowohl auf Bauherren- als auch auf Unternehmerseite geeignete Personen mit Erfahrung und entsprechendem Charakter im Streitschlichtungsprozess tätig sind, kann eine Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit geschaffen werden. Ohne vertrauensvolle Gespräche auf Chefebene wären in kritischen Situationen Arbeitsstillstände wohl kaum zu vermeiden gewesen. Dass es trotz intensivster Diskussionen nie zu solchen Unterbrüchen kam, ist ein Indiz für die tatsächlich gelebte Partnerschaft. Grundlage für diese Partnerschaft war ein klar definierter Baustellenentscheidungsweg mit dem Ziel, dass sich die Parteien bemühten, Streitigkeiten vorerst unter sich und wenn immer möglich auf der Baustellenebene zu bereinigen. Dieses Vorgehen bedingte das zeitnahe Aufbereiten der Argumente und Sachverhalte. Führte dies nicht zum Erfolg, trat die Streitschlichtung als Gremium in Aktion, welche wesentliche Vorzüge gegenüber einem Zivilprozess hatte. Dr. Anton Egli, der Vorsitzende der drei Streitschlichtungsgremien am GBT, spricht von einem kulturellen Fortschritt [10]. Die Parteien behielten damit das Heft des Handelns selber in der Hand, was bei einem

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Zivilprozess nicht mehr der Fall ist. Die dreizehn echten Streitigkeiten und Differenzen, welche schließlich zum Streitschlichtungsgremium kamen, konnten allesamt auf dem Vergleichsweg erledigt werden, womit die Richtigkeit des gewählten Vorgehens belegt ist. Der GBT, mit einer Investitionssumme von rund 9,5 Milliarden CHF (Preisbasis 1998) wird ohne ein gängiges Gerichtsverfahren gegenüber einem Bauunternehmer in Betrieb gehen.

Bild 4-13 Streitschlichtungsmodell gemäß VSS 641'510 (vereinfacht)

Faire Risikoverteilung Nebst dem Einführen eines Streitschlichtungsmodells war die ausgewogene Risikozuordnung unter den Vertragspartnern die Grundvoraussetzung für eine technisch und wirtschaftlich erfolgreiche Projektabwicklung. Diese Tatsache wurde im schweizerischen Untertagbau aufgrund der negativen historischen Erfahrungen frühzeitig erkannt und fand im Jahr 1975 Eingang in die erste Ausgabe der Norm SIA 198 „Untertagbauten“ (heute SIA 118/198 „Allgemeine Bedingungen für Untertagbau“). Eine ausgewogene Risikozuordnung bedeutet, dass keiner der Vertragspartner die Risiken gänzlich oder in einem Übermaß zu tragen hat (Bild 4-14). Jeder Vertragspartner soll für jene Risiken einstehen, welche er am besten beeinflussen kann [11]. Daraus folgt, dass der Bauherr die Folgen für Baugrundverhältnisse, welche außerhalb der Bandbreite seiner Prognose liegen, zu tragen hat, da er den Baugrund zur Verfügung stellt und diesen nach eigenem Ermessen zum Voraus erkunden kann.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 78 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

Bild 4-14 Risiken gemeinsam tragen, ein Gebot der SIA Norm 198 seit 1975 [13]

Da der Unternehmer das Risiko für das Erreichen der vertraglich festgelegten Leistungen für Baugrundverhältnisse innerhalb der vertraglichen Bandbreite trägt, wählt er doch in Kenntnis der Randbedingungen des Projektes die von ihm einzusetzenden Mittel und Methoden. Die Norm SIA 118/198 (Ziff. 8.7) enthält eine Zuordnung der Risiken zwischen Bauherr und Unternehmer, welche als vereinbart gilt, sofern die Norm Vertragsbestandteil ist und keine anderweitigen Abreden getroffen werden. Die Vertragspartner sind jedoch frei, die Risikozuordnung untereinander in anderer Form zu vereinbaren. Ziffer 59 der Norm SIA 118 regelt im Weiteren die Vergütungsansprüche des Unternehmers beim Eintreten außerordentlicher Umstände. Damit sind Ereignisse gemeint, welche die Fertigstellung des Werks hindern, übermäßig erschweren und nicht vorausgesehen werden konnten oder nach den von beiden Vertragspartnern angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen waren.

Das Beschaffungswesen - Suche nach dem optimalen Partner Jegliche Absichten und Regelungen zur kooperativen, partnerschaftlichen Projektabwicklung taugen nichts, wenn nicht der dazu geeignete Partner gefunden wird. Mittels geeigneter Beschaffungsverfahren versucht der Auftraggeber, die optimalen Partner für Planung und Ausführung zu finden. Gemäß dem gültigen Vergaberecht gilt es einen für die Aufgabenstellung geeigneten Partner zu finden, welcher das wirtschaftlichste Angebot präsentiert, d.h. das am besten bewertete Angebot unter Berücksichtigung des Preises und vordefinierter qualitativer Kriterien. Im Hinblick auf die Beschaffungen analysierte die ATG mittels Risikoanalysen jeweils die Gefahren und Chancen der Leistungserbringung mit Fokus auf die Erfüllung der Projektanforderungen. Als Ergebnis wurden losspezifische Maßnahmen formuliert, welche helfen sollten, die Gefahren zu beherrschen oder allfällige Chancen zu nutzen. Die wesentlichsten Anforderungen aus diesen Maßnahmen wurden in der Submission in Form von auftragsspezifischen Eignungs- und Zuschlagskriterien abgebildet. Mit den Eignungskriterien wurde von den Anbietern verlangt, dass sie den Nachweis ihrer finanziellen, wirtschaftlichen und technischen Leistungsfähigkeit erbringen. Den Zuschlag sollte nur erhalten, wer zur Ausführung des geplanten Auftrages geeignet war. Die Eignungskriterien bezogen sich deshalb auf die Person des Anbieters, auf dessen Organisation, das Personal und allgemein auf dessen technische und finanzielle Leistungsfähigkeit.

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Erwiesen sich mehrere oder alle Anbieter nach Prüfung der Eignungskriterien als geeignet, galt der Grundsatz, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhielt. Was der Auftraggeber hierunter verstand, definierte er über die wohlüberlegte Festlegung der Zuschlagskriterien. Bei den Zuschlagskriterien handelte es sich um auftragsbezogene Merkmale, die ein Angebot in mehr oder weniger hohem Maße besitzt und die ein Abwägen des wirtschaftlichen Wertes ermöglichen. Anders als die Eignungskriterien beziehen sich die Zuschlagskriterien nicht auf die Person des Anbieters, sondern auf das Angebot selber [12]. Der Auftraggeber blieb an die von ihm aufgestellten und publizierten Eignungs- und Zuschlagskriterien gebunden. Nach Eingang der Offerten beurteilte die ATG die Anbieter deshalb einzig nach diesen Eignungskriterien und ermittelte das wirtschaftlich günstigste Angebot ausschließlich nach den mit der Ausschreibung festgelegten Zuschlagskriterien unter Einschluss der bekanntgegebenen Subkriterien und Gewichtung. Im Rahmen dieses Verfahrens fanden keine Preisverhandlungen statt, was die Unternehmer aus der Vergabepraxis der Vorlose bereits wussten. Durch diese stringente Haltung konnte vermieden werden, dass entsprechende Spekulationspotenziale für Preisnachlässe eingebaut wurden. Der Unternehmer musste sich auf den angebotenen Preis verpflichten lassen. Um trotzdem Transparenz über die angebotenen Preise zu haben, wurde der Unternehmer verpflichtet, seine Kalkulation zu jeglichen Einheitspreisen offen zu legen und die gesamte Kalkulation bei einem Notar zwecks allfälliger Einsichtnahme durch den Bauherrn zu hinterlegen [12]. Sowohl bei der Auswahl der Planer als auch bei den Hauptunternehmern hat sich das gewählte Verfahren sehr gut bewährt. So lange die vertraglichen Bedingungen angetroffen wurden, war es klar, dass einzig der Unternehmer alleine für seine Preisbildung verantwortlich war.

Partnerschaft auch gegenüber Dritten Auch gegenüber der vom Projekt betroffenen Bevölkerung war der partnerschaftliche Umgang von größter Wichtigkeit. Vom Projekt Betroffene sollten zu Beteiligten gemacht werden, weshalb die betroffenen Kantone bereits 1992 vom Bundesamt für Verkehr in das Projekt integriert wurden. So wurden in den drei „Gotthard-Kantonen“ Tessin, Graubünden und Uri Projektkommissionen als Bindeglied zwischen dem Projekt und der betroffenen Region gebildet, in denen die verantwortlichen Chefbeamten Einsitz nahmen. Dies allein gab zwar noch keine Garantie für einen Erfolg. Die unterschiedlichen Ergebnisse in den drei Kantonen zeigten dies deutlich. Was in einem Kanton gelang, musste nicht zwingend im anderen Kanton auch zum Erfolg führen. Oft waren politische Forderungen oder Hindernisse im Raum, deren Lösung Zeit und ein Engagement auf höchsten Entscheidungsebenen (Bundesrat bzw. BAV) benötigten. Im Rückblick darf festgehalten werden, dass sich die gewählten Zusammenarbeitsformen bewährt haben. In allen Projektkommissionen arbeitete man trotz unterschiedlicher Interessenlage mit großer gegenseitiger Achtung. Auch auf der Ebene der Erstellergesellschaft setzte man sich deshalb ab Projektbeginn eine offene, aktive und ehrliche Kommunikation nach allen Seiten (Kantone, Gemeinden, Umwelt- organisationen) zum Ziel. Offenheit und Ehrlichkeit in der Kommunikation schafften das

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 80 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren notwendige Vertrauen für einen partnerschaftlichen Umgang, eine der wesentlichsten Voraussetzungen für den gesamten Projekterfolg.

Voraussetzungen für erfolgreiche Partnerschaften Erfolgreiche Partnerschaften verlangen, dass sich die Partner auf gleicher Augenhöhe begegnen und die berechtigten Interessen gegenseitig gewürdigt und respektiert werden. Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Projektpartnerschaft sind deshalb (Bild 4-15): a) die Festlegung gemeinsamer Projektziele mit einer ausgewogenen Verteilung der zu tragenden Lasten, b) das gemeinsame Beobachten des Arbeitsfortschritts in Relation zur Zielerreichung, c) das gemeinsame Festlegen und Umsetzen von Maßnahmen, falls Abweichungen von der Zielerreichung festgestellt werden.

Bild 4-15 Grundpfeiler des partnerschaftlichen Umgangs [14]

Gegenseitiges Vertrauen, gegenseitiger Respekt sowie die angemessene Übernahme von Verantwortung durch jeden Partner sind die Grundvoraussetzung, dass diese Mechanismen funktionieren. Misstrauen, fehlender Respekt und allfällige Versuche, sich aus der Verantwortung zu stehlen, sind Gift für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit und können durch keine Zusatzmaßnahme korrigiert werden. Ohne das entsprechende kulturelle Umfeld ist eine Partnerschaft zum Scheitern verurteilt und kann nicht per Dekret oder Anreizsysteme organisiert werden. Nebst dem kulturellen Umfeld und dem bereits beschriebenen großen Willen zur Konfliktbereinigung vor Ort sei aber nicht verschwiegen, dass in wenigen Einzelfällen auch das Vorhandensein einer Erfüllungsgarantie in Höhe von acht Prozent auf erstes Verlangen und die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die notariell hinterlegte Kalkulation des Unternehmers eine günstige zur raschen Lösungsfindung dienende Wirkung entfalteten.

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Bewährungsprobe während der Ausführung Mit dem Beginn der Bauarbeiten wurde ein durchgängiges, stufengerechtes Berichtswesen implementiert. Auf der Leitungsebene wurde der Projektfortschritt mindestens monatlich in entsprechenden Führungssitzungen abgeglichen. Dabei hat sich der aus der Norm SIA 118/198 stammende Sollbauzeit- und Abrechnungsbauzeitmechanismus zur Situationsanalyse bestens bewährt. Ab dem Jahr 2002 entwickelten sich die Bauarbeiten in den verschiedenen Hauptlosen recht unterschiedlich. Während in den Teilabschnitten Erstfeld, Amsteg und Sedrun die prognostizierten Baugrundverhältnisse weitestgehend eintrafen, hatten die Teilabschnitte Bodio und Faido jeweils direkt nach dem Vortriebsbeginn mit wesentlich ungünstigeren Baugrundverhältnissen zu kämpfen als prognostiziert. Besonders schwierig gestaltete sich der Ausbruch der Multifunktions- stelle in Faido, wo ein erster Niederbruch vom 22. April 2002 den Beginn eines bis ins Jahr 2009 andauernden Kampfes mit schwierigsten Gebirgsverhältnissen darstellte. Zwei unerwartet aufgetretene Störzonen führten dazu, dass sich das Gebirge über große Strecken stark druckhaft verhielt. Streckenweise mussten bereits ausgebrochene Tunnel- und Stollenabschnitte nachprofiliert werden. Als Folge der hohen Überlagerung traten zudem häufige Bergschlag- erscheinungen auf, welche den Vortrieb aus Sicherheitsgründen wesentlich verzögerten. Zu guter Letzt zeigten zu Beginn des TBM-Vortriebs Faido in Richtung Norden die an sich als gut eingestuften Lucomagno-Gneise (Bild 4-3) ein äußerst großes Verformungsverhalten. Nur dank beherzten Eingreifens der Verantwortlichen vor Ort konnte Mitte Februar 2008 das Festklemmen des für einen Durchmesser vom 8,80 m ausgelegten Nachläufers bei einem Ausbruchdurchmessser von 9,50 m verhindert werden (Bild 4-16) - echt gelebte Partnerschaft!

Bild 4-16 13.02.2008, Vortrieb EST Faido West: Verhindern des Verklemmens des auf D = 8,80 m ausgelegten Nachläufers bei einem Ausbruchdurchmesser von 9,50 m!

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All diese schwierigen Baugrundverhältnisse führten dazu, dass das Projekt bei laufendem Vortrieb angepasst werden musste. Die Umsetzung der Projektanpassungen, welche eine Neudisposition der Multifunktionsstelle Faido und damit erhebliche Mehrausbrüche zur Folge hatte, gelang ohne einen einzigen Tag Stillstand auf der Baustelle [14]. Trotz beherzten Handelns auf der Baustelle verursachten die ungünstigen Baugrundverhältnisse eine mehr als zweijährige Verspätung, während die Vortriebe auf der Nordseite termingerecht, teilweise sogar mit Vorsprung auf das Vertragsprogramm ausgeführt werden konnten. So lag es dann nahe, bereits ab dem Jahr 2005 im Rahmen der ordentlichen Terminsteuerungsprozesse, eine Verschiebung der Losgrenze von Sedrun/Faido Richtung Süden als terminsichernde Maßnahme ins Auge zu fassen. Die geplante Losgrenzenverschiebung hatte zur Folge, dass öffentlich- rechtliche Plangenehmigungsverfahren durchgeführt werden mussten, um neue Materialablagerungen für rund eine Mio. Tonnen zusätzlichen Ausbruch im Raum Sedrun zu ermöglichen. Dank offener Planung und dem Einbezug aller Interessenspartner konnte das Materialbewirtschaftungskonzept für den Raum Sedrun bis Ende 2006 innerhalb von nur sechs Monaten neu definiert werden. Vorausschauende Planung und partnerschaftliches Verhalten aller Beteiligten ermöglichten die Abwicklung der öffentlich-rechtlichen Verfahren unter Einhaltung der regulären Fristen. Auch mit den betroffenen Unternehmern musste Einigkeit erzielt werden. Wohl war eine mögliche Verschiebung der Losgrenze um einen Kilometer in beide Richtungen vertraglich vereinbart gewesen. Die äußerst ungünstigen Verhältnisse in Faido hatten aber zur Folge, dass dieses Ausmaß nicht ausreichte. Eine weitergehende Verschiebung war somit zu verhandeln, eine Situation, bei welcher der Auftraggeber eine relativ schwache Ausgangsposition hatte. Wiederum im Geiste der Partnerschaft konnte eine allseits verträgliche Lösung erarbeitet werden und am 19.12.2008 beim Sedruner Konsortium ARGE Transco zusätzliche 1.359 m (Oströhre) und 1.692 m (Weströhre), sowie eine Option für einen weiteren Kilometer Vortrieb pro Röhre bestellt werden.

Bild 4-17 Effekt der Losgrenzenverschiebung Sedrun - Faido: Vergleich Bauprogramme 2005 und aktuell (Bild ATG)

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Mit dieser Losgrenzenverschiebung wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass der Gotthard- Basistunnel 2016 (Bild 4-17) und damit ein Jahr früher als 2005 geplant in Betrieb gehen konnte.

4.2.6 Unternehmens- und Projektkultur - Respektvoller Umgang gegenüber Personen und Umwelt Trotz hohem Mechanisierungsgrad der Baustellen bestimmen die beteiligten Personen über Erfolg und Misserfolg eines Großprojektes. Das zielorientierte, partnerschaftliche Handeln kann nur dann Fuß fassen, wenn das persönliche Verhalten aller Beteiligten und das kulturelle Umfeld im Projekt und bei den beteiligten Unternehmungen stimmen. Partnerschaft setzt Vertrauen und den Willen zur Übernahme der zugewiesenen Verantwortung voraus. Charakter, Wollen und Können bestimmen das Verhalten der Personen. Jede Person und jeder Partner soll sich so verhalten, dass sein Handeln als generell gültige Verhaltensweise definiert werden könnte, d.h. er sollte sich im Sinne des Projekterfolgs vorbildlich verhalten (Bild 4-18).

Bild 4-18 Größter Erfolgsfaktor ist der Mensch - er will gehegt und gepflegt sein

Genau auf diesen drei Pfeilern beruhte die VVV-Unternehmenskultur der AlpTransit Gotthard AG: • Vorbild sein, • Verantwortung übernehmen, • Vertrauen schenken. Dazu kommt die Forderung nach respektvollem Umgang gegenüber Personen und der Umwelt, woraus sich der höchste Stellenwert für die Arbeitssicherheit und die Umweltanforderungen ableitet.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 84 4.2 Umgang mit den Erfolgsfaktoren

An alle Beteiligten werden bei einem Großprojekt wie dem GBT allerhöchste Anforderungen beim Thema der Arbeitssicherheit gestellt, weil das Gesetz der großen Zahlen vermuten lässt, dass schwere Unfallereignisse trotz aller Sorgfalt eintreten werden. Gegenüber dem Industriedurchschnitt in der Schweiz wurden am GBT zwar erhebliche Fortschritte erzielt und auch im internationalen Vergleich ergaben sich tiefe spezifische Kennzahlen. Trotzdem ereigneten sich neun tödliche Unfälle - im Verständnis aller Projektbeteiligter neun zu viel. „Target zero“ - „Zielwert null“ muss deshalb die Vorgabe für alle künftigen Projekte sein, wie dies beim Projekt Crossrail in London vorgelebt wird. Auch den Umweltanforderungen ist bei Großprojekten mit hohem Respekt zu begegnen, stellen diese doch immer einen erheblichen Eingriff in die Umwelt dar. Umso mehr wird erwartet, dass die Großprojekte ihrer Verantwortung gerecht werden und eine Umweltvorreiterrolle einnehmen. Dieser Rolle wurden die Verantwortlichen am GBT in mehrfacher Hinsicht gerecht. Zum einen wurde über vertragliche Regelungen sichergestellt, dass der Luftreinhaltung, dem Staubschutz und dem Gewässerschutz höchste Priorität beigemessen wurde. Die Partikelfilterpflicht für Baumaschinen wurde eingeführt, bevor das entsprechende gesetzliche Obligatorium dazu bestand. Die natürlichen Kiesvorkommen wurden dadurch geschont, dass frühzeitig der strategische Entscheid gefällt wurde, für sämtlichen Beton der Tunnelhauptlose die Betonzuschlagstoffe aus dem Ausbruchmaterial, sei es aus konventionellen Vortrieben oder aber aus den maschinellen Vortrieben, zu gewinnen. Damit brauchte es rund ein Drittel weniger Deponievolumen, und rund neun Millionen Tonnen alluvialer Kiesreserven konnten geschont werden. Trotz schwieriger technischer Randbedingungen konnte der gesamte Beton für den Rohbau der Tunnelröhren mit Zuschlagstoffen aus dem Ausbruchmaterial erstellt werden, ohne dass es je zu Qualitätsproblemen kam. Der Schutz von Flora und Fauna, Luft, Wasser und Boden sind berechtigte Anliegen, welche es zu beherzigen gilt. Oft kann im Rahmen von Großprojekten mit relativ wenig Geld viel Gutes getan werden kann. So haben denn die Ersatzmaßnahmen zum Naturschutz nachweislich eine positive Wirkung zur Erhöhung der Artenvielfalt geliefert. Luft, Wasser, Boden und die Umgebung wurden auf allen Baustellen mit geeigneten Maßnahmen stark geschützt. Das Sorgentelefon für die betroffene Bevölkerung war ein Indikator, wie gut die Maßnahmen griffen. In einzelnen Abschnitten kam es während Monaten zu keinen Anrufen, trotz periodischer Publikation der Nummer des Sorgentelefons in den Medien. Die Vertrauenskultur und der Respekt vor den Umweltanliegen haben sich insbesondere in kritischen Situationen voll bewährt. Sowohl die Unternehmer als auch die Umweltorganisationen stellten sich immer in den Dienst des Gesamterfolgs des Projektes und boten Hand zu entsprechenden Kompromissen gegenüber ihren Partikularinteressen. Ein typisches Beispiel dazu ist die Neudefinition des Materialbewirtschaftungskonzeptes in Sedrun im Zuge der damals geplanten Losgrenzenverschiebung. Innerhalb von nur sechs Monaten gelang es, im engen Bergtal ein zusätzliches Deponievolumen für eine Million Tonnen zusätzliches Ausbruchmaterial zu finden.

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Die zusätzlichen Deponien wurden zum einen so gestaltet, begrünt und bewirtschaftet, dass sie einen Beitrag zur Erhöhung der Artenvielfalt leisteten. Die durchgeführten Zählungen bestätigen den Erfolg der Maßnahmen. Eine zweite, anfänglich umstrittene Zusatzdeponie konnte derart gestaltet werden, dass ein Badesee entstand und damit ein seitens der Gemeinde lange gehegter Wunsch erfüllt werden konnte (Bild 4-19). Die anfänglich konfliktträchtige Situation wurde schließlich dank dem Willen zur Zusammenarbeit und dem Können aller Fachleute in eine echte Win-Win-Situation für alle umgewandelt.

Bild 4-19 Als natürlicher Badesee gestaltete Zusatzdeponie in Sedrun

4.3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen Mit der kommerziellen Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels im Dezember 2016 geht die Erfolgsgeschichte dieses Projekts von der Realisierung in die Betriebsphase über. Eine langgehegte Vision wird zur Realität! Wurden bei früheren Tunnelbauten schon ähnliche Vortriebslängen (Seikan-Tunnel, Eurotunnel) und ähnlich schwierige Baugrundverhältnisse gemeistert (Simplon-Tunnel), so ist die Kombination an Herausforderungen am Gotthard-Basistunnel in der bisherigen Geschichte des Verkehrstunnelbaus wohl einmalig. Diese wurden mit Mut, Ausdauer, Weitblick und gegenseitigem Respekt von allen Beteiligten in unterschiedlichsten Rollen gemeistert. Immer war bei den Entscheidungsträgern die klare Verpflichtung gegenüber dem übergeordneten Projekterfolg spürbar. Auch in den stürmischsten Zeiten ließen sich diese nicht von ihrer Überzeugung abbringen, dass das Werk zum angestrebten großen Erfolg geführt werden müsse - was schließlich gelang. Welches waren die entscheidenden Erfolgsfaktoren? Wie eingangs schon aufgelistet, können rückblickend die folgenden Faktoren als entscheidend für den Erfolg hergeleitet werden:

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 86 4.4 Verdankung

1. Respekt vor der Aufgabe, 2. Sorgfältige Projektvorbereitung, 3. Wahl von geeigneten Organisationsformen und optimalen Prozessen, 4. Konsequentes Qualitäts- und Risikomanagement ab den frühesten Projektphasen, 5. Partnerschaftlicher Umgang mit Unternehmern und Dritten, 6. Unternehmens- und Projektkultur unter Berücksichtigung ethischer Prinzipien.

Betrachtet man diese Erfolgsfaktoren im Vergleich zu den Empfehlungen der deutschen Reformkommission zum Bau von Großprojekten [15], so sind diese weitestgehend identisch. Weshalb war das Projekt Gotthard-Basistunnel erfolgreich, andere Projekte sind es aber nicht? Dafür gibt es eine eindeutige Erklärung: Am GBT wurden die Dinge rechtzeitig entwickelt und umgesetzt. Andernorts weiß man auch, was zu tun ist, häufig hapert es aber an der Umsetzung; da nützt dann alles Wissen nichts. In diesem Sinne kann auch hier als Schlussempfehlung einmal mehr aus Johann Wolfgang von Goethes „Wilhelm Meister“ zitiert werden:

„Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun.“

Mögen die positiven Erfahrungen vom Gotthard-Basistunnel Ansporn geben, die allgemein anerkannten Erfolgsfaktoren vermehrt und rechtzeitig anzuwenden und dass dort, wo noch rechtliche Hindernisse zur Anwendung der Erfolgsfaktoren bestehen, diese möglichst rasch eliminiert werden und eine Kultur des partnerschaftlichen Miteinanders entstehen kann.

4.4 Verdankung Der Autor bedankt sich bei Herrn Peter Zbinden für die jahrelange enge Zusammenarbeit in der Planungs- und Realisierungsphase sowie den wertvollen Gedankenaustausch zur Gesamtbilanz aus der Realisierung des Projektes Gotthard-Basistunnel. Der AlpTransit Gotthard AG gebührt der Dank für das Bildmaterial. Der Deutschen Bahn danke ich, dass sie es mir ermöglichte, einen Teil des hier beschriebenen Gedankenguts in die Reformkommission Bau von Großprojekte zu tragen.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Umgang mit den Erfolgsfaktoren bei Projektierung und Bau des Gotthard-Basistunnels 87

Literaturverzeichnis [1] Zbinden, P. (2016): Von den historischen Alpendurchstichen zu den Erfolgsfaktoren des Gotthard-Basistunnels, Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen, Heft 20 [2] Rutschmann, W. (2004): Neue Eisenbahn-Alpentransversale Gotthard-Basislinie, Von ersten Studien zum Bauprojekt 1975, SBB Historic [3] Schweizerischen Eidgenossenschaft (2000): Vereinbarung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der AlpTransit Gotthard AG vom 19. September / 8. Oktober 2000 [4] Schweizerischen Eidgenossenschaft (2000): Vereinbarung zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Schweizerischen Bundesbahnen vom 19./27. September 2000 [5] Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (1998 inkl. spätere Ausgaben), NEAT Controlling Weisung (NCW) [6] AlpTransit Gotthard AG (1997 inkl. spätere Ausgaben): Projekthandbuch [7] Zuber, P., Sieber, A., et al. (1996): AlpTransit Gotthard Qualitätsmanagement, Vorgaben für Projektqualität, Sonderbeilage zum Schweizerischen Baublatt Nr. 82/1996 [8] Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein (1997): Merkblatt 2007, Qualität im Bauwesen – Aufbau und Anwendung von Managementsystemen [9] Ehrbar, H., Bremen, R., Otto, B., (2012): Gotthard Base Tunnel - Mastering surface deformations in the area of two concrete arch dams - innovative solutions, Proceedings World Tunnel Congress 2012, Bangkok [10] Egli, A. (2016): Erfahrungen mit dem Streitschlichtungsverfahren, Tunnelling the Gotthard, S. 658 – 661 [11] Anagnostou, G., Ehrbar, H. (2013): Das Bauen unter Tage in der Schweiz und die Tunnelnormen, Tunnelling Switzerland, S. 10 – 38 [12] Ehrbar, H., Seiler, W., Neuenschwander, M., Wick, R. (2013): Rohbau Gotthard- Basistunnel, Vertragsmanagement ein wichtiger Erfolgsfaktor für Großprojekte, Swiss Tunnel Congress 2013 [13] Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein (1995): Dokumentation D 0124, Vertragswesen im Untertagbau“ [14] Ehrbar, H., (2014): Partnerschaftlicher Umgang in Großprojekten Erfahrungen vom Gotthard-Basistunnel, 4. Münchner Tunnelbausymposium [15] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2015): Reformkommission Bau von Großprojekten, Endbericht vom Juni 2015

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 88

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Vertragsgestaltung vor und nach Vergabe: Erfahrungen aus dem Großprojekt Stuttgart-Ulm 89

5 Vertragsgestaltung vor und nach Vergabe: Erfahrungen aus dem Großprojekt Stuttgart-Ulm

Dipl.-Ing. Jens Hallfeldt Dipl.-Ing Günter Osthoff Projektleiter DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH

Zusammenfassung Anhand von großen Tunnelbaulosen aus dem Infrastrukturprojekt Stuttgart-Ulm der Deutschen Bahn werden die Interessenlagen aber auch die rechtlichen und terminlichen Zwänge im Ausschreibungs- und Vergabeprozess aus der Sicht des Auftraggebers geschildert. Welche Gründe hindern den Auftraggeber daran, den Bauvertrag auch so abzuwickeln, wie er es geplant hatte, und wie gehen die Vertragspartner damit um? Hier spielt beim Tunnelbau natürlich die Geologie eine wichtige Rolle. Die Komplexität des Gesamtprojektes und die Verknüpfung der Einzellose untereinander mit der Forderung einer vereinbarten Gesamtinbetriebnahme erfordern von den Vertragspartnern große Flexibilität im Bauablauf und in der Logistik.

Summary Based on significant tunnel contracts, referring to the infrastructure project Stuttgart-Ulm of the German Railway company Deutsche Bahn, interests such as restraints with regard to law and schedule in the process of bidding and awarding of contracts are presented in the following from the contractee`s standpoint. What are the reasons that hamper the contractee from handling an order as scheduled and how deal the partners with that situation? Certainly geology has a main impact on tunneling. The complexity of the project and the linkage of all lots, superimposed by the demand of a first operation on schedule, require a considerable flexibility in construction sequence and logistics.

5.1 Einleitung Die DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH ist mit der Planung und technischen Umsetzung des hochkomplexen und derzeit eines der europaweit größten Infrastrukturprojekte "Bahnprojekt Stuttgart-Ulm" beauftragt. Das Projekt besteht aus den beiden Großprojekten „Stuttgart 21“ (S21) zur Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm (NBS), siehe Bild 5-1.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 90 5.1 Einleitung

Bild 5-1 Übersicht Stuttgart 21 und Neubaustrecke Wendlingen-Ulm

Das Projekt „Stuttgart 21“ beinhaltet den Neubau des Tiefbahnhofs Stuttgart und die neuen Fernbahnverbindungen innerhalb des Talkessels Stuttgart. Damit verknüpft ist das Teilprojekt „Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Beide Projekte sind seit dem 01.09.2013 gebündelt in der DB Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm GmbH. Die Finanzierung von S21 wird durch die Projektpartner Deutsche Bahn AG, den Bund (inkl. EU-Fördermittel), das Land Baden-Württemberg, die Landeshauptstadt Stuttgart, die Flughafen Stuttgart GmbH und den Verband Region Stuttgart getragen. Die Grundlage bildet ein Finanzierungsvertrag zwischen den Projektpartnern. Die Kosten für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm (NBS) tragen der Bund und das Land Baden- Württemberg, kofinanziert wird das Projekt durch die EU. Die NBS ist Bestandteil der Aus- und Neubaustrecke Stuttgart-Augsburg und im Bedarfsplan des Bundes für die Bundesschienenwege (Bundesverkehrswegeplan) als Projekt „im vordringlichen Bedarf", also der höchsten Einstufung, verzeichnet. Daher obliegt die Finanzierung nach dem Bundesschienenwege-Ausbaugesetz (BSchwAG) dem Bund. Die NBS dient aber auch dem Land Baden-Württemberg, seine Aufgaben zu erfüllen - nämlich ein ausreichendes Verkehrsangebot im Schienenpersonenverkehr zu schaffen. Mit seiner Beteiligung an der NBS verbessert das Land Baden-Württemberg auch seine Wirtschaftsstruktur.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Vertragsgestaltung vor und nach Vergabe: Erfahrungen aus dem Großprojekt Stuttgart-Ulm 91

Die Deutsche Bahn AG stellt zur Sicherung des Projektfortschritts auch Eigenmittel zur Verfügung. Aufgrund der unterschiedlichen Finanzierung der beiden Projekte bestehen unterschiedliche Anforderungen im Hinblick auf die jeweiligen Mittelverwendungsnachweise. Hieraus können sich zur Sicherstellung der Zuwendungsfähigkeit der Ausgaben nach den Maßgaben der jeweiligen Finanzierungsverhältnisse auch unterschiedliche Maßgaben an den Vergabeprozess und den Umgang mit Vertragsänderungen ergeben. Anhand zweier großer Tunnellose werden in diesem Beitrag vertragliche Auswirkungen bei Vergabe und Ausführung dargestellt. Für die Neubaustrecke werden die Besonderheiten bei der Vergabe des 8,2 km langen Albvorlandtunnels vorgestellt. Im Beitrag werden insbesondere die Herausforderungen aus Sicht des Auftraggebers dargestellt.

5.2 Vergabe des Albvorlandtunnels (NBS Wendlingen-Ulm) Direkt im Anschluss an S21 schließt sich als erster Abschnitt der NBS der westlichste Planfeststellungsabschnitt (PFA) der NBS, der PFA 2.1 „Albvorland“, an. Der 8,2 km lange Albvorlandtunnel ist Teil des größten Vergabeloses im PFA 2.1, siehe Bild 5-2.

Bild 5-2 Verlauf der NBS im PFA 2.1 (rot, Tunnelbauwerke gestrichelt dargestellt)

Dieses Vergabelos war neben dem Flughafenabschnitt PFA 1.3 die letzte der großen Vergaben des Projektes. Die Projektgesellschaft war bestrebt, den Kreis der möglichen Bieter im Vergleich zu früheren Vergaben noch einmal zu erhöhen und auch Firmen zu einer Angebotsabgabe zu animieren, die bisher nicht am Projekt beteiligt waren. Dazu wurde am 03.02.2015 eine Informationsveranstaltung über alle noch ausstehenden Vergaben im Projekt durchgeführt, die im Vorfeld europaweit bekannt gemacht wurde. Um die Vergabe der günstigsten Vortriebsmethode zu ermöglichen, wurden sowohl die Planfeststellung als auch die Ausschreibung bauverfahrensneutral gestaltet. So war es möglich,

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 92 5.2 Vergabe des Albvorlandtunnels (NBS Wendlingen-Ulm) sowohl eine Ausführung in der Spritzbetonbauweise als auch mit Tunnelvortriebsmaschinen anzubieten. Dabei waren für die Spritzbetonbauweise acht zeitgleiche Vortriebe vorgesehen sowie ein Zwischenangriff. Für die Variante mit Tunnelvortriebsmaschine waren zwei Maschinen sowie zusätzlich zwei Vortriebe in Spritzbetonbauweise vorgesehen. Die Vergabe fand im Verhandlungsverfahren statt, so dass die Bieter in sogenannten Bietergesprächen ihr Angebot erläutern konnten. In Bild 5-3 sind die drei Säulen im Verhandlungsverfahren des Albvorlandtunnels dargestellt.

Bild 5-3 Drei Säulen im Verhandlungsverfahren

Am 13.02.2015 wurde der Teilnahmewettbewerb veröffentlicht, am 20.03.2015 lief die Bewerbungsfrist aus. Am 18.12.2015 wurde die Vergabe an den erfolgreichen Bieter bekanntgegeben, so dass der Leistungsbeginn -wie ursprünglich geplant- zum Januar 2016 beginnen konnte. Während des Vergabeprozesses stellte sich insbesondere die Berücksichtigung des Vergaberechts in allen Phasen als Schwerpunkt der Prüfungs- und Bewertungsprozesse aus Sicht des Auftraggebers dar. Eine unvollständige Berücksichtigung der Randbedingungen aus dem Vergaberecht hätte schwerwiegende terminliche Konsequenzen gehabt.

5.2.1 Vergaberecht Das Interesse des Auftraggebers ist die Erstellung und Verpreisung einer Ausschreibungs- unterlage, die alle Anforderungen und Randbedingungen zur Projektdurchführung nach den Vorstellungen und Notwendigkeiten des Auftraggebers berücksichtigt. Dazu sind sehr detaillierte Beschreibungen notwendig, die bei Projekten dieser Größenordnung zu einem großen Ausschreibungspaket führen. Bei der Beschreibung des Bausolls muss der Auftraggeber einerseits sicherstellen, dass das Projekt eindeutig und hinreichend definiert ist und somit vom Bieter kalkuliert werden kann (eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung § 7 Abs. 1 SektVO in der zu diesem Zeitpunkt gültigen Fassung), andererseits will er auch Freiraum zur

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Vertragsgestaltung vor und nach Vergabe: Erfahrungen aus dem Großprojekt Stuttgart-Ulm 93

Berücksichtigung der Ideen und Erfahrungen des Bieters lassen. Dabei muss er das Risiko möglicher unterschiedlicher Auslegungen des Bausolls zwischen AG und AN durch unzureichende Beschreibungen minimieren, um die Vergleichbarkeit der Angebote zu gewährleisten. Der Bieter dagegen benötigt eine so detaillierte Beschreibung des Bausolls, um sein Angebot eindeutig kalkulieren zu können. In diesem Wechselspiel der Interessen versucht der Auftraggeber nun, eine Vergabe öffentlicher Aufträge termingerecht am Markt zu platzieren. Ein mögliches terminliches Risiko ist für den AG eine Terminverzögerung im Vergabeprozess aufgrund juristischer Klärungen wie Rügen und Nachprüfungsverfahren. Dies kann von Beteiligten gefordert werden, wenn die Entscheidungen des Auftraggebers im Vergabeprozess den Bieter in seinen Rechten verletzen, beispielsweise wenn sie nicht transparent und unter der Prämisse der Gleichbehandlung aller Bieter getroffen würden. Das Vergaberecht umfasst alle Regeln und Vorschriften, die das Verfahren für die öffentliche Hand beim Einkauf von Gütern und Leistungen vorschreiben. Im sog. Oberschwellenbereich, der hier vorliegt, kann ein unterlegener Bieter oder Bewerber die Verletzung von Verfahrensvorschriften im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens vor den Vergabekammern und ggf. den Oberlandesgerichten (Beschwerdeinstanz) geltend machen. Bei der vorliegenden Ausschreibung findet speziell die Sektorenverordnung (SektVO) Anwendung, da die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des DB-Konzerns sogenannte Sektorenauftraggeber sind. Aus diesem Grund ist die Berücksichtigung des Vergaberechts das führende Thema während des gesamten Vergabevorgangs. Dies führt zu der Situation, dass alle Verfahrensschritte in der Vergabephase fast ausschließlich durch die Bewertung aller Entscheidungen hinsichtlich möglicher vergaberechtlicher Konsequenzen geprägt sind. Dabei sind neben den zahlreichen Einzelvorschriften der SektVO stets die in § 97 GWB enthaltenene allgemeinene Grundsätze des Vergaberechts zu beachten. Diese sind: • Wettbewerbsgrundsatz (= Vergabe im Wettbewerb), • Transparenzgebot, • Diskriminierungsverbot bzw. Gleichbehandlungsgrundsatz, • Förderung mittelständischer Interessen (Pflicht zur Losaufteilung), • Vergabe an fachkundige, leistungsfähige und gesetzestreue Unternehmen, • Wirtschaftlichkeitsgrundsatz (= Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot).

5.2.2 Risiken im Vergabeprozess Am Beispiel der Vergabe des Albvorlandtunnels wird für jede Vergabephase beschrieben, welche Risiken, insbesondere unter Berücksichtigung des Vergaberechts, den Vergabeprozess beeinflussen.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 94 5.2 Vergabe des Albvorlandtunnels (NBS Wendlingen-Ulm)

1. Erstellung einer verfahrensneutralen Ausschreibung Es gab das Bestreben, das Vortriebsverfahren für die Herstellung des Tunnels (Tunnelvortriebsmaschine oder Spritzbetonbauweise) durch den Markt bestimmen zu lassen. Dazu mussten parallel zwei Ausschreibungspakete erstellt werden, für jedes Bauverfahren eines. Dies führte sowohl bei der Erstellung der Ausschreibung als auch bei der Prüfung zu einem ungewöhnlich hohen Aufwand für den AG, bei der Erstellung des Angebotes für den Bieter. Dies machte sich terminlich bemerkbar. Die Bearbeitungszeit für die Erstellung der Angebote wurde aufgrund des Arbeitsumfangs durch die Alternative verlängert. Dies musste durch verkürzte Prüfzeiten der Angebote beim AG kompensiert werden. Durch zusätzliche Einbindung weiterer Planer und Prüfer konnte die zeitgerechte Prüfung der Angebote vom AG sichergestellt werden.

2. Ausschluss von Bewerbern in der Bewerberphase Eignungskriterien sollen sicherstellen, dass jeder Bieter die Leistungsfähigkeit und Sachkunde aufweist, die zur Durchführung der ausgeschriebenen Leistung notwendig ist. In der europaweiten Bekanntmachung des Teilnahmewettbewerbes wurden deshalb Eignungskriterien beschrieben, die vom Bewerber zwingend erfüllt werden mussten, um am Ausschreibungsprozess teilnehmen zu können. Ein Bewerber erfüllte aus Sicht des AG diese Kriterien nicht und musste von der Teilnahme am Bieterverfahren ausgeschlossen werden. Dies war aus zwei Gründen notwendig. Erstens, um die oben genannte Eignung aller Bieter sicherzustellen. Es muss aber auch sichergestellt werden, dass der Vergabeprozess nicht dadurch gefährdet wird, dass andere Bewerber zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit hätten, gegen die weitere Teilnahme des Bewerbers wegen möglicher Abweichungen von den Eignungskriterien zu rügen. Zudem stellt die Zulassung eines ungeeigneten Bieters einen Vergaberechtsverstoß dar, der im Rahmen der Bundesmittel- finanzierungen zu einem Finanzierungsrisiko führt. Auf der anderen Seite birgt jeder Ausschluss terminliche Risiken. Sollte der Bewerber den Ausschluss nicht akzeptieren, können eine Rüge und ein Nachprüfungsverfahren den Terminplan gefährden. Dem AG verbleibt also hier ein terminliches Risiko. Deshalb muss seine Entscheidung in jedem Fall sehr gut begründet und belastbar sein. Im vorliegenden Fall wurde dem Bewerber in Aufklärungsgesprächen der Grund für den Ausschluss erläutert und das Vorgehen vom Bewerber akzeptiert.

3. Ausschluss von Bietern in der Verhandlungsphase Nach Eingang der Angebote der verbliebenen Bieter am 27.07.2015 wurden diese auf Vollständigkeit sowie Abweichungen von den Ausschreibungsbedingungen geprüft. Hier stellte der AG fest, dass es tatsächlich Angebote mit abweichenden Inhalten gab.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Vertragsgestaltung vor und nach Vergabe: Erfahrungen aus dem Großprojekt Stuttgart-Ulm 95

Es wurden Angebote abgegeben, die unter Ausnutzung von Interpretationsspielräumen eine andere als vom AG vorgegebene Durchführung des Projektes beinhalteten. Konkret wurden die beiden Tunnelröhren nicht mehr gleichzeitig, sondern nacheinander aufgefahren. Diese vom AG offensichtlich nicht gewünschte Auslegung der Ausschreibungsrandbedingungen gefährdete aus Sicht des AG die Terminsituation des Projektes und damit der gesamten NBS in höchstem Maße. Diese Angebote mussten deshalb vom AG abgelehnt werden und die Bieter vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Daraufhin wurde gegen diese Entscheidung des AG gerügt. Der Rüge wurde vom AG jedoch nicht abgeholfen. Da der Bieter die zuständige Stelle, hier die 2. Vergabekammer des Bundes des Bundeskartell- amtes, angerufen hatte, kam es zu einer mündlichen Verhandlung. Aufgrund des großen Risikos für die Terminsituation hatte der AG hier keine andere Wahl, als mit allen Mitteln zu verhindern, dass ein solches Angebot bewertet werden muss. Man hat sich auf einen Vergleich geeinigt, um das Vergabeverfahren nicht weiter durch die Verfahrensdauer des Nachprüfungsverfahrens und des zu erwartenden Beschwerdeverfahrens zu unterbrechen. Der Bieter erhielt somit die Möglichkeit, innerhalb einer sehr kurzen Frist ein Angebot im Sinne der Ausschreibung aus Sicht des AG abzugeben. Eine weitere Verzögerung des Vergabeverfahrens konnte so abgewendet werden.

4. Bewertung der qualitativen Wertungspunkte Zur Beurteilung der Qualität des Angebotes wurden Themenbereiche bewertet, die eine besondere Signifikanz für das Projekt haben. Für die lückenlose Beschreibung der Umsetzung der zugehörigen Vorgaben wurden bis zu fünf Wertungspunkte vergeben. Diese qualitative Bewertung trug mit 20 % zum Vergabeentscheid bei. Deshalb musste die Vergabe der Wertungspunkte ebenfalls unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten untersucht werden. Mit den qualitativen Wertungspunkten soll gewährleistet werden, dass sich der Bieter mit wichtigen Themen des Projektes intensiv beschäftigt und Lösungen in seinem Angebot vorsieht, die den Projekterfolg unterstützen. Insgesamt ist bei derart komplexen Bauleistungen aus Sicht des Auftraggebers ein hoher technischer Durchdringungsgrad des Bieters, insbesondere der terminlichen und logistischen Rand- und Rahmenbedingungen, wesentliche Voraussetzung für ein hochwertiges Angebot und demgemäß auch eine reibungslose Vertragsdurchführung. Eine intensive Beschäftigung und gute Lösungsansätze sollen den Bietern ebenso Vorteile im Vergabeprozess einräumen wie der Preis. Bei der Vergabe der Wertungspunkte hat sich gezeigt, dass es je nach Prüfer Interpretationsspielräume dafür gibt, ob ein Punktwert erreicht wurde oder nicht und dem Bieter der entsprechende Punktwert zuzuordnen ist. Da die Wertungspunkte Einfluss auf die Vergabe haben, musste mit Rügen und damit Terminverzügen gerechnet werden, wenn die Vergabe der Wertungspunkte nicht transparent und eindeutig erfolgte.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 96 5.2 Vergabe des Albvorlandtunnels (NBS Wendlingen-Ulm)

Bild 5-4 Qualitative Wertungskriterien

Dazu wurden alle Angebote, die nicht eindeutig die Wertungskriterien erreichten, von drei unabhängigen Prüfern geprüft um den Nachweis zu führen, dass der sog. AG-seitige Beurteilungsspielraum gleichermaßen eingehalten und somit die Gleichbehandlung aller Bieter sichergestellt wurde. Der Punktwert galt als erreicht, wenn mindestens einer der Prüfer das Kriterium als erreicht ansah. Es erreichten nicht alle Bieter die volle Punktzahl, so dass das Ziel einer Vergabe unter Berücksichtigung von qualitativen Wertungsanteilen dennoch erreicht wurde.

5. Vergabeentscheid Da insbesondere mit dem endgültigen Vergabeentscheid das Risiko möglicher Rügen steigt, wurde hier besondere Sorgfalt aufgewendet, um Verfahrensfehler zu vermeiden. Es wurden alle Bieter zu jedem Zeitpunkt detailliert über die weiteren Schritte bis zur Vergabe informiert. Es wurde allen Bietern das Ende der Bietergespräche mitgeteilt, so dass alle bewusst ihr letztes Angebot vor dem „Final Call“ abgeben konnten. Aus diesen Angeboten wurden die beiden besten Bieter herausgesucht. Nur diese beiden wurden zum „Final Call“ aufgefordert, also zur Abgabe des letzten Angebotes, das zum Vergabeentscheid herangezogen wird. Das punktbeste Angebot der beiden im „Final Call“ abgegebenen Angebote erhielt den Zuschlag. Da zwischen den letzten Schritten im Verfahren die Einspruchsfrist der nichtbeachteten Bieter abgewartet wurde, vergingen in diesen letzten Entscheidungsschritten noch einmal Wochen. Die Bekanntgabe der Vergabe konnte am 18.12.2015 erfolgen. Es wurde keine Rüge eingereicht.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Vertragsgestaltung vor und nach Vergabe: Erfahrungen aus dem Großprojekt Stuttgart-Ulm 97

5.2.3 Erfahrungen aus dem Vergabevorgang In jeder Phase des Vergabevorgangs besteht aus Sicht des AG das Risiko, durch juristische Mittel im Vergabevorgang behindert zu werden. Dies führt zu einem hohen Aufwand in der vergaberechtlichen Begleitung. Jede Anfrage musste intensiv auf vergaberechtliche Auswirkungen geprüft werden, auch die Antworten dazu mussten derart abgewogen werden. Bei der Vergabe des Albvorlandtunnels ist es gelungen, den vorgesehenen Terminplan einzuhalten. Es wäre wünschenswert, wenn man sich in zukünftigen Vergabeprozessen wieder stärker damit beschäftigt, eine gute Basis für eine gemeinsame Durchführung des Projektes zu erarbeiten, und nicht so viel Zeit dafür aufwenden muss, den Vergabeprozess selbst juristisch abzusichern. Wenn dieser Vortrag dazu beiträgt, das Verständnis aller am Vergabevorgang beteiligten Parteien über die vergaberechtlichen Zwänge zu erhöhen, wäre schon der erste Schritt getan.

5.3 Vertragliche Regelungen - Bewährung in der Ausführung Vertragsgestaltung nach Vergabe, ist das überhaupt möglich? Es geht wohl eher um die Frage, wie der Bauleistungsvertrag von den Vertragspartnern gelebt wird. Hier zeigt sich sehr schnell, ob sich die vertraglichen Regelungen, wie sie der Auftraggeber in der Ausschreibung vorgegeben hat, in der Praxis bewähren können. Der Rahmen, in dem sich die Vertragspartner bewegen, wird bestimmt durch die vielen Vertragsbestandteile und deren Rangfolge innerhalb des Vertragswerkes. Wie sich die Vertragspartner innerhalb dieses Rahmens bewegen, bestimmen sie jedoch selbst. Zunächst gibt es hier die Managementvorgaben auf Seiten des Auftragnehmers, die für die handelnden Personen im Projekt und auf der Baustelle bindend sind. Unter welchen strategischen Überlegungen wurde das Angebot gelegt, wo sind die Chancen und Risiken aus Sicht des AN, wie lautet sein Unternehmensziel für dieses Projekt? Hier gibt es auch die bindenden und sehr formal angelegten Regelprozesse in der Organisation des AG, die eine pragmatische Lösung leider oft erschweren. Darüber hinaus spielen aber auch menschliche Verhaltensweisen und Tugenden, das lehrt die Erfahrung, eine entscheidende Rolle bei der Abwicklung eines Bauvertrages.

5.3.1 Der Fildertunnel und die Zuführung Obertürkheim / Untertürkheim „Stuttgart 21“ besteht aus sechs eigenständigen Planfeststellungsabschnitten (PFA). Das Kernstück ist der PFA 1.1, der neue Hauptbahnhof in Tieflage. Die zuführenden Strecken werden im Talkessel ebenfalls in Tieflage neu erstellt, daraus ergibt sich die Notwendigkeit für den Neubau von 56 km Tunnelstrecke unterhalb der verschiedenen Stadtteile Stuttgarts. Im Folgenden soll über die Strecken berichtet werden, die an den Südkopf des neuen Hbf anbinden. Das sind der Fildertunnel und die Zuführung Obertürkheim/Untertürkheim (Bild 5-5). Beide Projekte haben ein Investitionsvolumen von etwa 1 Mrd. €. Es handelt sich um klassische Einheitspreisverträge, es

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 98 5.3 Vertragliche Regelungen - Bewährung in der Ausführung gilt die bei solchen öffentlichen Infrastrukturaufgaben übliche Risikoverteilung, die VOB/B regelt das vertragliche Miteinander. Der PFA 1.2 Fildertunnel verbindet den Hauptnahmhof mit der Filderebene und dem Flughafen im Süden von Stuttgart. Der Tunnel besteht aus zwei eingleisigen Röhren mit insgesamt 19 km Streckenlänge und wird in einer Kombination aus maschinellem Vortrieb und konventionellem Vortrieb in Spritzbetonbauweise aufgefahren. Der PFA 1.6 „Zuführung Obertürkheim/Untertürk- heim“ bildet zusammen mit dem PFA 1.5 den Ring um Stuttgart und ermöglicht den Anschluss nach Süden auf die vorhandene Strecke aus Richtung Obertürkheim (OT) und Waiblingen sowie nach Norden an den neuen Abstellbahnhof Untertürkheim (UT). Der PFA 1.6a besteht aus zwei eingleisigen Röhren, die sich vor dem Neckar verzweigen in zwei Gleise Richtung Untertürkheim und zwei Gleise Richtung Obertürkheim. Somit unterqueren vier Tunnelröhren den Neckar, von denen sich zwei Röhren direkt unter dem Neckar kreuzen. Die Gesamtlänge der Zuführung Obertürkheim/Untertürkheim summiert sich zu 14 km Tunnelstrecke und wird komplett im konventionellen Spritzbetonvortrieb aufgefahren.

Südkopf

Bild 5-5 Übersichtsdarstellung Projekt Stuttgart 21 mit Flughafenanbindung

Die Ausschreibung und Vergabe der einzelnen Baulose im Projekt orientiert sich sinnvollerweise an den Planfeststellungsabschnitten. Die Planfeststellungsbeschlüsse für den PFA 1.2 (Fildertunnel) liegen seit August 2005 und für den PFA 1.6a (Zuführung Ober-/Untertürkheim)

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Vertragsgestaltung vor und nach Vergabe: Erfahrungen aus dem Großprojekt Stuttgart-Ulm 99 seit Mai 2007 vor. Die Baulose Fildertunnel und Zuführung Ober-/Untertürkheim wurden in 2010 ausgeschrieben und im Juli 2011 vergeben. Für den Auftraggeber nicht unsympathisch war dabei der Umstand, dass beide Lose an einen Auftragnehmer erteilt werden konnten. Damit liegt die Koordinierung der Schnittstelle zwischen den beiden Losen in der Verantwortung des AN. Es waren die ersten Bauaufträge im Projekt Stuttgart 21, die noch während der politischen Turbulenzen und vor der Volksabstimmung in Baden-Württemberg erteilt wurden. Der Baubeginn musste mehrmals verschoben werden. Die politischen Hintergründe hierzu, der sogenannte „Schwarze Donnerstag“ mit der Räumung des Schlossgartens, die lang andauernde politische Unsicherheit über die Realisierung des Projektes, die Schlichtung mit Dr. Geißler und die anschließende Volksabstimmung sind bekannt. Die vertraglichen Auswirkungen und Regelungen hierzu sollen im vorliegenden Beitrag ausgeklammert werden. Diese Projekthistorie spielt verständlicherweise in den Vertragsverhandlungen zwischen AN und AG weiterhin eine wichtige Rolle. Es soll im Folgenden auf zwei Aspekte eingegangen werden, die auf die Vertragsabwicklung einen großen Einfluss haben: • Die Geologie und ihre Überraschungen, • Eingriffe des AG in den Bauablauf und die Logistik.

5.3.2 Die Geologie und ihre Überraschungen Die möglichst genaue und umfassende Beschreibung der geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse ist die Grundvoraussetzung für eine fundierte Ausschreibung des AG, ist die Grundlage für die preisliche und terminliche Kalkulation des AN und weist den Vertragspartnern damit die vertragliche Risikoaufteilung zu. Im Rahmen der Projektplanung wurden für die PFA 1.2 und 1.6a Erkundungskampagnen durchgeführt mit umfangreichen Kernbohrungen (ca. 16 km) zur Ermittlung der Schichtfolge und für geotechnische Untersuchungen zur Ermittlung charakteristischer Gebirgskennwerte.

1. Vortriebsklassenverteilung Das tunnelbautechnische Gutachten (Wittke, 2010) beschreibt die Baugrundverhältnisse und die Eigenschaften des Gebirges und ist Grundlage der Ausschreibung und des Bauvertrages. Wesentlicher Bestandteil des Gutachtens ist die Prognose der zu erwartenden Vortriebsklassen und ihre Verteilung über die Gesamtstrecke. Diese Vorgaben und Festlegungen bilden die Risikosphäre des AG. Der AN kalkuliert die Kosten der Leistungspositionen und legt sich fest in den Leistungsannahmen pro Position. Diese Leistungsangaben finden ihren Niederschlag in den Bauzeittabellen, die Vertragsbestandteil werden und das zeitliche Bausoll bestimmen. Die Vergütung der abschnittsbezogenen bauzeitbedingten Gemeinkosten (AZGK), z.B. für einen Vortriebsast, erfolgt über den vertraglichen Tagessatz unter Berücksichtigung der in den Bauzeittabellen hinterlegten Leistungswerte. Bei einer Veränderung der Vortriebsklassen ändert sich selbstverständlich die Vergütung je Vortriebsmeter. Aber auch die vertragliche Bauzeit wird

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 100 5.3 Vertragliche Regelungen - Bewährung in der Ausführung

über das Rechenmodell angepasst und damit die Vergütung der AZGK. Die übergeordneten bauzeitbedingten Gemeinkosten errechnen sich am Ende über die Ermittlung des kritischen Weges. Der kritische Weg ändert sich naturgemäß während der Bauausführung des Öfteren. Die Bauzeittabellen bieten somit ein sehr nützliches und konfliktfreies Werkzeug, um auf Veränderungen der prognostizierten Vortriebsklassen vertragskonform reagieren zu können.

2. Grenzwassermenge Leider folgt die Geologie in der Realität nicht immer der vertraglichen Beschreibung. Beim Abteufen des Zwischenangriffs (ZA) Ulmer Straße und beim Vortrieb des Zugangsstollens wurden unerwartete Bergwasserraten von bis zu 40 l/s angetroffen. Der AG hat sich entschlossen, die Gradiente der beiden Tunnelröhren um 4 m tieferzulegen (Bild 5-6). Er hat diese Entscheidung getroffen trotz freigegebener Ausführungsplanung und trotz laufendem Vortrieb. Ein Planänderungsverfahren wurde notwendig, ein für den AG unkalkulierbares zeitliches Risiko! Das bedeutete natürlich Stillstand in allen Vortriebsästen. Mit dem AN wurde vereinbart, bis zum Vorliegen des Planänderungsbeschlusses und der dann anzupassenden Ausführungsplanung zunächst einen vorauslaufenden Kalottenvortrieb anzuordnen, ein etwas gewagter Weg. Damit wurde das geltende Planrecht formal eingehalten mit dem Risiko für den AG, bei negativem Bescheid die gesamte Strecke wieder überfirsten zu müssen.

Bild 5-6 Schnitt durch Stollen ZA Ulmer Straße und Lage der Röhren (schematisch)

3. Trockener Vortrieb Über eine Strecke von mehreren Kilometern wird der anhydrithaltige Gipskeuper durchfahren. Anhydrit führt bei Wasserzutritt zu Quellvorgängen mit einer Volumenzunahme von bis zu 60 %. Das Einbringen von Wasser durch den Bauprozess muss in diesen Bereichen strikt vermieden werden. Vor Erreichen des anhydritführenden Gebirges wird deshalb der „Trockene Vortrieb“ ausgerufen. Der trockene Vortrieb ist vertraglich beschrieben und geregelt. Das führt zu starken Einschränkungen bei den bergmännischen Vortriebsarbeiten oder in der Konzeption des Ringspaltmörtels bei der Tübbingbauweise. Trotz klarer Vorgaben kam es zwischen AG und AN zunächst zu unterschiedlichen Auffassungen, was ein trockener Vortrieb denn nun ist. Bisher wurden knapp zwei Kilometer Tunnelstrecke in absolut trockenem Vortrieb aufgefahren, und es hat sich gezeigt, dass es beschwerlich, aber möglich ist.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Vertragsgestaltung vor und nach Vergabe: Erfahrungen aus dem Großprojekt Stuttgart-Ulm 101

4. Verklebung und Abrasion Ein häufiger Streitpunkt sind beim Maschinenvortrieb die Themen Abrasion und Verklebung. In der Regel werden diese sensiblen Themen in der Ausschreibung entsprechend gewürdigt. Es ist aber aufgrund der finanziellen und bauzeitlichen Bedeutung verständlich, dass es in der Ausführung zu Diskussionen zwischen AN und AG kommen kann. Vielleicht einigen sich die Vertragsparteien spontan, was allerdings selten der Fall sein dürfte. Es empfiehlt sich eine Vereinbarung zu einem gemeinsamen Beweissicherungsverfahren. Art und Weise und Häufigkeit der Probennahme sollten geklärt sein und vor allem das anschließende Laborprogramm. Im Ergebnis stehen am Ende des Beweissicherungsverfahrens den Vertragspartnern objektiv gewonnene Daten zur Verfügung. Die Deutungshoheit über die Ergebnisse dieser Untersuchungen muss nicht und sollte nicht Bestandteil des Beweissicherungsverfahrens sein, sondern den Vertragspartnern vorbehalten bleiben. Dies kann einer späteren vertraglichen Lösung dienlich sein.

5.3.3 Eingriffe des AG in den Bauablauf und die Logistik Bei der Ausführung so komplexer Bauprojekte wie Stuttgart 21 kann es zu Situationen kommen, die sich der Auftraggeber nicht wünscht. Der AG greift in das Dispositionsrecht des AN ein. Das ist meist die Ursache vielfältigen Schriftverkehrs und weiterer Übel. Zwischen der Entwurfsplanung, der Ausschreibung und Vergabe, der Planfeststellung und der Ausführung liegen viele Jahre. Technische Vorschriften werden verschärft, man denke nur an den Brandschutz. Die Regelwerke der Bahn werden verändert, die RIL 853 als maßgebende Richtlinie für den Tunnelbau wurde zwischen Entwurfsplanung und Ausführung mehrfach angepasst. In den Bäumen werden Juchtenkäfer entdeckt und im Gleisbett tausende von artgeschützten Eidechsen, die eingefangen und umgesiedelt werden müssen.

Bauablauf und Logistik des Fildertunnels

Bild 5-7 Profilschnitt (schematisch) Fildertunnel

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 102 5.3 Vertragliche Regelungen - Bewährung in der Ausführung

Bild 5-8 Darstellung (schematisch) der vier Schildfahrten Fildertunnel

Die Ausschreibung sah vor, die beiden insgesamt 19 km langen Strecken des Fildertunnels (Bild 5-8) von vier Angriffspunkten aus aufzufahren (Bild 5-9). Neben dem südlichen Tunnelportal auf der Filderebene gab es auf halber Strecke einen Zwischenangriff (ZA) an der Sigmaringer Strasse, den Angriff von der Rettungszufahrt Wagenburgtunnel aus sowie den Vortrieb des Anfahrbereiches Süd aus dem teilfertiggestellten Hauptbahnhof heraus in Richtung Rettungs- zufahrt. In einem Nebenangebot „Lange Schildfahrt“ des Auftragnehmers wurde auf den Zwischenangriff Sigmaringer Straße verzichtet. Dieses Nebenangebot wurde beauftragt. Unglücklicherweise kann nun der Auftraggeber den Vertragstermin „Anschlagwand im teilfertiggestellten Hauptbahnhof“ nicht einhalten. Als Maßnahme zur Gegensteuerung, zur Entlastung des stark unter Zeitdruck stehenden Bereiches Hbf und zur Sicherung des terminlichen Ablaufes Fildertunnel hat der Auftraggeber angeordnet, den Anfahrbereich Hbf Süd komplett vom Verzweigungsbauwerk aus aufzufahren (Bild 5-9). Der Angriffspunkt Hbf entfällt, ein Gegenvortrieb von dort ist nicht mehr möglich. Die gesamte Logistik für die Entsorgung des Ausbruchs (etwa 200.000 t), die Versorgung des Vortriebs mit den Sicherungs- und Ausbaumaterialien und die Materialversorgung für die Innenschale muss über die im Stadtzentrum gelegene Rettungszufahrt abgewickelt werden.

Bild 5-9 Anfahrbereich Stuttgart Hbf Süd

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Vertragsgestaltung vor und nach Vergabe: Erfahrungen aus dem Großprojekt Stuttgart-Ulm 103

Nun bietet die Umstellung des vertraglich vereinbarten Bauablaufs durch den Auftraggeber auch Chancen für beide Seiten. Die Vorteile von nachträglichen Vertragsänderungen für den AN liegen auf der Hand und müssen nicht erläutert werden. Aber auch für den AG bietet sich die Chance, starre Vorgaben aus dem Planrecht zu überdenken und zu verändern.

Bauablauf und Logistik der Zuführung OTH/UTH Über die Rettungszufahrt Hbf Süd sind die beiden Planfeststellungsabschnitte 1.2 und 1.6 miteinander verknüpft. Der AN des Loses 1.6 übergibt an der Losgrenze sein Ausbruchmaterial an den Losnehmer des Loses 1.2. Der Losnehmer 1.2 entsorgt über die Rettungszufahrt das Ausbruchmaterial und duldet die Versorgung des Losnehmers 1.6 mit allen erforderlichen Materialien. So wurden durch die Ausschreibung eine sehr konfliktträchtige Schnittstelle und ein großes vertragliches Streitpotential geschaffen. Beide Lose werden nun von einem AN abgewickelt, eine glückliche Fügung für den Auftraggeber. Die 13 km langen Tunnelstrecken des Loses Zuführung Obertürkheim / Untertürkheim sollten ebenfalls durch vier Angriffsstellen aufgefahren werden. Neben dem Vortrieb aus der Rettungszufahrt Hbf Süd sollten Gegenvortriebe in Untertürkheim und Obertürkheim erfolgen. Des Weiteren entstand ein Vertikalschacht mit einem Zugangsstollen am Zwischenangriff Ulmer Straße, von dem aus die zwei Röhren in Richtung Hbf und in Richtung Verzweigungsbauwerk vor dem Neckar aufgefahren werden (Bild 5-10).

Bild 5-10 Zuführung Ober-/Untertürkheim mit geplanten Angriffspunkten

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 104 5.3 Vertragliche Regelungen - Bewährung in der Ausführung

Der AG kann die Anfahrbaugrube an der Schnittstelle zum Los drei (Obertürkheim) nicht vertragsgemäß zur Verfügung stellen. Für das Los drei gibt es noch kein Planrecht, die Entwurfsplanung wurde mehrmals geändert, der Planfeststellungsantrag erst im Herbst 2015 eingereicht. Die weitere zeitliche Entwicklung war nur schwer einzuschätzen. Als sich diese Situation ankündigte, hat der AG zu einem sehr frühen Zeitpunkt angeordnet, auf die Herstellung der Anfahrbaugrube zu verzichten und den Vortrieb vom Ulmer Stollen in Richtung Obertürkheim um etwa 1.000 m je Gleis bis zur Losgrenze zu verlängern. Die gesamte Logistik auch für diese Vortriebsäste wird nun über den schon sehr belasteten Schacht Ulmer Straße abgewickelt. Die Innenschale wird dann „vom toten Ende“ zur Losgrenze Los drei heraus hergestellt. Der Vertrag sieht vor, dass der AN den Vortrieb von Untertürkheim in Richtung Neckar von einer durch das Nachbarlos bereitgestellten Anschlagwand am Übergang bergmännische Bauweise / Trogbauweise aus durchführt. Diese Wand kann voraussichtlich erst mit einer zeitlichen Verspätung von drei Jahren übergeben werden. Zunächst wird noch an der vertraglichen Vortriebsrichtung und dem vertraglichen Logistikkonzept festgehalten. Die Alternative ist auch hier die Umkehr der Vortriebsrichtung und damit die Änderung der gesamten Logistik.

5.3.4 Resumee Jeder Auftraggeber kennt den eisernen Grundsatz, nicht in den Bauablauf und das Dispositionsrecht des Auftragnehmers einzugreifen. Fertigstellungstermin und Inbetriebnahme des Gesamtprojektes zwingen jedoch zu Anpassungen und Gegensteuerung in den einzelnen Projektabschnitten. Auch die allergrößte Umsicht bei der Erstellung der Ausschreibung und Vergabeverhandlung der Bauverträge kann solche Situationen nicht vermeiden. Bauablauf und vertragliche Einzelfristen bleiben „moving targets“. Die zeitlichen und finanziellen Folgen solcher Eingriffe des AG in die Vertragswerke bieten viele Anlässe für lange Gespräche zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber.

Literaturverzeichnis Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Übersicht und Rechtsgrundlagen auf Bundesebene, https://www.bmwi.de/DE/Themen/Wirtschaft/Oeffentliche-Auftraege-und- Vergabe/uebersicht-und-rechtsgrundlagen.html Bahnprojekt Stuttgart-Ulm, Übersicht und aktueller Stand, http://www.bahnprojekt-stuttgart- ulm.de/aktuell/ Wittke, M., Wittke, W. (2010): Stuttgart 21, Planfeststellungsabschnitt 1.2, Fildertunnel. Tunnelbautechnisches Gutachten TVM-Vortrieb, April 2010, wbi, 162 S. (unveröff.).

Wittke, M., Wittke, W. (2010): Stuttgart 21, Planfeststellungsabschnitt 1.6a, Tunnel vom Hbf nach Obertürkheim und Abzweig Wangen nach Untertürkheim. Tunnelbautechnisches Gutachten TVM-Vortrieb, März 2010, wbi, 95 S. (unveröff.).

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Eisenbahntunnel in Österreich 105

6 Eisenbahntunnel in Österreich

Dipl.-Ing. Franz Bauer Vorstand ÖBB-Infrastruktur AG

Zusammenfassung Mit dem Ausbau der West- und der Südstrecke Österreichs wurde in den vergangenen Jahrzehnten ein stark steigendes Volumen an Tunnelbauvorhaben initiiert. Die Tunnelprojekte im Verlauf der Weststrecke sind mittlerweile vollständig abgeschlossen. An der Südstrecke sind die Tunnelvortriebe noch im Laufen. Die stetig steigende Komplexität bei der Abwicklung der Tunnelprojekte sowie die vorherrschende Wettbewerbssituation stellt alle Projektbeteiligten auf Seite des Auftraggebers und der Auftragnehmer vor große Herausforderungen. Der Schlüssel zum erfolgreichen Umgang mit diesen Herausforderungen liegt in der guten und intensiven Projektvorbereitung durch den Auftraggeber, in der Treffsicherheit und Flexibilität der Bauverträge und in der Konfliktlösungskompetenz der Projektbeteiligten.

Summary The last few decades have seen a great increase in tunnel construction, which started with the extension of Austria’s western and southern routes. The tunnel projects on the western route have been fully completed by now, but tunnelling continues on the southern route. The ever-increasing complexity of tunnel projects and the prevailing competitive environment present great challenges to all participants in the project, contractees and contractors. The keys to overcoming these challenges are solid, intensive project preparation on the part of the contractee; the precision and flexibility of construction contracts; and project participants’ ability to resolve conflicts.

6.1 Vorwort Eisenbahntunnel werden in Österreich seit 1841 gebaut. Den Anfang machte der 156 m lange "Busserltunnel" im Verlauf der Südstrecke von Wien nach Graz. Erforderlich bzw. gefordert wurde er aus Erwägungen und Anforderungen, die im Grundsatz auch heute noch gelten. Die technische Anforderung war "Folge der Geraden!", um keinen Geschwindigkeitseinbruch zu erleiden; die Umweltanforderung war "Schone die Weinrieden!", um die bestehenden Weingärten nicht durch einen offenen Einschnitt drastisch zu verkleinern.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 106 6.1 Vorwort

Ein weiterer Impuls für diesen ersten Eisenbahntunnel kam von seiner Majestät Kaiser Ferdinand I. höchstpersönlich - nämlich von seiner Vorstellung und Erwartung, dass zu einer Eisenbahn auch unbedingt ein Tunnel gehören müsse.

Bild 6-1 „Busserltunnel“ auf der Südstrecke in Niederösterreich - der älteste Bahntunnel Österreichs [Foto: User: Linie29 http://bit.ly/2evxRlm]

Für die Namensgebung dieses ersten Eisenbahntunnels in Österreich war letztlich seine Länge ausschlaggebend. Denn mit dem Argument, Licht zu machen zahle sich bei der Tunneldurchfahrt für diese kurze Strecke nicht aus, war für verliebte Fahrgäste die ideale Zeitspanne geschaffen, um im Schutz absoluter Dunkelheit einen flüchtigen Kuss -ein "Busserl"- auszutauschen. Man sieht, dass bereits damals nicht nur topografische, technische und umweltrelevante Rahmenbedingungen für die Errichtung eines Eisenbahntunnels ausschlaggebend waren, sondern sich im Wege politischer Entscheidungsträger Tunnelwünsche manifestiert haben. Das ist uns auch heute, 175 Jahre später, ab und zu, einer bestimmten kommunalpolitischen Prägung entspringend, eine durchaus vertraute Situation. Insgesamt scheint es, dass sich über all die Jahrzehnte hinweg die einen Tunnelbau auslösenden Momente kaum geändert haben. Demgegenüber erlebte die Art und Weise, wie ein Tunnelbau realisiert wird, bekanntermaßen eine geradezu radikale Entwicklung. Beim Vortrieb des „Busserltunnels“ war man noch ausschließlich auf das handwerkliche Können der Freiberger Bergleute aus Deutschland angewiesen. Heute sind hochspezialisierte

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Eisenbahntunnel in Österreich 107

Baumethoden, Baustoffe und Baugeräte im Einsatz, welche sowohl für den Tunnelbau als auch für die vorgängige Baugrunderkundung für jede noch so spezifische Anforderung eine Lösung bereithalten. Der technischen und logistischen Komplexität beim Tunnelbau scheinen keine Grenzen gesetzt. Man wagt sich in schwierigste Baugrundverhältnisse vor, teilweise unfreiwillig, denn man wird im Verkehrswegebau durch verschiedenste Rahmenbedingungen, nicht zuletzt aus Erwägungen des Umweltschutzes, dazu gezwungen.

Bild 6-2 Seeton als Baugrund im Bereich der Koralmbahn-Baustelle, Abschnitt St. Kanzian (Kärnten) [Foto: ÖBB]

Je komplexer das Umfeld und der Tunnelbau an sich, umso stärker muss bei der Vorbereitung und Abwicklung solcher Projekte der Fokus auf dem Umgang mit den damit verbundenen Risiken liegen, seien sie technischer, vertraglicher oder finanzieller Natur. Auf den Umgang mit derartigen Risiken und den Lernprozess, den wir in Österreich dabei durchlaufen haben und immer noch durchlaufen, stellt dieser Beitrag im Schwerpunkt ab.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 108 6.2 Tunnelsysteme und Vortriebsmethoden

6.2 Tunnelsysteme und Vortriebsmethoden In der österreichischen Bahnbauära von 1840 bis 1910 wurden zahlreiche Tunnel errichtet. Die spektakulärsten entstanden in den alpenquerenden Streckenabschnitten der Arlberg-, Tauern- und Karawankenbahn mit Tunnellängen zwischen rund 8.000 m und 10.600 m. In der Zeit danach -bis etwa 1990- beschränkte sich der Eisenbahntunnelbau in Österreich mit wenigen Ausnahmen ausschließlich auf die Substanzerhaltung mit Sanierungsmaßnahmen und einigen Profilaufweitungen. Die jüngste Modernisierungsoffensive für die österreichische Eisenbahninfrastruktur wurde Ende der 1980-er Jahre gestartet. Um den Bahnkunden attraktivere Reisezeiten und höhere Kapazitäten im Personen- und im Güterverkehr anbieten zu können, mussten im Bestandsnetz abschnittsweise die Linienführung begradigt bzw. überhaupt Neubaustrecken errichtet werden. Der Schwerpunkt im Streckenausbau bzw. -neubau lag zu Beginn bei der Weststrecke von Wien über Linz und Wels nach Passau bzw. nach Salzburg und weiter im österreichischen Unterinntal bis nach Innsbruck. Die umfassendsten Investitionen wurden hier für den viergleisigen Ausbau von Wien bis Linz sowie im Unterinntal getätigt. Etwas zeitversetzt begannen die Arbeiten zur Ertüchtigung der Südstrecke von Wien über Graz nach Klagenfurt. Von bestimmendem Einfluss auf die Wahl des Tunnelsystems sind die Sicherheitsanforderungen für einen betrieblichen Störfall. Diese Anforderungen haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich geändert. Ganz besonders im Hinblick auf die Vorsorge für die Flucht- und Evakuierungsmöglichkeiten aus dem Tunnel. Die Tunnelbauwerke zu Beginn des Infrastrukturausbaus waren als reine Doppelspurtunnel konzipiert. Ein markantes Beispiel dafür ist der rund 13 km lange Inntaltunnel im Zuge der Südumfahrung Innsbruck. Die geänderten nationalen und europäischen Sicherheitsvorgaben verlangten im weiteren eine jeweils fallbezogene spezifische Betrachtung für die Wahl des Tunnelsystems, bei der die Tunnellänge und die Überlagerungsverhältnisse bestimmend für die Entscheidung waren, ob ein Doppelspurtunnel mit begleitenden Sicherheitsausgängen oder ein Zweiröhrensystem die wirtschaftlichere Lösung ist. Eine weitere Wahlmöglichkeit entstand bezüglich der Vortriebsmethode. Die herangereifte Technologie im maschinellen Tunnelvortrieb eröffnete das Feld für den Einsatz von Tunnelvortriebsmaschinen (TVM) im Querschnittssegment der Vollbahnen. Alle diese Entwicklungen haben in der österreichischen Eisenbahntunnellandschaft ihren Niederschlag gefunden. So sind die Tunnelbauwerke der Neubaustrecke (NBS) Wien-St. Pölten, sowohl der 13 km lange zweiröhrige Wienerwaldtunnel (WWT) als auch die 7 km lange Tunnelkette Perschlingtal, mit Tunnelvortriebsmaschinen aufgefahren worden.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Eisenbahntunnel in Österreich 109

Bild 6-3 Wienerwaldtunnel, Westportal (Neubaustrecke Wien - St. Pölten) mit ÖBB-Railjet [Foto: ÖBB]

Die zu errichtenden Tunnelbauwerke im Verlauf der Südstrecke sind wegen der gegebenen topografischen Verhältnisse bei der Querung des Semmeringmassivs und der Koralpe deutlich länger. Sowohl der Semmering-Basistunnel als auch der Koralmtunnel mit Längen von 27 km bzw. 33 km werden als Zweiröhrensysteme mit abschnittsweisem Einsatz von TVM vorgetrieben.

Bild 6-4 Baustelleneinrichtung Semmering-Basistunnel, Baulos 2, Fröschnitzgraben (Steiermark) [Foto: ÖBB]

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 110 6.3 Tunnelbaulose

Bild 6-5 Koralmbahn - Koralmtunnel, Baulos 2, Bereich Schacht Leibenfeld (Steiermark) [Foto: ÖBB]

Wenn im Zeitraum von 2023 bis 2026 die aktuelle Streckenaus- und Neubauphase abgeschlossen sein wird, hat sich das in Tunneln geführte Bahnnetz in Österreich um rund 160 km verlängert. Darin eingerechnet ist noch nicht das europäische grenzüberschreitende Projekt Brenner- Basistunnel, welches als 55 Kilometer langes dreiröhriges Tunnelsystem ebenfalls bis Ende 2026 fertiggestellt sein soll.

6.3 Tunnelbaulose In den letzten 13 Jahren wurden in Österreich 15 maßgebliche Tunnelbauverträge vergeben und rund zur Hälfte auch bereits abgeschlossen. Bild 6-6 zeigt einen Überblick über die vergebenen Auftragssummen. 2,6 Mrd. € oder 70 % des Gesamtauftragsvolumens von 3,5 Mrd. € entfallen auf 40 % aller Baulose. Das ergibt sich nach der Vergabe des Wienerwaldtunnels im Jahr 2004 im Wesentlichen dadurch, dass bei den langen Tunneln der Südstrecke nur sehr eingeschränkt die Tunnelvortriebsstrecken durch Zwischenangriffspunkte unterteilt werden können. Die Höhe der Einzelauftragssummen ist mit bis zu 600 Mio. € dadurch maßgeblich gestiegen.

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Bild 6-6 Investitionsvolumen Tunnelaufträge (in Mio. €) KATx: Koralmbahntunnel Baulos x SBTx: Semmering-Basistunnel Baulos x WWT: Wienerwaldtunnel

6.4 Projektmanagement Für die Umsetzung der Neu- und Ausbauprojekte hat die ÖBB-Infrastruktur AG einen eigenen Geschäftsbereich mit ca. 370 Mitarbeiter/-innen eingerichtet, der österreichweit mit 13 Projektleitungen ein übertragenes Projektvolumen von 20 Mrd. € und 200 Einzelvorhaben abwickelt. Von diesen Projektteams werden die gesamte Projektverantwortung durchgängig über alle Projektphasen übernommen und alle operativen Bauherrnaufgaben und sämtliche Projektmana- gementaufgaben wahrgenommen. Im Kernansatz wird diese Art und Ausprägung der Projektabwicklung seit 1990 so gelebt. Ein intensiver Lern- und laufender Verbesserungsprozess sichert stabile Projektergebnisse bezogen auf die Zeit-, Kosten- und Qualitätsziele in der gesamten Palette der Eisenbahnprojekte mit Großbahnhöfen im hochurbanen Bereich, mit Ausbaumaßnahmen unter laufendem Bahnbetrieb bis hin zu Neubaustrecken auf der „grünen Wiese“, wie dies bei vielen Tunnelprojekten zutrifft. Die Professionalität im Projektmanagement, wie sie die ÖBB-Infrastruktur AG sieht und lebt, steht im Wesentlichen auf vier Säulen (s. auch Bild 6-7):

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 112 6.4 Projektmanagement

- Team und Kultur, damit geeignete Projektteammitglieder mit vielfältigen Kompetenzen in einem dynamisch sich verändernden Projektumfeld erfolgreich kooperieren, - Vorgaben und Prozesse, mit denen nachvollziehbare, erfahrungsbasierte Anleitungen Handlungssicherheit geben und die nötige Flexibilität ermöglichen, - Strukturen und Systeme, womit eine maßgeschneiderte Projektorganisation die Wechselbeziehung aller Beteiligten eindeutig festlegt, - Methoden und Werkzeuge, mit denen man über passende Instrumente verfügt, um Kosten, Termine und Qualität ständig steuern und kontrollieren zu können. Dazu zählen vor allem ein vorausschauendes Stakeholdermanagement, eine transparente Projektkommunikation, ein umfassendes Life-Cycle-Management und das Project Cost Engineering für ein konsequentes Kosten- und Risikomanagement.

Bild 6-7 Vier Säulen des professionellen Projektmanagements [Bild: ÖBB]

Erfolgreiches Projektmanagement im Bahnbau braucht neben den eigentlichen Managementaufgaben auch ein interdisziplinär verknüpftes Wissen über eisenbahntechnische Zusammenhänge, über betriebliche Anforderungen und ganz besonders auch über die vielfältigen technischen Spezialgebiete. Bei Bahnprojekten mit Tunnelbauwerken trifft dies im besonderen Ausmaß zu.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Eisenbahntunnel in Österreich 113

Um auch in diesem Segment die Bauherrnaufgaben vollinhaltlich und direkt aus den eigenen Reihen abdecken zu können, sind in der ÖBB-Infrastruktur AG Fachbereiche für alle relevanten technischen Fachdisziplinen des Eisenbahnwesens, auch für Geotechnik und Tunnelbau, installiert. Diese Fachspezialisten haben den gesamten Lebenszyklus der Anlagen im Blick und sorgen im gesamten Streckennetz für einheitliche fachspezifische Regeln und Vorgaben, für deren Fortschreibung und Anwendung in allen Projekten und bei allen Maßnahmen. Sie sind damit die fachlich Verantwortlichen für die erforderliche Qualität in ihrem Fachbereich beim Einkauf von Planungen, Bauleistungen und baubegleitenden Dienstleistungen. Sie sind als Projektteam- mitglieder verantwortlich, dass die fachlichen Anforderungen im Projekt durchgängig implementiert werden, und sie vertreten die fachlich notwendige Position in den Planungsprozessen, in den behördlichen Genehmigungsverfahren, in den Ausschreibungen und bei der Leistungserbringung durch die Auftragnehmer. Diese fachlichen Sparringspartner im Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus im Projektteam tragen mit dem Rückhalt des Erfahrungswissens des gesamten Fachbereiches maßgebend dazu bei, dass projektspezifisch die wesentlichen Fragen gestellt und dazu die zweckmäßigen und richtigen Herangehensweisen und Lösungen gefunden werden. Das beginnt bei der Baugrunderkundung und geht über die Tunnelsystemwahl, über die Wahl der Vortriebsmethode und des Innenausbaus bis hin zu den Festlegungen für einen möglichst störungsfreien und wartungsarmen Betrieb des Tunnels. Die Experten der Fachbereiche sind zudem für den Blick in die Zukunft verantwortlich. Im Fachbereich Geotechnik und Tunnelbau wird sehr breitbandig an vielen Themen geforscht und entwickelt, um Innovationen für eine noch effizientere Bahninfrastruktur zu generieren. Mit Partnern aus Wirtschaft sowie Wissenschaft und Forschung unterstützt durch nationale und EU-weite Förderprogramme gibt es hier intensive und vielschichtige Aktivitäten. Eine besonders rege Kooperation besteht mit den heimischen Universitäten, der Technischen Universität (TU) Graz und der Montanuniversität Leoben mit ihren zwei weltweit tätigen Lehrstühlen für Tunnelbau und vielen weiteren verwandten Instituten, welche die wissenschaftliche Entwicklung des Tunnelbaus und Untertagebaus vehement vorantreiben. Die schier unübersehbare Fülle an Forschungs- und Entwicklungsprojekten und Aktivitäten, die das gesamte spannende Spektrum des Tunnelbaus abdecken, befassen sich beispielsweise mit der Dauerhaftigkeit von Betonen, Mörteln und Injektionssuspensionen, mit der Versinterungs- reduktion in Tunneldrainagen, mit faseroptisch unterstützten Messmethoden zur Beobachtung des Gebirgsdruckes, mit der Entwicklung von integrativen Ansätzen zur Messung und Bewertung von Tunnelbauwerken, mit Betonfeuchtemodellen für Tunnelinnenschalen, mit einer Forschungsinitiative TVM-Vortriebe, mit Auslastungsgraduntersuchungen von Tübbingen, mit der in situ-Deformationserfassung von Tübbingen, mit der Optimierung der Tunnelaerodynamik für HGV-Strecken, mit der Rauchausbreitung in Tunnelbauwerken, mit Notausgangstüren in Tunneln, mit dem Abplatzpotential bei Betonbauteilen in Tunnelbauwerken, mit Rissdetektion in Tunnelschalen oder mit der Sicherheit von Hohlraumbauten unter Feuerlast.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 114 6.5 Vertragsgestaltung

Bild 6-8 Tübbing-Prüfstand, Montanuniversität Leoben (Steiermark) [Foto: ÖBB]

Die ÖBB haben damit eine perfekte Interaktion und Partnerschaft, die allen Partnern zum Vorteil gereicht. Die Universitäten haben Forschungsprojekte, die ÖBB können die Ergebnisse und Erkenntnisse direkt in den Projekten umsetzen, eine hervorragende gegenseitige Befruchtung.

6.5 Vertragsgestaltung Der wesentliche Hauptbaustoff im Tunnelbau ist das ihn umgebende Gebirge. Trotz bestmöglicher und intensiver Erkundung und Erfassung des Untergrundes bleiben seine für den Tunnelvortrieb relevanten Eigenschaften in Ausprägung und räumlicher Verteilung mit Unsicherheiten und Bandbreiten behaftet. Diese Realität versucht man bei der Ausschreibung von Tunnelbaulosen möglichst treffsicher und mit der notwendigen Flexibilität abzubilden. Die ÖBB verfolgen bei den Tunnelbauverträgen deshalb folgende Logik in der Interaktion zwischen erwartetem bzw. erwartbarem Gebirgsverhalten und geplanten Vortriebs- und Ausbaumaßnahmen: • Das mit größter Wahrscheinlichkeit erwartete Baugrundszenario einschließlich einer beschriebenen Bandbreite wird mit den ausgeschriebenen Leistungen abgedeckt (Bau- SOLL).

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Eisenbahntunnel in Österreich 115

• Für die zu erwartenden und im Zuge von Risikobetrachtungen identifizierten abweichenden Baugrundszenarien wird mit entsprechenden vertraglichen Regelungen bzw. Leistungen Vorsorge getroffen (Bau-SOLL). • Auf nicht erwartete Szenarien mit entsprechend geringer Eintrittswahrscheinlichkeit kann mit entsprechenden Instrumenten des Bauvertrages (Mehrkostenforderungen) reagiert werden (Risiko AG).

Bild 6-9 Abdeckung der möglichen Baugrundszenarien im Tunnelbauvertrag (ÖBB-Infrastruktur AG; Ausschreibung Semmering-Basistunnel Baulos 2) MKF: Mehr-/Minderkostenforderung

Diese Logik hat sich durch Erfahrungen der ÖBB bei der Abwicklung von Tunnelbaulosen sukzessive herausgebildet, zum einen als stetiger Erkenntnisgewinn aus der Bewertung und Abhandlung von Mehr- oder Minderkostenforderungen bei zyklischen Vortrieben, zum anderen aus Erfahrungen mit TVM-Vortrieben, bei denen die Interaktion zwischen Gebirge und Vortriebsmethode eine noch innigere ist. Erfahrungsgemäß bedarf besonders der TVM-Vortrieb spezieller Festlegungen, um die Verantwortlichkeiten zwischen dem Träger des Baugrundrisikos (Auftraggeber) und dem Bauausführenden (Auftragnehmer) klar abzugrenzen. Denn beim TVM- Vortrieb wird durch die im Verantwortungsbereich des AN liegende Wahl der TVM, deren Einsatz und Betriebsmodi, die Eigenschaften und daraus resultierend das Verhalten des Baugrundes beeinflusst. Um diesem Umstand noch besser gerecht zu werden, wurden bei den zuletzt ausgeschriebenen Tunnelbaulosen die herkömmlichen Ausschreibungsunterlagen wie • Baubeschreibung, • Technische Vertragsbestimmungen,

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 116 6.5 Vertragsgestaltung

• Rechtliche Vertragsbestimmungen, • Baugrundgutachten und geomechanische Prognose, • Leistungsverzeichnis und Pläne um eine Festlegung und Zuordnung wesentlicher Risiken des Tunnelvortriebes in die Sphäre des Auftraggebers bzw. des Auftragnehmers erweitert. Demnach trägt der Auftraggeber das Risiko • dass der Baugrund und dessen Verhalten von der Beschreibung laut Ausschreibung abweichen, • dass die vorgegebenen Anforderungen an die TVM nicht ausreichen, den angetroffenen Baugrund zu beherrschen, • der Änderungen in der Vortriebsklassenverteilung gegenüber der Prognose. Der Auftragnehmer trägt das Risiko des Umganges mit der Beschaffenheit des Baugrundes innerhalb der in den Ausschreibungsunterlagen definierten Bandbreite. Bei TVM-Vortrieben trägt er insbesondere das Risiko der Funktionalität, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Vortriebseinrichtung. Dies betrifft insbesondere • die Wahl des TVM-Konzeptes im Rahmen der Vorgaben der Ausschreibung mit dem daraus abzuleitenden vortriebsbedingten Systemverhalten einschließlich der Abstimmung des Systemverhaltens sowie die Wahl eines geeigneten Löseverfahrens einschließlich Geräteeinsatz, Schneidrad-/Bohrkopfausbildung und Werkzeug- bestückung für den prognostizierten Baugrund, • den Verschleiß innerhalb der in der geotechnischen Prognose angegebenen Werte für Abrasivität, • den Maschinen- und Geräteausfall. Ein häufiges Diskussionsthema bei der Baugrundbeschreibung ist die Festlegung von Bandbreiten. Die Position der ÖBB dazu ist, dass auch sehr große Bandbreiten vergaberechtlich und zivilrechtlich zulässig sind und kein „unkalkulierbares Risiko“ darstellen. Maßgeblich für die Zulässigkeit ist daher der Kostenverlauf innerhalb dieser Bandbreite. Ein weiteres relevantes Thema bei der Ausschreibung von Tunnelbauarbeiten sind die Baulogistik bzw. jene Vorgaben, welche die freie Gestaltungsmöglichkeit der Bieter diesbezüglich einschränken. Solche einschränkenden Vorgaben entstehen zumeist aus dem Ergebnis von Umweltverträglichkeitsprüfungen, aus sonstigen Baugenehmigungsverfahren bzw. aus privatrechtlichen Vereinbarungen mit Anrainern und Grundeigentümern. Der Lösungsansatz dazu ist, unter Berücksichtigung all dieser einschränkenden Vorgaben und Randbedingungen, ein machbares baulogistisches Konzept zu entwerfen und in die Ausschreibung als Pauschalposition aufzunehmen. Die Bieter sind nur an die Vorgaben gebunden und können ihr Logistikkonzept inhaltlich und preislich selbst gestalten und somit ihre Erfahrungen und Innovationen in den Wettbewerb einbringen. Zudem wird damit sichergestellt, dass die Aufmerksamkeit der Bieter

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Eisenbahntunnel in Österreich 117 bereits in der Angebotsphase auf verpflichtende Vorgaben gelenkt wird, welche die gesamte Bauabwicklung und die wirtschaftliche Gestion der Unternehmer massiv beeinflussen können. In den letzten Jahren sind bei den Tunnelbaulosen der ÖBB sowohl die Volumina als auch die Komplexität zufolge der Baugrundverhältnisse und der Umfeldbedingungen für die Baudurchführung deutlich gestiegen. Damit einhergehend haben sich die Anforderungen an das Projektteam, derart hochgradig anspruchsvolle Tunnelbauausschreibungen möglichst homogen und widerspruchsfrei zu erstellen, markant verändert. Das im eigenen Haus eingerichtete Vier-Augen-Prinzip zur bauwirtschaftlichen und bauvertraglichen Begleitung der Prozesse zur Erstellung der Ausschreibungs- und Vertragsunterlagen ist an seine quantitative Grenze gestoßen. Um den bestmöglichen Qualitätsstandard der Ausschreibungsunterlagen trotz dieser Rahmenbedingungen abzusichern, wird bei komplexen Tunnelbaulosen eine „Second Opinion“ eingeholt. Das bedeutet, die laufende Ausschreibungsplanung wird durch ein externes Expertenteam zu bestimmten Planungsmeilensteinen mit den Schwerpunkten Management des Baugrundrisikos und Vertragsgestaltung begleitend überprüft. Wesentliche Prüffelder hierbei sind: • die Umsetzung der ÖGG-Richtlinien für die geotechnische Planung und die Konformität der Planungen mit dem österreichischen Normen- und Richtlinienwerk, • das technische Konzept, die Baubarkeit und die Materiallogistik, • die Plausibilisierung der Ausschreibungsunterlagen und deren Widerspruchsfreiheit, • die vertragliche Umsetzung der geotechnischen Prognose, • das Bauzeitmodell und das Leistungsverzeichnis, • die Mengenberechnungen von wesentlichen und kritischen Positionen und • die Risiko- und Sphärenzuordnung. Es hat sich gezeigt, dass die begleitende Mitwirkung der Second Opinion den Blick auf die Problemfelder wesentlich verbreitert und durch die fachliche Diskussion die Ausschreibung gesamthaft an Stabilität gewinnt.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 118

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Metro Doha Green Line: Design-Build plus Provisional Sums - Erfahrungen beim Bau der Metro mit diesem besonderen Vertragsmodell 119

7 Metro Doha Green Line: Design-Build plus Provisional Sums - Erfahrungen beim Bau der Metro mit diesem besonderen Vertragsmodell

Dipl.-Ing. Rainer Rengshausen, Dipl.-Ing. Hans Köhler PORR Tunnelbau, Wien

Zusammenfassung Im Rahmen der "Qatar National Vision 2030" wird die Hauptstadt Katars -Doha- zu einem modernen Zentrum für Wirtschaft, Handel und Sport ausgebaut. Ein wesentlicher Bestandteil zur Realisierung dieses Zieles ist die Errichtung einer leistungsfähigen Infrastruktur mit modernen Massentransportmitteln. Das Design & Build-Projekt Green Line Underground wurde im Sommer 2013 an ein Joint Venture (JV) aus PORR (Federführung), der Saudi BinLadin Group und dem lokalen Bauunternehmen HBK vergeben und beinhaltet die „schlüsselfertige" Errichtung des unterirdischen Abschnittes der Green Line mit einer Tunnellänge von 2 x 17 km, sechs Stationen, Spurwechsel- und Weichenanlagen sowie Querschlägen und Notausstiegsschächten. Die Vortriebe der ca. 34 km Tunnel, die mit sechs gleichzeitig betriebenen EPB-Maschinen hergestellt wurden, sind mittlerweile abgeschlossen. Nach einem Rückblick auf den Tunnelbau unter Berücksichtigung verschiedener für europäische Verhältnisse eher außergewöhnlicher Randbedingungen werden in diesem Beitrag insbesondere die bisherigen Erfahrungen mit dem Vertragsmodell „Design-Build plus Provisional Sums“ vorgestellt.

Summary As part of the “Qatar National Vision 2030” the capital of Qatar -Doha- is expanded into a modern center for economy, trade and sports. A main item to realize this purpose is the establishment of an efficient infrastructure with modern means of transportation. The Design & Build-Project Green Line Underground has been awarded to a Joint Venture (JV) composed of PORR (lead), the Saudi BinLadin Group and the local construction company HBK in summer 2013. It contains the “ready to use” construction of the underground part of the Green Line with a total length of 2 x 17 km tunneling, six stations, switching areas as well as cross passages and emergency exit shafts. The 34 km of tunneling, realized with six EPB machines simultaneously, have been completed. In this contribution a review of the tunneling works is given considering certain extraordinary circumstances followed by a report about the gained experience with the special contract type “Design-Build plus provisional sums”.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 120 7.1 Einleitung

7.1 Einleitung Im Rahmen der „Qatar National Vision 2030“ hat sich der regierende Emir das Ziel gesetzt, die schnell wachsende und lebendige Hauptstadt Katars -Doha- zu einem modernen Zentrum für Wirtschaft und Handel auszubauen. Mit Investitionen im hohen zweistelligen Milliardenbereich soll der Wüstenstaat Katar zu einem der modernsten der Welt entwickelt werden. Ein wesentlicher Bestandteil zur Realisierung dieses Zieles ist die Errichtung einer leistungsfähigen Infrastruktur mit modernen Massentransportmitteln. Das „Qatar Integrated Railway Project“ umfasst neben Hochgeschwindigkeits-Bahnlinien auch ein umfassendes Metrosystem in Doha. Dieses soll dazu dienen, zusätzliche Transportkapazitäten bereitzustellen, um so ein ökonomisches Wachstum um den Stadtkern Dohas herum zu ermöglichen. Außerdem trägt die Errichtung eines Metronetzes zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschen und zum Schutz der Umwelt bei. Die angespannte Verkehrssituation in und um die Stadt herum kann ebenfalls deutlich verbessert werden.

7.2 Projektvorstellung Das Gesamtprojekt „Metro Doha“, welches vier Linien umfasst, wird in zwei Phasen bis etwa 2026 realisiert. In Phase 1 werden die South, die Red Line North, die Golden Line und die Green Line gebaut (Bild 7-1) (Rengshausen, 2015). Die Gesamtlänge der herzustellenden Metro-Linien beträgt 216 km, von denen 96 km unterirdisch, 91 km aufgeständert und die übrigen Strecken ebenerdig verlaufen. Des Weiteren sind ca. 90 Stationen zu errichten, die von 80 Zügen mit je sechs Wagen bedient werden.

Bild 7-1 Übersicht Phase 1 (Quatar Rail, 2016)

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Metro Doha Green Line: Design-Build plus Provisional Sums - Erfahrungen beim Bau der Metro mit diesem besonderen Vertragsmodell 121

Die Green Line wurde an ein Joint Venture, bestehend aus PORR (Federführung), der Saudi Binladin Group und dem lokalen Bauunternehmen HBK vergeben. Der Auftrag umfasst die „schlüsselfertige“ Errichtung des unterirdischen Abschnittes der Green Line mit einer Tunnellänge von zweimal x 17 km, sechs Stationen, Spurwechsel- und Weichenanlagen sowie 32 Querschlägen und sechs Notausstiegsschächten. Die Trasse der Green Line verläuft vom westlich gelegenen Stadium nach Osten, zunächst aufgeständert bis zur „Trough“. Ab hier wird die Linie unterirdisch fortgeführt (Bild 7-2). An der zentralen Station Mushaireb trifft die Green Line auf die anderen Linien. Eine grundsätzliche Funktion der Green Line ist die Anbindung der im Westen der Stadt Doha, einem großen Neubauviertel und gleichzeitig Standort verschiedener Universitäten, an das Zentrum. Daher erhält die Green Line auch den Namenszusatz „Education Line“.

Bild 7-2 Trassenverlauf Green Line Underground

7.3 Rückblick auf die Tunnelbauarbeiten

7.3.1 Geologie Die Tunnel wurden nahezu ausschließlich im Kalkstein aufgefahren, wobei dieser in verschiedenen Verwitterungsgraden auftreten kann. Als oberste Lage, etwa 10 - 25 m stark, tritt die sogenannte Simsima-Schicht auf. Sie weist Festigkeiten von 25 - 50 MPa und lokal bis 120 MPa auf. Durch Grund- und Regenwasser haben sich in dieser Lage viele Klüfte und Hohlräume gebildet, die mancherorts große Kavernen bilden. Je nach Tiefenlage sind sie mit Grundwasser gefüllt und kommunizieren in Küstennähe direkt mit dem Meer. Unter der Simsima-Schicht folgt der 1 - 3 m starke Midra Shale, der große Tonanteile enthält und dadurch als Stauer wirkt. Darunter liegt die Rus Formation, ein Kalkstein mit geringeren Festigkeiten zwischen 5 - 15 MPa. Das in dieser Schicht gespeicherte Grundwasser ist gespannt, wobei der Druck rechnerisch teilweise bis 3 m über Geländeoberkante reicht. Die vorgegebene Tunnelgradiente verläuft durch alle drei Schichten. Das Grundwasser ist aufgrund sehr hoher Salz- und Sulfatanteile als sehr aggressiv

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 122 7.3 Rückblick auf die Tunnelbauarbeiten einzustufen. Daher war auf wegen der geforderten 120 Jahre Lebensdauer der Bauwerke hier eine sehr anspruchsvolle Betonrezeptur erforderlich. Um Risiken durch den stark heterogenen Baugrund für den Tunnelvortrieb zu reduzieren, wurde ein engmaschiges Erkundungsprogramm aufgelegt (Rengshausen, 2015). Geotechnische Voruntersuchungen (z.B. Erkundungsbohrungen oder seismische Messungen) wurden von der Oberfläche aus über die gesamte Tunneltrasse durchgeführt. Zur zusätzlichen Vorauserkundung waren die Schildmaschinen mit Bohranlagen ausgerüstet. Die Installation eines geotechnischen Vorerkundungssystems auf jeder Vortriebsmaschine stellte eine Besonderheit dar. Das sogenannte BEAM-System (Bore-Tunnelling Electrical Ahead Monitoring) diente zur frühzeitigen Identifizierung von Änderungen in der Geologie und zeigte Bereiche geringerer Dichte bzw. höherer Porosität sowie vertikale Klüfte und stärker verwittertes, weniger festes Gestein (Rengshausen, 2015) (vgl. Bild 7-3). Dadurch konnte eine rechtzeitige Anpassung der Vortriebsparameter umgesetzt werden. Die Reichweite der Messungen betrug drei Tunneldurchmesser, also etwa 21 m.

Bild 7-3 Anzeigen BEAM-System

In Bezug auf mögliche Karsterscheinungen war der Respekt groß, daher erfolgten die umfangreichen Vorerkundungen und der Einsatz von BEAM. Tatsächlich wurden dann allerdings keine wesentlichen Karststrukturen angetroffen, und es kam demnach auch zu keinerlei hierdurch bedingten Vortriebsbehinderungen.

7.3.2 Vortrieb und Logistik Ursprünglich sollten vier TVM -jeweils zwei aus einem Startschacht- zum Einsatz gebracht werden. Dann wurde die aufzufahrende Tunnelstrecke durch den AG um rund 3 km verlängert

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Metro Doha Green Line: Design-Build plus Provisional Sums - Erfahrungen beim Bau der Metro mit diesem besonderen Vertragsmodell 123 sowie zwei zusätzliche TVM gefordert. Durch verzögerte Baufeldübergaben, Planungsverzug sowie verspäteten Baugrubenaushub wurde anschließend eine Umstellung des Vortriebsablaufes erforderlich, so dass schlussendlich das tatsächlich umgesetzte Konzept mit sechs TVM, von denen vier aus demselben Schacht starten mussten, entwickelt wurde. Der hiermit verbundene Mehraufwand wurde durch die wegen der Umstellung reduzierten Umbauten und die entfallenen Wiedermontagen relativiert. Bei den eingesetzten TVM handelte es sich um EPB-Maschinen (Bild 7-4), wobei die Gesamtlänge inklusive der acht Nachläufereinrichtungen jeweils etwa 120 m betrug. Der Schild selbst wies eine Länge von 9,10 m auf. Der Schilddurchmesser belief sich auf 7,05 m, der Durchmesser des Schneidrades auf 7,10 m.

Bild 7-4 Längsschnitt TVM

Die Materialandienung der sechs Vortriebsmaschinen erfolgte über die zwei Startschächte Al Messila (vier TVM) bzw. Trough (zwei TVM). Neben drei respektive zwei fest installierten Turmdrehkränen kam eine Vielzahl an Mobilkränen zum Einsatz. Die zahlreichen Schnittpunkte bei gleichzeitiger Herstellung der Tunnel, Querschläge und Stationen erforderten eine vorausschauende Planung und Organisation. Tübbinge und Betriebsmittel wurden über sogenannte Multi-Service-Vehicles (MSVs) zu den Maschinen befördert. Für die Stromversorgung der TVM waren zu Spitzenzeiten in Al Messila 28 bzw. in Trough 16 Dieselgeneratoren zu je 1000 kW installiert, die zusammen ca. 20.000 l Diesel pro Tag verbrauchten. Von der Leistung wurden 18 MW für die sechs Vortriebsmaschinen benötigt, 5 MW entfielen auf die Förderbandanlagen unter Volllast, 1 MW wurde für Wetter- bzw. Wasserkühlung verbraucht. Der Gesamtwasserbedarf für alle sechs TVM summierte sich auf etwa 5000 m³ pro Tag. Hierzu waren Kühltürme sowie Wasser-Entsalzungsanlagen auf der Baustelle installiert. Der tägliche Mörtelbedarf aller sechs Maschinen von ca. 500 m³ wurde durch den Einsatz von drei Mörtelmischanlagen gedeckt. Nicht nur die Versorgung der Maschinen, sondern auch die Förderung des Ausbruchmaterials erforderte einen hohen logistischen Aufwand. Zum Ende des Projektes betrug die Länge der installierten Förderbandstrecke etwa 75 km und es wurden etwa 1,3 Mio. m³ abgebautes Material gefördert. Neben einem gigantischen Förderbandsystem im Startschacht Al Messila für vier TVM

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 124 7.3 Rückblick auf die Tunnelbauarbeiten sowie einer großen Zwischendeponie erforderte auch die weitere Entsorgung des Bodenmaterials ein ausgefeiltes logistisches Konzept (Rengshausen, 2015). Eine weitere Herausforderung ergab sich aus der parallelen Herstellung der Tunnelbauwerke, der Querschläge und Rettungsschächte sowie der sechs Stationen. Hierbei ergab sich die Parallelität insbesondere der TVM-Vortriebe und der Herstellung der Querschläge erst im Zuge der Projektabwicklung aufgrund von Verzögerungen zu Beginn des Projektes sowie wegen der Anordnung zusätzlicher Querschläge zur Umsetzung der einzuhaltenden Sicherheitsstandards. Für die Schnittstelle zwischen den TVM-Vortrieben und den Schächten war das Einhalten der Terminpläne zwingend erforderlich, da die Maschinen durch die Stationen geschleppt wurden. Das bedeutete, dass die Aushubarbeiten abgeschlossen und die permanente Bodenplatte hergestellt sein mussten, bevor die Maschinen die jeweilige Station erreichten. Des Weiteren wurde eine temporäre Schildwiege, auf der Gleitschienen installiert wurden, sowie ein „Receiving Block“ für die Ankunft der Maschine betoniert.

7.3.3 Leistungen, Verschleiß, Schäden Die nachfolgende Darstellung fasst die Vortriebsleistungen aller TVM zusammen (Bild 7-5). Die geringen Monatsleistungen zu Beginn lassen sich dadurch erklären, dass von September 2014 zwei, ab Januar 2015 vier und erst ab Februar 2015 alle sechs Vortriebsmaschinen angefahren sind. Weiterhin ist dies der üblichen Lernkurve geschuldet. Ein deutlicher Einbruch der Vortriebsleistungen war während des Ramadans bzw. der „Summer Working Hours“ mit geringeren Arbeitszeiten zu beobachten. Hinzu kam, dass sich in diesem Zeitraum vier Vortriebsmaschinen in einer Station befanden (gleiches gilt für zwei TVM im Monat

September/Oktober 2015).

2500 22500 Summer Working Hours 2200 2250 20000 Rama- 2020 dan 314 2000 17500 1820 1736 358 1747 1750 314 1607 15000 420 356 1474 417 1451 1500 368 319 1368 214 357 12500 1251 1250 305 35 12 194 102 487 506 512 10000 427 1005 270 465 1000 410

242 builtof rings No.Total 229 390 794 784 758 376 7500 No. of built rings per month (l=1,60m) 309 122 750 179 287 56 278 303 34 200 540 144 439 268 399 387 5 406 5000 500 428 97 335 302 222 329 317 297 276 305 229 202 272 83 175 55 2500 250 138 42 419 6 164 151 406 397 148 317 337 55 66 271 313 250 249 277 1 167 184 224 77 18 29 70 139 0 1 37 37 8 48 0 Sep 14 Okt 14 Nov 14 Dez 14 Jan 15 Feb 15 Mrz 15 Apr 15 Mai 15 Jun 15 Jul 15 Aug 15 Sep 15 Okt 15 Nov 15 Dez 15 Jan 16 Feb 16 Mrz 16 Apr 16 S-844 S-845 S-846 S-847 S-848 S-849 Total Rings IST Total Rings SOLL Bild 7-5 Gesamtvortriebsleistung der TVM

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Metro Doha Green Line: Design-Build plus Provisional Sums - Erfahrungen beim Bau der Metro mit diesem besonderen Vertragsmodell 125

Der finale Durchschlag zweier Maschinen erfolgte am 28.11.2015 bzw. 12.12.2015 in der Musheireb Station, zwei weitere Maschinen schlugen am 28.02.2016 bzw. 01.03.2016 in der Education City Station durch. Die beiden letzten TVM gelangten am 27.03.2016 bzw. 29.03.2016 an ihr Ziel in der Education City Station. Alles in allem konnten die Vortriebe ca. einen Monat früher als geplant abgeschlossen werden. Die beste Monatsleistung aller Maschinen wurde im November 2015 erreicht (ca. 3520 m), mit einer Maschine wurde eine Monatsbestleistung von 864 m erzielt. Die beste Wochenleistung einer TVM belief sich auf ca. 278 m. Die Tagesbestleistung betrug 56 m. In regelmäßigen Abständen wurden Kontrollen an den Abbauwerkzeugen und gegebenenfalls Werkzeugwechsel durchgeführt (etwa alle 150 Ringe). Das Schneidrad war mit acht Zentrums-, zwölf Doppel-, und acht Einfachdisken sowie Schälmessern und Räumern bestückt. Anfangs wurden auf einer Maschine testweise auch Zentrumsdisken durch einen Zentrumsschneider ersetzt und Ripper anstatt Doppeldisken eingesetzt. Grundsätzlich war kein außergewöhnlich hoher Verschleiß der Abbauwerkzeuge zu beobachten, jedoch kam es zu Beginn ungewöhnlich häufig zu Schäden an den Diskenringen (Bild 7-6). Dies war auf eine erhöhte Schlagbeanspruchung durch den teils stark heterogenen Baugrund mit hart- weichen Wechsellagerungen zurückzuführen. Die anfangs eingesetzten Disken stellten sich als zu spröde heraus, um der Schlagbeanspruchung durch härtere Gesteinsschichten standzuhalten. Nach der Umstellung auf weichere Disken konnten die Schäden minimiert werden. Weiterhin wurden anstatt Doppeldisken mit aufgeschrumpften Schneidringen später auch Monoblock-Disken eingesetzt.

Bild 7-6 Links: Gebrochener Diskenring, Mitte: Standard Doppeldiske, Rechts: Monoblock Diske

Während der gesamten Vortriebe gab es keine größeren Schäden an den Tunnelvortriebsmaschinen, die zu längeren Ausfallzeiten führten. Eine typische Verteilung der Maschinenverfügbarkeit ist exemplarisch für einen Tunnelabschnitt in Bild 7-7 dargestellt. Insgesamt lagen die Vortriebsleistungen im Rahmen der Erwartungen, ebenso der Verschleiß. Die Leistungsreduzierung infolge des Ramadan, der Aufwand für die Montagen und für das Durchschleppen durch die Stationen wurden ursprünglich dennoch zu optimistisch gesehen.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 126 7.3 Rückblick auf die Tunnelbauarbeiten

Bild 7-7 Beispielhafte Verfügbarkeit der TVM für einen Tunnelabschnitt

7.3.4 Tübbinge Der Ausbau des Tunnels erfolgte mittels einschaliger Tübbingauskleidung, wobei der Ringspalt mit einem Zwei-Komponenten-Mörtel verpresst wurde. Ein Tübbingring besteht aus fünf Segmenten und einem Schlussstein und weist eine Breite von 1,6 m auf. Der Ring weist eine Dicke von 0,30 m auf (Durchmesser außen: 6,77 m; Durchmesser innen: 6,17 m). Das Gewicht eines Segmentes war mit ungefähr 4,5 t angegeben, wodurch sich das Gesamtgewicht eines Rings zu etwa 25 t aufaddierte. Neben den klimatischen Bedingungen lag eine planerische wie betontechnologische Herausforderung in den hohen Anforderungen an den Beton in Bezug auf die Sulfatbeständigkeit. So war z.B. ursprünglich ein konventionell bewehrter Tübbing vorgesehen. Aufgrund des hohen Sulfatgehaltes des Grundwassers ergab sich in der Bemessung allerdings eine derart große Betondeckung, dass massive Abplatzungen zu befürchten waren. Somit kamen Stahlfasertübbinge der Güte C50/60 mit 40 kg Stahlfasergehalt und 1,8 kg Polypropylen-Fasern je Tübbing (zur Reduzierung von Abplatzungen im Brandfall) zum Einsatz (Rengshausen, 2016). Die hohen Temperaturen haben im Übrigen dazu geführt, dass ein einbetonierter und kein geklebter Dichtrahmen zum Einsatz kam. Kein Hersteller der üblichen Kleber konnte die erforderliche Funktionstüchtigkeit bzw. Beständigkeit insbesondere bei direkter Sonneneinwirkung gewährleisten. Die Tübbingproduktion fand in einem eigens für das Projekt errichteten Werk statt, in das ein eigenes Betonwerk integriert war. Um auf die extremen klimatischen Bedingungen zu reagieren und den erforderlichen qualitativ hochwertigen Beton produzieren zu können, war es in der Regel

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Metro Doha Green Line: Design-Build plus Provisional Sums - Erfahrungen beim Bau der Metro mit diesem besonderen Vertragsmodell 127 erforderlich, die Zuschlagstoffe im Betonwerk zu kühlen. Die Segmente wurden in maßgefertigte Formen gegossen, wobei jede Form mindestens zweimal pro Tag gefüllt wurde. Daraus ergab sich eine Produktionsleistung von im Schnitt 2,25 Segmenten je Form und Tag. In der Spitze waren 30 Schalsätze im Einsatz, um eine ausreichende Vorproduktion zu ermöglichen. Dazu waren große Lagerkapazitäten vorgesehen. Die hergestellten Segmente verblieben maximal 36 h im Werk und wurden anschließend 26 bis 27 Tage außerhalb gelagert, bevor sie zur Baustelle transportiert wurden. Für alle sechs Vortriebe wurden insgesamt 20.870 Ringe, also 125.220 Tübbinge, produziert. Die Eigenfertigung war von Anfang an so vorgesehen, der Einsatz von „ungelerntem“ Personal entpuppte sich als relativ unproblematisch. In der Phase der Lernkurve war mehr Aufsichtspersonal erforderlich als erwartet. Die Qualität war dafür aber von Beginn an einwandfrei, die Änderungen betzüglich der Bewehrung und des Dichtrahmens sind als voller Erfolg zu bezeichnen.

7.3.5 Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz Besonders stark geprägt war und ist das Projekt durch die ausgereiften Arbeits- und Gesundheitsschutzkonzepte, die den Anforderungen auf europäischen Projekten in keiner Weise nachstehen (Rengshausen, 2016). Bevor der Zugang zur Baustelle gewährt wurde, durchlief jeder einzelne der über 5.000 Arbeiter und Angestellten eine intensive Einweisung. Weitere Sicherheitsvorkehrungen, damit jeder die Baustelle am Ende des Tages unversehrt verlassen konnte (Zero-Harm-Policy), waren unter anderem abgetrennte Fahrwege, Sicherheitskleidung sowie auffällige Beschilderungen und Warnhinweise.

Bild 7-8 Beispiele Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 128 7.3 Rückblick auf die Tunnelbauarbeiten

Auf dem gesamten Projekt waren über 200 Arbeitssicherheitsmitarbeiter zur Überwachung der Arbeitssicherheit und um Unfälle zu vermeiden im Einsatz. Die Durchführung von Schulungen wurde durch die teils geringen Englischkenntnisse (bzw. Analphabetismus) vieler Arbeiter erschwert. Daher war häufig eine simultane Übersetzung der Sicherheitseinweisungen in die Muttersprache notwendig (Rengshausen, 2016). Dazu war das Ausbildungsniveau der meisten Arbeiter nicht mit dem europäischen Standard, speziell im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, zu vergleichen. Die Unwissenheit oder Sorglosigkeit bedingte ein hohes Fehler- und Gefahrenpotential, was eine intensive Anleitung und Überwachung sowie ständige Wiederholung von Task Briefings, Toolbox Talks, etc. durch qualifizierte Fachkräfte erforderte. Als nützlich erwiesen haben sich vor allem die Installation von großen Plakatwänden, auf denen die wesentlichen Punkte und Maßnahmen bezüglich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz bildlich dargestellt waren (vgl. Bild 7-8). Der im Zusammenhang mit den Themen Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz stehende Aufwand war höher als erwartet, der erzielte Erfolg war allerdings auch wesentlich besser als erwartet.

7.3.6 Klimatisches und kulturelles Umfeld Im Sommer treten in Katar häufige Wechsel zwischen hoher Luftfeuchtigkeit mit bis zu 85 % (schwül, subtropisch) bzw. sehr heißer Wüstenluft (trocken-staubiger Nordwestwind „Schamal“) auf (Rengshausen, 2015). Neben der enormen Hitze stellen insbesondere die häufig auftretenden Sandstürme eine zusätzliche Belastung für Arbeiter und Maschinen dar und beeinflussen die Produktion merklich. Beispielsweise müssen ab einer gewissen Windgeschwindigkeit alle Kranarbeiten eingestellt werden.

Bild 7-9 Matrix zur Beurteilung der Hitzebelastung

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Metro Doha Green Line: Design-Build plus Provisional Sums - Erfahrungen beim Bau der Metro mit diesem besonderen Vertragsmodell 129

Die Temperaturen im Juli 2014, der Montagephase der ersten beiden Tunnelvortriebsmaschinen, lagen in der Regel deutlich über 40° C. Die mittleren Temperaturen für Doha liegen von Mai bis Oktober zwischen 35 und 42° C, was besondere arbeitsrechtliche Maßnahmen bedingt. So dürfen beispielsweise von Mitte Juni bis Mitte September zwischen 11:00 Uhr und 15:00 Uhr keine Arbeiten unter freiem Himmel stattfinden. Bezogen auf die Tunnelbauarbeiten erforderte dies ein gut geplantes logistisches Konzept, um trotz der fehlenden Versorgung der Vortriebsmaschinen von der Oberfläche in diesem Zeitraum einen kontinuierlichen Vortrieb aller Maschinen zu gewährleisten. Zur Beurteilung der Hitzebelastung und der gefühlten Temperatur wurde unter anderem die in Bild 7-9 dargestellte Matrix herangezogen. Als Beispiel wird die gemessene Temperatur mit 34° C und die Luftfeuchtigkeit mit 40 % angegeben. Dies entspricht einer gefühlten Temperatur (heat stress temperature) von etwa 38° C (Rengshausen, 2015). Liegt die gefühlte Temperatur im grünen Bereich, sind keinerlei Arbeitsbeschränkungen erforderlich. Im gelben Bereich müssen die Arbeiten nach jeweils zwei Stunden für 15 Minuten unterbrochen werden und für den orangenen Bereich sind 15 Minuten Pause pro Stunde einzuhalten. Liegt die gefühlte Temperatur im roten Bereich, sind keine Arbeiten zugelassen. Außerdem wird empfohlen, etwa acht Liter Wasser pro Tag zu sich zu nehmen, um hitzebedingter Dehydrierung entgegenzuwirken (Rengshausen, 2015). Neben dem extremen Klima stellte sich das Aufeinandertreffen unterschiedlichster Kulturen und Mentalitäten als eine weitere große Herausforderung heraus. Das Zusammenarbeiten so vieler verschiedener Mentalitäten erforderte von jedem Einzelnen ein großes Maß an Rücksicht und Respekt, Verständnis und insbesondere Nachsicht (Rengshausen, 2015). Ein Beispiel hierfür ist die verkürzte Arbeitszeit (sechs Stunden) muslimischer Arbeitnehmer bei gleicher Bezahlung während des Ramadan. In diesem Fastenmonat war eine außerordentliche Belastung der muslimischen Arbeiter zu beobachten. Durch fehlende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme trotz der Hitze litten viele Arbeiter tagsüber unter Dehydrierung. Im Übrigen mussten ausreichend Gebetszeiten (fünf Mal am Tag) und die Essenszeiten nach Sonnenuntergang (Maghrib ca. 18:30 - 19:30 Uhr) bzw. vor Sonnenaufgang (Fajr ca. 02:30 - 03:30 Uhr) eingeräumt werden. Daraus resultierte ein erhöhter logistischer Aufwand, weil die Bereitstellung der Verpflegung für alle Arbeiter zu diesen speziellen Zeiten zu gewährleisten war.

7.3.7 Personal Insgesamt arbeiteten an dem Projekt Green Line zu Spitzenzeiten etwa 1.000 Angestellte und rund 4.000 Arbeiter (Rengshausen, 2016), was eine besondere Herausforderung mit anspruchsvoller Logistik für die Unterbringung aller Arbeitnehmer bedeutete. Es wurde ein ca. 130.000 m² großes Labour-Camp mit etwa 3.000 Unterkünften errichtet, um diesen Anforderungen zu begegnen. Die Arbeiter wurden in 24 m² großen Zwei- bis Vierbett-Appartements untergebracht, wobei diese durch den Schichtbetrieb selten voll belegt waren. Neben vier Wäschereien und zwei Supermärkten wurden Sportanlagen (Fußball, Volleyball, etc.) und Großküchen sowie eine Moschee und Gebetsräume installiert. Außerdem wurde ein kostenloser Internetzugang bereitgestellt. Alle Arbeiter wurden kranken- und unfallversichert, und zur medizinischen

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 130 7.4 Vertragsmodell „Design-Build plus Provisional Sums“

Versorgung waren auf den Baustellen und im Wohnlager rund um die Uhr Ärzte und Krankenschwestern im Einsatz. Von einer menschenunwürdigen Unterbringung und Behandlung der Mitarbeiter bis zur Ausbeutung bzw. einer Art moderner Sklaverei, wie wiederholt in den Medien berichtet wurde, kann also bei der Green Line nicht die Rede sein (Rengshausen, 2016). Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass das Zusammenarbeiten europäischer Fachkräfte mit überwiegend ungelerntem Personal aus z.B. Indien, Bangladesch oder Nepal nicht ganz einfach war. Das Anlernen der Arbeiter stellte sich als sehr zeitaufwändig heraus, jedoch konnten schlussendlich mit viel Geduld und ständiger Wiederholung Erfolge erzielt werden, wie sich unter anderem in der frühzeitigen Fertigstellung aller Tunnelvortriebe ohne schwere Unfälle zeigt. Gegenüber den Erwartungen waren die Aufwendungen in der Lernphase höher, und es wurde deutlich mehr Aufsichtspersonal benötigt; die Erwartungen in die Vortriebsleistungen wurden erfüllt.

7.4 Vertragsmodell „Design-Build plus Provisional Sums“

7.4.1 Grundlegende Gestaltung des Vertragsmodells Grundsätzlich lehnt sich das Vertragsmodell an den Kanon der FIDIC-Regelungen an. Es handelt sich zunächst einmal um einen gerade im arabischen Bereich üblichen „Design Build Contract“, dessen Charakteristika im Wesentlichen die Folgenden sind. Vom Auftraggeber wurde den Bewerbern im Rahmen des Vergabeverfahrens ein grobes funktionales Design übergeben. Dieses Design enthielt neben Angaben zu der Lage und den Abmessungen der einzelnen Bauwerke (Tunnel, Stationen, Querschläge, Rettungsschächte, Spurwechselanlagen, Abstellanlagen, etc.) auch Anforderungen und Erwartungen der später für den Betrieb Verantwortlichen zur Funktionalität. Hierzu zählten beispielsweise Informationen zu dem prognostizierten und damit von der zu bauenden Infrastruktur sicher zu beherrschenden Fahrgastaufkommen, was sich sowohl auf die Zugkompositionen als auch die Dimensionierung der Zugangsbauwerke und deren betriebstechnische Ausstattung auswirkte. Auf dieser Basis und unter eigenverantwortlicher Berücksichtigung der gesetzlich geltenden Bau- und Sicherheitsvorschriften war dann von den Bewerbern in der Angebotsphase ein grobes Design für die Tunnel und Stationen zu entwickeln. Dies beinhaltete neben den statisch konstruktiven Ausarbeitungen auch Lösungen für MEP, Heizung, Lüftung, Klimatechnik und die Vertikaltransporte (Aufzüge, Rolltreppen) für die Stationen. Außerdem waren Fluchtwegkonzepte für die Tunnel und die Stationen gefordert. Dieses Design war dann im nächsten Schritt in Leistungsverzeichnisse bzw. BOQs zu überführen. Die Rohbauarbeiten waren hierbei dann konventionell als „Teil-Lump-Sums“ abzubilden. Der Ausbau und die MEP-Arbeiten waren -und hier kommt die große Besonderheit des Vertragsmodells zum Einsatz- als sogenannte „provisional sums“ darzustellen. Hierunter ist zu

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Metro Doha Green Line: Design-Build plus Provisional Sums - Erfahrungen beim Bau der Metro mit diesem besonderen Vertragsmodell 131 verstehen, dass eine Art vorläufige Verpreisung der funktionalen und architektonisch noch zu entwickelnden Leistungsbereiche auf Basis des jeweiligen Verständnisses des Bewerbers im Zuge des Designs erfolgen musste. Im Zuge der Vertragsabwicklung waren bzw. sind dann für die so abgebildeten Arbeitspakete detaillierte Designs zu erstellen. Der vertragliche Mechanismus sieht dann eine Prüfung und Genehmigung des Auftraggebers vor inklusive umfangreicher Änderungsbefugnisse. Weiterhin wird dem Auftraggeber bei der Vergabe der mit diesen Arbeitspaketen im Zusammenhang stehenden Leistungen an Subunternehmer sowie bei dem Einkaufsprozess der zugehörigen Gerätschaften und Materialien ein umfangreiches Mitspracherecht eingeräumt. Neben dieser eher ungewöhnlichen Vertragskonstruktion mit den „provisional sums“ gab es noch die im arabischen Raum durchaus üblichen, in Europa aber doch eher selten vorkommenden vertraglichen Regelungen, dass die Schildmaschinen erstmal grundsätzlich in das Eigentum des Auftraggebers übergehen und dass durch den Bewerber bzw. Auftragnehmer de facto das Baugrundrisiko übernommen werden muss. Letzteres wird z.B. durch die geforderte Bestätigung sichergestellt, dass die angebotenen Bauverfahren in jedem Fall ausreichen, um alle auftretenden Baugrundverhältnisse zu beherrschen. Auch der Vergütungsmechanismus nach sogenannten „Payment Milestones“ in z.B. 20 % - Schritten je „lump sum item“ lässt sich in europäischen Vertragsmodellen nicht häufig finden.

7.4.2 Erfahrungen bei der Projektabwicklung Das Leben des beschriebenen Vertragsmodells hat bisher bei der Metro Doha Green Line überwiegend zufriedenstellend funktioniert. Förderlich hierfür war und ist sicherlich, dass die Leistungen der ARGE den Erwartungen des Auftraggebers entsprochen haben und weiterhin entsprechen. Außerdem war es sicherlich ebenso gut für das Zusammenfinden der Vertragspartner, dass die Thematik des Umgangs mit den „provisional sums“ nicht direkt ab Tag 1 in großem Umfang zu behandeln war, sondern dass der große Leistungsumfang des Rohbaus mit vielfach erprobten Mechanismen abgewickelt werden konnte. Bei der Behandlung der „provisional sums“ ist es dann -relativ wenig überraschend- zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Wenn ein aus europäischer Sicht zweckmäßiges und funktionales Design beispielsweise einer Station auf die in der folgenden Darstellung (Bild 7-10) abgebildete Vision des Auftraggebers von derselben Station trifft, sind mitunter nicht unerhebliche Unterschiede in der Höhe der betreffenden „provisional sum“ relativ einfach vorstellbar. Zu divergierenden Meinungen ist es beispielsweise ebenfalls bei den Definitionen der Funktionalität des Systems gekommen. Es gibt einfach unterschiedliche Wege, die geforderte Transportkapazität zur Verfügung zu stellen sowie unterschiedliche Interpretationen der entsprechend geltenden Gesetze, Vorschriften und Richtlinien. Die Lösung von Konflikten dieser Art verursacht dann mitunter zeitliche Verzögerungen im Bauablauf und letztendlich Mehrkosten, über die dann nicht anders als bei anderen Vertragskonstrukten verhandelt wird.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 132 7.5 Zusammenfassung

Bild 7-10 Vision des AG von einer Station

7.5 Zusammenfassung Retrospektiv lässt sich zusammenfassend für die Tunnelbauarbeiten konstatieren, dass es sich bei der Metro Doha Green Line um ein hochkomplexes, sehr facettenreiches Projekt handelt, welches sowohl technisch als auch zwischenmenschlich ein Höchstmaß an Kompetenz, Erfahrung und Professionalität erfordert. Den vielfältigen Herausforderungen wurde mit aller Kraft und Leidenschaft begegnet, so dass am Ende eine erfolgreiche und sichere Abwicklung für alle Beteiligten erreicht werden konnte. Bezüglich des Vertragsmodells ist hervorzuheben, dass insbesondere die Thematik der „provisional sums“ mit den entsprechenden Interpretationsspielräumen ein erhöhtes Konfliktpotential mit sich bringt. Begegnen sich die Vertragspartner allerdings sachlich, höflich und mit Respekt, sind immer für alle Seiten zufriedenstellende Lösungen herbeizuführen. Bisher sind die handelnden Personen in dieser Art und Weise miteinander umgegangen, so dass auch die vertragliche Abwicklung als Erfolg bezeichnet werden kann.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Metro Doha Green Line: Design-Build plus Provisional Sums - Erfahrungen beim Bau der Metro mit diesem besonderen Vertragsmodell 133

Literaturverzeichnis Rengshausen, R., Köhler, H., Heilmeyer, G.: Metro Doha Green Line: Erfahrungen beim Tunnelbau mit sechs TBM unter besonderen geologischen und klimatischen sowie kulturellen Rahmenbedingungen. Vorträge der STUVA-Tagung 2015 (Forschung + Praxis 46) (2015), S. 44-50

Qatar Rail: Doha Metro. https://www.qr.com.qa, abgerufen am: 13.06.2016.

National Weather Service: NWS Heat Index. http://www.nws.noaa.gov abgerufen am: 13.06.2016

Rengshausen, R., Köhler, H., Heilmeyer, G.: Metro Doha Green Line – Rückblick und Erfahrungen beim Bau eines komplexen Tunnelbauprojektes unter außergewöhnlichen Randbedingungen. 5. Münchener Tunnelbau Symposium (Vortrag), 03.06.2016

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 134

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Geteilter Erfolg ist doppelter Erfolg - Erfahrungen aus dem Projekt Crossrail 135

8 Geteilter Erfolg ist doppelter Erfolg - Erfahrungen aus dem Projekt Crossrail

Dr.-Ing. Michael Blaschko Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt am Main

Zusammenfassung Crossrail ist eine neue Nahverkehrsbahnlinie quer durch den Großraum London. Daraus resultiert eine in technischer und baubetrieblicher Sicht sehr komplexe innerstädtische Bauaufgabe, bei der im Vorhinein mit zahlreichen Änderungen im Laufe der Bauabwicklung gerechnet werden musste. Der Auftraggeber hat daher ein Vertragsmodell gewählt, das auch in Anbetracht von Störungen und Änderungen für eine gemeinsame Zielausrichtung bei Auftraggeber und Auftragnehmer sorgt, den sogenannten New Engineering Contracts (NEC) Target Price-Vertrag. Im Kern sieht dieses Vertragsmodell eine Kosten- bzw. Bonusteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer bei Über- oder Unterschreiten eines vorab definierten Gesamtpreises vor. Damit wird eine ausgewogene Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer erreicht. Beide Vertragsparteien werden motiviert, die tatsächlichen Kosten des Projektes zu minimieren, weil dies einerseits für den Auftraggeber die geringstmögliche Vergütung bedeutet, andererseits aber gleichzeitig für den Auftragnehmer auch die größte Gewinnspanne ergibt. Geteilter Erfolg wird damit zum doppelten Erfolg. Im Gegenzug fordert der NEC Target Price-Vertrag aber vom Auftragnehmer den Willen zu großer Transparenz und Offenheit und vom Auftraggeber den Willen und die Kompetenz zum Mitwirken und Mitentscheiden.

8.1 Einleitung Crossrail ist eine neue Schnellbahnlinie quer durch London. In Ost-West-Richtung führt die Linie vom äußeren Rand des Großraums London mit Streckenführung an der Oberfläche direkt durch die City von London in Tunnellage. Hier im Innenstadtbereich sind mehrere Stationen mit Umsteigemöglichkeiten zu den bestehenden Linien und die Streckenführung als zwei eingleisige Tunnel zu errichten. Ein solches innerstädtisches Infrastrukturprojekt mit umfassenden und hoch komplexen Arbeiten im Spezialtief- und Tunnelbau lässt Änderungen -wenn nicht gar manche Überraschung- im Laufe des Baufortschritts erwarten. Der Auftraggeber hat hierzu ein Vertragsmodell gewählt, das gut geeignet ist, mit Änderungen umzugehen, den NEC Target Price Contract. Dabei wird in der Bauphase zunächst nach tatsächlichen Kosten mit Zuschlag abgerechnet und nach Bauende diese Summe gegen einen Zielpreis abgeglichen. Kostenüber- und -unterschreitungen werden nach einem bestimmten Schlüssel geteilt. Der vorliegende Beitrag schildert die dabei gemachten Erfahrungen aus Sicht des bauausführenden Unternehmens.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 136 8.2 Crossrail - ein Infrastruktur-Großprojekt quer durch London

8.2 Crossrail - ein Infrastruktur-Großprojekt quer durch London Crossrail ist der Name eines Infrastruktur-Mega-Projekts: eine neue Nahverkehrsverbindung quer durch den Großraum London in Großbritannien.

Bild 8-1 Crossrail ist eine neue Nahverkehrslinie quer durch London

Insgesamt 37 Stationen verbinden Maidenhead und Heathrow im Westen mit Shenfield und Abbey Wood im Osten. Mit geplanten 200 Millionen Passagieren jährlich wird Crossrail die Nahverkehrskapazität in London um 10 % erhöhen. Außerhalb des Stadtzentrums wird die Linie oberirdisch geführt. Dazu werden bestehende Eisenbahntrassen der Netze Great Eastern, Great Western und North Kent Mainlines mitbenutzt. Bahnhöfe und Gleise werden zum Teil erneuert bzw. umgebaut. Als Bauherr fungiert hier Network Rail, die englische Gesellschaft für Eisenbahn-Infrastruktur. Innerhalb des Stadtzentrums wird die Strecke in Tiefenlage geführt

Bild 8-2 Im Stadtzentrum verlaufen 21 km der Strecke im Tunnel

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Speziell mit dem Zweck, diese neue Verkehrsverbindung zu entwickeln und zu bauen, wurde im Jahre 2001 Crossrail Ltd (CRL) gegründet. Seit 2008 ist CRL eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Londoner Verkehrsbetriebe (Transport for London).

8.3 Tunnelabschnitte Der innerstädtische Streckenverlauf entlang der Stationen Paddington über Whitechapel bis Custom House und Stratford verläuft unterirdisch (Bild 8-3). Die zweiröhrigen Streckenabschnitte werden mit Tunnelvortriebsmaschinen aufgefahren. Die Stationen werden größtenteils bergmännisch in Spritzbetonbauweise erstellt. Zunächst waren Stationen und Vortriebe als getrennte Baulose ausgeschrieben. Die Arbeitsgemeinschaft BFK, bestehend aus den Firmen BAM Nuttall, Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Ferrovial und Kier, konnte aber mit einem logistischen Gesamtkonzept überzeugen und wurde deshalb mit dem gesamten Drive X beauftragt, d.h. der Strecke von Paddington bis Farringdon. Diese umfasst zwei Tunnelröhren von jeweils 6,8 km Länge bei einem Außendurchmesser von 6,80 m und den Stationen Paddington, Bond Street, Tottenham Court Road und Farringdon.

6,2 m Innen-∅ 6,8 m Außen-∅

Bild 8-3 Querschnitt des Tunnels

Zum Einsatz kommen zwei Erddruckschildmaschinen. Zur Montage der Maschinen und zur späteren Andienung steht im Bereich Westborne Park zwischen einer Autobahn und einer Bahnanlage nur eine relativ schmale Fläche zur Verfügung. Die TBM werden daher einige hundert Meter vor der Anschlagswand montiert und mit Schwerlasttrailern verfahren. Das Ausbruchsmaterial wird mit Förderbandanlagen von der Schildmaschine bis zur Oberfläche transportiert und dann auf den Bahntransport umgeschlagen. Im März 2012 starteten die ersten beiden Vortriebsmaschinen. Da aufgrund des engen Zeitplans und auch der engen Platzverhältnisse in der Station Farringdon ein Rückbau der TBM schwierig ist, verbleiben beide Schildmäntel im Boden. Dazu wird der Vortrieb aus der Gleisachse verschwenkt und soweit

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 138 8.4 Stationen weitergeführt, bis die Schildmäntel außerhalb der Trasse liegen. Die Nachläufer werden zurückgezogen und der verbleibende Schild wird ausbetoniert. Mittlerweile konnten alle Vortriebe abgeschlossen werden. Die Tübbinge werden in einem baustelleneigenen Fertigteilwerk ca. 16 km vom Tunnelportal entfernt produziert und mit LKW zur Baustelle transportiert. Es wurde stahlfaserbewehrter Beton verwendet. Um die Brandschutzanforderungen zu erfüllen, wurden zudem Polypropylen-Fasern beigegeben.

8.4 Stationen Die Stationen bestehen ebenfalls aus einzelnen Tunnelröhren, die jeweils einen Bahnsteig aufnehmen, und Tunnelröhren kleineren Durchmessers für die Zugangswege. Dazu kommen die Ticket Halls mit entsprechenden Baugruben. Die Stationen Bond Street und Tottenham Court Road werden dabei größtenteils bergmännisch in konventioneller Bauweise mit Spritzbetonsicherung aufgefahren. Auch die im Endzustand tragende Beton-Innenschale wird als faserverstärkter Spritzbeton eingebaut. Auf diese wird dann noch ein Brandschutzmörtel aufgetragen.

Bild 8-4 3D-Ansicht Tottenham Court Road Station einschließlich existierender U-Bahnlinien

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Bild 8-5 Querschnitt Station im Bahnsteigbereich im Bauzustand mit TVM-Tunnel und Spritzbeton-Röhre (Links: Plan, Rechts: Vor Ort)

Das Bauablaufskonzept beinhaltet, dass zunächst die TBM-Vortriebe die gesamte Strecke auffahren, und dass die Stationen erst im Anschluss daran gebaut werden, d.h. dass die Tübbingröhren für den Bahnsteigquerschnitt aufgeweitet werden. Daraus ergibt sich der Vorteil, dass nach dem Durchfahren der Stationen zunächst eine Röhre und nach Vortriebsende beide Röhren zur Andienung des Stationsausbaus genutzt werden können und das Ausbruchsmaterial auf die vorhandenen Förderbandanlagen aufgegeben werden kann: Das innerstädtische Transportaufkommen mit LKW reduziert sich dadurch erheblich.

Bild 8-6 3D-Planung und 3D-Druck komplexer Geometrien

Komplizierte geometrische Übergänge, die z.B. beim Zusammenführen von Zugangs- und Bahnsteigtunneln entstehen, werden dreidimensional geplant und im 3D-Druck visualisiert, was die Arbeitsvorbereitung und die Einweisung der Vortriebsmannschaften deutlich erleichtert (Bild 8-6).

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 140 8.5 Umgebung des Tunnels

8.5 Umgebung des Tunnels Wie man sich leicht vorstellen kann, wird der Londoner Untergrund bereits umfänglich genutzt. Beim Tunnelvortrieb im Baulos Drive X müssen ca. 925 Hauptabwasserleitungen, 3.420 Wasserleitungen und 650 Gasleitungen berücksichtigt werden. Des Weiteren queren neun andere U-Bahn-Linien die Trasse. Auf der Oberfläche stehen ca. 170 Gebäude im Einzugsbereich unter Denkmalschutz. Deshalb wird ein umfangreiches Monitoring- und Kompensationsinjektions- Programm umgesetzt. Bild 8-7 zeigt beispielhaft das Netz der Bohrungen und Lagen der Kompensationsinjektionen für die Station Tottenham Court Road. In Bild 8-7 sind zudem oben die bestehenden Tunnelröhren der Central-Line (rot) und rechts die Northern Line (grau) dargestellt. Die Schächte zur Herstellung der Bohrungen ergeben kleine Einzelbaustellen inmitten dichter Bebauung.

Bild 8-7 Netz der Kompensationsbohrungen Station Tottenham Court Road

Diese kurze Beschreibung des Bauvorhabens soll ersichtlich machen, dass trotz intensiver und gewissenhafter Planung mit geänderten Randbedingungen, Störungen im Untergrund und tagesaktuellen Einflüssen aus Verkehr und Nachbarschaft im Laufe der Bauabwicklung zu rechnen ist. Änderungen an der Planung für das Bauwerk und Anpassungen im Bauablauf sind also nicht auf eine mangelhafte Vorbereitung zurückzuführen, sondern -im Gegenteil- sogar geradezu „planmäßig“ zu erwarten. Für eine erfolgreiche Bauabwicklung ist es damit entscheidend, sich auch vertraglich auf die Abarbeitung zu erwartender Änderungen und Anpassungen vorzubereiten. Der Auftraggeber Crossrail hat sich deshalb zur Vergabe der Bauleistungen eigene Einkaufsrichtlinien [1] gegeben. Diese beinhalten, dass aus dem Katalog der Standardverträge NEC3 für die Hauptleistungen der Target Price Contract zur Anwendung kommt.

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8.6 NEC-Verträge Die NEC-Verträge (New Engineering Contracts) sind eine Familie an Standard-Verträgen für die Bauabwicklung. Sie sind so konzipiert, dass sie durch einfache Handhabung, Verständlichkeit und Flexibilität auf allen Projekten und unabhängig von der Projektgröße anwendbar sind. Sie bestehen aus einer Reihe unterschiedlicher standardisierter Vertragshefte. Weiter existieren Kommentare sowie Ablauf- und Prozessdiagramme, die selbst nicht Vertragsbestandteil sind, aber die zum besseren Verständnis in der praktischen Anwendung beitragen. Aktuell wird die dritte Version der NEC-Verträge angewendet, weshalb man auch von NEC3 spricht. Mit NEC3 steht der Praxis zudem ein kompletter Satz an Vertragsmustern und Vertragstypen vom Bauvertrag bis zum Lieferanten- oder Betriebsvertrag zur Verfügung. Der wohl wichtigste Vertrag der NEC3 Vertragssammlung ist der NEC „Engineering and Construction Contract“ (ECC). Dieser beschreibt das Vertragsverhältnis zur Erbringung einer Bauleistung mit oder ohne Planungsleistungen und regelt darin das Verhältnis zwischen Bauherr bzw. Auftraggeber und Bauunternehmen bzw. Auftragnehmer. Der ECC unterscheidet zwingend anzuwendende Vertragsbestandteile, wozu Leistungsbeschreibungen und die Beschreibung des Vergütungsmodells gehören, und wahlweise anzuwendende Vertragsbestandteile. Bild 8-8 zeigt den Vertragsaufbau des ECC im Schema.

Bild 8-8 Aufbau des NEC3 Engineering and Construction Contract (ECC)

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 142 8.7 Vertragsmodell Crossrail

Die Hauptbedingungen („core clauses“) enthalten u.a. Klauseln über die wesentlichen Vertragspflichten beider Vertragspartner wie Bauzeit, Abnahme und allgemeine Risikoverteilung. Für den ECC gibt es die verschiedenen Optionen A bis F, welche verschiedene Vergütungsmodelle beschreiben: Vom Pauschalpreis (Option A lump sum), Einheitspreisvertrag mit Leistungsverzeichnis (Option B), Selbstkostenerstattungsvertrag (Option E) bis zum Managementvertrag (Option F). Eine für deutsche Begriffe besondere Vertragsform ist Option C/D der „Target Price contract“. Bei diesem „Zielpreisvertrag“ wird während des Bauvertrages auf Kostenbasis vergütet und nach Bauende mit einem Zielpreis („Target Price“) verglichen: Bei Option C „with activity schedule“ mit Pauschalen und bei Option D „with bill of quantities“ nach Einzelpositionen und Aufmaß. Nach Projektabschluss werden Kostenunter- oder -überschreitungen der einzelnen Leistungsphasen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer nach einem gemeinsam festgelegten Schlüssel geteilt. Weitere Vertragsbestandteile sind die „Dispute Resolution Options“ (W1 und W2) zur Regelung für Streitigkeiten, die ebenfalls zu den zwingenden Vertragsbestandteilen zählen. Die „Secondary Options“ (X1 bis X20, Y und Z) können hingegen einzelfallbezogen wahlweise vereinbart werden.

8.7 Vertragsmodell Crossrail Für alle Hauptlose bei Crossrail kommt das NEC-ECC-Vertragsmodell Option C „Target Price with activity schedule“ zur Anwendung. Der „activity schedule“ ist ein Katalog an Leistungsbeschreibungen mit pauschalen Preisen, die in Summe den Target Price ergeben. Die Vergütung des Auftragnehmers (AN) ergibt sich jedoch zunächst nicht aus diesen pauschalen Preisen, sondern bestimmt sich aus den tatsächlichen Kosten, zuzüglich eines Zuschlags („fee“), den der Auftragnehmer in seinem Angebot spezifiziert. Dieser Zuschlag enthält allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn. Damit entspricht der „activity schedule“ mehr einem zahlungsauslösenden Ereignis (milestone) als einer Abrechnungspauschale.

8.7.1 Anrechenbare Kosten Die Bestimmung der Kosten -oder besser gesagt der Nachweis der aufgelaufenen Kosten- bedeutet in der praktischen Abwicklung, dass der Auftraggeber (AG) vollen Einblick in die kaufmännische Abwicklung des Projektes hat. Die Gesamtkosten ermitteln sich aus Lohn- und Gehaltskosten, Materialkosten, Gerätekosten, Nachunternehmerleistungen und sonstigen Kosten wie Bürgschaftskosten und Versicherungen. Im sogenannten „schedule of cost components“ ist festgelegt, welche Kosten wie angesetzt werden können. Hier ist beispielsweise beschrieben, dass Kosten für arbeitsmedizinische Untersuchungen der Mitarbeiter vergütet werden, krankheitsbedingte Lohnfortzahlung hingegen nur, wenn der Mitarbeiter mindestens drei Monate am Projekt eingesetzt war. Der AG ist sehr am optimalen „Kosten-Nutzen-Verhältnis“ der eingesetzten Mitarbeiter interessiert und wirkt bei der Auswahl geeigneter Mitarbeiter durch Prüfen von Lebensläufen und Teilnahme an Interviews mit.

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Nachunternehmerkosten sind nicht nur durch Rechnungen zu belegen, sondern auch durch zugehörige Verträge, damit der AG prüfen kann, ob beispielsweise ein Nachunternehmer auch vertragskonform abgerechnet und nicht überzahlt wird. Ist der Auftraggeber der Ansicht, die Kostenaufstellung des Auftragnehmers enthalte ungerechtfertigte Kosten (sogenannte „disallowed costs“), so bringt er diese bereits bei einer Abschlagsrechnung in Abzug. Dies kann der Fall sein, wenn die geforderte Vergütung durch die vorgelegten Unterlagen nicht ausreichend belegt ist oder die geforderte Vergütung dadurch entstanden ist, dass der AN entweder nicht gemäß der geprüften Arbeitsanweisung gearbeitet bzw. es versäumt hat, eine Abweichungsmeldung herauszugeben. Weiterhin ist es dem AG gestattet, Kosten für die Beseitigung von Mängeln oder Kosten für unnötig beschafftes Material oder Gerät abzuziehen. Man kann sich leicht vorstellen, dass in der Praxis zahlreiche Diskussionen zwischen AG und AN genau um diese „disallowed costs“ geführt werden.

8.7.2 Der Mechanismus des Zielpreises Am Ende der Baumaßnahme wird nun die Summe der Kosten mit dem Zielpreis (Target Price) verglichen. Ist die Summe der Kosten geringer als der Zielpreis, so wird diese Einsparung zwischen AG und AN geteilt. NEC-ECC lässt offen, wie hier aufgeteilt wird. Dies ist projektspezifisch festzulegen. Bei Crossrail erhält der AN die halbe Differenz als Bonusvergütung, d.h. die Einsparung wird 50/50 zwischen AN und AG geteilt. Ist die Summe der Kosten höher als der Zielpreis, so vergütet der AG - wiederum Regelung Crossrail - nur die halben Kosten, die den Zielpreis übersteigen, d.h. der AN muss selbst für die halben Kosten, die den Zielpreis übersteigen, aufkommen. Für die Kosten über dem Zielpreis wird ebenfalls kein Zuschlag vergütet. Der Zielpreis kann während des Projektverlaufs angepasst werden. Treten unvorhergesehene Ereignisse ein, die der Risikosphäre des AG zugerechnet werden, so wird der Zielpreis um die daraus resultierenden Kosten plus Zuschlag erhöht. Stimmt der AG hingegen einem Vorschlag des AN zur Kostensenkung zu, so bleibt der vereinbarte Zielpreis unangetastet.

8.8 NEC-ECC in der praktischen Umsetzung Das NEC-ECC Target Price-Vertragsmodell hat erhebliche Auswirkungen auf die Abwicklung der Baumaßnahme. Der erste und ganz entscheidende Ausgangspunkt ist die unabdingbare völlige Transparenz zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Diese Voraussetzung ergibt sich zum einen aus der Notwendigkeit der Kostennachweise, d.h. der Offenlegung von Lieferanten- und Nachunternehmerverträgen und der Buchhaltung. Zum anderen bedingt auch das gemeinsame Entscheiden von Sachverhalten, Bauabläufen und Ressourcenplanungen eine Mindesttransparenz. Mitarbeiter, die beispielsweise aus einer deutschen Bauvertragslandschaft kommend erstmals in einer NEC Target Price-Umgebung arbeiten, sehen in dem offenen und transparenten Umgang zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer einen der größten, wenn nicht gar den größten Unterschied. Dieser Umstand spiegelt sich auch ganz praktisch darin wider, dass sich Mitarbeiter von AG- und AN-Seite ein Großraumbüro teilen und Tisch an Tisch sitzen (Bild 8-9).

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 144 8.8 NEC-ECC in der praktischen Umsetzung

Bild 8-9 Typisch für Großbritannien: Das Großraumbüro, und beim NEC3 sitzen Aufraggeber und Auftragnehmer Tisch an Tisch

Eine zweite Grundvoraussetzung zur erfolgreichen Umsetzung eines NEC Target Price-Vertrages ist die technische und baubetriebliche Kompetenz auch auf Auftraggeberseite, die ein gemeinsames Diskutieren und Entscheiden von Sachverhalten erst ermöglicht. Im Vergleich zu einem Pauschalpreisvertrag, „bei dem der AG nach Vertragsunterzeichnung erst zur Abnahme wieder kommt“, gilt es beim Target Price-Vertrag nicht nur den gesamten Arbeitsablauf, sondern auch den gesamten Ressourceneinsatz detailliert zwischen AG und AN abzustimmen, schon allein um Diskussionen über nötigen oder unnötigen Ressourceneinsatz zu vermeiden. Dies erfordert ausreichende Sachkenntnis bei beiden Vertragspartnern. Sind die Grundvoraussetzungen Transparenz und Sachkenntnis erfüllt, so wirkt der Kostenteilungsmechanismus als Motivator, eine insgesamt hinsichtlich Qualität, Kosten und Termin optimale Baustellenabwicklung zu erreichen. Auch der AG ist schließlich daran interessiert, die Kosten gering zu halten bzw. das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis zu bekommen. Ebenso ist natürlich auch der AN an geringen Kosten interessiert, schließlich will er das Risiko einer Kostenbeteiligung bei Kosten oberhalb des Zielpreises vermeiden. Ergeben sich Änderungen im Baukonzept oder Bauablauf, so bleibt auch hier die Motivation beider Parteien zunächst zielgerichtet auf Kostenminimierung, auch wenn beide Seiten im Anschluss natürlich -und wahrscheinlich zunächst konträr- diskutieren werden, ob der Zielpreis erhöht wird oder nicht, d.h. welcher Risikosphäre das Ereignis zuzuordnen ist. Primär, und das zeigt die praktische Erfahrung mit NEC Target Price-Verträgen, bleibt aber die schnelle Lösungsfindung. Über den Mechanismus der Kostenerstattung mit Zuschlag in der Bauphase und dem Bonus-Malus-Ausgleich am Projektende ist zudem die laufende Finanzierung und Liquidität der Baustelle gesichert. Insofern

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Geteilter Erfolg ist doppelter Erfolg - Erfahrungen aus dem Projekt Crossrail 145 können sich beide Parteien mit konfliktreicheren Themen wie eben der Anpassung des Targets mehr Zeit lassen. Der wesentliche Vorteil des Target Price-Modells liegt darin, dass der Mechanismus der Kostenteilung zu einem für AG und AN gleichgerichteten Ziel führt. Gerade im Vergleich mit VOB-Einheitspreis- oder auch Pauschalverträgen wird dies offensichtlich. VOB-Projekte sind oft dadurch blockiert, dass kein Vertragspartner den ersten Schritt machen will, keinen „Fehler machen“ will und daher viel lieber auf den anderen Vertragspartner „wartet“, nach dem Motto, „den Ball im gegnerischen Feld lassen“. Beim Modell Kostenteilung gibt es immer nur halbe Gewinner oder halbe Verlierer, AG und AN sind daher immer auf der gleichen Spielfeldseite. Geteilter Erfolg wird damit zu doppeltem Erfolg. Es darf aber natürlich nicht gefolgert werden, das Target Price-Modell sei ein Modell gegen jegliche Kostensteigerungen, Bauzeitüber- schreitungen oder gar ein Garant für Budgettreue. Es vermeidet auch nicht, Meinungsdifferenzen zwischen AG und AN lösen zu müssen. Es ist aber ein Modell, das es besser schafft, dass AG und AN -in Anbetracht der gegebenen Umstände- gemeinsam nach den geringstmöglichen Kosten und der kürzest möglichen Bauzeit streben. Der NEC-Vertrag hat selbstverständlich im Detail noch zahlreiche Regelungen, die ebenfalls Auswirkungen auf den Baustellenalltag und den Baustellenerfolg haben. Beispielsweise kann hier der Zwang zur Vereinbarung einer außergerichtlichen Streitbeilegung (Dispute Resolution) genannt werden. Es würde aber in diesem Beitrag zu weit führen, auf alle Detailregelungen einzugehen.

Literaturverzeichnis [1] Crossrail (2010): Procurement Policy Rev. 8, 2010 [2] Blaschko, Michael (2014): Target Price Modell als Mittel gegen Kostenexplosion am Bau?, Unternehmerbrief Bauwirtschaft, 37. Jahrgang, Mai 2014, S. 3-8 [3] Blaschko, Michael (2016): Crossrail - Eine neue Verbindung durch Londons Unterwelt, Vortrag Tunnelbausymposium, Universität der Bundeswehr, München, 2016

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Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Skandinavische Infrastrukturprojekte: Anspruch und Wirklichkeit - Ein Rundgang anhand von Beispielen 147

9 Skandinavische Infrastrukturprojekte: Anspruch und Wirklichkeit - Ein Rundgang anhand von Beispielen

Dipl.-Ing. Martin Holfelder, Dipl.-Ing. Jörn Hölk Implenia Infrastructure GmbH, Global Projects, München

Zusammenfassung In diesem Beitrag werden ausgewählte skandinavische Infrastrukturprojekte der Implenia Construction GmbH, vormals Bilfinger aus der Gegenwart sowie der näheren Vergangenheit mit ihren typisch technischen Merkmalen und ihren unterschiedlichsten Vertragsformen vorgestellt und diskutiert. Neben der Beschreibung der Baumaßnahme wird für jedes Projekt auch eine kurze Darstellung der spezifischen Vertragscharakteristika gegeben. Besonderes Augenmerk wird neben Vertrag, Technik und Finanzen aber auch auf die landesspezifischen Eigenheiten und die sich daraus ergebenden besonderen Herausforderungen gelegt und es wird aufgezeigt, welchem Wandel der Markt in den letzten Jahren unterzogen wurde, und welche Themenkreise hieraus für die örtlichen Auftraggeber, aber auch die nationalen wie internationalen Baufirmen erwachsen sind. Kulturelle Aspekte und die sprachliche Barriere stellen die stetig steigende Anzahl von internationalen Firmen auf dem skandinavischen Markt vor ganz besondere Aufgaben. Zusätzlich erhöhen fallende Preise den Druck sowohl auf Auftragnehmer als auch auf Auftraggeber und erfordern eine stringente Vertragsadministration, die wiederum dem in Skandinavien üblichen Verständnis der Zusammenarbeit, der so genannten „Samverkanskultur“, vermeintlich entgegensteht. Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form die bisher überwiegend ausgewogene Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer durch die aktuellen Veränderungen beeinflusst wird, und wie sich die offene und kooperative Zusammenarbeit zwischen AG und AN zukünftig entwickelt. Es gibt bereits erste Anzeichen bei aktuellen Projekten, die Verträge derart zu gestalten, dass der Auftragnehmer zukünftig mehr Risiko übernehmen muss. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, ist es durchaus möglich, dass sich der skandinavische Infrastrukturmarkt dem englischen Markt annähert, der ebenfalls einerseits einen sehr hohen Stellenwert auf „weiche“ Kriterien legt, aber andererseits eben auch durch eine überaus aufwändige Vertragsadministration gekennzeichnet wird.

Summary In this paper selected Scandinavian infrastructure projects will be presented with different forms of contracts. In addition to a project description the type of contract will be given for each project.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 148 9.1 E04 Förbifart Stockholm, FSE 403 Johannelund

This is followed by an overview of the different contractual forms, the notion and discussion of typical characteristics of Scandinavian infrastructure projects from the perspective of the authors. The local characteristics and challenges of the Scandinavian market will be highlighted. Moreover, it is shown that the Scandinavian market has undergone a change, which imposes new crucial issues on clients and contractors. Cultural aspects and the language barrier create particular challenges for international contractors. In addition, falling prices increase the pressure both on contractors and clients and require a strict contract administration, which in turn pretended counteracts the usual in Scandinavian "Samverkanskultur". It remains to be seen whether and in what form the usually well balanced distribution of risks between client and contractor will be affected by the current changes and whether the open and cooperative collaboration will change in the future. There are signs in current projects that the contractor will have to assume more risk in the future. If this development will be confirmed, it is quite possible that the Scandinavian infrastructure market approximates the English market, which also puts a very high focus on soft criteria, but on the other hand is characterized by a very complex and strict contract administration.

9.1 E04 Förbifart Stockholm, FSE 403 Johannelund

9.1.1 Projektbeschreibung Die Umfahrung Stockholm -Förbifart Stockholm- ist der Neubau einer dreispurigen Stadtumfahrung, der den Süden Stockholms in Kungens Kurva mit dem Norden in Häggvik verbindet. Die Förbifart ist dabei integraler Bestandteil des Ausbaus der europäischen bzw. schwedischen Fernverkehrsstraße E4. Um die Auswirkungen dieser Baumaßnahme auf die empfindliche Umwelt und das kulturelle Leben zu minimieren, werden circa 18 km der insgesamt 21 km langen Förbifart als Tunnel in einer Tiefenlage von bis zu 70 m unter Gelände realisiert. Bei Inbetriebnahme wird die Umfahrung Stockholm einer der längsten Straßentunnel der Welt sein. Nach Schätzungen der schwedischen Verkehrsbehörde Trafikverket soll die Förbifart im Jahre 2035 von etwa 140.000 Fahrzeugen pro Tag befahren werden. Die Gesamtkosten der Förbifart belaufen sich auf Basis von Kostenschätzungen aus dem Jahre 2009 auf 2,98 Milliarden Euro. FSE 403 Johannelund ist das erste von sechs Tunnellosen auf der Förbifart und schließt im Süden an das Los FSE302 Norra Lovö und im Norden an das Los FSE 410 Lunda an, welches ebenfalls von Implenia ausgeführt wird. Das Los Johannelund liegt nordöstlich des Stadtzentrums Stockholm in einer Projektumgebung, die durch eine Mischung aus Wohnbebauung, Industrie und Handel sowie unbebauten Bereichen charakterisiert wird.

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Bild 9-1 Übersichtskarte Förbifart Stockholm

Bild 9-2 FSE 403 Johannelund Projektumgebung

Das Projekt Johannelund beinhaltet im Wesentlichen folgenden Leistungsumfang: • 2 x 3.600 m dreispuriger Haupttunnel mit einem Regelquerschnitt von ca. 120 m² und Aufweitungsquerschnitten im Bereich der Rampenanbindungen von bis zu 320 m², • einspurige Auf- und Abfahrtsrampen mit einer Länge von insgesamt 2.739 m,

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 150 9.1 E04 Förbifart Stockholm, FSE 403 Johannelund

• vier Zugangstunnel, • Querschläge im Bereich der Rampen und der Haupttunnel im Abstand von 100 m, • acht unterirdische Technikräume, • fünf Ventilationskavernen mit Zu- und Abluftschächten, • umfangreiche HDI Injektionen im Bereich der Stadtstraße Lövstavägen zur Sicherung des Tunnelvortriebs bei geringer Felsüberdeckung, • Trogbauwerk und Betontunnel für die Rampenzufahrt Johannelund, • Spundwandarbeiten zur Sicherung der bestehenden T-Bahn Station Johannelund sowie für die Baugrubensicherung im Bereich des Zugangstunnels Skattegårdvägen.

9.1.2 Skandinavische Tunnelbauweise In der Regel werden Tunnelprojekte in Skandinavien durch eine kompetente und vortriebsfreundliche Geologie charakterisiert. Das übliche Vortriebsverfahren ist der Sprengvortrieb. Die in Johannelund anzutreffenden Verhältnisse (kompetente Gneise und Granite) bilden hier keine Ausnahme. Mit über 70 % des Vortriebs in Bergklasse I (Q-Werte > 10) wird bei diesem Projekt der Sprengvortrieb im Vollausbruch mit Abschlagslängen von 5,80 m gewählt. Nur in Bereichen großer Querschnitte werden die Ortsbrust halbseitig geteilt und die Abschlagslängen nach Bedarf reduziert. Die Ausbruchsicherung erfolgt nach einem standardisierten Schema in Abhängigkeit der Querschnittsgröße (Spännviddsklass A bis E) und der Bergklasse (I bis IV). Um die Standfestigkeit des Gebirges zu verdeutlichen, wird beispielhaft nachstehend die Bandbreite der Sicherungsmittel aufgeführt: • Bergklasse I: Selektivanker und 50 mm Spritzbeton mit Ausnahme der Spannweitenklasse D/E (Spannweiten zwischen 21 m und 32 m), bei der in der Firste anstelle der Selektivanker eine Systemankerung ausgeführt wird. • Bergklasse II - IV: Selektiv- / Systemanker und 50 bis 100 mm Spritzbeton. Trotz der im Vergleich zur NÖT sehr geringen Sicherungsmittel stellen diese einen Teil des permanenten Ausbaus der Tunnelröhren dar. Nach jedem dritten Abschlag wird die systematisch vorauseilende Abdichtungsinjektion (24 m lange Injektionsschirme) mit einer Überlappung von mindestens 6 m zum rückwärtigen Injektionsschirm ausgeführt. Sie soll den permanenten Wasserzutritt auf das vertraglich vorgesehene Minimum reduzieren. Das durch die Injektionen „vergütete“ Gebirge in Kombination mit den vorgenannten beschichteten Ankern und dem Stahlfaserspritzbeton stellt nun das eigentliche, endgültige Bauwerk dar. Die nachträglich eingebaute Innenauskleidung hat mit Ausnahme der Tragwirkung für das Eigengewicht und Anpralllasten keinerlei statische Funktion für die Hohlraumsicherung; sie dient im Wesentlichen als Frost- und Tropfwasserschutz. Die Herausforderung bei der Skandinavischen Tunnelbauweise besteht daher nur sehr untergeordnet aus der Beherrschung der Geologie, sondern vielmehr in der Erreichung der

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Leistungswerte der Einzelaktivitäten sowie der Logistik und der gesamthaften Taktung der Zyklen, die nicht selten als so genannte Wechseldrift ausgeführt werden. Beispielsweise sind für einen Abschlag im Regelquerschnitt ca. 1.500 m Sprenglöcher zu bohren und nach der Sprengung ca. 1.200 m³ Fels in kürzester Zeit zu schuttern. Die Tunnelinnenauskleidung besteht aus einer abgehängten 10 cm starken Spritzbetondecke und Fertigteil-Wandelementen mit Abmessungen von 3 x 5 m und einer Dicke von 20 cm. Auf der Außenseite der Auskleidung übernimmt eine Membran die abdichtende Funktion. Zum weiteren Tunnelausbau gehören darüber hinaus der Grundleitungs- sowie der Straßenbau. Letzterer ist je nach Anforderung entweder mit einer Betonfahrbahn oder mit einer Asphalttragschicht zu realisieren.

Bild 9-3 Skandinavischer Sprengvortrieb (hier geteilte Ortsbrust)

Bild 9-4 Innenauskleidung mit abgehängter Spritzbetondecke und Wandelement- Fertigteilen

Im Folgenden dieses Beitrags wird die Skandinavische Tunnelbauweise wiederholt erwähnt. Trotz einiger Unterschiede zum Projekt Johannelund wird auf eine erneute Beschreibung der Technik verzichtet und auf die zuvor beschriebenen systembedingten Merkmale verwiesen, da die Unterschiede von untergeordneter Natur sind. Beispielsweise werden anstelle von ebenen

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Fertigteilen gekrümmte Fertigteile eingesetzt, oder die Fertigteile im Bereich der Wände entfallen zu Gunsten einer Spritzbetonauskleidung. Weiterhin können Wandstärken variieren oder -wie z.B. in Norwegen- bei der abgehängten Decke zusätzlich eine Frostschutzschicht aus PE Schaum in Kombination mit der Abdichtungsmembran zur Ausführung kommen.

9.1.3 Vertragsform Der Bauvertrag für das Projekt Johannelund ist eine Kombination aus Einheitspreisvertrag (Arbetshandling) und pauschaliertem Design und Build Vertrag (‚Förslagshandling‘). Sprengvortrieb und Straßenbau gehören zur „Arbetshandling“ und werden über Einheitspreise abgerechnet, während die Innenauskleidung und die Ingenieurbauwerke zur „Förslagshandling“ gehören, bei der der AN auf der Basis von technischen Spezifikationen das Design macht. Die Bauleistung wird hierbei über Teilpauschalen abgerechnet.

Bild 9-5 Schematische Übersicht Arbetshandling und Förslagshandling

In Schweden wird mit einem Standardleistungstext, dem sogenannten „AMA Code Anläggning“ gearbeitet. Die Standardtexte werden bei den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen durch projektbezogene Spezifikationen und Beschreibungen ergänzt. Geänderte oder zusätzliche Leistungen im Leistungsumfang der ‚Arbetshandling‘ werden über die Abrechnungsmengen der Einheitspreise geregelt oder gesondert über Nachträge (ÄTA) beauftragt. In Abwesenheit geeigneter Leistungspositionen ist es in Schweden nicht selten üblich, geänderte oder zusätzliche Leistungen anstelle von Nachtragsangeboten auf Kostennachweis abzurechnen (Cost + Fee), um die Transparenz bei der Auftragsabwicklung zu gewährleisten. Der anzusetzende Zuschlag (Fee) wird hierfür bereits im Vorfeld vertraglich vom AG vorgegeben bzw. vom AN angeboten. Das Zuschlagskriterium für Auftragsvergabe war zu 100 % der Angebotspreis mit einer vorgeschalteten Bieterauswahl mittels eines Präqualifikationsverfahrens. Die Vertragssprache ist Schwedisch, sowohl mündlich als auch schriftlich.

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9.2 E39 Eiganestunnel, Stavanger, Norwegen

9.2.1 Projektbeschreibung Der Eiganestunnel auf der Europastraße E39 ist Teil der Küstenstraße zwischen Kristiansand und Trondheim in Norwegen und wird zusammen mit dem Projekt Rv.13 Ryfast realisiert, welches die Stadtbezirke Strand und Stavanger verbindet. Dieses Straßentunnelprojekt soll die Stadt Stavanger vom Durchgangsverkehr entlasten und die Verkehrssicherheit erhöhen.

Bild 9-6 Schematische Übersicht Arbetshandling und Förslagshandling

Das Projekt umfasst den Bau des neuen 3,7 km langen, zweispurigen Eiganestunnel mit zwei Tunnelröhren von Schancheholen im Süden bis Tasta in Norden. Hinzu kommen ein 1,3 km langes Teilstück des Hundvågtunnels, sowie 245 bis 520 m lange Auffahrts- und Abfahrtsrampen in Gamlingen und Madlaveien. Die Tunnelröhren sind durch Querschläge alle 250 m untereinander verbunden. Ein ca. 1,5 km langer Abschnitt der bestehenden vierspurigen E39 zwischen Schancheholen und Madlaveien wird mit einem 160 m langen Durchlass und vier Kreisverkehren ausgebaut. Die Rampen- und Portalbereiche werden mit komplexen Ingenieurbauwerken und Tunnel in offener Bauweise realisiert. Für die Herstellung der Baugruben und Voreinschnitte sind ca. 8.500 m² Spundwände erforderlich. 10.000 m² Lärmschutzwände und diverse Landschafts- bauarbeiten gehören ebenfalls zum Leistungsumfang des Projekts. Insgesamt sind fast 11 km Tunnel im Phyllit in der Skandinavischen Tunnelbauweise (vgl. 9.1.2) aufzufahren und sieben Tunnelportale zu erstellen, was einen Felsausbruch von etwas mehr als 1.000.000 m³ und den Einsatz von fast 100.000 m³ Spritzbeton / Ortbeton erfordert. Die Ausbruchsquerschnitte der Haupttunnel und Rampen variieren zwischen 57 und 103 m². Für den Anschluss der Rampen an die Haupttunnel erfolgt eine Aufweitung bis auf 212 m². Der Eiganestunnel kreuzt einen existierenden Abwassertunnel und den Byhaugtunnel mit geringer Überdeckung. Aufgrund der innerstädtischen Lage der Tunnel und der Geländenähe werden an

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 154 9.3 Citybanan Stockholm, Odenplan und Vasatunnel die Sprengarbeiten besondere sprengtechnische Anforderungen hinsichtlich der Vibrationen gestellt. Das Ausbruchmaterial wird auf einer ca. 10 km entfernten Deponie zur Landverfüllung verwendet.

9.2.2 Vertragsform Der Eiganestunnel wird über einen Einheitspreisvertrag abgerechnet. Bei Mengenänderungen wird die Vergütung über die Einheitspreise reguliert, die Anpassung der Bauzeit erfolgt dagegen nur z.T. über das vom Auftragnehmer gelegte Angebot (Urkalkulation). Der Vertrag sieht bei Mengenänderung der Sicherungsmittel und bei erschwerten geologischen Verhältnissen eine Anpassung der Bauzeit auf Basis von vom Auftraggeber fest definierten sogenannten „Äquivalenz-Leistungswerten“ vor. Dies betrifft im Wesentlichen die nachstehenden Teilleistungen: • Bohren und Versetzen von Ankern < 5 m • Bohren und Versetzen von Ankern > 5 m • Gittern (Netzbewehrung) • Injektionsbohrlöcher und Probebohrungen • Spritzbeton (inkl. Rüstzeit) • Mehraufwand Abschlagslänge < 4 m • Mehraufwand geteilte Ortsbrust Sollte sich bei der Nachrechnung bei Projektende eine Bauzeitverlängerung ergeben, sind hierbei die ersten fünf Wochen durch den Auftragnehmer zu tragen. Das Zuschlagskriterium bei Auftragsvergabe war zu 100 % der Angebotspreis. Die Vertragssprache ist Norwegisch, sowohl mündlich als auch schriftlich.

9.3 Citybanan Stockholm, Odenplan und Vasatunnel

9.3.1 Projektbeschreibung Das Baulos „Odenplan und Vasatunnel“ ist Teil des Gesamtprojektes Citybanan Stockholm, einem ca. 6 km langen Eisenbahntunnel unter der Innenstadt von Stockholm. Mit Inbetriebnahme wird das Citybanan Projekt eine verbesserte Pendelzugverbindung ins Stockholmer Umland ermöglichen. Die Projektumgebung zeichnet sich durch eine hohe Anwohnerdichte mit vielen setzungs- und vibrationsempfindlichen Gebäuden aus (z.B. Kirchen und Laboreinrichtungen). Das Baulos grenzt im Norden an das Baulos „Betontunnel Tomteboda“ und im Süden an das Baulos „Norrmalmtunnel“. Der Bahnhof Odenplan, eine 700 m lange Felskaverne unter einem bereits bestehenden U- Bahnhof, wird über eingleisige Tunnel nördlich und südlich der Bahnsteige an den zweigleisigen

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Skandinavische Infrastrukturprojekte: Anspruch und Wirklichkeit - Ein Rundgang anhand von Beispielen 155

Streckentunnel angeschlossen. Der Vasatunnel weist eine Länge von 1.170 m auf. Parallel zum Tunnel wird auf der gesamten Länge ein durchgehender Flucht- und Servicetunnel erstellt, der mit insgesamt 13 Querschlägen an das Hauptbauwerk angeschlossen ist. Zusätzlich wurden zwei weitere Zugangstunnel hergestellt. Der Zugangstunnel Tomteboda, bestehend aus einem Betontunnel und einem Felstunnel, wird als permanenter Zugang genutzt und führt unter den Gleisen der Värtabahn zum Servicetunnel. Der Zugangstunnel Norra Stationsgatan dient als Arbeitstunnel und wurde mit Ende der Baumaßnahme wieder verschlossen. Der Bahnhofsbereich Odenplan ist über die Zugänge und Schalterhallen Odenplan und Vanadisvägen zu erreichen. Dabei ist der Zugang Odenplan an den bestehenden Zugang angeschlossen. Die Schalterhallen wurden in einer offenen Baugrube mit überwiegendem Felsaushub hergestellt. Die Schalterhalle Vanadisvägen und der Bahnsteig wurden mit einem ca. 90 m langen Zugangstunnel verbunden. Die Belüftung der Station erfolgt über die Lüftungsschächte und -tunnel Hälsingehöjden und Vasa Real. Die Ausbrucharbeiten der Tunnel, Kavernen und Querschläge im Stockholmer Granit erfolgten ausschließlich im Sprengvortrieb der Skandinavischen Tunnelbauweise (vgl. 9.1.2). Insbesondere im Abschnitt Odenplan erforderten diverse Verzweigungs- und Verschneidungsbereiche nicht nur die Anpassung des Vortriebs an unterschiedlichste Querschnitte (von 20 bis 430 m²), sondern stellten auch hohe Anforderungen an die Herstellung und Logistik des Innenausbaus. Die innerstädtischen Sprengarbeiten wurden durch höchste sprengtechnische Anforderungen und intensive Überwachungsmaßnahmen charakterisiert. Gemessen an den Passagierzahlen ist Odenplan nach Fertigstellung der Arbeiten der zweitgrößte U-Bahnhof Schwedens.

Bild 9-7 3D Model für die Ausbrucharbeiten Odenplan

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 156 9.4 Citytunnel Malmö Los E201, Schweden

9.3.2 Vertragsform Aufgrund seiner Komplexität und der hohen Anforderungen hat der Kunde die Cost plus Fixed Fee-Vertragsform gewählt. Das heißt, die Abrechnung erfolgte auf Basis eines Kostennachweises inkl. festen Zuschlags (Fixed Fee) für Geschäftskosten und Gewinn sowie anteiligen direkten Kostenkomponenten, wie z.B. Versicherungen, Reisekosten und Kleingeräte. Die Bemessungs- grundlage für den Zuschlag war der angebotene Richtpreis, der sogenannte „Target Price“. Eine Anpassung des Richtpreises erfolgte auf Basis von beauftragten Nachträgen, die jedoch ein Einzelvolumen von mehr 500.000,- € haben mussten. Sofern Kostensteigerungen nicht durch Nachträge begründet werden konnten, erfolgte die Vergütung auf Kostennachweis, aber mit einem reduzierten Zuschlag. Dieses Vertragsmodell basiert auf einer hohen Transparenz („open book“) und enger Kooperation zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Die Wahl der Bauverfahren, die Beauftragung von Lieferanten und NU sowie die Koordination der Arbeiten erfolgten in engster Abstimmung mit dem Kunden. Diese Vorgehensweise ist die Basis für eine Kostenerstattung sämtlicher Kosten. Der Vertrag sah darüber hinaus Boni für Qualität, Arbeitssicherheit und Termintreue vor. Die Auswahl des Auftragnehmers (Zuschlagskriterium) erfolgte über das wirtschaftlich günstigste Angebot. Bei der Angebotsabgabe forderte der AG zusätzlich zum Preis eine Beschreibung zur Auftragserfüllung und vergab bei der Angebotswertung Punkte für die vorgeschlagenen Konzepte. Mit diesem Punkteverfahren wurde ein Mehrwert errechnet, der bei der finanziellen Bewertung des Angebotes berücksichtigt wurde. Das wirtschaftlich günstigste Angebot war der angebotene Target Price abzüglich des errechneten Mehrwerts. Die Vertragssprache war Schwedisch. Die Kommunikation auf der Baustelle erfolgte in Schwedisch und Englisch.

9.4 Citytunnel Malmö Los E201, Schweden

9.4.1 Projektbeschreibung Der Citytunnel Malmö ist Teil des insgesamt 17 km langen Eisenbahn-Infrastrukturprojekts zur Verbesserung der Anbindung des schwedischen Schienennetzes über die Öresundbrücke an Dänemark und das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz. Das Baulos E201 war das größte Los des Gesamtprojektes und umfasst einen 4,6 km langen doppelröhrigen Tunnel, eine 280 m lange Kaverne als neuen unterirdischen Bahnhof (Station Triangeln), eine 800 m lange Einfahrtsstrecke in offener Bauweise in Holma, 13 Querschläge, vier Druckausgleichsschächte und zwei Notausstiege sowie eine 88 m lange und 12 m breite Straßenbrücke über den Rampenbereich Holma mit einer Spannweite von 40 m. Die 440 m lange Rampe der Einfahrtsstrecke in Holma wurde in einem bis zu 7 m tiefen Einschnitt hergestellt. Die sich anschließenden 360 m langen, in offener Bauweise hergestellten Tunnel- bauwerke sind mit einem Querschlag verbunden und bestehen aus WU-Beton.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Skandinavische Infrastrukturprojekte: Anspruch und Wirklichkeit - Ein Rundgang anhand von Beispielen 157

Bild 9-8 Übersichtskarte Los E201 Citytunnel Malmö

Die Tunneltrasse verläuft im Bryozoenkalk mit lagenweise stark schwankenden Festigkeiten und Flynsteineinlagerungen. Der Tunnel wurde im Schildvortrieb mit zwei Erddruckschilden mit einem Durchmesser von 8,93 m bei Überdeckungen von bis zu 20 m aufgefahren. Für die Herstellung der Tübbinge wurde eine eigene Feldfabrik vor Ort errichtet. Die Querschläge entstanden in Spritzbetonbauweise. Die Station Triangeln wurde in einer 300 m² großen Felskaverne in Spritzbetonbauweise erstellt. Der Vortrieb erfolgte mit zwei Teilschnittmaschinen als dreiteiliger Querschnitt mit einem vorauslaufenden Pfeilerstollen mit 29 Pfeilern aus selbstverdichtendem Beton und zwei nachfolgenden Seitenröhren. Während der Herstellung wurde im Bereich des Bahnhofes der Grundwasserspiegel temporär abgesenkt, wobei ein Großteil des Wassers wieder im Untergrund reinfiltriert wurde.

9.4.2 Vertragsform Der Vertrag für den Citytunnel Malmö war ein funktionaler, pauschalierter Design- und Build- Vertrag. Aufgrund der Komplexität des Projekts und des in Schweden seltenen Vortriebsverfahrens, hatte die Darstellung der Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers einen hohen Stellenwert bei der Angebotswertung: • 60 % Preis, • 20 % Kooperation, Management und Organisation, • 10 % Umwelt und Arbeitssicherheit, • 10 % Technik. Auch beim Projekt Citytunnel Malmö wurden Bonuszahlungen für Qualität, Arbeitssicherheit und Termintreue vertraglich geregelt. Vertragssprache war schwedisch, wobei das Tagesgeschäft im Büro als auch auf dem Baufeld in englischer Sprache ausgeführt werden durfte. Vertragsrelevanter Schriftverkehr sowie die Baubesprechungsprotokolle mussten in schwedischer Vertragssprache sein.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 158 9.5 E18 Grimstad - Kristiansand, Norwegen

9.5 E18 Grimstad - Kristiansand, Norwegen

9.5.1 Projektbeschreibung E18 Grimstad-Kristiansand war 2005 das dritte auf einem PPP-Modell basierende Pilot-Projekt im norwegischen Verkehrswesen (Betrieb 25 Jahre). Der Abschnitt zwischen Grimstad und Kristiansand ist Teil der Fernstraße, die entlang der Küste von Oslo bis in den Süden des Landes führt. Für die Anbindung Norwegens an Kontinentaleuropa stellt die E18 einen bedeutenden Transportkorridor dar und dient gleichzeitig als maßgebliche Verkehrsader für Schwer- und Leichtverkehr in dieser Region. Der Neubau dieser ca. 38 km langen vierspurigen Autobahn umfasste neben mehreren Brücken- und Ingenieurbauwerken sieben Autobahntunnel mit Einzellängen von 130 bis 2.210 m. Die Länge aller Tunnel beläuft sich auf ca. 11,7 km. Die in der Skandinavischen Tunnelbaumethode (vgl. 9.1.2) hergestellten zweispurigen Doppelröhren wurden in Abständen von 250 m durch Querschläge verbunden und weisen alle 500 m eine Pannenbucht je Fahrtrichtung auf. Das nahezu unerschlossene Projektgebiet und die abwechslungsreiche Topografie stellten höchste Anforderungen an die bauzeitlichen Zuwegungen zur Haupttrasse, die Logistik, den Materialumschlag sowie die Schnittstellenkoordination zwischen einzelnen Gewerken und der Vielzahl an örtlich getrennten Baustellen. Allein für den Zugang zum Projekt war die Herstellung von 60 km Neben- und Zufahrtsstraßen erforderlich. Insgesamt wurde für den Straßenbau etwas über 1.000 ha Wald gerodet und fünf Millionen m³ Fels gesprengt. Neben den sieben bergmännischen Tunneln waren insgesamt sechs Großbrücken, 55 kleinere Brückenbauwerke, ein Tunnel in offener Bauweise und 32 Durchlässe für Straßen und Gewässer erforderlich, um das Gelände zu überwinden.

Bild 9-9 Projektübersicht E18

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9.5.2 Vertragsform Das Projekt ist -wie schon erwähnt- ein PPP-Projekt, bei dem der Bauherr States Vegvesen einen Konzessionsvertrag für die Finanzierung, den Bau und den 25-jährigen Betrieb an eine Projektgesellschaft vergeben hat. Die beauftragte Projektgesellschaft war der Bestbieter aus einem vierköpfigen Bieterfeld, das sich für die Angebotslegung vorab präqualifizieren musste. Die beauftragte Projektgesellschaft wiederum hat den Bau in Form eines Turnkey Design und Build Vertrag pauschal an eine Bau-Arge vergeben. Mit diesem Vertrag wurde der Bau-Arge das Engineering und die Ausführungsplanung nach norwegischem Standard, soweit vorhanden, übertragen. Neben der Verantwortung für die Vollständigkeit und Richtigkeit der eigenen Massen-, LV- und Preisermittlung war die Bau-Arge auch verantwortlich für die Richtigkeit und Vollständigkeit der übergebenen Ausschreibungsunterlagen, wie z.B. das geologische Gutachten. Baugrundrisiko, Wetterrisiko, Erfolgshaftung bei der Koordination von Dritten sowie die Machbarkeit des Bauentwurfs lagen ebenfalls in der Verantwortungssphäre der Bau-Arge. Entwurfsänderungen, Verfügbarkeit und Zugänglichkeit erforderlicher Grundstücke sowie archäologische Funde waren in der Risikosphäre des Bauherrn States Vegvesen angesiedelt. Die Bauvertragssprache war norwegisch.

9.6 Västlänken Centralen

9.6.1 Projektbeschreibung Västlänken ist ein 8 km langes Bahntunnelprojekt im Zentrum von Göteborg. Mit der Realisierung dieses Projekts entstehen zwei innerstädtische untertägige Stationen in Haga und Korsvägen sowie ein neuer Hauptbahnhof (Västlänken Centralen). Mit diesem Projekt werden die Kapazität der Pendelzugverbindungen und die Zugänglichkeit zur Innenstadt gesteigert und somit die Reisequalität im Zentrum von Göteborg und in den Westen Schwedens erheblich verbessert. Der Baubeginn ist für 2017/2018 und die Inbetriebnahme für 2026 vorgesehen. Auf Basis von Kostenschätzungen (2009) der Schwedischen Verkehrsbehörde Trafikverket ist das Projekt mit 2,1 Mrd. € budgetiert. Das ca. 1,8 km lange Los Centralen ist ein hybrides innerstädtisches Großprojekt und beinhaltet umfangreiche Ingenieurbau- und Spezialtiefbauleistungen sowie Tunnel- und Schachtarbeiten. Die exponierte Lage im Zentrum von Göteborg in Kombination mit einer Multiprojektumgebung (Hisingsbro/Regiocity) und den interdisziplinären Bauverfahren stellen höchste Anforderungen an die Bauablaufplanung, Schnittstellenkoordination und Logistik. Neben den Rohbauarbeiten gehören die technischen Ausrüstungen zum Leistungsumfang. Die Möglichkeit archäologischer Funde und die Baugrundverhältnisse, die durch weiche Tone (Lera) gekennzeichnet sind, stellen weitere Herausforderungen für die Ausführung dar.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 160 9.6 Västlänken Centralen

Beton Trog

Beton Tunnel Aufweitung Fels Tunnel Station

Service Schächte

Aufweitung

Bild 9-10 Projektübersicht Västlänken Centralen

9.6.2 Vertragsform Aufgrund der Komplexität des Projektes und der umfangreichen Schnittstellen hat der Auftraggeber die Vertragsform „Early Contractor Involvement (ECI) Turnkey Design and Build“ gewählt. Die Merkmale dieser Vertragsform sind in nachstehender Grafik dargestellt:

ECI Contract

Phase1 Design & Planning Phase 2 Construction Stage ABK 09 Consulting Agreement ABT 06 Design & Construct Contract

ECI contractor continues to phase 2 subject to agreement of Target Price by client

Cost + Fixed Fee Cost + Fixed Fee against Target Price with

pain/gain share

The contractor develops the design, plans Contractor completes the detailed design and the work, time schedule and Target Price in constructs the work. close coordination with the client.

Bild 9-11 Vertragsmodell Västlänken Centralen

Die Vergabe der ECI Phase 1 erfolgte dabei an den kompetentesten Bieter, d.h. die Bieter mussten in ihren Angeboten ihre Leistungsfähigkeit in den Bereichen Kollaboration sowie der Implementierung der Phasen 1 und 2 demonstrieren. Mit Ausnahme der vom AN anzugebenen „Fixed Fee“ (vgl. 9.3.2), wurde vom AG gänzlich auf ein kommerzielles Angebot verzichtet. Die

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Skandinavische Infrastrukturprojekte: Anspruch und Wirklichkeit - Ein Rundgang anhand von Beispielen 161

Präsentation des zuvor schriftlich gelegten Angebots durch Schlüsselpersonal des Bieters stellte ein weiteres entscheidendes Wertungskriterium dar.

9.7 Übersicht der Vertragsformen Im vorliegenden Beitrag wurden sechs Projekte vorgestellt, zwei Projekte aus Norwegen und vier Projekte aus Schweden, die die Implenia Construction GmbH ausführt bzw. vormals als Bilfinger Construction GmbH bzw. Bilfinger Berger SE ausgeführt hat. Das Projekt Västlänken Centralen wurde lediglich in der Angebotsphase bearbeitet, jedoch aufgrund der Vertragsform Early Contractor Involvement in diesen Beitrag mit aufgenommen, um einen kompletten Überblick der in Skandinavien üblichen Vertragsformen zu geben. Als Synopsis bezüglich der Bauverträge kann festgehalten werden, dass bei Projekten mit geringerer Komplexität bzw. bei bekannten Bauverfahren (Schwerpunkt Skandinavische Tunnelbaumethode) vom Auftraggeber üblicherweise der Einheitspreisvertrag gewählt wird. Bei steigender Komplexität und interdisziplinären Bauverfahren kommt in Skandinavien häufig der Design- und Build-Vertrag zur Ausführung, wobei hierbei zwischen folgenden Varianten unterschieden wird: • EP-Vertrag mit Design & Build Komponenten, • Design & Build funktional pauschal, • Design & Build Cost + Fee against Target Price mit Gain / Pain Anreizsystem, • Design & Build wie zuvor mit vorgeschalteter ECI Phase. PPP-Projekte bilden nach wie vor die Ausnahme und sind erfahrungsgemäß auf große norwegische Straßenbauprojekte begrenzt, Die in Norwegen unlängst neu gegründete Projektgesellschaft „Nye Veier“ beabsichtigt, Teile ihrer neuen Bauvorhaben als PPP-Projekte auszuschreiben. Über das Risikoprofil dieser Projekte sind bisher aber noch keine Details bekannt. Nachstehende Grafik verdeutlicht die unterschiedlichen Vertragsformen und die dazugehörige Risikoverteilung zwischen AG und AN sowie deren Auswirkung auf die Projektkosten. Die Darstellung beschreibt die norwegische Praxis einer ausgewogenen Risikoverteilung und kann analog auch für Schweden als zutreffend eingeordnet werden.

Bild 9-12 Eivind Grøv „Contract Philosophy in Norwegian Tunnelling”

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 162 9.8 Typische Merkmale Skandinavischer Großprojekte

Demnach führt eine faire Risikoverteilung zu den geringsten Projektkosten. Zu diesem Ergebnis „fair = economic“ kommt auch die FIDIC-ITA Task Force 10 (London 2014). Bei der Umsetzung des Vertrags in der Praxis legen skandinavische Kunden einen hohen Stellenwert an die Kooperation zwischen AG und AN. Diese Offenheit ist nicht nur in der Kultur begründet, sondern beabsichtigt auch eine kontinuierliche Optimierung der Bauzeit und der Kosten.

9.8 Typische Merkmale Skandinavischer Großprojekte Wie überall auf der Welt wollen Auftraggeber ihre Infrastrukturprojekte erfolgreich realisieren, d.h. innerhalb des budgetieren Kostenrahmens und der geplanten Bauzeit sowie in der geforderten Qualität. Darüber hinaus stehen bei Kunden üblicherweise weitere Faktoren im Fokus, die den Erfolg eines Projekts definieren: • Geringstmögliche Beeinträchtigung von Mensch und Umwelt, • Hohe Arbeitssicherheitsstandards, • Verbesserung des kulturellen Lebens und Erhöhung der Lebensqualität, • Steigerung des Know-Hows und Schaffung von Arbeitsplätzen, • Steigerung der Mitarbeitermotivation sowie der internen / externen Zusammenarbeit, • Gutes Ansehen in der Öffentlichkeit durch erfolgreiche Projektausführung. Erfahrungsgemäß haben die in der Aufzählung genannten Punkte bzw. „weichen Kriterien“ länderspezifisch eine unterschiedliche Gewichtung, während Kosten, Termine und Qualität weltweit in nahezu gleicher Weise priorisiert werden. Skandinavien gehört zu den Märkten, in denen die weichen Faktoren einen vergleichsweise hohen Stellenwert einnehmen. Aus den gemachten Erfahrungen und Beobachtungen stehen bei skandinavischen Infrastrukturprojekten folgende Merkmale im Fokus, die in diesem Abschnitt als Fokus-Themen umrissen werden.

9.8.1 Fokus Samverkan Unabhängig von der Vertragsform ist bei skandinavischen Infrastrukturprojekten die offene und partnerschaftliche Vertragsabwicklung zwischen AG und AN nicht nur gewünscht, sondern üblicherweise vertraglich gefordert. Grundlage sind hier auf AG- und AN-Seite erfahrene, fachspezifisch ausgebildete Baustellenteams, die die Vollmacht zum Entscheiden vor Ort auf der Baustelle haben, sich verstehen, Vertrauen zueinander haben und sich Respekt bezüglich der jeweilig auszufüllenden Rolle entgegenbringen. Wesensimmanent ist hier der Umgang miteinander, und in der Regel steht das Einhalten der gesprochenen Abmachungen mehr im Vordergrund als das detaillierte, schriftliche Festhalten von Entscheidungsprozessen und Vereinbarungen. Pauschalverträge oder andere Formen der Vertragsgestaltung, bei denen der AN ein erhöhtes Risiko trägt, erfordern hingegen in unserem kontinentaleuropäischen Verständnis auf der anderen

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 Skandinavische Infrastrukturprojekte: Anspruch und Wirklichkeit - Ein Rundgang anhand von Beispielen 163

Seite eine strikte und formelle Vertragsadministration zur Wahrung der Rechte und Ansprüche des AN bei Vertragsabweichungen. Hier tut sich somit ein kulturelles, herausforderndes Spannungsfeld auf. Insbesondere internationale Aufragnehmer sehen in ihrer Baustellenorganisation üblicherweise einen erfahrenen Vertragsmanager vor, der diese Vertragsadministration übernimmt. Es liegen Erfahrungen aus zwei Projekten vor, bei denen der Auftraggeber diese Form der Administration angemahnt und schließlich unterbunden hat, da dies einer vertrauensvollen Arbeitsumgebung entgegenwirkt. Bei einem der zwei Projekte hat dies zu einer sehr fruchtbaren und wirkungsvollen „Samverkansorganisation“ geführt. Durch das große Vertrauen auf beiden Seiten der Vertragsparteien konnte somit ein sehr erfolgreicher Projektabschluss realisiert werden mit beidseitigen Win/Win-Erfolgen. Bei dem zweiten Projekt wurde dagegen in der Schlussphase des Projekts die professionelle und wirtschaftliche Ausführung des AN vom AG plötzlich bestritten, obgleich das Projekt zuvor über Jahre von beiden Vertragsparteien einvernehmlich als Erfolgsprojekt gesehen wurde. In diesem Fall ist eine Konfliktlösung durch die fehlende Dokumentation für beide Seiten mit deutlichen Schwierigkeiten verbunden und benachteiligt nicht zuletzt den AN, der seine Ansprüche gegenüber dem AG durchzusetzen versucht.

9.8.2 Fokus HSE In Skandinavien nehmen Arbeitssicherheit und Umwelt eine hohe Bedeutung ein. Der Mitwirkungsgrad des AG ist erfahrungsgemäß deutlich höher als es beispielsweise aus dem DACH Raum bekannt ist. Vergleichsweise gute Unfallzahlen sind letztlich die Folge einer höheren Mitarbeitermotivation und eines ausgeprägten HSE-Bewusstseins (Healthy-Safety-Enviroment) kombiniert mit Bonuszahlungen durch den AG für eine gute HSE-Performance das AN.

9.8.3 Fokus Mensch In Skandinavien steht vor allem der Mensch im Fokus. Eine ausgeprägte Work Life Balance bestimmt das Arbeitsleben. Obgleich bei vielen Projekten die Organisation sowie die Qualifikation der Mitarbeiter auf Schlüsselpositionen bereits mit Angebotsabgabe beschrieben werden muss, sind Mindestanforderungen weniger klar beschrieben bzw. gefordert. Der Auftragnehmer hat somit bei der Wahl der Baustellenmannschaft größere Handlungsfreiheit, und es fällt leichter, eine ausgewogene Mischung aus erfahrenem und unerfahrenem Personal zu finden. In Skandinavien finden in der Bauindustrie vergleichsweise viele Frauen ihren Arbeitsplatz und werden vermehrt in hohen Führungspositionen eingesetzt. Nicht zuletzt auch durch die konsequente Einbindung der Bevölkerung genießt die Bauindustrie ein höheres Ansehen und somit einen höheren Stellenwert in der Öffentlichkeit.

Schriftenreihe Geotechnik im Bauwesen, RWTH Aachen University Heft 20 ∙ 2016 164 9.8 Typische Merkmale Skandinavischer Großprojekte

9.8.4 Fokus Kultur „Janteloven“ Die Kultur in Skandinavien hat einen besonderen Einfluss auf das Arbeitsleben. Hierarchische Strukturen und Konflikte widersprechen der Kultur der Gleichstellung bzw. Gleichbehandlung. Das Gesetz von Jante (Janteloven) wird als moralischer Verhaltenskodex sozialer Spielregeln im skandinavischen Kulturraum verstanden, der vieles Handeln unterlagert. Unter anderem heißt es hier: „Du sollst nicht glauben, dass Du uns ebenbürtig bist, dass Du klüger bist als wir, dass Du mehr weißt als wir oder dass Du uns etwas beibringen kannst“. Diese Haltung erfordert permanente kritische Selbstreflexion, und sie begründet vielen Orts die Zurückhaltung für neue Ideen oder das Aufgreifen von Best Practice Erfahrungen aus internationalen Projekte. Auf der anderen Seite fördert sie Gleichheit und Fairness. Es macht die Gesellschaft zum Zentrum, zur wichtigsten Einheit. Der Kulturkodex „Janteloven“ fordert ein, dass jeder seinen Teil tun muss, damit das große Ganze funktioniert und ist nicht zuletzt somit auch die Wurzel des skandinavischen Nationalstolzes.

9.8.5 Fokus Bonus/Malus Anreize Sehr häufig sind in skandinavischen Verträgen Bonus / Malus Regelungen zu finden. Diese sind nicht nur auf die Bauzeit und Qualität beschränkt, sondern erstrecken sich auch auf die zuvor beschriebenen weichen Kriterien. Bonus und Malus sollen einen Anreiz für den Auftragnehmer schaffen, den Auftraggeber bei der Umsetzung und Erreichung seiner Ziele zu unterstützen. So entfallen beispielsweise empfindliche Vertragsstrafen auf die Beschädigung der Vegetation, Überschreitung zulässiger Achslasten bei LKW, Überschreitung der zulässigen Lärmpegel oder Verstöße gegen Arbeits- und Antidiskriminierungsgesetze. Neben der engen Abstimmung mit dem Auftraggeber, Behörden und Dritten wird das Projektmanagement in der Regel durch entsprechende HSEQ Manager unterstützt, um die Einhaltung der Vorschriften sicherzustellen und damit die Voraussetzungen für entsprechende Bonuszahlungen zu schaffen. Das Bonus / Malus System ist dabei so ausgelegt, dass die gesetzten Ziele erreichbar sind und vom AG auch entsprechende Bonuszahlungen bei Bonuserfüllung selbstverständlich getätigt werden. Man kann also von einem tatsächlich funktionierenden Anreizsystem sprechen.

9.8.6 Fokus Ressourcen Durch die wachsende Anzahl, Größe und Komplexität von skandinavischen Infrastrukturprojekten befindet sich der Markt in einem steten Wandel. Dieser Wandel ist dadurch begründet, dass immer mehr internationale Unternehmen auf Wunsch der Auftraggeber auf den Markt drängen und nicht nur das Preisniveau, sondern auch die Kultur der Projektabwicklung beeinflussen und verändern. Durch das größere Risikopotential bei komplexen Projekten steigt zudem der öffentliche Druck auf die Auftraggeber, ihre Projekte im budgetierten Kostenrahmen und in der geplanten Zeit zu realisieren.

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Ein bemerkenswerter Antagonismus ist die Vertragssprache, die der AG für die Abwicklung des Projektes festlegt. Auf der einen Seite wünscht er, dass immer mehr internationale Firmen einen Neueinstieg in den skandinavischen Markt wagen. Viele Neueinsteiger tun dies dann auch, aber zumeist in dem Glauben bzw. der Annahme, eine Expat-Strategie mit mobilem heimischem gewerblichem als auch angestelltem Eigenpersonal, basiert auf der englischen Sprache, umsetzen zu können. Sie sind dann im Nachhinein bei der Umsetzung der Baumaßnahme sehr überrascht, wie stringent der AG auch im Tagesgeschäft auf dem Baufeld und nicht nur bei Schriftverkehr bzw. vertragsrelevanten Baubesprechungen auf der Einhaltung der lokalen Vertragssprache besteht. Der Handlungsspielraum bei der Personalbesetzung des AN wird somit stark eingeschränkt. Ein ganz gewichtiger Aspekt ist somit durch die hohe Gleichzeitigkeit der Projektabwicklungen der steigende Bedarf an qualifiziertem gewerblichem wie auch angestelltem Personal geworden. Es steht lokal nur in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung und kann aufgrund der kulturellen und der voran angeführten sprachlichen Barriere nicht ohne weiteres durch internationales Personal ersetzt werden. Es liegt auf der Hand, dass dies ein Risiko darstellt und dadurch eine professionelle Projektabwicklung erschwert wird. Dies gilt sowohl für die Seite des Auftragnehmers als auch für die des Auftraggebers.

9.8.7 Fokus Sprengvortrieb In Skandinavien ist bei Tunnelprojekten der skandinavische Sprengvortrieb die erste Wahl. Dieses Verfahren ist auf allen Seiten bekannt und geschätzt. Die Skandinavier sind sehr stolz auf die von ihnen entwickelten und optimieren Vortriebsverfahren und beanspruchen für sich, eine der höchsten Formen des Tunnelbaus gefunden zu haben, wenngleich aufgrund der meist kompetenten Geologie mit Graniten und Gneisen die Herausforderung im Beherrschen von Erschütterungen, im Optimieren von Leistungswerten wie z.B. Bohrgeschwindigkeiten, in der reibungslosen Umsetzung der Logistik und dem effektiven Abdichten des Felses mittels Injektionen besteht. Die skandinavische Bauindustrie blickt mit Sorge auf den zunehmenden Marktanteil ausländischer Firmen an großen Infrastrukturprojekten. Auf der anderen Seite wird aber auch zunehmend erkannt, dass interdisziplinäre und komplexe Bauvorhaben allein ausschließlich mit den lokalen Baufirmen schwer zu bewältigen sind und durch die Bildung von Arbeitsgemeinschaften nicht nur das Risiko gestreut wird, sondern auch die Leistungsfähigkeit erhöht und das Know-How durch die Beteiligung internationaler Firmen ergänzt und gesteigert kann, soweit man sich traut, sich deren Erfahrungsschatz zu öffnen.

Literaturverzeichnis Eivind Grøv (2012): Contract Philosophy in Norwegian Tunnelling, Norwegian Tunnelling Society Publication No. 21, Article 02, S.16.

FIDIC - ITA Task Group 10 (2014): FIDIC International Contract Users Conference, London 2. & 3. Dec. 2014, Risk Allocation, S.9.

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VERÖFFENTLICHUNGEN DES INSTITUTS FÜR GRUNDBAU, BODENMECHANIK, FELSMECHANIK UND VERKEHRSWASSERBAU DER RWTH AACHEN

HERAUSGEBER: UNIV.-PROF. DR.-ING. W. WITTKE Nr. 1 Walter Wittke, Das Institut für Grundbau, Bodenmechanik, Felsmechanik und Verkehrswasserbau im Jahre 1976 Neues Entwurfskonzept für untertägige Hohlräume in klüftigem Fels. 1976 Nr. 2 Walter Wittke und Peter Rißler, Bemessung der Auskleidung von Hohlräumen in quellendem Gebirge nach der Finite Element Methode. Manfred Wallner, Ausbreitung von sedimentationsstabilen Zementpasten in klüftigem Fels. 1976 (vergriffen) Nr. 3 Bohumil Boucek, Ringscherversuche an Ton. Dieter Rollberg, Bestimmung der Tragfähigkeit und des Rammwiderstands von Pfählen und Sondierungen. 1977 Nr. 4 Vorträge des Seminars Talsperren- und Dammschäden, Ursachen und Sanierungen, 6.-7. Januar 1977, Aachen. 1977 Nr. 5 Peter Rißler, Bestimmung der Wasserdurchläßigkeit von klüftigem Fels. 1977 Nr. 6 Walter Wittke, Grundlagen für die Bemessung und Ausführung von Tunnels in quellendem Gebirge und ihre Anwendung beim Bau der Wendeschleife der S-Bahn Stuttgart. 1978 Nr. 7 Walter Wittke und Helmut Jüngling, Untersuchungen der Um- und Unterläufigkeit des Tavera-Dammes in der Dominikanischen Republik. Walter Wittke, Bernd Pierau und Bertold Plischke, Erfahrungen mit Zementpasten bei Injektionsarbeiten in klüftigem Fels. 1978 Nr. 8 Stephan Semprich, Berechnungen der Spannungen und Verformungen im Bereich der Ortsbrust von Tunnelbauwerken im Fels. 1980

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Nr. 9 Bernd Pierau, Tunnelbemessung unter Berücksichtigung der räumlichen Spannungs- Verformungszustände an der Ortsbrust. 1981 Nr. 10 Bertold Plischke, Interpretation der mit dem Vortrieb eines Tunnels verbundenen Verformungen im Hinblick auf die Bestimmung der Felskennwerte und des Primärspannungszustands. 1984 Nr. 11 Konrad Gell, Der Einfluss der Sickerströmung im Untergrund auf die Berechnung der Spannungen und Verformungen von Bogenstaumauern. 1984 Nr. 12 Johannes R. Kiehl, Bestimmung der felsmechanischen Kennwerte von Schiefer durch biaxiale Druckkissenversuche. 1985 Nr. 13 Wolfgang Krajewski, Mathematisch-numerische und experimentelle Untersuchungen zur Bestimmung der Tragfähigkeit von in Sand gegründeten, vertikal belasteten Pfählen. 1986 Nr. 14 Paul-Josef Erban, Räumliche Finite-Element-Berechnungen an idealisierten Diskontinua unter Berücksichtigung des Scher- und Dilatationsverhaltens von Trennflächen. 1986 Nr. 15 Claus Erichsen, Gekoppelte Spannungs-Sickerströmungsberechnungen von Bauwerken in klüftigem Fels unter Berücksichtigung des nichtlinearen Spannungsverschiebungsverhaltens von Trennflächen. 1987 Nr. 16 Johannes Feiser, Mechanisches Verhalten eines Sedimentgesteins mit tongefüllten Schichtfugen und offenen Klüften. 1988 Nr. 17 René Espinoza, Bestimmung der Elastizitätskonstanten von geschiefertem Fels aus baubegleitenden Verformungsmessungen an Tunnelbauwerken. 1988 Nr. 18 Vorträge des Seminars Geotechnische Fragestellungen bei Untertagedeponien und Transportvorgängen, 3. Oktober 1989, Aachen. 1990 Nr. 19 Jürgen Rechtern, Dreidimensionale Berechnung großer Tunnels in Fels unter Berücksichtigung aufeinanderfolgender Teilvortriebe. 1990 Nr. 20 Joachim Stahlmann, Experimentelle und numerische Untersuchung zur Erosionsstabilität von gefüllten Trennflächen im Untergrund von Talsperren. 1991

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Nr. 21 Vorträge des Seminars Spannungsmessungen im Fels, 28. August 1990, Aachen. 1991 Nr. 22 Michael Dillo, Finite-Element-Berechnungen zur Wasserdurchlässigkeit von Trennflächen in Abhängigkeit vom Spannungszustand mit einem experimentell ermittelten Fließgesetz für teilweise geschlossene Trennflächen. 1991 Nr. 23 Wilfried Keddi, Numerische Untersuchungen zum Tragverhalten vermörtelter Felsdübel im klüftigen Fels. 1992 Nr. 24 Bernd Kister, Untersuchung der charakteristischen Größen beim Bodenluftabsaugverfahren für Ein- und Mehrbrunnenanlagen durch Laborversuche und räumliche Finite-Elemente- Berechnungen. 1994 Nr. 25 Hans-Georg Gülzow, Dreidimensionale Berechnung des Zweiphasenströmungsfeldes beim Tunnelvortrieb unter Druckluft in wassergesättigten Böden. 1994 Nr. 26 Festschrift anlässlich des 60. Geburtstages von Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. W. Wittke. 1994 Nr. 27 Gerhard Bosch, Ralf M. Hartmann, Bernd Kister, Ausbreitung von Schadstoffen aus Deponien im Untergrund aus klüftigem Fels unter Berücksichtigung der Verformbarkeit des Felses bei Belastung. 1994 Nr. 28 Ralf M. Hartmann, Auswertung von Wasserabpressversuchen in klüftigem und verformbarem Fels. 1995 Nr. 29 Yifeng Hu, Standsicherheitsuntersuchungen von untertägigen Hohlräumen im Fels nach der Finiten-Elemente-Methode unter Berücksichtigung der geometrischen Nichtlinearität. 1995 Nr. 30 Stephanie Küpper, Räumliche Berechnung des Schadstofftransportes mit einer kompressiblen Zweiphasenströmung zur Untersuchung der Drucklufteinblasung und Bodenluftabsaugung. 1997 Nr. 31 Fengming Zhou, Räumliche Konsolidationsberechnung nach der Methode der Finiten Elemente unter Berücksichtigung des elasto-plastischen Verhaltens von bindigen Böden. 1997 Nr. 32 Thomas Hochgürtel, Numerische Untersuchungen zur Beurteilung der Standsicherheit der Ortsbrust beim Einsatz von Druckluft zur Wasserhaltung im schildvorgetriebenen Tunnelbau. 1998

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Nr. 33 Jens Harald Gattermann, Theorie und Modellversuch für ein Abdichtungsbauwerk aus hochverdichteten Bentonitformsteinen. 1998 Nr. 34 Peter Reinders, Vergleichende dreidimensionale Berechnungen von Spritzbetonvortrieben im Ton mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode. 1999 Nr. 35 Bingyin Zhang, Diskrete Simulation des Schadstofftransports in klüftigem Fels unter Berücksichtigung des Mischungsverhaltens im Verschneidungsbereich von Trennflächen. 1999

SCHRIFTENREIHE GEOTECHNIK IM BAUWESEN

HERAUSGEBER: UNIV.-PROF. DR.-ING. M. ZIEGLER Nr. 1 Beiträge zum Workshop „Stochastische Prozesse in der Geotechnik“. 2003 Nr. 2 Parviz Rainer Sadegh-Azar, Erschütterungsreduktion durch aufgeschäumte Isolierkörper im Boden. 2011 Nr. 3 Bernd Andreas Ulke, Einfluss der Bodenreaktionskraft beim Durchstanzen von Einzelfundamenten. 2011 Nr. 4 Christian Baier, Thermisch-hydraulische Simulationen zur Optimierung von Vereisungsmaßnahmen im Tunnelbau unter Einfluss einer Grundwasserströmung. 2011 Nr. 5 60 Jahre Geotechnik im Bauwesen an der RWTH Aachen Vorträge zum Festkolloquium am 25.03.2010. 2011 Nr. 6 Steffen Giese, Bodenbewegungen infolge von Sümpfungsmaßnahmen für tiefe Tagebaue am Beispiel des Rheinischen Braunkohlenreviers. 2011 Nr. 7 Große China-Exkursion 2011 des Lehrstuhls für Geotechnik im Bauwesen an der RWTH Aachen. Exkursionsberichte. Zusammengestellt von Marcus Fuchsschwanz und Benjamin Aulbach. 2012 Nr. 8 Gisa Kleine Vennekate, Numerische Simulationen zur Scherfugenentwicklung in Sand-Ton-Wechselfolgen (Dissertation 2013 online veröffentlicht). 2016

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Nr. 9 Hong Tian, Development of a Thermo-Mechanical Model for Rocks Exposed to High Temperatures during Underground Coal Gasification (Dissertation 2013 online veröffentlicht). 2016 Nr. 10 Axel Ruiken, Zum Spannungs-Dehnungsverhalten des Verbundbaustoffs „geogitterbewehrter Boden“ (Dissertation 2013 online veröffentlicht). 2016 Nr. 11 Benjamin Aulbach, Hydraulischer Grundbruch - Zur erforderlichen Einbindetiefe bei Baugruben in nichtbindigem Baugrund (Dissertation 2013 online veröffentlicht). 2016 Nr. 12 Große Brasilien-Exkursion 2013 des Lehrstuhls für Geotechnik im Bauwesen an der RWTH Aachen. Exkursionsbericht. Zusammengestellt von Felix Jacobs und Julian Sprengel. 2015 Nr. 13 Ju-Young Oh, Interaktion der Ringspaltverpressung mit dem umgebenden Baugrund und der Tunnelauskleidung (Dissertation 2013 online veröffentlicht). 2016 Nr. 14 Beiträge zum Festkolloquium am 4. April 2014 anlässlich des 60. Geburtstags von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martin Ziegler. 2014 Nr. 15 Sylvia Kürten, Zur thermischen Nutzung des Untergrunds mit flächigen thermo-aktiven Bauteilen (Dissertation 2014 online veröffentlicht). 2016 Nr. 16 Marcus Fuchsschwanz, Zur Standsicherheit und Erosion von Böschungen - Bewertung und Vergleich von Stabilisierungsmaßnahmen für Bergehalden des Steinkohlenbergbaus in Vietnam (Dissertation 2015 online veröffentlicht). 2016 Nr. 17 Rebecca Schüller, Energetische Optimierung von Vereisungsmaßnahmen im Tunnelbau (Dissertation 2015 online veröffentlicht). 2016 Nr. 18 Große Türkei-Exkursion 2015 des Lehrstuhls für Geotechnik im Bauwesen an der RWTH Aachen University. Exkursionsbericht. Zusammengestellt von Markus Adams und Thorsten Müller. 2016 Nr. 19 Zhijie Wang, Discrete Element Modeling of Geogrid Reinforced Soil (Dissertation 2016 online veröffentlicht). 2016 Nr. 20 Beiträge zum Forum Tunnelbau mit Ausstellung „Historische Alpendurchstiche“ anlässlich der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels am 18.11.2016 in Aachen

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