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HANS-BREDOW-INSTITUT E 20039 F Medien Kommunikations- wissenschaft

Themenheft „Medialisierte &Kriege und Kriegsberichterstattung“ Herausgeber/in: Christiane Eilders und Lutz M. Hagen

Bedingungen der Kriegsberichterstattung und Einflüsse durch medienexterne Akteure Mit Beiträgen von Andrea Szukala, Oliver Hahn und Adrian Pohr

Reflektion und Rereflektion von Kriegen Mit Beiträgen von Helmut Scherer/Romy Fröhlich/Bertram Scheufele/Simone Dammert/Natascha Thomas, Wolfgang Donsbach/Olaf Jandura/Diana Müller, Frank Esser/Christine Schwabe/Jürgen Wilke sowie Christiane Eilders

Legitimierung von Kriegen durch Berichterstattung Mit Beiträgen von Bertram Scheufele und Evelyn Bytzek

Nomos Verlagsgesellschaft M&K 53. Jg. 2005/2-3 Baden-Baden 001_M&K_02+03-05 06.07.2005 12:02 Uhr Seite 199

HANS-BREDOW-INSTITUT Medien Kommunikations- wissenschaft

Redaktion: Joan Kristin Bleicher, Hardy Dreier, Christiane& Eilders, Kerstin Engels, Uwe Hasebrink, Thorsten Held, Anja Herzog, Claudia Lampert, Christiane Matzen, Jutta Popp, Hermann-Dieter Schröder, Wolfgang Schulz, Jutta Simon

Nomos Verlagsgesellschaft M&K 53. Jg. 2005/2-3 Baden-Baden 001_M&K_02+03-05 06.07.2005 12:51 Uhr Seite 200 001_M&K_02+03-05 06.07.2005 12:02 Uhr Seite 201

INHALTSVERZEICHNIS

Christiane Eilders / Lutz M. Hagen Kriegsberichterstattung als Thema kommunikati- onswissenschaftlicher Forschung. Ein Überblick zum Forschungsstand und den Beiträgen in diesem Themenheft ...... 205

Berichterstattungsbedingungen und Einflüsse durch medienexterne Akteure Andrea Szukala Informationsoperationen und die Fusion militäri- scher und medialer Instrumente in den USA. Der Versuch einer militärischen Antwort auf die neuen Bedrohungen ...... 222

Oliver Hahn Arabisches Satelliten-Nachrichtenfernsehen. Ent- wicklungsgeschichte, Strukturen und Folgen für die Konfliktberichterstattung aus dem Nahen und Mitt- leren Osten ...... 241

Adrian Pohr Indexing im Einsatz. Eine Inhaltsanalyse der Kom- mentare überregionaler Tageszeitungen in Deutsch- land zum Afghanistankrieg 2001 ...... 261

Reflektion und Rereflektion von Kriegen Helmut Scherer / Romy Fröhlich / Bundeswehr, Bündnispolitik und Auslandseinsätze. Bertram Scheufele / Simone Dammert / Die Berichterstattung deutscher Qualitätszeitungen Natascha Thomas zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik 1989 bis 2000 ...... 277

Wolfgang Donsbach / Olaf Jandura / Kriegsberichterstatter oder willfährige Propagandis- Diana Müller ten? Wie deutsche und amerikanische Printmedien die „Embedded Journalists“ im Irak-Krieg sahen . 298

Frank Esser / Christine Schwabe / Metaberichterstattung im Krieg. Wie Tageszei- Jürgen Wilke tungen die Rolle der Nachrichtenmedien und der Militär-PR in den Irakkonflikten 1991 und 2003 framen ...... 314

Christiane Eilders „Amis brauchen Umerziehung“. Erkenntnisse und Argumentationsmuster der deutschen Medienkritik im dritten Golfkrieg ...... 333

Legitimierung von Kriegen durch Berichterstattung Bertram Scheufele Mediale Legitimierung von Kriegen durch Rollen- Zuschreibung. Eine explorative Studie zur Bericht- erstattung deutscher Nachrichtenmagazine über den Kosovo-Krieg ...... 352

Evelyn Bytzek Kosovokrieg, Kriegsberichterstattung und die Po- pularität der deutschen Regierungsparteien und -politiker ...... 369 201 001_M&K_02+03-05 06.07.2005 12:02 Uhr Seite 202

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Literatur Besprechungen

Mirko Marr Thorsten Schauerte / Jürgen Schwier (Hrsg.): Die Ökonomie des Sports in den Medien. Köln, 2004 Thomas Schierl (Hrsg.): Die Visualisierung des Sports in den Medien. Köln, 2004 Holger Schramm (Hrsg.): Die Rezeption des Sports in den Medien. Köln, 2004

Christoph Neuberger Peter Glotz, Robin Meyer-Lucht (Hrsg.): Online gegen Print. Zeitung und Zeitschrift im Wandel. Konstanz, 2004 Pablo J. Boczkowski: Digitizing the News. Innova- tion in Online Newspapers. Cambridge (MA), Lon- don, 2004 ...... 393

Klaus Beck Joachim R. Höflich / Julian Gebhardt (Hrsg.): Ver- mittlungskulturen im Wandel: Brief – E-Mail – SMS. Frankfurt am Main u. a., 2003 ...... 394

Christoph Degenhart Hans Felix Schäfer: Neue Betätigungsfelder des öf- fentlich-rechtlichen Rundfunks. Entwicklung und rechtliche Bewertung. München, 2004 ...... 397

Paula Diehl Jens Tenscher: Professionalisierung der Politikver- mittlung? Politikvermittlungsexperten im Span- nungsfeld von Politik und Massenmedien. Wiesba- den, 2003 ...... 398

Andreas Fahr Jens Woelke: Durch Rezeption zur Werbung. Kom- munikative Abgrenzung von Fernsehgattungen. Köln, 2004 ...... 401

Uwe Hasebrink Barbara Baerns (Hrsg.): Leitbilder von gestern? Zur Trennung von Werbung und Programm – eine Pro- blemskizze und Einführung. Wiesbaden, 2004 . . . . 403

Joachim R. Höflich Philomen Schönhagen: Soziale Kommunikation im Internet. Zur Theorie und Systematik computerver- mittelter Kommunikation vor dem Hintergrund der Kommunikationsgeschichte. Bern, 2004 ...... 405

Werner Holly Tanja Thomas: Deutschstunden. Zur Konstruktion nationaler Identität im Fernsehtalk. Frankfurt/New York, 2003 ...... 407

Michael Jäckel Klaus Plake: Handbuch Fernsehforschung. Befunde und Perspektiven. Wiesbaden, 2004 ...... 408

Achim Janik Oliver Quiring: Wirtschaftsberichterstattung und Wahlen. Konstanz, 2004 ...... 410

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Inhaltsverzeichnis

Hans-Dieter Kübler Daniel Süss: Mediensozialisation von Heranwach- senden. Dimensionen – Konstanten – Wandel. Wies- baden, 2004 ...... 412

Maja Malik Jan Lublinski: Wissenschaftsjournalismus im Hör- funk. Redaktionsorganisation und Thematisie- rungsprozesse. Konstanz, 2004 ...... 414

Irene Neverla Heinz Pürer: Publizistik- und Kommunikations- wissenschaft. Ein Handbuch. München, 2003 . . . . 416

Joachim Paech Régis Debray: Einführung in die Mediologie. Bern, 2003 ...... 417

Ingrid Paus-Hasebrink Jeannine Simon: Wirkungen von Daily Soaps auf Ju- gendliche. München, 2004 ...... 418

Daniel Süss Bernward Hoffmann: Medienpädagogik. Eine Ein- führung in Theorie und Praxis. Paderborn, 2003 . . 421

Anna M. Theis-Berglmair Henk Erik Meier: Strategieanpassungsprozesse im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Berlin, 2003 . . . . 423

Gerhard Vowe Barbara Pfetsch: Politische Kommunikationskultur. Politische Sprecher und Journalisten in der Bundes- republik und den USA im Vergleich. Wiesbaden, 2003 ...... 424

Zeitschriftenlese ...... 427

Literaturverzeichnis ...... 447

English abstracts ...... 456

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Heftes ...... 460

Hinweise für Autorinnen und Autoren ...... 463

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Kriegsberichterstattung als Thema kommunikationswissenschaftlicher Forschung Ein Überblick zum Forschungsstand und den Beiträgen in diesem Themenheft

Christiane Eilders/Lutz M. Hagen

Für die Medien ist Krieg schon seit jeher ein wichtiges Thema, weil er reich an Nach- richtenfaktoren ist. Umgekehrt werden die Medien für den Krieg immer bedeutsamer, weil sie zunehmend nützlichere Instrumente für jene darstellen, die in der Situation von Kriegen handeln. Der Krieg wird also medialisiert, was ihm erhöhte Aufmerksamkeit aus der Kommunikationswissenschaft einträgt. Aktuelle Arbeiten aus der deutschen Kom- munikationswissenschaft präsentiert dieses Themenheft. Sie befassen sich mit den verän- derten Voraussetzungen der Kriegsberichterstattung oder untersuchen Muster und Wir- kungen der Kriegsberichterstattung aus deutschen Medien. In diesem Einleitungsartikel werden die Beiträge im Überblick dargestellt und in der einschlägigen Forschung veror- tet.

Keywords: Kriegsberichterstattung, Medialisierung, Nachrichtenfaktoren, Golfkrieg

So gut, wie Krieg den Aufmerksamkeitsregeln des Medienbetriebs entspricht, so gut er- füllt offenbar die Kriegsberichterstattung die Anforderungen der Themenwahl in der Kommunikationswissenschaft. Zur Kriegsberichterstattung im dritten Golfkrieg wur- den derart viele neue Arbeiten vorgelegt, dass man geradezu einen Boom des For- schungsthemas diagnostizieren muss. BereitJahrs im e 1991 waren weltweit über 70 Stu- dien durchgeführt worden, die das Medienverhalten während des zweiten Golfkriegs im selben Jahr analysierten (Gleich 2003: 141). Welches Ausmaß die wissenschaftliche Be- schäftigung mit den Medien im Irakkrieg 2003 erlangen würde, war damals noch nicht abzusehen. Auf die Nachrichtenfaktoren, die der Ereignistyp Krieg so reichlich und ausgeprägt aufweist, sprechen offenbar nicht nur Journalisten, sondern eben auch Wissenschaftler an. Schließlich hat die Nachrichtenwerttheorie europäischer Prägung ihren wichtigsten Faktorenkatalog auf der Grundlage von wahrnehmungspsychologisch fundierten Auf- merksamkeitsregeln entwickelt (Galtung/Ruge 1965). Dem Krieg lassen sich viele Nachrichtenfaktoren von der Liste der norwegischen Friedensforscher zuschreiben: • Krieg lässt sich leicht episodisieren und entspricht daher dem Nachrichtenfaktor Fre- quenz: Die politischen und kulturellen Hintergründe mögen komplex und schwer fassbar sein. Die Kampfhandlungen selbst haben meist einen klaren Anfang und ein klares Ende. Sie umfassen viel prinzipiell sichtbares Geschehen, dass sich wiederum leicht in Episoden (Schlachten, Gefechte, Kapitulationen, Tode ...) einteilen lässt (vgl. Hickethier 1991). • Aus den gleichen Gründen kann Krieg als eindeutiges Geschehen gelten. Dazu trägt außerdem bei, dass die beteiligten menschlichen und korporativen Akteure sich überwiegend klar identifizieren lassen, der Sieg als Endziel der jeweiligen Kontra- henten feststeht und die Fronten insofern geklärt sind. • Kriegsgeschehen ist so dynamisch und intensiv, dass es Schwellenwerte der Auf- merksamkeit leicht überschreitet. • Krieg ist zerstörerisch und bedrohlich und wird daher als hochgradig negatives Ge- schehen wahrgenommen.

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• Krieg ist in höchstem Maße relevant, durch ihn stehen in ganzen Ländern das Leben, die Gesundheit, die Freiheit und das Hab und Gut der Menschen auf dem Spiel. • Krieg ist personalisiert: Das Geschehen lässt sich leicht an Personen festmachen, die beteiligten menschlichen Akteure lassen sich überwiegend klar identifizieren. Dies alles macht den Krieg dramatisch, wozu jedoch besonders die duellartige Situa- tion der beteiligten Streitmächte beiträgt, für die es um Sieg oder Niederlage geht. Durch diese Dramatik eignet sich der Krieg hervorragend als Sujet für journalistische und wis- senschaftliche Erzählungen. Schließlich sind Nachrichtenfaktoren nicht zuletzt Merk- male einer spannenden Erzählung (vgl. Buonnano 1993, Hickethier 1997). Doch gibt es noch einen zweiten Grund für die gesteigerte Aufmerksamkeit, mit der sich die Wissenschaft dem Krieg zuwendet. Das Interesse hat wohl etwas damit zu tun, dass Medien in modernen Kriegen eine immer größere Rolle spielen. Wie viele andere gesellschaftliche Felder so durchläuft auch der Krieg einen Prozess der Medialisierung, der verschiedene Facetten hat: Mediale Kommunikation wird ausgedehnt; sie ersetzt nicht-mediale Kommunikation und die Medien ersetzen andere soziale Organisationen und Institutionen; nicht-mediales Handeln verschmilzt mit medialem Handeln und die Akteure orientieren sich zunehmend an den funktionalen Erfordernissen und Logiken der Medien (Schulz 2004).1 Für die Medialisierung des Krieges gibt es exogene und endogene Ursachen. Die exo- genen Ursachen finden sich in der generellen gesellschaftlichen Medialisierung, die u. a. als Folge von technischem Fortschritt, sinkenden Distanzüberwindungskosten und De- regulation zu den Kernprozessen der Globalisierung und Informatisierung post-indus- trieller Gesellschaften zählt. Daneben treibt der Krieg selbst die Medialisierung auf en- dogene Weise voran, denn er erhöht den Informationsbedarf der (zahlreich und stark s. o.) Betroffenen und motiviert zur Entwicklung von (maschinellen und sozialen) Tech- niken der effizienteren und effektiveren Informationsübermittlung. Dafür gibt es wie- derum zwei Gründe. Zum einen haben die besser Informierten Vorteile im Kriegsge- schehen. Sie können z. B. erfolgreicher kämpfen oder fliehen – informationelle Überle- genheit kann kriegsentscheidend sein. Zum anderen kann die politische Legitimation, die in der Regel in der öffentlichen Auseinandersetzung stattfindet, kriegsentscheidend sein und wird mit zunehmender exogener Medialisierung immer kriegentscheidender. Daher haben Kriege massiv dazu beigetragen, Propagandatechniken und andere Ver- fahren der Öffentlichkeitsarbeit weiterzuentwickeln (vgl. z. B. Wilke 1995).

1. Kurze Geschichte der Medialisierung des Krieges Krieg und Eroberung waren von Beginn an beliebte Sujets der Massenmedien, wie die Inhalte von „Newen Zeytungen“ und speziell Entdeckerzeitungen belegen. So entstand auch das Berufsbild des Kriegskorrespondenten bereits mit dem Aufkommen der ersten Tageszeitungen. Doch als erster „Pressekrieg“ wird häufig der Krimkrieg (1853–1856) bezeichnet, da hier erstmals Dutzende von Korrespondenten das Geschehen begleiteten und der Krieg sich für die Medien zudem als ökonomisch besonders interessant erwies. Die Zeitungen konnten ihre Auflagen um ein Vielfaches steigern (Dominikowski 2004: 63). Schrader sieht den ersten medialen Krieg in dem amerikanischen Sezessionskrieg

1 Die Begriffe „Medialisierung“ und „Mediatisierung“ werden in der Kommunikationswissen- schaft weitgehend synonym verwendet. Wir geben hier dem ersten Begriff den Vorzug, nach- dem „Mediatisierung“ in der Bedeutung „Vermittlung“ auch anderweitig belegt ist (vgl. Schulz 2004).

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(1861–1865). Zu dieser Zeit hatte die Konkurrenz zwischen den Medien enorm zuge- nommen. Die Journalisten versuchten, mit sensationellen Erstmeldungen Aufmerksam- keit zu erlangen (Schrader 2002: 45 ff.). Der Erste Weltkrieg stellte eine erneute Zäsur dar; Massenmedien wurden zu Instru- menten der Staatspropaganda (Schrader 2002: 47; Dominikowski 2004: 66f.; Wilke 1997). Die Kriegspropaganda wurde erstmalig wissenschaftlich untermauert und syste- matisch angewandt. Zu einer Perfektionierung der Propaganda kam es im Zweiten Welt- krieg, bei dem die neuen Medien Hörfunk und Film eine wichtige Rolle spielten. Das Fernsehen dagegen erlangte erst im Vietnamkrieg Bedeutung (Dominikowski 2004: 73). Wegen der umfangreichen Fernsehberichterstattung ging dieser Krieg als der erste „Wohnzimmerkrieg“ in die Geschichte ein. Die Journalisten wurden nicht durch Zen- sur eingeschränkt; allerdings kamen die Informationen über Kampfhandlungen in der Regel aus den Pressestellen des Militärs (Dominikowski 2004: 73). Die Digitalisierung und die Satellitentechnik ermöglichten, dass der zweite Golfkrieg (1991) in großem Umfang per Live-Berichterstattung auf die Bildschirme kam. Inzwi- schen haben die mobile Bildtelefonie und die Ausbreitung des Internets die Möglichkei- ten der Echtzeitkampfberichterstattung noch erweitert. Die neue Technik kann selbst re- lativ kleinen Medienorganisationen erhebliche internationale Resonanz verschaffen, was sich am Aufstieg der Satelliten-Nachrichtenprogramme im Nahen und Mittleren Osten zeigt (vgl. Hahn in diesem Heft). Selbst einzelne Kriegsaugenzeugen können per Inter- net inzwischen erhebliche Teile der Weltöffentlichkeit erreichen, wenn die Verstärker- maschinerie der herkömmlichen Massenmedien sich aufschaltet – das hat z. B. die Ge- schichte des Bloggers „Salam Pax“ im dritten Golfkrieg gezeigt (Salam Pax 2003). Eine weitere Besonderheit des zweiten Golfkriegs lag in der Einrichtung des so ge- nannten Pool-Systems durch die US-Armee. Damit wurde nur ausgewählten Journalis- ten erlaubt, die Einsätze zu begleiten (Dominikowski 1993: 33 ff.). Dieses System wur- de im dritten Golfkrieg zu Gunsten der Strategie des „embedded reporting“ aufgegeben, die Journalisten in die kämpfenden Truppen integriert. Das Embedding ist aber nur eine Maßnahme, die das US-amerikanischen Militär in der Zeit zwischen dem zweiten und dem dritten Golfkrieg zusammen mit der so genannten Informationsdoktrin aus dem Jahr 1998 entwickelt hat, in der die Informationsüberlegenheit zur Priorität allen mi- litärischen Handelns erhoben wurde (vgl. dazu Szukala in diesem Heft).

2. Struktur der Forschung Die Thematisierung des Verhältnisses von Medien und Krieg verläuft in Wellen, die durch besonders stark beachtete Kriege ausgelöst werden. Trotz der Tradition dieses Themas hat sich lange kein integriertes Forschungsfeld herausgebildet (Löffelholz 2004a; Becker 2002: 19). Ein Grund liegt sicher darin, dass die einschlägige Forschung durch jeweils aktuelle Kriege angestoßen wurde und sich stark darauf konzentrierte, de- ren Besonderheiten zu untersuchen. Die Dominanz dieses fallstudienorientierten und induktiven Vorgehens trug nicht zur theoriegeleiteten Entwicklung einer Forschungs- agenda bei. Eine weitere Erschwernis stellt die Verortung des Gegenstandes zwischen verschie- denen Disziplinen dar. Arbeiten zum Themenbereich Medien und Krieg finden sich in unterschiedlichen Traditionen der Kommunikationswissenschaft (im deutschsprachi- gen Raum etwa Löffelholz 2004 und 1993; Beuthner et al. 2003; Eilders/Lüter 2000; Kohring/Görke/Ruhrmann 1996; Imhof/Schulz 1995; Hickethier 1991), in der Poli- tikwissenschaft und in anderen sozialwissenschaftlichen Forschungsbereichen (z. B.

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Szukala 2003; Becker 2002; Bussemer 2003; Kempf 1990). Ein gemeinsames theoreti- sches „Dach“ für kumulative und systematische Forschung müsste somit erst entwickelt werden. Die mehrheitlich vorgelegten Fallstudien sind häufig nur notdürftig theoretisch unterfüttert und nehmen kaum aufeinander Bezug. Relativ kurz vor diesem Themenheft sind erste ergiebige Systematisierungsversuche unterschiedlicher Ansätze und Befunde aus der Kriegsforschung erschienen (z. B. Gilboa 2005, Löffelholz 2004a). Solche Syste- matisierungen bilden die Voraussetzung für eine gemeinsame Theoriebildung. Aller- dings müssen ausreichend viele Längsschnittstudien und international vergleichende Untersuchungen vorliegen, wenn die Strukturbedingungen für die spezifischen Arten der Beziehung zwischen Medien und Politik präzise bestimmt werden sollen.

3. Inhaltliche Muster der Kriegsberichterstattung Mit dem Boom von Untersuchungen zum Themenfeld Medien und Krieg im dritten Golfkrieg wurde offenbar eine kritische Masse an Veröffentlichungen erreicht, um Zwi- schenbilanzen zu ziehen und Desiderate für die weitere Forschung zu formulieren. Die wissenschaftliche Debatte konzentriert sich dabei stark auf die generelle Entwicklung von Kriegsberichterstattung in den letzten Jahrzehnten und auf die Charakteristika der Berichterstattung. Entsprechend dominieren allgemeine Überblicke und Analysen und eine stark zunehmende Zahl Inhaltsanalysen das Feld.2 Die vielen Inhaltsanalysen befassen sich v. a. mit der Frage, wie die Medien durch ihre Berichterstattung Kriege legitimieren oder delegitimieren, indem sie die Kriegsgründe, den Kriegsverlauf und die Kriegsparteien auf eine spezifische Weise darstellen und mehr oder weniger kritisch beurteilen. In der US-amerikanischen Forschung hatte bereits der Golfkrieg 1991 eine Welle an einschlägigen Untersuchungen ausgelöst (vgl. z. B. Hallin 1994; Bennett/Manheim 1993, Entman/Page 1993). Auch im europäischen Raum wird dieser Frage verstärkt nachgegangen (vgl. z. B. die Beiträge in Albrecht/Becker 2002 und im Sonderheft des European Journal of Communication, vol. 15, 3/2000). Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Frage der Qualität der Kriegsberichterstat- tung. Hier geht es vor allem darum, ob Kriegsberichterstattung parteilich ist. Häufig werden die Konstruktion von Stereotypen oder die Stilistiken von Parteilichkeit als Fol- ge von kulturellen oder beteiligungsbedingten Perspektiven der Journalisten bzw. Ak- teure untersucht. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Oberflächlichkeit einer Kriegsberichterstattung, die sich auf die Episodik technisch-strategischer Aspekte des Kampfgeschehens konzentriert und komplexe thematische Zusammenhänge aus dem politischen und kulturellen Feld ausblendet (vgl. z. B. Beuthner u. a. 2003) und auf bild- lich Darstellbares konzentriert (Knieper/Müller 2005). Im Sonderheft des European Journals of Communication (vol. 15, 3/2000) zum Kosovokrieg sind einige Analysen dieser Art dokumentiert. Die Analysen befassen sich häufig mit dem Framing von Kriegen. Hier wird ermit- telt, wie sich bestimmte Intentionen in der Berichterstattung niederschlagen. Besonders gut lassen sich verschiedene Framing-Strategien in internationalen Vergleichen oder in Vergleichen zwischen verschiedenen Kriegen herausarbeiten. Außerdem stehen Muster der Quellenverwendung im Mittelpunkt vieler Inhaltsanalysen. Dahinter steht die Fra- ge nach Einflüssen auf die Medienberichterstattung (vgl. unter 4.).

2 Vgl. etwa die Ausgabe des Harvard Journal for Press and Politics, vol. 10, 1/2005, die sich schwerpunktmäßig mit Kriegsberichterstattung befasst.

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Einen relativ ausführlichen und aktuellen Überblick über Muster und Inhalte, die als Ergebnisse von Inhaltsanalysen der Kriegsberichterstattung aufgedeckt wurden, liefert Löffelholz (2004a).

4. Einflussfaktoren auf die Kriegsberichterstattung Durch die Inhaltsanalyse lassen sich aber nicht nur Berichterstattungsmuster aufdecken. Vielmehr wird dieses Verfahren oft dazu eingesetzt, um Faktoren der Nachrichtenaus- wahl und -aufbereitung aufzudecken. Schließlich ist für die Kriegsberichterstattung seit jeher eine erschwerte Zugänglichkeit zum Geschehen typisch – jedenfalls im Vergleich zu politischen Routineanlässen. Einflussfaktoren werden häufig in international vergleichenden Inhaltsanalysen oder in Studien zu unterschiedlichen Medien untersucht. So wird üblicherweise versucht, aus Unterschieden zwischen der Berichterstattung aus verschiedenen Ländern auf be- stimmte Informationspolitiken oder Zensurpraktiken der jeweiligen Regierungen zu schließen, auf bestimmte Stereotypen oder Feindbilder in den Ländern. Auch der Grad der Übereinstimmung im Mediensystem oder der Umfang und das Ausmaß der Kritik an einem Krieg bzw. der Kriegsunterstützung können Aufschluss über Einflüsse auf die Berichterstattung geben. Der indirekte Zugang zu den Kommunikationsabsichten der Primärakteure und ihren spezifischen Strategien via Inhaltsanalyse hat bislang die direktere empirische Er- forschung bei weitem überwogen. Überhaupt sind Analysen von Kommunikationsstra- tegien der Kriegsparteien nach wie vor vergleichsweise selten. Im Mittelpunkt der be- stehenden Studien steht die Beziehung zwischen Kriegsberichterstattung und sicher- heitspolitischem Informationsmanagement. In neuerer Zeit hat sich insbesondere ein starkes Interesse an der US-amerikanischen Kommunikationspolitik im Krieg ent- wickelt. So wird in Dokumentenanalysen die Informationsstrategie von US-Regierung und Militär untersucht. Es lassen sich die neueren, explizit militärischen „information operations“ von den bereits schon etwas länger diskutierten, außenpolitischen Maßnah- men der „public diplomacy“ unterscheiden (vgl. dazu Bussemer 2003, Szukala 2003 und in diesem Heft; Schlüter 2004). Auch die Analysen von Rahmenbedingungen im politischen System sowie im Me- diensystem versprechen in Bezug auf die Erklärung von Medienberichterstattung er- tragreich zu sein. Mit der enormen Präsenz von Al-Jazeera im dritten Golfkrieg ist auch das wissenschaftliche Interesse an den Rahmenbedingungen der Medienproduktion im arabischen Raum gestiegen. Einer der prominentesten Ansätze, die sich mit den Einflüssen auf die Kriegsbericht- erstattung beschäftigen, ist die Indexing-These (Bennett 1990). Ursprünglich im Kontext der US-amerikanischen Berichterstattung über US-amerikanische Kriege formuliert, ist sie in letzter Zeit auch bei der Untersuchung der deutschen Kriegsberichterstattung, also häufig in Fällen ohne direkte deutsche Kriegsbeteiligung, aufgegriffen worden (vgl. z. B. Eilders/Lüter 2000; Weiß/Maurer 2005; Weiß/Weiß 2005; vgl. auch Pohr in diesem Heft). Die These besagt, dass die Medienberichterstattung über Kriege der Meinungsverteilung in Parlament und Regierung folgt, die Meinungskonstellation im politischen System also indiziert. Im Falle eines parlamentarischen Konsenses äußern die Medien – folgt man die- ser These – keine Kritik am Regierungskurs. Die Kritik verlagert sich nach einer Annah- me Mermins auf Fragen des Vorgehens und der Performanz, während die Legitimation eines Kriegs nicht mehr in Zweifel gezogen wird (Mermin 1999). Wird dagegen in Parla- ment oder Regierung Dissens sichtbar, berichten auch die Medien kritischer.

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5. Wirkungen von Kriegsberichterstattung Bislang beschäftigen sich nur relativ wenige Arbeiten mit der Wirkung von Kriegsbe- richterstattung. Hier lassen sich zwei Ansätze unterscheiden: Während die einen die Wirkungen der Berichterstattung auf das Publikum untersuchen, befassen sich die an- deren mit Medien-Effekten auf das politische System. Interessanterweise ist die Fokus- sierung auf das Publikum, die in der kommunikationswissenschaftlichen Wirkungsfor- schung den Großteil der Studien bestimmt, in der Untersuchung von Medien im Krieg relativ selten zu finden. Dagegen dominieren Arbeiten zu Wirkungen auf die politischen Akteure, die wiederum in der übrigen Wirkungsforschung eher randständig sind. Eine zentrale Forschungstradition im Rahmen der publikumsbezogenen Wirkungs- forschung zu Medien im Krieg ist mit den Arbeiten zum so genannten „Rally-around- the-Flag“-Effekt benannt. Hier wird davon ausgegangen, dass in Kriegssituationen die politische und militärische Führung beim Publikum beliebter werden und Vertrauen ge- winnen. Allerdings trägt diese Unterstützung nicht langfristig, sondern geht nach weni- gen Monaten wieder auf das Vorkriegsniveau zurück (vgl. Parker 1995, McLeod/Eve- land/Signorelli 1994; Bytzek in diesem Heft). In Bezug auf die Wirkungen von Kriegsberichterstattung auf das politische System ist der so genannte „CNN-Effekt“ prominent. Dieser Ansatz hat in neuerer Zeit zu ei- ner erfreulichen Konturierung des Forschungsfeldes beigetragen. Die einschlägigen Ar- beiten befassen sich mit der Interaktion zwischen Medien und Politik. CNN steht da- bei für global empfangbares Fernsehen im Allgemeinen, wie es bspw. auch von BBC World geleistet wird und von Al-Jazeera, Letzeres allerdings nicht weltweit verständ- lich. Die These vom CNN-Effekt entstand im Kontext von internationalen Konflikten in der Zeit nach dem Kalten Krieg (z. B. zweiter Golfkrieg 1991, Bürgerkriege in Soma- lia, Ruanda, sowie Bosnien und Kosovo). Medien nehmen danach die Rolle von aktiven Politikern ein oder sogar von Kriegsparteien. Die globalen Fernsehsender lenken, so die Annahme, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf bestimmte Krisengebiete und erzwingen damit eine Intervention. In der ursprünglichen Formulierung waren dabei le- diglich humanitäre Katastrophen angesprochen, mittlerweile wird unter den CNN-Ef- fekt allerdings fast jedes Einflusspotenzial, dass von der Kriegsberichterstattung aus- geht, subsumiert (vgl. z. B. die Darstellungen bei Gilboa 2005; Livingston 1997; Robin- son 2001). Diese Allgemeinheit und die Annahme eines direkten Einflusses sind stark umstritten. Kritiker des Ansatzes gestehen den Medien zwar eine wichtige Rolle im Kriegsprozess zu, limitieren diese jedoch auf humanitäre Belange. Die Macht, einen Kriegszustand zu beenden, haben die Medien demzufolge nicht (Gilboa 2002: 732ff.; Robinson 2002). Eine gängige Unterscheidung umfasst drei Wirkungsarten von Kriegsberichterstat- tung, die in fast allen Arten von internationalen Krisen identifiziert werden können (Li- vingston 1997): (1) die Beschleunigung der Entscheidungsfindung im politischen Sys- tem, die durch die globale, zeitgleiche Berichterstattung erreicht werde, (2) die Verhin- derung oder Erschwernis bei der Erreichung von policy-Zielen, etwa durch die Wirkung emotionaler Berichterstattung auf die öffentliche Meinung oder die Aufdeckung von ge- heimen militärischen Operationen, und (3) ein Agenda-Building im politischen Ent- scheidungssystem. Vertreter dieser Sichtweise sehen in der Politik-Agenda eine Spiege- lung der Nachrichteninhalte. Daneben arbeitete Wolfsfeld (1999) anhand des israelisch-palestinensischen Kon- flikts weitere Arten der indirekten Einflussnahme von Medien auf Politikentscheidun- gen heraus. Ihm zufolge können Medien das politische Ansehen eines Beteiligten, etwa

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durch eine anwaltschaftliche Parteinahme von Journalisten verändern (Wolfsfeld 1999: 65 ff.). Politische Akteure müssen darauf durch eine Modifikation von Taktiken und Strategien oder durch eine interne Neuorganisation reagieren. Wolfsfeld unterteilt die Medien in drei Gruppen: Medien sind danach entweder treue Diener (faithful servants) der Obrigkeit oder halbwegs ehrliche Vermittler (semi-honest brokers), die Gegnern ein erhebliches Maß an Zeit und Raum für die Kritik an den bestehenden Obrigkeiten zur Verfügung stellen, oder aber Anwälte der Unterprivilegierten (advocates of the un- derdog), die die Vorwürfe gegenüber den Autoritäten noch verstärken (Wolfsfeld 1999: 69). Obgleich es noch keine hinreichenden empirischen Belege für die Thesen über mög- liche Wirkungen von Medien im Krieg gibt, scheinen die Überlegungen einen geeigne- ten Rahmen darzustellen, um verschiedene Rollen von Medien in Kriegen zu unter- scheiden. Allerdings erscheint eine weitere Differenzierung angebracht: In einem „po- licy-interaction model“ entwickelt Robinson (2000) die Auffassung, dass Medien erst dann eine Wirkung entfalten, wenn im politischen System Unsicherheit herrscht. Eine andere Bedingung sei eine ausgedehnte Berichterstattung mit kritischen Frames. Ist die Politik jedoch nicht irritiert (z. B. durch Krisen), wird kritische Berichterstattung kei- nen Einfluss auf die Politik haben. Letztere wird vielmehr umfassendere Anstrengun- gen unternehmen, um ihre Belange und Handlungen voranzutreiben. In diesem Fall ten- dieren die Medien dazu, die Entscheidungen der Elite zu reflektieren und ihnen somit Unterstützung zukommen zu lassen (Robinson 2000). Diese Bedingung nimmt Annahmen der Indexing-These auf, die im Grunde der An- nahme einer Wirkung auf die Politik widerspricht, denn sie geht davon aus, dass die Me- dien die Regierungslinie abbilden. Damit können sie kaum Politikentscheidungen um- lenken. In beiden Thesen spielt allerdings der Grad an Übereinstimmung im politischen System eine wichtige Rolle als Wirkungsbedingung. Es erstaunt nicht, dass der Großteil der systematischen Forschung zum Themen- komplex Medien und Krieg und die ersten theoretischen Ansätze sich im vergangenen Jahrzehnt in den USA entwickelt haben. Doch mittlerweile gibt es auch genügend Fäl- le, in denen Kriege und Kriegsberichterstattung die Bundesrepublik Deutschland un- mittelbar betreffen. Das hat die einschlägige Forschung im Lande angeregt. Dieses The- menheft versammelt eine Auswahl von Beiträgen auf der Grundlage aktueller Projekte aus der deutschen Forschung, die sich mit den medialisierten Kriegen und ihrer Dar- stellung in den Medien befassen.

6. Das Themenheft im Überblick Die vorstehende kurze Skizze des Forschungsstandes hat drei Schwerpunktbereiche un- terschieden, nach denen sich die vorliegenden Arbeiten zum Verhältnis von Medien und Krieg unterscheiden lassen: (1) die – von der Anzahl her dominierenden – Analysen der jeweiligen inhaltlichen Muster der Berichterstattung, (2) die Arbeiten zu den Einflüssen von Medien auf die kriegsbezogene Politik und (3) die Untersuchungen zum Einfluss der politischen Akteure auf die Kriegsberichterstattung. Nach diesen Schwerpunkten ist – wenn auch in anderer Reihenfolge – auch das vorliegende Themenheft gegliedert. Die Beiträge3 befassen sich mit den drei klassischen kommunikationswissenschaftlichen

3 Die meisten Beiträge basieren auf Vorträgen, die die Autoren auf der gemeinsamen Jahrestagung „Krieg als mediatisiertes Ereignis“der Fachgruppe „Kommunikation und Politik“ der Deut-

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Analyseschwerpunkten: Zunächst werden die Entstehungsbedingungen von Medien- botschaften in den Blick genommen, dann werden Reflektionen des Krieges in der Be- richterstattung sowie die medialen Reflexionen darüber analysiert, und abschließend werden Wirkungen von Medieninhalten aus der Perspektive der Legitimierung von Kriegen durch Medien diskutiert.

6.1 Bedingungen der Kriegsberichterstattung und Einflüsse durch externe Akteure Die Bedingungen für die Herstellung von Kriegsnachrichten haben sich durch die geo- politischen Umwälzungen und durch Globalisierungsphänomene im Medienbereich während der letzten Dekaden stark verändert. Mit zwei wesentlichen Aspekten dieser Veränderungen befassen sich die beiden ersten Beiträge in diesem Themenheft: dem zu- nehmend gründlicher organisierten Einsatz der Medien durch das Militär und dem Auf- kommen neuer Player auf dem internationalen Nachrichtenmarkt. Dass Medien für die Kriegspropaganda eingesetzt und als Mittel der Kriegsführung verwendet werden, dass der Krieg als Sphäre und Faktor der Medialisierung von Ge- sellschaften aufgefasst werden kann (Schulz 2004), ist nicht neu. Doch mit Beginn des 21. Jahrhunderts ist die öffentliche Kommunikation zu einem Hauptbestandteil des mi- litärischen Arsenals geworden. Der Prozess der Medialisierung, der in allen Bereichen der Gesellschaft zu konstatieren ist, aber bislang vorwiegend im politischen Feld kom- munikationswissenschaftlich untersucht wird, hat sich im militärischen Bereich rasant beschleunigt. Dazu hat ein Paradigmenwechsel wesentlich beigetragen, der durch die Strategen der mächtigsten Militärmacht der Welt betrieben wird. Von ihm handelt der erste Beitrag in diesem Heft. Andrea Szukala schildert auf der Grundlage einer Analyse von Dokumenten aus der militärischen und politischen Administration der USA und diesbezüglichen Medien- beiträgen, wie „Informationsoperationen“ in den Rang einer strategischen Waffe erho- ben wurden und in der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung militärische Ziele gegenüber außenpolitischen Zielen an Bedeutung gewannen. Nachdem sich in verschiedenen Mi- litärkonflikten gezeigt hatte, dass militärische Überlegenheit – auch wegen der globali- sierten, quasi synchronen Medienberichterstattung – sich nicht mehr ohne Weiteres in politische Überlegenheit umsetzen lässt, begann das US-Militär ab Mitte der 90er Jahre, Information als eigenständige militärische Fähigkeit anzusehen. In der so genannten In- formationsdoktrin aus dem Jahr 1998 wurde schließlich Informationsüberlegenheit so- gar zur Priorität allen militärischen Handelns erhoben. Unter dem Oberbegriff „Infor- mationsoperationen“ wurden militärische und mediale Instrumente fusioniert. Dazu wurde das auf technische Aspekte fokussierte Konzept der elektronischen Kriegs- führung erstens um Konzepte der Informationssicherung, der Öffentlichkeitsarbeit und Wahrnehmungssteuerung zum „Informationskrieg“ erweitert, um zweitens noch um die Instrumente der Public Diplomacy ergänzt zu werden. Wahrnehmungen unter Eli- ten, Soldaten und in der Zivilbevölkerung sollen mit dem obersten Ziel verändert wer- den, „dass Kriege so weit wie nur möglich in den Köpfen und nicht auf dem Schlacht- feld geführt und beendet werden können“. Information soll andere militärische Res- sourcen schonen. Das daraus erwachsene militärische Informationsmanagement richtet sich sowohl an

schen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) und des Ar- beitskreises „Politik und Kommunikation“ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissen- schaft (DVPW) in Hamburg am 13. und 14. Februar 2004 gehalten haben.

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in- und ausländische Stakeholder in Politik und Gesellschaft als auch an die kriegsbetei- ligten Parteien. Legitimation, Abschreckung und Täuschung gehören zu den wichtig- sten Zielen. Auf der strategischen Ebene geht es darum, Konflikte abzuwenden und Ent- wicklungsprogramme der Gegenseite zu stören. Auf der operationellen Ebene sollen die gegnerischen Informationsinfrastrukturen und Entscheidungsketten durch Information gestört und eine positive Einstellung der eigenen Öffentlichkeit erreicht werden. Auf der taktischen Ebene wird schließlich die völlige Kontrolle über die Öffentlichkeitseffekte auf das individuelle Handeln der Soldaten im Kampf und bei zivilen Operationen ange- strebt. Schließlich vermag das Handeln eines einzelnen Soldaten unter heutigen Bedin- gungen sehr schnell gravierende Wirkungen auf die internationale Öffentlichkeit aus- zulösen. Diese Ziele werden mit verschiedenen Mitteln angestrebt: Neben der Sicherung der eigenen Informations- und Befehlsketten gilt die Steuerung und Selektion von Informa- tionsflüssen als entscheidend für die militärische Überlegenheit im Krieg und im Frie- den. Die Störung der gegnerischen Informationsprozesse durch Überinformation (In- formation Overload) wird als ebenso essentiell angesehen wie systematische Täu- schungsmanöver (Deception) und das Vervielfältigen der Wirkung von Waffen durch Kommunikation (Force Multiplication). Für all diese Strategien werden auch die Mas- senmedien eingesetzt: Das Embedding von Journalisten in Kampfverbände, die Planung und Umsetzung militärisch-medialer Themenkampagnen und der Aufbau militäreige- ner Fernsehsender sind nur einige Beispiele aus dem Instrumentarium. Dass die neuen Konzepte zumindest auf kurze Sicht erfolgreich waren, macht Szu- kala auch daran fest, dass die USA 2002, im zweiten Krieg gegen den Irak nur ein Zehn- tel der Kriegsgefangenen im Vergleich zum ihrem ersten Irakkrieg von 1991 machten – hatten doch dieses Mal Scharen irakischer Soldaten die Teilnahme am Krieg verweigert. Szukala macht allerdings auch deutlich, dass sich aus den Steuerungserfolgen einer in- tensivierten und systematisierten Medienarbeit durch Militär und Regierung zumindest langfristig das große Problem einer „wachsenden Glaubwürdigkeitslücke“ ergibt. Die enorm gestiegene strategische Beachtung, die den Massenmedien mittlerweile zu- kommt, findet unter ihren wichtigsten Ursachen eine Entwicklung im nahöstlichen Kri- sengebiet, die Oliver Hahn beleuchtet: die Entstehung international einflussreicher, un- abhängiger Medienoutlets in Arabien. Diese weltweit beachteten Satelliten-Nachrich- tenfernsehsender führten als neue Leitmedien zu einem Strukturwandel des bislang von Reuters, BBC, AP und CNN eng oligopolisierten globalen Bildnachrichtenhandels: „Auf weltweit entgrenzten Medienmärkten konkurrieren nunmehr anglo-amerikani- sche „TV News Leaders“ (...) mit einer jungen Generation politisch relativ unabhängi- gen Satelliten-Fernsehens aus der arabischen Welt (...).“ Dieses Fernsehen bildet ein noch weitgehend unerforschtes Feld, das Hahn exploriert, indem er die Konfliktbe- richterstattung der Sender Al-Jazeera, Abu-Dhabi TV und Al Arabiya untersucht, den strukturellen Grundlagen ihrer Entwicklung nachgeht und daraus schließlich Thesen über die Folgen für die Konfliktberichterstattung ableitet. Obwohl die Berichterstattung der arabischen Satellitensender, vor allem von Al-Ja- zeera, über den Afghanistan-Krieg und den dritten Golfkrieg in der Folge der Anschlä- ge vom 11. September 2001 in vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen als bedeut- sam angesehen wird, liegen dazu kaum systematische Inhalts- oder Strukturanalysen vor. Hahn gibt einen Überblick über vorliegende, meist essayistisch-deskriptive Analy- sen und kommt zum Schluss, dass gerade bei Al-Jazeera ein „Trend zur extremen Poli- tisierung, Polarisierung, Personalisierung und Emotionalisierung“ zu beobachten sei, der mit einem kulturellen, d. h. pro-arabischen Bias einhergehe. Darin würden sich die

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arabischen Sender allerdings nicht von ihren amerikanischen Pendants CNN und FOX News unterscheiden. Deren Programme seien ebenfalls durch eine Symbiose aus Jour- nalismus und Patriotismus geprägt – eben nur aus der Perspektive der Gegenseite. Wie die Analyse ihrer Geschichte und Struktur zeigt, sind die nahöstlichen Satelli- tensender Grenzgänger zwischen journalistischen Kulturen. Sie orientieren sich einer- seits an Objektivitätsidealen aus der anglo-amerikanischen Tradition des Journalismus. Al-Jazeera reagierte auf westliche Kritik an seiner Berichterstattung sogar mit dem Er- lass eines Ethik-Kodex´. Im mangelnden Willen dieses Senders, sich explizit zur panara- bischen Parteilichkeit zu bekennen, liegt der Grund dafür, dass er nicht in die Vereini- gung arabischer Rundfunksender aufgenommen wird. Auch die übrigen Sender lassen sich nicht einfach mit den Traditionen des regional üblichen Staatsrundfunks identifi- zieren. Andererseits sind alle Sender – trotz rechtlicher Unabhängigkeit – wirtschaftlich und durch informelle Macht noch in hohem Maße von den Staatsoberhäuptern ihrer Länder abhängig, die bei Al-Jazeera und Abu-Dhabi TV zudem als Gründerväter fun- gierten. Damit lässt sich auch erklären, dass ihre Berichterstattung nur selten die Innen- politik des Heimatlandes thematisiert. Die Schlussfolgerungen Hahns lauten, dass die neuen arabischen Satellitensender zwar die Vielfalt von Perspektiven und Quellen der Konfliktberichterstattung aus dem Nahen Osten erhöhen. Doch werde die analytische Qualität der Berichterstattung durch diese Sender nur wenig gesteigert – auch weil von westlichen Sendern oftmals nur die dekontextualisierten Bilder übernommen würden. Die Effekte der Sender werden vor- wiegend in ihrer Rezeption durch die Medien anderer Regionen gesehen, vor allem der westlichen Industrienationen. Die Triebkraft von Al-Jazeera und ähnlichen Sendern für die Demokratisierung und Säkularisierung in der Region sei dagegen auf mittlere Sicht allenfalls gering. Um den Einfluss, den politische Eliten in demokratischen Systemen auf die Inhalte der Kriegsberichterstattung ausüben, geht es im dritten und letzten Beitrag des ersten Themenblocks. Darin untersucht Adrian Pohr am Fall des Afghanistan-Kriegs eine der wenigen harten Hypothesen, die durch die – an nomologisch-deduktiver Methodik arme – Erforschung von Kriegsberichterstattung hervorgebracht wurde. Die Rede ist von der Indexing-Hypothese, die Lance W. Bennett formuliert hat. Ihr zufolge findet kritische Berichterstattung über Konflikte nur in dem Maße statt, wie kritische Argu- mente durch die Diskurse der politischen Eliten vorgegeben werden. Im Fall des Kon- senses zwischen Regierung und Opposition wird Kritik folglich unterbleiben. In Krie- gen herrscht eine besonders starke Abhängigkeit von Quellen aus der politischen Elite, weil die Regierung eine besonders starke Informationskontrolle ausüben kann, da der Zugang zu Schauplätzen schwierig ist und weil patriotische Motive der Journalisten ce- teris paribus stärker ins Gewicht fallen. Eine Erweiterung der Indexing-Hypothese durch Jonathan Mermin schwächt diese dahingehend ab, dass die Medien zwar selbst im Konsensfall zwischen Politikern noch Anlass zur Kritik finden, dass diese Kritik sich aber nicht gegen die Legitimation des Krieges richtet, d. h. das „Warum und Ob“ be- trifft. Vielmehr wird die Performanz von Politikern und Militärs im Krieg kritisiert, also das „Wie“ negativ beurteilt. Etliche empirische Untersuchungen des US-amerikanischen Falles haben beide Va- rianten der Hypothese weitgehend bestätigt. Allerdings vermutet Pohr, dass deutsche Medien sich weniger eng als US-amerikanische an den Meinungen der politischen Eli- ten orientieren – ihres eher aktiv-kritischen Selbstverständnisses und der größeren Me- dienvielfalt wegen. Er überprüft seine Annahmen anhand einer Untersuchung von Kommentaren der fünf Qualitätszeitungen. In diesen Kommentaren erhebt er unter-

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stützende oder kritisierende Aussagen zum Einsatz von deutschen oder anderen Trup- pen im Afghanistankrieg. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Zeit zwischen dem Anschlag auf das World Trade Center und dem Ende der Talibanherrschaft durch den Sieg ihrer Gegner im gleichen Jahr. Das Meinungsspektrum der politischen Eliten macht er an den Positionen der im Bundestag vertretenen Parteien fest. Von ihnen waren alle außer der PDS für den Kriegseinsatz in Afghanistan. Pohrs Annahmen werden insofern bestätigt, als Kritik in Kommentaren der deut- schen Qualitätszeitungen weitaus seltener geäußert wurde als Unterstützung für den Afghanistankrieg. Dabei fällt zwar insgesamt noch mehr als ein Drittel aller Meinungs- äußerungen kritisch aus. Auch zeigt sich, dass der Anteil Kritik umso höher war, je wei- ter links eine Zeitung verortet werden kann. In dem am weitesten links stehenden Me- dium, der taz, überwiegt die Kritik sogar. Allerdings entfällt in allen Zeitungen, ganz entsprechend der erweiterten Indexing-These von Mermin, der Löwenanteil der Kritik auf Aspekte der Performanz im Krieg, während die Legitimation weitaus unkritischer dargestellt wird. Insgesamt wird das „Warum und Ob“ des Krieges nämlich nur zu ei- nem Viertel kritisch, zu drei Vierteln unterstützend kommentiert. Selbst die taz präsen- tiert noch deutlich häufiger (nämlich zu 57 %) Meinungen, die den Krieg als gerecht- fertigt einstufen. Dagegen enthalten die Kommentare zum „Wie“ des Krieges zu 47 Pro- zent kritische, zu 53 Prozent unterstützende Stellungnahmen. Ob die Ursache dieser Muster tatsächlich darin zu sehen ist, dass sich die Medien an den Äußerungen von Par- lamentariern und Parteien orientierten oder ob sich beide Meinungsverteilungen aus an- deren Gründen ähneln, muss bei der angewendeten Methode allerdings offen bleiben, die nur Medieninhalte bzw. nur eine Meinungskonstellation in einem Krieg betrachtet.

6.2 Reflektion und Rereflektion von Kriegen Dass die Muster der Kriegsberichterstattung sich in starkem Maß durch Vorgänge im politischen System erklären lassen, ergibt auch die Analyse von Helmut Scherer, Romy Fröhlich, Bertram Scheufele, Simone Dammert und Natascha Thomas. Sie untersuchen, wie sich die inhaltlichen Struktur der Berichterstattung über die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickelt hat, die insbesondere durch den starken Wandel der geostrategischen Situation nach der Auflösung des Warschauer Paktes als sehr rele- vantes Feld gelten kann. Eine längsschnittlich angelegte Inhaltsanalyse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der Süddeutschen Zeitung (SZ) wird durchgeführt, die den Zeitraum zwischen 1989 und 2000 umfasst. Die Autoren decken mit einer explorativen Clusteranalyse vier dominante Frames in der Berichterstattung auf und können damit zeigen, dass sich der Mediendiskurs eng an den Stufen des politischen Prozesses orientiert. So drehen sich Beiträge mit sicherheits- oder verteidigungspolitischem Schwerpunkt in der FAZ und der SZ entweder um die Entscheidungsfindung und -vorbereitung im politischen System der Bundesrepublik (Frame „deutsche verteidigungspolitische Debatte“) oder um die politische Umsetzung solcher Entscheidungen, die üblicherweise die Bundeswehr betreffen (Frame: „deut- sches verteidigungspolitisches Handeln“). Die beiden übrigen Frames drehen sich ers- tens um den internationalen Aspekt der Verteidigungspolitik („Bündnispolitik“) und zweitens um das militärische Handeln der Bundeswehr („Bundeswehreinsätze“). Wie sich zeigt, löste die neue deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik ver- stärkte Beachtung durch die Medien aus. Als zentrales Schlüsselereignis wird der Soma- lia-Einsatz der Bundeswehr identifiziert, in dessen Folge sich die Selektionskriterien än- derten.

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Mit zeitreihenanalytischen Verfahren wird eine bestimmte Ablauflogik der Bericht- erstattung aufgedeckt. Diese besteht auch darin, dass verteidigungspolitische Maßnah- men eine Diskussion von Verteidigungspolitik offenbar eher auszulösen scheinen, als dass umgekehrt die Diskussion diese Maßnahmen vorbereiten würde. Die politische Diskussion wird also häufig erst dann geführt, wenn der Kriegseinsatz schon stattge- funden hat – und das mit erheblichem zeitlichen Abstand. Der Grund dafür liegt zum einen darin, dass die deutsche Sicherheitspolitik in den 90er Jahren „von einem gewis- sen Aktionismus getrieben war“ und notwendige Debatten erst verspätet geführt wur- den. Zum anderen ergibt sich der zeitliche Verzug daraus, dass die Vorbereitung sicher- heitspolitischer Maßnahmen in parlamentarischen Ausschüssen und in der Verwaltung durch die Medien kaum beachtet wird, weil sie zu unspektakulär und zu komplex ver- läuft. Erst die parlamentarische Verabschiedung entspricht dann genügend Nachrich- tenfaktoren, um die Aufmerksamkeitsschwelle der Medien zu überschreiten. Weitere Muster der Kriegsberichterstattung, die sich aus den spezifischen Selekti- onslogiken im Mediensystem heraus erklären lassen, werden im Beitrag von Wolfgang Donsbach, Olaf Jandura und Diana Müller betrachtet, die das journalistische Rollen- selbstbild und die redaktionelle Linie von Medien ins Visier nehmen. Die Autoren un- tersuchen Aussagen in der Berichterstattung von deutschen und amerikanischen Print- medien, soweit sie sich zum Thema des Embedding im vergangenen Irakkrieg äußern, also zum Vorgehen der US-amerikanischen und britischen Armee, Journalisten offiziell in Kampfverbände zu integrieren und so unmittelbar am Krieg teilhaben zu lassen. Das Ergebnis, wonach Embedding umso kritischer dargestellt wird, je weiter links ein Medium auf der politischen Skala rangiert, ist angesichts einer großen Zahl von Be- legen für die Effekte der redaktionellen Linie auf die Nachrichtenauswahl deutscher Me- dien nicht besonders überraschend. Auch die Analyse im Beitrag von Pohr hatte ja ge- zeigt, dass aus einer linken Positionierung ein gesteigertes Maß an Kriegskritik folgte – in diesem Fall am Afghanistankrieg. Das zweite zentrale Ergebnis von Donsbach, Jandura und Müller, wonach Embed- ding in deutschen Medien insgesamt wesentlich kritischer dargestellt wurde als in US- amerikanischen, hätte man aus verschiedenen Gründen ebenfalls erwarten können. Dies kann z. B. etwas mit einer „Rally-around-the-Flag“ unter Journalisten zu tun haben, da- mit dass unterschiedliche Erwartungen der nationalen Leserschaften erfüllt werden, da- mit dass weitaus mehr amerikanische Journalisten als deutsche selbst in Kampfverbän- de eingebettet waren oder eben auch mit Unterschieden in den journalistischen Kultu- ren Deutschlands und der USA. Donsbach, Jandura und Müller konzentrieren sich auf die letzte Möglichkeit. Die positivere Darstellung des Embedding interpretieren sie so, dass amerikanische Journalisten im Embedding die Möglichkeiten sehen, „dem Publi- kum ein umfassenderes Bild des Krieges bieten (zu) können.“ Im deutschen Journalis- mus dagegen „hat die eigene Recherche nicht den gleichen Stellenwert und es wird auch immer noch nicht in gleichem Maße recherchiert wie im angelsächsischen“, weshalb hierzulande eher die negativen Seiten des Embeddings im Vordergrund stünden. Kritik an der Qualität der Kriegsberichterstattung wird nicht nur durch die Kom- munikationswissenschaft geübt. In zunehmendem und inzwischen ganz erheblichem Maße thematisieren die Medien selbst, wie im Krieg berichtet wird, üben Selbstreflekti- on und Selbstkritik. Zu diesem Ergebnis kommen die nächsten beiden Beiträge, die sich beide mit Metaberichterstattung befassen. Eine längsschnittlich angelegte Inhaltsanalyse der Irakkriegsberichterstattung in den Qualitätszeitungen durch Frank Esser, Christine Schwabe und Jürgen Wilke zeigt, dass die Metaberichterstattung im dritten Golfkrieg von 2003 wesentlich umfangreicher aus-

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fiel als noch im zweiten Golfkrieg von 1991. Dabei stellen sich Medien selbst zuneh- mend als aktiv Beteiligte dar. Als Ursache für diese Entwicklung sehen die Autoren die zunehmende Medialisierung von Kriegen. Metaberichterstattung wird „als Reaktion ei- nes professionellen Journalismus auf die veränderten Berichterstattungsbedingungen in modernen Kriegen verstanden“. Die Autoren definieren Metaberichterstattung sogar dadurch, dass es sich um Berichterstattung über medialisierte Ereignisse handeln muss, bei der die Rolle des Nachrichtenjournalismus thematisiert werde. Damit greifen sie ein Konzept von Esser und d´Angelo auf. Es umfasst neben der genannten Definition die Annahme, dass sich Metaberichterstattung durch vier spezifische Frames auszeichnet: Durch den „Vermittlungsframe“ wird die eigene Rolle des Journalismus als passive Ver- breitungsinstanz thematisiert. Durch den „Strategischen Akteursframe“ stellen sich Me- dien als autonome politische Akteure dar. Der „Verantwortlichkeitsframe“ besteht in einer gemeinwohlorientierten Reflektion journalistischen Handelns. Dieses bislang nur auf die Wahlkampfberichterstattung angewendete Konzept lässt sich im vorliegenden Beitrag weitgehend problemlos auf die Kriegsberichterstattung übertragen. Allerdings muss dafür ein vierter Frame eingeführt werden, der „Selbstdarstellungsframe“. Dabei geht es um „Selbstbespiegelung journalistischer Einzelpersönlichkeiten“, die ihre Sub- jektivität zum Mittelpunkt machen. Die Selbstkritik der Medien im Fall der Kriegsbe- richterstattung lässt sich also als Teil eines allgemeineren Phänomens begreifen, in des- sen Rahmen zunehmende Medialisierung der Ereignisse zu einer zunehmenden Media- lisierung der Berichterstattung führt. Wie die Autoren allerdings auch feststellen, fand Selbstthematisierung in einem engeren Sinn kaum statt. Es unterblieb nämlich ganz weitgehend, dass Medien die Berichterstattung der eigenen Organisation reflektierten. Metaberichterstattung ist also Berichterstattung über andere Medien. Kriterien, mit denen sich die Qualität der Medienkritik beurteilen lässt, entwickelt Christiane Eilders. So fordert sie, dass Urteile begründet werden müssten, dass Ereig- nisse durch Deutungen in einen Kontext zu stellen seien und vom Einzelfall zu abstra- hieren sei, um durch „thematische Berichterstattung“ allgemeine Gesetzmäßigkeiten aufzudecken. Diese Maßstäbe wendet sie in einer quantitativen und qualitativen In- haltsanalyse auf die Medienkritik an der Berichterstattung über den dritten Golfkrieg an, die durch führende deutsche Nachrichtenblätter aus dem Zeitungs- und Zeitschrif- tensegment geübt wurde. Anknüpfend an öffentlichkeits-theoretische Vorstellungen und mit Blick auf die zunehmende Medialisierung von Kriegen argumentiert sie, dass auch die Kritik der Kriegsberichterstattung zu einer kritischen Auseinandersetzung der Gesellschaft mit ihren Medien beitragen kann, wenn die entwickelten Kriterien beach- tet werden. Diese Untersuchung zeigt, dass im dritten Golfkrieg reichlich Medienkritik geübt wurde und dass sie „weit über die Medienseiten hinausging“. Als Ziele der Kritik stan- den das Fernsehen und die US-amerikanischen Medien im Mittelpunkt. In inhaltlicher Hinsicht wurde vor allem die einseitige Berichterstattung kritisiert. Daneben war häu- fig auch die unreflektierte bzw. ungenügend kontextualisierte Verwendung von Bildern ein Thema sowie die Ungewissheit und der Mangel an Information, die die journalisti- sche Arbeit prägten. Auch Eilders stellt fest, dass Medienkritik einen blinden Fleck auf- weist, da Selbstkritik der organisationseigenen Berichterstattung sich auch bei dieser Untersuchung nicht nachweisen ließ. Insgesamt, so Eilders, sprächen ihre Befunde zwar für eine kritische Beobachtung der Kriegsberichterstattung und damit für eine gewisse Qualitätskontrolle durch die Me- dienkritik, nicht aber für einen substanziellen Beitrag der Medienkritik „zur gesell- schaftlichen Selbstverständigung“ über die Funktionen und Leistungen von Medien im

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Krieg. Zu sehr dominiere das illustrative, den Einzelfall Darstellende, zu wenig präsent seien „Deutungen und Erläuterungen von Gesetzmäßigkeiten“.

6.3 Legitimierung von Kriegen durch Berichterstattung Eine zentrale Wirkung von Kriegsberichterstattung besteht darin, dass sie Kriege legiti- mieren oder delegitimieren kann. Dadurch vermag sie den Kriegsverlauf selbst zu be- einflussen, indem sie entweder für den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung und für po- litische Unterstützung sorgen kann oder eben dafür, dass beides entzogen wird. Die ab- schließenden beiden Beiträge in diesem Themenheft befassen sich mit diesem Topos. Bertram Scheufele untersucht einen impliziten Mechanismus der Legitimierung, in dem er Rollenzuschreibungen unter die Lupe nimmt, die die Beteiligten am Kosovo- krieg in der Berichterstattung der beiden deutschen Nachrichtenmagazine Spiegel und Focus kennzeichneten. Die explorative Studie zeigt, dass im Spiegel wie im Focus Ser- ben üblicherweise als Täter und Kosovo-Albaner als Opfer auftauchten. Dies entsprach weit verbreiteten Vorstellungen in der Bevölkerung und stützte die Problemdefinition der Bundesregierung. Auch durch andere Zuschreibungen wurde das Handeln der Bun- desregierung legitimiert. So stellte der Focus die Regierungsmitglieder als verantwor- tungsvoll und realistisch dar und der Spiegel vermittelte den Eindruck, dass die Regie- rung den kriegskritischen Kurs der eigenen Parteien, der Oppositionsparteien sowie der Gesellschaft aufgriff. Delegitimierende Rollenzuschreibungen finden sich ebenfalls in beiden Magazinen – im Spiegel seltener als im Focus, der der Regierung vor allem den Rückhalt in der eigenen Partei absprach. Scheufele argumentiert, dass seine Analyse von Rollenzuschreibungen ein differen- zierteres Bild ergibt als andere Untersuchungen der medialen Legitimation des Koso- vokrieges, die einen weitgehend starken Konsens auf der Ebene der expliziten Argu- mentation ausgemacht haben. Mit Rollenzuschreibungen haben Journalisten sicherlich ein besonders subtiles Instrument für die Konstruktion von Kriegsberichterstattung in der Hand. Es wird als Komponente von Kriegsdiskursen für die Forschung noch zu- sätzlich dadurch interessant, dass die Personalisierung von Nachrichten nach wie vor fortschreitet. Am selben Fall, dem Kosovokrieg, untersucht Evelyn Bytzek, inwiefern die Bericht- erstattung der FAZ und der SZ legitimierende Inhalte umfasste. Die Ergebnisse dieser Inhaltsanalyse setzt sie in Beziehung zu Umfragedaten, die die Popularität deutscher Po- litiker und Parteien abbilden. Damit soll geprüft werden, ob die Medienberichterstat- tung den „Rally-round-the-flag“-Effekt moderieren kann, der sich darin äußert, dass Kriege die Regierungspopularität steigern. Tatsächlich findet Bytzek Belege dafür, dass sich die starke Präsenz des Kosovokriegs in den untersuchten Medien und die im Sinne der Regierung positiv verlaufende Thematisierung für eine Rally verantwortlich machen lässt. Wie Bytzeks Inhaltsanalyse zeigt, dominierte in der Berichterstattung sowohl der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als auch der Süddeutschen Zeitung in thematischer Hinsicht die Diskussion um die Legitimität des Kosovokriegs. Dabei war während der vier untersuchten Monate in beiden Tageszeitungen der Tenor der Legitimitätsdiskus- sion positiv, d. h. im Einklang mit der Argumentation der Regierung. Anders verhielt es sich beim zweitwichtigsten Aspekt, der militärischen Performanz. Sie wurde in beiden Zeitungen im ersten Monat noch gemischt, in allen weiteren Monaten durchweg und in ähnlichem Ausmaß negativ beurteilt. Insgesamt verschlechtert sich die anfangs noch ausgesprochen regierungsfreundliche Tendenz in beiden Zeitungen mit Fortdauer des Krieges deutlich. Diese ausgeprägten Ähnlichkeiten der Berichterstattung beider Qua-

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litätszeitungen erstaunen, gerade angesichts der grundsätzlich unterschiedlichen redak- tionellen Linien, doch lassen sie sich gut mit der Indexing-Hypothese erklären, die of- fenbar auch im Kontext des Kosovokrieges zutraf. Ganz im Einklang mit den Ergebnissen der Inhaltsanalyse entwickelten sich die Po- pularitätswerte von Regierungspolitikern und der großen Regierungspartei, SPD: Im ersten Kriegsmonat stiegen sie unter den Anhängern aller Parteien. Die Bevölkerung scharte sich um die Regierung. Bei prominenten Politikern der Grünen lässt sich die glei- che Entwicklung beobachten, allerdings nicht bei der Partei insgesamt. Sie profitierte nicht. Das im zweiten Monat beginnende Ende der Rally und die weitgehende Rück- kehr zu den ursprünglichen Popularitätswerten lassen sich ebenfalls mit der Berichter- stattung erklären, da im Verlauf des Krieges darin Aspekte die Oberhand gewannen, die die Position der Regierung nicht mehr stützten, sondern eher zu ihrer Unterminierung geeignet waren. Die Ergebnisse belegen, dass die Parteineigung als Prädisposition für oder gegen die Regierung durch eine konsonant regierungsfreundliche Berichterstattung offenbar kurzzeitig außer Kraft gesetzt werden kann. Interessant an Bytzeks Ergebnissen ist auch die Beobachtung, dass die geschilderte Popularitätsentwicklung sich weitgehend iden- tisch in den alten und in den neuen Bundesländern zeigte, wenngleich die Bevölkerung in den neuen Ländern generell eine wesentlich kritischere Haltung zum Kosovokrieg hatte. Auch dies spricht für die Hypothese von der Rally als medienbedingtem Effekt.

7. Fazit Die Beiträge in diesem Themenheft belegen die rege Aktivität, die die deutsche Kom- munikationswissenschaft bei der Erforschung der Beziehung zwischen Kriegen und Medien an den Tag legt. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Konzept der Medialisie- rung. Mit ihm lassen sich tief greifende Veränderungen erklären, die Veränderungen des internationalen Mediensystems ebenso betreffen wie den Umgang von Militär und Po- litik mit den Medien in Kriegssituationen. Außerdem wirkt die Medialisierung auf die Berichterstattung der Medien selbst zurück: Sie sind gezwungen, ihr sprunghaft gestie- genes Einflusspotenzial im Krieg zu thematisieren. Schließlich betrifft Medialisierung auch die Wirkung der Massenmedien, die Legitimation von Kriegen in Sonderheit, die mehr denn je davon abhängt, was die Medien berichten. Es hat sich gezeigt, dass sich Gesetzmäßigkeiten wie das Indexing-Phänomen und die Rally-around-the-Flag auch im deutschen Fall nachweisen lassen. Auf der anderen Sei- te haben sich Besonderheiten des deutschen Mediensystems, wie z. B. die große Presse- vielfalt und Spezifika der journalistischen Kultur, als einflussreich auch im Falle der Kriegsberichterstattung erwiesen. Viele Schwächen, die an der anglo-amerikanischen Forschung zu kritisieren sind, be- treffen – das hat sich auch gezeigt – ebenso ihr deutsches Pendant. Die weitere Ent- wicklung wird davon profitieren, wenn Studien zur Medialisierung von Kriegen und zur Kriegsberichterstattung weniger explorativ und strenger hypothesengeleitet vorgehen werden, wenn ad-hoc-Empirie zugunsten von Theoriebildung in den Hintergrund tre- ten sollte, wenn sich die Forschung weniger an historischen Singularitäten orientieren wird und stärker vergleichend ausrichtet und wenn bei allen, insbesondere forschungs- ökonomischen Vorteilen der quantitativen Inhaltsanalyse die Kommunikationswissen- schaftler/innen sich stärker auf die methodische Vielfalt besinnen, die ihre Disziplin ins- gesamt kennzeichnet.

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Eilders / Hagen · Forschungsstand und Einleitung

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Informationsoperationen und die Fusion militärischer und medialer Instrumente in den USA Der Versuch einer militärischen Antwort auf die neuen Bedrohungen*

Andrea Szukala

Im vorliegenden Beitrag wird ein Perspektivenwechsel in Bezug auf das Verhältnis von Militär und Medien vorgeschlagen: Einschlägige Studien im Bereich der Newsmanage- mentforschung setzen den Schwerpunkt auf die Steuerung der Medienberichterstattung durch die Exekutive. Prämisse dieser Überlegungen ist der Wandel der internationalen Politik: Globalisierung und Beschleunigung der Informationsströme, Multiplizierung der Akteure und Erhöhung der Legitimationsanforderungen an Außenpolitik im eige- nen Land führen zu einer erhöhten Notwendigkeit eines Newsmanagements, wenn die Handlungsfähigkeit von Regierungen im internationalen Umfeld aufrechterhalten wer- den soll. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich für das Militär ab: Mit der Neudefini- tion des Informationsraumes der internationalen Sicherheit erweitert sich das Spektrum der Instrumente und dehnt sich auf den militärischen Einsatz von Informationen aus. Am Beispiel der neueren Entwicklungen amerikanischer Informationsdoktrinen und de- ren Umsetzung während des Irakkrieges sollen erste Schlussfolgerungen für die Neube- stimmung des Verhältnisses von Medien und Militär gezogen werden.

Keywords: Informationsoperationen, Newsmanagement, Informationsdoktrin, Irak- Krieg, Propaganda, Public Diplomacy

1. Neue Bedrohungen und Informationsoperationen nach dem Ende des Kalten Krieges Nach dem Wegfall der atomaren Bedrohung der Blockmächte hat bis zum Ende der 90er Jahre im amerikanischen Militär ein fundamentaler Wandel im Bereich von Streitkräf- testruktur und Doktrin stattgefunden: Im Zuge dieses Wandels wurde eine Entwicklung hin zu immer technologielastigeren Streitkräften vollzogen, die durch die digitale Ver- netzung der Strukturen von „Command-Control-Communications-[Computers]-Intel- ligence-Surveillance-Reconnaissance“ (C4ISR) gekennzeichnet sind. Die mit dieser Ent- wicklung, der Revolution in Military Affairs, einhergehende absolute Priorität auf der Informationsüberlegenheit ist indes nicht nur ein Merkmal der digitalen Kriegführung. Die Informationsüberlegenheit gilt heute als Priorität allen militärischen Handelns: Dies ist zum einen neuen Strukturen und Technologien geschuldet. Zum anderen liegen die Gründe aber auch in den diffusen neuen Bedrohungen und der Schwierigkeit einer mi- litärischen Hypermacht wie den USA, Fähigkeiten für die asymmetrische Kriegführung auszubilden. Dies gilt für alle militärischen Aufgabenbereiche im Rahmen von Peace- keeping-Einsätzen ebenso wie in heißen Konflikten oder im Umgang mit den terroris- tisch-fundamentalistischen Bedrohungen weltweit und zuhause (Cordesman, 2002): So beruht zum Beispiel die asymmetrische Kriegführung, das Ausnutzen der Schwächen des Stärkeren, wesentlich auf den Instrumenten der Kommunikation, auf der Verbrei-

* Ich danke dem Amerika-Haus Köln – besonders Mechthild Hoelker vom Informationsdienst – für die ausgezeichnete Unterstützung bei Recherche und Dokumentation zu diesem Aufsatz. 222 003_M&K_02+03-05_Szukala 06.07.2005 11:53 Uhr Seite 223

Szukala · Informationsoperationen

tung von Angst und Schrecken, auf dem Krieg der Perzeptionen (Beer, 2000). Um hier militärisch abzuschrecken, können das Waffenarsenal eines Staates und die Stärke seiner Streitkräfte immer noch eine Rolle spielen. Moderne Gesellschaften akzeptieren aber heute weniger denn je den Einsatz von eigenen Menschenleben für internationale und regionale Konflikte – die Empfindlichkeit für diesbezügliche ‚schlechte Nachrichten‘ aus Krisengebieten ist heute größer als jemals in der Geschichte des modernen Krieges. Dies ist eine neue Situation, die – kombiniert mit der leichteren allgemeinen Zugäng- lichkeit notwendiger Technologien – die westlichen Gesellschaften verwundbar durch Informationen macht. Am Beispiel des -Einsatzes der USA 1993 wurde deutlich, dass, wenn traditionelle militärische Fähigkeiten nicht mehr in politische Überlegenheit umgesetzt werden können, sich ihr Wert relativiert und der vermeintlich schwächere Akteur (in diesem Fall der General Aidid) aus einer solchen Asymmetrie mit sehr ge- ringen Mitteln ein erhebliches Machtpotenzial beziehen kann. Ab Mitte der 90er Jahre begann das US-Militär, Information als eigenständige militärische Fähigkeit zu denken.1 Das Ziel der bisher nicht abgeschlossenen Entwicklung einer „Doktrin der Informa- tion“ ist es, die Vereinigten Staaten mit Fähigkeiten auszustatten, die Macht der Infor- mation politisch und militärisch umfassend zu operationalisieren (s. für eine Übersicht über die Entwicklung der Doktrin: U.S. National Defense University, 2003). Enge De- finitionen von Einzelzielen der strategischen Verwendung von Information, um etwa im Rahmen von Propaganda staatliche Kriegführung gegenüber der eigenen Öffentlichkeit zu legitimieren, gehören inzwischen der Vergangenheit an. Es geht heute vielmehr da- rum, den riskanten Einsatz von traditionellen Fähigkeiten, wie Material und Truppen, so weit wie möglich einzuschränken oder ganz zu vermeiden und die eigene Gesellschaft vor der asymmetrischen Bedrohung zu schützen. Offensives Ziel ist es im Gegenzug, gegnerische Elitenperzeptionen zu ändern, Befehlsketten zu stören, die technologischen und sozialen Kommunikationsinfrastrukturen der anderen Partei so zu manipulieren, dass Kriege so weit wie nur möglich in den Köpfen und nicht auf dem Schlachtfeld ge- führt und beendet werden können. Mit dem veränderten Kriegsbild verändern sich auch die Ebenen militärischen Han- delns und damit die Funktionen von Kommunikation im Krieg: Die gesellschaftliche und die individuelle Ebene sind selbstverständliche Zielebenen des Militärischen. In der Sicht der amerikanischen Streitkräfte stellt dies eine neue strategische Herausforderung dar, die sie aus ihrer Sicht folgerichtig mit militärischen Mitteln zu beantworten versu- chen. Kommunikation und Information wird somit auf völlig neue Weise zum Gegen- stand militärischer Planung und von der taktischen auch auf die strategische Ebene ge- hoben. Daher muss eine Analyse dieses Problems der Veränderung der Zielebenen mi- litärischen Handelns sicherheitspolitische und medienwissenschaftliche Perspektiven miteinander verknüpfen. Die meisten bekannten politik- und medienwissenschaftlichen Modelle zielen jedoch ausschließlich auf die Erklärung der politischen Kommunikation im Rahmen von gesellschaftlichen Legitimationsprozessen von traditionellen Kriegen und Konflikten in westlichen Demokratien. Bei der traditionellen militärischen Kom- munikation liegt der Fokus auf der taktischen Ebene bei Abschreckung und Täuschung. Die militärische Kommunikation im Rahmen der neuen Kriegsbilder bildet aber zum einen selbst schon das Wesen des Krieges, zum anderen verfolgt sie auch klar andere Schwerpunkte, nämlich vor allem das der strategischen Kriegsverhinderung und der Mi-

1 Diese Überlegungen wurden unterstützt durch die akademischen Eliten, die einen neuen Machtbegriff des Informationszeitalters diskutierten (Keohane/Nye, 1998).

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nimierung der Auseinandersetzung mit Waffen. Zentrale militärische Ziele sind Force Multiplication (Vervielfachung der eigenen militärischen Fähigkeiten durch Spiegelung in Medien) und – v. a. auf der taktischen Ebene – Force Protection (Schutz der eigenen Streitkräfte im Einsatz, z. B. durch Sympathieaktionen), die bei internationalen Einsät- zen eine bedeutende Rolle spielt. Gleichzeitig werden – parallel von der politischen Ebe- ne her – die bekannten Instrumente des Newsmanagements gegenüber den nationalen Öffentlichkeiten eingesetzt, um bei ihnen für Unterstützung an der Heimatfront und bei den Alliierten zu werben. Newsmanagement von Regierungen kann als strategische Kommunikation der Exekutive verstanden werden mit dem Ziel, die öffentliche Mei- nung durch die Kontrolle der Medienagenda zu kontrollieren (Pfetsch, 1999, 6). Zentrales Dokument und Ausgangspunkt der Neuausrichtung sind die Informa- tionsdoktrin aus dem Jahr 1998 (U.S. Joint Chiefs of Staff, 1998) und die sukzessive Aus- bildung der militärischen Fähigkeit der Informationsoperationen (IOs). Diese sind ne- ben die klassischen Instrumente der Nationalen Sicherheit getreten und fusionieren zu- nehmend die alten Instrumente innerhalb einer Verteidigungsinfrastruktur, die wiede- rum eng mit den zivilen nationalen und globalen Informationsinfrastrukturen vernetzt ist. Diese verzweigte Informationsumwelt (der so genannte Informationsraum der ame- rikanischen nationalen Sicherheit) ist bereits aufgrund ihrer enormen Ausdehnung störanfällig. Zudem produziert sie selbst auch neue Risiken, da der technologische Auf- wand sowie Zeitaufwand und Nähe, über die gegnerische Angriffe ausgeführt werden können, stetig abnehmen.2 In den Vereinigten Staaten hatte sich daher bereits vor dem Herbst 2001 die Wahrnehmung verfestigt, dass Gegner heute zu einem sehr geringen Preis die technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Infrastrukturen der natio- nalen Sicherheit Amerikas angreifen könnten (s. Rand-Studie aus dem Jahr 1996: Mo- lander/Riddile/Wilson). Die gegenseitige Zerstörung der gesellschaftlichen Basis, des ‚Way of life‘, wird als immer bedeutenderes Risiko wahrgenommen. So George Bush in der Nationalen Sicherheitsstrategie vom September 2002: „The gravest threat our nation faces lies at the crossroads of radicalism and technology“ (Bush, 2002: 2). Vor allem die Bedrohung durch Einzelkämpfer und nicht-staatliche Akteure, die die neueren Tech- nologien versiert einsetzen, hat die Einsicht zusätzlich geschärft, dass traditionelle Me- thoden der militärischen Abschreckung und der Diplomatie die Interessenwahrneh- mung und die Sicherheit der Vereinigten Staaten und ihrer Alliierten nicht mehr hin- reichend gewährleisten (Potter, 2002). Die „Informationsoperationen“ (IOs) sind die umfassende methodische Antwort des amerikanischen Militärs auf diese Entwicklung. Sie enthalten das gesamte Spektrum der unter dem Begriff der Informationskriegführung (Information Warfare, IW) gefassten technischen Komponenten und werden daher gerne gleich gesetzt mit der digitalen Kriegführung, dem Netz- oder Informationskrieg. Das funktionale Spektrum der IOs ist aber breiter: Es umfasst neben der ‚Electronic warfare‘ (EW), und ‚Computer network operations‘ (CNO) die ‚Information protection‘, und das ‚Perception management‘ (U.S. Department of Defense, 2000: V), wobei Öffentlichkeitsarbeit und andere Formen der Kommunikation für die Militärplaner eine immer bedeutendere Rolle einnehmen (Glenn/Peterson, 1995). Die Definition und Bandbreite der IOs haben sich seit der Mitte der 90er Jahre kon- tinuierlich verändert. IO ist ein Arbeitsbegriff, der von den amerikanischen Streitkräf-

2 Dies gilt selbstverständlich auch für das Militär, das sich auf neue Formen des Krieges über große Distanzen und mit neuen Möglichkeiten der digitalen Steuerung des Soldaten im Einsatz einstellen muss (S. für Beispiele: Clarke, 2001)

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Szukala · Informationsoperationen

ten immer wieder umdefiniert wird und der zunehmend zu einem horizontalen Kon- zept, einem überwölbendem Prinzip, das die gesamte Militärdoktrin und -struktur durchzieht, geworden ist (Shanker/Schmitt, 2004). Bekannte Elemente wie Propaganda und PR bilden nur einzelne Elemente der Strategie der IOs, technologische Kompo- nenten treten hinzu. Kennzeichnend für die IOs ist die enorme Bandbreite der militäri- schen Fähigkeiten, die sie umfassen. Eine Standarddefinition der IO lautet heute ent- sprechend breit: „IO is the combination of multiple capabilities that, when executed during a spe- cific period of time, causes a person (target audience) to think and act (or react) in a predictable manner.” (McNeive, 2003: 52) Am Beispiel des Verhältnisses von Public Affairs/Public Diplomacy und IOs kann der Bezug zwischen den bekannten Instrumenten (wie Propaganda, PR, Spin) zu den IOs erläutert werden: Das US Army Field Manual „Public Affairs Tactics, Techniques and Procedures“ (U.S. Department of the Army, 2003) betont, dass „Information operations involve a variety of disciplines and activities [including] information campaigns“, das heißt, dass Public Affairs zu den IOs nur unterstützend definiert sind: „Support to [in- formation operations] requires ... sychronization efforts with other organizations and agencies to ensure themes and messages are consistent and deconflicted.“ K. Payne hält fest, dass von den Militärs die Public Affairs nicht als eigenständiges Handlungsfeld ge- sehen werden, sondern nur als eine „related activity of information operations“ (s. hier- zu und zur weiteren Analyse der IO als militärisch die Kommunikationsinstrumente überwölbendem Gesamtkonzept: Payne, 2005). Ein weiteres Beispiel für den globalen Ansatz der Informationsoperationen ist das Perzeptionsmanagement: Ähnlich wie bei Public Affairs bedienen sich Informations- operationen des Perzeptionsmanagements, können aber noch breitere Ziele und Instru- mente einsetzen (Dearth, 2002). Perzeptionsmanagement hat vor allem das Ziel, die Köpfe der militärischen Führer der gegnerischen Partei zu erreichen und deren Handeln zu beeinflussen (Friman, 1999). Ziel kann es etwa sein – so lautete die Strategie für den Irak –, eine Armee zu enthaupten, das heißt, die militärischen Führer davon abzuhalten, den Krieg zu führen. Dabei werden nicht nur traditionelle Instrumente der psychologi- schen Kriegführung angewendet, sondern auch Medienberichterstattung ist eine Platt- form dieses Informationskrieges. Definiert wird das Perzeptionsmanagement allgemein als “Actions to convey and/or deny selected information and indicators to foreign au- diences to influence their emotions, motives and objective reasoning; and to intel- ligence systems and leaders at all levels to influence official estimates, ultimately re- sulting in foreign behaviours and official actions favourable to the originator‘s ob- jectives.” (Joint Publication 1-02, Dictionary of Terms, 1994, www.dtic.mil/doctri- ne/jel/doddict/) Diese Form des Einwirkens auf gegnerische und eigene Öffentlichkeiten impliziert klar auch Ziele der Täuschung und Desinformation. Dies scheint auf der taktischen Ebene angemessen, wird aber zunehmend auch strategisch und gegenüber alliierten Partnern relevant (s. u.). Gleichzeitig ist es heute kaum mehr steuerbar, ob diese Aktivitäten welt- weit oder nur auf dem Kriegsschauplatz rezipiert werden. Der Einsatz von IOs basiert auf militärischen Situationsbildern, die zunehmend dar- auf abzielen, alle physischen und psychologischen Informationen über den Gegner in Modellen oder so genannten ‚Wahrnehmungslandkarten‘ zu verarbeiten (hierfür spielen

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Unterschiede zwischen Information Warfare (IW) und Information Operations (IOs)

Information Warfare Information Operations Computer Network Attack Computer Network Attack Deception Deception Destruction Destruction Electronic Warfare Electronic Warfare Operations Security Operations Security/Information Protection Psychological Operations Psychological Operations/Perception Management Public Affairs Civil Affairs

U.S. National Defense University 2003, S. 13 und eigene Darstellung

Q-Analysen und Katastrophentheorien eine wichtige Rolle).3 Diese Analysen werden vor allem vom Information Dominance Center (IDC) in Fort Belvoir wahrgenommen. Dabei geht es darum, das informationelle Gravitationszentrum des Gegners zu definie- ren, um ihn durch Informationsoperationen effektiv zu treffen, so Heath und Wood- cock: „These measurements of effectiveness require techniques that enable one to un- derstand how to create changes within the adversary‘s decision cycle or alter one’s per- ception about particular sets of issues.“ (Heath/Woodcock, 1999: 3) Aufgrund solcher Situationsanalysen werden im gesamten Spektrum der IOs Opera- tionen auf der strategischen, taktischen und operationellen Ebene geplant und durchge- führt, die Wirkungen zum einen auf dem Kriegsschauplatz, zum anderen auch in den na- tionalen Öffentlichkeiten entfalten: Dies gilt es zu beschreiben und politik- und me- dienwissenschaftlich zu problematisieren, denn die theoretische Debatte greift bislang diese neuen Entwicklungen kaum auf, die jedoch Effekte auf die politische Kommuni- kation im Krieg haben: In den frühen 90er Jahren haben die Analysen des Verhältnisses von Politik und Me- dien im Bereich der Kriegs- und Konfliktberichterstattung eine entscheidende Wende genommen. Die Diskussion nach der CNN-Berichterstattung um die US-Intervention in Somalia und den späteren Truppenabzug hat dazu geführt, dass der Medienbericht- erstattung eine neue Bedeutung für Entscheidungsfindung und -implementation der po- litisch-militärischen Eliten zugemessen wurden (Hoge, 1994). Der stark vereinfachen- den Sicht eines eigenen „CNN-Effektes“ auf Öffentlichkeit und die amerikanische außenpolitische Klasse wurde freilich schnell eine Reihe von Studien entgegengesetzt, die wiederum den Einfluss von Regierungen auf Medienberichterstattung erneut in den Fokus nahmen: Varianten der Indexing-Theorie (in der exekutiven und in der Eliten- Variante, s. Robinson, 2001) wiesen in den späten 90er Jahren nach, dass sich das Mei- nungsspektrum der politischen Elite in unterschiedlicher Weise in der Medienbericht- erstattung aufprägt. Obwohl auch diese Wirkungen in anderen Studien zuletzt wider- legt wurden (Althaus, 2003), trägt die Annahme eines Regierungs- bzw. Elitenbias der Berichterstattung dominant zur derzeitigen Forschung bei. Die Newsmanagement- und Spin-Analysen thematisieren entsprechend die Kommunikationsziele und Strategien

3 Es geht um die wissenschaftliche Erfassung von militärischen Situationsbildern, die neben den konkreten militärischen Bedrohungsszenarien auch die Wahrnehmungs- und Kommunika- tionsstrukturen der Akteure in das Situationskalkül einbeziehen (Jacobson/Yan, 1998). 226 003_M&K_02+03-05_Szukala 06.07.2005 11:53 Uhr Seite 227

Szukala · Informationsoperationen

der politischen Akteure (Brown, 2003). Im Vergleich von Newsmanagement durch Re- gierungen wird gezeigt, dass strukturelle und normative Kontexte des Regierungssys- tems und des Mediensystems eine wichtige Rolle für die Kommunikationsstrategien po- litischer Akteure spielen (Pfetsch, 1999). Der Spin wird im anglo-amerikanischen Raum als eine Normalform des Regierens „mit den Medien“ gesehen, hier geht es um das Fra- ming von Nachrichten durch Regierungen und andere interessierte Akteure (Cook, 1998; Kernell, 1997). Während also Faktoren wie die Innovationen der Informationstechnologien (s. hier zuletzt Livingston/Bennett, 2003), die Entwicklung des Medienmarktes (Nacos et al., 2000), die Issue-Qualitäten wie Politiksicherheit (Livingston, 1997) sowie die Profes- sionalisierung der politischen PR als Faktor für Veränderungen des Kommunikations- umfeldes internationaler Politik (Brown, 2003) breit problematisiert werden, bleibt das neue militärisch-sicherheitspolitische und strategische Umfeld der Berichterstattung seltsam unterbelichtet. Dabei spielen etwa die Entwicklungen der Risiko- und Bedro- hungsanalysen – insbesondere wenn sie den Bereich der gegnerischen Informationsan- griffe berühren – für das Verhältnis zwischen Militär und Medien eine herausragende Rolle. Allein erste Studien zum Perzeptionsmanagement im Rahmen der Informations- operationen und die Analyse von T. Bussemer (Bussemer, 2003) thematisieren diese Dimension.4 Heute können die – teilweise ähnlichen, teilweise unterschiedlichen – Zielebenen von Politik und Militär in einen Gegensatz geraten, da die neuen Kommunikationstech- nologien die Distanz zwischen dem Kampfschauplatz und den nationalen und interna- tionalen politischen Arenen verringert haben. Dies verändert die Zielgenauigkeit von Kommunikationsprozessen und ihre Steuerbarkeit im und um den Krieg und die Rolle, die Militär, Medien, Politik und Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang spielen (s. u.). Bei den Berichterstattern und bei Rezipienten von Nachrichten – auch den wissen- schaftlichen – erzeugt dies eine Unsicherheit über die Zurechenbarkeit. Eine Folge die- ser Entwicklung – sollte sich diese Tendenz verstärken – kann ein zunehmender Funk- tionsverlust der Medien für Agenda-Setting und Selektion bedeuten. Dieses ist als Ten- denz im Rahmen der bekannten Entwicklungen zu sehen und stellt keine Revolution dar: Die meisten bekannten politik- und medienwissenschaftlichen Modelle beruhen auf der Prämisse einer klaren Trennung zwischen außenpolitischer und militärischer Kom- munikation. Die Frage ist, ob diese Perspektive angesichts der neuen Entwicklungen beizubehalten ist. Deshalb scheint es angezeigt, zusätzlich eine genaue Analyse der neueren Kriegführung im erweiterten Verständnis von Sicherheit medienwissenschaft- lich auszuwerten. Denn es zeichnet sich danach die Tendenz ab, dass sich die militäri- schen Kommunikationsziele aufgrund der neuen Bedrohungen verändert haben und dass sie ein immer stärkeres Gewicht erhalten, da die neuen Bedrohungen zunehmend gesellschaftlich und nicht mehr ausschließlich zwischenstaatlich situiert sind. An dieser Stelle kann also kein neues Modell politischer Kommunikation im Krieg vorgestellt wer- den, sondern es geht darum, erste Effekte einer – in den USA inzwischen intensiv dis- kutierten (Shanker/Schmitt, 2004) – Entwicklung zu kennzeichnen und zu problemati- sieren sowie einen möglichen Ergänzungsbedarf bisheriger Ansätze anzuzeigen. Es wird hier zunächst versucht, diese neueren Entwicklungen empirisch aufzuzeigen.

4 Einen ersten Überblick über die Problematik verschafft die Sondernummer der Zeitschrift In- formation Warfare über das Perception Management (2002, 1, 3). Siehe auch die ausführliche Dokumentation des Erkenntnisstandes beim Air War College der USA: www.au.af.mil/au/ awc/awcgate/awc-pcep.htm.

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Am Ausgangspunkt der Untersuchung steht die militärische Informationspolitik der späten 90er Jahre (2). Es wird gezeigt, inwiefern im Irakkrieg die Ansätze erstmals voll angewandt wurden und welche – vorläufige – Bilanz für das Vorgehen der Bush- Administration insgesamt in diesem Zusammenhang zu ziehen ist (3). Abschließend werden Auswirkungen auf das Verhältnis von Militär und Medien problematisiert (4). Grundlage sind die Auswertungen regierungsamtlicher Dokumente und erster Berich- te aus den Teilstreitkräften und Medien zu den Informationsoperationen während des Irakkrieges.

2. Der integrierte Ansatz der Informationsoperationen Selbstverständlich spielte für die amerikanische Außenpolitik der strategische, opera- tionelle und taktische Einsatz von Informationen in den Medien immer schon eine be- sondere Rolle (Hammond, 1991). Militärisch sind alle bekannten Instrumente Teil der militärischen Fähigkeiten und werden entsprechend für die genannten Ziele (s. o.) ein- gesetzt. So werden beispielsweise auf der strategischen Ebene Koalitionäre durch Public Diplomacy auf gemeinsame Werte eingeschworen, auf der taktischen Ebene wird in Be- zug auf Kriegsgegner die Desinformation (oder schwarze Propaganda5) als ein Instru- ment der Kriegführung angewandt. Auf der operationellen Ebene werden durch Methoden der Psychologischen Kriegführung (PSYOPS) Gefühle, Einstellungen und Verhalten in den Zielgesellschaften beeinflusst (U.S. Department of the Army, 2000). Propaganda, Public Diplomacy/Public Affairs und PSYOPS sind also Kommunika- tionsinstrumente, die auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlicher Zielsetzung und durch unterschiedliche Akteure des Militärs – teilweise auch der außenpolitischen Bürokratie – eingesetzt werden können (Brown, 2002a). Die Verstrickung der Vereinigten Staaten in einen Krieg der Kulturen mit dem 11. September 2001, der im ersten Schritt den realen Krieg in Afghanistan nach sich zog, hat einen paradigmatischen Wandel ausgelöst, der der US-Kommunikationspolitik mit der neuen Sicherheitsstrategie eine zentrale Rolle für die amerikanische Außenpolitik und Sicherheit zuweist. Die diesbezüglich chaotisch zu nennende Aufgabenteilung in- nerhalb der US-Administration kann als ein Mitauslöser für die zunehmende Dominanz des Pentagons – sicherlich gefördert und legitimiert durch den Truppeneinsatz – in Be- tracht gezogen werden. Obwohl tagespolitisch wie im Kriegsfall der strategische Um- gang mit Informationen mehr denn je als eine Schlüsselvariable für erfolgreiches Regie- rungshandeln gesehen wird, ist es bis heute den beteiligten zentralen Akteuren (White House/EOP, National Security Council, Departments of State, Defense, Justice, CIA, FBI) nicht gelungen, den interorganisatorischen Prozess effektiv zu koordinieren. Seit dem Jahr 2000 haben (nach einer mittelmäßigen Bilanz der Kommunikationspolitik Clintons) neben dem Beratungsorgan Defense Science Board (U.S. Task Force, 2001) der Kongress (U.S. Congress, 2002), das Pentagon (Office of Strategic Information) und der Präsident selbst (PDD-68, International Public Information) durch zahlreiche Vor- schläge, Direktiven und Mechanismen steuernd einzugreifen versucht. Koordinierungs- versuche zwischen den Departments sind gescheitert6, obwohl die Öffentlichkeitsarbeit

5 Heute durch das Pentagon vorsichtig definiert als „propaganda which purports to emanate from a source other than the true one“ (s. das aktuelle U.S. Military Glossary: http://usmilitary.ab- out.com/od/theorderlyroom/l/blglossary.htm, 14.2.2005). 6 Die Einzelheiten dieser Organisationsprobleme können hier nicht ausgeführt werden und sind ausführlich dokumentiert nachzulesen in einer Studie des Army War College (Ward, 2003).

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der Bush-Administration zumindest in Bezug auf die White House-Bürokratie und den Präsidenten als äußerst straff eingeschätzt wird (Kumar, 2003; Auletta, 2004). Ange- sichts jener ergebnislosen Anstrengungen sieht Ward folgende Erklärungsansätze: „Is it possible, that the U.S. government is not effective due to longstanding bureaucratic inep- titudes, political correctness, historic jealousy or trivial differences between appointed officials?” (Ward, 2003: 6). In diesen Kontext muss die durch die Informationsoperationsdoktrin gesteuerte pro- aktive Informationspolitik des Pentagon – in erbitterter Rivalität zum State Department – eingeordnet werden. Das ebenenübergreifende Konzept der militärischen IO-Doktrin macht inzwischen eine Kompetenzabgrenzung zur außenpolitischen Kommunikation im Außenressort unmöglich: Anstatt Maßnahmen der Public Diplomacy/Public Affairs von Täuschungs- und PSYOP-Operationen funktional zu unterscheiden, werden die IOs in einem integrierten militärisch-medialen Gesamtkonzept kodiert in offensive und defensive Informationsoperationen7, die auf allen Ebenen greifen können: Auf der stra- tegischen Ebene ebenso wie auf der taktischen, denn auch ein gutes Klima mit den Alli- ierten gehört wohl zum Sicherheitsumfeld amerikanischer Militärs (U.S. Joint Chiefs of Staff, 1998: I–2f.). An dieser Stelle setzt der Wandel an. Bisherige Medienanalysen klammern die Proli- feration von Bildern und Informationen durch das Militär bewusst aus (Carruthers, 2000: 6), weil der militärisch-taktische Einsatz der Informationen zu Täuschungs- und Abschreckungszwecken nicht als massenmediales Phänomen (westlicher!) Heimataudi- torien angesehen wird. Nach der skizzierten Grenzverwischung durch das Konzept der IOs scheint mir diese Trennung nicht mehr angezeigt. In welchem Bezug stehen ange- sichts des neuen globalen Kommunikationsraumes eigentlich die Propaganda an der Heimatfront sowie in verbündeten Staaten (als Teil der Defensiven Informationsopera- tionen) und der „Informationskrieg“ gegenüber dem Gegner, dem ja ganz eigene Infor- mationsziele zugrunde liegen (Offensive Informationsoperationen)? Der formulierte Anspruch des US-Militärs ist es neuerdings, die alleinige „Informationsinitiative zu er- ringen und zu erhalten“ sowie zu verhindern, dass amerikanische Medien sich mög- licherweise gegnerischer Informationsquellen bedienen (U.S. Air Force, 2002: 27). Soll- te dieser Anspruch eingelöst werden, kann dies zu einer Dominanz der militärischen In- formationspolitik führen, die sich von traditionellen Formen des außenpolitischen Newsmanagements der politischen Führung unterscheidet. Die Kommunikationsziele und -instrumente der IOs werden für die strategische, operationelle und taktische Ebene ausdefiniert: Vorrangiges militärisches Ziel der IOs auf der strategischen Ebene ist es, Konflikte abzuwenden bzw. einzudämmen und den Gegner zum kampflosen Aufgeben zu bewe- gen. Der präventive Charakter der IOs in Bezug auf inner- und zwischenstaatliche Kon- flikte wird in allen Texten hervorgehoben, die Abschreckungsfunktion der IOs nimmt bereits hier eine zentrale Rolle ein: Durch eine Kombination von militärischen und me- dialen Instrumenten sollen Kampfesfähigkeiten und -wille gegnerischer Streitkräfte zer- stört werden (Kenyon, 2003: 33). Glaubwürdige Information ist der Schlüssel zur mili- tärischen Abschreckung: “Capability to deter may be insufficient if the adverse party is unaware of the capability or is not persuaded that the capability might be used.” (Wheat- ley/Hayes, 1996) Als ein bekanntes Beispiel für diese Form der Abschreckung wird das

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Militärprogramm Ronald Reagans SDI (Strategic Defense Initiative), eine gelungene Va- riante des internationalen Perception Management, genannt. Internationale Isolation des Gegners und Störung von Infrastrukturen sowie von Forschungs- und Entwicklungs- programmen gehören ebenso zum Repertoire dieser strategisch-offensiven IOs wie die Demonstration militärischer Stärke und Machtprojektion (U.S. Joint Chiefs of Staff, 1998: II–1ff.). PSYOPS nehmen hier die Form von diplomatischen Kommuniqués und medialem Säbelrasseln an. Hierbei können bereits Täuschungsmanöver eine erhebliche Rolle spielen: Auch wenn klar gestellt wird, dass Täuschung und auf feindliche Ziel- gruppen gerichtete PR-Aktionen deutlich als militärische Handlungen von den diplo- matischen Operationen unterschieden werden müssen, da hier die politische Glaub- würdigkeit der USA auf dem Spiel steht, wird zunächst nicht konkretisiert, wie dies um- gesetzt werden kann, denn gleichzeitig gilt die Verbreitung von ‚wahren‘ Informationen als eines der wichtigsten Instrumente der defensiven IOs (ebd., III–7). Auf der operationellen Ebene sind Ziele der IOs bereits auf einen eskalierenden Kon- flikt hin definiert: Bei den offensiven IOs stehen die Störung der gegnerischen Informa- tionsinfrastrukturen und Entscheidungsketten sowie die Isolation der militärischen Eli- ten und Führungsebenen der feindlichen Streitkräfte von ihren Truppen im Vorder- grund der Operationen. Dieses erfolgt in hohem Maße durch PSYOPS und Propagan- da zur Diskreditierung der Gegner, wobei Täuschung durch die Verbreitung von Fehlinformationen über mögliche eigene militärische Vorbereitungen zum Standard- repertoire der IO-Einsätze auf dieser Ebene gilt (ebd. II–2). Vor allem in Kombination mit den ersten Luftangriffen spielt die Verbreitung von Schrecken und Panik in der Ziel- bevölkerung eine entscheidende Rolle: Hier geht es vor allem darum, die eigene Über- legenheit nicht nur militärisch zu vermitteln, sondern sie medial zu potenzieren. Der Be- griff der ‚Force multiplication‘ beschreibt diesen Effekt des Zugewinns an militärischer Kapazität durch die Fusionierung militärischer und medialer Instrumente. Die defensiven IO-Maßnahmen gelten hier insbesondere dem Erhalt der eigenen In- formationsinfrastrukturen durch PR-Maßnahmen für den Aufbau einer positiven Ein- stellung der eigenen Öffentlichkeit gegenüber der militärischen Intervention: „Ad- versaries have no hesitation at using disinformation or turning public relations mistakes into perceptions that can put the commander on the defensive.“ (Mc Neive, 2003: 53) Die Verwundbarkeit der Vereinigten Staaten gegenüber der feindlichen Desinformation (so genannte ‚Softwar‘-Angriffe8) wird als hoch eingeschätzt, denn aufgrund ihrer de- mokratischen Tradition seien sie hier auf eine reaktive – und im Konfliktfall durch zu langsame Entscheidungsprozesse belastete – Politik festgelegt (so noch die Militärs in ei- nem Workshop 1996, s. Wheatley/Hayes, 1996: Kap. 2). Der Aufbau der Hardware-In- frastrukturen und der personellen Kapazitäten für die Schaffung einer Softwar-Säule in der Architektur der Nationalen Sicherheit wurde damals dringend angemahnt, denn, so ein Militär, “The controlled projection of video information has joined economic, poli- tical, and military power as a pillar of national security and it will become a co-equal po- wer by the year 2020“ (ebd.). Für die taktische Ebene sind die Kommunikations-IOs in der Doktrin noch nicht ausgereift, sie werden aber in der Folge in vereinzelten Schriften konkretisiert: Wichtigs- te Prämisse der taktischen IO ist das Bewusstsein jedes einzelnen Soldaten, dass seine Kriegshandlungen Wirkungen auf die internationale Öffentlichkeit haben kann. Dies

8 Softwar wird definiert als „the hostile utilization of instantaneous global television to shape an- other nation’s will by changing its view of reality“ (Wheatley/Hayes, 1996: Chap. 2).

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gilt für alle Handlungen des Soldaten während des Kampfes. Gefordert wird die völlige Kontrolle über die Öffentlichkeitseffekte individuellen Verhaltens insbesondere für die Handhabung des Umgangs mit den Nicht-Kombattanden. Kombiniert werden schließ- lich mediale Sympathieaktionen gegenüber der Zivilbevölkerung als Teil der defensiven IOs zur Sicherung des eigenen militärischen Umfeldes (Force protection) mit Maßnah- men der CMO (Civil-Military Operations), das heißt zivile Kooperationen, z. B. Bau- maßnahmen oder Unterstützung bei der Gesundheitsversorgung vor Ort. Gleichzeitig werden Abschreckungsmaßnahmen gegenüber feindlichen Akteuren aufrechterhalten, die allerdings auf dieser Ebene auch in mediale Informationen umgesetzt werden müs- sen. PSYOPS auf der taktischen Ebene können diese Bilder ergänzen, indem durch Face- to-Face-Kontakte ein Vertrauen der Zielbevölkerung hergestellt wird oder – wenn an- gezeigt – durch Lautsprecherbeschallung eine Atmosphäre der Angst erzeugt wird (ebd. II–4). Alle Kommunikationsstrategien sind überwölbt von einem allgemeinen Ansatz der strategischen Informationsverarbeitung, der davon ausgeht, dass neben der Sicherung der eigenen Informations- und Befehlsketten die Steuerung und Selektion der Informa- tionsmengen (jene, die selbst verarbeitet werden müssen, und jene, die der Feind aus- werten muss) das entscheidende Moment für die informationelle Überlegenheit – in Friedens- wie in Kriegszeiten – bildet. Hier wird dem strategischen Einsatz der Über- information eine essenzielle Bedeutung für die Störung der gegnerischen Informations- prozesse beigemessen. Zur Umsetzung dieses Ansatzes sollen Medien und Militär eng kooperieren, bzw. sollen Medienaufgaben, nämlich die Produktion von Bildern und In- formationen, durch das Militär unterstützt/übernommen werden: „The military and media should cooperate in flooding news networks with information to create informa- tion overload. This overload will force the enemy to focus on many diverse scenarios, making it impossible to discern valid intelligence data“ (Lafferty/Monteith et al., 1994: 3). Ziel von solcherart medial vermittelter Information ist also nicht Verständigung, son- dern die Störung von Informations- und Entscheidungsprozessen.

3. Informationsoperationen im Irakkrieg Die nach dem 11. September 2001 unternommenen militärischen Kampagnen der Ver- einigten Staaten waren eine Reaktion auf einen auch mit medialen Mitteln geführten An- griff. Die mit dem Regierungswechsel vorgenommenen Umstrukturierungen des kom- munikationspolitischen Organisationsumfeldes der Bush-Administration waren zu die- sem Zeitpunkt noch nicht zum Abschluss gekommen. Das Ereignis der Terroranschlä- ge wurde im Pentagon genutzt, um eine neue proaktive Politik im Bereich Aufklärung und Kommunikation zu betreiben (Szukala/Jäger, 2002; Szukala, 2003), die für die spä- tere Intervention in den Irak eine besondere Rolle spielen sollte. Die Implementation des integrierten IO-Ansatzes auf der Organisationsebene sollte im Pentagon zunächst durch die viel diskutierte Installation eines Office of Strategic In- fluence (OSI) verwirklicht werden: Erstmals sollten komplette militärisch-mediale Kampagnen im Grenzbereich von Propaganda, psychologischer Kriegführung und Pu- blic Affairs/Public Diplomacy aus einer Hand vorbereitet und umgesetzt werden. An- ders als die traditionellen Pentagon-Adressaten für solche Maßnahmen (nämlich feind- liche Nationen im Kriegsfall) sollten nunmehr Aktionen gegenüber Alliierten, dem Na- hen und Mittleren Osten sowie Asien einbezogen werden, Regionen, für die normaler- weise zivile Stellen wie das State Department zuständig sind (Dao/Schmitt, 2002). Besonders wirksam erschienen die geplanten Maßnahmen vor allem deshalb, weil im

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Pentagon produzierte Nachrichten über zivile Umwege als Medieninformationen aus- ländischen Nachrichtenstationen zugespielt werden sollten. Dabei sollte das gesamte Spektrum der IOs bis hin zur schwarzen Propaganda ausgeschöpft werden. Neben den internen Auseinandersetzungen im Pentagon – die Public Affairs-Abteilung des Res- sorts fürchtete massiv um die eigenen Informationsanstrengungen – wurde rasch deut- lich, dass eine solche juristisch fragwürdige Politik zum kompletten Glaubwürdigkeits- verlust offizieller Regierungsinformationen der Vereinigten Staaten in befreundeten Na- tionen führen könnte, zumal aufgrund des Camouflagecharakters der lancierten Infor- mationen nicht gewährleistet werden konnte, dass Fehlinformationen über die großen internationalen Nachrichtenagenturen wie Reuters und AFP nicht auf den amerika- nischen Nachrichtenmarkt zurückgespült würden (ebd.). Die Initiative war politisch nicht haltbar, das Programm sollte aber beibehalten werden (Hubbard, 2004: 57). In der Auswertung der IO-Anstrengungen im Irakkonflikt sehen auch die Militärs selbst das angewandte Verfahren kritisch: „The dispute over operations seems to arise when it mo- ves from the battlefield into the strategic arena, with the controls being perceived as re- maining in military hands. An example of this dispute was the aborted effort to form an Office of Strategic Influence within the Defense Department.“ (Campen, 2003: 45) Im Irakkrieg lag die militärische Führung der IOs schließlich beim U.S. Strategic Com- mand, das von einem Joint Information Operations Center in Texas unterstützt wird. Die Administration hatte im Vorfeld des Konfliktes organisatorische Maßnahmen ge- troffen, um die Konkurrenz zwischen Außenministerium und Pentagon zu mildern, und im Weißen Haus ein spezielles Kommunikationsbüro, das Office of Global Communi- cations, gegründet, dem es in enger Kooperation mit dem Pentagon – und unter Aus- schaltung des State Departments – weitgehend gelungen ist, ein kongruentes Auftreten der Administration und des Headquarters während des Krieges zu koordinieren. Wil- liam Arkin beurteilt das Vorgehen Rumsfelds im Pentagon nach dem Scheitern des OSI dennoch als mehr als einen gelungenen Spin, denn der integrierte Ansatz wurde keines- wegs aufgegeben, sondern mit Hilfe der von der PR-Agentur Hill und Knowlton kom- menden PR-Expertin Victoria Clarke verstärkt. Arkin nennt die Kommunikations- strategie des Pentagon „a policy shift that reaches across all the armed services“, denn Rumsfeld und seine Berater9 unternähmen einen kompletten Umbau der militärischen Strukturen und Missionen, um – in Umsetzung der IO-Doktrin – aus dem Informa- tionskrieg einen zentralen Pfeiler des ‚american way of war‘ zu machen (Arkin, 2002). Als größten kommunikationspolitischen Erfolg der Operation Iraqi Freedom wer- ten General LeBras und andere die massive Desertion irakischer Soldaten, die durch die amerikanische militärisch-mediale Drohkulisse erzeugt wurde: Ab Dezember 2002 sen- dete die 193. Spezial-Operationseinheit „Commando Solo“ Nachrichtensendungen in den Irak, in dem das amerikanische Vorhaben dargestellt wurde; die Rede George Bushs vom 18.3.2002, in der er sich an das irakische Volk wendet, wurde synchronisiert und übertragen. Irakischen Führungseliten wurden sinngemäße E-Mails und Briefe gesen- det, sie wurden angerufen (Hubbard, 2004: 57). Ab Januar 2003 begann der massive Ab- wurf von PSYOP-Flugblättern über dem Irak (Knight 2003). Im Zuge der Kampagne „Shock and Awe“ wurden nochmals beinahe 40 Millionen Flugblätter über dem iraki- schen Territorium abgeworfen, die die Überzeugung kreieren sollten, dass Saddam be- reits die Kontrolle über den Irak verloren habe – dies führte in Kombination mit den

9 S. für die Gesamtstrategie und den parallelen Einsatz von privaten Beratungsfirmen bei Vorbe- reitung und Durchführung der Kampagne die Studie von Laura Miller (2002).

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schnellen und massiven Kriegserfolgen der ersten Phase zur Rettung vieler Menschen- leben und verkürzte den Krieg: Es wurden im Vergleich mit der Operation Desert Storm 1991 nur 10 % der Kriegsgefangenen gemacht, da die irakischen Soldaten aufgrund der Propaganda desertiert sind (Kenyon, 2003: 34). Der in den Augen der Militärs unglaubliche Erfolg dieser IO lässt sie fragen, ob nicht am Ende der gut geführte Informationskrieg die Auseinandersetzung mit Waffen ganz ersetzen könne (Campen, 2003: 43): Der taktische Einsatz von PSYOPS kann hierfür als besonders erfolgreich gewertet werden, wobei auch in diesem Zusammen- hang eine Trennung der Ebenen in einem globalisierten Informationsumfeld nicht auf- rechterhalten werden kann. Ein abgeworfenes Flugblatt kann durch einen technisch hochwertig ausgerüsteten Journalisten innerhalb von Minuten einer globalen Öffent- lichkeit zugänglich gemacht werden und auf dieser Ebene die internationalen Perzep- tionen des US-Vorgehens stören (Braiker, 2004). Die gleichzeitige Rezeption dieser Art von Information auf der strategischen und auf der taktischen Ebene kann aber auf- grund der Struktur des internationalen Kommunikationssystems nicht verhindert wer- den, das militärische Konzept der ‚target audience‘ kann nicht aufrechterhalten wer- den. Organisatorisch sind die IOs in dieser Form zum ersten Mal bis auf die Ebene der Einsatzkräfte im konkreten Umfeld des Kriegsgeschehens durchgeführt worden und können daher auch erstmals auf der operationellen und taktischen Ebene verstärkt ein- gesetzt und evaluiert werden. 80 % der IO-Kapazität liegt naturgemäß bei der Army, aber auch andere Teilstreitkräfte – außer der Marine – haben vermehrt IO-Operationen durchgeführt (Houtchin, 2003). Zahlreich sind die Berichte über den Einsatz von takti- schen IOs nach der Invasion. Diese gehen von der Zerstörung von Insignien des Baath- Regimes vor laufender Kamera und den Augen der Bevölkerung bis zur Inszenierung einer „human interest story“ vor laufender Kamera mit einem mitgeführten Exiliraker (Paschal, 2004). Zugleich werden die IOs auf der taktischen Ebene auch zu Täu- schungszwecken genutzt. Ein Infiltrationsversuch von irakischen Paramilitärs in ge- stohlenen amerikanischen Uniformen wurde durch eine Medienkampagne über ameri- kanische Soldaten, die sich einen „irakischen“ Bart stehen lassen, aufgedeckt: Die falschen U.S.-Soldaten nutzten die angebliche Chance, ihren Bart zu behalten, und konnten so entlarvt werden (ebd., 28). Hinterfragt wird an anderer Stelle allerdings die kulturelle Zielgenauigkeit der IOs. Die Technologielastigkeit im militärischen Verständnis von IOs wird auch als eines ihrer großen Defizite gesehen: Die strategischen offensiven IO-Operationen zielen aus- schließlich auf eine städtische Bevölkerung, die über technische Ressourcen von TV und Computer verfügt, der Krieg im Irak ist aber ein Eroberungskrieg mit massivem mi- litärischem Engagement am Boden und im Kontakt mit einer großteils ländlichen Be- völkerung gewesen. Diese wurde durch die abgeworfenen Flugblätter teilweise erheb- lich verunsichert, da diese kulturelle Codes beinhalteten, die von den Adressaten nicht verstanden werden konnten. Voraussetzung für den Erfolg der IOs ist die ‚Multiplikation‘ des militärischen Han- delns durch Bilder, die Force Multiplication oder auch Reinforcing fires (Plenzler, 2004: 28). Die in den 90er Jahren noch offene Frage der Beschaffung von entsprechenden Ka- pazitäten für die Informations-Säule der Sicherheitsarchitektur wurde im Irak durch zweierlei Maßnahmen gelöst: Zum einen haben in nie da gewesenem Maße Militärs ei- gene Bilder produziert und diese Nachrichtenstationen und anderen Abnehmern zur Verfügung gestellt, zum anderen wurde diese Aufgabe in eine neue Form der Public-Pri- vate-Partnership gebracht: das Embedding, das Einbetten von Reportern in die Kampf-

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truppen. Das Live-Video ist damit wie geplant zu einem zentralen Element der Krieg- führung avanciert. Der neue Ansatz kann nur evaluiert werden, wenn gleichzeitig die Quantensprünge der digitalen Übertragungstechniken in das Kalkül einbezogen wer- den, die erstmals eine Versorgung mit Nachrichten in Echtzeit auf breiter Basis ermög- lichen. Mit dem Verfahren des Einbettens von Journalisten machen sich die Kommunika- tionsstrategen zwei wesentliche Faktoren der Medienwirkung zunutze: Zum einen er- höhen Reporter – vor allem bekannte TV-Gesichter – die Glaubwürdigkeit der Be- richterstattung, zum anderen steigt der Abschreckungseffekt der gezeigten Bilder, denn der Eindruck der Unverwundbarkeit des amerikanischen Militärs wird verstärkt durch die Anwesenheit von zivilen Reportern auf dem Kampffeld. Die Waffentechnik und die Effektivität des militärischen Vorgehens können hautnah gezeigt und erlebt werden. Analysen ergaben, dass das Embedding-Verfahren den Abschreckungszweck der Be- richterstattung erfüllt: 37 % aller von Embeds gesendeten Bilder zeigten aktive Waffen und Geschosse. Die Zufriedenheit der Administration mit dem Verfahren ließ allerdings mit dem Verlauf des Konfliktes in dem Maße nach, wie die ‚Frames‘ der eigenen Presse- offiziere durch die Berichterstattung der eingebetteten Journalisten konterkariert wur- den. Sehr schnell stellte sich heraus, dass das Pentagon das neue Tempo des Informa- tionsflusses nicht kompensieren konnte, denn die Medienstrategen hatten die techni- schen Möglichkeiten der zivilen Übertragung unterschätzt. Sie rechneten anscheinend nicht mit kontinuierlicher Live-Berichterstattung, sondern mit dem einmal täglichen Absenden aufgezeichneter Bilder (Weisman, 2003). Die Gleichzeitigkeit des ‚fog of war‘ mit der fragmentierten Wirklichkeit der vielen ‚Schnappschüsse‘ erzeugte eine erhöhte Nachfrage nach politischen Erklärungen, die die militärisch Handelnden schuldig blei- ben mussten: Die Informationsübertragung hatte eine höhere Geschwindigkeit als die Entwicklung und militärische Auswertung des Kriegsgeschehens erreicht (Ruten- berg/Carter, 2003b). Obwohl sich zunehmend das Bild verfestigte, dass der Krieg mög- licherweise länger und verlustreicher verlaufen könnte, als durch „Shock and Awe“ und „Iraqi Freedom“ suggeriert, konnte (oder sollte) diesem Bild eine seriöse militärische ‚Lage‘ nicht entgegengehalten werden, so dass die – mit den spektakulären Bildern hoch zufriedenen – Produzenten zunehmend kritisch auf das Fehlen von militärischen Brief- ings reagierten (Rutenberg/Carter, 2003a). Das Desinformationsrisiko erhöhte sich in der Tat, die eingebetteten Journalisten wurden zu „first briefers“, das Pentagon war nicht in der Lage, Neuigkeiten zu bestätigen oder zu dementieren, und verlor damit teilweise jene Übersicht, die im Zuge der Neuausrichtung der Informationsoperationen ja gerade angestrebt werden sollte. Das Ziel eines Information Overload ist durch das Embedding ganz unproblematisch erreicht worden, allerdings um den Preis des Verlustes der eige- nen Informationssuperiorität. In späteren Phasen wurden Berichte über das Anlügen und Belästigen von Reportern durch die Soldaten laut, von der Möglichkeit der Zensur, die in den Groundrules der Journalisten festgeschrieben war, wurde vermehrt Gebrauch gemacht (Rodriguez, 2004). Die Kontingenz der Stimmen und das Verbreiten widersprüchlicher Argumenta- tionen, die die Vorkriegsphase geprägt hatten, konnten zwar im Verlaufe des Konflik- tes weitgehend vermieden werden, aber die euphorischen Berichte der Militärs (s. u.) kontrastierten auffällig mit jenen der Journalisten, die am Ende erkannten, dass sie ihren Status als Nicht-Kombattanten verloren hatten (Bernhard, 2003: 87). Für die Soldaten ist diese Frage ohnehin nur auf der taktischen Ebene von Belang. So ein Offizier der Ma- rines zu den Aufgaben der Public Affairs-Offiziere, die den Embeds zur Seite gestellt werden: „[The officer] can best influence the information war at the tactical level by then

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setting the conditions for individual and unit success in the media prior to combat and by providing „reinforcing fires“ on key communications objectives and tactical victo- ries during the fight.” (Plenzler, 2004: 26). Der Umgang mit den Journalisten untersteht also ausschließlich und nur den militärischen Kriegszielen. Die Zunahme der Zensur verstärkte bei den Journalisten die Wahrnehmung, dass ihnen ihre Funktion des Media- tors abgenommen werden soll: „The Bush administration continues to challenge what journalists define as ‚news‘“ (Ebd., 19). Aus der Sicht der Journalisten ist die Bilanz des Embedding daher insgesamt gemischt (s. Artikelserien in: Editors & Publishers; Nieman Reports; Columbia Journalism Review; News Media & Law; American Journalism Re- view): Neben euphorischen Einzelberichten von Tagen an der Front sehen sich die Jour- nalisten in der Mehrzahl am Kriegsschauplatz instrumentalisiert, zumal wenn die Nach- richtenkonsumenten die Falschmeldungen zunächst den Medien und nicht den Vertre- tern des Militärs oder der Bush-Administration zuschreiben. Im November 2003 hat das amerikanische Militär einen 24h-Sender eingerichtet, der Neuigkeiten aus dem Irak und militärische Briefings kostenlos den lokalen U.S.-Sen- dern in Direktübertragung zur Verfügung stellte. Hier wird die gesamte Berichterstat- tung von den Militärs übernommen, in Konkurrenz zur Medienindustrie, so ein CBS- Produzent: „I think the administration feels that they are not getting enough coverage of that [den Fortschritt im Irak, Sz]. And I think that this 24-hour satellite feed would have an impact on the reelection campaign“ (Rodriguez, 2004: 18). Diese Form der stra- tegischen IO verzichtet ganz auf die Kooperation mit Medien, sie haben hier jede Funk- tion verloren. Der Erfolg von Informationsoperationen ist schwer messbar, dies gilt vor allem für das Militär, das andere Erfolgskriterien anlegt als die politische Ebene (Guenther/ Schreckengast, 2003: 48), die über das Messinstrument der Meinungsumfragen verfügt. Als der größte Erfolg der IOs wird das Erreichen eines militärischen Kriegsziels gese- hen, nämlich die Abschreckung und massive Desertion irakischer Soldaten, obwohl in- zwischen auch gefragt wird, ob ein Krieg, der in einer solchen Form – auch durch Bil- der – nicht verloren wird, überhaupt gewonnen werden kann, da dem Kriegsverlierer die Niederlage nicht tatsächlich vermittelt worden ist. Der eskalierende Guerilla-Krieg ist möglicherweise auch eine Folge dieses kommunikationspolitischen Erfolges. Die in die- sem Zusammenhang projektierten Anti-Guerilla-IOs wirken hilflos, denn der Guerilla- Krieg beruht auf einem Informationsvorteil der Guerillas gegenüber dem Besatzer, auf den nur schwer mit offensiven IOs reagiert werden kann (Emery, 2004: 11). Die USA sind hier – auf der strategischen wie auf der taktischen Ebene – in den reaktiven Hand- lungsmodus gezwungen.

4. Was bedeutet dies für das Verhältnis von Medien und Militär? Mit der vorliegenden explorativen Studie soll eine andere Sichtweise in die Diskussion um Kommunikationsprozesse in modernen Kriegen eingeführt werden. Während die bisher durchgeführten Studien ihren Fokus zunächst auf den Strukturwandel der Öf- fentlichkeit und der außenpolitischen Entscheidungsprozesse sowie die neuen Legiti- mationsanforderungen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes legten, löst sich diese Analyse in einem ersten Schritt von diesen Prämissen und definiert Information als mi- litärische Kapazität in einem erweiterten sicherheitspolitischen Informationsraum. Sie übernimmt damit – wie gezeigt – teilweise die Analyse des amerikanischen Militärs, das in den 90er Jahren erkannt hat, dass der ‚Medienkrieg‘ eine riskante Form der asymme- trischen Kriegführung ist, der von militärisch weit unterlegenen Staaten oder nicht-

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staatlichen Gruppen und Personen mit Geschick geführt werden kann. Die Schlüsse, die aus einer stärkeren Integration von neuen Kriegsbildern in die medienwissenschaftliche Analyse gezogen werden, können spezifische Tendenzen der neueren Kriegskommuni- kation sichtbar machen. Es wird als ein Charakteristikum des derzeitigen internationalen Systems angenom- men, dass die militärische und ökonomische Dominanz der Vereinigten Staaten be- stimmte Aggressionsformen – wie etwa eine Tendenz zur asymmetrischen Krieg- führung durch Mittel der Kommunikation – hervorbringt. Damit unterliegen Informa- tionsprozesse einem sicherheitspolitischen Vorbehalt, sie werden inzwischen als eine „war winning military capability“ definiert. Die Legitimation militärischer Maßnahmen an der Heimatfront kann daher nur ein Ziel von außenpolitischer Kommunikation im Konfliktfall sein, die traditionellen militärischen Kommunikationsziele, wie etwa Ab- schreckung und Täuschung, interferieren mit diesen Zielen, andere Ziele, wie Kriegs- verhinderung durch Force Multiplication, treten hinzu: Die überwölbende Doktrin der Informationsoperationen hat zu einer Dominanz militärischer Ziele in der Kriegskom- munikation geführt. Zu viele der in die heimische Öffentlichkeit eingespeisten Informationsbits können gegebenenfalls nicht erfasst werden, wenn der militärisch-in- strumentelle Charakter der betreffenden Informationen und die möglicherweise alter- nativen ‚target audiences‘ ignoriert werden (Garfield, 2002). Es wurde daher gezeigt, inwiefern die Sicherheitsanalyse des amerikanischen Militärs in entsprechende strategische Weichenstellungen umgesetzt wurde, u. a. die Joint Doc- trine for Information Operations des Jahres 1998. Die integrierte militärische Umset- zung des Ansatzes erfolgt durch die 90er Jahre hindurch im Rahmen des organisato- risch-technologischen Wandlungsprozesses der Revolution in Military Affairs. Wichtig ist in diesem Zusammenhang allerdings, auf ein neues Selbstverständnis des amerika- nischen Militärs zu verweisen: Es hat – anders als viele europäische Streitkräfte – un- mittelbar auf die skizzierten neuen Verwundbarkeiten reagiert, indem es den Informa- tionsraum der amerikanischen Nationalen Sicherheit umdefiniert und die entsprechen- den Konsequenzen für die Integration von militärischen, technologischen und medialen Maßnahmen gezogen hat. Die Informationsoperationen als methodische Lösung dieses neuen Sicherheitsproblems haben zu einer massiven Aufwertung ziviler Informations- bits durch das Militär geführt. Die geplanten Kapazitätserweiterungen im Bereich der Sicherheitssäule „Information“ sind seit Mitte der 90er Jahre massiv vorangetrieben worden und sind im Irakkonflikt erstmals in voller Breite – und erstaunlich kohärent mit den in den 90er Jahren diskutierten theoretischen Ansätzen und Lernerfahrungen – eingesetzt worden. Die inzwischen ausschließlich militärische Systematisierung des Umgangs mit ent- sprechenden Informations- und Kommunikationsformen (IOs auf allen Ebenen von der Schwarzen Propaganda bis zu den Public Affairs) haben das Kommunikationsumfeld der amerikanischen Außenpolitik verändert: Die Informationsziele werden mit den mi- litärischen Zielen gemeinsam und durch sie (Force Multiplication durch das Vervielfäl- tigen einer Waffe durch die Bilder von ihr) verfolgt. Der einzelne Soldat versteht sich als ein militärischer Akteur und ein Medienakteur und wird entsprechend ausgebildet. Zu beobachten ist damit eine zunehmende Ent-Zivilisierung des Kommunikationskontex- tes der amerikanischen Außenpolitik. Kommunikationsstrategien werden heute in so hohem Maße als Teil des Handlungsumfeldes der Nationalen Sicherheit verstanden, dass die militärischen Eliten und ihr bürokratischer Unterbau sich noch stärker als zuvor als zentrale Akteure etablieren konnten: Der „Medienkrieg“ ist kein Krieg der Medien, son- dern zunehmend jener der Militärs. Handlungslogiken, technische und organisatorische

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Instrumente sowie die Ziele der Kommunikation haben sich zuletzt zunehmend von der politischen auf die militärische Ebene verlagert: Traditionelle Formen des Newsmanage- ments machen nur einen Teil des Informationskontextes im neuen Krieg aus. Es deutet sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit an, dass sich – stets im Namen der Nationalen Sicherheit – damit auch die Grenzen für die Interpenetration von Militär und Gesell- schaft verschieben. Die gescheiterten organisatorischen Umbaumaßnahmen im Penta- gon verweisen auf die avisierte Informationssuperiorität des Militärs etwa auch in Bezug auf befreundete Staaten. Die Medien in ihrer Selektions- und Agendasetzungsfunktion verlieren zunehmend an Bedeutung: Das Einsetzen von eingebetteten Journalisten muss ausschließlich als eine kosteneffektive Maßnahme der militärischen Kapazitätserweite- rung verstanden werden und kann insofern als erfolgreiche Operation gewertet werden. Dass das amerikanische Militär durchaus auch bereit und in der Lage ist, auf diesen pri- vaten Partner zu verzichten, zeigt die eigene TV-Produktion, die in diesem Kontext den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung darstellt. Ein solches Vorgehen kann nicht mehr durch das Konzept des ‚Newsmanagement‘ erfasst werden, es geht hier klar um Force Multiplication. Als zentrales Problem der Informationssuperiorität des Militärs zeichnet sich eine wachsende Glaubwürdigkeitslücke ab: Die problematische Tatsachenkonformität der im Rahmen von IOs weitergegebenen Informationen war vor dreißig Jahren insofern von geringerer Bedeutung, als die territoriale Begrenzung der Information und die ge- ringe Geschwindigkeit, mit der sie verbreitet werden konnte, die Desinformation der heimischen Öffentlichkeit gering hielt und so die Öffentlichkeitseffekte der taktischen Kriegslügen an der Heimatfront relativ begrenzt waren: Als Großbritannien im II. Welt- krieg Flugblätter über Deutschland abwarf, galten diese als ‚classified‘ und wurden den britischen Medien nicht zugänglich gemacht (Garfield, 2002: 39). Diese Situation stellt sich heute anders dar, denn zum einen werden freigesetzte Bilder unmittelbar in eine globale Öffentlichkeit eingespeist, so dass die Selektivität der Informationsübermittlung zu Kriegszwecken nur begrenzt gegeben ist. Zum anderen kann der Gegner mit gerin- gem Aufwand in ebenso hoher Geschwindigkeit und mit ebensolcher Präzision Gegen- bilder generieren, deren Auswertung und Kontrolle die Medien, die Öffentlichkeiten und die Regierungen der kriegführenden Parteien zunehmend überfordern. Die Zielge- nauigkeit von Informationen, die über Medien in die gegnerische Öffentlichkeit einge- speist werden können, ist im Abnehmen begriffen, was das Eskalationspotenzial von Konflikten durch das permanente Anwachsen der Zahl der beteiligten Parteien zusätz- lich erhöht (Brown, 2002b). Dies erklärt auch den außerordentlich hohen Einsatz von ‚klassischen‘ Instrumenten der psychologischen Kriegführung auf der taktischen Ebene im dritten Golfkrieg, denen eine höhere Zielgenauigkeit zugetraut wird (Braiker, 2004). Die skizzierten Prozesse sind eine Reaktion auf die zunehmende Interpenetration von Krieg, Politik und Medien, auf die das amerikanische Militär mit einer Fusionierung seiner eigenen Handlungsinstrumente folgerichtig reagiert hat. Für die Akteure in den Medien stellt sich diese Entwicklung zwar zunehmend problematisch dar, da diese gleichzeitig mit einem erhöhten Medienmanagement der Regierungen konfrontiert sind. Andererseits verfügen sie heute über globale Information und können jederzeit Zugang zu alternativen Informationsquellen gewinnen. Deutlich kritisch ist zu werten, dass das Bewusstsein der Medienvertreter dafür, bei der Kriegsberichterstattung im Rahmen des Embedding militärische Aufgaben der Force Multiplication zu übernehmen, nicht aus- geprägt ist. Erst in späteren Reaktionen auf dieses System ist verstärkt diskutiert wor- den, dass hier klar eine Instrumentalisierung für militärische Ziele vorlag. Die Skepsis der Medienvertreter konzentrierte sich möglicherweise zu sehr auf die wenig erfolgrei-

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chen – aber dafür umso sichtbareren – Newsmanagement-Versuche der amerikanischen Exekutive, so dass das Bewusstsein, sich als Kombattant auf einem Schlachtfeld des In- formationskrieges zu bewegen, wenig ausgeprägt war. Die Reaktionen der Rezipienten vor allem im Bereich der amerikanischen Fernsehnachrichten bleiben nicht aus: Infor- mationen der Medien werden nur noch für wenig glaubwürdig gehalten. Die Journalis- ten sind hier gezwungen zu reagieren. Die medienkritische Debatte über die militärische Kernkompetenz der Informationsoperationen mit ihrem Täuschungspotenzial und über den Informationsanspruch der demokratischen Öffentlichkeit hat begonnen (Shan- ker/Schmitt, 2004).

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Arabisches Satelliten-Nachrichtenfernsehen

Entwicklungsgeschichte, Strukturen und Folgen für die Konfliktberichterstattung aus dem Nahen und Mittleren Osten

Oliver Hahn

Dieser Beitrag liefert einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte und Strukturen der arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehsender Al-Jazeera, Abu Dhabi TV und Al- Arabiya sowie des arabischsprachigen US-Auslandsfernsehens Al-Hurra und fragt nach ihren Folgen für die Konfliktberichterstattung aus dem Nahen und Mittleren Osten. Da Arbeiten zur Theoriebildung und empirische Erhebungen auf diesem noch weitgehend unerforschten Feld bislang kaum vorliegen, arbeitet der Beitrag zunächst den For- schungsstand auf. Mittels Literatur- und Dokumentenanalyse sowie Hintergrundge- sprächen mit Senderverantwortlichen werden die TV-Stationen dann in die traditionel- len arabischen Mediensysteme eingeordnet, wobei besonders auf die Entwicklung Al-Ja- zeeras eingegangen wird. Mit einer systematischen Objekttypologie wird so eine Grund- lage für Anschlussforschung geschaffen. Während Al-Jazeera, Abu Dhabi TV und Al-Arabiya zweifelsohne den Medienorient revolutionierten, wird die Qualität ihres Ein- flusses auf die internationale Kommunikation nach den Terroranschlägen vom 11. Sep- tember 2001 hinterfragt. Viele Medien im Westen betrachten die junge Generation ara- bischen Nachrichtenfernsehens als glaubwürdige Quelle, nutzen sie überwiegend aber nur als Bilderlieferant. Der Beitrag diskutiert zudem das Innovationspotenzial des arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehens im Transformations- und Demokratisierungsprozess auf dem Weg zu einer modernisierten und professionalisierten arabischen Medienwelt.

Keywords: Arabischer Satelliten-Rundfunk (ASB), Nachrichtenfernsehen, Al-Jazeera, Abu Dhabi TV, Al-Arabiya, US-Auslandsfernsehen, Al-Hurra, 11. September 2001, In- ternationaler Terrorismus, Konfliktberichterstattung, Naher und Mittlerer Osten

1. Einleitung Seit den Terroranschlägen islamischer Extremisten vom 11. September 2001 in den USA und den anschließenden Militäreinsätzen der Washingtoner Regierung mit ihren Alli- ierten in Afghanistan und im Irak ist ein Strukturwandel global operierender Satelliten- Nachrichtenfernsehsender zu beobachten: Auf weltweit zunehmend entgrenzten Me- dienmärkten konkurrieren nunmehr anglo-amerikanische ‚TV News Leaders‘, wie das privat-kommerzielle US-Nachrichtenfernsehen Cable News Network (CNN) aus At- lanta/Georgia mit seinem in London ansässigen internationalen Ableger CNN Interna- tional sowie die öffentliche British Broadcasting Corporation (BBC) mit ihrem teilpri- vatisierten globalen Nachrichtenfernsehen BBC World, mit einer jungen Generation politisch relativ unabhängigen Satelliten-Nachrichtenfernsehens aus der arabischen Welt um Informationen aus den Konfliktregionen im Nahen und Mittleren Osten und in der Berichterstattung über asymmetrische Konflikte wie dem diffusem internationa- len Terrorismus. Die – im Sinne einer geolinguistischen Einheit der Region – panarabi- schen Satelliten-Nachrichtenfernsehsender Al-Jazeera1 (Qatar), Abu Dhabi TV und Al-

1 Die Transliteration arabischer Namen und Begriffe erfolgt in vereinfachter englischer Laut-

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Arabiya (beide: Vereinigte Arabische Emirate, V.A.E.) entwickeln sich im Westen zur massenmedialen Referenz. Damit weichen sie das weltweite Quasi-Monopol westlicher TV-Marktführer zunehmend auf. Viele westliche Nachrichtenredaktionen halten Al-Ja- zeera (deutsch: ‚Die Insel‘), Abu Dhabi TV und Al-Arabiya (deutsch: ‚Die Arabische‘) für verlässliche und glaubwürdige Quellen, weshalb zahlreiche Kooperationsabkom- men geschlossen wurden. Im Vergleich zum Staatsfernsehen in den meisten arabischen Ländern gelten Al-Ja- zeera, Abu Dhabi TV und Al-Arabiya als politisch relativ unabhängig. Allerdings sind sie in hohem Maße wirtschaftlich abhängig, weil ihre Werbeeinnahmen (noch) nicht aus- reichen, um sich selbst finanzieren zu können. Ihre Geldgeber sind überwiegend arabi- sche Machthaber oder ihnen nahe stehende Financiers. Über deren Heimatländer kri- tisch zu berichten, ist nahezu tabu. Es ist offensichtlich, dass diese drei TV-Sender ihren Sendebetrieb sofort einstellen müssten, würden die jeweiligen Machthaber die Finan- zierung ihrer televisuellen Prestigeobjekte einstellen (Hahn 2004b). Auf den Erfolg von Al-Jazeera, Abu Dhabi TV und Al-Arabiya beim arabischen Publikum haben die USA mit der Gründung eines eigenen arabischsprachigen Satelliten-Fernsehkanals Al-Hurra (deutsch: ‚Der Freie‘) reagiert. Ziel dieses Beitrags ist zunächst eine Präsentation und Diskussion des Forschungs- standes zum arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehen und seiner Konfliktbericht- erstattung aus dem Nahen und Mittleren Osten. Dies dient als Ausgangspunkt, um die Rahmenbedingungen derartiger Berichterstattungspraxis und Programminhalte zu un- tersuchen. Hierzu wird zunächst kurz die Vorgeschichte der arabischen Satelliten- Nachrichtenfernsehsender geschildert. Vor diesem Hintergrund werden dann in einer systematischen Objekttypologie Entwicklungsgeschichte und Strukturen der jungen Generation arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehens abgehandelt, die die Konflikt- berichterstattung dieser TV-Stationen zwangsläufig prägen. Der Fall Al-Jazeera wird dabei besonders ausführlich dargestellt. Abschließend werden mögliche Folgen der ara- bischen Satelliten-Nachrichtenfernsehsender für die Konfliktberichterstattung aus dem Nahen und Mittleren Osten zu Thesen zugespitzt formuliert sowie zwei entsprechende relevante Untersuchungsfelder skizziert, in denen erheblicher Bedarf für Anschlussfor- schung besteht.

2. Forschungsstand Trotz der zahlreichen öffentlichen Debatten und der journalistischen Meta-Bericht- erstattung über die Position und die Berichterstattung über rezente Konflikte, Krisen und Kriege (11. September 2001, Afghanistan-Krieg 2001, Irak-Krieg 2003) der arabi- schen Satelliten-Nachrichtenfernsehsender ist dies noch ein weitgehend exploratives Forschungsfeld. Bis dato gibt es dazu weder empirische Studien, wie quantitative und/oder qualitative Inhaltsanalysen (die sich wegen der großen politischen, kulturellen und sprachlichen Distanz zum Forschungsgegenstand als problematisch erweisen dürf- ten), noch quantitative und/oder qualitative Befragungen zum journalistischen Selbst- verständnis der Mitarbeiter arabischer Satelliten-Nachrichtenfernsehsender. Auch gibt es noch keine qualitative Untersuchung der journalistischen Kultur, die die junge Ge- neration arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehens hervorgebracht hat, und ihrer

schrift, derer sich die hier vorgestellten Medien und Personen selbst bedienen. Transliterierte arabische Namen und Begriffe in Zitaten und Referenzen dagegen werden unverändert aus den Quellen und der Literatur wiedergegeben.

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Hahn · Arabisches Satelliten-Nachrichtenfernsehen

Strukturen, Prozesse und Routinen, die in halbstandardisierten Tiefeninterviews oder Redaktionsbeobachtungen erhoben werden könnten. Defizite sind auch bei empiri- schen Nutzungs- und Wirkungsstudien festzustellen; die Zuschauer- und Marktfor- schung zu arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehsendern ist noch unterentwickelt, worauf später zurückgekommen wird. In der Forschungsliteratur liegen bislang schwerpunktmäßig englisch- und franzö- sischsprachige Monographien über Al-Jazeera (Lamloum 2004; El-Nawawy/Iskandar 2002) vor, die eher Porträts des Unternehmens zeichnen, ebenso wie einige Dokumen- tarfilme (Noujaim 2004; Hakem 2002; Otten 2000). Zum Programmangebot von Al-Ja- zeera sind in Deutschland eine Reihe von Pilotstudien durchgeführt worden, die alle sehr unterschiedlichen Forschungsfragen nachgehen. Medien Tenor (2004a) beispielsweise analysierte das TV-Programm von Al-Jazeera im Zeitraum vom 12. März bis 5. Mai 2004 und kommt u. a. zu dem Ergebnis, dass der Sender sehr wenig Wirtschaftsberichterstat- tung betreibt. In einer Volltextsuche der englischsprachigen Website des Senders, Alja- zeera.net, im Zeitraum vom 1. Januar bis 1. September 2004 kommt Hafez (2004a, b) zu dem Ergebnis, dass Themen wie ‚Demokratisierung‘ und ‚interne Reformprozesse in ara- bischen Staaten‘ kaum auf der Agenda stehen und in hohem Maße von außenpolitischen Themen, wie beispielsweise die Irak-Politik der USA, überlagert werden. Andere inhaltsanalytische Pilotstudien beschäftigen sich mit Programmübernahmen von und Bezügen auf arabische Satelliten-Nachrichtenfernsehsender in westlichen TV- Sendern in der Zeit der ersten Kriegswochen im Irak 2003. Krüger (2003) kommt zu dem Ergebnis, dass Al-Jazeera und Abu Dhabi TV die meistgenutzten externen Informati- onsquellen der Nachrichtensendungen der vier wichtigsten deutschen TV-Vollpro- gramme ARD/Das Erste, ZDF, RTL und SAT.1 waren. In seiner Untersuchung über den Einfluss von Al-Jazeera und anderen arabischen Satelliten-Nachrichtenfernseh- kanälen auf das Bild des Irak-Kriegs in den Hauptabendnachrichtensendungen von CNN International, BBC World und Deutsche Welle TV zieht Weßler (2005) das Fa- zit, dass der Anteil der Übernahmen und Bezüge auf arabische TV-Sender quantitativ relativ gering ist. Demnach liefern arabische TV-Sender thematisch besondere Aspekte, die in der übrigen Kriegsberichterstattung wenig vorkommen. Ferner gab besonders Al- Jazeera Anlass zur Meta-Berichterstattung in den westlichen TV-Sendern, die sich aber von der arabischen Berichterstattungspraxis distanzierten. In dem von Medien Tenor (2004b) erstellten Ranking der meistzitierten Medien in 35 deutschen Medien im Zeit- raum vom 1. Februar 2003 bis 30. Juni 2004 behauptet sich Al-Jazeera im Durchschnitt unter den Top 20. Demnach hängen die Zitate allerdings davon ab, ob Al-Jazeera Äuße- rungen seiner Informanten mit dem Label ‚Exklusiv‘ beworben hat. In einer empirischen Untersuchung zu den Vorwürfen der USA und anderer westli- cher Staaten, die Konfliktberichterstattung der arabischen Satelliten-Nachrichtenfern- sehkanäle, insbesondere von Al-Jazeera, sei antiamerikanisch, antiisraelisch und antise- mitisch, kommen Nisbet/Nisbet/Scheufele/Shannahan (2004) zu dem Ergebnis, dass solche Einstellungen durch die arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehsender durch- aus gefördert werden könnten. Der französische Medien-Monitordienst Proche-Ori- ent.info (2005) schlussfolgerte in einer empirischen Auftragsstudie (!) für das Transat- lantic Institute, das zu den diplomatischen Aktivitäten des American Jewish Committee zählt, dass arabische und arabischsprachige TV-Sender wie Al-Jazeera, Iqra (Saudi-Ara- bien) und Al-Alam (Iran) im Programmuntersuchungszeitraum vom 1. bis 15. Februar 2005 antiwestliche und antisemitische Positionen verbreitet hätten. Über die wenigen empirischen Studien hinaus lassen sich weitere Einschätzungen und Beobachtungen zur Konfliktberichterstattung von Al-Jazeera, Abu Dhabi TV und

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Al-Arabiya anführen: Vor Beginn der Kampfhandlungen im Irak-Krieg 2003 warb Al- Jazeera beispielsweise um die Gunst der Zuschauer mit dem Versprechen zu zeigen, wo die Bomben der USA einschlügen, während CNN darüber berichte, von wo die Bom- ben abgeworfen würden. Zwar hatte auch Al-Jazeera einen ‚embedded journalist‘ bei den US-Streitkräften (Sharkey 2003), zeigte aber vor allem die gewaltsame Seite des Krieges, seine Opfer, auch kriegsgefangene und getötete US-Soldaten. Dagegen präsen- tierten die US-Fernsehsender tendenziell eher die militärisch-technische Seite des Waf- fengangs (Sharkey 2003; Kolodzy/Ricks/Rosen 2003). Manche arabische Journalisten und Wissenschaftler sehen Al-Jazeera in die Falle der Siegespropaganda des später gestürzten irakischen Machthabers Saddam Hussein getre- ten: „Während der drei Kriegswochen lud man nicht einen irakischen Oppositionellen welcher politischen Couleur auch immer aus dem Irak selbst oder aus dem Ausland ein“ (Hissou 2003). Al-Tonsi (2003) beklagt, dass es keine Hintergrundberichte und Analy- sen auf Al-Jazeera über beispielsweise die UN-Resolution 1441, die Genfer Konventi- on oder die Verbrechen von Saddam Husseins Baath-Partei gab. Ajami (2002) geht noch weiter, wenn er die gesamte Konflikt-, Krisen- und Kriegsberichterstattung von Al-Ja- zeera – nicht erst seit dem Irak-Krieg 2003 – als antiamerikanisch und antizionistisch ge- lenkt sieht. Obwohl ursprünglich mit dem Anspruch eines neutralen Nachrichtenfernsehens ge- startet, ist im Programm von Al-Jazeera – nicht erst in seiner Berichterstattung über den Irak-Krieg 2003 – ein zunehmender Trend zur extremen Politisierung, Polarisierung, Personalisierung und Emotionalisierung zu beobachten. Hafez (zit. n. Neuber 2004) sieht darin „eine Verschiebung von einem wichtigen systemkritischen Ansatz hin zu einer stärker antiamerikanischen und antiisraelischen Propaganda“. Ähnlich wie die US- Fernsehstationen CNN und Fox News, in deren Programmen eine Symbiose aus Jour- nalismus und Patriotismus zu beobachten ist, nimmt Al-Jazeera eine Konfliktperspek- tive ein, die in seinen Systemumwelten politisch und kulturell kontextualisiert ist (Hahn 2004a; Hickey 2002). Wie einige westliche Massenmedien neigt Al-Jazeera in Zeiten akuter internationaler Krisen, in die das politische und kulturelle Systemumfeld direkt involviert ist, zur Parteinahme (bias-Verhalten) mit diesem, um das eigene gesellschaft- liche Gesamtsystem zu stabilisieren und zu bestätigen (Hafez 2002). Wesentlich rationaler und ausgewogener als Al-Jazeera berichtete Abu Dhabi TV über den Irak-Krieg 2003. Auch Al-Arabiya positionierte sich dank seiner Irak-Be- richterstattung erfolgreich auf dem arabischen und internationalen Medienparkett (Ur- bahn 2004; Krüger 2003), weil der Sender die Kampfhandlungen wesentlich rationaler und weniger emotional als Al-Jazeera thematisierte.2 Grundsätzlich bleibt allerdings fraglich, ob der direkte Wettbewerb zwischen den beiden Sendern tatsächlich zu einer De-Emotionalisierung der Konfliktberichterstattung aus dem Nahen und Mittleren Osten führt (Richter 2004). Die Rahmenbedingungen der Berichterstattungspraxis und der Programminhalte der jungen Generation arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehens sind in deren Entwick- lungsgeschichte und Strukturen verwurzelt, die im Folgenden untersucht werden.

2 Allerdings hinterließen besonders zwei Personalien von Al-Arabiya einen bitteren Nachge- schmack: die Einstellung des ehemaligen irakischen UN-Botschafters Mohammed al-Douri und eine geplante, aber nicht realisierte Mitarbeit von Saddam Husseins Informationsminister Mo- hammed Said al-Sahhaf (Buck 2004b).

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Hahn · Arabisches Satelliten-Nachrichtenfernsehen

3. Vorgeschichte arabischer Satelliten-Nachrichtenfernsehsender

3.1 Einführung und Rolle terrestrischen Staatsfernsehens Bereits Anfang bis Mitte der 1950er Jahre führten einige arabische Länder wie Marok- ko (Ibahrine 2002) sowie Saudi-Arabien und Kuwait (Ayish 2002b) erste Fernsehan- stalten ein (Boyd 1999). Seit Beginn der 1960er Jahre stellten zahlreiche Machthaber neu- er arabischer Staaten das damals junge Massenmedium Fernsehen unter ein Regierungs- bzw. Staatsmonopol und instrumentalisieren es seitdem zu Propagandazwecken, zur politischen Mobilisierung der Bevölkerung, Nationenbildung und Wirtschaftsentwick- lung. Das politische und kulturelle Einflusspotenzial des Staatsfernsehens wurde auch wegen des stark ausgeprägten Analphabetismus im arabischen Raum als sehr hoch ein- geschätzt. Die staatlichen Fernsehanstalten werden von den jeweiligen Machthabern finanziert, kontrolliert und zensiert: Die amtlichen TV-Sender unterstehen direkt Informations- ministerien oder anderen Regierungsbehörden, die – oft in demselben Gebäude unter- gebracht – darauf achten, dass die staatlich angeordneten Programmaufträge erfüllt wer- den. In zahlreichen arabischen Ländern stehen eine Deregulierung und Öffnung des Me- dienmarktes für Anbieter privat-kommerziellen Rundfunks (Hörfunk und Fernsehen) bis heute außer Diskussion (Ayish 2002a, 2003a). Eine frühe Ausnahme bildete der Li- banon, und auch auf dem heutigen Medienmarkt der Autonomen Palästinensergebiete sind erstaunlich viele privat-kommerzielle Fernsehanbieter zu finden, die relativ weni- ge Programmanteile selbst produzieren und über große Zeitstrecken Sendungen von Al- Jazeera und Al-Arabiya unbezahlt, aber in gleichsam ‚geduldeter Piraterie‘ übernehmen bzw. aufzeichnen und zeitversetzt wiederausstrahlen. Die Zuschauer haben von arabischen Staatsfernsehsendern bis heute wenig mehr zu erwarten als Hofberichterstattung, Verlautbarungs- und Obrigkeitsjournalismus. Das Bilderprimat des Mediums Fernsehen ignorierend, beschränken sich die Programmin- halte im Informationsbereich auf Protokollnachrichten, bestehend aus verlesenen Tex- ten staatlicher Nachrichtenagenturen, Studiobeiträgen, gefilmten Regierungsanspra- chen des Staatsoberhauptes und Übertragungen von Staatsbesuchen. Auswahlkriterium ist dabei nicht der Nachrichtenwert eines Themas, sondern die Einnahme einer ‚parti- san position‘ (Schleifer 2001). Die politische TV-Berichterstattung konzentriert sich auf Tagesabläufe und Amtsroutinen der Machthaber (Ayish 1989).

3.2 Einführung des Direct Broadcast Service (DBS) und des Satellitenfernsehens In den 1980er Jahren hielt die Satellitenübertragungstechnik Einzug in die arabische Me- dienwelt. Allerdings wurden zunächst keine Fernsehsignale übertragen, sondern Tages- zeitungen: Die in London ansässigen und von saudischen privaten Verlagsgesellschaften finanzierten Tageszeitungen Al-Sharq Al-Awsat und Al-Hayat, zwei führende panara- bische Publikationen, nutzten die Satellitenübertragungstechnik zur Distribution ihrer Produkte in der arabischen Welt (Schleifer 1998; Ayish 2002b). Das erste arabische Fern- seh-Satellitensystem Arabsat ist seit Mitte der 1980er Jahre im Einsatz. Anfangs wurde es noch nicht zur direkten Fernsehübertragung (DBS) genutzt, sondern diente dem Aus- tausch zwischen arabischen Staatsfernsehsendern (Schleifer 1998). Einen Paradigmenwechsel in der Satellitenübertragung von Fernsehsignalen und in der Medienprivatisierung in der arabischen Welt leitete Ende der 1980er Jahre CNN ein. Im Herbst 1989 verhandelte CNN mit Ägypten, einem der wichtigsten arabischen

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Standorte für Medienproduktion, über terrestrisches Rebroadcasting und die Aufnah- me in das Pay-TV-Angebot des neu geschaffenen Kabelnetzes Cable Network Egypt (CNE), ursprünglich bekannt als Cable News Network. Am Ende der Verhandlungen stand ein Joint Venture zwischen CNN, CNE und der staatlichen Rundfunkkörper- schaft Egyptian Radio and Television Union (ERTU). CNN durfte als erster interna- tionaler 24-Stunden-Nachrichtensender sein englischsprachiges Programm als Pay-TV- Angebot unzensiert in Ägypten über das Kabelnetz wiederausstrahlen. Kurz vor dem Beginn des zweiten Golfkriegs 1990-1991 legalisierte die ägyptische Regierung Einführung und Besitz von Satellitenempfangsschüsseln, woraufhin deren Markt in der arabischen Welt rapide expandierte. Im Dezember 1990, etwa einen Monat vor dem Luftkrieg des US-geführten Militäreinsatzes ,Desert Storm‘ gegen den Irak, lancierte die ERTU das Egyptian Space Network Project (SpaceNet, ESN) und schuf damit das erste direkte Satellitenprogramm Ägyptens, Egypt Satellite Channel (ESC), dem kurze Zeit später ein zweites (ESC 2) folgte. Mitte Januar 1991 ließen Ägypten und Saudi-Arabien eine direkte Ausstrahlung von CNN zu. In den Jahren nach dem zwei- ten Golfkrieg 1990-1991 stieg die Nachfrage nach Satellitenempfangsschüsseln in der arabischen Welt wegen des wachsenden Programmangebots internationalen Satelliten- Rundfunks (Boyd 1999). CNN wurde in der arabischen Medienwelt eine Art Vorbild für privat-kommerziel- le TV-Anbieter: Besonders erfolgreich waren in den 1990er Jahren drei in Europa an- sässige, panarabische Satelliten-Rundfunksysteme der ersten Generation, die allesamt von saudischen Investoren mit engen Verbindungen zur saudischen Königsfamilie fi- nanziert werden (El Gody 2002; Schleifer 1998). Als erstes panarabisches Satelliten-Rundfunksystem nahm im September 1991 das Middle East Broadcasting Centre (MBC) in London seinen Sendebetrieb auf. Gegrün- det wurde MBC vom saudischen Geschäftsmann Walid al-Ibrahim, ein Schwager des saudischen Königs Fahd. Seine Familie sagte MBC die Nutzung des Satellitensystems Arabsat zu, dessen wichtigster Einzelaktionär sie war (Sakr 2002b). MBC galt als die ara- bische Version eines privat-kommerziellen westlichen TV-Netzwerks. Das MBC-Pro- gramm setzte sich aus Nachrichten, Sport- und Unterhaltungssendungen zusammen. Zwar entsprachen die Formate und Inhalte westlichen Produktionsstandards, gleichzei- tig wahrten sie gesellschaftliche Normen der arabischen Welt und des Islam. MBC ver- fügte über große Werbeeinnahmen und hatte größere Marktanteile als die meisten na- tionalen TV-Stationen der Golfregion (Schleifer 1998, 2001). Aufgrund von Sparmaß- nahmen zog das MBC-Hauptquartier später nach Dubai um. Das zweite panarabische Satelliten-Rundfunksystem, Arab Radio and Television (ART), wuchs in kurzer Zeit zum größten in Reichweite und Programmangebot aus und begann seine Übertragungen über Arabsat im Januar 1994 im italienischen Fucino, öst- lich von Rom. Gegründet wurde ART vom saudischen Unternehmer Scheich Saleh Ka- mel, der sich mit seiner Holding Dallah al-Baraka besonders in Ägypten und Saudi-Ara- bien erfolgreich an Banken und Handelsgesellschaften beteiligte. Später gewann er Prinz Al-Walid bin Talal, einen der wichtigsten arabischen Investoren globaler Großkonzer- ne und zuvor an MBC beteiligt, als Partner für ART. In der arabischen Welt galt ART als Pionier der Spartenkanäle und des Pay-TV. Anfangs strahlte ART neben einem un- terhaltungsorientierten Vollprogramm einen Sportkanal mit Live-Berichterstattung, ei- nen Kinder- und einen Filmkanal aus (Sakr 2002b). Später entwickelte sich ART zu ei- ner Satelliten-Plattform mit mehr als 20 Kanälen in ihrem verschlüsselten Programm- strauß. Seit 1998 werden unternehmensfremde, auch westliche Programme über ART vertrieben. Interessant ist die ,Keine-Nachrichten‘-Politik von ART – nach eigenen An-

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gaben aus Kostengründen und Furcht vor möglichen Wirtschaftssanktionen von Regie- rungsseite. Allerdings stieg die Zahl aktueller Talkshows mit Zuschauerbeteiligung auf ART kontinuierlich an (Schleifer 1998). Das dritte panarabische Satelliten-Rundfunksystem, Orbit Television and Radio Network, nahm seinen Sendebetrieb im Mai 1994 von Rom aus auf. Gegründet wurde Orbit von der saudischen Investmentgruppe Al-Mawared. Im Gegensatz zu MBC und ART übertrug Orbit von Anfang an Rundfunksignale digital und verschlüsselt und nahm wesentlich mehr nicht-arabischsprachige Kanäle in seinen Programmstrauß auf: Orbit-Abonnenten hatten Zugang zu mehr als 40 Fernseh- und Radiodiensten. Orbit suchte die direkte Konkurrenz zum arabischsprachigen Nachrichtendienst des MBC und bezahlte daher die BBC – im Rahmen einer auf zehn Jahre angelegten strategischen Allianz – für die Produktion eines Arabic World Television Service. BBC Arabic TV (News Service) nahm seinen Sendebetrieb im Juni 1994 in London auf. Mittelfristiges Ziel war ein 24-Stunden-Programm, bestehend aus arabischen Nachrichten und engli- schen BBC-Dokumentationen und Reportagen mit arabischem Voice-over. Die redak- tionelle Verantwortung für BBC Arabic TV lag vollständig in den Händen der britischen Rundfunkanstalt. Bereits im April 1996 wurde BBC Arabic TV abrupt eingestellt: Aus Verärgerung über einen BBC-Bericht über einen saudischen Dissidenten in London so- wie über das Justizsystem, Menschenrechtsverletzungen und die Todesstrafe in Saudi- Arabien kündigte das Orbit-Management den Kooperationsvertrag und warf der BBC vor, ihre Vertragsverpflichtung zur Achtung arabischer kultureller Werte verletzt zu ha- ben. Ohne die finanzielle Unterstützung von Orbit war BBC Arabic TV nicht überle- bensfähig (Schleifer 1998). Auf den ersten Blick können MBC, ART und Orbit als Wegbereiter für eine relative politische Liberalisierung, ökonomische Privatisierung und technische Modernisierung arabischer Medienmärkte gewertet werden (Zayani 2004). Gemein sind ihnen eine Pro- fessionalisierung in Programmproduktion und -distribution sowie westliche Rund- funkstandards. Daher ging von ihnen ein Innovationsdruck aus, auf den die traditionel- len arabischen Staatsfernsehsender mit Programmreformen reagieren mussten, wollten sie keine weiteren Zuschauer verlieren. Die privat-kommerziellen Satelliten-Fernsehan- bieter waren insoweit im Vorteil, als dass der Großteil ihrer Mitarbeiter im Westen aus- gebildet und sozialisiert wurde (Ayish 2002a, 2003a). Sie schaffen eine Art arabisch-an- gelsächsischen Mediensynkretismus (Ayish 2003b). Gemeinsam ist MBC, ART und Or- bit aber auch die existenzielle Gefahr, die in einer kritischen Programmgestaltung zur Heimat ihrer saudischen Geldgeber lauert. Nach einer tiefer gehenden Diagnose dienen sie als ‚big business‘ letztlich der ökonomischen Bestandswahrung und Stabilisierung des saudischen politischen Systems. Aus dem staatlichen wurde ein privates Fern- sehmonopol (Zayani 2004), die Privatisierung und Oligopolisierung setzt die Staats- kontrolle kaschiert fort (Hafez 2001; Kilani 2004).

4. Der Nachrichtenpionier Al-Jazeera

4.1 Abriss der Gründungsgeschichte und Finanzierung Die Gründung des Al-Jazeera Satellite Channel in Doha, der Hauptstadt des Golfemi- rats Qatar, ging auf einen Vorschlag seines Staatsoberhauptes, Emir Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani, zurück, der seit 1995 einen Transformations- und Demokratisie- rungsprozess in seinem an Erdgas reichen Zwergstaat ausführt und ihn damit aus der Abhängigkeit des politisch, wirtschaftlich, militärisch und massenmedial einflussreichen

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Nachbarstaates Saudi-Arabien befreien will. Al-Jazeera ist Bestandteil des Transforma- tionsprozesses und eine Möglichkeit des Anschlusses an die post-industriellen Gesell- schaften im Westen. Nach der Einstellung von BBC Arabic TV wurden dessen ara- bischsprachige TV-Journalisten nach Doha eingeladen und aufgefordert, mit Hilfe eines einmaligen Staatskredits in Höhe von 140 Millionen US-Dollar über eine Laufzeit von fünf Jahren ein arabisches Nachrichtenfernsehen nach BBC-Vorbild aufzubauen (El- Nawawy/Iskandar 2002). Am 1. November 1996 ging Al-Jazeera auf Sendung, seit Ja- nuar 1999 sendet es rund um die Uhr. Den break even hat Al-Jazeera bis heute nicht erreicht, weil die prognostizierten Werbeeinnahmen ausblieben. Multinationale Werbetreibende halten sich mit Buchun- gen von Werbezeiten auf Al-Jazeera zurück, weil sie sich nicht in das Umfeld umstrit- tener Programminhalte platzieren und einen Verlust großer Absatzmärkte in Saudi- Arabien, Kuwait und den V.A.E. riskieren wollen (Hahn 2004d; Richter 2004). Der TV- Sender erhält daher seit Ablauf der vom Emir projektierten Anlauffinanzierung im No- vember 2001 Zuschüsse von der qatarischen Regierung in Höhe von rund 100 Millionen US-Dollar pro Jahr (El-Nawawy/Iskandar 2002). Al-Jazeera prüft mehrere Optionen der Privatisierung, darunter einen mittelfristigen Gang an die Börse (bis spätestens 2007) in Doha oder anderen internationalen Finanzmetropolen; die Beratungsgesellschaft Ernst & Young überprüfte den TV-Sender auf seine Börsenfähigkeit, eine Entscheidung von Seiten des TV-Senders oder des Staates Qatar steht noch aus.3

4.2 Relative politische Unabhängigkeit Trotz der finanziellen Abhängigkeit von der qatarischen Herrscherfamilie gilt Al-Ja- zeera in der arabischen Medienwelt als politisch relativ unabhängig und wird dort als ‚Pionier der Pressefreiheit‘ gefeiert. Der TV-Sender, der sich das Motto: ‚Al-ra‘y wa al- ra‘y al-akhar‘ (deutsch: ‚Meinung und Gegenmeinung‘) setzte, das dem anglo-amerika- nischen Journalismus-Axiom ‚Get both sides of the story‘ übersetzungsäquivalent ist (Schleifer 2001), untersteht tatsächlich keiner Regierungsbehörde unmittelbar. Der Emir ließ 1996 das Informationsministerium und mit ihm die Zensurbehörde abschaffen und führte ein staatliches Medienaufsichtsgremium, die General Association for Qatari Ra- dio and Television, ein. Dieses Gremium nimmt – ähnlich wie der französische Conseil Supérieur de l‘Audiovisuel (CSA) oder die U.S. Federal Communications Commission (FCC) – medienrechtliche und -regulierende Aufgaben wahr. Den Vorsitz des qatari- schen Medienaufsichtsgremiums übernahm Scheich Hamad bin Thamer al-Thani, ein Neffe des Emirs, der in Personalunion auch Vorstandsvorsitzender von Al-Jazeera ist. Trotz der offiziellen Abschaffung der Zensurbehörde ist die Medienfreiheit in Qatar stark eingeschränkt, da seit 1996 das Ministry of Religious Endowments and Islamic Af- fairs als informeller Quasi-Zensor die Medieninhalte überwacht.4 Die Mediengesetzge- bung verbietet grundsätzlich öffentliche Kritik am Islam und an der Herrscherfamilie. Auffällig selten berichtet Al-Jazeera über die Innenpolitik Qatars: „Die große Frei- heit des kleinen Senders beginnt erst hinter den Staatsgrenzen“ (Hahn 2004d: 159). Of- fiziell wird dieser Mangel mit dem Argument begründet, das Zwergemirat sei zu klein und unwichtig. Fakt ist, dass der TV-Sender in einer Art „media schizophrenia“ (El-Na-

3 Hintergrundgespräch des Autors mit Jihad Ballout, Sprecher von Al-Jazeera, am 1. September 2004. 4 Neben Al-Jazeera unterhält Qatar die staatseigene General Broadcasting and Television Cor- poration, zu der das Staatsfernsehen Qatar Television (QTV) gehört.

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wawy/Iskandar 2002: 83) zwar nicht direkt für die Außenpolitik Qatars instrumentali- siert wird, aber dem Emirat indirekt zu hohem Einfluss in der Region und den interna- tionalen Beziehungen verhilft. Dieser Einfluss steht in keinem Verhältnis zur relativen politischen Schwäche Qatars: Das Verhältnis zwischen dem Wüstenstaat mit geringer politischer Bedeutung und der ‚Medienmacht‘ von Al-Jazeera im Nahen und Mittleren Osten basiert auf einer ‚asymmetrischen Interdependenz‘ (Straubhaar 1991; Kraidy 2000).

4.3 Karriere und Markenentwicklung Größere Teile der arabischen Welt wurden erstmals auf Al-Jazeera aufmerksam wegen dessen exklusiver Live-Berichterstattung über Luftangriffe der von den USA geführten Alliierten im Rahmen der Militäroperation ‚Desert Fox‘ gegen den Irak Ende 1998 (Schleifer/Sullivan 2001). Bekannt wurde Al-Jazeera in der arabischen Welt aber vor al- lem wegen seiner Berichterstattung über die zweite, so genannte Al-Aqsa-Intifada der Palästinenser gegen Israel seit September 2000 (Schäfer 2002). Zayani (2004: 30) schluss- folgert, dass „Arab satellite TV has institutionalized […] a dual discourse that presents both the acquiescent official discourse and the more assertive response of the popula- tion, fueled in part by the coverage of the violent conflict unfolding day after day“. Al- Jazeera berichtete über den nationalen Palästinenser-Aufstand in Frames eines panara- bischen, gleichsam innenpolitischen Themas (Wolfsfeld 1997, 2003). Dabei kennzeich- nete den TV-Sender eine pro-palästinensische Haltung (Ayish 2002a, 2003a). Ähnlich wie bei der ersten Intifada 1988, über die im Nahen und Mittleren Osten nur arabische Staatsfernsehsender berichteten, weil es in der Region noch kein Satellitenfernsehen gab, bleiben in der Berichterstattung von Al-Jazeera die Bilder und Informationen über Po- litik und Gesellschaft Israels hochgradig selektiv und fragmentiert (Hafez 2000). Auf dem internationalen Medienmarkt verliefen Karriere und Markenentwicklung von Al-Jazeera als ‚global media player‘ vergleichbar mit denen von CNN: Während sich CNN dank seiner Exklusivberichterstattung aus Bagdad über den zweiten Golfkrieg 1990-1991 weltweit einen Namen machte, wurde Al-Jazeera über die Grenzen der ara- bischen Welt hinaus bekannt, als der TV-Sender 2001 Exklusivbilder um die Welt schick- te: zunächst im März von der Sprengung von zwei historischen Buddha-Statuen aus dem fünften Jahrhundert im afghanischen Tal von Bamian durch die Taliban, dann im Sep- tember von demonstrierenden Afghanen und ihren Angriffen auf die US-Botschaft in Kabul und im Oktober vom Luftangriff der USA und ihren Verbündeten auf die afgha- nische Hauptstadt (Abu-Fadi 2001; Schleifer 2003). Während die Taliban im September 2001 alle ausländischen Journalisten zwangen, Afghanistan zu verlassen, durften zwei Journalisten von Al-Jazeera weiterhin im Land arbeiten, wo der TV-Sender seit Ende 1999 jeweils ein Büro in Kandahar und Kabul unterhielt. Letzteres wurde im Novem- ber 2001 bei einem Bombenangriff der US-Streitkräfte zerstört (Sharkey 2003). Zusätzlich verdankt Al-Jazeera seine internationale Prominenz einem weiteren scoop: Zum Beginn der Luftangriffe strahlte Al-Jazeera die erste Videobotschaft des Al-Qai- da-Terroristenführers Usama bin Ladin aus, der weitere folgen sollten (Sommer 2003). Diese erste Videobotschaft, bereits 1998 produziert, wurde weltweit von zahlreichen Fernsehanstalten übernommen, drei Minuten dieses Videos wurden Angaben von Al- Jazeera zufolge für jeweils 250.000 US-Dollar verkauft (El-Nawawy/Iskandar 2002).5

5 Bei einem Besuch des qatarischen Emirs Scheich Hamad im Oktober 2001 in Washington be- schwerte sich der damalige US-Außenminister Colin Powell (zit. n. Schleifer 2000) persönlich

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4.4 Kritik und Imagepflege Wegen seiner relativen politischen Unabhängigkeit ist Al-Jazeera an Kritik von allen Sei- ten gewöhnt: von den USA und Israel genauso wie von arabischen Nachbarregierungen (Lamloum 2004, 2004/5; Kilani 2004). Trotz zahlreicher Auftritte von israelischen und US-Regierungsbeamten im Programm werfen diese beiden Länder Al-Jazeera antiame- rikanische und antizionistische Propaganda vor (Alterman 1999). Besonders US-Vertei- digungsminister Donald Rumsfeld beschimpfte Al-Jazeera wochenlang als Saddam Husseins und Usama bin Ladins Sprachrohr. Offenbar aus Furcht vor einem drohenden Imageverlust zog Al-Jazeera nach dem Irak-Krieg 2003 personelle Konsequenzen: In Reaktion auf Gerüchte, eigene Journalisten hätten als Spitzel für den irakischen Ge- heimdienst gearbeitet und ihren Arbeitgeber damit in unzulässige Nähe zum Regime Saddam Husseins gerückt, trennte sich Al-Jazeera im Mai 2003 von seinem Grün- dungsgeschäftsführer Mohammed Jasim al-Ali und im Januar 2004 von seinem Grün- dungschefredakteur Ibrahim Helal (Latsch/Meyer 2003; Buck 2004b). Die vom Emir eingesetzte neue Al-Jazeera-Führungsetage um Geschäftsführer Wadah Khanfar (2004) erließ zudem – wohl aus Marketing-Gründen – öffentlich einen Ethik-Kodex, nach dem der TV-Sender künftig „sensibler mit Informationen umgehen“ und „Spekulation und Propaganda vermeiden“ (Buck 2004a) soll. Auch einige arabische Anrainerstaaten Qatars reagierten aus Verärgerung über die Berichterstattung von Al-Jazeera mit Sanktionen: mit Beschwerden an den Emir in Doha, kurzzeitigen Störungen diplomatischer Beziehungen, vorübergehenden Auswei- sungen von Korrespondenten oder Schließungen von Büros des TV-Senders. Ferner lehnte die Arab States Broadcasting Union (ASBU) in Tunis den Aufnahmeantrag von Al-Jazeera mit der Begründung ab, der TV-Sender wolle sich nicht an den ‚Ehrenkodex arabischer Medien‘ halten. Darin verpflichten sich die ASBU-Mitgliedsmedien zur För- derung panarabischer Kultur und Werte, der arabischen Brüderschaft sowie zum Ver- zicht auf regierungskritische Berichterstattung (Ayish 2002c).

4.5 Programmangebot und Zuschauerstruktur Als Visitenkarte von Al-Jazeera gelten – in der arabischen Medienwelt zuvor unbekannt – kontroverse politische Talk-Shows mit Zuschauerbeteiligung (Call in-Sendungen). Derartige TV-Streitgespräche überwiegen inzwischen im Programm von Al-Jazeera, was als Indikator für den beschriebenen Trend zur extremen Politisierung, Polarisie- rung, Personalisierung und Emotionalisierung gewertet werden muss. Wegen dieser zahlreichen umstrittenen „Boxring“-Sendungen (El-Nawawy/Iskandar 2002), die oft in verbalem Krawall der Gäste enden (Gerlach 2004), handelte sich Al-Jazeera den Vor- wurf des Populismus, Sensationalismus und der Einseitigkeit ein (Richter 2004). Zu den in der arabischen Welt bekanntesten Talk-Shows dieser Art zählt die Sendung „Al-Itti- jah al-Muakis“ (deutsch: ‚Die entgegengesetzte Richtung‘)6 mit Starmoderator Faisal al-

über die Ausstrahlung dieser ersten Videobotschaft und forderte seinen Gast auf, „to tone down Al Jazeera’s inflammatory rhetoric“. Daraufhin ließ es sich Scheich Hamad nicht nehmen, auf einer Pressekonferenz auf die Medienfreiheit und die Unabhängigkeit des TV-Senders zu ver- weisen (Fisk 2001; Sullivan 2001). 6 Für diese wöchentliche Talk-Show, zu der immer zwei Gäste mit extrem divergierenden Mei- nungen eingeladen werden und an der sich Zuschauer über Telefon beteiligen können, stand das CNN-Format „Crossfire“ Pate. 250 004_M&K_02+03-05_Hahn 06.07.2005 11:58 Uhr Seite 251

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Qasim, die als ein Format des „Politainment“ (Dörner 2001) zu kategorisieren ist. Pro- blematisch an diesen TV-Diskussionsrunden ist, dass sie nur vorgeblich partizipatori- schen Charakters sind, denn die Redaktionen selektieren diejenigen Zuschauer, die sich an der Sendung beteiligen dürfen. Da die Zuschauerforschung in der arabischen Medienwelt noch unterentwickelt ist (Al-Jaber 2004; Rhodes/Chapelier 2004) bzw. nicht in einer Form existiert, die mit den entsprechenden Messinstrumenten und -standards im Westen vergleichbar wäre, kön- nen Sendeanstalten wie Medienforscher nicht auf statistisch reliable Daten zurückgrei- fen, sondern die potenziellen Reichweiten der Satelliten-Fernsehsender nur schätzen (Sakr 2002a). Diese Schätzungen basieren in der Regel auf den Zahlen verkaufter Satel- litenempfangsschüsseln, was aufgrund der hohen Anzahl illegal vertriebener Geräte al- lerdings problematisch ist (Sharkey 2003). Zayani (2004) führt den Mangel an verlässli- cher Zuschauerforschung auf die im Vergleich zum Westen unterentwickelte bis gar nicht existente Umfragekultur in der arabischen Welt zurück. Die meisten Zuschauer von Al-Jazeera leben in Saudi-Arabien, den V.A.E., Jordani- en und Syrien (Auter/Arafa/Al-Jaber 2004). Al-Jazeera erreicht Schätzungen zufolge 35 Millionen Zuschauer in der arabischen Welt, weltweit sollen es 50 Millionen sein. Eine nicht-repräsentative Umfrage im Auftrag der US-Botschaft in Abu Dhabi unter 407 jun- gen Zuschauern in den V.A.E. im Alter von 18 bis 25 Jahren ergab Spitzenwerte in punc- to Glaubwürdigkeit für Al-Jazeera vor seinen arabischen und westlichen Konkurrenten. Als ein ausschlaggebendes Kriterium für ihre positive Beurteilung nannten die Befrag- ten die häufige Verwendung des umstrittenen Begriffs ‚shahid‘/‚shuhada‘ (Pl.) (deutsch: ‚Märtyrer‘) für islamische Selbstmordattentäter im Programm von Al-Jazeera (Urbahn 2004), der positiv als Partei ergreifend für die palästinensische Sache im Konflikt mit Is- rael gewertet wird (Hahn 2003, 2004a).

4.6 Absatzmärkte, Expansionspläne und internationale Kooperationen In den meisten Ländern ist das Programm von Al-Jazeera unverschlüsselt zu empfangen. In den USA ist es, zusammen mit anderen TV-Angeboten, kodiert in einem arabisch- sprachigen Pay-TV-Paket enthalten (Ajami 2002). Um neue Absatzmärkte zu erobern, soll Al-Jazeera dem Willen seines Geschäftsführers Khanfar (2004) zufolge zu einem TV- Netzwerk expandieren: Neben dem Nachrichtenkanal existiert seit 1. November 2003 bereits ein eigener Sportkanal. Ferner sind ein Dokumentationskanal, ein Kinderkanal und ein englischsprachiger Nachrichtensender geplant. Mit diesem soll Al-Jazeera nicht nur Zuschauer in den USA und Großbritannien erreichen, sondern sich von einem pana- rabischen zu einem panislamischen TV-Sender entwickeln. Damit zielt das Unternehmen besonders auf südostasiatische Absatzmärkte wie Indonesien, das bevölkerungsreichste islamische und nicht-arabischsprachige Land der Erde.7 Kooperationen mit TV-Sendern in Indonesien und Malaysia ging Al-Jazeera bereits ein (Zednik 2002). Überwiegend wegen seines exklusiven Bildmaterials sind auch zahlreiche westliche Fernsehanstalten, wie ZDF, BBC und ABC News, Kooperationen mit Al-Jazeera ein- gegangen, die Programmübernahmen sowie den Austausch von Material und Personal umfassen. Eine frühe Kooperation zwischen Al-Jazeera und CNN scheiterte am Streit über die Ausstrahlung einer weiteren Videobotschaft von Usama bin Ladin.8

7 Hintergrundgespräch des Autors mit Jamil M. Azar, Moderator von Al-Jazeera, am 17. Mai 2004. 8 CNN strahlte am 31. Januar 2002 ein Exklusivinterview mit ihm aus, das Al-Jazeera-Starrepor-

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5. Das Nachrichten-orientierte Vollprogramm Abu Dhabi TV Abu Dhabi TV mit Sitz in der gleichnamigen Hauptstadt der V.A.E. gehört zur Grup- pe Emirates Media Incorporation (EMI), die 1999 auf Initiative des (2004 verstorbenen) Staatschefs der V.A.E., Scheich Zayed bin Sultan al-Nahyan, gegründet wurde und voll- ständig von der Herrscherfamilie finanziert wird. Anfang 2002 wurde die Gruppe in acht voneinander unabhängige Geschäftsbereiche umstrukturiert. Zum TV-Geschäftsbe- reich gehört neben einem Sportkanal und einem Regionalsender für die Golfstaaten das am 30. Januar 2000 umgestaltete Vollprogramm Abu Dhabi TV, das aus dem seit 1969 sendenden Staatsfernsehen hervorging.9 Etwa ein halbes Jahr vor Beginn der Kampfhandlungen im Irak-Krieg 2003 wurde Abu Dhabi TV zu einem 24-Stunden-Nachrichtenkanal umgewandelt. Diese Strategie erwies sich bei der internationalen Vermarktung von Bildmaterial als erfolgreich: In Spitzenzeiten übernahmen weltweit bis zu 120 Fernsehstationen, darunter auch ARD und ZDF, die Irak-Bilder von Abu Dhabi TV (Buck 2004b). Daher ging das Auslands- fernsehen Deutsche Welle TV 2003 eine Kooperation mit Abu Dhabi TV ein, die bei- den Sendern den gegenseitigen Austausch von Bildern, technischen Ressourcen und Personal ermöglicht. Zudem wurden regelmäßige Programm-Koproduktionen verein- bart (Hahn 2004c), die auch das im Februar 2005 gestartete, arabischsprachige Fenster- programm von DW TV mitgestalten. Inzwischen sendet Abu Dhabi TV wieder als Vollprogramm mit einem vergleichsweise hohen Nachrichtenanteil. Die Rückkehr zur alten redaktionellen Linie von Abu Dhabi TV stieß angesichts seines internationalen Vermarktungserfolges im Irak-Krieg 2003 bei seinen arabischen Konkurrenten auf Un- verständnis.10

6. Der Nachrichtenhändler Al-Arabiya Der jüngste der hier vorgestellten drei panarabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehsen- der, Al-Arabiya, wurde 2002 gegründet und nahm am 20. Februar 2003 seinen Sen- debetrieb als 24-Stunden-Nachrichtensender auf. Der in der Dubai Media City in den V.A.E. stationierte TV-Sender wurde vom saudischen MBC, vom Medienunternehmen des (2005 getöteten) früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Al-Hariri sowie von weiteren saudischen und kuwaitischen Investoren mit etwa 300 Millionen US- Dollar für fünf Jahre finanziert. Al-Arabiya will sich mit dem Anspruch einer rationa- len Nachrichtenberichterstattung deutlich von seinem stärksten Konkurrenten Al-Ja- zeera abgrenzen, von dem Al-Arabiya einige leitende Redakteure abwarb. Ein wichti- ges Programm-Standbein von Al-Arabiya bilden Hintergrundberichte und Reportagen über den Nahen und Mittleren Osten.11 Genau darauf zielen auch die Expansionspläne

ter Tayseer Alouny am 21. Oktober 2001 mit Fragen von CNN aufgenommen hatte, welche Usama bin Ladin über einen Strohmann nach dem 16. Oktober 2001 schriftlich vorgelegt wor- den waren. Al-Jazeera hatte sich gegen eine Ausstrahlung entschieden und kündigte nach dem Alleingang von CNN die Zusammenarbeit (Sommer 2003). 9 Hintergrundgespräch des Autors mit Abbass Mustafa, Leiter der Medienforschung von Abu Dhabi TV, am 7. August 2004. 10 Hintergrundgespräch des Autors mit Salah Nagm, damaliger Chefredakteur und Nachrichten- chef von Al-Arabiya, am 18. Mai 2004. 11 Hintergrundgespräch des Autors mit Salah Nagm, damaliger Chefredakteur und Nachrichten- chef von Al-Arabiya, am 18. Mai 2004. 252 004_M&K_02+03-05_Hahn 06.07.2005 11:58 Uhr Seite 253

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von Al-Arabiya: Statt internationaler Kooperationen mit westlichen Fernsehanstalten will der TV-Sender eigenen Angaben zufolge diese statt als Partner lieber als Kunden ei- ner geplanten Fernsehnachrichtenagentur mit dem Schwerpunkt arabische und islami- sche Welt gewinnen.

7. Die US-Nachrichtenwaffe Al-Hurra Im Kalten Fernsehkrieg gegen Al-Jazeera, Abu Dhabi TV und Al-Arabiya setzen die USA ihre eigene Medienwaffe ein: den arabischsprachigen TV-Satellitensender Al-Hur- ra. Er ist in Springfield/Virginia nahe Washington stationiert und sendet seit dem 14. Fe- bruar 2004 über die Satelliten Arabsat und Nilesat in alle arabischen Länder. Al-Hurra bietet ein werbefreies Programm mit überwiegend internationalen Nachrichten. Der TV-Sender wird von der Non-Profit-Organisation The Middle East Television Net- work (MTN) betrieben, die der US-Rundfunkrat Broadcasting Board of Governors (BBG)12 kontrolliert. Zur Anlauffinanzierung von Al-Hurra im ersten Jahr bewilligte der US-Kongress über den Etat des Außenministeriums 62 Millionen US-Dollar. Damit ist der TV-Sender ein Instrument der ,public diplomacy‘, in die die USA seit dem 11. September 2001 wieder mehr Geld und Personal investieren, um dem in der arabischen und islamischen Welt verbreiteten Antiamerikanismus entgegenzuwirken. US-Präsi- dent George W. Bush (zit. n. Nasrawi 2004) forderte Al-Hurra auf, „die hasserfüllte Propaganda zu zerstreuen, die in der muslimischen Welt den Äther füllt“. Gemeint wa- ren damit Al-Jazeera und Al-Arabiya. Fraglich ist, ob Instrumente der public diplomacy wie Al-Hurra nicht eher kontra- produktiv wirken (Urbahn 2004). Ein Lehrbuchbeispiel für den Verlust an Glaubwür- digkeit und Wirksamkeit von public diplomacy-Anstrengungen der USA in der arabi- schen Welt bildete ein Interview mit Bush zu den Folter-Vorwürfen gegen US-Soldaten im irakischen Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad, das Al-Hurra am 5. Mai 2004 aus- strahlte. In dem Gespräch verurteilte Bush zwar die Misshandlungen, entschuldigte sich aber zunächst nicht. In den Augen vieler arabischer Zuschauer wirkte das Interview un- glaubwürdig, weil Bush (zit. n. o. V. 2004) am Ende des Gesprächs seinen Interviewer mit den Worten „Good job“ lobte, so als handele es sich um einen engen Mitarbeiter und keinen unabhängigen Journalisten. Oftmals scheint sich das Programm von Al-Hurra kaum von der TV-Propaganda einiger arabischer Regierungen zu unterscheiden und der subjektiven Realitätswahrnehmung vieler Araber zu widersprechen (Rid 2003).

8. Fazit und Ausblick: Thesen zu den Folgen der arabischen Satelliten- Nachrichtenfernsehsender für die Konfliktberichterstattung Vor dem Hintergrund der beschriebenen entwicklungsgeschichtlichen und strukturel- len Rahmenbedingungen, unter denen die arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehsen- der operieren, werden abschließend drei Thesen zu den möglichen Folgen für die Kon- fliktberichterstattung aus dem Nahen und Mittleren Osten formuliert.

12 Das BBG kontrolliert seit 1999 den staatlichen US-Auslandshörfunk Voice of America (VOA) und dessen jüngere Ableger Radio Sawa (deutsch: ‚Gemeinsam‘) und Radio Farda (deutsch: ‚Morgen‘), die seit März bzw. Dezember 2002 arabisch- bzw. persischsprachige Jugendpro- gramme bieten.

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These 1: Arabisches Satelliten-Nachrichtenfernsehen trägt zu Quellenvielfalt und Per- spektivenpluralismus in der Konfliktberichterstattung aus dem Nahen und Mittleren Osten bei.

Die verschärfte Konkurrenzsituation zwischen arabischen und westlichen Satelliten- Nachrichtenfernsehsendern auf den internationalen Medienmärkten hat das bisherige weltweite Quasi-Monopol anglo-amerikanischer ‚TV News Leaders‘ aufgeweicht. Dies drückt sich erstens in Programmübernahmen und Bezügen von bzw. auf arabische Sa- telliten-Nachrichtenfernsehsender aus, die in westlichen Massenmedien zu beobachten sind. Zahlreiche westliche TV-Kanäle reagierten auf die Konkurrenzsituation in Form von Kooperationen mit arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehkanälen.

These 2: Die Interdependenzen zwischen arabischem und westlichem Satelliten-Nach- richtenfernsehen steigern die analytische Qualität der Konfliktberichterstattung aus dem Nahen und Mittleren Osten bislang nur wenig.

Im Rahmen der Kooperationen zwischen Medienokzident und Medienorient fungieren die arabischen TV-Sender bislang überwiegend als Lieferanten von (zum Teil exklusi- vem) Bildmaterial, das in westlichen TV-Programmen oftmals als dekontextualisierter „Terror-TV-Fetzen“ (Hahn 2004d: 158) ankommt. Dagegen werden die Diskurse der arabischen TV-Sender selten von westlichen Medien übernommen (Hafez zit. n. Bil- lows 2004). Cassara/Lengel (2004) stellen richtig fest: „Western news outlets use Al Ja- zeera as a convenient source of information in the Middle East, but rarely convey its take on any of the stories they use.“ Aufgrund der großen politischen, kulturellen und sprachlichen Distanz bestehen auf Seiten westlicher Massenmedien weiterhin ‚Berührungsängste‘ im Umgang mit den arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehsen- dern. Bezüge auf deren Konfliktberichterstattung aus dem Nahen und Mittleren Osten beschränken sich oft auf die Thematisierung der Existenz einer anderen Sichtweise, ohne diese konkret zu benennen und zu beschreiben (Weßler 2005).

These 3: Das politische Wirkungspotenzial des arabischen Satelliten-Nachrichtenfernse- hens in Richtung Demokratie in der Region ist kurz- bis mittelfristig als moderat einzu- schätzen.

Trotz der sicherlich noch großen Defizite bei der empirischen Nutzungs- und Wir- kungsforschung zu den arabischen Satelliten-Nachrichtenfernsehsendern ist damit zu rechnen, dass ihr Beitrag zum Transformations-, Säkularisierungs- und Demokratisie- rungsprozess in der arabischen Welt erst auf lange Sicht effektiv sein kann. Rund zehn Jahre nach der Einführung arabischen Satellitenfernsehens ist noch kein signifikanter Fortschritt im Demokratisierungsprozess in der arabischen Welt festzustellen. Wegen des gravierenden Mangels an politischen Beteiligungsmöglichkeiten zivilgesellschaftli- cher Akteure geht Zayani (2004) sogar soweit, die strittige These aufzustellen, dass das Konzept der öffentlichen Meinung dem Nahen und Mittleren Osten kulturell fremd sei.13 Demnach spielen die Medien in der Regionalpolitik keine wichtige Rolle, weil sie innerhalb einzelner Länder keine Ableger anderer sozialpolitischer Institutionen als die

13 Sprachlich entspricht das Konzept der öffentlichen Meinung (public opinion) eher dem arabi- schen Ausdruck A’shaara al-arabi (deutsch: ‚Die arabische Straße‘).

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von Regierungen sind. Somit dienen die Medien allenfalls als Mechanismen zur Absi- cherung des regierungspolitischen Alltagsgeschäfts. In diesem Kontext ist selbst Al-Ja- zeera „not a bottom-up phenomenon, but a top-down development“ (Zayani 2004: 27). Vor diesem Hintergrund riskieren Erwartungen, die arabischen Satelliten-Fernseh- kanäle könnten möglicher- und teilweise Ersatzfunktionen für in den meisten arabi- schen Ländern nicht existierende oder schwache politische Parteien übernehmen, diesen TV-Sendern fälschlicherweise gemeinsame und einheitliche demokratische Absichten und Akteursrollen zuzuschreiben. Solche Intentionen und ein derartiges Selbstver- ständnis – etwa: ‚Artikulation des politischen Volkswillens‘ bzw. ‚Demokratisierungs- Avantgarde‘ – haben jene TV-Kanäle gar nicht oder aus PR-Gründen nur vorgeblich. Die arabischen Satelliten-Fernsehsender sind selbst Bestandteil ihrer autoritären Um- welten, von denen sie überdies wirtschaftlich abhängen. Hafez (2004a, b) kommt zu dem Ergebnis, dass, wenn an arabische Satelliten-Fernsehkanäle der Anspruch gestellt wür- de, zum Teil Parteienersatzfunktion zu übernehmen, sie diesem allenfalls im Ansatz ge- recht werden könnten und ihr Potenzial eines demokratischen Advokatismus mithin noch nicht ausgeschöpft sei.14 Überdies zeigen Forschungserkenntnisse über die Me- dientransformation im post-kommunistischen Mittel- und Osteuropa – sicherlich nur bedingt mit der Situation in der arabischen Welt zu vergleichen –, dass extreme Politi- sierung, Polarisierung und Parteilichkeit der Medien sowie eine Vermischung ihrer Funktionen als neutrale Vermittler und Parteiensubstitute letztlich die Gefahr bergen, bei den Rezipienten zu einem Desinteresse an Politik und den Nachrichtenmedien zu führen (Gross 2002, 2004). Darüber hinaus ist fraglich, ob und inwieweit sich – wie von einigen Autoren vorge- schlagen (El-Nawawy/Gher 2003) – das Konzept der Öffentlichkeit durch kritisch-ra- tionalen Diskurs nach Habermas (1962) sowie sein normatives Konzept von westlich- demokratischen Medien als neutralen Vermittlern überhaupt auf das autoritäre Umfeld der arabischen Welt übertragen lassen.15 Beispiele, die die Übertragbarkeit von Haber- mas’ Öffentlichkeitskonzept bezweifeln lassen, finden sich etwa in den beschriebenen Talk-Shows von Al-Jazeera: Sie zeichnen sich oftmals eher durch einen Mangel an Ra- tionalität, wenn nicht gar – besonders westlicher Kritik zufolge – durch Emotionalität aus. Ferner existieren informelle Restriktionen arabischer Massenmedien. Zayani (2004) führt in diesem Zusammenhang das strittige, empirisch noch zu prüfende Argument einer Rezipientenerwartung an, nach der im Nahen und Mittleren Osten politische und gesellschaftskritische Argumente und Diskussionen als harmlos gelten, sobald sie die Privatsphäre verlassen und in den (überwiegend staatlich gelenkten) Massenmedien öf- fentlich stattfänden. Bei der Übertragung von Habermas’ Öffentlichkeits- und Medien- konzept müsste also zwischen dem eher westlichen Konsens-Modell und einem Trans- parenz-Modell in der arabischen Welt differenziert werden. Ferner stellen arabische

14 Mit dem medialen und politischen Wandel in der arabischen Welt beschäftigt sich auch das 2001 gestartete, internationale Forschungsprojekt „Cambridge Arab Media Project (CAMP)“ des Centre of Middle Eastern and Islamic Studies (CMEIS) der University of Cambridge in Groß- britannien. Ähnlichen Forschungsfragen zum arabischen Satellitenfernsehen geht der nahost- und kommunikationswissenschaftliche Schwerpunkt des Middle East Centre (MEC) des St. Antony’s College der Oxford University in Großbritannien nach. 15 Mit der Übertragbarkeit des Öffentlichkeitskonzepts auf die arabische Welt beschäftigt sich auch das 2003 gestartete, internationale Forschungsprojekt „Arab Media Seminar Series: To- wards an Arab Public Sphere – the Impact of New Media Technologies on Public Life in the Arab World“ des Communication and Media Research Institute (CAMRI) der University of Westminster in London und des britischen Economic and Social Research Council (ESRC). 255 004_M&K_02+03-05_Hahn 06.07.2005 11:58 Uhr Seite 256

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Satelliten-Nachrichtenfernsehkanäle heute eher im postmodernen Sinne heterogene und weniger autoritative Öffentlichkeiten her, während früher das arabische Staatsfernsehen unter Regierungsmonopol das öffentliche Leben überwiegend als Repräsentationen der Staatsmacht und Autorität darstellte und damit eine singuläre homogene Öffentlichkeit projizierte (Zayani 2004). Besonders auf den beiden oben in Thesen skizzierten Forschungsfeldern zum Ein- fluss arabischer Satelliten-Nachrichtenfernsehsender auf die Qualität der internationa- len Konflikt-, Krisen- und Kriegskommunikation (Thesen 1-2) und zu ihrem politi- schen Wirkungspotenzial im Transformationsprozess in der arabischen Welt (These 3) klaffen noch gravierende Lücken im Stand der Theoriebildung und Empirie, die zu fül- len wichtige Forschungsdesiderata darstellen.

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Indexing im Einsatz

Eine Inhaltsanalyse der Kommentare überregionaler Tageszeitungen in Deutschland zum Afghanistankrieg 2001

Adrian Pohr

Der Beitrag untersucht die Haltung der Medien zum Afghanistankrieg 2001. Grundla- ge dieser Untersuchung bildet die Indexing-These von Bennett. Demnach passen die Massenmedien ihre publizierten Positionen an die Meinungsverteilung im Parlament an. Aufgrund der konsensuellen Haltung der deutschen Parteien wurde eine unkritische Kommentierung des Krieges erwartet. Durch länderspezifische systemstrukturelle Un- terschiede muss die von der US-amerikanischen Forschung geprägte These an die Eigen- heiten des deutschen Systems angepasst werden. Eine Inhaltsanalyse der Kommentare der deutschen überregionalen Abonnementzeitungen zum Afghanistankrieg zeigt ein Übergewicht von kriegsunterstützenden gegenüber kriegskritischen Aussagen, das ins- besondere im rechten Zeitungsspektrum stark ausgeprägt war. Kritik am Afghanistan- einsatz war kaum in der Debatte über die Richtigkeit des Krieges bzw. dessen Legiti- mationen vorzufinden, sondern hauptsächlich im Diskurs über die Strategie und Perfor- manz der Anti-Terror-Koalition.

Keywords: Kommentar, Afghanistankrieg 2001, Indexing, Medienberichterstattung, Kriegsberichterstattung, Parteilichkeit

1. Einleitung In der Kommunikationsforschung spielt die Parteilichkeit der Medien – sei es in Bezug auf bestimmte Positionen oder auf politische Akteure wie die Parteien – eine große Rol- le. Besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf die Kriegsberichterstattung, da einerseits bei der politischen Entscheidung über Krieg und Frieden existenzielle Werte berührt wer- den. Andererseits herrscht eine starke Limitierung unabhängiger Informationen in Kriegs- gebieten und in politischen bzw. militärischen Schaltzentralen durch Zensurmaßnahmen und propagandistische Einflussnahme. Bei der Berichterstattung über Kriege sind die Me- dien – anders als etwa bei der Lokalberichterstattung – aufgrund des schlechten Zugangs zum Ereignisschauplatz und der Unübersichtlichkeit militärischer Interventionen be- sonders stark auf Informationen der Kriegsparteien angewiesen. Die potenzielle Instru- mentalisierung von Informationen und Desinformationen durch die Kriegsparteien macht dabei einen kritischen Umgang der Medien mit ihren Quellen notwendig. Hinsichtlich der kritischen Auseinandersetzung mit ihren Quellen werden den Me- dien im Rahmen der Forschungstradition des Indexing, in die sich dieser Beitrag einfügt, Mängel vorgeworfen. Die Indexing-These bildet in der ansonsten eher auf essayistische Beiträge oder auf die Empirie ausgerichteten Erforschung von Kriegsberichterstattung eine Ausnahme durch eine gelungene konzeptionelle Theorienbildung, die eine Brücke zwischen Politik und Medien schlägt. Als zentralen Punkt stellt dieses Forschungskon- zept die Autonomie der Medien von der Politik in Frage. Diese Autonomie kann man als Voraussetzung konsequenzenreicher Kritik betrachten. Sie manifestiert sich insbe- sondere durch die Kritik- und Kontrollfunktion der Medien und spielt gerade in Kriegs- situationen eine wichtige Rolle, da die Verantwortlichkeit der politischen Akteure, die über Krieg und Frieden entscheiden, gewährleistet bleiben muss.

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Dieser Beitrag knüpft an das in Deutschland noch recht unbekannte Forschungs- konzept der Indexing-Hypothese von Bennett an, die im nächsten Abschnitt vorge- stellt wird. Zusätzlich soll die Erweiterung der Indexing-These durch Mermin erläu- tert werden. Im nächsten Schritt werden empirische Ergebnisse der Indexing-For- schung präsentiert, um im Anschluss daran die hauptsächlich auf die US-Medien an- gewandte These für das deutsche Mediensystem zu modifizieren. Es folgt die Explikation der Fragestellung dieser Studie und die Vorstellung des Designs der hier angewendeten Inhaltsanalyse. Im Ergebnisteil wird schließlich gezeigt, wie die deut- schen überregionalen Abonnementzeitungen den Afghanistankrieg von 2001 kom- mentierten.

2. Forschungsstand zur Indexing-These Theoretische Grundlage dieser Studie ist die Indexing-These, die Bennett 1990 in seinem Aufsatz „Toward a Theory of Press-State Relations in the United States“ im Journal of Communication entwickelte. Die Indexing-These besagt, dass „mass media news pro- fessionals, from the boardroom to the beat, tend to ‚index‘ the range of voices and view- points in both news and editorials according to the range of views expressed in main- stream government debate about a given topic.“ (Bennett 1990: 106) Demnach setzt eine kritische Berichterstattung über einen Konflikt erst dann ein, wenn sich auch kritische Stimmen in der politischen Elite erheben (Bennett 1990: 110). Daraus ergeben sich zwei Fälle medialer Berichterstattung: Falls erstens ein Konsens in der politischen Elite des Landes besteht, unterstützen die Medien die Regierungslinie kritiklos. Sobald zweitens keine Einigkeit in der politischen Elite über ein Thema herrscht, enthält die Berichter- stattung darüber divergierende Meinungen. Dieses kritischer wirkende journalistische Verhalten ist Bennett zufolge nichts anderes als die Reflektion der politischen Debatte (Bennett 1990: 104). Dabei wurde die von der Indexing-These angenommene elitenorientierte Quellen- verwendung der Medien nicht nur in zahlreichen US-Studien nachgewiesen (vgl. u. a. Sigal 1973: 47, Brown et al. 1987: 45–54, Cook 1994), sondern auch in den deutschen Me- dien finden sich dafür empirische Belege (vgl. Schäfer 1984, Schmitt-Beck/Pfetsch 1994: 121–123, Voltmer 1998/9: 131). Demnach dominieren offizielle Quellen die Bericht- erstattung aus Effizienzgründen und aus der vermeintlichen Verlässlichkeit von Behör- deninformationen. In Kriegen wird diese Elitenorientierung zusätzlich durch die Ab- hängigkeit von Regierungsinformationen verstärkt. Die Gleichschaltung der medialen Debattenstruktur mit dem Diskurs der politischen Elite macht auf einen Autonomie- mangel der Medien aufmerksam, aus dem sich für den Konsensfall nach Ansicht zahl- reicher Autoren demokratietheoretische Probleme ergeben: Der Bevölkerung wird durch eine unkritische Reflektion des politischen Konsenses die Möglichkeit zur unabhängi- gen Meinungsbildung erschwert (vgl. u. a. Entman 1989, Gurevitch/Blumler 1990: 282, Page/Shapiro 1992: 283). Dass auch im Falle einer Konsenssituation in der politischen Elite noch einige Kritik am Regierungskurs in den Massenmedien vorzufinden ist, erklärt Mermin mit einer Ver- lagerung der kritischen Debatte: Journalisten stellen demnach bei Unterstützung einer Entscheidung von beiden US-Parteien die Frage in den Vordergrund, ob die Regierung die gesteckten Ziele erreichen wird, anstatt die Richtigkeit der Entscheidung zu thema- tisieren (Mermin 1996: 182). Aus diesen Überlegungen entwickelte Mermin die Erwei- terung der Indexing-These. Demnach konzentrieren sich die Massenmedien bei einem Konsens in der politischen Elite nicht auf eine grundsätzliche Bewertung der Ziele der

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Regierungspolitik, sondern auf die Planung, die Durchführung und die Erfolgsaussich- ten (Mermin 1996: 182, vgl. auch Mermin 1999: 9). Mermin klassifiziert somit implizit zwei Ebenen, auf denen sich die Debatte über den Krieg abspielen kann. Auf der ersten Ebene wird die grundsätzliche Entscheidung über Krieg und Frieden evaluiert (Bsp.: „Der Krieg ist notwendig“, „illegitim“, „keine Lö- sung“ etc.). Hier wird auch die Nennung oder Bewertung von Alternativen zum Krieg einbezogen (Bsp.: „Polizeiaktion sollte anstelle eines Krieges durchgeführt werden.“ Oder: „Diplomatischer Druck ersetzt keine Militäraktionen.“). Diese grundsätzlichen Aspekte behandeln die Frage, ob der Krieg geführt werden soll. Dieser Ebene werden auch Legitimationsdiskurse zugeordnet, in denen die Kriegsbegründungen erörtert wer- den (Bsp.: Bestrafung, Sicherheit, Machtpolitik, Ideologie, wirtschaftliche Interessen, humanitäre Motive etc.). Hier wird die Frage diskutiert, warum der Krieg geführt wird. Diese grundsätzliche legitimatorische Ebene klärt also die Frage nach dem Ob und dem Warum des Krieges. Mermin geht nun davon aus, dass im politischen Konsensfall kriti- sche Diskurse in den Massenmedien weniger auf dieser Ebene stattfinden, sondern viel- mehr auf der zweiten Ebene. Auf dieser Ebene werden strategische und performato- rische Aspekte des Krieges behandelt, wobei unter Strategie die politische Taktik und die militärische Einsatzplanung verstanden wird und Performanz für die militärische Ausführung dieser Strategie steht. Auf dieser zweiten Ebene wird also die Frage aufge- worfen, wie der Krieg geführt wird. Dies geschieht entweder in Debatten über militäri- sche Einzelmaßnahmen (Bodentruppen, einzelne Operationen, Waffenverwendung etc.) oder in Diskursen über die Ausführung bzw. die Auswirkungen der gesamten Kriegsstrategie auf politischer oder militärischer Ebene (Gefährdung der Zivilbevölke- rung, Effizienz und Rationalität der Einsätze, Bündnisdiplomatie, Rhetorik, Zensur etc.). Die Indexing-These entstand im Kontext der Kriegs- und Konfliktberichterstattung. Alle empirischen Studien konzentrierten sich auf diese Thematik. Als Gründe dafür kann man die hohe mediale Aufmerksamkeit und die existenzielle Bedeutsamkeit von Kriegseinsätzen nennen. Theoretisch ist die Anwendung der These auch auf andere The- menkomplexe vorstellbar. Hallin konnte die Gültigkeit der Indexing-These im Rahmen der US-Fernsehbe- richterstattung über den Vietnamkrieg nachweisen: Trotz einer großen Friedensbewe- gung im Lande berichteten die Medien erst dann kritisch über den Krieg, als sich führen- de Politiker gegen den Krieg aussprachen (Hallin 1994: 40–57). Neben der Erbringung des Nachweises einer starken Elitenorientierung bei der Quellenauswahl der Journalis- ten wurde in zahlreichen Studien zum Golfkrieg die einhellige Unterstützungshaltung der US-Massenmedien auf die parlamentarische Konsenssituation zurückgeführt (vgl. insbes. Cook 1994, Entman/Page 1994). In seiner Pilotstudie zur konsensuellen US-Ni- caragua-Politik konnte Bennett eine starke Indexierung der Berichterstattung der New York Times an Regierungsbeauftragten feststellen, wodurch nur wenige kritische Mei- nungen publiziert wurden (Bennett 1990: 116–118). In seinem Buch „Debating War and Peace“ belegte Mermin die Gültigkeit der Indexing-These für die Berichterstattung über acht amerikanische Militärinterventionen seit Vietnam. Mit der Ausnahme eines Falles fiel die Berichterstattung von Hauptnachrichtensendungen auf ABC, PBS und der New York Times bei Interventionen, die sich durch einen Dissens in der politischen Elite aus- zeichneten, deutlich kritischer aus als bei politisch übereinstimmend getragenen Mi- litäreingriffen (Mermin 1999). Die Gültigkeit der Erweiterung der Indexing-These konnte Mermin in einer frühe- ren Studie für die Berichterstattung über den zweiten Golfkrieg und die Panamainter-

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vention von 1989 nachweisen: Die mediale Kritik konzentrierte sich in diesen beiden parlamentarischen Konsenssituationen nicht auf die grundsätzliche Richtigkeit der Mi- litäraktionen oder deren Legitimationen, sondern auf die Frage, ob der Präsident die von ihm gesetzten Ziele erreichen würde (Mermin 1996). Diese Ergebnisse stammen allesamt aus der US-amerikanischen Forschung. Um die Indexing-These auch für deutsche Medien zu überprüfen, müssen die länderspezifischen systemstrukturellen Unterschiede beachtet werden. In der Studie zum Framing in der Kommentierung des Kosovokrieges von Eilders und Lüter zeigte sich, dass die Inde- xing-These und ihre Erweiterung auch in Deutschland Anwendung finden können (Eil- ders/Lüter 2002).

3. Übertragung der Indexing-These in deutsche Verhältnisse und methodische Probleme Für die Übertragung der Indexing-These von US-amerikanischen in deutsche Verhält- nisse sind einige Modifikationen notwendig. So geht man in der Kommunikationsfor- schung weitgehend übereinstimmend davon aus, dass deutsche Journalisten ein grundsätzlich kritischeres Selbstverständnis ihres Berufes aufweisen als ihre amerikani- schen Kollegen, die sich eher als Vermittler verstehen (vgl. u. a. Erbring 1989: 311, Dons- bach 1994: 289–295, vgl. auch den Beitrag von Donsbach/Jandura/Müller in diesem Heft). Damit kann mehr Kritik in den deutschen Medien erwartet werden, auch wenn sich in der politischen Elite ein Konsens bildet. Das amerikanische Mediensystem zeichnet sich darüber hinaus im Vergleich zum deutschen durch eine stärker marktwirtschaftliche Orientierung der Nachrichtenge- bung aus (Patterson 2000), die in Verbindung mit einer stark wachsenden Pressekon- zentration (Gurevitch/Blumler 1990: 275) zu einer Einschränkung der Vielfalt der pub- lizierten Meinungen führt (Lichtenberg 1990: 103, 129). Daraus kann gefolgert werden, dass deutsche Journalisten, deren Medienmarkt nicht die extremen Entwicklungen des US-Marktes aufweist, die Möglichkeit zu einer etwas unabhängigeren Berichterstattung haben. Das deutsche Mediensystem bietet des Weiteren eine breitere Vielfalt von politischen Orientierungen als in den USA. Die überregionalen Abonnementzeitungen in Deutsch- land – die taz, die Frankfurter Rundschau (FR), die Süddeutsche Zeitung (SZ), die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und die Welt – bilden von links nach rechts ein breit gefächertes politisches Spektrum von Meinungen ab, das in zahlreichen empiri- schen Studien nachgewiesen wurde (vgl. u. a. Hagen 1992, Voltmer 1998/9, Eilders 2001). Sämtliche US-amerikanische Massenmedien lassen sich dagegen auf dieser Links- Rechts-Achse im zentralen Bereich verorten (Donsbach et al. 1996: 347–349). In den USA scheint damit im Vergleich zu Deutschland weniger Vielfalt von medial vertrete- nen Meinungen zu herrschen. Dadurch werden in der breit gefächerten deutschen Pres- selandschaft kritische Stimmen zum Regierungskurs eher erwartet als im relativ einheit- lichen US-System. Hinsichtlich des Afghanistankrieges ist diese Kritik eher im linken Zeitungsspektrum Deutschlands zu vermuten. Diese Erwartung resultiert aus der kriegskritischeren Tradition des linken Milieus und den Ergebnissen von Eilders/Lüter (2002), die hauptsächlich im linken Zeitungsspektrum kritische Deutungsrahmen zum Kosovokrieg vorfanden. Das in der Indexing-These angelegte Konzept der Elitenorientierung setzt zur Kate- gorisierung der politischen Konfliktsituation eine Defintion der politischen Elite vo- raus. In der US-Literatur mangelt es hinsichtlich dieser Frage an Präzision, eine Tren-

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nung zwischen Exekutive und Legislative wurde kaum vorgenommen. Einige Studien beziehen ausschließlich die Exekutive ein, während andere das komplette Parlament als politische Elite fassen. In diesem Beitrag wird unter der Haltung der politischen Elite die Position jeder im Parlament vertretenen Partei auf Bundesebene sowie deren Spit- zenvertreter verstanden. Ebenso wenig wurde von den US-Forschern eine Definition von Konsenssituationen vorgegeben. Die Unterscheidung zwischen Konsens und Dis- sens lag meistens im Ermessen des Forschers. Auch wenn einzelne Abgeordnete gegen eine Intervention votierten, wurde die politische Konstellation in vielen Fällen als Kon- sens gewertet. Einen Dissens dagegen sahen die Forscher meistens dann vorliegen, wenn sich durch die Mitte des Parlamentes die Konfliktlinie zog bzw. sich die Anzahl der po- litischen Kriegsgegner mehrte. In Deutschland zeichneten sich auf der politischen Ebene die meisten großen Partei- en durch eine befürwortende Haltung zum Afghanistankrieg aus: die kriegsunterstüt- zende Regierungspolitik von Rot-Grün wurde durch die Union und FDP einmütig mit- getragen1. Die PDS, die fünf Prozent der Sitze im Bundestag innehielt, lehnte als einzi- ge im Parlament vertretene Partei den Krieg offen ab. Aufgrund des stark ausdifferen- zierten Parteiensystems in Deutschland sind totale Konsenssituationen selten. Man kann die deutsche Debatte über eine Beteiligung am Afghanistankrieg daher als einen weit gehenden politischen Konsensfall bezeichnen. Große Teile der Bevölkerung wur- den dadurch nicht von der Politik direkt repräsentiert: Kriegsgegner machten Umfragen zufolge über ein Drittel der Bevölkerung aus. Da hier keine einheitliche Konsenssituation vorliegt, sondern der Bundestag nur weitgehend Übereinstimmung zeigte und – folgt man der Indexing-These – die Kritik der Medien sich am Grad des Konsenses im Parlament orientiert, ist angesichts des im Afghanistankrieg vorliegenden weit gehenden Konsens in der politischen Elite eine me- dienübergreifende Zustimmung mit nur geringem Kritikumfang, aber kein vollständiges Ausbleiben von Kritik zu erwarten. Bei der Übertragung der Indexing-These auf Deutschland werden zusätzlich im Vergleich zum US-System Abstriche bei der Ein- deutigkeit des medialen Konsenses in den Ergebnissen erwartet: Die länderspezifischen Unterschiede der Mediensysteme (das journalistische Selbstverständnis, die ökonomi- sche Abhängigkeit der Redaktionen und die Breite des medialen Meinungsspektrums) deuten auf die Wahrscheinlichkeit einer kritischeren Kommentierung des Afghanistan- konfliktes in den deutschen (und gerade den politisch links-orientierten) Medien hin als sie in den US-amerikanischen zu erwarten wäre. Zudem erlaubt die weniger aktive Rolle Deutschlands in der Kriegsführung und die geringe Menge an entsendeten Soldaten2 eine kritischere, weil distanziertere Auseinan- dersetzung mit dem Militäreinsatz als in den USA, wo traditionell zudem in Kriegszei- ten ein starker Patriotismus herrscht.3 Diesem Punkt kommt bei der Untersuchung des Afghanistankrieges aus deutscher Perspektive besondere Bedeutung zu. Schließlich war Deutschland lediglich eine sich am Krieg beteiligende Nation und nicht aktiv in die stra- tegische Planung involviert. Dennoch entsandten die Deutschen zahlreiche Soldaten ins Kriegsgebiet, deren Einsatz schon nach dem 11. September durch die Bekundungen ei- ner „uneingeschränkten Solidarität“ der Bundesregierung mit den USA abzusehen war. Den deutschen Medien kommt daher in diesem Fall die wichtige Aufgabe zu, sowohl

1 Bei den Grünen und vereinzelt in der SPD hatte es jedoch einigen parteiinternen Widerstand gegen den Einsatz gegeben. 2 Vgl. Kapitel 4. 3 Vgl. hierzu auch den Beitrag von E. Bytzek in diesem Heft.

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die US-geführten Militärschläge als auch den deutschen Bundeswehreinsatz schon von der Planungsphase an kritisch zu beleuchten. Im empirischen Teil werden beide Teilbe- reiche hinsichtlich ihrer medialen Bewertung verglichen. Diese oben genannten Anpassungen an deutsche Verhältnisse bedeuten dabei kei- neswegs eine Abkehr von der Indexing-These. Schließlich bieten diese einschränkenden Bedingungen für das Vorkommen von Kritik einen besonders starken Test für die The- se. Ein vollständiges Fehlen von Kritik erscheint aus den oben aufgeführten Gründen äußerst unwahrscheinlich. Vielmehr wird ein deutliches Übergewicht von Unterstüt- zung des Militäreinsatzes gegenüber kriegskritischen Positionen erwartet. Auf einen statistischen Grenzwert, ab dem die These falsifiziert wird, soll dabei aus Gründen der Willkürlichkeit bei der Festlegung dieses Wertes verzichtet werden. Schon in den amerikanischen Vorläuferstudien wurde kein genaues Richtmaß für die Gültig- keit der These entwickelt. Stattdessen sollen auch hier die Ergebnisse „weich“ interpre- tiert werden. Der Schwachpunkt der Indexing-Forschung, die fehlende Präzision hin- sichtlich exakter Richtlinien zur Falsifizierung der These, kann auch an dieser Stelle nicht aufgelöst werden.4 Die Bevölkerungshaltung als Richtmaß für die Meinungs- konstellation in den Medien zu verwenden, soll vermieden werden. Die Konfliktlinien in der Bevölkerung werden zwar bei der Interpretation der Haltung der Medien zum Krieg eingebracht, von einer direkten Abbildung der Meinungsverhältnisse der Bevöl- kerung in den Medien kann jedoch nicht ausgegangen werden, da die Bevölkerungs- meinung keine von der Berichterstattung unabhängige Größe ist. Viele Studien konn- ten nämlich eine Beeinflussung der Bevölkerungsmeinung durch die Massenmedien bzw. durch die politische Klasse nachweisen (vgl. u.a. Page/Shapiro 1992, Oldhaver 2000: 53). Wie sich gezeigt hat, sind die Indexing-Studien aufgrund der unterschiedlichen Ope- rationalisierung von „politischen Eliten“ und „politischem Konsens“ sowie der unter- schiedlichen Untersuchungsdesigns nur schwer miteinander vergleichbar. In den ein- schlägigen Studien fehlt darüber hinaus ein exaktes Kriterium, ab welchem Ausmaß von Kritik die These falsifiziert werden kann. Jede Studie kommt jedoch für sich zu dem Schluss, dass unter Konsensbedingungen im jeweils betrachteten Segment des politi- schen Entscheidungssystems Kritik weitgehend unterbleibt. Dies soll auch für den Af- ghanistankrieg geprüft werden. Aufgrund verschiedener Einschränkungen (länderspe- zifische Unterschiede in den Medienstrukturen, kein einheitlicher Konsens im Bundes- tag, keine Führungsrolle der Bundeswehr) wird kein Ausbleiben von Kritik erwartet, sondern lediglich ein deutliches Übergewicht von Unterstützung.

4. Fragestellung und Untersuchungskonzeption Die Positionierung der politischen Elite Deutschlands zum Afghanistankrieg stellte sich wie oben aufgezeigt als weit gehender Konsensfall dar. Gemäß der Indexing-These ori- entieren sich die Medien mit ihrer Kritik am Grad des Konsenses im Parlament. Daher wird erstens ein eher unkritischer Diskurs über den Militäreinsatz in den deutschen Me-

4 Die Identifikation eines allgemeingültigen Ansatzes zum Indexing wird in der bisherigen empi- rischen Bearbeitung durch die mangelnde Vergleichbarkeit der Studien noch erschwert. Die Untersuchungen zum Indexing (vgl. Kap. 2) basieren auf unterschiedlichen Untersuchungsde- signs mit verschiedenen abhängigen Variablen. Während Hallin (1994) beispielsweise nur die Quelle und deren politische Grundhaltung erfasste, erhob Mermin (1999) ausschließlich die im Nachrichteninhalt enthaltenen Positionen.

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dien erwartet. Zweitens wird die Erweiterung der Indexing-These einer Prüfung unter- zogen. Demnach sollte sich das eindeutige Übergewicht von Kriegsunterstützung höchstens bei der Debatte strategischer oder performatorischer Aspekte auflösen, nicht aber bei grundsätzlichen oder legitimatorischen Fragen. Hierbei wird zusätzlich be- trachtet, inwiefern sich der Argumentationsdiskurs im Zeitverlauf veränderte. Die In- dexing-These und ihre Erweiterung sollen zunächst für die untersuchten Medien in ih- rer Gesamtheit gezeigt werden. Anschließend werden die zeitungsspezifischen Unter- schiede bezüglich dieser beiden Punkte ausgearbeitet. Dabei werden auch mögliche Dif- ferenzen in der Bewertung des US-geführten Krieges und des Bundeswehreinsatzes betrachtet. Der Untersuchungszeitraum verlief vom 12. September bis zum 9. Dezember 2001, wobei man ihn in vier dreiwöchige Phasen einteilen kann. Phase 1 war die Vorberei- tungszeit des Krieges nach den Anschlägen vom 11. September. Am 8. Oktober wurde mit dem Beginn der Luftangriffe auf Afghanistan die zweite Phase eingeläutet. In Phase 3 zeichneten sich die ersten Erfolge für die USA und ihre Allianz gegen die Taliban und Al-Qaida-Terroristen ab. Am 14. November, also am Ende der dritten Phase, nahm die mit den Amerikanern verbündete Nordallianz die Hauptstadt Kabul ein. Zudem be- schloss am 16. November der Bundestag den Einsatz von 3900 deutschen Bundes- wehrsoldaten, die hauptsächlich aus Spezialtruppen und Einheiten für die logistische Unterstützung bestanden. In der vierten Phase kam es nur noch zu vereinzelten Ge- fechten in Afghanistan, wie z. B. dem Sieg der Allianz in Kandahar am 9. Dezember, der das Ende der Taliban-Herrschaft manifestierte. Zur Untersuchung der Positionierung der Medien zum Krieg boten sich Meinungs- artikel als Untersuchungsgegenstände an, da diese im deutschen Pressesystem als Aus- hängeschilder der politischen Richtung des Blattes zu verstehen sind und damit von al- len Genres am deutlichsten die redaktionelle Linie des Blattes repräsentieren (Neidhardt et al. 1998: 7). Zudem ist die Pflicht zur neutralen Berichterstattung in den Kommenta- ren nicht gegeben (Eilders 2001: 8), daher wird man hier die eindeutigste Positionierung feststellen können, wodurch sie sich hervorragend zur Untersuchung der Indexing-The- se eignen.5 Den Untersuchungsgegenstand bilden daher die klassischen Meinungsartikel der fünf Qualitätszeitungen taz, FR, SZ, FAZ und Welt, wodurch das Links-Rechts- Spektrum der deutschen Medienlandschaft abgedeckt werden sollte. Des Weiteren stel- len diese fünf Zeitungen Leitmedien im deutschen Pressesystem dar, nach denen sich an- dere Medien in ihrer Berichterstattung richten (vgl. Pfetsch 2001: 134–135). Die Datenbasis umfasst insgesamt 519 Kommentare. Die SZ kommentierte mit 120 Meinungsartikeln den Afghanistankrieg am häufigsten. In der FAZ wurden 111 Kom- mentare zum Militäreinsatz gefunden, in der Welt 109. Die FR thematisierte den Krieg in 93 Meinungsartikeln, die taz in lediglich 86. Als Untersuchungseinheit wurden semantisch eigenständige Aussagen gewählt, die kategoriengeleitet gebildet wurden. Das Ende einer Untersuchungseinheit wurde durch

5 Obwohl die Indexing-These auf die Elitenorientierung in der Quellenauswahl der Massenme- dien angelegt ist, hat schon Bennett die Bedeutung der Meinungsartikel für die Indexing-For- schung in seiner Pilotstudie hervorgehoben (Bennett 1990: 113). Aufgrund der Vermittlungs- funktion der Medien kann es zu einer konsensuellen Berichterstattung kommen, wenn die of- fiziellen Quellen sich nicht kritisch äußern. Ein Gegenbild können die Medien dann vor allem in den Kommentaren zeichnen. Anstelle die Quellenverwendung im Nachrichtenteil ins Zen- trum der Untersuchung zu stellen, erscheint es sinnvoller, die Medienleistung im ungebunde- neren Kommentarteil zu überprüfen.

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einen Akteurswechsel oder eine thematische Veränderung determiniert. Auf Aussa- genebene wurden dadurch in den 519 Kommentaren 1759 Codiereinheiten ermittelt. In der ersten Phase fanden sich in allen Zeitungen relativ viele Aussagen zum Afghanis- tankrieg, in der zweiten noch deutlich mehr. In der dritten Phase sank die Kommentie- rung in allen Zeitungen mit Ausnahme der Welt ab. Die Endphase des Krieges wurde schließlich von allen Blättern nur noch spärlich kommentiert. Die SZ enthielt dabei ins- gesamt die mit Abstand meisten Aussagen zum Krieg, gefolgt von der taz und der FAZ (vgl. Tab. 1).

Tabelle 1: Verteilung der Aussagen in den Zeitungen im Zeitverlauf

taz FR SZ FAZ Welt Gesamt Phase 1 99 93 129 91 56 468 2 167 107 139 114 93 620 369 48 129 105 104 455 427 39 61 5237216 Gesamt 362 287 458 362 290 1759

Zu jeder Aussage wurde die nationale Bezugsgröße erhoben, um die deutsche Kriegs- beteiligungsdebatte von Aussagen zu trennen, die den US-geführten Einsatz oder die Rolle anderer Nationen im Krieg thematisieren. Des Weiteren wurde ermittelt, ob die Aussageneinheit den Krieg als Gesamterscheinung oder als Einzelmaßnahme (Spezialtruppen, Luftwaffe, Waffenverwendung, Humanitäres etc.) thematisiert. Der konkrete Aussageninhalt wurde über eine gesonderte Kategorie mit insgesamt 37 Aus- prägungen erfasst. Diese Aussageninhalte lassen sich vollständig den Ebenen des Ob, Warum und Wie des Krieges zuordnen. So wurden beispielsweise 23 verschiedene Legitimationen gemessen, wie etwa aus machtpolitischen Gründen, aus Bestrafungs- motiven oder zur Verbesserung der Sicherheit. Eher strategische Aspekte des Krieges wurden in Aussageninhalten wie der Effizienz oder Rationalität der militärischen Um- setzung, der Gefährdung der Zivilbevölkerung durch den Krieg, möglicher global-poli- tischer Konsequenzen oder bündnispolitischer Überlegungen behandelt. Zu jeder Aussage wurde die Haltung zum Krieg (kritisch, neutral oder unterstüt- zend) erfasst. Von den 1759 erfassten Untersuchungseinheiten enthielten 1011 Aussagen eine Haltung zum Afghanistankrieg, während 748 Aussagen neutral ausfielen. Für die Überprüfung der Indexing-These und ihrer Erweiterung spielen die Aussagen mit neu- traler Ausprägung nur eine untergeordnete Rolle, da sie keine Wertung gegenüber dem Krieg enthalten, sondern eher analytischen bzw. deskriptiven Charakters sind. Sie dien- ten lediglich der expliziteren Analyse des inhaltlichen Diskurses über den Krieg, der für diesen Beitrag irrelevant ist. Somit bilden die 1011 bewertenden Aussagen die Grund- gesamtheit für die Auswertung der Ergebnisse6. Mit einem an Weiß’ Argumentationsanalyse angelehnten Instrumentarium (vgl. dazu grundlegend Weiß 1989) wurde der Akteur erhoben, auf den die jeweilige Kriegshaltung in der Aussage zurückzuführen ist. Eingeschlossen in eine Aussage sind auch zusätzli-

6 Es haben sich nur geringfügige zeitungsspezifische Unterschiede im Vorkommen neutraler Aussagen im Vergleich zur Häufigkeit bewertender Aussagen ergeben. Der Anteil von bewer- tenden Aussagen an allen Aussagen rangierte bei den fünf Zeitungen zwischen ca. 50 und ca. 60 Prozent.

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che Bewertungen einer Haltung zum Krieg, die die Gesamthaltung der Grundaussage umdrehen, einschränken oder verstärken können. Es hat sich ein deutliches Überge- wicht von journalistischen Argumentationen gegenüber jenen Aussagen ergeben, in de- nen der Journalist kommentarlos einen anderen Akteur referiert. Dass nur 183 der 1011 Kriegshaltungen auf einen nicht-journalistischen Aussagenträger zurückzuführen sind, lässt sich mit dem Umstand erklären, dass der Journalist in Meinungsartikeln häufig dem Referat eines Sprechers einen eigenen Kommentar hinzufügt, wodurch die Haltung in der Aussage auf ihn zurückfällt. Beispielsweise wurde eine journalistische Delegitimati- on der zitierten Grundaussage Schröders, es gäbe keine Alternative zum Krieg, als Kriegskritik durch den Kommentator codiert. Referierte Haltungen zum Krieg fielen in allen Zeitungen mit Ausnahme der taz kritischer aus als die journalistischen Eigenargu- mentationen7. Aufgrund der geringen Fallzahlen der referierten Aussagen verschiebt sich die Gesamtposition jeder Zeitung nur geringfügig, wenn keine Unterscheidung zwischen Eigenargumentation des Journalisten und referierten Positionen getroffen wird. Deswegen werden die Ergebnisse dieser Studie unabhängig vom Aussagenträger vorgestellt.

5. Ergebnisse Insgesamt waren fast zwei Drittel aller 1011 bewertenden Aussagen kriegsunterstüt- zend, während nur ein Drittel eine kritische Tendenz aufwies (vgl. Tab. 2). Es deutet sich somit auch hier an, dass unkritische Stimmen die Kommentierung des Krieges klar dominieren. Das Übergewicht von Unterstützung des Krieges gegenüber Kritik am Mi- litäreinsatz in den Kommentaren deutscher überregionaler Zeitungen entspricht damit den Annahmen der Indexing-These. Um die Erweiterung der Indexing-These zu überprüfen, wurden die grundsätzliche- legitimatorische Ebene und die strategische-performatorische Ebene unterschieden. Auf der ersten Ebene wurde einerseits über die prinzipielle Richtigkeit des Krieges und über Alternativen zum Militäreinsatz debattiert, also über die Frage nach dem Ob des Krie- ges. Darunter fällt beispielsweise die Feststellung Bushs, der Krieg sei notwendig, oder die referierte Empfehlung Gysis, anstelle eines Militäreinsatzes polizeiliche und diplo- matische Maßnahmen zur Ergreifung der Attentäter einzusetzen. Andererseits werden Legitimationen für den Einsatz evaluiert. Dieses Warum des Krieges wird beispielswei- se erörtert, wenn der Kommentator den Militäreinsatz aufgrund der Befreiung des af- ghanischen Volkes, des Krieges als Bestrafung der Terroristen oder als Terrorprävention befürwortet. Die zweite Ebene besteht aus strategischen oder performatorischen Aspek- ten, die die Frage nach dem Wie des Krieges aufwerfen. Eine Auseinandersetzung mit Roths Forderung nach einem Bombenstopp wäre wie auch eine Debatte über die Ver- wendung von Streubomben hier einzuordnen. Insgesamt waren auf der Ebene des Warum 366 Aussagen vorzufinden. Der Krieg wurde dabei überwiegend mit Bestrafungs- und Sicherheitsmotiven legitimiert. 215 Aussagen sind auf der Ebene des Ob anzusiedeln, wobei die Mehrheit davon die prinzi- pielle Richtigkeit des Krieges evaluierte und eine Minderheit Alternativen zum Krieg be- wertete. In 430 Aussagen wurde über strategische-performatorische Aspekte des Krie-

7 Das Bild einer den Militäreinsatz am Hindukusch weitgehend mittragenden Zeitungslandschaft (vgl. Kap. 5) wird bei einer ausschließlichen Betrachtung der Eigenargumentationen der kom- mentierenden Journalisten somit verstärkt. Anderen Akteuren dagegen schrieben alle Zeitun- gen außer der taz eher kriegskritischere Aussagen zu.

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ges diskutiert, wobei es deutlich mehr Abwägungen zu der Strategie gab als zu dem Ab- schneiden des Militärs. Insgesamt waren damit bewertende Aussagen zum Krieg eher auf der Ebene des Warum und Ob zu finden als auf der Ebene des Wie. Gemäß der Er- weiterung der Indexing-These war die grundsätzliche-legitmatorische Debatte deutlich unkritischer als die strategische-performatorische. Drei Viertel der Aussagen, die eine grundsätzliche Haltung zum Krieg (ob) enthielten oder in denen dessen Legitimationen (warum) evaluiert wurden, fielen kriegsunterstützend aus. Dagegen war fast die Hälfte der strategischen-performatorischen Aussagen (wie) kriegskritischer Ausprägung (vgl. Tab. 2).

Tabelle 2: Anteile von Kritik und Unterstützung im ebenenspezifischen Vergleich (in %)

warum und ob wie Gesamt N=581 N=430 N=1011 Kritik 25 47 35 Unterstützung 75 53 65 Gesamt 100 100 100

Als nächstes soll der mögliche Einwand entkräftet werden, dass sich Unterschiede in der Thematisierung und Bewertung des Krieges auf den beiden Ebenen auf argumentati- onstechnische Differenzen im Zeitverlauf zurückführen lassen: Eine stark kriegsbefür- wortende Haltung auf grundsätzlicher und legitimatorischer Basis sei dieser Argumen- tation nach eher dem für die Vorbereitungszeit des Krieges bzw. der Phase des Kriegs- beginns typischen Diskurs geschuldet, in denen über die Notwendigkeit und Richtig- keit einer Militärintervention diskutiert wird. Dagegen sollte die ausgeglichene strategische-performatorische Debatte hauptsächlich zum Kriegsende an Bedeutung ge- winnen, wenn sich die Journalisten aufgrund des abgeschlossenen grundsätzlichen-legi- timatorischen Diskurses und der Ereignisse auf dem Schlachtfeld stärker auf die strate- gisch-performatorischen Aspekte des Krieges konzentrieren. Die Ergebnisse einer phasenspezifischen Auswertung der Daten unterstützen dabei allenfalls geringfügig diesen Einwand. Wie in Tabelle 3 zu sehen ist, wurden strate- gische-performatorische Aspekte des Krieges schon in der Vorkriegsphase recht häufig thematisiert. Zudem blieben die Legitimationen und grundsätzlichen Haltungen auch in den späten Phasen des Krieges relevante Argumentationsmuster in den Meinungsarti- keln. Dabei wurde auf der Ebene des Warum und Ob im Zeitverlauf zwar zunehmend kriegskritischer argumentiert, was allerdings mit ungefähr gleichmäßigem Abstand ebenso für die Ebene des Wie mit Ausnahme der vierten Phase gilt (vgl. Tab. 4). Die Er-

Tabelle 3: Verteilung der Aussagen auf den Ebenen im Zeitverlauf (in %)

Phasen 1 2 3 4 N=277 N=363 N=266 N=105 warum und ob 61 58 56 51 wie 39 42 44 49 Gesamt 100 100 100 100

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weiterung der Indexing-These greift also in allen Phasen mit Ausnahme der letzten, in der sich der Kritikanteil auf der grundsätzlichen-legitimatorischen Ebene dem Kritik- anteil auf der strategisch-performatorischen Ebene stark annähert. Dies kann durchaus auch ein Effekt der geringen Fallzahlen dieser Phase sein. Insgesamt gibt es im Zeitver- lauf zwar eine leichte Verschiebung des Diskurses von der Ebene des Ob und Warum auf die Ebene des Wie; das Ausmaß an Kritik wächst allerdings auf beiden Ebenen rela- tiv gleichmäßig an. Damit ist die spezifische Phase des Kriegsverlaufs für die Ausprä- gung der Ergebnisse nicht ausschlaggebend verantwortlich, wodurch diese im Sinne der Erweiterung der Indexing-These interpretiert werden können.

Tabelle 4: Verteilung von Kritik und Unterstützung auf den Ebenen im Zeitverlauf (in %)

Ebenen Phasen 1 2 3 4 warum und ob N=169 N=209 N=149 N=54 Kritik 21 22 32 33 Unterstützung 79 78 69 67 Gesamt 100 100 100 100 wie N=108 N154 N=117 N=51 Kritik 41 51 53 37 Unterstützung 59 49 47 63 Gesamt 100 100 100 100

Während somit die Kommentierung der überregionalen Abonnementzeitungen als Ge- samtes sowohl mit Hilfe der Indexing-These als auch mit ihrer Erweiterung interpretiert werden kann, bleibt im Folgenden zu prüfen, wie die einzelnen Blätter den Krieg eva- luierten. Dabei soll zunächst das Verhältnis von Kritik zu Unterstützung in jeder Zei- tung (Indexing-These) und anschließend die mögliche Verschiebung der Kritik von ei- ner grundsätzlichen-legitimatorischen auf eine strategisch-performatorische Ebene (Er- weiterung der Indexing-These) betrachtet werden. Die Annahme über eine Aufteilung der überregionalen Zeitungslandschaft in ein po- litisches Links-Rechts-Spektrum konnte auch in dieser Studie bestätigt werden. Das hier angenommene verstärkte Auftreten von Kriegskritik in den tendenziell linken Zeitun- gen hat sich ebenfalls systematisch bestätigt: Je weiter links die Zeitung auf der klassi- schen Links-Rechts-Achse zu verorten ist, desto kritischer ihre Haltung zum Afghanis- tankrieg. Die taz argumentierte als einzige Zeitung überwiegend kritisch, wohingegen in der FAZ und der Welt Kriegskritik marginal blieb (vgl. Tab. 5). 8 Nimmt man die ANOVA als statistisches Instrument zum Aufzeigen der Konflikt-

8 Das Bild einer graduell wachsenden Unterstützungshaltung auf der Links-Rechts-Achse wird verschoben, wenn man die absoluten Zahlen betrachtet: Hier enthält die SZ mehr Kritik als die FR, aber auch insgesamt die meiste Unterstützung. Dies ist auf die unterschiedlich großen Fall- zahlen zurückzuführen. Hier soll jedoch davon ausgegangen werden, dass der Zeitungsleser nicht nur Aussagen einer entsprechenden Kriegshaltung rezipiert, sondern alle bewertenden Aussagen gegeneinander abwägt. Stellt man also in jeder Zeitung kritische und unterstützende Positionen gegenüber, ergibt sich die erwartete Links-Rechts-Skalierung von der taz bis hin zur Welt mit der SZ als Zentrum.

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Tabelle 5: Verteilung von Kritik und Unterstützung in den einzelnen Zeitungen (in %)

taz FR SZ FAZ Welt Gesamt N=222 N=165 N=289 N=175 N=160 N=1011 Kritik 52 39 35 23 19 35 Unterstützung 48 61 65 77 81 65 Gesamt 100 100 100 100 100 100

linien im deutschen Zeitungsspektrum, können signifikante Unterschiede in den Hal- tungen zum Krieg zwischen den Blättern ausgemacht werden. Anstelle einer klaren Konfliktlinie zwischen den beiden Seiten des Zeitungsspektrums haben sich eher gra- duelle Abstufungen hinsichtlich des Ausmaßes der in den Kommentaren geäußerten Kriegskritik gezeigt. So weisen alle Zeitungen nur zu ihren jeweiligen „Nachbarn“ auf der Links-Rechts-Achse eine Ähnlichkeit in der Kriegshaltung auf, wohingegen sich die Haltung in den weiter auf dem Spektrum entfernt liegenden Blättern signifikant von der der jeweiligen Zeitung unterscheidet. So unterscheidet sich beispielsweise die taz von der SZ, der FAZ und der Welt signifikant; die FAZ hingegen von der taz und der FR. Bislang wurden alle Aussagen, die sich mit dem Afghanistankrieg befassten, einheit- lich betrachtet, unabhängig von den nationalen Bezugsgrößen, aus deren Perspektive das Kriegsgeschehen geschildert wird. Hier soll jedoch geprüft werden, ob deutsche Jour- nalisten dazu tendierten, den Krieg der USA zu billigen, einer Entsendung von Bundes- wehrsoldaten jedoch ablehnend gegenüberzustehen – sei es wegen mangelnder Invol- vierung in die Geschehnisse des 11. September, realpolitischer Überlegungen, aus histo- risch-pazifistischen Motiven oder wegen einer pragmatisch begründeten fehlenden Machbarkeit eines Einsatzes aufgrund mangelnder Kapazitäten oder Fähigkeiten der Bundeswehr. Vergleicht man die Aussagen, die sich auf die Kriegsführung der USA be- ziehen, mit jenen, die eine Bundeswehrbeteiligung thematisieren, sind insgesamt kaum Differenzen hinsichtlich der Haltung zum Krieg auszumachen (vgl. Tab. 6)9. Lediglich in der SZ haben sich signifikante Unterschiede in der Bewertung von US-geführtem Ein- satz und deutscher Beteiligung gezeigt. In dieser Zeitung wurde der Bundeswehreinsatz am kritischsten evaluiert, wobei der Militäreinsatz der USA wesentlich positiver be- sprochen wurde. In den anderen Zeitungen zeichnete sich keine signifikant unter- schiedliche Bewertung der beiden nationalen Rollen ab: Die Haltung jeder Zeitung zum US-geführten Krieg entsprach in etwa ihrer Position zur Entsendung von Bundes- wehrsoldaten. Deutsche Journalisten waren somit nicht eher geneigt, eine deutsche Be- teiligung kritischer zu bewerten als den US-geführten Krieg. Die Indexing-These kann damit auch für die deutschen Medien als probates Er- klärungsmuster herangezogen werden, allerdings nur unter der Einschränkung einer auf der linken Seite des politischen Links-Rechts-Spektrums kritischer positionierten Zei- tungslandschaft. Es ergaben sich jedoch keine klaren Konfliktlinien, sondern der über- regionale Zeitungsmarkt unterschied sich hinsichtlich der Tendenz zum Krieg durch graduelle Abstufungen. Als letztes bleibt die Prüfung der Hypothese zur Erweiterung des Indexing, d. h. wie in den Zeitungen auf der Ebene des Warum und Ob im Vergleich zur Ebene des Wie ar-

9 Auch andere nationale Bezugsgrößen (z. B. Großbritannien, Pakistan, die NATO etc.) wurden erhoben, können aber aufgrund der geringen Fallzahlen vernachlässigt werden.

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Tabelle 6: Zeitungsspezifische Unterschiede in der Bewerung der deutschen Kriegsbe- teiligung und dem US-geführten Krieg

taz FR SZ FAZ Welt Gesamt deutsche Beteiligung N (31) (30) (34) (30) (37) (162) Mittelwert 0,2 0,3 -0,2* 0,7 0,6 0,3 US-geführter Krieg N (187) (127) (236) (128) (120) (798) Mittelwert –0,1 0,2 0,4* 0,6 0,6 0,3 Beim Mittelwert ist Kriegskritik mit –1 gewichtet, Kreigsunterstützung mit 1, d. h. 0 bedeutet Ausgeglichenheit zwischen Kritik und Unterstützung. *: Unterschiede zwischen deutscher Beteiligung und US-Krieg sind signifikant auf dem Level 0,05.

gumentiert wurde. In Grafik 1 sind für jede Zeitung beide Ebenen aufgezeigt. Die Bal- ken entsprechen dem Anteil von kritischen Aussagen an allen bewertenden Aussagen auf der entsprechenden Ebene. In allen Zeitungen wurde der Krieg grundsätzlich oder legitimatorisch eher unter- stützt als seine Einzelmaßnahmen bzw. seine strategischen oder performatorischen Aspekte (vgl. Grafik 1). Damit entspricht die Kommentierung des Afghanistankrieges in jeder untersuchten Zeitung den Annahmen der Erweiterung der Indexing-These. Da- bei fiel die Kritik im linken Zeitungsspektrum auch im grundsätzlichen-legitimato- rischen Bereich deutlich kritischer aus als im rechten. Während die taz die grundsätzli- che Richtigkeit des Krieges und die Legitimationen vergleichsweise stark in Frage stell- te, wurde der Krieg auf dieser Ebene in der Welt nur marginal kritisiert. Auf der strate- gischen-performatorischen Ebene dagegen enthielten die Welt und auch die FAZ deutlich mehr Kritik, nämlich fast ein Drittel aller bewertenden strategischen Aussagen. Die anderen drei Zeitungen waren auf dieser Ebene des Wie sogar überwiegend kriegs- kritisch. Damit kann man die oben aufgestellte Erwartung als erfüllt betrachten, ein Zutreffen der Indexing-These deutet sich gerade im rechten Zeitungsspektrum an. Je weiter man

Grafik 1: Vergleich der Anteile von kritischen an allen bewerteten Aussagen (in %)

100

75 63 warum und ob 55 52 wie 50 43

28 29 30 25 21 18 11

0 taz FR SZ FAZ Welt N=127 N= 99 N=163 N=103 N= 89 ob/warum N= 95 N= 66 N=126 N= 72 N= 71 wie

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nach links auf der Links-Rechts-Achse rückt, desto stärker übt die entsprechende Zei- tung Kritik am Krieg – sowohl grundsätzlich als auch an der Strategie und dem Ab- schneiden des Militärs.

6. Fazit Auch die hier vorliegenden Ergebnisse deuten auf ein Zutreffen der Annahmen der In- dexing-These, die eine Orientierung der medialen Kritik an parlamentarischen Mei- nungskonstellationen voraussagt, hin. Die Zeitungen enthielten bei einem weitgehen- den Konsens im Bundestag deutlich mehr befürwortende als skeptische Stimmen zum Afghanistankrieg. Gleichwohl waren die kritischen Bevölkerungssegmente in der Me- dienkommentierung nicht unterrepräsentiert: Die Kriegsgegner waren in der Bevölke- rung zu einem etwa gleich großen Anteil vertreten wie die deutschen Zeitungskom- mentatoren insgesamt kriegskritische Aussagen unterstützenden gegenüberstellten. Der Befund, dass Kriegskritik in den Medien nicht marginal ausfiel, kann auf die in Kap. 3 aufgeführten Einschränkungen hinsichtlich der Übertragung der These auf den hier untersuchten Fall zurückgeführt werden. So lag kein vollständiger parlamentari- scher Konsens vor, die Bundeswehr hatte keine Führungsaufgaben im Krieg zu bewäl- tigen und die deutsche Medienstruktur ermöglicht eine kritischere Kommentierung als die amerikanische. Da sich trotz dieser Einschränkungen dennoch ein deutliches Über- gewicht von Kriegsunterstützung ergeben hat, ist die Indexing-These als geeignetes Er- klärungsmuster für die Medienleistung in parlamentarischen Konsenssituationen zu bewerten. Als problematisch hat sich in dieser Studie die mangelnde Präzision hinsichtlich ex- akter Richtlinien zur Falsifizierung der These erwiesen. Da keine anderen Befunde zu vergleichbaren Fällen von Konsens und Dissens vorliegen, konnte die Indexing-These keinem harten Test unterzogen werden. Argumentiert man jedoch auf der Basis von Plausibilitäten, so muss es überraschen, wie wenig Kritik im untersuchten Fall formu- liert wurde – obwohl die übliche Breite des Meinungsspektrums der deutschen überre- gionalen Abonnementzeitungen und die traditionelle Kriegskritik im linken Spektrum zugrunde gelegt wurde. Aufgrund ihrer insgesamt ausgeglichenen Positionierung leis- tete sogar die taz keinen substanziellen Beitrag zur Kritik im Meinungsspektrum. Blät- ter wie die FAZ und die Welt verzichteten fast gänzlich auf Kriegskritik. Die deutschen überregionalen Abonnementzeitungen nahmen also in der Kommentierung des Afgha- nistankrieges ihre Kritik- und Kontrollfunktion nur begrenzt wahr, woraus sich neue Erkenntnisse über ihre eingeschränkte Autonomie ergeben. Gleichwohl haben sie nicht komplett auf kritische Evaluationen verzichtet. Ihrer Kritikerrolle sind sie insofern nachgekommen, indem sie strategische und performatorische Aspekte des Krieges rela- tiv skeptisch bewerteten. Die Erweiterung der Indexing-These, die bei politischem Konsens von einer Kon- zentration der Kritik auf der Ebene des Wie anstatt auf der des Ob und Warum ausgeht, stellt somit für dieses Fallbeispiel ebenfalls ein geeignetes Erklärungsmuster der Me- dienkommentierung dar. In allen Zeitungen wurde die strategische Planung und Durch- führung des Krieges kritischer bewertet als die Entscheidung zwischen Krieg und Frie- den und deren Legitimation. Obwohl die präsentierten Ergebnisse für die Gültigkeit der Erweiterung der Indexing-These hier sprechen, muss kritisch angemerkt werden, dass im linken Zeitungsspektrum von einer „Verlagerung“ der Kritik von der grundsätzlich- legitimatorischen auf die strategisch-performatorische Ebene nicht gesprochen werden kann: Auf der Ebene des Ob und Warum des Krieges zeigte insbesondere die taz einen

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hohen Anteil an Kritik. Dieser war zwar auf der Ebene des Wie noch größer, dennoch impliziert die ursprüngliche Erweiterungshypothese eher eine Marginalisierung von Kritik bezüglich prinzipieller Fragen zum Krieg. Die Indexing-These hat sich auch in dieser Studie als fruchtbarer Ansatz bei der Un- tersuchung der Autonomie der Medien erwiesen. Streng genommen wird zum Nach- weis der Gültigkeit der These ein Test benötigt, der die Berichterstattung eines parla- mentarischen Konsenses dem Medienoutput einer Dissenssituation in der politischen Elite gegenüberstellt. Erst Vergleiche beider Fälle können den Nachweis erbringen, dass die Indexing-These für die Kriegsberichterstattung und -kommentierung allgemeine Gültigkeit besitzt. Ein Dissens im Bundestag bei einer Kriegsbeteiligung als Vergleichs- ebene der hier untersuchten Konsenssituation lag zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht vor. Daher musste die Studie auf eine Ausprägung der These (hier: den parlamen- tarischen Konsens) beschränkt bleiben. Der Indexing-Ansatz eignet sich dabei nicht nur zur Untersuchung der Berichterstattung in Kriegssituationen, sondern eine Anwendung wäre durchaus auch für politische Debatten jeglicher Thematik vorstellbar.

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Bundeswehr, Bündnispolitik und Auslandseinsätze

Die Berichterstattung deutscher Qualitätszeitungen zur Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik 1989 bis 2000

Helmut Scherer / Romy Fröhlich / Bertram Scheufele / Simone Dammert / Natascha Thomas

Nach dem Ende des kalten Krieges musste das wiedervereinigte Deutschland in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts seine verteidigungspolitischen Optionen und Zielsetzungen neu definieren. Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, die mediale Berichterstattung zu diesem Themengebiet von 1989 bis 2000 am Beispiel von FAZ und Süddeutscher Zei- tung inhaltsanalytisch zu untersuchen. Dabei werden Berichterstattungsmuster (Frames) identifiziert und deren zeitlich sich wechselseitig bedingende Abfolge analysiert und in- terpretiert. Es lassen sich vier Frames identifizieren, die in interessanten zeitlichen Zu- sammenhängen stehen. „Deutsches verteidigungspolitisches Handeln“ folgt kurzfristig auf „Deutsche verteidigungspolitische Debatten“. Diese werden wiederum – allerdings mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung – von „Bundeswehreinsätzen“ ausgelöst. Die „Bündnispolitik“ erscheint als dauerhafte Grundierung der Berichterstattung, die zeitlich parallel zu jedem anderen Frame akzentuiert wird.

Keywords: Bundeswehr, Berichterstattung, Qualitätszeitungen, Sicherheits- und Ver- teidigungspolitik, Frames, Berichterstattungszyklen

1. Einleitung Das wiedervereinigte Deutschland musste nach dem Ende des Kalten Krieges seinen Platz in den Systemen internationaler Sicherheit neu bestimmen. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts mussten die verteidigungspolitischen Optionen und Zielsetzungen neu definiert werden. Dies führte zu einem fundamentalen Wandel in der deutschen Sicher- heits- und Verteidigungspolitik. „Bis zur weltpolitischen Wende von 1989/90 hatte es über Auslandseinsätze der Bundeswehr kaum Diskussionen gegeben. (...) Hauptaufga- ben der Bundeswehr [waren] die Landesverteidigung und die Beistandsleistung im Rah- men der NATO. Andere Einsatzszenarios wurden (...) kaum in Erwägung gezogen.“ (Bundesministerium der Verteidigung, 2000, S. 5). Im Jahr 2002 dagegen sagte Verteidi- gungsminister Peter Struck: „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Es ist davon auszugehen, dass die Medienberichterstattung zur Sicherheits- und Ver- teidigungspolitik diesen Prozess der Neuorientierung im sicherheitspolitischen Ver- ständnis aufgreift und in gewisser Weise reflektiert. Wir vermuten, dass sich diese Ver- änderungen nicht nur in der Auswahl der sicherheitspolitischen Themenstellungen zei- gen, sondern auch in der Art und Weise, wie diese von den Medien aufbereitet und in- terpretiert werden. Die Medien legen in ihrer Berichterstattung eine bestimmte Lesart für die Rezipienten nahe. Ein solches Berichterstattungsmuster setzt sich nach unserem Verständnis aus dem Zusammenspiel verschiedener Elemente zusammen. Lässt es sich über mehrere Medienbeiträge hinweg verfolgen, sprechen wir von einem Medien- Frame. Wir wissen, dass das mediale Framing keineswegs stabil ist (Scheufele, 2003: 103ff.). Im Zeitverlauf können bestimmte Frames an Bedeutung gewinnen oder an Bedeutung

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verlieren, neue Frames können auftauchen, alte gänzlich aus der Berichterstattung ver- schwinden. Es kann langfristige Veränderungen geben, die wie im Fall der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf einem gesellschaftlichen Wertewandel beruhen oder auf ei- ner Veränderung von Umweltbedingungen, aber auch kurzfristig können durch beson- ders dramatische Schlüsselereignisse mediale Frames verändert werden (Scheufele & Brosius, 1999; vgl. auch Brosius & Eps, 1993). Framing ist damit als dynamischer Pro- zess aufzufassen und unter einer Längsschnittperspektive zu analysieren. Bislang gibt es nur wenige Arbeiten, die dies leisten. Beispielhaft sind hier etwa die Arbeiten von Ger- hards, Neidhardt & Rucht (1998) zur Abtreibungsdebatte, von Weßler (1999, 2000) zur Drogenpolitik oder von Scheufele (2003) zu Fremdenfeindlichkeit zu nennen. Die Antwort auf die Frage nach der Dynamik in der verteidigungspolitischen Be- richterstattung setzt die Beantwortung mehrerer Teilfragen voraus: • Über welche verteidigungspolitischen Fragestellungen wird in den Medien berichtet? • Wie hat sich die Berichterstattung im Lauf der Zeit verändert? • Welche Berichterstattungsmuster (Medien-Frames) lassen sich zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik identifizieren? • Ergibt sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten eine unterschiedliche quantitative Be- deutung der Frames? • In welchem Zusammenhang steht die Dynamik unterschiedlicher Medien-Frames? Um die dazu notwendigen inhaltlichen und theoretischen Voraussetzungen zu schaf- fen, werden wir zunächst den Begriff Sicherheits- und Verteidigungspolitik definieren sowie die Entwicklung der Sicherheitspolitik in der BRD für den Untersuchungszeit- raum kurz nachzeichnen. Zur Vorbereitung und Einordnung unserer empirischen Stu- die werden wir einen knappen Überblick zur Forschungsliteratur über verteidigungs- politische Themen in den Medien geben. Anschließend werden wir unser theoretisches und methodisches Verständnis von Frames und Framing erläutern. Den Kern der Dar- stellung des Forschungsberichts bilden die Ergebnisse einer von uns durchgeführten empirischen Studie.

2. Sicherheits- und Verteidigungspolitik

2.1 Die Entwicklung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik Deutschland Nach unserem Verständnis umfasst deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik fol- gende Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zum Schutz ihrer Staatsbürger [1]: Alle auf das Militär bezogene Maßnahmen [2] im nationalen Bereich [3], im Rahmen von Bündnissen, internationalen Organisationen und Systemen gegenseitiger kollektiver Si- cherheit [4]. Sicherheits- und Verteidigungspolitik schließt alle Aktivitäten zur Friedenserhaltung, Krisenbewältigung und Konfliktverhütung [5] sowie zur Gesamt- verteidigung [6] mit ein, die in Zusammenhang mit den deutschen Streitkräften [7] ste- hen. Im Zuge der Auflösung und Entmachtung der ehemaligen Großmacht Sowjetunion hat sich die Konfliktlinie, die im Kalten Krieg das militärische und politische Handeln maßgeblich bestimmte, weitgehend verschoben. Für den Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts von besonderer Relevanz. Durch die Wiedervereinigung bzw. das Ende des Kalten Krieges musste Deutschland seine Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus einem vollkommen anderen Blickwin- kel deuten (Calließ, 1999, S. 30). Damit wurde die bisherige Orientierung am Ost-West-

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Verhältnis in der Sicherheitspolitik obsolet (Hoyer, 1999, S. 20). Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands musste sich seit Ende der 80er Jahre entscheidend verändern. Seit 1988 ist die Bundeswehr in nennenswertem Umfang in Auslandseinsätzen aktiv. Hier soll nur kurz auf einige wenige, besonders wichtige Missionen eingegangen wer- den.1 • Vom 22. Mai 1992 bis zum 12. November 1993 nahmen deutsche Soldaten an der UNTAC-Mission (United Nations Transitional Authority in Cambodia) in Kam- bodscha teil. Ihre Aufgabe war die medizinische Versorgung der UNTAC-Soldaten, der Helfer und der Zivilbevölkerung. Im Oktober 1993 gab es hier bei einem Angriff den ersten toten deutschen Soldaten bei einem Auslandseinsatz. • Die Bundeswehr unterstützte logistisch die UN-Operation in Somalia vom 25. Au- gust 1993 bis zum 23. März 1994. Während des Einsatzes erschossen deutsche Sol- daten aus Gründen der Selbstverteidigung mehrere Somalis. • Vom 24. März bis zum 9. Juni 1999 beteiligte sich die deutsche Armee an den NATO- Luftangriffen auf Jugoslawien. Der Jugoslawien- bzw. Kosovo-Krieg stellt eine Zä- sur in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik dar: „Es war der erste of- fizielle Kampfeinsatz der Bundeswehr seit dem Zweiten Weltkrieg.“ (Wirner, 2001, S. 17) Das vom Bundesministerium der Verteidigung 1994 veröffentlichte Weißbuch defi- nierte explizit eine neue, erweiterte Rolle der deutschen Bundeswehr und gilt als ein ent- scheidender Wendepunkt der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (vgl. Giessmann, 1999, S. 28). Das Weißbuch sieht die Hauptaufgabe der Bundeswehr zwar weiterhin in der kollektiven Verteidigung (Landesverteidigung), es erwähnt aber – zum ersten Mal – die Möglichkeit der Unterstützung multinationaler Kriseneinsätze unter Führung der NATO, WEU bzw. der UN oder der OSZE. Dies war nicht das Ergebnis einer strategischen Debatte, sondern eher das Nachgeben der damaligen deutschen Re- gierung auf den Druck der NATO-Partner, die von Deutschland eine Teilnahme bei in- ternationalen Kriseneinsätzen forderten (vgl. Hanrieder, 1995, S. 245). Dennoch hält das Weißbuch die restriktiven Prinzipien grundsätzlich ein: Die Bundeswehreinsätze sind weiterhin auf Europa und seine Peripherie beschränkt. Alle darüber hinausgehenden Einsätze sind nur unter Berücksichtigung des Artikels 24 GG (kollektive Verteidigung) möglich. Jede militärische Aktivität, Beteiligung an NATO- und WEU-Einsätzen, ist an ein striktes Mandat der UN oder der OSZE gebunden. Am 12. Juli 1994 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass militärische Einsätze, die über die Selbstverteidigung hinausgehen, verfassungsgemäß sind, solange Artikel 24 des Grundgesetzes („im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver Si- cherheit“) eingehalten wird und wenn in jedem Einzelfall eine konstitutive Mehrheit im Bundestag den Einsatz befürwortet.2 Entscheidend ist hierbei die Definition der „Sys- teme gegenseitiger kollektiver Sicherheit“. Das BVerfG zählt nun neben den Vereinten Nationen (UN) auch die NATO dazu. Dieses Urteil muss als historischer Wendepunkt in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gelten. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die politische Debatte über die Sicher-

1 Für weitere Informationen zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr vgl. Bundesministerium der Verteidigung, 2000. 2 „… Kampfeinsätze deutscher Verbände sind mit dem GG vereinbar, wenn sie im Rahmen der UN oder anderer internationaler Organisationen eingesetzt und zuvor vom Bundestag geneh- migt werden.“ (BVerfG Out-of-Area-Urteil, 1994, S. 28)

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heits- und Verteidigungspolitik in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts sehr stark ver- ändert und eine andere Qualität angenommen hat. Es geht zunehmend weniger um das Ob und das Warum, sondern verstärkt um das Wie und Wann von Auslandseinsätzen (Giessmann, 1999, S. 22). Deutlich wird auch, dass es hier keine klare Abfolge von Pro- blemidentifikation, politischem Entscheidungsprozess und politischem Handeln gibt. Vielmehr sind die Ebenen der Legitimation, der Debatte und des Handelns zeitlich in- einander verschränkt. Häufig scheint die deutsche Politik unter dem Drang bestehender oder wahrgenommener Handlungsnotwendigkeiten zu agieren. Entscheidungen wer- den getroffen, die erst ex post wirklich fundiert diskutiert und rechtlich legitimiert wer- den.

2.2 Forschungsstand zur Berichterstattung über Sicherheits- und Verteidigungspolitik Die Berichterstattung über Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist eher selten zu ei- nem Gegenstand der kommunikationswissenschaftlichen Forschung geworden. Prayon (1998, S. 525) stellt fest, dass sicherheitspolitische Kommunikation vor allem Experten- kommunikation sei, die nur dann das Interesse der breiteren Öffentlichkeit erreiche, wenn sicherheitspolitische Themen „unmittelbare Sorgen und Ängste auslösen“. An empirischen Analysen fehlt es weitgehend. Einige wenige Studien beschäftigen sich in einem allgemeinen Sinn mit der medialen Darstellung von Sicherheitspolitik. So analy- siert etwa Karl (1989) die sicherheitspolitische Berichterstattung von dpa. Brodersen (1996) analysiert in einer vergleichenden Studie russischer und US-amerikanischer Zei- tungen für die Jahre 1985 bis 1989, wie die Außen- und Sicherheitspolitik der Super- mächte USA und UdSSR jeweils in den Medien des weltpolitischen Antagonisten be- wertet wird. Zu einzelnen Fragen, die im weitesten Sinne der Verteidigungspolitik zugerechnet werden können, existieren aber durchaus Untersuchungen, so etwa eine frame-analyti- sche Untersuchung zur amerikanischen Anti-Atomwaffen-Bewegung (Entman & Ro- jecki, 1993) und einige Beiträge zur Friedensbewegung (Dowing, 1988; Horster, 1981; Michel, 1987; Rager & Janowski, 1982). Kolmar (1983) analysiert die Berichterstattung über die Einführung von Mittelstreckenraketen in Europa. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in Zusammenhang mit dem Doppelbeschluss wird von Arndt (1988) untersucht. Linn (1983) analysiert die Berichterstattung in konservativen deutschen Ta- geszeitungen zur sowjetischen Bedrohung für die Jahre 1975 bis 1981, Lapins (1983) tut das Gleiche für die liberalen oder linksorientierten deutschen Tages- und Wochenzei- tungen. Dirks (1991) führt eine sprachwissenschaftliche Untersuchung westdeutscher Presseorgane in Zusammenhang mit der so genannten Star-Wars-Debatte durch. In der Zeitschrift „Theorie und Praxis des sozialistischen Journalismus“ gibt es aus Sicht der DDR einige Analysen zur Darstellung sicherheitspolitischer Themen in den Medien der BRD (Herold, 1982; Kubach, 1983; Nefedov, 1983; Wagner, 1984; Winter, 1988). Auf- fällig ist bei diesen Arbeiten, dass sie im Wesentlichen geprägt sind durch ein einheitli- ches Interpretationsraster – also einen Frame –, bei dem sicherheitspolitische Fragestel- lungen vor allem vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes und der damit ver- bundenen innenpolitischen Auseinandersetzungen in der BRD oder den USA analysiert werden. Die Arbeit von Teichmann-Nadirschwili (1992) befasst sich mit dem histori- schen Ende dieses Deutungsmusters. Sie untersucht, wie die Parteipresse in der Sowjet- union den Prozess der deutschen Wiedervereinigung unter sicherheitspolitischen Ge- sichtspunkten diskutiert. Die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an militärischen Einsätzen im Rah-

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men von UNO-Mandaten oder NATO-Einsätzen hat dazu beigetragen, dass die Be- richterstattung zu Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein etwas größeres kommuni- kationswissenschaftliches Interesse gefunden hat. Die Neuorientierung der Rolle der Bundeswehr in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts belegt Meder (1998) in seiner In- haltsanalyse von Spiegel, Focus und Zeit. Seine Ergebnisse zeigen, dass die Rolle der Bundeswehr in diesem Zeitraum in den Medien weiter gesteckt wird. Sie bleibt nicht auf die Beteiligung an so genannten friedenserhaltenden Maßnahmen beschränkt, sondern die Beteiligung an friedensschaffenden Maßnahmen wird thematisiert. Die machtpoliti- sche Rolle der Bundeswehr und die Durchsetzung und Sicherung vitaler deutscher In- teressen wird diskutiert. Die militärischen Optionen Deutschlands werden also vielfäl- tiger behandelt. Klaus, Goldbeck & Kassel (2002, S. 302) untersuchen in ihrer Analyse der Berichterstattung zum Kosovo-Krieg in gewisser Weise auch das mediale Framing deutscher Sicherheitspolitik. Sie stellten fest, dass die Westbindung Deutschlands und dessen hervorgehobene Rolle in der NATO betont wird sowie seine „vorbildliche“ und „konstruktive Rolle“. Explizit frame-analytisch orientiert ist die Arbeit von Eilders & Lüter (2000). Sie untersuchen die Art und Weise, in der deutsche Medien den Kosovo- Einsatz der Bundeswehr argumentativ legitimieren. Sie unterscheiden dabei im An- schluss an Snow & Benford (1988)3 zwischen „Identity Framing“, bei dem Deutschland vor allem in einem moralischen Dilemma gesehen wird, „Diagnostic Framing“, bei dem der Krieg als Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen gesehen wird, und „Prognostic Framing“, bei dem sich kein eindeutig dominanter Frame ergab. Sie stellen fest, dass in allen untersuchten Medien das prognostische Framing dominierte. Mit dem gleichen Konflikt beschäftigt sich auch die Untersuchung von Grundmann, Smith & Wright (2000). Dabei geht es zwar im Wesentlichen um die Berichterstattung zum Kriegsge- schehen im Kosovo, es gibt aber auch Hinweise auf den sicherheitspolitischen Diskurs in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Dabei wurde deutlich, dass für Deutschland die Frage der Loyalität zum NATO-Bündnis eine ganz entscheidende Rol- le spielte.

3. Die Darstellung des Politikprozesses in den Medien Politik und Medien sind wechselseitig aufeinander angewiesen, sie stehen in einem sym- biotischen (Sarcinelli, 1987) Verhältnis zueinander. Aufgrund der engen Verbindung von politischem System und Mediensystem ist davon auszugehen, dass die Berichter- stattung in den Medien den politischen Entscheidungsprozess in gewisser Weise reflek- tiert. Üblicherweise geht man dabei von folgender Abfolge aus: Problemartikulation, Problemdefinition, Politikdefinition, Programmentwicklung, Implementation und Eva- luation (vgl. Jarren, Donges & Weßler, 1996, S. 38). Es erscheint nahe liegend, dass die Berichterstattungsverläufe in den Medien diese Abfolge reflektieren. Das bedeutet, dass etwa in der Phase der Problemartikulation und Problemdefinition die Berichterstattung eher daran orientiert ist, die Dringlichkeit des Problems darzustellen, während sie in den Phasen der Politikdefinition und der Programmentwicklung eines Themas eher durch Lösungsvorschläge dominiert wird. Es ist überdies davon auszugehen, dass die Medien in den unterschiedlichen Phasen des Politikprozesses unterschiedlich aktiv und bedeut- sam sind. So ist es plausibel, dass sie sich eher auf die Phasen der Problemartikulation,

3 Snow & Benford (1988, S. 198) unterscheiden zwischen motivationalen, diagnostischen und prognostischen Elementen des Framing.

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Problemdefinition und Politikdefinition konzentrieren, also vor allem auf Prozesse im Vor- und Umfeld politischer Entscheidungen. Die eher mühsamen zeitlich nachgela- gerten Prozesse der Programmentwicklung und Implementation werden dagegen weni- ger Beachtung finden (vgl. Jarren & Donges, 2002, S. 41ff.). Die Evaluation wird von den Medien wohl vor allem dann beachtet, wenn sie zu negativen Ergebnissen führt. Medi- en konzentrieren sich insbesondere auf Entscheidungsphasen (Fishman, 1982, S. 228ff.) und dort vor allem auf die Entscheidungsrituale (Pawlowsky-Flodell, 1989). Die Phasen der Vor- und Nachbereitung von Entscheidungen finden dagegen weniger Interesse. Auch die Nachrichtenwerttheorie betont die Bedeutung klar strukturierter, klar ab- grenzbarer und kurzfristiger Ereignisse für die Medienberichterstattung (vgl. Galtung & Ruge 1965; Schulz 1976). Dies macht deutlich, dass die Medien politische Prozesse nicht einfach spiegeln, vielmehr verarbeiten sie diese nach ihren eigenen Regeln. Dies be- deutet, dass man aus der Berichterstattung über Politik nur eingeschränkt auf politische Prozesse zurückschließen kann. Auch so genannte Schlüsselereignisse können die Dynamik der Medienberichterstat- tung beeinflussen. Hinter dem Begriff Schlüsselereignis verbirgt sich die Vorstellung, dass es Ereignisse gibt, durch die einerseits das Mediensystem in besonderer Weise für eine bestimmte Thematik sensibilisiert wird und die es andererseits ermöglichen, bereits eingeführten Themen neue inhaltliche Dimensionen hinzuzufügen (Brosius & Eps, 1993, S. 514). Schlüsselereignisse verändern also Nachrichtenwerte. Im Anschluss an solche Schlüsselereignisse finden ähnliche Ereignisse eine größere Medienbeachtung (Berens, 2001, S. 171). Dadurch strukturieren Schlüsselereignisse die Berichterstattung, weil eben Ereignisse eines bestimmten Typs eine größere Berichterstattungschance ha- ben (Brosius & Eps, 1993, S. 514–515). Kepplinger (1998, S. 30) weist allerdings darauf hin, dass die Wirkung von Schlüsselereignissen zeitlich begrenzt sei.

4. Methode Zur Analyse der Berichterstattung orientieren wir uns methodisch an den Ideen des Frame-Ansatzes. Allerdings kann nach wie vor die Einschätzung von Entman (1993) gelten, dass wir in der Kommunikationswissenschaft noch nicht von einer vereinheit- lichten und konsistenten Framing-Theorie sprechen können (vgl. D. Scheufele, 1999; Scheufele, 2003, 2004). Wir wollen deshalb den Frame-Ansatz als Forschungsstrategie verstehen, bei der komplexe Sinnzusammenhänge (Frames) identifiziert und für weite- re empirische Analysen fruchtbar gemacht werden. Da Frames größere und komplexere Sinnstrukturen darstellen, ist ihre empirische Er- fassung nicht unproblematisch. Matthes & Kohring (2004, S. 62) stellen fest, dass die meisten Untersuchungen von Medien-Frames von einem ganzheitlichen Frame-Begriff ausgehen und so die Definition des Frame-Begriffs von wenigen Ausnahmen abgesehen (u. a. Harden, 2002; Scheufele, 2003) für eine valide empirische Umsetzung zu abstrakt bleibt. Die Erhebung bleibt hier in hohem Maße an das Vorverständnis des Forschers gebunden. Mit anderen Worten: Er kann nur die Frames finden, die er explizit sucht. Um Medien-Frames sowohl objektiv als auch inhaltlich valide erfassen zu können, schlagen mehrere Autoren (u. a. Scheufele, 2003; Matthes & Kohring, 2004, S. 61) vor, Frames nicht als Ganzes, sondern jeweils deren einzelne Elemente zu codieren. Zur Identifikation der Frames kann ein Clusterverfahren verwendet werden (vgl. Matthes & Kohring, 2004). Der Framing-Ansatz erlaubt es in besonderer Weise, Veränderungen in der Medien- berichterstattung zu identifizieren und zu analysieren. Die Analyse von Frames beruht

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auf einer Verdichtung von Einzelmerkmalen zu Berichterstattungsmustern. Dies macht in einem ganz praktischen Sinn die Analyse anschaulicher und übersichtlicher, da wir nicht eine Fülle an Veränderungen in Einzelvariablen analysieren müssen. Die Verän- derungen in der Berichterstattung lassen sich überdies sicherer interpretieren, da die un- vermeidlichen Zufallsschwankungen von Einzelvariablen in der komplexen Messung bis zu einem gewissen Maß abgefedert werden. Um in der Framing-Analyse die relevanten Kategorien der Untersuchungsgegen- stände adäquat abbilden zu können, haben wir in einem ersten Schritt eine qualitativ her- meneutische Analyse für Beiträge des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ sowie Leit- artikel der Qualitätszeitungen „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) und „Süddeut- sche Zeitung“ (SZ) zwischen 1989 und 2000 durchgeführt.4 Der Untersuchungszeitraum der anschließenden quantitativen Inhaltsanalyse umfass- te die Zeit vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 2000. Das Jahr 1989 ist mit der deutschen Wiedervereinigung und Umbrüchen in damaligen Ostblockstaaten eine inter- national bedeutsame Wendemarke. Mit dieser Festlegung können wir allerdings poli- tisch bedeutsame Veränderungen nicht erfassen, die vor 1989 einsetzten (z. B. Gorba- tschows Bestrebungen um „Glasnost“ und „Perestrojka“). Das Ende des Untersuchungs- zeitraums hängt ganz pragmatisch damit zusammen, dass unser Projekt ein Jahr später begann und eine planerisch und finanziell vertretbare Endmarke gesetzt werden musste. Die beiden Qualitätszeitungen „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) sowie „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) wurden aus vier Gründen ausgewählt: (1) Beide Zeitungen bieten ein breites, journalistisch niveauvolles Informationsangebot, das sich durch aner- kannte Bemühung um Vollständigkeit und Verlässlichkeit auszeichnet. (2) Die Blätter sind publizistische Meinungsführer, deren Berichterstattung andere Journalisten beach- ten und als Orientierung für ihre Arbeit nutzen. (3) Beide Zeitungen haben unter- schiedliche redaktionelle Linien und decken damit eine Bandbreite journalistischer Sichtweisen zu aktuellen Themen ab. Die redaktionelle Linie der SZ gilt als „gemäßigt links“ und die der FAZ als „gemäßigt rechts“ (Kepplinger, 1998, S. 251). (4) Beide Blät- ter sind überregional ausgerichtet und dürften häufig und umfangreich über internatio- nale Ereignisse wie Kriege und Konflikte sowie nationale Belange wie die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik Deutschland berichten. Untersucht wurde der gesamte politische redaktionelle Teil beider Zeitungen. Es wurden sämtliche meinungs- und tatsachenbetonten Stilformen im politischen Teil er- fasst, die sich mit Kriegen, Konflikten sowie der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik beschäftigten. Thematisch relevante Beiträge mussten sich explizit auf die Themen „Krieg“ oder „Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ beziehen. Dafür musste mindestens eines der beiden Themen in den Überschriften oder – bei tatsachen- betonten Stilformen – im Lead genannt sein. Bezogen auf das Untersuchungsthema wur- de damit eine Vollerhebung durchgeführt. Da die Erhebungen zur Studie an zwei Standorten – München und Hannover – durchgeführt wurden, war es notwendig, in Bezug auf die Zuverlässigkeit des Erhe- bungsinstruments mit besonderer Sorgfalt zu verfahren. Dies galt auch deshalb, da in München mit der Erhebung früher begonnen wurde. Es musste also nicht nur die Co- diererübereinstimmung am Standort, sondern auch die Übereinstimmung zwischen den Standorten sichergestellt werden.

4 Die empirische Studie ist Teil eines von der DFG geförderten Projekts zur Analyse des Zu- sammenhangs von Kriegsberichterstattung sowie sicherheits- und verteidigungspolitischer Be- richterstattung (Aktenzeichen FR 967/7-1).

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Über die Übereinstimmung der Codierung mit einer für beide Standorte verbindli- chen Mastercodierung (Konstrukt-Reliabilität) lässt sich abschätzen, ob an beiden Standorten mit zufrieden stellender Übereinstimmung gearbeitet wurde. Dabei erge- ben sich für beide Standorte sehr gute Werte (München 0.91/Hannover 0.92). Da die Übereinstimmung mit der Mastercodierung an beiden Standorten sehr hoch ist, ist auch davon auszugehen, dass es eine zufrieden stellende Übereinstimmung zwischen den Standorten gibt. Bei einem Wert von 0.91 in München und 0.92 in Hannover ergibt sich im ungünstigsten Fall eine Übereinstimmung zwischen München und Hannover von 0.84. Dies kann in Anbetracht der komplexen Anforderungen an die Codierer als sehr guter Wert gelten.

5. Ergebnisse

5.1 Die Entwicklung der sicherheits- und verteidigungspolitischen Berichterstattung Im Folgenden sollen die inhaltlichen Schwerpunkte und die Dynamik des medialen Dis- kurses zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik untersucht werden. Dabei zählen wir zum sicherheitspolitischen Diskurs alle Themenkomplexe, die sich explizit auf die Si- cherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik, auf die Bundeswehr und da- mit verbundene Fragen sowie auf die Einsätze der Bundeswehr beziehen. In einem ers- ten Schritt wollen wir die quantitative Entwicklung der Berichterstattung zur Sicher- heits- und Verteidigungspolitik im Zeitverlauf betrachten (vgl. Abbildung 1). Dabei zeigt sich ein deutlicher quantitativer Sprung im Jahre 1993. Gab es in den Jah- ren zuvor jeweils zwischen 100 und 150 Themenkomplexe im Jahr, so sind es 1993 über 400.5 Zwar nimmt die Berichterstattungsintensität bis zum Jahr 1995 wieder etwas ab,

Abbildung 1: Sicherheits- und verteidigungspolitische Berichterstattung von 1989 bis 2000 in FAZ und SZ 450 400 350 300 250 200 150 100

Anzahl der Themenkomplexe 50 0 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000

Sicherheits- und Verteidigungspolitik (SVP)

5 Ab 1993 wird die FAZ auf der Basis von CD-Rom-Recherchen analysiert. Dies könnte dazu

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Scherer et al. · Bundeswehr, Bündnispolitik und Auslandseinsätze

sie bleibt aber bis auf das Jahr 1998 auf einem hohen Niveau von etwa 300 Themen- komplexen pro Jahr. Fast scheint es, als habe das wiedervereinigte Deutschland zunächst „eigene“ Probleme, bis es sich dann ab 1993 auf Fragen der Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik besinnt – zumindest laut Darstellung der untersuchten Zeitungen. Eine mögliche Erklärung für diesen enormen Anstieg im Umfang der Berichterstat- tung finden wir, wenn wir uns die Struktur der sicherheits- und verteidigungspolitischen Themenkomplexe etwas näher ansehen. Dabei werden wir alle Berichterstattungsge- genstände zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik etwas differenzierter betrachten. Grob lassen sich diese Themenkomplexe vier unterschiedlichen Gebieten zuordnen: Bundeswehr allgemein, Bundeswehreinsätze, Bündnispolitik und sonstige Themen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Beiträge zu Bundeswehrfragen, also zu Organisation und Struktur der Bundeswehr und zu damit verbundenen Haushaltsfragen, dominieren die Berichterstattung. 54 Pro- zent der Themenkomplexe fallen hierunter. An zweiter Stelle folgt mit 29 Prozent die Berichterstattung zu Bundeswehreinsätzen. Damit geht es bei insgesamt vier von fünf Themenkomplexen um die Bundeswehr und mit ihr verbundene Fragen. Mit 13 Prozent haben Bezüge zur Bündnispolitik noch einen gewissen Stellenwert; die restlichen The- menkomplexe lassen sich unterschiedlichen Kategorien zuordnen und werden von uns nur noch zusammenfassend betrachtet. Verfolgen wir die Entwicklung der Themenkomplexe, unterteilt in die vier ange- sprochenen Berichterstattungsgegenstände, dann zeigt sich, dass diese nicht nur unter- schiedlich bedeutsam sind, sondern auch eine ganz unterschiedliche Dynamik aufwei- sen. Die zwei wichtigsten Berichterstattungsgegenstände – Bundeswehr allgemein und Bundeswehreinsätze – wechseln sich in der medialen Bedeutung ab. In der Mehrzahl der Fälle ist die Bundeswehrberichterstattung der wichtigste Gegenstand der Zeitungsbe- richterstattung. In der Regel widmen die Qualitätsblätter mehr als die Hälfte der The- menkomplexe diesem Bereich. Nur in den Jahren 1991 (45 Prozent), 1993 (30 Prozent) und 1995 (26 Prozent) wird diese Marke unterschritten. In diesen Zeiträumen sind dann die Auslandseinsätze der Bundeswehr medial besonders präsent, d. h. die wichtigsten Berichterstattungsgegenstände. Den größten Schwankungen unterliegt offensichtlich die Berichterstattung über Bundeswehreinsätze (vgl. Abb. 2). Der Höchstwert in der Berichterstattung über Bun- deswehreinsätze und besonders große Sprünge im Vergleich zum Vorjahr treten genau dann ein, wenn die Berichterstattung zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik im All- gemeinen ihr Maximum erreicht und ebenfalls den größten Anstieg im Vergleich zum Vorjahr aufweist. Der generell starke Anstieg der Berichterstattung über Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Jahr 1993 lässt sich also vor allem aus den vermehrten Be- richten über Bundeswehreinsätze erklären. Wenn wir die Themenkomplexe zu den Bundeswehreinsätzen etwas genauer an- schauen, wird allerdings deutlich, dass die verschiedenen Auslandseinsätze der Bundes- wehr eine ganz unterschiedliche Bedeutung in der Berichterstattung haben (vgl. Tabel- le 1). Von den einzelnen Einsätzen ist eindeutig Somalia in der Berichterstattung der un- tersuchten Zeitungen am bedeutendsten. 21 Prozent der Themenkomplexe entfallen auf diesen Einsatz. An zweiter Stelle folgt die Beteiligung an den Friedenstruppen in Bos-

führen, dass der Anstieg für 1993 methodische Gründe hat. Dagegen spricht aber, dass wir auch für die SZ einen deutlichen Anstieg in der Berichterstattung finden.

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Tabelle 1: Berichterstattungsgegenstände zu Bundeswehreinsätzen in Themenkomplexen zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik 1989 bis 2000 in FAZ und SZ

Anteil in % (n = 935) Bundeswehreinsätze allgemein 36 Somalia 1992/1994 21 Beteiligung an Friedenstruppen in Bosnien 1999 14 Kontingent für KFOR-Truppen im Kosovo 1999 9 Luftbrücke nach Ostbosnien 1993–95 7 Beteiligung an NATO-Luftüberwachung in Bosnien 1992 3 Persischer Golf/Irak 1991 3 Kambodscha 1991/1993 2 Sonstige Einsätze 4 Gesamt 100 Basis: Alle Themenkomplexe zu Bundeswehreinsätzen

nien ab 1999, danach das KFOR-Kontingent, ebenfalls ab 1999. Die humanitären Einsätze im Sudan, in Ruanda und Georgien finden nur sporadische Beachtung. Der So- malia-Einsatz scheint also eine Sonderrolle zu spielen. Möglicherweise wirkt sich hier aus, dass im Rahmen dieses Einsatzes deutsche Soldaten zum ersten Mal zur Waffe grif- fen. 35 Prozent aller Themenkomplexe zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Jahr 1993 (n = 408) behandeln den Somalia-Einsatz der Bundeswehr. Damit geht ein großer Teil des generellen Anstiegs im Berichterstattungsumfang der untersuchten Zeitungen von 1992 auf 1993 eben auf den Somalia-Einsatz zurück. Das Engagement der Bundes- wehr in Somalia wirkt für die untersuchten Zeitungen also quasi als Initialzünder für den sicherheitspolitischen Diskurs in der Bundesrepublik. Mit diesem Bundeswehreinsatz wird die Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen erstmals zum Medienthe- ma. Alle Einsätze davor wurden offenbar als weniger brisant empfunden. Durch die Prä- senz des Somalia-Einsatzes in der Presse wird Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch insgesamt wieder Gegenstand der Berichterstattung in FAZ und SZ. Der Somalia- Einsatz kann somit wohl als ein Schlüsselereignis gelten.6 Im Gegensatz zur Überlegung von Kepplinger (1998, S. 30), dass Schlüsselereignisse die medialen Selektionskriterien nur kurzfristig verändern, bleibt die Berichterstattung über Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik aber dauerhaft auf einem höheren Niveau. Dies lässt vermuten, dass mit dem Somalia-Einsatz tief greifendere Änderungen verbunden sind, die sich dauerhaft oder zumindest langfristig auf die Politik und die politische Berichterstattung in der Bundesrepublik auswirken.

6 Die theoretische Arbeit zu Schlüsselereignissen ist noch nicht sehr fortgeschritten. Insbesonde- re fehlt es noch an klaren Merkmalen, die ein Schlüsselereignis auszeichnen. Schlüsselereignis- se werden in der Regel über ihre Folgen identifiziert, also über die Einflüsse, die sie auf die Be- richterstattung nehmen. Damit wird die Argumentation aber immer etwas zirkulär.

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5.2 Die Frames der Printberichterstattung zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik Bislang haben wir betrachtet, wie sich die Berichterstattung von FAZ und SZ zur Si- cherheits- und Verteidigungspolitik von 1989 bis 2000 entwickelte. Im Folgenden wer- den wir die Berichterstattungsmuster zu diesem Themengebiet identifizieren. Aufgrund unserer theoretischen Überlegungen werden wir die medialen Bezugsrahmen als spezi- fische Kombinationen inhaltlicher Merkmale der Berichterstattung herausarbeiten. Dazu ist die Clusteranalyse ein geeignetes Verfahren (vgl. Matthes & Kohring, 2004). Bei der Durchführung der Clusteranalyse haben wir aus den quantitativ wichtigsten Ausprägungen der zentralen Merkmale der Berichterstattung (vgl. Abbildung 2) dicho- tome Variablen gebildet.7 Mit Hilfe dieser neuen Variablen wurde eine hierarchische Clusteranalyse durchgeführt.8 Die auf diesem Wege ermittelten Cluster interpretieren wir als Medien-Frames.

Abbildung 2: Berichterstattungsgegenstände in Themenkomplexen zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik von 1989 bis 2000 in FAZ und SZ (Anzahl)

450 + 400 + 350 + + 300 + + + 250 + 200 + + 150 + 100 +

Anzahl der Themenkomplexe 50 + 0 + + + + + + + + + + + 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000

Bundeswehr allgemein Bundeswehreinsätze Bündnispolitik

+ sonstige SVP + SVP (gesamt)

Korrelierte Ausgangsvariablen stellen ein Problem bei der Clusteranalyse dar. Diese sind bei der Bildung der Cluster in gewisser Weise privilegiert. Als Lösung bei der Clus- teranalyse wird gewöhnlich vorgeschlagen, der eigentlichen Clusteranalyse eine Fakto- renanalyse vorzuschalten und die Clusterung dann mit den so ermittelten Faktoren durchzuführen. Bei der vorliegenden Clusteranalyse waren Redundanzen bei Variablen gegeben, die aus der identischen Ausgangsvariable – vor allem dem Berichterstattungs- gegenstand – gebildet wurden. Diese Variablen korrelieren selbstverständlich miteinan- der. Wir haben dies aber bewusst in Kauf genommen, da sich in der Summe durch das Zusammenwirken anderer Variablen erheblich größere Distanzen ergeben können und die Privilegierung der Berichterstattungsgegenstände inhaltlich sinnvoll erschien.

7 Tabelle 2 gibt Auskunft über die für die Clusterung verwendeten Variablen. 8 Als Distanzmaß wurde die Quadrierte Euklidische Distanz für dichotome Variablen benutzt, zur Clusterbildung wurde mit dem Ward-Verfahren gearbeitet. 287 006_M&K_02+03-05_Scherer 06.07.2005 11:56 Uhr Seite 288

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Das erste Cluster steht für den Berichterstattungsframe „Deutsches verteidigungs- politisches Handeln“ (vgl. Tabelle 2). Zu 99 Prozent geht es dabei um den Bericht- erstattungsgegenstand „Bundeswehr allgemein“. Auf thematischer Ebene geht es um „Nationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Die Handelnden sind zumeist Poli- tiker, die Betroffenen sind sehr häufig Militärs; beide, sowohl Betroffene als auch Han- delnde, sind zu über 90 Prozent Deutsche. Bei den Ereignissen ragt im Vergleich zu den anderen Clustern das Exekutivhandeln heraus. In diesem Cluster geht es also vor allem darum, wie Politik konkret mit der Bundeswehr umgeht. Dies wird aus dem Verhältnis „handelnder Politiker“ zu „betroffenen Militärs“ deutlich. Es handelt sich dabei also um die Berichterstattung über die Umsetzung politischer Entscheidungen. Im Gegensatz zu

Tabelle 2: Cluster der Berichterstattung zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik in FAZ und SZ – Clusterbildende Merkmale

Frame 1 Frame 2 Frame 3 Frame 4 Deutsches Deutsche Bündnis- Bundeswehr- verteidigungs verteidigungs- politik einsätze politisches politische Handeln Debatte Berichterstattungsgegenstände (in %): Bündnispolitik 0 0 74 0 Bundeswehr allgemein 99 99 00 Bundeswehreinsätze 0 1 0 100 Themen: Nationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik 82 65 23 21 Internationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik 1 3 39 8 Militärpolitik 1 2 1 18 Sonstige Sicherheitspolitik 0 0 26 0 Akteure: Handelnder Militär 11 23 5 24 Handelnder Politiker 75 59 63 53 Betroffener Militär 96 3929 Betroffener Politiker 1 29 27 17 Deutscher Handelnder 94 84 51 73 Deutscher Betroffener 98 40 20 43 Ereignisse: Nationale Politische Ereignisse 44 46 26 33 Kriege und Kriegsereignisse 3 7 14 40 Internationale Politische Ereignisse 7 1 28 4 Politisches Diskurshandeln allgemein 9 19 10 11 Exekutivhandeln 15 1379 Zahl der Themenkomplexe 764 956 544 929

Basis: Alle Themenkomplexe zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik In den Zeilen sind die höchsten Werte fett markiert.

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den oben geäußerten Überlegungen interessieren sich zumindest die Qualitätszeitungen also sehr wohl auch für die Politikimplementation. Beim zweiten Cluster dominiert als Berichterstattungsgegenstand ebenfalls „Bun- deswehr allgemein“. Relativ häufig geht es um das Thema „Nationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik“; dieser Schwerpunkt ist aber deutlich weniger ausgeprägt als beim ersten Cluster. Bei den Akteuren werden die Unterschiede aber markanter. Dieses Clus- ter hat den höchsten Anteil an „betroffenen Politikern“ und den geringsten Anteil an „betroffenen Militärs“. Unter den Ereignissen ragen besonders „nationale politische Er- eignisse“ und „politisches Diskurshandeln“ heraus. Es geht also um Prozesse, die sich ausschließlich innerhalb des politischen Systems abspielen, wie etwa parlamentarische Debatten. Die Gewichtung dieser Merkmale legt die Bezeichnung „Deutsche verteidi- gungspolitische Debatte“ nahe. Im Gegensatz zum oben beschriebenen Frame „Deut- sches verteidigungspolitisches Handeln“ geht es hier vor allem um Prozesse im Vorfeld politischer Entscheidungen, die im politischen System ausgehandelt werden müssen. Es liegt also nahe, dieses Cluster der Problemdefinition und der Politikdefinition zuzu- ordnen. Beim dritten Cluster bzw. Medien-Frame dominiert, wenn auch nicht so eindeutig wie in den vorigen Fällen, der Berichterstattungsgegenstand „Bündnispolitik“. 74 Pro- zent der Themenkomplexe entfallen auf diesen Berichterstattungsgegenstand. Nahezu folgerichtig hat dieser Frame einen thematischen Schwerpunkt in der „Sicherheitspoli- tik“ sowie in der „Internationalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Dieser macht hier 39 Prozent, bei den anderen Clustern höchstens acht Prozent der Themenkomple- xe aus. Bei diesem Frame gibt es die wenigsten „handelnden Militärs“ und die wenigsten deutschen Handelnden und Betroffenen. Die eher internationale Orientierung dieses Berichterstattungstyps wird auch an dem geringen Anteil von „nationalen politischen Ereignissen“ deutlich sowie vor allem am höchsten Anteil an „internationalen politi- schen Ereignissen“. Es scheint angemessen, diesen Frame „Bündnispolitik“ zu nennen. Beim letzten Cluster geht es zu 100 Prozent um den Berichterstattungsgegenstand „Bundeswehreinsätze“; so nennen wir den Frame naheliegenderweise. Der militärische Bezug wird hier auf den verschiedenen Ebenen deutlich: In diesem Cluster geht es am häufigsten um Militärpolitik. Im Vergleich aller Cluster sind hier am häufigsten die Mi- litärs und am seltensten die Politiker die Handelnden. Weitaus häufiger als bei den an- deren Clustern geht es zudem um „Kriege und Kriegsereignisse“. Dieser Frame ist quan- titativ am wichtigsten. Hierin drückt sich wohl die starke Ereignis-Orientierung der Me- dien aus. Im nächsten Schritt wollen wir untersuchen, welche Bedeutung die medialen Frames zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Zeitverlauf haben (vgl. Abb. 3). Natürlich werden hier zunächst die Trends des Themas insgesamt abgebildet. Aus diesem Grund kommen alle Medien-Frames bis einschließlich 1992 nur selten vor. Zu einem dramati- schen Anstieg in der Berichterstattung kommt es dann 1993. Er geht im Wesentlichen auf den Frame „Bundeswehreinsätze“ zurück. Wir finden hier also auch die Bedeutung des Somalia-Einsatzes wieder. Aber auch der Medien-Frame „Deutsche verteidigungs- politische Debatte“ gewinnt schon 1993 an Bedeutung und wird 1994 zum dominieren- den Bezugsrahmen in den Zeitungen. 1995 dominieren dagegen „Bundeswehreinsätze“ als Medien-Frame. In den folgenden Jahren bleibt die „deutsche verteidigungspolitische Debatte“ mit einer Ausnahme (1999) der wichtigste Frame. Die beiden anderen Frames spielen fast im gesamten untersuchten Berichterstattungszeitraum eine untergeordnete Rolle; sie variieren auch in der Bedeutung über die Jahre deutlich weniger.

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Abbildung 3: Die Medien-Frames zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik in FAZ und SZ im Zeitverlauf von 1989 bis 2000

250

200

150

100

+ 50 + + + + + +

Anzahl der Themenkomplexe + + + + + 0 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000

SVP Handeln SVP Debatte BW-Einsätze + Bündnispolitik

5.3 Die Dynamik der Berichterstattungsmuster Wir sind bei unseren theoretischen Überlegungen davon ausgegangen, dass sich die be- schriebenen Trends in der Berichterstattung nicht zufällig ergeben, sondern systema- tisch aufeinander bezogen sind. Ein theoretisches Modell für diese Abfolge auf Seiten der politischen Realität wäre die Vorstellung eines rationalen politischen Prozesses, bei dem zunächst Probleme identifiziert und dann verschiedene Handlungsoptionen disku- tiert werden (vgl. Jarren et al., 1996). Danach sollte eine Phase folgen, in der Lösungen implementiert werden, damit im Anschluss bestimmte Handlungen ausgeführt werden können. Die Medien greifen einerseits diese Entwicklungen der politischen Realität auf; andererseits können sie diese durch ihre Berichterstattung für den öffentlichen Diskurs vorbereiten. Beide Seiten lassen sich analytisch unterscheiden, sind aber empirisch schwer zu trennen. Die von uns gefundenen (Medien-)Frames reflektieren jedenfalls verschiedene Phasen des Politikprozesses. Die „Deutsche verteidigungspolitische De- batte“ sollte dann für die Phase der Problemidentifikation und die Phase der Diskussi- on von Problemlösungen stehen. Das wird daran deutlich, dass in diesem Frame Politi- ker häufig Handelnde und Betroffene sind, die Interaktionen spielen sich also innerhalb der Politik ab. Beim „Deutschen verteidigungspolitischen Handeln“ geht es um die Im- plementierung von Strukturen. Hier handeln vor allem deutsche Politiker, und die deut- schen Militärs sind von diesen Handlungen betroffen. Die Bundeswehreinsätze stellen letztlich das politisch vorstrukturierte militärische Handeln dar. In einem rationalen Po- litikmodell sollte mit dem „Deutschen verteidigungspolitischen Handeln“ die Voraus- setzung dafür geschaffen werden, dass die Bundeswehr ihre Auslandseinsätze bewälti- gen kann, während die „Deutsche verteidigungspolitische Debatte“ die Voraussetzun- gen für dieses Handeln schafft und die Auslandseinsätze demokratisch legitimiert. Die Stellung des Frames „Bündnispolitik“ ist in diesem Zusammenhang kaum zu bestim- men. Ob die von uns untersuchten Zeitungen den beschriebenen ‚idealtypischen‘ Ablauf politischer Realität reflektieren, wollen wir mit Hilfe von Zeitreihenanalysen überprü-

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fen. Wir haben dafür Zeitreihen auf Quartalsbasis gebildet und diese ARIMA-berei- nigt.9 Dabei haben wir zwei signifikante Korrelationen gefunden. Wenn wir den Zu- sammenhang zwischen „verteidigungspolitischer Debatte“ und „verteidigungspoliti- schem Handeln“ betrachten, dann stellen wir fest, dass beide Medien-Frames in einer Quartalsperspektive zeitlich synchron variieren; beide Zeitreihen korrelieren sehr stark (r = +0.70). Die Beziehung des Medien-Frames „Deutsche verteidigungspolitische De- batte“ zu den Frames „Bündnispolitik“ und „Bundeswehreinsätze“ ergibt ein besonders interessantes Ergebnis: Die Berichterstattung, die „Bundeswehreinsätze“ als Bezugs- rahmen anlegt, geht der Anwendung des Frames „Deutsche verteidigungspolitische De- batte“ um vier Quartale voraus (r = +0.43). Mit anderen Worten, etwa ein Jahr, nachdem über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr berichtet wurde, kommt es zu einem An- stieg in der Berichterstattung über verteidigungspolitische Debatten. Ergänzend zur Analyse auf Quartalsebene haben wir eine Analyse auf Basis von Wo- chen durchgeführt, um zeitlich eng zusammenhängende Abläufe präziser erfassen zu können. Dabei gibt es zwei zentrale Ergebnisse. Zum einen finden wir wiederum einen Zusammenhang zwischen dem Frame „Deutsche verteidigungspolitische Debatte“ und dem Frame „Deutsches verteidigungspolitisches Handeln“. Beide Frames korrelieren zeitgleich mit einem signifikanten Wert von r = .53. Allerdings gibt es auch eine gerin- ge, wenn auch statistisch bedeutsame zeitverzögerte Korrelation von r = .13 für den Fall, dass der Frame „Deutsche verteidigungspolitische Debatte“ dem Frame „Deutsches ver- teidigungspolitisches Handeln“ um eine Woche vorausgeht. Weiter fanden wir schwa- che (r zwischen .16 und .21), wenn auch signifikante Korrelationen für das zeitgleiche Auftreten des Frames „Bündnispolitik“ mit den drei anderen Medien-Frames. Also im- mer dann, wenn einer der verteidigungspolitischen Medien-Frames stärker in der Be- richterstattung auftritt, geht dies mit einem leichten Anstieg des Frames „Bündnispoli- tik“ einher. Fassen wir die Ergebnisse zu den Zeitreihen zusammen, dann ist dreierlei auffällig. 1. Die Berichterstattung über verteidigungspolitische Debatten folgt der Berichterstat- tung über Bundeswehreinsätze mit erheblichem zeitlichen Abstand. 2. Es besteht in der Berichterstattung der Zeitungen eine enge zeitliche Verzahnung zwischen verteidigungspolitischer Debatte und verteidigungspolitischem Handeln. 3. Immer wenn sich die Berichterstattung über einen Aspekt der Sicherheits- und Ver- teidigungspolitik verstärkt, findet auch die Bündnispolitik eine verstärkte mediale Aufmerksamkeit. Das Ergebnis, dass die Berichterstattung über Bundeswehreinsätze der Berichter- stattung über verteidigungspolitische Debatten vorausläuft, ist sicherlich am interessan- testen. Damit scheinen die Zeitungen keineswegs Debatten zu reflektieren, die den Aus- landseinsätzen vorausgehen und diese vorbereiten oder legitimieren. Vielmehr lösen die Einsätze mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung mediale Aufmerksamkeit für ver- teidigungspolitische Debatten aus. Hierzu bieten sich sowohl medienbezogene als auch politikbezogene Interpretationen an. Zum einen kann man aus politischer Sicht darauf verweisen, dass die deutschen Po- litiker hier eher durch die internationale Lage getrieben waren, dass auf ihnen ein Hand- lungsdruck lastete, der keinen Raum mehr für Debatten bot. In der Folge mussten dann aber die Handlungen ex post legitimiert werden, und es stellte sich immer wieder die Frage nach strukturellen Veränderungen in der Bundeswehr, um diese für die Einsätze

9 Zum Verfahren der Zeitreihenanalyse vgl. Scheufele (1999).

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tauglicher zu machen. Die Zeitungen reflektieren dann diese politischen Vorgänge in ih- rer Berichterstattung. Zum anderen bietet sich aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht die Interpreta- tion an, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr Schlüsselereignisse darstellen, durch welche die Thematik „Verteidigungspolitik“ einen höheren Nachrichtenwert erfährt. Die Zeitungen reflektieren in diesem Fall nicht bloß die politische Realität, sondern ge- wichten Ausschnitte davon entsprechend in ihrer Berichterstattung. Bis zum Ende der 1980er Jahre schien der verteidigungspolitische Spielraum begrenzt. Mit Ausnahme des NATO-Nachrüstungsbeschlusses gab es kaum verteidigungspolitische Themen. Mit den Auslandseinsätzen wurde deutlich, dass sich die verteidigungspolitische Situation nun wesentlich komplexer darstellt. Diese Argumente machen deutlich, dass sich beide Argumentationsweisen – die politik- und die medienbezogene – keineswegs ausschlie- ßen, sondern komplementär zueinander sind. Wie aber lässt sich die erhebliche zeitliche Verzögerung von vier Quartalen erklären? Die Medien schenken ganz offensichtlich nicht allen Phasen des Politikprozesses die gleiche Aufmerksamkeit. Der nach den Auslandseinsätzen der Bundeswehr einsetzende politische Diskurs über mögliche Reformen der Bundeswehr oder der Verteidigungs- doktrin dürfte zunächst auf der politischen ‚Hinterbühne‘ stattfinden, d. h. in Aus- schüssen, Gremien und unter Experten der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ge- führt werden – und damit außerhalb der Aufmerksamkeit der Massenmedien. Erst eine entsprechende Debatte im Bundestag zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die lan- ge durch Debatten auf der politischen ‚Hinterbühne‘ vorbereitet wird, rückt dann wie- der in den Blick der Medien. Anders gesagt: Erst im Vor- bzw. Umfeld von Entschei- dungen bzw. Abstimmungen werden politische Diskurse zum Medienthema. In unserem Untersuchungszeitraum bieten sich zwei Ereignisse in besonderer Weise dafür an, um zu verdeutlichen, wie lange oft der Zeitraum zwischen Auslöseereignissen und den relevanten Folgeereignissen sein kann: Das BVerfG-Urteil zu Auslandseinsät- zen von 1994 und die Veröffentlichung des Weißbuchs zur Bundeswehr von 1994. Am 12. Juli 1994 entschied der zweite Senat des BVerfG unter hoher medialer Anteilnahme, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr in Serbien und Montenegro, der Einsatz von Bundeswehrsoldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeugen zur Überwachung des Flug- verbots in Bosnien sowie der Somalia-Einsatz verfassungsgemäß seien (vgl. FAZ vom 13.7.2004). Damit wurde ein politischer Prozess abgeschlossen, der im Falle Rest-Ju- goslawiens schon zwei Jahre und im Falle Somalias schon ein Jahr vorher begonnen hat- te. Das am 15. März 1994 vorgelegte Weißbuch zur Bundeswehr wurde von den Medi- en interpretiert als der Versuch, die Bundeswehr für Auslandseinsätze umzubauen (vgl. etwa Süddeutsche Zeitung vom 16. März 1994). Die wohl wichtigste Neuerung war der geplante Aufbau von Krisenreaktionskräften. Dieses zentrale politische Ereignis, das ein hohes Maß an medialer Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, liegt damit mehr als ein halbes Jahr nach dem Somalia-Einsatz. Auf Basis der oben dargestellten Überlegungen lässt sich auch die enge zeitliche Ver- zahnung zwischen verteidigungspolitischer Debatte und verteidigungspolitischem Handeln in der Berichterstattung der Zeitungen erklären. Die Berichte über Diskussio- nen gehen hier den Artikeln über Handlungen nur sehr kurzfristig voraus. Das ent- spricht zwar in der zeitlichen Reihenfolge durchaus unseren Erwartungen, aber die dich- te zeitliche Abfolge überrascht doch. Möglicherweise haben politische Debatten nur dann einen Nachrichtenwert, wenn sie absehbar kurz vor Entscheidungen stattfinden. Dies würde bedeuten, dass genau der Umstand, der dazu führt, dass die politische De- batte so lange nach den Bundeswehreinsätzen stattfindet, auch ursächlich dafür ist, dass

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politisches Debattieren und politisches Handeln in der Medienberichterstattung so eng aneinander gerückt werden. In der medialen Darstellung wird der Politikprozess damit auf Entscheidungsphasen und dramatische Ereignisse verdichtet. Die lange Kette von weniger spektakulärer politischer Arbeit, die zwischen dem Anlass zum politischen Handeln und den politischen Entscheidungen liegt, wird womöglich ausgeblendet. Auf Basis unserer Daten lässt sich allerdings nicht klären, ob hier das politische Handeln maßgeblicher Anstoß für Zeitungsberichte war oder die Selektionsentscheidungen der Journalisten die entscheidendere Rolle spielten. Um dies zweifelsfrei zu klären, wäre eine umfangreiche Analyse der politischen Realität notwendig gewesen, die gerade an- gesichts des Untersuchungszeitraums den Rahmen unseres Projekts erheblich gesprengt hätte. Das dritte zentrale Ergebnis unserer Zeitreihenanalyse ist die konstante Bedeutung der Bündnispolitik. Dieser Medien-Frame steht mit jedem anderen Medien-Frame in ei- nem zeitgleichen Zusammenhang. Daran wird deutlich, dass die mediale Diskussion der Bündnispolitik die Grundlage der medialen Auseinandersetzung mit der deutschen Si- cherheitspolitik darstellt. Immer dann, wenn verteidigungspolitische Themen in der Zei- tungsberichterstattung bedeutsam werden, wird auch zu einem gewissen Maß die Bünd- nispolitik als Berichterstattungsgegenstand relevant. Dies korrespondiert mit den Er- gebnissen von Klaus, Goldbeck & Kassel (2002, S. 302), die in ihrer Analyse der Be- richterstattung zum Kosovo-Krieg feststellen, dass die Westbindung Deutschlands und dessen hervorgehobene Rolle in der NATO betont wird. Auch Grundmann, Smith & Wright (2000) zeigen, dass in deutschen Medien die Frage der Loyalität zum NATO- Bündnis eine ganz entscheidende Rolle spielt.

5.4 Zusammenfassung Unsere Ergebnisse haben deutlich gemacht, dass die Medien den politischen Wandel be- gleitet haben. Die dramatische Umorientierung in der deutschen Sicherheits- und Ver- teidigungspolitik spiegelt sich in einem verstärkten Interesse der Medien an diesem The- mengebiet wider. Die Berichterstattung über Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat ab dem Jahr 1993 spürbar an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 1993 erreicht die Debatte über Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den untersuchten Zeitungen einen Höhe- punkt. Der quantitative Umfang der Debatte wird damit auf ein Niveau gehoben, das später nur noch in geringem Maße unterschritten wird. Ausschlaggebend für die Debatte im Jahr 1993 ist offensichtlich der Somalia-Einsatz der Bundeswehr. Dieser macht die Fragen der Militärpolitik zu einem zentralen Bereich des Politischen in den untersuch- ten Zeitungen. Dieser Einsatz kann somit wohl als Schlüsselereignis angesehen werden, das der Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit si- chert. Im Gegensatz zu theoretischen Überlegungen anderer Autoren erhöht dieser Ein- satz nach unseren Befunden aber auch langfristig das Ausmaß an Berichterstattung über den Gegenstand. Dies lässt darauf schließen, dass der Somalia-Einsatz ein Symbol für ei- nen tief greifenden Wandel der deutschen Politik darstellt. Das Weißbuch des Verteidi- gungsministeriums und das Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1994 sind wichtige innen- politische Wegmarken für diese Neuorientierung in der Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik. Für den Bereich Sicherheits- und Verteidigungspolitik ließen sich vier Medien- Frames identifizieren: „Deutsches verteidigungspolitisches Handeln“, „Deutsche ver- teidigungspolitische Debatte“, „Bündnispolitik“ und „Bundeswehreinsätze“. Diese Frames haben im Zeitverlauf jeweils eine unterschiedliche Bedeutung. Dabei zeigt sich

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aber, dass sich die verschiedenen Frames nicht unabhängig voneinander entwickeln. Hier ergibt sich zum einen die Abfolge, dass eine „verteidigungspolitische Debatte“ dem „verteidigungspolitischen Handeln“ vorausgeht. Dies entspricht Modellen politischen Entscheidungsfindens und Handelns. Auffällig ist, dass „Bundeswehreinsätze“ mit ei- nem größeren zeitlichen Abstand von einem Jahr zu einer verstärkten Berichterstattung über „verteidigungspolitische Debatten“ führen. Hier wird deutlich, dass deutsche Si- cherheitspolitik in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts von einem gewissen Ak- tionismus getrieben war; die notwendigen Debatten wurden offenbar im Anschluss an Entscheidungen geführt. Allerdings lässt diese Erklärung offen, wieso der zeitliche Ab- stand so groß ist. Dies kann möglicherweise durch die Selektionskriterien der Medien erklärt werden. Durch die ihnen innewohnende Dramatik sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr mediale Selbstläufer. Der politische Diskurs aber, der sich an die Einsätze anschließt, wird zunächst vor allem von Experten in Ausschüssen und Arbeitskreisen geführt. Dort werden die politischen Entscheidungen vorbereitet. Dieser Expertendis- kurs ist zum einen sehr komplex und wenig eindeutig und eignet sich somit aus Sicht der Massenmedien nicht für die Berichterstattung. Außerdem versuchen wohl auch die po- litischen Akteure, nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf diese Prozesse zu lenken, da an- sonsten aus ihrer Sicht die politische Entscheidungsfindung erschwert werden kann. Das Thema wird für die Medien erst dann wieder relevant, wenn es zu einer parlamentari- schen Entscheidung kommen soll, und auch die Politik sieht dann den Zeitpunkt für parlamentarische Fensterreden gekommen. So wird also nur die Endphase der politi- schen Debatte in den Medien abgebildet. Dies bedeutet, dass die Medien einerseits den zeitlichen Zusammenhang zwischen Auslöse- und Folgeereignissen dehnen, ihn nahezu auflösen, dass sie andererseits den zeitlichen Zusammenhang eng verdichten, so dass die Phasen des politischen Prozesses kaum noch unterscheidbar sind. Im Umfeld besonders nachrichtenwertiger Ereignisse wird intensiv berichtet, die Zusammenhänge zwischen den Ereignissen verschwinden aber in der medialen Berichterstattung. Die Analyse muss noch mehrere Fragen offen lassen. Vor allem bleibt weiterhin un- klar, in welcher Weise das Mediensystem mit dem politischen System interagiert. Es muss gefragt werden, ob die gefundenen zeitlichen Zusammenhänge auf Aktionen aus dem Bereich der Politik zurückgehen und somit die politischen Prozesse widerspiegeln oder ob sie sich aus der Eigenlogik der Medien erklären lassen. Wenn Debatten erst nach Bundeswehreinsätzen geführt werden, dann kann dies daran liegen, dass Politik auf die Medienberichterstattung zu den Einsätzen reagiert, und es kann daran liegen, dass die- sen Debatten erst in Folge von dramatischen Ereignissen wie Bundeswehreinsätzen von den Medien ein Nachrichtenwert zugeschrieben wird. Hier bedarf es weiterer Analysen, die einen Rückschluss auch auf die Verhaltensmuster im politischen System erlauben. Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, in Zeitreihenanalysen politische Ereignisse als erklärende Variablen auf Umfang und Framing der Medienberichterstattung zu bezie- hen.

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Kriegsberichterstatter oder willfährige Propagandisten? Wie deutsche und amerikanische Printmedien die „Embedded Journalists“ im Irak-Krieg sahen

Wolfgang Donsbach / Olaf Jandura / Diana Müller

Während des letzten Irak-Kriegs haben Journalisten eine neue Möglichkeit erhalten, über den Krieg zu berichten. Als so genannte „Embedded Journalists“ (EJ) konnten sie die amerikanischen Truppen begleiten. Innerhalb und außerhalb des Journalismus dis- kutierte man, ob das Konzept des „Embedded Journalism“ überhaupt mit der journa- listischen Rolle und Funktion vereinbar sei. In der vorliegenden Studie untersuchen wir mit einer vergleichenden quantitativen Inhaltsanalyse, wie in deutschen und amerika- nischen Nachrichtenmedien die Tätigkeit der EJ vor dem Hintergrund des Aufgaben- verständnisses der Journalisten dargestellt und bewertet wurde. Die Arbeit der Embed- ded Journalists wurde dabei zum einen in den deutschen Medien viel stärker problema- tisiert und zum anderen negativer bewertet. EJ wurden hier stärker als Gefahr denn als Chance für eine unabhängige Berichterstattung dargestellt (59 % Dtl. vs. 35 % US- Medien), ihnen schrieb man überwiegend die Rolle des Propagandisten für das US-Mi- litär zu (55 % Dtl. vs. 29 % US-Medien), und die journalistische Legitimität der Em- bedded Journalists sah man in deutschen Medien eher als nicht vereinbar mit dem jour- nalistischen Rollenverständnis an (18 % Dtl. vs. 2 % US-Medien). Die Ergebnisse der vergleichenden Inhaltsanalyse interpretieren wir vor dem Hintergrund des Aufgaben- verständnisses und der unterschiedlichen ideologischen Grundpositionen der Journa- listen.

Keywords: Embedded Journalism, Kriegsberichterstattung, Irak-Krieg

„Die Embedded Journalists haben genau einen Zweck: Sie machen im Grunde die Ar- beit, die im zweiten Weltkrieg die Propaganda-Kompanien gemacht haben.“ Dieser Satz, von keinem geringeren als dem Altmeister der deutschen Kriegsberichterstattung, Peter Scholl-Latour, setzte von Beginn des Irak-Kriegs an den Ton. Die Redakteurin der Branchenzeitschrift „Message“, Antje Kraschinski, verstärkte diese Sichtweise: „Hat Mr. Nahost Recht behalten? Analysiert man die Berichterstattung der großen US-Sen- der, wurden die schlimmsten Befürchtungen zweifellos noch übertroffen“ (Kraschinski 2003: 30). Der deutsche Journalismus tat sich offensichtlich schwer mit diesem Konzept, von dem er selbst auch so gut wie keinen Gebrauch machte – nur wenige deutsche Me- dien folgten dem Beispiel von RTL und ließen eigene Journalisten einbetten (Krüger 2003: 410). Während des Irak-Kriegs 2003 hat das US-Militär mit dem Konzept des „Embedded Journalism“ eine innovative Form der Kriegsberichterstattung etabliert und damit Jour- nalisten eine neue Möglichkeit gegeben, über den Krieg zu berichten. Diese Art der Ko- operation zwischen Militär und Journalismus sah vor, dass Journalisten im Kriegsgebiet als Teil der Kampfeinheiten lebten, arbeiteten und sich bewegten. Die Embeddeds hat- ten die Möglichkeit, aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden modernen Technik ihre Bilder live zu senden oder ihre Texte unmittelbar unter dem Eindruck des Kampf- geschehens an ihre Heimatredaktionen zu übertragen.

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Donsbach/Jandura/Müller · „Embedded Journalists“

Die Idee des Embedded Journalism ist zwar nicht vollständig neu;1 aber das Ausmaß – über 600 Journalisten, davon die meisten Amerikaner – und die systematische, orga- nisierte Art und Weise waren bis dahin beispiellos (Pfau et al. 2004: 75). Das Embed- ding-Konzept löste das im Golfkrieg (1990) viel kritisierte „Pool-Prinzip“ ab und stell- te im Vergleich dazu einen Fortschritt an journalistischen Möglichkeiten der Berichter- stattung dar (vgl. Bussemer 2003: 25). Mit diesem neuen Konzept verband man u. a. die Hoffnung, dass es den Medien durch diese (zusätzliche) Perspektive möglich werde, ein vollständigeres Bild des Krieges herzustellen als in vergangenen Konflikten bzw. als es den „Unilaterals“ (= nicht-eingebettete Kriegsberichterstatter) oder „Pooled Reporters“ allein möglich wäre (Pfau et al. 2004: 75f.). Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht ist die Einbettung von Reportern in die kämpfende Truppe ein vielschichtiges Problem. Auf der journalistisch-handwerklichen Dimension geht es um die Frage des ungehinderten und ungeschönten Informationszu- gangs und damit um die journalistische Qualität der dem Bürger vermittelten Bilder und Texte. Auf der journalistisch-ethischen Dimension geht es um die Frage, ob sich die Repor- tage-Umstände der Embedded Journalists mit der grundlegenden Rolle von Journalisten in freien Gesellschaften, ihrer Unabhängigkeit und Verpflichtung zur Objektivität ver- tragen, oder ob die Journalisten stattdessen vielleicht in die Rolle von Propagandisten gedrängt werden bzw. sich drängen lassen. Dazu äußerte der Journalist Gerhard Krom- schröder seine Bedenken : „Die Presse, die vierte Gewalt, verkommt unter einer solchen staatlichen Kontrolle zur fünften Kolonne des Militärs. Oder: Jetzt können wir uns ver- abschieden von den hohen journalistischen Tugenden: Unabhängigkeit, Unbestechlich- keit, Objektivität. Wie man sich bettet, so lügt man“ (Kromschröder 2003). Miskin, Rayner und Lalic (2003: 20) sprechen von einer „inherent tension“ zwischen den Zielen des Militärs und denen der Medien bzw. Journalisten. Tatsächlich begibt sich ein in die Truppe eingebetteter Journalist in eine Abhängigkeit, die nicht nur darin be- steht, zum Ort der Kampfhandlungen befördert zu werden, sondern die Journalisten waren auf das Militär auch in Bezug auf Ernährung, Schutz und letztlich die Möglich- keit zur Übertragung ihrer Reportagen angewiesen. Diese Abhängigkeit habe bereits im Falklandkrieg von 1982 zu einer zu starken Identifikation der Journalisten mit den Sol- daten geführt (Morrison/Tumber 1988: 47). Das Phänomen des Embedded Journalism ist im Zuge des Militäreinsatzes im Irak auf die Tagesordnung der wissenschaftlichen und publizistischen Diskussion gekom- men und wurde vor allem unter dem Aspekt der journalistischen Qualität geführt. Dass auch die Medien bzw. die in ihnen tätigen Journalisten einen maßgeblichen Anteil an dieser Debatte hatten, hängt vermutlich auch mit der Ausweitung des Medienjournalis- mus zusammen, im Zuge dessen sich der Journalismus selbst thematisiert und dabei sei- ne Angebote, Strukturen und Beziehungen zur Gesellschaft reflektiert (Malik 2002: 111f. zum so genannten „Journalismus-Journalismus“; vgl. auch die Beiträge von C. Eil- ders und F. Esser et al. in diesem Heft). Die vorliegende Studie versucht, die Frage zu beantworten, wie das Konzept des Em- bedded Journalism als neue Form der Kriegsberichterstattung in der deutschen Presse publizistisch verarbeitet bzw. wie über Rolle und Arbeitsbedingungen der eingebette- ten Journalisten berichtet wurde. Von besonderem Interesse ist dabei, ob sich Unter- schiede zur amerikanischen Presse feststellen lassen.

1 Embedded Journalism wurde bereits u.a. im Spanisch-Amerikanischen Bürgerkrieg, im Ersten und Zweiten Weltkrieg, in Vietnam etc. praktiziert.

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Bislang liegen kaum fundierte Forschungsergebnisse in Form von systematischen, empirischen Analysen über den Embedded Journalism im Allgemeinen vor. Viele Beiträge stammen von Journalisten selbst und sind hauptsächlich in nicht-wissenschaft- lichen Publikationen, v. a. in so genannten Weblogs, zu finden. Untersuchungen zum speziellen Aspekt der Medienberichterstattung über Embedded Journalism sind den Autoren nicht bekannt. Unsere Analyse kann allerdings keine Antwort auf die – ebenfalls spannende – Fra- ge geben, „(…) ob und inwieweit es den Journalisten diesmal gelingt, sich dem Sog des institutionellen und militärischen Informationsmanagements besser zu entziehen, und eine den akzeptierten Qualitätskriterien angemessene Berichterstattung zu gewährlei- sten“ (Gleich 2003: 148). Von Interesse wäre in diesem Zusammenhang v. a. die Frage, ob sich die Berichterstattung aus dem Irak zwischen Embeddeds und Nicht-Embeddeds unterscheidet. Beispielsweise zeigen die Befunde der Studie von Pfau et al. (2004), dass im Irak eingebettete amerikanische Journalisten wohlwollender über das Militär berich- teten als ihre nicht eingebetteten Kollegen. Stattdessen untersuchen wir, wie deutsche und amerikanische Journalisten in ihrer Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg diese neue Form der Kriegsberichterstattung bewerten. Dies ist vor allem deshalb relevant, weil vermutlich auch die Medienkritik ein Instrument darstellt, um grundsätzliche politische Kritik zu kommunizieren.

1. Vergleichende Inhaltsanalyse Um die Frage zu beantworten, welches Bild deutsche und amerikanische Printmedien von den Embedded Journalists zeichneten, führten wir eine Inhaltsanalyse der Bericht- erstattung über Embedded Journalism im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg 2003 durch.2 Dazu untersuchten wir die Medienberichterstattung wichtiger deutscher und amerikanischer Nachrichtenmedien im Zeitraum vom 5. Februar bis 31. Juli 2003.3 In die Analyse haben wir die deutschen Medien FAZ, WELT, SZ, FR, taz, Spiegel und Fo- cus sowie die US-amerikanischen Medien New York Times, Washington Post, Los Angeles Times, USA-Today, Chicago Tribune, Boston Globe, Time, Newsweek und US News and World Report einbezogen.4 Es handelt sich um eine Vollerhebung aller Beiträge im o. g. Zeitraum (n=236), die in den Datenbanken GBI (deutsche Medien) bzw. Lexis Nexis (US-Medien) unter solchen Suchbegriffen gefunden wurden, die auf eine Befassung mit Embedded Journalism oder Kriegsberichterstattung der US-Medien schließen ließen5. Grundgesamtheit sind also nicht alle Berichte über den Irak-Krieg,

2 Das Codebuch ist auf Anfrage von den Autoren erhältlich. 3 Der Untersuchungszeitraum umfasst die Diskussion des Konzepts des Embedded Journalism sechs Wochen vor Beginn der Kampfhandlungen sowie die Nachberichterstattung nach Ende der Kampfhandlungen. Die Datenbankrecherche zeigte, dass nach dem 31. Juli keine nennens- werte Anzahl von Beiträgen unter den Suchbegriffen publiziert wurden. 4 Die Bild-Zeitung war ursprünglich für die Analyse vorgesehen. Jedoch ergab die Recherche, dass in der Bild-Zeitung im Untersuchungszeitraum keine einschlägigen Artikel publiziert wur- den. 5 Bei GBI „embedding“, „embedded journalism“, „embedded correspondent“, „embedded jour- nalist“, „eingebettete Journalisten”, „Irakkrieg“ und „Objektivität“, „Irakkrieg“ und „Einsei- tigkeit“, „Kriegsberichterstattung”, „Kriegsberichterstattung“ und „amerikanische Medien“; bei Lexis Nexis „embedding“, „embedded journalism“, „embedded correspondent“, „embed- ded journalist“, „Iraq War” and „bias“, „Iraq War” and „objectivity“, „Iraq War” and „over- reported“, „Iraq War” und „underreported“.

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Donsbach/Jandura/Müller · „Embedded Journalists“

sondern alle Berichte, in denen das Konzept des Embedded Journalism thematisiert wurde bzw. das Thema Kriegsberichterstattung in anderen Medien bewertet wurde. Die Analyseeinheiten der Untersuchung waren sowohl der gesamte Beitrag als auch spezifische Aussagen innerhalb eines Beitrags. Auf Beitragsebene erfassten wir neben dem Schwerpunkt eines Artikels (Arbeitsbedingungen vs. militärische Aktionen) drei Frames6 der Berichterstattung mit einer jeweils fünfstufigen Skala: Der erste Frame „Chancen vs. Gefahren des Embedded Journalism“ diente dazu herauszufinden, ob Em- bedded Journalism in einem Beitrag eher als Chance für eine neue Qualität der Kriegs- berichterstattung gesehen wird oder ob eher die Ansicht hervortritt, diese Form des Journalismus stelle eine Gefahr für eine unabhängige Kriegsberichterstattung dar. Mit dem zweiten Frame „Propagandist vs. Berichterstatter“ wurde erfasst, ob die Embed- deds eher als Kriegsberichterstatter oder als Propagandisten für das US-Militär gesehen werden. Mit dem dritten Frame, „Legitimität des Konzepts des Embedded Journalism“, sollte erhoben werden, ob in einem Artikel der Eindruck erweckt wird, dass die Arbeit der Embeddeds mit dem journalistischen Rollenverständnis eines unabhängigen, objek- tiven und fairen Journalismus vereinbar sei oder nicht. Auf der Ebene einzelner Aussagen codierten wir, zu welchen von vier inhaltlichen Dimensionen – Zensurproblem, Arbeitsbedingungen, Qualität der Berichterstattung, Militär-PR – ein Beitrag Statements enthielt. Es handelt sich dabei um Aussagen, die für die Arbeit von Journalisten im Allgemeinen und für Kriegsberichterstatter im Besonde- ren relevant sind. Bei der Zusammenstellung der ins Codebuch aufgenommenen Aus- sagen(-dimensionen) orientierten wir uns u. a. an Uli Gleichs Beitrag (2003) zu journa- listischer Qualität im Zusammenhang mit Kriegsberichterstattung (vgl. auch Richter 1999). Die im Codebuch aufgeführten Aussagen mussten sinngemäß vorkommen, wo- bei auch jeweils entgegengesetzte Aussagen erfasst wurden. Zudem sah das Codebuch vor, je Aussage Urheber und Richtung zu codieren. Pro Beitrag konnten maximal sie- ben Aussagen verschlüsselt werden. Insgesamt wurden 312 Aussagen in den 236 Beiträ- gen codiert. Schließlich wurden für eine Untermenge der Beiträge, in denen die Kriegberichter- stattung amerikanischer Medien thematisiert wurde (n=65 Beiträge), die Kategorien Einseitigkeit, Patriotismus und Vereinnahmung durch die Regierung auf jeweils fünf- stufigen Skalen verschlüsselt. Da es sich beim Untersuchungsmaterial um deutsche und englische Texte handelte, erfolgte die Codierung nach dem Prinzip des von Lauf und Pe- ter (2001) vorgeschlagenen mehrsprachigen Vorgehens, wobei das Codebuch in der Pro- jektsprache deutsch verfasst wurde. Die Codierung nahmen vier Studenten des Instituts für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden vor, die fließend die deutsche und englische Sprache beherrschten.7 Die Studie wurde finanziell unterstützt von der Stif- tung Demoskopie Allensbach.

2. Ergebnisse der Analyse: Deutsche Presse kritischer Im Folgenden präsentieren wir die zentralen Ergebnisse unserer Inhaltsanalyse deut- scher und amerikanischer Printmedien. Im Anschluss werden wir mögliche Ursachen für Gemeinsamkeiten und Unterschiede diskutieren.

6 Den Begriff „Frame“ gebrauchen wir für die Beschreibung der Perspektive, aus der über die EJ berichtet wurde. 7 Die Intercoder-Reliabilitätskoeffizienten lagen für die einzelnen Kategorien zwischen 0,67 und 0,91.

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Insgesamt publizierten die hier untersuchten Medien im Untersuchungszeitraum 236 Beiträge, die sich mit dem Thema Embedded Journalism beschäftigen.8 Davon entfallen 55 Prozent (n=126) auf die deutschen, und 45 Prozent (n=110) auf die amerikanischen Medien. Den größten Teil der Beiträge (71 %) publizierten die Medien während des Krieges, 6 Prozent der Artikel erschienen vor Kriegsbeginn am 1. März 2003, und fast ein Viertel der Beiträge (23 Prozent) nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen am 15. April 2003. Dabei ist der Anteil der Beiträge in amerikanischen Medien, die nach dem Krieg veröffentlicht wurden, höher als der in den deutschen Medien (USA 30 % vs. Dtl. 16 %): Die deutschen Blätter berichteten hingegen während der Kampfhandlungen stärker über das Embedded-Konzept (USA 66 % vs. Dtl. 71 %). Die Arbeitsbedingungen und das Selbstverständnis der Embedded Journalists wurde in den deutschen Zeitungen und Zeitschriften häufiger problematisiert als in den ameri- kanischen: In 84 Prozent der Beiträge deutscher Medien, in denen die Embedded Jour- nalists angesprochen wurden, waren ihre Arbeitsbedingungen und ihr Selbstverständnis ein Thema, in den amerikanischen waren dies 73 Prozent. Dabei war auch die Darstel- lung und Bewertung der Embeddeds in den deutschen Medien eher negativ: 59 Prozent der Beiträge sahen Embedded Journalism als Gefahr für eine unabhängige Kriegsbe- richterstattung und nur 26 Prozent als Chance. Die hier analysierten amerikanischen Printmedien beurteilten den Embedded Journalism positiver, wenngleich ebenfalls nicht unkritisch. Gefahr und Chance hielten sich die Waage und ein etwa gleich großer Rest vermittelte eine ambivalente Haltung (Grafik 1). Noch deutlicher stellen sich die Unterschiede zwischen deutschen und amerikani- schen Zeitungen dar, wenn man den Frame „Propagandist vs. Kriegsberichterstatter“ betrachtet. In gut der Hälfte der Beiträge der deutschen Blätter wurden die Embeddeds

Grafik 1: Deutsche Medien sehen Embedded Journalism stärker als Gefahr

100 Prozent deutsche Printmedien (n= 105) Lesebeispiel: In 59 Prozent der Beiträge in deut- amerikanische Printmedien (n= 84) schen Printmedien, in denen der Frame „Chance 80 vs. Gefahr“ vorkam, wurde EJ als Gefahr für eine neutrale Berichterstattung dargestellt.

59 60

40 36 35 26 29

20 15

0 Chance ambivalent Gefahr

Basis: Beiträge, in denen der Frame Chance vs. Gefahr vorkam.

8 In den einzelnen Medien wurden zwischen 6 (USA-Today) und 35 Beiträge (LA-Times) aufge- funden, die den Zugriffskriterien entsprachen.

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Donsbach/Jandura/Müller · „Embedded Journalists“

eher als verlängerter Arm der Propaganda des US-Militärs beschrieben. Diese Ansicht vertraten allerdings nur 29 Prozent der Beiträge in den amerikanischen Printmedien (Grafik 2). Dieser Befund korrespondiert mit den Ergebnissen der Aussagenanalyse: Die deutschen Beiträge sprachen mehr als doppelt so häufig das Thema Zensur an. Hier fan- den wir in 41 Prozent der Beiträge Aussagen zur Zensurproblematik, während der An- teil für die untersuchten amerikanischen Medien lediglich bei 23 Prozent lag.

Grafik 2: Embedded Journalists werden in deutschen Medien eher als Propagandisten dargestellt

100 Prozent deutsche Printmedien (n= 84) Lesebeispiel: In 55 Prozent der Beiträge in deut- amerikanische Printmedien (n= 50) schen Printmedien, in denen der Frame „Propagan- 80 disten vs. Kriegsberichterstatter“ vorkam, wurden die EJ als Propagandisten dargestellt.

60 55

43 40 32 28 29

20 13

0 Kriegsberichterstatter ambivalent Propagandist Basis: Beiträge, in denen der Frame Propagandist oder Kriegsberichterstatter codiert wurde.

Ein wesentlicher Aspekt in der Diskussion über Embedded Journalism war die Frage, ob es für die so nahe an den Truppen arbeitenden Embeddeds überhaupt möglich sei, objektiv zu berichten. Mit der Codierung des Legitimitäts-Frames erfassten wir, ob und wie die untersuchten Medien über diesen Aspekt berichteten. Diese Problematik wurde sowohl in deutschen (24 % aller deutschen Beiträge) als auch in amerikanischen Medien (in 23 % aller amerikanischen Beiträge) vergleichsweise selten thematisiert. In 18 Pro- zent der deutschen Beiträge und in 2 Prozent der amerikanischen Beiträge wurde die Le- gitimität des Embedded Journalism angezweifelt. Im Gegensatz dazu hielten 13 Prozent der amerikanischen Beiträge das Embedded-Konzept als vereinbar mit dem journalis- tischen Selbstbild eines objektiven und unabhängigen Journalismus, bei den deutschen Medien lediglich 5 Prozent. Diese Tendenz wird auch auf der Ebene einzelner Aussa- gen deutlich: In jedem vierten Beitrag (24 %) der deutschen Printmedien war die Aus- sage zu lesen, dass eine freie Berichterstattung für Embeddeds nicht möglich sei (USA: 8 %). Demgegenüber fanden sich in den amerikanischen Printmedien doppelt so häufig wie in den deutschen die Aussage, das Konzept des Embedded Journalism sei eine Be- reicherung für die Kriegsberichterstattung. Dass die Reportagen der Embedded Journa- lists „patriotisch und subjektiv“ seien, fanden wir in immerhin 15 Prozent der deutschen und in 6 Prozent der amerikanischen Beiträge (Grafik 3). Untersucht man das Vorkommen relevanter Aussagen auf den vier analysierten Aus-

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Grafik 3: Legitimität des Embedded Journalism wird in deutschen Medien stärker an- gezweifelt

Prozent

Eine freie Bericht- USA 6 8 erstattung über den Krieg ist für einen EJ nicht DTL möglich. 0 24

Arbeit der EJ ist eine Be- USA 8 19 reicherung für die Kriegsberichterstattung. DTL 5 9

Die Berichterstattung USA 0 6 durch die EJ ist patrio- widersprochen tisch und subjektiv. DTL in Aussagerichtung 0 15

30 25 20 15 10 5 0 5 10 15 20 25 30 Basis: n= 105 Beiträge in deutschen und n= 84 Beiträge in amerikanischen Printmedien

sagendimensionen, ergibt sich folgendes Bild: Die häufigsten Aussagen machte die Pres- se beider Länder zur Frage der Qualität der Reportagen, die von Embedded Journalists stammten (45 % bzw. 49 %). In den deutschen Printmedien folgte mit 41 Prozent, wie schon erwähnt, das Thema Zensur (USA: 23 %), für die amerikanischen als zweitwich- tigstes Thema mit einem Anteil von 38 Prozent die Arbeitsbedingungen der eingebet- teten Journalisten (deutsche: 27 %). Das bedeutet, dass die deutschen Zeitungen und Magazine die Qualität vor allem vor dem Hintergrund staatlich-militärischer Zensur be- trachteten, und die amerikanischen Medien vor dem Hintergrund der Arbeitsbedingun- gen – zwei durchaus unterschiedliche Perspektiven des Problems. In der Presseberichterstattung beider Länder spiegelt sich die kontroverse Diskus- sion über das Konzept des Embedded Journalism wider. Die hier präsentierten Befun- de zeigen deutlich, dass Embedded Journalism von deutschen Journalisten insgesamt kritischer betrachtet wird als in der amerikanischen Presse. Das Urteil von Peter Scholl- Latour, die Arbeit von Embeddeds diene vor allem der Propaganda, findet also durch- aus Unterstützung unter den Journalisten, und in der deutschen Presse weit mehr als in der amerikanischen. Welche Ursachen gibt es für diese kritischere Sicht? Zunächst muss man festhalten, dass wir hier den Vergleich mit der amerikanischen Medienberichterstattung durch- führen, die natürlich alles andere als eine unbeteiligte Quelle darstellt. Es kann auch nicht unser Ziel sein, die Frage zu klären, welche Darstellungen und Bewertungen der Wirklichkeit tatsächlich näher kamen – die in deutschen oder in amerikanischen Medien. Zwei Ankerpunkte für eine Interpretation bieten sich aber an: Man kann versuchen, die Aussagen in den Medien mit denen von Augenzeugen zu vergleichen, und man kann prüfen, ob es andere Einstellungen gibt, die eine besonders kritische Haltung der deut- schen Journalisten gegenüber den Embeddeds erwarten ließen und somit begründen könnten.

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3. Die Urteile von Augenzeugen Die wenigen deutschen Journalisten, die von der Möglichkeit des Embedded Journalism Gebrauch machten, z. B. Focus und Spiegel, sahen das Konzept des Embedded Jour- nalism scheinbar weniger problematisch als die Kollegen, die von zu Hause aus deren Arbeit kritisierten. Ein überaus positives Urteil war von Spiegel-Reporter Claus Chri- stian Malzahn zu lesen: „Meine Arbeit wurde weder kontrolliert noch zensiert. Es gab zwar diesen 50-Punkte-Leitfaden für Journalisten, aber erst nach drei Tagen ist jeman- dem eingefallen, dass ich den auch unterschreiben muss. (…) Ich durfte an den Pla- nungssitzungen teilnehmen und wusste vier Tage im voraus, was passieren würde. Ich wurde nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil, die haben sich gefreut, dass jemand das hören wollte“ (Kraschinski 2003: 31). Eine ähnliche Erfahrung schilderte N24/Sat.1-Reporter Guido Schmidtke an gleicher Stelle: „Keiner hat sich dafür interessiert, was ich abgesetzt habe. Das war denen völlig egal.“9 Der 50-Punkte-Leitfaden, den Malzahn erwähnt und den viele deutsche Journalisten ihren Lesern als Dokument der Zensur präsentierten, dürfte für einen verantwortungsvollen und erfahrenen Kriegsberichterstatter eine An- sammlung von Belanglosem und Selbstverständlichem gewesen sein: U. a. war darin zu lesen, dass neben dem selbstverständlichen Geheimhalten strategisch relevanter Infor- mationen wie Truppenstärken und -positionen bspw. Kameraleute bei Militäraktionen in der Nacht keine Scheinwerfer benutzen sollten und Bildreporter zum Schutz von An- gehörigen keine identifizierbaren Bilder von verwundeten oder gefallenen US-Soldaten verbreiten durften (Vgl. US Secretary of Defense 2003). Auch die maßgeblichen Fernseh-Chefredakteure in Deutschland beurteilten Vali- dität und Qualität der Reportagen von den Eingebetteten deutlich positiver als die me- dienkritische Presse. So schrieb ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, es komme sehr auf die „Professionalität und die ethische Einstellung des einzelnen Journalisten an, ob er als eingebetteter Journalist gut sein kann oder nicht“ (Kraschinski 2003: 32) und sein Kollege von der ARD, Hartmann von der Thann, sah deren Berichterstattung als eine „Bereicherung“ an (ebd.: 32). Eine umfassende, repräsentative Umfrage unter eingebetteten Journalisten existiert nach dem Wissen der Verfasser bislang nicht. Lediglich eine von Ganey (2004: 30–31) zitierte und von David Kryszons von der Universität Dortmund durchgeführte Befra- gung von eingebetteten Journalisten (n=54) ergab folgendes Resultat: Auf die Frage „How would you evaluate your experience as a journalist working with the press offi- cers and/or the contact person from your troop?“ antworteten 24 Journalisten (45 %), dass sie ihre Erfahrungen im Großen und Ganzen als positiv beurteilten, ebenfalls 24 (45 %) antworteten „positiv und negativ“; keiner antwortete hingegen „insgesamt ne- gativ“. Drei Viertel der von Kryszons befragten Embeddeds waren der Meinung, dass die Grundregeln aus dem 50-Punkte-Leitfaden nicht gegen die journalistische Ethik ver- stoßen würden. Während also der Tenor in der deutschen Presse insgesamt eher gegen den Embedd- ed Journalism spricht, bieten die Berichte der Augenzeugen sowie die Ergebnisse der erwähnten Befragung ein gemischtes Bild, wobei eine Tendenz zur positiven Bewertung des Konzepts erkennbar ist. Aus den Urteilen der Embeddeds selbst lässt sich nicht ein-

9 Die positiven Äußerungen der eingebetteten Journalisten sind allerdings mit Vorsicht zu ge- nießen, da Journalisten, die sich einbetten ließen, dem Konzept von vornherein positiver ge- genüberstanden.

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deutig die Schlussfolgerung ziehen, die kritische Haltung der deutschen Presse gegen- über dem Embedded-Konzept entspreche den Gegebenheiten im Irak.10 Wie sind also die Unterschiede in der Bewertung des Embedded Journalism zwischen der deutschen und der amerikanischen Presse zu erklären? Im Folgenden wollen wir – ohne dabei ei- nen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen – zwei Erklärungsansätze vorstel- len, die möglicherweise zu den Unterschieden beigetragen haben.

3.1 Ursache: Rollenverständnis Eine mögliche Ursache der Unterschiede in der Bewertung des Konzepts des Embed- ded Journalism liegt im unterschiedlichen Rollenverständnis deutscher und amerika- nischer Journalisten. Bei den amerikanischen Journalisten könnte man zunächst unter- stellen, dass sie sich besonders bereitwillig – etwa im Vergleich zu Journalisten anderer Länder – von ihrer Regierung vereinnahmen lassen. Dafür spricht jedoch weder die Ge- schichte, noch die Praxis, noch das berufliche Wertesystem amerikanischer Journalisten. Vermutlich sind in keinem anderen Land der Welt Journalisten so unabhängig und auch so (durch Berufskodices) angehalten und im eigenen Verhalten darauf bedacht, ihre Un- abhängigkeit gegenüber ihren Quellen zu bewahren und zu dokumentieren, wie in den USA. Auch gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass sich amerikanische Journalisten leich- ter für nationale Interessen instrumentalisieren ließen. In einer vergleichenden Umfrage unter Nachrichtenjournalisten in mehreren Ländern stellten wir u. a. die Frage, wie man zu der Aussage stehe, „Regierungsvertreter sollten das Recht haben, die Verbreitung von Nachrichten zu verhindern, von denen sie glauben, dass sie eine ernsthafte Bedrohung der nationalen Sicherheit darstellen.“ In Deutschland und in den USA gab es nur eine kleine Minderheit von jeweils 17 bzw. 16 Prozent, die dem im weitesten Sinne zustim- men konnten.11 Dagegen lassen sich aber mehrere empirische Indikatoren dafür finden, dass die skep- tische bis ablehnende Haltung deutscher Journalisten zum Konzept des Embedded Journalism zumindest teilweise mit ihren Grundhaltungen gegenüber der Recherche und ihrem allgemeinen Rollenverständnis zu tun hat. Im deutschen Journalismus hat die

10 Allerdings ist bei den Urteilen der Embeddeds bzw. von Redaktionen, die Embeddeds in den Irak geschickt haben, in Rechnung zu stellen, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Möglichkeit zur Berichterstattung wohlwollender beurteilten als Journalisten, die diesem Kon- zept generell kritisch gegenüber standen und sich deshalb von vornherein nicht einbetten ließen. Es ist auch möglich, dass das Pentagon bei der Auswahl der mitreisenden Journalisten be- stimmte Redaktionen bevorzugte bzw. benachteiligte. Dies könnte bei denjenigen, die keinen oder nur einen unattraktiven Platz zugedacht bekamen, zu gewissen Trotzreaktionen geführt haben, die sich dann in der Berichterstattung niederschlugen. Umgekehrt ist es möglich, dass die Journalisten, die sich für eine Einbettung entschieden, unter Rechtfertigungsdruck standen und deshalb ihre Situation (bewusst oder unbewusst) beschönigten. Daraus ist der Schluss zu zie- hen, dass es keine sicheren Belege dafür gibt, ob die Darstellungen der Augenzeugen glaub- würdig sind bzw. wie die Gegebenheiten wirklich waren – ob also die Embeddeds tatsächlich so viel Freiheit genossen, wie z. B. Schmidtke und Mahlzahn zu Protokoll gaben. Repräsenta- tive Umfragen unter Embeddeds zu diesem Thema stehen noch aus oder sind für die Unter- suchung folgender Kampfeinsätze, die sich diesem System der journalistischen Begleitung be- dienen, zu planen. 11 Projekt „Media and Democracy“ unter der Leitung von Thomas E. Patterson und Wolfgang Donsbach. In jedem Land wurden rund 300 repräsentativ ausgewählte Nachrichtenjournalisten tagesaktueller Medien schriftlich befragt; vgl. Patterson & Donsbach (1996).

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eigene Recherche nicht den gleichen Stellenwert und es wird auch immer noch nicht in gleichem Maße recherchiert wir im angelsächsischen. In der gleichen internationalen Studie fragten wir auch nach der Anzahl der Quellen, die man für seinen letzten Bericht verwendet hat. Amerikanische Journalisten benutzten das 1,3-fache an externen Quel- len als deutsche Journalisten, um an Informationen heran zu kommen. Umgekehrt ver- wendeten die deutschen doppelt so häufig das Material, das ihnen die Agenturen liefer- ten. Diese Unterschiede haben viele historische Wurzeln, die mit der Bedeutung von Fak- ten für die Berichterstattung, der Arbeitsteiligkeit des Berufs und dem Rollenverständ- nis zu tun haben.12 Für einen Journalismus, der seine Aufgabe stärker als der amerika- nische in der politischen Wirkung und in der Interpretation von Weltgeschehen sieht und der in einer Kultur entsteht, die grundsätzlich die Möglichkeit zur Objektivität eher verneint (Rothman 1979), kann die Recherche von Fakten nicht die gleiche Bedeutung haben wie in einem Journalismus, der die Reporterrolle überhaupt erst historisch ent- wickelte. Es läge also die Interpretation nahe, dass amerikanische Journalisten die Möglichkeit des Embedded-Konzepts als eine weitere Quelle im Rahmen von Kriegsberichterstat- tung betrachten, um in Verbindung mit der Berichterstattung der Unilaterals dem Pub- likum ein umfassenderes Bild des Krieges bieten zu können.

3.2 Ursache: Bild von amerikanischen Medien Die mit Abstand meisten Embeddeds waren amerikanische Reporter. Damit steht zu vermuten, dass die generell negative Haltung der deutschen Medien zur gesamten ameri- kanischen Kriegsberichterstattung mit einer negativen Einstellung gegenüber diesem Reporter-Typ einher geht. Dieser Effekt könnte durch die Tatsache verstärkt werden, dass durch die restriktive Vergabepraxis für Embedded-Positionen durch das US-Mili- tär insbesondere Journalisten aus Ländern, deren Regierungen zu den Kriegskritikern gehörten, benachteiligt wurden. Auf einer menschlichen Ebene ist es durchaus nach- vollziehbar, dass die auf diese Weise zu „Journalisten 2. Klasse“ Degradierten ihrerseits Antipathien gegen das ganze Prozedere entwickelten, was sich durchaus auf ihre Be- richterstattung niederschlagen könnte. Besonders kritische Töne waren im „Journalist“, dem Verbandsorgan des Deutschen Journalistenverbandes, zu lesen. Thomas Nehls schrieb über die US-Kriegsberichter- stattung: „Das verbale Bombardement ist in vollem Gange. Die Instrumentalisierung der amerikanischen Medien für einen Krieg gegen den Irak gelingt tagtäglich und kann zu jeder Zeit gehört, gesehen und gelesen werden. Die Sieger dieser Propaganda-Schlacht stehen auch schon fest. Es sind die beiden Fox-Fernsehkanäle und die Zeitungen des Me- dien-Moguls Rupert Murdoch (…). Derlei Simplifizierung geschieht nicht nur in kurz- atmigen Massenmedien und Boulevardblättern, sondern oft auch auf den Meinungssei- ten renommierter Zeitungen wie der NYT oder der WP (…) In den Polit-Talks domi- nieren Gäste aus der Bush-Administration (…), Experten der Konfliktforschung oder Historiker werden nicht um ihre Sicht der Dinge gebeten (…). Anders denkende Abge- ordnete (…) wählen inzwischen den Weg ins Pressekorps der Vereinten Nationen, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen“ (Nehls 2003: 13). Und Michael Streck von der taz

12 Zur Entwicklung der Reporterrolle vgl. Schudson (1978); zum Rollenverständnis Requate (1995) sowie Donsbach (1993).

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meinte, „…wer in den USA kritische Stimmen hören will, muss online gehen“ (Die Ta- geszeitung, 19.02.03). Auch hier bestätigt unsere Inhaltsanalyse, dass dies keine Einzelsicht darstellte, son- dern den Tenor der deutschen Presseberichterstattung wiedergab. Mehr als jeder zwei- te Beitrag, der sich mit der Berichterstattung in amerikanischen Medien auseinander- setzte, stellte die Berichterstattung der US-Medien als zu einseitig dar, die Hälfte als zu patriotisch und immer noch 43 Prozent als von der US-Regierung vereinnahmt. Auf al- len drei Dimensionen waren die amerikanischen Medien selbst zurückhaltender in ihrem Urteil, aber teilweise selbstkritisch. Immerhin hinterließ auch dort rund ein Drit- tel der Beiträge den Eindruck, die US-Medien berichteten zu einseitig und patriotisch (Grafik 4).

Grafik 4: Deutsche Medien betrachten amerikanische Berichterstattung kritischer

70 Prozent deutsche Printmedien (n= 35) 60 57 amerikanische Printmedien (n= 30)

50 50 43 40 39 32 30

20

10 3 0 durch Regierung einseitig zu patriotisch vereinnahmt Basis: Beiträge, in denen amerikanische Berichterstattung thematisiert wurde.

Hierzu liegen aus einer Inhaltsanalyse des Center for Media and Public Affairs (CMPA) inzwischen Daten vor. Die Inhaltsanalyse von über 1.100 Beiträgen in den Nachrich- tensendungen von ABC, CBS, NBC und Fox von Anfang bis Ende des Krieges ergab ein differenziertes Bild: „The war you saw depended on the network you watched“ (Robert Lichter, www.cmpa.org). Bei CBS (und nicht bei Fox) gab es mit 74 Prozent be- fürwortenden Kommentaren und Stellungnahmen die meiste Unterstützung für den Krieg, bei ABC mit 24 Prozent die geringste. Insgesamt war die Darstellung des Kriegs- eintritts der USA mit 50 zu 50 völlig ausgewogen. Das deckt sich mit dem Eindruck des USA-Korrespondenten Markus Günther: „Tatsache ist, dass die Zeitungen auch den schärfsten Kritikern der Regierung breiten Raum geben“ (Günther 2003: 21). Es scheint also durchaus plausibel, dass die negative Berichterstattung über Embedd- ed Journalists mit der generell negativen Haltung der deutschen Presse gegenüber der amerikanischen Irak-Berichterstattung einhergeht.

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3.3 Ursache: politische Ausrichtung Weil die Darstellung der Embedded Journalists mit der Darstellung der amerikanischen Kriegsberichterstattung insgesamt korreliert, ist es nahe liegend, dass es auch einen Zu- sammenhang mit den allgemeinen politischen Einstellungen der Journalisten gibt. Da Journalisten relativ viele Gemeinsamkeiten in ihren Einstellungen aufweisen, könnten sich diese auf den Gesamttenor der Berichterstattung über die Embeddeds wie auch über die amerikanische Kriegsberichterstattung ausgewirkt haben. Journalisten stufen sich im Durchschnitt als weiter links stehend als die Bevölkerung ein (vgl. Ehmig 2000) und vor allem Jüngere sind generell gegen militärische Aktionen eingestellt. So vertraten 1989 in einer Umfrage 61 Prozent der jüngeren Generation im Journalismus die Ansicht, die De- mokratie sei als Staatsform auch ohne starke Verteidigung sicher (vgl. ebd.). Es gilt als gemeinhin anerkannt, dass einerseits die subjektive Ansicht von Redak- teuren einen Einfluss auf die Nachrichtenauswahl hat und andererseits dieser Einfluss bei deutschen Journalisten größer als in anderen Ländern ist. Nach einem Unter- suchungsmodell von Patterson und Donsbach (1996; vgl. auch Kepplinger 1989) trafen die befragten Redakteure in Deutschland rund jede zweite Nachrichtenentscheidung im Einklang mit ihrer eigenen Überzeugung. In Großbritannien, den USA, Schweden und Italien war es nur jeweils rund ein Drittel. Wir haben zwar keine Erkenntnisse darüber, welche Journalisten mit welchen Ein- stellungen für welche Berichterstattung und Kommentierung des Embedded-Konzepts verantwortlich waren. Aber wir können die untersuchten deutschen Medien danach ein- teilen, wo sie aufgrund ihrer sonstigen Berichterstattung auf dem politischen Spektrum zu verorten sind. Dazu liegen inzwischen viele Inhaltsanalysen mit relativ konsistenten Ergebnissen vor.13 Entsprechend unserer Vermutung zeigt sich in der Tat ein ganz en- ger Zusammenhang zwischen der generellen redaktionellen Tendenz und der Behand- lung des Embedded-Konzepts im jeweiligen Medium. In den Grafiken 5 und 6 haben wir diesen Zusammenhang für die Darstellung der Embeddeds als Chance oder Gefahr sowie hinsichtlich der legitimen Vereinbarkeit mit der journalistischen Berufsrolle dar- gestellt. Medien, die eher dem linken Spektrum zuzuordnen sind – die Frankfurter Rundschau, die Süddeutsche, die Tageszeitung und der Spiegel – stellten die Embeddeds deutlich negativer als der Durchschnitt der untersuchten Medien dar. In der FR fand sich im gesamten Zeitraum kein einziger Beitrag, der im Embedded-Konzept eine Chance für Reporter sah. Lediglich die Welt und die FAZ, vor allem aber der Focus stellten über- durchschnittlich häufig auch die positiven Seiten heraus. Letztgenannter war dabei in seinem Urteil besonders positiv, allerdings handelt es sich dabei um nur wenige Beiträge (Grafik 5). Bei der Behandlung der Frage, ob das Modell des Embedded Journalism überhaupt mit der Rolle von Journalisten in freien Ländern vereinbar sei, zeigen sich ähnlich star- ke Zusammenhänge, wenngleich sich hier die Reihenfolge der Medien leicht verändert. Hier ist es die Süddeutsche, die dieses Thema am kritischsten behandelt (Saldo von –37 %-Punkte), gefolgt von FR (–20 %-Punkte) und taz (–20 %-Punkte). Wiederum nimmt der Focus eine Sonderstellung ein mit einem positiven Saldo von 29 Prozent- punkten. Was eine deutsche Tageszeitung oder Wochenzeitschrift ihren Lesern zum Thema der Embedded Journalism präsentierte, war also ganz offensichtlich auch eine

13 Vgl. u. a. Kepplinger (1985: 28). Vor allem die redaktionelle Tendenz der überregionalen Ta- geszeitungen ist weitgehend stabil.

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Grafik 5:Medien des linken Spektrums sehen stärker Gefahren des Embedded Journa- lism

Prozentpunkte 100

Chance 50 67 Saldo aus Chance und Gefahr

0 0 - 11 - 33 - 33 - 75 - 71

– 50 -100 Gefahr

– 100 FR (n=9) taz (n=16) Deutsche FAZ (n=10) Medien gesamt (n=105) SZ (n=29) Spiegel (n=17) Welt (n=8) Focus (n=6)

Frage der politischen Tendenz und nicht nur der journalistischen Wertvorstellungen. Abschließend verglichen wir die Berichterstattung in den einzelnen deutschen Medi- en mit der in den ausgewählten amerikanischen Printmedien. Dafür fassten wir die Co- dierungen der drei Frames zu einem Index zusammen, der die publizistische Zustim- mung zum Konzept des Embedded Journalism misst. Der Maximalwert von 1 bedeutet, dass ausschließlich positive Aussagen, der Wert –1 ausschließlich negative Aussagen zum Konzept des Embedded Journalism publiziert wurden. Grafik 6 zeigt, dass die Bandbreite bei den deutschen Zeitungen und Zeitschriften mit 1,6 Skalenpunkten (–0,8 bei der taz bis 1,6 bei Focus) doppelt so groß ist wie bei den amerikanischen mit 0,7 Ska- lenpunkten (–0,3 bei USA-Today bis 0,4 bei Chicago Tribune). Dieser Befund korres- pondiert insofern mit den Ergebnissen der bereits zitierten internationalen Journalis- tenbefragung, die ebenfalls ergab, dass die Bandbreite des politischen Spektrums in der amerikanischen Presse geringer ausfällt. (Donsbach 1993: 305 ff.) Dass die Unterschie- de in der Berichterstattung der amerikanischen Zeitungen weniger eindeutig mit dem Links-Rechts-Spektrum korrespondieren, ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass vor allem bei der überregionalen amerikanischen Tagespresse die redaktionellen Linien generell geringer ausgeprägt sind und sich demzufolge weniger auf die Behandlung von spezifischen Themen auswirken.

4. Mögliche Folgen Mit der vorgestellten Analyse konnten wir zeigen, dass die deutschen Medien überwie- gend negativ über das Modell des Embedded Journalism berichteten. Auf allen Dimen- sionen waren die Urteile in der deutschen Presse kritischer als in der amerikanischen: Über die Hälfte der deutschen, aber nur ein Drittel der amerikanischen Beiträge sieht im Embedded Journalism eine Gefahr für eine objektive Berichterstattung. Während die deutschen Medien die Embeddeds als Propagandisten für das US-Militär betrachteten, wurden sie in der amerikanischen Presse eher als Kriegsberichterstatter gesehen. Deut-

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Grafik 6:Spektrum der Berichterstattung zum Konzept des Embedded Journalism

1

pro 0,6 Embedded 0,4 Journalism 0,3 0,1 0,1 0 0 – 0,1 – 0,1 contra – 0,3 – 0,3 – 0,3 – 0,3 Embedded – 0,5 Journalism – 0,6

– 0,8 – 1

taz (n=20)SZ (n=23)FR (n=9) FAZ (n=23)Welt (n=20) Focus (n=9) Spiegel (n= 23) USA-Today (n=9) Newsweek (n=14) Boston Globe (n=12) Washington Post (n=9) Chicago Tribune (n=9) New York Times (n=18) Los Angeles Times (n=31)

US News and World Report (n=6)

sche Medien sind stärker als die amerikanischen der Meinung, dass das Konzept nicht mit dem journalistischen Rollenverständnis zu vereinbaren sei. Ferner zeigen die Be- funde, dass in den deutschen Printmedien die Kriegsberichterstattung der amerikanischen Medien als einseitig, patriotisch und von der Regierung vereinnahmt dargestellt wurde. Als mögliche Ursachen für diese Unterschiede haben wir in diesem Beitrag drei Aspekte diskutiert: das journalistische Rollenverständnis, die politische Ausrichtung der Medien und das Bild der amerikanischen Medien in der deutschen Presseberichterstat- tung. Dabei handelt es sich lediglich um eine Auswahl möglicher Ursachen, die keines- falls einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Vor allem die unterschiedliche Betrof- fenheit deutscher und amerikanischer Journalisten durch den militärischen Konflikt selbst kommt hierbei ins Spiel. Wir haben jedoch keine Anhaltspunkte dafür, wie sich dieser unterschiedliche gesamtkulturelle Aspekt auf die Berichterstattung auswirkte. Unsere Analyse ist ein kleiner Baustein im Bild der Kriegsberichterstattung über den Irak-Krieg und mit einigen Einschränkungen verbunden. Zum einen konnten wir in un- serer Analyse lediglich die Berichterstattung in den Printmedien berücksichtigen. Fer- ner haben wir in unserer Studie nur deutsche und US-amerikanische Printmedien un- tersucht. Dies schränkt die Aussagekraft der Ergebnisse ein, da die journalistische Tra- dition (deutsch vs. amerikanisch) und die Zustimmung zum Krieg miteinander einher- gehen. Als mögliche Erweiterung könnte man zusätzlich die Berichterstattung eines Landes wie Spanien, Italien oder Polen heranziehen, die nicht von der angelsächsischen Journalismus-Tradition geprägt sind, aber deren Regierungen den Krieg befürworteten. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Berichterstattung ohne Folgen auf die Wahr- nehmung der Bürger blieb. Man kann vermuten, dass die Vorstellungen von der Glaub- würdigkeit der Berichterstattung, die Vorstellungen von der Qualität der amerika- nischen Medien und schließlich auch die Einstellungen zum Konflikt selbst und seinen

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beteiligten Akteuren beeinflusst wurde. Bei den deutschen Lesern wurde vermutlich nachhaltig der Eindruck erweckt, bei dem vom amerikanischen Fernsehen und ameri- kanischen Fotografen gelieferten Bildmaterial handele es sich ganz überwiegend um Propagandamaterial willfähriger Reporter, die sich vom Militär vereinnahmen lassen. Von den amerikanischen Medien entstand vermutlich der Eindruck, sie seien regie- rungsabhängig und letztlich unfrei. Mit diesem Eindruck wurde möglicherweise auch das gesamte politische System der USA delegitimiert, weil es als eines erscheinen musste, in dem all dies möglich ist. Die- ser Eindruck vom politischen System der USA blieb dann sicher auch nicht ohne Ein- fluss auf die Wahrnehmung der Legitimität der USA als Akteur in dem Konflikt selbst. Alastair Campbell, als Kommunikationsberater Blairs selbst ein Akteur und daher kei- ne neutrale Quelle, beschrieb diesen Zusammenhang für die Berichterstattung der bri- tischen BBC: „Den Zuschauern und Zuhörern der BBC wurde mitunter ein Gefühl der moralischen Gleichstellung vermittelt zwischen den demokratisch gewählten Regierun- gen, die auf der einen Seite beteiligt waren, und dem irakischen Regime auf der anderen Seite“ (FAZ vom 21.08.03, S. 33). Die Analysen des Medientenor haben gezeigt, dass dies tendenziell auch für die Berichterstattung der wichtigsten deutschen Nachrichtenme- dien über den Irak-Krieg galt (Rettich 2003). Die hier präsentierten Ergebnisse zu einem aus journalistischer Sicht besonders interessanten Aspekt der Kriegsberichterstattung bestätigen dieses Urteil.

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Metaberichterstattung im Krieg

Wie Tageszeitungen die Rolle der Nachrichtenmedien und der Militär-PR in den Irak- konflikten 1991 und 2003 framen

Frank Esser / Christine Schwabe / Jürgen Wilke

Metaberichterstattung wird als schlüssige Reaktion eines professionellen Journalismus auf die veränderten Berichterstattungsbedingungen in modernen Kriegen verstanden. Sie wird als Berichterstattung über medialisierte Ereignisse definiert, bei der die Rolle des Nachrichtenjournalismus (inklusive der Medienakteure, Medienpraktiken, Mediennor- men, Medienprodukte, Medienorganisationen) oder der PR/Publicity (inklusive der Ak- teure, Praktiken, Strategien, Produkte und Organisationen der politisch-militärischen Informationspolitik) innerhalb politischer Prozesse und Konflikte (media politics, media wars) mittels verschiedener Frames thematisiert werden. Diese Medien- und PR-Frames werden als „Vermittlung“, „Strategie“, „Verantwortlichkeit“ und „Personalisierung“ bezeichnet. Eine Inhaltsanalyse der Irakkriegsberichterstattung von FAZ, SZ, FR, Welt und taz zeigt, dass – parallel mit der zunehmenden Medialisierung der Kriege – die Me- taberichterstattung zwischen 1991 und 2003 deutlich angestiegen ist und sich die Medi- en zunehmend in aktiven, und weniger in passiven, Rollen in das Geschehen hinein- schreiben. Konsequenzen für die Journalismus- und politische Kommunikationsfor- schung werden aufgezeigt.

Keywords: Metaberichterstattung, Medienkritik, Irakkrieg, Kriegsberichterstattung, Frames

1. Kriege als medialisierte Ereignisse: Die Irakkonflikte von 1991 und 2003 Kriege gelten, ähnlich wie Wahlkämpfe, als Prototyp für „medialisierte Ereignisse“. In Anlehnung an Sarcinelli (1998: 678 f.) und Schulz (2003: 464 f.) kann Medialisierung vier Bedeutungen annehmen: (1) die zunehmende Wahrnehmung von Politik und Kriegen im Wege medienvermittelter Erfahrung; (2) die zunehmende Prägung der Politik- und Kriegsberichterstattung nach Maßgabe einer Medienlogik, d. h. nach medienspezifi- schen Selektionsregeln und Darstellungsformaten; (3) die zunehmende Ausrichtung po- litischer und militärischer Akteure an den Erfordernissen und Gesetzmäßigkeiten des Mediensystems sowie Versuche, die Medien für eigene Zwecke zu instrumentalisieren; (4) die zunehmende Verschmelzung von Medienwirklichkeit und sozialer Realität, in- dem Medienberichte PR-Aktionen zur Folge haben, diese PR-Inszenierungen wieder- um Medienberichte hervorrufen und diese Melange Auswirkungen auf die Realitäts- vorstellungen und Entscheidungen von Rezipienten haben. Alle vier Medialisierungsdimensionen lassen sich an Kriegen der jüngeren Vergan- genheit gut nachweisen. Die Mediennutzung steigt jeweils steil an (Wilke 1995) und die Kriegsberichterstattung dominiert aufgrund ihres hohen Nachrichtenwertes die Sende- zeiten und Zeitungsseiten (Gleich 2003). Aufgrund ihrer politischen Unabhängigkeit und funktionalen Autonomie folgt die Berichterstattung westlicher Medien einer eigen- ständigen Nachrichtenlogik (Jarren & Donges 2002; Löffelholz 2004; Schulz 2003). Al- lerdings ist diese Eigenständigkeit in Kriegen stärker eingeschränkt als etwa in Wahl- kämpfen, weil die Medien stärker abhängig von den Wirklichkeitskonstruktionen der kriegsführenden Mächte sind. Aufgrund der Bemühungen, die Medien für die eigenen

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Zwecke zu instrumentalisieren, sehen sich Kriegsreporter vielfältigen Maßnahmen der Informationssteuerung und Nachrichtenlenkung ausgesetzt. Dafür war im ersten Irak- krieg (17. Januar bis 28. Februar 1991) u. a. das vom Pentagon eingesetzte Public Rela- tions-Team unter der Leitung von Pete Williams zuständig, das in Hintergrundge- sprächen mit Journalisten danach trachtete, kritische Pressestimmen zu minimieren (MacArthur 1993). Daneben wirkte die Werbeagentur Hill & Knowlton mit gezielter Medienmanipulation daran mit, in der amerikanischen Öffentlichkeit Kuwait das Ima- ge eines demokratischen Staates zu verschaffen und den Irak als Schurkenstaat zu dä- monisieren (Kunczik 2002). Von besonderer Bedeutung war schließlich das so genann- te Pool-System, bei dem das Militär die Kontrolle über die zugelassenen Medienvertre- ter, die Berichterstattungsorte sowie den Informationsfluss behielt (Carruthers 2000; Kellner 1992; MacArthur 1993). Mit derartigen Publicity-Maßnahmen reagierten politische und militärische Eliten auch im zweiten Irakkrieg (20. März bis 1. Mai 2003) auf den beträchtlichen Einfluss, der den Medien für den Verlauf und die öffentliche Akzeptanz von Kriegen zugeschrie- ben wird (Löffelholz 1995; 2004). In den mittlerweile bekannt gewordenen Medienstra- tegie-Papieren war das Ziel der Streitkräfte, als vertrauenswürdige Quelle in Erschei- nung zu treten, um die Wahrnehmung der Ereignisse zu beeinflussen und die öffentli- che Debatte zu steuern, eindeutig festgelegt (Bussemer 2003; Rid 2003). Ein weiteres In- strument der militärischen Nachrichtenpolitik bestand 2003 in der Weiterentwicklung des Poolsystems zum System der „embedded journalists“.1 Reporter wurden nun direkt bei den Truppen stationiert, um bei ihnen ein Verbundenheits- und Verantwortungsge- fühl gegenüber den Soldaten zu befördern (Bussemer 2003; Mahlzahn 2003; Roether 2003). Wie im Irakkrieg 1991 gab es auch diesmal detaillierte Regelungen, über welche Aspekte der Kriegführung die Journalisten berichten durften und über welche nicht (vgl. Mahlzahn 2003). Allerdings profitierten die Medien auch von der US-Informationspo- litik. So konnten auch deutsche Sender ihre Reporter auf US-Flugzeugträger entsenden, was eine Pseudonähe und (häufig nichts sagende) 24-Stunden-Berichterstattung ermög- lichte. Während beide Konflikte als „Medienkriege“ (Löffelholz 2004) galten, bot der Irak- krieg 2003 nochmals eine Steigerung der Medialisierung. Dies zeigte sich u. a. an der Re- kordzahl der Berichterstatter: Über 100 Journalisten berichteten während der Invasion aus dem berühmten Palestine Hotel mitten in Bagdad (wo 1991 ein einsamer Peter Ar- nett saß), dazu kamen weitere 500 embedded correspondents bei den US-Truppen, 900 Korrespondenten in den Kurdengebieten des Nordens und mehrere tausend Kollegen in Kuwait, Katar und Jordanien. Neu war auch die Konkurrenz der Nachrichtensender Al-Dschasira, Al-Arabia, Abu Dhabi-TV, die die Welt mit Alternativbildern zum west- lichen Leitmedium CNN versorgten.2 Damit stand eine größere Informations-, Bilder- und Perspektivenvielfalt zur Verfügung. Als Folge des Medialisierungsgrades war be- reits beim Irakkrieg 1991 eine wachsende journalistische Selbstbeobachtung auffällig (Löffelholz 1995). Journalisten berichteten über ihre eigene Arbeit, sie neigten aber auch aus Informationsarmut dazu, sich gegenseitig zu interviewen und zitieren. Gödde (1992: 274) sprach in diesem Zusammenhang kritisch von einer „Zirkularität der Quellen“, „gegenseitiger Abhängigkeit“ und „Aufeinander-Bezogen-Sein“. Diese Selbstbezüg- lichkeit stieg 2003 an. Auch diesmal neigten Journalisten in nachrichtenarmen Phasen

1 Siehe hierzu auch den Beitrag von Donsbach/Jandura/Müller in diesem Heft. 2 Siehe hierzu auch den Beitrag von Oliver Hahn in diesem Heft.

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dazu, sich – etwa im Medienzentrum Katar – aneinander zu orientieren und übereinan- der zu berichten, um damit eingeplante Sendezeit zu füllen. Aber es gab auch ein er- kennbares Bemühen, aus den Berichterstattungsmängeln von 1991 zu lernen, als es der US-Informationspolitik recht gut gelungen war, ihre Sicht des Krieges in die Medien zu lancieren. Um eine erneute Naivität im Umgang mit Informationsquellen zu vermeiden, machten die Medien ihre Berichterstattungsbedingungen selbst zum Thema.3 Mit eige- nen Sendeformaten überprüften und analysierten beispielsweise einige US-Sender die Informationsleistung über den Krieg (vgl. Fleischhauer 2003). Hier sieht Löffelholz (2003) das eigentlich Neue des zweiten Irakkriegs: „Wie in keinem Konflikt zuvor ha- ben sich die Medien selbst zum Thema gemacht. Die Informationspolitik der Militärs, die Arbeitsbedingungen der Korrespondenten, die Chancen und Risiken des embedded journalism, der ökonomische Wettbewerb zwischen Fernsehsendern, die Konsequen- zen der Bilddramaturgie – diese und viele weitere Geschichten über die Medien und ihre (fehlenden) Möglichkeiten fanden den Weg zum Publikum“ (Löffelholz 2003: 13).

2. Das Konzept der Metaberichterstattung Das Konzept der „Metaberichterstattung“ wendet sich der empirischen Erforschung der Frage zu, ob die strukturelle Medialisierung der Ereignisumwelt zu einer diskursiven Medialisierung der journalistischen Berichterstattung führt (Esser 2003; 2004; Esser & D’Angelo 2003a). Konkret beschreibt Metaberichterstattung den Trend, dass Nach- richtenmedien sich selbst – oder auf sie gerichtete PR – zum Gegenstand ihrer Bericht- erstattung machen. Als Beispiele können die Studien von Cleve et al. (2002) über den Kosovokonflikt 1999 sowie von Zelizer (1992) über den Irakkrieg 1991 dienen, die je- weils die intensive Medienselbstthematisierung auf den medialisierten Charakter der Kriege zurückführten. Beiden Studien fehlte jedoch eine theoretische Einordnung und eine systematisch-standardisierte Inhaltsanalyse der Berichterstattung. Die unklare Konzeptionalisierung zeigt sich auch in der Literatur zur politischen Kommunikation, wo Selbstthematisierungen mit ganz unterschiedlichen Bezeichnun- gen wie self-referential/process news (Kerbel 1998), coverage of coverage (Gitlin 1991) oder stories about the media (Johnson et al. 1996) diskutiert wurden. Aufbauend auf die- sen Arbeiten entwickelten Esser & D’Angelo (2003a) für den Bereich der Wahlkampf- kommunikation das Konzept der „metacoverage“ bzw. „Metaberichterstattung“, das aus drei Kernelementen besteht: Definition, Bottum Up-Framingansatz und Thema/ Frame-Verknüpfungen (vgl. auch D’Angelo & Esser 2003; Esser 2003). Hinsichtlich des ersten Kernelements lässt sich Metaberichterstattung – bei Übertra- gung auf den Kriegskontext – definieren als Berichterstattung über medialisierte poli- tisch-militärische Kommunikation, die explizit die Rolle des Nachrichtenjournalismus (inklusive der Medienakteure, Medienpraktiken, Mediennormen, Medienprodukte, Me- dienorganisationen) oder der PR/Publicity (inklusive der Akteure, Praktiken, Strategi- en, Produkte und Organisationen der politisch-militärischen Informationspolitik) the- matisiert. Metaberichterstattung umfasst also nicht nur die Selbstbeobachtung von Me- dien, sondern auch die Fremdbeobachtung von PR. Dabei erfolgt die Thematisierung von Medien/Journalismus oder PR/Informationspolitik nicht einheitlich, sondern mit verschiedenen Frames. Gemäß dem zweiten Kernelement des Konzepts werden diese

3 Siehe hierzu auch den Beitrag von Christiane Eilders in diesem Heft.

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Frames mit dem von Gamson (1989) geforderten Bottom Up-Verfahren aus den Texten empirisch hergeleitet, indem die Framebestandteile von kleinsten über mittlere zu größeren Einheiten quantitativ erhoben werden (d. h. von Aussagen/Proposition über Argumentationen/Skripts zu Themenrahmungen/Frames; vgl. Methodenschilderung unten) und im Lichte theoretischer Konstrukte verdichtend rekonstruiert werden (zur Verortung dieses Ansatzes in der Framingliteratur siehe D’Angelo 2002: 880–882; zum konkreten Vorgehen siehe Esser & D’Angelo 2003a: 622–636). Die Verzahnung empi- risch-induktiver mit theoretisch-deduktiven Analyseschritten hat in den Pilotstudien zur Analyse medialisierter Wahlkämpfe bislang drei Frames ergeben: Mit „Vermitt- lungsframes“ werden Journalisten/Medien in ihrer Rolle als bloße Übertragungs- und Verbreitungsinstanz dargestellt, die als neutrale Mediatoren für die kommunikative Ver- bindung zwischen Politik und Publikum sorgen. Mit „Strategischen Akteursframes“ werden die Nachrichtenmedien als konsequenzenreiche, autonome Akteure dargestellt, deren Handeln einer eigenständigen Logik folgt und von deren Berichterstattung ein Handlungsdruck auf andere Akteure ausgeht. Mit „Verantwortlichkeitsframes“ bietet der politische Journalismus selbstanalytische, gemeinwohlorientierte Reflexion über ei- gene Handlungen und Standards und demonstriert Bewusstsein für publizistische Ver- antwortung. Alle drei Frames, die hier nur in Bezug auf Medien/Journalismus ange- sprochen wurden, lassen sich gleichermaßen auf PR/Publicity beziehen (Esser 2003; 2004; Esser & D’Angelo 2003a; 2003b). Diese Frames oder Interpretationsrahmen stehen in den Artikeln nicht alleine, son- dern im Kontext von Themen. Das dritte Kernelement des Metaberichterstattungskon- zepts greift die Kombination von Frames und Themen auf, deren analytische Trennung ein Grundprinzip der Framingforschung ist (D’Angelo 2002). Eine ländervergleichende Studie zeigte, dass in Deutschland, Großbritannien und den USA einige Themen anfäl- liger für Verknüpfungen mit Medien- und Publicity-Frames sind als andere. Dazu gehören im Wahlkampfkontext die Themen „Kampagnenführung“, „Skandalisierung“ oder „Umfragen“ (Esser 2004; Esser & D’Angelo 2003b). Der theoretische Mehrwert der Framinganalyse liegt darin, dass sie über das häufig theorielose Erheben isolierter Texteinheiten hinausgeht, indem die kleinsten Codierein- heiten als Bausteine größerer bedeutungstragender Einheiten aufgefasst werden, welche auf Produktionsseite mit Schemata von Journalisten (oder anderen Kommunikatoren) und auf Wirkungsseite mit Schemata von Rezipienten in Zusammenhang gebracht wer- den können, die alle auf derselben Operationalisierungsebene verortet sind (vgl. Scheu- fele 2003: 47 f., 117 f.). Die auf der Basis von Framebausteinen erhobenen generalisier- ten Konstrukte erfahren im Prozess der Framedefinition eine theoretische Fundierung, die sich in kontinuierlich fortgesetzten Forschungsprogrammen empirisch und analy- tisch bewähren muss. Die vorliegende Studie versteht sich als Teil eines solchen For- schungsprogramms, das die Anwendbarkeit des Metaberichterstattungskonzepts auf neue Typen medialisierter Ereignisse ausweiten will. Befürworter der Framingforschung sehen framingbasierte Inhaltsanalysen besser in der Lage, latente Bedeutungen von Medientexten zu erfassen und theoriegeleitet zu er- klären (Entman 1993: 57; Pan & Kosicki 1993: 58; Reese 2001: 8 f.). Entsprechend ist zu fragen, was die theoretischen Ursachen für Metaberichterstattung sind. Die Nach- richtenforschung lässt erwarten, dass sich bei qualitativer Veränderung der Ereignisla- ge und der journalistischen Arbeitsbedingungen auch die Qualität der Berichterstat- tung verändert. Ein Beispiel ist die Zunahme medialisierter oder inszenierter Ereignis- se, die zum Zwecke der Berichterstattung kommunikationsstrategisch überformt oder zum Zwecke der Berichterstattung initiiert werden – was wiederum reziprok auf die

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Berichterstattung zurückwirkt (vgl. Kepplinger 2001). Was sind die Ursachen für die verschiedenen Frames? Die Erklärung dafür setzt theoretisch auf der (empirisch am ehesten zugänglichen) Akteursebene an, wo die Frames der Metaberichterstattung maßgeblich aus dem Professionalisierungskonzept hergeleitet werden. Hier lässt sich nach Scheufele (1999: 109 f.) folgern, dass Medien/Journalismus-Frames vor allem durch professionelle Normen und Selbstverständnisbilder im Journalismus beeinflusst werden, und dass PR/Nachrichtenpolitik-Frames vor allem durch professionelle Inter- aktionen der Journalisten mit PR-Vertretern und deren Versuchen der Einflussnahme geprägt werden. Erklärung des Vermittlungsframes: Hiermit werden Medien als Informationsver- mittler thematisiert, indem z. B. die Präsenz von Kameras oder berichtenden Reportern bei einem Ereignis erwähnt oder der Umfang der Berichterstattung und das Ausmaß der Mediennutzung bei einem Thema beschrieben werden. Dass Journalisten überhaupt die Vermittlungsleistungen von Medien und PR im Krieg hervorheben, erklären wir mit den Professionsnormen der Genauigkeit und Vollständigkeit, an die Journalisten bei der Be- richterstattung über medialisierte Ereignisse gebunden sind (McQuail 2000, Kap. 11, 14). Dass sie darüber unter Betonung der Vermittlungsfunktion berichten, erklären wir zum einen damit, dass dies der Primärfunktion von Medien und PR in der Gesellschaft entspricht, zum anderen damit, dass sich deutsche Nachrichtenjournalisten im Allge- meinen und Medienjournalisten im Besonderen zuvörderst als Vermittler verstehen (Altmeppen, Röttger & Bentele 2004; Scholl & Weischenberg 1998; Krüger & Müller- Sachse 1999). Erklärung des Strategieframes: Hiermit werden Journalisten/Medien als strategisch operierende, eigeninteressengeleitete Akteure (bemüht um öffentliche Aufmerksamkeit, ökonomischen Erfolg und publizistische Reputation), und PR/Publicity ebenfalls als strategisch operierender, eigeninteressengeleiteter Akteur (bemüht um Kontrolle und Steuerung der öffentlichen und veröffentlichten Meinung, motiviert durch taktisches Kalkül) thematisiert. Außerdem thematisieren sie das Verhältnis zwischen Journalis- mus/Medien und PR/Publicity als symbiotisches oder antagonistisches Spiel, das von gegenseitigen Einflussnahmen geprägt ist. Der Grund für derartige Schilderungen fin- det sich in den Grundsätzen der Autonomie und Unabhängigkeit, die zu den zentralen Professionsnormen westlicher Journalisten gehören (McDevitt 2003; Blumler & Gure- vitch 1995: Kap. 15). Weil auch Politiker und deren Publicity-Experten ein ausgepräg- tes berufliches Interesse an Kontrolle der politischen Kommunikation haben, bringt dies ständige Interaktionen und Konflikte mit sich, die sich in der Berichterstattung nieder- schlagen (Zaller 1999: Kap. 2; Kerbel 1997; 1999). Erklärung des Verantwortlichkeitsframes: Der Verantwortlichkeitsframe erklärt Me- dien-PR-Handeln instruktiv und ist Ausdruck dafür, dass Journalisten ihrer politischen Bildungsaufgabe nachkommen, indem sie den Bürgern der Informationsgesellschaft die Möglichkeit verschaffen, aufgeklärt und selbstbestimmt an den Entscheidungsprozessen in der Mediendemokratie teilzunehmen (Jarren 1999; Krüger & Müller-Sachse 1999; McQuail 2000: Kap. 8). Außerdem ist er Ausdruck für eine selbstregulierende, profes- sionsinterne Qualitäts- und Selbstkontrolle, indem die Vernachlässigung von Sorgfalts- pflichten und Berufsnormen öffentlich kritisiert und das Bewusstsein für berufsethische Grundsätze in Journalismus und PR geschärft werden soll (Ruß-Mohl 2000). Im glei- chen Maße will er die Rezipienten über die beruflichen Praktiken und Orientierungen von PR/Publicity-Kommunikatoren aufklären. Während hinter dem Vermittlungsfra- me das professionelle Selbstbild des Informationsjournalisten und hinter dem Strate- gieframe das professionelle Selbstbild des Kritikers und Kontrolleurs steht, orientiert

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sich der Verantwortlichkeitsframe am Berufsverständnis des Erklärers und Interpretie- rers – und damit am Idealbild des aufklärenden Medienjournalisten. In conclusio: Medien und PR spielen wichtige Rollen in modernen Kriegen. Wie die- se Rollen beschrieben werden, hängt davon ab, wie das berichtende Medium sie wahr- nimmt. Diese Wahrnehmung ist von Rollenselbstverständnissen, gesellschaftlichen Funktionserwartungen, und institutionalisierten Konflikten geprägt. Zum Verständnis der Motive, mit der der Journalismus über PR/Publicity berichtet, trägt vor allem die einschlägige Interaktionsliteratur bei (Blumler & Gurevitch 1995; Zaller 1999; Jarren & Donges 2002; Altmeppen, Röttger & Bentele 2004). Zum Verständnis der Motive, mit der der Journalismus über die Rolle der Medien berichtet, knüpft das Metaberichter- stattungskonzept an Prämissen und Erkenntnisse der Medienjournalismusforschung an. In der gut entwickelten deutschen Forschung zum Medienjournalismus lassen sich min- destens drei theoretische Ansätze unterscheiden: ein demokratienormativer, auf- klärungs- und partizipationsorientierter Ansatz (vgl. Jarren 1999; Krüger & Müller- Sachse 1999), ein aus der Ökonomik abgeleiteter Rational Choice-Ansatz (vgl. Ruß- Mohl 1997; Fengler & Ruß-Mohl 2003) und ein autopoietisch-systemtheoretischer An- satz (vgl. Choi 1999; Malik 2002). Zwar definieren alle drei Ansätze die Funktion des Medienjournalismus in der Gesellschaft je unterschiedlich, aber ihre Untersuchungen kommen alle zu zwei übereinstimmenden Folgerungen: Dass es eine Zunahme der Me- dienselbstberichterstattung gibt, und dass diese von Eigeninteressen mitbestimmt ist. Ei- geninteressen zeigen sich etwa in der Nichtberichterstattung eigener Fehlleistungen (Selbstkritik als blinder Fleck), der positiven Selbstdarstellung eigener Leistungen (zum Imageaufbau und zur Eigenpromotion) und der negativen (um Abgrenzung bemühten) Konkurrenzberichterstattung.4 Aber auch die Verwendung der Frames ist von Eigenin- teressen – im Sinne des von Gamson (1989) bezeichneten „value added process“ – be- stimmt. Pan und Kosicki (2001: 48) stellen fest: „Framing an issue defines an actor’s identity, interests, and images“. Die Art und Weise, wie Journalisten die Rolle der Me- dien und der oppositionellen PR darstellen, ist damit von berufsideologischen Interes- sen, Rollenselbstbildern und Lagerbewusstsein mitbeeinflusst (ebd.: 40–43).

3. Methodisches Vorgehen und Forschungsannahmen Da bislang keine Studie vorliegt, die sich explizit mit der Metaberichterstattung im Krieg beschäftigt, hat die vorliegende Analyse explorativen Charakter. Mittels einer Frame- analyse soll geklärt werden, wie sich die Metaberichterstattung in deutschen Tageszei- tungen während des Irakkrieges 2003 gegenüber dem von 1991 verändert hat. Dafür

4 Die Nähe des Metaberichterstattungskonzepts zur Medienkritik- und Medienjournalismusfor- schung liegt auf der Hand. Es gibt jedoch vier Unterschiede: Erstens inkorporiert das Metabe- richterstattungskonzept neben Medien/Journalismus-Thematisierungen auch PR/Informati- onspolitik-Thematisierungen; zweitens betrachtet es nicht allein Medienseiten, sondern vermu- tet Medialisierungsdiskurse gerade auch in anderen Ressorts (v.a. Politik); drittens nimmt es an, dass die Thematisierung von Medien/Journalismus und von PR/Publicity in den verschiedenen Ressorts nicht isoliert, sondern (a) in Verbindung mit anderen Themen und (b) unter Verwen- dung spezifischer Frames erfolgt; viertens hat es seinen Ausgangspunkt weniger in der Journa- lismusforschung, sondern im Medialisierungsdiskurs der politischen Kommunikationsfor- schung. Das Metaberichterstattungskonzept beansprucht damit keine Allein- oder Höherstel- lung, sondern verdankt seine spezifische Fundierung der Tatsache, dass es aus der stärker U.S.- geprägten politischen Kommunikationsliteratur heraus entwickelt wurde.

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wurden alle Kriegsbeiträge der Ressorts Politik, Medien und Feuilleton in den Leitme- dien Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Welt, Frankfurter Rund- schau und tageszeitung vom 17. Januar bis 30. Januar 1991 und vom 20. März bis 2. April 2003 vollständig erhoben. Dies entspricht jeweils den ersten beiden Wochen nach Ab- lauf des UN-Ultimatums und stellt die Phase der bedeutungsprägenden, alle anderen Themen verdrängenden Berichterstattung dar. Der Framingansatz hat in jüngster Zeit eine steile Karriere erfahren, ohne dass sich bislang ein einheitliches Paradigma heraus- kristallisieren konnte. Während einige Forscher die uneinheitliche Konzeptionalisie- rung und disparate Befundlage beklagen (Entman 1993), loben andere den wissen- schaftlichen Wettbewerb und die theoretische Pluralität (D’Angelo 2002). Innerhalb der vielfältigen Strömungen ist die vorliegende Studie dem nachrichtenkonstruierenden, kommunikatorzentrierten Ansatz zuzurechnen (vgl. D’Angelo 2002: 877 f., 880 f.; Scheufele 1999: 115 f.; Scheufele 2003: 49 f., 93 f.). Die praktische Umsetzung folgte, leicht abgewandelt, dem „Model of Press and Publicity Framing“ (Esser & D’Angelo 2003a: 623), das dem Ursprungsmodell von Pan & Kosicki (1993) entlehnt ist. Hierbei sind zunächst die konstitutiven Bausteine von Frames zu bestimmen. Diese so genann- ten „framing devices“ können vielfältiger Natur sein (vgl. D’Angelo 2002: 881; Scheufe- le 2003: 43), wobei die vorliegende Studie den Schwerpunkt auf „Propositionen“, also Aussagen, legte. Im ersten Schritt wurden für jeden Text die Propositionen mit Bezug zu Medien/Journalismus und zu PR/Nachrichtenpolitik bestimmt.5 Im zweiten Schritt wurde bestimmt, ob die codierten Propositionen ausreichend diskursive Substanz dar- stellten, um zur Feststellung zu gelangen, dass der Text „über“ Medien/Journalismus oder PR/Nachrichtenpolitik handelte. Dabei qualifizierten sich nur solche Texte für die Frameanalyse, deren Propositionen quantitativ mehr als mindestens zehn Prozent aller Beitragsaussagen ausmachten und qualitativ die Codierereinschätzung bestätigen konn- ten, dass Medien/Journalismus oder PR/Publicity mitbestimmender Teil des Themen- profils waren (vgl. Esser & D’Angelo 2003a: 624–629; Esser 2003: 175). Im dritten Schritt war zu bestimmen, ob die Propositionen ein klares Muster aufwiesen und sich in der Mehrzahl einer der oben ausgeführten Framecharakterisierungen zuordnen ließen.6

5 Propositionen, die laut Codebuch auf einen Vermittlungsframe mit Bezug zu Medien/Journa- lismus hindeuteten, lauteten beispielsweise: „Auch Saddam Hussein informiert sich angeblich mit CNN über den Kriegsverlauf“ oder „In den Redaktionen herrschte Ausnahmezustand; neuneinhalb Stunden ging RTL zum Thema Irak auf Sendung“. Eine Proposition, die auf einen Vermittlungsframe mit Bezug zu PR/Publicity hindeutete, lautete beispielsweise: „Was sieht man noch im irakischen Fernsehen? Propagandasänger, die Lieder über Saddam vortragen und vom Sieg über die Amerikaner handeln“. Eine Proposition, die auf einen Strategieframe mit Be- zug zu Medien/Journalismus hindeutet, lautete etwa: „Der Propagandaeffekt der eingebetteten Journalisten kann blitzschnell ins Gegenteil umschlagen, wenn sich der Krieg anders entwickelt als geplant.“ Eine Proposition, die auf einen Strategieframe mit Bezug zu PR/Publicity hindeu- tet, lautete etwa: „ Information Radio ist eine von mehreren Radiostationen, mit denen die USA ihren psychologischen Krieg gegen den Irak führt“. Eine Proposition, die auf einen Verant- wortlichkeitsframe mit Bezug zu Medien/Journalismus hindeutet, lautete etwa: „Die Bilder, die wir vom US-Militär bekommen, werden einer genauen Prüfung unterzogen [es folgt Erläute- rung]“. Eine Proposition, die auf einen Verantwortlichkeitsframe mit Bezug zu PR/Publicity hindeutet, lautete etwa: „Verschleierung und Geheimhaltung durch Militär und Politik stehen auch in diesem Konflikt auf der Tagesordnung [es folgt Erläuterung]“. Für entsprechende Bei- spiele aus anderen Studien vgl. Esser & D’Angelo (2003a: 629) oder Esser (2003: 177). 6 Zentrale Richtschnur bei dieser Zuordnung war die Codierung der Makropropositionen

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Im letzten Schritt wurden die Themenkombinationen erfasst, mit denen die Medien/Journalismus-Frames und PR/Publicity-Frames gemeinsam auftraten. Das Konzept der Metaberichterstattung geht davon aus, dass Medien/Journalismus oder PR/Publicity nie isoliert in Kriegsbeiträgen vorkommen, sondern immer gekoppelt an Themen.7 Nimmt man die Vorstellung von „medialisierten“ Ereignissen in Kriegen oder Wahlkämpfen ernst, können sie sich diskursiv nur in Frames niederschlagen, die Ereig- nissen und Themen einen Medien- oder PR-bezogenen Rahmen geben. So drückt sich u. E. der Interpenetrationscharakter medialisierter Themen aus (vgl. Blumler & Gure- vitch 1995: 26). Das analytische Ziel der Studie bestand darin, Aussagen zur Generalisierung und Kontextualisierung des Metaberichterstattungskonzepts zu machen. Das Erhebungsin- strument wurde daher im Pretest flexibel eingesetzt, um Besonderheiten der Kriegs- ge- genüber der Wahlkampfberichterstattung berücksichtigen zu können. In der Tat zeigte die Irakberichterstattung eine größere Variabilität der verwendeten Propositionen, wo- durch die Einführung eines zusätzlichen Frames erforderlich wurde: Dieser vierte Fra- me wird als „Personalisierung“ (im Sinne von Selbstdarstellung) bezeichnet. Er wurde induktiv erforderlich aufgrund der empirisch vorgefundenen Propositionen, und er wurde deduktiv erforderlich aufgrund des in der Forschungsliteratur diskutierten Trends, dass die Kriegsberichterstattung zunehmend um journalistische Einzelpersön- lichkeiten kreist. Zelizer (1992) spricht vom „Peter Arnett phenomenon“, das sich dar- in zeige, dass Journalisten die generelle Bedeutungssteigerung der Medien am Beispiel von „archetypical reporter figures“ schildern (S. 67 f., 73 f.). Während im Golfkrieg 1991 Peter Arnett mehr oder weniger der einzige Journalist war, der in der Berichter- stattung individuelle Beachtung fand, hatte sich im Irakkrieg 2003 der Kreis der journa- listischen Persönlichkeiten ausgeweitet. Sowohl die Berichterstattung über einzelne Frontberichterstatter als auch die Veröffentlichung von Erfahrungsberichten hatte 2003 stark zugenommen.8 Der neu aufgenommene Personalisierungsframe konnte diese Ten-

(Skripts, Aspekte), in die die Mikropropositionen (Aussagen) eingebettet waren. Sie spielen für die folgende Ergebnispräsentation jedoch keine Rolle. 7 Zu diesen Themen, von denen pro Beitrag bis zu drei erfasst wurden, gehörten u. a. Hinter- gründe der Krise, Diplomatie, Diskussion über deutsche Beteiligung, Demonstrationen und Proteste, Kriegsvorbereitungen, Strategie und Taktik der Kriegsparteien, offizielle Verlautba- rungen und Reden, unmittelbar und mittelbare Folgen etc. 8 In Form von Interviews mit journalistischen Experten (vgl. z. B. „Die armen Kerle dürfen nicht berichten“ – Interview mit Peter Scholl-Latour in der Süddeutschen Zeitung vom 25.03.2003), Porträts (vgl. z. B. „Die Reise nach Bagdad“ – Porträt des ARD-Korrespondenten Christoph Maria Fröder in der Süddeutschen Zeitung vom 25.03.2003; „Kundschafter der ARD im Krieg gegen Saddam: Jörg Armbruster – Porträt in Die Welt vom 21.03.2003) und Berichten (vgl. „Kein Weg zurück“ – Bericht über die Lage der TV-Korrespondenten in Bagdad in der Süd- deutschen Zeitung vom 24.03.2003) wurde über einzelne Korrespondenten als zentrale Er- kenntnisquellen berichtet. Die genannten Artikelüberschriften können als Beispiele für Propo- sitionen dienen, die auf einen Personalisierungsframe mit Bezug zu Medien/Journalismus hin- deuteten. Propositionen, die auf einen Personalisierungsframe mit Bezug zu PR/Publicity hin- deuteten, beschäftigten sich mit dem irakischen Informationsminister oder dem Pressesprecher der US-Streitkräfte. Die kommunikationswissenschaftliche Fundierung dieses vierten Frames liegt wiederum im Professionalisierungskonzept, d. h. in professionsspezifischen Motiven: Per- sonalisierung als Nachrichtenwert, Selbstdarstellung aus publizistischem Eigeninteresse des Journalisten (Reputation) und ökonomischem Eigeninteresse der Medienorganisation (Marke- ting).

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denz zur Selbststilisierung von Frontreportern gut abbilden. Die Codierung erfolgte im Winter 2003 am Institut für Publizistik der Universität Mainz.9 Gegenüber den Vorgängeruntersuchungen zur Metaberichterstattung im Wahl- kampf unterscheidet sich die vorliegende Studie in zwei weiteren Punkten. Zum einen wird in Ergänzung zur Politikberichterstattung auch die Kultur- und Medienseitenbe- richterstattung inhaltsanalytisch erfasst, um Ressortvergleiche vornehmen zu können. Zum anderen wird für die vorliegende Analyse auf eine Detailauswertung der Frame- bausteine (Propositionen, Skripts) verzichtet, um mehr Raum für ergänzende For- schungsannahmen zu haben, die sich aus Kriegs- und Medienjournalismusforschung er- geben und hier besondere Relevanz haben. Auf Basis des Forschungsstandes zur Wahl- kampfkommunikation, Kriegskommunikation und Medienjournalismusforschung ha- ben wir sieben Annahmen formuliert: Aufgrund der verstärkten Präsenz von Reportern und verbesserter Informations- technik erwarten wir eine Intensivierung der Kriegsberichterstattung von 1991 zu 2003 (Annahme 1). Zudem ist davon auszugehen, dass die Bedeutungszunahme der Medien und die Professionalisierung der PR/Informationspolitik zu einem Anstieg der Metabe- richterstattung führen (Annahme 2). Weil die untersuchten Zeitungen in Deutschland, anders als in den kriegsführenden Staaten Großbritannien oder USA, keiner Militär- zensur und Regierungs-PR deutscher Stellen ausgesetzt waren, erwarten wir eine gerin- gere Thematisierung von PR/Informationspolitik als von Medien/Journalismus (An- nahme 3). Wenn über (Fehl-)Leistungen von Medien/Journalismus berichtet wird, wird die Berichterstattung aus professionellem Selbstschutz eher allgemein gehalten sein oder sich auf andere Medienorganisationen beziehen, aber nicht auf die eigene Leistung (An- nahme 4). Weiterhin vermuten wir einen Effekt der zwischen 1991 und 2003 expandier- ten Medienseiten: Wir erwarten, dass Artikel mit Metaberichterstattung während des er- sten Golfkriegs noch verstärkt im Politikteil und während des zweiten Golfkriegs im nun angewachsenen Medienteil der analysierten Zeitungen erscheinen (Annahme 5). In Bezug auf die Frames der Metaberichterstattung liegen uns bislang nur Erkenntnisse aus Wahlkampfstudien vor. Weil es sich in beiden Fällen um medialisierte Ereignisse und „Kampagnen“ handelt, erwarten wir im Krieg eine ähnliche Frame-Verteilung wie im Wahlkampf – d. h. ein Übergewicht an Vermittlungsframes und eine Marginalisierung der Verantwortlichkeitsframes (Annahme 6). Ebenfalls in Übertragung der Wahl- kampfbefunde gehen wir davon aus, dass Medien- und PR-Frames nicht in beliebigen, sondern bevorzugt in spezifischen Themenkontexten vorkommen (ohne dass wir ge- nauere Prognosen darüber geben könnten, welche Themenverbindungen das konkret wären) (Annahme 7).

9 Der Koeffizient für die Intercoderreliabilität lag auf Beitragsebene für alle Kategorien bei min- destens 0,8 und auf Frameebene bei mindestens 0,75 (basierend auf dem CR-Quotienten nach Früh 2001). Die Werte für die Intracoderreliabilität lagen für die entsprechenden Kategorien zwischen 0,85 und 0,9, so dass von einem verlässlichen Instrument ausgegangen werden kann.

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4. Befunde und Interpretationen

4.1 Kriegsberichterstattung gesamt Während des Irakkrieges 2003 befanden sich sowohl in Bagdad als auch im gesamten Krisengebiet dreimal mehr Journalisten als zwölf Jahre zuvor. Zudem waren viele als embedded correspondents näher am Geschehen. Entsprechend wurde 2003 ein höheres Niveau der Berichterstattung erwartet (Annahme 1). Gleichzeitig dürfte diese Steige- rung aufgrund des konjunkturbedingten Umfangrückgangs der deutschen Tageszeitun- gen („Werbekrise“) nur moderat sein. Ein gravierender Anstieg war auch deshalb nicht zu erwarten, weil sich weder die Nachrichtentechnik noch die Berichterstattungsmuster entscheidend verändert hatten. Insgesamt veröffentlichten die untersuchten Blätter in den beiden Untersuchungszeiträumen 3705 Beiträge. Zum ersten Irakkonflikt erschie- nen 1752, zum zweiten 1953 Artikel. Der Umfang der Kriegsberichterstattung ist im Jahr 2003 somit um 11 % gegenüber 1991 gestiegen (vgl. Tabelle 1), was als Bestätigung unserer ersten Annahme gelesen werden kann. Zwischen den einzelnen Zeitungen ließen sich hier, wie auch bei anderen Analyseschritten, keine nennenswerten Unterschiede feststellen, weshalb wir sie auch im Folgenden als Aggregat behandeln.

4.2 Anteil der Metaberichterstattung Wichtiger als der Umfang der gesamten Kriegsberichterstattung war im vorliegenden Kontext die quantitative Entwicklung der Metaberichterstattung. Aufgrund eines Me- dialisierungsschubes im zweiten Krieg war mit einem Anstieg zu rechnen (Annahme 2): Die größere Zahl der berichtenden Journalisten, die größere Zahl der Fernsehsender, die größere Vielfalt der Berichterstattungsphilosophien (CNN vs. Al-Dschasira) sowie die weiterentwickelte PR/Informationspolitik der US-Streitkräfte lassen einen reziproken

Tabelle 1: Umfang der Kriegsberichterstattung und Anteil der Metaberichterstattung

Irakkrieg Irakkrieg Verän- 1991 2003 derung (n) (n) (%) Beiträge zum Krieg insgesamt 1792 1953 +11 % ... davon: Beiträge mit Metaberichterstattung 183 321 +75 % Basis: Inhaltsanalytische Vollerhebung des Politik-, Kultur- und Medienteils von FAZ, SZ, Welt, FR und taz vom 17.1.–30.1.1991 und 20.3.–2.4.2003.

Tabelle 2: Dimensionen der Metaberichterstattung – Medienselbstthematisierung versus PR-Thematisierung

Irakkrieg 1991 Irakkrieg 2003 Gesamt: Kriegsbeiträge mit Metaberichterstattung 183 (100 %) 321 (100 %) ... davon: Beiträge mit Bezug zu Medien/Journalismus 132 (72 %) 230 (72 %) ... davon: Beiträge mit Bezug zu PR/Informationspolitik 26 (14 %) 48 (15 %) ... davon: Beiträge mit Bezug zu beiden Dimensionen 25 (14 %) 43 (13 %) Basis: Inhaltsanalytische Vollerhebung des Politik-, Kultur- und Medienteils von FAZ, SZ, Welt, FR und taz vom 17.1.–30.1.1991 und 20.3.–2.4.2003.

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Effekt auf die Berichterstattung erwarten: Die Medialisierung verändert das Kriegsge- schehen und die Kriegswahrnehmung und findet aufgrund der journalistischen Profes- sionsnorm der „vollständigen Wiedergabe der Kriegsrealität“ seinen Niederschlag in Medienbeiträgen. Auch diese Annahme wird bestätigt. Die Anzahl der Beiträge, die Me- taberichterstattung enthielten, ist um 75 % von 183 Beiträgen während des ersten Irak- konflikts auf 321 Beiträge während des zweiten Irakkonflikts gestiegen (vgl. Tabelle 1). Anders ausgedrückt: Betrug der Anteil der Metaberichterstattung 1991 noch 10 % an al- len Kriegsnachrichten (183 von 1792 Beiträgen), erreicht er 2003 bereits 16 % (321 von 1953 Beiträgen).

4.3 Zwei Dimensionen der Metaberichterstattung Metaberichterstattung umfasst die Thematisierung von Medien/Journalismus und von PR/Informationspolitik. Besonders im Krieg sind substanzielle Informationen über die zweite Dimension, also militärische Nachrichtensteuerung, schwer zu erhalten. Die Re- cherche darüber ist mit hohem Aufwand verbunden. Wir vermuten daher, dass sich Me- taberichterstattung in den deutschen Blättern mehr mit der Rolle der Medien als mit der der Informationspolitik beschäftigt (Annahme 3). Dafür spricht auch die Tatsache, dass deutsche Journalisten keiner Kriegs-PR eigener Regierungsstellen ausgesetzt waren. Die Annahme bestätigt sich (vgl. Tabelle 2): Die Metaberichterstattung über beide Kriege wird vor allem deutlich durch eine hohe Selbstbezüglichkeit der Medien getrie- ben (72 % Medienthematisierungen); demgegenüber steht die Auseinandersetzung mit militärischer Informationspolitik klar zurück (14–15 %). Nicht zu vernachlässigen ist eine dritte Gruppe von Beiträgen „mit Bezug zu beiden Dimensionen“, in denen das Verhältnis zwischen Journalismus und PR angesprochen wird (13–14 %; vgl. Tabelle 2).

4.4 Selbstbezüglichkeit der Medienthematisierungen Erkenntnisse der deutschen Medienjournalismusforschung lassen erwarten, dass sich Medienthematisierungen vor allem auf andere Medienorganisationen und seltener auf die eigene Organisation bezieht (Annahme 4). Intermediale und intramediale Selbstthe- matisierung haben einen wesentlich geringeren Legitimationsbedarf als organisationsin- terne Berichterstattung. Es entspricht dem blinden Fleck des Medienjournalismus, die eigenen Leistungen aus der medienkritischen Analyse auszusparen. Auch unsere In- haltsanalyse zeigt, dass die untersuchten Blätter viel häufiger (und kritischer) die Be- richterstattung des Konkurrenzmediums Fernsehens untersuchen als die der eigenen Gattung Presse.10 Wenn über die Presse berichtet wird, geschieht dies bevorzugt über andere Zeitungen und nur selten über das eigene Haus. Im Regelfall schließt sich das un- tersuchte Medium aus der medienkritischen Analyse aus; nur in jedem vierten Beitrag (1991: 27 %; 2003: 24 %) schließt es sich in die Metaberichterstattung ein. An diesem Verhalten änderte sich auch im Zeitverlauf nichts. Damit kann die vierte Annahme als bestätigt angesehen werden.

10 Das Fernsehen spielte während beider Kriege die wichtigste Rolle (61 %), mit großem Abstand auf Presse (7 %) und andere Medien (4 %). Diese TV-Orientierung ist schon in vielen anderen Untersuchungen zum Medienjournalismus belegt worden (Fengler 2000: 81; Bentele 2000: 237) und mag im vorliegenden Kontext an der herausragenden Bedeutung des Fernsehens als Infor- mationsmedium im Krieg liegen.

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4.5 Metaberichterstattung und Ressort Durch den Einbezug zwei weiterer Ressorts im Vergleich zu den Vorgängerstudien von Esser und D’Angelo sollte geprüft werden, ob es durch den Auf- und Ausbau der Me- dienseiten zwischen 1991 und 2003 eine Verschiebung der Metaberichterstattung weg vom Politikressort hin zum Medienressort gegeben hat. Eine solche Verschiebung er- warteten wir, weil die von uns untersuchten Zeitungen nach 1991 entweder Medienres- sorts neu einrichteten (z. B. FAZ) oder ehemalige Fernsehprogrammseiten zu vollwer- tigen Medienseiten aufrüsteten (z. B. SZ) (Annahme 5). Die empirischen Daten zeigen jedoch ein anderes Bild: Obwohl sich die Anzahl der Kriegsbeiträge im Medienteil na- hezu verdoppelt hat (1991: 57 Artikel; 2003: 105 Artikel), findet sich der Hauptteil der kriegsbezogenen Metaberichterstattung unverändert im Politikteil (1991: 119 Artikel; 2003: 183 Artikel). Von allen Kriegsbeiträgen im Politikteil enthielten 1991 7 % und 2003 11 % Metakommunikation.11 Der Auf- und Ausbau eines ausführlichen Medien- teils hat zu einer Steigerung der Metaberichterstattung insgesamt beigetragen, aber nicht zu einer Verlagerung aus dem Politikteil. Aus diesen Befunden ziehen wir zwei Folgerungen: Erstens rechtfertigt sie die ana- lytische Unterscheidung zwischen Medienjournalismus und Metaberichterstattung. Zum Verständnis von Medienselbstthematisierungen und PR-Thematisierungen ist der Blick über die Medienseiten hinaus in andere Ressorts (v. a. Politik) zu richten. Zwei- tens folgt daraus, dass Kriege – ähnlich wie Wahlkämpfe – von Journalisten als primär politische Ereignisse wahrgenommen werden; deren struktureller Medialisierungscha- rakter schlägt sich diskursiv in Beiträgen nieder, die Kriegsthemen mit Medien- oder PR- Frames verknüpfen.12

4.6 Frames der Metaberichterstattung Die Erwartung, dass sich im Kriegskontext eine ähnliche Frame-Verteilung wie im Wahlkampfkontext zeigt (Annahme 6), bestätigt sich nicht. Wenden wir uns zunächst den Medien/Journalismus-Frames zu (siehe oberer Teil von Tabelle 3). Im Bundestags- wahlkampf 2002 hatten sich die deutschen Medien weit überwiegend als Vermittler (ca. 60 %) und nur deutlich seltener als strategischer Akteur oder verantwortliche Instanz präsentiert (je ca. 20 %). Während der beiden Irakkonflikte verwendeten die deutschen Zeitungen die drei Frames in nahezu gleichen Teilen: ca. 30 % Vermittlungs- frames, 30 % Strategieframes und 27-28 % Verantwortlichkeitsframes (vgl. Tabelle 3). Im Vergleich zum Wahlkampf werden die Medien im Krieg damit häufiger als aktiver, konsequenzenreicher Mitspieler (strategischer Akteur) präsentiert, allerdings wird ihre Involviertheit im Krieg auch häufiger selbstkritisch und aufklärerisch reflektiert (ver- antwortliche Instanz). Damit betonen sie einerseits die einflussreiche und eigenständige Stellung der Medien, bemühen sich aber andererseits auch um eine konstruktive und in- struktive Einordnung. Die Funktion als reiner Weiterleiter (Vermittler) ist im Vergleich zum Wahlkampf weniger präsent, dafür gewinnt der Selbstdarstellungsframe (Persona- lisierung) an Bedeutung. Dieser neu hinzugetretene Frame repräsentiert Selbstbespiege-

11 Auch im Feuilletonteil berichteten die Tageszeitungen 2003 stärker über Medien und Informa- tionspolitik als noch 1991. Hier ist der Anteil der Metakommunikation an der gesamten Kriegs- berichterstattung jedoch lediglich leicht von 22 % auf 24 % gestiegen. 12 Vgl. die Ausführungen in Fußnote 4.

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lungen journalistischer Einzelpersönlichkeiten, die ihre Subjektivität zum Gegenstand und Mittelpunkt der Kriegsberichterstattung machen. Diese Form der Selbstdarstellung, bei der Journalisten als Opfer, Helden oder in Ausübung ihres Berufes thematisiert wer- den, spielte im Irakkrieg 2003 eine viel größere Rolle als noch 1991 – ein Befund, den in- teressanterweise auch andere Studien bestätigen konnten (vgl. Vögele 2004). Obwohl es sich bei Kriegen und Wahlkämpfen um ähnliche Ereignistypen handelt (medialisierte Kampagnen), finden wir eine unterschiedliche Frameverteilung. Die man- gelnde Unterstützung für Annahme 6 ist jedoch nur auf den ersten Blick enttäuschend. Auf den zweiten spricht sie für die Sensibilität des Konzepts, denn die spezifischen Qua- litäten der untersuchten Ereignisse (einerseits zwei von internationalen Koalitionen ge- führte Irakkriege ohne direkte deutsche Beteiligung, andererseits eine Bundestagswahl im eigenen Land) unterschieden sich in mehrerlei Hinsicht. Entsprechend bezogen sich die analysierten Beiträge auf sehr verschiedene Medien- und PR-Akteure und Institu- tionen, die mit unterschiedlichen Motiven, Rollenbildern und Funktionsverständnissen im Krieg bzw. Wahlkampf handelten. So bezogen sich die Frames in der Irakkriegsbe- richterstattung nicht nur auf deutsche, sondern auch auf amerikanische und arabische Medien.13 Außerdem trugen methodische Gründe zu Unterschieden bei der Framever-

Tabelle 3: Medien/Journalismus-Frames und PR/Nachrichtenpolitik-Frames

Irakkrieg Irakkrieg Bundestagswahl 1991 2003 2002* (%) (%) (%) Medien/Journalismus als Vermittler 53 (36%) 68 (26%) 43 (63%) Medien/Journalismus als Strategischer Akteur 44 (30%) 78 (30%) 14 (20%) Medien/Journalismus mit Verantwortlichkeit 39 (27%) 72 (28%) 12 (17%) Medien/Journalismus als Personendarsteller 10 (7%) 42 (16%) n/a Total 146 (100%) 260 (100%) 69 (100%) PR/Informationspolitik als Vermittler 15 (32%) 36 (40%) 3 (11%) PR/Informationspolitik als Strategischer Akteur 22 (47%) 30 (33%) 19 (68%) PR/Informationspolitik mit Verantwortlichkeit 9 (19%) 15 (17%) 6 (21%) PR/Informationspolitik als Personendarsteller 1 (2%) 9 (10%) n/a Total 47 (100%) 90 (100%) 28 (100%) Basis: Inhaltsanalytische Vollerhebung des Politik-, Kultur- und Medienteils von FAZ, SZ, Welt, FR und taz vom 17.1.–30.1.1991 und 20.3.–2.4.2003. * Die Daten zum Wahlkampf entstammen Esser (2003: 184), wurden aber aus Vergleichsgründen umprozen- tiert.

teilung zwischen den Vergleichsstudien bei. Die Kriegsstudie stützt sich auf (i.d.R. poin- tiertere, hintergründigere) Presseberichterstattung, die Wahlstudie auf (i.d.R. ereigniso- rientiertere, nüchternere) Fernsehnachrichten. Schließlich mischte ein neu hinzugetrete- ner Frame die Prozentanteile neu. Zum neuen Personalisierungs- und Selbstdarstel- lungsframe ist anzumerken, dass diese Berichte nicht alle unkritisch-positiv, sondern zum Teil auch kritisch-distanzierend waren.

13 Von allen geographisch zuzuordnenden Medien-Propositionen bezogen sich 18 % auf deut- sche, 20 % auf amerikanische und 13 % auf irakische Medien. Die übrigen bezogen sich zum geringen Teil auf andere Länder und zum großen Teil auf Medien generell.

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Wenden wir uns nun den PR/Publicity-Frames zu (siehe unterer Teil von Tabelle 3). Auch das Framing von PR/Informationspolitik zeigte andere Schwerpunkte als erwar- tet. Während im Bundestagswahlkampf 70 % aller PR/Publicity-Frames strategischer Natur waren, traf dies bei der Irakberichterstattung nur halb so oft zu (1991: 47 %; 2003: 33 %; vgl. Tabelle 3). Die zweite Besonderheit ist der vergleichsweise hohe Anteil von Vermittlungsframes, mit denen die PR- und Propagandainhalte neutral verbreitet wurden. Dies könnte ein Hinweis auf den Erfolg der amerikanischen Medienstrategie sein. Aufgrund der Umstellung vom eher distanzierten Poolsystem zu dem des embed- ded journalism wurde die militärische Informationspolitik von Journalisten anders wahrgenommen. Anstatt sie als einen von strategischen Absichten bestimmten Gegen- spieler darzustellen, präsentierten viele Journalisten die Maßnahmen der Militär-PR auf eher kollegiale, vermittelnde Art. Allerdings muss man den Qualitätszeitungen auch ein erkennbares Problembe- wusstsein für Informationssteuerung attestieren. Von Kriegsausbruch an versuchten sie verantwortungsvoll, die schwierigen Bedingungen der Kriegsberichterstattung offen zu legen. Unsere Daten zeigen aber auch, dass eine umfassend kritisch-aufklärerische Ana- lyse der Militär-PR während der laufenden Invasion „in Echtzeit“ von der Presse kaum zu leisten ist. (Ein längerer, die Nachkriegsberichterstattung einschließender Untersu- chungszeitraum hätte u. U. zu mehr Verantwortlichkeitsframes führen können.) Der Anteil der vorgefundenen PR-bezogenen Verantwortlichkeitsframes lag in beiden Golf- konflikten zwischen 17 % und 19 % (Tabelle 3), was in etwa den aus Wahlkämpfen be- kannten Anteilen entspricht. Der neu berücksichtigte Personalisierungs-Frame, der PR/Informationspolitik an Einzelakteure (Sprecher) bindet, ist noch eine Randerschei- nung, unterstreicht aber die generell zunehmenden Personalisierungstendenzen in der Kriegsberichterstattung. Insgesamt überwiegen in der Metaberichterstattung über die beiden Irakkriege also die neutralen Vermittlungs- und aktiven Strategieframes. Was ist davon zu halten? Ver- mittlungsframes sind demokratienormativ als unproblematisch anzusehen und allenfalls als Ausweis erhöhter Selbstreferenz zu deuten. Das Bild der Medien als „neutrale Be- richterstatter“ entspricht dem Selbstverständnis deutscher Journalisten und der Realität einer zunehmend medialisierten Gesellschaft. Strategie-Frames werden dagegen poten- ziell negative Folgen für Image und Glaubwürdigkeit der Medien und der politischen PR zugeschrieben. Journalisten würden sich als autonome, eigenständige Akteure in die Berichterstattung drängen und in einer aktiven Auslöserrolle zeigen, so dass andere Ak- teure auf die Resonanzen und Wirkungen ihrer Berichterstattung reagieren (müssen). Andererseits würden Schilderungen der PR/Informationspolitik mit strategischem Ak- teurs-Frame die Publicity-Bestrebungen der Politik als illegitim und fragwürdig er- scheinen lassen. Der schärfste Kritiker ist hier Kerbel (1997; 1999): Metaberichterstat- tung mit strategischem Akteurs-Frame sei zwar für Journalisten ein attraktiver Story- Aufhänger, für informierte Wahlentscheidungen aber nachrangig. Sie wird von ihm mit Politikverdrossenheit und sinkender Medienglaubwürdigkeit in Verbindung gebracht. Allerdings muss betont werden, dass die demokratienormativ sehr hoch einzuschätzen- den Verantwortlichkeitsframes für einen wichtigen Ausgleich in der deutschen Kriegs- berichterstattung sorgen. Es ist zu würdigen, dass die untersuchten Zeitungen – trotz ei- nes neuerdings unverkennbaren Hanges zur Selbstdarstellung – den Bürgern zu einem kompetenteren Urteil über das Verhältnis von Krieg und Medien verhelfen wollen.

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4.7 Themenkombinationen Es bleibt die Frage zu klären, in Kombination mit welchen anderen Themen über Me- dien/Journalismus und PR/Informationspolitik bevorzugt berichtet wird. Studien zum Wahlkampf zeigten, dass Metaberichterstattung vornehmlich im Kontext öffentlicher Auftritte oder Fehltritte von Politikern sowie im Kontext ihrer Kampagnen- und Mo- bilisierungsbemühungen vorkommt. Dagegen kommt sie so gut wie nie im thematischen Umfeld politischer Inhalte, Programme, Werte und Institutionen vor (Esser 2003, 2004; Esser & D’Angelo 2003a; D’Angelo & Esser 2003). Unsere Erwartung, ein solches Muster bevorzugter Themenkombinationen auch in der Kriegsberichterstattung zu fin- den (Annahme 7), bestätigte sich für PR/Nachrichtenpolitik. Es wird bevorzugt in Ver- bindung mit den Themen „offizielle Verlautbarungen und Reden“ (1991 in 38 % und 2003 in 31 % aller Beiträge PR/Informationspolitik), „Allgemeine Strategie und Kriegs- taktik“ (23 %; 17 %) und „Führungspersonen“ (12 %; 19 %) berichtet. Ein solches Mu- ster war für Medien/Journalismus jedoch nicht zu erkennen. Thematisierungen von Me- dien treten in der Kriegsberichterstattung weitgehend unabhängig vom thematischen Kontext auf. Das ist insofern ein interessanter Befund, als es für die Medialisierung des Krieges als Totalphänomen spricht. Ganz gleich, welche Aspekte des Krieges themati- siert werden, die Medien spielen eine Rolle und werden entsprechend thematisiert.

5. Fazit Metaberichterstattung wird als schlüssige Reaktion eines professionellen Journalismus auf die veränderten Berichterstattungsbedingungen in medialisierten Kriegen verstan- den. Obwohl sich zur Kriegs- und Krisenkommunikation mittlerweile ein ansehnlicher Literaturbestand angesammelt hat, blieb der Zusammenhang zwischen medialisierten Ereignissen und medialisierter Berichterstattung bislang wenig beachtet. Am Beispiel der Irakkriege konnten wir zeigen, dass die zunehmende Medialisierung zu einer gene- rellen Ausdehnung der Kriegsberichterstattung (Annahme 1 bestätigt), vor allem aber zu einem erheblichen Anstieg der Metaberichterstattung geführt hat (Annahme 2 be- stätigt). Letzteres konnte darauf zurückgeführt werden, dass die Medien hauptsächlich ihren eigenen Bedeutungszuwachs thematisiert haben; der Professionalisierungszu- wachs der militärischen Informationspolitik wurde seltener zum Anlass zur Berichter- stattung genommen (Annahme 3 bestätigt). Diese Selbstreferenz – Medien berichten über Medien – darf aber nicht mit Selbstreflexion gleichgesetzt werden, denn das be- richtende Medium schließt sich im Regelfall aus der Metaberichterstattung aus. Dieser blinde Fleck ist aus der Medienjournalismusforschung gut bekannt (Annahme 4 be- stätigt). Allerdings unterscheidet sich die Metaberichterstattungsforschung von der Me- dienjournalismusforschung darin, dass sie Medien- und PR-Referenzen in allen Ressorts (v. a. der Politik) erwartet und nicht nur auf den Medienseiten. Die dahinterliegende Annahme lautet, dass sich die Allgegenwart der Medialisierungstendenzen in den ver- schiedenen Gesellschaftsbereichen auch in verschiedenen Ressorts (v. a. der Politik) zei- gen muss. Entsprechend unserer Erwartung werden Medienkriege in der Hauptsache als politische Ereignisse im Politikteil berichtet, wo sie allerdings mit einem Medien- oder einem PR-Frame verbunden werden. Die Politikberichterstattung wird medialisierter (Annahme 5 bestätigt). Deshalb verstehen wir Metaberichterstattung zuvörderst als ein Konzept der Politischen Kommunikationsforschung, bei dem sich Medialisierung als Framing zeigt. Aus demokratienormativer Perspektive ist der Vermittlungsframe als unproblema-

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tisch und der Verantwortlichkeitsframe als erwünscht einzuschätzen. Der Strategiefra- me ist als u. U. problematisch für die Medien- und Politikglaubwürdigkeit, und der Per- sonalisierungsframe als Ausdruck von Selbstvermarktungstendenzen im Journalismus bezeichnet worden. Im Gegensatz zur deutschen Wahlkampfberichterstattung, die die Medien v. a. als Vermittler und die politische PR v. a. als strategischen Akteur darstell- te, zeigte die Golfkriegsberichterstattung eine ausgeglichenere Frameverteilung (An- nahme 6 nicht bestätigt). Die Abweichungen konnten mit den unterschiedlichen Qua- litäten der medialisierten Ereignisse erklärt werden, die die Tageszeitungen zu verschie- denen Frameverwendungen motivierten. Die eigene Involviertheit im Bundestagswahl- kampf führte zu mehr Vermittler- und Strategieframes, die außenstehende Beobachterrolle im Irakkrieg zu etwas mehr Verantwortlichkeitsframes. Für die Sensi- bilität des Metaberichterstattungskonzepts sprechen auch die differenzierten Befunde zu den Frame/Themen-Verknüpfungen. Die erwarteten Kombinationsmuster zeigten sich nur bei PR/Publicity, wohingegen Medien/Journalismus im Umfeld vieler ver- schiedener Kriegsaspekte thematisiert wurde (Annahme 7 nur zum Teil bestätigt). Für das theoretische und methodische Konzept der Metaberichterstattung lassen sich aus der vorliegenden Studie wichtige Folgerungen für seine Generalisierung und Kon- textualisierung ziehen. Das Konzept ist nicht nur auf medialisierte politische Prozesse (Wahlkämpfe), sondern auch auf medialisierte politische Konflikte (Kriege) anwendbar – und damit wohl auch auf andere medialisierte Ereignisse bzw. Themen verallgemeiner- bar. Ebenfalls wird bestätigt, dass sich strukturelle Medialisierungsprozesse diskursiv in der Berichterstattung niederschlagen, wo sie sich in Verknüpfungen von klassischen Themen mit Medien- und PR-Frames zeigen. Neben dem methodischen Ansatz sind auch die inhaltlichen Frametypen bestätigt worden. Allerdings hat die Anwendung auf Kriege die Ergänzung eines vierten Frames notwendig gemacht. Dies zeigt, dass das Me- taberichterstattungskonzept kontextabhängigen Modifikationen unterworfen ist. Je stärker sich die zukünftige Metaberichterstattungsforschung zusätzlichen Themenbe- reichen, Messzeitpunkten und Mediensystemvergleichen zuwendet, desto kontextge- sättigter wird es werden. Der Zündstoff dieses Konzepts liegt in der Tatsache, dass die Frames in der Öffentlichkeit über die wahrgenommene Glaubwürdigkeit, Legitimität und Funktionserfüllung von politischem Journalismus und politischer PR mitentschei- den. Dahinter steht die Erkenntnis: „frames are powerful discursive cues that can impact cognition [and] public opinion formation“ (D’Angelo 2002: 873). Daher muss uns in- teressieren, wie die Involviertheit von Medien und PR dargestellt wird.

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Esser/Schwabe/Wilke · Metaberichterstattung im Krieg

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„Amis brauchen Umerziehung“

Erkenntnisse und Argumentationsmuster der deutschen Medienkritik im dritten Golfkrieg

Christiane Eilders

Ausgangspunkt des Beitrags ist die Frage, ob das öffentliche Reden über Medien im drit- ten Golfkrieg geeignet war, zur Sicherung der professionellen Standards der Berichter- stattung und zu einer Auseinandersetzung der Gesellschaft mit ihren Medien beizutra- gen. Hierzu werden inhaltsanalytische Befunde zur Medienkritik durch deutsche Print- medien im dritten Golfkrieg präsentiert. Untersucht wurde die medienbezogene Kriegs- berichterstattung der überregionalen Tagespresse und zweier Wochentitel über einen Zeitraum von 13 Wochen. Es zeigte sich eine umfangreiche, aber stark auf die konkreten Medieninhalte konzentrierte Kritik mit überwiegend negativen Urteilen, die v. a. von der überregionalen Abonnementpresse getragen wurde. Die Medienkritik fokussierte auf die Berichterstattung des Fernsehens und der US-Medien, und hier auf die Parteilichkeit, die vermittelte Ungewissheit und den Fokus auf Abenteuer- und Technikaspekte sowie auf die Aufbereitung der Inhalte. Die allgemeinere Rolle von Medien im Krieg wurde kaum problematisiert. Die Argumentationsmuster erwiesen sich zudem als wenig anre- gend für die Selbstverständigung der Mediengesellschaft, da die Medienkritik kaum über einschlägige Mechanismen und Strukturen aufklärte.

Keywords: Medienkritik, Kriegsberichterstattung, Golfkrieg, Selbstverständigung, Öf- fentlichkeitsfunktion

1. Einleitung Ein Jahr nach dem dritten Golfkrieg, im Frühjahr 2004, distanzierte sich zunächst die New York Times von ihrer Berichterstattung während des Irakkriegs und entschuldig- te sich sogar bei den Lesern. Wieder einige Monate später verfiel auch die Washington Post in Selbstkritik und bereute ihre „Regierungstreue“ (SZ 13.8.04). Die deutschen Me- dien hatten indessen bereits während des Krieges die Einseitigkeit der US-Medien kri- tisiert. „Amis brauchen Umerziehung“ so titelte die taz am 2.4.2003 zur Berichterstat- tung der US-Medien. Wie sah es aber mit der Leistung der deutschen Medien im dritten Golfkrieg aus? Wie selbstkritisch ging die deutsche Presse mit ihrer eigenen Berichter- stattung um? Nicht zuletzt als Reaktion auf die verbreitete Kritik an der Berichterstattung über den Kosovokonflikt und den zweiten Golfkrieg1 erreichte die „Berichterstattung über Be- richterstattung“ im dritten Golfkrieg – so der Eindruck zahlreicher Beobachter (vgl. Szukala 2003: 25; Krüger 2003: 412; Esser/Schwabe/Wilke 2005, i. d. Heft) – ungeahnte Ausmaße. Auch in vorangegangenen Krisen und Konflikten hatten die Medien selbst ihre Leistungen immer wieder kritisch beurteilt. Allerdings fand diese Kritik – wie jetzt auch die der Washington Post – meist im Nachhinein statt und beschränkte sich auf die Medienseiten oder das Feuilleton. Im dritten Golfkrieg hingegen geriet – neben dem

1 Vgl. bspw. das Themenheft des European Journal of Communication (3/2002), Gleich (2003), Albrecht/Becker (2002).

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Kriegsgeschehen selbst – die Berichterstattung über das Kriegsgeschehen zum Politikum und schaffte den Sprung in das aktuelle politische Ressort. Publikations- und diskussi- onswürdig erschien also nicht mehr nur der Krieg, sondern auch, wie die Medien darü- ber berichten und unter welchen Bedingungen sie arbeiten. Wer und was in den Fokus der deutschen Medienkritik geriet und wie diese Kritik entwickelt wurde, ist Gegenstand dieses Beitrags. Dabei werden alle medialen Formen der Auseinandersetzung mit Medienhandeln im Krieg untersucht, sowohl die Kriegsbe- richterstattung im engeren Sinne als auch die Berichterstattung über medienbezogene Ereignisse und andere Rahmenbedingungen der Berichterstattung.2 Obgleich „medien- bezogene Publizistik“ der treffendere Ausdruck wäre, ist hier von „Medienkritik“ und bezogen auf den Kriegskontext von „Kritik der Kriegsberichterstattung“ die Rede, um die Nähe zur Alltagssprache zu wahren. Ausgangspunkt sind Überlegungen zur Funktion von Medienkritik durch Medien. In einer empirischen Studie werden dann die tatsächlichen Leistungen und Defizite der medialen Kritik der Kriegsberichterstattung im dritten Golfkrieg untersucht. Hierzu wurden eine quantitative und eine qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt. In Abschnitt 4 werden zunächst der formale Rahmen und der inhaltliche Fokus, der Kritikgehalt so- wie der beurteilte Sachverhalt der Medienkritik dargestellt. Abschnitt 5 geht dann der Frage nach, wie die Kritik im Einzelnen entwickelt wurde und ob die Argumentation geeignet war, das Publikum zu einer eigenen kritischen Lektüre der Kriegsberichter- stattung anzuleiten und Impulse zu einer Auseinandersetzung der Gesellschaft mit ihren Medien zu geben.

2. Potenziale öffentlicher Medienkritik Im kommunikationswissenschaftlichen Diskurs werden mit Medienkritik im Allgemei- nen und mit Medienkritik im Krieg im Besonderen verschiedene Funktionszuschrei- bungen verbunden.3 Dieser Beitrag knüpft in seiner Auseinandersetzung mit der öf- fentlichen Medienkritik an Überlegungen zum Funktionieren demokratisch verfasster Gesellschaften an und nimmt damit eine normative, öffentlichkeits-theoretische Per- spektive ein (vgl. auch Weiß 2005a; Jarren 1997; Krüger/Müller-Sachse 1998). Die Auf- gaben von Medien – und damit letztlich auch die Aufgaben von Medienkritik durch Me- dien – leiten sich darin aus den Funktionen von Öffentlichkeit ab. Das Kommunikati- onssystem Öffentlichkeit leistet – folgt man dem kybernetischen Drei-Phasen-Modell von Etzioni (1969: 157f.) – eine kritische Verarbeitung des heterogenen „Inputs“ im „Throughput“ und generiert als „Output“ öffentliche Meinung. Zentrale Funktion von Öffentlichkeit ist neben der Transparenz- und der Orientie- rungsfunktion die Validierung (vgl. dazu Neidhardt 1994; Gerhards/Neidhardt 1991). Die Validierungsfunktion umfasst die Identifikation von gesellschaftlich relevanten Pro-

2 Es versteht sich von selbst, dass Medienkritik häufig auch nicht-öffentlich stattfindet; etwa in Redaktionen, in Verbänden und Parteien oder in der Wissenschaft. Von dieser Art der Medien- kritik soll hier aber nicht die Rede sein. 3 Diese Funktionszuschreibungen lassen sich verschiedenen Schulen zuordnen, wovon die prominentesten die systemtheoretische (vgl. z. B. Malik 2004 und Choi 1999) und die öffent- lichkeits-theoretische Perspektive (vgl. z. B. Weiß 2005b, Krüger/Müller-Sachse 1998 und Weßler et al. 1997) sind. Zur Selbstthematisierung im Krieg vgl. Löffelholz (1993) und Weller (2002) sowie die Beiträge von Esser/Schwabe/Wilke und Donsbach/Jandura/Müller in diesem Heft).

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Eilders · „Amis brauchen Umerziehung“

blemen und die kritische Beobachtung von Sachverhalten und Behauptungen.4 Nach- dem Medien ein ubiquitäres Phänomen moderner Gesellschaften sind, betrifft die Vali- dierungsfunktion auch die Medien selbst als Gegenstand der kritischen Verarbeitung. In der Mediengesellschaft sind Medien in dieser Perspektive selbstverständlicher Gegen- stand der medialen Umweltbeobachtung. Die Funktionen von Medien lassen sich damit überführen in die Funktionen von Medienkritik. Öffentliche Medienkritik soll das Wir- ken der Medien kritisch beobachten und dabei auf Probleme aufmerksam und Fehlleis- tungen öffentlich machen. Das vordringlichste Desiderat der Medienkritik ist die Sicherung der professionellen Standards. „Medienkritik als Instrument der Qualitätssicherung“ (Kamman 1997) nimmt die Berichterstattung, aber auch die einschlägigen Entstehungsbedingungen die- ser Berichterstattung in den Blick. Die Sicherung der professionellen Standards umfasst insofern mehr als die im Fach entwickelten Qualitätskriterien (vgl. z. B. Schatz/Schulz 1992; Hagen 1999). Hier sind nicht nur bestimmte Beitragsmerkmale wie etwa Richtig- keit, Vielfalt oder Ausgewogenheit angesprochen. Vielmehr sind mit den professionel- len Standards auch Vorstellungen über die Unabhängigkeit von Medien und ihre Rolle in der Gesellschaft verbunden. Das heißt, die Medienkritik beobachtet nicht nur kritisch die Qualität der Berichterstattung, sondern thematisiert auch darüber hinausgehende Probleme, indem sie etwa diskutiert, inwiefern die Unabhängigkeit der Medien ge- währleistet ist, und in welcher Hinsicht die Medien in den politischen Prozess eingrei- fen.5 Gegenstände der Medienkritik sind damit auch Besitzverhältnisse und politische Affinitäten sowie mögliche Wirkungen von Medien. Die Validierungsfunktion der öffentlichen Medienkritik beschränkt sich nicht da- rauf, die kritisierten Sachverhalte und Probleme lediglich zu benennen. Vielmehr impli- ziert sie, dass erklärt wird, warum etwas kritikwürdig ist, welche Bedeutung das in ei- nem größeren Zusammenhang hat und welche Gesetzmäßigkeiten das Wirken der Me- dien erklären. Es geht bei der Validierung also auch darum, dass die Kritik argumenta- tiv entwickelt wird. Dieser Anspruch ergibt sich aus der Meinungsbildungsfunktion der Medien. Wenn Bürger sich ein eigenes Urteil bilden sollen, reicht es nicht, lediglich auf bestimmte Probleme oder auf ein bestimmtes Fehlverhalten öffentlich aufmerksam zu machen. Vielmehr soll das Publikum angeleitet werden, Medienberichterstattung kri- tisch zu „lesen“ und selbst Probleme zu entdecken. Indem die kritische Beobachtung der Medien in den Medien stattfindet, machen Me- dien die Leistung von Medien zum Gegenstand öffentlicher Debatte. Mit freiem Zugang und unter der potenziellen Beteiligung aller Gesellschaftsmitglieder werden in der öf- fentlichen Kommunikation mediale Fehlleistungen angesprochen, Strukturprobleme diskutiert, Sachverhalte oder Entwicklungen problematisiert und medien-relevante Er- eignisse eingeordnet und erklärt. Die Gesellschaft setzt sich damit zu ihren Medien als

4 Vgl. dazu auch die Konkretisierung der Validierungsfunktion bei Gurevitch und Blumler (1990: 270): Medien sollen demnach u. a. folgende Anforderungen erfüllen: (1) die Beobachtung der soziopolitischen Umwelt durch die Berichterstattung über gesellschaftliche Entwicklungen, die die soziale Lage der Bevölkerung betreffen; (2) die „sinnhafte Ausgestaltung der Rolle von Agenda-Settern“, die die zentralen Probleme und aktuellen Streitpunkte sowie deren Ursachen und Lösungsmechanismen identifizieren, und (3) die Zuweisung von Verantwortlichkeit für die politischen Akteure in Bezug auf die Art und Weise ihrer Herrschaftsausübung. 5 Hier sind nicht die legitimen Wortmeldungen der Medien als Öffentlichkeitssprecher gemeint. Vielmehr geht es um die Konsequenzen der Medienlogik für den demokratischen Willensbil- dungsprozess.

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relevantes Phänomen in Beziehung. Indem sie sich mit den normativ zugewiesenen Funktionen und den tatsächlichen Leistungen von Medien beschäftigt, nimmt sie am öf- fentlichen Diskurs teil, der Bestandteil des demokratischen Willensbildungsprozesses ist. In einer von Medien geprägten Gesellschaft6 dient das öffentliche Reden über die Me- dien der gesellschaftlichen Selbstverständigung (Weiß 2005a: 19).7 Man kann davon aus- gehen, dass diese Auseinandersetzung umso ertragreicher ist, je ausführlicher die Kritik argumentativ entwickelt wird. Die Kriegsberichterstattung stellt als Beobachtungsobjekt der Medienkritik eine be- sondere Herausforderung und einen kritischen Testfall dar.8 Die chronische Informati- onsknappheit und die ausgefeilten Strategien der Informationskontrolle, aber auch die mangelnde Autonomie der Medien von den Kriegsparteien selbst sowie anderen partei- ischen Akteuren führen immer wieder zu journalistischen Fehlleistungen. Der Validie- rungsfunktion kommt hier herausgehobene Bedeutung zu. Gerade im Kriegsfall soll die öffentliche Medienkritik zur Sicherung der professionellen Standards beitragen und auch das Publikum zu Kritik anleiten. Die gesellschaftliche Selbstverständigung über Medien betrifft hier den Abgleich zwischen den normativen Erwartungen an die Medien im Krieg und der Berichterstattung sowie der Rolle als Akteure, die Medien im Krieg tatsächlich wahrnehmen. Wenngleich Medien als professionelle Beobachter über hinreichend Expertise verfü- gen und qua Institutionalisierung auch die Kontinuität der Beobachtung gewährleisten können, hat das Erkenntnisinstrument der kritischen Beobachtung von Medien durch Medien erwartbare Grenzen. Die Besonderheit bei der medialen Medienkritik ist die Identität von Beurteilungsinstanz und Beurteilungsobjekt.9 Medien beurteilen also nicht etwa die Politik oder den Krieg, sondern ihre eigenen Strukturen, Regeln, Mög- lichkeiten und Leistungen. Dabei kann es zu systematischen Defiziten kommen. Eine nahe liegende Blindstelle der Medienkritik im Krieg ist die Berichterstattung des eige- nen Hauses und der eigenen nationalen Medien (vgl. dazu Kreitling 1997 und 2000). Ebenso lässt sich annehmen, dass die Grenzen der Medienkritik mit der Medienlogik selbst markiert sind: Was nicht den gängigen Relevanzkriterien, wie etwa Personalisie- rung, Elitenbeteiligung oder Schaden, entspricht, dürfte nur geringe Veröffentlichungs- chancen haben.

3. Untersuchungsdesign und Methode Um die Überlegungen zu den Funktionen von öffentlicher Medienkritik mit den tatsächlichen Leistungen der Medienkritik im Krieg abgleichen zu können, wurde eine

6 Jarren (1997: 308); vgl. ähnlich auch Krüger/Müller-Sachse (1998: 239). 7 Vgl. auch Hickethier (1997: v. a. S. 66) zur kulturellen Selbstverständigung und Malik (2004) all- gemein zum Sinn und Nutzen von „Journalismusjournalismus“. 8 Krisen gelten laut Löffelholz als besondere Momente der Selbstreflexion. Die Kommunikation über Krisenkommunikation stelle eine Selbstbeschreibung dar, die der Stabilisierung des publi- zistischen Systems diene (Löffelholz 1993: 22; 1995: 184). Nicht immer allerdings machen Krie- ge Anpassungsleistungen des Mediensystems erforderlich. Dennoch erscheint es auch jenseits einer explizit systemtheoretischen Modellierung plausibel, dass Krisen und Konflikte potenzi- elle Bedrohungen des Status Quo darstellen und damit typische Anlässe für die Beschäftigung mit der eigenen Leistung sind. 9 Vgl. dazu die Unterscheidung zwischen intramedialer und organisationsinterner Selbstthema- tisierung (Malik 2002: 126 oder Choi 1999: 85).

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Inhaltsanalyse der Medienkritik im dritten Golfkrieg durchgeführt. In Bezug auf die Si- cherung der professionellen Standards wurde gefragt, was in welchen Medien in den Fo- kus der Kritik geriet und wie die Leistung der Medien beurteilt wurde. Dabei wurde in einer quantitativen Inhaltsanalyse zunächst erfasst, in welchem Umfang welche Medien Kriegsberichterstattung thematisierten und in welchem formalen Rahmen das stattfand. Ferner wurde gefragt, auf welche konkreten Medienakteure und Problembereiche sich die Medienkritik im Krieg bezog, welche Bewertungen dabei formuliert und welche Ak- teure und Probleme systematisch nicht in den Blick genommen wurden. In Bezug auf die Anleitung des Publikums zu eigener kritischer Beobachtung wurde gefragt, in wel- chem Maße die Kritik nicht nur behauptet, sondern auch argumentativ entwickelt wur- de. In einer zweiten, qualitativen Inhaltsanalyse wurden daher die methodischen Muster der Argumentation erfasst. Geprüft wurde hier, inwiefern die Kritik begründet, die Phä- nomene gedeutet und entsprechende Gesetzmäßigkeiten erläutert wurden. Gegenstand der empirischen Studie war die Medienberichterstattung über Medien im dritten Irakkrieg in fünf überregionalen Abonnementzeitungen („Frankfurter Allge- meine Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutsche Zeitung“, „die tageszeitung«, „Die Welt“), einer Kaufzeitung („Bild“) und zwei Wochentiteln („Die Zeit“ und „Der Spiegel“). Mit dieser Auswahl sind die bundesdeutschen Leitmedien erfasst, deren The- men und Meinungen in das restliche Mediensystem diffundieren.10 Beginn der Beobachtung war der 8. Februar 2003, der Tag an dem US-Präsident George Bush das Ende der Diplomatie verkündete und den Krieg damit auf die Tages- ordnung setzte. Stichtag für das Ende der Beobachtung war die Bush-Rede vom 1. Mai 2003 in San Diego, in der das Ende der Kampfhandlungen verkündet wurde. Untersucht wurden alle Beiträge, die die Berichterstattung über den Krieg und deren Umstände the- matisierten. Im 13-wöchigen Untersuchungszeitraum konnten 474 Beiträge identifiziert werden, die diesen Auswahlkriterien entsprachen.11 Die Beiträge wurden zunächst einer quantifizierenden Analyse unterzogen, um den Umfang und den formalen Rahmen von Medienkritik im Krieg zu bestimmen und Auf- schluss über die zentralen Beurteilungsobjekte sowie das Ausmaß der Kritik zu erhal- ten. Im Anschluss daran wurden ausgewählte Beiträge einer qualitativen Textanalyse unterzogen, um weiter spezifizieren zu können, was im Einzelnen problematisiert wur- de. Da auch die einschlägigen Argumentationsmuster untersucht wurden und hierfür hinreichend ergiebiges Material nötig war, wurden ausschließlich Beiträge berücksich- tigt, in denen Medien eine zentrale Rolle spielten und in denen nicht ausschließlich – quasi nachrichtlich – bestimmte medienbezogene Ereignisse vermittelt wurden, aber keine Argumentationen erwartbar waren. Codiereinheit war der einzelne Beitrag. Neben den strukturellen Charakteristika (u. a. Ressort, Genre und die Zentralität des Medienbezugs), die der Einschätzung des Stellenwerts der Medienkritik im Kriegsdiskurs dienten, wurden in der quantitativen Analyse die angesprochenen Medienakteure, der diskutierte Gegenstand, das Ausmaß der Kritik sowie die Ereignishaftigkeit der Berichterstattung erfasst.12 Die Akteure wurden hinsichtlich des Medientyps und ihrer nationalen Zugehörigkeit

10 Vgl. z. B. Reinemann (2003: v. a. 255 ff.); Mathes/Pfetsch (1991). 11 Weitere 37 Beiträge befassten sich zwar mit der Informationspolitik der Kriegsparteien, nah- men aber die Medienakteure und ihren Umgang damit nicht in den Blick und wurden in der weiteren Analyse nicht weiter berücksichtigt. 12 An dieser Stelle werden lediglich diejenigen Variablen genannt, die für die späteren Analysen von Belang sind.

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codiert. Die Bewertung der angesprochenen Medienakteure durch die Medien wurde in drei Schritten (positiv, ambivalent, negativ) gemessen. Der Gegenstand der Medienkri- tik betrifft den zentralen Fokus der Auseinandersetzung der Medien mit sich selbst. Die- se Variable unterscheidet zwischen Medieninhalten, Verhalten von Medienakteuren, strukturellen Bedingungen der Medienberichterstattung und Medien als Betroffenen von Kriegsgeschehen. Die Variable Ereignishaftigkeit unterscheidet zwischen einer rein ereignisorientierten und einer stärker thematischen Berichterstattung, die mehrere Ereignisse unter einem Blickwinkel präsentiert, also quasi zu einem Thema zusammen- fasst.13 Das Material wurde von insgesamt drei Codierern erfasst. Mit Reliabilitätskoef- fizienten von „.89“ für die formalen Variablen und „.71“ für die inhaltlichen Variablen14 wurde ein zufriedenstellendes Ergebnis bei der Überprüfung der Codierer-Überein- stimmung erzielt. Im Mittelpunkt des Interesses der qualitativen Untersuchung standen die konkreten Sachverhalte, auf die sich die Medienkritik richtete und die methodischen Muster der Argumentation. 108 von 474 Beiträgen entsprachen dem Auswahlkriterium „thema- tische Berichterstattung“. Die in der quantitativen Studie erfassten Gegenstände der Me- dienkritik wurden konkretisiert und differenziert, indem verschiedene Aussagentypen mit typischen Problematisierungen identifiziert wurden. In der qualitativen Feinanaly- se wurde ermittelt, in welchem Ausmaß die kritisierten Sachverhalte begründet, gedeu- tet und auf allgemeinere Gesetzmäßigkeiten bezogen wurden. Die drei Argumenta- tionsmuster „Begründung“, „Deutung“ und „Bezugnahme auf allgemeinere Gesetz- mäßigkeiten“ leiteten hier die Analyse der Art und Weise, in der die Kritik entwickelt wurde. Die Analyse wurde in zwei Durchgängen vorgenommen. Im ersten Durchgang wur- den alle Beiträge daraufhin durchgesehen, welche Aussagentypen und Argumentations- muster sie enthielten. Die Listen der resultierenden Aussagen wurden dann nach be- sonders typischen Merkmalen klassifiziert.15 Im zweiten Durchgang wurde das so ge- nerierte Klassifikationsschema auf die Beiträge angewandt,16 um zu überprüfen, ob die abstrakteren Klassen „greifen“, also das Hauptaufkommen der Aussagen und Argu- mentationsmuster angemessen abbilden. In einem letzten Schritt wurden besonders aus- sagekräftige Beispiele zur Illustration gesammelt.

13 Thematische Berichterstattung impliziert keinesfalls, dass keinerlei konkrete Ereignisse oder Medienberichte behandelt werden. Der Beitrag geht jedoch durch die Zusammenstellung die- ser Einzelfälle über eine rein chronistische Ereignisberichterstattung hinaus. 14 Der Koeffizient beruht auf Paarvergleichen zwischen drei Codierern und wurde nach Holsti be- rechnet. Die niedrigste Übereinstimmung (.62) ergab sich für den Kritikgehalt, die höchste (.90) für den Kritikgegenstand. Dazwischen ergaben sich für den Akteur „.71“, für den geographi- schen Bezug „.90“ und für die Ereignishaftigkeit „.71“. 15 „Ausreißer“ blieben so unberücksichtigt. Um die Befunde besser konturieren zu können, wer- den lediglich die besonders häufigen Aussagentypen beachtet. Insofern stellt auch unsere qua- litative Analyse ein komplexitätsreduzierendes Verfahren dar. 16 Die erste Durchsicht wurde von mir selbst vorgenommen, im zweiten Durchgang wurde ich von einem Codierer unterstützt, mit dem die jeweiligen interpretativen Zuordnungen abge- glichen wurden.

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Eilders · „Amis brauchen Umerziehung“

4. Ergebnisse I: Struktur und Inhalt der Medienkritik

4.1 Formaler Rahmen Fast 90 Prozent der 474 Artikel innerhalb des 13-wöchigen Untersuchungszeitraums wurden in der überregionalen Abonnementpresse veröffentlicht, die „Bild“ veröffent- lichte sechs und die Wochenpresse vier Prozent (Tab. 1). Vergleicht man die einzelnen Organe der überregionalen Abonnementpresse, so fällt zunächst die „taz“ durch ihre vergleichsweise häufige Berichterstattung auf – sie veröffentlichte insgesamt ein Viertel aller Beiträge.17 Die Medienkritik durch die Medien wies in der 12. bis 15. Kalenderwo- che, also während der Phase der Bombardierung des Iraks, einen Schwerpunkt auf. Mit der Kriegsberichterstattung insgesamt scheint also auch die Berichterstattung über Me- dien im Krieg zuzunehmen.

Tabelle 1: Verteilung des Untersuchungsmaterials (N=Beiträge)

Medium N Prozent die tageszeitung 135 28,5 Frankfurter Rundschau 72 15,2 Süddeutsche Zeitung 74 15,6 Frankfurter Allgemeine Zeitung 73 15,4 Die Welt 72 15,2 Bild 29 6,1 Die Zeit 10 2,1 Der Spiegel 9 1,9 Gesamt 474 100,0

Die besondere Relevanzzuweisung für die Medienkritik im Krieg zeigt sich darin, dass über ein Viertel der Beiträge in der überregionalen Abonnementpresse im aktuel- len politischen Ressort18 erschien, Medienangelegenheiten also häufig mit dem Kriegs- geschehen selbst verhandelt wurden. Der überwiegende Teil der medialen Beschäftigung mit Medien in den Qualitätszeitungen freilich fand – wie auch die Medienkritik in Rou- tinephasen der Politik – auf den Medienseiten (55 %) und im Feuilleton bzw. Kulturteil (14 %) statt. Das typische Genre für die Medienkritik im Krieg waren meinungshaltige Beiträge wie Kommentare und Glossen oder bewertende Essays (ein gutes Drittel) so- wie Mischformen wie Reportagen und Features (ein gutes Viertel). Aber auch in im- merhin 18 Prozent der Nachrichten wurden Medien thematisiert und in 18 Prozent der personenzentrierten Genres wie Porträts und Tagebuchkolumnen. Die „Bild“ und die Wochenpresse legten hierauf einen besonderen Schwerpunkt. Unter den Qualitätszei- tungen wies die „taz“ hier den höchsten Anteil auf, was nicht zuletzt der Tagebuchko- lumne von Selim Nassib mit 23 Beiträgen zuzuschreiben ist.

17 Selbst wenn man die Tagebuch-Kolumne von Selim Nassib mit 23 Beiträgen von den 135 „taz“- Beiträgen abzieht, behält die Zeitung mit Abstand ihre Spitzenposition. 18 Hier gingen auch die Titelseiten der Zeitungen ein sowie die Meinungsseite „Wahrheit“ der „taz“, die sich nicht ausschließlich mit Politik beschäftigt.

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4.2 Inhaltliche Schwerpunkte Das Medium Fernsehen zog mit 43 Prozent aller Beiträge die meiste Aufmerksamkeit der untersuchten Printmedien auf sich. Ein Drittel der Beiträge thematisierte die „Me- dien allgemein“.19 Die Kriegsberichterstatter stellten mit acht Prozent der Beiträge ebenfalls einen beachtlichen Aufmerksamkeitsfokus dar. Die starke Konzentration auf das Medium Fernsehen und die hohe Aufmerksamkeit für „Medien allgemein“ sind vor allem den Qualitätszeitungen zuzuschreiben. Die „taz“ und „Die Welt“ widmeten über die Hälfte ihrer medienbezogenen Beiträge im Kontext des dritten Golfkriegs dem Fern- sehen. Die „Bild“ fiel durch höhere Anteile für Berichte über Einzelpersonen und Kriegsberichterstatter20 auf. Printmedien, Hörfunk und Internet spielten eine unterge- ordnete Rolle in der Medienkritik. Eine nahe liegende Vermutung ist, dass der eigene Medientyp quasi im „toten Winkel“ der Medienkritik liegt. Die blinden Flecken bezie- hen sich also nicht nur auf das eigene Haus, sondern schließen alle Printmedien mit ein. Die Medien des eigenen Landes genießen dagegen nicht automatisch Immunität ge- gen Kritik. Der Fokus der kritischen Beobachtung lag ganz eindeutig auf den deutschen Medien (Tab. 2, letzte Zeile). Die irakischen Medien bildeten fast eine Leerstelle in der einschlägigen Berichterstattung. Die herausgehobene Position der amerikanischen Me- dien war dagegen umso bemerkenswerter. Betrachtet man die Verteilung der angespro- chenen Medientypen über die einzelnen nationalen Zugehörigkeiten hinweg, so zeigt sich, dass unter den deutschen Medienakteuren v. a. das Fernsehen angesprochen wur- de, aber auch die Medien allgemein und die Kriegsberichterstatter einige Aufmerksam- keit erhielten (Tab. 2). Die arabischen Länder wurden lediglich in Bezug auf das Medi- um Fernsehen angesprochen. Dabei vereinte „Al Dschasira“ den größten Anteil dieser Beiträge auf sich. Die Thematisierung der amerikanischen Medien konzentrierte sich ne- ben dem Fernsehen auf die Medien allgemein und die Printmedien. Insgesamt wurden in zwei Dritteln der Beiträge auch Bewertungen zu den angespro- chenen Medienakteuren formuliert. Dabei dominierten ganz überwiegend die negativen Urteile. Die „Bild“ wies mit 42 Prozent der Beiträge als einziges Medium einen ebenso großen Anteil positiver wie negativer Stellungnahmen auf. Die Qualitätszeitungen ur- teilten umso negativer je weiter links sie sich im politischen Spektrum verorten lassen. Allerdings stellte die „taz“ dabei eine Ausnahme dar. Die Tagebuchkolumne von Nassib, die v. a. das Programm von „Al Dschasira“ beobachtete, beschäftigte sich im Ge- gensatz zur einschlägigen Berichterstattung der anderen Presseorgane deutlich stärker mit den arabischen Medien und urteilte dabei vergleichsweise milde. Aber auch jenseits der „taz“ fiel das Urteil in Bezug auf die arabischen Medien deut- lich positiver aus als in Bezug auf Deutschland oder die USA, wobei Deutschland im- mer noch deutlich besser beurteilt wurde als die USA (Tab. 3). Es scheint hier also nicht nur ein ausgeprägtes Interesse für das eigene Land vorzuliegen, sondern auch ein ge-

19 Diese Ausprägung umfasst auch die Nennung so vieler unterschiedlicher Medien, dass keine Fo- kussierung auf einen Medientyp vorlag. 20 Seit längerer Zeit ist eine Heroisierung der Kriegsberichterstatter zu beobachten. Kriegsbe- richterstatter werden zunehmend zu Kriegshelden (vgl. Löffelholz 1993: 23). Nicht das Kriegs- geschehen, sondern das Schicksal einzelner Kriegsreporter wird zur Nachricht. Vor allem mit der Einführung der Strategie des „embedded journalism” dürfte diese Art von Aufmerksam- keitsgenerierung und damit der Anteil der „Berichterstattung über Berichterstattung“ weiter zugenommen haben (vgl. dazu auch den Beitrag von Donsbach/Jandura/Müller in diesem Heft).

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Tabelle 2: Medientypen nach nationaler Zugehörigkeit der Medien (in Spaltenprozent, N=Beiträge)

Medienakteure Deutschland Irak Andere arabische Länder USA Andere Länder Ohne geograph. Bezug Gesamt

Medienakteure allgemein 13,4 57,1 4,1 21,5 29,1 67,6 32,1 Fernsehen 44,8 42,9 91,8 44,1 30,9 27,2 42,8 Zeitungen/Zeitschriften/ Wochenzeitungen 7,5 0,0 2,0 12,9 12,7 0,0 6,3 Hörfunk 0,0 0,0 0,0 1,1 1,8 0,7 0,6 Internet 0,7 0,0 0,0 0,0 1,8 2,9 1,3 Andere Medien/Gruppen von Medien 4,5 0,0 0,0 4,3 1,8 0,7 2,5 Einzelpersonen 11,2 0,0 2,0 7,5 12,7 0,7 6,5 Kriegsberichterstatter 17,9 0,0 0,0 8,6 9,1 0,0 7,8 N 134 7 49 93 55 136 474 % von Medienakteuren 28,3 1,5 10,3 19,6 11,6 28,7 100

wisses Wohlwollen den entsprechenden Medien gegenüber. Da die Beurteilung der Me- dien anderer (nicht-arabischer) Länder nicht etwa besser ausfiel als die der US-Medien, kann man nicht von einem Antiamerikanismus ausgehen, sondern muss eine generell kritische Haltung annehmen. Die Medienkritik fokussierte stark auf die Medieninhalte und befasste sich ver- gleichsweise wenig mit anderen Aspekten des Medienhandelns. In insgesamt zwei Drit- teln der Beiträge handelte es sich damit um eine Kritik an der Berichterstattung über den Krieg. Die Arbeitsbedingungen und die Situation vor Ort (15 %) sowie die Medien- strukturen (9 %) bildeten weitere thematische Schwerpunkte der Medienkritik. V. a. die

Tabelle 3: Kritik an Medien verschiedener Länder* (in Spaltenprozent, N=Beiträge)

Kritikgehalt Deutschland Irak Andere arabische Länder USA Andere Länder Ohne geograph. Bezug Gesamt

Überwiegend positiv 15,5 0,0 29,4 15,6 11,8 2,9 12,4 Sowohl positiv als auch negativ 19,0 16,7 38,2 10,4 17,6 23,3 20,1 Überwiegend negativ 65,5 83,3 32,4 74,0 70,6 73,8 67,5 N 84 6 34 77 34 103 338

* In 338 von 474 Beiträgen wurden Bewertungen vorgenommen.

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„Bild“ konzentrierte sich statt auf die Berichterstattung stark auf das Geschehen vor Ort (Tab. 4), so z. B. in den vielen Beiträgen über die Sichtweise von Antonia Rados oder in Beiträgen wie „Bild hilft den Kindern“ vom 22.3.2003.

Tabelle 4: Beitragsgegenstand in verschiedenen Medientypen* (in Spaltenprozent, N=Beiträge)

Beitragsgegenstand Qualitätszeitungen Bild Wochenpresse Gesamt Berichterstattung 66,9 33,3 73,7 65,2 Medienhandeln/Bedingungen vor Ort 13,8 37,0 15,8 15,3 Medienstrukturen 9,0 11,1 10,5 9,2 Informationspolitik/Informationsstrategien 6,3 7,4 0,0 6,1 Sonstiges 4,0 11,1 0,0 4,3 N 399 27 19 445

* Der Beitragsgegenstand konnte nur in 445 von 474 Fällen zugeordnet werden.

4.3.Aussagentypen Die dargestellten Befunde zeigen eine umfangreiche und relativ kritische Beschäftigung mit der Berichterstattung deutscher, US-amerikanischer und arabischer Medien, v. a. aber des jeweiligen Fernsehens, die ganz überwiegend von den überregionalen Tages- zeitungen getragen wurde. Auf der Basis dieser quantitativen Befunde kann der inhalt- liche Fokus der Kritik nun durch die qualitative Analyse weiter konkretisiert werden. Allerdings ist dabei zu beachten, dass ausschließlich Artikel mit ausgeprägtem Medien- bezug und überwiegend thematischer Berichterstattung (N=108) untersucht wurden, um überhaupt genügend Material für eine Analyse der Argumentation zu erhalten (vgl. Abschnitt 3). Es ist davon auszugehen, dass im Gesamtaufkommen der Medienkritik im Krieg deutlich weniger ausgearbeitete und konsistente, in der Ausrichtung aber ähnliche Argumentationen zu finden sind. Zunächst lassen sich inhaltliche Aspekte der Kriegsberichterstattung von Aspekten ihrer Aufbereitung unterscheiden. Auf der inhaltlichen Dimension fand sich Kritik v. a. zur „Parteilichkeit der Darstellungen“, zur „Unzuverlässigkeit und Ungewissheit“ so- wie zu einem starken Fokus auf die Aspekte „Abenteuer und Technik“: Der Aspekt Par- teilichkeit umfasst Aussagen über eine einseitige, nicht objektive Kriegsberichterstat- tung. Der Aspekt Ungewissheit betrifft alle Aussagen über den Mangel an zuverlässigen Informationen, und der Aspekt Abenteuer und Technik bezieht sich auf Aussagen über die Ästhetik der Kriegsdarstellung. Auf der Dimension der Aufbereitung geht es um „Bilder“, „Experten“ und die „Ins- zenierung des Krieges als Spektakel“. Während die Aspekte Bilder und Experten alle Aussagen umfassen, in denen es um die Bedeutsamkeit und das Wirkungspotenzial von Bildern und Experten geht, zielt der Aspekt Inszenierung als Spektakel auf die Proble- matisierung des Tempos und der Dynamik der Berichterstattung. Die Aspekte der Inhalts- und Aufbereitungsdimensionen wurden v. a. in längeren Ar- tikeln nicht separat verhandelt, sondern häufig miteinander verknüpft. Diese Verknüp- fungen lassen sich besonders gut anhand einer zweidimensionalen Matrix aus den Aspekten der Inhaltsdimension und den Aspekten der Aufbereitungsdimension dar- stellen, die hier den Rahmen der Medienkritik aufspannen.

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Übersicht 1: Typische Aussagen auf den Dimensionen Inhalte und Aufbereitung

Aufbereitung Inhalte Bilder Experten Spektakel Parteilichkeit x x Ungewissheit x Abenteuer/Technik x x x

Besonders typische Kombinationen (vgl. Übersicht 1) bildeten dabei die Problematisie- rung von Bildern und die Parteilichkeit, aber auch von Bildern und dem Fokus auf Abenteuer und Technik, da diese Inhalte besonders wirksam visuell vermittelt werden. Auch in Bezug auf Experten fanden sich diese Kombinationen. In Bezug auf das Spek- takel wurde inhaltlich stärker der Aspekt der Ungewissheit thematisiert. Das Spektakel – so wurde häufig argumentiert – gehe mit einer völligen Abwesenheit von Information Hand in Hand. Besonders häufig geriet allerdings auch der Aspekt Abenteuer und Tech- nik in den Blick, weil die Aufbereitung diesen Inhaltsaspekt nochmals unterstützt. Der Aspekt Parteilichkeit wurde innerhalb der inhaltlichen Kritikaspekte am häu- figsten kritisiert. Unter den vielen eher allgemeinen Feststellungen einseitiger Bericht- erstattung sowohl in den USA (z. B. in Bezug auf die patriotische Berichterstattung von „FOX“), als auch in Deutschland (z. B. in Bezug auf die USA-Feindlichkeit) und bei „Al Dschasira“ (z. B. in Bezug auf den Fokus auf zivile Opfer) lassen sich zwei Hauptlinien unterscheiden: Die eine Linie betont die Einseitigkeit durch Ausblendung oder Her- vorhebung bestimmter Inhalte, die andere Linie macht Aussagen zu bestimmten Strate- gien der Informationslenkung, wie etwa der Einbettung von Journalisten in die Truppe. Hinsichtlich der kritisierten Ausblendung bestimmter Inhalte wird typischerweise ar- gumentiert, die Nichtberücksichtigung von Protest und Kritik in den USA und von Lei- den und Opfern des Krieges bedeute eine Parteinahme für die Kriegspolitik der USA. Die „taz“ etwa lässt Michael Moore zu Wort kommen: „‚Wenn man sich die Nachrichten anschaut‘, sagt Michael Moore, würde man nicht darauf kom- men, dass Millionen von Menschen auf die Straße gehen und sich für eine andere Lösung einsetzen – eine, die nicht das Abschlachten von Unschuldigen vorsieht.“ (taz, 22./23.3.03, Medien)

Auch die „Zeit“ thematisiert unter der Zwischenüberschrift „Die unterschlagene Frie- densdemonstration“ (Zeit 20.3.03, Medien) die geringe Medienbeachtung der von Moo- re angesprochenen New Yorker Demonstration. Das Gegenstück zu den kritischen Einlassungen über die parteiische Berichterstat- tung bestimmter Medien bilden Aussagen, die die Ausgewogenheit einer ausführlichen Berichterstattung über die grausamen Seiten des Krieges hervorheben oder die Darstel- lung von Protest und Kritik loben. So wird etwa „Al Dschasira“ gelobt, weil der Sender auch die Opfer des Krieges zeigt:

„Der Sender ist daran interessiert, auch die Seiten des neuen Golf-Krieges, die die US-Regierung lieber verstecken möchte, der arabischen Welt zu zeigen. Zumindest sagt das Al Dschasira über Al Dschasira. Zu dieser selbst auferlegten Pflicht zählt der Sender auch die Ausstrahlung von Bildern, die getötete US-Soldaten und Opfer in der irakischen Zivilbevölkerung zeigen.“ (FR, 25.4.03, Po- litik)

Die zweite Hauptlinie der Kritik betrifft die Skandalisierung des „embedding“ und an- derer Strategien der Informationskontrolle. Es wird argumentiert, diese Strategien er-

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laubten nur eine einseitige Berichterstattung im Sinne der Alliierten. Die Kritik kon- zentriert sich im Wesentlichen auf die durch die Nähe zur Truppe entstehende Verbun- denheit der eingebetteten Journalisten zu den USA: „Zudem besteht die Gefahr der Einseitigkeit durch zu große Nähe (...) Wes’ Brot ich ess, des’ Lied ich sing.“ (SZ, 9.4.03, Sonderseiten)

Selbst die „FAZ“, die sonst jegliche US-kritische Berichterstattung schnell als Anti- amerikanismus auslegt, verurteilte diese Art der Informationslenkung:

„Die ,eingebetteten‘ Journalisten bekommen ganz automatisch eine einseitige Sicht. Es ist die der Soldaten, mit denen sie unterwegs sind. Von denen sie ja auch abhängig sind. Da ist es schwer, wenn nicht unmöglich, Distanz zu halten. Wer in der Wir-Form spricht (,Wir sind heute vierzig Kilo- meter vorangekommen‘), der denkt möglicherweise auch in der Wir-Form.“ (FAZ, 27.3.03, Medi- en)

Neben der Strategie des „embedding“ stand vor allem die Unterdrückung von Infor- mationen durch die USA im Mittelpunkt der Kritik. In der „FR“ wurde das Nicht-Zei- gen der kriegsgefangenen US-Soldaten in den US-Medien nicht so sehr der Einhaltung der Genfer Konvention zugeschrieben als vielmehr der politischen Einflussnahme oder der patriotischen US-Linie: „Obwohl hunderte US-Journalisten die Militärkolonnen an der Front begleiteten, um diesen Krieg live in die heimischen Wohnstuben zu tragen, verzichteten die meisten Sender nach einer Inter- vention des Pentagon darauf, die von der irakischen Regierung verbreiteten Aufnahmen von den ersten US-Kriegsgefangenen zu zeigen.“ (FR, 25.4.03, Politik)

Der Aspekt „Ungewissheit“ wurde deutlich seltener thematisiert als die Parteilichkeit der Berichterstattung, stellte aber dennoch einen zentralen Kritikpunkt dar. Der Man- gel an Information und ihre geringe Zuverlässigkeit wurden als Quelle der Verunsiche- rung gesehen. So wurden die eingebetteten Journalisten nicht nur unter Parteilichkeits- Gesichtspunkten diskutiert, sondern auch als unzureichend informiert beschrieben: „So sind die Journalisten, deren Aufnahmen von vielen anderen Sendern übernommen und neu kommentiert werden, dabei und doch nicht in der Lage, einen Überblick zu geben, wie sollten sie auch? Was sich mitteilt ist, daß die einzelnen Soldaten selbst nicht überschauen können, was sich insgesamt ereignet.“ (FAZ, 22.3.03, Medien)

Ein besonderer Fokus lag auf dem Missverhältnis zwischen mangelnden Informationen und umfangreicher Sendezeit:

„ARD und ZDF nutzen ihr dichtes Korrespondentennetz und weben es zur Endlosschleife um. Von Hamburg und Mainz geht es nach Bagdad, nach Katar, nach London, nach Washington, nach Kairo, nach Berlin, nach Kuwait, nach Moskau – und wenn man am Ende angekommen ist, fängt man wieder von vorne an. (...) Aber über die Stunden hinweg kann auch die klügste Analyse nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Größe einer Nachricht letztlich nicht in Sendezeit aus- drücken lässt. Es war Ungeheures geschehen, aber zugleich war so wenig geschehen, und das We- nige lässt sich sehr rasch beschreiben.“ (FR, 21.3.03, Medien)

Der Aspekt Abenteuer und Technik bildete quantitativ den kleinsten Schwerpunkt der Medienkritik. Es wurde argumentiert, dass die Fokussierung auf den Erlebnischarakter des Krieges und die technischen Einzelheiten ein ästhetisches Bild produziere, das von der grausamen Realität des Krieges ablenke und den Krieg verharmlose. Häufig wurde diese Art der Darstellung auch als Parteilichkeit für die USA ausgelegt:

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„Bilder, fast zu schön, um aus einem Krieg zu sein. Aber zwischen Start und Landung lag ein Bom- benabwurf. (...) In der Dokumentationsreihe ‚Technik Extrem‘ des Nachrichtensenders N24 geht es nicht um Opfer und Konflikte, sondern um die Ästhetik und die Faszination moderner Waf- fentechnik. Vorgeführt mit freundlicher Erlaubnis der US-Armee. Schützengrabenromantik schon bei den Titeln der Sendungen: ‚Flügel aus Stahl‘ heißen die Portraits der besten Kampfflugzeuge der US-Armee, oder auch ‚Wächter der Nacht‘“. (taz, 6.3.03, Medien)

Während die drei inhaltlichen Aspekte das Hauptaufkommen der medienkritischen Aussagen ausmachten, wurde auf die Aufbereitung der Inhalte deutlich seltener einge- gangen. Die Aufbereitung stellt damit quasi die Restgröße der Problematisierungen dar. Quantitativ am bedeutsamsten war die Auseinandersetzung mit den Bildern. Die Aus- sagen über Bilder an sich waren von den inhaltlichen Problematisierungen kaum zu tren- nen, wiesen aber auch eine eigene Ausrichtung auf. Zwei Hauptlinien lassen sich iden- tifizieren. Die eine hebt v. a. auf die große Wirkungsmacht von Bildern ab, der andere thematisiert den Bildinhalt selbst. In Bezug auf die Effekte bezeugte Experte Michael Gerth in der „FR“: „Insbesondere Fernsehbilder von Hungersnöten oder Naturkatastrophen können jenen ‚maßlosen Druck‘ erzeugen, der die Politiker regelrecht zum Handeln zwingt“. (FR, 24.2.03, Medien)

Die Einlassungen zu Bildinhalten gingen meist in Richtung des Aspekts Parteilichkeit. Ausnahmen waren Aussagen über die Realitätsnähe von Bildern. So hieß es in der „taz“, die Materialität des Krieges sei durch die spezifischen Bilder im Gegensatz zum letzten Golfkrieg von Anfang an präsent gewesen: „Am erschreckendsten wäre es aber gewesen, wenn auch von diesem Krieg wieder nur Lichtblitze geblieben wären. Das hätte geradezu etwas Gespenstisches gehabt“. (...) „Es hat etwas Unheimli- ches, wenn diese Effekte (die Waffen auf menschliche Körper haben, CE) nicht gezeigt werden.“ (taz, 25.3.03, Kultur)

Bezüge auf Experten wurden nur dann als Problematisierung der Aufbereitung erfasst, wenn nicht auf ihre Instrumentalität für eine Kriegspartei, sondern etwa auf die „Ex- pertomanie“ verwiesen wurde, oder auf die Beliebigkeit von Experten:

„Natürlich gibt es Fachleute. Mehrmals täglich sehen wir Generäle a. D. und Strategieexperten. Nur leider kopieren diese Fachleute die Journalisten: Sie bleiben ungenau, vernebeln und erweitern eine Laienspielschar. Dann werden ,Strecken gesichert‘, es wird festgestellt, es fehle am Vormarsch oder es gebe ihn doch. Es gibt Banalitäten aus dem Sandkasten zuhauf: ,Je länger man nach vorne geht, um so weniger bleibt vorne übrig.‘ Nichts von alldem ist falsch.“ (FAZ, 28.3.03, Medien)

Im Zentrum der Kritik an der Inszenierung von Krieg als Spektakel standen die schnel- len Schaltungen, die Dauersendungen, die Betonung von Echtzeitübertragung etc., die die Kriegsberichterstattung eher als Unterhaltungsgenre erscheinen ließen. Eine belieb- te Analogie war die Sportberichterstattung:

„Daher wird dieser Krieg nach den Regeln der Sportberichterstattung verstanden. Erst im nächsten Krieg wahrscheinlich wird unseren Bildvermittlern auffallen, dass sie diesmal in eine ganz andere Falle gegangen sind als beim letzten Mal. Nicht mehr in die Virtualitätsfalle, sondern in die Au- thentizitätsfalle. Bis in die Dramaturgie hinein gleichen manche Kriegssendungen den Übertra- gungen von Fußballspielen oder anderen Sportevents.“ (taz, 2.4.03, Feuilleton)

Fasst man die Befunde zu Struktur und Inhalt der Medienkritik zusammen, so ist zunächst hervorzuheben, dass die Medien sich in beträchtlichem Umfang – und nicht nur beschränkt auf die Medienseiten – mit der Beobachtung ihres eigenen Tuns bzw.

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dem ihrer Konkurrenz beschäftigt haben. Diese Beschäftigung fand sich in allen unter- suchten Medientypen, war jedoch in den überregionalen Tageszeitungen sowohl quan- titativ als auch vom Niveau der Auseinandersetzung her besonders augenfällig. Der Großteil der Medienkritik durch Medien wurde im dritten Golfkrieg damit von der „taz“, der „FR“, der „SZ“, der „FAZ“ und der „Welt“ getragen. Die „taz“ dominierte die Medienkritik im Krieg mit großem Abstand. Die Blickrichtung dieser Printmedien war eindeutig das Bildmedium Fernsehen, der Tenor war kritisch. Der Großteil der Kri- tik bezog sich auf die Aspekte Parteilichkeit, Ungewissheit und den Aspekt Abenteuer und Technik auf der Inhaltsdimension und Bilder, Experten und Spektakel auf der Auf- bereitungsdimension.

5. Ergebnisse II: Zwischen Ereignisberichterstattung und medialem „Nachden- ken“ über Medien Eingangs war argumentiert worden, die öffentliche Medienkritik könne zur Auseinan- dersetzung der von Medien durchdrungenen Gesellschaft mit sich selbst umso besser beitragen, je stärker die Kritik nicht nur behauptet, sondern ausgeführt würde, je mehr also die kritisierten Sachverhalte nicht nur erwähnt, sondern begründet, gedeutet und auf Gesetzmäßigkeiten bezogen würden. Um das Potenzial für einen solchen Selbstver- ständigungsprozess abzuschätzen, wurde in der qualitativen Inhaltsanalyse zunächst überprüft, inwiefern die Thematisierung von Medien in den Medien sich überhaupt von der unmittelbaren Ereignisberichterstattung löst und damit ein Nachdenken über Me- dien erst ermöglicht. Als erste grobe Annäherung an die Erfassung eines solchen Reflexionsgehalts der Me- dienkritik im Krieg wurde in der quantitativen Analyse für alle 474 Beiträge die Er- eignishaftigkeit der Medienkritik erfasst. Kriterium war das Ausmaß, in dem eine The- matisierung von Medien sich auf die unmittelbare Ereignisebene (ein medienbezogenes Ereignis oder einen Medienbeitrag) beschränkte oder thematisch wurde, indem eine übergeordnete Perspektive eingenommen wurde. Die Befunde zeigen einen vergleichs- weise geringen Anteil thematischer Medienkritik. Nur in jedem vierten Beitrag wurde überwiegend thematisch berichtet (Tab. 5). Die „Bild“ lag wenig überraschend noch un- terhalb dieses Anteils, die Wochenpresse erwartungsgemäß etwas darüber, da hier kei- ne tagesaktuelle Nachrichtenberichterstattung stattfindet. Angesichts des hohen Anteils überwiegend oder zumindest teilweise ereignishafter Berichterstattung kann für das Hauptaufkommen der Medienkritik kaum angenommen werden, dass das Publikum zur gründlichen Auseinandersetzung mit den Medien im Krieg angeleitet wurde. Wie aber verlief die Argumentation dort, wo ein Mindestmaß an „Nachdenken“ zu erwarten war? Wie wurden dem Publikum die Charakteristika der Mediengesellschaft

Tabelle 5: Ereignishaftigkeit in verschiedenen Medientypen (in Spaltenprozent, N=Beiträge)

Ereignishaftigkeit Qualitätszeitungen Bild Wochenpresse Gesamt Überwiegend Ereignis 35,0 62,1 26,3 36,3 Sowohl Ereignis als auch Thema 38,5 24,1 42,1 37,8 Überwiegend Thema 26,5 13,8 31,6 25,9 N 426 29 19 474

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nahe gebracht? Die qualitative Analyse der Argumentationsmuster der Kritik der Me- dien an der Kriegsberichterstattung erlaubt nun einen differenzierteren Blick auf die Spezifika dieser thematischen Berichterstattung. Begründung, Deutung und der Bezug auf allgemeinere Gesetzmäßigkeiten waren als mögliche methodische Muster der Argumentation genannt worden. Eine begründete Kritik kann eine Erklärung sein, warum etwas gut oder schlecht ist und woran man die Güte erkennt, oder eine Illustration des behaupteten Sachverhalts anhand eines Bei- spiels. So würde etwa die Kritik an der Strategie der Einbettung von Reportern in eine militärische Einheit im Irakkrieg entweder begründet werden mit dem Verweis auf die erwünschte Distanz der Reporter oder illustriert werden durch Zitate aus Berichten, in denen der Reporter diese Distanz vermissen lässt. Die Begründung kritisierter Sachverhalte wurde in den untersuchten Zeitungen und Wochentiteln in der Regel anhand von Beispielen oder auch Gegenbeispielen vorge- nommen. Das dürfte bereits in den oben angeführten Textbelegen für die verschiedenen Aussagentypen deutlich geworden sein. Die Illustration eines kritisierten Sachverhalts ist sicherlich eine gängige journalistische Technik, die den Text „plastischer“ macht. Hier wurde Kritik nicht nur behauptet, sondern tatsächlich ausgeführt, indem quasi stellvertretend eine Erscheinungsform des Sachverhalts dargestellt wurde. Bleibt die Ar- gumentation bei der Illustration stehen, so impliziert das allerdings einen Mangel an All- gemeinheit, von dem weiter unten noch die Rede sein wird. Eine Deutung ordnet einen Sachverhalt in einen anderen als den ursprünglichen Kon- text ein. Im Gesamtbild der untersuchten Printmedien fanden sich Deutungen ver- gleichsweise selten. Hier werden Beziehungen zu politischen und gesellschaftlichen Strukturen hergestellt, mögliche Folgen thematisiert oder Analogien angesprochen. Bei- spielsweise könnte ein Bericht über Waffentechnologie als Verharmlosung gedeutet werden. Eine „Deutung“ des Angriffs auf die Journalisten im „Palestine“ bestünde etwa in der Diskussion der möglichen Motive. Auch Ausführungen zur Bedeutung von ara- bischen Fernsehsendungen stellen eine Deutung dar. So deutet etwa der „Spiegel“ die Sendungen von „Al-Dschasira“ als entscheidende Neuerung in der Kriegsberichterstattung: „Schon jetzt hat Al-Dschasira das Bildmonopol gebrochen. Es ist kein Videogame und keine Rea- lityshow mehr.“ (Der Spiegel, 31.3.03, Medien) Selbst die Frageform von Franz Josef Wagner in der „Bild“ mag eine Auseinanderset- zung mit Medien anregen:

„Liebe Reporter im Krieg, der Kriegsschauplatz ist euer frei gewählter Arbeitsplatz. Seltsame Men- schen seid ihr. (...) Habt ihr Reporter/innen nichts zu verlieren? (...) Weint und haut ab (...).“ (Bild, 2.4.2003, S. 2). Die wenigen Ursachenattributionen, die vorgenommen wurden, betrafen die Ökono- mie. So erläutert etwa Meyrowitz das Phänomen der Einseitigkeit:

„Zudem kontrolliert nur noch eine Handvoll Unternehmen den Medienmarkt. Hauptziel ist Ge- winnmaximierung (...) Die zunehmende Verschlankung von Redaktionen und Korrespondenten führt dazu, dass sich Journalisten immer stärker auf offizielle Quellen wie Pentagon, Weißes Haus und Außenministerium verlassen.“ (...) „Amerikaner werden nicht dazu erzogen, ihr Land kritisch zu betrachten.“ (taz, 11.3.03, Medien)

Der vermeintliche ökonomische Erfolg findet sich auch als mögliche Ursache für den Abenteuer- und Technik-Fokus. Es wird angenommen, dass romantisierte, abenteuer-

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orientierte Darstellungen des Krieges und ein starker Technikfokus sich gut verkaufen. So zitiert etwa die taz aus einer Veranstaltung mit Medienschaffenden:

„‚Wir Medienschaffende verstehen uns auch als das wachsame Auge unserer demokratischen Ge- sellschaft.‘ (...) ‚Wir dürfen uns nicht zu Waffenerklärern und Amateurstrategen instrumentalisie- ren lassen. Wer mit dem Krieg auf Quotenfang geht, macht sich mitschuldig.‘“ (taz, 24.3.03, Medi- en)

Bezüge auf Wirkungen wurden – zumindest explizit – noch seltener hergestellt. Impli- zit ging es allerdings um den Einfluss auf die öffentliche Meinung. Diese Befürchtung schwang zumindest mit, wenn die Einseitigkeit der Berichterstattung skandalisiert wur- de. Offenbar wurde der Zusammenhang als so selbstverständlich wahrgenommen, dass er nicht mehr ausgeführt werden musste. Die „Zeit“ stellt eine Ausnahme dar, zumal hier auf die Grenzen des Medieneinflusses verwiesen wurde:

„Frohlockend schrieb neulich eine deutsche Tageszeitung, je mehr Propaganda Murdoch für den Irak-Krieg betreibe, desto stärker wachse (...) die Skepsis gegenüber einem Waffengang. Doch hat sich die Öffentliche Meinung in Großbritannien gerade wieder gedreht.“ (Zeit, 20.3.2003, Medien) Etwas häufiger expliziert wurden die Verharmlosung des Krieges als Folge der Darstel- lung und Aufbereitung, das Nicht-Begreifen von Krieg und der Glaubwürdigkeitsver- lust der Medien. Ein drittes Argumentationsmuster betraf den Bezug auf allgemeinere Gesetzmäßig- keiten. Kritik wird hier entwickelt, indem von Einzelfällen auf allgemeinere Phänome- ne und Mechanismen geschlussfolgert wird. Die Vielzahl der Beispiele, die die Medien- kritik im dritten Golfkrieg illustrierten, wurde nach den Befunden der Argumentati- onsanalyse kaum in die Diskussion von Gesetzmäßigkeiten überführt. Die Beispiele sollten quasi für sich sprechen. Muster oder Trends wurden kaum identifiziert. Die „Medienlogik“ wurde ebenso wenig erläutert wie andere generelle Strukturen oder Re- geln, die verallgemeinernde Aussagen erlauben würden. Der Mangel an Bezügen auf allgemeinere Gesetzmäßigkeiten hat aber nicht nur Kon- sequenzen für die gesellschaftliche Selbstverständigung. Sie betrifft auch die blinden Flecken der Medienkritik. Wie weiter oben ausgeführt, richtete sich die Kritik selten auf den eigenen Medientyp oder gar das eigene Haus. Eine allgemeinere Formulierung der Kritik bzw. der Regeln, die für die Art der Berichterstattung verantwortlich gemacht wurden, hätte das eigene Medium implizit inkludiert. So aber konnte nicht deutlich wer- den, dass die Medien als solche und nicht nur bestimmte (andere) Medien hier Mecha- nismen unterliegen, die wenig wünschenswerte Folgen für die Berichterstattung haben. Insgesamt lassen sich die methodischen Muster der Argumentation als relativ stark an Einzelfällen orientiert zusammenfassen. In der Regel wurden die Urteile am Beispiel illustriert. Höhere Ansprüche an begründende, deutende und verallgemeinernde Aus- führung von Kritik gehen offenbar an der Realität der medialen Medienkritik im Krieg vorbei. Eine Aufklärung des Publikums über Medien im Krieg und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Medien erscheinen damit – trotz der relativ umfangreichen und vielfältigen Kritikpunkte und obgleich die mediale Medienkritik sich keineswegs im „Nacherzählen“ medienbezogener Ereignisse und bestimmter Sendungen oder Artikel erschöpft – eher unwahrscheinlich.

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6. Fazit Ausgangspunkt unserer Analyse der Medienkritik der Medien im Krieg war die Erwar- tung, dass der Medienberichterstattung in der kritischen Situation des Krieges eine be- sonders herausgehobene Bedeutung zukommt. Diese kann von unterschiedlichen ge- sellschaftlichen Instanzen beobachtet und bewertet werden. Eine mögliche Kontrollin- stanz zur Qualitätssicherung im weitesten Sinne stellen die Medien als professionelle Be- obachter selbst dar. Es wurde argumentiert, dass sich die Gesellschaft durch die öffentliche Debatte mit dem Soll- und Ist-Zustand ihrer Medien beschäftigt. Dazu muss die Medienkritik nicht nur behauptet, sondern auch nachvollziehbar entwickelt werden, so dass das Publikum zu eigener kritischer „Lektüre“ befähigt wird. Unsere Analyse zeigte zumindest quantitativ erhebliches Potenzial zur Erfüllung dieser Erwartungen. Die Medienkritik durch Medien im Krieg erwies sich als umfang- reich und ging weit über die Medienseiten hinaus. Im Mittelpunkt des Interesses stand das Fernsehen, die meiste Kritik zogen die US-Medien auf sich. Selbstkritik im strengen Sinne blieb dagegen eine Leerstelle. In der überregionalen Qualitätspresse, dem wesent- lichen Träger der Medienkritik im dritten Golfkrieg, war die einseitige Berichterstat- tung ein klarer inhaltlicher Schwerpunkt, der auch bei der Problematisierung von bestimmten Aspekten der Aufbereitung wie Bildern und Expertenbezügen immer wie- der aufkam. Daneben wurden in nennenswertem Umfang auch die Ungewissheit und der Mangel an Information angesprochen. Während in der „Bild“ v. a. Promi- nentenberichterstattung betrieben wurde, fand in den anderen Zeitungen und Wochen- titeln ein Mindestmaß an „Nachdenken“ über die Medien statt. Zwar dominierten die ereignisorientierten Berichte, aber gut ein Viertel der Medienkritik war überwiegend thematisch, d. h. nicht ein Ereignis oder bestimmter Medienbericht stand im Vorder- grund, sondern es wurde ein bestimmter Sachverhalt diskutiert. Gleichwohl lassen die Befunde es nicht zu, hier von einem substanziellen Beitrag zur gesellschaftlichen Selbstverständigung auszugehen. Die Analyse der methodischen Ar- gumentationsmuster hat auch für die ausgewählten thematischen Beiträge eine Domi- nanz von illustrativem, am Einzelfall verhafteten Vorgehen und eine weitgehende Ab- wesenheit von Deutungen und der Erläuterung von Gesetzmäßigkeiten gezeigt. Ein Be- greifen der Phänomene der Mediengesellschaft wurde kaum angeleitet. Die Erkenntnis- möglichkeiten des Publikums wurden damit nicht annähernd ausgeschöpft. Solange jedoch lediglich konkrete journalistische Fehlleistungen thematisiert werden, ohne dass allgemeinere Phänomene identifiziert und benannt werden, erschließt sich die Medien- gesellschaft nicht. Und ohne ein Verständnis der Medienlogik kann auch ein Auseinan- derklaffen zwischen Funktionen und Leistungen nicht sinnvoll diskutiert werden. Die professionellen Standards der Kriegsberichterstattung mögen mit der Fokussierung auf den konkreten Einzelfall zwar einer gewissen Kontrolle unterliegen, das notwendige Nachdenken über Medien wird damit aber nicht inspiriert.

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Mediale Legitimierung von Kriegen durch Rollen-Zuschreibung Eine explorative Studie zur Berichterstattung deutscher Nachrichtenmagazine über den Kosovo-Krieg

Bertram Scheufele

Der Beitrag erörtert am Beispiel des Kosovo-Kriegs, wie Medien Kriege und politisches Handeln in Kriegszeiten legitimieren. Der Begründungs- und Zustimmungsaspekt poli- tischer Legitimität werden nicht für Themen oder Argumente in der Berichterstattung diskutiert. Stattdessen geht es um Rollen-Zuschreibungen an Akteure. Die theoretischen Überlegungen münden in einer empirischen Studie zu Rollen-Zuschreibungen in der Be- richterstattung der Nachrichtenmagazine ‚Der Spiegel‘ und ‚Focus‘ über den Kosovo- Krieg 1999. Damit lässt sich klären, inwiefern die Magazine über Rollen-Zuschreibung die Begründung für den NATO- und Bundeswehr-Einsatz stützten und ob sie eher Zu- stimmung oder Ablehnung dafür vermittelten.

Keywords: Politik, Medien, Legitimität, Rolle, Kosovo, Krieg

Mit der Operation ‚Allied force‘ im Jahr 1999 operierte die NATO im Kosovo-Krieg ohne UN-Mandat. Zudem beteiligte sich die Bundeswehr erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg an einem Kampfeinsatz. In den Medien ging es primär um Kampfhandlungen und tagesaktuelle politische Ereignisse. Sekundär ging es um die völker- und verfas- sungsrechtlichen Aspekte des Kriegseinsatzes. Während die Primärberichterstattung den Routinen journalistischer Arbeit folgte, boten sich Deutungsfreiheiten für die Se- kundärberichterstattung. Denn offizielle Erklärungen zu Notwendigkeit und Hinter- gründen des Krieges blieben Mangelware (vgl. Steinkamm 2000: 335f.). In diese Deu- tungslücke konnten die Medien stoßen. Der Beitrag untersucht anhand von Rollen-Zu- schreibungen, wie deutsche Nachrichtenmagazine den Krieg begründeten und ob sie Zustimmung dafür vermittelten.

1. Politische Legitimität als Aspekt medialer Politikvermittlung „Politik [ist] – auch für politische Akteure – ein überwiegend massenmedial ‚vermittel- tes‘ Geschehen […], das politische Realität nicht einfach abbildet, sie vielmehr […] erst durch die Publizität mitkonstruiert“ (Sarcinelli 1998b: 702). Von der Politikvermittlung der Medien hängt auch in hohem Maße ab, ob politische Entscheidungen für die Bür- ger/innen als legitim erscheinen. Hier soll nicht geklärt werden, ob die Bevölkerung po- litische Entscheidungen tatsächlich legitimierte, sondern nur, ob die Massenmedien dafür Legitimität vermittelten. Politische Legitimität (vgl. z. B. Westle 1989) bedeutet, dass Regierende immer „über ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit […] verfügen“ (Heller 1971: 247), sich aber stets gegenüber dem Volkssouverän rechtfertigen müssen. Herrschaft ist dabei sowohl begründungspflichtig als auch zustimmungsabhängig. „Bei- de, Zustimmung und Begründung, finden ihre Realisierung durch und im Rahmen po- litischer Kommunikation“ (Sarcinelli 1998a: 253). Letztere lässt sich als intermediäres System begreifen. „Intermediäre Systeme verbinden […] Systeme, zwischen denen Kommunikationsschranken existieren“ (Rucht 1991: 5). Bezogen auf Politik geht es zum einen um Entscheidungsvermittlung vom politisch-administrativen System zur Ge-

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sellschaft, zum anderen um Interessenvermittlung in umgekehrter Richtung. Dieser Bei- trag betrachtet die erste Richtung: Wie vermittelten deutsche Nachrichtenmagazine den NATO- und Bundeswehreinsatz sowie das Handeln deutscher Entscheidungsträger im Kosovo-Krieg? Jarren/Donges (2002: 137ff.) unterscheiden im intermediären System Akteure der Durchsetzung, Aggregation und Artikulation von Interessen. Damit sind im Kosovo- Krieg deutsche Akteure wie folgt zu klassifizieren: • Der zentrale Akteur der Interessen-Durchsetzung im Kosovo-Krieg war die Bun- desregierung sowie die Bundeswehr. Regierungs- und Oppositionsparteien sind über das Parlament an Entscheidungen und damit auch an der Interessen-Durchset- zung beteiligt. So wurde der Bundeswehreinsatz im Kosovo erst durch die breite Bundestagsmehrheit vom 16. Oktober 1998 möglich. Aus deutscher Sicht gehörte zur Sphäre der Interessen-Durchsetzung auch die internationale Staatengemein- schaft (UNO, NATO, USA und Russland). • Außerhalb des Parlaments dienen Parteien der Interessen-Aggregation. Im Kosovo- Krieg bündelten sie die Interessen der Gegner und Befürworter des Kriegs. Der Dis- kurs betraf v. a. zwei Fragen (vgl. Steinkamm 2000): In völkerrechtlicher Hinsicht beriefen sich Kriegsgegner auf das Gewaltverbot der UN-Charta und das Prinzip der Nicht-Intervention. Zudem hätten die UN-Resolutionen von 1998 nicht zu Mi- litärgewalt ermächtigt. Die Befürworter hielten die Notlage der Bevölkerung für eine Bedrohung des Friedens. Dies erlaube eine „humanitäre Intervention“ oder bei einem Veto im UN-Sicherheitsrat „humanitäre Nothilfe“. Verfassungsrechtlich be- riefen sich die Gegner auf Art. 24 Abs. 2 GG, der zu Bundeswehreinsätzen nur im Rahmen der NATO autorisiere; der Kosovo-Einsatz ergebe sich nicht aus der NATO-Zugehörigkeit. Die Befürworter legten den NATO-Vertrag dagegen weit aus. • Kollektive und individuelle Akteure der Gesellschaft wie Verbände oder soziale Be- wegungen sind Akteure der Interessen-Artikulation. Im Kosovo-Krieg gehörten dazu z. B. Friedensinitiativen, Wissenschaftler oder Kirchenvertreter. Akteure im intermediären System beschäftigen sich mit Problemen, wobei zwischen Definition und Lösung zu unterscheiden ist. Die Problemdefinition umfasst Schuldige bzw. Verursacher sowie Betroffene; zur Problemlösung gehören die dafür zuständigen Akteure (vgl. z. B. Gerhards/Neidhart 1990: 42; Kepplinger 1998: 56ff., 74ff.). Mit die- sen Überlegungen lässt sich ein Teil der Art und Weise klären, wie Medienberichter- stattung Legitimität für politische Handlungen und Entscheidungen vermitteln: Auf der Begründungsebene können Medien die Problemdefinition und -lösung der Akteure der Interessendurchsetzung legitimieren, indem sie diese explizit bewerten, argumentativ oder durch werthaltige Sachverhalte stützen (vgl. Kepplinger et al. 1989). Auf der Zu- stimmungsebene können sie Entscheidungen legitimieren, wenn sie über innerparteili- che, parlamentarische oder gesellschaftliche Zustimmung berichten. Die Studie unter- sucht anhand des Kosovo-Kriegs, wie die Medien Entscheidungen auf den beiden Ebe- nen durch Rollen-Zuschreibungen an Akteure (de)legitimierten.

2. Mediale Legitimierung durch Rollen-Zuschreibungen Uns interessiert, wie die Medien politische Entscheidungen im Kosovo-Krieg durch Rollen-Zuschreibungen (de)legitimierten. Rollen in der Berichterstattung wurden bis- lang vergleichsweise selten und eher implizit (z. B. Kepplinger et al. 1986) untersucht.

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Tabelle 1: Ebenen und ausgewählte Aspekte politischer Legitimierung durch Massenmedien

Legitimitätsebene Legitimitätsaspekt Legitimierung durch Beispiel beim (Auswahl) Rollen-Zuschreibung Kosovo-Krieg Begründungsebene Problemdefinition der Zuschreibung von Bundesregierung und Akteure der Rollen an Schuldige Medien schreiben den Interessendurchsetzung und Betroffene Serben gleichermaßen z. B. die Rolle des „Aggressors“ zu Zuschreibung von Medien delegitimieren Rollen an Akteure der die Entscheidungen Interessendurchsetzung (Problemdefinition, Problemlösung) der Bundesregierung, Problemlösung der Zuschreibung von indem sie ihr die Rolle Akteure der Rollen an Akteure der z. B. eines „Populisten“ Interessendurchsetzung Interessendurchsetzung zuschreiben

Zustimmungsebene Innerparteiliche Zuschreibung iden- Medien vermitteln z. B. Zustimmung tischer Rollen an Ent- gesellschaftliche Zu- scheidungsträger, stimmung, wenn sie Parlamentarische Parteien, Parlament, Bundesregierung sowie Zustimmung Bevölkerung u. ä. gesellschaftliche Akteu- re bzw. Bürger gleicher- Gesellschaftliche maßen z. B. als „Beden- Zustimmung kenträger“ beschreiben

2.1 Rollen und mediale Legitimierung Die meisten soziologischen Autoren (z. B. Dahrendorf 1977; Merton 1949) sind sich über folgende Aspekte von Rollen einig: Rollen sind Bündel an Verhaltenserwartungen, die eine Bezugsgruppe an die Inhaber solcher Positionen (z. B. „Politische Exekutive“) heranträgt. Die Gesamtheit von Rollen heißt Rollen-Set. Als Verhaltenserwartungen ha- ben Rollen den Charakter von Normen. Für die Berichterstattung kann man folgende Überlegungen ableiten: • Da Rollen tradiert und internalisiert werden, müssen sie sozial vermittelt werden. Viele Rollen dürften u. a. durch die Medien vermittelt werden. • Verhaltenserwartungen lassen sich aus Äußerungen erschließen. In der Berichter- stattung kommen Erwartungen der Journalisten oder aus Bezugsgruppen vor. Dies lässt sich über den Urheber erschließen. • Rollen werden auch an Attributen (vgl. Bahrdt 1990: 71) und Handeln erkennbar. In methodischer Hinsicht kann man also aus Merkmalen, Etikettierungen und Hand- lungen von Akteuren, die ein Beitrag erwähnt oder zitiert, auf Rollenerwartungen schließen. • Viele Rollen implizieren Attribute oder Handlungen, die für den/die ‚durchschnitt- liche(n)‘ Bürger/in eine Eigenwertigkeit haben, die hier Rollen-Konnotierung ge- nannt wird. So bewerten die meisten z. B. einen „Kriegstreiber“ wohl negativ. In dieser Studie wird untersucht, ob deutsche Nachrichtenmagazine über Rollen-Zu-

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schreibungen an Akteure, die am Krieg oder Diskurs darüber beteiligt waren, Legiti- mität für den Kosovo-Krieg vermittelten. Wie aber können Medien über Rollen-Zu- schreibungen politische Legitimität vermitteln (Tabelle 1, rechte Hälfte)? • Auf der Begründungsebene geht es um Problemdefinitionen und Lösungsvorschläge von Entscheidungsträgern (vgl. Abschnitt 1). Problemdefinitionen können Medien legitimieren, indem sie Rollen-Zuschreibungen für Schuldige und Betroffene der Entscheidungsträger adaptieren. Beim Kosovo-Krieg legitimieren Medien die Defi- nition der Bundesregierung z. B. dann, wenn sie Serben ebenfalls als „Kriegsverbre- cher“ darstellen. Problemsicht und Lösungen können Medien aber auch legitimieren, indem sie den Entscheidungsträgern selbst Rollen (z. B. „Verantwortungsbewuss- ter“) zuschreiben. • Auf der Zustimmungsebene legitimieren Medien politische Entscheidungen, wenn sie über Zustimmung dafür berichten. So können Medien z. B. der Bundesregierung, den Parteien und der Bevölkerung gleichermaßen die Rolle „Bedenkenträger“ zuschrei- ben und damit einen ‚kriegskritischen‘ Konsens suggerieren. Natürlich können Entscheidungen auch anders legitimiert werden. So können Medien Äußerungen von Akteuren referieren oder zitieren, die eine Entscheidung über expli- zite Bewertungen oder explizite Argumente (de-)legitimieren. Eilders & Lüter (2000) legten hierzu bereits eine Argumentanalyse zum Kosovo-Krieg vor. Bewertungen und Argumente sind aber explizite Mittel der Persuasion, die nur begrenzt wirksam sind (vgl. als Überblick Schenk 2002: 77ff.). Dass die Analyse subtilerer Strukturen zu inter- essanteren Ergebnissen führen kann, belegt eine Studie zur Kurdenberichterstattung, in der nicht nur Themen, sondern auch rhetorische Mittel erfasst wurden (Scheufele 2002). Vergleichbar könnten sich für Rollen-Zuschreibungen Befunde ergeben, die sich mit Themen oder Argumenten gar nicht herausfinden lassen (vgl. ähnlich Imhof 1995: 124).

2.2 Mediale Legimitierung und Rollen-Zuschreibungen in Kriegen Müssen die Medien politische Entscheidungen legitimieren? Aus funktionaler Perspek- tive betrifft diese Frage die „öffentliche Aufgabe“ der Medien (vgl. BVerfGE 10: 121; BVerfGE 57: 320f.; BVerfGE 20: 162). Sie umfasst nach Donsbach (1982: 21) „die Her- stellung eines allgemeinen Meinungsmarkts, die Bildung der Staatsbürger durch Infor- mationen und Meinungen und die Konstituierung eines politischen Forums“. Zudem haben Medien eine Kritik- und Kontrollfunktion (vgl. z. B. BVerfGE 20: 162, 174f.). Da- mit müssen Medien politische Entscheidungen keineswegs legitimieren. Die Informati- onsfunktion verlangt, dass sie über politische Entscheidungen berichten. Die Artikula- tions-, Forum- und Kritikfunktion verlangt aber auch, dass andere Meinungen ebenfalls zu Wort kommen – etwa Kritiker des Kosovo-Kriegs. Wann (de-)legitimieren die Medien politische Entscheidungen de facto? Hierfür sind Überlegungen und Befunde aus dem Bereich der Kommunikatorforschung hilfreich. Auch bei Kriegen ist von einem Wechselspiel zwischen Medien und Politik auszugehen: Akteure versuchen, ihre Sichtweise z. B. zum Bundeswehreinsatz im Kosovo-Krieg in den Medien zu lancieren. Umgekehrt werden diese Entscheidungen und Sichtweisen zum Gegenstand der Berichterstattung, wobei die Medien sie entsprechend ihrer Ei- genlogik konstruieren (vgl. z. B. die Beiträge in Löffelholz 1993). Studien zum Agenda- Building (vgl. Lang/Lang 1981; Rogers/Dearing 1988) untersuchen empirisch, wessen Themen auf die Medien- bzw. Politikagenda gelangen. Allerdings finden Medien in Kriegszeiten selten ‚objektive‘ Informationen vor. Die meisten Studien zur Kriegsbe-

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richterstattung fokussieren daher auch auf Zensurmaßnahmen, symbolische Politik oder Kriegspropaganda (vgl. z. B. Hallin 1986; MacArthur 1992; Weischenberg 1993). Interessanter sind jedoch Befunde wie z. B. bei Schwab-Trapp (2000). Er zeichnet nach, wie es Fischer mit einer auf den Holocaust verweisenden Argumentation schaffte, den Diskurs seiner Parteigänger über den Kosovo-Krieg und die deutsche Sicherheitspolitik zu verändern. Im Verlauf der 1990er Jahre hatte sich die politische bzw. öffentliche Hal- tung zur Rolle der Bundeswehr aber schon vorher gewandelt (vgl. Schwab-Trapp 2002), was sich auch in einer veränderten Medienberichterstattung niederschlug (vgl. Meder 1998). Daraus folgt ein erstes Zwischenfazit für den Kosovo-Krieg: Bei der Problemdefini- tion waren sich politische Lager und Öffentlichkeit über die Schuldigen und Betroffe- nen sowie die internationale Staatengemeinschaft einig. Einem solchen erkennbaren Konsens werden sich die Medien anschließen. Dabei dürften sie auch die im öffentlichen Diskurs verbreiteten „Kollektivstereotype“ (Imhof 1995: 124) über die primären Kriegsparteien reflektieren. Dennoch reichte die Legitimitätsfrage im Kosovo-Krieg deutlich weiter. Denn die Bundeswehr war erstmals an einem Out-of-Area-Einsatz beteiligt, der völker- und ver- fassungsrechtlich umstritten und offiziell kaum begründet war. Wie die Medien diese Deutungslücke füllten, kann die News-Bias-Forschung klären (vgl. als Überblick Staab 1990: 11ff.). Diese beleuchtet Verzerrungen in der Medienberichterstattung. Als ein Grund gelten redaktionelle Linien bzw. politische Ausrichtungen von Medien. Ein an- derer sind Einstellungen, Meinungen und Stereotype von Journalisten. Nach der Theo- rie instrumenteller Aktualisierung (Kepplinger et al. 1989) spielen Journalisten Infor- mationen hoch, die der eigenen Sichtweise entsprechen. Daraus folgt ein zweites Zwischenfazit für den Kosovo-Krieg: Im Gegensatz zur Problemdefinition herrschte bei der Problemlösung quer durch die Parteien Dissens. Die Bundesregierung votierte für den Bundeswehreinsatz, während ihre eigenen Parteien zwischen internationaler Verantwortung und moralischen Bedenken standen. Opposi- tion und Bevölkerung waren ebenfalls gespalten. Hier wird sich die generelle politische Ausrichtung der Medien in der Berichterstattung niederschlagen: So dürfte z. B. die SPD von Medien des ‚linken Spektrums‘ häufiger mit Rollen wie „Pazifist“ oder „Moralist“ belegt werden als von Medien des ‚rechten Lagers‘. Darüber hinaus interessiert der Zu- stimmungsaspekt politischer Legitimität. Hier dürfte sich die parteipolitische Ausrich- tung der Medien bemerkbar machen: Tendieren Medien in Richtung von SPD und Grü- nen, so dürften sie eine Zustimmung für die rotgrüne Bundesregierung vermitteln – z. B. durch vergleichbare Rollen-Zuschreibungen an Regierung, Parteien und Bevölkerung. Stehen Medien der Union und FDP nahe, so dürften sie stärker z. B. die Kluft zwischen dem Realpolitiker Fischer und der pazifistischen Haltung der Grünen betonen.

3. Anlage der Untersuchung Die Medienstichprobe der vorliegenden Studie umfasste die Nachrichtenmagazine ‚Der Spiegel‘ und ‚Focus‘: Erstens waren hier hinreichend Rollen-Zuschreibungen zu erwar- ten, denn die Magazine widmen sich eher der Sekundärberichterstattung. Zweitens gel- ten sie als publizistische Meinungsführer (Weischenberg 1995a: 191), an denen sich an- dere Journalisten orientieren. Drittens repräsentierten sie das politische Spektrum. In der generellen politischen Ausrichtung gilt der Spiegel eher als „links“ und der Focus eher als „rechts“ (Kepplinger 1998: 43, 251). Zudem nehmen wir an, dass der Spiegel in der parteipolitischen Tendenz eher in Richtung von SPD/Grüne, der Focus eher in Rich-

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tung von Union/FDP geht. Die Medienstichprobe wurde aus zwei Gründen beschränkt: Erstens ist Fernsehmaterial nachträglich nur schwer zu beschaffen. Zweitens war der Codieraufwand für die vorliegende Medienstichprobe relativ hoch, da detaillierter co- diert wurde als bei Themenanalysen und Artikel in Nachrichtenmagazinen meist länger sind als Zeitungsartikel. Untersuchungseinheit waren alle Beiträge über den Krieg im jeweiligen Heft. Der Zeitraum wurde aus ökonomischen Gründen auf die Dauer des Krieges beschränkt. Als Beginn setzten wir Montag, den 22. März 1999 (zwei Tage vor Kriegsbeginn) an. Mit Milosevics‘ Einlenken beim Treffen mit dem russischen Unterhändler Tschernomyrdin am 19. Mai zeichnete sich das Kriegsende schon ab. Bereits in den ersten Juni-Tagen wa- ren die Bedingungen des Waffenstillstands ausgehandelt; das formale Kriegsende mar- kierte die serbische Annahme der UN-Resolution 1244 am 10. Juni. Da uns nicht die nachträgliche Diskussion um den Kosovo-Krieg interessierte, sondern der (mediale) Diskurs in jenem Zeitfenster, als der Krieg aktuell im Gange war, lässt sich das Ende des Zeitraums mit Montag, dem 31. Mai 1999 rechtfertigen. Codiereinheit war der Akteur. Pro Akteursnennung konnten bis zu drei Rollen co- diert werden. Pro Rollen-Zuschreibung wurden Urheber, Kontext und Richtung er- fasst. Als Urheber galt jener Akteur, der die Rollen-Zuschreibung vornahm; dies konnte der Beitragsautor oder ein zitierter Akteur sein. Kontext war jener thematische Bereich, auf den sich die Zuschreibung bezog (z. B. Krieg, Sicherheitspolitik). Die Richtung erfasste, ob die Rolle zugeschrieben oder abgesprochen wurde. Beispiele für Rollen zeigt Tabelle 2.1 Eine Rollen-Zuschreibung lag immer dann vor, wenn der Bei- trag eine Verhaltensweise, ein Attribut oder eine Bezeichnung aus der Definition für die jeweilige Rolle aus dem Codebuch ansprach. Die Rollen wurden in einer qualitati- ven Vorstudie aus einer Zufallsstichprobe des später codierten Materials extrahiert: Im ersten Schritt wurden Handlungen, Bezeichnungen und Bewertungen für Akteure ge- sammelt, die im zweiten Schritt sachlogisch gebündelt wurden. Im dritten Schritt wur- den alle Handlungen, Attribute und Bezeichnungen pro „Bündel“ generalisiert (vgl. Mayring 2000).

4. Hypothesen Auf der Begründungsebene politischer Legitimität stützen Medien die Akteure der In- teressendurchsetzung bzw. Entscheidungsträger, wenn sie deren Ansichten über die Schuldigen und die Betroffenen adaptieren. Im Kosovo-Krieg galten Serben für die mei- sten als Aggressoren und Kosovaren oft als Opfer. Aufgrund dieses politischen und ge- sellschaftlichen Konsenses dürften sich auch die Medien – wie bereits erwähnt – in die- ser Frage einig gewesen sein. Hypothese 1a: Ohne Unterschied schrieben die Nachrichtenmagazine den Serben eher negativ konnotierte Rollen und den Kosovaren/Albanern eher positive Rollen zu. Hypothese 1b: Ohne Unterschied stellten die Nachrichtenmagazine Serben eher als bestialische Kriegsverbrecher und Kosovaren/Albaner eher als leidende Opfer dar. Politischer, gesellschaftlicher und medialer Konsens dürfte auch in Bezug auf die in- ternationale Staatengemeinschaft bestanden haben. Denn Milosevic schien UNO, Bal- kan-Kontaktgruppe, NATO und EU ‚nach Belieben vorzuführen‘. Vielen schien die

1 Die Rollen-Codierung ergab einen durchschnittlichen Reliabilitätswert von 0.76 (gemäß Hols- ti 1969).

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Tabelle 2: Beispiele für Rollen-Definitionen im Codebuch

„Die Bestie“ Bezeichnungen, Attribute „Schlächter“, „Mörder“, „Unbarmherziger“, „Tier“, „Men- schenschänder“ u.ä. Handlungen, Äußerungen Akteur verübt Gräueltaten, richtet Massaker und Blutbäder an, geht physisch unbarmherzig gegen andere Akteure vor, kennt keine Gnade u.ä. Abgrenzung zu anderen Rollen Bei „Die Bestie“ steht die physische Brutalität im Vordergrund. Bei „Der Gefühlskalte“ steht das Fehlen von Emotion im Vor- dergrund. Bei „Die Bestie“ steht manifeste Brutalität im Vordergrund. Bei „Der Aggressor“ steht der Angriff im Vordergrund – egal wie brutal er sein mag. „Der Kalte Krieger“ Bezeichnungen, Attribute „Kalter Krieger“, „Mann der alten Doktrin“, „Sein Denken stammt noch aus der Reagan-Ära“ u.ä. Handlungen, Äußerungen Akteur ist dem Denken des Ost-West-Konflikts verhaftet, er handelt auf Grund der Werte („Freiheit statt Sozialismus“) und Feindbilder („Das böse Russland“, „USA als letzter Hort der De- mokratie“) u.ä. des Kalten Kriegs Abgrenzung zu anderen Rollen Bei „Kalter Krieger“ steht Handeln und Denken in Mustern des Ost-West-Konflikts im Vordergrund. Bei „Großmacht“ steht die weltpolitische Einflussnahme (negativ: Imperialismus) im Vor- dergrund. „Der Verantwortungsbewusste“ Bezeichnungen, Attribute „Verantwortungsvoller“, „Besonnener“, „Umsichtiger“ u.ä. Handlungen, Äußerungen Akteur verhält sich verantwortungsbewusst gegenüber einer Sa- che oder Menschen, indem er Ziele und Mittel gegeneinander ab- wägt (vgl. Webers Verantwortungsethik). Er stellt weder Ziel noch Mittel über alles, sondern strebt eine Ausgewogenheit von erreichbaren Zielen und angemessenen Mitteln an. Er berück- sichtigt dabei Alternativen, Unwägbarkeiten u.ä. Abgrenzung zu anderen Rollen Bei „Verantwortungsbewusster“ steht das Abwägen von Zielen und Mitteln aus Verantwortung im Vordergrund. Bei „Realist“ steht die Pragmatik, das Machbare im Vordergrund – egal ob es verantwortungsbewusst ist. Bei „Verantwortungsbewusster“ steht das Abwägen von Zielen und Mitteln aus Verantwortung im Vordergrund. Bei „Beden- kenträger“ steht das Warnen, das Mahnen vor denkbaren Gefah- ren usw. im Vordergrund – egal ob es verantwortungsbewusst ist.

Staatengemeinschaft dem Grauen im Kosovo lange zu halbherzig zu begegnen (vgl. Krause 2000; Steinkamm 2000). Hypothese 2a: Ohne Unterschied schrieben die Nachrichtenmagazine der Staatenge- meinschaft eher negativ konnotierte Rollen zu. Hypothese 2b: Ohne Unterschied stellten die Nachrichtenmagazine die Staatenge- meinschaft am häufigsten als zögerliche Akteure dar. In Kriegen ist der „Ralley-round-the-flag-Effekt“ (vgl. Mueller 1973) bekannt, wo-

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nach sich alle zunächst klar hinter die eigenen Truppen stellen.2 Dies dürfte auf die Bun- deswehr insofern zutreffen, als ihre humanitäre Bedeutung – unabhängig von verfas- sungsrechtlichen Implikationen – unstrittig war: Die Bundeswehr sollte eine humanitä- re Katastrophe verhindern helfen und sich nach Kriegsende mit Kfor-Friedenstruppen am Wiederaufbau im Kosovo beteiligen. Hypothese 3a: Ohne Unterschied schrieben die Nachrichtenmagazine der Bundes- wehr eher positiv konnotierte Rollen zu. Hypothese 3b: Ohne Unterschied stellten die Nachrichtenmagazine die Bundeswehr am häufigsten als Friedensbringer und humanitären Helfer dar. Wie erwähnt, wird die politische Realität von den Medien teilweise gespiegelt und teilweise entsprechend ihrer politischen Couleur konstruiert. Im letztgenannten Fall ist m. E. zwischen einer generellen und einer parteipolitischen Haltung zu unterscheiden. In seiner generellen politischen Ausrichtung hatte der Spiegel wohl eine kriegskritische- re Haltung als der Focus. Dies dürfte sich auch in der Zuschreibung von Rollen an Ak- teure manifestiert haben. Hypothese 4: Der Spiegel berichtete häufiger als der Focus über Pazifisten, Moralis- ten und Bedenkenträger, der Focus häufiger als der Spiegel über Akteure, die interna- tionale Verantwortung übernehmen oder einfordern. Auf der Zustimmungsebene politischer Legitimität können Medien einen Rückhalt für die Akteure der Interessendurchsetzung vermitteln. Im Kosovo-Krieg konnten sie Zustimmung für die Bundesregierung z. B. dadurch suggerieren, dass sie die Regierung, die Parteien, die Bevölkerung sowie Interessengruppen gleichermaßen als „Bedenken- träger“ darstellten. Aufgrund seiner parteipolitischen Tendenz dürfte der Spiegel deutli- cher als der Focus einen solchen deutlicheren Rückhalt für die Bundesregierung ver- mittelt haben. Umgekehrt dürfte der Focus stärker die Kluft z. B. zwischen dem real- politischen Außenminister Fischer und der pazifistischen Haltung seiner Parteigänger betont haben (vgl. Krause 2000: 412ff.). Hypothese 5: Der Spiegel schrieb der Bundesregierung, ihren Parteien und gesell- schaftlichen Akteuren häufiger vergleichbare Rollen zu als der Focus. Wie erwähnt, nennt Merton (1949) alle Rollen, die an einen Positionsinhaber heran- getragen werden, Rollen-Set. Wenn im Folgenden von Rollen-Set die Rede ist, dann ist damit eine bestimmte Konstellation von Rollen gemeint, die an Akteursgruppen heran- getragen wird. Rollen-Set und Rollen-Konstellation werden damit – etwas abweichend von der strengen ‚Lehre‘ der Rollen-Theorie – synonym verwendet. Forschungsfrage 1: Welche Rollen-Konstellationen/-Sets tauchten in der Berichter- stattung der beiden Nachrichtenmagazine auf? Forschungsfrage 2: Hatten diese Rollen-Konstellationen/-Sets unterschiedliches Ge- wicht bei Spiegel und Focus sowie bei verschiedenen Akteuren?

5. Ergebnisse Insgesamt wurden 100 Beiträge des Spiegel und 76 des Focus analysiert.3 Dass der Spie- gel mehr Akteure (1.516) behandelte als der Focus (681) liegt daran, dass dessen Beiträ- ge weit länger sind (vgl. Scharf/Stockmann 1998: 10f.). Jeder Akteur wurde im Durch- schnitt mit 1,4 Rollen belegt (insgesamt 3.073 Rollen-Zuschreibungen).

2 Siehe hierzu auch den Beitrag von Evelyn Bytzek in diesem Heft. 3 Aufgrund der Vollerhebung führen wir keine Signifikanztests durch.

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5.1 Rollen-Zuschreibungen an Kriegsparteien und politische Akteure In den Nachrichtenmagazinen entfiel je ein Drittel aller Akteure (37 % bzw. 32 %) auf Europa und den Balkan. Fast jeder fünfte Akteur war international verortet (17 %). Ob- wohl USA und Russland das Geschehen im Krieg entscheidend mitbestimmten, kamen sie selten vor (8 % bzw. 5 %). Von den europäischen Akteuren hatten Deutsche die mit Abstand größte Bedeutung (33 %), was sich mit der Nachrichtenwerttheorie (vgl. u. a. Staab 1990) erklären lässt. Von Akteuren des Balkans (32 %) dominierten Serben (22 %); Kosovaren und Albaner kamen seltener vor (8 %); damit schien die Angreifer- der Op- ferseite auch publizistisch ‚überlegen‘. Akteure lassen sich auch nach Funktion bzw. Sta- tus klassifizieren. Beide Magazine behandelten mehrheitlich nationale politische Akteu- re (55 %), besonders Regierungschefs (14 %). Jeder fünfte Akteur gehörte zu einer in- ter- bzw. transnationalen Organisation (17 %), wobei die NATO dominierte (11 %). Ähnlich häufig kamen gesellschaftliche Akteure (z. B. Bevölkerung) sowie militärische Akteure vor (15 % bzw. 13 %). Rollen lassen sich nach ihrer Konnotierung klassifizieren.4 Als positiv wurden alle Rollen eingeordnet, die sich auf Handlungen bezogen, die nach „common sense“ als po- sitiv gelten, das positive Pendant zu einer negativen Rolle sind oder Aspekte betreffen, die aus negativen Handlungen Dritter resultieren (z. B. „Leidender“). Analog wurden Rollen als negativ eingeordnet. War eine Zuordnung nicht eindeutig, galt die Rolle als indifferent (z. B. „Patriot“). Zum besseren Verständnis werden Konnotierungen als Überhang (Differenz positiver und negativer Rollen) betrachtet. Deutsche kamen gleich oft mit positiven wie negativen Rollen vor (Überhang Spiegel: –2, Focus: +3), Amerika- ner eher mit negativen (Spiegel: –15, Focus: –18). Wie erwähnt, kann die Darstellung von Schuldigen und Betroffenen die Problemdefinition von Entscheidungsträgern legitimie- ren. Konform mit Hypothese 1a und 1b kamen die Wochenblätter zu klaren Konnotie- rungen: Für Serben dominierten negative (Spiegel: –52, Focus: –74), für Kosovaren po- sitive Rollen (Spiegel: +35, Focus: +49). Serbische Akteure wurden als „Bestien“ (16 % aller Rollen), „Kriegsverbrecher“ (10 %) und „Aggressoren“ (6 %), aber auch „Spieler- natur“ und „Hetzer“ (je 7 %) dargestellt. Kosovaren und Albaner erschienen v. a. als „Leidende“ (34 %). Damit standen die ‚Guten‘ und ‚Bösen‘ für die Nachrichtenmaga- zine recht deutlich fest. Der internationalen Staatengemeinschaft schrieben die Magazine eher negative Rol- len zu. Zwar wurden UNO und EU auch als „Humanitäre Helfer“ (10 % bzw. 19 %) präsentiert; die EU erschien aber v. a. als Akteur, der hin- und hergerissen ist (23 %). Der UNO wurde am häufigsten die Rolle eines „Bedenkenträgers“ (16 %) attribuiert. Die Staatengemeinschaft ließen solche Rollen in eher negativem Licht erscheinen. Auch

4 Die Rollen wurden im Einzelnen wie folgt klassifiziert: (1) Positiv konnotierte Rollen: „Leiden- der“ / „Angegriffener“ / „Frieden Schaffender“ / „Frieden Bewahrender“ / „(Humanitärer) Helfer“ / „Diplomat, Vermittler“ / „Verlässlicher Bündnispartner“ / „Kameradschaftlicher“ / „Verantwortungsbewusster“ / „Menschlich-Mitfühlender“ / „Realist, Pragmatiker“ / „Errette- ter, Erlöster“. (2) Negativ konnotierte Rollen: „Bestie“ / „Aggressor“ / „Kriegsverbrecher“ / „Kriegstreiber“ / „Kalter Krieger“ / „Hardliner“ / „Gefühlskalter“ / „Moralist“ / „Utopist, Träumer“ / „Gesinnungspazifist“ / „Medienmensch“ / „Populist“ / „Opportunist“ / „Spieler- natur, Trickser“ / „Trittbrettfahrer“ / „Hetzer, Propagandist“ / „Rechtsbeuger“. (3) Indifferent konnotierte Rollen: „Blutsbruder“ / „Patriot“ / „Großmacht“ / „Staatsmännischer“ / „Zerris- sener“ / „Optimist“ / „Bedenkenträger, Pessimist“ / „Märtyrer“ / „Held(enhafter), Gottglei- cher“.

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nationale Militärs kamen publizistisch schlecht weg – besonders im Spiegel (Überhang Spiegel: –30, Focus: –11). Negative Konnotierungen betrafen v. a. serbische Militärs (Überhang –90). Auch die NATO kam eher schlecht weg (Überhang –11). Dagegen war die Bundeswehr medial mit positiven Rollen präsent (Überhang +35), was Hypothese 3a bestätigt. Allerdings wurden Rollen wie „Humanitärer Helfer“ (5 %) selten zuge- schrieben. Der positive Überhang resultierte eher aus Rollen wie „Verantwortungsbe- wusster“ (10 %). Damit ist Hypothese 3b falsifiziert. Auch dem vermuteten Ralley- round-the-flag-Effekt widersprechen die Befunde recht deutlich. Forschungsfrage 1 bezog sich auf Rollen-Konstellationen bzw. -Sets: Um diese Fra- ge zu beantworten, bot sich eine Faktorenanalyse an. Da die Zuschreibung einer Rolle nominal codiert wurde, musste für die Faktorenanalyse metrisches Skalenniveau ge- schaffen werden. Dazu wurden alle Rollen in Dummy-Variablen überführt und pro Bei- trag aggregiert. Die Dummys indizierten also die Anzahl der Zuschreibungen dieser Rolle pro Beitrag. Für Rollen konnten damit aber keine Faktorladungen im Rollen-Da- tensatz gespeichert werden, da sich beide Datensätze nicht fusionieren lassen. Als Al- ternative bot sich eine ‚Faktor-Variable‘ im Rollen-Datensatz an. Dafür erhielten jene Rollen, die im Beitrag-Datensatz auf den ersten Faktor luden, den Wert 1 bei dieser Va- riable, alle Rollen, die auf Faktor 2 luden, den Wert 2 usw. Die fünf Ausprägungen der Faktor-Variable lassen sich aber im Sinne von Faktorladungen interpretieren. Die Faktorenanalyse lieferte eine Varianzaufklärung von 53 % und ergab fünf Fak- toren (Tabelle 3): Faktor 1 „Krieg & Frieden“ umfasste Rollen wie „Aggressor“ oder „Kriegstreiber“, aber auch „Frieden Bewahrender“. Faktor 2 „Zögern & Verantwor- tung“ verwies auf das Dilemma zwischen pazifistischen Grundsätzen (z. B. „Gesin- nungspazifist“) und internationaler Verantwortung (z. B. „Verantwortungsbewusster“). Faktor 3 „Martyrien & Erlösung“ umfasste Rollen, die auf Kriegsgräuel hindeuten oder mit ‚Erlösung‘ aus diesen ‚Martyrien‘ zu tun haben. Faktor 4 „Großmacht & Bündnis“ ist selbsterklärend. Auf Faktor 5 „Menschliche Politik“ luden Rollen wie „Staatsmänni- scher“ und „Menschlich-Mitfühlender“. Das dominierende Rollen-Set war das Dilem- ma zwischen Moral/Pazifismus und internationaler Verantwortung (43 %). Recht häu- fig kam noch „Krieg & Frieden“ vor (29 %). In der Studie von Eilders/Lüter (2000: 421f.) kam ein „moral dilemma“ nur in 8 % der Beiträge zum Kosovo-Krieg vor, wobei aber die andere Medienstichprobe und Codiereinheit zu berücksichtigen sind. Am häufigsten schrieben die Blätter den Konfliktparteien Rollen des Sets „Krieg & Frieden“ zu (Tabelle 4). Hier spielt die tatsächliche Ereignislage eine Rolle: Die Kon- fliktparteien waren nun einmal die primären Kriegsgegner. Jeder vierte Akteur aus USA und Russland war mit Zuschreibungen von „Großmacht & Bündnis“ und knapp jeder zweite mit Rollen von „Zögern & Verantwortung“ präsent. Für Serben wurde oft das Set „Martyrien & Erlösung“ erkennbar, womit Rollen wie „Bestie“ und „Kriegsverbre- cher“ einhergehen. Dieses Set korrespondiert auch mit dem Argument „humanitärer Nothilfe“, das den NATO-Einsatz ohne UN-Mandat legitimierte. Die Magazine brach- ten dieses Rollen-Bündel aber häufig nur für Serben, obwohl es auch Rollen wie „Hu- manitärer Helfer“ umfasste. Selbst als thematischer Kontext war humanitäre Hilfe be- deutungslos. Immerhin 5 % der Kontexte betrafen Vertreibungen, weitere 4 % Zer- störungen, physische und psychische Folgen. Das zentrale Argument humanitärer Not- hilfe vermittelten die Nachrichtenmagazine der deutschen Bevölkerung damit kaum. Für die bisherigen Analysen muss Forschungsfrage 2 verneint werden; auch Hypothe- se 4 ist widerlegt.

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Tabelle 3: Rollen-Konstellationen/-Sets in der Berichterstattung des Spiegel und Focus’ über den Kosovo-Krieg – Faktorenanalyse für Rollen-Zuschreibungen

F1: Krieg & Frieden Blutsbruder 0.87 Hetzer, Propagandist 0.86 Aggressor 0.83 Kriegstreiber 0.75 Angegriffener 0.72 0.41 Frieden Bewahrender 0.70 Leidender 0.54 0.43 Rechtsbeuger 0.52 Populist 0.50 Trittbrettfahrer 0.48 Utopist, Träumer 0.46 Frieden Schaffender 0.45 0.44 F2: Zögern & Verantwortung Zerrissener 0.79 Gesinnungspazifist 0.75 Bedenkenträger, Pessimist 0.73 Moralist 0.70 Verantwortungsbewusster 0.67 Hardliner 0.67 Realist, Pragmatiker 0.57 0.48 Diplomat, Vermittler 0.53 0.52 Opportunist 0.51 Spielernatur, Trickser 0.40 0.40 F3: Martyrien & Erlösung Bestie 0.86 Kriegsverbrecher 0.82 Märtyrer 0.64 Gefühlskalter, Kaltblütiger 0.62 0.42 Patriot 0.47 Humanitärer Helfer 0.43 Heldenhafter, Gottgleicher 0.33 Erretteter, Erlöster 0.27 F4: Großmacht & Bündnis Großmacht 0.67 Verlässlicher Bündnispartner 0.53 0.61 Kalter Krieger 0.47 Kameradschaftlicher 0.37 F5: Menschliche Politik Staatsmännischer 0.63 Menschlich-Mitfühlender 0.57 Optimist 0.42 0.57 Medienmensch 0.49 Hinweis: Pro Rolle wurde eine beitragsbezogene Dummy-Variable für die Anzahl der Zuschreibungen der je- weiligen Rolle pro Beitrag gebildet. Jeder Rollen-Dummy konnte Werte von Null an aufwärts annehmen. Basis: Alle Beiträge über den Kosovo-Krieg in Spiegel und Focus (Hefte 12-22/1999) Hauptkomponenten-Analyse / Varimax-Rotation / Faktorladungen ≥ 0.40 Erklärte Gesamtvarianz: R2 = 53 % / Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium: KMO = 0.82

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Tabelle 4: Rollen-Konstellationen/-Sets für die wichtigsten Nationalitäten der Akteure in der Berichterstattung des Spiegel und Focus’ über den Kosovo-Krieg – Anteile

Anteile Alle BRD USA Russland Serbien Kosovo Albaner (n=3.073) (n=1.035) (n=252) (n=143) (n=668) (n=165) (n=83) %%%%%%% Zögern & Spiegel 42 64 43 49 20 12 18 Verantwortung Focus 46 64 61 41 23 19 18 Krieg & Spiegel 30 14 22 23 43 61 56 Frieden Focus 26 15 9 25 31 75 46 Martyrien & Spiegel 1457232 17 11 Erlösung Focus 1673543 318 Großmacht & Spiegel 9 8 21 22 228 Bündnis Focus 7 8 24 25 23– Menschliche Spiegel 6 1074487 Politik Focus 46452–18 Basis: Alle Rollen in der Berichterstattung über den Kosovo-Krieg in Spiegel und Focus (Hefte 12-22/1999) Hinweis: Fett markiert sind Werte > 20 Prozent

5.2 Rollen-Zuschreibungen an deutsche Akteure Ein Drittel aller Akteure waren Deutsche, deren Rollen-Konnotierungen Tabelle 5 zeigt. Unterschieden werden die Akteure nach der obigen Klassifikation des intermediären Systems. Die Bundesregierung sah der Spiegel eher positiv, der Focus ambivalent. Schrö- der schrieb der Spiegel deutlich mehr negative als positive Rollen zu, im Focus war es umgekehrt. Vergleichbares ergab sich für Scharping. Selbst Fischer trat im Spiegel etwas häufiger in negativen Rollen auf; der Focus bot ein ambivalentes Bild des Außenminis- ters. SPD und Grüne stellten beide Blätter in negatives Licht. Dagegen kam die Oppo- sition im Spiegel ambivalent, im Focus negativ weg. Entgegen seiner parteipolitischen Tendenz ließ der Spiegel also die Akteure Bundesregierung und ihre Parteien eher in ne- gativem Licht erscheinen.5 Der Focus spielte für Regierungs- wie Oppositionsparteien eher negative, für die Regierung aber überwiegend positive Rollen hoch. Das schien zwar der parteipolitischen Tendenz des Focus‘ zu widersprechen. Wir werden aber se- hen, dass das Blatt die Regierung verantwortungsbewusst präsentierte, was wiederum mit seiner generellen politischen Ausrichtung konform gehen dürfte. Die Rollen-Sets bzw. -Konstellationen zeigen Tabelle 6 und 7. Bei allen Akteuren konzentrierten sich die Magazine auf das Dilemma zwischen Moral bzw. Pazifismus und internationaler Verantwortung. Daneben hatten „Krieg & Frieden“ sowie „Groß- macht & Bündnis“ gewisses Gewicht. Das Rollen-Bündel „Zögern & Verantwortung“

5 Wurde die Bundesregierung als ‚Akteursaggregat‘ angesprochen, dann gab es im Spiegel einen leichten Überhang an positiven Konnotierungen (+9), während ihre drei Hauptakteure (Schrö- der, Scharping, Fischer) recht eindeutig negativ wegkamen. Umgekehrt kam die Bundesregie- rung im Focus ambivalent, ihre Hauptakteure dagegen weit positiver weg. In beiden Fällen ist dies kein Widerspruch: Die einzelnen Akteure der Regierung können durchaus mit positiveren oder negativeren Rollen(-Konnotierungen) belegt werden als ihr ‚Aggregat‘.

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Tabelle 5: Rollen-Konnotierungen für die wichtigsten deutschen Akteure in der Berichterstattung des Spiegel und Focus über den Kosovo-Krieg – Anteile

Anteile Durchsetzung von Interessen Durchsetzung/ Artikulation Aggregation Regierung Schröder Scharping Fischer Politiker Politiker Gesellschaft (n=163) (n=116) (n=70) (n=167) Regierungs- Oppositions- (n=118) %%%%parteien parteien % (n=137) (n=89) %% Überhang pos. Spiegel +9 –23 –13 –8 –31 +3 –1 vs. neg. Rollen Focus 0 +27 +12 +3 –26 –25 –13 Indifferent Spiegel 26 33 28 33 36 43 33 konnot. Rollen Focus 14 27 – 18 32 21 17 Basis: Alle Rollen für Deutsche in der Berichterstattung über den Kosovo-Krieg in Spiegel und Focus (Hefte 12- 22/1999)

Tabelle 6: Rollen-Konstellationen/-Sets und Überhang von Rollen-Typen für die wichtigsten deutschen Akteure in der Berichterstattung des Spiegel über den Kosovo-Krieg – Anteile

Anteile Interessen- Durchsetzung Durchsetzung/ Artikulation Aggregation Regierung Schröder Scharping Fischer Politiker Politiker Gesellschaft (n=114) (n=86) (n=61) (n=101) Regierungs- Oppositions- (n=89) %%%%parteien parteien % (n=84) (n=56) %% Zögern & Verant- 61 63 71 71 77 57 54 wortung, davon ... … Überhang „Verant- +2 +13 –7 +3 –51 –18 –25 wortung“ vs. „Zögern, Moralisieren“ * Krieg & Frieden, 14 12 8 9 12 14 19 davon ... … Überhang „Frieden –1 –3 –5 –6 –4 +2 –1 schaffen“ vs. „Krieg schüren“ ** Martyrien & Erlösung 10 2 5 13 1 7 7 Großmacht & Bündnis 7 16 10 14 2 7 12 Menschliche Politik 9 7 7 5 7 14 8 Basis: Alle Rollen für Deutsche in der Berichterstattung über den Kosovo-Krieg im Spiegel (Hefte 12-22/1999) * Differenz der häufigsten Rollen, die unter „Verantwortung zeigen“ fallen („Hardliner“ / „Verantwortungs- bewusster“ / „Realist, Pragmatiker“ / „Diplomat, Vermittler“ ), und der häufigsten Rollen, die unter „Zögern und Moralisieren“ fallen („Zerrissener“ / „Bedenkenträger“ / „Gesinnungspazifist“ / „Moralist“). Positive (ne- gative) Werte indizieren einen Überhang an „Verantwortung zeigen“ („Zögern und Moralisieren“). ** Differenz der häufigsten Rollen, die unter „Frieden schaffen“ fallen („Frieden Bewahrender“ / „Frieden Schaffender“) und der häufigsten Rollen, die unter „Krieg schüren“ fallen („Aggressor“ / „Kriegstreiber“). Positive (negative) Werte indizieren einen Überhang an „Frieden schaffen“ („Krieg schüren“).

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Tabelle 7: Rollen-Konstellationen/-Sets und Überhang von Rollen-Typen für die wichtigsten deutschen Akteure in der Berichterstattung des Focus’ über den Kosovo-Krieg – Anteile

Anteile Interessen- Durchsetzung Durchsetzung/ Artikulation Aggregation Regierung Schröder Scharping* Fischer Politiker Politiker Gesellschaft (n=49) (n=30) (n=9) (n=66) Regierungs- Oppositions- (n=29) %%%%parteien parteien % (n=53) (n=33) %% Zögern & Verant- wortung, davon ... 63 47 56 61 94 76 72 … Überhang „Verant- wortung“ vs. „Zögern, Moralisieren“ +24 +31 +44 +16 –30 +6 –8 Krieg & Frieden, davon ... 21 3 33 29 4 12 10 … Überhang „Frieden schaffen“ vs. „Krieg schüren“ –8 –3 –11 –3 +2 0 0 Martyrien & Erlösung 10 27 11 2 2 6 – Großmacht & Bündnis – 23 – 6 – 6 17 Menschliche Politik 6 – – 3 – – – Basis: Alle Rollen für Deutsche in der Berichterstattung über den Kosovo-Krieg im Focus (Hefte 12–22/1999) * Die Werte bei Scharping sind aufgrund der geringen Fallzahlen mit Vorbehalt zu interpretieren.

umfasst zwei Typen von Rollen: Den einen kann man mit „Verantwortung zeigen“ be- nennen, den anderen mit „Zögern und Moralisieren“. Wir weisen die Anteilsdifferenz beider Typen aus, so dass ein positiver Wert einen Überhang an „Verantwortung zei- gen“ und ein negativer Wert ein Übergewicht an „Zögern und Moralisieren“ indiziert. Bei „Krieg & Frieden“ können wir den Typ „Frieden schaffen“ und den Typ „Krieg schüren“ unterscheiden. Für Rollen-Typen bestätigen sich Hypothese 4 und 5: Der Spiegel stellte Schröder als realistischen, verantwortungsbewussten Politiker dar. Fischer stand zwischen Zerris- senheit und Diplomatie. Scharping trat eher als Bedenkenträger und Moralist auf. Von den Regierungsparteien zeichnete der Spiegel das Bild von Zerrissenheit und Gesin- nungspazifismus. Insgesamt vermittelte der Spiegel den Eindruck eines Konsenses der Bedenken unter Akteuren der Interessen-Aggregation und -Artikulation. Die Exekuti- ve stand zwischen Bedenken und Verantwortung und schien damit diesen Konsens auf- zugreifen. Der Focus präsentierte die Regierungsparteien als Zerrissene, Gesinnungspa- zifisten und Bedenkenträger. Auch gesellschaftliche Akteure erschienen in diesem Licht. Bei den Oppositionsparteien überwog der Verantwortungsgedanke. Die Bundesregie- rung erschien als verantwortlich und realistisch handelnd – ganz anders als ihre Partei- gänger. Im Gegensatz zum Spiegel vermittelte der Focus den Eindruck einer Kluft zwi- schen dem verantwortlichen Regierungshandeln und dem zaudernden Moralisieren ih- rer Parteien. Sicher reflektierte dies in z. T. die Realität (vgl. Krause 2000: 408, 412ff.).

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Ungeachtet dessen vermittelten Spiegel und Focus aber unterschiedliche Eindrücke. Für den Zustimmungsaspekt politischer Legitimität suggerierte der Spiegel einen gewissen parlamentarischen, innerparteilichen und gesellschaftlichen Rückhalt der Regierung. Der Focus schien deren Vorgehen zu unterstützten, vermittelte aber den Eindruck, dass sich Schröder und Fischer im Kosovo-Krieg von ihren eigenen Parteien entfernten.

6. Zusammenfassung und Fazit Die Befunde der explorativen Studie zu medialer Legitimierung von Kriegen und poli- tischem Handeln mittels Rollen-Zuschreibung lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Begründungsebene – Schuldige/Betroffene: Spiegel und Focus stellten meist Serben als Täter und Kosovo-Albaner als Opfer dar. Damit folgten sie weit verbreiteten Vor- stellungen und stützten einen Teil der Problemdefinition der Bundesregierung. Das Argument humanitärer Nothilfe für den NATO-Einsatz ohne UN-Mandat vermit- telten die Blätter aber kaum – zumindest nicht auf der Ebene von Rollen-Zuschrei- bungen. • Begründungsebene – Entscheidungsträger: Der Focus präsentierte die Bundesregie- rung als verantwortungsvolle und realistische Politiker und legitimierte deren Han- deln damit auf dieser Ebene. Aus dem Spiegel musste man den Eindruck einer Bun- desregierung im Dilemma zwischen Moral und Verantwortung gewinnen. • Zustimmungsebene: Der Focus vermittelte zwar den Eindruck verantwortungsvoller Entscheidungsträger, konterkarierte ihn aber, indem er diese ohne innerparteilichen Rückhalt präsentierte. Der Spiegel legitimierte deren Handeln deutlicher. Denn er vermittelte den Eindruck, dass die Regierung in ihrem Dilemma den kriegskritischen Kurs der eigenen Parteien, der Oppositionsparteien sowie Gesellschaft aufgriff. Diese Befunde gelten für die Berichterstattung der Nachrichtenmagazine über den Ko- sovo-Krieg, lassen aber weiter gehende Schlüsse zu: Erstens dürften sich die für die Nach- richtenmagazine ermittelten Rollen-Zuschreibungen auch in der tagesaktuellen Presse finden. Allerdings hängt die mediale Legitimierung von den Konfliktlinien und der Be- teiligung eines Landes im spezifischen Kriegsfall ab. So war z. B. die Legitimierungsfra- ge im Dritten Golfkrieg anders gelagert: Hier waren sich die politischen Akteure in der Ablehnung einer Bundeswehrbeteiligung mit der Bevölkerung einig. Zudem hatte der Krieg im Bundestagswahlkampf 2002 einen anderen – durchaus instrumentellen – Stel- lenwert. Damit dürften sich auch andere Rollen-Zuschreibungen ergeben haben. Zweitens ist diese Untersuchung eine Fallstudie aus der Querschnittsperspektive. Andere Studien zeichnen längerfristige Entwicklungen nach. Die meisten davon sind aber diskursanalytisch (z. B. Schwab-Trapp 2002) oder sie liefern zwar quantitative Be- funde, aber nur für Themen (z. B. Imhof 1995; Meder 1998). Sicher muss die Analyse von Rollen-Zuschreibungen für andere Kriege und Legitimierungskontexte repliziert werden. Dass sie aber als Fallstudie fruchtbar sein kann, zeigt der Vergleich mit anderen Studien zum Kosovo-Krieg. Folgt man z. B. Eilders/Lüter (2000) oder Jäger/Jäger (2002), dann vermittelte die Berichterstattung einen starken Konsens zum Bundesweh- reinsatz und Kosovo-Krieg. Für die beiden hier untersuchten Legitimitätsaspekte ist das Bild dagegen weit differenzierter: Für die Problemdefinition vermittelten die Magazine einen Konsens, für die Problemlösung und Zustimmungsfrage zeigten sich dagegen er- kennbare Unterschiede. Sicher greifen die Medien dabei auch Kollektiv-Stereotype des öffentlichen Diskurses auf. Zudem stammen Rollen-Zuschreibungen auch von anderen Akteuren, deren Äußerungen referiert werden. Die Unterschiede zwischen den Nach- richtenmagazinen belegen aber, dass in Kriegszeiten sehr wohl Spielraum für journalis-

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Scheufele · Mediale Legitimierung von Kriegen

tische Konstruktionen besteht. Dieser zeigt sich auf der Ebene von Rollen deutlicher als für thematische oder argumentative Strukturen. Gegen eine Untersuchung von Rollen-Zuschreibungen mag man einwenden, dass The- men, Bewertungen oder Argumente ebenfalls (de-)legitimieren können. Hier interessier- ten aber subtilere Mechanismen. Darüber hinaus sind Akteure neben Ereignissen die zen- trale journalistische Bezugskategorie (vgl. z. B. Gerhards & Neidhart 1990: 42; Kepplin- ger 1998: 56ff., 74ff.). Zudem finden sich in der Politikberichterstattung deutliche Perso- nalisierungstendenzen (vgl. z.B. Brettschneider 2002), die auch die Kriegsberichterstattung betreffen (vgl. Imhof 1995; Löffelholz 1993). Trotz Gemeinsamkeiten unterscheiden sich Rollen von Images, Schemata oder Personenattributen: Die Kognitionspsychologie (z. B. Fiske/Taylor 1991: 118ff.) kennt Schemata für Personen und Rollen, konkretisiert aber nicht näher. Ein Image gilt als abstrahierendes, teils unbewusstes Bild von einem Objekt (vgl. Boulding 1969). In der Politikwissenschaft ist meist von Kandidaten-Images die Rede. Sie haben aber wenig mit Rollen zu tun. Denn sie werden meist über semantische Diffe- rentiale oder Ranking-Verfahren erfasst, die nur (bipolare) Attribute abdecken (vgl. Brett- schneider 2002: 144ff.). Damit werden im Grunde nur Bewertungen einzelner Eigen- schaften, nicht aber Verhaltenserwartungen wie bei Rollen erfasst.

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Kosovokrieg, Kriegsberichterstattung und die Popularität der deutschen Regierungsparteien und -politiker

Evelyn Bytzek*

Am Beispiel des Kosovokriegs 1999 wird auf die Frage nach den Wirkungen von Kriegen auf die Popularität der deutschen Regierung eingegangen, insbesondere auf das mögli- che Auftreten einer „Rally“ (von „Rally round the flag“, dem Scharen um die Flagge). Hierbei wird davon ausgegangen, dass eine Rally durch eine für die Regierung positive Medienberichterstattung aufgrund des Informationsmonopols der Regierung bei Rally- Ereignissen zustande kommt. Mit Hilfe einer thematischen Inhaltsanalyse der Tageszei- tungen FAZ und SZ werden Hypothesen über die Wirkung des Kosovokriegs zu ver- schiedenen Zeitpunkten und für verschiedene Teile der Wählerschaft formuliert. Anhand einer Faktorenanalyse auf Basis von aus Umfragen gewonnenen Skalometerwerten zu deutschen Parteien und Politikern lässt sich nachweisen, dass die Popularität der Regie- rungsakteure im ersten Kriegsmonat, dem April 1999, aufgrund des Vorherrschens von für die Regierung positiven Themen in den Medien anstieg, danach jedoch durch das Aufkommen von für die Regierung negativ besetzten Themen sank und nach dem Krieg im Juni 1999 für die meisten Regierungsakteure auf das Vorkriegsniveau zurückkehrte, so dass man nur für den ersten Kriegsmonat von einer Rally sprechen kann.

Keywords: Rally, Krieg, Informationsmonopol, Regierungsmitglieder, Popularität, In- haltsanalyse

1. Einleitung Die häufige Beobachtung, dass internationale Krisen und allen voran Kriege die Popu- larität von Regierungen steigern können, führte zu einer regen Forschungstätigkeit zu diesem Phänomen, das unter dem Namen „Rally“ (von „Rally round the flag“, dem Scharen um die Flagge) bekannt ist. Für den deutschen Fall liegen jedoch kaum Befun- de vor, da Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht direkt an Kampfhandlungen beteiligt war. Der Kosovokrieg im Frühjahr 1999, an dem deutsche Soldaten im Rahmen des NATO-Einsatzes mitwirkten, änderte diese Situation. Er bietet somit die Möglich- keit, der Frage nachzugehen, ob auch in Deutschland eine Rally auftreten kann, ob also die deutsche Regierung vom Kosovokrieg insofern profitieren konnte, als dass ihre Un- terstützung in der deutschen Bevölkerung durch den Krieg stieg. Durch die Übertra- gung der Forschung zum Zusammenhang zwischen Kriegen und Regierungspopularität auf den deutschen Fall lassen sich Einblicke auf die Wirkung von Kriegen auf Koali- tionsregierungen gewinnen, ein bislang wenig beleuchtetes Feld. Daher sollen im Fol- genden die Auswirkungen des Kosovokriegs auf die Popularität der deutschen Regie- rungsparteien und der hauptsächlich betroffenen Politiker – Bundeskanzler, Außen- und Verteidigungsminister – im Rahmen des deutschen Parteiensystems untersucht

* Hiermit bedanke ich mich ganz herzlich bei Prof. Dr. Franz Urban Pappi, Dr. Susumu Shika- no und Dominik Steegmüller für ihre Hilfe.

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werden. Hierfür wird im zweiten Abschnitt zunächst das Rally-Phänomen beleuchtet und darauf eingegangen, durch welche Mechanismen eine Rally in Gang kommt. We- sentlich für das Entstehen einer Rally ist laut Brody, dass die Darstellung der Regierung in den Medien in Bezug auf das Rally-Ereignis aufgrund ihres Informationsmonopols positiv ist (1991: 64). Des Weiteren wird der Frage nachgegangen, welche Teile der Wählerschaft eine Rally tragen. Da die Medienberichterstattung beim Zusammenhang zwischen Krieg und Regierungspopularität eine wesentliche Rolle spielt, beschäftigt sich der dritte Abschnitt mit dem Bild des Kosovokriegs in den Medien. Zusammen mit den theoretischen Überlegungen aus Abschnitt 2 werden anhand des Medienbilds Hypo- thesen zur Wirkung des Kosovokriegs auf die Popularität der deutschen Regierungsak- teure formuliert, die im vierten Abschnitt anhand von Umfragedaten empirisch über- prüft werden.

2. Das Rally-Phänomen und Untersuchungsplan

2.1 Wie kommt eine Rally in Gang? Das Phänomen einer „Rally round the Flag“, dem Scharen einer Nation um ihre Flagge angesichts einer internationalen Krise, in die die USA verwickelt sind, ist seit Muellers Studie von 1970 zu den Determinanten der Popularität des US-Präsidenten eine promi- nente Erklärung für das sprunghafte Ansteigen an Unterstützung für den Präsidenten.1 Die wahrgenommene Bedrohung der Nation von außen zieht dabei einen engeren Zu- sammenhalt der Bürger des Landes nach sich, der über den gestiegenen Patriotismus auch eine stärkere Unterstützung der nationalen Führerschaft mit sich bringt (McLeod u. a., 1994: 21). An dieser einfachen Patriotismus-Erklärung für das Auftreten einer Ral- ly wurde mehrfach Kritik laut. So weist Brody darauf hin, dass nicht jede internationa- le Krise, die laut Mueller eine Rally zur Folge haben sollte, dies auch tut (1991: 62). Da- her sucht Brody die Erklärung für eine Rally nicht in einer reflexartigen patriotischen Antwort auf eine äußere Bedrohung, sondern in den speziellen Dynamiken, die bei ei- nem solchen Ereignis in der Regel auftreten. Da sich ein Rally-Ereignis schnell ent- wickelt, besitzt die Regierung gegenüber ihren Kritikern ein Informationsmonopol. Die Medien können daher ausschließlich die Informationen der Regierung, die deren Stand- punkt vertreten, nutzen, wodurch eine steigende Unterstützung durch die Bevölkerung zustande kommt (Brody, 1991: 64). Diese Medien-Hypothese Brodys zur Entstehung einer Rally beinhaltet einen für die Wirkung von Kriegen wichtigen Aspekt: die Medienberichterstattung über den Krieg. Die für den amerikanischen Fall untersuchten Kriege fanden nicht auf amerikanischem Boden statt und waren damit für den größten Teil der Bevölkerung nicht direkt, son- dern nur über die Medienberichterstattung erfahrbar. Gleiches trifft auf den Kosovo- krieg und die deutsche Bevölkerung zu. Daher kann die Medienberichterstattung we-

1 Kriege werden von Mueller jedoch zuerst als negativer Einfluss auf die präsidentielle Popula- rität modelliert, als Beispiel dienen der Korea- und der Vietnamkrieg (Mueller, 1970: 23). In spä- teren Arbeiten stellt er jedoch fest, dass Kriege anfangs auch zu einem Anstieg der Popularität des Präsidenten führen und damit zu den Rally-Ereignissen gezählt werden sollten (Mueller, 1973: 58). Dieser Befund wurde von etlichen Untersuchungen bestätigt, so dass sich das Ein- ordnen von Kriegen, zumindest zu deren Beginn, unter die Rally-Ereignisse durchgesetzt hat (vgl. hierzu Norpoth, 1988).

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sentlichen Einfluss auf die Wirkung von Kriegen nehmen. Hierbei lässt sich eine Viel- zahl von Einflussmöglichkeiten der Medienberichterstattung auf die Bewertung der Re- zipienten denken. In der jüngeren Medienwirkungsforschung wird vor allem die Macht der Medien belegt, allein durch die Lenkung von Aufmerksamkeit, d. h. durch die un- terschiedliche Betonung von Themen oder subthematischen Teilaspekten, die Beurtei- lung politischer Sachverhalte zu beeinflussen (Schenk, 2002: 296-303 und 710). In die- sem Zusammenhang werden vor allem zwei Wirkungsmechanismen diskutiert: Medien- Priming und Medien-Framing. Medien-Priming bedeutet, dass Nachrichten die Krite- rien, anhand derer die politische Führungsmannschaft bewertet wird, allein durch die unterschiedliche Betonung verschiedener Themen beeinflussen. Ein Thema, das promi- nent in den Medien vertreten ist, wird zur politischen Bewertungsgrundlage, wenn Be- wertungen der Politiker und Parteien zu diesem Thema maßgeblich für deren Gesamt- bewertungen werden (Iyengar/Simon, 1993: 368). Medien-Framing hingegen „... ist ein Vorgang, bei dem (1) bestimmte Objekte und Relationen zwischen Objekten betont, also bestimmte Ausschnitte der Realität beleuchtet werden und (2) bestimmte Maßstä- be bzw. Attribute, die man an Objekte anlegen kann, salient gemacht werden“ (Scheu- fele, 2003: 46). Die Medien heben also innerhalb eines Sachverhalts, in diesem Fall bei der Darstellung eines Krieges, bestimmte Aspekte hervor, die positiv oder negativ für die Regierung sein können, und legen dem Rezipienten so eine bestimmte Bewertung der Regierung hinsichtlich dieses Sachverhalts nahe. Gerade bei bislang unbekannten Sachverhalten, wie eben dem Kampfeinsatz Deutschlands im Kosovokrieg, können bei- de Prozesse zusammenwirken, indem dem Rezipienten durch das Framing eine be- stimmte Bewertung der Regierung in Bezug auf den Kosovokrieg nahe gelegt wird und diese Bewertung durch das Priming wesentlich für die Gesamtbewertung der Regierung durch den Rezipienten wird. Iyengar und Simon untersuchten den Effekt des Medien-Priming auf die öffentliche Meinung am Fall des Golfkriegs 1991. Ein wesentliches Ergebnis ihrer Studie lautet, dass eine bessere außenpolitische Bewertung zur Zeit des Golfkriegs zu einer besseren Ge- samtbewertung des Präsidenten führte, im Gegensatz zur Zeit vor dem Golfkrieg, in der ökonomische Bewertungen für die Gesamtbewertung wesentlich waren (Iyengar/Si- mon, 1993: 376). Dies bedeutete eine Bestätigung für die Priming-Hypothese, da durch die außerordentliche Medienpräsenz des Golfkriegs das Thema Außenpolitik in den Vordergrund rückte. Allen u. a. (1994) stellten ebenfalls für den Golfkrieg 1991 fest, dass es nach einem ersten Anstieg der Unterstützung bei Kriegsbeginn Mitte Januar 1991 zu einem zweiten Anstieg Ende Februar 1991 mit Beginn der Bodenoffensive kam, der nicht durch die Rally-Hypothese erklärt werden kann. Hier sehen sie eine Schweigespi- rale am Werk, die durch das für den Golfkrieg geprägte Meinungsklima anderslautende Meinungen durch Selbstzensur unterdrückte und so die Mehrheitssicht immer weiter stärkte. Die Prozesse, durch die eine Schweigespirale in der öffentlichen Meinung auf- treten kann, sind Allen u. a. zufolge das Medien-Priming und -Framing. Die kontinu- ierliche und extensive Berichterstattung über den Golfkrieg lässt sie davon ausgehen, dass die Meinungen der Rezipienten zu diesem Ereignis zur Bewertungsgrundlage wer- den können, also ein Priming-Effekt eintritt. Anhand exemplarischer Fälle der Medien- berichterstattung zeigen Allen u. a., dass negative Sichtweisen durch das negative Fra- ming von Antikriegsmeinungen und -handlungen, wie z. B. Demonstrationen, und das positive Framing der unterstützenden Äußerungen als patriotisch zusammen mit dem Framing des Golfkriegs in weitgehend technisch-militärischen Begriffen unterdrückt werden. Eine hierdurch in Gang gesetzte Schweigespirale führte dann zu einem zweiten Anstieg der Unterstützung für den Golfkrieg (Allen u. a., 1994: 271ff.). Der erste An-

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stieg an Unterstützung für den Golfkrieg zu Kriegsbeginn wird hingegen auf eine Ral- ly zurückgeführt (Allen u. a., 1994: 269). Diese Schlussfolgerung ist insofern problematisch, als sie die Mechanismen, die die erste Rally bewirkten, nicht beleuchten. Dabei erscheint es aufgrund der vorgestellten Forschungsergebnisse sinnvoll, die Mechanismen, die eine Schweigespirale bewirken können, auch zur Erklärung der Rally an sich heranzuziehen. Ein Modell des Rally-Phä- nomens würde dann wie folgt aussehen: Zu Beginn einer internationalen Krise oder ei- nes Krieges befindet sich die Regierung in der Lage, durch ihr Informationsmonopol die Medienberichterstattung, die auf ihre Informationen angewiesen ist, für sich positiv zu gestalten. Diese für die Regierung günstige Berichterstattung wirkt im Gegenzug auf die Meinungen der Bürger durch Medien-Priming und -Framing. Durch eine außerordent- liche Berichterstattung über den Krieg treten andere Themen als Bewertungsbasis in den Hintergrund. Das Framing der Berichterstattung in für die Regierung positive The- menaspekte bewirkt wiederum eine positive Bewertung der Regierung im geprimten Thema, dem Krieg. Die Voraussetzungen für das Auftreten einer Rally sind daher die prominente Berichterstattung über den Krieg und das Hervorheben für die Regierung positiver Themenaspekte.

2.2 Wer trägt die Rally? Neben der Frage zum Zustandekommen einer Rally stellt sich auch die Frage, ob der Anstieg an Unterstützung für die politische Führungsmannschaft während einer inter- nationalen Krise von der gesamten Wählerschaft oder nur von Teilen dieser getragen wird. Sigelman und Conover untersuchten in diesem Zusammenhang den Einfluss der Parteiidentifikation der Wähler als wesentliche Determinante der Popularität des Präsi- denten auf die Dauer und Reichweite einer Rally (1981: 306f.). Anhand der Geiselnah- me amerikanischer Botschaftsangehöriger im Iran 1979/80 konnten sie zeigen, dass nur kurz nach Ausbruch der Krise die Rally die Parteiidentifikation als Hauptdeterminante der Unterstützung weitgehend aushebeln konnte, indem sowohl Anhänger der demo- kratischen als auch der republikanischen Partei und die Unabhängigen den demokrati- schen Präsidenten Carter zu jeweils etwa 90 % unterstützten. Im Verlauf der Krise fie- len die Anhänger der gegnerischen Parteien jedoch früh wieder von der Regierung ab (Sigelman/Conover, 1981: 314ff.). Im Gegensatz dazu konstatieren Callaghan und Virtanen (1993), dass die Rally auch zu Beginn nicht von allen Wählern gleichermaßen getragen wird. Der Anstieg an Un- terstützung für den Präsidenten sollte bei der Gruppe der Unabhängigen am stärksten sein, da sie hierin nicht durch parteiliche Bindungen beschränkt werden. Bei den An- hängern der Partei des Präsidenten sollte der Anstieg relativ gering sein, da die Unter- stützung bereits generell höher ist als in anderen Wählergruppen. Auch bei den Anhän- gern der gegnerischen Partei, bei denen durch die parteiliche Bindung eine Unterstüt- zung des Präsidenten erschwert wird, sollte der Präsident durch eine internationale Kri- se nicht übermäßig an Popularität gewinnen (Callaghan/Virtanen, 1993: 757). Am Beispiel der Camp David-Friedensverhandlungen 1978 und der Geiselnahme im Iran 1979/80 konnten sie die Vermutung hinsichtlich der Unabhängigen bestätigen, der An- stieg an Unterstützung war jedoch bei den Anhängern der republikanischen Partei ähn- lich hoch, sank jedoch auch schnell wieder – im Gegensatz zu den Unabhängigen, die ihre Unterstützung graduell entzogen (Callaghan/Virtanen, 1993: 759f.). Aus den beiden Untersuchungen lässt sich daher schließen, dass eine Rally nicht ho- mogen von allen Teilen der Wählerschaft getragen wird. Die Gruppe der Unabhängigen

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scheint das größte Reservoir an Unterstützung für den Präsidenten im Falle einer inter- nationalen Krise zu bilden, während sich die Anhänger der gegnerischen Partei nur kurz zugunsten des Präsidenten beeinflussen lassen. Problematisch an beiden Studien ist je- doch, dass sie nicht auf den Mechanismus eingehen, durch den eine Rally entsteht, also die für eine Rally notwendige prominente und für die Regierung positive Medienbe- richterstattung nicht beachten. Die Erklärung der unterschiedlichen Rally-Effekte ist daher unvollständig. So werden zwar die Unterschiede hinsichtlich des beschränkten Unterstützungspotenzials aufgrund von Parteibindungen zwischen den verschiedenen Wählergruppen als Grund für das schnelle Absinken der Popularität des Präsidenten bei den Anhängern der gegnerischen Partei genannt. Vor diesem Hintergrund lässt sich aber nicht erklären, warum in dieser Gruppe zu Beginn der Krise ähnliche Unterstützungs- zuwächse zu verzeichnen sind wie bei den Anhängern der Präsidentenpartei und den Unabhängigen. Die Erklärung von Unterschieden im Rally-Effekt zwischen Wähler- gruppen muss daher an den generellen Mechanismen, durch die eine Rally zustande kommt, also an Medien-Priming und -Framing, anknüpfen. Dabei erscheint es sinnvoll anzunehmen, dass verschiedene Wählergruppen nicht die gesamte Medienberichterstat- tung wahrnehmen, sondern jeweils nur die Medien nutzen, die normalerweise mit den Meinungen der Rezipienten konsonante Informationen liefern (Donsbach, 1989: 402). Zu Beginn einer internationalen Krise werden die Medien jedoch durch das Informa- tionsmonopol der Regierung konsonant regierungsfreundlich über die Krise berichten, so dass über die Prozesse des Medien-Priming und -Framing eine Rally der gesamten Wählerschaft zu erwarten ist. Mit zunehmender Dauer der Krise werden die Informa- tionen dann zahlreicher und auch gegnerische Stimmen laut. Diese Stimmen werden am ehesten in den Medien vertreten sein, die die Gruppe der Regierungsgegner bedienen. Die Anhänger der gegnerischen Partei werden daher zuerst mit Informationen kon- frontiert, die gegen eine Unterstützung der Regierung sprechen, weshalb die Popularität der Regierung in ihren Reihen rasch sinkt. Medien, die die Anhänger der Regierungs- partei bedienen, werden die Krise dagegen länger in für die Regierung vorwiegend po- sitiven Frames darstellen, weshalb die Unterstützung durch die Anhänger der Regie- rungspartei nur sehr langsam sinkt. Von den Unabhängigen wird angenommen, dass sie sowohl regierungsfreundliche als auch -feindliche Informationen erhalten und daher mit ihrem Rückgang der Unterstützung zwischen den Anhängern der Regierungspartei und den Anhängern der gegnerischen Partei liegen.

2.3 Untersuchungsplan Die genannten Studien beschäftigen sich ausschließlich mit dem Fall der USA und be- trachten in erster Linie die durch eine Rally gestiegene Popularität des US-Präsidenten. Der vorliegende Beitrag stellt jedoch die Frage, ob eine Rally auch in der Bundesrepu- blik Deutschland möglich ist, und zieht dafür den Fall des Kosovokriegs 1999 heran. Es ist daher zu klären, welche politischen Akteure im deutschen Fall betrachtet werden sol- len, um Anknüpfungspunkte an die Befunde der USA zu bieten, und ob der Kosovo- krieg überhaupt zu den Rally-Ereignissen gezählt werden kann. Zum Fall des Kosovokriegs ist zu sagen, dass er für Deutschland keine äußere Be- drohung darstellte. Dies ist aber für eine Rally auch nicht notwendig, zieht man die Me- dien-Hypothese Brodys zur Erklärung heran. Problematischer ist, dass sich der Krieg schon ab Herbst 1998 anbahnte, also fraglich ist, ob es überhaupt eine Dynamik gab, die über die Plötzlichkeit der Krise und des daraus folgenden Informationsmonopols der Regierung zu einer regierungsfreundlichen Berichterstattung über den Krieg führte.

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Diese Frage kann nur empirisch anhand einer Inhaltsanalyse beantwortet werden. Bei der Auswahl der zu betrachtenden politischen Akteure sollen nicht nur der Bundes- kanzler als annäherndes Äquivalent zum US-Präsidenten, sondern alle für den Fall des Kosovokriegs relevanten politischen Akteure betrachtet werden, also die Regierungs- parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie Bundeskanzler Schröder, Verteidi- gungsminister Scharping und Außenminister Fischer, da für den amerikanischen Fall Befunde vorliegen, dass eine Rally nicht nur dem Chef der Exekutive zugute kommen kann (vgl. hierzu Brewer u. a., 2003: 248). Darüber hinaus sind so auch Einblicke in die Wirkungen von Kriegen auf Koalitionsregierungen möglich. Die Analyse erstreckt sich auf den Zeitraum von März bis Juni 1999, April und Mai deckten dabei den Zeitraum des eigentlichen Kosovokriegs ab. Die Popularität der Re- gierungsparteien und -politiker wird anhand von Umfragedaten ermittelt. Hierfür wer- den die Politbarometerdaten, erhoben von der Forschungsgruppe Wahlen e.V., Mann- heim, genutzt.2 Da die Wirkung der Kriegsberichterstattung untersucht werden soll, ist eine enge zeitliche Bindung zwischen Umfragezeitpunkten und analysierter Berichter- stattung notwendig. Dabei ist einerseits zu beachten, dass der Effekt des Medien-Pri- ming nur dann auftritt, wenn das Priming zeitlich kurz zurückliegt, weshalb die Be- trachtung der Medienberichterstattung kurz vor den Umfragen erstrebenswert ist (vgl. Peter, 2002). Andererseits soll die Analyse jedoch nicht in einzelne Befragungstage ato- misiert werden, den Befragten eines Monats müssen daher die gleichen Informationen und damit die gleichen von den Medien angewandten Frames zur Verfügung stehen. Deshalb wird für die Inhaltsanalyse jeweils die Woche vor den Umfragewochen be- trachtet. Es wurde jedoch sichergestellt, dass keine wesentlichen Ereignisse zum Koso- vokrieg, die die Themenauswahl und damit das Framing der Medien beeinflussen und so zu unterschiedlichen Informationsbasen der Befragten eines Monats führen könnten, innerhalb der Befragungszeiträume liegen (vgl. hierfür Schütt, 2000). Es ist daher davon auszugehen, dass die Medienberichterstattung der Befragungsvorwoche das Bild wider- spiegelt, das die Befragten vom Kosovokrieg im Kopf haben. Die Zeiträume der In- haltsanalyse und Umfragen sind Tabelle 1 zu entnehmen. Die Inhaltsanalyse beschränkt sich dabei auf die Politikteile von FAZ und SZ, da diese Medien die Funktion von Mei- nungsführern innerhalb des Mediensystems innehaben (Kepplinger u. a., 1986: 267). Mit dem genauen Vorgehen bei der Analyse der Medienberichterstattung, den Ergeb- nissen dieser und den daraus im Zusammenhang mit der theoretischen Argumentation abgeleiteten Hypothesen zu den Wirkungen des Kosovokriegs auf die Popularität der deutschen Regierungsparteien und -politiker beschäftigt sich der dritte Abschnitt. Die Methode zur Extrahierung von Popularitätsveränderungen auf Basis von Skalometer- werten und die daraus gewonnenen Ergebnisse werden im vierten Abschnitt vorgestellt.

3. Die Medienberichterstattung über den Kosovokrieg und Hypothesen Die Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung über den Kosovokrieg soll folgende Fragen beantworten: 1) Hat der Kosovokrieg eine genügend große Medienpräsenz, so dass Priming-Effekte wahrscheinlich sind? 2) Wird der Krieg in den Medien regie- rungsfreundlich dargestellt, so dass eine Rally durch die gesamte Wählerschaft eintritt, oder gibt es Unterschiede in der Darstellung zwischen verschiedenen Medien, die darauf

2 Die Daten sind unter den Bezeichnungen S3261 (Westdeutschland) und S3262 (Ostdeutschland) beim Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung der Universität zu Köln erhältlich.

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Tabelle 1: Zeiträume der Inhaltsanalyse und Umfragen

Monat Zeitraum der Inhaltsanalyse Umfragezeitraum März 1999 8.–13. März 1999 15.–18. März 1999 April 1999 5.–10. April 1999 (ausgenommen 12.–15. April 1999 Ostermontag am 5. April) Mai 1999 10.–15. Mai 1999 (ausgenommen 17.–20. Mai 1999 Christi Himmelfahrt am 13. Mai) Juni 1999 14.–19. Juni 1999 21.–24. Juni 1999

schließen lassen, dass auch die Rally nicht von der gesamten Wählerschaft getragen wird? Das Design der Inhaltsanalyse ist eng an die aufgeworfenen Fragen angelehnt: Die Wahl von FAZ und SZ als betrachtete Medien bietet neben deren Meinungsführerschaft den weiteren Vorteil, dass die FAZ als gemäßigt rechte und die SZ als gemäßigt linke Zeitung unterschiedliche ideologische Spektren bedienen. Die Darstellung der FAZ wird somit eher die Wähler rechts von der politischen Mitte erreichen, also die CDU- und FDP-Anhänger, während die Darstellung der SZ für die Bewertung der Regierung durch die linken Wähler, also die SPD- und Grünen-Anhänger, maßgeblich ist.

3.1 Präsenz des Kosovokriegs in der Medienberichterstattung Innerhalb der Politikteile von FAZ und SZ wurden nur die Artikel ausgewählt, die den Kosovo-Konflikt oder dessen Folgen (mit) zum Thema hatten, dies waren insgesamt 568 Artikel. Tabelle 2 zeigt die Zahl der Artikel nach Monat und Zeitung. Während das The- ma Kosovokonflikt vor Beginn der Luftangriffe am 24. März 1999 noch wenig präsent war, ändert sich dies mit Kriegsbeginn. Auffallend ist auch das abnehmende Interesse am Kosovokrieg ab Mai 1999. Die Artikel verteilen sich dabei recht gleichmäßig auf bei- de Zeitungen. Betrachtet man die Anzahl der Artikel, die auf Seite 1 stehen (in Klam- mern angegeben), wird die prominente Platzierung des Themas Kosovokonflikt ab April 1999 deutlich. So gibt es ab Kriegsbeginn im untersuchten Zeitraum keinen Tag, an dem nicht auf Seite 1 über den Kosovokrieg zu lesen war. Es ist daher plausibel an- zunehmen, dass der Kosovokonflikt ab April 1999 so umfangreich und prominent in den Medien vertreten war, dass er zur Grundlage der Bewertung der Regierungsakteu- re durch die Wähler werden konnte.

Tabelle 2: Häufigkeit der Artikel zum Kosovokonflikt nach Monat und Zeitung*

FAZ SZ insgesamt 8.-13. März 1999 9 (2) 10 (3) 19 (5) 5.-10. April 1999 123 (14) 117 (16) 240 (30) 10.-15. Mai 1999 76 (20) 92 (11) 168 (31) 14.-19. Juni 1999 64 (10) 77 (8) 141 (18) insgesamt 272 (46) 296 (38) 568 (84) * Zahl der Artikel auf Seite 1 in Klammern

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M&K 53. Jahrgang 2-3/2005 tillstands- ändern ist er Protest satz von aus dem Kosovo. sollte abgelehnt werden, die Regierung erfolgreiche Verständigung der Oppo- sucht erfolgreich die Verständigung mit Kriegsgegnern. sition mit Kriegsgegnern, die Suche nach Unterstützung der NATO-Luftangriffe. einer friedlichen Lösung ist zwecklos. den Kosovo.direkte Bewertungen für die Regierung. Bewertungen der Regierung. marsch in den Kosovo. den Ländern wird angestrebt, dennoch notwendig, Rückkehr der Flüchtlinge in Einsatz für begrenzte Aufnahme in nicht sinnvoll, Kritik am Umgang mit westlichen Ländern, um eine Destabili- sierung der Region zu vermeiden. den Kosovo. den Flüchtlingen. Einsatz von Bodentruppen nicht notwendig. truppen nicht notwendig, Begeisterung Bodentruppen notwendig, Kosten des beim Einmarsch der NATO-Truppen in Kriegs, Probleme beim NATO-Ein- und die eigenen Anhänger verteidigen. wegen des Kosovokonflikts, positive des Kosovokonflikts, negative direkte und ungeteilte Provinz Kosovo mit Präsenz einer Friedenstruppe. Milosevic gegen Milosevic.soll von seinem Volk abgesetzt werden. Teilung unwahrscheinlich, Proteste Teilung wahrscheinlich, Warnungen vor der Teilung, Übergriffe von Kosovo- Albanern auf Serben, Flucht der Serben Friedensschluss gen durch Serbien als Voraussetzung. Lösung, das Waffenstillstandsangebot angebot sollte angenommen werden, ThemaFriedensverhandlungen, Aktive Suche nach Frieden, aber Möglichkeiten für einen Annahme der Rambouillet-Bedingun- Akteure bemühen sich um eine friedliche friedliche Lösung, das Waffens Die Regierung oder internationale Position der Regierung Die Opposition bemüht sich um eine Für die Regierung positive Aspekte Für die Regierung negative Aspekte Legitimität des militärischen Eingreifens der Menschenrechtsverletzungen im Darstellung der Kriegsverbrechen und Die NATO-Luftangriffe sind wegen das Völkerrecht, international Flüchtlingsproblematik Aufnahme der Flüchtlinge in angrenzen- Militärisches Eingreifen notwendig, Die Aufnahme in westlichen Ländern ist Die Aufnahme in westlichen L Die NATO-Luftangriffe verstoßen gegen der NATO im Kosovo Kosovo notwendig und legitim. -verbrecher Serbiens, internationale gegen die Luftangriffe. Militärische Aspekte Die Luftschläge sind ausreichend, der Militärische Erfolge, Einsatz von Boden- Militärische Fehlschläge, Ein Innenpolitische Auswirkungen des Kosovokonflikts das Vorgehen weniger gegen die Oppo- Innenpolitisch musste die Regierung Politik der Regierung, Spannungen Kriegsziele Nationale Unterstützung der Kosovo- sition als gegen pazifistische Gruppen Politik der Regierung, Spannungen in- Nationaler Protest gegen die Kosovo- innerhalb der Oppositionsparteien nerhalb der Regierungsparteien wegen Ziel ist eine autonome multi-ethnische Stimmen gegen die Teilung des Kosovo, Stimmen für die Teilung des Kosovo, Tabelle 3: Themen der Inhaltsanalyse, Position Regierung und positive negative Themenaspekte für die

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3.2 Darstellung des Kosovokriegs in den Medien Die zweite Anforderung an die Inhaltsanalyse bezieht sich auf die Darstellung des Ko- sovokriegs in Bezug auf die Regierung. Die Framing-Hypothese, die im zweiten Ab- schnitt zur Basis der Medienwirkung gemacht wurde, besagt, dass durch das Hervor- heben bestimmter Aspekte eines Ereignisses durch die Medien bestimmte Bewertungs- grundlagen bei den Rezipienten aktiviert werden (Scheufele, 2003: 46). Doch welche Aspekte setzen den Kosovokrieg in ein für die Regierung positives Licht und welche sind negativ mit der Regierung verbunden? Da eine Rally in diesem Beitrag damit er- klärt wird, dass die Regierung zu Beginn einer internationalen Krise ein Informations- monopol besitzt und somit ausschließlich ihre Sicht der Dinge in den Medien dargestellt wird, erscheint es sinnvoll anzunehmen, dass die Regierung solche Informationen ver- öffentlichen wird, die ihre Position zum Konflikt stärken sollen. Dies werden neben di- rekten Aussagen über die Richtigkeit des Vorgehens der Regierung vor allem Themen- aspekte sein, die die Position der Regierung unterstützen. Artikel, die auf den ersten Blick keinerlei Bezug zur Regierung aufweisen, können so dennoch regierungsfreund- lich sein, wie z. B. Darstellungen von Kriegsverbrechen an Kosovo-Albanern, die deut- lich machen, dass man diese Menschen nicht ihrem Schicksal überlassen darf, was auch der Position der Regierung entspräche. Aus der Betonung verschiedener Themenaspek- te und deren Bezug zur Position der Regierung kann man also ablesen, ob die Medien- darstellung eher regierungsfreundlich oder -feindlich ist. Die 568 Artikel wurden daher auf das Vorkommen von insgesamt 37 Themenaspek- ten zum Kosovokrieg überprüft, die in Bezug zur Position der Regierung gesetzt wur- den und damit positiv oder negativ für die Regierung waren. Zur einfacheren Darstel- lung wurde diese Vielzahl an Themenaspekten dann in sechs größere kontrovers disku- tierte Themen zusammengefasst. Die Analyseebene der Inhaltsanalyse wechselt nun also von den Artikeln zum Kosovokrieg zur Behandlung von Themenaspekten innerhalb dieser Artikel, wobei in einem Artikel mehrere Themenaspekte angesprochen werden konnten. Themen, Position der Regierung und positive und negative Aspekte in Bezug auf diese Position sind Tabelle 3 zu entnehmen. Innerhalb der Themen wurden Nennungen negativer Themenaspekte von den posi- tiven pro Zeitung und Monat abgezogen. Um dieses Gesamtbild des Kosovokriegs in Bezug auf die Regierungsposition zwischen beiden Zeitungen vergleichbar zu machen, wurden zur Gesamtthemenzahl pro Monat und Zeitung relative Nennungen verwendet. Die Häufigkeit der übergeordneten Themen sollte in erster Linie von aktuellen Ereig- nissen abhängen und keine Framing-Entscheidungen der Medien widerspiegeln, da sich diese im Gegensatz zu den Themenaspekten noch nicht in Verbindung zur Position der Regierung bringen lassen. Alleine die Betonung unterschiedlicher Themenaspekte soll- te daher die Framing-Entscheidungen der Medien ausdrücken. Um dies zu überprüfen und um zu sehen, wie stark die übergeordneten Themen zu unterschiedlichen Zeit- punkten in den Medien vertreten waren, wird in Tabelle 4 abgetragen, wie viel Raum ein Thema pro Monat und Zeitung einnahm. Die Schaubilder 1 bis 3 stellen den Saldo von relativen Nennungen positiver und ne- gativer Themenaspekte in den beiden Zeitungen zu verschiedenen Themen dar. Die Schaubilder beschränken sich auf die Themen, die während des Kosovokriegs stark präsent waren, und damit auf die Legitimität des militärischen Eingreifens der NATO, militärische Aspekte und innenpolitische Auswirkungen des Kosovokonflikts. Das Thema der Friedensverhandlungen und die Möglichkeiten für einen Friedens- schluss (nicht abgebildet) war hingegen vor dem Beginn des Kosovokriegs, also im März

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Tabelle 4: Präsenz der übergeordneten Themen

März April Mai Juni Friedensverhandlungen FAZ: 82%, FAZ: 11%, FAZ: 18%, FAZ: 1%, SZ: 92% SZ: 14% SZ: 12% SZ: 1% Legitimität des militärischen Eingreifens FAZ: 18%, FAZ: 31%, FAZ: 29%, FAZ: 25%, SZ: 8% SZ: 32% SZ: 33% SZ: 19% Flüchtlingsproblematik FAZ: 0%, FAZ: 19%, FAZ: 2%, FAZ: 12%, SZ: 0% SZ: 16% SZ: 9% SZ: 11% Militärische Aspekte FAZ: 0%, FAZ: 24%, FAZ: 17%, FAZ: 19%, SZ: 0% SZ: 20% SZ: 22% SZ: 28% Innenpolitische Auswirkungen FAZ: 0%, FAZ: 16%, FAZ: 33%, FAZ: 7%, SZ: 0% SZ: 18% SZ: 23% SZ: 9% Kriegsziele FAZ: 0%, FAZ: 0%, FAZ: 0%, FAZ: 37%, SZ: 0% SZ: 0% SZ: 0% SZ: 31%

1999, sehr präsent. Die FAZ betont hier positive Themenaspekte, während die SZ stär- ker auf für die Regierung negative Aspekte eingeht. Dies sollte für die Bewertung der Regierung aufgrund der geringen Präsenz des Kosovokriegs zu diesem Zeitpunkt jedoch wenig relevant sein. Vor der Besprechung der Schaubilder 1 bis 3 folgt zur besseren Verständlichkeit ein Beispiel zum Zustandekommen des Saldos positiver und negativer Themenaspekte: Die FAZ hat im April in 123 Artikeln 191 Themenaspekte angesprochen. 39 dieser Aspekte gehören zum Thema Legitimität des militärischen Eingreifens der NATO im Kosovo und decken sich mit der Position der Bundesregierung. Relativ gesehen sind also 20,4 % der in der FAZ im April angesprochenen Themenaspekte positiv für die Regierung. Da- gegen wurden nur 14 negative Aspekte für diesen Themenbereich genannt, also 7,3 %.

Schaubild 1: Saldo negativer und positiver Themenaspekte zum Thema Legitimität des militärischen Eingreifens der NATO im Kosovo

20,0

15,0

10,0

5,0

0,0 FAZ SZ März April Mai Juni

5,0

–10,0 Saldo negativer und positiver Themenaspekte –15,0

–20,0

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Schaubild 2: Saldo negativer und positiver Themenaspekte zum Thema Militärische Aspekte

20,0

15,0

10,0

5,0

0,0 FAZ SZ März April Mai Juni

5,0

–10,0 Saldo negativer und positiver Themenaspekte –15,0

–20,0

Der Saldo der genannten positiven und negativen Themenaspekte beträgt also 13,1 %, diese Zahl findet sich in Schaubild 1 für die FAZ im April wieder. Das Thema Legitimität des militärischen Eingreifens der NATO im Kosovo ist das am kontinuierlichsten in den Medien vertretene. Erstaunlich ist die sehr positive Dar- stellung dieses Themas für die Regierung im April sowohl in der FAZ als auch in der SZ. Mit jeweils gut 30 % der Nennungen ist dieses Thema auch das wichtigste nach Kriegs-

Schaubild 3: Saldo negativer und positiver Themenaspekte zum Thema Innenpolitische Auswirkungen des Kosovokonflikts

20,0

15,0

10,0

5,0

FAZ 0,0 SZ März April Mai Juni

5,0

–10,0 Saldo negativer und positiver Themenaspekte –15,0

–20,0

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beginn. Im Mai hingegen wird die Legitimität des Krieges in beiden Zeitungen stärker angezweifelt, um im Juni durch die Entdeckungen von Massakern und Massengräbern wieder gegeben zu sein. Ganz anders stellt sich der Themenbereich Militärische Aspekte dar. Schon im April werden überwiegend negative Themenaspekte herausgestellt, von der FAZ noch stärker als von der SZ. Diese reagiert im Mai sehr sensibel auf die große Zahl an Kollateralschä- den, was das Bild des Kosovokriegs in der SZ sehr negativ werden lässt, um sich im Juni, mit dem gewonnenen Krieg, stark für die Regierung zu verbessern. Die FAZ bleibt in der Nennung negativer Themenaspekte dagegen konstant hoch und relativ stabil. Da der Kosovokrieg innerhalb Deutschlands stark umstritten war, wird auch das Thema der innenpolitischen Auswirkungen in für die Regierung negativen Aspekten dargestellt, im April schon von der SZ, im Mai folgt auch die FAZ. Erst im Juni wird die Berichterstattung positiver für die Regierung, dass Thema spielt aber nur noch eine ge- ringe Rolle. Im Gegensatz dazu gewinnt das Thema Flüchtlingsproblematik (nicht abgebildet) im Juni erneut an Brisanz und wird von beiden Zeitungen für die Regierung positiv darge- stellt. Schon kurz nach Kriegsbeginn, im April, spielte dieses Thema eine Rolle, die Be- richterstattung war in beiden Zeitungen jedoch recht neutral, so dass sich hieraus keine Schlüsse auf die Bewertung der Regierung ziehen lassen. Das Thema Kriegsziele wurde durch die Diskussion, ob die Kriegsziele erreicht wur- den, erst nach dem Krieg, im Juni, präsent und nimmt dann mit 37 % bei der FAZ und 31 % bei der SZ auch viel Raum ein. Beide Zeitungen machen durch die Betonung ne- gativer Themenaspekte dabei deutlich, dass die Ziele nicht erreicht wurden, wobei die SZ noch negativer als die FAZ urteilt. Um einen Überblick über die Darstellung des Kosovokriegs in Relation zur Regie- rungsposition über die vorgestellten Themen hinweg zu bekommen, fasst Tabelle 5 die Befunde der Inhaltsanalyse zusammen. Hierfür wurden die in den Schaubildern abge- tragenen positiven oder negativen Darstellungen der verschiedenen Themen zusam- mengezählt und anhand der Themenpräsenz pro Monat, wie in Tabelle 4 angegeben, ge- wichtet, wodurch man zu einer Gesamtdarstellung des Kosovokriegs in Bezug auf die Regierung in FAZ und SZ gelangt. Durch die hohe Präsenz des Themas Legitimität des militärischen Eingreifens der NATO im Kosovo und hierbei der Betonung von Themenaspekten, die die Position der Regierung stützen, ist die Medienberichterstattung trotz der negativen Darstellung des Themas Militärische Aspekte in beiden Zeitungen im April eher regierungsfreundlich. Doch schon im Mai wird das Medienbild des Kosovokriegs für die Regierung durch die hohe Zahl an Kollateralschäden und die innenpolitischen Legitimationsprobleme der Regierung in der SZ negativer, während die FAZ noch ein für die Regierung positives Bild vermittelt. Dies ändert sich im Juni mit dem Aufkommen der Frage, ob die Kriegs-

Tabelle 5: Nach Themenpräsenz gewichtete Gesamtdarstellung des Kosovokriegs

FAZ SZ März 10,7 -6,9 April 1,6 2,5 Mai 2,5 -4 Juni -2 -3,4

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ziele erreicht wurden. Dieses Thema wird von beiden Zeitungen prominent und in für die Regierung negativen Themenaspekten dargestellt, so dass die Berichterstattung zum Kosovokrieg im Juni eher regierungsfeindlich war.

3.3 Hypothesen zur Wirkung des Kosovokriegs auf die Popularität der Regierungsak- teure Da die für Priming-Effekte notwendige Bedingung der starken Präsenz des Themas in der Medienberichterstattung für den Kosovokrieg erfüllt war, kann man davon ausge- hen, dass der Kosovokrieg zur Bewertungsgrundlage der Wähler für die politischen Ak- teure wurde. Hinsichtlich der Richtung einer Bewertungsänderung durch Framing-Ef- fekte muss man im Anschluss an die theoretische Diskussion zwei Dimensionen unter- scheiden: zum einen, welchen politischen Akteuren eine mögliche Rally zugute kommt, und zum anderen, welche Teile der Wählerschaft diese Rally tragen. Für Bündnis 90/Die Grünen als kleinem Koalitionspartner kann man vermuten, dass sie aufgrund ihres ge- ringeren Handlungsspielraums in der Koalition und ihrer geringeren Sichtbarkeit einer- seits weniger stark von Popularitätsveränderungen durch den Kosovokrieg betroffen sein werden. Andererseits aber wirkt diese Partei nach der Bundestagswahl 1998 zum ersten Mal an einer Bundesregierung mit, der Kosovokrieg stellt für sie also einen Prüf- stein dahingehend dar, wie sie sich bei einem Konflikt zwischen ideologischen Grund- lagen und internationalen Verpflichtungen verhalten wird. Da die Grünen somit unter besonderer Beobachtung durch die Wähler stehen, sollten sowohl die Partei als auch ihre Politiker von positiven wie negativen Entwicklungen stärker als die SPD betroffen sein. Die Frage nach unterschiedlichen Rally-Effekten zwischen verschiedenen Wählergrup- pen wird anhand der Berichterstattung der SZ als Medium eher linker Gruppen, also den Anhängern von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, und der FAZ als gemäßigt rechter Zeitung und damit dem Medium der CDU- und FDP-Anhänger, beantwortet. Die Hy- pothesen lauten wie folgt: Hypothese 1: Im April sollte die Popularität aller Regierungsakteure aufgrund des Vorherrschens von für die Regierung vorteilhaften Themen steigen, dabei die von Bünd- nis 90/Die Grünen und Außenminister Fischer stärker als die der SPD, Schröders und Scharpings. Dieser Anstieg sollte von allen Teilen der Wählerschaft gleichermaßen ge- tragen werden. Hypothese 2: Die Popularität der Regierungsakteure sollte dagegen schon im Mai sin- ken, die von Bündnis 90/Die Grünen und Fischer stärker als die der SPD und von de- ren Politikern. Dieser Abschwung wird in erster Linie von den Anhängern der SPD und Bündnis 90/Die Grünen verursacht, da sie stärker mit für die Regierung negativen In- formationen versorgt werden. Die CDU- und FDP-Anhänger sollten die Regierung aufgrund der weniger negativen Darstellung der FAZ weiterhin unterstützen, so dass deren Popularität im Mai noch recht hoch sein wird. Die Unabhängigen werden in ihrem Entzug an Unterstützung zwischen Regierungs- und Oppositionsanhängern liegen. Hypothese 3: Die Distanzierung der SPD- und Grünen-Anhänger von der Regierung sollte sich im Juni fortsetzen. Im Gegensatz zum Mai distanzieren sich nun aber auch andere Teile der Wählerschaft, so dass die Popularität der Regierung im Juni drastisch sinken wird, allen voran die Popularität von Bündnis 90/Die Grünen und von Fischer.

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4. Konstruktion der Regierungspopularität aus Umfragedaten und Ergebnisse

4.1 Methode Eine Möglichkeit zur Messung der Regierungspopularität in Umfragen stellt die so ge- nannte Skalometerfrage dar. Hierbei werden die Befragten gebeten, die Parteien und Po- litiker aufgrund ihrer Sympathie auf einer Skala von –5 bis 5 einzustufen.3 Der Vorteil der Skalometerfrage besteht darin, dass sie nicht auf ein bestimmtes Thema oder eine be- stimmte Eigenschaft der politischen Akteure zielt, die zur Basis der Bewertung heran- gezogen werden soll, sondern ein allgemeines Urteil fordert. In den Einstufungen der Befragten werden sich daher zum einen die ideologische Nähe politischer Akteure und zum anderen davon unabhängige Beurteilungen widerspiegeln (Enelow/Hinich, 1984: 170). Aufgabe ist es nun, aus den beobachteten Skalometerwerten der Befragten die zu- grundeliegenden latenten Dimensionen zu extrahieren, also die ideologische Bewertung von der Popularität zu trennen. Hierfür wird eine explorative Faktorenanalyse durch- geführt. Die Faktoren werden hierbei anhand des Hauptkomponentenverfahrens extra- hiert, wodurch die Varianz, die die Faktoren erklären, maximiert wird (Revenstorf, 1980: 71ff.). Die Basis der Faktorenanalyse bildet die Varianz-Kovarianz-Matrix der Skalometerwerte der Befragten zu den politischen Akteuren. Als Bezugspunkt wurde der Nullpunkt verwendet, da dieser von der Skalometerskala vorgegeben wird und da- mit eine fehlerfreie Distanzmessung zwischen den Parteien gewährleistet (vgl. zur Me- thode den Anhang in Pappi u. a., 2004). Zur Extrahierung der relevanten Bewertungs- dimensionen und der Anordnung politischer Akteure in einem durch die Bewertungs- dimensionen aufgespannten politischen Raum durch eine Faktorenanalyse sind die Be- ziehungen dieser Akteure untereinander wesentlich, weshalb die Analyse neben den genannten Regierungsparteien und -politikern auch CDU, CSU, FDP, PDS und die Parteivorsitzenden Schäuble und Stoiber umfasst. Die Faktorladungen stellen dabei die Positionen der Parteien und Politiker im politischen Raum dar. Die Validierung der Be- deutung der X-Achse dieses Raums als ideologische und der Y-Achse als Popularitäts- dimension geschieht über externe Daten.4 Zusätzlich zur Trennung der Skalometerwer- te in ideologische und Popularitätsdimension und der Konstruierung eines politischen

3 Der genaue Fragentext lautet: „Stellen Sie sich einmal ein Thermometer vor, das aber lediglich von plus 5 bis minus 5 geht, mit einem Nullpunkt dazwischen. Sagen Sie es bitte mit diesem Thermometer, was Sie von den einzelnen Parteien halten. +5 bedeutet, dass Sie sehr viel von der Partei halten. -5 bedeutet, dass Sie überhaupt nichts von der Partei halten. Mit den Werten da- zwischen können Sie Ihre Meinung abgestuft sagen.“ 4 Hierbei werden zum einen die Ladungen der Parteien auf der ersten Dimension auf die ideolo- gischen Einstufungen der Parteien durch die Wähler rotiert. Hinsichtlich der Rotation der La- dungen auf der zweiten Dimension kann aufgrund des Mangels an Popularitätsdaten nur der zweitbeste Weg beschritten werden, nämlich die Rotation auf externe Skalometerdaten, die we- nigstens zum Teil die Popularität der Parteien widerspiegeln. Es wird daher erwartet, dass die Korrelation der zweiten Dimension mit den Skalometerfragen geringer ausfällt als die der ers- ten Dimension mit den ideologischen Einstufungen. Die hierfür herangezogenen Daten sind die Nachwahldaten zur Bundestagswahl 1998 des DFG-Projekts „Politische Einstellungen, politi- sche Partizipation und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland“ (ZA-Nr. S3064). Erwar- tungsgemäß korrelieren die Positionen der Parteien auf der X-Achse hoch mit der Links- Rechts-Einstufung (Korrelationskoeffizient zwischen 0,90 und 0,95 in Westdeutschland), während die Positionen auf der Y-Achse mit der Skalometereinstufung korreliert sind (Korre- lationskoeffizienten zwischen 0,78 und 0,91 in Westdeutschland).

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Raums lassen sich mit der gewählten Methode auch die Befragten über die Faktorwerte in diesem Raum darstellen, also den für sie idealen Punkt ermitteln. Hinsichtlich der ideologischen Dimension kann dieser Punkt irgendwo im politischen Raum liegen und gibt die ideologische Nähe des Befragten zu den Parteien und Politikern an. Dies trifft jedoch nicht auf die Popularitätsdimension zu, da hier bekannt ist, dass die Position al- ler Befragten gleich dem höchsten bei der Skalometerfrage zu vergebenden Wert, also der Fünf, ist, der die meist präferierte Partei ausdrückt. Daher werden die Faktorwerte der Befragten auf der zweiten Dimension um den Wert 5 transformiert (vgl. zur Me- thode den Anhang in Pappi u. a., 2004). Die Idealpunkte der Befragten werden anhand von Parteianhängerschaften zusammengefasst, so dass der politische Raum neben den genannten Parteien und Politikern die Mediane der Idealpunkte für die Anhänger von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der Union, FDP und der Unabhängigen enthält. Die An- hängerschaft zu einer Partei wird über die in Deutschland gebräuchliche Parteineiger- frage festgestellt.5 Auf der Popularitätsdimension niedrige Werte bestimmter Anhän- gergruppen bedeuten dabei nicht, dass diese Befragten eine inkompetente Partei präfe- rieren, sondern dass es nur relativ wenig Befragte außer ihnen gibt, für die diese Partei sehr populär ist, da die Faktorenanalyse die politischen Beziehungen aus der Sicht des Durchschnittsbefragten wiedergibt. Die Faktorenanalyse wird für Ost- und West- deutschland wegen der unterschiedlichen Parteiensysteme getrennt durchgeführt. Im Folgenden werden jedoch nur die Ergebnisse für Westdeutschland abgebildet, die Er- gebnisse für Ostdeutschland werden im Text besprochen, soweit sie von den westdeut- schen abweichen.

4.2 Ergebnisse Popularitätsveränderungen von Parteien und Politikern drücken sich durch Verände- rungen der Positionen auf der Y-Achse, also der Popularitätsdimension, aus. Durch wel- che Teile der Wählerschaft diese Veränderung zustande kommt, wer also eine mögliche Rally trägt, kann über die Veränderung der Distanzen zwischen politischen Akteuren und verschiedenen Anhängerschaften ermittelt werden. Die Ausgangskonstellation im März, in Schaubild 4 dargestellt, zeigt deutlich die ideologische Links-Rechts-Anordnung der politischen Akteure auf der X-Achse und die um ihre Parteien gruppierten Anhänger mit den Unabhängigen relativ in der Mitte mit Tendenz zum rechten Lager. Erstaunlich ist, dass Fischer schon im März sowohl ideologisch als auch in seiner Popularität recht nah an der SPD und Schröder positio- niert und damit weit entfernt von seiner Partei ist. Zusätzlich zu den Positionen der politischen Akteure und Anhängerschaften im ak- tuellen Monat werden in den folgenden Schaubildern die Positionen der Regierungsak- teure und der Anhängerschaften im Vormonat (graue Rauten und Quadrate) abgetra- gen, um Veränderungen deutlich zu machen. Wie in Hypothese 1 konstatiert wurde und Schaubild 5 zu entnehmen ist, steigen die Regierungsakteure in ihrer Popularität, dar- gestellt durch die Bewegungen auf der Y-Achse. Am stärksten profitiert Verteidigungs- minister Scharping von diesem Aufwärtstrend. Entgegen der Erwartungen können Bündnis 90/Die Grünen jedoch nicht von diesem Popularitätsschub profitieren. Die

5 Der genaue Wortlaut der Parteineigerfrage: „In Deutschland neigen viele Leute über eine län- gere Zeit einer bestimmten Partei zu, obwohl sie ab und zu auch eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: Neigen Sie – ganz allgemein gesprochen – einer bestimmten Partei zu? Wenn ja, welcher?“

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Schaubild 4: Positionen der Parteien und Politiker und Median der Idealpunkte nach Anhängergruppen im März 1999 in Westdeutschland*

4 - SPD-Anhänger Unabhängige Grünen-Anhänger FDP-Anhänger 3 - Schröder

Fischer 2 - Unionsanhänger SPD

Scharping 1 - Schäuble Stoiber

CDU 0 - –4 –3 –2 –1 0 FDP 1 2 CSU 3 4 Grüne –1 - Popularitätsdimension

–2 -

PDS –3 -

–4 - Ideologische Dimension

* Die erklärte Varianz des ersten Faktors (ideologische Dimension) beträgt 35 %, die des zweiten (Popularitäts- dimension) 23 %.

Schaubild 5: Positionen der Parteien und Politiker und Median der Idealpunkte nach Anhängergruppen im April 1999 in Westdeutschland* 4 - Unabhängige SPD-Anhänger FDP-Anhänger 3 - Fischer Grünen-Anhänger Schröder2 - SPD Unionsanhänger Scharping 1 - CDU Stoiber Schäuble CSU 0 - –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 FDP Grüne –1 - Popularitätsdimension

–2 -

PDS –3 -

–4 - Ideologische Dimension

* Die erklärte Varianz des ersten Faktors (ideologische Dimension) beträgt 43 %, die des zweiten (Popularitäts- dimension) 24 %.

Rally zugunsten der anderen Regierungsakteure scheint von den Anhängern aller Par- teien gleichmäßig getragen worden zu sein, es hebt sich nur die kleine Zahl an FDP-An- hängern durch ein Näherrücken an das Regierungslager hervor.

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Bytzek · „Rally-round-the-flag“ im Kosovokrieg

Im Unterschied zu Westdeutschland können jedoch im Osten (nicht dargestellt) auch Bündnis 90/Die Grünen von der Rally profitieren, ihre eigenen Anhänger gehen aber, wie auch im Westen, auf Distanz zu ihrer Partei. Die Rally wird im Gegensatz zu West- deutschland in erster Linie von den Unabhängigen getragen. Im Mai sinken die Regierungsakteure wie vorhergesagt etwas in ihrer Popularität ab, von diesem Abschwung sind am stärksten Bündnis 90/Die Grünen betroffen, wie Schaubild 6 zu entnehmen ist. Sie profitieren als Antikriegspartei also nicht von der Ral- ly, leiden aber unter dem Entzug der Unterstützung durch die schon im zweiten Kriegs- monat zum Teil stark negative Berichterstattung. Entgegen der zweiten Hypothese, wo- nach die weiterhin hohe Popularität der Regierung im Mai stärker von Anhängern des rechten Lagers und der Unabhängigen getragen werden sollte, distanzieren sich FDP- Anhänger und Unabhängige im Mai vom Regierungslager, während die Grünen-An- hänger wieder näher an ihre Partei rücken. Diese Bewegung der Grünen-Anhänger tritt in Ostdeutschland nicht auf (nicht dargestellt).

Schaubild 6: Positionen der Parteien und Politiker und Median der Idealpunkte nach Anhängergruppen im Mai 1999 in Westdeutschland*

4 - SPD-Anhänger Unabhängige Fischer3 - Grünen-Anhänger Schröder FDP-Anhänger SPD 2 - Scharping Unionsanhänger

1 - Schäuble Stoiber CDU CSU 0 - –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 Grüne –1 - FDP Popularitätsdimension

–2 -

PDS –3 -

–4 - Ideologische Dimension

* Die erklärte Varianz des ersten Faktors (ideologische Dimension) beträgt 44 %, die des zweiten (Popularitäts- dimension) 23 %.

Wie in Schaubild 7 zu sehen ist, sinkt die Popularität von SPD, Schröder und Scharping im Juni erwartungsgemäß weiter. Auch die Unabhängigen und FDP-Anhänger nähern sich wieder der Regierung an. Nach dem Krieg scheint sich die Situation wieder zu nor- malisieren. Fischer und Scharping bleiben hingegen sehr populär, haben sich in der Wahrnehmung der Wähler also durch den Kosovokrieg von Parteipolitikern zu Staats- männern gewandelt. Zusammenfassend kann zur Entwicklung in Westdeutschland gesagt werden, dass im April, direkt nach Kriegsbeginn, tatsächlich eine Rally stattfindet, wie von der ersten Hypothese auch konstatiert wurde. Entgegen den Erwartungen können Bündnis 90/Die Grünen als pazifistische Partei jedoch nicht von der Rally profitieren. Erwartungsgemäß dauert dieser Popularitätsanstieg nicht lange an, schon im Mai distanzieren sich etliche

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M&K 53. Jahrgang 2-3/2005

Schaubild 7: Positionen der Parteien und Politiker und Median der Idealpunkte nach Anhängergruppen im Juni 1999 in Westdeutschland*

4 - Unabhängige SPD-Anhänger

Grünen-Anhänger Fischer 3 - Schröder FDP-Anhänger 2 - Unionsanhänger Scharping Schäuble SPD 1 - Stoiber

CDU CSU 0 - –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4

Grüne –1 -

Popularitätsdimension FDP

–2 -

PDS –3 -

–4 - Ideologische Dimension

* Die erklärte Varianz des ersten Faktors (ideologische Dimension) beträgt 41 %, die des zweiten (Popularitäts- dimension) 25 %.

Wähler von den Regierungsakteuren. Entgegen der zweiten Hypothese distanzieren sich jedoch FDP-Anhänger und Unabhängige vom Regierungslager, die hohe Popula- rität der Regierungsakteure im Mai wird also in erster Linie von den Anhängern der Re- gierung getragen. Im Juni kann man von einem Ende der Wirkung des Kosovokriegs auf die Popularität der Regierungsparteien und deren Politiker sprechen, bis auf die hohe Popularität Fischers und Scharpings ähnelt das Bild wieder stark der Ausgangskonstel- lation vor dem Kosovokrieg. Die Entwicklung in Ostdeutschland ist der westdeutschen trotz der oft betonten kri- tischeren Haltung der ostdeutschen Bevölkerung zum Kosovokrieg sehr ähnlich. Im Gegensatz zum Westen sind Bündnis 90/Die Grünen in Ostdeutschland jedoch in die- se Dynamik eingebunden und profitieren auch von der Rally. Die Entwicklung in Ost- deutschland scheint dabei stärker von der Gruppe der Unabhängigen getragen zu wer- den als in Westdeutschland.

5. Ausblick Der vorliegende Beitrag geht auf die Möglichkeiten einer Rally, also eines Anstiegs der Regierungspopularität durch einen Krieg, ein und zieht hierfür den Kosovokrieg 1999 heran. Es konnte gezeigt werden, dass durch die hohe Präsenz des Themas Krieg und die Darstellung dessen in für die Regierung positiven Themenaspekten im ersten Kriegs- monat, dem April 1999, eine Rally stattgefunden hat. Hierbei gibt es jedoch Einschrän- kungen: So stieg die Popularität von Bündnis 90/Die Grünen durch den Kosovokrieg bei großen Teilen der Bevölkerung nicht an. Zudem distanzierten sich die Grünen-An- hänger vom Regierungslager. Als Grund hierfür kann man sich die pazifistische Grund- position von Bündnis 90/Die Grünen und damit auch ihrer Anhänger denken. Dies deu- tet daraufhin, dass in parlamentarischen Systemen mit Koalitionsregierungen eine Ral- ly auch von den politischen Positionen der Regierungsparteien abhängt, während dies

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Bytzek · „Rally-round-the-flag“ im Kosovokrieg

für den amerikanischen Präsidenten nicht der Fall zu sein scheint. So scheint eine Rally kaum möglich zu sein, wenn das außenpolitische Verhalten einer Regierungspartei ihren grundlegenden ideologischen Positionen widerspricht. Ein weiteres wesentliches Ergebnis lautet, dass die Unterstützung entgegen der – zu- gegebenermaßen nur gering – regierungsfreundlicheren Berichterstattung in der FAZ im April in erster Linie bei den FDP-Anhängern und den Unabhängigen sank, während die Unterstützung der SPD- und Grünen-Anhänger für eine hohe Popularität der Regie- rungsakteure sorgte. Hieraus kann man folgern, dass die Parteineigung als Basis der Un- terstützung für die Regierung durch eine Rally durch eine konsonant regierungsfreund- liche Berichterstattung scheinbar kurzzeitig ausgehebelt werden kann, aber mit Dauer des Kriegs und dem Auftreten regierungskritischer Informationen wieder stark an Ein- fluss auf die Regierungspopularität gewinnt. Generell muss natürlich gesagt werden, dass anhand eines Fallbeispiels kaum verall- gemeinerbare Aussagen über die Wirkungen von Kriegen, oder, wie es der Rally-Begriff vorsieht, von internationalen Krisen, auf die Popularität deutscher Regierungsakteure getroffen werden können. Daher wäre es zum einen erstrebenswert, das Kriegsengage- ment der Verweigerung der Kriegsteilnahme, wie z. B. beim Irakkrieg 2003, gegenüber- zustellen und Auswirkungen in Abhängigkeit von den Positionen der Wählerschaft und der Rechtfertigung des Kriegs zu modellieren. Zum anderen wäre es sinnvoll, eine Viel- zahl internationaler Krisen zu sammeln, die eine ähnliche Wirkung wie der Kosovokrieg entfalten könnten, und so über den Einzelfall Kosovokrieg, aber auch über die statis- tischen Möglichkeiten des vorliegenden Beitrags hinauszugehen. Hier konnte vor allen Dingen gezeigt werden, dass sich die Suche nach Auswirkungen von Kriegen auf die Po- pularität der deutschen Regierung lohnen kann.

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LITERATUR

Besprechungen parzelliert ist, dessen ungeachtet aber mit Lei- denschaft und erstaunlicher Ernsthaftigkeit be- arbeitet wird. Band 1, für den Thorsten Schauerte und Jür- Thorsten Schauerte / Jürgen Schwier gen Schier als Herausgeber verantwortlich (Hrsg.) zeichnen, richtet sein Interesse auf die ökono- mischen Aspekte und Implikationen der zu- Die Ökonomie des Sports in den Medien nehmenden Verflechtungen zwischen dem Köln: Herbert von Halem Verlag, 2004. – Sport, den Massenmedien und der Wirtschaft. 267 S. Was die insgesamt elf Kapitel zusammenhält, (Sportkommunikation; 1) ist ein Verständnis dieser Verflechtung als er- folgreiche aber durchaus fragile und risikorei- ISBN 3-931606-75-9 che Allianz verschiedener Akteure mit der Ge- winnmaximierung als gemeinsames Interesse bei gleichzeitig divergierenden Perspektiven. Thomas Schierl (Hrsg.) Ausgelegt wird dieses Verständnis im Beitrag Die Visualisierung des Sports in den Medien von Thorsten Schauerte (Kap. 2), der versucht, Köln: Herbert von Halem Verlag, 2004. – die komplexe Dreieckskonstellation aus einer 245 S. Vogelperspektive in den Blick zu bekommen. Davon ausgehend beleuchten die übrigen Tex- (Sportkommunikation; 2) te je spezifische Konfliktfelder aus je unter- ISBN 3-931606-76-7 schiedlichen Perspektiven. Dem vermeintlich symbiotischen Verhältnis zwischen den Me- dien und dem Sport widmen sich drei Beiträge. Holger Schramm (Hrsg.) Thorsten Schauerte (Kap. 4) wählt hierfür eine Die Rezeption des Sports in den Medien diachrone Perspektive und unterbreitet einen groben Periodisierungsvorschlag für die histo- Köln: Herbert von Halem Verlag, 2004. – 219 rische Entwicklung dieses Verhältnisses, dessen S. vorläufiger Endpunkt durch die Unterordnung (Sportkommunikation; 3) beider Bereiche unter die Verwertungslogik des ISBN 3-931606-77-5 ökonomischen Systems markiert wird. Diese doppelte Kommerzialisierung setzt Thomas Bereits ein flüchtiger Blick auf die Tagungska- Schierl (Kap. 5) als gegeben voraus und fragt lender, Publikationslisten, Dissertationsthe- aus einer synchronen Perspektive nach der ge- men oder Vorlesungsverzeichnisse der letzte genseitigen Instrumentalisierung von Sport Jahre zeigt, dass sich der Sport als Untersu- und Medien, den dabei beobachtbaren Hand- chungsgegenstand in der Kommunikationswis- lungsstrategien sowie den möglichen Risiken, senschaft einen festen Platz gesichert und damit die beide Seiten eingehen. Wie verzwickt sich den Geruch eines ‚akademischen Aschenput- diese Interaktion im Detail präsentiert, illus- tels‘ (Gumbrecht) zumindest in dieser Diszi- triert Michael Cohen (Kap. 6), indem er die plin definitiv abgestreift hat. Als jüngster Beleg Vor- und Nachteile verschiedener Formen der für diesen Reputationsgewinn kann die Ent- Vertragsgestaltung beim Handel mit Sport- scheidung des Herbert von Halem-Verlags be- übertragungsrechten diskutiert. Mit Blick auf trachtet werden, der wissenschaftlichen Aus- Wettbewerbe in Mannschaftssportarten erläu- einandersetzung mit der Sportkommunikation tert der Autor schlüssig, dass eine zentrale eine Publikationsplattform in Gestalt einer ei- Fernsehvermarktung auf der Basis eines in den genständigen Buchreihe zur Verfügung zu stel- Händen der Ligaorganisation gebündelten len. Die ersten drei Bände dieser Reihe liegen Vertriebs von Senderechten sowohl den Inter- inzwischen vor und – soviel sei an dieser Stelle essen der Fernsehsender als auch jenen der Ver- schon vorausgeschickt – rechtfertigen das Ver- eine am zuträglichsten ist. Ans Herz zu legen trauen des Verlegers, indem sie dem potenziel- ist dieser Text nicht zuletzt den Verantwortli- len Leser facettenreiche Einblicke in ein ausge- chen jener Bundesligavereine, die aus ihrer sprochen lebendiges Forschungsfeld bieten, das sportlichen Vorherrschaft qua Exklusivver- bisher zwar nur schemenhaft abgesteckt und marktung einen ökonomischen Sieg davontra-

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gen wollen und dabei vergessen, dass der ei- damit zu entmythologisieren. Erkauft wird gentliche Star die Liga ist. Den Verantwortli- diese Leistung mit einer starken Fokussierung chen der Fernsehsender, die im Medien-Sport- auf den TV-Sport bei gleichzeitiger Reduktion Spiel mitmischen oder dies beabsichtigen, ist der Sportberichterstattung auf ihre Unterhal- dagegen der Text von Gabriele Siegert und tungsfunktion. Kritische Sportpublizistik, die Frank Lobigs (Kap. 8) zu empfehlen. Dies we- etwa beim aktuellen Wettskandal im Fußball niger, weil sie dort grundsätzlich Neues erfah- eine wichtige und unverzichtbare Rolle spielt, ren könnten, sondern vielmehr, weil die Auto- wird damit ausgelagert und erscheint allenfalls ren bekannte Formen der Einbindung des als eine unter vielen Störgrößen, mit dem sich Sports in die Interessen von Free-TV-Vollpro- die Verwertungsmaschinerie konfrontiert grammen und Pay-TV-Anbieter systematisie- sieht. ren und ihre Erfolgschancen aus der Perspekti- Für den von Thomas Schierl herausgegebe- ve des strategischen TV-Managements disku- nen Band 2 gilt es vorauszuschicken, dass sich tieren. Geschlossen wird das Dreieck von sein im Titel formuliertes Thema der Visuali- Sport, Medien und Wirtschaft durch die beiden sierung des Sports in den Medien als ein Kor- Beiträge von Manfred Bruhn (Kap. 10) und Ra- sett erweist, in das sich die neun Beiträge nur phael Sprink (Kap. 11), die aus der Position der bedingt zwängen lassen. Stattdessen besteht ihr Wirtschaft nach den Möglichkeiten und Gren- gemeinsamer Bezugspunkt in den Verfahren, zen des Sports als Marketinginstrument und mit denen mediale Sportrealität hergestellt wird hier insbesondere nach der Effektivität des und unter denen die Visualisierung nur eines Sponsorings fragen. Alle bisher besprochenen von vielen darstellt. Was die Texte außerdem Beiträge setzen mehr oder weniger explizit eine zusammenhält, wird deutlich, wenn man sie überdurchschnittliche und kontinuierliche vor dem Hintergrund der herkömmlichen For- Nachfrage des Publikums nach medial präsen- schung zum Sportangebot in den Medien liest. tiertem Sport voraus. Diese Nachfrage, die ge- In der Terminologie von Winfried Schulz folgt wissermaßen das Fundament bildet, auf dem diese meist einem ptolomäischen Verständnis, das Dreieck ruht, wird von drei weiteren Tex- von dem aus sie nach den Übereinstimmungen ten des Bandes thematisiert. Während Maria zwischen der medialen Realität und einer wie Gerhards und Walter Klingler (Kap. 7) generel- auch immer zu bestimmenden außermedialen le Daten zur Nutzung der Sportberichterstat- Sportrealität fragt und dabei zwangsläufig zu tung im Hörfunk und Fernsehen auslegen, ent- Defizitbefunden gelangt. Im Gegensatz dazu werfen Herbert Woratschek und Guido Schaf- sind die Beiträge des Readers eher einem ko- meister (Kap. 3) ein theoretisch hergeleitetes pernikanischen Verständnis verpflichtet, das Nachfragemodell für Sportübertragungen im mediale Realität als Ergebnis eines Konstruk- TV und identifizieren fünf zentrale Faktoren. tionsprozesses betrachtet und nach dessen Re- Was dabei nicht in den Blick gerät, sind die die- geln und Verfahren fragt. Auf welches intellek- ser Nachfrage vorgelagerten Prozesse der kom- tuelle Glatteis man sich damit begibt, macht munikativen Popularisierung des Sports, die Guido Zurstiege (Kap. 4) deutlich, indem er et- Gerhard Trosien (Kap. 9) in seinem Beitrag mit was salopp gesprochen einen nicht unamüsan- dem Begriff der Sportvermarktung umschreibt. ten Slapstick aufführt, dessen Thema die Beob- Bei der Auseinandersetzung mit diesem Ge- achtung (Autor) der Beobachtung (Kommuni- genstand bezieht der Autor die Vermarktung kationswissenschaft) der Beobachter (Medien) des Breitensports explizit ein und setzt damit von Geschlechterdifferenzen im Sport ist. Die innerhalb des gesamten Bandes einen wohl- meisten Beiträge des Bandes gehen mit dieser tuenden Kontrapunkt. Ähnliches leistet Beobachterspirale recht pragmatisch um, in- schließlich auch der erste Text des Readers, in dem sie die Komplexität auf ein handhabbares dem sich Jürgen Schwier dem Phänomen der Maß reduzieren und gleichzeitig dennoch Trendsportarten widmet und bei diesen ein wichtige Differenzen durchhalten. Auf relativ durchaus ambivalentes Verhältnis zur massen- sicherem Grund bewegen sich dabei jene Tex- medialen Umarmung orten kann. In der Sum- te, die aus einer diachronen Perspektive Ent- me leistet der Band einen wichtigen Beitrag, um wicklungsprozesse nachzeichnen. Manfred das in der Literatur oft als magisches Dreieck Schmalried (Kap. 1) rekapituliert den Wandel charakterisierte Verhältnis von Sport, Medien der Sportfotografie und deren Oszillieren zwi- und Wirtschaft analytisch zu durchdringen und schen Dokumentation und Inszenierung. Diet-

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Literatur · Besprechungen

rich Leder (Kap. 2) unternimmt einen ähnli- Sport leider vermissen. Ihr metaphorischer Be- chen Versuch am Beispiel des Wandels der griff der ‚Melange‘ bleibt unscharf, und in Fußballberichterstattung im Fernsehen von der ihrem Publikumsbild erkennt sich der Rezen- Unsichtbarkeit des Spielgeschehens (1936) bis sent, der auch ein Sportzuschauer ist, bei aller zu seiner Virtualisierung in den künstlichen Selbstkritik nicht wieder. Mit Blick auf den ge- Bildwelten des Computers. Stark ist der Text samten Reader lässt sich feststellen, dass die vor allem dort, wo der Autor am Beispiel von Frage nach den medialen Konstruktionspro- vier exemplarischen Bildsequenzen seine These zessen bei der Herstellung der Mediensport- vom Verlust der Distanz illustriert. Weniger wirklichkeit fruchtbare Einsichten ermöglicht überzeugend ist dagegen die von Christoph und damit das Verständnis für die besondere Bertling und Erik Eggers (Kap. 8) vorgelegte Attraktivität dieser Angebotsform befördert. Retrospektive auf die Darstellung von Fußbal- Gleichzeitig lehrt der Band aber auch, dass es lern in den Medien. Die Unterscheidung zwi- selbst bei der Beschäftigung mit dem Sport ana- schen Inszenierungsmustern, die entweder das lytisch eher nutzt als schadet, die Existenz einer Individuum oder das Kollektiv betonen, ist wenn auch in hohem Masse anpassungsbereiten zwar sinnvoll und die Passagen über die provo- außermedialen Realität einzukalkulieren. Wel- kant-verwegenen ‚Karlsruhe Kickers‘ allemal che Probleme sich insbesondere für die empiri- lesenswert, der historische Trend, der dabei aus sche Forschung ergeben können, wenn man dem Wechsel der Inszenierungsmuster ge- diese Unterscheidung unterlässt, zeigt sich ex- strickt wird, erscheint allerdings plakativ und emplarisch in dem von Helmut Scherer (Kap. 9) etwas willkürlich. Die drei historischen Abris- beigesteuerten letzten Beitrag des Bandes, der se geben den Blick frei auf die Medien als zen- die These einer zunehmenden Emotionalisie- trale Inszenierungsagenten des Sports. Dies rung der Sportberichterstattung mit Hilfe einer kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Inhaltsanalyse der deutschen Presseberichter- der Sport selbst dabei kaum Widerstand leistet, stattung über die Leichtathletik-Europamei- sondern im Gegenteil in der Form der Selbst- sterschaften von 1994, 1998 und 2002 überprüft inszenierung seiner medialen Popularisierung und zum großen Teil bestätigen kann. Ein vali- maßgeblich Vorschub leistet. Dieser Prozess der Beweis für einen Wandel der Sportbericht- der freiwilligen Anpassung an die medialen Be- erstattung wäre dieser Befund allerdings erst, dingungen wird von Thorsten Schauerte und wenn zusätzlich davon ausgegangen werden Jürgen Schwier (Kap. 7) exklusiv thematisiert kann, dass das emotionale Angebot der Wett- und mit Bezug auf die verschiedenen Sportar- kämpfe aller drei Meisterschaften in der Summe ten in seine relevanten Einzelteile zerlegt. Die konstant geblieben ist. Ausführungen von Thomas Schierl (Kap. 6) zur Der von Holger Schramm verantwortete Ästhetisierung des Sports als produktpoliti- Band 3 widmet sich laut Vorwort der Frage, sches Instrument knüpfen daran an, indem sie „warum sich so viele Menschen überhaupt dem auf einer Unterscheidung von primär endoge- Mediensport zuwenden“ (S. 7) und knüpft da- nen Ästhetisierungen auf der Seite der Sportak- mit dort an, wo die Auseinandersetzung mit teure, -clubs und -verbände und exogenen der Attraktivität des Mediensports für das Pu- Ästhetisierungen auf der Seite der Medien auf- blikum im ersten Band geendet hat. Die Konti- bauen und erstere in der Gegenüberstellung so- nuität wird nicht zuletzt durch die erneut star- gar als folgenreicher taxiert werden. Auch Ilse ke Fokussierung auf den Fernsehsport gestiftet. Hartmann-Tews und Bettina Rulofs (Kap. 5) Der Mehrwert des dritten Bandes besteht in der vermeiden in ihrer Auseinandersetzung mit der deutlich größeren Tiefenschärfe, die aus der Konstruktion von Geschlecht in der visuellen Perspektive der Rezeptionsforschung möglich Sportkommunikation die in der Genderfor- ist. Verpflichtet sind dieser Perspektive vor al- schung nicht seltene Generalschelte gegen die lem die Beiträge 3 bis 7, während sich die übri- Medien, indem sie die auf Publizität ausgerich- gen Texte im Sinne einer Klammer mit den teten Selbstinszenierungen der Sportlerinnen Voraussetzungen und den Wirkungen der als eigenständigen Faktor im gesamten Kon- Sportrezeption beschäftigen. Eröffnet wird die struktionsprozess behandeln. Diese analytische Klammer mit einem Überblick von Wiebke Redlichkeit lässt Barbara Ränsch-Trill in ihrer Loosen (Kap. 1) über die Forschung zur Sport- an Baudrillard orientierten Auseinanderset- berichterstattung, den man sich nicht zuletzt zung mit der medialen Gewaltdarstellung im wegen seiner sachlichen Argumentation auch

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M&K 53. Jahrgang 2-3/2005

gut im Band 2 vorstellen könnte. Dem folgt blauäugig. Die verbleibenden drei Beiträge des eine auf die Daten der deutschen Publikums- Bandes befassen sich mit dem Rezeptionspro- forschung gegründete Bestandsaufnahme der zess selbst. Tilo Hartmann (Kap. 5) richtet sein Nachfrage nach Sportangeboten in den Me- Interesse auf die parasozialen Interaktionen der dien, für die Camille Zubayr und Heinz Ger- Rezipienten mit den medial präsentierten hard (Kap. 2) als Autoren zeichnen. Der Text Sportstars während der Rezeption und den dar- ist insofern wichtig, als er erstens aufzeigt, dass aus entstehenden Bindungen an diese und an Sport zwar ein wichtiger aber kein dominanter die medialen Angebote, in denen sie auftreten. Bestandteil des Medienmenüs ist, und zweitens In der Summe seiner theoretischen Überlegun- belegt, dass das Sportpublikum deutlich älter gen kommt der Autor zu der für den Sport we- als das gesamte Fernsehpublikum ist und sich nig überraschenden Schlussfolgerung, dass die somit nur bedingt mit der von der Werbung Identifikation mit den sportlichen Protagonis- verehrten Zielgruppe deckt. Geschlossen wird ten, seien sie nun positiv oder negativ, als eine die Klammer durch Uli Gleich (Kap. 9), der die wichtige Erklärungsgröße für das Rezeptions- Forschung zur Wirkung von Sportkommuni- erleben gelten können. Holger Schramm, Mar- kation zusammenfasst und dabei aus der co Dohle und Christoph Klimmt (Kap. 6) set- Lückenhaftigkeit des diesbezüglichen Wissens zen sich das keineswegs bescheidene Ziel, das keinen Hehl macht. Umfangreich, wenn auch Rätsel der überdurchschnittliche Attraktivität alles andere als konsistent, ist die Ergebnislage des Fußballs aus den bei der Rezeption auftre- allein zur Wirkung von Gewalt in der Sportbe- tenden Erlebensaspekten theoretisch erklären richterstattung, weshalb es nachvollziehbar ist, zu können. Das Ergebnis ihres Unterfangens, dass hierzu an vorletzter Stelle des Bandes ein bei dem sie sich an der von Raney vorgeschla- separates Kapitel aufgenommen wurde. Da sich genen Einteilung der motivationalen Aspekte der entsprechende Beitrag von Thomas Bruns orientieren, endet in der salomonischen Fest- (Kap. 8) allerdings nicht allein auf die Wirkung stellung, dass bei der Fußballrezeption kogniti- konzentriert, sondern gleichzeitig auch die ve, affektive und verhaltensbezogene Erlebens- Struktur und die Rezeption von medialer Ge- aspekte gemeinsam auftreten, und in der selbst- walt abhandelt, sperrt er sich gegen den ansons- kritischen Andeutung, dass das Erleben alleine ten klaren Aufbau des Readers. Dessen Haupt- wohl nur bedingt als Schlüssel für des Rätsels teil wird von Arthur R. Raney (Kap. 3) mit ei- Lösung taugt. Der letzte hier zu besprechende ner Synopse der Forschung zu den Motiven der Text stammt von René Weber und Volker Mediensportnutzung eröffnet. Der Autor stellt Gehrau (Kap. 7) und ist der Bericht einer auf- die zentralen theoretischen Perspektiven dieses wändigen empirischen Analyse, deren Haupt- Forschungsfeldes vor und kommt vor dem befund in der Erkenntnis besteht, dass die At- Hintergrund der vorliegenden empirischen Be- traktivität einer Fußball-Spielszene für den Re- funde zu dem Schluss, dass der Zuwendung zipienten von der Wahrscheinlichkeit abhängt, zum Sport (im Fernsehen) sowohl affektive als mit der dieser Szene ein Einfluss auf den Aus- auch kognitive und sozial-integrative Bedürf- gang des gesamten Spiels unterstellt werden nisse zugrunde liegen, ersteren allerdings das kann. Diese Einsicht ist so plausibel, dass sich Primat über letztere eingeräumt werden kann. der Rezensent die Frage erlaubt, welcher Fuß- Für Jörg Hagenah (Kap. 4) sind Motive allein ballmuffel jemals die Stirn besessen hat, das Ge- unzureichend, um die Rezeption des Medien- genteil zu behaupten. sports zu erklären. Stattdessen gelte es, eine Mirko Marr ganze Reihe weiterer ‚persönlichkeitstheoreti- scher Merkmale‘, für die der Autor eine nach- vollziehbare Systematisierung vorschlägt, her- Peter Glotz, Robin Meyer-Lucht (Hrsg.) anzuziehen und dynamisch-transaktional zu verknüpfen. Das Forschungsprogramm, das Online gegen Print daraus in methodischer und inhaltlicher Hin- Zeitung und Zeitschrift im Wandel sicht abgeleitet wird, ist jedoch so beein- Konstanz: UVK, 2004. – 239 S. druckend wie unrealistisch und die Hoffnung des Autors, dereinst die Formel für eine rezi- (Medien und Märkte; 12) pientengerechte Gestaltung von Sportarten ISBN 3-89669-443-X präsentieren zu können, so charmant wie

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Literatur · Besprechungen

Pablo J. Boczkowski Herauslesen kann man aus den Ergebnissen, die nicht tiefer interpretiert werden, dass die Digitizing the News Experten nur mit einer geringen Verdrängung Innovation in Online Newspapers alter Medientypen rechnen. Die Bedeutung re- Cambridge (MA), London: MIT Press, 2004. – daktioneller Nur-Online-Anbieter und von 243 S. Laien-Websites wird als marginal eingeschätzt. Überholt, weil bereits übertroffen, sind die Be- ISBN 0-262-02559-0 fürchtungen über die Umfangseinbußen bei Zu den Methoden der Prognostik zählt die Del- den Rubrikenanzeigen der Tageszeitungen. phi-Befragung, in der die Aufgabe, die Zukunft Welche Sprengkraft schon die Rekonstruk- vorherzusagen, an ein Experten-Panel delegiert tion einer bereits vollzogenen Entwicklung ha- wird. Peter Glotz und Robin Meyer-Lucht ha- ben kann, zeigen die beiden Aufsätze von Cas- ben sich in den Jahren 2002/2003 auf die ge- tulus Kolo. Er liefert empirische Nachweise ballte Kompetenz von knapp zweihundert Ex- dafür, dass der Einbruch auf dem Anzeigen- pertinnen und Experten aus Medien- markt bei den Zeitungen wesentlich durch das management und -beratung, Redaktionen, pri- Abwandern von Inserenten ins Internet zu er- vater Medienforschung und akademischer klären ist. Er vergleicht das Anzeigenvolumen Wissenschaft verlassen, um etwas über die mit Datenreihen für andere Intermediäre (Mel- künftige Verdrängung traditioneller Medien dung freier Stellen bei Arbeitsämtern) bzw. für durch das Internet und die Entwicklung von Transaktionen auf dem Gesamtmarkt (Ge- Online-Angeboten zu erfahren. Angesichts der braucht-Kfz, Immobilien). Bis 2000 (Stellen) vielen Fehlurteile von Internetexperten in den bzw. 1999 (Kfz, Immobilien) verlief die Ent- letzten Jahren wird man dies als „optimistisch“ wicklung parallel. Dann aber weichen die Da- bezeichnen dürfen. Ihnen wurde abverlangt, ten für die Rubrikenanzeigen nach unten ab; für den Zeitraum bis 2006 und 2010 Entwick- dieser Einbruch ist also nicht konjunkturell be- lungen exakt zu quantifizieren. dingt. Kolo fällt ein hartes, aufgrund seiner Nicht gefragt wurde, unter welchen Bedin- Analyse aber berechtigtes Urteil: „Verlage ha- gungen eine bestimmte Entwicklungsrichtung ben aus einer vermeintlichen Position der Un- für plausibel gehalten wurde. Dies wäre der angreifbarkeit und Dominanz heraus das An- Diskursivität der zweistufigen Delphi-Befra- zeigenmedium Internet zunächst ignoriert und gung förderlich gewesen: Erst wenn die Grün- sich dann, als der Erfolg der Onlinebörsen un- de für abweichende Annahmen bekannt sind, übersehbar wurde, aus Angst vor der Kanniba- können die Befragten ihre eigenen Vorstellun- lisierung des Printgeschäfts nur halbherzig en- gen in der zweiten Befragungsrunde überprü- gagiert.“ Ebenfalls rekonstruktiv sind zehn le- fen. Bloße Häufigkeitsverteilungen signalisie- senswerte Fallstudien über journalistische ren nur, ob man zur Mehrheit zählt oder Websites; allerdings werden sie nicht – wie an- Außenseiter ist, was allenfalls zu sozial moti- gekündigt – „abschließend analytisch generali- vierten Reaktionen führt. Nicht erhoben wur- siert, indem durch Gegenüberstellung über- de auch die Selbsteinschätzung, also der Grad greifende Muster ermittelt“ (124) werden. an Sicherheit, mit der die Befragten eine Prog- Pablo J. Boczkowski betreibt in seiner Studie nose stellten. – verglichen mit der üblicherweise eher gegen- Das Delphi-Verfahren, das ja auf Konsens- warts- und zukunftsbezogenen Online-For- bildung abzielt, „verwischt“ die Perspektiven schung – geradezu historische Forschung, der unterschiedlichen Befragtengruppen. Es ist wenn er bis in die 80er Jahre des letzten Jahr- nicht ihr Ziel, etwa zu zeigen, ob Befragte aus hunderts zurückblickt. Seine These über die dem Bereich der neuen Medien andere Progno- Medienevolution bezeichnet er als „Emerging sen abgeben als jene aus dem Bereich der alten. Media“: Neue Medien treten dadurch in Er- Man könnte die Zukunftserwartungen der Be- scheinung, dass vorhandene soziale und mate- fragten auch einfach nur als handlungsleitende rielle Infrastrukturen mit neuen technischen Annahmen interpretieren und sie zusätzlich Kapazitäten verschmelzen. Zum Beispiel seien danach fragen, zu welchen Reaktionen sie die- Online-Zeitungen aus der Vermischung der se veranlassen. Damit wüsste man zumindest, massenkommunikativen und textbasierten mit welchem Verhalten dieser Akteure künftig Tradition der gedruckten Zeitung einerseits, zu rechnen ist. den interaktiven und multimedialen Potenzia-

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len von Computernetzwerken andererseits Joachim R. Höflich / Julian Gebhardt hervorgegangen. Dies habe sich im Kontext all- (Hrsg.) gemeiner sozioökonomischer und technologi- Vermittlungskulturen im Wandel: Brief – scher Trends abgespielt. Er geht von einer E-Mail – SMS wechselseitigen Beeinflussung von Gesellschaft und Technologie aus. Vor diesem komplexen Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang, 2003. – theoretischen Hintergrund untersucht Bocz- 317 S. kowski die Erschließung elektronischer Text- ISBN 3-631-39456-X medien durch die Tageszeitungen in den USA. Die 80er Jahre waren Jahre der Exploration, Der von Joachim Höflich und Julian Gebhardt als Verlage wie Knight Ridder („Viewtron“) editierte Sammelband geht auf ein internationa- und Times Mirror („Gateway“) mit großem les Symposium an der Universität Erfurt im Aufwand in den Bildschirmtext („videotex“) Oktober 2001 zurück, unterscheidet sich aber einstiegen. Schon 1986 aber wurden die Versu- wohl tuend von einer einfachen Tagungsdoku- che mit dem ersten elektronischen Textmedium mentation: Die zwölf Beiträge sind vor der mit Rückkanal eingestellt. Für die Nutzer Drucklegung des Bandes nicht nur erweitert, schien er zu teuer und ihren Bedürfnissen zu aktualisiert und übersetzt worden; viele Auto- wenig angepasst, er war technisch unausgereift, ren nehmen immer wieder inhaltlichen Bezug erforderte hohe Investitionen und fand zu we- auf die anderen Beiträge. Der gemeinsame Be- nig Anklang bei den Werbetreibenden. Eben- zugspunkt ist die „Medialisierung“ des Alltags falls ohne durchschlagenden Erfolg testeten die (Friedrich Krotz) sowie der historische Wandel Verlage andere elektronische Medien (Teletext, und die derzeitige Pluralisierung von „Vermitt- Audiotext, Fax-Zeitung). Dieser explorativen lungskulturen“ (Joachim Höflich) der interper- Phase folgte in den frühen 90er Jahren eine Eta- sonalen Kommunikation. Verstanden werden blierungsphase. Zunächst begannen Zeitungen, hierunter die Regeln des Mediengebrauchs und mit proprietären Online-Diensten (wie AOL die sozialen Alltagspraktiken im Umgang mit und Prodigy) zu kooperieren. 1994 und 1995 Brief, (Mobil-)Telefon, SMS und E-Mail. Der entdeckten dann die Zeitungen das World Band ist für Kommunikationswissenschaftler Wide Web. Die Innovationskultur, die Bocz- aus (mindestens) drei Gründen interessant: kowski aus dem Verhalten der Zeitungen her- Zum Ersten lässt er sich als theoretisch begrün- ausliest, kennzeichnet er als reaktiv, defensiv detes Plädoyer für einen erweiterten For- und auf kurzfristigen Erfolg abzielend. Ihr schungshorizont der Kommunikationswissen- Verhalten in der zweiten Hälfte der 90er Jahre schaft lesen, die es lange versäumt hat, sich der habe dann in der Absicherung („hedging“) be- interpersonalen Kommunikation zu widmen. standen, erkennbar an Praktiken wie der Wie- Zum Zweiten stellen die Autorinnen und Au- derverwertung und Rekombination von Infor- toren die Ergebnisse ihrer empirischen For- mationen, die er als Antwort auf die Unsicher- schung vor, die bislang allenfalls verstreut, in heit in einer sich verändernden Umwelt inter- den meisten Fällen aber noch gar nicht publi- pretiert. Allerdings meint er, dass ohne die ziert wurden. Und drittens schließlich gibt der Erfahrungen mit den früheren elektronischen Band quasi en passant einen anregenden Ein- Medien ihre Reaktion noch langsamer ausgefal- blick in verschiedene theoretische und metho- len wäre. In drei Fallstudien über Zeitungen er- dische Herangehensweisen, womit der Nutzen klärt Boczkowski schließlich unterschiedliche interdisziplinären Zusammenwirkens augen- Pfade in die Onlinewelt aus den jeweiligen fällig wird. Printtraditionen. Dem Beitrag von Friedrich Krotz kommt die Auch wenn es Boczkowski nicht ganz ge- Rolle zu, die „Restrukturierung“ oder gar lingt, seinem hohen theoretischen Anspruch „fundamentale Neuordnung“ der Kommuni- gerecht zu werden, übertrifft seine Analyse kationswissenschaft theoretisch zu begründen. dennoch weit jene Darstellungen des Zeitungs- An die – mittlerweile verbreitete – Kritik des engagements im Internet, die über eine Anhäu- Transportmodells von Kommunikation an- fung von Zahlen und Fakten kaum hinauskom- schließend plädiert er für eine Rückbesinnung men. auf Meads symbolischen Interaktionismus, be- Christoph Neuberger tont also die Wechselseitigkeit des Kommuni- kationsprozesses. Krotz begreift „das Ge-

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spräch als Urform jeder Kommunikation“ und u. a. am Wandel funktionaler Medienimages als zentrales „Bezugsmuster“ – leider ohne je- und an geschlechtsspezifischen Verwendungs- den Hinweis zur Münchener Zeitungswissen- weisen von Brief, E-Mail und SMS. schaft oder zum Ansatz Henk Prakkes. Nicht Der Beitrag des Literaturwissenschaftlers wirklich überzeugend erscheint mir, gerade un- und Briefforschers Reinhard Nikisch stützt ter Bezugnahme auf Mead, die weitere Ver- diese Sichtweise auf die Briefkommunikation wendung des Kommunikationsbegriffs: Die als Vermittlungskultur aus historischer Sicht: „Kommunikation mit inszenierten medialen Über mehr als vier Jahrtausende haben jeweils Inhalten“ und die „Kommunikation mit ‚intel- unterschiedliche Briefkonzepte dominiert (Ni- ligenten‘ Computerprogrammen“ erfüllen kisch unterteilt in fünf Epochen). Die drei nämlich im Gegensatz zur „Kommunikation Grundfunktionen des Briefes (sachbezogene mit Menschen mittels Medien“ einige wesentli- Information, partnerbezogener Appell, selbst- che Kriterien eines handlungstheoretischen bezogene Expression bzw. Manifestation) wur- und interaktionistischen Kommunikationsbe- den in wechselnder materieller Gestalt reali- griffs (z. B. Intentionalität, Role taking, Refle- siert. xivität usw.) nicht. Tatsächlich handelt es sich Aus formalsoziologischer Perspektive ent- um mehrschichtige Vermittlungsprozesse, faltet Christian Stegbauer dann den Zusam- „hinter“ denen letztlich wieder menschliche menhang von schriftlicher Form und sozialer Akteure bzw. Kommunikatoren stehen. Auch Beziehung: Kommunikationsanlässe und Be- die Re-Definition des Medienbegriffs, wie ziehungen bestimmen die Form der Kommuni- Krotz sie zutreffend unter Betonung des Insti- kation – beim Brief wie bei der E-Mail – weit- tutionenaspekts vorschlägt, ist so neu nicht, aus stärker als konkrete medientechnische sondern findet sich ansatzweise bereits vor Aspekte; und folgerichtig kann die Form der über zwanzig Jahren bei Ulrich Saxer. Gleich- Kommunikation als Indikator der Beziehung wohl wird mit diesem ersten Beitrag ohne gelten. Auf ein ganz ähnliches Resultat kommt Rückfall in technologische Determinismen der Klaus Schönberger aus kulturwissenschaftlich- kommunikationswissenschaftliche Blick ge- ethnographischer Sicht bei der Untersuchung weitet auf den alltäglichen Medialisierungspro- der Einbettung von E-Mail in die alltäglichen zess, der als „Metaprozess sozialen Wandels“ Lebenszusammenhänge. Nicht die Technik, maßgeblich auch den Wandel von Vermitt- sondern der „lange Arm des Real Life“ prägt lungskulturen prägt. die Nutzung von E-Mail, freilich ohne sie zu Die Vorteile des Begriffs „Vermittlungskul- determinieren. Ein „Mediendispositiv E-Mail“ turen“ werden im folgenden Beitrag Höflichs weist durchaus strukturierende Wirkungen deutlich: Es lässt sich nämlich ein historischer und objektive Nutzungsbedingungen auf, aber und sozialer Zusammenhang herstellen zwi- letztlich handelt es sich um eine Vielzahl von schen der am Gespräch orientierten Briefkultur Mediendispositiven, die sich aus der Vielfalt des achtzehnten und neunzehnten Jahrhun- von Nutzungspraxen und -stilen ergeben. Wie derts und den neueren Vermittlungsformen sich allerdings Mediendispositive und Vermitt- E-Mail und SMS, ohne den Blick auf die „Prak- lungskulturen zueinander verhalten, bleibt im tiken beim isolierten Gebrauch eines einzelnen Beitrag Schönbergers unklar, ebenso wie die Mediums“ zu richten. Der Wandel von Kom- Frage, wieso E-Mail sich zum „Massenmedi- munikationskulturen erschöpft sich nicht in um“ entwickeln sollte. Substitutionsfragen, sondern ist zutreffender Von einem ganz anderen, nämlich dem be- als Pluralisierung zu begreifen. Dabei treten triebswirtschaftlichen Standpunkt aus betrach- neue Schreibmedien, wie E-Mail und SMS, zu tet, erscheint der Brief heute primär als Marke- den bekannten (Brief, Postkarte) und geben der tinginstrument. Ausgangspunkt dieser Facette Medialisierung des Alltags ein neues Gesicht. der brieflichen Vermittlungskultur (oder Teil- Betont man weniger die medientechnischen als Kultur), die Wolfgang A. Fuchs in seinem Bei- die institutionellen Aspekte des Medienge- trag zur „Direct Mail“ skizziert, ist wiederum brauchs, dann lässt sich „briefliche Kommuni- das persönliche (Verkaufs-)Gespräch, das unter kation“ als Vermittlungskultur verstehen, die veränderten medialen Bedingungen durch eine einem historischen Wandel ebenso unterliegt spezifische (letztlich parasitäre) Form des wie einer sozialen Differenzierung bzw. Plura- Briefs ersetzt werden soll: Die möglichst per- lisierung. Höflich verdeutlicht diese Prozesse sönliche, brieftypische Ansprache des Empfän-

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gers richtet sich weniger an den Kommunikati- derentdeckte Formen stellen hingegen „Flirt- onspartner als an den Kunden; an die Stelle der Briefe“ (meist die Fortsetzung des Chats auf persönlichen Beziehung tritt das Customer Re- einer persönlicheren Ebene) sowie recht um- lationship Management. fängliche und mitunter schnell wechselnde „E- Wie bei Höflich und vor allem bei Schönber- Mail-Liebeskorrespondenzen“ dar. Eine heu- ger stehen auch im Beitrag von Bonka Boneva, ristische Strukturierung romantischer Online- Robert Kraut und David Frohlich die Bedeu- Beziehungen bietet der anschließende Beitrag tung der E-Mail für die persönlichen Beziehun- von Nicola Döring. Neben den verschiedenen gen und vor allem die unterschiedlichen „E- Formen und Strategien der Kontaktaufnahme Mail-Kulturen“ von Frauen und Männern im bzw. Partnerwahl im Netz lassen sich mindes- Vordergrund. Gestützt auf verschiedene, nicht tens fünf Typen von Beziehungsformen unter- repräsentative Studien kommen Boneva et al. scheiden, die manchmal auch als Phasen einer zu dem Schluss, dass die aus der Face-to-Face- „Online-Liebe“ erfahren werden: unverbindli- und der Telefonkommunikation altbekannten che Beziehungen, Nebenbeziehungen, Fern- Geschlechterrollen und Kommunikationsmus- und Nahbeziehungen sowie Beziehungen mit ter auch die E-Mail-Nutzung prägen. E-Mail- (noch) unklarem Status. Döring greift nicht nur Kommunikation besitzt insgesamt eine hohe auf die vorliegende Forschungsliteratur Bedeutung für die Pflege privater Beziehungen, zurück, sondern auch auf online verfügbare Er- wird aber vor allem von Frauen hierfür genutzt. fahrungsberichte. Die Erforschung von Onli- Gerade die sozio-emotionale Beziehungspflege ne-Liebesbeziehungen steht wohl noch am An- über große Distanzen scheint eine Domäne der fang und kann nur als interdisziplinäres Vorha- Frauen zu sein, die oft „im Auftrage“ ihrer ben gelingen, wie Döring überzeugend darlegt. Partner kommunizieren. Männer hingegen Joachim Höflich, Julian Gebhardt und Stefa- nutzen E-Mail vor allem, um gemeinsame Un- nie Steuber gehören wohl zu den „Pionieren“ ternehmungen und Erlebnisse mit anderen im der deutschsprachigen Erforschung jugendli- Nahraum zu koordinieren. cher „Handy- und SMS-Vermittlungskultu- E-Mail wird bekanntermaßen nicht nur im ren“. Die drei Autoren geben zunächst eine privaten Alltag genutzt, sondern bereits seit Übersicht über die – weiter fortgeschrittene – längerem im Alltag von Organisationen. Auch skandinavische Forschung, um dann einige Er- hier spielen soziale Beziehungen, vor allem die gebnisse ihres eigenen Forschungsprojektes Statusbeziehungen eine wichtige Rolle, und es vorzustellen. Mit insgesamt 19 jugendlichen wurde immer wieder die These vertreten, dass Peer-Groups unterschiedlicher Bildungs- und E-Mail zu einer Abflachung der Hierarchien in Altersstufen wurden Gruppendiskussionen ge- Unternehmen führen werde. David A. Owens führt, um deren Medienwahlverhalten sowie und Margaret A. Neale greifen diese an die Ka- die kollektiven Bedeutungs- und Orientie- nalreduktionstheorie anknüpfende These auf, rungsmuster zu explorieren. Das Vorgehen er- um anhand der Kriterien Bandbreite, Zugang weist sich als äußerst fruchtbar, denn auf diese und Unmittelbarkeit (Social Presence) zu zei- Weise kann die alltägliche Mediennutzung und gen, wie Status unter Bedingungen einer verän- -bewertung ohne vorschnelle Fixierung auf nur derten Vermittlungskultur auch per E-Mail ein Medium im Kontext jugendkultureller All- kommuniziert und recodiert werden kann. tagsvollzüge erfasst werden. Bedeutsam scheint Die Metamorphosen des Liebesbriefs im In- hinsichtlich des Short Message Service (SMS) ternet sieht Eva Lia Wyss vor allem durch ein für die Jugendlichen neben der kurzfristigen Wechselspiel des „stilistischen Trägheitsprin- Alltagskoordination vor allem die Tatsache zu zips“ und der „medienspezifischen Innovati- sein, mit dem Handy über ein persönliches on“ bestimmt: Wie in der Chat- und der E- (weniger: ein mobiles) Medium zu verfügen, Mail-Kommunikation generell halten auch in das nicht der elterlichen Kontrolle unterliegt E-Mail-Liebesbriefen – trotz ihrer maschinel- und zugleich Distinktionsgewinne gegenüber len Erstellung – individualisierende Gestal- der älteren, aber auch der Generation der jün- tungselemente (Emotikons usw.) sowie Mo- geren Kinder verspricht. Es zeigt sich, dass mente konzeptioneller Mündlichkeit Einzug. auch hier die wechselseitige Antwortverpflich- Ansonsten herrscht weitgehend das stilistische tung (Reziprozitätsnorm) Geltung hat, und es Trägheitsprinzip, also die Orientierung am wird deutlich, wie stark Handy und SMS in das handschriftlichen Liebesbrief. Neue bzw. wie- alltägliche Ensemble verschiedener Kommuni-

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kationsformen eingebunden sind. „Das Leben genügte es, wenn die Angebote „vorwiegend in 160 Zeichen“ ist der Beitrag von Eija-Liisa programmbezogen“ waren. Damit reagiert der Kasesniemi und Pirjo Rautiainen überschrie- Gesetzgeber auf ein kontinuierliches Ausgrei- ben, die Ergebnisse einer umfangreichen Mehr- fen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in methodenstudie über die SMS-Kommunikati- neue Betätigungsfelder, wie es im Zuge der on finnischer Kinder und Jugendlicher präsen- Ausformung einer dualen Rundfunkordnung tieren. Anhand eines Textkorpus von 9000 beobachtet werden konnte und wie es von den Short Messages und qualitativer Einzel- und Rundfunkanstalten als notwendige Antwort Gruppeninterviews mit 1000 Kindern und Ju- auf eine für sie neue Wettbewerbslage, auf neue gendlichen entsteht ein anschauliches Bild einer Entwicklungen in der Kommunikationstech- kollektiven SMS-Kultur. So werden Short nologie und auf hierdurch bedingte Änderun- Messages gesammelt, getauscht, weitergeleitet, gen im Rezipientenverhalten gerechtfertigt gemeinsam gelesen und verfasst. SMS-Samm- wird. lungen erinnern mitunter an virtuelle Poesie- Diesen neuen Betätigungsfeldern des öffent- Alben und der stilistisch versierte „Briefsteller“ lich-rechtlichen Rundfunks widmet sich Hans taucht als „SMS-Berater“ unter digitalem Vor- Felix Schäfer in seiner von Klaus Stern betreu- zeichen wieder auf. Im Verlaufe weniger Jahre ten Kölner Dissertation. Die Arbeit ist unver- hat sich die SMS-Kultur der Jugendlichen kennbar Stern‘sche Schule – ebenso umfassend sprachlich, stilistisch und geschlechtsspezifisch wie systematisch und fundiert wird die Thema- erstaunlich ausdifferenziert. tik erschlossen und aufgegliedert, werden die Insgesamt bietet der Band nicht nur interes- relevanten Entwicklungen belegt, die relevan- sante Forschungsergebnisse zu bislang wenig ten Fragestellungen in methodischer Sorgfalt beachteten Vermittlungskulturen sowie, dank und präziser, ausgewogener Argumentation der interdisziplinären Zusammensetzung der durchweg plausiblen Lösungen zugeführt. Autoren, hilfreiche methodische Hinweise. Er- Dass die Arbeit ebenso übersichtlich wie de- kennbar wird auch, dass eine Medialisierung tailliert gegliedert ist, versteht sich dabei eben- des Alltags eine Abkehr von der auf einzelne so von selbst, wie die umfassende und ausge- Medien bezogenen Forschung notwendig wogene Auswertung des – vielfach interessen- macht, um die alltagskulturellen Bezüge aus der gebundenen – rundfunkrechtlichen Schrift- Sicht der Nutzer bzw. Gesprächspartner ange- tums. messen verstehen zu können. In einem ersten – rein deskriptiven – Teil Klaus Beck werden kurz die Geschichte des öffentlich- rechtlichen Rundfunks und die Grundaxiome der Rundfunkrechtsprechung des Bundesver- Hans Felix Schäfer fassungsgerichts beschrieben; allerdings reicht hier der Blick des Verfassers wohl nur bis zum Neue Betätigungsfelder des öffentlich-recht- Rundfunkgebührenurteil aus dem Jahr 1994 lichen Rundfunks (BVerfGE 90, 60), bleiben neuere, freilich nicht Entwicklung und rechtliche Bewertung gleichermaßen grundsätzliche Judikate un- München: C. H. Beck, 2004. – 220 S. berücksichtigt, die teilweise als Annäherung an die allgemeine Grundrechtsdogmatik gedeutet (Schriftenreihe des Instituts für Rundfunk- werden, wie etwa der „extra radio“-Beschluss recht; 91) aus dem Jahr 1998 (BVerfGE 97, 298). In den ISBN 3-406-52387-0 folgenden Teilen 2 bis 5 der Arbeit – sie machen Mit dem achten Rundfunkänderungsstaatsver- deren Schwerpunkt aus – befasst sich Schäfer trag hat die Diskussion um eine Konkretisie- nun näher mit den einzelnen neuen Betäti- rung und Begrenzung seines Grundversor- gungsfeldern der Anstalten, mit Sparten- und gungs- oder Funktionsauftrags neue Aktualität Zielgruppenprogrammen, jeweils im analogen erlangt. Mit der Neufassung des § 19 RfStV und digitalen Bereich (Teil 2, S. 31-107), mit In- werden Ansätze zu einer Programmzahlbe- ternet-Angeboten (Teil 3, S. 109-137), mit wirt- grenzung und Austauschentwicklung entwi- schaftlichen Betätigungen der öffentlich-recht- ckelt, Online-Angebote der öffentlich-rechtli- lichen Rundfunkanstalten am Beispiel des chen Rundfunkanstalten werden auf rein pro- (mittlerweile aufgegebenen) ZDF-Medien- grammbezogene Inhalte beschränkt – bisher parks (Teil 4, S. 139-154) sowie mit Pay-TV als

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denkbarem neuen Betätigungsfeld (Teil 5, S. eingeschränkt beipflichten. Differenziert beur- 155-166). Systematisch stringent beschreibt teilt werden schließlich Pay-TV-Programme Schäfer jeweils zunächst den tatsächlichen Ent- des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus ver- wicklungsstand, geht auf die stets kontroverse fassungsrechtlicher Sicht, die zu Recht nicht öffentliche Diskussion hierzu ein, nimmt eine der Grundversorgung zugerechnet werden und eingehende rechtliche Prüfung und Beurteilung die, wie auch sonst Spartenprogramme, nicht vor und formuliert mit seinem Ergebnis, stets zur Auszehrung der Vollprogramme führen auf der Grundlage einer eigenständigen Bewer- dürfen. tung, Vorschläge de lege ferenda. Wenn Schäfer Eher wie eine Pflichtübung wirkt der ab- für die Online-Dienste des öffentlich-rechtli- schließende gemeinschaftsrechtliche Teil 6 chen Rundfunks vorschlägt, das begrenzende (S. 167–203). Hier schließt sich Schäfer der Kriterium des vorwiegenden Programmbezugs Auffassung an, die im Anschluss an die gänzlich zu streichen, so geht der Achte Rund- Preußen Elektra-Entscheidung des EuGH das funkänderungsstaatsvertrag – m. E. zu Recht – Merkmal der Staatlichkeit verneint, während in die entgegengesetzte Richtung, durch Strei- in der Frage der Begünstigungswirkung nach- chung der relativierenden Formulierung des vollziehbar zwischen Grundversorgungs- und nur „vorwiegenden“ Programmbezugs. Der sonstigen Aktivitäten differenziert wird. Dass Verfasser übernimmt jedoch keineswegs unkri- selbst dann, wenn eine Kulturbeihilfe i.S.d. Art. tisch die Position der öffentlich-rechtlichen 87 Abs. 3 lit. d EG bzw. eine Ausnahme i.S.v. Anstalten und des ihnen verpflichteten Schrift- Art. 86 Abs. 2 EG bejaht werden sollten, je- tums. So werden die Gefahren einer Selbst- denfalls die Internet-Angebote der Rundfunk- kommerzialisierung im Online-Bereich ebenso anstalten auf Bedenken stoßen, darin wiederum gesehen wie die Gefährdungen des öffentlich- möchte ich dem Verfasser zustimmen. Auch rechtlichen Rundfunkauftrags durch Koopera- hier also gelangt Schäfer zu ebenso fundierten tionen, wie sie vor allem das ZDF wiederholt wie ausgewogenen Ergebnissen. eingegangen ist. Gerade auch diese Ausgewogenheit macht Zu einem durchaus ausgewogenen Ergebnis den besonderen Wert der Untersuchung aus. gelangt die Untersuchung in der Frage der Ziel- Im bewegten Umfeld rundfunkrechtlichen gruppen- und Spartenprogramme der Rund- Schrifttums, das insbesondere zu der hier be- funkanstalten im analogen Bereich, wenn je- handelten Thematik in hohem Maße interes- denfalls eine Auslagerung wesentlicher, zum sengeprägt ist, vermag die hier vorgestellte, Grundversorgungsauftrag zählender Bestand- vorzügliche Dissertation aus dem Kölner Insti- teile der Vollprogramme als unzulässig gewer- tut für Rundfunkrecht zu einer Versachlichung tet wird – hier in der Tat würde der öffentlich- der Diskussion beizutragen. rechtliche Rundfunk seinen Integrationsauf- Christoph Degenhart trag verfehlen. Eine insgesamt ausgewogene Position vertritt Schäfer auch zu den neuen di- gitalen Angeboten der Rundfunkanstalten, Jens Tenscher doch würde man sich hier mehr Problemgespür etwa in der Problematik des § 53 RfStV wün- Professionalisierung der Politikvermittlung? schen. Dies gilt auch für die gesetzgeberische Politikvermittlungsexperten im Spannungsfeld Option von Programmzahlbegrenzungen; dass von Politik und Massenmedien die Entwicklung der Gesetzgebung hier über Wiesbaden: Westdeutscher Verl., 2003. – die Untersuchung hinwegzugehen scheint, ist 428 S. unvermeidliches Schicksal rundfunkrechtlicher Arbeiten. Dass das (mittlerweile aufgegebene) ISBN 3-531-14078-7 Engagement des ZDF bei Planung und Betrieb Wer kümmert sich um die Frisur und Kleidung des ZDF-Medienparks weder als Haupt- noch der Politiker? Wie entscheidet sich eine Partei als Annexbetätigung noch als fiskalische Rand- für die richtige Wahlkampagne? Wie werden nutzung rundfunkrechtlich zulässig ist und die Medien darüber informiert? Jens Tenscher dessen Programmauftrag gefährdet, darin hat sich in seinem Buch Professionalisierung der möchte ich dem Verfasser, der auch mit der ge- Politikvermittlung? mit jener Gruppe beschäf- botenen Deutlichkeit auf die Vorbehalte des tigt, die im Hintergrund der Politikvermittlung OLG Koblenz (ZUM 2001, 800) hinweist, un- bleibt: die Kommunikations- und Medienbera-

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ter, vom Autor „Politikvermittlungsexperten“ der Medien zu nehmen“ (S. 118 f.). Dabei sei genannt. Das Ziel des Buches ist, dieser oft un- über die „Spin Doctors“ wenig bekannt, es sichtbaren Akteursgruppe der politischen würden ihnen aber „enorme Einflussmöglich- Arena näher zu kommen, ihre Funktionen, keiten“ zugesprochen. Leitbilder und öffentliche Legitimierung zu Im Gegensatz zum Sammelbegriff des „Spin untersuchen und nicht zuletzt der Frage nach Doctors“ stellt das Buch eine ausdifferenzierte der Beziehung von Politik und Politikvermitt- Betrachtung der Akteursgruppe der Politikver- lung nachzugehen. Denn die Gruppe der Poli- mittlungsexperten dar. Für Tenscher gibt es tikvermittlungsexperten ist heterogen und hat unterschiedliche Bereiche, Teilfunktionen und unterschiedliche „Sozialisations-, Rollen- und Interaktionsebenen innerhalb dieser heteroge- Handlungskontexte“ (S. 22). nen Gruppe. Er schlägt deshalb eine Unter- Tenscher konstatiert, dass mit der zuneh- scheidung der Institutionalisierung von Poli- menden Mediatisierung der Politikvermittlung tikvermittlungsexperten vor: 1) die Akteure, auch die „Notwendigkeit zum permanenten die in einer politische Organisation arbeiten, Werben um Aufmerksamkeit und Unterstüt- und 2) die, die für eine politische Organisation zung“ von politischen Parteien zunimmt arbeiten (S. 112). Dabei unterteilt der Autor die (S. 73). Dabei unterliegt die Politikvermittlung Politikvermittlungsexperten innerhalb der In- immer mehr den so genannten Nachrichtenfak- stitution wiederum in zwei Gruppen: a) die Ge- toren wie „Relevanz, Dynamik, Personalisie- neralisten, die „haupt- oder leitend mitverant- rung und Emotionalisierung“, sowie der „An- wortlich für die Gesamtplanung, -organisation passung der Redaktionsschlusszeiten“. Dies er- und -durchführung aller Politikvermittlungs- klärt z. T. die Zunahme von professionellen Po- prozesse einer politischen Organisation“ sind litikvermittlungsagenturen, Presse- und (S. 114), in Deutschland haben sie meistens ein Öffentlichkeitsabteilungen, Wahlkampf- und Partei- oder Regierungsamt inne; b) die Spezia- Kampagnenstäben. Es sind vor allem die Poli- listen, die für abgegrenzte Aufgabenbereiche tikvermittlungsexperten, die den Umgang der zuständig sind, wie Pressesprecher, Öffentlich- politischen Akteure mit den Medien organisie- keitsarbeit, Redenschreiber oder sonstige Bera- ren. Dadurch wird deutlich, dass die Poli- tertätigkeiten in speziellen Fragen (S. 115). Eine tikvermittlungsexperten die Politikerinnen und weitere Differenzierung sieht der Autor in der Politiker nicht nur bei Fragen des Aussehens Dauerhaftigkeit der Politikvermittlungstätig- beraten, sondern dass sie auch eine entschei- keit: Es gibt Politikvermittlungsexperten, die dende Rolle in der Rückkoppelung der politi- dauerhaft für oder in einer politischen Organi- schen Akteure zu den Medien spielen. Denn sie sation arbeiten, und andere, die nur für eine be- stehen in der Interpenetrationszone zwischen stimmte Zeit engagiert werden, oft für Wahl- Medien und Politik (S. 35) und haben dort eine kampagnen oder gezielte politische Werbe- stabilisierende Funktion (S. 312). kampagnen. Außerdem können die Tätigkeiten Das Buch versucht, einen Einblick in die der Politikvermittlung nach außen gerichtet „Kultur des politisch-medialen Beziehungsge- sein, hauptsächlich in den Medien und in der flechts“ aus der Perspektive der Politikvermitt- politischen Öffentlichkeit, oder nach innen, lungsexperten zu geben (S. 185). Dafür stützt d. h. innerhalb der politischen Organisation so- sich der Autor auf die Auswertung von Leitfa- wie bei der Beratung der politischen Organisa- dengesprächen mit 63 Politikvermittlungsex- tionsspitze. Mit diesen Differenzierungen ge- perten, die aktiv sind oder früher in diesem lingt es Tenscher, den Politikvermittlungstätig- Bereich gearbeitet haben. Selbstverständnis, keiten eine deutlichere Kontur zu verleihen. Selbstwahrnehmung sowie Fremd- und Selbst- Mit Hilfe des Marketingmodells identifiziert inszenierungsstrategien der Politikvermitt- die Studie vier wichtige Bereiche: 1) die formal lungsexperten stehen im Mittelpunkt der Un- reglementierte Werbung für politische und Re- tersuchung. Nach Tenscher neigen sowohl die gierungsorganisationen in bezahlten Medien; 2) Politikvermittlungsexperten als auch die Me- die Verkaufsförderung, die auf die Präsenz im dien zur Inszenierung des Mythos des „Spin Bewusstsein der Wähler mittels Kleinwerbe- Doctors“. Darunter seien all diejenigen ver- mitteln wie Stiften, Aufklebern, etc. zielt; 3) die standen, „die innerhalb und außerhalb von persönliche Kommunikation sowohl mit den Wahlkämpfen auf irgendeine Art und Weise Wählern und Bürgern als auch mit den so ge- versuchen, Einfluss auf die Berichterstattung nannten Multiplikatoren, wie den Medienver-

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tretern – im letzten Fall sind die Grenzen zur phern wie „Drehbuchautor“, „Bühnenbildner“ Öffentlichkeitsarbeit fließend; und 4) die poli- oder „Regisseur“. Diese Metaphern werden tische Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die vom Autor genau notiert, doch leider be- langfristig „Vertrauen zwischen der politischen schränkt sich die Analyse bloß auf die Zuord- Organisation und den anvisierten Zielgruppen nung der Metaphern zu der Positionierung auf aufbauen“ (80). Nach außen zielen sie auf die der Vorder- bzw. Hinterbühne. Hier wäre eine Bestimmung der wichtigen Themen, auf die Auswertung des verwendeten Vokabulars in Durchsetzung eigener Interpretationsschemata Bezug auf die beschriebenen Theateraufgaben sowie auf die Verankerung von Vorstellungs- für die Darstellung eines Selbstbildes und einer bildern von politischen Akteuren in der Öf- Selbstpositionierung fruchtbar gewesen. Denn fentlichkeit (98). Politikvermittlungsakteure die Auswahl einer Metapher wie Bühnenbild- haben hier die Funktion der Selektion von dem, ner oder Regisseur deutet auf selbst zugespro- was in der Öffentlichkeit gezeigt und was ka- chene Hierarchie und Spezialisierung hin. schiert wird. Trotz der Prädominanz der Öf- Interessant sind die Ergebnisse der Untersu- fentlichkeitsarbeit im politischen Marketing, so chung zur Frage der Inszenierung, die für 90 % Tenscher, tendieren die Grenzen zwischen Prozent der Befragten zum immanenten Be- Werbung, Verkaufsförderung, Presse- und Öf- standteil der Politik gehören. Die Befragten fentlichkeitsarbeit und persönlicher Kommu- scheinen allerdings keinen eindeutigen Begriff nikation in der modernen Politikvermittlung von Inszenierung zu haben. Für ein Drittel der dazu, unscharf zu werden (77). Interviewten erscheint Inszenierung als aufklä- Die Interaktion von politischer PR und Jour- rerischer Teil der Politikvermittlung, während nalismus ist von symbiotischen Austauschpro- ein Fünftel davon das Wort stark mit Ver- zessen geprägt (65). Während Politikvermitt- klärung konnotiert. Die Mehrheit der Befrag- lungsexperten die Medien für die Diffusion ih- ten stimmt zu, dass Inszenierungen „bewusst rer Themen, Ideen und Bilder brauchen, sind die eingesetzt werden, um mediale Aufmerksam- Medien aus Mangel an eigenen journalistischen keit und Unterstützung beim Publikum zu ge- Ressourcen auf die PR-Arbeit der Politikver- winnen“ (S. 319). Um sich des immanenten mittlungsexperten angewiesen (100). Die Pro- Vorwurfs der Manipulation zu entledigen, be- fessionalisierung der Politikvermittlung zeich- tonen die Interviewten die „enttarnenden Po- net sich dadurch als kein exklusives Wahlkampf- tenziale der Massenmedien und des Publi- Phänomen aus, sondern gehört vielmehr zur kums“ (S. 322), die z. T. die Funktion eines modernen politischen Kommunikation. Sie sei Korrektivs erfüllen können. Leider versäumt ein Ergebnis eines Prozesses „funktionaler Aus- die Studie, einen eigenen Begriff der Inszenie- differenzierung“, bei dem sich sogar die „Logik rung zu definieren. Der Leser erfährt nur, wie des Politikvermittlungsgeschäfts“ insgesamt die Befragten mit der Metapher der Inszenie- verändert. Durch die Interaktion im politisch- rung umgehen. Doch was die Inszenierung sei, medialen Raum entstehen „spezifische Nor- bleibt ihm verborgen. Die Stärke des Buches men, Regeln und Rollenerwartungen“ (142), die liegt in der Präzisierung und Differenzierung das Handeln der Politikvermittlungsexperten der untersuchten Akteurgruppe. Es bietet ei- orientieren. nen Einblick in die Tätigkeiten der Politikver- Politikvermittlungsexperten arbeiten in en- mittlungsexperten und auf ihr Umfeld. Als Är- gem Kontaktnetz zu ihren Kunden, zu den po- gerlich für den Leser erweisen sich allerdings litischen Akteuren, zu den Medienvertretern die oft überflüssigen Übernahmen aus dem und Journalisten, aber auch zu anderen Poli- Englischen, wie „Catch-All-Begriff“ für „Sam- tikvermittlungsexperten. Die Befragten der melbegriff“ (113), „linking pins“ für „kommu- Studie beschreiben allgemein das Verhältnis zu nikative Bindeglieder“ (110) oder „Direct Cal- den Ansprechpartnern als „harmonisch“, zu ling“ für „Telefonanrufe“ (79). Hier wäre die Journalisten sogar als „freundschaftlich“ (338). Nutzung des deutschen Vokabulars erfreulich Wenn es aber um die Selbstpositionierung in gewesen. der Interpenetrationszone geht, tendieren die Paula Diehl Politikvermittlungsexperten eher zur politi- schen als zur journalistischen Sphäre. Was die Beschreibung ihrer Selbstwahrnehmung an- geht, verwenden die Befragten Rollenmeta-

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Jens Woelke Spielarten. Unabhängig davon, dass eine justi- ziable Identifikation einer Verletzung des Durch Rezeption zur Werbung Trennungsgebots der Formatentwicklung re- Kommunikative Abgrenzung von Fernsehgat- gelmäßig hinterherläuft und Einzelfallprüfun- tungen gen allein aufgrund von Menge, Analyseauf- Köln: Halem, 2004. – 304 S. wand und Kosten kaum praktisch umsetzbar sind, wird die theoretisch viel interessantere Zugl. Jena: Univ., Diss., 2002 Frage gestellt, ob solche Abgrenzungsversuche ISBN 3-931606-63-5 überhaupt zielführend sind, da sie auf das zu Die Pflicht zur Trennung von Werbung und re- schützende Objekt ohnehin keinen Bezug neh- daktionellen Inhalten wird vor allem mit dem men. Es wird vielmehr für eine konsequent re- Schutzbedarf der Rezipienten begründet. Sie zipientenorientierte Perspektive plädiert, die sollen unterstützt werden, kommerzielle – und Werbung dann als Werbung definiert, wenn insbesondere verdeckte – Beeinflussungsversu- Zuschauer sie als solche erkennen, verarbeiten che als solche zu erkennen, richtig einzuordnen und beurteilen. Es seien daher die Abgren- und ihre Handlungen und Verarbeitungspro- zungsprozesse der Zuschauer genauer zu be- zesse entsprechend auszurichten. Eingedenk leuchten. des Wissens um diese distanziertere, analyti- Der Verfasser entfaltet seine Perspektive schere und oft abwehrende Verarbeitung von nach der Diskussion angebotsorientierter Defi- als Werbung wahrgenommener Inhalte, ver- nitionsdefizite in Erweiterung der Konstrukti- sucht die Werbung treibende Industrie, ihre vistischen Mediengattungstheorie, die Genres Produkte und Dienstleistungen zunehmend in und ihre Abgrenzung als soziales Handeln ver- der unverdächtigen Verpackung eines redak- steht. Zuordnungen, Bezeichnungen, Rele- tionellen Programms unterzubringen. Dies ist vanz-, Präferenz- und Gütezuschreibungen der in mehrerlei Hinsicht problematisch. Erstens Zuschauer zu Medieninhalten sind hier das ent- machen sich Journalisten zum Erfüllungsgehil- scheidende Kriterium dafür, inwieweit es sich fen kommerzieller Interessen. Sie setzen damit bei einem Programmangebot um Werbung zweitens mittel- bis langfristig ihre eigene handelt oder nicht. Diese Zuschreibungsper- Glaubwürdigkeit aufs Spiel, die im Wesentli- spektive wird erweitert um die Bedeutung spe- chen durch das Vertrauen in ihre Unabhän- zifischer Wirkungen und Aneignungsstrate- gigkeit begründet ist. Dies wirkt sich drittens gien bei der (konkreten) Rezeption audiovi- langfristig auf den Erfolg des redaktionellen sueller Angebote. Diese sollen ebenfalls als Programms aus. Folglich ist die Erkenntnis Indikator für Diskriminierungsleistungen der darüber, was Rezipienten als kommerziell-per- Zuschauer zwischen Werbung und Programm suasive Inhalte auffassen, nicht nur für Kom- dienen. In diesem Zusammenhang wird auf das munikationswissenschaftler, sondern für alle Konzept der Rezeptionsmodalitäten rekur- am Kommunikationsprozess Beteiligten von riert, die den einen oder anderen Verarbei- besonderem Interesse und besonderer Rele- tungsstil von Medieninhalten mehr oder weni- vanz. ger wahrscheinlich erscheinen lassen. In ande- Jens Woelke legt in seiner Dissertation ren Worten: „Wenn Zuschauer in einem redak- zunächst überzeugend dar, dass Abgrenzungs- tionellen Programm anders verarbeiten, als versuche von Seiten der Programmforschung, wenn die selben Aussagen in der Werbung mit- des Rundfunkrechts, der Werbe- und der Jour- geteilt werden, andere Zuschreibungen äußern nalismusforschung kaum mehr als pragmati- und sich die Wirkungen unterscheiden, fassen sche Konventionen zur Trennung von redak- sie diese als redaktionelles Programm auf“ (S. tionellem Programm und Werbung bieten kön- 258). nen. Er diskutiert ausführlich, wie das formal- Verarbeiten Rezipienten also ein redaktio- juristische Trennungsgebot durch die nelles Angebot als ob es Werbung wäre, so großzügig-kreative Rechtsauslegung der Wer- muss es Werbung sein. Während der erstge- be- und Produktionsindustrie zunehmend un- nannte Indikator – Zuschreibung – hier noch terlaufen wird. Unübersehbar sind mittlerwei- unmittelbar einleuchtet und durchaus tragfähig le die immer unverblümteren Umarmungen des ist, erscheint es doch problematisch, Verarbei- redaktionellen Programms durch Product Pla- tungs- und Urteilsprozesse sowie Wirkungen cement, Sponsoring, Bartering, PR und ihre als valide Indikatoren für Abgrenzungsleistun-

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gen zwischen Werbung und redaktionellem In- sich Zuschreibungen, Verarbeitungs- und Ur- halt heranzuziehen. Hierzu bedürfte es eindeu- teilsprozesse. tig diskriminierender und diskriminierbarer Die Ergebnisse zeigen über die Bedeutung Muster, die werbliche Verarbeitung – und nur der Zuschreibungen hinaus keine systemati- diese –unzweifelhaft identifizieren und dann schen Wirkungsunterschiede und keine klar mit der Verarbeitung im redaktionellen Pro- diskriminierbaren Verarbeitungsmuster. Kom- gramm vergleichbar und von diesem eindeutig munikative Abgrenzungen über Wirkungen abgrenzbar sind. Angesichts der hohen Frei- oder über Verarbeitungs- und Urteilsprozesse heitsgrade von Verarbeitungs- und Urteilspro- sind also zunächst nicht eindeutig prognosti- zessen während der Rezeption erscheint diese zierbar – dies war aber auf Basis von drei Expe- These vor allem aus empirischer Perspektive rimenten auch nicht unbedingt zu erwarten. sehr ambitioniert. Hinzu kommt das Problem, Hier sind weitere Untersuchungen nötig, die dass auch Werbespots selbst nicht als Reinform dann auch tatsächlich Prozesse messen. Man persuasiver Inhalte gelten müssen, da auch sie wird sich also zunächst mit der individuellen durchaus neutrale Informationen für die Zu- Zuschreibung der Zuschauer, ob es sich bei ei- schauer enthalten können. Gleichwohl ist die nem Programminhalt nun um Werbung oder Überprüfung dieser These eine analytische wie Unabhängig-Redaktionelles handelt, zufrieden empirische Herausforderung, die im fünften geben müssen. Gleichwohl ist diese Erkenntnis und sechsten Kapitel der Studie sehr differen- ein großer Schritt über die üblichen formalen ziert angegangen wird. Genreabgrenzungen und -definitionen hinaus: Hier werden die Hypothesen zu den Ab- Werbung ist dann Werbung, wenn Zuschauer grenzungsleistungen der Zuschauer mittels sie als solche bezeichnen. Gleichwohl sind auf drei experimenteller Studien geprüft (Werbe- Basis dieser Erkenntnis Empfehlungen für die spot vs. Nachrichtenbeitrag, Werbespot im re- konkrete Ausgestaltung des Rundfunkrechts daktionellen Programm vs. Werbespot im nicht eben leichter. Auch aus Rezipientenper- Werbeblock sowie Werbespot vs. eine Art spektive bleibt der Nachweis von Trennungs- „Product Placement“ – mit und ohne Vorabin- verstößen im konkreten Fall aufwändig und formationen). Die methodische sowie techni- vermutlich kaum justiziabel. Es bleibt also die sche Umsetzung, Operationalisierung, Analy- eingangs angesprochene Hoffnung, dass die se und Interpretation sind außergewöhnlich Zuschauer selbst das Abgrenzungsproblem lö- gut gelungen und tragen in besonderem Maße sen werden: Sie vertrauen auf die redaktionelle zur Transparenz der Studie bei. Die Ergebnis- Unabhängigkeit des Programms und richten se zeigen plastisch, dass die formale Bezeich- ihre Handlungen danach aus. Je stärker (und nung und/oder Positionierung eines Angebots zunehmend auffälliger) ein redaktionelles Pro- als (nicht) redaktionell die Zuschreibungen – gramm mit persuasiven Inhalten durchdrungen hier die wahrgenommene Beeinflussungsinten- wird, um so stärker sinkt seine Glaubwürdig- tion – der Zuschauer maßgeblich lenkt. Sie ori- keit und damit schließlich seine Nutzung. Da entieren sich in erster Linie an formalen Hin- dies vermutlich weder im Interesse der Pro- weisen bzw. formalen Abgrenzungssymbolen grammmacher noch der Werbungtreibenden und richten dementsprechend ihre Verarbei- ist, gibt es eine Kraft, die auch gegen eine zu- tungsmodi aus. Bezeichnungen und Symbole nehmende Vereinnahmung des redaktionellen aktivieren bei Rezipienten unterdessen zwar Programms durch Werbung wirkt. Es ist insge- verschiedene Gattungskonzepte, diese Gat- samt erstaunlich, dass in der vorliegenden Ana- tungskonzepte sind allerdings mitunter ver- lyse dieses Phänomen Glaubwürdigkeit nur am schieden von jenen, die Zuschauer in einer Rande angesprochen und in die empirische Un- konkreten Rezeptionssituation tatsächlich ge- tersuchung nicht zentraler integriert wurde. brauchen. Sie unterscheiden bisweilen sogar Gleichwohl bietet die Arbeit eine sehr elabo- innerhalb eines Angebots zwischen einzelnen rierte Aufarbeitung des kommunikativen „Pro- Aussagen als werblich oder redaktionell. So blems“ Werbung aus verschiedenen kommuni- kann beispielsweise eine Aussage eines Nach- kationswissenschaftlichen Perspektiven. Die richtensprechers je nach Kontext als „werbli- Arbeit ist insgesamt ein wichtiger und erhellen- che“ oder „journalistische“ Aussage verstan- der Schritt zur Beschreibung, Erklärung und den werden. Je versteckter dabei die werbliche Prognose persuasiver Kommunikation. Information platziert ist, um so ähnlicher sind Andreas Fahr

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Barbara Baerns (Hrsg.) Recht, dass es zu den damit verbundenen Fra- gen bisher viel zu wenig systematische und un- Leitbilder von gestern? abhängige Forschung gebe. Zur Trennung von Werbung und Programm – Für den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit eine Problemskizze und Einführung wird die ambivalente Befundlage geschildert, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaf- dass zwar für einen Großteil der Öffentlich- ten, 2004. – 292 S. keitsarbeiter auch Produkt-PR zum Berufsall- tag gehört und damit die Abgrenzung zwischen ISBN 3-531-13354-3 Werbung und PR nicht immer leicht fällt; aller- Die alltägliche Fernsehnutzung lässt schon fast dings halten die Öffentlichkeitsarbeiter weit als Gewissheit erscheinen, was im Titel dieses überwiegend am Trennungsgrundsatz fest. Für Buches als Frage formuliert wird: Angesichts den Bereich Journalismus werden Ergebnisse vielfältiger Mischformen von Werbung und einer jüngeren Befragung von Chefredakteuren Programm mag das nach wie vor bestehende von Tageszeitungen berichtet. Danach ist der Trennungsgebot in der Tat als Leitbild von ges- Trennungsgrundsatz als berufsethische Norm tern erscheinen, das mit der heutigen Pro- und auch in Form entsprechender Richtlinien grammrealität wenig zu tun hat. Barbara für den Redaktionsalltag gut etabliert. Zugleich Baerns, die Herausgeberin des vorliegenden lassen sich aber, meist zurückgeführt auf die Bandes, sieht diese Gefahr und will Argumente angespannte wirtschaftliche Lage, zahlreiche zur Aufrechterhaltung bzw. Wiederbelebung konkrete Erscheinungsformen einer zuneh- dieses Leitbildes zur Diskussion stellen. menden Vermischung von redaktionellem und In ihrem einleitenden Beitrag entfaltet Bar- werblichem Angebot verzeichnen. bara Baerns, Professorin für den Bereich Öf- Als Ergebnis hebt Barbara Baerns die Bedeu- fentlichkeitsarbeit am Institut für Publizistik- tung eines auf die Gesamtgesellschaft gerichte- und Kommunikationswissenschaft der FU Ber- ten Problembewusstseins hervor. Dabei dürfe lin, zunächst in einer historisch-systematischen nicht der Ruf nach Kontrollinstanzen im Vor- Skizze die Entwicklung des Trennungsgrund- dergrund stehen, vielmehr gehe es um eine ak- satzes. Angereichert mit vielen konkreten Bei- tivere Teilnahme an Prozessen der Selbstkon- spielen wird anschaulich vermittelt, wie Schritt trolle und Selbstregulierung: Wo kein Kläger, für Schritt die heute geltenden Normen zustan- da kein Richter. Angesichts der gewachsenen de kamen – verdienstvoller Weise enthält der koppelproduktartigen Beziehungen zwischen Band eine vollständige Dokumentation der redaktionellen und Anzeigenteilen lässt sich al- maßgeblichen Gesetzestexte und Richtlinien. lerdings, so Barbara Baerns abschließend, der Im Ergebnis hält Barbara Baerns fest, dass die Trennungsgrundsatz allein anhand der klassi- geltenden Grundsätze zur Trennung von Wer- schen Abgrenzungskriterien nicht mehr auf bung und Programm die Autonomie und Glaub- den Begriff bringen. Anstatt darauf aber nun würdigkeit der öffentlichen Medien stützen. mit Deregulierung oder mit dem Verweis auf Inwieweit sich diese Grundsätze in der Kom- die mündigen Bürger/Konsumenten zu reagie- munikationspraxis bewähren, ist Gegenstand ren, plädiert sie für eine Rückbesinnung auf den des zweiten Kapitels. Für die Perspektive der Kern des Trennungsgrundsatzes, nämlich auf Werbepraxis wird die zunehmende Bedeutung die konsequente Offenlegung der Quellen und integrierter Kommunikationskonzepte betont, Verfahren, auf Transparenz. im Rahmen derer Verstöße gegen den Tren- In dem Band werden die Grundlagen des nungsgrundsatz nicht als Sündenfall, sondern Trennungsgrundsatzes sodann von Joachim als „systemimmanenter Bestandteil der kom- Bornkamm, Richter am Bundesgerichtshof, im munikationsstrategischen Verklammerung“ (S. Hinblick auf die Kriterien der Rechtsprechung 29) angesehen werden und entsprechend eine genauer dargestellt. Hier wird herausgearbeitet, scharfe Trennung von Werbung einerseits und was genau das Gesetz regelt, warum das Wett- Freizeit/Unterhaltung andererseits kaum mehr bewerbsrecht so eine große Rolle spielt und wel- durchzuhalten sei. Barbara Baerns hält der für che Fallgruppen in der Praxis zu unterscheiden die Werbepraxis gängigen These, wonach Wer- sind. Nach einem Überblick über die Entwick- bung dann stärker beachtet werde, wenn sie als lung der Rechtsprechung wird dann die Be- redaktionelles Angebot auftrete, gegenläufige handlung getarnter Werbung in Printmedien, empirische Befunde entgegen, kritisiert aber zu im Fernsehen und im Kinofilm dargestellt. In

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einer informativen vergleichenden Übersicht Liaison „BMW und James Bond“ Mechanis- stellt Nicole Elping, Leiterin des Referats Öf- men des Product Placement; aus seiner Sicht fentlichkeitsarbeit und Besucherbetreuung des hat diese Form der werblichen Kommunikati- Bundesministeriums für Familie, Senioren, on Zukunft, wenn die betreffenden Unterneh- Frauen und Jugend, dar, wie der Trennungs- men ihre Marketing- und Vertriebsabsichten grundsatz im Fernsehen auf der Ebene der Eu- deutlich aufzeigen und Product Placement in- ropäischen Union bzw. in den einzelnen Mit- sofern nicht im Sinne von „Schleichwerbung“ gliedstaaten realisiert ist. Ihre Lehre geht dahin, betreiben. dass in den anderen Mitgliedstaaten die Not- Mit redaktionell gestalteten Anzeigen, so ge- wendigkeit einer externen Überwachung des nannten Advertorials, setzen sich Roland Bur- Trennungsgrundsatzes eher anerkannt wird, als kart, Professor für Publizistik- und Kommuni- dies in Deutschland der Fall ist. kationswissenschaft an der Universität Wien, Der zweite Teil des Bandes, „Handlungsfel- der PR- und Kommunikationsberater Martin der“ betitelt, versammelt Beiträge aus verschie- Kratky sowie Lieselotte Stalzer, Leiterin der denen Praxisperspektiven. Volker Nickel, Ge- Marktforschung der Wiener Städtischen Versi- schäftsführer des Zentralverbandes der deut- cherung, auseinander. Sie berichten interessan- schen Werbewirtschaft (ZAW), sieht keinen te Befunde von Untersuchungen über die Nut- Handlungsbedarf für zusätzliche rechtliche zung und Bewertung redaktionell gestalteter Regelungen; er unterstützt den Trennungs- Anzeigen. In ihrem Fazit betonen sie, dass sol- grundsatz, plädiert aber für eine Neubestim- che Artikel – wenn sie denn überhaupt wahrge- mung der Schleichwerbung: Unzulässig sollten nommen werden – von der großen Mehrheit als solche Darstellungen sein, deren werbende Ab- Werbung angesehen werden; dazu ist allerdings sicht für den „vernunftbegabten, lebenskompe- anzumerken, dass die untersuchten Beispiele tenten Durchschnittsrezipienten“ (S. 92) nicht eher am „erkennbareren Pol“ des Spektrums mehr erkennbar sei. Michael Krzeminski, Pro- redaktionell gestalteter Anzeigen anzusiedeln fessor für Multimedia, elektronische Medien sind. Die Wahrnehmung als Werbung senkt und Online-Publizistik, behandelt in seinem zwar die Glaubwürdigkeit des Artikels, aller- Beitrag die Herausforderungen, die sich aus der dings werden die betreffenden Beiträge auch zunehmenden Multi- bzw. Crossmedialität er- durchaus nicht als unglaubwürdig beurteilt. geben. Die Unübersichtlichkeit des Medien- Auch hier wird, wie schon zuvor von Johannes und Kommunikationssystems, die sich durch Schultz im Hinblick auf das Product Place- die Verwischung der Grenzen zwischen Indivi- ment, gefragt, ob nicht „das Advertorial (…) als dual- und Massenkommunikation, durch die eine im Grunde transparente und damit ehrli- Medialisierung öffentlicher Räume und durch che Variante der Zusammenarbeit mit einem die engen crossmedialen Bezüge ergebe, werde Medium gesehen werden sollte, in der alle Be- dem Trennungsgrundsatz künftig wieder mehr teiligten – inklusive der Rezipienten – wissen, Bedeutung zukommen lassen, da die beteiligten woran sie sind“ (S. 169). Akteure aus verschiedenen Gründen Interesse Aus wissenschaftlicher Perspektive beson- daran haben, dass ihre jeweiligen Mitteilungs- ders interessant ist der Beitrag von Jens Woelke, absichten erkennbar bleiben. Universitätsassistent für Audiovisuelle Kom- Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deut- munikation am Fachbereich Kommunikations- schen Presserats, setzt sich vor dem Hinter- wissenschaft der Universität Salzburg; es han- grund der Richtlinien des Presserates speziell delt sich um eine Kurzfassung seiner Disserta- mit dem Bereich der Wirtschaftsberichterstat- tionsschrift1. Er untersucht, wie sich Werbung tung bzw. dem Problem des Insiderhandels von und Programm aus der Perspektive der Zu- Journalisten auseinander. Stephan Ruß-Mohl, schauer abgrenzen lassen. Der Versuch, zu ei- Professor für Kommunikationswissenschaft an ner „kommunikativen Abgrenzung“ der bei- der Universität Lugano, fragt nach der Wirk- den Seiten zu gelangen, geht von der Annahme samkeit medienbetrieblicher Ethik-Kodizes aus, dass mit der Rezeption von Werbespots als und fordert abschließend, dass sich Individual- der klassischen Erscheinungsform von Wer- und Organisationsethik wechselseitig ergänzen bung bestimmte Rezeptions-, Aneignungs- müssten. Johannes Schultz, ehemaliger Leiter 1 „Durch Rezeption zur Werbung. Köln: Von-Ha- der Abteilung audiovisuelle Medien der BMW lem-Verlag, 2004“, siehe auch die Rezension dazu Group, schildert am konkreten Beispiel der in diesem Heft.

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und Wirkungsmuster verbunden sind und dass Philomen Schönhagen diese für die Untersuchung von Mischformen Soziale Kommunikation im Internet zwischen Werbung und Programm genutzt werden können, um zu erfassen, in welcher Zur Theorie und Systematik computervermit- Weise die Zuschauer diese rezipieren. Die Er- telter Kommunikation vor dem Hintergrund gebnisse zeigen, dass Aspekte der Angebotsge- der Kommunikationsgeschichte staltung und -formatierung für die Wahrneh- Bern: Lang, 2004. – 350 S. mung als Werbung maßgebend sind und dass ISBN 3-03910-203-6 Werbung und Programm auf unterschiedliche Art und Weise verarbeitet werden und entspre- Die Arbeit widmet sich dem Internet aus der chend auch mit unterschiedlichen Wirkungen Perspektive der so genannten ‚Münchner einhergehen. Wie schon die oben bei Barbara Theorie‘. Es handelt sich um die Habilitations- Baerns skizzierten Untersuchungen, so zeigen schrift der Autorin, die, wie es im Vorwort auch diese Studien, dass die in das Programm steht, im Jahre 2002 entstanden ist. Die Arbeit integrierten werblichen Aussagen keineswegs beginnt mit einer Diskussion, die gleich von „bessere“ Ergebnisse erzielen als explizite Wer- Anfang an den Mythos des Computers als bung. Woelke weist in diesem Zusammenhang Kommunikationsmedium umrankte: die neuen aber auf die Gefahr hin, dass durch die häufige Möglichkeiten eines besseren Zusammenkom- Integration von werblichen Aussagen in redak- munizierens, mit denen die Grenzen der Mas- tionelle Angebote auf Dauer vor allem die senmedien überwunden und eine neue elektro- Glaubwürdigkeit der redaktionellen Angebote nische Agora geschaffen werde. In dem Maße, Schaden nehmen wird. wie der Mythos verblasst ist, sind jedoch solche Der Band wird abgeschlossen mit einem Diskurse zurückgegangen. Einen zentralen „Plädoyer für anschlussfähige Unterscheidun- Stellenwert nimmt hierbei ein Terminus ein, an gen“ von Joachim Westerbarkey, Professor am dem das Besondere des Computers, zumal in Institut für Kommunikationswissenschaft der seiner Anbindung an das Internet, zum Aus- Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. druck kommt: die Interaktivität. Wenn hier In- Er teilt die Skepsis gegenüber bisherigen Ange- teraktivität als ein ‚unterdefiniertes Konzept‘ botsklassifikationen, vertritt aber die Auffas- beschrieben wird, so trifft dies in der Tat immer sung, dass es solcher Klassifikationen bedürfe – noch zu. Vor diesem Hintergrund ist die Erör- und sieht gerade die Aufgabe und Kompetenz terung des Interaktionsbegriffes durch die Au- der Wissenschaft darin, systematische Beob- torin eine durchaus ergiebige Angelegenheit. achtungskriterien entwickeln und anwenden Auch für einen Leser, der mit der Materie nicht zu können. so vertraut ist, eröffnet sich hier ein guter Ein- Insgesamt liegt damit ein Band vor, dem das blick. Die Autorin fragt hierbei, sei es mit Blick Verdienst zukommt, ein hoch brisantes und auf eine ‚Interaktion mit einem Medium‘ und hochaktuelles Thema auf die Agenda der Wis- eine ‚durch ein Medium‘, wo dann die spezifi- senschaft zu setzen. Die Grundhaltung, dass sche Referenz zur computervermittelten Kom- die Unterscheidung von Werbung und Pro- munikation sei, und sie kommt zu dem Schluss, gramm eine für das Medien- und Kommunika- dass es die eben nicht geben würde. Was die ers- tionssystem entscheidende Grundlage darstellt, te Dimension angeht, so wird zumindest kon- zieht sich durch alle Beiträge. Die zum Teil gra- statiert, dass Interaktivität dem Medium Com- vierenden Unterschiede im Hinblick auf die puter in höherem Maße eigen sei als den ‚klas- Konsequenzen dieser Unterscheidung sind für sischen‘ Massenmedien. Bezüglich der zweiten eine umfassende Auseinandersetzung mit der Dimension wird Interaktivität in einem umfas- Thematik sehr hilfreich, verdeutlichen sie doch, senden Sinne als ein „Synonym für Fernkom- aus welcher Gemengelage unterschiedlicher In- munikation oder Kommunikation über Dis- teressen sich die heutige Situation der Vermi- tanz“ (S. 57) verstanden. Ganz mag dies aller- schung von Werbung und Programm ergibt. dings nicht zufrieden stellen, denn unter Fern- Sichtbar wird schließlich auch eine Fülle von bzw. Telekommunikation lassen sich recht un- Fragestellungen für weitere wissenschaftliche terschiedliche Medien mit unterschiedlichen Untersuchungen – (auch) in diesem Bereich Möglichkeiten und Grenzen subsumieren. gibt es viel zu tun. Darauf verweist zum Beispiel die Theorie der Uwe Hasebrink Sozialen Präsenz, die allerdings in der Ausein-

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andersetzung um die Interaktivität keine ner „Stammesgemeinschaft auf Weltebene“ Berücksichtigung findet. und einem Konkurrenzverhältnis zur Massen- Kapitel 3 fragt nach dem Gegensatz von ‚in- kommunikation, aus, die heute nicht mehr im teraktiver Kommunikation‘ und Massenkom- Zentrum wissenschaftlicher Diskurse stehen, ja munikation. Hier geht es vor allem darum, ob nicht einmal mehr von Technik-Euphorikern Einseitigkeit ein „diakritisches Merkmal“ sei, lauthals vertreten werden. Es ist auch Aus- computervermittelte Kommunikation und druck einer mittlerweile erfolgten festen Ein- Massenkommunikation zu unterscheiden. Die bindung des Computers als Kommunikations- Antwort ist nicht überraschend und lautet: medium in die Alltagspraktiken der Menschen, nein. Dies ergibt sich aus den multiplen Mög- dass derartige Mediendiskurse nachlassen. lichkeiten des Gebrauchs (die eben auch durch- Gleichwohl kritisch aber auch konstruktiv ist aus ‚einseitig‘ orientiert sein können) – und die Auseinandersetzung mit den in der Litera- notwendigerweise aus der Perspektive der tur unternommenen Versuchen, computerver- ‚Münchner Theorie‘ und ihrer Unterscheidung mittelte Kommunikation systematisierend zu von Vermittlungsprozessen (die üblicherweise fassen. Zu recht werden die Defizite solcher mit dem Begriff Massenkommunikation ange- Unternehmungen benannt. Zugleich wird die- sprochen sind) einerseits und Kommunika- se Kritik allerdings in eine eigene ‚Typologie tionsprozessen (die Gegenstand massenmedia- der Modi Sozialer Kommunikation im Inter- ler Vermittlung sind) andererseits. Eine solche net‘ auf der Basis der Dimensionen von Ver- Trennung eröffnet den Blick auf einen Gesamt- mittlungsart und Zeitverlauf der Kommunika- zusammenhang von Massenkommunikation tion überführt. Es besteht kein Zweifel, dass und damit eine Perspektive, die über andere dies eine durchaus beachtliche Weiterentwick- Ansätze hinaus geht. Ein solcher Blick wird in lung darstellt, vor deren Hintergrund das Spek- den darauf folgenden zwei Kapiteln geschärft. trum von Internetkommunikationen – gewis- Das meint zugleich, dass hierbei in die je eigene sermaßen vom Online Chat bis zum Webradio Terminologie einer ‚Münchner Theorie‘ einge- – verortet werden kann. führt wird. Hier erschließt sich auch der Titel Die Arbeit schließ mit dem Hinweis, dass des Buches – und zugleich wird eine gewisse Massenkommunikation, online wie offline, Umorientierung abverlangt, was die Wahl von eine „unersetzliche Funktion für die Gesell- Fachtermini anbelangt. ‚Soziale Kommunikati- schaft“ erfüllt und dass hierbei „trotz aller tech- on‘ wird hier nicht im Sinne der sozialen Di- nischen Möglichkeiten des Internets, keinerlei mensionierung von Kommunikation verstan- Ersatz sichtbar“ ist (S. 284). Das Internet ist den, sondern als die „je aktuelle öffentliche kein neues Medium im engeren Sinne mehr. Vi- Kommunikation einer Gesellschaft“. Zumin- sionen sind der Realität gewichen. So steht die- dest in diesem Sinne ist die kommunikations- ses Fazit – das so allemal keiner bestreiten wür- wissenschaftliche Positionsbestimmung durch- de – im Einklang mit der Positionierung des In- aus konservativ, weil sie sich nämlich immer ternets (respektive des Computers als Kommu- noch dominant an der öffentlichen Kommuni- nikationsmedium) im Feld der Medien unserer kation und ihrer Medien orientiert. Gleichwohl Alltagskommunikation. Wäre die Arbeit früher vermag die ‚Münchner Theorie‘ mit ihrer histo- erschienen (wobei ja nicht zuletzt der Ruf an rischen Perspektive einen durchaus anregenden die Universität Freiburg (Schweiz) die Publika- Zugang zur computervermittelten Kommuni- tion weiter verzögerte), dann wäre sie weitaus kation zu eröffnen. Dies zeigt sich schließlich mehr im Zentrum der Auseinandersetzung ge- im sechsten Kapitel, das sich den Formen So- standen. So sind schon durch die – im Bezug auf zialer Kommunikation im Internet zuwendet. die Visionen auch ernüchternde – Praxis des Die Perspektive bleibt dahingehend kritisch, Gebrauchs viele Fragen beantwortet. Ob bei indem erneut am Mythos der globalen Agora der Verbreitung des Internets und bei dem angesetzt wird. Es stimmt, solche Mythen Stand der Forschung noch ein Glossar notwen- spielten in den Frühjahren des Computers als dig ist, darüber lässt sich streiten. Auch wird Kommunikationsmedium eine besondere Rol- der fachkundige Leser eine Reihe zentraler, zu- le; gerade durch das Neue werden die Euphori- mal einschlägiger englischsprachiger Publika- ker (aber auch die Skeptiker) angeregt. Aller- tionen vermissen. Gerade aber in ihrer kriti- dings geht die Autorin von Visionen eines Cy- schen wie auch systematisierenden Art ist die berspacediskurses, wie etwa der Vorstellung ei- Arbeit überzeugend. Schon vor dieser Arbeit

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stellte sich (zumindest dem Rezensenten) die modernisieren und damit an die Stelle eines Ab- Frage, ob nicht gerade die ‚Münchner Theorie‘ stammungs- ein Territorialprinzip zu setzen, mit ihrer distinkten Annäherung an die Mas- was bekanntlich am Widerstand der senkommunikation bei dem Thema Internet CDU/CSU nicht nur scheiterte, sondern der anregende Impulse geben könnte. Dass dies der CDU in Hessen, nach einer höchst fragwürdi- Fall ist, wird mit diesem Buch eindrucksvoll gen Unterschriftenkampagne, auch noch einen demonstriert – wenn auch etwas spät! Wahlsieg bescherte; zugleich war dies der Be- Joachim R. Höflich ginn einer Bundesratsmehrheit für die Opposi- tion und damit einer de facto großen Koalition. Die Autorin entfaltet Schritt für Schritt die Tanja Thomas Grundlagen: das semantische Feld der Grenz- ziehungen zwischen ‚Eigenem‘ und ‚Fremdem‘ Deutschstunden mit den verschränkten Konzepten von Rasse, Zur Konstruktion nationaler Identität im Kultur, Ethnie und Nation, wobei sie die Nati- Fernsehtalk on sehr überzeugend als „Integrationskon- Frankfurt/New York: Campus, 2003. – 438 S. zept“ fasst; den Forschungsstand mit der Über- sicht über die zahlreichen Arbeiten, die sich mit ISBN 3-593-37644-5 der Behandlung von „Fremden“ in den Medien Wer wir sind, wozu wir uns gehörig fühlen, un- beschäftigt haben, schließlich die eigene Analy- sere Identität oder unsere Identitäten, das ist in semethode, in die sie – durchaus wohlbegrün- unseren modernen Gesellschaften nichts mehr, det und mit Verve – nahezu alles hineinpackt, was wir so einfach vorfinden und was sich so was sich eben noch kombinieren lässt, die wis- einfach bestimmen ließe. In den Wissenschaf- senssoziologische Idee der kommunikativen ten, zumal in den sich konstruktivistisch ver- Konstruktion von Wirklichkeit, ein ethnome- stehenden, ist man sich deshalb längst darüber thodologisch geprägtes gesprächsanalytisches im Klaren, dass simple „natürliche Identitäten“ Vorgehen, einen linguistisch-diskursanalyti- – auch wenn sie in manchen alltagstheoreti- schen Ansatz, einen Cultural Studies-Ansatz, schen oder ideologischen Vorstellungen immer der sich auf Raymond (nicht Robert) Williams, wieder auftauchen – ins Reich der Fabelwesen oder eher auf Udo Göttlich, beruft, und dann oder besser der üblichen Konstruktionen noch das Bourdieusche Habitus-Konzept. gehören. An die Stelle der Auseinandersetzung Vielleicht wäre weniger doch mehr gewesen. mit vorgefundenen festen Identitäten treten Immerhin wird so ein intelligenter Hinter- diskursive Prozesse des Aushandelns höchst grund gemalt für die sehr detaillierte und kon- strittiger und vager, flexibler Gebilde. Eine krete Analyse von Ausschnitten aus acht Talk- zentrale und die politisch vermutlich brisantes- shows dreier unterschiedlicher Typen, aus Po- te Kategorie möglicher Identitätsbildungen ist littalks à la „Sabine Christiansen“, Promitalks à bis heute (und vielleicht wieder verstärkt) der la „Nachtcafé“ und Daily Talks à la „Bärbel Begriff der ‚Nation‘. Davon zeugen periodisch Schäfer“; die Genres werden charakterisiert auftretende Debatten um die Doppelstaatsbür- und typisiert und die acht Sendungen werden gerschaft, um Zuwanderung, um eine neue su- formal und inhaltlich beschrieben. Die eigentli- pranationale europäische Identität usw. Das che Analyse umfasst beinahe 240 Seiten, und sie zentrale Forum hierfür ist – nach gängiger Auf- geht das Thema, die Konstruktion des nationa- fassung –seit längerem das Fernsehen, beson- len „Wir“, in fünf Schritten an: 1. untersucht sie ders in den populären Talkshowformaten, die Kategorisierungen und Ambiguitäten katego- solche Debatten rasch anschwellend und in rialer Zuschreibungen; 2. verfolgt sie typische (auch stilistischen) Varianten unter vielfältigen Ressourcen der „Wir“-Konstruktionen wie Aspekten inszenieren. Heimat, Geschichte, Kultur, Sprache, Religion, Die vorliegende Tübinger Dissertation geht aber auch Demokratie oder Moderne; 3. analy- einer solchen Debatte anhand von Talk- siert sie typische Argumentationen, die als „Le- showsendungen nach, und zwar dem Diskurs gitimationswerkzeuge“ fungieren; 4. bezieht um die Doppelstaatsbürgerschaft, der im sie die medien- und genrespezifischen „Insze- Herbst nach dem Wechsel zur rot-grünen Ko- nierungslogiken“ ein; 5. berücksichtigt sie auch alition von deren Vorhaben ausgelöst wurde, die verschiedenen Handlungsspielräume der das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 zu Akteure, die ja – je nach Rollenzuweisung und

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erarbeiteter Interaktionsrolle (hier kommt das Klaus Plake Bourdieusche „kulturelle Kapital“ ins Spiel) – Handbuch Fernsehforschung sehr verschieden aussehen können. Erstaunlich ist: Trotz aller Spaltungen und Befunde und Perspektiven Differenzen in den interaktiv konstruierten Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, kollektiven Identitäten findet sich dennoch ein 2004. – 404 S. „nationales Wir“, immerhin insoweit, als sich ISBN 3-531-14153-8 eine Mehrheit der Interagierenden darin einig ist, „Nation und nationale Zugehörigkeit zu ei- Es ist noch gar nicht so lange her, dass zwei um- nem der zentralen Bezugspunkte der Bedeu- fangreiche Bände zur Fernsehforschung in tungsproduktion und Interpretation zu ma- Deutschland erschienen sind. Die Medienfor- chen“ (S. 397f.). Man scheint die Kategorie zu schung des Südwestrundfunks bat seinerzeit brauchen, auch wenn man im Detail nicht über- mehr als 80 Autoren um kompakte Darstellun- einstimmt oder ihr sogar misstraut. Trotz aller gen zu Teilgebieten der Fernsehforschung in Konstruiertheit, Widersprüchlichkeit und Deutschland. Diese waren teils historisch ange- Fluidität erscheint das „Nationale“ nach den legt, teils nahmen sie auf aktuelle Themen und Analysen der Autorin doch recht stabil: „Die Daten Bezug, häufig aber auch mit einem expli- Akteure handeln in einem fest verankerten zit methodischen Fokus, der die Medienfor- Netz von Strukturen, Regeln, Bedeutungen schungspraxis in den Vordergrund stellte. Ob- und Interpretationen, an dem täglich weiter ge- wohl sich so viele Autoren an dieser Publikati- knüpft wird. Dies macht deutlich, dass der Be- on beteiligt haben, wird man kaum zu dem Er- griff der ‚Konstruktion‘ von Nation, nationaler gebnis kommen können, dass allen Bereichen, Identität und Gemeinschaft befreit werden die im weiteren Sinne der Fernsehforschung muss von Vorstellungen der unmittelbaren zugerechnet werden können, in gleicher und Veränderbarkeit des Konstruierten.“ (S. 401) adäquater Weise Rechnung getragen werden Schlimmer noch: „Im Kontext der doppelten konnte. Der Mut zur Lücke ist angesichts der Staatsbürgerschaft ist es der CDU/CSU gelun- Entwicklung der Kommunikationswissen- gen, u. a. auch in Talkshows Deutungshegemo- schaft notwendig. Er stellt sich aber gleichsam nie hinsichtlich der Vorstellungen einer natio- wie von selbst ein. nalen „Wir“-Gemeinschaft als zu schützendes Wer heute über Fernsehforschung spricht, „Gut“ zu gewinnen.“ (S. 103) denkt zunächst einmal an jenes Feld der syste- In der Tat: Vom Multi-Kulti-Konzept, das matischen Beobachtung, das Skeptiker solcher selbst Heiner Geissler favorisierte, ist kaum Verfahrensweisen gelegentlich auch als admi- noch etwas zu hören. Stattdessen scheint nie- nistrative Forschung bezeichnen. Die Gesell- mand mehr an der Idee von ‚Integration‘ vor- schaft für Konsumforschung (GfK) liefert uns beizukommen, die – Europa hin, Globalisie- quasi parallel zum Leben eine permanente Re- rung her – doch mehr nach Homogenisierung flexion darüber, was wir mit einem Teil unserer und Assimilation klingt. Vielleicht ist es aber Zeit tun. Was hier tagtäglich an Daten produ- auch so, dass man sich nationale Identitäten ziert wird, könnte ohne Weiteres mehr als 80 durchaus gefahrlos leisten könnte, solange man Forscher mit einer Vielzahl von Aufgaben ver- auch andere Identitäten pflegte, regionale, su- sorgen. Das mag auch ein Grund dafür sein, pranationale, und solange man statt Integration dass das von Klaus Plake vorgelegte „Hand- ‚gute Nachbarschaft‘ zwischen Nationalitäten buch Fernsehforschung“ nicht in Zahlen ver- konzeptualisierte, seien sie durch äußere Gren- liebt ist, sondern eine Aufarbeitung der For- zen getrennt oder nur durch mentale im Innern schung präsentieren möchte, die er selbst als von Gesellschaften. fernsehspezifisch (S. 10) bezeichnet. Der Prak- Tanja Thomas hat gezeigt, wie man auch die tiker aus der Medienforschung wird daher eher zukünftigen Debatten im Fernsehen wird be- zu dem Ergebnis kommen, ein „Handbuch schreiben können. Fernsehtheorien“ in der Hand zu halten. Werner Holly Im Vorwort wird der Anspruch des Buches kurz skizziert. Der Hinweis, dass nicht alle wichtigen Arbeiten berücksichtigt werden können, überrascht in diesem Zusammenhang kaum. Er ist mehr als verständlich. Weiter heißt

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es dann: „Jeder, der bei seinen wissenschaftli- eine besonders ausführliche Thematisierung chen Recherchen eine breite Perspektive wählt, zukommt, zum Beispiel den fiktiven und Un- wird sich auf Strukturen beschränken müssen. terhaltungselementen im Bereich des Fernse- Für ein wissenschaftliches Lehrbuch ist ein hens oder auch der Rolle, die das Fernsehen für Vorgehen erforderlich, das den Zugang zu ei- die politische Kommunikation einnimmt. Auf nem Wissensgebiet erleichtert, das also Er- der anderen Seite werden aber gerade jene Be- kenntnis- und Wissensbestände nach eigenen reiche, die in der eingangs erwähnten Publika- Kriterien zusammenfasst, womit Lesbarkeit tion aus dem Jahr 1998 (Fernsehforschung in und Verständlichkeit sowie die Gewinnung ei- Deutschland, hrsg. von Walter Klingler, Gun- nes Überblicks im Vordergrund stehen sollten. nar Roters und Oliver Zöllner) eine große Rol- Der Selektionsmodus, der sich in dieser Re- le spielen, nur in Kapitel 7 explizit aufgegriffen. konstruktion der Fernsehforschung ausdrückt, Die Überschrift „Das Fernsehen und sein Pu- ist somit kein Bewertungsmodus.“ (S. 9) blikum“ lässt beispielsweise erwarten, dass den Diese eigenen Kriterien, von denen der Ver- Regelmäßigkeiten und Unregelmäßigkeiten fasser spricht, werden aber nicht wirklich ex- der Nutzung eines nach wie vor Leitmedium- pliziert. Man mag zwar nachvollziehen kön- Qualitäten aufweisenden Angebots besondere nen, dass der Verfasser auf Grund der von ihm Beachtung zukommt. Man denke an Sender- als notwendig erachteten Integration der histo- treue, Fluktuationen, Vererbungseffekte usw. rischen Perspektive mit einem Kapitel zur Ge- Die Auswahl der präsentierten Tabellen schichte des Fernsehens beginnt, aber zur Fern- wirkt beliebig. Die Fernsehdauer steigt nicht sehforschung gehört dies wohl nur im weiteren erst seit 1992, was der Kommentar zu Tab. 1 Sinne. Warum die Rechts- und Organisations- („Durchschnittliche Sehdauer pro Tag in grundlagen des Fernsehens im vorletzten Kapi- Deutschland 1992–2002“) auf S. 190 zumindest tel behandelt werden, und warum bspw. Fragen suggerieren könnte. Es wird viel präsentiert, der Medienökonomie so gut wie keine Rolle aber wenig systematisiert. Schließlich greift spielen, das alles erschließt sich nicht von selbst man zu einem Handbuch, um auch schnell ein- aus dem Aufbau des Buches. mal nachzuschlagen, was das Eine oder Andere Von einem Handbuch erwartet man zumin- bedeuten könnte. Insgesamt fehlt diesem dest die Nähe zu einer lexikalischen Aufberei- Handbuch daher: der eigenständige Zuschnitt, tung der Thematik. Die Kapitel, insgesamt die Handschrift des Autors und die Strukturie- zwölf, die in diesem Buch präsentiert werden, rung eines sehr komplexen und in manchen Be- scheinen keiner systematischen Reihung bzw. reichen unübersichtlich gewordenen For- Ordnung zu folgen. Zumindest wird auf der schungsfeldes nach transparenten Kriterien. ersten inhaltlichen Seite sofort von der geerde- Nur an einer Stelle ist die Absicht erkennbar, ten Sendeantenne von Marconi berichtet, ohne dass der Verfasser auf der Basis einer offen- dass man zuvor eine systematische Übersicht sichtlich selbst entwickelten Typologie ver- über die Konzeption und die vom Verfasser ja schiedene Formen der Wirklichkeitsdarstel- im Vorwort angesprochenen Strukturen erhält. lung im Fernsehen zu systematisieren versucht. Nach welchen Kriterien hier zusammengefasst Gemeint ist eine Typologie der Programme wird, muss somit vom Leser entdeckt werden. nach Wirklichkeitsbezug, die auf S. 94 präsen- Da das Kapitel zur Geschichte des Fernsehens tiert wird, deren Herleitung aber nicht expli- mit der Einführung des dualen Systems in ziert wird. Eingebettet wird diese Darstellung Deutschland endet, wäre es beispielsweise nahe in eine mittlerweile selbst sehr unübersichtlich liegend gewesen, den institutionengeschichtli- gewordene Diskussion über die Wirklichkeit chen Aspekt (vgl. S. 18) mit einer detaillierteren der Medien und Versuche ihrer konstruktivisti- Darstellung der Rechts- und Organisations- schen Aufklärung. Ob der Differenzierungs- grundlage zu ergänzen, die dann aber erst in vorschlag, der hier unterbreitet wird, Akzep- Kapitel 11 präsentiert wird. Da insgesamt aber tanz findet, wird sich zeigen. Im Rahmen seiner ein roter Faden nicht erkennbar ist, liegt die Theorie der Programme schlägt der Autor vor, Schlussfolgerung nahe, dass es sich im Falle die- zwischen Fiktion, Wiedergabe der Wirklich- ser zwölf Kapitel um mehr oder weniger abge- keit und Eigenwirklichkeit zu unterscheiden. schlossene Einzeldarstellungen handelt, die Fiktion meint dabei beispielsweise „[a]lle Sen- eher lose miteinander gekoppelt sind. Es fällt dungen und Programme, deren Inhalt im Hin- darüber hinaus auf, dass bestimmten Aspekten blick auf zentrale Elemente, zum Beispiel

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Schauplätze, Personen und Handlungen, er- rakteristika der Wirtschaftsberichterstattung funden, das heißt von Autoren und Programm- herauszuarbeiten, mögliche Einflusswege auf machern nach eigenem Gutdünken zusammen- wahlrelevante Vorstellungen nachzuvollziehen gestellt werden [...].“ (S. 93) Die Eigenwirklich- und vorhandene direkte und indirekte Medien- keit dagegen will zeigen, „was außerhalb des wirkungen zu identifizieren (vgl. 17). Um die- Fernsehens passiert, und zwar weder in der sem anspruchsvollen Forschungsvorhaben ge- Realität noch in der Narration. Es handelt sich recht zu werden, entwickelt der Autor auf Ba- um Sendungen mit Spiel- und Showcharakter.“ sis einer interdisziplinären Variablenidentifi- (ebenda) Über die Trennschärfe solcher Vor- zierung und Annäherung an das komplexe schläge wird gegebenenfalls noch zu diskutie- Thema (Kap. 2 bis 4) seine Untersuchungsan- ren sein. Es ist aber in diesem Gesamtrahmen lage (Kap. 5). der einzige erkennbare Eigenvorschlag zur Sys- Zunächst erhält der Leser einen Überblick tematisierung eines bestimmten Teilgebiets, über den Stand kommunikationswissenschaft- hier der Programmgattungsforschung, der sei- licher Forschung mit vergleichbarer Problem- tens des Autors des „Handbuchs Fernsehfor- stellung. Im Vordergrund stehen britische und schung“ vorgelegt wird. US-amerikanische Studien sowie eine deutsche Positiv hervorzuheben sind die am Ende je- Untersuchung von Wolfgang Donsbach (1999). des Kapitels vorgenommenen Zusammenfas- In einer kritischen Würdigung der vorgestell- sungen, die aber letztlich nicht die Struktur er- ten, durch „Heterogenität“ gekennzeichneten setzen können, die von einem Handbuch er- Konzepte (30) kommt der Verfasser zu dem wartet wird. Die kommentierten Literaturhin- Schluss, dass es sinnvoll sei, „die Wirtschafts- weise sind Teil einer solchen Konzeption. Es berichterstattung in einen allgemeineren Kon- sollte dennoch selbst entschieden werden, ob text der Wahlforschung zu stellen.“ (33) Zu die jeweils vorgeschlagenen Lektüreempfeh- diesem Zweck bezieht er zwei politikwissen- lungen eine sinnvolle Ergänzung des inhaltli- schaftliche Modelle des Wahlverhaltens in die chen Abschnitts sind. Es werden letztlich sehr Betrachtung mit ein: das „Economic-Voting- viele Informationen verarbeitet, aber zugleich Konzept“ und das „sozialpsychologische Mo- wird dadurch eine sehr weite Vorstellung einer dell des Wahlverhaltens“, womit zugleich eini- Handbuch-Konzeption realisiert. Für diese ge (medienexterne) Einflussfaktoren auf die Buchbesprechung ist daher letztlich der vom wahlrelevanten Vorstellungen der Bevölkerung Autor favorisierte Selektionsmodus doch ent- eingeführt werden. Zu nennen sind hierbei vor scheidend für den Bewertungsmodus gewesen. allem die „Parteiidentifikation“, die „Kandida- Michael Jäckel tenorientierung“, die „Problemlösungskompe- tenz der Parteien“ und die subjektive „Ein- schätzung der allgemeinen wirtschaftlichen Oliver Quiring Lage“. Im letzten Schritt, bei der Grundlegung seiner Untersuchungsanlage, nimmt der Ver- Wirtschaftsberichterstattung und Wahlen fasser mögliche Quellen für Wirtschaftsinfor- Konstanz: UVK, 2004. – 300 S. mationen unter die jetzt wieder kommunikati- ISBN 3-89669-437-5 onswissenschaftliche Lupe. Nach Diskussion der untereinander interagierenden Informati- Zugl. Erlangen-Nürnberg: Univ., Diss., 2003 onsquellen „persönliche Erfahrung“, „soziales „Die Wirtschaftsberichterstattung der Fern- Umfeld“ (interpersonale Kommunikation) und sehnachrichten hatte weitreichende politische „Massenmedien“, folgert er tendenziell, dass Folgen.“ So lautet eine der Schlussfolgerungen die Bevölkerung ihr Wissen zu wirtschaftlichen von Oliver Quiring in seiner empirisch fun- Belangen zunehmend und vorrangig aus den dierten Untersuchung von Einflüssen der Wirt- Massenmedien bezieht. Dabei genieße das schaftsberichterstattung der Medien auf die Fernsehen und hier wahrscheinlich vor allem Bundestagswahl 1998. Genau genommen ana- die Fernsehnachrichten eine Vorrangstellung lysiert er die „komplexen Interaktionen zwi- unter allen möglichen medialen Quellen für schen wirtschaftlichen Entwicklungen, der Wirtschaftsinformationen (vgl. 55ff.). Wirtschaftsberichterstattung der Medien und Auf Basis der vorangegangenen Variablen- wahlrelevanten Vorstellungen der Bevölke- identifizierung wird im fünften Kapitel eine rung“ (16). Sein Zentrales Anliegen dabei: Cha- komplexe Untersuchungsanlage entfaltet. Aus-

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gehend von der „realen wirtschaftlichen Ent- schaftsberichterstattung auf die wirtschaftli- wicklung“, über die „Medienberichterstattung chen (Kap. 7) und auf die politischen Vorstel- zu wirtschaftlichen Themen“ und die „Vorstel- lungen der Bevölkerung (Kap. 8) geprüft. Da- lungen zu einzelnen wirtschaftlichen Entwick- bei stellte sich heraus, dass die von den Fern- lungen“, bis hin zu den „Kandidatenpräferen- sehnachrichten vereinfacht und übertrieben ne- zen“ und der „wahrgenommenen Parteien- gativ dargestellten Aspekte deutliche Folgen kompetenz“ reiht der Verfasser eine Variablen- für die Vorstellung der Bevölkerung von der kette auf, bei der alle Einflusswege, direkt oder wirtschaftlichen Entwicklung hatten. Sie weck- indirekt auf die „Wahlpräferenzen der Bevöl- ten das Interesse an bestimmten Themen und kerung“ zulaufen (vgl. 60ff.). Die Datengrund- nahmen Einfluss darauf, wie problematisch lage zur Erfassung der Wirtschaftsberichter- und dringlich einzelne wirtschaftliche Aspekte stattung bildet eine von dem Institut „Medien wahrgenommen wurden. Ferner stellt der Ver- Tenor“ durchgeführte, kontinuierliche Inhalts- fasser fest, dass die Medien maßgeblich zur Po- analyse der Nachrichtsendungen von ARD litisierung ehemals rein wirtschaftlicher Vor- (Tagesthemen), ZDF (Heute Journal), RTL stellungen beigetragen haben und dass sie die (RTL Aktuell) und SAT.1 (SAT.1 18:30) zwi- Vorstellungen von den Kandidaten und von der schen den Jahren 1994 bis 1998. Die Bevölke- Kompetenz der Parteien beeinflussten – zwei rungsvorstellungen während des gleichen Zeit- Faktoren, die direkten Einfluss auf die Wahl- raums wurden mit den Daten aus einer konti- präferenzen haben. Vor allem habe die Bericht- nuierlichen, groß angelegten „Forsa“-Umfrage erstattung aber eine gewisse Perspektiv- erfasst. Und als Realindikatoren, mit deren Hil- losigkeit bei der Bevölkerung gefördert; die viel fe die realen wirtschaftlichen Entwicklungen zitierte „Politikverdrossenheit“. nachgezeichnet werden, dienen Indikatoren In der Schlussbetrachtung resümiert der aus dem Zeitreihenservice des Statistischen Verfasser, dass die Wirtschaftsberichterstat- Bundesamtes und der Deutschen Bundesbank. tung der Fernsehnachrichten für die politischen Das weitere Vorgehen ist unterteilt in vier Veränderungen nach 1998 „zumindest teilwei- Untersuchungsschritte, die – gemäß der ge- se verantwortlich waren“ (235) und bewertet wählten Analysestrategie – immer wieder zu- die oben skizzierten Ergebnisse noch einmal im einander in Beziehung gesetzt werden, wobei Zusammenhang. Bemerkenswert dabei: Die der jeweils zentrale Aspekt hinsichtlich seiner kritische Reflexion der Untersuchung sowie Abhängigkeit von allen vorher betrachteten der Gültigkeit und Aussagekraft ihrer Ergeb- Variablen kontrolliert wird. Im Fokus der ers- nisse – was gut zu der Sorgfalt und wissen- ten beiden Schritte steht die Berichterstattung schaftlichen Ernsthaftigkeit passt, die sich der Medien (Kap. 6). Nach Definition des Be- durch die gesamte Arbeit zieht. Wichtig ist in griffs der „Wirtschaftsberichterstattung“ als diesem Zusammenhang auch, dass Perspekti- „Themen mit direkt erkennbarem wirtschaftli- ven für mögliche Folgeuntersuchungen aufge- chen Bezug“ (70), werden die Daten der In- zeigt werden. Beispielhaft hierfür ist der inter- haltsanalyse ausgewertet. Es wird überprüft, essante Vorschlag anzuführen, Daten zu Per- wie die Wirtschaftsberichtserstattung im Un- sönlichkeitsmerkmalen und individuellem Me- tersuchungszeitraum beschaffen war und ob dienkonsum mit Inhaltsanalysedaten zu sie sich an wirtschaftlichen Realitätsindikato- verbinden, wodurch sich einzelne Einflüsse der ren orientierte oder eher medienimmanenten Berichterstattung „wesentlich exakter und dif- Eigenheiten folgte. Die zentralen Ergebnisse: ferenzierter bestimmen lassen könnten“ (242). Die untersuchten Nachrichtensendungen wei- Was fällt in der Arbeit sonst noch auf? teten ihr Angebot an Wirtschaftsinformatio- Zunächst einmal das der Untersuchung zu- nen deutlich aus, wobei das Thema „Arbeits- grunde liegende Mediensample, das vom Ver- losigkeit“ eindeutig dominierte (Häufigkeit: fasser selbst als relativ klein bewertet wird 38,5 %), gefolgt vom Thema „Wirtschafts- (242). Auch wenn der lange, lückenlose Erhe- wachstum“ (8,2 %). Ferner überwogen negati- bungszeitraum ebenso wie die Qualität des Da- ve, gleichförmige und vereinfachende Berichte, tenmaterials und der Umgang mit demselben die kaum mit den Realindikatoren überein- überzeugen: Vier Nachrichtensendungen sind stimmten. einfach zu wenig, um dem vielschichtigen Un- In den beiden abschließenden Untersu- tersuchungsgegenstand „Einflüsse der Wirt- chungsschritten wurden die Einflüsse der Wirt- schaftsberichterstattung der Medien auf wahl-

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relevante Vorstellungen“ gerecht werden zu schnitten Problematik, bei der sich z. B. eine können. Dafür erscheint allein schon die Men- systemtheoretische Herangehensweise anbie- ge möglicher Einflüsse anderer Medien als zu ten könnte, die eine zusammenhängende analy- groß. Dies umso mehr angesichts des steigen- tische Betrachtung sozial- und wirtschaftspoli- den Interesses immer größerer Bevölkerungs- tischer Rationalitäts- und Bewertungskriterien kreise an wirtschaftlichen Themen nach dem innerhalb des Gesellschaftssystems ermöglicht, und um den Börsengang der Telekom im Jahr den Rahmen der Untersuchung bei weitem ge- 1996, also mitten im Untersuchungszeitraum. sprengt. Vielleicht ist dies eine interessante Dass sich ‚ein Volk von Aktionären‘ bei der Su- Problemstellung für mögliche Folgeuntersu- che nach dem für Börsianer so wertvollen Gut chungen. Ob und wie die Ergebnisse derartiger, „Wirtschaftsinformation“ vorrangig auf Basis metatheoretischer Auseinandersetzungen dann der Informationsangebote der vier untersuch- aber auch praktikabel und empirisch operatio- ten Nachrichtensendungen ein Bild von der nalisierbar sind, steht auf einem anderen Blatt. wirtschaftlichen Lage machen soll, ist schwer Aufgrund der angeführten Bedenken er- vorstellbar, insbesondere, weil zu dieser Zeit scheint die Gültigkeit und Aussagekraft der Un- das Angebot an Wirtschaftsinformationen in tersuchungsergebnisse als eingeschränkt oder allen Mediengattungen boomte. Die Argumen- zumindest als hinterfragbar, was der Verfasser tation des Verfassers, die auf allgemeinen Me- nicht nur in seinen Schlussbetrachtungen, son- diennutzungsdaten aus unterschiedlichen Jah- dern an verschiedenen Stellen der Arbeit direkt ren beruht, erscheint in diesem wichtigen Kon- oder indirekt selbst einräumt (vgl. u. a. 63 f., 95, text nicht ausreichend – auch wenn die ange- 120). Der Wert der Untersuchung besteht dem- führten forschungsökonomischen Gründe gut nach vorrangig darin, dass sie eine Vielzahl von nachvollziehbar sind (vgl. 52 ff. und 65). erwähnten und unerwähnten Anknüpfungs- Auffallend ist auch das Thema „Arbeitslo- punkten für Folgeuntersuchungen aufzeigt – sigkeit“, angesichts dessen eindeutiger Domi- was m. E. ein wesentliches Kriterium für die nanz unter allen untersuchten Themen sich eine Qualität einer wissenschaftlichen Arbeit dar- Reihe von Fragen aufdrängt: Ist das Thema stellt. Darüber hinaus beinhaltet die pragmati- „Arbeitslosigkeit“ tatsächlich ein Thema „mit sche, interdisziplinär fundierte Untersuchungs- direkt erkennbarem wirtschaftlichen Bezug“ anlage, die vom Verfasser selbst zu unrecht als wie es der Verfasser unterstellt? Oder ist es ein „eher schwerfällig“ bezeichnet wird (241), eine Thema, das für Medien und Publikum eher so- Reihe von Anhaltspunkten und Ideen für em- zialpolitische als wirtschaftliche oder wirt- pirische und praxisorientierte Auseinanderset- schaftspolitische Relevanz besitzt? Und was ist, zungen mit komplexen kommunikationswis- wenn sich dieser Verdacht bestätigen würde? senschaftlichen Problemstellungen. Wären dann die in der Untersuchung konsta- Achim Janik tierten Effekte unter Umständen gar nicht auf die Wirtschaftsberichterstattung zurückzu- führen, sondern auf die Medienberichterstat- Daniel Süss tung zu sozialpolitischen Themen? Diese Fra- gen bleiben vom Verfasser leider undiskutiert, Mediensozialisation von Heranwachsenden was wahrscheinlich damit zusammenhängt, Dimensionen – Konstanten – Wandel dass es seiner Ansicht nach prinzipiell schwie- Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaf- rig ist, den Begriff der „Wirtschaftsberichter- ten, 2004. – 372 S. stattung“ aus Publikumssicht praktikabel zu bestimmen (69). So nachvollziehbar dieses Ar- ISBN 3-531-14190-2 gument auch sein mag: Den Einfluss der Wirt- Seit mehr als 25 Jahren beschäftigen sich Kom- schaftsberichterstattung auf die wahlrelevanten munikationswissenschaftler an der Universität Vorstellungen der Bevölkerung zu untersu- Zürich mit Mediensozialisation oder mit der chen, ohne dabei zu wissen, was von den ‚Vor- „Sozialisationsperspektive in der Medienwir- stellung-habenden Wählern‘ und den ‚Wirt- kungsforschung“, wie es Heinz Bonfadelli schaftsberichterstattungs-Machern‘ überhaupt 1981 in seiner Dissertation umschrieb, und als Wirtschaftsberichterstattung angesehen zwar sowohl theoretisch wie empirisch. Vor wird, verursacht einen bitteren Beigeschmack. Bonfadellis Dissertation hatten Ulrich Saxer Allerdings hätte eine Diskussion der hier ange- und seine Mitarbeiter bereits eine empirische

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Studie über „Die Massenmedien im Leben der damit Veränderungen in der Mediensozialisati- Kinder und Jugendlichen“ (1980) erarbeitet, on seit den 70er Jahren, aber auch Konstanten und 1988 gab Saxer einen fundierten Reader zur herausarbeiten, und dies auch in territorial ver- „Sozialisation durch Massenmedien“ als The- gleichender Hinsicht. Und da der Autor sich menheft von „Publizistik“ heraus (der in der auch als Medienpädagoge versteht, soll mit vorliegenden Publikation allerdings nicht auf- solch wissenschaftlicher Übersicht und Fun- geführt ist). Daher ist es in der Tradition und dierung das bis heute virulente „Spannungsfeld nur konsequent, wenn Daniel Süss, inzwischen zwischen aufwändigen empirischen Datener- Professor für Kommunikations- und Medien- hebungen der Publizistikwissenschaft und eher psychologie an der Hochschule für Angewand- theoretischen medienpädagogischen Essays“ te Psychologie Zürich in dieser seiner preisge- überwunden werden, um somit „Ressourcen krönten Zürich-Habilitationsschrift erneut den und Risiken im Medienalltag von Kindern und Stand der einschlägigen Mediensozialisations- Jugendlichen herauszuarbeiten“ (ebd.). Denn forschung aufarbeitet und zugleich neuere em- nach wie vor seien Einschätzungen zur Me- pirische Daten über die Mediennutzung von dienkindheit – so die einleitenden Bemerkun- Kindern und Jugendlichen und über die Bedeu- gen – von gegensätzlichen Positionen geprägt: tung der Medien für diese Publikumsgruppe von „normativen“, meist pessimistischen auf auswertet, die im Rahmen mehrerer For- der einen und kritisch-optimistischen oder gar schungsprojekte gewonnen wurden: und zwar euphorischen auf der anderen Seite. Und die zum einen in einem repräsentativen internatio- empirische Forschung sei zusätzlich von einem nal vergleichenden Survey in zwölf europäi- „fachlichen Grabenkampf“ zwischen den schen Ländern von 1997, der bereits publiziert ‚Quantis‘ und den ‚Qualis‘, also zwischen ist (Livingstone/Bovill 2001), und zum anderen quantitativer und qualitativer Vorgehensweise, in einigen eigens durchgeführten Fallstudien in gespalten (S. 21), vor allem wenn es um For- der Schweiz in den Jahren 1996 und 2002. Er- schungsmittel und andere Ressourcen gehe. Ob gänzend werden für die Schweiz noch ältere dieses Kontroverse heute noch akut ist, sei frei- Erhebungen sekundäranalytisch einbezogen, lich dahingestellt. so dass ein Vergleich von drei Generationen seit Weit reichend und aspektreich sind die Auf- den 1970er Jahren möglich wurde. arbeitungen der „theoretischen Grundlagen In der Tat ist dies ein umfangreiches und der Mediensozialisationsforschung“ im 2. Ka- dichtes Datenmaterial, das hier zusammenge- pitel, die von psychologischen und pädagogi- führt, in vielen Tabellen aufgeführt und ver- schen über soziologische bis hin zu kommuni- gleichend interpretiert wird, wenngleich sich kations- und medienwissenschaftlichen Theo- die meisten Aussagen auf die Daten von 1997 rien und Konzepte reichen. Sie zeigen, wie beziehen, damit nicht immer mehr ganz aktuell umfangreich und vielschichtig mittlerweile So- sind, und auch wenn der Autor andere euro- zialisationsforschung anzulegen ist, selbst päische Länder sowie die USA jeweils am Ende wenn sie dann nicht alle in die eigentliche Fra- eines Kapitels exemplarisch berücksichtigt, ste- gestellung integriert werden können. Denn un- hen die Verhältnisse in der Schweiz im Vorder- erwartet eng formuliert der Autor die beiden – grund (die allerdings – wie der Autor am Ende aus seiner Sicht – „Grundfragen der Medienso- einräumt – nicht genügend für die regionalen zialisationsforschung“ (S. 65ff), nämlich dahin- Unterschiede und andere distinktiven Varia- gehend, wie zum einen Menschen lernen, mit blen differenziert werden können). Doch zu- Medien umzugehen, und welche Formen des mal für einen einzelnen Wissenschaftler sind ir- Umgangs sich unterscheiden lassen, was als gendwo die Grenzen der Datenübersicht und Medienkompetenzen bezeichnet wird, und wie -verarbeitung erreicht. zum anderen Medien die allgemeinen Sozialisa- „Zu welchen Dimensionen der Medienso- tionsprozesse verändern und ob dies entwick- zialisation gesicherte Befunde vorliegen und lungsfördernde oder -gefährdende Verände- wo diese fehlen und welche theoretischen Kon- rungen sind, was als Medieneffekte bezeichnet zepte die Befunde zu einem kohärenten Ge- wird. samtbild zu verknüpfen imstande sind“ (S. 22) Doch mit diesen beiden Fragen scheint der – diese Fragen zusammenzuführen, dafür be- theoretische Horizont der Sozialisationsfor- sagte empirische Erhebungen aufzubereiten, ist schung nicht hinreichend ausgemessen, viel- das übergreifende Ziel dieser Arbeit. Sie will mehr wird sie mit der ersten Frage auf funktio-

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nales Lernen verkürzt , allein schon der Begriff titätsgrenzen als Risiken sowie Erwerb von der Medienkompetenz ist weiter gefasst, als der Wissen und Können in der sozialen Umwelt, Medienumgang einschließt. Außerdem ist Me- persönliches Zeitmanagement, Medienaneig- diensozialisation als Begriff und Theorie – nung als sozial verortete Selbstgestaltung und übrigens schon vor der Medienkompetenz – Medienkompetenz als gesellschaftliche Hand- eingeführt worden, um mehr und anderes zu lungsfähigkeit, recht vage und beliebig, wird je- umfassen als nur Medienwirkungen bzw. kau- denfalls nicht theoretisch verortet. sale Effekte der Medien auf Sozialisation. Viel- Immerhin zeigt der Autor für seine empiri- mehr lässt sich Mediensozialisation, gewiss in schen Studien an, wie sie weitergeführt und dif- Zusammenhängen mit anderen primären und ferenziert werden könnten: nämlich hinsicht- sekundären Sozialisationsfaktoren, als be- lich weiterer Altersphasen – von der jüngsten grenzt spezielles, gleichwohl infolge der Omni- Kindheit bis zum höheren Alter (wozu es auch präsenz und inhaltlichen Universalität der Me- schon Studien hier zu Lande gibt), hinsichtlich dien tendenziell universales Sozialisationssys- der verstärkten Beachtung reziproker Soziali- tem begreifen, das zum einen in alle anderen sationsprozesse (wozu aber wieder nicht die Sozialisationsprozesse hineinwirkt und diese Medien, sondern nur Personen gerechnet wer- potenziell verändert, zum anderen aber auch den), anderer Gesellschaftsformen, Medienver- vom aktiven, realitätsverarbeitenden Subjekt zichtsformen sowie anderer verschiedenen konstituiert, mindestens beobachtet und re- Versionen der Medienkompetenz. Dazu ange- konstruiert wird. Es bedarf mithin komplexer, regt hat ihn gewiss die Auswertung der ge- vielschichtiger und reflexiver Theorieansätze, nannten empirischen Daten, die in ihrer ge- um diese Zusammenhänge analytisch zu erfas- wählten eher deskriptiven Qualität vorzugs- sen. Dazu sind etliche Entwürfe von Kommu- weise homogene Befunde erbracht haben, auch nikationswissenschaftlern, aber auch von Ver- im Ländervergleich, weshalb die Frage nach der tretern anderer Disziplinen vorgelegt worden, Schärfung der analytischen Instrumente sicher- die im Lichte neuerer Erkenntnisse und Befun- lich berechtigt ist. Vor allem wären Längs- de überprüft werden müssten. Daniel Süss fügt schnitt- und Generationenvergleich fortzu- hingegen in seiner synoptischen „Theorie der führen und zu differenzieren, um endlich vali- Mediensozialisation“ die Dimensionen unter de, längerfristige Anhaltspunkte über Anteile, den Überschriften „Risiken“ und „Ressour- Funktionen und Effekte von Mediensozialisa- cen“ eher deskriptiv und additiv zusammen tion zu bekommen. Die Zürcher Kommunika- und unterteilt sie zudem in präkommunikative tionsforschung ist dafür gewiss weiterhin ein (Medienzugang und Medienangebote), kom- wichtiger und kompetenter Promotor. munikative (Mediennutzung und -aneignung) Hans-Dieter Kübler und postkommunikative (Medienkompetenz und -effekte) Variablen. Gewissermaßen ist da- mit der einzelne Rezeptionsprozess anvisiert; Jan Lublinski das kontinuierliche, auch diffuse Mediengefü- ge, in das heute Menschen hineinwachsen und Wissenschaftsjournalismus im Hörfunk das sie sich jeweils individuell aneignen, be- Redaktionsorganisation und Thematisierungs- kommt er so indes analytisch nicht hinreichend prozesse in den Griff. Konstanz: UVK, 2004. – 381 S. Am Ende dieses Mediensozialisationspro- zesses stehe „die erarbeitete Identität des So- (Reihe: Forschungsfeld Kommunikation; 18) zialisanden, welche durch seinen Medienalltag ISBN 3-89669-441-3 mitgeformt und laufend weiterentwickelt wur- Wissenschaftliche und technologische Erkennt- de“ (S. 277). Doch welche substanziellen Qua- nisse schaffen Fakten, die wesentliche Auswir- litäten und welche inhaltlichen Dimensionen kungen auf das Leben und Zusammenleben der diese Identität hat – die ja in der eingangs er- Menschen nehmen können – Wissenschaft und wähnten medienkritischen Literatur vielfältig Technik sind daher „allgegenwärtig“ und haben apostrophiert wird – bleibt trotz der angerisse- „geballte Macht“. Diese Macht wird u. a. durch nen Kategorien, wie Konsum- und Konfor- den Journalismus kontrolliert, insbesondere in mitätsdruck, fremdbestimmte Zeit, Verzerrung speziellen Wissenschaftsredaktionen, die als im Selbst- und Weltbild, Auflösung der Iden- Strukturen des journalistischen Systems gezielt

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und kontinuierlich der „Beobachtung von Wis- linski einem Thema, das in der Journalismusfor- senschaft und Technik“ dienen. Ausgehend von schung seit langem die Theoriediskussion prägt, dieser These (S. 13) befasst sich Jan Lublinski in aber nur selten empirisch adäquat untersucht seiner Dissertation mit der zentralen Frage: wird. Durch die Kombination von teilnehmen- „Wie organisieren Wissenschaftsredaktionen der Beobachtung, Leitfadeninterviews und Do- ihre aktuelle Berichterstattung?“ (S. 14) Dazu kumentenanalysen kann Lublinski das Zusam- untersucht er die Redaktionsorganisation und menwirken von Strukturen und Entscheidungen Thematisierungsprozesse dreier Wissenschafts- im Einzelnen detailliert beschreiben. redaktionen im öffentlich-rechtlichen Hörfunk Allerdings schöpft der Autor das Potenzial mittels teilnehmender Beobachtung, Leitfa- seiner Studie nicht aus, was zum einen an un- deninterviews und Dokumentenanalysen. präzisen begrifflichen und theoretischen Vorar- Zunächst knüpft Jan Lublinski seine Unter- beiten, zum anderen an einer unvollständigen suchung an den aktuellen Stand der wissen- und unsystematischen Darstellung der Analyse schaftsjournalistischen Forschung an. In enger liegt. Beispielsweise verwendet Lublinski in An- Anlehnung an die Dissertation von Matthias lehnung an Kohring (1997) eine systemtheore- Kohring (1997) zur „Funktion des Wissen- tische Journalismus-Definition (ohne alternati- schaftsjournalismus“ positioniert er Wissen- ve Entwürfe oder theoretische Perspektiven zu schaftsjournalismus als Teil des journalisti- diskutieren) und führt den Begriff der Pro- schen Gesamtsystems, der nach den allgemei- gramme ein, doch er nutzt die einschlägigen Sys- nen Routinen und Programmen des Journalis- tematisierungsangebote der systemtheoretisch mus funktioniert und nicht primär darauf orientierten Journalismusforschung und ihrer abzielt, Wissenschaft und Technik zu legiti- Begrifflichkeiten im Weiteren nicht. Vielmehr mieren oder zu popularisieren (Kapitel 2). Fol- addiert er Begriffe und Befunde ausschließlich gerichtig sind Lublinskis weitere Ausführun- von Studien, „die sich der Methode der teilneh- gen zum Entscheidungshandeln in Redaktio- menden Beobachtung bedient haben“ (S. 38), er- nen (Kapitel 3), zum Wandel von Organisati- läutert die Kräfte organisatorischen Struktur- onsstrukturen (Kapitel 4) und zur wandels nach Henry Mintzberg (1979), benennt redaktionellen Nachrichtenkonstruktion (Ka- „Pigeonholing“ als „strukturierende[n] Kern- pitel 5) nicht speziell auf den Wissenschafts- vorgang des Journalismus“ (S. 75) und reiht ver- journalismus bezogen, sondern skizzieren ver- schiedene Erklärungs- und Bewertungsmuster schiedene Befunde der allgemeinen Journalis- zur journalistischen Nachrichtenkonstruktion musforschung. Konsequent begründet er auch aneinander, ohne explizit Bezug zu den jeweils die Wahl seiner Analysemethoden damit, re- vorangegangenen Begriffen und Systematisie- daktionelle Entscheidungsstrukturen in einem rungen herzustellen. Dies wäre ohne Weiteres explorativen Verfahren nachvollziehen zu möglich, denn gerade die Systemtheorie bzw. wollen, anstatt sie „mit fremden Maßstäben zu ihre auch von Lublinski erwähnten handlungs- messen“ (S. 35). theoretischen Modifikationen bieten in Bezug Als Ergebnis seiner Untersuchungen präsen- auf Organisationsstrukturen und Entschei- tiert Lublinski erstens einen Überblick über die dungsprozesse weit reichende Anschlussmög- historische Entwicklung der Organisations- lichkeiten und Erklärungspotenzial. Durch die strukturen und die sich wandelnden Themati- unpräzise Theoriearbeit entstehen jedoch be- sierungsstrategien von Wissenschaftsredaktio- griffliche und argumentative Unschärfen, die nen im öffentlich-rechtlichen Hörfunk (Kapi- dann auch eine übergeordnete Einordnung und tel 8 und 9); zweitens beschreibt und vergleicht Bewertung der im Einzelnen interessanten Stu- er die Redaktionskonzepte, die Redaktionsor- dienergebnisse beeinträchtigen. ganisation sowie die Thematisierungsprozesse Zudem legt Jan Lublinski sein empirisches in den drei beobachteten Hörfunkredaktionen Vorgehen nur unzureichend offen. Weder wird (Kapitel 10 bis 14); drittens evaluiert er das Ent- die Auswahl der untersuchten Redaktionen scheidungshandeln dieser Redaktionen zur Ri- plausibel begründet, noch wird expliziert, wel- sikoberichterstattung am Beispiel der BSE-Kri- che Dokumente ausgewertet und welche Per- se (Kapitel 15). sonen wozu befragt werden – zum Beispiel tau- Mit der Frage nach dem Zusammenhang von chen im Text einmal „Interviews mit Politikre- Organisationsstrukturen und journalistischem dakteuren“ (S. 100) auf, von denen weder vor- Entscheidungshandeln widmet sich Jan Lub- her noch später wieder die Rede ist. Auch eine

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Dokumentation des Beobachtungsschemas, und ist doch nicht einer bestimmten Denk- des Interviewleitfadens und des Auswertungs- schule oder einem einzigen Ansatz verpflichtet, prozederes fehlt. sondern entfaltet ein breites Spektrum an An- Durch die mangelnde Transparenz der sätzen, theoretischen Denkrichtungen, For- Datenerhebung sowie die unklare Definition schungsbefunden und methodischen Vorge- von Begriffen und ihren Beziehungen zueinan- hensweisen in einem Band. der verschenkt Jan Lublinski insgesamt die Soweit das Gesamtbild, nun zum inhaltli- Chance, seine Befunde systematisch in die Re- chen Aufbau. Das Handbuch ist in sechs daktionsforschung einzuordnen und dadurch Hauptkapitel gegliedert. Nach einer Einleitung Erklärungsangebote zu machen, die über die stellt die Fachgeschichte das erste Hauptkapitel untersuchten Einzelfälle hinaus weisen. Das dar, beginnend bei der antiken Rhetorik über können auch die prägnante Zusammenfassung die Dogmatik und Aufklärung im 17. und 18. und die praxisrelevanten Schlussfolgerungen Jahrhundert zu den eigentlichen Anfängen der im Fazit nicht grundsätzlich ändern. Zeitungskunde und Zeitungswissenschaft im Maja Malik 19. Jahrhundert. Auch auf die Geschichte des Faches im Nationalsozialismus wird eingegan- gen. Danach sein Neubeginn nach 1945, die Heinz Pürer Entwicklung von der Publizistik- zur Kommu- nikationswissenschaft und in kurzen Abschnit- Publizistik- und Kommunikationswissen- ten zur Ausdifferenzierung des Faches durch schaft Einrichtung der Journalistik, zur Entwicklung Ein Handbuch in den neuen deutschen Bundesländern und zur (unter Mitarbeit von Helena Bilandzic, Frie- gegenwärtigen Lage des Faches. derike Koschel, Johannes Raabe, Rudi Renger, Das dritte Kapitel konzentriert sich auf drei Stefan Schirmer und Susanne Wolf) Grundbegriffe: Kommunikation, Massenkom- munikation und Computervermittelte Kom- München: UVK 2003. – 597 S. munikation. Vor allem letzterer Abschnitt ISBN 3-3-8252-8249-x greift auf verdienstvolle Weise die neueren Ent- Die Geschichte dieses Buches und seiner Vor- wicklungen auf. In diesem Kapitel hätte man gänger ist auch ein Lehrstück zur Geschichte sich allerdings noch Ausführungen zu weiteren des Faches. 1978 veröffentlichte Heinz Pürer Basisbegriffen gewünscht, wie Medium oder ein schmales Buch unter dem Titel „Ein- Öffentlichkeit. führung in die Publizistikwissenschaft“, das Das vierte und umfangreichste Kapitel be- seinerseits aus Vorlesungen in Zusammenarbeit faßt sich mit „Zentralen Forschungsfelder der mit Günter Kieslich an der Universität Salz- Kommunikationswissenschaft“. Hier werden burg hervorgegangen war. Es erschien in meh- die Gebiete Komunikator-/Journalismusfor- reren Auflagen und blieb bis in die 1980er Jah- schung, Medieninhalts-/Medienaussagenfor- re hinein das einzige Einführungsbuch des Fa- schung, Medienforschung und Rezipientenfor- ches. Es bot, wie Pürer selbst im Rückblick schung ausführlich behandelt. Um hier nur ein sagt, ein Grundgerüst und einen Einblick ins Beispiel herauszugreifen, das nicht untypisch Fach und sollte einen Einstieg in vertiefende ist für die Melange aus systematischen und ak- Lektüre ermöglichen. Rund 25 Jahre später, im tuellen Bezügen des Buches: Im Teilkapitel zur Erscheinungsjahr 2003, ist aus dem ehemals Kommunikator-/Journalismusforschung wird schmalen Bändchen ein Wälzer mit 577 Text- die Berufsgeschichte des Journalismus darge- seiten hervorgegangen, der das Fach Publizis- stellt, dann die Beziehung zwischen journalisti- tik- und Kommunikationswissenschaft mit sei- schem Handeln und Medieninhalten, dann nen vielfältigen Fragen und Befunden umfas- werden unter der Überschrift „Neue Themen“ send und multiperspektivisch darstellt. die Aspekte Qualität im Journalismus, Redak- Im Unterschied zu anderen Einführungs- tionelles Marketing, Ethik, Online-Journalis- büchern ist dieses im Wesentlichen von einem mus, Populärer Journalismus und Entgrenzun- einzigen Autor geschrieben (wenngleich einige gen des Journalismus behandelt; schließlich Kapitel ganz von anderen Autorinnen und Au- rundet ein ausführlicher Abschnitt über Sys- toren stammen oder in Zusammenarbeit mit ih- temtheoretische Journalismusforschung dieses nen entstanden) und insofern aus einem Guss; Teilkapitel ab.

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Das fünfte Kapitel hat „Kommunikations- und Befunden des Faches zu bieten, verbunden wissenschaft als interdisziplinäre Sozialwissen- mit Gründlichkeit und unabhängigem Sachver- schaft“ zur Überschrift. Hier geht es um poli- stand bei der Darstellung der vielfältigen Be- tologische, (sozial-)psychologische und sozio- funde. logische Aspekte der Kommunikationswissen- Irene Neverla schaft. Unter politologischen Aspekten werden Kommunikations- und Medienpolitik, Kom- munikationsgrundrechte, Organisationsfor- Régis Debray men der Massenmedien und ihre Funktionen behandelt. Unter (sozial-)psychologischen Einführung in die Mediologie Aspekten finden Ansätze der Wirkungsfor- Aus dem Französischen von Susanne Lötscher schung wie Einstellungsforschung, Persuasi- Bern: Haupt, 2003. – 256 S. onsforschung und konsistenztheoretische An- sätze Berücksichtigung. Bei den soziologischen (Facetten der Medienkultur; 3) Aspekten geht es um das breite Feld der Sozia- ISBN 3-258-06577-2 lisation durch Massenkommunikation – von zugl. Introduction à la Médiologie. Paris, Kindern und Fernsehen über politische Sozia- Presses Universitaires de 2000 lisation bis hin zur Gewaltforschung – sowie um Theorie und Forschungspraxis der Cultural Wenn auf dem deutschen Sachbuchmarkt ein Studies. Buch mit dem Titel ‚Einführung in die Medio- Im abschließenden sechsten Kapitel werden logie‘ auftaucht, dann ist die erste (vielleicht „Empirische Forschungstechniken der Kom- skeptische) Frage, ob es sich schon wieder um munikationswissenschaft“ erläutert: Befra- eine der vielen ‚Einführungen in die Medien- gung, Inhaltsanalyse, Beobachtung und Expe- wissenschaft‘ handelt, die derzeit den Medien- riment. Auch dies ein schöner Überblick zum Boom an den deutschen Hochschulen beglei- Einstieg oder als Repetitorium zu Methoden- ten. Die Antwort, die falsche Erwartungen ent- fragen. Der Anhang enthält neben einem Ab- täuschen könnte, lautet: nein, es handelt sich bildungsverzeichnis vor allem auch Personen- um eben das, was der Titel verspricht, eine Dar- und Sachregister. stellung dessen, was seit den 1990er Jahren in Resümee: Dieses Handbuch ist kundig auf- Frankreich Mediologie heißt und eng mit der gebaut, flüssig zu lesen und bietet reichhaltige Person Régis Debrays verbunden ist, inzwi- Literaturhinweise. Es empfiehlt sich für schen eine Reihe von prominenten wissen- Zwecke der Studierenden – sei es zu Beginn des schaftlichen Parteigängern um eine Zeitschrift Studiums, sei es in der abschließenden Ex- ‚Cahiers de la Médiologie‘ versammelt und mit amensphase als Auffrischung – und als Nach- einer Reihe von Publikationen (Champ médio- schlagewerk für Lehrende. Dieses Handbuch logique, Ed. Odile Jacob) in Frankreich zuneh- ist ein Lesebuch für Lektürezwecke. Wer sich mend an Einfluss gewinnt. mit einem Buch in der Hand auf eine Tour An deutschen Hochschulen, wo die Diszi- d‘horizon durch das gesamte Fach begeben plinierung der Medienwissenschaft noch im- will, liegt hier richtig. Wer hingegen den mer genug Schwierigkeiten macht (was man schnellstmöglichen Überblick sucht, kompakte den diversen ‚Einführungen‘ auch ansieht), Zusammenfassungen, optisch durchgegliedert, wird es die Mediologie nicht einfach haben, sich sollte sich anderer Einführungsbücher bedie- zusätzlich Gehör zu verschaffen, zumal ihre nen. Pürers didaktischer Aufbau ist schlicht, Grundhaltung der ‚bricolage‘ dem hiesigen Be- aber bewährt. Er orientiert sich fast durchge- dürfnis nach Eindeutigkeit und begrifflicher hend an der Gliederung der Forschungsgebiete Strenge eher entgegensteht. Also, was heißt entlang der alten Lasswell-Formel. Dieses Vor- Mediologie, worin führt diese ‚Einführung‘ gehen mag manchen Fragestellungen und jüng- (nicht) ein? Man wird z. B. vergeblich nach sten theoretischen Entwicklungen nicht Genü- Hinweisen auf eine Geschichte der gegenständ- ge tun, auch wird hier nicht theoretisches Neu- lichen oder institutionellen Medien suchen, land betreten. Aber dies beansprucht das Buch etwa der Fotografie, des Films, des Fernsehens wohl auch nicht. Seine Stärken sind vielmehr, usw. Statt dessen ist Régis Debray daran inter- brauchbare Ordnungssysteme zu schaffen, essiert, vor allem kulturelle Entwicklungen zu Übersichtlichkeit in der Fülle von Perspektiven untersuchen, die von Anfang an in der Mensch-

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heitsgeschichte eine bedeutende Rolle gespielt zung mit benachbarten Disziplinen und Auto- haben und die auf spezifische Formen der ren ein, die mehr oder weniger explizit Ideen zu ‚Übermittlung‘ oder Mediation, wie er es diesem mediologischen Patchwork beigesteu- nennt, zurückzuführen sind. Um das, was zwi- ert haben oder gegen die sich die Mediologie schen den Menschen und ihrer (Um-)Welt ver- profiliert. Es ist natürlich die französische Per- mittelt, geht es, und das ist mehr, als mit dem spektive, die schon im ‚label‘ Mediologie Erin- soziologischen Kommunikationsbegriff be- nerungen an die Pariser Filmologie der 1950er schrieben werden kann. Das sind Techniken, Jahre weckt. Der damalige Versuch einer inter- die auch unsere symbolische Welt geformt ha- disziplinären Medienwissenschaft des Films ben, als Medien jedoch hinter ihrem Effekt ver- könnte sich durchaus in der Mediologie unter borgen geblieben sind, um nur bei Störungen in verändertem kulturellen ‚Milieu‘ mit anderen Erscheinung zu treten. Die Kunst ist ein Be- Mediosphären fortsetzen. Analysen kultureller reich, in dem diese Vermittlung selbst am ehes- Entwicklungen (das Telefon hat die Reisetätig- ten Thema wird, weil hier die Technik in der keit nicht vermindert, sondern die Menschen Kultur auf eine Weise aufgehoben ist, dass ihr erst per Handy mobil gemacht) gemahnen mit- Verschwinden (zum Beispiel der Kinematogra- unter an die überraschenden Paradoxien Ivan phie im Realitätseffekt des Films) wiederum re- Illichs; Roland Barthes‘ Kultur-Semiologie flexiv sichtbar werden kann; in diesem Sinne, steht ebenso (kritisch) Pate wie das ‚Archiv‘ könnte man sagen, kann die Kunst ihrerseits als Foucaults; Bourdieus Soziologie des ‚Habitus‘ Störung in einer medienvergessenen Kultur wird ebenso diskutiert wie Debray Freude hat funktionieren. an den ‚Engeln‘ der Kommunikation als Figu- Mediologie wird als eine Methode verstan- ren des Dritten bei Michel Serres, mit dem (wie den, Kultur als ein Prozess vielfältiger Vermitt- mit Bruno Latour) ihn auch intellektuelle Hal- lungen zu analysieren und Medien an ihrem tung, diskursiver Stil und wissenschaftsge- ‚Platz‘, den sie in den dispositiven Strukturen schichtliches Interesse verbinden. kultureller Vermittlungen einnehmen, zu be- Schließlich, wer ist Régis Debray? In den schreiben. Es ist unmöglich, bestimmte Er- 1960er Jahren machte er als Journalist von sich scheinungen vergangener oder gegenwärtiger reden, als er sich gemeinsam mit Che Guevara kultureller Formen aus nur einer einzigen Per- und Fidel Castro in der südamerikanischen spektive zu sehen, immer handelt es sich um Guerillabewegung engagierte, was ihm drei Wechselwirkungen (ein Begriff, der prominent Jahre Gefängnis in Bolivien einbrachte. Als bei Georg Simmel vorkommt), die eher im Schriftsteller hat er in Europa wieder Fuß ge- Rückblick auf ihre Ursachen verständlich wer- fasst, um nun mit der von ihm begründeten Me- den (wenn zum Beispiel nicht Christus das diologie unsere Wirklichkeit als Prozess wech- Christentum, sondern das Christentum erst selseitiger Einflüsse kultureller Milieus und ih- Christus ‚gemacht‘ haben). Die Zwischenräu- rer Mediosphären zu beschreiben. Die Frage me zwischen den Menschen, den Dingen und könnte lauten, nicht, was unsere akademische ihre Vermittlungen ‚ereignen‘ sich in Milieus, Medienwissenschaft von der Mediologie unter- denen die Mediensphären in ihren verschiede- scheidet, sondern was sie zur viel komplexer nen historisch-technischen Konstellationen angelegten Mediologie künftig beitragen kann. zugeordnet sind: Logo-, Grafo-, Video- und Joachim Paech Hypersphäre markieren die Abfolge mündli- cher, schriftlich/bildlicher, bewegtbildlicher und elektronischer Transportmittel symboli- Jeannine Simon scher Übermittlungen. Und Kultur wird durchaus ambivalent gesehen als Sphäre der Wirkungen von Daily Soaps auf Jugendliche Differenzierung und Divergenz gegenüber der- München: Fischer, 2004. – 283 S. jenigen der (Medien-)Technik, die global im- (Reihe: Angewandte Medienforschung; 30) mer mehr zur (entropischen?) Vereinheitli- chung tendiert und doch dazu dient, auch loka- ISBN 3-88927-352-1 le kulturelle Unterschiede (negentropisch) zum Zugl.: Berlin, Univ., Diss., 2004 Ausdruck zu bringen. Medien unterschiedlicher Couleur können zur Einen erheblichen Raum in dieser ‚Ein- Entwicklung junger Menschen beitragen; sie führung‘ nimmt die kritische Auseinanderset- dienen, wie zahlreiche Studien zeigen, Heran-

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wachsenden als Symbolmaterial zur Selbstaus- Heranwachsende in der Statuspassage Jugend einandersetzung, zur Reflexion des eigenen selbst – in ihren Themen sowie Handlungs- Standorts sowie zur Partizipation an der und Ausdrucksweisen der Expressivität, Inti- (Um-)Welt. Jugendliche sind im Prozess der mität und vor allem Intensität, die sich auch Identitätskonstruktion mit einer Vielzahl von stark in körperbezogenen Ausdrucksweisen unterschiedlichen situativen Gegebenheiten äußert, verschrieben. konfrontiert, in denen sie ihre Handlungskom- Im Bewusstsein um die Eigenheiten des petenz immer wieder neu unter Beweis stellen Genres Daily Soaps bietet dieses Angebot Ju- müssen. Das Konzept der Entwicklungsaufga- gendlichen also Erzählungen, die im weiteren ben umreißt für bestimmte Abschnitte des Le- Sinne etwas mit dem Leben zu tun haben und bens zentrale Aufgaben, die zur Bewältigung damit über einen tieferen Realitätsgehalt verfü- anstehen, wie etwa die Errichtung der Ge- gen. Daily Soaps sind aber auch Produkte, die schlechtsidentität. Sie gilt insbesondere in der unter Marktbedingungen produziert werden Pubertät als die zentrale Entwicklungsaufgabe. mit dem Blick auf und für ein Publikum oder Fernsehangebote wie Daily Talks, Daily mehrere Publika mit bestimmten sozialen Ei- Soaps und die neuen Real Life Soaps sind ge- genschaften. Sie sind deutlich kommerziell ge- kennzeichnet von der Möglichkeit für das Pu- prägt und werden mittlerweile crossmedial ver- blikum, emotional Anteil zu nehmen, mitzuer- marktet. leben, mitzufiebern, sich selbst zu dem Gesag- Geht es nun um Angebote, die Jugendliche ten bzw. Gezeigten in Beziehung zu setzen, favorisieren, dann stellen sich zumeist auch entweder durch Zustimmung oder Abgren- Fragen nach ihren Wirkungen, oft geprägt von zung. Sie dienen jungen Menschen damit als der Sorge um eine Form der Beeinflussung, die unmittelbare Vergleichsfolie: ‚So bin ich, so bin andere Sozialisationsagenten wie Eltern und ich nicht‘; damit ermöglichen sie eine lustorien- Lehrer in Frage stellen könnten oder diese gar tierte, unangeleitete Bespiegelung des Selbst. überflüssig zu machen drohen. Das Genre Sie bieten – quasi als ein ‚Expertensystem‘ in Daily Soap jedoch wurde, obwohl es seit Jahren Bezug auf Zusammenleben, Liebe und Freund- zu den beliebtesten Genres bei jungen Men- schaftsbeziehungen sowie für das Spannungs- schen zählt, erstaunlich selten beforscht – eine feld Freizeit und Beruf – Figuren, Foren und Tatsache, die die Autorin Jeannine Simon her- Modellvorstellungen zur Aneignung, aber auch ausgefordert hat, dazu eine Dissertation zu ver- zur Ablehnung unterschiedlicher Lebenswei- fassen: Ihr Ziel war, es „die Wirkungen von sen und -stile an. Daily Soaps auf Jugendliche grundlegend zu er- Insbesondere Soaps bilden in ihren Themen forschen“ (S. 1). Dem Uses-and Gratifications- ein Netz von verschiedenen, sich überschaubar Approach folgend stehen in ihrer Arbeit die be- formierenden Handlungs- und Figurenkon- dürfnisbefriedigenden Wirkungen von Daily stellationen, die durch eine partielle Identität Soaps im Zentrum. Dazu wählt die Autorin von Personen, Orten und Inhalten gekenn- zwei Wege: Zum einen geht es ihr um das Er- zeichnet werden; diese können für junge Men- fassen des Zusammenhangs von sozio-demo- schen vor dem Hintergrund von Individualisie- graphischen Variablen im Kontext der Einflüs- rung, Pluralisierung und Entstrukturierung se von Daily Soaps, zum anderen darum, ein eine stützende Funktion gewinnen. Sie bringen Kausalmodell zu entwickeln, das in der Lage als überschaubares, den Alltag strukturierendes ist, den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang im Serienangebot, zu dessen Figuren junge Men- komplexen System abzubilden und zentrale schen mit der Zeit eine parasoziale Beziehung Wirkungsphänomene wie Involvement, Be- eingehen können, subjektiv Ordnung und dürfnisweckung und Konsum quantitativ zu Übersichtlichkeit in das ständig Verwirrung messen. Diese bisher in der Forschung zu Daily stiftende Chaos moderner Lebens- und Erleb- Soaps nicht berücksichtigten Wirkungsmo- nisweisen. Soap-Welten, in denen sich – wie bei mente seien sowohl aus medienpädagogischer den jugendlichen Rezipienten selbst – ‚Iden- Sicht als auch aus der Perspektive der werbe- titätsfindung‘ der Protagonisten in der Ausprä- treibenden Wirtschaft und der Anbieter von gung eines ‚gemeinsamen Lebensstiles‘ voll- Daily Soaps von hohem Interesse – ein Drei- zieht, können zur Orientierungshilfe in der Re- klang, dies ließe sich kritisch anmerken, sehr duzierung von ‚Unübersichtlichkeit‘ avancie- unterschiedlicher Töne. ren. Sie sind darüber hinaus – wie In ihrer Arbeit nun erweist sich Jeannine Si-

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mon ganz bei der Sache: Ihre Publikation ist im über die Figuren und kann den physischen Al- Wesentlichen eine Dissertation, die vor allem terungsprozess der Darsteller verfolgen“ formal-wissenschaftlichen Ansprüchen Genü- (S. 229). Auf diese Weise kann er ein Gefühl der ge tun will, der es jedoch zuweilen am Mut ei- Vertrautheit zu den Figuren aufbauen; dass dies ner klaren und zudem noch lesefreundlichen jedoch vor allem dann mit hoher Intensität ge- Aussage fehlt. So bietet die Autorin zunächst – schieht, wenn er sich von diesen Figuren ver- wie es sich gehört – einen (kurzen) Überblick treten fühlt, lässt sich nachvollziehen. Von über den Stand der Forschung, beginnt mit der höherer Relevanz, auch im Hinblick auf eine allenthalben bekannten Studie von Hertha medienpädagogische Verantwortung der Pro- Herzog zu Radio Soaps (weniger bekannt ist, duzenten ihrer jungen Zuschauerklientel ge- dass sich im selben Jahr auch Rudolf Arnheim genüber, kann folgendes Ergebnis eingeschätzt des Themas angenommen hat) und skizziert werden: Die Konstruktion der Soap-Figuren andere Untersuchungen zum Genre, die, so das beeinflusst das Selbstwertgefühl der jungen Re- Fazit der Autorin, den Fokus insbesondere auf zipienten. „Die oftmals idealisierten Merkmale die Rezeption dieser Serienangebote gelegt ha- der Figuren können ein negatives Selbstwertge- ben, nicht jedoch auf ihre Wirkungen. Sie hät- fühl forcieren. Einerseits erkennen die Jugend- ten vor allem eine qualitative, inhaltsorientierte lichen die Charaktere aufgrund des emotiona- Ausrichtung, seien entweder nur auf bestimm- len Realismus als ähnlich zu sich selbst, ande- te Jugendliche, etwa die Soaps-Fans, ausgerich- rerseits begegnen sie aber auch dem Anspruch tet oder nicht „umfassend und nicht quantita- der Macher, nach dem die Figuren immer etwas tiv“ (S. 6). besseres sein müssen als der durchschnittliche Diesem letzten Anspruch, das lässt sich Normalbürger“. Allein die Soap „Marienhof“ gleich vorweg sagen, wird Jeannine Simon in biete hier, so die Ergebnisse der Untersuchung, ihrer Arbeit gerecht, sie ist durchgängig quan- eine Annäherung an Charaktere, die nicht alle- titativ und ihr gelingt es auch, zahlreiche für be- samt einem idealisierten Menschenbild ent- dürfnisbefriedigende Wirkungen relevante sprechen. Eine landläufig häufig angenommene Faktoren zu benennen und mit Hilfe einer Vermutung, dass der Peer-Group-Einbindung Kausalanalyse zueinander in Beziehung zu set- eine wichtige Funktion bei der Wirkung von zen – dies alles sorgfältig und den „Regeln der Daily Soaps zukomme, ließ sich nicht bestäti- Kunst“ entsprechend. Für denjenigen Leser je- gen – möglicherweise, wie die Autorin selbst- doch, der zum Schluss der Lektüre wirklich kritisch bemerkt, ein Mangel der eigenen Kon- wissen möchte, wie unterschiedliche Jugendli- struktbildung. che bzw. Jugendgruppen mit diesem Angebot Jeannine Simons Arbeit bietet, dies lässt sich umgehen, welche Relevanz ihm im Alltag zu- zusammenfassen feststellen, für alle diejenigen, kommt, und dies im gesamten Medienmenü, die sich mit dem Genre Daily Soap und seiner das junge Menschen nutzen – denn der Blick al- Relevanz für Jugendliche noch einmal im Kon- lein auf ein Genre bleibt wirklichkeitsfremd, text zahlreicher mitspielender Faktoren be- denn kein Rezipient, auch ein jugendlicher schäftigen wollen, einen breiten Überblick nicht, nutzt ausschließlich ein Medium, ein über die Forschungsliteratur und damit eine Genre – der bleibt in vielerlei Hinsicht unbe- Fülle auch an (wertvollem) Stoff, etwa was die friedigt. Doch: Eine Dissertation kann und Definitionen des Begriffs Daily Soap, die Ge- muss nicht alles leisten. schichte der Soaps, ihre US-amerikanische und Interessant erscheinen dennoch einige Er- deutsche Ausprägung, ihre Bauprinzipien und gebnisse – vorausgesetzt man vertraut der Me- auch ihre Relevanz aus der ökonomischen Per- thode (Wirkungsfragen lassen sich, dies die spektive (bis hin zum Product Placement und Überzeugung der Rezensentin, nur in unzurei- dem Eventmarketing) anbelangt oder die (eher chendem Maße mittels einer ausschließlich kurzen und nicht immer den aktuellen For- quantitativen Fragebogenerhebung erfassen, schungsstand repräsentierenden) Ausführun- trotz elaborierter kausalanalytischer Auswer- gen zur Entwicklung der Jugendforschung so- tungs- und Interpretationstechniken!); zwei wie zum Umgang von Jugendlichen mit Medi- sollen kurz vorgestellt werden. Sie stützen die en (denn auch hier folgt die Autorin dem ver- bisherige Forschung zu Daily Soaps deutlich: meintlich festgelegten Pfad einer allzu oft falsch „Durch Langjährigkeit und Regelmäßigkeit bzw. zu eng verstandenen Gründlichkeit in ei- der Rezeption sammelt der Zuschauer Wissen ner Dissertation, möglichst alles noch einmal

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selbst zusammenzutragen, was doch schon hin- ren Beispielen bis zum Modellierton reicht, mit reichend bekannt ist). Gut getan hätte der Ar- welchem man mit den Händen Botschaften for- beit dagegen, den Blick nicht allein auf das men kann (S. 370). Im 3. Kapitel werden sozial- Genre Daily Soap zu fixieren; dies gilt nicht al- geschichtliche Aspekte der Medienkommuni- lein im Hinblick auf die Tatsache, dass Men- kation behandelt. Dabei werden auch Fotogra- schen Medien im Menü nutzen, sondern eben- fie und Film in ihren historischen Bezügen falls mit Blick auf die Forschungslage zu so kenntnisreich dargestellt und die Entwicklung komplexen Phänomenen wie dem Umgang Ju- der Leitmedien von einer schriftlosen oralen gendlicher mit medialen Symbolangeboten, ob Kultur bis zur Multimedia-Umwelt analysiert. nun Talkshows oder Daily Soaps. Hier über Man spürt heraus, in welchen Bereichen der den eigenen eng gesteckten Bereich hinauszu- Autor selbst leidenschaftlich Projekte durchge- blicken, hätte der Arbeit zu weiterer – verdien- führt hat und eine besondere Expertise mit- ter – Relevanz verhelfen können. bringt. Das Fernsehen wird in seiner Rolle als Ingrid Paus-Hasebrink aktuelles Leitmedium vorgestellt, allerdings wird es dennoch nicht ausführlicher bespro- chen als andere Medien. Kapitel 4 widmet sich Bernward Hoffmann den Mediensystemen und -strukturen. Hier wird besonders deutlich, was für das ganze Medienpädagogik Buch gilt: Es ist fast ausschließlich auf Deutsch- Eine Einführung in Theorie und Praxis land ausgerichtet. Es schildert die Entwicklung Paderborn: Ferdinand Schönigh, 2003. – 470 S. der Medienregulierung und -institutionalisie- rung, aber auch der medienpädagogischen Mo- ISBN 3-8252-2421-X delle, Institutionen und Initiativen exempla- Das Buch entstand aus einer medienpädagogi- risch am Beispiel Deutschlands. In Kapitel 5 schen Einführungsveranstaltung an der Fach- und 6 werden Methoden und Befunde der Me- hochschule im Fachbereich Sozialwesen. Aus dienforschung vorgestellt. Einige empirische diesem Hintergrund erklären sich einige Be- Daten zur Mediennutzung in Deutschland sonderheiten dieser Einführung. Die Beispiele zwischen den 1980er Jahren und 2001 werden sind meist auf Sozialarbeit oder Sozialpädago- dokumentiert, um den Wandel des Medienall- gik bezogen. Die grafischen Visualisierungen tags in der Bevölkerung zu illustrieren. Für die im Buch sind stärker didaktisch motiviert, als Auswahl der Befunde war von Bedeutung, ob dass sie wissenschaftliche Modelle repräsentie- sie für die Medienpädagogik relevant sind. Die ren. Theoretische Aspekte sind oft eher knapp so vermittelte Skizzierung des Medienumgangs ausgeführt, dafür sind praktische Umsetzungs- von Kindern und Jugendlichen ist eher etwas hinweise bis hin zu konkreten Übungen, wel- knapp ausgefallen. Durch die eingebauten che mit Jugendlichen oder Studierenden ge- Kästchen mit Hinweisen auf Literatur, Online- macht werden können, anschaulich dokumen- Quellen und andere Datengrundlagen wird es tiert. einem aber erleichtert, selbst aktualisierte und Das Buch ist in zwölf Einzelkapitel geglie- weiterführende Befunde auffinden zu können. dert, welche eine Systematisierung der Medien- Die folgenden Kapitel 6 bis 12 legen den pädagogik repräsentieren, wobei immer wieder Schwerpunkt auf die medienpädagogische und die Querbezüge zwischen den Perspektiven -didaktische Praxis. Zentrale Ansätze der Me- verdeutlicht werden. Kapitel 1 zeigt das Ver- dienpädagogik werden historisch verortet und hältnis von Medien und Pädagogik auf und de- charakterisiert und mit praktischen Ansätzen finiert einige Schlüsselbegriffe, wie die Medien- verdeutlicht. Exemplarisch werden Filmanaly- kompetenz, zeigt aber auch Bezüge der Me- sen oder Analysen von Video-Clips sehr aus- dienpädagogik zur Wahrnehmungserziehung, führlich vorgestellt, bis hin zu Detaillierungen, zur Kulturpädagogik und sozialen Kulturar- welche für den Erwachsenenbildner oder die beit auf, die man in eher schulisch orientierten Jugendarbeiterin in der konkreten Kursarbeit Einführungen in die Medienpädagogik so nicht verwendet werden können. Die praktische Me- findet. Im 2. Kapitel werden Kommunikations- dienarbeit wird als „Königsweg“ einer emanzi- modelle diskutiert und das Verhältnis von patorischen Medienpädagogik charakterisiert. Kommunikation und Medien. Dabei wird ein Die in der Medienpädagogik immer wieder weiter Medienbegriff verwendet, der in späte- fokussierten Problembereiche wie Medienge-

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walt, Computerspielsucht oder Pornografie im geboten und oft auch Online-Adressen, Hin- Internet werden prägnant diskutiert. Einzelne weise auf didaktische Medienpakete, Einzelme- Bereiche werden detaillierter ausgeleuchtet , so dien oder Institute wie Medien-Museen und die z. B. Entwicklung und Formen der Computer- einschlägigen Fachgesellschaften und Fachzeit- und Onlinespiele. schriften. Die Diskurse zu gewissen Grundfra- In der Diskussion von Computer, Multime- gen im Rahmen der GMK oder in der Fach- dia und Internet wird die „Generation @“ eher zeitschrift Medien + Erziehung (merz) und skeptisch gezeichnet, z. B. als eine „Generati- „Medien praktisch“ werden durch z. T. aus- on, die schon alles zu kennen glaubt“ (S. 324). führliche Zitate dokumentiert. Dabei werden die besonderen didaktischen Die medienpädagogischen Entwicklungsli- Herausforderungen für die Schule und die Ju- nien außerhalb Deutschlands werden kaum gendarbeit auf den Punkt gebracht. In diesem aufgegriffen. Nur die bekanntesten kulturpes- Kapitel folgt auch eine medienpädagogische simistischen Autorinnen und Autoren aus den Analyse des E-Learning. Dabei werden die USA, die sich vor allem mit dem Fernsehen be- Chancen und Risiken des „Studieren @“ diffe- fassten, wie Neil Postman (Wir amüsieren uns renziert dargelegt und in einen größeren Kon- zu Tode), Mary Winn (Die Droge im Wohn- text von Kulturveränderungen eingeordnet. zimmer) oder Jerry Mander (Schafft das Fern- Hoffmann ist vor allem kritisch im Hinblick sehen ab!) werden kritisch diskutiert. Positive auf die Relevanz von Multimedia für das so- Forschungsansätze und Theorien zur Medien- ziale Lernen. Die viel gepriesene Interaktivität kultur werden zwar erwähnt, aber bedauerli- von Multimedia-Lernumgebungen wird als Il- cherweise viel kursorischer abgehandelt (S. lusion bezeichnet. Echte Interaktivität bestehe 254), obwohl der Ansatz des Autors nahe legen nur, wenn sich die Interaktionspartner gegen- würde, dass gerade diese für die medien- seitig verändern könnten, und dies sei bei tech- pädagogische Arbeit besonders fruchtbar ge- nischen Systemen kaum der Fall. In der kri- macht werden könnten. tischen Analyse von E-Learning-Szenarien Dass der Autor nicht nur promovierter Er- bezieht sich der Autor primär auf eigentli- ziehungswissenschaftler, sondern auch Di- che Fernstudien, während die aktuell präfe- plom-Theologe ist, kommt in einigen der ge- rierte Variante doch eher im Blended Learning wählten Beispielen zum Tragen, in denen auch liegt. die kirchliche Medienarbeit und die Grund- Manche Kapitel sind skizzenhafter struktu- satzpapiere der kirchlichen Medienpädagogik riert als andere und bringen eine Sammlung von und Medienethik referiert werden, bis hin zu (anregenden) Thesen zu einem Themenfeld, so originellen Metaphern, wo bei der Wissens- z. B. zum Verhältnis von Multimedia-Entwick- kluft-Hypothese vom „Matthäus-Effekt“ ge- lung und Lernen. sprochen wird (Wer hat, dem wird gegeben…). Die letzten drei Kapitel zu Mediendidaktik, Oder der Fernsehkritiker Jerry Mander, der 15 Öffentlichkeitsarbeit und „kreativer“ Medien- Jahre lang Public Relations Manager war, wird arbeit verlassen weitgehend die theoretische als „vom Saulus zum Paulus Bekehrter“ be- oder empirische Ebene und bringen Check- zeichnet. Das Menschenbild und pädagogische listen und praktische Empfehlungen bis hin zu Credo des Autors wird auch im Schlussfazit des Gestaltungsprinzipien von Overhead-Folien. Buches deutlich, wo Hoffmann dafür plädiert, Dass das Thema Öffentlichkeitsarbeit in einer dass die Technik nicht die Pädagogik ersetzen Einführung in die Medienpädagogik überhaupt dürfe und dass es beim Einsatz von Medien erscheint, ist ungewöhnlich, aber durchaus fol- nicht um die Medien, sondern immer um die gerichtig. Am Beispiel der Öffentlichkeitsar- sozialen Gruppenprozesse und um die soziale beit im Bereich der Sozialarbeit zeigt Hoff- Kommunikation gehen müsse (S. 462). Der Fo- mann, was kompetente Mediennutzung zur kus der Sozialpädagogik und Sozialarbeit wird Artikulation eigener Anliegen bedeutet und auch darauf gerichtet, durch medienpädagogi- welche Ansprüche an professionelle Medien- sche Projekte benachteiligten Gruppen und In- kompetenz in der Rolle des Kommunikators dividuen, die keine Lobby in der Gesellschaft heute an alle Berufsgattungen gestellt sind. haben, eine Stimme und eine Bildsprache ver- Das Buch bietet eine reichhaltige Einführung leihen können, um sich selbst zu gestalten und in die Medienpädagogik. Zu jedem Teilgebiet als prägnante Gestalt wahrnehmbar zu werden. werden weiterführende Literaturhinweise an- Daniel Süss

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Henk Erik Meier danten des ZDF, Protokolle der Beratungen des Fernsehrates), das er – bedingt durch die Strategieanpassungsprozesse im öffentlich- ihm gemachten Auflagen – aber exzerpieren rechtlichen Fernsehen musste. Da dieses Material zudem erst nach ei- Berlin: Vistas, 2003. – 555 S. ner achtjährigen Frist freigegeben wird, sind (Schriften zur Rundfunkökonomie; 9) die aktuelleren Entscheidungen von vornherein aus der Untersuchung ausgeschlossen. Das Au- ISBN 3-89158-378-8 genmerk gilt vor allem jenen Prozessen, in de- Henk Eric Meier untersucht in seiner hier ver- nen der Fernsehrat an der Transformation von öffentlichten Dissertation zwei klar formulier- (abstrakten) Oberzielen in operative Ziele, d. h. te Fragen: Hat sich der Fernsehrat des ZDF in konkrete Angebotsstrategien (= Programm- der Vergangenheit in der Lage gezeigt, effektiv strukturentscheidungen), teilnimmt. Dazu und gemeinwohlorientiert an Strategieanpas- zählt beispielsweise die Schemaänderung von sungsprozessen der Rundfunkanstalt mitzu- 1992 (die gleichzeitig die aktuellste der in der wirken? Ist in der Folge der Dualisierung eine Studie berücksichtigten Entscheidungen dar- Erosion der Effektivität der gemeinwohlorien- stellt). Die Entscheidung über ein neues Pro- tierten Mitwirkung des ZDF-Fernsehrates an grammschema ab 1984 markiert die frühe Pha- Strategieprozessen zu konstatieren? Den Hin- se der Dualisierung des Rundfunksystems, tergrund dieser Fragen bilden die Konvergenz- während die Programmstrukturreform 1973 hypothese und die Erosionshypothese, dass eine deutlich vor der Dualisierung liegende nämlich ein negativer Zusammenhang zwi- Entscheidung darstellt. Auf diese Weise spürt schen Gemeinwohlorientierung und Effekti- der Autor Veränderungen sowohl der Hand- vität des Fernsehrates bei zunehmender Wett- lungsrationalität des Managements als auch der bewerbsintensität bestünde. Die anfangs ge- Beteiligung der Aufsichtsgremien im Zeit- stellten Fragen beantwortet der Autor deutlich ablauf nach. wiewohl differenziert am Ende des 555 Seiten Viel Rundfunkpolitisches kommt in den umfassenden Werks. Dieser Hinweis sei Moti- Fallstudien zu Tage. So erfährt der Leser bei- vation für den Leser, der auf den vielen dicht spielsweise, dass die Programmplanung des beschriebenen Seiten zwischen Fragestellung ZDF in der Frühphase des dualen Rundfunk- und Antwort auf äußerst reflektierte und damit systems vor allem der Positionierung der An- zwangsläufig ausführliche Weise vertraut ge- stalt im Wettbewerb galt, auch und gerade ge- macht wird mit der Situation des öffentlich- genüber der ARD, die – schon damals – als här- rechtlichen Rundfunks, der Aufsichtspraxis der tester Konkurrent betrachtet wurde. Dem Le- Rundfunkräte, den normativen Maßstäben der ser kommt dabei gelegen, dass sowohl die Gremienpartizipation, dem Einflusspotenzial Situationsdeutungen und Informationsakti- und der Steuerungskapazität des Fernsehrates vitäten des Fernsehrates als auch die Entschei- des Zweiten Deutschen Fernsehens, den strate- dungsbeiträge dieses Gremiums in tabellari- gischen Handlungszwängen und -optionen im scher Form aufgeführt werden (Kap. 7), was dualen System, dem Design und der Methodik der Übersichtlichkeit überaus zuträglich ist. der Studie, um anschließend daran die Rolle Die Ergebnisse möge sich der Interessierte da- und den Einfluss des Fernsehrates im Zeit- her selbst zu Gemüte führen. ablauf nachzuvollziehen zu können. Ginge es lediglich um medienpolitische Die einzelnen Kapitel sind vom Umfang her Aspekte, wäre die Arbeit schnell zu lesen. Dem nicht ausgewogen; bedingt durch die gewählte ist aber keineswegs so. Die Komplexität der Methode, eine qualitative Inhaltsanalyse von Untersuchung ergibt sich aus der zusätzlich zu ausgewählten Entscheidungsprozessen, fällt der Konvergenzdebatte bemühten Strategie- das Kapitel über die Darstellung der Fallstudi- forschung. Deren wissenschaftlich kaum re- en mit etwas über 200 Seiten deutlich umfang- flektierten präskriptiven Empfehlungen bringt reicher aus. Dies ist vor allem der Erarbeitung der Autor aus guten Gründen Skepsis entge- der Kontexte geschuldet, in denen die zu unter- gen, gleichwohl knüpft er an die deskriptive suchenden Entscheidungen zu verorten sind. Strategieforschung an, „weil es für professio- Die Entscheidungen inkl. ihrer Kontexte re- nelle Bürokratien wie Rundfunkanstalten cha- konstruiert der Autor über Archivmaterial, zu rakteristisch [ist], dass wichtige Entscheidun- dem er zwar Zugang hatte (Vorlagen der Inten- gen zum Leistungsprogramm auf der profes-

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sionellen Ebene getroffen werden“ (38) und vatisierungsmantra. Auf den Ergebnissen einer weil sie darauf hinweist, dass „Veränderungen empirischen Strategieforschung kann es jeden- im Organisationsverhalten weniger über die falls nicht aufbauen, da diese bereits Schwierig- Anpassung der offiziellen Organisationsziele keiten hat, ihre strategischen Erfolgsrezepte legitimiert werden“ als über die „… operative konzis darzustellen (S. 36). Transformation allgemeiner Oberziele von be- Die kritische Überprüfung dieses Mantras ist sonderer Relevanz“ (ebd.). Aus diesen Feststel- indessen nicht das Thema der vorliegenden lungen gewinnt er später (Kap. 5 und 6) Anre- Studie, die insofern einzigartigen Charakter gungen für die Auswahl der zu untersuchenden hat, als selten Material zur Verfügung gestellt Entscheidungen. Den Organisationsforscher wird, auf dessen Basis sich Entscheidungspro- macht indes stutzig, dass viele der dargestellten zesse in Organisationen nachvollziehen lassen. Aspekte nur für den öffentlich-rechtlichen Mit welchen Anforderungen eine derartige Rundfunk Gültigkeit haben sollen: Das „Prin- Aufgabe verbunden ist und mit welchen zipalAgent“-Problem ist nicht nur für öffentli- Schwierigkeiten Wissenschaftler dabei zu che Unternehmen, sondern auch für privat- kämpfen haben, lässt sich bei Meier detailliert wirtschaftliche Organisationen von erheblicher verfolgen. Unter Berücksichtigung der vielen Relevanz, wie die Ereignisse um die Aktienbla- potenziellen Lesarten dieses quantitativ um- se in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts und fangreichen Werks (Methode, Rundfunkpoli- die damit einhergehenden Bereicherungsorgien tik, Organisationsforschung) wäre allerdings des oberen Managements überdeutlich belegen. ein Sachindex dringend angeraten gewesen, der Zielkonflikte gibt es auch bei privaten Rund- dem Leser einen schnellen und je nach Interes- funkorganisationen, die ebenfalls mit kontin- senlage differenzierten Zugriff auf einzelne genten, sprich: „unklaren Kausalbeziehungen“ Schwerpunkte ermöglichen würde. (S. 73) zu tun haben, die ein weites Terrain se- Anna M. Theis-Berglmair mantischer Beliebigkeit eröffnen. Zumindest aus organisationstheoretischer Warte ist die Si- tuation zwischen privatwirtschaftlichen und Barbara Pfetsch öffentlich-rechtlichen Organisationen so ver- schieden nicht: Strategieentwicklung muss in Politische Kommunikationskultur jedem Fall intern geleistet werden und Ent- Politische Sprecher und Journalisten in der scheidungen erfahren hier wie dort meist eine Bundesrepublik und den USA im Vergleich ex-post Rationalisierung, eine wettbewerbs- Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2003. – orientierte Programmierung ist hier wie dort 273 S. schwierig, wiewohl sich idealtypische Pro- grammierungen für die verschiedenen An- ISBN 3-531-13708-5 staltstypen aufzeigen lassen (S. 215). Hier wie Titel und Untertitel des Buches zeugen von ei- dort erweist sich „Expertise“ in der Programm- nem ambitionierten Programm. Barbara planung lediglich als eine auf Erfolg beruhende Pfetsch (Universität Hohenheim) fokussiert Heuristik, die sich aus einer Kombination von auf die „Politische Kommunikationskultur“. „science, art & intuition“ ableitet, die aber dazu Darunter versteht sie in der Tradition des Be- beiträgt, die Machtansprüche des TV-Manage- griffs von „Politischer Kultur“ bei Almond und ments zu legitimieren. Letzteres konstatiert Verba die empirisch messbaren basalen Orien- Meier durchaus scharfsinnig. Die Konsequen- tierungsmuster im Hinblick auf verschiedene zen einer organisationsorientierten Analyse Aspekte der politischen Kommunikation, vor werden allerdings nicht so deutlich herausgear- allem auf Struktur, Funktion und Entwicklung beitet, obwohl der Autor mit den einschlägigen öffentlicher Meinung. Diese Orientierungs- Theorien vertraut zu sein scheint. Da hätte man muster untersucht sie nicht gesellschaftsweit, mehr herausholen können. Auch die Beobach- sondern bei den Angehörigen von zwei Elite- tung, dass sich in den letzten Jahren die Stim- segmenten in Deutschland und in den USA: men mehren, die einer privatwirtschaftlichen den politischen Journalisten und den Sprechern Organisation ehemals öffentlicher Aufgaben von Regierungsorganisationen, Parlaments- das Wort reden, ist allein für sich genommen fraktionen und Parteien. Sie legt der Untersu- keine hinreichende Begründung für das seit chung der politischen (Regierungs-)Kommuni- Jahren ziemlich unreflektiert propagierte Pri- kationskultur also ein „Zwei-mal-zwei-De-

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sign“ zugrunde. Dabei interessiert sie beson- aus ähnlichen Ziele in unterschiedlichen struk- ders, ob sich Unterschiede darin zeigen, wie die turellen Kontexten durchzusetzen versuchen. Rolleninhaber ihre Interaktion sehen, deren Die amerikanische „medienorientierte“ Kom- strukturelle Bedingungen und deren Folgen für munikationskultur folgt der Devise des „going die Themenstruktur öffentlicher Meinung. Es public“: Im Rahmen eines präsidialen Regie- geht also nicht um nachweisbare Effekte auf die rungssystems und eines weitestgehend privat- Publikums- oder Medienagenda, sondern um wirtschaftlich organisierten Mediensystems die Einstellungen derjenigen, von deren Inter- entwickeln die Sprecher und Journalisten eine aktion die Bildung der Medienagenda entschei- marketingorientierten Denkweise, in der die dend abhängt. Erwartungsmuster der Öffentlichkeit bzw. des Methodisch ist die Arbeit durch eine origi- Publikums eine entscheidende politische Rolle nelle Kombination aus Deuten und Messen ge- spielen. Medienkommunikation ist integraler kennzeichnet. Auf Basis der kommunikations- Bestandteil des Entscheidungsprozesses, die und politikwissenschaftlichen Literatur kann öffentliche Meinung ein zentraler Machtfaktor sie analytische Hypothesen zu den Unterschie- der Regierung auch für die Verhandlungen mit den formulieren, die dann empirisch geprüft anderen politischen Akteuren. werden. Angesichts von Umfang und Art der Die deutsche „(partei)politische“ Kommuni- Datenerhebung kann man nur den Hut ziehen: kationskultur folgt der Devise der „symboli- Pfetsch hat Mitte der 90er Jahre 112 (!) leitfa- schen Legitimation“ bereits ausgehandelter dengestützte Interviews mit politischen Spre- oder zumindest vor-verhandelter Entscheidun- chern und politischen Hauptstadtkorrespon- gen: Das parlamentarische Regierungssystem denten in Washington und Bonn geführt, die und ein heterogenes Mediensystem bringen sie nach dem Positionsprinzip auswählte: Sie Sprecher und Journalisten zwar dazu, Politik identifizierte die für die jeweilige Regierungs- mediengerecht zu verpacken („selling“), um öf- kommunikation wichtigsten Positionen und fentliche Unterstützung zu gewinnen bzw. um interviewte die Positionsinhaber. Insofern sich vom politischen Gegner abzusetzen, aber kommt die Studie einer Vollerhebung in diesen die Erwartungsmuster des Publikums wirken speziellen Elitensegmenten nahe. Nur gele- nicht konstitutiv auf Auswahl von politischen gentlich (z. B. S. 204) wird deutlich, welche Problemen und deren Lösungen. Mediale Kom- Probleme darin liegen, dass Aufschlüsse über munikation setzt in der Folge von Entschei- Einstellungen in einem teil-standardisierten dungen ein, nicht in ihrem Vorfeld. Gerade der fremdsprachlich geführten Interview gewon- Kontrast zu den amerikanischen Verhältnissen nen werden sollen. Hier hätte man zumindest macht deutlich, wie elitenzentriert die deutsche einige Erläuterungen zu Validitätsproblemen politische (Medien-)Kommunikation nach wie erwartet. Die Antworten wurden nach einem vor ist – in der Presse und im öffentlich-recht- Kategorienschema klassifiziert und so aufbe- lichen Rundfunk. Dies änderte sich erst durch reitet, dass auch quantitative Auswertungen das Hinzutreten des privaten Fernsehens. möglich wurden; sogar Korrelationen konnten Dieses Profil der beiden Kulturen setzt sich berechnet werden, mit denen die Homogenität aus verschiedenen Elementen zusammen – wie innerhalb der nationalen Kulturen und die He- Pfetsch detailliert zeigt: welche normativen terogenität zwischen den Kulturen geprüft Orientierungen jeweils als maßgebend angese- werden. Es wird nicht ganz deutlich, in wel- hen werden, welcher Stellenwert der öffentli- chem Maße die Instrumente (Interviewleitfa- chen Meinung (und ihren verschiedenen Aus- den und Kategorienschema) während der Un- drucksformen) zugeschrieben wird, welches tersuchung verändert wurden (Hinweise dar- strategische Repertoire eingesetzt wird, um die auf gibt es auf S. 119f); ohne nachträgliche Da- Medienagenda zu beeinflussen (z. B. über Leit- tenerhebung bzw. nachträgliche Kodierung medien). Innerhalb des Rahmens der vier verlören die betreffenden Häufigkeitsauszäh- Gruppenaggregate werden keine weiteren Un- lungen ihren Sinn. terscheidungen mehr gemacht. Hier dürften die Zugespitzt zeitigt ihre Analyse folgendes Er- Daten weitere Differenzierungen erlauben – gebnis: Wir haben es mit zwei politischen z. B. müssten Subkulturen erkennbar werden Kommunikationskulturen zu tun, deren Un- oder auch Extremfälle zu identifizieren sein, terschiede sich daraus erklären, dass die Akteu- die sich den gängigen Mustern entziehen. re der politischen Kommunikation ihre durch- Fazit: Die Arbeit wirft Licht in das Dunkel,

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das die Verbindungen zwischen politischer Öf- ming“) einiges verändert, und das Design der fentlichkeitsarbeit und Journalismus umgibt Studie verbietet die Formulierung von Aussa- und das die Mythen gedeihen lässt. In dem gen über die vergangene und zukünftige Ent- Licht tritt eines klar hervor: Wenn gemeinhin wicklung der Kommunikationskulturen. Aber von „Medien und Politik“ die Rede ist, wird dadurch, dass Pfetsch klar die strukturellen stillschweigend über die Bindung an die jewei- Unterschiede zwischen den Kommunikations- ligen nationalen Verhältnisse hinweggegangen kulturen herausarbeitet, entkräftet sie die The- und eine universale Konstellation von „Syste- se, dass sich die Varianz zwischen den Natio- men“ konstruiert. Pfetsch macht deutlich, dass nen durch eine einseitige Konvergenz auflösen dies der Komplexität des Zusammenhangs könnte („Amerikanisierung“). Damit zeigt sie, nicht gerecht wird. Ein weiteres Moment wird welchen enormen Erkenntnisgewinn ein kom- durch die Lektüre klar: Sicherlich hat sich seit paratives Vorgehen zeitigt. Aus diesem Grunde dem Zeitpunkt ihrer Datenerhebung in der po- setzt die Arbeit Maßstäbe. litischen Kommunikation (Stichwort: „Berli- Gerhard Vowe ner Republik“) und in der Forschung („Fra-

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AfP Paschke, Marian; Busch, David-Alexander: Massenmediale Äußerungen zwischen rechts- Jg 35 (2004) Nr 6 geschäftlicher Verschwiegenheitspflicht und Siems, Matthias M.: „Verletzerfreundliche grundrechtlicher Äußerungspflicht. – S. 13–23 Auslegung“ oder „Vorsichtsprinzip“ bei Per- Die Interviewaussagen des Vorstandsvorsitzenden sönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Me- der Deutschen Bank, Rolf Breuer, zur angeschlagenen dien?. – S. 485–489 Finanzlage der Kirch-Gruppe haben nach der Scha- densersatzklage von Leo Kirch vor dem Landgericht Bartnik, Marcel: Caroline à la francaise: ein München und der Berufung vor dem Oberlandesge- Vorbild für Deutschland?. – S. 489–496 richt München zu einer juristischen Aufarbeitung ge- führt. Verfassungsrechtlich bedeutend ist der Fall, da Liesching, Marc: Neue Entwicklungen und er im Spannungsverhältnis zwischen einer massenme- Problemstellungen des strafrechtlichen Ju- dialen Meinungsäußerung auf der einen und einer pri- gendmedienschutzes. – S. 496–499 vatrechtlich geschlossenen Verschwiegenheitsverein- barung angesiedelt ist. Die Autoren nehmen die Ent- Ory, Stephan: Blick in den „2. Korb“ des Ur- scheidungsgründe der beiden Gerichte, die Rolf Breu- heberrechts in der Informationsgesellschaft. – er bzw. die Deutsche Bank für die Aussagen haftbar machen, zum Anlass, die Grundrechtsbindung im Pri- S. 500–505 vatrecht und die des spezifischen Grundrechts- schutzes für massenmediale Äußerungen herauszuar- Jg 36 (2005) Nr 1 beiten. Die Autoren bemängeln die Ausführungen der Pleitgen, Fritz: Von Uruguay über Paris nach Gerichte zur Einordnung der Verschwiegenheitsver- einbarung in das System der Meinungsäußerungsfrei- Hong Kong?: die audiovisuelle Industrie im heit nach Art. 5 I GG und sind der Meinung, dass eine Spannungsfeld zwischen Welthandel und kul- Abwägung zwischen Geheimhaltungsinteresse und tureller Vielfalt. – S. 1–5 der Äußerungsfreiheit durchzuführen sei. Dazu wird ein umfassender Katalog von Grundsätzen für die Audiovisuelle Inhalte stellen als Dienstleistung ein Einzelfallabwägung herausgearbeitet. weltweites Handelsgut dar. Der Beitrag zeigt das Spannungsfeld auf, in dem sich dieses Gut befindet. Säcker, Franz Jürgen: Fusions- und Kartell- Es wird ein Überblick über die für den Rundfunk re- erleichterungen für Zeitungsverlage aus wett- levanten Grundzüge des internationalen GATS-Ab- kommens gegeben und insbesondere auf den Streit bewerbsrechtlicher Sicht. – S. 24–29 verwiesen, ob Rundfunk eine Dienstleistung oder Thum, Kai: Verfassungsunmittelbarer Aus- eine Ware ist, was bei letzterem zur Folge hätte, dass strengere Regelungen des GATT-Abkommens ange- kunftsanspruch der Presse gegenüber staatli- wendet werden müssten. Dargestellt werden die Ent- chen Stellen?. – S. 30–34 wicklungen der Diskussion der letzten Jahre, die Po- Medien sind für ihre Berichterstattung auf die Aus- sition der EU und die der sog. Drittstaaten sowie künfte staatlicher Stellen angewiesen. Die Landesge- mögliche Auswirkungen einer geforderten Liberali- setzgeber haben deshalb einen besonderen Auskunfts- sierung des Handels, welche im Bereich der Förder- anspruch in die Landespresse- und -mediengesetze quoten für europäische Produktionen, der „Inländer- aufgenommen, die den Vertretern der Presse einen behandlung“ sowie den rigiden „must-carry-Regeln“ notfalls einklagbaren Anspruch auf Information in ei- bei der Kabeleinspeisung gesehen werden. Zum ande- nem spezifischen Fall gibt. Der Beitrag beschäftigt ren widmet sich der Beitrag den Bestrebungen, die sich mit der Frage, inwieweit sich ein solcher Aus- „kulturelle Vielfalt“ auf internationaler Ebene zu kunftsanspruch unabhängig von der einfachgesetzli- schützen. chen Regelung direkt aus der Verfassung, namentlich Oeter, Stefan: Rundfunk als Wirtschaftsgut: die aus der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, her- auslesen lässt. Im Ergebnis wird vom Bestehen eines audiovisuelle Industrie im Visier des Welthan- solchen Leistungsrechts nicht ausgegangen. Auch die delsrechts. – S. 6–12 Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG sei als Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welche Anspruchsgrundlage nicht heranzuziehen. Stellung Rundfunk als Wirtschaftsgut im Welthan- Zlanabitnig, Stephan: Zum Entstellungsschutz delsrecht einnimmt. Dargestellt wird zunächst die ökonomische und politische Ausgangslage, die vor al- von Filmwerken. – S. 35–38 lem im Verhältnis der USA zur EU von einem deutli- Engels, Stefan: Zur strafrechtlichen Haftung chen Handelsüberschuss der USA geprägt ist. Zudem wird das Problem der Abgrenzung des Rundfunks als des verantwortlichen Redakteurs. – S. 39–40 Ware oder Dienstleistung im Sinne des Welthandels- rechts behandelt sowie die rechtlichen Folgen einer Einordnung nach dem GATT- (Waren) oder GATS- Abkommen (Dienstleistungen) erläutert. Abschlie- ßend werden der Stand der Verhandlungen bei der WTO dargestellt und mögliche Perspektiven aufge- zeigt. 427 013_M&K_02+03-05_Zeitschriftenl 06.07.2005 11:50 Uhr Seite 428

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Comm/Ent möglichkeiten durch Kabel und Satelliten seit der Mit- te achtziger Jahre kontinuierlich zugenommen, und zwar insbesondere in den Nachmittag hinein. Die Jg 26 (2003) Nr 1 stärksten Zuwächse gibt es bei älteren Menschen. Trotz des umfangreichen, fragmentierten Programm- Worthy, Patricia M.: Racial minorities and the angebots ist es noch nicht zu einer Fragmentierung der quest to narrow the digital divide: redefining Publika gekommen – ein großer Teil der Fernsehnut- the concept of „Universal Service“. – S. 1–72 zung konzentriert sich auf wenige Programme. Bulman, Jessica: Publishing privacy: intellectu- Opahle, Joachim: Szenen einer Landnahme: 20 al property, self-expression, and the Victorian Jahre Verkündigungssendungen im Privatfern- Novel. – S. 73–118 sehen. – S. 45–55 Latham, Susan J.: „Newton vs Diamond“: Rolfes, Helmuth: Interreligiöser Dialog als Measuring the legitimacy of unauthorized Kommunikation: ein Kongress auf Bali. – compositional sampling: a clue illuminated and S. 56–69 obscured. – S. 119–154 Meier, Daniel: Zwischen Faszination und Be- Alter, Valerie: Building in a day?: what fremdlichkeit: die Wahrnehmung des orthodo- should we expect from the RIAA?. – S. 155–177 xen Christentums in der deutschen Presse. – S. 70–75 Communicatio Socialis Hömberg, Walter: Vom Menu zum Buffet: Entwicklungstrends des Fernsehens. – S. 3–13 Jg 37 (2004) Nr 4 Roth, Andreas: Das Bild von Religion und Kir- Communication Research che bei ostdeutschen Tageszeitungsredakteu- ren. – S. 329–347 Jg 32 (2005) Nr 1 Mühlegger-Reisenauer, Marlies; Böcking, Ta- Berger, Charles R.: Slippery slopes to appre- bea: Kampfplatz Kirchenpresse: Zensurmaß- hension: rationality and graphical depictions of nahmen an kirchlicher Publizistik in der DDR. increasingly threatening trends. – S. 3–28 – S. 348–368 Lee, Eun-Ju: Effects of the influence agent’s sex Deckers, Daniel: Kommunion und Kommuni- and self-confidence on informational social in- kation: zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit fluence in computer-mediated communication: der katholischen Kirche in Deutschland. – quantitative versus verbal presentation. – S. 369–380 S. 29–58 Rude, Bernhard: Ein Beitrag für freie Medien: Moy, Patricia et al: Knowledge or trust?: inves- die Ostkurse des ifp zwischen dem Fall der tigating linkages between media reliance and Mauer und der EU-Osterweiterung. – participation. – S. 59–86 S. 381–388 Der Beitrag stellt eine Studie vor, die den Wirkungs- prozess von Berichterstattung auf die Beteiligung Nicolini, Marcus: Journalisten müssen Europa bzw. das politische Engagement von Bürgern jenseits kennenlernen: die Europatage des ifp. – des Wahlganges am Beispiel der WTO-Politik und der S. 389–394 WTO-Minister-Konferenz in Seattle 1999 untersucht. Fokussiert wurde hierbei auf Wissen über und Ver- trauen in die WTO als intervenierende Variablen für Jg 38 (2005) Nr 1 die Aufmerksamkeit gegenüber WTO Berichterstat- tung und das wahrscheinliche Verhalten gegenüber Krüger, Udo Michael: Konsonanz – Konkur- der WTO. Durchgeführt wurde eine Befragung von renz – Konfusion?: Programmprofile im 277 Erwachsenen in der Region um Seattle vor der Überblick. – S. 14–34 WTO-Konferenz in Seattle. In den Ergebnissen zeig- te sich ein unterschiedlicher Effekt von vorwiegender Die prognostizierte Konvergenz zwischen öffentlich- Nutzung von Zeitungen oder Fernsehen auf das Wis- rechtlichem und privatem Fernsehen hat sich so nicht sen über und das Vertrauen in die WTO. Der Einfluss ereignet. Stattdessen kann von einer Funktionsteilung des Faktors Vertrauen war größer im Hinblick auf po- gesprochen werden. Konvergenz ist eher bei den pri- litische Aktivitäten als der Faktor Wissen, d.h. man- vaten Programmen untereinander zu beobachten. gelndes Vertrauen führte eher zu politischen Aktivitä- Zubayr, Camille: Zeitsauger Fernsehen?: Pro- ten als umfangreiches Wissen. grammnutzung im Wandel. – S. 35–44 Kwak, Nojin et al: Talking politics and engag- Die Fernsehnutzung hat mit der Ausweitung des Pro- ing politics: an examination of the interactive grammangebots und der Erweiterung der Empfangs- relationships between structural features of po-

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litical talk and discussion engagement. – Computer Law review International S. 87–111 Southwell, Brian G.: Between messages and Jg 5 (2004) Nr 6 people: a multilevel model of memory for tele- Tschoepe, Sven; Heger, Heiko; Ruhle, Ernst- vision content. – S. 112–139 Olav: Voice of Internet Services and the mass market: a comparison of the key regulatory as- Communication Theory pects in the US and Europe. – S. 161–167 Wisskirchen, Gerlind: Privacy and global em- Jg 15 (2005) Nr 1 ployee data transfer: EU data privacy law re- Hashimoto, Serena Dawn: Technology, Cor- stricts the international data flow. – S. 168–172 poreal Permeability, Ideology. – S. 10–22 Välimäki, Mikko; Hietanen, Herkko: The chal- Bowen, Leslie Maria: Reconfigured bodies: the lenges of creative commons licensing: what are problem of ownership. – S. 23–38 the legal implications when the principles of open source software licensing are applied to Sullivan, Rebecca: An embryonic nation: Life other copyrighted works on the Internet?. – against Health in Canadian Biotechnological S. 173–177 Discourse. – S. 39–58

Martins, David S.: Compliance Rhetoric and Jg 6 (2005) Nr 1 the Impoverishment of Context. – S. 59–77 Bernstein, Gaia: Information Technologies and Gerlach, Neil; Hamilton, Sheryl N.: From mad Identity. – S. 1–6 scientist to bad scientist: Richard Seed as Bio- governmental event. – S. 78–99 Geiger, Christophe: Right to copy vs three-step test: the future of the private copy exception in Silva, Vesta T.: In the beginning was the gene: the digital environment. – S. 7–12 the hegemony of genetic thinking in contem- porary culture. – S. 100–123 Houtte, Vera van; Young, Michael: Producing evidence in international arbitration: a compar- ative view of the use and abuse of disclosure Communications and witness testimony. – S. 13–18

Jg 30 (2005) Nr 1 Computer und Recht Braun, Friederike; Sczesny, Sabine; Stahlberg, Dagmar: Cognitive effects of masculine gener- Jg 20 (2004) Nr 12 ics in German: an overview of empirical find- ings. – S. 1–22 Wiebe, Andreas: Softwarepatente und Open Source: Analyse des Konfliktpotentials zwi- Noije, Lonneke van; Hijmans, Ellen: National schen Open Source und dem Patentschutz für identity and nationalism in New Year’s speech- softwarebezogene Erfindungen. – S. 881–888 es of French presidents. – S. 23–54 Heun, Sven-Erik: Das neue Telekommunikati- Waal, Ester de; Schönbach, Klaus; Lauf, Ed- onsgesetz 2004. – S. 893–906 mund: Online newspapers: a substitute or com- plement for print newspapers and other infor- Berger, Arndt; Janal, Ruth: Suchet und Ihr wer- mation channels?. – S. 55–72 det finden?: eine Untersuchung zur Störerhaf- tung von Online-Auktionshäusern. – Furnham, Adrian; Saar, Alexandra: Gender- S. 917–924 role stereotyping in adult and children’s televi- sion advertisements: a two-study comparison Jg 21 (2005) Nr 1 between Great Britain and Poland. – S. 73–90 Bartsch, Michael: Rechtsmängelhaftung bei der Roe, Keith; Broos, Agnetha: Marginality in the Überlassung von Software. – S. 1–9 information age: the socio-demographics of Computer disquietude: a short research note. – Mayen, Thomas: Marktregulierung nach dem S. 91–96 novellierten TKG: ausgewählte Rechtsfragen der Zugangs- und Entgeltregulierung. – S. 21–30 Nach der Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) stellen sich konkrete rechtliche Fragen vor al-

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lem in der Praxis der Zugangs- und Entgeltregulie- Braun, Johann: Widerrufsrecht und Haftungs- rung. Der Beitrag liefert eine erste Einschätzung und ausschluss bei Internetauktionen. – S. 113–117 Bewertung ausgewählter Fragen aus diesen Bereichen. Vor dem Hintergrund der neuen Ausgestaltung von Stockmar, Kendra; Wittwer, Alexander: Die Zugangsverpflichtungen, die nunmehr nicht gesetz- Pflicht zur Empfangsbestätigung von elektron- lich vorgeschrieben sind, sondern Teil der Auferle- gungsentscheidung der Regulierungsbehörde und da- ischen Bestellungen im Spiegel der Recht- mit im Bereich des Regulierungsverwaltungsrechts, sprechung. – S. 118–125 diskutiert der Verfasser die Rechtsnatur, Vorausset- zungen, Möglichkeiten des Rechtsschutzes sowie der Convergence gerichtlichen Überprüfbarkeit und Kontrolldichte dieser behördlichen Entscheidungen. Daneben stellt Jg 10 (2004) Nr 3 der Beitrag die novellierte Entgeltregulierung des neu- en TKG und die sich daran anschließenden Rechtsfra- Willemen, Paul: Inflating the narrator: digital gen dar. hype and allegorical indexicality. – S. 8–27 Spindler, Gerald; Dorschel, Joachim: Aus- Callanan, Ronan: The changing role of broad- kunftsansprüche gegen Internet-Sevice-Provi- casters within digital communications net- der: zivilrechtliche Grundlagen und daten- works. – S. 28–38 schutzrechtliche Grenzen. – S. 38–47 „This paper examines the distribution requirements „Die Durchsetzung der Urheber- und Immaterialgü- for digital services on separate content distribution terrechte gegenüber Verletzern im Internet erweist systems. With the launch of digital broadcasting in sich nach wie vor als schwierig. Ein zentraler Punkt in many European states, the key drivers were consid- den Auseinandersetzungen betrifft die Offenlegung ered to be its subscription and pay-per-view compo- der Nutzerdaten durch die Provider, die seit langem nents. Little attention has been given to content poli- von Verbänden der Contentindustrie und geschädig- cy. This article suggests that broadcasters and their as- ten Rechteinhabern erhoben wird. Vor dem Hinter- sociated interactive services will require national and grund der jüngsten Urteile zum Auskunftsanspruch European regulation to prevent the disenfranchise- und der bevorstehenden Umsetzung der Enforce- ment of audiences who may not be able to pay for the ment-Richtlinie in deutsches Recht untersucht der full range of public and commercial television services. Beitrag näher die Rechtsgrundlagen, aber auch die Such provisions will be subject to equitable and non- Grenzen eines solchen Auskunftsanspruchs.“ discriminatory access on each network. The paper ex- plores the main difficulties facing the transmission of Härting, Niko; Schirmbacher, Martin: Finanz- multiplex terrestrial content over digital cable, satellite dienstleistungen im Fernabsatz: Neues Recht and fixed line networks.“ für das Online-Banking. – S. 48–52 Sandvoss, Cornel: Technological evolution or Revolution?: Sport online live Internet com- Jg 21 (2005) Nr 2 mentary as postmodern cultural form. – Schuppert, Stefan; Greissinger, Christian: Ge- S. 39–54 brauchthandel mit Softwarelizenzen: Wirk- „The coverage of sports has formed a key component samkeit vertraglicher Weitergabebeschränkun- of media content throughout the different stages of the development of communication technology. This ar- gen. – S. 81–86 ticle investigates to what extent the rise of online live Müller, Norman; Gerlach, Carsten: Open- text commentary of sporting events extends or departs from existing forms of representation in media sports, Source-Software und Vergaberecht: rechtliche and thus whether it constitutes a form of technologi- Rahmenbedingungen für die Beschaffung von cal evolution or revolution. The article argues that on- Open-Source-Software. – S. 87–92 line sports commentary further advances the transna- tional distribution of sporting content and the rise of Ladeur, Karl-Heinz: Digitalisierung des Kabel- global sporting cultures, and thereby contributes to netzes und technische Standards: Durchset- the globalisation tendencies of other electronic media such as television. At the same time online live text zung von MHP und „Grundverschlüsselung“ commentary in its minimal representation of the game für ein intelligentes Multimedianetz?. – event through facts and figures moves beyond the vi- S. 99–105 sual spectacle that has coined the televisual represen- tation of sports, and thus requires modes of readership Der Beitrag erörtert die Einführung technologischer based on fan identification. Online live text commen- Standards im Bereich der Breitbandkabelnetze anhand tary thus extends and alters the symbolic basis of europa- und landesrechtlicher Möglichkeiten und sports coverage.“ Grenzen, aber auch vor dem Hintergrund der teilwei- se divergierenden Interessen der verschiedenen Beck, James C.: The concept of narrative: an Marktakteure wie der Netzbetreiber und den Inhal- analysis of „Requiem for a dream“ (.com) and teanbietern oder Geräteherstellern. Aufgrund der Ge- fahr für technische Innovationen durch Entscheidun- „Donnie Darko“ (.com). – S. 55–82 gen, die Standards für einfache und etablierte Dienste „This article will discuss the concept of narrative and favorisieren, plädiert der Beitrag für die öffentliche how this idea has been defined by writers from vari- Förderung von anspruchsvollen Standards wie MHP. ous academic specialisations such as film studies, liter- ary studies, narratology and new media studies. This 430 013_M&K_02+03-05_Zeitschriftenl 06.07.2005 11:50 Uhr Seite 431

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initial discussion of how narrative has variously been ship with their news sources and with their audiences. conceptualised leads to an analysis of several test case These relationships are most fundamental for at least examples of ‘official’ websites from the films Donnie three reasons. First, without reliable sources, a jour- Darko (dir. Richard Kelly II, USA, 2001) and Re- nalist cannot get the facts needed to prepare the story. quiem for a Dream (dir. Darren Aronofsky, USA, Second, without an audience, there is no point in 2000), both still available at www.donniedarko.com telling the story. Third, and most important, main- and www.requiemforadream.com. The issue of estab- taining integrity in the relationships between journal- lishing narrative in terms of its defining qualities and ists, their sources and their audiences is fundamental limits becomes important in assessing whether these to establishing and maintaining the credibility, or be- particular test case websites qualify as narratives lievability, of journalism, the only real value a jour- themselves and how they extend, supplement, reorient nalist has. When the integrity of the reporter-source- and supplant the cinematic texts. The analysis will ap- audience relationship is violated, not only does the in- ply various approaches and techniques from film/lit- dividual journalist suffer, but the credibility of the en- erary studies and narratology in an in-depth, close tire news organisation or even institution is damaged. reading of the websites and films. In probing cases that Consider the 2003 case of former New York Times re- are liminal in terms of the boundaries of narrative, the porter Jayson Blair, who, as the Times itself admits, article suggests that some websites and films may be ‘fabricated comments, concocted scenes and lifted ma- considered types of non-narrative assemblages that terial from other newspapers and wire services’. Not however still retain the emotionality and catharsis only was Blair forced to resign his post at the Times, usually associated with narrative. The affective power but the Times’ top editors were forced to relinquish of mainstream cinema and other media is usually as- their posts over the credibility crisis. Convergence, sumed to be conveyed by patterns of narrative devel- defined in terms of the integration of media forms in a opment through an arc-like, three-act structure and a digital environment, fostered by both technological highly-expected, final outcome, but this emotionalism and economic forces, is exerting profound influence may not be connected to narrative elements them- on these relationships, both in subtle and not-so-sub- selves. Lastly, the article will explore some of the tle fashion.“ methodological problems of analysing both film and computer media, as some writers tend to see the latter Matheson, Donald: Negotiating claims to jour- as ameliorating the supposed deficiencies of the for- nalism: webloggers’ orientation to news genres. mer in way that instantiates and furthers a progres- – S. 33–54 sivist ideology and a technological determinism.“ „This paper explores how writers of online diaries, or Wilson, Jason: „Participation TV!: early games, weblogs, about public affairs negotiate their relation- video art, abstraction and the problem of atten- ship with the genres and social position of news jour- nalism. Although often labelled radical journalists, tion. – S. 83–101 this paper finds, through interviews with seven „This paper examines early videogames as part of a webloggers, that such writers orient themselves in tradition in twentieth-century art. Looking at Pong complex ways towards news journalism, at times (Atori, 1972) alongside works of Barnett Newman drawing upon its modes of knowledge, at times setting and Nam June Paik, I argue that this tradition grapples themselves in opposition to it and at times seeking to with the problem of attention: how to engender a cross discursive spaces. The paper concludes that, deeper relationship, or an intimacy, between a playing rather than emerging as a new public communicative body, mediating spaces or technologies and a pictori- form or genre in relation to journalism, the distinc- al surface. It is this relationship which is the locus of tiveness of the form is in its generic heterogeneity and aesthetic practice – flattened, abstract depiction ability to traverse the boundaries of news and other grounds experimentation with new media in visual, institutional discourses.“ cognitive and haptic consumption, production and, progressively, co-production. Shading this with ambi- Cokley, John; Capel, Chris: Remote news de- guity is the consideration that games, and the rest of livery down under. – S. 55–72 the tradition, can be seen as part of a disciplinary re- „Newspapers represent ‘communities talking to configuration of attention along the lines of postin- themselves’. We report on the resuscitation in Octo- dustrial production.“ ber 2003 of a long-dead nineteenth and twentieth cen- Steemers, Jeanette: Building a digital cultural tury community newspaper in the drought-stricken rural outback of Queensland, Australia, using simple commons: the example of the BBC. – digital publishing systems with reporting and produc- S. 102–109 tion staff based near the Great Barrier Reef, on the coast more than 735 kilometres away to the north- east. The successful project illustrated the importance Jg 10 (2004) Nr 4 of local editorial control within the community news- paper model, as well as the potential of journalism to Beyers, Hans: Interactivity and online newspa- build positive community processes and structures pers: a case study on discussion boards. – during such projects. A survey of people who bought S. 11–20 or read the first new edition also revealed an unex- pectedly high capacity, given current received wisdom Pavlik, John V.: A Sea-Change in Journalism: of ‘the digital divide’, within the financially-depressed Convergence, Journalists, their Audiences and town’s residents to use emerging digital technologies to receive news and informational content. When cou- Sources. – S. 21–32 pled with data gathered from other recent surveys of „In reporting on the day’s events, journalists rely most news technology use, the authors identify key areas fundamentally on two key relationships: the relation- for future research into news distribution.“

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Huang, Edgar et al: Converged Journalism and European Journal of Communication quality: a case study of „The Tampa Tribune“ news stories. – S. 73–91 Jg 19 (2004) Nr 4 „A content analysis, coupled with an in-depth inter- view, was done in this case study on The Tampa Tri- Zanker, Ruth: Commercial public Service chil- bune, a component of The News Center in Tampa, in dren’s television: Oxymoron or media com- an attempt to answer the question whether converged mons for Savvy Kids?. – S. 435–456 journalism has jeopardised journalistic quality. After comparing the quality factors shown in the Tribune Robertson, John W.: People’s watchdogs or stories before, at the beginning of, and three years into government poodles?: Scotland’s National convergence, this study has found that media conver- broadsheets and the second Iraq War. – gence has, overall, sustained the quality of news re- porting.“ S. 457–482 Ruggiero, Thomas E.: Paradigm repair and Stöber, Rudolf: What media evolution is: a the- changing journalistic perceptions of the Inter- oretical approach to the history of new media. net as an objective news source. – S. 92–108 – S. 483–506 „The purpose of this study was to evaluate how jour- Jackson, Nigel A.; Lilleker, Darren G.: Just nalists have perceived internet ‘news content’ in the Public Relations or an attempt at interaction?: post decade through the lens of paradigm repair. An examination of representative anecdotes sought to British MPs in the press, on the web and „In shed light on journalistic reluctance to accept internet your face“. – S. 507–534 news content as ‘objective’ as compared to traditional media news content. This study concludes that con- certed effort by journalists to repair the dominant Jg 20 (2005) Nr 1 news paradigm against incursion by the internet, Selwyn, Neil; Gorard, Stephen: Whose Internet while stronger a decade ago, has weakened over time.“ is it Anyway?: exploring adults’ (non)Use of Quinn, Stephen: An intersection of ideals: jour- the Internet in Everyday Life. – S. 5–26 nalism, profits, technology and convergence. – Meijer, Irene Costera: Impact or content?: rat- S. 109–124 ings vs quality in public broadcasting. – S. 27–54 „Journalism needs advertising and advertising needs journalism: advertising pays for good reporting just as Der Beitrag befasst sich auf Grundlage einer Policy- good reporting attracts customers for advertising. Analyse sowie 48 Experteninterviews mit der Frage, Problems arise when the equation becomes unbal- wie sich Publikumsattraktivität öffentlich-rechtlicher anced, such as during the recessions in the early part Programme mit ihrem Qualitätsanspruch vereinbaren of the twenty-first century. This paper asks the key lässt. Als die drei Hauptziele von öffentlichem Rund- question of whether editorial managers and journalists funk werden die Bereitstellung von Qualitätspro- are embracing convergence at this time for business grammen und von ausgewogenen Informationen so- reasons or to do better journalism. It begins from the wie die Einbeziehung des Publikums in die demokra- perspective that media organisations around the world tische Kultur benannt. Als Dilemma wird hierbei ge- are adopting various forms of convergence, and along sehen, dass einerseits die Publikumsattraktivität the way embracing a range of business models. Sever- vorrangig über Einschaltquoten bemessen, während al factors are influencing and driving the adoption of andererseits Qualität als Gegensatz zur Massenattrak- convergence – also known as multiple-platform pub- tivität gesehen wird. Um dem Dilemma zu entgehen, lishing. Principal among them are the media’s desire to wird vorgeschlagen den Maßstab der Wirksamkeit reach as wide an audience as possible, consumers who (impact) der Programme einzuführen, dazu soll der want access to news in a variety of forms and times Nutzer nicht nur als „Bürger“ und als „Konsument“ (news 24/7), and editorial managers’ drive to cut costs. betrachtet werden, sondern auch als „Genießer“ (en- The availability of relatively cheap digital technology joyer). Zu fragen ist bei öffentlichen Programmange- facilitates the convergence process. Many journalists bot also nicht nur nach dem Beitrag zur demokrati- believe that because that technology makes it relative- schen Kultur und bei den kommerziellen Program- ly easy to convert and distribute any form of content men nach der Verkaufbarkeit der Programme, son- into another, it is possible to produce new forms of dern für die öffentlich-rechtlichen Programmanbieter storytelling and consequently do better journalism. auch danach, was das Publikum für unterhaltsam und This paper begins by defining convergence (as much für qualitätvoll hält. Als Vorschlag zur Operationali- as it is possible to do so) and describing the key com- sierung von Qualität werden „fünf Qualitätsvokabu- peting models. It then considers the environments that lare“ (Markteting-, Künstler-, „Handwerks“-, Leh- lead to easy introduction of convergence, followed by rer- und Moderatorenvokabular) vorgestellt, um die the factors that hinder it. Examples of converged me- verschiedenen Dimensionen von Qualität zu erfassen. dia around the world are provided, and suggestions Schulz, Winfried; Zeh, Reimar: Voters in a offered on how to introduce convergence. The paper concludes that successful convergence satisfies the changing media environment: a data-based twin aims of good journalism and good business prac- retroperspective on consequences of media tices.“ change in Germany. – S. 55–88 Die Mediatisierung von Politik und Wahlkampagnen infolge des Medienwandels in Deutschland steht im

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Mittelpunkt des Beitrags. Mithilfe von Sekundärana- Spencer, David R.: Race and Revolution: Cana- lysen von Daten aus der Wahlforschung und von In- da’s Victorian Labourn Press and the Chinese haltsanalysen von Wahlberichterstattung sollen die Auswirkungen der Entwicklung auf das Wählerver- Immigration Question. – S. 15–32 halten untersucht werden. Gefragt wird nach der Durham, Frank: Media Tactics and Taste: or- Wählermobilisierung, der Abhängigkeit vom Fernse- hen und Personalisierungstrends sowie den Auswir- ganising the Southern Labour Movement at kungen von sich verändernden Wahlkampagnen. Ins- Highlander Folk School, 1938–1946. – S. 33–48 gesamt wird eine weitaus geringere Amerikanisierung festgestellt als häufig befürchtet. Costain, Gene: Reporting on Labour: Class Consciousness and the Uncertain Ideological Pasti, Svetlana: Two generations of contempo- Boundaries of Canadian Journalism. – S. 49–70 rary Russian journalists. – S. 89–116 Die Autorin hat 30 russische Journalisten in St. Peters- Bekken, Jon: The Invisible Enemy: Represent- burg in Bezug auf ihre Berufsrolle befragt. Ziel war es, ing Labour in a Corporate Media Order. – den Stand der Entwicklung des Journalismus in Russ- S. 71–84 land nach der politischen Wende vor 20 Jahren zu be- schreiben: Welche Einstellungen und Werte vertreten Pérez, Juan Orlando: The Cuban Propaganda die Journalisten und welche Zukunftsvorstellungen War: the Story of Elian Gonzalez. – S. 85–102 haben sie? Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung ist die Unterscheidung von zwei Typen journalisti- scher Berufsrollenverständnisse: Die ältere Generati- Journal of Communication on, die bereits zu Sowjetzeiten gearbeitet hat, betont die gesellschaftliche Aufgabe des Journalismus und die Zusammenarbeit mit den Autoritäten, während die Jg 54 (2004) Nr 4 neue Generation, die seit 1990 im Beruf steht, die Rol- le des Journalismus eher in der Produktion von Un- Anderson, James A.; Baym, Geoffrey: Philoso- terhaltung und als PR-Macher für die einflussreichen phies and philosophic issues in communica- Gruppen der Gesellschaft in Politik und Wirtschaft tion, 1995–2004. – S. 589–615 sieht. Trotz ihrer Gegensätzlichkeit sind sich die bei- den Typen darin einig, dass in Wahlkampfzeiten der Barnhurst, Kevin G.; Vari, Michael; Rodriguez, Journalismus die politische Funktion hat, Propaganda Igor: Mapping visual studies in communica- für die herrschenden Eliten zu machen. Die Gründe tion. – S. 616–644 für diese Sichtweisen liegen in der ökonomischen und politischen Entwicklung, einerseits herrschen Botan, Carl H.; Taylor, Maureen: Public Rela- Korruption und Vetternwirtschaft, andererseits sind tions: State of Field. – S. 645–661 die Journalisten ökonomisch abhängig von ihren „Hauptsponsoren“ Regierung und Geschäft, gesell- Bryant, Jennings; Miron, Dorina: Theory and schaftliche Interessen oder die Interessen des Publi- Research in Mass Communication. – kums haben in dieser Situation keine Bedeutung. S. 662–704

Federal Communications Law Journal Gunn, Joshua; Brummett, Barry: Popular com- munication after Globalization. – S. 705–721 Jg 57 (2004) Nr 1 Jones, Elizabeth et al: Organizational commu- nication: challenges for the new century. – Sidak, J. Gregory; Singer, Hal J.: Überregula- S. 722–750 tion without economics: the World Trade Or- ganization’s Decision in the US-Mexico Arbi- Parrott, Roxanne: Emphasizing „Communica- tration on Telecommunications Services. – tion“ in Health Communication. – S. 751–787 S. 1–48 Tracy, Karen; Haspel, Kathleen: Language and Cotlar, Andrew D.: The Road not yet traveled: social interactions: its institutional identity, in- why the FCC should issue digital must-carry tellectual landscape, and discipline-shifting rules for public television „First“. – S. 49–80 agenda. – S. 788–816 Cain, Rita Marie: Nonprofit Solicitation under the Telemarking Sales Rule. – S. 81–106 Journal of Communication Inquiry

Javnost Jg 29 (2005) Nr 1 Barnett, Barbara: Perfect mother or artist of ob- Jg 12 (2005) Nr 1 scenity?: narrative and myth in a qualitative Hardt, Hanno: Conditions of Work and Life of analysis of press coverage of the Andrea Yates Journalists: excerpts from an International Sur- Murders. – S. 9–29 vey, 1925/26. – S. 5–14 Borden, Sandra L.: Communitarian journalism

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and flag displays after September 11: an ethical Jg 10 (2005) Nr 1 critique. – S. 30–46 Edgar, Timothy; Hyde, James N.: An Alumni- Heinz, Teresa L.: From civil rights to environ- based Evaluation of Graduate Training in mental rights: constructions of race, communi- Health Communication: results of a Survey on ty, and identity in three African American Careers, Salaries, Compotencies, and Emerging newspapers’ coverage of the environmental jus- Trends. – S. 5–26 tice movement. – S. 47–65 Demont-Heinrich, Christof: Language and na- Stoddard, Jacqueline L. et al: Smoking Cessa- tional identity in the era of globalization: the tion Research via the Internet: a Feasibility case of English in Switzerland. – S. 66–84 Study. – S. 27–42 Reynolds, Barbara; Seeger, Matthew W.: Crisis Jg 29 (2005) Nr 2 and Emergency Risk Communication as an In- Ehrlich, Matthew C.: „Shattered Glass“, mo- tegrative Model. – S. 43–56 vies, and the free press. – S. 103–118 Dillard, James Price; Carson, Christine L.: Un- Bishop, Ronald: A Philosophy of Exhibitio- certainty Management Following a Positive nism: exploring media coverage of Al Roker’s Newborn Screening for Cystic Fibrosis. – and Carnie Wilson’s gastric bypass surgeries. – S. 57–76 S. 119–140 Muturi, Nancy W.: Communication for Cheng, Hau Ling: Constructing a transnatio- HIV/AIDS Prevention in Kenya: Social-Cul- nal, multilocal sense of belonging: an analysis of tural Considerations. – S. 77–98 Ming Pao (West Canadian Edition). – Der Beitrag befasst sich mit den Möglichkeiten der S. 141–159 Prävention von sexuell übertragbaren Krankheiten Dahlberg, Lincoln: The Corporate Colonizati- und insbesondere HIV/AIDS und stellt Ergebnisse ei- ner qualitativen Untersuchung vor. Im Rahmen von on of Online Attention and the Marginalizati- Fokusgruppen und Tiefeninterviews wurden Männer on of Critical Communication?. – S. 160–180 und Frauen aus ländlichen Regionen Kenias u.a. zu ihrem Wissen über Verbreitungsmöglichkeiten von HIV/AIDS und eingeschätzten eigenen Ansteckungs- Journal of Health Communication gefahr befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Auf- klärung in den ländlichen Gebieten noch immer un- zureichend ist und auch falsche Annahmen über An- Jg 9 (2004) Nr 6 steckungsmöglichkeiten kursieren. Die Autorin plä- Brownfield, Erica D. et al: Direct-to-Consu- diert für einen Ansatz, der stärker als bisher den Sichtweisen der Rezipienten sowie den vorherrschen- mer drug advertisement on network television: den kulturelle Einstellungen, Werten und Normen an exploration of quantity, frequency,and pla- Rechnung trägt. cement. – S. 491–498 Deshpande, Aparna et al: Direct-to-Consumer Journal of Media Economics advertising and its utility in health care decisi- on making: a consumer perspective. – Jg 18 (2005) Nr 1 S. 499–514 Barrett, Marianne: The FCC’s media owner- Kaphingst, Kimberley A. et al: A content ana- ship rules and the implications for the network lysis of direct-to-consumer television prescrip- – affiliate relation. – S. 1–20 tion drug advertisements. – S. 515–528 „On June 20, 2003 the Federal Communications Huh, Jisu; Cude, Brenda J.: Is the Information Commission [...] released a Report and Order that completed its 2002 Biennial Regulatory Review of 4 „fair and balanced“ in direct-to-consumer pre- broadcast ownership rules. The increase in the station scriptioon drug websites?. – S. 529–540 ownership cap from 35% to 45% of U.S. television households raises questions about the impact of the Bates, Benjamin et al: Evaluating direct-to-con- FCC’s action on the network-affiliate relation. This sumer marketing of race-based pharmacogeno- study uses February 2002 Nielsen ratings to identify mics: a focus group study of public understan- the stations and ownership conditions under which an dings of applied genomic medication. – affiliate is likely to have bargaining power in its deal- ings with its network.“ S. 541–560

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Stuhlfaut, Mark W.: Economic concentration velopment of journalists: a comparison with in agricultural magazine publishing: other professions and a model for predicting 1993–2002. – S. 21–34 high quality ethical reasoning. – S. 511–527 „Agriculture in the United States is a $200+ billion in- Lowrey, Wilson; Becker, Lee B.: Commitment dustry, and more than 200 magazines serve it. In this study, I analyzed their advertising revenues from 1993 to journalistic work: do high school and colleg to 2002 to examine economic concentration by pub- activities matter?. – S. 528–545 lishing company. A concentration ratio (CR; Bain, 1951 ) measure (CR4) indicated a tight oligopoly. The Hanson, gary; Wearden, Stanley T.: Measuring Herfindahl-Hirschman Index (HHI; Scherer & Ross, newscast accuracy: applying a newspaper mod- 1990) showed moderate concentration, but a regres- el to television. – S. 546–558 sion analysis did not show a significant relation be- tween HHI data and average advertising rates. I sug- Burch, Elizabeth A.; Harry, Joseph C.: gest changes in the agricultural marketplace, new tech- Counter-Hegemony and Environmental Jus- nology, and alternative advertising channels as re- straints on the effects of concentration.“ tice in California Newspapers: Source Use Pat- terns in Stories about Pesticides and Farm Reid, Leonhard N. et al: Local advertising de- Workers. – S. 559–577 cision makers’ perceptions of media effective- ness and substitutability. – S. 35–54 An, Soontae; Jin, Hyun Seung: Interlocking of „In this article, we report the results of a survey de- Newspaper Companies with Financial Institu- signed to answer 6 questions on perceived media ef- tions and Leading Advertisers. – S. 578–600 fectiveness and substitutability within the context of local advertising. Results from questionnaires com- Kim, Sung Tae: Mapping an economic „Glob- pleted by 130 local advertising decision makers reveal alization“ News Paradigm: a multi-national that (a) daily newspapers and radio are perceived as comparative analysis. – S. 601–621 the most effective media for local advertising; (b) me- dia interchangeability in local advertising is limited to Johnson, Thomas J.; Kaye, Barbara K.: Wag the a particular set of media options, namely, daily news- papers and radio; and (c) patterns of media effective- blog: how reliance on traditional media and the ness and substitutability do not vary substantially by Internet influence credibility perceptions of the type of local advertiser or the amount of money weblogs among blog users. – S. 622–642 spent in daily newspaper advertising. Four implica- tions are suggested by the results.“ 3700 Nutzer von Weblogs wurden online befragt, für wie glaubwürdig sie diese Angebote halten. Im Smith, Ken; Wiltse, Eric: Rate-Setting proce- Durchschnitt betrachten sie Weblogs im Vergleich mit dures from reprint advertising at Nondaily anderen Medien als das glaubwürdigste; es folgen Tageszeitungen, Nachrichtenmagazine und Online- newspapers. – S. 55–66 Zeitungen. „In this study of 117 nondaily newspapers, we found 9 methods used to set pre-print advertising rates. The Southwell, Brian G.; Lee, Mira: A Pitfall of most common method is cost-based pricing. Howev- New Media?: User Controls Exacerbate Edit- er, nondailies add up only the costs directly involved ing Effects on Memory. – S. 643–656 in distributing the pre-print and do not use any other costs in the equation. Rate setting for pre-prints dif- Goddman, J. Robyn; Walsh-Childers, Kim: fered significantly from rate setting for run of the Sculpting the Female Breast: How College press (ROP) at nondailies in that ROP pricing takes into account all of the costs of producing a newspaper. Women Negotiate the Media’s Ideal Breast Im- Circulation, ownership, and competition all affected age. – S. 657–674 preprint pricing.“ Kommunikation & Recht Journalism & Mass Communication Quart- erly Jg 7 (2004) Nr 12 Jg 81 (2004) Nr 3 Römermann, Volker; Schmoll, Christian: SMS kostenlos. – S. 553–558 Lariscy, Ruthann Weaver et al.: The „Ground War“ of Political Campaigns: nonpaid activi- Heigl, Philipp; Rettenmaier, Felix: Widerruf ties in U.S. State Legislative Races. – S. 477–497 und Herstellergarantie: Probleme beim Fern- Freedman, Eric; Fico, Frederick: Whither the absatz. – S. 559–562 experts?: Newspaper use of horse race and issue Meyer, Sebastian: Über den (Un-)Sinn einer experts in coverage of open governors’ races in Zwangstrennung bei Mehrwertdienste- 2002. – S. 498–510 verbindungen. – S. 563–569 Coleman, Renita; Wilkins, Lee: The moral de- Pelz, Christian; Stempfle, Christian Thomas:

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Nationales Glücksspielverbot vs. interna- existierenden Gesetze der Einzelstaaten der USA dar, tionale Glücksspielfreiheit: aus für das wobei ein besonderes Augenmerk auf die Problematik des Vorrangs des Bundesrechts vor dem Recht der Staatsmonopol?. – S. 570–575 Einzelstaaten gelegt wird. Der Artikel schließt, unter Frank, Thomas: MP3, P2P und StA: die Hervorhebung der den beiden Rechtssystemen zu- grunde liegenden Konzeptionen, mit einer verglei- strafrechtliche Seite des Filesharing. – chenden Betrachtung der unterschiedlichen Vorge- S. 576–580 hensweisen, die von den USA und der EU zur Bekämpfung von Spam eingeschlagen werden.“ Jg 8 (2005) Nr 1 Bier, Sascha: Risk-Management zur Haftungs- Nacimiento, Grace: Telekommunikations- minimierung im E-Business. – S. 59–64 recht: Rechtsprechungs- und Praxisübersicht Lober, Andreas: Jugendschutz im Internet und 2003/2004. – S. 1–14 im Mobile Entertainment. – S. 65–70 Der Beitrag gibt eine Übersicht über die Entwicklung Der Beitrag geht der Frage nach, wie und mit welchen von Rechtsprechung und Praxis des Telekommunika- rechtlichen Regelungen Jugendschutz im Internet ge- tionsrechts im Zeitraum 2003/2004. Dieser Zeitraum währleitstet werden kann bzw. wird. Schwerpunkt- wird maßgeblich durch die Novelle des Telekommu- mäßig behandelt werden der rechtliche Rahmen und nikationsgesetzes (TKG) geprägt, das im Sommer die Voraussetzungen für den zulässigen Versand von 2004 in Kraft getreten ist. Schwerpunkte des Beitrags jugendgefährdenden Filmen oder Computerspielen. bilden die Abschnitte zu den Übergangsregelungen, Zudem werden in dem Beitrag kurz Ausführungen zu zur Entgeltregulierung, zur Missbrauchsaufsicht/Of- den Voraussetzungen des Betriebs jugendgefährden- fener Netzzugang/Zusammenschaltung, zum Schutz der Websites, zum Mobile Entertainment-Bereich von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, zum Ver- und zur Bewerbung von Tabakwaren und alkoholi- hältnis zu Zivilgerichten (Kartellrecht), zur Num- schen Getränken gemacht. mernverwaltung und den Entwicklungen im Mobil- funk. Fiebig, André: Rundfunkgebühren für Inter- net-PC: Rundfunkpolitik auf Abwegen?. – Berger, Konrad: Zur Anwendbarkeit der neuen S. 71–79 Technologietransfer-Gruppenfreistellungsver- Der Beitrag beschäftigt sich mit der im Achten Rund- ordnung auf Softwareverträge. – S. 15–19 funkänderungsstaatsvertrag beschlossenen Erstre- Groß, Michael: Aktuelle Lizenzgebühren in ckung der Gebührenpflicht auf multimediale Emp- fangsgeräte. Der Autor geht davon aus, dass die Län- Patentlizenz-, Know-how und Computerpro- der im Begriff seien, die Rundfunkgebühr ad absur- grammlizenz-Verträgen: 2002/2003. – S. 20–25 dum zu führen. Der Entwurf verfehle das Ziel einer konvergenzbedingten Anpassung des Rundfunkge- Leible, Stefan; Wildemann, Andree: Von Po- bührenstaatsvertrages (RGebStV) schon deshalb, weil wersellern, Spaßbietern und einem Widerrufs- sich die hierfür aufgestellte Prämisse, Internet-PC sei- recht bei Internetauktionen. – S. 26–29 en in den Gebührentatbestand einzubeziehen, in mehrfacher Hinsicht als falsch erweise. Es werden Der Beitrag setzt sich kritisch mit dem jüngst ergan- verfassungsrechtliche und europarechtliche Bedenken genen und stark beachteten Urteil des BGH (Anm. d. geäußert, so dass im Ergebnis davon ausgegangen Red.: in der gleichen Ausgabe abgedruckt) zum Wi- wird, dass die Reform nicht haltbar sei. derrufsrecht bei Internetauktionen auseinander. Nach dem Urteil kommen die im BGB niedergelegten Re- gelungen zu Versteigerungen nicht zur Geltung, da Jg 8 (2005) Nr 3 die Erklärung einen physisch anwesenden Bieter er- fordere. Somit könnten die Regelungen des Wider- Lubitz, Markus: Entwicklung des E-Commer- rufsrechts bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz zwi- ce im Jahre 2004. – S. 97–101 schen „Unternehmern“ und „Verbrauchern“ i.S.d. Anwendung finden. Die Autoren zeigen die Voraus- Klotz, Robert; Grewe, Dirk: Der Wettbewerb setzungen des Fernabsatzgeschäfts nach § 312 d BGB auf dem deutschen Breitbandmarkt. – auf und gehen in der Folge davon aus, dass bei Vorlie- S. 102–107 gen der genannten Voraussetzungen die Widerrufs- möglichkeit bei Internetauktionen derzeit bestände. Die Autoren untersuchen in ihrem Beitrag die Ursa- chen des schleppenden Wettbewerbs auf dem Markt für Breitbandanschlüsse in Deutschland, das sich an- Jg 8 (2005) Nr 2 hand des 10. Berichts der Kommission über den Stand des Wettbewerbs auf den Märkten der elektronischen Fritzemeyer, Wolfgang: Der US-amerikani- Kommunikation in der EU ablesen ließe. Als Ursa- sche CAN-SPAM Act. – S. 49–58 chen für die schleppende Wettbewerbsentwicklung „Dieser Beitrag erörtert den Geltungsbereich und den werden zum einen das Fehlen alternativer Breitband- Inhalt des US-amerikanischen CAN-SPAM Act. Da- plattformen zum gängigen DSL-Anschluss – etwa in bei beginnt die Darstellung mit der Analyse der Be- Form von rückkanalfähigen Kabelnetzen oder aufge- stimmungen des CAN-SPAM Act und der Beschrei- rüsteten Stromleitungen – bemängelt. Zum anderen bung der seitens des US-Gesetzgebers verwandten fehlten bis zum Sommer 2004 überhaupt alternative Methodik. Im Anschluss daran stellt der Artikel aus- Zugangsprodukte zum DSL-Anschluss und schon führlich die Wirkungen des CAN-SPAM Act auf die heute böten andere Mitgliedsstaaten eine breitere Pa- lette von Vorleistungsprodukten. Des Weiteren 436 013_M&K_02+03-05_Zeitschriftenl 06.07.2005 11:50 Uhr Seite 437

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nimmt der Beitrag die Preispolitik der DTAG sowie der Medien für ökonomische Ungleichheit und die die diesbezügliche Entscheidungspraxis der RegTP Arbeitsweltperspektive. und der EU-Kommission in den Blick. Die Autoren begrüßen die TKG-Novelle 2004, nach der die RegTP Wieten, Jan; Pantti, Mervi: Obsessed with the künftig gehalten sei, die Entgeltregulierungsmaßnah- audience: breakfast television revisited. – men in ihrer Gesamtheit aufeinander abzustimmen S. 21–40 (Konsistenzgebot) und dass das Bestehen einer Preis- Kosten-Schere explizit verboten ist. Buckingham, David; Scanlon, Margaret: Selling Gerpott, Torsten J.: Konsistente Entgeltregu- learning: towards a political economy of edu- lierung nach dem neuen TKG. – S. 108–119 tainment media. – S. 41–58 „Das am 26.6.2004 in Kraft getretene neue Telekom- Lunt, Peter; Stenner, Paul: „The Jerry Springer munikationsgesetz fordert in §27 Abs.2, „dass Ent- geltregulierungsmaßnahmen in ihrer Gesamtheit auf- Show“ as an emotional public sphere. – einander abgestimmt sind“. Dieser, kurz als „Konsis- S. 59–82 tenzgebot“ charakterisierte Anspruch hat Auswir- kungen auf ein weites Spektrum von Themen im Hungwe, Kedmon Nyasha: Narrative and ide- Zusammenhang mit der Regulierung von Vorlei- ology: 50 years of film-making in Zimbabwe. – stungs- und Endnutzerentgelten auf Telekommunika- S. 83–100 tionsmärkten. Der Beitrag systematisiert Anwen- dungsfelder für das Konsistenzgebot, skizziert für die Comrie, Margie; Fountaine, Susan: Retrieving einzelnen Felder nach dem neuen Gesetz mögliche public service broadcasting: treading a fine line Entgeltregulierungsverfahren und gibt Hinweise, wel- che Regulierungsherausforderungen auf den Feldern at TVNZ. – S. 101–118 zu bewältigen sind, um dem Konsistenzgebot umfas- send(er als bislang) Rechnung zu tragen.“ Gey, Michael: Zivilrechtliche Haftung von Ac- Media Perspektiven cess-Providern bei Zugangsstörungen. – S. 120–126 (2004) Nr 11 Was geschieht, wenn der Nutzer aufgrund einer Zu- gangsstörung das Internet über seinen Zugangs-Pro- Symposion der Kommission zur Ermittlung vider nicht mehr erreichen kann? Der Autor beschäf- des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten tigt sich mit zivilrechtlichen Ansprüchen, die dem (KEF); Digitalisierung der Übertragungswege Nutzer aufgrund der Störung zustehen können. Es im Rundfunk – Auswirkungen auf Programm werden Haftungsansprüche je nach Vertragstyp aus dem Werkvertrags- oder Dienstvertragsrecht herge- und Kosten. – S. 510–556 leitet und im Ergebnis bei Vorliegen der Vorausset- Das Heft enthält diverse Beiträge und Stellungnahmen zungen auch bejaht. zum digitalen Rundfunk, vorgestellt auf dem 5. KEF- Symposion mit dem Thema: Digitalisierung der Über- tragungswege im Rundfunk. Media Culture & Society

(2004) Nr 12 Jg 27 (2005) Nr 1 Benson, Rodney: American journalism and the Stipp, Horst: Die Fernsehentwicklung in den politics of diversity. – S. 5–20 USA: 10 Jahre Danach: was aus einer Prognose Berufsorganisationen in den USA, die sich um Fragen aus dem Jahr 1994 wurde. – S. 569–575 der ethnischen Identität in den Medien kümmern, wie Im August 1994 legte der Autor in Media Perspekti- bspw. Unity: Journalists of Color, Inc., sind zu wich- ven eine Prognose über die voraussichtliche Entwick- tigen Akteuren in den US-amerikanischen Redaktio- lung des Fernsehens in den kommenden zehn Jahren nen geworden. Sie treten für die Vielfalt im Journalis- vor. Diese Prognose unterschied sich in wichtigen mus v.a. in zweierlei Hinsicht ein: es sollen mehr Punkten von vielen anderen Voraussagen der damali- nicht-weiße Journalisten in den Redaktionen einge- gen Zeit. Im Gegensatz zu den damals häufig zu ver- stellt werden und in den Nachrichten sollen „farbigen nehmenden Erwartungen, dass das Fernsehen Teil ei- Communities“ mehr Beachtung geschenkt werden. nes „Electronic Superhighway“ werden würde, der Während einige Fortschritte hier erzielt wurden, resü- sich hauptsächlich auf den PC stützen und dessen miert der Autor, dass diese Bewegung auch zu einem Charakteristikum die „interaktive“ Nutzung durch Rückgang an Vielfalt beigetragen hat, indem die Ver- den Zuschauer sein würde, beruhte die Prognose von änderungen in der Medienindustrie, tatsächlich aus 1994 auf der Annahme, dass wesentliche Elemente des Marketing-Gründen mit einem politisch progressiven gewachsenen Fernsehsystems auf absehbare Zeit ihre Stempel versehen werden. Auf Grundlage einer Ana- Gültigkeit behalten und Veränderungen im Nutzer- lyse der US-Berichterstattung über Immigration zwi- verhalten daher eher graduell vonstatten gehen wür- schen den 70er und 90er Jahren, konnten Verbindun- den. — Nach Ablauf der zehnjährigen Frist erweist gen hergestellt werden zwischen der erhöhten journa- sich nun, dass diese vorsichtige Prognose im Wesent- listischen Aufwertung von ethnischen Identitäten, lichen richtig war, vor allem weil sie in erster Linie von dem Ansteigen multikulturellen Marketings und ei- den Einstellungen und Bedürfnissen der Mediennut- nem erheblichen Rückgang in der Aufmerksamkeit zer ausging und nicht allein von den technischen Mög-

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lichkeiten, die zweifellos durch die Digitalisierung ge- öffentliche Diskussion gerückt. Der harte Wettbe- geben waren. So zeigte sich beispielsweise, dass zwar werb im globalen Suchmaschinen-Markt wirkt sich der Anteil der Kabel- und Satellitenhaushalte in den auch auf das deutschsprachige Angebot aus, sodass USA auf etwa 85 Prozent gestiegen, die Zahl der ver- Google, Yahoo und MSN ihr Leistungsspektrum um fügbaren Fernsehkanäle in diesen Haushalten eben- spezialisierte Suchdienste ausgeweitet haben. Darüber falls drastisch gewachsen ist, die Nutzung des Fern- hinaus expandieren die Suchmaschinen in immer neue sehgeräts sich aber weiterhin vor allem auf „konven- Contentbereiche, wie zum Beispiel Nachrichten, Ser- tionelles“ Fernsehen konzentriert und der Anteil der vice und Wissenschaft. —-Google ist in Deutschland Pay-TV-Angebote sowie der neuen Dienste an der zum Synonym für die Suche im Internet geworden. Nutzung relativ gering geblieben ist. Stärker als vor- Besitzt Google ein Quasi-Monopol auf dem Suchma- ausgesagt hat sich in den USA die Nutzung des DVD- schinen-Markt? Zum einen sind die Suchmaschinen Players entwickelt. Der Marktanteil der großen Net- untereinander eng verflochten, zum anderen beruht works ist gegenüber den Kabelkanälen schneller ge- der hohe Marktanteil von Google aber auch darauf, sunken als erwartet. Kaum vorauszusehen war im Jahr dass es zwar viele Suchmaschinen gibt, aber nur weni- 1994 die große Bedeutung, die der elektronische Pro- ge genutzt werden. Auch die Arbeit von Journalisten grammführer (EPG) inzwischen als zentrale Nahtstel- ist hiervon betroffen, da sich – wie einige Experten be- le zwischen digitalen Fernsehangeboten und den Nut- haupten – Journalisten zunehmend mit Google-An- zern erlangt hat.“ fragen begnügen und auf die Offline-Recherche ver- zichten („Googleisierung“ des Journalismus). Unbe- Kiefer, Marie Luise: 20 Jahre privater Rund- stritten ist, dass die Onlinerecherche generell im Jour- funk: Versuch einer Bestandsaufnahme aus me- nalismus an Stellenwert gewonnen hat. Die dienökonomischer Perspektive. – S. 558–568 Entscheidung, welche Nachrichten und Meinungen publiziert werden, liegt aber nach wie vor bei den tra- „(...)Wer zählt 20 Jahre nach dem Startschuss für pri- ditionellen Massenmedien. — Gemessen an den Zu- vaten Rundfunk in Deutschland zu den Gewinnern griffsdaten und an der Qualität der Suchergebnisse des dualen Systems? Nach Ansicht der Autorin sind es (z.B. Relevanz, Vollständigkeit) ist Google in den die Werbewirtschaft sowie die Film- und Fernsehpro- USA und in Europa die führende Suchmaschine. Die duktionswirtschaft, nicht jedoch die Sender, nicht die Relevanz von Suchmaschinen-Ergebnissen wird in Zuschauer und nicht die Politik, wenn auch politische wachsendem Maße durch externe und interne Mani- Wünsche nach einem regierungs-, sprich damals: uni- pulation beeinträchtigt. Externe Manipulationsmög- onsgeneigten Rundfunk für die Zulassung privaten lichkeiten ergeben sich durch sog. Suchmaschinen- Rundfunks eine große Rolle spielten. Die Politik un- Optimierer, die im Auftrag von Anbietern die Beach- terschätzte die Dynamik der einmal entfesselten tungschancen von Websites verbessern. Interne Mani- Marktkräfte im Zusammenspiel mit neuen Techniken, pulation geht von den Suchmaschinen-Anbietern mit dem Resultat, dass sich der private Sektor zuneh- selbst aus, das heißt Website-Anbieter bezahlen für mend weniger steuern lässt – gleichzeitig aber auch Treffer, die zudem oft nur unzureichend oder gar eine weitgehende Entpolitisierung des Programms er- nicht als Werbung gekennzeichnet sind.(...)“ fährt. Um die gesellschaftliche Funktion und die Ge- meinwohlorientierung des Rundfunks intakt zu hal- Hallenberger, Gerd: Eurofiction 2003: deutli- ten, ist daher eine Stärkung der zweiten Säule des so cher Angebotsrückgang: erstausgestrahlte ein- genannten dualen Systems, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, erforderlich. Im Gegensatz zu den USA heimische fiktionale Fernsehproduktion in sind immerhin in Deutschland und Europa hierfür die Deutschland: Angebotstruktur und Nutzung. Strukturen weiterhin vorhanden.“ – S. 14–22 Pätzold, Ulrich; Röper, Horst: Fernsehpro- Kochhan, Christoph; Haddad, Denise; Dehm, duktionsmarkt Deutschland 2001 bis 2002: Ursula: Bücher und Lesen als Freizeitaktivität: Fortschreibung der FORMATT-Studie über unterschiedliches Leseverhalten im Kontext Konzentration und regionale Schwerpunkte von Fernsehgewohnheiten. – S. 23–32 der Auftragsproduktionsbranche. – S. 576–583 Gleich, Uli: Neue Werbeformate im Fernsehen: Gerhards, Maria; Klingler, Walter: Programm- Forschungsergebnisse zu ihrer Wirkung und angebote und Spartennutzung im Fernsehen Akzeptanz. – S. 33–36 2003: Analyse auf Basis der AGF/GfK-Pro- Dehm, Ursula; Storll, Dieter; Beeske, Sigrid: grammcodierung. – S. 584–593 Die Erlebnisqualität von Fernsehsendungen: ARD-Forschungsdienst; Medien- und Pro- eine Anwendung der TV-Erlebnisfaktoren. – grammqualität aus Zuschauersicht. – S. 50–60 S. 594–598 (2005) Nr 2 (2005) Nr 1 Kuchenbuch, Katharina: Kulturverständnis in Neuberger, Christoph: Angebot und Nutzung der Bevölkerung: Ergebnisse einer qualitativen von Internet-Suchmaschinen: Marktstrategien, Studie in Ost- und Westdeutschland. – S. 61–69 Qualitätsaspekte, Regulierungsziele. – S. 2–13 Schumacher, Gerlinde: Jugendmedienschutz „Durch den Börsengang der Suchmaschine Google im im Urteil der Bevölkerung: Ergebnisse einer re- August 2004 ist der Markt der Suchmaschinen in die

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präsentativen Umfrage im November 2004. – ellen Kinder- und Jugendforschungsinstitut iconkids S. 70–75 & youth – betrachten das Themenfeld Kinder und Konsum aus der Sicht der kommerziellen Werbefor- Jäckel, Michael: „Oprah’s Pick“: Meinungsfüh- schung und stellen verschiedene Methoden der Wer- rer und das aktive Publikum: zentrale Fragen beforschung mit Kindern vor. der Medienwirkungsforschung im Überblick. – Dreier, Hardy; Lampert, Claudia: Kinder im S. 76–90 Netz der Marken?. – S. 24–30 Crossmedial vermarktete Medienangebote sind im medien + erziehung Alltag der Kinder nahezu allgegenwärtig, sei es in Form von Stickern, Sammelkarten oder Spielfiguren. Der Beitrag gibt einerseits einen Überblick über die Jg 48 (2004) Nr 6 verschiedenen Markenstrategien aus ökonomischer Perspektive s und zeigt andererseits auf, welche Be- Hoffmann, Dagmar: Zum produktiven Um- deutung den zahlreichen Medienangeboten aus Sicht gang von Kindern und Jugendlichen mit me- der Kinder beigemessen wird bzw. wann ein Angebot dialen Identifikationsangeboten. – S. 7–19 als Marke relevant wird. Wegener, Claudia: Identitätskonstruktion Neuß, Norbert: Medienpädagogische Ansätze durch Vorbilder: über Prozesse der Selektion, zur Stärkung der Verbraucher- und Werbe- Aneignung und Interpretation medialer Be- kompetenz. – S. 31–36 zugspersonen. – S. 20–31 Der Autor zeigt die Notwendigkeit medien- bzw. werbepädagogischen Maßnahmen auf und skizziert Krotz, Friedrich: Identität, Beziehungen und verschiedene Materialien zur Vermittlung von Wer- die digitalen Medien. – S. 32–45 bekompetenz für Kinder im Vor- und Grundschulal- ter. Vorgestellt werden u.a. die beiden im KoPäd Hagedorn, Jörg: Entgrenzte Diskursarenen ju- Verlag erschienenen Baukästen „Kinder und Wer- gendkultureller Selbstthematisierung: Rekon- bung“ (1999 und 2003) sowie ausgewählte Initiativen im Internet wie z.B. www.kinderkampagne.de. Der struktion zur Transformation der Techno-Sze- Autor plädiert abschließend für eine kritische Dis- ne. – S. 46–58 kussion des Themas Kinder und Werbung: „Aufgabe von Erziehungs- und Bildungsinstanzen kann es Kondo, Kaoruko: Global and diasporic media nicht nur sein, danach zu fragen, wie man die Kinder and children’s hybrid identities: the case of Ja- der sie umgebenden Welt anpasst, sondern auch die panese children in London. – S. 59–71 Frage zu stellen, wie eigentlich die zukünftige Welt haben möchten, in der wir verantwortlich mit den er- Maschke, Sabine; Stecher, Ludwig: „Britney zieherischen Notwendigkeiten umgehen und in der Spears oder Kassiererin in Real“: Medien-Be- unsere Kinder aufwachsen. Hier fehlt bisher eine vi- rufsträume mit doppeltem Boden. – S. 72–86 sionäre medienpädagogische Aufmerksamkeit, die über die notwendigerweise beschränkte Projektarbeit Luca, Renate: Medienrezeption und Identitäts- hinausgeht.“ bildung: persönlich bedeutsames Lernen im Guth, Birgith; Knabenschuh, Silke: Media medienpädagogischen Kontext. – S. 87–96 Smart. – S. 37–41 „Mit dem Werbekompetenz-Projekt Medien Smart Jg 49 (2005) Nr 1 (www.mediasmart.org.uk) gelang es in Großbritan- nien, Werbeerziehung als Unterrichtsgegenstand in Aufenanger, Stefan: Medienpädagogische der Grundschule einzuführen. Die Zusammenarbeit Überlegungen zur ökonomischen Sozialisation von Werbung treibender Industrie, Medienpädago- von Kindern. – S. 11–16 gen und Kulturministerium ermöglichte die Bereit- stellung kostenloser Lehrmittel, die Kindern zwi- „In der kindlichen Sozialisation hat Werbung heute schen sechs und elf Jahren helfen, Werbung im heuti- eine große Bedeutung, schon früh sind Kinder damit gen Alltag zu hinterfragen. Das Projekt stieß auch in konfrontiert und werden von der Werbeindustrie Holland, Belgien und Deutschland auf Interesse. Da auch als autonome Verbraucher betrachtet. Einen in deutschen Grundschulen bislang kein fester Rah- Überblick über den Stand der aktuellen Forschung lie- men für Werbeerziehung existiert, könnte eine Adap- fert dieser Beitrag.“ tion des Media Smart-Materials eine zeitgemäße Er- Barlovic, Ingo; Clausnitzer, Christian: Kom- gänzung bieten.“ merzielle Werbeforschung bei Kindern. – Blanchot, Aline; Mayr-Kleffel, Verena: Kultur- S. 17–23 und Medienpädagogik mit Mädchen aus der „Die Welt von Kindern ist auch eine Produktwelt. Es Gothic-Szene. – S. 42–46 macht keinen Sinn, sich dieser Tatsache zu ver- schließen. Und wo es Produkte gibt, gibt es auch Wer- „Der Artikel belegt am Beispiel der Gothic-Szene, bung für diese Produkte. Der Wunsch der Industrie, dass weibliche Szeneangehörige in nur geringem Aus- zu erforschen, ob die Werbung Kinder überzeugt, er- maß an den kulturellen Aktivitäten partizipieren. Mit- scheint in einer Marktwirtschaft nachvollziehbar und tels einer Befragung im Internet von 136 Mädchen legitim“ (S. 23). Die Autoren – beide vom kommerzi- lässt sich ihr Weg in die Szenen und ihr Aktivitätspro- 439 013_M&K_02+03-05_Zeitschriftenl 06.07.2005 11:50 Uhr Seite 440

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fil nachzeichnen. Die meisten Befragten äußerten In- die Geschichte der Zeitungswissenschaft. – teresse, sich aktiv an Projekten zu beteiligen- Es gibt S. 38–50 also bedarf an szenespezifischen medien- und kultur- pädagogischen Angeboten; der Artikel schließt mit Clement, Michel; Schneider, Holger; Albers, konkreten Vorschlägen.“ (Abstract) Sönke: Status Quo des Digitalen Fernsehens in Biermann, Ralf; Kommer, Sven: Medien in den Deutschland. – S. 1–13 Biografien von Kindern und Jugendlichen. – S. 53–59 Medien Wirtschaft Hümpel-Lutz, Christine: Videopraxis in der Jg 2 (2005) Nr 1 Grundschule. – S. 60–66 Ortelbach, Björn et al: Digitaler Videore- Fiege, Jürgen: Medienkompetenz in deutsch- korder. – S. 14–19 polnischen Jugendbegegnungen. – S. 47–52 Multimedia und Recht Medien & Zeit Jg 7 (2004) Nr 12 Jg 19 (2004) Nr 4 Koenig, Christian; Winkler, Kay E.: Die Regu- Stubenvoll, Karl: Das Ende einer „sozialisti- lierung alternativer Festnetzbetreiber im neuen schen“ Bibliothek: die Plünderung und Zer- TKG. – S. 783–787 störung der Sozialwissenschaftlichen Studien- Hoenike, Mark; Winkler, Kay E.: Outsourcing bibliothek der Wiener Arbeiterkammer durch im Versicherungs- und Gesundheitswesen die Nationalsozialisten. – S. 4–17 ohne Einwilligung?. – S. 788–791 Köstner, Christina: Der lange Schatten natio- Gottwald, Thomas; Viefhus, Wolfram: Elek- nalsozialistischer „Erwerbungspolitik“: die tronischer Rechtsverkehr in Österreich: Nationalbibliothek in Wien 1938–1945. – Schlussfolgerungen aus deutscher Sicht. – S. 18–26 S. 792–796 Hall, Murray G.: „Lügenmeldungen über die Tinnefeld, Marie-Theres: Vom archimedischen Nationalbibliothek“: Versuche zur Rettung ge- Punkt in einer Zivilgesellschaft. – S. 797–800 raubter Bücher. – S. 27–33 Gercke, Marco: Analyse des Umsetzungsbe- Holzer, Erwin: Volksbücherei im Wandel der darfs der Cybercrime Konvention, Teil 2: die Zeiten: Fragmente einer Büchereichronik aus Umsetzung im Bereich des Strafverfahren- der Provinz. – S. 34–39 rechts. – S. 801–806 Renner, Gerhard: Provenienzforschung und Restitution in der Wiener Stadt- und Landesbi- Jg 8 (2005) Nr 1 bliothek. – S. 40–43 Marsden, Christopher T.: Co-Regulation in Enichlmayer, Christian: Andauernde Spuren- European Media and Internet Sectors. – S. 3–7 suche: Provenienzforschung in der Oberöster- „PCMLP (Programme on Comparative Media Law reichischen Landesbibliothek. – S. 44–47 and Policy) recently completed a two-and-a-half year empirical investigation into regulatory change with its final report for DG Information Society, the IAP- Jg 20 (2005) Nr 1 CODE (Internet Action Plan Codes of Conduct) Löblich, Maria: Probleme und Chancen des study of May 2004.1 This article outlines the main findings and research questions answered and ex- biografischen Leitfaden-Interviews: ein Erfah- plored by the report. PCMLP adopted an overtly em- rungsbericht. – S. 4–10 pirical and applied methodology to the IAPCODE Kienesberger, Klaus: Sepp Plieseis: Deutung project, recognizing that co- and self-regulation result from institutional settlements and negotiations be- und Umdeutung einer Partisanen-Biographie. tween various stakeholders (corporate, government – S. 11–28 and viewers/consumers). By tunnelling down from legislation and regulation into self-regulatory codes of Ganahl, Simon: Ich gegen Babylon: Karl Kraus conduct voluntarily agreed by industry, and super- und die Presse. – S. 29–37 vised by user groups and regulators, PCMLP was able to build a substantial capacity for analysis of such Koenen, Erik: Ein „einsamer“ Wissenschaft- codes, and therefore the real commitments agreed to ler?: Erich Everth und das Leipziger Institut für by actors. After the policy debates, and consequent Zeitungskunde zwischen 1926 und 1933: ein concrete codes agreed to, PCMLP recognized a vital further empirical investigative stage – into codes in ac- Beitrag zur Bedeutung des Biographischen für

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tion, the real enforcement behaviour of self-regulated funkveranstalter und Betreiber von Plattformen für actors. It was here, in the development of the practice die Verbreitung und/oder Vermarktung von Rund- and culture of compliance with voluntary self-regula- funkangeboten.“ tion by actors, that the real differences between shades of regulation were seen. Over the period from 2002 to 2004, across media sectors and national borders, the Jg 8 (2005) Nr 2 PCMLP investigation uncovered huge variety in reg- ulatory effectiveness and real-life examples of regula- Roßnagel, Alexander: Modernisierung des Da- tion that varied from more-or-less state-sanctioned tenschutzrechts für eine Welt allgegenwärtiger and required regulation, which was closer to com- Datenverarbeitung. – S. 71–75 mand-and-control than even co-regulation, across va- rieties of co-regulation, to an almost pure form of self- „Allgegenwärtige Datenverarbeitung wird die Ver- regulation.“ wirklichungsbedingungen für das Grundrecht auf in- formationelle Selbstbestimmung so verändern, dass Eck, Stefan: Das Hosting einer rechtsverletzen- dessen Schutzprogramm, wie es im geltenden Daten- den Information für ein abhängiges Konzern- schutzrecht umgesetzt ist, nicht mehr greifen wird. Daher ist es dringend notwendig, dieses Schutzpro- unternehmen. – S. 7–10 gramm so fortzuentwickeln, dass es den neuen Risi- „Der Beitrag befasst sich mit einer der wesentlichen, ken gerecht wird. Dies darf jedoch nicht isoliert in ei- bislang jedoch kaum beleuchteten Neuerungen der genen gesetzlichen Vorschriften erfolgen, sondern Bestimmungen zur Providerhaftung seit deren Novel- muss sich einbetten in eine systematische Modernisie- lierung in den Jahren 2001/02, der Verantwortlichkeit rung des gesamten Datenschutzrechts. Der Beitrag des Providers für das Hosting der Informationen eines benennt diese Aufgabe, stellt die neuen Herausforde- „unterstehenden“ Nutzers nach § 11 Satz 2 1. Alt. rungen dar und zeigt, wie eine adäquate Fortentwick- TDG und § 9 Satz 2 1. Alt. MDStV. Speziell für den lung des Datenschutzrechts möglich wäre.“ Fall, dass es sich bei diesem Nutzer um ein von dem Provider abhängiges Konzernunternehmen handelt, Viefhus, Martin: Wenn die Treuhand zum Pfer- sind diese Normen einschlägig. Die mit ihnen erfolg- defuß wird: Providerhaftung für Domainna- te partielle Gleichstellung der Konzernunternehmen men als Drama in drei Akten. – S. 76–80 steht jedoch in Konflikt mit dem Grundsatz der recht- lichen Selbstständigkeit dieser Unternehmen. Diesen Zagouras, Georgios: Zivilrechtliche Pflichten Konflikt gilt es aufzulösen, indem man die ratio legis bei der Verwendung von Sprachmehrwert- der einschlägigen Bestimmungen des TDG bzw. MDStV heranzieht und dabei insbesondere deren diensten: Ansprüche und Einwendungen der Präventions- bzw. Steuerungsfunktion beachtet.“ Nutzer von 0190er- oder 0900er-Rufnummern nach dem TKG. – S. 80–84 Peeters, Maarten: Security policy vs. Data Pro- tection: Transfer of passengers’ Data to U.S. Steinwärder, Philipp: Standardangebot für Zu- authorities. – S. 11–16 gangsleistungen: ein neues Instrument zur Re- gulierung von Unternehmen mit beträchtlicher „This article confronts European data protection leg- islation with the outcome of the political negotiations Marktmacht. – S. 84–88 between the European Commission and the U.S. De- „Mit dem Standardangebot für Zugangsleistungen hat partment of Homeland Security (DHS) on the trans- der Gesetzgeber ein im deutschen Recht bisher unbe- fer of European air passengers’ personal data to U.S. kanntes Instrument zur Regulierung von Unterneh- authorities. The author demonstrates that these trans- men geschaffen, die über beträchtliche Marktmacht fers violate European data protection legislation on auf den TK-Märkten verfügen. Er hat damit Vorgaben several points. The commitments made by the DHS as des Europäischen Gemeinschaftsrechts umgesetzt a result of the negotiations are definitely insufficient to und ist Forderungen von Wettbewerbern der Deut- offer a sound legal basis for the transfer of passengers’ schen Telekom AG (DTAG) nachgekommen, ein ge- personal data.“ ordnetes Verfahren zu entwickeln, in dem die Muster- verträge der DTAG unter Beteiligung ihrer Wettbe- Gola, Peter: Betriebliche IuK-Technik für Be- werber zu Stande kommen. In dem folgenden Beitrag triebsrats- und Gewerkschaftsinformationen. – sollen die Hintergründe der gesetzlichen Regelung er- läutert und ihre Rechtsfolgen untersucht werden.“ S. 17–22 Wallenberg, Gabriela von: Strukturelle Vorga- Frevert, Tobias: Regelungen des neuen TKG ben für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Rundfunkübertragung. – S. 23–28 im 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag. – „Der vierte Teil des neuen Telekommunikationsgeset- zes (TKG) enthält erstmals spezifische Regelungen S. 88–93 zur Rundfunkübertragung. Viele Regelungen dieses „Der 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der voraus- Teils sind freilich nicht neu. Das TKG übernimmt in sichtlich am 1.4.2005 in Kraft treten wird, sieht für den Umsetzung eines Richtlinienpakets viele Vorschriften öffentlich-rechtlichen Rundfunk neben einem Verbot des Fernsehsignalübertragungsgesetzes (FÜG) und der Einnahmen aus Telefonmehrwertdiensten (§ 13 einzelne Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags Abs. 1 Satz 3) in § 19 Begrenzungen in der Pro- (RStV). Dieser Beitrag gibt einen Überblick und un- grammzahl für Fernsehen und Hörfunk vor. Damit tersucht Herkunft und Inhalt der Regelungen des werden die seit dem 7. Rundfunkänderungsstaatsver- TKG zur Rundfunkübertragung und ihre Bedeutung trag in § 11 RStV enthaltenen qualitativen Regelungen für Hersteller von Rundfunkempfangsgeräten, Rund- zum gesetzlichen Auftrag des öffentlich-rechtlichen

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Rundfunks ergänzt. Unter Beachtung der Rechtspre- Cooke, Lynne: A visual convergence of print, chung des BVerfG geben die Staatsvertragspartner da- television, and the internet: charting 40 years of mit ein in sich geschlossenes, aber flexibles System vor, um das duale Rundfunksystem fortzuentwickeln design change in news presentation. – S. 22–46 und der Schieflage zwischen dem privaten und dem Waskul, Dennis D.: Ekstasis and the Internet: öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu begegnen.“ liminality and computer-mediated-communi- cation. – S. 47–63 Multimedia und Recht, Beilage Jung, Joo-Young et al.: The influence of social environment on internet connectedness of ado- Jg 8 (2005) Nr 3 lescents in Seoul, Singapore and Teipei. – Voice over IP: Revolution oder Evolution auf S. 64–88 dem TK-Markt?: Forumsveranstaltung am Dutta-Bergman, Mohan J.: Access to the Inter- 18.10.2004 in Bonn. – S. 1–30 net in the context of community participation and community satisfaction. – S. 89–109 New media & society Campbell, Heidi: Considering spiritual dimen- sions within computer-mediated communica- Jg 6 (2004) Nr 6 tion studies. – S. 110–134 Phillips, David J.: Private policy and PETs: the influence of policy regimes on the development Political communication and social implications of privacy-enhancing technologies. – S. 691–706 Jg 22 (2005) Nr 1 Lehmann-Wilzig, Sam; Cohen-Avigdor, Nava: Hughes, Sallie; Lawson, Chappell: The Barriers The natural life-cycle of new media evolution: to Media Opening in Latin America. – S. 9–26 inter-media struggle for survival in the Inter- „Despite the spread of electoral democracy, few Latin American media systems today encourage the deepen- net. – S. 707–730 ing of democracy. We attribute this outcome to (a) Der Beitrag skizziert ein Modell der Entwicklung generalized weakness in the rule of law, (b) holdover neuer Medien, das sechs Stufen umfasst: technische authoritarian legislation, (c) oligarchic ownership of Erfindung, Markteinführung, Wachstum, Sättigung, media outlets, (d) uneven journalistic standards, and Wettbewerb mit neueren Medien und schließlich, je (e) limited audience access to diverse sources of infor- nach Marktentwicklung, Anpassung, Konvergenz mation. Reforms designed to address these problems oder Veralten. could include the appointment of special prosecutors to investigate crimes against journalists; replacement Hiller, Harry; Franz, Tara M.: New ties, old of criminal libel laws with civil procedures; legislation ties, and lost ties: the use of the Internet in di- protecting journalists’ sources and guaranteeing trans- aspora. – S. 731–752 parency in government; the establishment of nonpar- tisan boards to allocate broadcast concessions, admin- Dorsey, Elizabeth; Steeves, H. Leslie; Porras, ister state-owned stations, and distribute government Luz Estella: Advertising ecotourism on the In- advertising; user fees to expand public media; and var- ternet: commodifying environment and cul- ious measures to enhance professional standards.“ ture. – S. 753–780 Gilboa, Eytan: The CNN effect: the search for Mehra, Bharat; Merkel, Celia; Bishop, Ann Pe- a communication theory. – S. 27-44 terson: The Internet for empowerment of mi- „This study investigates the decade long effort to con- struct and validate a communications theory of inter- nority and marginalized users. – S. 781–802 national relations that asserts that global television Danahay, Martin A.: „The Matrix“ and busi- networks, such as CNN and BBC World, have be- come a decisive actor in determining policies and out- ness @ the speed of thought. – S. 803–822 comes of significant events. It systematically and crit- ically analyzes major works published on this theory, Jg 7 (2005) Nr 1 known also as the CNN effect, both in professional and academic outlets. These publications include the- Cai, Xiaomei: An experimental examination of oretical and comparative works, specific case studies, the computer’s time displacement effects. – and even new paradigms. The study reveals an ongo- ing debate on the validity of this theory and concludes S. 8–21 that studies have yet to present sufficient evidence val- In einem Experiment wurden die Teilnehmer angehal- idating the CNN effect, that many works have exag- ten, für einen Tag auf Computernutzung zu Unter- gerated this effect, and that the focus on this theory haltungszwecken zu verzichten. Es zeigte sich, dass has deflected attention from other ways global televi- dies nicht zu einer Erhöhung des Zeitaufwandes für sion affects mass communication, journalism, and in- andere Medien führte. ternational relations. The article also proposes a new agenda for research on the various effects of global television networks.“ 442 013_M&K_02+03-05_Zeitschriftenl 06.07.2005 11:50 Uhr Seite 443

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Livingstone, Steven; Van Belle, Douglas A.: Public Opinion Quarterly The effects of satellite technology on news- gathering from remote locations. – S. 45–62 Jg 69 (2005) Nr 1 „Over the course of the last decade, the equipment used by news organizations to transmit text, voice, Schuman, Howard; Schwartz, Barry; D’Arcy, and images from locations without fixed or opera- Hannah: Elite Revisionists and Popular Beliefs: tional communications links has changed radically. Christopher Columbus, Hero or Villain?. – Whereas remote real-time transmissions once re- S. 2–29 quired tons of satellite uplink equipment, generators, and a stable of technicians, approximately the same Sturgis, Patrick; Roberts, Caroline; Allum, can be accomplished today with a laptop sized device Nick: A Different Take on the Deliberative and handheld digital camera. This sort of technologi- cal prowess was seen most recently in the 2003 war in Poll: Information, Deliberation, and Attitude Iraq. We hypothesize that, as a result of these techno- Constraint. – S. 30–65 logical developments, the likelihood of newsgathering from remote locations has increased. By „remote lo- Plutzer, Eric; Berkman, Michael: The Graying cation“, we mean any place without the standard tech- of America and Support for Funding the Na- nical infrastructure (fixed satellite uplinks or high- tion’s Scholls. – S. 66–86 speed terrestrial lines). Most often, remoteness of this sort is a feature of nonurban, less developed regions of the world. This hypothesis is a critical but untested Publizistik presumption underlying recent debates concerning the CNN effect, event-driven news, and other aspects of the changing nature of the relationships between Jg 49 (2004) Nr 4 news media and policy. In our analysis, we find evi- dence of a decrease in the effects of remoteness on lev- Maurer, Marcus: Das Paradox der Medienwir- els of U.S. media coverage of distant events.“ kungsforschung: verändern Massenmedien die Bevölkerungsmeinung, ohne Einzelne zu be- Rojecki, Andrew: Media discourse on global- einflussen?. – S. 405–422 ization and terror. – S. 63–82 „Die Ergebnisse von Medienwirkungsstudien unter- Rojecki, Andrew: Framing peace policies: the scheiden sich erheblich, je nachdem ob die Analysen competition for resonant themes. – S. 83–108 auf Individual- oder auf Aggregatebene durchgeführt wurden. Dabei gilt in der Regel, dass in den präziseren „Political organizations make use of culturally reso- Individualanalysen deutlich schwächere Medieneffek- nant symbols to bring their message to the public. In te gemessen werden als in Aggregatanalysen. Dies response to a political organization’s use of a cultural- lässt sich als das Paradox der Medienwirkungsfor- ly resonant symbol, competing political organizations schung bezeichnen. Man kann es mit einem ökologi- attack the connection between that organization’s schen Fehlschluss erklären, aber auch darauf zurück- message and the symbol. Rochon and Wolfsfeld pro- führen, dass Individualanalysen zu diffizil sind und pose a process for the movement of policy justification die Wirkungen der interpersonalen Anschlusskom- symbols from interest groups and social movements munikation ausklammern. Der vorliegende Beitrag to governments. This article examines this process in zeigt zunächst, dass Individual- und Aggregatanaly- the context of the struggle among the Israeli national- sen implizit eine unterschiedliche Definition von Me- ist movement, the Israeli peace movement, and the Is- dienwirkungen zugrunde liegt. Er belegt dann mit ei- raeli government, identifying a typology of tactical ner Methodenkombination aus einer Inhaltsanalyse frames applicable to research beyond the Israeli con- von vier Fernsehnachrichtensendungen und einer text: denial, incorporation, and end run. Press releases sechswelligen Panelbefragung ihrer Zuschauer, dass by these political competitors show a specialization of Aggregatanalysen bei konsonanter und Individual- tactical frames by social organization. Nationalists analysen bei nicht konsonanter Medienberichterstat- prefer to deny the validity of competing resonant tung geeigneter sind, um die Wirkung der Massenme- symbols. Peace activists prefer to invent or search for dien auf die Rezipienten zu untersuchen. Die Ursa- new symbols, in an end run. Governments tend to ab- chen dieser Befunde und ihre Konsequenzen für die sorb and redirect symbols initially used by the com- Medienwirkungsforschung werden diskutiert.“ peting movements to justify government actions. An analysis of the political opportunity structures and or- Arnold, Anne-Katrin; Schneider, Beate: TV ganizational conditions that determine a political or- kills social capital?: eine kritische Auseinander- ganization’s tactics for attacking resonant frames is conduct.“ setzung mit der Sozialkapitalforschung von Robert Putnam. – S. 423–438 „Das Konzept des sozialen Kapitals, das Robert Put- nam Mitte der 90er Jahre in die öffentliche Diskussi- on eingebracht hat, hat nach dem von ihm diagnosti- zierten Schwund sozialen Kapitals und einer damit verbundenen Schwäche von Demokratie und Zivilge- sellschaft in den USA auch in Deutschland an Bri- sanz und Popularität gewonnen. Der Hauptverursa- cher des dramatischen Kapitalverlusts soll ein alter Bekannter sein: das Fernsehen. Etwa 40 Prozent des

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Rückgangs sozialen Kapitals sind nach Putnam durch se des medienbezogenen Wandels einzubeziehen. elektronische Unterhaltungsmedien, insbesondere Ergebnis dieser Herangehensweise war die Ent- das Fernsehen, verursacht. In vorliegendem Beitrag wicklung eines mehrdimensionalen methodologi- setzen wir uns kritisch mit den theoretischen Grund- schen Instruments zur Analyse medienbezogener lagen des von Putnam entwickelten Sozialkapital- Transformationsverläufe in postkommunistischen Konstrukts auseinander. Anhand der Daten aus einer Ländern. Es ist geeignet, drei Transformationsdi- bevölkerungsrepräsentativen Befragung zum sozialen mensionen abzubilden: die unterschiedlichen Stufen, Kapital in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt unter- die Transformationsfortschritte dokumentieren; die suchen wir dann die von ihm postulierten negativen besonderen historisch-kulturellen Voraussetzungen Zusammenhänge zwischen sozialem Kapital und und politischen und sozioökonomischen Rahmenbe- Fernsehnutzung sowie die positive Verknüpfung dingungen; sowie die unterschiedlichen Ebenen des zwischen Kapital und Internetnutzung. Beide Zu- Transformations- und Entwicklungsprozesses in den sammenhänge können wir zwar bestätigen – aber Medien.“ nicht annähernd in der Stärke, die Putnam festgestellt hat.“ Zeitschrift für Medienpsychologie Tiele, Annekaryn; Scherer, Helmut: Die Agen- da – ein Konstrukt des Rezipienten?: die Be- Jg 17 (2005) Nr 1 deutung kognitiver Informationsverarbeitung im Aganda-Setting-Prozess. – S. 439–453 Woelke, Jens; Steininger, Christian: Online an- „Ziel dieser Studie ist es, die Schema-Theorie in das melden?: Befunde aus einer Evaluation von Agenda-Setting-Modell theoretisch zu integrieren Verfahren für die Vergabe von Lehrveranstal- und empirisch in Ansätzen zu prüfen. Wir untersu- tungsplätzen. – S. 2–12 chen den Einfluss von kognitiven Schemata bei der Rezeption und Verarbeitung von medial vermittelten Läge, Damian; Kälin, Stephan: Imageforschung politischen Themen. Hierfür wurde mit einem Mehr- mit kognitiven Karten: die Landschaft der methodenansatz analysiert, wie 25 Jugendliche die Fernsehsender in der Wahrnehmung der Zu- TV-Kanzlerkandidatenduelle im Bundestagswahl- kampf 2002 wahrnahmen. Die empirische Umsetzung schauer/innen, Teil 2: Zielgruppenspezifität erfolgte mit einer standardisierten schriftlichen Vor- und Merkmalbasiertheit der Senderlandschaft befragung und einer auf die Rezeption der TV-Duelle sowie die Sichtweise von TV-Expert/inn/en. – folgenden freien schriftlichen Reproduktion. Parallel dazu wurde eine Themenanalyse der TV-Duelle S. 13–23 durchgeführt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass politische Themen, die bereits in den Schemata der Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Rezipienten verankert sind, verstärkt wahrgenommen und mit höherer Wahrscheinlichkeit erinnert werden als andere Themen der rezipierten Medien-Agenda. Jg 48 (2004) Nr 12 Unsere Ergebnisse betonen, dass eine stärkere theore- tische Einbindung der Schema-Theorie in das Gröpl, Christoph: Rechtsfragen bei der Rund- Agenda-Setting-Modell nicht nur in der „Second-Le- funkübertragung von Sportereignissen: ein vel“-Forschung, sondern auch in der „klassischen“ Agenda-Setting-Forschung notwendig ist, um den Vergleich zwischen dem Kurzberichterstat- Wirkungsprozess zwischen der politischen Informati- tungsrecht und dem Großereignisübertra- onswahrnehmung und -verarbeitung auf Rezipienten- gungsrecht unter dem Aspekt der Berufsfrei- seite und den präsentierten Themen auf Medienseite heit. – S. 865–874 besser nachvollziehen zu können.“ Wallenberg, Gabriele von: Fortentwicklung Hadamik, Katharina: Medientransformationen des dualen Rundfunksystems zur Überwin- und Entwicklungsprozesse in Mittel- und Ost- dung der wettbewerblichen Schieflage zwi- europa: ein theoretisch-methodologischer Bei- schen privatem und öffentlich-rechtlichem trag zur Analyse postkommunistischer Trans- Rundfunk. – S. 875–885 formationsverläufe. – S. 454–470 „15 Jahre nach Beginn des epochalen Wandels in Hoeren, Thomas: Der 2. Korb der Urheber- Mittel- und Osteuropa erscheint es zunehmend frag- rechtsreform: eine Stellung aus der Sicht der würdig, von „osteuropäischen Medien“ zu sprechen Wissenschaft. – S. 885–887 und sie als eine Einheit zu betrachten. Analog zum allgemeinen Transformationsverlauf der einzelnen Brauneck, Anja: Kritische Anmerkungen zur Länder, die sich in unterschiedliche Richtungen ent- konventionellen gerichtlichen Prüfungsmetho- wickeln, existiert auch in Bezug auf mittel- und ost- dik bei satirischen Darstellungen. – S. 887–896 europäische Medien eine Vielfalt nationaltypischer Transformationspfade. Bei Analysen von Medien- Reden-Lütcken, Konstantin von; Thomale, transformationsprozessen in Mittel- und Osteuropa Philipp-Christian: Der Completion Bond: Si- ist deshalb eine differenzierte Betrachtung unerläss- lich. Zugleich erscheint es sinnvoll, relevante Fakto- cherungsmittel und Gütesiegel für Filmpro- ren, die den Verlauf der allgemeinen postkommuni- duktionen. – S. 896–904 stischen Entwicklung flankieren und prägen, zu iden- tifizieren und diese externen Parameter in die Analy- Reinemann, Susanne: Die Auswirkungen des 444 013_M&K_02+03-05_Zeitschriftenl 06.07.2005 11:50 Uhr Seite 445

Literatur · Zeitschriftenlese

Legge Gasparri auf die Meinungsmacht von Sil- vielmehr einer ausgeprägten Komplementarität von vio Berlusconi in Italien. – S. 904–911 Rundfunk und Internetdiensten, plädiert der Verfas- ser für das Festhalten an einem Regulierungskonzept, Stieper, Malte: Das Herstellenlassen von Pri- das die Meinungsrelevanz eines Mediums als dienste- vatkopien durch einen anderen: zugleich Be- spezifisches Regulierungsmotiv hat. Als Optimie- rungsmöglichkeiten sieht der Beitrag aber die Heraus- sprechung von OLG München, Urt. v. nahme bereichsspezifischer Normierung aus dem Me- 20.3.2003 – 29U 5494/02. – S. 911–929 dienrecht, etwa im Hinblick auf nicht kommunikati- onsbezogene Ziele wie Jugendschutz oder Gercke, Marco: Urheberrechtlicher Schutz von Datenschutz. Daneben könnten gesetzliche Vorgaben Computergrafiken und Stylesheets: Anmer- durch Konzepte von Co-Regulierung abgestützt wer- kung zu OLG Hamm, Urt. v. 24.8.2004 4 U den. Daneben stellt der Beitrag die Ansätze bestehen- 51/04. – S. 929–940 der Reformvorschläge vor und untersucht diese vor dem Hintergrund der zuvor gewonnen Erkenntnisse. Hoppe, Tilmann: Campbell vs Mirror Ltd: das Jg 49 (2005) Nr 1 „Model“-Urteil zu privacy?. – S. 41–46 Ladeur, Karl-Heinz: Rechtsproblem der Regu- Haupt, Stefan; Ullmann, Loy: Der Fax- und E- lierung der Entgelte, der Paketbündelung und Mail-Versand sind in der Informationsgesell- der Vertragsgestaltung im digitalen Kabelfern- schaft verboten: eine Anmerkung zum Urteil sehen. – S. 1–8 des Kammergerichts vom 30.4.2004. – S. 46–50 Die Vorgaben des Telekommunikationsrechts für die Entgeltkontrolle können auch Anwendung auf die Einspeisung und Durchleitung von Rundfunkpro- Jg 49 (2005) Nr 2 grammen in Kabelnetzen anwendbar sein. Vor diesem Hintergrund stellt der Beitrag die derzeitige Entgelt- Urheberrecht in der Informationsgesellschaft: regulierung des novellierten TKG und die damit zu- der Referentenentwurf zum Zweiten Korb; sammenhängende mittelbare Kontrolle der Kabelent- Symposion des Bundesministeriums der Justiz gelte durch das Medienrecht (§53 Abs. 3 RStV a.F. und n.F.) und etwaige vertragliche Abreden dar. In Zu- in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ur- kunft, so der Verfasser, könnten neue Geschäfts- und heber- und Medienrecht vom 2. November Erlösmodelle die bisherigen Geldflüsse – von den 2004. – S. 97–154 Rundfunkunternehmen an die Netzbetreiber – än- dern, wenn nicht gar umdrehen. Zwar eröffneten die Götting, Horst-Peter: Die Regelung der öffent- bisherigen Vorschriften, die bisher nur rudimentär lichen Wiedergabe nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 seien, den Akteuren untereinander zwar gewisse Ver- UrhG. – S. 185–191 tragsfreiheiten, unter Vielfaltsgesichtspunkten plä- diert der Beitrag aber für die begrenzte Beteiligung der Landesmedienanstalten und der Regulierungsbehörde Jg 49 (2005) Nr 3 als Mediatoren, um eine erfolgreiche Digitalisierungs- strategie verwirklichen zu können. Forkel, Hans: Das „Caroline-Urteil“ aus Straß- Castendyk, Oliver: Gibt es ein „Klingelton- burg – richtungsweisend für den Schutz auch Herstellungsrecht“?: zur Einräumung von der seelischen Unversehrtheit. – S. 192–194 Rechten zur Herstellung und Nutzung von Reber, Ulrich: Die internationale gerichtliche Handy-Klingeltönen nach dem aktuellen Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Ur- GEMA-Berechtigungsvertrag. – S. 9–18 heberrechtsverletzungen: ein internationaler Berger, Christian: Urheberrechtliche Fragen Überblick. – S. 194–203 der Vermietung von Schulbüchern durch öf- Lindner, Josef Franz: Der Rückrufanspruch als fentliche Schulen. – S. 19–22 verfassungsrechtlich notwendige Kategorie des Pelny, Stefan: Das Verfahren der EU-Kommis- Medienprivatrechts. – S. 203–212 sion gegen Dänemark: ein Menetekel für die Der „Fairnessausgleich“ nach § 32 a UrhG im Länderregierungschefs in Deutschland?. – System des Zivilrechts. – S. 212–220 S. 22–30 Pomorin, Kerstin: Rechtswegzuständigkeit für Blaue, Andreas: Meinungsrelevanz und Me- Klagen von Programmveranstaltern gegen Ka- diennutzung: zu Konvergenz und Regulierung belanlagenbetreiber wegen der Kanalbelegung elektronischer Medien. – S. 30–41 im Kabelnetz. – S. 220–224 Der Beitrag erörtert aus dem Blickwinkel neuer Er- Im Rahmen einer Klage des Bayerischen Rundfunks kenntnisse zum Mediennutzungsverhalten der Legiti- gegen die Kabel Deutschland GmbH im Frühjahr mation, dem Reformbedarf und den Reformmöglich- 2004, der letztendlich durch einen Vergleich endete, keiten des bisher verfolgten Ansatzes einer dienste- trat die Frage in den Vordergrund, welcher Rechtsweg spezifischen Regulierungsstruktur. Vor dem Hinter- für derartige Klagen eröffnet ist. KDG hatte zuvor grund der ausbleibenden Substitution, sondern den Kanal, auf dem der BR im Münchener Kabel emp-

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fangbar ist, geändert. Der BR forderte daraufhin die chen Rechtsweg oder die Zuständigkeit der Verwal- Unterlassung der Kanaländerung oder hilfsweise um- tungsgerichtsbarkeit streiten und kommt zu dem fassende KDG-Aktionen zur Information der Bevöl- Schluss, dass in Fällen, in denen Landesmedienanstal- kerung. Der Beitrag untersucht die von den Beteilig- ten ausschließlich eine Missbrauchsaufsichtsfunktion ten vorgebrachten Argumente, die für den ordentli- zukommt, der Zivilrechtsweg eröffnet sei.

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Nomos, 2004. – 243 S. (Schriften zur Medien- Heinkelein, Marc: Der Schutz der Urheber von wirtschaft und zum Medienmanagement; 4) Fernsehshows und Fernsehshowformaten. – Filmförderung in Deutschland und der EU Baden-Baden: Nomos, 2004. – 420 S. 2004; Band 1: Ausführliche Informationen zu Held, Thorsten; Schulz, Wolfgang: Europa- Förderarten und -instutionen. – Berlin: rechtliche Beurteilung von Online-Angeboten KPMG, 2004. – 278 S. öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten: In- Filmförderung in Deutschland und der EU wieweit beeinflussen die Beihilferegeln die Ein- 2004; Band 2: Tabellarische Übersicht: Förder- beziehung neuer Dienste in den Funktionsauf- arten und -institutionen auf einen Blick. – Ber- trag öffentlich-rechtlichen Rundfunks. – Ber- lin: KPMG, 2004. – 226 S. lin: Friedrich-Ebert-Stiftung, Stabsab., 2004. – 95 S. Globale Krise der Medienwirtschaft?: Dimen- sion, Ursachen und Folgen/ Hrsg.: Friedrich- Jury, Christine: Die Maßgeblichkeit von Art. sen, Mike; Schenk, Michael. – Baden-Baden: 49 EG für nationale rundfunkpolitische Ord- Nomos, 2004. – 361 S. (Schriften zur Medien- nungsentscheidungen unter besonderer wirtschaft und zum Medienmanagement; 8) Berücksichtigung von Art. 151 EG: eine Unter- suchung am Beispiel öffentlich-rechtlicher Goldhammer, Klaus; Lessing, Michael: Call Spartenkanäle. – Berlin: Lang, 2005. – 475 S, Media – Mehrwertdienste in TV und Hörfunk. (Studien zum deutschen und europäischen Me- – München: R. Fischer, 2005. – 219 S. (BLM- dienrecht; 17) Schriftenreihe; 79) Krausnick, Daniel: Das deutsche Rundfunk- Renner, Tim: Kinder, der Tod ist gar nicht so system unter dem Einfluss des Europarechts. – schlimm: über die Zukunft der Musik- und Me- Berlin: Duncker & Humblot, 2005. – 447 S. dienindustrie. – Frankfurt (Main): Campus (Tübinger Schriften zum internationalen und Verl., 2004. – 303 S. europäischen Recht; 74) Röttgers, Janko: Mix, Burn und R.I.P.: das Libertus, Michael: Essential Aspects Concer- Ende der Musikindustrie. – Hannover: Heise, ning the Regulation of the German Broadca- 2003. – 187 S. sting System: Historical, Constitutional and Strategische Optionen in der Medienkrise: Legal Outlines. – Köln: Institut für Rund- Print, Fernsehen, neue Medien/ Hrsg.: Sjurts, funkökonomie, 2004. – 21 S. (Arbeitspapiere Insa. – München: Fischer, 2004. – 165 S. (Ham- des Instituts für Rundfunkökonomie an der burger Forum Medienökonomie; 7) Universität zu Köln; 193) World Press Trends 2004. – Paris: ZenithOpti- Lips, Jörg: Das Internet als „Rundfunkübertra- media, 2004. – 399 S. gungsweg“: Neue Rundfunkempfangsgeräte und Nutzung durch den öffentlich-rechtlichen 74 Medien Recht Rundfunk?. – Hamburg: Kovac, 2004. – 169 S. Fröhle, Jens: Web Advertising, Nutzerprofile (Recht der Neuen Medien; 20) und Teledienstedatenschutz. – München: Beck, Schütz, Raimund: Kommunikationsrecht: Re- 2003. – 295 S. (Information und Recht; 42) gulierung von Telekommunikation und der Gottzmann, Nicole: Möglichkeiten und Gren- elektronischen Medien. – München: C. H. zen der freiwilligen Selbstkontrolle in der Pres- Beck, 2005. – 456 S. se und der Werbung. – München: C H. Beck, Schulz, Wolfgang; Dreyer, Stephan: Reform 2005. – 278 S. (Schriftenreihe des Instituts für des Deutschen Welle-Gesetzes – Optionen zur Rundfunkrecht an der Universität zu Köln; 92) Konkretisierung von Aufgaben und Auftrag Hahne, Kathrin: Kabelbelegung und Netzzu- der Anstalt: Gutachten im Auftrag der Bundes- gang: Rechtsfragen des Zugangs von Pro- beauftragten für Kultur und Medien. – Baden- gramm- und Diensteanbietern zum Breitband- Baden: Nomos, 2005. – 86 S. kabelnetz. – München: C. H. Beck, 2003. – 190 Stock, Martin: Das deutsche duale Rundfunk- S. (Schriftenreihe Information und Recht; 43) system: Alte Probleme, neue Perspektiven. – Handbuch des Rundfunkwerberechts: Positio- Münster: LIT, 2004. – 118 S. (Schriften zum In- nen, Praxis, Perspektiven/ Hrsg.: Loitz, Kurt- formations-, Telekommunikations- und Me- Michael; Arnold, Hans-Henning; Schmitz, dienrecht; 31) Dirk. – Köln: Heymann, 2004. – 457 S. Stulz-Herrnstadt, Michael: Nationale Rund- 452 014_M&K_02+03-05_Literaturverze 06.07.2005 11:49 Uhr Seite 453

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M&K 52. Jahrgang 2-3/2005

81 Publikum. Mediennutzung Suckfüll, Monika: Rezeptionsmodalitäten: Ein integratives Konstrukt für die Medienwir- Digitale Teilung – digitale Integration: Per- kungsforschung. – München: R. Fischer, 2005. spektiven der Internetnutzung/ Hrsg.: Gehrke, – 298 S. (Reihe Rezeptionsforschung; 4) Gernot. – München: KoPäd, 2004. – 127 S. (ecmc Working Paper; 5) Winterhoff-Spurk, Peter: Medienpsychologie: eine Einführung. – Stuttgart: Kohlhammer, Fisch, Martin: Nutzungsmessung im Internet: 2004. – 217 S. Erhebung von Akzeptanzdaten deutscher On- line-Angebote in der Marktforschung. – Mün- 83 Kinder Jugendliche Medien chen: Fischer, 2004. – 151 S. (Internet Research; 17) Angebote für Kinder im Internet: Ausgewählte Beiträge zur Entwicklung von Qualitätskriteri- Ottenschläger, Malden: „Da spürt man irgend- en und zur Schaffung sicherer Surfräume für wie Heimat“: eine qualitative Studie zur Me- Kinder. – München: R. Fischer, 2005. – 126 S. diennutzung von Türken und Deutsch-Türken (BLM-Schriftenreihe; 78) der Zweiten Generation in Deutschland. – Münster: LIT, 2005. – 180 S. (Mediennutzung; Egenfeldt-Nielsen, Simon; Smith, Jonas Heide: 5) Playing with fire: How do Computergames In- fluence the Player. – Göteborg: Nordicom, 82 Rezeptionsforschung 2004. – 39 S. Gerlach, Bianca: Stereotypen im Reisejourna- Grimm, Petra; Horstmeyer, Sandra: Kinder- lismus; Wissenschaftliche Hausarbeit. – Ham- fernsehen und Wertekompetenz. – Stuttgart: burg: Univ. Hamburg, 2004. – 116 S. Steiner, 2003. – 257 S. (Medienethik; 3) Goldbeck, Kerstin: Gute Unterhaltung, Stationen im Netz: Kinder- und Jugendprojek- schlechte Unterhaltung: Die Fernsehkritik und te rund ums Internet/ Hrsg.: Schwarzer, Klaus; das Populäre. – Bielefeld: transcript, 2004. – 360 Dreyer, Klaus. – München: KoPäd, 2004. – 113 S. (Cultural Studies; 7) S. (Multimedia; 9) Grimm, Perta; Kirste, Katja; Weiss, Jutta: Ge- 91 Literatur zu einzelnen Ländern walt zwischen Fakten und Fiktionen: eine Un- tersuchung von Gewaltdarstellungen im Fern- The ASIA media directory: a handbook for me- sehen unter besonderer Berücksichtigung ihres dia practitioners in the region interested in Realitäts- bzw. Fiktionalitätsgrades. – Berlin: establishing a contact network/ Hrsg.: Busch, Vistas, 2005. – 296 S. (Schriftenreihe der NLM; Werner vom. – Singapore: Konrad-Adenauer- 18) Foundation Singapore, 2004. – 220 S. Identitätsräume: Nation, Körper und Ge- Barkho, Leon: Nordic Television at the turn of schlecht in den Medien: Eine Topografie/ the Century: an Overview of Broadcasters and Hrsg.: Hipfl, Brigitte; Klaus, Elisabeth; Scheer, Audiences. – Jönköping: International Busi- Uta. – Bielefeld: transcript, 2004. – 369 S. (Cul- ness School, 2005. – 35 S. tural Studies; 6) Bimber, Bruce Allen; Davis, Richard: Cam- Jäckel, Michael: Medienwirkungen: ein Studi- paigning online: the Internet in U.S. elections. enbuch zur Einführung. – Wiesbaden: VS, – Oxford: Oxford Univ. Pr., 2003. – 224 S. 2005. – 327 S. Boddy, William: New media and the popular Marshall, P. David: New Media Cultures. – imagination: launching Radio, Television, and London: Arnold, 2004. – 120 S. Digital Media in the United Staates. – Oxford: Oxford Univ. Pr., 2004. – 172 S. Nutzung von Medienspielen – Spiele der Me- diennutzer/ Hrsg.: Rössler, Patrick; Scherer, Budy, Sandra: Die Entwicklung der Presse in Helmut; Schlütz, Daniela. – München: R. Fi- der russischen Provinz im Transformations- scher, 2004. – 165 S. (Reihe Rezeptionsfor- prozess: eine Analyse der allgemeinpolitisch schung; 6) berichtenden Printmedien in Jekaterinburg, der Hauptstadt der russischen Region Swerdlowsk. Rezeptionsstrategien und Rezeptionsmodalitä- – Hamburg: Univ. Hamburg, 2002. – 109 S. ten/ Hrsg.: Gehrau, Volker; Bilandzic, Helena; Woelke, Jens. – München: R. Fischer, 2005. – Compton, James R.: The Integrated news Spec- 251 S. (Reihe Rezeptionsforschung; 7) tacle: a political economy of cultural Perfor-

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English Abstracts

Christiane Eilders / Lutz M. Hagen: War Reporting Seen from a Communications Research Perspective. An Overview of the Current Research and the Papers Pre- sented in this Special Issue, pp. 205–221 War has always been an important topic for media because of its high level of news val- ues. At the same time, media become more relevant for war because they increasingly become useful instruments for those who act in war situations. War, thus, is mediatized – which in turn earns war the attention of Communications Studies. This special issue presents current papers from German communications studies. These papers take a look at the changing conditions of war reporting or analyze patterns and effects of war re- porting in German media. This introductory essay gives an overview of this issue’s pa- pers and situates them within current relevant research. Keywords: War Reporting, Mediazation, News Values, Gulf War

Andrea Szukala: Information Operations and the Fusion of Military and Media In- struments in the USA. The Attempt of a Military Answer to New Threats, pp. 222–240 The present article proposes a change in perspective regarding the relation of the mili- tary and the media: relevant studies in the field of news management research focus on control of media reporting by the executive. The premise of these considerations is the change in international politics: globalization and acceleration of information, increas- ing numbers of actors and the growing demand for a legitimization of foreign politics in the own country make news management necessary if the governments are to maintain their ability to act in the international sphere. A similar development can be observed in the armed forces: with the redefinition of the information space of international securi- ty, the spectrum of instruments is expanding towards an inclusion of the military use of information. Using the example of new developments of American information doc- trines and their implementation during the Iraq War, first conclusions for a redefinition of the relation between media and military actors are drawn. Keywords: Information Operations, News Management, US Information Doctrine, Iraq War, Propaganda, Public Diplomacy

Oliver Hahn: Arab Satellite News Television. Evolution, Structures and Conse- quences for the Conflict Reporting in the Middle East, pp. 241–260 This paper gives an overview of the evolution and structures of the Arab satellite news television stations Al-Jazeera, Abu Dhabi TV and Al-Arabiya as well as the Arab-speak- ing US-foreign television station Al-Hura and discusses their influence on conflict cov- erage in the Middle East. First, the article will review the existing research. Analyzing the available papers and documents as well as interviews with station managers make it possible to locate these stations within the traditional Arab media system. The main fo- cus lies on the development of Al-Jazeera. A systematic object typology provides a ba- sis for further research. While Al-Jazeera, Abu Dhabi TV and Al-Arabiya without a doubt revolutionized the media orient, the quality of their influence on international communication after the terrorist attacks of September 11, 2001 remains to be discussed

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English Abstracts

critically. Western media regard the new generation of Arab news television as a reliable source but use it as source for visuals only. The paper also discusses the innovation po- tential of Arab satellite news television in the transformation and democratization processes that may lead to a modernized and professionalized Arab media landscape. Keywords: Arab Satellite Broadcasting (ASB), News Television, Al-Jazeera, Abu Dhabi TV, Al-Arabiya, US-Foreign Television, Al-Hura, September 11, 2001, International Terrorism, Conflict Reporting, Middle East

Adrian Pohr: Indexing in Use. A Content Analysis of Commentary on Afghanistan War in German National Newspapers, pp. 261–276 The paper analyzes the position of the media in the 2001 Afghanistan War. This analy- sis is based on Bennett’s indexing-hypothesis according to which mass media follow the opinion climate in parliament. Based on the consensus agreement of German political parties on the war issue, uncritical coverage regarding the war had to be expected. Due to country-specific system differences, the original hypothesis developed for an US- American context needs to be adapted to the characteristics of the German system. The content analysis of press commentaries on the Afghanistan War in German national quality newspapers shows a predominance of war-supporting over war-critical state- ments. This was found especially in conservative newspapers. Hardly any criticism of the Afghanistan operation was found in the debates on the appropriateness of the war or its legitimization. Yet, some criticism was detected in the discourse on strategy and performance of the anti-terror coalition. Keywords: Press Commentaries, Afghanistan War 2001, Indexing, Media Coverage, War Coverage, Bias

Helmut Scherer / Romy Fröhlich / Bertram Scheufele / Simon Dammert / Natascha Thomas: Bundeswehr, Alliance Politics and Foreign Operations. Reporting of Ger- man Quality Newspapers on Security and Defense Politics 1989 to 2000, pp. 277–297 After the end of the Cold War, the reunified Germany had to redefine its defense op- tions and goals in the 1990s. The present article aims at analyzing the media reporting on this topic in the time period between 1989 and 2000 in the Frankfurter Allgemeine Zeitung and Süddeutsche Zeitung. Reporting patterns (frames) are identified, their mutually influenced sequences are analyzed and interpreted. Four frames can be iden- tified that show an interesting temporal relation. »German defense acting« closely fol- lows »German debates on defense policy«. These are – although with a significant time lag – triggered by »Bundeswehr Operations«. »Alliance Policy« can be seen as the per- manent foundation for reporting. It is found to be addressed parallel to the other frames. Keywords: Bundeswehr, Media Coverage, Quality Papers, Security Politics, Defense Politics, Frames, Coverage Sequences

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M&K 53. Jahrgang 2-3/2005

Wolfgang Donsbach / Olaf Jandura / Diana Müller: War Reporters or Willing Pro- pagandists? How German and American Print Media Saw »Embedded Journalists« in the Iraq War, pp. 298–313 During the last Iraq War, »embedding« presented a new possibility for journalists to re- port the war. As »embedded journalists«, they could join the American troops. Inside and outside the field of journalism it was discussed whether the concept of »embedded journalism« could be reconciled with the role and function of journalism. In the present study, we used comparative quantitative content analysis to analyze how embedded journalism was presented and evaluated in German and American news media regard- ing the role concept of journalists. In German media, the work of embedded journalists was seen more problematic and was evaluated more negatively. Embedded journalists were likely to be presented as a threat rather than as a chance for independent reporting (59 % in German vs. 35 % in US-media). They were more likely to be seen as propa- gandists for the US-army (55 % in German vs. 29 % in US-media), and the legitimacy of embedded journalism was likely to be seen as not reconcilable with the role of jour- nalists (18 % in German vs. 2 % in US-media). The results of the comparative content analysis are interpreted against the background of the role concept and the different ide- ological positions of the German and US-American journalists. Keywords: Embedded Journalism, War Coverage, Iraq War

Frank Esser / Christine Schwabe / Jürgen Wilke: Meta-Reporting during War. How Newspapers Frame the Role of News Media and Military PR during the Iraq Con- flicts in 1991 and 2003, pp. 314–332 Meta-reporting is seen as a consequent reaction of professional journalism to changing conditions in modern war coverage. It is defined as reporting about mediatized events in which the role of news journalism (including media actors, media practices, media norms, media products, media organizations) or PR/publicity (including actors, prac- tices, strategies, products and organizations of political and military information poli- tics) within political processes and conflicts (media politics, media wars) is addressed us- ing certain frames. These media and PR frames are termed ‘mediation’, ‘strategy’, ‘re- sponsibility’, and ‘personalization’. A content analysis of the coverage during the Iraq War by Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Die Welt and taz shows that – parallel to the increasing mediazation of war – meta-re- porting has increased significantly between 1991 and 2003, and that the media have in- scribed themselves into the events in a more active and less passive role. The conse- quences for journalism research and political communication research are shown. Keywords: Meta-Reporting, Media Criticism, Iraq War, War Reporting, Frames

Christiane Eilders: »Amis brauchen Umerziehung«. Insights and Argumentation Patterns of German Media Criticism during the Third Gulf War, pp. 333–351 The starting point of this paper is the question, whether public debates about media can help to secure professional standards of reporting and promote a public reflection about media by society. The paper presents content-analytical findings on media criticism by German print media during the third Gulf War. 13 weeks of media-related war cover- age in national newspapers and two weekly news magazines were analyzed. The results show a great deal of criticism, mainly carried by the national quality newspapers, with

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English Abstracts

predominantly negative evaluations, and a strong focus on concrete media content. Me- dia criticism was focused on television reports and the US-media. This mostly regarded bias, mediated uncertainty and the dominance of adventure and technology aspects as well as the particular presentation of this content. The more general role of media in wartime was hardly an issue. The argumentation did not stimulate a self-reflection of the media society, since the media criticism did not explain the relevant mechanisms and structures. Keywords: media criticism, war coverage, gulf war, self-reflection, functions of the pub- lic sphere

Bertram Scheufele: How Media Legitimize War by Attributing Roles. An Explo- ration of German News Magazines’ Coverage of the Kosovo War, pp. 352–368 Using the example of the Kosovo War, the article discusses how media create legitima- cy for war and politics in wartimes. The two aspects of political legitimacy – substanti- ation and approval – will not be examined with respect to issues or arguments in cover- age. Instead, the article is interested in the way how media ascribe roles to actors. Based on this theorizing, we analyzed coverage of the Kosovo War by coding role attributions in the German news magazines ‘Der Spiegel’ and ‘Focus’ in 1999. The empirical study examined how magazines supported the argument for NATO military action and how they expressed (dis)approval by ascribing roles. Keywords: Politics, Media, Legitimacy, Roles, Kosovo, War

Evelyn Bytzek: Kosovo War, War Reporting and the Popularity of the German Governing Political Parties and Politicians, pp. 369–388 Using the example of the 1999 Kosovo War, this paper analyzes the question of the ef- fects that wars have on the popularity of the German government, focusing on a »rally« (from »rally round the flag«). It is assumed that a rally, i.e. positive media coverage for the government, arises from the fact that the government has an information monopoly on rally-events. Based on a thematic content analysis of the newspapers Frankfurter All- gemeine Zeitung and Süddeutsche Zeitung, I develop hypotheses on the effects of the Kosovo War at varying points in time and regarding varying parts of the electorate. Em- ploying a factor analysis of poll-based evaluations of German political parties and politi- cians it can be shown that the popularity of government actors increases. This increase, in the first war month, April 1999, is based on the predominance of media coverage on topics supporting the government. However, with the appearance of media coverage on themes with which the government is associated negatively, the popularity decreased. After the end of the war in June 1999, the popularity of government actors was back at the pre-war level. Thus, one can use the term rally only for the first month of the war. Keywords: Rally, War, Information Monopoly, Government Popularity, Media Cov- erage

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Autorinnen und Autoren dieses Heftes

Prof. Dr. Klaus Beck, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, Universität Greifs- wald, Rubenowstr. 3, 17487 Greifswald, [email protected] Evelyn Bytzek, M. A., Lehrstuhl für Politische Wissenschaft I, Universität Mann- heim, D7, 27, 68131 Mannheim, [email protected] Simone Dammert, M. A., Weiherer Str. 7, 76698 Ubstadt-Weiher, simone.dam [email protected] Prof. Dr. Christoph Degenhart, Institut für Rundfunkrecht, Universität Leipzig, Otto-Schill-Str. 2, 04109 Leipzig, [email protected] Dr. des. Paula Diehl, Graduiertenkolleg „Körperinszenierungen“, Institut für Thea- terwissenschaft, FU Berlin, Grunewaldstraße 35, 12165 Berlin, [email protected] Prof. Dr. Wolfgang D o n sbach, Institut für Kommunikationswissenschaft, TU Dres- den, 01062 Dresden, [email protected] Dr. Christiane Eilders, Hans-Bredow-Institut, Dependance, Warburgstraße 8–10, 20354 Hamburg, [email protected] Prof. Dr. Frank Esser, Department of Mass Communication, University of Missouri- Columbia, 115 Switzler Hall, Columbia MO 65211, USA, [email protected] Dr. Andreas Fahr, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Ludwig-Maximilians-Universität München, Oettingenstr. 67, 80538 München, [email protected] Prof. Dr. Romy F r ö h lich, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medien- forschung, Ludwig-Maximilians-Universität München, Oettingenstr. 67, 80538 Mün- chen, [email protected] Prof. Dr. Lutz M. Hagen, Institut für Kommunikationswissenschaft II, TU Dresden, 01062 Dresden, [email protected] Dr. Oliver H a h n , Research Fellow, Centre for Advanced Study in International Jour- nalism, Wissenschaftszentrum für Internationalen Journalismus (Erich-Brost-Institut), Institut für Journalistik, Universität Dortmund, Otto-Hahn-Str. 2, 44227 Dortmund, [email protected] Prof. Dr. Uwe Hasebrink, Hans-Bredow-Institut, Dependance, Warburgstraße 8–10, 20354 Hamburg, [email protected] Prof. Dr. Joachim R. Höflich, Studienrichtung Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Medienintegration, Universität Erfurt, Nordhäuser Str. 63, 99089 Erfurt, [email protected] Prof. Dr. Werner H o l l y , Germanistische Sprachwissenschaft, Philosophische Fakul- tät, TU Chemnitz, 09107 Chemnitz, [email protected] Prof. Dr. Michael Jäckel, Lehrstuhl für Konsum- und Kommunikationsforschung, Universität Trier, Universitätsring 15, 54286 Trier, [email protected]

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Autorinnen und Autoren dieses Heftes

Olaf Jandura, M. A., Institut für Kommunikationswissenschaft, TU Dresden, 01062 Dresden, [email protected] Dr. Achim Janik, Haas & Health Partner Public Relations GmbH, Große Hub 10c, 65344 Eltville, [email protected] Prof. Dr. Hans-Dieter Kübler, FB Bibliothek und Information, Hochschule für An- gewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg, Berliner Tor 5, 20099 Hamburg, hans-die [email protected] Dr. Maja Malik, Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Univer- sität Hamburg, Allende-Platz 1, 20146 Hamburg, [email protected] Dr. Mirko Marr, Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) , Universität Zürich, Andreasstraße 15, 8050 Zürich, Schweiz, [email protected] Diana Müller, M. A., International Journal of Public Opinion Research, Institut für Kommunikationswissenschaft, TU Dresden, 01062 Dresden, diana.mueller@mailbox. tu-dresden.de Prof. Dr. Christoph Neuberger, Institut für Kommunikationswissenschaft, Westfä- lische Wilhelms-Universität, Bispinghof 9–14, 48143 Münster, neuberger@uni-muens ter.de Prof. Dr. Irene N everla, Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Hamburg, Allende-Platz 1, 20146 Hamburg, irene.neverla@uni-ham burg.de Prof. Dr. Joachim Paech, Medienwissenschaft, Universität Konstanz, Universitätsstr. 10, 78465 Konstanz, [email protected] Prof. Dr. Ingrid Paus-Hasebrink, Institut für Kommunikationswissenschaft, Uni- versität Salzburg, Rudolfskai 42, 5020 Salzburg, Österreich, ingrid.paus-hasebrink@ sbg.ac.at Adrian P o h r , M. A., Sonntagstraße 29, 10245 Berlin, [email protected]. Prof. Dr. Helmut Scherer, Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung, Hochschule für Musik und Theater Hannover, Expo Plaza 12, 30539 Hannover, Hel [email protected] Dr. Bertram Scheufele, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienfor- schung, Ludwig-Maximilians-Universität München, Oettingenstr. 67, 80538 München, [email protected] Dr. des. Christine Schwabe, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medien- forschung, Universität München, Oettingenstr. 67, 80538 München, christineschwa [email protected] Prof. Dr. Daniel Süss, Hochschule für Angewandte Psychologie, Fachbereich Kom- munikations- und Medienpsychologie, Minervastrasse 30, Postfach, 8032 Zürich, Schweiz, [email protected] Dr. rer. pol. Andrea Szukala, Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Eu- ropäische Fragen der Universität zu Köln, Gottfried-Keller-Str. 6, 50931 Köln, ahp13@ uni-koeln.de

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M&K 53. Jahrgang 2-3/2005

Prof. Dr. Anna Maria Theis-Berglmair, Kommunikationswissenschaft/ Journalis- tik, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, An der Universität 9, 96045 Bamberg, anna- [email protected] Dipl.-Medienwiss. Natascha Thomas, Ahrens & Bimboese face2net, Agentur für On- line-Kommunikation GmbH, Rosenthaler Straße 51, 10178 Berlin, n.thomas@face 2net.de Prof. Dr. Gerhard Vowe, Philosophische Fakultät, Institut für Sozialwissenschaften, Universität Düsseldorf, Universitätsstr. 1, 40225 Düsseldorf, [email protected] Prof. Dr. Jürgen W ilke, Institut für Publizistik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Colonel-Kleinmann-Weg 2, 55099 Mainz, [email protected]

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Hinweise für Autorinnen und Autoren

Die wissenschaftliche Vierteljahreszeitschrift „Medien & Kommunikationswissen- schaft“ (bis Ende 1999 „Rundfunk und Fernsehen – Zeitschrift für Medien- und Kom- munikationswissenschaft“) wird seit 1953 vom Hans-Bredow-Institut herausgegeben und redaktionell betreut. Die Zeitschrift ist ein interdisziplinäres Forum für theoretische und empirische Beiträge aus der gesamten Medien- und Kommunikationswissenschaft. Für die Publikation in „Medien & Kommunikationswissenschaft“ kommen wissen- schaftliche Beiträge in Betracht, die: • ein Moment originärer theoretischer Leistung beinhalten bzw. einen theoretisch weiterführenden Argumentationsgang bieten; • Befunde zu einem ausgewiesenen Problem von theoretischer oder medienprak- tischer Relevanz darstellen; • innerhalb eines wissenschaftlichen Diskurses Position beziehen und die Diskussion voranbringen können oder • Literatur bzw. ausgewählte Literatur zu bestimmten Problemstellungen systema- tisch und vergleichend zusammenfassen und eine Übersicht über den Stand der Theorie und/oder Empirie geben. Die Redaktion bietet außerdem die Möglichkeit zur Stellungnahme und Erwiderung zu publizierten Beiträgen. Stellungnahmen und Erwiderungen, die den in „Medien & Kommunikationswissenschaft“ üblichen inhaltlichen und formalen Standards entspre- chen und geeignet sind, die wissenschaftliche Diskussion zu fördern, werden im nächst- möglichen Heft publiziert. Die Redaktion räumt dabei dem Autor bzw. der Autorin des Beitrages, auf den sich die Stellungnahme bezieht, die Möglichkeit einer Erwiderung ein. Manuskripte, die zur Publikation in „Medien & Kommunikationswissenschaft“ einge- reicht werden, dürfen nicht anderweitig veröffentlicht sein und bis Abschluss des Be- gutachtungsverfahrens nicht anderen Stellen zur Veröffentlichung angeboten werden. Im Sinne der Förderung des wissenschaftlichen Diskurses und der kumulativen For- schung sowie der Qualitätssicherung legt die Redaktion bei der Begutachtung von Beiträ- gen besonderen Wert darauf, dass größtmögliche Transparenz hinsichtlich der verwen- deten Daten hergestellt wird. Autorinnen und Autoren empirischer Beiträge verpflich- ten sich mit der Einreichung des Manuskripts, dass sie die Art und Weise der Datener- hebung bzw. den Zugang zu Datenbeständen, die von Dritten (z. B. Datenbanken) zur Verfügung gestellt worden sind, ausreichend dokumentieren, um so die Voraussetzungen für Sekundäranalysen und Replikationen zu schaffen. Zugleich erklären sie sich bereit, die verwendeten Daten bei wissenschaftlich begründeten Anfragen im Rahmen der je- weils gegebenen Möglichkeiten für weitere Analysen zur Verfügung zu stellen. Formalien: • Manuskripte sind der Redaktion in dreifacher Ausfertigung oder per E-Mail zuzu- schicken. • Da die eingereichten Manuskripte anonymisiert begutachtet werden, sind zwei Ti- telblätter erforderlich: eines mit Angabe des Titels und der Namen und Anschrif- ten der Autorinnen und Autoren, eines ohne Anführung der Namen und Adressen. Das Manuskript selbst darf keine Hinweise auf die Autorinnen und Autoren ent- halten. 463 016_M&K_02+03-05_Autorinnen und 06.07.2005 11:48 Uhr Seite 464

M&K 53. Jahrgang 2-3/2005

• Beizufügen ist eine kurze Zusammenfassung des Beitrags (max. 15 Zeilen), die dem Leser als selbständiger Text einen hinreichenden Eindruck vom Inhalt des jeweili- gen Beitrags vermittelt. • Der Umfang der Beiträge soll 20 Manuskriptseiten (55.000 Zeichen) nicht über- schreiten. • Die Manuskriptseiten müssen im DIN A4-Format (einseitig), anderthalbzeilig be- schrieben und mit ausreichendem Rand versehen sein. • Gliederung des Textes: Jedes Kapitel und Unterkapitel sollte mit einer Überschrift (in Dezimalzählung) versehen sein. • Hervorhebungen im Text sind kursiv oder fett zu kennzeichnen. • Für Hinweise und Literaturbelege bestehen wahlweise zwei Möglichkeiten: a) durch Angabe von Autor, Erscheinungsjahr und Seitenziffer im fortlaufenden Text – z. B.: . . . (Müller, 1990: 37 – 40) . . . –, wobei der vollständige bibliographi- sche Nachweis über ein Literaturverzeichnis im Anschluss an den Beitrag erfolgt; b) über durchnummerierte Anmerkungsziffern, wobei der Text der Anmerkung auf der entsprechenden Seite aufgeführt wird. Über eine Annahme des Manuskripts und den Zeitpunkt der Veröffentlichung ent- scheidet die Redaktion auf der Grundlage redaktionsinterner und externer Gutachten. Dem/der Autor/in wird die Redaktionsentscheidung schriftlich mitgeteilt. Im Falle ei- ner Entscheidung für Überarbeitung, Neueinreichung oder Ablehnung legt die Redak- tion die Gründe für ihre Entscheidung offen. Dazu werden die anonymisierten Gut- achten, evtl. auch nur in Auszügen, zugesandt. Das Begutachtungsverfahren ist in der Regel sechs Wochen nach Eingang des Manuskripts abgeschlossen; falls die Begut- achtung längere Zeit erfordert, werden die Autor/inn/en benachrichtigt. Von jedem Originalbeitrag werden 20 Sonderdrucke kostenlos zur Verfügung gestellt. Weitere Sonderdrucke können bei Rückgabe der Fahnenkorrektur an die Redaktion schriftlich gegen Rechnung bestellt werden. Verlag und Redaktion haften nicht für Manuskripte, die unverlangt eingereicht werden. Mit der Annahme eines Manuskripts erwirbt der Verlag von den Autorinnen und Au- toren alle Rechte, insbesondere auch das Recht der weiteren Vervielfältigung zu ge- werblichen Zwecken im Wege des fotomechanischen oder eines anderen Verfahrens.

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