Plenarprotokoll 15/127

Deutscher

Stenografischer Bericht

127. Sitzung

Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Inhalt:

Begrüßung der neuen Abgeordneten Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ Dr. Bärbel Kofler (SPD) ...... 11583 A DIE GRÜNEN) ...... 11586 D (FDP) ...... 11588 C Tagesordnungspunkt 14: (fraktionslos) ...... 11590 A a) Zweite und dritte Beratung des von den , Parl. Staatssekretär BMWA . . . 11590 C Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Dirk Niebel (FDP) ...... 11592 D Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Än- derung des Dritten Buches Sozialgesetz- Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMWA . . . 11593 A buch und anderer Gesetze (CDU/CSU) ...... 11593 B (Drucksachen 15/3674, 15/3737) ...... 11583 B Gerd Andres (SPD) ...... 11594 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit zu (CDU/CSU) ...... 11595 B dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, (Münster), weiterer Abgeordneter und der Tagesordnungspunkt 15: Fraktion der FDP:Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermittlung durch Antrag der Abgeordneten Dr. Rolf Bietmann, marktgerechte Ausgestaltung der Ver- Kurt-Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek, weiterer mittlungsgutscheine verstärkt nutzen Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ (Drucksachen 15/3513, 15/3737) ...... 11583 B CSU: Keine weitere Verzögerung in der Frage der Entsorgung nuklearer Abfälle (Drucksache 15/3492) ...... 11596 A in Verbindung mit Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU) ...... 11596 B Horst Kubatschka (SPD) ...... 11598 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Birgit Homburger (FDP) ...... 11600 D Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika Bellmann, weiterer Jürgen Trittin, Bundesminister BMU ...... 11602 A Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Langfristig eine einheitliche Förde- Franz Obermeier (CDU/CSU) ...... 11603 D rung der Selbstständigkeit von Arbeits- Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD) ...... 11604 D losen schaffen (Drucksache 15/3707) ...... 11583 C Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) ...... 11605 D Karin Roth (Esslingen) (SPD) ...... 11583 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD) ...... 11606 A Dr. Hermann Kues (CDU/CSU) ...... 11585 B Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU) ...... 11606 B II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Tagesordnungspunkt 16: glieds in das Gremium gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes a) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksache 15/3752) ...... 11614 C Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wahl ...... 11614 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Schmitt (Landau), Ulrike Mehl, Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Ergebnis ...... 11617 C Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vogel-Sperl, Dr. Reinhard Zusatztagesordnungspunkt 7: Loske, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zurück- Eine nachhaltige Chemiepolitik in weisung des Einspruchs des Bundesrates Europa – Innovation fördern, Um- gegen das Gesetz zur Neuregelung von welt und Gesundheit schützen und Luftsicherheitsaufgaben Verbraucherschutz stärken (Drucksachen 15/2361, 15/3338, 15/3587, 15/3759) 11615 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, Karl-Josef Laumann, weiterer Abge- Namentliche Abstimmung ...... 11615 B ordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Unabhängige Folgenabschät- Ergebnis ...... 11619 C zung der neuen EU-Chemikalien- politik (Drucksachen 15/2666, 15/2654, 15/3381) 11608 A Zusatztagesordnungspunkt 8: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Antrag der Fraktionen der SPD und des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zurück- Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- weisung des Einspruchs des Bundesrates geordneten Dr. Peter Paziorek, Dr. Maria gegen das Zweite Gesetz zur Änderung des Flachsbarth, Dr. Rolf Bietmann, weiterer Zivildienstgesetzes und anderer Vorschrif- Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ ten (Zweites Zivildienstgesetzänderungs- CSU: Tierversuche in der europäischen gesetz – 2. ZVDGÄndG) Chemikaliengesetzgebung auf ein Mini- (Drucksachen 15/3279, 15/3486, 15/3590, mum begrenzen 15/3760) ...... 11615 A (Drucksachen 15/1982, 15/3261) ...... 11608 B Heinz Schmitt (Landau) (SPD) ...... 11608 B Namentliche Abstimmung ...... 11615 C Marie-Luise Dött (CDU/CSU) ...... 11609 D Ergebnis ...... 11621 B Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11611 A Birgit Homburger (FDP) ...... 11612 B Tagesordnungspunkt 17: Dr. (CDU/CSU) ...... 11613 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- Tagesordnungspunkt 22: ten Dr. Peter Paziorek, Kristina Köhler Wahlvorschlag der Fraktion der FDP: Wahl (Wiesbaden), Dr. Christian Ruck, weiterer eines Mitglieds in das Gremium gemäß Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungs- CSU: Mehr Kosteneffizienz im Klima- gesetzes schutz durch verstärkte Nutzung der pro- (Drucksache 15/3703) ...... 11614 C jektbezogenen Kioto-Mechanismen (Drucksachen 15/1690, 15/2803) ...... 11615 D in Verbindung mit (SPD) ...... 11616 A Josef Göppel (CDU/CSU) ...... 11617 D Zusatztagesordnungspunkt 6: Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11624 A Wahlvorschlag der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN:Wahl eines Mit- Birgit Homburger (FDP) ...... 11625 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 III

Jürgen Trittin, Bundesminister BMU ...... 11626 D (Starnberg) (SPD) ...... 11646 C Dr. Rolf Bietmann (CDU/CSU) ...... 11627 B (CDU/CSU) ...... 11648 B Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD) . . . . . 11628 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11649 C Tagesordnungspunkt 18: (FDP) ...... 11650 B Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Hans-Peter Kemper (SPD) ...... 11651 A tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines (CDU/CSU) ...... 11652 B Haushaltsbegleitgesetzes 2005 (Haushalts- begleitgesetz 2005 – HBeglG 2005) Nächste Sitzung ...... 11653 D (Drucksachen 15/3442, 15/3755) ...... 11629 D (Neuruppin) (SPD) ...... 11630 A Anlage 1 Jürgen Koppelin (FDP) ...... 11631 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD) ...... 11632 A 11655 A (CDU/CSU) ...... 11632 B (BÜNDNIS 90/ Anlage 2 DIE GRÜNEN) ...... 11635 C Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- Georg Schirmbeck (CDU/CSU) ...... 11637 A schen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Gremiums gem. § 4 a des Bun- Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ deswertpapierverwaltungsgesetzes teilgenom- DIE GRÜNEN) ...... 11637 B men haben ...... 11655 A Hellmut Königshaus (FDP) ...... 11638 A Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) ...... 11639 A Anlage 3 Jürgen Koppelin (FDP) ...... 11639 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Vierten Gesetzes Tagesordnungspunkt 19: zur Änderung des Dritten Buches Sozialge- Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, setzbuch und anderer Gesetze (Tagesord- Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer nungspunkt 14) ...... 11658 A Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Freie Wahl der Kostenerstattung in der ge- setzlichen Krankenversicherung Anlage 4 (Drucksache 15/3511) ...... 11640 C Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Detlef Parr (FDP) ...... 11640 D Antrags: Freie Wahl der Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Ta- Dr. Erika Ober (SPD) ...... 11641 D gesordnungspunkt 19) Wolfgang Zöller (CDU/CSU) ...... 11643 D Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . 11658 B (CDU/CSU) ...... 11645 A

Anlage 5 Tagesordnungspunkt 20: Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung desregierung eingebrachten Entwurfs eines des Postpersonalrechtsgesetzes (Tagesord- Ersten Gesetzes zur Änderung des Postper- nungspunkt 20) sonalrechtsgesetzes (Drucksachen 15/3404, 15/3591, 15/3732) . . 11646 B Petra Pau (fraktionslos) ...... 11659 B

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11583

(A) (C) Redetext

127. Sitzung

Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika Sitzung ist eröffnet. Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU Für den verstorbenen Kollegen Büttner hat die Abge- ordnete Dr. Bärbel Kofler am 21. September 2004 die Langfristig eine einheitliche Förderung der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich Selbstständigkeit von Arbeitslosen schaffen begrüße die Kollegin herzlich und wünsche gute Zusam- – Drucksache 15/3707 – menarbeit. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (Beifall) Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b so- höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. wie Zusatzpunkt 5 auf: (B) Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin(D) Karin Roth, SPD-Fraktion, das Wort. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Karin Roth (Esslingen) (SPD): Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koali- tionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Drucksache 15/3674 – zur Arbeitsmarktpolitik wollen wir die Maßnahmen kon- kretisieren und mit dazu beitragen, dass die begonnenen (Erste Beratung 123. Sitzung) Reformen unkompliziert und unbürokratisch umgesetzt Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- werden können. Mit den Vorschlägen setzen wir unsere ses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) Strategie, den Arbeitsmarkt zu modernisieren und dabei vor allen Dingen die Vermittlung in Arbeit zu beschleu- – Drucksache 15/3737 – nigen, fort. Berichterstattung: Wir wissen, dass die Arbeitsmarktpolitik kein Ersatz Abgeordneter Dr. Hermann Kues für Beschäftigungspolitik ist. Deshalb sind Investitionen – insbesondere der Kommunen – zur Schaffung von Ar- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- beitsplätzen in den Regionen genauso wichtig wie die richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit Erfindung neuer Produkte und Dienstleistungen in den (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Unternehmen. Innovation und Beschäftigung durch For- Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahrschung und Entwicklung – das ist die eine Seite der Me- (Münster), weiterer Abgeordneter und der Frak- daille einer nachhaltigen Wirtschafts- und Beschäfti- tion der FDP gungspolitik. Die andere Seite erfordert passgenaue Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermitt- Instrumente der Arbeitsmarktpolitik. Das haben wir mit lung durch marktgerechte Ausgestaltung der unseren Reformen am Arbeitsmarkt angepackt, die es Vermittlungsgutscheine verstärkt nutzen jetzt in die Praxis umzusetzen gilt. – Drucksachen 15/3513, 15/3737 – Zu allererst geht es um eine schnellere Vermittlung in Arbeit. Dazu wird die Organisation in den Agenturen für Berichterstattung: Arbeit vor Ort so verändert, dass nunmehr dieArbeits- Abgeordneter Dr. Hermann Kues vermittlung im Mittelpunkt steht. Zu Norbert Blüms 11584 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Karin Roth (Esslingen) (A) Zeiten hatte ein Arbeitsvermittler bis zu 800 Arbeitslose verhältnissen vor und so verhindern wir gemeinsam(C) im wahrsten Sinne des Wortes zu verwalten, aber wenig Missbrauch. Chancen, den Einzelnen so zu betreuen, ihn so im Blick zu haben, dass eine passgenaue Arbeit vermittelt werden Das erfolgreiche Instrument der Ich-AG, bei der ein konnte. Arbeitsloser ohne bürokratischen Aufwand den Schritt in die Selbstständigkeit wagen kann, wollen wir weiter Jetzt steuern wir um. Unser Ziel ist, dass in Zukunft stärken. Dabei kommt es vor allem darauf an, die be- ein Arbeitsvermittler maximal 150 Arbeitslose betreut, triebswirtschaftlichen Grundlagen stärker ins Blickfeld bei Jugendlichen sogar nur 75. Damit verbessern wir die zu nehmen, weil der Erfolg von Ich-AGs entscheidend Vermittlungschancen, weil jeder einzelne Arbeitslosevon entsprechenden Kenntnissen abhängig ist. Fachkun- stärker im Blickfeld des Arbeitsvermittlers steht. dige Stellen, die schon heute Existenzgründungen von Folgerichtig verlängern wir deshalb heute auch die Arbeitslosen vor Ort unterstützen, sollen deshalb die bisher bestehende zeitliche Befristung für das neue Instru- Ich-AGs und die Tragfähigkeit des Gründungskonzepts ment der Vermittlungsgutscheine für private Vermittler überprüfen und vor allen Dingen die Existenzgründerin- bis zum 31. Dezember 2006. Rund 1,2 Millionen Ver- nen und Existenzgründer in spe beraten. Dadurch soll mittlungsgutscheine wurden in den letzten zwei Jahren das Risiko des Scheiterns der Existenzgründer vermin- ausgegeben, um zusätzlich zur Arbeitsvermittlung in den dert werden. Agenturen neue Vermittlungsfelder zu erschließen. In Die Erfahrungen mit dem Überbrückungsgeld zeigen, Ostdeutschland – man höre und staune – wurde die dass bei Arbeitslosen ein großes Potenzial für die Selbst- Hälfte aller Vermittlungsgutscheine, nämlich 615 000, ständigkeit vorhanden ist. Deshalb sollten wir die ar- ausgegeben. Das zeigt, dass offensichtlich eine große beitslosen Menschen gemeinsam – ich betone: gemein- Nachfrage nach diesem Instrument besteht. sam – ermutigen, Neues zu wagen. Es ist sehr Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- bemerkenswert, mit wie viel Fantasie solche Ich-AGs und Berufsforschung macht zudem deutlich, dass durch gegründet werden. Aufgrund der Beispiele, die ich vor den Einsatz von Vermittlungsgutscheinen die durch-Ort kennen gelernt habe, kann ich sagen: Ich war sehr schnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit um rund zweibeeindruckt, dass insbesondere auch Frauen dieses In- Wochen verkürzt und die Vermittlungsgeschwindigkeit strument nutzen, um in dieSelbstständigkeit zu gehen. sogar um 7 Prozent erhöht werden kann. Das ist ein Be- Die Fantasie dieser Frauen ist wahrlich bewundernswert. weis dafür, dass bei der Vermittlung in Arbeit noch mehr möglich ist. Könnten wir diese Beschleunigung auf den (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gesamten Prozess der Arbeitsvermittlung nur zur Hälfte DIE GRÜNEN) (B) übertragen, würden wir durch die Reduzierung um eine (D) Denn es sind nicht die traditionellen Beschäftigungs- Woche Ausgaben für das Arbeitslosengeld in Höhe von zweige, die Frauen in die Selbstständigkeit bringen. immerhin 1 Milliarde Euro einsparen. Vielmehr haben sie wirklich wunderbare Ideen. Es gilt, Bei der Vereinfachung geht es nicht nur um sie die zu ermutigen. Beschleunigung des Vermittlungsprozesses im Inte- resse der Arbeitslosen, sondern auch um die paritätisch Immerhin sind in den letzten 12 Monaten insgesamt finanzierte Arbeitslosenversicherung; denn dieses Geld 31 Prozent mehr Ich-AGs entstanden. Das ist eine gute muss nicht notwendigerweise ausgegeben werden. Die- Bilanz. Noch mutiger – auch das möchte ich betonen – ses positive Zwischenergebnis zeigt uns, dass wir mit sind die Menschen in den neuen Bundesländern: Dort unserer Politik auf dem richtigen Weg sind. Deshalbliegt die Zunahme bei denen, die eine Ich-AG gründen werden wir die Frist für den Anspruch auf einen Vermitt- und sich der Selbstständigkeit stellen, bei 40 Prozent. lungsgutschein von heute drei Monaten Arbeitslosigkeit Diese erfreulichen Zahlen sind für uns ein Ansporn, die- auf sechs Wochen verkürzen. ses Instrument zu verbessern. Genau das tun wir durch den vorliegenden Gesetzentwurf. (Dirk Niebel [FDP]: Warum nicht von Anfang an?) Ich bin davon überzeugt, dass durch Kreativität, En- gagement und längerfristige Unterstützung eine neue Warum sollten wir wertvolle Zeit vergeuden, wenn eine Existenzgründerkultur entstehen kann. Angesichts des schnellere Vermittlung bzw. Eingliederung in Arbeitkonjunkturellen Aufschwungs unserer Wirtschaft, der möglich ist? sich bereits in höheren Gewerbesteuereinnahmen nieder- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schlägt, ist die Zeit reif für eine solche Existenzgründer- DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Dann kultur. Das Institut der deutschen Wirtschaft stellt fest, machen Sie es doch von Anfang an!) dass Deutschland in der Europäischen Union auf Platz vier bei der Anzahl der Existenzgründer liegt. Ich bin da- Allerdings müssen wir Missbrauch und Mitnahme- von überzeugt, wir können noch besser werden, ja wir effekte verhindern. Dazu hat uns vor allen Dingen der müssen besser werden. Dafür müssen wir alles tun und Bundesrechnungshof aufgefordert. Deshalb werden wir deshalb sollten Sie, meine Damen und Herren von der die Auszahlung an die Dauer der Beschäftigung kop-Opposition, diesem Gesetz zustimmen. peln. Die erste Rate des Vermittlungshonorars wird erst ausgezahlt, wenn das Beschäftigungsverhältnis mindes- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tens sechs Wochen besteht. So beugen wir Scheinarbeits- DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11585

Karin Roth (Esslingen) (A) Die Opposition hat beantragt, über die Wirksamkeit (Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei (C) der arbeitsmarktpolitischen Instrumente Bericht zu er- Abgeordneten der SPD – Zurufe von der SPD: statten. Ich denke, dass das erst dann sinnvoll ist, wenn Nach den Wahlen!) die von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gut- Allerdings kann auch kein Zweifel daran bestehen – da- achten vorliegen. rauf will ich dann doch hinweisen –, dass dieses Gesetz Ich denke, Sie können unserem Gesetzentwurf in aller zu einem Lazarettzug gehört, der die Arbeitsmarktge- Ruhe zustimmen; das gilt auch für den vorgesehenensetzgebung der Regierung in den letzten Jahren beglei- Kinderfreibetrag, dessen Erhöhung Sie unterstützentet, und zwar deshalb, weil sich die Arbeitsmarktpolitik wollen. Auch hier sollten Sie heute zustimmen. Wir ha- dieser Regierung im Wesentlichen darauf beschränkt, ben die größte Arbeitsmarktreform in Deutschland auf mit hohem finanziellen Aufwand die Ergebnisse einer den Weg gebracht. Wir sollten die arbeitslosen Men-verfehlten Wirtschaftspolitik in den Griff zu bekommen. schen ermutigen, wir sollten Positives nach vorne brin- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen. Ich sage auch ganz deutlich: Das, was an Wachstums- Wir sollten die Jugendlichen auffordern, Beschäfti- chancen in Deutschland nicht genutzt wird, beispiels- gungs- und Ausbildungsangebote anzunehmen. Kurzum: weise durch eine überhaupt nicht erkennbare in sich Wir fordern und fördern die Menschen. Wir machenschlüssige, langfristig angelegte Energiepolitik, kann diese Reformpolitik, weil wir wissen, dass sie gut fürauch durch eine nachgelagerte Arbeitsmarktpolitik auf dieses Land ist. Ich bin davon überzeugt: Wir sind ein dem zweiten Arbeitsmarkt nicht ausgeglichen werden. starkes Land. Wir können es schaffen – wir haben eine Ich wundere mich schon, dass beispielsweise – auch das starke Regierung –, die Menschen davon zu überzeugen, ist einer der Widersprüche – bei derGrünen Gentech- dass diese Arbeitsmarktpolitik richtig ist und dass sie vor nik die gesetzlichen Regelungen mit Bürokratie überzo- allen Dingen gut für die Zukunftsperspektiven der Men- gen werden, sodass eigentlich kaum noch etwas möglich schen in diesem Land ist. ist, während gleichzeitig der Wirtschaftsminister – mir persönlich ist das ein Anliegen – etwa in der Frage der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Stammzellforschung so tut, als habe es nie eine gründli- DIE GRÜNEN) che Diskussion und einen fraktionsübergreifenden Be- schluss hier im Parlament gegeben. Diese Dinge passen Präsident Wolfgang Thierse: nicht zusammen. Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Kues, CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU) CSU-Fraktion. (B) Jetzt ist neu hinzugekommen – die Politik, dass man (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Gesetze ständig wieder korrigieren muss, hat sich im Prinzip nicht verändert –, dass das Ganze durch die Be- Dr. Hermann Kues (CDU/CSU): schimpfungsaktionen des Bundeskanzlers begleitet wird. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ich sage ausdrücklich: Es gibt Missbrauch und Mitnah- CDU/CSU-Fraktion wird dieses Gesetz mittragen – trotz meeffekte. Das ist nicht in Ordnung, dagegen muss et- einiger Widersprüche zu anderen sozialstaatlichen Rege- was getan werden. Ich sage aber auch: Wenn man so mi- lungen. Wir haben das im Ausschuss angesprochen: Die serable Gesetze verabschiedet, dass sie geradezu zu Erhöhung des Kinderfreibetrags ist in Ordnung. Sie wis- Mitnahmen und Missbrauch einladen, dann muss sich sen aber auch, dass jetzt die Kinder der nicht erwerbsfä- die verantwortliche Politik, die Bundesregierung, auch higen Sozialhilfeempfänger aufgrund einer anderen Frei- ein wenig selbst an die Nase fassen. betragsregelung anders behandelt werden als die Kinder (Beifall bei der CDU/CSU) der arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger. Das ist ein Widerspruch; wir tragen es trotzdem mit. Im Übrigen hätten Sie das alles vorher wissen kön- nen; Sie waren bei den Anhörungen ja dabei. Alle kriti- (Beifall bei der CDU/CSU) schen Punkte, die jetzt teilweise korrigiert werden, sind damals angesprochen worden. Deswegen wäre es über- Wir tragen es mit, obwohl Sie diesen Gesetzentwurf erst haupt nicht notwendig gewesen, dass man jetzt pausen- vor zwei Wochen eingebracht haben, quasi beiläufig zu los nachbessern muss. den Haushaltsberatungen. Wir tragen es auch mit, ob- wohl es typisch ist für die Art und Weise, wie diese Bun- Ich habe die Anmerkungen des Bundesrechnungs- desregierung Gesetzgebung betreibt: Bevor ein Gesetz in hofes zur Inanspruchnahme der Vermittlungsgutscheine Kraft tritt, werden bereits Korrekturen auf den Weg ge- sehr genau gelesen; Sie haben das angesprochen. Die bracht. Das ist ein Hin und Her, das kann nicht überzeu- Mitarbeiter zum Beispiel der Bundesagentur für Arbeit gen und führt zu Unsicherheit. haben gesagt, diese seien auch vom Auszahlungsmodus her so angelegt gewesen, dass man bei Missbrauch und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mitnahmen praktisch hilflos gewesen sei, und man könne aus Zeit- und Personalgründen ohnehin nicht je- Vor diesem Hintergrund werden Sie mir sicherlich zu- dem Verdacht nachgehen. gestehen müssen, dass das deutsche Parlament noch nie eine so konstruktive Opposition gehabt hat, wie CDU Jetzt kommt hinzu, dass der Kanzler seine Schelte pi- und CSU sie darstellen. kanterweise in der Ostzeitung „Guter Rat“, die es auch 11586 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Dr. Hermann Kues (A) schon vor der Wende gab, abgegeben hat. Ich hätte das Ich will jetzt nicht im Einzelnen etwas zu denVer- (C) nicht so genau gewusst, wenn ich nicht einen Mitarbeiter mittlungsgutscheinen sagen. Ich habe mich einmal bei hätte, der im Osten aufgewachsen ist und das sehr genau meinem örtlichen Arbeitsamt erkundigt, wie damit um- verfolgt hat. Er hat diese Hinweise also in erster Linie an gegangen wird. Die Vermittlungsgutscheine sind im We- die Menschen in den neuen Bundesländern gegeben. Ich sentlichen für die Arbeitsuchenden geeignet, die mit sage auch an dieser Stelle noch einmal: Missbrauch ist komplizierten Abläufen alleine fertig werden. Die nicht in Ordnung, er muss bekämpft werden. Wenn man Gruppe, um die es uns besonders gehen muss, tut sich Gesetze aber so anlegt, dass praktisch alles auf einensehr schwer. Fragen Sie einmal die arbeitslos gemelde- Missbrauch hinausläuft und dass eine Mentalität ent-ten Putzfrauen in den Arbeitsagenturen. Viele der Ver- steht, aufgrund deren sich jeder vom Staat das holt, was mittlungsgutscheine finden Sie im Papierkorb wieder, er bekommen kann, dann darf man sich nicht darüberweil die Menschen nichts damit anfangen können. Das wundern. alles lässt sich belegen; es ist in der Tat so. Im Grunde genommen ist es ein ungeeignetes Mittel. Es passt nicht Apropos guter Rat: Ich erinnere mich noch sehr genau und bewirkt letztlich nichts. an die SPD-Broschüre – damals gab es noch einen ande- ren Vorsitzenden; das gebe ich gerne zu –, in der den Was unser Land braucht, ist eine Wirtschafts- und Ar- Bürgern haarklein erläutert wurde, wie sie notfalls am beitsmarktpolitik, die Verkrustungen löst, bürokratische Rande der Legalität an staatliche Leistungen kommen Hemmnisse abbaut und Optimismus und nicht Angst konnten, obwohl sie ein ausreichendes Einkommen hat- verbreitet. Wir als Union sind schon immer dafür gewe- ten. sen – da waren Sie noch weit davon entfernt –, Arbeits- losen- und Sozialhilfe zusammenzufassen. Wir haben (Klaus Brandner [SPD]: Na, na, na!) das Gesetz mitgetragen, weil es eine Strukturverände- rung bedeutet, die unseres Erachtens außerordentlich Das war im Jahre 1994; es ist also gerade einmal zehn notwendig ist. Aber so wie Sie es umsetzen, wird es sehr Jahre her. Es gibt einen Unterschied: Sie waren damals schwierig. die Opposition und haben geglaubt, der Regierung damit schaden zu können. Es war aber unverantwortlich. Das Ich habe bis heute nicht begriffen, weshalb Sie sich ist der Unterschied zu unserer heutigen Oppositionsar- mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben – Frau beit. Dückert, Sie kennen das aus unserer Region, wenn ich einmal Oldenburg zum Emsland zählen darf –, den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kommunen hier die Verantwortung zu übertragen, ob- Klaus Brandner [SPD]: Jetzt haben Sie ein tol- wohl wir damit beste Erfahrungen gemacht haben. Wir les Beispiel dafür gegeben, wie die Mitnahme- mussten Ihnen das Zugeständnis abringen, dass gerade (B) effekte zu Ihrer Zeit organisiert worden sind!) einmal 69 Kommunen diese Erlaubnis bekommen. Das (D) zeigt, dass Sie einen guten Ansatz durch Bürokratie und Im Übrigen muss man nicht bis in Ihre Oppositionszeit Zentralismus zu torpedieren versuchen. Das finde ich zurückgehen, um festzustellen, wie Sie Ihre Meinungen außerordentlich schade. über Bord werfen. Ich könnte dazu viele Beispiele nen- nen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Roth, Sie sagten, wir sollten uns einmal gemein- Jetzt höre ich – damit komme ich zum Schluss –, dass sam Gedanken darüber machen, wie wir den Weg in die die Koalition bereits in der Mitte der Legislaturperiode Selbstständigkeit fördern können. Wir haben im Aus- wieder zum Stillstand übergehen will. Ich halte das für schuss einen Antrag dazu eingebracht und gesagt, dass fatal. Wir brauchen eine durchgreifendeFlexibilisie- man die Grundgedanken der Ich-AG und die Einführung rung des Arbeitsmarktes. Wir brauchen ein Denken des Überbrückungsgeldes zusammenführen muss, weil aus der Sicht des Arbeitslosen und nicht aus der Sicht sich gezeigt hat, dass das Überbrückungsgeld wesentlich des Arbeitsplatzbesitzers. Wir brauchen Entscheidungs- nachhaltiger wirkt als die Ich-AG. Das lässt sich im Prin- freiheit für die betriebliche Ebene überall da, wo eine zip schon jetzt nachweisen. Abkopplung der Sozialversicherungsbeiträge vom Lohn möglich ist. Der Wandel in Deutschland braucht mehr 70 Prozent der mit dem Überbrückungsgeld geförder- Freiheit, mehr Eigenverantwortung und mehr Leistungs- ten Kleinstunternehmen waren auch drei Jahre nach der gerechtigkeit, vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Gründung noch erfolgreich am Markt tätig. Jeder zweite Vielen Dank. Existenzgründer hat inzwischen zusätzliche Arbeits- plätze geschaffen. Wir haben Ihnen im Ausschuss drin- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gend ans Herz gelegt, dass Sie das unterstützen, weil das ja ein gemeinsamer Weg sein könnte. Wir sagen an allen Präsident Wolfgang Thierse: Stellen: Dort, wo im Hinblick auf die Bekämpfung der Ich erteile das Wort Kollegin Thea Dückert, Bünd- Arbeitslosigkeit etwas besser zu werden scheint, machen nis 90/Die Grünen. wir mit. Das nenne ich konstruktiv. Sie sind aber de- struktiv, weil Sie einen guten Vorschlag, dessen Sinn Dr. Thea Dückert auch Sie nicht bezweifeln, nur deshalb nicht unterstützt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haben, weil er von der Opposition kommt. Das geht Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr letztlich zulasten der Arbeitlosen. Kues, wir kommen zwar beide aus dem Norden – als Ol- denburgerin grüße ich Sie –, aber da hören die Gemein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) samkeiten schon fast auf. Gerade in Bezug auf unsere Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11587

Dr. Thea Dückert (A) Sicht auf den Arbeitsmarktund die arbeitsmarktpoliti- Sie den Neonazis in die Hände gespielt. Das wissen Sie (C) schen Ansätze gibt es große Unterschiede. auch. Ich möchte Folgendes vorausschicken: Ich begrüße (Dirk Niebel [FDP]: Sie haben das Bundes- es, dass Sie trotz allem Ach, Weh und Aber deutlich ge- verfassungsgericht vergessen!) macht haben, dass mit dem Gesetzentwurf, den wir heute Die politische Lehre, die wir daraus ziehen müssen, ist, einbringen und in dem beispielsweise die Heraufsetzung dass wir notwendigerweise zusammenstehen müssen, des Grundfreibetrages zur Schonung des Vermögens und um diese Reformen zu verteidigen und zu erklären, weil die Sicherstellung der nahtlosen Auszahlung im Januar sie für Deutschland unumgänglich sind. vorgesehen sind, die letzten Pflöcke eingeschlagen wer- den, damit diese Reform am 1. Januar 2005 wirklich um- Herr Kues, bei allen Differenzen über einzelne Instru- gesetzt wird. mente Wir alle wissen, wie notwendig diese Reform ist. Eine (Dirk Niebel [FDP]: Statt Schulnoten an die derart lange Dauer der Arbeitslosigkeit wie in Deutsch- anderen Redner zu verteilen, sollten Sie Kon- land gibt es sonst in Europa nicht. Wir alle wissen, dass zepte darstellen!) der Paradigmenwechsel, den wir mit diesen Reformen – ob das Vermittlungsgutscheine, Ich-AGs oder ABM am 1. Januar 2005 vornehmen, hin zu einer Arbeits- sind – dürfen Sie nicht einen neuen Aufhänger suchen, marktpolitik der Integration, in Deutschland bitter nötig um die Politik des schlanken Fußes fortzusetzen. Sie ist. Es geht darum – Frau Kollegin Roth hat das eben mit müssen – das zeigen auch die Wahlen – diesem Parla- Zahlen schon belegt –, endlich auch dieVermittlungs- ment und der Bevölkerung klar machen, dass erstens tätigkeit zu verbessern, um die Menschen direkt und in- kein Weg an den Reformen, die am 1. Januar wirksam dividuell beraten zu können, ihnen vielfältige Brücken in werden, vorbeiführt und zweitens vor dem 1. Januar die den Arbeitsmarkt zu bauen und vor allen Dingen die Ar- Ärmel aufgekrempelt werden müssen, um die Reformen beitsmarktpolitik dezentral auszurichten. Wir wissen möglichst reibungslos umzusetzen. auch: So unpopulär diese Reformen sind, so nötig sind sie gleichzeitig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir haben eben gehört, dass hier eine konstruktive Oppositionsarbeit betrieben worden sei. Ich muss Ihnen Wir stehen unter Zeitdruck. Den haben Sie durch das schon sagen, Herr Kues: Wenn ich zurückblicke, stelle Theater im letzten Jahr, als es um das Optionsgesetz ich fest, dass der Weg zur Umsetzung einer wirklich sehr ging, mit zu verantworten. schwierigen Reform in diesem Jahr mit lauter kleinen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist doch (B) (D) Steinen der Destruktivität gepflastert ist. Ich will zum Unsinn!) Beispiel daran erinnern, dass Herr Koch noch im Früh- jahr die Kommunen zum Boykott dieser Reformen auf- Es ist wichtig, sicherzustellen, dass die Auszahlung am gerufen hat. Ich will an den Schlingerkurs von Herrn1. Januar funktioniert, und es ist wichtig, sicherzustellen, Milbradt erinnern, der auf der einen Seite im Vermitt- dass die verbesserte Förderung und Betreuung funktio- lungsausschuss Verschärfungen forderte und auf der an- nieren, egal ob es Schwierigkeiten bei der Software gibt deren Seite am liebsten an den Montagsdemonstrationen oder nicht. Es ist wichtig, dass die Förderung, die Be- teilgenommen hätte. gleitung, die Beratung unddie Auszahlungen bei den Menschen ankommen. Darum geht es. Wir müssen uns Ich will auch – das geht an die FDP – an den billigen hier zusammentun, um das vorzubereiten. Populismus in Form des Wahlslogans erinnern: Hartz statt Herz. Diese Reformen bedeuten nicht nur eine Veränderung im Denken und im Umgang mit der Arbeitslosigkeit – es (Dirk Niebel [FDP]: Andersherum!) geht darum, immer wieder alles daranzusetzen, dass die – Das ist wahr. Ich bin für das Herz. Menschen beraten und integriert werden und die Dauer der Arbeitslosigkeit reduziert wird –, (Dirk Niebel [FDP]: Es ist doch schön, dass wir so lieb zueinander sind!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hätten Sie sich vorher überlegen müssen!) Es ärgert mich, dass Sie einen so populistischen Spruch gebraucht haben. sondern diese Reformen bedeuten auch eine große Chance für Deutschland. Das gilt in zweierlei Hinsicht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zwar einmal für die Jugendlichen, die erstmals nicht und bei der SPD) nur eine elternunabhängige Leistung bekommen, son- Es geht darum, eine Arbeitsmarktpolitik zu machen, die dern auch die Garantie für ein Angebot. Sie werden es sich an den Menschen orientiert. Ihre billige Propaganda annehmen müssen, um ihre Leistung zu bekommen. Sie mit dem Spruch „Herz statt Hartz“ bedeuten zum anderen auch eine Chance und eine He- rausforderung für die Regionen, weil mit dieser Reform (Dirk Niebel [FDP]: Ich erkläre Ihnen das!) eine dezentrale Arbeitsmarktpolitik – Herr Kues, diese wollten wir immer – umgesetzt wird. hat den Rechten in die Hände gespielt. In trauter Einheit mit der PDS haben Sie diese Strategie gewählt. Es hat (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das Ihnen vielleicht in Sachsen genutzt; aber damit haben Gegenteil macht ihr!) 11588 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Dr. Thea Dückert (A) – Natürlich wollten wir sie. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Danke. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Tri tra trallala ist das!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Karl-Josef Wir haben immer auf das Know-how vor Ort hingewie- Laumann [CDU/CSU]: Das Aufhören war das sen. Die Kommunen, die Träger, die Arbeitgeber, die Beste an dieser Rede! – Gegenruf der Abg. Kammern und die Wohlfahrtsverbände vor Ort wissen Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- am besten, was sie ihren Langzeitarbeitslosen anbieten NEN]: Ein bisschen höflicher, bitte!) können und wie sie mit ihnen umgehen müssen. Sie ken- nen die Menschen. Dieses Wissen wollen wir einbinden. Präsident Wolfgang Thierse: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich erteile Kollegen Dirk Niebel, FDP-Fraktion, das und bei der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/ Wort. CSU]: Sie haben aber das Gegenteil gemacht!) Wir wissen aber auch, dass die Vermittlung wichtig ist. Dirk Niebel (FDP): Dabei hat die Bundesagentur für Arbeit ihre Erfahrungen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und eingebracht. Herren! Wenn man die Rede der Kollegin Dückert hört, (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie kennen dann wundert man sich, dass sich alles, was sie zu Recht noch nicht einmal Ihr eigenes Gesetz!) festgestellt hat, leider nicht im Gesetzentwurf wiederfin- det. Mittlerweile bin ich zu der Ansicht gekommen, dass Wir müssen am 1. Januar und auch schon vorher für das Wort „Nachbesserung“ zum Unwort des Jahres er- eine reibungslose Umsetzung sorgen. klärt werden müsste; denn es impliziert, dass etwas Gu- tes weiter verbessert wird. Aber aufgrund der Erfahrung (Volker Kauder [CDU/CSU]: Setzen, sechs!) mit Ihrer Gesetzgebung wissen wir, dass meistens das Ich plädiere für eine lernende Umsetzung. Ich rate jeder Gegenteil der Fall ist. Das trifft auch auf das vorliegende Kommune und unseren Kommunalpolitikern, dafür zu Sammelsuriumgesetz zu, in das nicht nur das Schonver- sorgen, dass Beiräte bei den Jobcentern eingerichtet wer- mögen für Kinder, sondern auch viele Einzelpunkte mit den, damit dieses Know-how in den Jobcentern gebün- eingebracht werden, die dazu führen, dass wir diesen delt wird. Man muss darauf achten, dass MaßnahmenGesetzentwurf nicht mittragen können. wie die fälschlicherweise so genannten 1-Euro-Jobs Ich betone aber ausdrücklich: Die FDP-Bundestags- Qualifizierungsanteile haben und keine regulären Jobs fraktion war und ist – übrigens schon länger als Sie – für (B) verdrängen. Wir wollen eine lernende Umsetzung, weil (D) die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, es auch Spezialfälle gibt. Die Jobcenter und die Fallma- weil es Sinn macht, zwei steuerfinanzierte Transferleis- nager haben eine hohe Verantwortung, wenn diese Spe- tungen für den gleichen Lebenssachverhalt zusammen- zialfälle auftreten. zufassen, und zwar nicht nur aus Gründen der Kostener- sparnis und der Verwaltungsvereinfachung, sondern Präsident Wolfgang Thierse: auch wegen der Würde der Betroffenen. Diese wird Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. nämlich eher gewahrt, wenn man sich mit seinen intims- ten wirtschaftlichen Daten nur vor einem wildfremden Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beamten „entkleiden“ muss statt gegenüber unterschied- Ich komme zum Schluss. lichen Behörden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist gut so!) Nichtsdestotrotz sind wir der Ansicht, dass das Motto besser „Herz und Hartz“ gelautet hätte. Ich möchte ein Beispiel für die lernende Umsetzung nen- nen. So gibt es Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind und in (Beifall bei der FDP) ein Frauenhaus gehen. Auch diese Frauen brauchenDas Motto „Herz statt Hartz“ geht auf das Ergebnis der – egal ob sie sich dafür entschieden haben, ihr Leben zu- Gesetzgebungsberatungen zurück, in denen Sie dafür ge- sammen mit ihrem Partner weiterzuführen, oder dafür, sorgt haben, dass nur das Element des Forderns außer- sich von ihm zu trennen –eine unabhängige Unterstüt- ordentlich gut geregelt wird. Auch wir sind übrigens da- zung und eine besondere Betreuung. All das werden wir für. sicherstellen müssen. (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Uns erwartet vor Ort eine Vielzahl von Aufgaben. Ich NEN]: Die NPD hätte diesen Satz genauso auf wiederhole, Herr Kues: Ich hoffe, wir können das in Ih- ihr Wahlplakat geschrieben! Dass Sie das hier rer Region, dem Emsland, bei uns in Oldenburg wie noch vertreten, ist erstaunlich!) auch in den neuen Bundesländern gemeinsam auf den Weg bringen. – Frau Dückert, Sie sollten besser still sein und zuhören, wenn ich darstelle, was Sie falsch gemacht haben. Präsident Wolfgang Thierse: (Beifall bei der FDP – Lachen und Wider- Frau Kollegin, Sie wollten doch zum Schluss kom- spruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ men. DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11589

Dirk Niebel (A) Was das Fordern angeht, haben Sie in dem Gesetzent- Sie haben völlig zu Recht festgestellt, Frau Dückert, (C) wurf effektive Regelungen vorgesehen. Zu kurz kommt dass eine Dezentralisierung notwendig ist. Aus diesem aber das Fördern. Denn Sie haben etwas Entscheidendes Grunde haben wir gefordert, die neue Leistung von den vergessen, an dem das Herz der Menschen hängt. Sie ha- Kommunen administrieren zu lassen. Sie haben ausge- ben vergessen, die Wirtschafts-, Steuer-, Arbeitsmarkt- führt, dass dies mit dem Gesetzentwurf der Fall sei. Es und Finanzpolitik so zu reformieren, dass weiteres In- ist mitnichten der Fall. In dem Pflichtenheft der Bun- vestieren und Konsumieren möglich wird, dass Arbeits- desagentur für Arbeit über die räumliche Ausgestaltung plätze geschaffen werden können und dass die Men-von Arbeitsgemeinschaften wird auf den Zentimeter ge- schen eine Chance bekommen, in den Arbeitsmarktnau festgelegt, wie weit die Steckdosen voneinander ent- zurückzukehren. fernt sein müssen, und geregelt, ob es Oberlichter geben darf. Die Bundesagentur regiert in die Bausubstanz der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kommunen hinein. Eine Stadt wie Berlin, die pleite ist der CDU/CSU) und über eine Liegenschaft in Charlottenburg verfügt, Was wir brauchen, ist „Herz und Hartz“. Das aber schaf- die für eine Arbeitsgemeinschaft durchaus geeignet ist, fen Sie mit Ihrer Gesetzgebung leider nicht. darf sie nicht nutzen, weil die Bundesagentur in Nürn- berg feststellt, dass die Steckdosen zu weit auseinander (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- liegen. Das ist Dezentralisierung im Sinne von Rot- NEN]: Warum haben Sie denn im Bundesrat Grün! zugestimmt? – Dr. Thea Dückert [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gedächtnisverlust!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie regeln in dem vorliegenden Gesetzentwurf die so Der Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister will ei- genannte Ich-AG neu. Herr Hartz hat versprochen, dass nen Ombudsrat ähnlich dem Petitionsausschuss einfüh- durch die Ich-AGs in zwei Jahren 500 000 selbstständige ren, der sich mit den Beschwerden der Bürgerinnen und Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Tatsächlich sind Bürger beschäftigen darf. Er will also die Verantwortung 190 000 dieser Beschäftigungsverhältnisse zustande ge- für den gesetzlichen Murks, den Sie anrichten, an ein zu- kommen, von denen es gegenwärtig noch 157 000 gibt. sätzliches, nicht demokratisch legitimiertes Gremium Gut 30 000 sind inzwischen weggefallen. Vielleicht ha- abgeben und sich so aus der Verantwortung ziehen. Das ben es ein paar Betroffene geschafft, mehrkönnen als wir nicht mittragen. 25 000 Euro im Jahr zu verdienen. Ich wünsche es ihnen Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung zu unserem zwar, aber ich bezweifle es. Die meisten von ihnen wer- Antrag im Zusammenhang mit denVermittlungsgut- den wahrscheinlich das Problem erkannt haben, dass der scheinen. An dieser Stelle wundere ich mich auch da- (B) Förderbetrag von 600 Euro im ersten Jahr auf 360 Euro rüber, dass die CDU/CSU unsere Forderungen nicht mit- (D) im zweiten Jahr sinkt und dass die Ich-AG dann wirt- tragen kann. Vermittlungsgutscheine sind ein probates schaftlich nicht mehr tragbar ist. Mittel, um einen zusätzlichen Weg in die Arbeit zu fin- den. Man muss sie aber – im Gegensatz zu Ihrem Vor- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Genauso ist es!) schlag – marktgerecht ausgestalten. Sie richten sich nur Weil wir das Potenzial der selbstständigen Beschäfti- nach der Frage, wie lange jemand arbeitslos ist. Vermitt- gung für die Arbeitslosen kennen, unterstützen wir aus- lungsrelevante Daten sind aber auch zum Beispiel die drücklich den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die das Qualifikation, der Erwerbsverlauf, die gesundheitliche gut eingeführte und seit über 20 Jahre wirksame Instru- Situation und die Mobilität der Bewerber. Man muss ment des Überbrückungsgeldes stärken will. also entsprechend dem jeweiligen Einzelfall festlegen können, wie teuer ein Vermittlungsgutschein bezahlt (Klaus Brandner [SPD]: Wo gibt es denn so werden muss. einen Antrag?) So hat man übrigens auch die Chance, die Nachfrage- Wir brauchen nicht zwei verschiedene Leistungen fürmacht der Arbeitsuchenden zu stärken. Diese gehen zum denselben Sachverhalt, dass man sich aus der Arbeits- Vermittler ihres Vertrauens. Das kann ein privater Ver- losigkeit heraus selbstständig macht. mittler sein. Das muss in Zukunft aber auch der staatli- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten che Vermittler sein können, der sich durch die Einnah- der CDU/CSU) men aus dem Einlösen der Vermittlungsgutscheine zu refinanzieren hat. Eine solche erfolgsabhängige Lohn- Notwendig ist vielmehr eine Leistung, die gut ausgestat- komponente ist ein privatwirtschaftliches Element in der tet und etabliert ist und bei der die wirtschaftliche Trag- Arbeitsvermittlung, das den Mitarbeiterinnen und Mit- fähigkeit überprüft wird. arbeitern Anreize für eine bessere Vermittlung gibt, weil sie die Möglichkeit haben, ihr eigenes Einkommen Die Kriterien, die Sie jetzt bei der Ich-AG einführen durch Effizienz und gute Erfolge zu erhöhen. wollen, entsprechen im Prinzip denen, die es beim Über- brückungsgeld schon lange gibt, mit dem feinen Unter- Deswegen werbe ich dafür, unseren Vorschlag zur schied, dass die Leistungen über einen längeren Zeit-marktgerechten Ausgestaltung der Vermittlungsgut- raum gewährt werden und dass bis zu 25 000 Euroscheine zu unterstützen. anrechnungsfrei hinzuverdient werden können. Das darf Vielen Dank. der Empfänger von Überbrückungsgeld nicht. Insofern ist es sinnvoll, eine einheitliche Leistung zu schaffen. (Beifall bei der FDP) 11590 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

(A) Präsident Wolfgang Thierse: gen, auch wenn wir den Verbesserungen im Detail im(C) Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau. Sinne der Betroffenen zustimmen. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Petra Pau (fraktionslos): tionslos]) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über Änderungen, die Hartz IV betreffen. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erspare mir daher den komplizierten Originaltitel des Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staats- heute zu beratenden Gesetzentwurfs. Dabei geht es um sekretär Gerd Andres. Änderungen, die wir als PDS im Bundestag mittragen werden, was allerdings nichts an der grundsätzlichen Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ablehnung von Hartz IV durch die PDS ändert. minister für Wirtschaft und Arbeit: Zum einen geht es darum, dassKinderfreibeträge Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und für alle bedürftigen Kindergelten sollen. Das ist für Herren! Nach den Reden, die hier bisher gehalten wur- viele Betroffene eine Entspannung. Deshalb stimmenden, und nach den Ausschussberatungen kann man da- wir dem zu. von ausgehen, dass wir die von uns vorgeschlagenen notwendigen Änderungen mit einer breiten Mehrheit be- (Dirk Niebel [FDP]: Das gilt aber nicht für schließen werden. Ich füge hinzu: Unser gemeinsames nicht erwerbsfähige Eltern!) Einstehen für die Reformen ist doch ein Grund dafür, Ich kann es auch salopp sagen. Wir beschließen per Ge- dass in letzter Zeit offensichtlich die Akzeptanz für die setz: Ein Kind ist ein Kind, und zwar von Geburt an. Einführung des Arbeitslosengeldes II zunimmt. Das finde ich gut und das liegt im Interesse unseres Staates Eine weitere Änderung ist von ähnlicher Güte. Ich er- und unserer Gesellschaft. innere daran – auch wenn Sie darauf verzichtet haben, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das in Ihrem heute vorliegenden Gesetzentwurf noch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einmal zu erwähnen –, dass das Bundeskabinett bereits im Sommer dieses Jahres beschlossen hat: Ein Jahr hat Matthias Platzeck hat in Brandenburg sehr eindrucks- zwölf Monate, auch unter Rot-Grün. Folglich soll das voll bewiesen, dass man auch dann Wahlergebnisse posi- Arbeitslosengeld II für alle Berechtigten bereits ab Ja- tiv gestalten kann, wenn man vermeintlich unpopuläre nuar 2005 und nicht erst ab Februar, wie es der Bundes- Maßnahmen vernünftig erklärt und wenn man darum wirtschaftsminister wollte, ausgezahlt werden. Auch das fightet. Ihm gilt – das sage ich ganz ausdrücklich – (B) ist logisch. meine Hochachtung. Mancher Warnung zum Trotz ist er (D) auf die Marktplätze gegangen, hat mit den Menschen ge- Neu zu beschließen ist heute eine Lösung zu den Ver- sprochen und die Notwendigkeit dieser Reform erklärt. mittlungsgutscheinen für Arbeitsuchende. Die neueWir sehen: Das wird dann auch angenommen. Lösung ist für die Betroffenen besser als die alte. Wir stimmen ihr daher zu. (Dirk Niebel [FDP]: Er hat ja weniger verloren als die anderen!) Schließlich folgen wir noch einer weiteren Änderung. Ich-AGs sollen künftig auf einem tragfähigen Konzept Es muss daher zukünftig darum gehen, die Bürger fußen. Es soll also vorher geprüft werden. Gleichwohl von der Notwendigkeit der Umsetzung der Reformen zu merke ich an, dass Ich-AGs mitnichten das Wundermit- überzeugen. Es muss uns gelingen, ihnen die Vorteile der tel gegen die Arbeitslosigkeit sind, als das sie eingeführt Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozial- wurden. hilfe zu verdeutlichen, damit nicht der Eindruck, es gehe allein um die Kürzung von Sozialleistungen, zurück- Damit komme ich zurück zur gesamten Hartz-Philo- bleibt. Unser Ziel ist es, Arbeitslose besser zu betreuen sophie. Wir finden sie nach wie vor grundsätzlich falsch. und ihnen die Möglichkeit zu geben, schneller auf eige- nen Füßen zu stehen. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- tionslos]) Das heute zu beratende Gesetz ist nicht der Anfang einer Erosion unserer Konzepte. Im Übrigen enthält es Denn unter dem Strich werden nicht weniger Arbeitslose nur einen einzigen Punkt – darauf will ich einmal dezent stehen, sondern mehr arme Arbeitslose. Das wird durch hinweisen –, der sich mit Hartz IV befasst. Wir nehmen Hartz IV verstärkt, allemal in den strukturschwachenlediglich eine für notwendig erachteteNachsteuerung Regionen, egal ob in West, Ost, Nord oder Süd. Ichvor, deren Richtigkeit auch von Ihnen bestätigt wird; möchte Sie nur an die aktuelle Arbeitsmarktstatistik er- dementsprechend tragen Sie diese Änderung mit. Insge- innern. Die Zahl der freien Arbeitsstellen hat drastisch samt müssen wir die Reformen jetzt wirken lassen. Wir abgenommen und die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat werden die Einführung des Arbeitslosengeldes II genau zugenommen. Das sind die Zahlen, an denen sich Bun- beobachten. Dabei ist es selbstverständlich, dass ein Re- deskanzler Schröder noch 2002, als die Hartz-Module formvorhaben dieses Umfangs nicht völlig reibungslos vorgestellt wurden, messen lassen wollte. Inzwischenüber die Bühne gehen kann. pfeifen es die Spatzen von den Dächern. Hartz folgt der bekannten Volksweisheit: Dreimal abgeschnitten und Herr Kues, Sie haben hier gewaltige Worte – „Laza- immer noch zu kurz. Deshalb ist die PDS weiter dage- rettzug“ und Ähnliches – gefunden. Von Niebel kennt Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11591

Parl. Staatssekretär Gerd Andres (A) man das ja: Murks usw. Was Niebel erzählt, kann man eh Nach aktuellem Stand haben zwischenzeitlich(C) vergessen; aber Herrn Kues nehme ich wirklich sehr335 kommunale Träger ihre Bereitschaft erklärt, mit der ernst. Bundesagentur für Arbeit eine Arbeitsgemeinschaft zu gründen. Die ersten Arbeitsgemeinschaften bestehen be- (Dirk Niebel [FDP]: Sie wissen, dass Sie in reits, zum Beispiel in Leverkusen und in Kaiserslautern. Sachsen nur zwei Abgeordnete mehr als wir Bei weiteren steht die Gründung unmittelbar bevor. Der haben! Sie müssen kleinere Brötchen backen!) Zeitplan für die Einführung der Arbeitslosen- Wer diskutiert und im Land unterwegs ist, der weiß, dass geld-II-Software ist – das ist allen bekannt – eng und wir uns mit einem ganz bestimmten Problem auseinan- bietet nur wenig Spielraum. Ich gehe aber davon aus, der setzen müssen: Es gibt viele Bürgerinnen und Bür- dass die Software zur Erfassung der Daten Mitte Okto- ger, die der Meinung sind, im Falle der Arbeitslosigkeit ber bereitsteht. Alle, die einen Anspruch auf Arbeits- habe der Staat zu garantieren, dass der Lebensstandard losengeld II besitzen und rechtzeitig einen Antrag ge- auf Dauer erhalten bleibt – je länger, umso besser. Ange- stellt haben, werden zum 1. Januar ihr Geld erhalten. Es sichts dessen muss man mit den Menschen darüber dis- ist daher wichtig, dass die Anträge auf das Arbeitslosen- kutieren, dass auch die Bürgerinnen und Bürger Verant- geld II rechtzeitig abgegeben werden. wortung tragen und dass diese Verantwortung nicht darin Die Rücklaufquoten sind in den Agenturen, aber auch bestehen kann, auf unbegrenzte Dauer Transferleistun- bei den örtlichen Sozialhilfeträgern regional sehr unter- gen des Staates zu beziehen. Ich finde es richtig – das schiedlich. Sie liegen zwischen 63 und 10 Prozent. Die sage ich ausdrücklich –, was der Bundeskanzler dazu ge- Agenturen vor Ort sind deshalb dazu übergegangen, die sagt hat. Kunden persönlich anzusprechen und einzuladen. Es Ich erkläre für die Bundesregierung: Mit der Umset- kann und darf nicht sein, dass Menschen aufgefordert zung der so genannten Hartz-IV-Gesetze kommen wir werden, die Antragsrückgabe zu verzögern. Die Leute zügig voran. Letzte Woche Mittwoch ist die Frist zur Zu- brauchen ihr Geld. Sie sind darauf angewiesen. Sie müs- lassung als Optionskommune abgelaufen. Bis zum Ab- sen mitwirken, damit sie zum 1. Januar ihr Geld auch be- lauf der Frist haben sich beim Bundesministerium für kommen können. Ich bitte Sie alle, unsinnige Boy- Wirtschaft und Arbeit 73 Kommunen beworben, die an- kottaufrufe zurückzuweisen und dafür zu sorgen, dass stelle der jeweiligen Arbeitsagenturen Leistungsträger die Menschen ihre Anträge ausgefüllt zurückgeben. für das neue Arbeitslosengeld II werden wollen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 70 Kommunen haben sich mit Zustimmung der Länder DIE GRÜNEN) beworben. Insgesamt können 69 Kommunen zugelassen werden. Die meisten Anträge sind aus Hessen, Nieder- Die Bundesagentur wird in den Arbeitsgemeinschaf- (B) sachsen und Nordrhein-Westfalen eingegangen. Von den ten ab Januar 2005 – das ist gesagt worden – intensiver (D) eingegangenen Anträgen önnen k voraussichtlich fast beraten und betreuen. Es gibt für die unter 25-Jährigen alle berücksichtigt werden, da einige Länder ihre An-sofort einen Betreuungsschlüssel von 1 : 75 und im tragskontingente nicht ausgeschöpft haben. Laufe des Jahres wird es einen Schlüssel von 1 : 150 für alle anderen erwerbsfähigen Erwachsenen geben. Dieses Gesetz war ein Kompromiss. Es gibt 69 Optionen. Die Bundesregierung wird die Vorgaben Das neue Recht sieht eine Vielzahl von Förderinstru- penibel einhalten. Wir werden auch dafür sorgen, dass menten vor und bietet wesentlich größere Spielräume als diese Optionen mit den gleichen finanziellen und mate- bisher. Ich sage ausdrücklich: Die Bundesregierung und riellen Ausstattungen verbunden sind wie andere. die Koalitionsfraktionen haben ein Interesse an einer bürgernahen örtlichen, regionalen, dezentralen Umset- (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Da bin ich zung. Dazu muss die Bundesagentur Punkt für Punkt gespannt!) aufgefordert werden. Auch dort muss ein Umlernprozess Das normale Modell ist die Arbeitsgemeinschaft. Die stattfinden. Wir sind der Meinung, dass die Bundesagen- Kommunalaufsicht liegt bei den Ländern. Ich bitte Sie tur insofern ihren Job bisher sehr gut macht. Wir werden daher herzlich – damit wende ich mich auch noch einmal das auch politisch entsprechend weiter begleiten. an Sie, Herr Kues –, in den Ländern mit dafür zu sorgen, dass die Möglichkeiten zur Blockade der Arbeitsgemein- Bereits ab Oktober wird die Bundesagentur in Zusam- schaften beseitigt werden. Dass die Kommunalaufsicht menarbeit mit den Kommunen und Wohlfahrtsverbän- bei den Ländern liegt, können wir nicht ändern; verfas- den schrittweise 100 000 zusätzliche Fördermöglich- sungsrechtlich ist es auch chtig. ri Ich will daran erin- keiten zur Verfügung stellen. Es handelt sich um nern, dass auch Niedersachsen dieser Konstruktion zu- 25 000 Beschäftigungsmöglichkeiten in den Bundespro- gestimmt hat. Es kann nicht sein, dass unterschwellig ein grammen „JUMP plus“ und „Arbeit für Langzeitarbeits- Partisanenkampf stattfindet, nach der Melodie: Die ei- lose“, 25 000 Möglichkeiten zur Teilnahme an Sprach- nen kümmern sich nur um die Optionen und die anderen kursen sowie 50 000 Zusatzjobs. nur um die Arbeitsgemeinschaften. Die Zusatzjobs sind zusätzliche Arbeitsgelegenheiten, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die qualifizierte Arbeitsmöglichkeiten bieten. Wir sind DIE GRÜNEN) bei unseren Gesprächen mit den Wohlfahrtsverbänden – sowohl der Minister als auch die Arbeitsebene als auch Wir sind der Gesetzgeber. Wir müssen dafür sorgen, dass die Staatssekretäre haben entsprechende Gespräche ge- das Gesetz insgesamt umgesetzt wird. führt –, auf großes Interesse gestoßen. Wichtig ist mir 11592 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Parl. Staatssekretär Gerd Andres (A) dabei, Rahmenbedingungen, Kriterien, Einsatzfelder Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-(C) und Zielgruppen für die Schaffung von Zusatzjobs fest- minister für Wirtschaft und Arbeit: zulegen und Qualitätsmaßstäbe zu erarbeiten. Wir wol- Nein, Herr Präsident. Ich bin mit meiner Redezeit zu len den Menschen über die Zusatzjobs eine Perspektive Ende. Herr Niebel wird sicherlich die Möglichkeit einer auf eine Rückkehr ins normale Erwerbsleben eröffnen. Kurzintervention nutzen; dafür ist er doch Spezialist. Lassen Sie mich noch kurz auf die hier zu beratenden (Beifall des Abg. Klaus Brandner [SPD]) Anträge eingehen. Anstatt die beschlossene Reform ent- schlossen umzusetzen, machen Sie genau das, was Sie Ich komme zu meinem letzten Satz; er richtet sich an uns schon wieder vorwerfen: Sie fordern ständig Verän- die Kolleginnen, die hier Fragen insbesondere zum derungen dieser Reform, bevor sie überhaupt in Kraft Thema Frauenhäuser gestellt haben. Wir bemühen uns getreten ist. Lassen Sie uns doch die Wirkung der neuen sehr, für Frauen, die in Gemeinschaft leben, entspre- Arbeitsmarktpolitik evaluieren, bevor übereilt nochchende untergesetzliche Regelungen zu finden, damit nicht voll zur Wirkung gekommene Instrumente wieder diesen Frauen durch die Einführung des Gesetzes nicht verändert werden! zusätzliche Nachteile bei den Leistungen entstehen. Wir Ich möchte daran erinnern, dass der Deutsche Bun- wollen über den Deutschen Verein erreichen, dass diese destag die Bundesregierung am 14. November 2002 auf- Regelungen auch bei den Kommunen durchgesetzt wer- gefordert hat, die Umsetzung der Hartz-Vorschläge zeit- den, die optieren und wodiese Häuser in kommunaler genau zu evaluieren und innerhalb von drei Jahren einen Verantwortung betrieben werden. Ich finde, wir müssen Ergebnisbericht vorzulegen. Dieser Aufforderung ist da etwas ändern und etwas machen. Die Bundesregie- die Regierung konsequent nachgekommen. Wir haben rung bemüht sich sehr. Ich möchte diese Debatte dafür Wirkungsforschung in Auftrag gegeben und die For- nutzen, auch öffentlich zu sagen: Alle, die mit Frauen- schungsinstitute haben sich bereits an die Arbeit ge-häusern zu tun haben, können sich darauf verlassen, dass macht. Wir werden dem Bundestag im Jahr 2006 von ih- wir daran arbeiten, eine vernünftige untergesetzliche Re- ren Ergebnissen berichten. gelung zustande zu bringen. (Dirk Niebel [FDP]: Vor oder nach der Schönen Dank. Bundestagswahl?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mithilfe der Evaluation werden wir erfahren, welche In- DIE GRÜNEN) strumente tatsächlich Wirkung zeigen und welche nicht. Dazu will ich noch etwas sagen; das betrifft eine deut- Präsident Wolfgang Thierse: (B) sche Eigenart. Wir haben dieIch-AG eingeführt, weil (D) Wie erbeten, erteile ich dem Kollegen Niebel das wir der Auffassung sind, dass wir eine unkomplizierte Möglichkeit einer einfachen Form der Selbstständigkeit Wort zu einer Kurzintervention. brauchen. Sie ist erfolgreich. In diesem Jahr gibt es 120 000 Bezieher von Überbrückungsgeld, daneben ha- Dirk Niebel (FDP): ben wir 160 000 Personen über die Ich-AG gefördert. Vielen Dank, Herr Präsident. Der Wunsch des Herrn Dass wir jetzt Steuerungsinstrumente dazu einführen,Staatssekretärs ist mir natürlich Befehl. Er hätte auch hängt damit zusammen, dass wir natürlich auch die Aus- ganz kurz einfach eine Frage beantworten können. gabenseite in diesem Bereich steuern müssen; denn der Staat – das gilt auch für die Arbeitslosenversicherung – In Ihrer Rede, Herr Staatssekretär, haben Sie gesagt, hat kein Geld zu verschenken. dass die Ich-AG ein Instrument sein soll, mit dem man Aber was Herr Niebel in Bezug auf die Ich-AG sagt sich ohne großen bürokratischen Aufwand leicht selbst- – er hantiert ja mit der Zahl von 30 000 –, geht so nicht. ständig machen kann. Jetzt führen Sie mit diesem Ge- Sicherlich werden viele, die eine Ich-AG gegründet ha- setz, über das heute abgestimmt wird – wie ich finde, ben, die Selbstständigkeit nicht überstehen, aber wir hof- übrigens zu Recht –, als Voraussetzung für die Gründung fen, dass viele andere sie überstehen. Mit diesem Instru- einer Ich-AG das Vorliegen einer Tragfähigkeitsbeschei- ment wird eine zusätzliche Chance gegeben, in dienigung ein. Dafür muss der Bewerber Folgendes vorle- Selbstständigkeit zu gehen. gen: eine Beschreibung der Geschäftsidee, einen Kapi- talbedarfsplan, einen Finanzierungsplan, eine Umsatz- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und Rentabilitätsvorschau. Exakt diese Kriterien müssen DIE GRÜNEN) auch für die Bewilligung des Überbrückungsgeldes er- Die Hälfte aller Neugründungen von Selbstständigen er- füllt werden. Beide Formen unterscheiden sich jetzt folgt aus der Arbeitslosigkeit, und zwar mit unseren be- nicht mehr, was den bürokratischen Aufwand angeht, währten Instrumenten. Deswegen braucht man die auch sondern nur noch hinsichtlich der Länge der Förderung gar nicht zu beseitigen oder zu verändern, wie das hier und im Umstand, dass man bei einer Ich-AG gefordert wird. 25 000 Euro anrechnungsfrei hinzuverdienen kann. In Bezug auf die Bürokratie gelten exakt die gleichen Rah- menbedingungen. Das heißt, Ihr Argument ist schlicht- Präsident Wolfgang Thierse: weg falsch. Kollege Andres, gestatten Sie noch eine Zwischen- frage des Kollegen Niebel? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11593

(A) Präsident Wolfgang Thierse: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- (C) Kollege Andres, ich erteile Ihnen das Wort zur Ant- ten der FDP – Widerspruch bei der SPD) wort. Für die ordnungsgemäße Umsetzung des politischen Willens sind einzig und allein die Bundesregierung und Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ihre Administration zuständig. Eine Regierung, die für minister für Wirtschaft und Arbeit: Imagebroschüren all ihrer Minister Millionen ausgibt, Mein Argument ist natürlich nicht falsch. Ich habeaber weder Zeit noch Geld zum rechten Zeitpunkt auf- ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir diese Rege- bringt, um Millionen von Arbeitslosen zu informieren, lungen einführen, um das mengenmäßige Anwachsen in woraus diese zukünftig ihre Existenz bestreiten sollen, einer bestimmten Art und Weise steuern zu können. Wir gefährdet leichtfertig das Vertrauen in die Demokratie. bleiben dabei, dass es im Unterschied zur Gründung ei- ner Firma mit einer ausgeprägten Idee und allem Drum (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und Dran auch Möglichkeiten geben muss, sich relativ neten der FDP – Dr. Thea Dückert [BÜND- einfach und simpel selbstständig zu machen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl eine Unverschämtheit! Sagen Sie das nicht noch (Dirk Niebel [FDP]: Es gibt aber keinen einmal!) Unterschied!) Bei einem solchen Reformwerk ist Nachbesserung Dazu gehört, dass bei der Ich-AG eine andere Förderung aber immer noch besser, als Falsches in Kraft treten zu stattfindet, nämlich bei den Sozialversicherungsbeiträ- lassen. Es wird sich zeigen, dass wir unter Beibehaltung gen. Dazu gehört nach Vorstellung der Bundesregierung der Grundsätze für Veränderungen offen bleiben müssen. auch eine andere steuerrechtliche Behandlung. Wir ha- Wir werden deshalb sicherlich nicht das letzte Mal nach- ben dazu Vorschläge gemacht, die zum Teil leider imgebessert haben; da bin ich mir fast sicher. Bundesrat abgelehnt wurden. Hierzu zählen eine Über- (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schussrechnung in einem vereinfachten Verfahren und NEN]: Wo hat sich die Union für die Kinder- eine Grenze für die Besteuerung von 25 000 Euro. Ich freibeträge eingesetzt?) kann Ihnen versichern, wir werden weiter daran arbeiten, weil wir glauben, dass dieses Land mehr Selbstständige Ich klage Sie an wegen der miserablen Informations- braucht und es Wege geben muss, wie Menschen sich und Aufklärungspolitik. Ich klage Sie an, weil Sie uns einfach selbstständig machen können. Parlamentarier immer wieder hinters Licht führen, in- dem Sie in Ihren Ministerien mit der Erarbeitung der (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber richtige notwendigen Verwaltungsvorschriften nicht Schritt hal- Wege!) (B) ten können oder wollen – beides ist schlimm genug. Ich (D) Daran, dieses Ziel zu erreichen, wird die Regierung wei- erinnere dabei zum Beispiel an dasOptionsgesetz. ter arbeiten. Nicht die Aussage von Frau Dückert ist richtig, dass wir schuld an den Verzögerungen seien. Sie sind schuld da- Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, dass ich dieses ran, weil Sie der Grundgesetzänderung nicht zugestimmt hier noch einmal darstellen durfte, Herr Niebel. Herzli- haben, die die Finanzsicherheit für die Kommunen ge- chen Dank. bracht hätte. (Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Im- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mer gerne, Herr Staatssekretär!) Sie wollen sagen können – eine Antwort aus dem Wirt- schaftsministerium von dieser Woche bestätigt mir Präsident Wolfgang Thierse: das –: Seht her, niemand will die Optionen! – Deswegen Ich erteile das Wort Kollegin Veronika Bellmann,blockieren Sie in Ihren Häusern. CDU/CSU-Fraktion. Ich bewundere diejenigen Kommunen, die es den- (Beifall bei der CDU/CSU) noch wagen, zu optieren, und ich wünsche ihnen Erfolg. Aber ich kann auch die verstehen, die sich diesen Schritt Veronika Bellmann (CDU/CSU): nicht trauen, weil sie kein Vertrauen in die Verlässlich- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten keit der Aussagen der Bundesregierung haben. Damen und Herren! Die Zusammenlegung von Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) losen- und Sozialhilfe ist noch nicht in Kraft und schon müssen wir nachbessern. Sie nennen das korrigieren. Präsident Wolfgang Thierse: Wie so oft bei Gesetzen und Reformen der Bundesre- Kollegin Bellmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage gierung wurde wieder einmal nach dem Motto „Versuch des Kollegen Andres? und Irrtum“ verfahren. Genau da liegt der Unterschied zu den von Ihnen so viel gescholtenen CDU-geführten Veronika Bellmann (CDU/CSU): Regierungen. Wenn wir bei den umfangreichen Umbrü- Nein. chen nach der Wende – man denke nur an die Währungs- umstellung – so geschludert hätten wie Sie bei der Um- Ich klage Sie an, weil Ihr Bundeskanzler wie ein Ele- setzung der Arbeitsmarktreformen, dann wären wir fant im Porzellanladen ohne jegliche Sensibilität für die nicht dort, wo wir jetzt sind. Ängste der Menschen, vor allem im Osten, reagiert. Er 11594 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Veronika Bellmann (A) müsste längst gemerkt haben, dass sich bei uns nicht nur müssen, dann ist es schon fast eine Kunst, solche Jobs(C) die Postleitzahlen geändert haben, sondern die Men-ausschließlich im gemeinnützigen Sektor zu finden. schen von einem Umbruch in den anderen geraten; denn (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deutschland leidet eben nicht an seinen neuen Ländern, NEN]: Was wollen Sie eigentlich, Frau sondern an seinen alten Krankheiten, die nicht der Osten Bellmann?) eingeschleppt hat. Ich spüre oft, dass die Sehnsucht im Osten nach Gerechtigkeit bei Reformen eher zur Forde- Im Übrigen wäre es unserer Meinung nach sinnvoller, rung nach Gleichheit wird. Der Osten habe den Erfolg die Förderinstrumente für Unternehmensgründungen der sozialen Marktwirtschaft noch nicht erlebt, sagtdurch Arbeitslose zu vereinheitlichen; das sagten auch . Stimmt, denn sonst wäre klar, dass die meine Vorredner schon. Forderung nach Gleichheit den Wettbewerb und damit Die Mehrheit der 13 Reformmodule der Hartz-Refor- die Triebkraft in unserer Gesellschaft erstickt. men verfehlt das angestrebte Ziel, die Arbeitslosenzahl Wir alle miteinander haben es nicht verstanden, mit um 2 Millionen zu verringern. Die Bilanz der Bundesre- dem langfristigen Nutzen von gut umgesetzten Refor- gierung: Höchststände an Arbeitslosen, Tiefststände bei men zu werben. Stattdessen wird nur über Einschnitte, offenen Stellen, die Zahl der Erwerbstätigen ist um über Kürzungen und Opfer gesprochen. Das ist genau so, als 500 000 zurückgegangen. wenn Sie Alkoholikern sagen, sie opferten etwas, wenn Um das Ziel der Hartz-Kommission – die Zahl der sie nicht mehr trinken. Nein, Sie müssen ihnen klar ma- Arbeitslosen auf 2 Millionen zu senken – doch noch zu chen, dass der Verzicht auf die Droge ihre einzigeerreichen, dürfte im kommenden Jahr kein einziger Ar- Chance ist, wieder ein Leben in Würde in einer Gemein- beitsplatz wegfallen und pro Tag müssten 6 145 Arbeits- schaft zu führen. plätze neu geschaffen werden. Das werden Sie nicht (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gutes schaffen – nicht einmal mit dem erfolgreichen Instru- Beispiel! – Heiterkeit) ment der Hartz-Reformen, den Minijobs, die auf die For- derung der Union hin zustande kamen. Wir kommen nicht ohne Erneuerung und Anpassung an die Erfordernisse der Zeit aus und wir müssen alle unse- (Klaus Brandner [SPD]: Ach nee!) ren Beitrag leisten, auch wir Politiker. Daher liegt noch viel Arbeit vor uns und vom Ende Vielleicht vermissen die Menschen die Vorbildfunk- der Reformen darf noch keine Rede sein. Uns muss vor tion der Repräsentanten dieses Landes und das ist beiallem klar sein, dass wir zurzeit nur die Symptome ku- weitem nicht nur die Politik.Auch das ist unsere Auf- rieren und nichts weiter. Das eigentliche Hauptübel ist die verfehlte Wirtschaftspolitik dieser Regierung. Die (B) gabe: Vorbild zu sein, Richtung und Orientierung zu ge- (D) ben. Mit der Zustimmung zu den Arbeitsmarktreformen hohe Arbeitslosigkeit zieht einen Mangel an offenen haben wir uns an einer Weggabelung für eine Richtung Stellen nach sich. Hartz IV allein schafft keine Arbeits- entschieden. Die Bundesregierung, die nun Orientierung plätze. geben sollte, hat aber eine Baustelle nach der anderen Solange den Menschen nicht in ausreichendem Maße auf dieser Straße angefangen, ohne wenigstens mit den Stellen zur Verfügung gestellt werden, die aus Investitio- entsprechenden Hinweisschildern oder sozusagen alsnen resultieren – ich werde Sie im Rahmen der Beratun- Verkehrshelfer den Menschen Hilfe zu geben. Stattdes- gen über den Bundeshaushalt gerade bei den GA-Forde- sen kam es immerfort zum Stau. Die Menschen haben rungen eindeutig darauf hinweisen –, bleibt das Konzept das Gefühl, in eine Sackgasse geraten zu sein. Die Peter- des Förderns und Forderns Makulatur. Hartz-Straße ist für sie oftmals eine Einbahnstraße ins Niemandsland. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) (Ute Kumpf [SPD]: Das ist ja unglaublich!) Damit zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf. Die Präsident Wolfgang Thierse: wichtigsten Punkte – Kollege Kues hat schon darauf hin- Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem gewiesen – tragen wir mit, obgleich sich wiederum die Kollegen Gerd Andres. Frage stellt, ob die Regierung dabei bis zum Ende ge- dacht hat. Beispiel Ich-AG: Dafür muss jetzt ein Ge- Gerd Andres (SPD): schäftsplan vorgelegt werden, der fachkundig geprüft Liebe Frau Kollegin Bellmann, Sie haben in Ihrer wird. Das allein garantiert aber noch nicht, dass das Rede formuliert – ich bitte Sie, dies zu überprüfen und Gründungsvorhaben erfolgreich ist. Immerhin haben zu korrigieren –: Deshalb blockieren Ihre Häuser die Op- schon wieder 30 000 Kleinstunternehmen aufgegeben. tionen. – Ich will hier ausdrücklich für die Bundesregie- Im Übrigen befürchten die Industrie- und Handelskam- rung erklären mern außer Wettbewerbsverzerrungen, dass sich die Ich- AGs und die so genannten 1-Euro-Jobs gegenseitig eine (Dirk Niebel [FDP]: Dann sitzen Sie auf dem große Konkurrenz werden, da sich beide vornehmlich falschen Platz!) auf dem Dienstleistungssektor betätigen. Diese Befürch- – Herr Kauder und andere, die es wissen, sitzen dort –: tung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Schließlich Wir stehen zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses. haben wir ungefähr 1,06 Millionen erwerbsfähige So- zialhilfebezieher. Wenn diesen Jobs angeboten werden (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11595

Gerd Andres (A) Es wird 69 Optionen geben. Die Optionen werden den Ich will Ihnen einmal sagen: In dieser Art und Weise (C) Agenturen vergleichbar ausgestattet. Wir haben ein Inte- mit einer Opposition umzugehen, die konstruktiv ist, resse daran. Konkurrenz belebt das Geschäft. Wir ma- (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- chen die 69! NIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bitte Sie ganz ausdrücklich: Wenn Sie irgendwo ist unglaublich. einen Beleg dafür haben, dass Häuser der Bundesregie- rung die Optionen behindern, dann bitte ich Sie, das zu (Beifall bei der CDU/CSU) belegen. Andernfalls bitte ich Sie, diese Aussage zurück- Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wir stehen zu dem, was zunehmen. wir beschlossen haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/ DIE GRÜNEN) CSU]: Darüber werden wir uns noch unterhal- ten!) – Sie brauchen gar nicht zu lachen. – Der Bundeskanzler sagt hier einerseits vor dem Plenum: „Wir stehen zu Präsident Wolfgang Thierse: dem, was wir beschlossen haben“, und kündigt anderer- seits den im Rahmen der Gesundheitsreform getroffenen Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention erhält Kompromiss auf. So sind Ihre Positionen! Kollege Kauder. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Kauder (CDU/CSU): Sie halten sich an gar nichts und verschicken Briefe, in Herr Kollege Andres, es ist nicht so, wie Sie gesagt denen Sie schreiben, dass sich die Union schäbig verhält. haben. So kann man nicht zusammenarbeiten. Merken Sie sich (Klaus Brandner [SPD]: Er hat Frau Bellmann das! angesprochen!) (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner – Ich mache eine Kurzintervention, weil ich persönlich [SPD]: Herr Kauder, ich hätte erwartet, dass angesprochen wurde. Herr Andres hat mich angespro- Sie zum Blockadevorwurf Stellung nehmen!) chen. Präsident Wolfgang Thierse: (Klaus Brandner [SPD]: Das geht nicht!) Ich schließe die Aussprache.

(B) Präsident Wolfgang Thierse: Wir kommen damit zur Abstimmung über den von(D) den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- Was geht oder was nicht geht, entscheide ich. Kollege nen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung Kauder hat die Gelegenheit zu einer Kurzintervention. des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) setze, Drucksache 15/3674. Der Ausschuss für Wirt- schaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- Volker Kauder (CDU/CSU): schlussempfehlung auf Drucksache 15/3737, den Herr Kollege Andres, Fakt war – das habe ich im Ver- Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die mittlungsausschuss alles miterlebt –: Die Bundesregie- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- rung, die rot-grüne Regierungskoalition, hat alles daran- chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge- gesetzt, den Kommunen eine Option so schwer wiesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- möglich zu machen. Das war Ihre Haltung. men des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dritte Beratung Es war ein irrsinniger Kampf, um überhaupt auf die 69 zu kommen. Weil es so ein Kampf mit Ihnen war, hat und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem es so lange gedauert. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Ich will jetzt nicht über das Gesetz streiten. Denn es ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen. ist tatsächlich so: Wir haben dieses Gesetz miteinander beschlossen und wollen es auch miteinander ausführen. Ich muss noch nachtragen: Die Kollegin Bellmann 1) Bei Ihnen hat es allerdings Landtagsabgeordnete gege- hat eine Erklärung zur Abstimmung abgegeben. ben – den einen oder anderen auch bei uns –, die das Ge- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- setz kritisiert haben. Aber was der Vorsitzende der SPD empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit und der SPD-Bundestagsfraktion in diesen Tagen macht, auf Drucksache 15/3737 zu dem Antrag der Fraktion der ist unerträglich. Er hat einen Brief an die Menschen in FDP mit dem Titel „Möglichkeiten der privaten Arbeits- diesem Land geschrieben, in dem steht, dass das, was die vermittlung durch marktgerechte Ausgestaltung der Ver- Union im Zusammenhang mit Hartz IV macht, schäbig mittlungsgutscheine verstärkt nutzen“. Unter Buchstabe b – so steht es dort – sei. seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 1) Anlage 3 11596 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Präsident Wolfgang Thierse (A) den Antrag auf Drucksache 15/3513 abzulehnen. Wer (Jürgen Trittin, Bundesminister: Ich? Sie! – (C) stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Ulrike Mehl [SPD]: Was ist denn mit dem Do- dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung senpfand im Bundesrat? Es ist abgesetzt!) ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, mehrheitlich der CDU/CSU-Fraktion und der Die CDU/CSU beantragt deshalb heute Morgen, erstens beiden fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen die atomrechtliche Veränderungssperre für das Erkun- der FDP-Fraktion angenommen. dungsbergwerk Gorleben zu erlassen und den begonne- nen Beratungsgang nicht zu verzögern, zweitens von der Wir kommen zu Zusatzpunkt 5, zur Abstimmung über Ein-Endlager-Strategie abzugehen und zu der bis 1998 den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache verfolgten Zwei-Endlager-Strategie zurückzukehren, das 15/3707 mit dem Titel „Langfristig eine einheitliche heißt den Schacht Konrad für schwach und mittelradio- Förderung der Selbstständigkeit von Arbeitslosen schaf- aktive Abfälle endlich in Betrieb zu nehmen und den fen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage- Standort Gorleben als mögliches Endlager für hoch gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen radioaktive, Wärme entwickelnde Abfälle vorzusehen, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der beiden drittens – als Konsequenz daraus – das Moratorium zur fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen derErkundung von Gorleben aufzuheben und die Erkun- CDU/CSU und der FDP abgelehnt. dungsarbeiten fortzusetzen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Wir beantragen dies deshalb, weil Sie, Herr Minister, bei der Entsorgungsfrage eineDoppelstrategie betrei- Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rolf ben. Nach außen bekunden Sie immer die Bereitschaft, Bietmann, Kurt-Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek, mit einem neuen Suchverfahren zu beginnen, und weiterer Abgeordneter und der Fraktion dergleichzeitig verordnen Sie nach innen den permanenten CDU/CSU Stillstand. Die Ergebnisse des von Ihnen ja selbst einge- Keine weitere Verzögerung in der Frage der setzten Arbeitskreises Endlager liegen schon seit Ende Entsorgung nuklearer Abfälle 2002 vor. Bis heute haben Sie den Endbericht noch nicht einmal bewertet und immernur allgemein gesagt, wie – Drucksache 15/3492 – Sie damit umgehen wollen. Dies ist auch nicht verwun- Überweisungsvorschlag: derlich, denn zu Ihrem großen Erstaunen ist der End- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) bericht nicht so ausgefallen, wie Sie sich das vielleicht Finanzausschuss erhofft haben. Nun haben Sie vor wenigen Wochen öf- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Haushaltsausschuss fentlich erklärt, Sie wollen jetzt, im Herbst, einen Ge- setzentwurf vorlegen. Die hierzu von Ihnen abgegebe- (B) (D) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die nen Erklärungen ignorieren jedoch Ihre frühere Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre Vorgehensweise zur Standortauswahl vollkommen. Sie keinen Widerspruch. – Dann ist so beschlossen. stellen die Endlagerkonzepte Gorleben und Konrad in- frage und verstoßen mit Ihrer Vorgehensweise tatsäch- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen lich auch gegen die Vereinbarung, die Sie am 14. Juni Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. 2000 mit den Energieversorgungsunternehmen geschlos- Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die den sen haben. Saal verlassen wollen, bitte ich, das schnell zu tun, damit Die Union spricht sich heute klar und deutlich, Herr wir mit unseren Beratungen ungestört fortfahrenMinister, gegen ein neues Suchverfahren aus. Es ist nicht können. – Kollege Paziorek, Sie haben das Wort. nötig; Sie sind in dieser Frage auf dem falschen Weg.

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- NEN]: So ein Blödsinn!) ren! Wir beraten heute den Antrag meiner Fraktion, mit dem der Deutsche Bundestag aufgefordert wird, denDie von Ihnen beabsichtigte Neuaufnahme der Standort- Blockade- und Verhinderungskurs des Bundesumwelt- suche führt ja zwangsläufig zu einer Realisierung der ministers in Sachen Endlagerung nuklearer Abfälle zu Endlagerung frühestens erst nach 2040 – und dies ist ja stoppen. Wir als Union wollen, dass mit der permanen- nach Ihren eigenen Zeitvorstellungen viel zu spät. Denn ten Verzögerung wichtiger Entscheidungen durch diese auch Sie sprechen sich immer dafür aus, dass wir schon Bundesregierung bei der Entsorgung nuklearer Abfälle 2030 ein Endlager haben müssten. Sie können mit dem endlich Schluss ist. Verfahren, das Sie jetzt anstreben, Ihre eigene Zielvor- stellung – 2030 – gar nichteinhalten; das wissen Sie. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Deshalb versuchen Sie, einer Diskussion über diese neten der FDP) Frage vor der Bundestagswahl 2006 auszuweichen. Seit Monaten kündigt der Minister an, dass er in der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Endlagersuche aktiv werden will. Aber nichts passiert. Es ist ja auch kein Wunder: Wer sich so wie Sie, Herr Man braucht sich einfach nur den Zeitablauf beim Minister, auf das Dosenpfand konzentriert, der hat keine bisherigen Standorterkundungsverfahren Gorleben bis Zeit für die wirklich wichtigen Themen der Umweltpoli- zum Moratorium anzuschauen. Da sind schon 20 Jahre tik. vergangen. Wenn das Moratorium jetzt aufgehoben Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11597

Dr. Peter Paziorek (A) wird, können wir frühestens in fünf Jahren zu einem Er- Somit machen Sie in den letzten Monaten nichts an- (C) gebnis kommen, sodass wir sagen können: Der Standort deres, als mit Schuldzuweisungen zu versuchen, von Ih- ist geeignet oder er ist nicht geeignet. Zusätzlich müssen rem eigenen Versagen abzulenken. Nichts anderes war wir uns den Zeitrahmen anschauen, den wir für ein Plan- es doch, was Sie in der letzten Haushaltswoche vorgetra- feststellungsverfahren brauchen. Das ist Neuland. gen haben. Sie haben nichts anderes getan, als mit völlig falschen Angriffen gegenüber den unionsgeführten Bun- (Zuruf) desländern von Ihren eigenen Fehlern und von Ihrem ei- – Auch wenn Sie „interessant“ rufen: Wir habengenen Versagen in dieser Sache abzulenken. 20 Jahre für Konrad gebraucht, für ein Planfeststellungs- Aber so kennen wir Sie: Wenn Sie kein Konzept ha- verfahren, in dem es um schwach radioaktive Stoffeben oder wenn Sie dieses Konzept nicht realisieren wol- ging. Wir haben nach 20 Jahren den Planfeststellungsbe- len, dann kündigen Sie in der Presse an, neue Konzepte schluss. Sie selbst haben ihn noch nicht einmal für voll- vorzutragen, oder Sie versuchen, mit falschen Angriffen ziehbar erklärt. Sie setzen darauf, dass jetzt dieser Plan- auf den politischen Gegner von Ihren eigenen Fehlern feststellungsbeschluss beklagt wird. Jetzt zählen Sieabzulenken. Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Das ist der einmal zusammen, welche Zeiträume uns noch für Gor- tiefere Grund unseres Antrages: Dies werden wir Ihnen leben bleiben, wie lange wir noch für ein Planfeststel- zukünftig nicht mehr durchgehen lassen. lungsverfahren brauchen, wie lange ein Klageverfahren laufen wird! Dann werden Sie sehen, dass Sie nie mit (Beifall bei der CDU/CSU) 2030 hinkommen. Ihre eigenen zeitlichen Vorstellungen, Wenn Sie eine andere Standortprüfung wollen, dann Herr Minister, sind auf Sand gebaut. sagen Sie doch bitte den Menschen, wo in Deutschland eventuell die Regionen sind, die noch für weitere Stand- (Beifall bei der CDU/CSU) orte in Betracht kommen. Das ist nämlich Niedersach- Sie werden mit dem, was Sie dem Bundestag und dersen, das ist interessanterweise, wenn Sie von Salz, Ton Presse sagen, Ihrer Verantwortung als Minister nicht ge- und Granit ausgehen, auchNordrhein-Westfalen und recht. Das wissen Sie. Sie tun in dieser Frage nichts. das sind einige süddeutsche Länder. Sie wissen es ganz genau; Ihnen liegen schon wissenschaftliche Voruntersu- Jetzt kommt das Interessante. In der deutschen Atom- chungen vor. Vielleicht kommt vor Süddeutschland noch politik hat immer das Verursacherprinzip gegolten, das Nordrhein-Westfalen dran; vielleicht gibt es dort noch besagt: Die Wirtschaft ist letztlich zuständig, die Kosten interessante Standorte. zu tragen. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, meine Damen und (Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herren, dieser Minister sagte, auch Standorte in Nord- (B) NEN]: Das soll auch so bleiben!) rein-Westfalen müssten untersucht werden; ausgeschlos- (D) sen ist dies nach den wissenschaftlichen Untersuchungen Gleichzeitig bestand in Deutschland zwischen Bund und nicht. Seine Parteifreundin Frau Höhn bricht ja schon Ländern ein Konsens darüber, dass bei der wichtigen zusammen, wenn es um Transporte ins Zwischenlager Frage, wo ein solches Lager nun geplant und gebaut Ahaus geht. wird, sich der Bund als Vertreter des Staates nicht aus dieser Verantwortung zurückziehen kann. Deshalb hat es Herr Minister, jetzt stellen Sie sich einmal die politi- in Deutschland einen Konsens dahin gehend gegeben, sche Unterstützung vor, die Sie aus Nordrhein-Westfalen dass trotz Anerkennung des Verursacherprinzips dererhielten, wenn Sie auf einmal sagten, es sollten auch Bund die staatlichen Aufgaben der grundsätzlichen Pla- Standorte in Nordrhein-Westfalen untersucht werden. nung übernimmt. Damit war das immer eine grundsätzli- Weil Sie genau wissen, dass Sie von dort eine volle che Bundesaufgabe. Indem Sie davon reden, es solle ein Breitseite bekämen, sind Sie gar nicht gewillt, den Deut- spezieller Verband gegründet werden, in dem schen die konkret zu sagen, welche sonstigen Standorte Energieversorgungsunternehmen eine Mehrheit bekom- noch in Betracht kommen. men sollten, unternehmen Sie im Augenblick den Ver- (Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- such, diese typische Bundesaufgabe loszuwerden. Sie NEN]: Bei Ihnen zählen nur politische Krite- machen das deshalb, weil Sie genau wissen: Wenn Sie rien und keine anderen!) als Minister diese Bundesaufgabe erfüllen müssen, dann kommen Sie parteipolitisch in eine schwierige Situation. Daran kann man sehen, wie Sie in dieser Frage schlin- Sie müssen nämlich einerseits als Minister Verantwor- gern und welchen Kurs Sie haben. tung für den Staat tragen, während Sie andererseits mit Wir sagen klar und deutlich: Das Moratorium in Gor- Ihrer parteipolitischen Basis nicht klarkämen. Diesem leben soll aufgehoben werden. Wir sollten endlich die Konflikt wollen Sie ausweichen; wissenschaftlichen Erkundungsarbeiten in Gorleben (Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: fortsetzen. Das lassen Sie mal unsere Sorge sein!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- deshalb verhindern und blockieren Sie. Sie haben in die- neten der FDP) ser Frage kein Konzept. Das muss man Ihnen vorwerfen. Zum Schluss: Auch aus finanziellen Gründen ist Ihr Kurs verantwortungslos. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völlig (Volker Kauder [CDU/CSU]: Hundert- falsch!) prozentig!) 11598 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Dr. Peter Paziorek (A) Seit 1998 bis heute haben Sie Studien zur nuklearen Ent- Es bringt uns nicht voran, wenn Sie sich an Bund-(C) sorgung für mehr als 18 Millionen Euro in Auftrag gege- Länder-Beschlüsse von 1979 klammern. Über diese Be- ben. Nach Angaben der Bundesregierung verschlang al- schlüsse ist sowohl der Stand von Wissenschaft und lein die Erstellung des Endberichtes des Arbeitskreises Technik als auch die energiepolitische Diskussion hin- Endlager Steuergelder in Höhe von 5,8 Millionen Euro. weggegangen. Weitere Studienvergaben stehen an. Es ist sogar zu be- fürchten, dass diese Studien freihändig vergeben wer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des den. Das alles zeigt, wie schleierhaft und fragwürdig das BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kurt- ganze Verfahren ist. Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist falsch, Herr Kubatschka!) Wir sagen ganz klar und deutlich: Auch aus finanziel- len Gründen ist Ihr Kurs verantwortungslos. Erst kürz- – Ach, Sie stehen immer noch zur Wiederaufbereitung in lich hat der Bundesrechnungshof festgestellt, dass Sie Wackersdorf? Das ist überraschend. durch Ihre Politik der Verzögerung Haushaltsrisiken in (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist nicht Milliardenhöhe in Kauf nehmen. Gegenstand der Bund-Länder-Vereinbarung Herr Minister, es ist höchste Zeit, dass Sie die Realitä- gewesen! So ein Quatsch!) ten zur Kenntnis nehmen. Geben Sie Ihre starre Haltung Oder wollen Sie allen Ernstes mit einer 25 Jahre alten auf! Stellen Sie sich der Verantwortung und machen Sie politischen Vereinbarung die Entscheidungsfreiheit des endlich den Weg für eine zukunftsfähige Lösung in der Bundestages aufheben? Das wäre doch ein etwas seltsa- Endlagersuche frei! mes Verständnis von parlamentarischer Souveränität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen ein zügiges Verfahren, aber keine Hude- lei. Dafür ist das viele Jahrtausende überspannende Pro- Präsident Wolfgang Thierse: blem der sicheren Endlagerung hoch radioaktiver Ab- Ich erteile das Wort Kollegen Horst Kubatschka,fälle nun wirklich viel zu sensibel. Ich respektiere die SPD-Fraktion. Einwände derer, die auf eine möglichst rasche und auch kostengünstige Lösung drängen, wobei ich allerdings Zweifel habe, ob Zügigkeit und Kostengünstigkeit hier Horst Kubatschka (SPD): wirklich zueinander finden. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird Sie cherlich si nicht überraschen, Die friedliche Nutzung der Kernenergie wurde einge- wenn wir Ihren Antrag ablehnen. Wir tun das mit gutem leitet, ohne das Problem der Endlagerung ernst zu neh- (B) Gewissen, denn Ihr Antrag ist im Grunde genommen nur men. (D) der durchsichtige Versuch, einen sicherlich schwierigen (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Auch das ist Prozess der Ergebnisfindung durch forsche Behauptun- falsch! Das ist die Unwahrheit!) gen und Unterstellungen abzukürzen. Dafür ein Beispiel: In Ihrem Antrag sagen Sie, die dezentralen Zwischenla- In den 50er-Jahren wurde das Programm „Atome für den ger drohten quasi zu Endlagern zu werden. Das ist Pa- Frieden“ aufgelegt. Von Entsorgung sprach damals nie- nikmache. mand. Wir hatten einen Atomminister Strauß, der über die Frage der Entsorgung nie ein Wort verloren hat. (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist Realität!) (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Schon bei sei- ner Einbringungsrede zum Atomgesetz hat er Dabei kann ich Ihnen eine gewisse Konsequenz nicht darauf hingewiesen!) absprechen: Sie setzten mit Ihrem Antrag konsequent ei- nen weiteren Meilenstein auf Ihrem Weg einer fahrlässi- Das ist kein Vorwurf. Das war in der Gesellschaft ein- gen Atom- und Energiepolitik. fach kein Thema. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Wissenschaft hat uns in den 50er- und 60er-Jah- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren eine Welt ohne Energieprobleme vorgegaukelt. Es gab Wissenschaftler – damals haben bekanntlich Sie re- Sie unterstellen wider besseres Wissen, dass die Bundes- giert –, die meinten, in den Häusern könnten die Strom- regierung in Verzug sei. Das ist unredlich, um nichtzähler ausgebaut werden, weil der Strom so billig sei, schärfere Ausdrücke zu benutzen. Wir sind nicht in Ver- dass sich die Kosten für die Zähler nicht mehr amortisie- zug, sondern liegen weiterhin gut im Zeitplan. ren würden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ehrlich?) (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Was Sie an Der Bundesumweltminister hat erst Anfang Septem- Blödsinn erzählen, ist unglaublich!) ber öffentlich klargestellt, dass noch in diesem Herbst Die Wissenschaft gaukelte uns ein Perpetuum mobile ein Gesetzentwurf für ein Endlagersuchverfahren vor- vor. gelegt wird. Dann werden wir im Bundestag die Krite- rien für das von uns beschlossene ergebnisoffene Aus- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Über Sie ist wahlverfahren in aller Gründlichkeit und Transparenz die Diskussion hinweggegangen, wenn ich debattieren. Ihre Rede höre!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11599

Horst Kubatschka (A) Als junge Studenten saßen wir Anfang der 60er-Jahre in Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es ganz(C) den Vorlesungen und waren begeistert von den techni- deutlich sagen: Wir stehen zu unserer nationalen Verant- schen Möglichkeiten der Kernenergie. Es fiel aber kein wortung für die sichere Endlagerung des deutschen Wort über Entsorgung und die Lösung der damit verbun- Atommülls in unserem Land. denen Probleme. (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist NEN], an die CDU/CSU gewandt: Erzählen das bei der Union heute!) Sie nicht, dass wir verantwortlich sind!) Professor Heisenberg, eine Ikone der deutschen Kern- Gerade beim Atommüll gilt ohne Einschränkung das energieforschung, gab damals als Lösung an: ein dreiVerursacherprinzip. Einen Atommülltourismus und das Meter tiefes Loch, drei Meter Erde darüber, das Problem Wegschieben dieser Erblast wird es mit uns nicht geben. der Entsorgung ist gelöst. Wir wissen, dass das nicht die (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Aber ihr Lösung ist. macht es! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/ (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist ja CSU]: Aber jede Menge Endlager!) nicht zu fassen! Herr Kubatschka, nehmen Sie Das haben wir auch mit Blick auf die Diskussion in sich doch selbst ernst! Mit einer solchen Rede Brüssel über die europäischen bzw. internationalen Op- schießen Sie sich aus der sachlichen Diskus- tionen deutlich gemacht, um gerade von den Bürgerin- sion!) nen und Bürgern vor Ort immer wieder geäußerte Zwei- – Sie lachen, aber das war sein Vorschlag. fel zu entkräften. Zwischenlager sind keine Endlager und sie werden nicht zu Endlagern gemacht. Ihre Geneh- Die Wissenschaft und die Technik haben die Politik, migung ist befristet. Das Ziel, bis zum Jahr 2030 ein be- aber auch die Wirtschaft in eine Sackgasse geführt. Bis- triebsbereites Endlager zur Verfügung zu haben, steht her gibt es weltweit noch keine Lösung für die Endlage- und wird eingehalten. Das hat Umweltminister Trittin rung. immer wieder betont. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind eine (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wer es Karikatur Ihrer selbst!) glaubt, wird selig!) Jahrzehntelang wurde das Problem der Endlagerung auf Die Unionsfraktionen instrumentalisieren jetzt auch zukünftige Generationen geschoben. noch den Bericht des Bundesrechnungshofs für ihre par- (Birgit Homburger [FDP]: Seit Rot-Grün wird teipolitischen Spielchen. das so gemacht!) (B) (Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Peter (D) Dies war einer der Gründe dafür, warum die rot-grüne Paziorek [CDU/CSU]: Das ist doch unsere Koalition die Nutzung der Atomkraft für nicht mehr ver- Aufgabe als Opposition!) antwortbar hält und den Atomausstieg eingeleitet hat. Der Bundesrechnungshof ist jedoch kein Hiwi für die (Beifall bei der SPD) Atompolitik der Unionsparteien. Deshalb ist es leichtfertig, wie Sie in Ihrem Antrag über (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ist Ihnen das Einigungen und Sicherheitsfragen atomarer Endlager an- unangenehm?) scheinend abschließende und belastbare Urteile fällen. Sie verstecken sich hinter den Kostenprognosen, haben Sie haben das gerade in Ihrer Vorrede bestätigt. Es ist je- jedoch in der Sache weniger denn je überzeugende Ar- doch – gelinde gesagt – erstaunlich. Ich halte dies in ho- gumente für die Atomkraft. hem Maße für unseriös. (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist ein Ar- Genauso fragwürdig ist in meinen Augen auch Ihre mutszeugnis, was Sie hier vortragen!) Haltung zum Arbeitskreis „Auswahlverfahren Endlager- standorte“, kurz: AK End, und zu der von der Bundes- Wenn Sie ehrlich wären,würden Sie eingestehen, regierung vorgeschlagenen Verhandlungsgruppe Nu-dass Sie wissen, dass die Atomkraft in unserer Bevölke- kleare Endlager. Union und FDP haben sich in trautem rung keine große Zustimmung findet. Selbst in der uns Einvernehmen mit dem Land Niedersachsen und dennun wahrlich nicht politisch nahe stehenden „Wirt- AKW-Betreibern schlicht verweigert. schaftswoche“ kommt eine repräsentative Blitzumfrage von Anfang September dieses Jahres nur auf 38 Prozent (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Zustimmung für eine weitere Nutzung der Kernenergie, Hört!) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Darum geht Ich muss aber in aller Deutlichkeit feststellen: Nicht wir, es nicht! Es geht um die Endlager!) sondern die Union hat sich aus der nationalen Verant- wortung für die Endlagerung herausgeschlichen. und das, obwohl die Frage denkbar suggestiv gestellt wurde. Sie lautete: (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sind Sie dafür, dass der geplante Ausstieg aus der NEN]: Unglaublich! – Kurt-Dieter Grill Kernenergie abgesagt wird, wenn dadurch die [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn den Strompreise konstant bleiben oder sogar fallen wür- Schwachsinn erzählt?) den? 11600 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Horst Kubatschka (A) Auch auf diese Frage haben sich die meisten Bürger für nig. Ich füge hinzu: Sie ist rückwärts gerichtet (C) und einen Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen. innovationsfeindlich. (Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des NEN]: Hört! Hört!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da hilft kein Klingeln mit dem Geldbeutel. Auch bei Denn wer heute noch Atomkraftwerken das Wort redet, einer – ich sage ganz ausdrücklich: zu Recht geführten – ignoriert, dass die zukünftige Energieversorgung nicht öffentlichen Diskussion über Energiekosten und Strom- mehr in dem bekannten Maße auf Großstrukturen ausge- preise gibt es keine Mehrheit für eine Renaissance der richtet sein kann. Der dezentralen, hoch effizienten und Atomkraft. Darum geht es Ihnen doch in Wirklichkeit: verbrauchernahen Energieversorgung gehört die Zu- Sie wollen den Wiedereinstieg in die Kernenergie. Es ist kunft. Energieeffizienz und erneuerbare Energien sind jedoch in hohem Maße unsinnig, eine Diskussion über der Schlüssel für eine Energieversorgung, die am Leit- den Wiedereinstieg in die Atomkraft anzufangen, so-bild der Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Atomkraftwerke lange die zentralen Gründe für den Atomausstieg, insbe- sind Auslaufmodelle. sondere das Sicherheitsproblem, die Entsorgungsfrage und das Proliferationsrisiko, weiter bestehen. All diese Das Auswahlverfahren der Endlagerstandorte erfor- Gründe verschärfen sich durch Ihre Haltung. dert von allen Beteiligten – ich appelliere hier ganz be- sonders an Sie, meine Damen und Herren von der Oppo- Aber da auch Sie nicht an der Physik vorbeikommen sition – ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und es schlichtweg nicht zu leugnen ist, dass sich dasund Gemeinsinn. Wir haben die Atomkraft genutzt, jetzt Atommüllvolumen mit jedem weiteren Betriebsjahr und müssen wir auch dafür sorgen, dass die unangenehmen jedem neuen Atomkraftwerk vermehrt, müssen Sie die Hinterlassenschaften sicher verwahrt werden. Endlagerproblematik zwangsläufig für gelöst erklären. (Franz Obermeier [CDU/CSU]: Dann machen (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ach was! Sie es halt!) Das ist doch nicht zu fassen!) Ein Denken nach dem Sankt-Florians-Prinzip – Endla- Deshalb wollen Sie diese offene Flanke um jeden Preis ger, ja, aber bitte nicht bei mir – führt uns nicht weiter. schließen, auch wenn dabei Seriosität und Sicherheit auf der Strecke bleiben. Ich danke Ihnen. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wie kommen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie denn darauf, Herr Kollege Kubatschka? DIE GRÜNEN – Franz Obermeier [CDU/ Ihre Rede darf ja gar nicht veröffentlicht wer- CSU]: Aber mit einem Moratorium geht es?) (B) (D) den!) Das, meine Damen und Herren, geht mit uns nicht. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDP- Apropos Sicherheit: Gerade mit Blick auf Fraktion. die schrecklichen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit muss ich Ihnen sagen, dass es schon erstaunlich ist, wie Birgit Homburger selektiv einige von Ihnen mit den Gefahren des interna- (FDP): tionalen Terrorismus umgehen. Die Verwundbarkeit Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoch riskanter Großtechnologien durch terroristischehabe leider nicht so viel Zeit wie der Kollege Angriffe verschwindet nicht durch Verschweigen. Auch Kubatschka. Deshalb möchte ich nicht über die Energie- bayerische Nebelkerzen sind kein hilfreicher Beitrag zu politik im Allgemeinen reden, sondern auf das zurück- einer seriösen Diskussion. kommen, über das wir heute diskutieren, nämlich den Antrag zum Thema Endlagerung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich bin der festen Überzeugung, dass die Terrorgefahr Für die Endlagerung gilt bei uns in Deutschland nach ein wichtiges Argument gegen die Kernenergie ist. Des- dem Atomgesetz ein strenger Vorsorgemaßstab, nämlich halb bleibt es dabei: Der Atomausstieg ist gesetzlich be- der Stand von Wissenschaft und Technik. Unter dem schlossen und der Fahrplan eindeutig festgelegt. Allegrünen Umweltminister wird dieser in Deutschland zum Atomkraftbetreiber haben dem zugestimmt. Hier bin ich Stand der Ideologie und Stillstand. ausnahmsweise mit dem seligen Franz Josef Strauß völ- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – lig einer Meinung: Verträge müssen eingehalten werden. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heute Quatsch!) nicht allein über die Endlagerung, sondern über dieSie handeln in der Frage der Entsorgung radioaktiven Atomkraft insgesamt. Ich darf deshalb heute noch ein- Abfalls absolut verantwortungslos. Vor allen Dingen mal feststellen, was unter anderem die Energie-Enquete- – das halte ich für viel schlimmer – wird die Entsor- Kommission des letzten Bundestages bestätigt und das gungsfrage auf zukünftige Generationen verschoben. Parlament in seiner Befassung mit deren Abschlussbe- Das ist nicht akzeptabel. richt beschlossen hat: Die weitere Nutzung der Atom- kraft ist sowohl ökologisch als auch ökonomisch unsin- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11601

Birgit Homburger (A) Herr Kubatschka, ich habe Ihnen zugehört und ichAlle sagen, wir müssen zwischen den schwach und mit- (C) frage mich: In welcher Zeit leben Sie eigentlich? telradioaktiven Abfällen auf der einen und den hoch radioaktiven Abfällen auf der anderen Seite trennen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es! – Herr Minister Trittin, das sagt im Übrigen auch das Bun- Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Er ist stehen deswirtschaftsministerium und das steht im Bericht des geblieben!) Bundesrechnungshofes. Auch der Arbeitskreis „Auswahl- verfahren Endlagerstandorte“, der von Ihnen einberufen Was für eine Diskussion wollen Sie hier eigentlich füh- wurde, sagt wörtlich, dass die Aufteilung auf zwei End- ren? Ihnen muss doch klar sein, dass selbst wenn Sie den lager unter Sicherheitsgesichtspunkten vorzugswürdig sei. Ausstieg vollziehen, den Ihre rot-grüne Koalition einge- leitet hat, immer noch die Endlagerung der schon vor- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) handenen radioaktiven Abfälle vorzunehmen bleibt. Sie haben allerdings ein Ein-Endlager-Konzept vorge- (Horst Kubatschka [SPD]: Das ist doch nicht legt, weil Sie vorgegeben haben, dass es ein Ein-Endla- geleugnet worden!) ger-Konzept sein muss. So kann man unter Sicherheits- gesichtspunkten schlicht und ergreifend nicht arbeiten. Auch mittel- und schwach radioaktive Abfälle müssen wir entsorgen. Darüber müssen wir sprechen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Verzögerung, die dadurch entsteht, bewirkt auch (Horst Kubatschka [SPD]: Auch das habe ich eine Verzögerung bei der Inbetriebnahme von Schacht nicht geleugnet!) Konrad. Das wirkt sich wiederum auf die Zwischenlage- Im Übrigen war immer von vornherein klar, dass dieses rung von schwach und mittelradioaktiven Abfällen aus. Problem gelöst werden muss. Wir haben dafür über viele Dort muss umkonditioniert werden. Das heißt, es wird Jahre die Zwei-Endlager-Strategie verfolgt und die Er- auch für die damit befassten Mitarbeiter eine zusätzliche kundung entsprechender Standorte weit vorangetrieben. Strahlenbelastung auftreten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es scheinen nach Ihrer Auffassung ja schöne Zu- Das wurde jetzt ohne Not aufgegeben. Um es einmal stände zu sein!) ganz klar zu sagen: Wir haben jetzt eineEin-Endlager- Genau aus diesem Grunde hat auch die Bildungs- und Strategie. Wir sind also abgekommen von SchachtForschungsministerin in diesem Lande klar gesagt, dass Konrad und Gorleben und haben zwei Jahre lang einen sie für eine schnelle Inbetriebnahme Schacht von AK „End“ arbeiten lassen: Er hat einen Bericht vorge- Konrad ist, um eine solche zusätzliche Gefährdung der (B) legt. Mitarbeiter auszuschließen. (D) (Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – NEN]: Wieso beruft ihr euch auf der einen Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dafür Seite auf den AK „End“, wenn ihr ihn auf der gefährden wir lieber eine ganze Region, oder anderen Seite nicht ernst nehmt? Das ist was?) scheinheilig!) Herr Minister Trittin und Herr Kubatschka scheinen Jetzt meint der Bundesumweltminister, man könnte ein etwas auszublenden: Endlager bis 2030 in Betrieb nehmen. Das ist doch voll- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Den Kubatschka kommen illusorisch. Sie haben bisher noch nicht einmal würde ich nicht zitieren!) eine Novelle des Atomgesetzes vorgelegt. Wenn Sie nicht einmal das schaffen, wie wollen Sie dann bis 2030 Auch in Forschungseinrichtungen des Bundes und in der ein Endlager zuwege bringen? Das ist völlig unrealis- Medizin wird mit Radioaktivität umgegangen. Herr tisch. Trittin spricht von der Verantwortung der Abfallverursa- cher. Wenn Sie davon sprechen, dann denken Sie immer (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nur an Atommüll und an die Kernkraftwerke. Dabei blenden Sie vollkommen aus, dass zwei Drittel der Ab- Ich sage auch ganz deutlich, weil Sie es angesprochen fälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung aus dem haben: Wir haben auch keine weitere Arbeitsgruppe Verantwortungsbereich des Bundes kommen. nötig. Die Experten sind sich einig. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es! – Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mit dem Schacht Konrad hätten wir hier ein geeignetes NEN]: Nein, sind sie nicht!) Endlager. Deswegen wollen wir, die FDP, mit der CDU gemeinsam, dass der Schacht Konrad nach dem entspre- Es ist eben nicht so, wie Sie sagen, dass wir an irgendet- chenden Verfahren so schnell wie möglich in Betrieb ge- was von 1979 festhalten. Es gibt unter Sicherheitsge-nommen wird. sichtspunkten kein anderes Land in der Welt, das auf eine Ein-Endlager-Strategie setzt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Herr Präsident, ich komme zum Schluss. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind (Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- leider auf einem Auge blind!) NEN]: Gut!) 11602 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Birgit Homburger (A) Ich habe mich hier sehr stark auf die sicherheitspoliti- vor dem Einsturz zu bewahren. Das ist die Realität.(C) schen Komponenten bezogen, die ich für zentral halte. Wenn hier jemand für Risiken und für die Verschwen- Der Bundesrechnungshof hat daneben gesagt, dass Sie dung von Steuergeldern in der Entsorgungspolitik ver- mit dieser neuen Strategie auch finanziell ein großesantwortlich ist, dann sind es CDU, CSU und FDP und Risiko eingehen. niemand sonst. Herr Minister Trittin, ich stelle fest: Sie sind ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheitsrisiko, Sie sind ein Haushaltsrisiko und ich und bei der SPD – Kurt-Dieter Grill [CDU/ fordere Sie auf: Kehren Sieendlich zu seriöser Politik CSU]: So viel Quatsch zu Morsleben habe ich zurück! noch nie gehört!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Es geht noch weiter: Diese Politik der Verweigerung Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- setzen Sie fort. Herr Paziorek stellt sich hier vorne hin NEN]: Gut, dass das vorbei ist!) und ist stolz darauf, dass sich die CDU, die CSU und die FDP nicht an der Verhandlungsgruppe für die Bestim- Präsident Wolfgang Thierse: mung eines Endlagerstandortes beteiligen. Sie scheuen Ich erteile dem Bundesminister Jürgen Trittin dassich nicht, mir vorzuwerfen, ich hätte Probleme damit, Wort. meiner Klientel etwas zuzumuten. Dazu könnte ich Ih- nen von Auseinandersetzungen auf Parteitagen, Demos (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Gorleben und Auseinandersetzungen mit dem Kolle- und bei der SPD – Horst Kubatschka [SPD]: gen Kuhn einiges erzählen. Aber was machen Sie? Sie Er strahlt!) berufen sich ernsthaft auf denAK End, aber negieren die zentrale Aussage des AK End einfach. Der AK End Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- hat erklärt: Es gibt kein sicheres Endlager, sondern nur schutz und Reaktorsicherheit: das im Vergleich zu anderen konkreten Gesteinsforma- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsi- tionen sicherere Endlager. dent! Herr Kubatschka hat auf einen wichtigen Umstand hingewiesen: (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das haben wir nie anders gesagt!) (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Deswegen bedarf es eines Auswahlprozesses, nicht einer Das Problem insbesondere bei den hoch aktiven Stoffen, Vorfestlegung. mit dem wir alle unabhängig von unserer jeweiligen Hal- (B) tung zur Atomenergie umgehen müssen – da stimme ich (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nein, wir ha- (D) Ihnen doch zu –, entstand durch das verantwortungslose ben das Auswahlverfahren schon vor 30 Jah- Einsteigen in die Atomenergie, ohne eine Lösung für die ren gehabt!) Endlagerproblematik zu haben. Damit müssen wir uns herumschlagen. Was haben Sie gemacht? Sie haben sich genau diesem Auswahlverfahren entzogen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ CSU]: Das ist Ihre Meinung! Die Wissenschaft DIE GRÜNEN) und das Bundesverfassungsgericht sehen das anders! – Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Go- Wer sich aber verweigert, der sollte aufhören, hier An- desberger Programm!) träge wegen einer angeblichen Verzögerung in der Frage der Entsorgung zu stellen, sondern bei diesem Problem Seit dreißig Jahren hat sich daran wenig geändert. In einfach stille sein. diesen dreißig Jahren seit Bestehen des Problems stan- den Sie in der meisten Zeit in der Regierungsverantwor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tung. sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das hätten Sie wohl (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Dann müss- gerne! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/ ten Sie sofort aussteigen! – Gegenruf der Abg. CSU]: Die SPD war doch an der Sache betei- Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ligt! Jetzt will sie sich scheinheilig hinaussteh- NEN]: Hören Sie auf zu quaken!) len!) Wie sind Sie damit umgegangen? Sie haben uns erklärt, Noch eine letzte Bemerkung zu diesem Verfahren. Sie hätten ein sicheres Endlager, das Sie weiter nutzen Schauen Sie sich einmal das Urteil des US-amerikani- würden. Dann haben Sie in Morsleben Atommüll nicht schen Bundesgerichts zu Yucca Mountain an. Dort hat eingelagert, sondern, um es auf Deutsch zu sagen, abge- man wie Sie in Gorleben alles auf eine Karte gesetzt. kippt. Das Endlager ist faktisch betriebsfähig. Und was passiert Frau Homburger, Sie sprachen von Haushaltsrisiken. dann? Ein Gericht erklärt: Ihr habt einen Fehler ge- Was finden Sie heute im Haushalt? Schauen Sie einmal macht, weil ihr die Langzeitsicherheit dieses Lagers nach, wie viele Millionen Euro ich ausgeben mussnicht hinreichend beachtet habt. Ihr hättet vergleichen – Geld des Steuerzahlers –, um dieses von Ihnen fürmüssen; denn 10 000 Jahre Langzeitsicherheit sind nicht sicher erklärte Endlager, in dem Sie eingelagert haben, genug. – Wollen Sie mit dem Schacht Konrad und der Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11603

Bundesminister Jürgen Trittin (A) Anlage in Gorleben im Jahre 2030 genauso enden? Ich Frau Homburger, ich sage es ungern, aber Sie sollten (C) halte das für unvernünftig und verantwortungslos. sich mit der Geschichte beschäftigen. Frau Tritz gibt Ih- nen gerne Nachhilfe. Gorleben war immer als ein Ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN endlager geplant. Es ist ausdrücklich darauf hingewiesen sowie bei Abgeordneten der SPD – Kurt- worden, dass es dafür geeignet ist. Das ist nicht meine Dieter Grill [CDU/CSU]: Sie haben doch Auffassung, aber die Auffassung derjenigen gewesen, Konrad genehmigt!) die das damals gemacht haben. Sie sollten also mit Ihrer Haltung zum Ein-Endlager-Konzept ein bisschen vor- Ich will Ihnen etwas zu den finanziellen Risiken sa- sichtiger sein. gen. Der Bundesrechnungshof hat erklärt, wir seien Risi- ken eingegangen. Unsere Antwort war: Bisher ist für die Wer solche unkalkulierbaren Risiken eingeht, sollte angeblichen Risiken kein Geld ausgegeben worden.es besser unterlassen, solche Anträge zu stellen. Aber es Diese Auskunft von uns war nicht ganz vollständig. Das kommt noch toller. Die wichtigste Vorgabe zur Lösung Gegenteil ist der Fall: Wir haben in den letzten Jahren des Atommüllproblems war und ist der Ausstieg aus der auf diesem Gebiet sehr viel Geld gespart. Atomenergie. Eine Voraussetzung, dieses Problem zu lösen, ist es, die Menge des atomaren Mülls zu reduzie- (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ach!) ren. Wer wie Sie die Laufzeiten verlängern will, der Herr Paziorek, Sie waren einmal Stadtdirektor. Wie muss den Bürgern sagen, dass er das Problem des Atom- mülls um Tausende von Kubikmetern hoch radioaktiv nennen Sie es als gelernter Jurist, wenn jemand etwas strahlenden Mülls vergrößern will. Dann müssen Sie ohne eine Baugenehmigung baut? Der Volksmund auch eine Antwort darauf geben, wie Sie dieses Problem spricht von einem Schwarzbau. Genau das ist inGorle- lösen wollen. Sie sind gegen Zwischenlager. Sagen Sie ben passiert. In Gorleben ist ein Endlager gebaut wor- doch offen, dass Sie dafür sind, dass der Atommüll wei- den, und zwar – das haben Sie selber bemerkt, das ist terhin, wie es früher üblich gewesen ist, im Ausland zwi- eine interessante Feststellung – ohne eine Plangenehmi- schengelagert wird. gung und einen Planfeststellungsbeschluss. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Unmöglich, (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Vorsicht! was Sie da sagen!) Vorsicht!) Die Wiederaufarbeitung war nichts anderes als das. Das Es gibt kein atomrechtliches Genehmigungsverfahren halte ich für verantwortungslos. Wer Atomanlagen für den Bau eines atomaren Endlagers in Gorleben. schwarz baut, wer Laufzeiten verlängert, der will das Atommüllproblem nicht lösen, sondern es vermehren. (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das war ja Das werden wir nicht zulassen. (B) auch gar nicht nötig!) (D) Vielen Dank. Diesen Schwarzbau haben wir in der Tat gestoppt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist und bei der SPD) unglaublich!) Präsident Wolfgang Thierse: Was hat das im Ergebnis gebracht? Ergebnis war, dass die deutschen Energieversorger in den letzten Jahren Ich erteile das Wort Kollegen Franz Obermeier, CDU/ 165 Millionen Euro, die sie sonst für die FortsetzungCSU-Fraktion. dieses Schwarzbaus hätten ausgeben müssen, gespart ha- (Ulrich Kelber [SPD]: Er erklärt jetzt, dass ben. So ist das mit den Risiken. Wir haben die Risiken Bayern das Endlager haben will! – Wilhelm nicht vergrößert, sondern sie gemindert. Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Endlager für Frei- sing! – Ulrich Kelber [SPD]: Davor kann er si- Nun wollen Sie uns erneut einem Risiko aussetzen. cher sein!) Sie sagen, die Bundesregierung soll zulassen, dass im Schacht Konrad Atommüll eingelagert wird. Was ist das denn für ein merkwürdiger Rat? Was passiert denn, Franz Obermeier (CDU/CSU): wenn die Klage, beispielsweise aus Salzgitter, vor dem Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Laut- OVG Erfolg hat? Erwarten Sie dann von mir, dass ich stärke des Bundesumweltministers stand in umgekehr- zulasten der Stromkunden, zulasten des Steuerzahlers tem Verhältnis zum politischen Inhalt und zum sachli- den Atommüll, den Sie dort voreilig eingelagert haben, chen Gehalt seiner Rede. wieder hochhole? Nein, was Sie machen wollen, ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – abenteuerlich. Sie wollen ein Atommülllager ohne atom- Hubert Ulrich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rechtliche Genehmigung weiterbauen. NEN]: Wir sind hier nicht im Bierzelt!) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist ein Herr Bundesumweltminister, ich möchte Ihnen unser Probebergwerk!) Empfinden über das Wort „verantwortungslos“ darlegen. Verantwortungslos war nicht der Einstieg in die Kern- Sie wollen Atommüll in einem Endlager einlagern, für energie, sondern verantwortungslos ist das Moratorium das es keine rechtsfeste Genehmigung gibt. Damit setzen für das Endlager Gorleben. Sie die Bevölkerung auch finanziell unkalkulierbaren Risiken aus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 11604 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Franz Obermeier (A) Wenn Sie uns hier unterstellen, dass wir immer davon und dass Ihnen der Euro weit weniger wert ist als Ihre(C) ausgegangen sind, dass Gorleben das Endlager schon ist, eigene Ideologie –, wenn Ihre Politik einfinanzielles dann sagen Sie die pure Unwahrheit. Risiko in Höhe von 7 Milliarden Euro bedeutet. Das müsste für die Bundesregierung und die sie tragenden (Beifall bei der CDU/CSU) Fraktionen gerade in Zeiten, in denen so viel über Ener- Wir haben immer gesagt, dass es sich in Gorleben um giepreise, die hohen Kosten im Energiesektor und die eine wissenschaftliche Erkundung über die Geeignetheit sich daraus ergebenden Arbeitsplatzverluste diskutiert in Richtung Sicherheit des Salzstocks handelt und nichts wird, der Anlass sein, sich intensiv damit auseinander zu anderes. setzen. (Beifall bei der CDU/CSU – Michaele Hustedt Lassen Sie mich noch etwas zu der Ein-Endlager- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätte Theorie ausführen, die nichts anderes als eine Geldver- man das anders angelegt!) nichtungsmaschine ist, Herr Bundesumweltminister. Ob ein Salzstock wie in Gorleben geeignet ist oder nicht, Weltweit besteht weder die Absicht, diesen Ansatz um- müssen die Wissenschaftler entscheiden. Die Untersu- zusetzen, noch befinden sich entsprechende Lager im chung, ob wir in Deutschland einen geeigneteren Stand- Bau. Dafür gibt es physikalische und gesundheitliche ort haben, fand schon vor Jahren statt. Sie tun heute so, Gründe, die Ihnen bekannt sind. Sie haben 1998 das ge- als müssten Sie einen Schwarzbau korrigieren. Das ist samte Vorhaben gekippt. schlicht und einfach unwahr, Herr Bundesumweltminis- Wir fordern Sie auf, Herr Bundesumweltminister: ter. Sie sollten sich die bergrechtliche Genehmigung an- Kehren Sie auf den Weg der Vernunft zurück! Wir kom- sehen, die für diese Arbeiten besteht. men um die Endlagerung der Brennstäbe nicht herum, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – ob wir dies wollen oder nicht. Kehren Sie zur Inbetrieb- Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wenn nahme von Schacht Konrad und zu weiteren Erkundun- das Bergrecht ein Maßstab für Sie ist, ist das gen in Gorleben zurück! leichtfertig!) Herzlichen Dank. Jetzt reden wir über dieZwischenlager. Herr Bun- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) desumweltminister, jetzt gibt es die Zwischenlager, zum Teil stehen sie schon, zum Teil sind sie im Bau. Herr Kubatschka, wir waren doch zusammen auf der Podiums- Präsident Wolfgang Thierse: diskussion in Niederaichbach. Die Leute wehrten sich Ich erteile das Wort Kollegen Wilhelm Schmidt, SPD- nicht so sehr gegen die befristete Zwischenlagerung von (B) Fraktion. (D) Brennstäben, sondern deswegen, weil sie die Sorge ha- ben, dass aus diesen Zwischenlagern Endlager werden. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Auf diesem Kurs sind Sie, Herr Bundesumweltminister, aus rein ideologischen Gründen, weil Sie die Unsicher- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe heit in der Bevölkerung weiter schüren wollen. Kolleginnen und Kollegen! So ist das mit der Union: Sie vernachlässigt in sehr umfangreichem MaßeSicher- (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heitsinteressen in diesem Lande. Sie und niemand an- NEN]: Sie schüren gerade Unsicherheit!) ders sind das Risiko für die Menschen. Das ist es, was Ihre Äußerung zum Schluss Ihrer Rede, wir zielten wir an Ihrem Antrag bemängeln. darauf ab, dass die atomaren Abfälle der Bundesrepublik (Beifall bei der SPD – Kurt-Dieter Grill Deutschland im Ausland gelagert werden sollen, ist eine [CDU/CSU]: Das ist unglaublich! Sie sind ein glatte Verleumdung. Bitte geben Sie uns einen Beleg da- Verleumder! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Er für, dass wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dies kann so nett sein und redet so einen Unsinn!) beabsichtigen! Wenn Sie das nicht können, dann nehmen Sie diese Äußerung bitte zurück! Sie haben in Ihrer Regierungszeit vollendete Tatsa- chen geschaffen und wollen mit Ihrem Antrag heute wei- (Beifall bei der CDU/CSU) tere Wege dieser Art beschreiten, Lassen Sie mich noch etwas zu dem Bericht des Bun- desrechnungshofes anmerken. Dass dieser Bericht eine (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist doch Ohrfeige für Sie ist, gar nicht wahr!) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wohl wahr!) von denen wir meinen, dass sie unter Sicherheitsaspek- ten nicht beschritten werden dürfen. Wir werden dabei die so laut geknallt hat, dass man es bis nach Bayern ge- nicht mitmachen. hört hat, dürfen Sie mir glauben. Noch trauriger ist der Inhalt. Der Bundesrechnungshof als neutrale Instanz Wenn Sie darauf abheben, dass das Vorhaben mögli- schreibt, Ihre Arbeit in dieser Angelegenheit sei nicht cherweise mit einem finanziellen Risiko verbunden ist, systematisch, nicht zielgerichtet, unwirtschaftlich und dann muss ich Ihnen entgegenhalten: Uns geht Sicher- wenig transparent. Warum sollen wir das bezweifeln? heit vor Finanzrisiken. An diesem Maßstab haben wir dieses gefährliche Thema zu orientieren. Noch schlimmer ist es, Herr Bundesumweltminister – ich weiß, dass Sie kein Verhältnis zur Ökonomie haben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11605

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (A) Wir haben Ihre Politik in den vergangenen Jahrenhat, vor Ort damit umgehen wird. Es ist jedenfalls fahr- (C) – das gilt sowohl für Ihre Regierungszeit als auch für die lässig, so zu tun, als ob die Sicherheit für Konrad längst Jahre, in denen Sie in der Opposition sind – zu kritisie- gegeben wäre. Das akzeptieren wir nicht. Erklären Sie ren, weil Sie sich nicht der Mitverantwortung stellen.Ihre Vorgehensweise einmal den Menschen vor Ort. Wir haben den Energiekonsens doch deshalb zustande (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Klagen Sie gebracht, weil wir die Unternehmen im Energiesektor also gegen den eigenen Beschluss? Es gibt und die Politik von Bund und Ländern zusammenführen doch einen Planfeststellungsbeschluss!) wollten. Sie haben sich immer wieder ausgeschlossen und diese Pfade der Zusammenarbeit nicht mitbeschrit- In der betroffenen Region wohnen 1 Million Menschen. ten. Das kritisieren wir nachdrücklich, zumal Sie auch Dort gibt es viele Industrieunternehmen. Aber Sie ver- jetzt wieder eine Politik betreiben wollen, die nur davon nachlässigen die Transportgefahren und leugnen die Un- ausgeht, bestimmte Interessen einzelner Beteiligter zu sicherheit des Einlagerungsverfahrens. Machen Sie nur befriedigen, statt das Gesamtinteresse Deutschlands im fröhlich weiter! Damit das entsprechend klar ist: Ich Blick zu behalten. werde mich im Gegensatz zu Ihnen weiterhin am Wider- stand gegen Konrad betätigen. Diejenigen, die aus den Verhandlungen derGruppe „Nukleares Endlager“ ausgestiegen sind, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Franz Obermeier [CDU/CSU]: Sie waren mit dabei!) Damit das ebenfalls deutlich wird: Wir wollen an die- ser Stelle unsere gemeinsame Verantwortung wahrneh- sollten nicht die Backen aufblasen und so tun, als ob sie men. Das Entscheidende ist aber, dass wir natürlich auch damit andere bzw. bessere Sicherheitsinteressen verfol- für die entsprechenden Grundlagen sorgen müssen. gen würden. Was Sie bisher betrieben haben, ist blanke Wenn wir die Gruppe „Nukleares Endlager“ aktivieren Ideologie. wollen, dann brauchen wir eine sorgfältige, verbesserte (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sagt ein und umfangreichere Endlagerforschung. Herr Minister, Ideologe!) wir sind uns darüber einig, dass wir hier alle Ministerien noch einmal entsprechend aktivieren sollten. Da wir un- Das wird von uns entsprechend kritisiert. sere Verantwortung wahrnehmen wollen, brauchen wir Ich denke, dass wir gut daran täten, die Gruppeeine verbesserte Grundlage. Wir werden deshalb auf un- „Nukleares Endlager“ in Gang zu setzen, sie vor allen serem verantwortungsbewussten Pfad weitergehen und Dingen über alle Grenzen hinweg ernst zu nehmen und nicht dem verantwortungslosen Pfad der CDU/CSU fol- gen. (B) als Grundlage dafür zu nutzen, die Fragen von Endlager- (D) standorten und Sicherheitskriterien ernsthaft und neutral Danke. zu bewerten. Dem verweigern Sie sich. Das kritisiere ich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wenn Sie schon die Finanzseite dieses Projekts an- sprechen, dann sollten Sie auch – Herr Trittin hat das Präsident Wolfgang Thierse: eben angedeutet – Ihre eigenen Sünden zugeben und de- Herr Kollege Schmidt, bevor Sie das Rednerpult ver- ren Folgen nüchtern kalkulieren.Morsleben kostet lassen: Der Kollege Fromme wollte Ihnen noch eine 1,8 Milliarden Euro. Das ist Ihre Schuld. Zwischenfrage stellen. (Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das ist doch (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Da DDR-Erbe!) Herr Schmidt das Rednerpult schon verlassen – Man hätte mit diesem Erbe auch anders umgehen kön- hat, möchte ich eine Kurzintervention ma- nen, nur um das deutlich zu sagen. chen!)

(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das haben Sie Präsident Wolfgang Thierse: damals nicht gefordert, Herr Schmidt!) Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Die Union ist für den teuren Teil verantwortlich und die Kollegen Fromme. FDP hat bereitwillig mitgemacht. Dies ist zu kritisieren. Mit Ihrem jetzt vorliegenden Antrag wollen Sie wie- Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): der einmal vorschnelle Entscheidungen nach dem Motto Herr Kollege Schmidt, können Sie mir vielleicht er- herbeiführen: Aus den Augen, aus dem Sinn! Sie wollen klären, warum Sie die Gelegenheit, eine Vereinbarung das ganze Zeug zügig unter die Erde bringen, nur damit mit den Unternehmen zu erzielen, ausgelassen haben man optisch nichts mehr damit zu tun hat. Dies kann – das war ja Ihre letzte rechtsstaatliche Möglichkeit, nicht gut gehen. Als Abgeordneter des Wahlkreises Salz- Konrad zu verhindern –, wenn Sie jetzt dagegen plädie- gitter-Wolfenbüttel kann ich Ihnen nur sagen: Wir wer- ren, und warum in Ihrer Verantwortung der Planfeststel- den vor Ort gegen Konrad kämpfen, so lange und so gut lungsbeschluss ergangen ist? es nach Rechtsmaßstäben möglich ist. Ich bin schon sehr gespannt, wie der Kollege Fromme, der den vorliegen- Präsident Wolfgang Thierse: den Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit unterschrieben Kollege Schmidt, bitte. 11606 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

(A) Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): als fehlerhaftes Verfahren beschreiben, lag ab 1990 al-(C) Herr Fromme, da Sie keine Zwischenfrage gestellt, lein in der Hand der rot-grünen Regierung in Nieder- sondern eine Kurzintervention gemacht haben, können sachsen. Das ist die eine Seite. Sie sich wieder setzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Heiterkeit bei der SPD) Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ken- nen doch die Weisungen von Herrn Töpfer und Wenn Sie sich gesetzt haben, antworte ich. Frau Merkel! Bauen Sie doch keinen Popanz auf!) Präsident Wolfgang Thierse: Herr Fromme, das stimmt. Sie dürfen Platz nehmen. Die andere Seite sieht folgendermaßen aus, Herr Schmidt: Wir haben unsere Verantwortung im Bund wahrgenommen. Aber Fakt ist, dass in dem so genannten Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ausstiegsvertrag – er ist gar keiner – steht, Konrad solle Die entscheidende Frage ist doch, wie weit wer wel- genehmigt werden. ches Verfahren vorangetrieben hat. Sie waren in der Ver- antwortung, um das deutlich zu sagen. Sie legen hier (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es! Maßstäbe an, mit denen Sie winkeladvokatische Wege Genau so steht es drin!) beschreiten. Das sollten Sie mit mir nicht machen. Das Entscheidende war und ist immer – nicht nur für uns vor Die Genehmigung für Schacht Konrad – Sie loben die- Ort, sondern auch für die SPD-Bundestagsfraktion – die sen Vertrag ja – haben Sie und nicht wir erteilt. Wenn ich Sicherheitsfrage. Auch diejenigen, die sich vor Ort ge- Ihrer Argumentation folge, dann muss mit der Sicherheit gen das Projekt Konrad wenden, waren und sind deralso alles in Ordnung sein. Meinung, dass die Sicherheitsfragen im Rahmen des (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Planfeststellungsverfahrens nicht ausreichend berück- sichtigt worden sind. Wir werden über die Fragen betref- Ich finde es infam, wie Sie hier vorgehen und der Be- fend die Transportsicherheit und die Langzeitsicherheit völkerung vor Ort den Eindruck vermitteln, Sie leisteten weiter – notfalls auch vor Gericht – zu streiten haben. Widerstand, obwohl Sie in Wahrheit hier, in diesem Ich bin sehr sicher, dass der Widerstand vor Ort, derHause, den Vertrag, den Schröder und Trittin unter- nach meiner Einschätzung sehr solide und sachkundig schrieben haben, als Ausstieg aus der Kernenergie beju- aufgebaut worden ist und der deshalb erfolgsträchtig ist, belt haben. Das ist die Wahrheit. vor Gericht die entsprechende Unterstützung bekommen (Beifall bei der CDU/CSU) wird. (B) Der Bundesumweltminister hat sich darin gefallen,(D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten über „Schwarzbauten“ zu reden. Ich will Ihnen nur sa- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – gen, dass im Landkreis Lüchow-Dannenberg über die Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Warum Frage „Bergrecht oder Atomrecht?“ monatelang gestrit- haben Sie das dann genehmigt?) ten worden ist.

Präsident Wolfgang Thierse: (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) Ich erteile das Wort Kollegen Kurt-Dieter Grill, CDU/ Wir im Kreistag haben damals mit großer Mehrheit ge- CSU-Fraktion. sagt: Wir wollen aus Glaubwürdigkeitsgründen eine Un- tersuchung des Salzstockes nach Bergrecht und nicht Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): nach Atomrecht. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau so ist lege Schmidt, der Bundesumweltminister und Sie haben es!) heute Morgen einen Beitrag zur Volksverdummung und Geschichtsklitterung geleistet. Anderenfalls wären Sie es nämlich, die heute hier stün- den und sagten: Es ist ein Endlager. Aus genau diesem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Grund haben auch Ihre Parteifreunde gesagt: Wir wollen Ich will hier noch einmal auf denSchacht Konrad eine Untersuchung des Salzstockes inGorleben nach eingehen: 1989 hat der damalige Ministerpräsident Rau Bergrecht und nicht nach Atomrecht. Es handelt sich Klaus Töpfer und Helmut Kohl gebeten, eine Konsens- also um eine Glaubwürdigkeitsfrage. runde einzurichten, um die mit derEndlagerfrage ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bundenen Probleme zu lösen. Nordrhein-Westfalen hat neten der FDP – Widerspruch beim BÜND- nämlich die Schaffung des Zwischenlagers in Ahaus im- NIS 90/DIE GRÜNEN) mer unter der Voraussetzung betrieben, dass eine Endla- gerlösung gefunden wird. 1990 haben die Ministerpräsi- Alles, worüber wir heute diskutieren, geschah bis denten mit Zustimmung von Schröder, Scheibe und1990, 1993, 1997 – wir haben noch mit Herrn Schröder anderen einstimmig den Beschluss gefasst – ihn haben verhandelt – im Konsens mit der SPD. DiesenKonsens übrigens auch Frau Griefahn und der grüne Staatssekre- haben Sie erst mit dem Regierungswechsel 1998 aufge- tär Bulle unterstützt –, dass ein Endlager für schwach ra- kündigt. Ich zeige Ihnen die Rede von Gerhard Schröder dioaktive Abfälle schnellstmöglich geschaffen werde. als Ministerpräsident im Niedersächsischen Landtag, in Damit war Schacht Konrad gemeint. Das, was Sie hier der er ein Endlager gefordert hat. Aber er hat geglaubt, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11607

Kurt-Dieter Grill (A) man könne die hochradioaktiven Abfälle im Schacht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C) Konrad einlagern. Lesen Sie die Rede von Schröder im Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Niedersächsischen Landtag nach! Sie sind die Letzten, doch Unsinn!) die uns Vorträge über Sicherheit und Verantwortung für Im Übrigen: Wer, so wie Sie, aus der Kernenergie die Menschen in diesem Land halten müssen. aussteigt und nicht sagen kann, was anstelle dessen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kommt, der sollte hier etwas kleiner und bescheidener auftreten. Sie können bis heute nicht belegen, wie die Da es mich nicht nur rational, sondern auch emotional 20 000 Megawatt aus der Kernenergie in Deutschland berührt, sage ich Ihnen Folgendes: , die ersetzt werden sollen. Sie haben dafür kein Programm. frühere Umweltministerin einer rot-grünen Regierung in Letzter Punkt. Die Sozialdemokraten in diesem Land Niedersachsen, hat Gorleben mit den Bezeichnungen– das will ich sehr deutlich sagen – haben im Godesber- „bessere Tennishalle“, „Schrotthalle“ und „Blechbude“ ger Programm von der unendlich verfügbaren Atom- diskriminiert. Fakt ist, dass der Bundesumweltminister energie gesprochen. Ihr Parteifreund Erhard Eppler – – – er hat von einem gescheiterten Entsorgungskonzept geredet – genau diese Bautypen im Lande 13-mal hat Vizepräsidentin Dr. : bauen lassen, damit keine Transporte durchgeführt wer- Herr Kollege, Sie müssen ganz schnell zum Schluss den müssen. kommen. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Als Zwischen- Kurt-Dieter Grill lager! Das ist die Wahrheit!) (CDU/CSU): Ja, ich komme zum Ende. Solange Töpfer, Merkel und Kohl das gemacht haben, war das unsicher. Wenn Trittin und Schröder das ma- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: chen, dann wird der gleiche Bau zu einer sicheren Veran- Nein, Sie haben schon zwei Minuten überzogen. staltung. Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Darf ich den Satz noch eben zu Ende sprechen, Frau neten der FDP) Präsidentin? Das ist es, was wir in diesem Land erleben. (Unruhe) (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer) Ich will nur noch eines sagen – und zwar mit vollem Bedacht –: Erhard Eppler war ein Befürworter des (B) Sie sollten auch einmal die Einbringungsrede vonSchnellen Brüters. Den Wahlkampf 1969 hat die Union (D) Franz Josef Strauß lesen: Da werden die Fragen der Vor- gegen die SPD genau vor diesem Hintergrund verloren: sorge für die Endlagerung behandelt. Infolgedessen sind unbegrenztes Wachstum – 225 mögliche Standorte in Deutschland untersucht wor- den. Sie sind nicht die Erfinder der Standortsuche. Eine Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: solche Suche haben kluge Wissenschaftler und verant- Herr Kollege! wortliche Politiker in den 60er- und 70er-Jahren durch- geführt. Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): – und unbegrenzter Wohlstand. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau das ist die Wahrheit! Wir hatten schon Standorte!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege! Das Ergebnis dieser Standortsuche hat die Regierung Helmut Schmidt der Regierung Kubel in Niedersachsen Kurt-Dieter Grill mitgeteilt. Es hieß: Wir wollen einen Salzstock bei euch. (CDU/CSU): Das Ergebnis ist Gorleben. Meine Damen und Herren, – Stellen Sie sich heute bitte nicht hierhin und setzen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: auf das Vergessen der Bürgerinnen und Bürger, Nein!

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): doch keiner gesagt! Wir stehen doch zu dieser – das Ergebnis sitzt heute als grüne Fraktion in der Verantwortung!) Mitte dieses Parlaments. auf die jungen Leute, die nicht mehr wissen, wie die Ge- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – schichte gewesen ist! Sie haben hier heute Morgen be- Beifall bei der FDP) hauptet, wir hätten uns nie um die Sicherheit und die Endlagervorsorge gekümmert. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe die Aussprache. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Pfui! Eine Unterstellung!) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3492 an die in der Tagesordnung auf- Die Wahrheit ist eine andere. geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit 11608 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei- Im Oktober vergangenen Jahres hat die Europäische (C) sung so beschlossen. Kommission ihren Verordnungsentwurf für einen euro- paweit einheitlichen Umgang mit chemischen Stoffen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: vorgelegt. Dieser Entwurf ist mittlerweile, zumindest a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- uns Umweltpolitikerinnen und -politikern, unter dem richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Namen REACH geläufig. REACH steht für ein System, und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) mit dem chemische Stoffe auf dem europäischen Markt abhängig von der Produktionsmenge und abhängig vom – zu dem Antrag der Abgeordneten HeinzGefährdungspotenzial registriert, bewertet und zugelas- Schmitt (Landau), Ulrike Mehl, Michaelsen werden. Im Kern geht es bei dieser Verordnung da- Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordneterrum, dass chemische Neu- und Altstoffe in Zukunft eu- und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- ropaweit gleich behandelt werden. Außerdem soll die neten Dr. Antje Vogel-Sperl, Dr. ReinhardChemieindustrie für ihre Produkte mehr Eigenverant- Loske, Winfried Hermann, weiterer Abgeord- wortung übernehmen, während sich die staatlichen Be- neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ hörden auf Stoffe mit großen Produktionsmengen bzw. DIE GRÜNEN auf Stoffe konzentrieren werden, die Anlass zur Besorg- Eine nachhaltige Chemiepolitik in Europa – nis geben. Insgesamt soll REACH zu einem erheblich Innovation fördern, Umwelt und Gesundheit besseren und sichereren Umgang mit Chemikalien füh- schützen und Verbraucherschutz stärken ren. Darüber besteht unter allen Beteiligten, insbeson- dere der Industrie, generell Übereinstimmung. – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, Karl-JosefNach der Vorlage des Verordnungsentwurfs vor gut Laumann, weiterer Abgeordneter und der Frak- einem Jahr befinden wir uns im Augenblick in einer tion der CDU/CSU Phase, in der die verschiedenen Entwicklungen parallel ablaufen. Nach der Europawahl befassen sich nun auch Unabhängige Folgenabschätzung der neuen das Europäische Parlament und seine Gremien in erster EU-Chemikalienpolitik Lesung mit der neuen Verordnung. Wir rechnen mit ei- – Drucksachen 15/2666, 15/2654, 15/3381 – nem Abschluss dieser Beratungen bis Mitte des Jahres 2005. Auch in den Arbeitsgruppen des Rates werden Berichterstattung: mittlerweile die konkreten Artikel des Verordnungsent- Abgeordnete Heinz Schmitt (Landau) wurfs beraten. Die niederländische Präsidentschaft strebt Marie-Luise Dött dafür eine grundsätzliche Einigung zum Thema Regis- Dr. Antje Vogel-Sperl (B) trierung bis zum Ende des Jahres an. (D) Birgit Homburger b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Gleichzeitig ist auf europäischer wie auf nationaler richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Ebene eine Reihe von Projekten angelaufen, die die neue und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu dem Gesetzgebung auf ihre Umsetzbarkeit wie auch auf ihre Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,Folgen für die Industrie untersuchen werden. Das Um- Dr. Maria Flachsbarth, Dr. Rolf Bietmann, weite- weltbundesamt wird in Kürze eine Studie veröffentli- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU chen, die sich mit den wissenschaftlichen Effekten der neuen Chemikalienpolitik anhand von ausgewählten Tierversuche in der europäischen Chemika- Sektoren beschäftigt. Unter der Schirmherrschaft der liengesetzgebung auf ein Minimum begrenzen Europäischen Kommission wie auch unter Beteiligung – Drucksachen 15/1982, 15/3261 – der Industrie und der Behörden ist das Projekt SPORT angelaufen; hinter dieser Abkürzung steckt das gemein- Berichterstattung: same Testen von REACH für eine strategische Partner- Abgeordnete Heinz Schmitt (Landau) schaft. Damit soll – das wurde vom Europäischen Che- Dr. Maria Flachsbarth mieverband angeregt – ein umfassender Probelauf von Dr. Antje Vogel-Sperl REACH anhand ausgewählter Stoffe durchgeführt wer- Birgit Homburger den. Die Chemieindustrie ist damit einer Einladung der Kommission zu einer so genannten strategischen Part- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die nerschaft gefolgt, um mögliche Verbesserungen für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Wider- Durchführung zu prüfen. Selbstverständlich ist auch die spruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen. deutsche Chemieindustrie mit eigenen Vorschlägen leb- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst haft an der Diskussion beteiligt und insbesondere in die der Abgeordnete Heinz Schmitt. weitere Ausgestaltung von REACH mit einbezogen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, allein diese Auf- Heinz Schmitt (Landau) (SPD): zählung belegt, dass niemand der Beteiligten an der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! neuen europäischen Chemiegesetzgebung ein Interesse Sehr geehrte Damen und Herren! Wir befassen uns heute daran hat, der Industrie unangemessene Belastungen erneut mit der Neuordnung der europäischen Chemiepo- oder unnötige Bürokratie aufzubürden. litik. Wir beraten Anträge, die dazu bisher im Bundestag eingebracht wurden. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11609

Heinz Schmitt (Landau) (A) Es wird im Augenblick intensiv daran gearbeitet, die Be- zur Chemiepolitik das Augenmerk nicht nur auf Verbes- (C) stimmungen zu konkretisieren, Standards für die Anmel- serungen bei der praktischen Umsetzung von REACH dung der Stoffe und die Qualitätssicherung zu entwi-gelegt. Wir haben auch nochmals unterstrichen, dass wir ckeln und die Verfahrensabläufe zu optimieren. Diedie Verbesserung des Schutzes der menschlichen Ge- chemische Industrie ist fast überall eingebunden und sundheit und der Umwelt als erstes Ziel sehen. beteiligt. Auch die Kolleginnen und Kollegen von der Wir erwarten also von dem neuen System aussage- Opposition werden daher eine ernsthafte Auseinander- kräftige Informationen über Gefahren der erfassten setzung aller Beteiligten mit den Argumenten der betrof- Stoffe für die Umwelt und für die Gesundheit. Wir haben fenen Unternehmen – bei allem Bemühen – nicht in Ab- auch bereits mehrfach auf notwendige Korrekturen bei rede stellen können. der weiteren Ausgestaltung von REACH hingewiesen. Die Forderungen in Ihren Anträgen nach einer weite- Wir plädieren zum Beispiel für die Beibehaltung einer ren unabhängigen Folgenabschätzung zu REACH sind allgemeinen Sorgfaltspflicht für Stoffe unterhalb der daher von den derzeitigen Aktivitäten längst überholt. Registrierungsschwelle von einer Jahrestonne. Wir wol- Zum einen wurde eine grundsätzliche Debatte len um im Registrierungsverfahren bestimmte Prüfanfor- REACH bereits im letzten Jahr im Rahmen der Internet- derungen verankern, beispielsweise einen Mindestdaten- konsultationen der EU-Kommission geführt. Auch dazu satz für Zwischenprodukte, um einen angemessenen konnten alle Beteiligten Stellung beziehen. Viele derStörfallschutz zu gewährleisten. vorgebrachten Einwände haben ja bereits zu Korrektu- Wir setzen uns in unserem Antrag dafür ein, das neue ren, auch im Sinne der chemischen Industrie, geführt. System offen zu halten. In Zukunft sollten weitere Stoffe Zum anderen kann man in Ihrem Antrag auch nachle- einbezogen werden können, wenn sie ein Risiko für Ver- sen, wie Sie sich eine unabhängige Folgenabschätzung braucher und Arbeitnehmer darstellen. Schließlich ha- vorstellen. Sie listen dort ausschließlich industrie-ben wir uns in unserem Antrag auch dafür ausgespro- politische Gesichtspunkte auf. Die Ziele desUmwelt-, chen, das Funktionieren von REACH und das Erreichen Gesundheits- und Verbraucherschutzes werden von der Ziele in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, um Ihnen mit keiner Silbe erwähnt. Ich denke, solche Fol- die Wirksamkeit zu testen. Damit wollen wir sicherstel- genabschätzungen liegen uns bereits zur Genüge vor.len, dass die Schutzziele der neuen Verordnung auch tat- Deshalb sage ich: Wir brauchen keine weiteren Studien sächlich erreicht werden. Der Umgang mit Chemikalien zu REACH, wir müssen uns nun mit der Ausgestaltung in Europa muss verbessert, er muss sicherer werden. der neuen Chemikalienpolitik in Europa intensiv befas- REACH bietet dafür den geeigneten Rahmen. sen. Wir begrüßen es deshalb, dass die neue Verordnung Ich bin sicher, dass wir in den nächsten Monaten wei- (B) zügig in Kraft gesetzt werden soll, um den jetzigen un- tere Details klären werden und dass die Vorarbeiten für (D) haltbaren Zustand beim Umgang mit chemischen Alt- die Umsetzung der Verordnung in Kooperation mit der stoffen zu beenden. Industrie vorankommen werden. Nur im konstruktiven (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Dialog kann ein neues Chemikalienrecht entstehen, das BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einerseits einen sicheren Umfang mit Chemikalien ge- währleistet und andererseits für die Unternehmen gut zu Auch auf Ihren zweiten Antrag in Sachen Tierschutz handhaben ist. Ich bin sicher, wir sind mit REACH auf möchte ich eingehen. Dieser Antrag ist überholt. Er war einem guten Weg. es bereits, als Sie ihn eingebracht haben. Ihr Antrag, Herr Paziorek, basiert auf Daten des Jahres 2001 und ar- Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit. beitet mit vollkommen falschen Zahlen. Ich kann nur (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wiederholen, dass der Verordnungsvorschlag der Kom- DIE GRÜNEN) mission auch den Anforderungen des Tierschutzes wei- testgehend Rechnung trägt. Die Kommission will bei der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Umsetzung von REACH Tierversuche ebenfalls auf ein Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marie-Luise Dött. Mindestmaß reduzieren. Die Kommission ist damit auch beim Tierschutz auf einem guten Weg. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Rücksicht- Marie-Luise Dött nahme auf Einwände der Industrie müssen wir als Politi- (CDU/CSU): ker, die wir dem Gemeinwohl verpflichtet sind, auch den Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich anderen grundlegenden Zielen von REACH das gleiche, möchte Sie an die Zielsetzungen des Verordnungsent- wenn nicht sogar ein höheres Gewicht beimessen. Wir wurfs der EU-Kommission zur Chemikalienpolitik erin- sind für den Umwelt- und den Verbraucherschutz verant- nern. Deren gibt es nämlich drei: Mit der Neuordnung wortlich. Ich denke, dieser Aufgabe müssen wir auch bei der Chemikalienpolitik soll nicht nur erstens die Sicher- REACH gerecht werden, wiewohl auch die Interessen heit von Chemikalien verbessert werden, sondern der Wirtschaft zu berücksichtigen sind. Die genannten zweitens auch und vor allem dieFörderung von Inno- Ziele kommen in Ihren Anträgen weniger zur Geltung. vationen und drittens die Erhaltung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen chemischen REACH ist also in erster Linie ein bedeutenderIndustrie gesichert werden. Um zu einer Versachli- Schritt für den Umwelt-, den Gesundheits- und den Ver- chung der Diskussion beizutragen, möchte ich zu allen braucherschutz. Deshalb haben wir in unserem Antrag drei Punkten Stellung nehmen und mich nicht – wie bei 11610 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Marie-Luise Dött (A) anderen Fraktionen oft üblich – nur auf die politisch Andere Studien haben gezeigt, dass die Umsetzung(C) nahe stehenden Ziele konzentrieren. dieses Verordnungsentwurfs durchaus erhebliche Pro- bleme mit sich bringen kann. Exemplarisch ist hier das Es ist ausdrückliches Ziel der CDU/CSU-Bundestags- in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Planspiel zu fraktion, den Menschen und seinen Lebensraum vor Ge- nennen. In dieser von der rot-grünen Landesregierung fahren zu schützen. Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebenen Studie wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den die Schlüsselelemente von REACH zum ersten Mal einem umfassenden Praxistest unterzogen. Die Ergeb- Wir möchten das aber auf eine Weise tun, die alle drei nisse sind mehr als bedenklich. Sie zeigen, dass die ge- Zielsetzungen miteinander in Einklang bringt. Wenn wir plante Chemikalienverordnung unpraktikabel und ineffi- uns also über Gefahren und Gefahrenprävention unter- zient ist. Die Unternehmen, aber auch die Behörden halten, müssen wir bei derGefährlichkeit der Stoffe werden überfordert und die Wettbewerbsfähigkeit der ansetzen. deutschen Industrie wird beeinträchtigt. (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das ist Als besonders problematisch hat sich das kompli- richtig!) zierte Registrierungsverfahren erwiesen. Hiervon ist Es versteht sich von selbst, dass ein Stoff einer strikten zu allererst der Mittelstand betroffen. Den kleinen und Kontrolle unterliegen muss, wenn er in seiner konkreten mittelgroßen Betrieben fehlen oftmals die finanziellen Verwendung schädliche Auswirkungen auf Mensch und Mittel und das Know-how. Bei geringerem Umsatz müs- Umwelt hat. Um eine effektive Kontrolle zu gewährleis- sen sie die gleichen Kosten und Anstrengungen für die ten, sollte demzufolge ein Kontrollsystem etabliert wer- Registrierung aufbringen wie Großbetriebe. Wir müssen den, das an die Gefährlichkeit der Stoffe und ihrer Expo- uns also die Frage stellen, wie wir eine überproportio- sition anknüpft. nale Belastung des Mittelstandes vermeiden können und wie den kleinen und den mittleren Unternehmen prakti- (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Genau!) sche Hilfestellungen gegeben werden können. Weniger zielführend ist aus unserer Sicht ein System, Aber auch über die Mittelstandsproblematik hinaus das sich nicht an der Gefährdung, sondern lediglich an wirft das Planspiel mannigfaltige Fragen auf, zum Bei- den Herstellungs- und Importmengen orientiert, spiel nach der Möglichkeit einer Vereinfachung des (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Registrierungssystems bzw. der Möglichkeit, einen ver- Birgit Homburger [FDP]) gleichbar großen Nutzen bei sehr viel geringerem Auf- wand und geringeren Kosten zu erreichen. so wie die EU-Chemikalienverordnung, die Rot-Grün In dem Antrag, den die Regierungsfraktionen vorge- (B) mit ihrem Antrag unterstützt. Der Verordnungsvorschlag (D) legt haben, wird mit keinem Wort auf die Ergebnisse des knüpft die Kontrollmechanismen an die Überschreitung Planspiels und die sich daraus ergebenden Fragestellun- von Mengengrenzen von exakt einer, 10 oder gen eingegangen. Es findet sich lediglich ein lapidarer 100 Tonnen. Es wird außer Betracht gelassen, dass Hinweis darauf, dass es stattgefunden hat. Stoffe schon in Kleinstmengen hoch toxisch sein kön- nen, während andere, in Tonnagemengen hergestellte Es handelt sich nicht um ein rein europäisches Chemikalien absolut ungefährlich sind. Uns ist dieses Thema, meine Damen und Herren. Unsere deutschen mengenbasierte System zu statisch und zu schematisch. Unternehmen sind davon stark betroffen. Ich bin mir sicher, dass es weitaus intelligentere Alterna- tiven gibt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wohl wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb müssen wir uns hier im Bundestag verstärkt mit Neben dem Schutz von Umwelt und Gesundheit soll dem Thema REACH beschäftigen. durch die Neuordnung des europäischen Chemikalien- Dies ist bisher jedoch ausschließlich auf die Initiati- rechts auch die Innovationskraft und Wettbewerbs- ven der CDU/CSU bzw. der Opposition hin erfolgt. fähigkeit des Standortes Europa gefördert werden. Ob dieses Ziel mit dem vorliegenden Entwurf tatsächlich er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. reicht wird, erscheint mir mehr als fraglich. Die bisher Birgit Homburger [FDP]) durchgeführten Studien dazu sind nach meiner Auffas- Auch eine Anhörung wurde nicht von der Regierungs- sung nicht aussagekräftig. Insbesondere das oft zitierte seite vorgeschlagen, sondern von der CDU/CSU-Bun- Extended Impact Assessment der Kommission unterliegt destagsfraktion beantragt. Ihre einzige Initiative zu dem erheblichen Zweifeln an der Methodik und lässt vor al- wichtigen Thema der europäischen Chemikalienpolitik lem den Aspekt außer Betracht, dass die EU auch im in- wird heute im Dreierpack in viel zu kurzer Zeit, nämlich ternationalen Wettbewerb steht. Unsere Betriebe müssen in 30 Minuten, abgehandelt. Daran erkennt man, wel- mit Unternehmen aus den USA und dem asiatischen chen Stellenwert Sie der Chemikalienpolitik einräumen. Wirtschaftsraum konkurrieren. Wenn in einer Studie ein solch erheblicher Faktor nicht berücksichtigt wird, kann (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Mehl [SPD]: man ihre Aussagekraft nur infrage stellen. Fragen Sie mal Ihre Geschäftsführer!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Auch die Umsetzung der Forderungen von Bundes- Birgit Homburger [FDP]) kanzler Schröder wird von Ihnen nicht mit Nachdruck Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11611

Marie-Luise Dött (A) verfolgt. In der gemeinsamen Position des Bundeskanz- cherungssystem und wir wollen auch, dass doppelte(C) lers mit der Bundesregierung und den Chemieverbänden Wirbeltierversuche konsequent verhindert werden. wurde die Forderung nach einer unabhängigen Folgen- abschätzung formuliert. Der Bedarf besteht nach wie All diese genannten Punkte sind Bestandteil der drei vor. Bisher gibt es keine wirklich unabhängige und voll- gemeinsamen Positionen, deren Inhalt aber der VCI, die ständige Abschätzung der Folgen des EU-Kommissions- deutsche Industrie, offensichtlich nicht mehr kennt. Inte- vorschlags zum Chemikalienrecht. In unserem Antrag ressant ist hingegen, dass die Industrie auf europäischer werden daher keine neuen Forderungen gestellt; mit ihm Ebene nach dem Motto agiert: „Let’s make REACH bet- wird nur an die Position erinnert, die die Bundesregie- ter“ und eben keine Fundamentalopposition betreibt. rung in ihren schriftlichenStellungnahmen und Posi- Was den aktuellen Stand des Verfahrens betrifft tionspapieren vertreten hat, und auf deren Einhaltung ge- – Herr Kollege Schmitt hat dies bereits angesprochen –: drängt. Es gibt erstens eine konstruktive Zusammenarbeit im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wettbewerbsrat und im Umweltrat. Es gibt zweitens im neten der FDP) Industrieausschuss des Europäischen Parlaments eine fraktionsübergreifende Kritik an der von Arthur D. Little Vor diesem Hintergrund ist die Ablehnung unseres An- durchgeführten Studie. Drittens gibt es eine allgemeine trages durch die Regierungsfraktionen nicht nachvoll- Zustimmung zum Prinzip „Ein Stoff – ein Dossier“. Da- ziehbar. mit können Kosten gespartund Bürokratie verhindert werden. Es gibt viertens die Entwicklung eines Systems (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- von Verwendungs- und Expositionskategorien sowie auf neten der FDP) europäischer und auf nationaler Ebene verschiedene be- gleitende Projekte und Folgenabschätzungen, wie Sie sie Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: gefordert haben. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje Vogel- Sperl. Daraus ergibt sich ganz klar: Eine zusätzliche Folgen- abschätzung, wie Sie sie fordern, hätte nur einen Effekt: das ganze Verfahren weiter hinauszuschieben und weiter Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu verzögern. NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen (Beifall der Abg. Margareta Wolf [Frankfurt] Sie mich eines eingangs betonen: Es ist doch unbestrit- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ten, dass wir nicht immer wieder mit neuen Einzelrege- Ist es in einer globalen Weltwirtschaft nicht gerade es- lungen – es dauert zudem unendlich lange, bis wir sie (B) senziell, bessere Produkte zu entwickeln, das heißt, die (D) endlich haben – neuen Schadstoffquellen hinterherlaufen Nase vorn zu haben? Genau diesenInnovationsanreiz können. Ein aktuelles Beispiel ist die Weichmacherpro- setzt REACH. Das heißt, REACH ist ein weiteres Bei- blematik in medizinischen Produkten. Daraus folgt ganz spiel dafür, dass Ökologie und Ökonomie eben kein klar: Wir brauchen ein Gesamtkonzept im Sinne des Gegensatz sind. Denken Sie an das Verbot der Fluor- Vorsorgeprinzips, wie es in der EU-Chemikalienver- kohlenwasserstoffe oder die Einführung des Katalysa- ordnung vorgesehen ist, und wir brauchen ein optimales tors: Kühlschränke gibt es immer noch und der Katalysa- Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen. tor ist eine Selbstverständlichkeit. Nun zum Prozess. Im Laufe des Verfahrens wurde der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Inhalt dieser Verordnung durch drei gemeinsame Posi- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) tionen – der Bundesregierung, der IG BCE und des VCI – wesentlich beeinflusst. Das heißt, im Prozess haben in Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie be- den Verordnungsentwurf wesentliche Verbesserungen klagen vor allem die hohe Belastung der kleinen und Eingang gefunden, und zwar insgesamt zugunsten der mittelständischen Unternehmen. Wir von Bündnis 90/ Wirtschaft. Dagegen betreffen die im aktuellen Entwurf Die Grünen nehmen diese Sorgen sehr ernst. Wir haben noch nicht berücksichtigten gemeinsamen Vorschläge deshalb ganz gezielt nachgeschaltete Anwender eingela- auf Grundlage ebendieser drei Positionen den Umwelt-, den, um mit ihnen über die Umsetzung von REACH zu Gesundheits-, Verbraucher- und Tierschutz. diskutieren. Das Ergebnis war ernüchternd: Die meisten der Unternehmen waren durch ihre Verbände entweder Wir wollen erstens aussagekräftige Daten auch für ge- gar nicht oder schlicht falsch darüber informiert, inwie- ringvolumige Stoffe und Zwischenprodukte. Auch dies weit sie tatsächlich von REACH betroffen sind. Das ist im Übrigen aufgrund der freiwilligen Selbstverpflich- heißt, was die Unternehmen wirklich brauchen, ist eine tung der deutschen chemischen Industrie bereits Stan- fachgerechte, sachliche Information und keine interes- dard. Von daher ist es doch gerade im Interesse der In- sengeleitete Strategie der Desinformation. dustrie, nicht hinter dieses Niveau zurückzufallen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie be- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) haupten, durch REACH würden künftig viele Chemika- lien nicht mehr produziert und REACH hätte den Weg- Wir wollen zweitens die Einbeziehung bestimmter sensi- fall ganzer Produktionsbereiche zur Folge. Aber Fakt ist, bilisierender und chronisch-toxischer Stoffe in das Zu- dass bereits aus ökonomischen Gründen immer wieder, lassungsverfahren. Drittens wollen wir ein Qualitätssi- auch heute schon, Chemikalien vom Markt verschwinden 11612 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Dr. Antje Vogel-Sperl (A) und durch andere ersetzt werden. Das heißt, die Industrie Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme auf 26 Seiten (C) ist sehr wohl in der Lage, die Produktion umzustellen. eine ganze Reihe weiterer Punkte angeführt, die geän- Und wenn REACH dazu führt, dass Stoffe aus Gründen dert werden müssten, und er hat vor allen Dingen gesagt, des Umwelt- und Gesundheitsschutzes vom Markt ge- dass trotz der Änderungen, die bisher vorgenommen nommen werden, dann ist dies genau das, was wir mit wurden, dieser Entwurf nach wie vor dem Ziel einer ein- REACH erreichen wollen. fachen, klaren und praxisgerechten Regelung sowohl im Sinne des Umwelt- und Gesundheitsschutzes als auch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Entlastung der Wirtschaft nicht gerecht wird. Aus all den genannten Gründen lehnen wir Ihre An- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der träge ab. Wir sind der festen Überzeugung, dass ganz im CDU/CSU) Sinne der Lissabon- und Göteborg-Strategie REACH sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie als auch Das sieht auch die Landesregierung von Nordrhein- den Umwelt- und Verbraucherschutz stärkt und dassWestfalen so. Sie hat ein Planspiel durchführen lassen REACH die Chance hat, weltweit Vorbild für ein moder- – Frau Dött hat es gerade schon angesprochen – und hat nes, nachhaltiges Chemikalienrecht zu werden. als Ergebnis dieses Planspiels festgestellt, dass insbeson- dere die mittelständische Wirtschaft in der chemischen Vielen Dank. Industrie, aber auch all jene, die mit chemischen Produk- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten umgehen, mit diesen Regelungen völlig überfordert und bei der SPD) sein werden. Deswegen sagen wir: Es kann nicht nur da- rum gehen, Herstellungs- und Importmengen festzuset- zen. Bei Chemikalien geht es nicht um Mengen, sondern Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: es geht um die Gefährlichkeit und Beherrschbarkeit. Da- Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger. ran muss eine entsprechende Verordnung ansetzen. Ich bitte für alle noch folgenden Rednerinnen um et- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten was mehr Ruhe, sodass sie leichter mit ihrer Stimme der CDU/CSU) durchdringen können. Im Übrigen lehnen wir auch Ihren Antrag ab, weil Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des damit den Weg verlassen, der von der Bundesregierung BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ mit der Wirtschaft vereinbart wurde. Ich will Ihnen aber CSU und der FDP) auch ganz klar sagen: Wenn man schon, Herr Schmitt, mit der Wirtschaft eine Vereinbarung trifft und angeblich Birgit Homburger (FDP): gemeinsam in Europa verhandeln will, dann finde ich es (D) (B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! unanständig, wenn gleichzeitig vom BUND Anzeigen Ich freue mich, dass die Chemikalienpolitik heute end- geschaltet werden, in denen der chemischen Industrie in lich einmal die nötige Aufmerksamkeit im Deutschen Deutschland vorgeworfen wird, sie laufe gegen ein ent- Bundestag erfährt. sprechendes Sicherheitsregime Sturm. Das wird dann auch noch mit Mitteln des Bundeshaushalts gefördert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Auf die Frage – die habe ich dem Bundesministerium bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- gestellt –, warum diese Anzeige gefördert wurde, wurde NISSES 90/DIE GRÜNEN) mir lapidar erklärt, es sei nicht die Anzeige gefördert worden, sondern das Projekt. So geht man nicht mit- Sie können der Debatte jedenfalls entnehmen, wie wich- einander um, wenn man gemeinsam ein Ziel erreichen tig dieses Thema für uns alle ist und wie wichtig es ist, will. dass wir uns in dieser Frage in Europa gemeinsam ein- schalten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es geht um eine Neuordnung der Chemikalienpolitik Deshalb – letzter Satz, Frau Präsidentin – sage ich und darum, in allen europäischen Ländern einen hohen ganz klar: Setzen Sie sich auch aus Umwelt- und Ge- Sicherheitsstandard zu erreichen. Wir in Deutschland ha- sundheitsgründen endlich dafür ein, dass es weitere Ver- ben bereits einen hohen Sicherheitsstandard im Umgang änderungen gibt! Ich möchte, dass die chemische Indus- mit Chemikalien. Deswegen teilen wir das Ziel, das ver- trie in Deutschland bleibt, in Europa bleibt, und zwar bei folgt wird, nämlich einen hohen Umwelt- und Gesund- hohen Sicherheitsstandards, weil wir alle davon mehr heitsschutz bei gleichzeitiger Erhaltung der Wettbe-haben, als wenn wir riskieren, durch unsinnige Änderun- werbsfähigkeit der Unternehmen anzustreben. Abergen die Industrie ins Ausland zu vertreiben, in Stan- dieses Ziel wird nicht erreicht, weil uns im Augenblick dards, die weit unter unserem Niveau liegen. Damit wäre in Gestalt dieser Chemikalienverordnung aus Europa ein dem Umwelt- und Gesundheitsschutz überhaupt nicht bürokratisches Monstrum droht. gedient. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Frau Vogel-Sperl, Sie haben Recht: Es wurde bereits Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: viel geändert und viel getan. Ich sage ganz deutlich: Das Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Maria reicht noch nicht aus, auch wenn wir das erreichen wol- Flachsbarth. len, was in der gemeinsamen Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft niedergelegt wurde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11613

(A) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): durch das Verwenden der Altstudie durch Sperrfristen(C) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undausgeglichen werden. Herren! Die möglichen Auswirkungen der europäischen Chemierechtsetzung REACH auf den Tierschutz sind Seit dem 20. Mai dieses Jahres findet eine Auswei- nach wie vor inakzeptabel. Das Bundesinstitut für Risi- tung der Anwendung ebendieses § 20 a auch auf die Prü- kobewertung, BfR, das in Deutschland für die toxikolo- fung und Bewertung von alten Biozidstoffen im Rahmen gische Bewertung von Chemikalien zuständig ist, geht in des EU-Review-Programms statt. Deshalb ist dieser einer im August dieses Jahres, Herr Kollege Schmitt,Paragraph sehr wohl ein Vorbild für REACH. Die Bun- veröffentlichten Studie von einem Worst-Case-Szenario desregierung ist daher dringend aufgefordert, sich dafür von bis zu 45 Millionen Versuchstieren in 15 Jahren aus, einzusetzen, dass auf EU-Ebene eine vergleichbare Re- gelung gefunden wird (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau! Hört! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU) sollten denn alle Chemikalien einschließlich der Alt-und dass es auf EU-Ebene eine Stelle wie zum Beispiel stoffe entsprechend der von REACH geforderten Bedin- die europäische Chemikalienagentur oder die ECVAM gungen untersucht werden. Dass diese Befürchtung nicht gibt, die die Funktion derdeutschen ZEBET bezüglich nur von der böswilligen Opposition in Deutschland ernst einer zentralen Sammel- undAuskunftsstelle für Tier- genommen wird, zeigt auch, dass Anfang dieses Monats versuchsdaten übernimmt. in Brüssel dem Europäischen Parlament über 500 000 Un- Die oben genannte Studie des BfR zeigt auch, dass terschriften übergeben wurden, die sich gegenTierver- eine drastische Reduzierung der Zahl der notwendigen suche im Rahmen der Chemikalienprüfung ausspre- Tierversuche auf 7,5 Millionen in derselben Zeit mög- chen. lich wäre. Dazu ist es aber erforderlich, den Grundsatz Vor diesem Hintergrund befremdet es, dass die Mehr- „ein Stoff, eine Registrierung“ zu beherzigen und die heit in diesem Haus durchgesetzt hat, dass alle in denNotwendigkeit des Umfangs der Untersuchungen an Bundestag eingebrachten Anträge zur Chemikalienpoli- Risiko und Exposition und nicht an der Produktions- tik nunmehr innerhalb einer halben Stunde möglichstmenge auszurichten. Des Weiteren sind die Neu- und schnell an die Seite geschoben werden. Weiterentwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmetho- den zu Tierversuchen und deren Validierung bei der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) OECD sowie die Einbeziehung von QSAR-Untersu- Damit wir uns richtig verstehen: Tierversuche sind chungen erforderlich. nach Auffassung der Union leider nicht immer vermeid- (B) Wenn wir uns die politische Realität in diesem Lande (D) bar, um einen sicheren Umgang des Menschen mit Che- ansehen, so stellen wir einen drastischen Rückgang der mikalien oder Arzneimitteln gewährleisten zu können. Fördermittel für Tierversuchsersatz- und Ergän- Doch wir müssen aus ethischen Gründen alles tun, um zungsforschung im Haushalt des BMBF 1998 fest. die Zahl der notwendigen Tierversuche auf das absolute Minimum zu begrenzen und immer weiter zu reduzieren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 1998 waren es 4,3 Millionen Euro, 2002 waren es neten der FDP) 2,6 Millionen Euro. In diesem Jahr wurde im Umfeld der Debatte zum EU-Chemikalienrecht der Etat schließlich Daher besteht aus Sicht des Tierschutzes beim vorlie- auf 2,8 Millionen Euro erhöht, um im nächsten Jahr wie- genden Kommissionsentwurf der Chemikalienverord- der auf einen historischen Tiefstwert von 2,4 Millionen nung weiterhin großer Handlungsbedarf. Zwar gibt es Euro zurückzufallen. die Verpflichtung für Produzenten, bereits vorhandene Daten über Tierversuche zu nutzen, doch es gibt gravie- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist die rende Regelungslücken bei der Parallelregistrierung ei- Realität!) nes Stoffes. Zwar informiert die Agentur über die jewei- ligen Adressen der Produzenten, es gibt aber keine Interessant ist dabei, dass Staatssekretär Müller noch rechtsverbindlichen Vorgaben für den Fall, dass sich die im August auf eine schriftliche Frage des Kollegen Produzenten nicht auf ein gemeinsames Vorgehen eini- Bleser angegeben hat, dass die Sicherung und nach gen können. Auch die Verpflichtung zur Teilung derMöglichkeit Aufstockung der bisher ausgewiesenen Mit- Nutzung von Daten aus Wirbeltierversuchen ist bei Non- tel im BMBF-Förderschwerpunkt vorgesehen sei, um Phase-in-Stoffen strikter als bei Phase-in-Stoffen. den Herausforderungen von REACH zu begegnen. Der Bundesrat hat eben diese Punkte in seiner Stel- Die Diskussion von REACH läuft auf EU-Ebene auf lungnahme vom 11. Juni dieses Jahres kritisiert. Er for- vollen Touren. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem die Bun- dert wie wir auch die grundsätzliche Ausrichtung andesregierung noch entschiedener Einfluss auf die Gestal- § 20 a des deutschen Chemikaliengesetzes, der bereits tung von REACH nehmen muss. Diese Gelegenheit darf seit 1994 auf bewährte Weise überflüssigeDoppelver- sie jetzt nicht verpassen. suche verhindert, und zwar durch anteilige Übernahme (Beifall bei der CDU/CSU) der durch die Anfertigung der mit Tierversuchen erarbei- teten Studie verursachten Kosten und dadurch, dassDer Deutsche Bundestag, der im Jahre 2002 mit einer wettbewerbsverzerrende Zeitvorteile der Auftraggeber Zweidrittelmehrheit den Tierschutz als Staatsziel im 11614 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Dr. Maria Flachsbarth (A) Grundgesetz verankert hat, darf sich vor dieser Diskus- 22 Wahlvorschlag der Fraktion der FDP (C) sion nicht wegducken. Wahl eines Mitglieds in das Gremium gemäß Vielen Dank. § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgeset- zes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) – Drucksache 15/3703 – ZP 6 Wahlvorschlag der Fraktion des BÜNDNIS- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: SES 90/DIE GRÜNEN Ich schließe damit die Aussprache. Wahl eines Mitglieds in das Gremium gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgeset- Wir kommen zunächst zu drei einfachen Abstimmun- zes gen. – Drucksache 15/3752 – Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen schlägt 15/3381: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- auf Drucksache 15/3752 die Abgeordnete und die Fraktion der FDP schlägt auf Drucksache 15/3703 schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak- den Abgeordneten vor. tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/2666 mit dem Titel „Eine nachhaltige Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich Sie um Auf- Chemiepolitik in Europa – Innovationen fördern, Um- merksamkeit für einige Hinweise zum Verfahren. Für welt und Gesundheit schützen und Verbraucherschutz diese Wahl benötigen Sie die blaue Stimmkarte, die im stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Saal verteilt wurde. Sollten Sie noch keine Stimmkarte Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Plenarassistenten zu erhalten. Für die Wahl benötigen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Sie außerdem Ihren blauen Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, jetzt noch Ihrem Stimmkartenfach Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt entnehmen können. der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/2654 mit dem Titel Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mit- „Unabhängige Folgenabschätzung der neuen EU-Che- glieder des Bundestages auf sich vereint, also mindes- mikalienpolitik“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- tens 301 Stimmen. (B) fehlung? – Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Diese Be- Es sind zwei Mitglieder zu wählen. Sie haben zwei(D) schlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen derStimmen, mit denen Sie diese zwei Mitglieder wählen Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition können. Ungültig sind Stimmkarten, die andere Namen angenommen. oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Die Wahl ist nicht geheim. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Deshalb können Sie Ihre Stimmkarte, soweit noch nicht Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/3261 geschehen, an Ihren Plätzen ankreuzen. zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Tierversuche in der europäischen Chemikaliengesetz- Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer- gebung auf ein Minimum begrenzen“: Der Ausschuss fen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1982 abzuleh- Schriftführern an den Wahlurnen Ihren blauen Wahlaus- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung desweis. Die Abgabe dieses Wahlausweises gilt als Nach- Ausschusses? – Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Die weis der Teilnahme an der Wahl. Achten Sie also bitte Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmendarauf, dass Sie die blaue Stimmkarte und den blauen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesam- Wahlausweis abgeben. ten Opposition angenommen worden. Nun bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftfüh- Interfraktionell ist vereinbart worden, Tagesord-rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann er- nungspunkt 22 nach Tagesordnungspunkt 16, also jetzt, öffne ich jetzt die Wahl. aufzurufen. Außerdem soll Tagesordnungspunkt 22 um den Wahlvorschlag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Ist noch ein Mitglied dieses Hauses anwesend, das Grünen auf Drucksache 15/3752 erweitert werden. Sind seine Stimme nicht abgegeben hat? – Ich sehe nieman- Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Dasden. Dann schließe ich die Wahl. sind Sie. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit Ich mache darauf aufmerksam, dass im Anschluss an der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl die Wahlen zwei namentliche Abstimmungen über An- wird Ihnen später bekannt gegeben.1) träge auf Zurückweisung von Einsprüchen des Bundes- Wir können gleich anschließend die beiden namentli- rates vorgesehen sind. chen Abstimmungen durchführen. Interfraktionell ist Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 1) Siehe Seite 11617 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11615

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Be- spruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Neurege- (C) ratung der Anträge der Fraktionen der SPD und deslung von Luftsicherheitsaufgaben. Sie benötigen Ihren Bündnisses 90/Die Grünen auf Zurückweisung von Ein- Stimmausweis in der Farbe Grün. sprüchen des Bundesrates zu erweitern und diese jetzt als Zusatzpunkte 7 bis 8 aufzurufen. Sind Sie damit Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlos- vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an sen. den Urnen besetzt? – Das scheint der Fall zu sein. Ich er- öffne die Abstimmung. Ich rufe somit die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine ZP 7 Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜND- Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Bei dieser ers- NISSES 90/DIE GRÜNEN ten namentlichen Abstimmung haben also alle mit ihrem Zurückweisung des Einspruchs des Bundes- grünen Stimmausweis abgestimmt. rates gegen das Gesetz zur Neuregelung von Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- Luftsicherheitsaufgaben rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- – Drucksachen 15/2361, 15/3338, 15/3587,nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später 15/3759 – bekannt gegeben.1) ZP 8 Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜND- Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort und kommen NISSES 90/DIE GRÜNEN zur zweiten namentlichen Abstimmung: Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bünd- Zurückweisung des Einspruchs des Bundes- nisses 90/Die Grünen auf Zurückweisung des Ein- rates gegen das Zweite Gesetz zur Änderung spruchs des Bundesrates gegen das Zweite Zivildienst- des Zivildienstgesetzes und anderer Vorschrif- gesetzänderungsgesetz. Sie benötigen jetzt Ihren ten (Zweites Zivildienstgesetzänderungsge-Stimmausweis in der Farbe Gelb. setz – 2. ZDGÄndG) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die – Drucksachen 15/3279, 15/3486, 15/3590,vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an 15/3760 – den Urnen besetzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung. Der Präsident des Bundesrates hat schriftlich mitge- Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine teilt, dass der Bundesrat beschlossen hat, gegen das Ge- Stimme und den gelben Stimmausweis noch nicht ab- setz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben sowie gegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe damit gegen das Zweite Zivildienstgesetzänderungsgesetz Ein- (B) die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und(D) sprüche einzulegen. Es liegen zwei Anträge der Fraktio- Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Zu- Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt rückweisung der Einsprüche des Bundesrates vor. gegeben.2) Wir setzen die Beratung fort. Bevor wir zur Abstimmung über die Anträge kom- men, bitte ich erneut um Aufmerksamkeit für Hinweise Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: zum Abstimmungsverfahren. Es ist jeweils namentliche Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Abstimmung verlangt; das wissen Sie schon. Nach richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes ist für die Zurückwei- und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu dem sung eines Einspruchs des Bundesrates die Mehrheit der Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich. Das Kristina Köhler (Wiesbaden), Dr. Christian Ruck, sind 301 Stimmen. Wer den Einspruch zurückweisen weiterer Abgeordneter und der Fraktion der will, muss mit Ja stimmen. CDU/CSU Sie benötigen außer Ihren Stimmkarten auch Ihre Mehr Kosteneffizienz im Klimaschutz durch Stimmausweise in den Farben Grün und Gelb; die Farbe verstärkte Nutzung der projektbezogenen des zu verwendenden Stimmausweises werde ich Ihnen Kioto-Mechanismen jeweils vorher sagen. Bitte achten Sie darauf, dass die Stimmkarten und Stimmausweise Ihren Namen tragen; – Drucksachen 15/1690, 15/2803 – das ist sehr wichtig. Bevor Sie Ihre Stimmkarte in die Berichterstattung: Urne werfen, übergeben Sie bitte den jeweiligen Stimm- Abgeordnete Ulrich Kelber ausweis einem der Schriftführer an der Urne. Sie müssen Marie-Luise Dött also Stimmkarte und Stimmausweis abgeben. Die Dr. Reinhard Loske Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, darauf zu Birgit Homburger achten, dass Stimmkarten nur von Kolleginnen und Kol- legen in die Urne geworfen werden dürfen, die vorher Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die ihren Stimmausweis in der richtigen Farbe abgegeben Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich haben. höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wir kommen jetzt zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bünd- 1) Ergebnis Seite 11619 C nisses 90/Die Grünen auf Zurückweisung des Ein-2) Ergebnis Seite 11621 B 11616 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Verordnung und die deutsche Wirtschaft werde wieder (C) der Abgeordnete Ulrich Kelber. einmal benachteiligt. Lassen Sie uns einmal schauen, was tatsächlich der Fall ist: Die Europäische Union hat Ulrich Kelber (SPD): sich längst darauf geeinigt, wie wir die flexiblen Instru- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undmente des Kioto-Protokolls in Europa umsetzen wollen. Herren! Man könnte es fast persönlich nehmen, dass so Die Eins-zu-eins-Umsetzung in Deutschland ist ge- viele Kollegen den Raum verlassen, wenn man zur Kli- sichert, und zwar über zwei Wege: erstens durch die Zu- mapolitik redet. Das kann mir aber die gute Stimmung sicherung der Bundesregierung – mir ist klar, dass die nicht verderben, da ich heute Morgen bei den Nachrich- Opposition daran nicht glaubt – und zweitens durch die tenagenturen lesen konnte, dass der russische Außenmi- Art und Weise des Emissionshandels in Europa. Dadurch nister Lawrow gestern auf der UN-Versammlung bestä- wird jedes Unternehmen, selbst wenn wir in Deutsch- tigt hat, dass Präsident Putin fünf russischen Ministerien land ein anderes Recht der Nutzung der flexiblen Instru- die Dokumente zur Ratifizierung des Kioto-Protokolls mente haben, in einem anderen europäischen Land diese zugeleitet hat. Das erste Ministerium hat bereits zuge- anmelden und eins zu eins nach Deutschland übertragen stimmt. Wenn die anderen vier Ministerien ebenfalls zu- können. Das heißt, es kann schon vom System her keine stimmen, soll das Unterhaus die Dokumente zur Ratifi- Benachteiligung der deutschen Wirtschaft geben. Des- zierung des Kioto-Protokolls erhalten. wegen sollte man eine solche Behauptung unterlassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Birgit DIE GRÜNEN) Homburger [FDP]) Die Union spricht von einer unbegrenzten Nutzung. Das hieße, dass es keinen Klimaschutz mehr in Europa Das sollten wir im Hinterkopf behalten, da wir in der gäbe. Die Obergrenze, die die Europäische Union vor- nächsten Woche über einen Antrag der CDU/CSU-Frak- schlägt, bedeutet, dass deutsche Unternehmen unbe- tion hier im Plenum – Mittwoch wurde er im Umwelt- grenzt nutzen können. Denn das, was Deutschland an der ausschuss debattiert – diskutieren werden, in dem die Nutzung der flexiblen Instrumente zugebilligt wird, ist Bundesregierung aufgefordert wird, Alternativszenarien mehr, als wir brauchen, um unser Kioto-Ziel bis 2010 zu bezüglich des Ratifizierungsverfahrens des Kioto-Proto- erreichen. kolls durch Russland zu erarbeiten. Ich denke, wir kön- nen uns nächste Woche eine Debatte sparen. Welches Interesse sollten wir daran haben, dass die Klimasünder in der EU, die ihren Ausstoß von COum Allerdings gibt es doch etwas, das mir meine gute 2 20 oder 30 Prozent reduzieren müssen, ihren Verpflich- Laune verderben kann. Wir führen zwar heute eine tungen mit fragwürdigen Aufforstungsprojekten in der(D) (B) schöne Debatte über den Klimaschutz, aber in dem An- Dritten Welt nachkommen können, anstatt moderne trag der Opposition, den wir im Umweltausschuss debat- deutsche Technologie kaufen zu müssen, tiert haben, ging es um weniger Klimaschutz. Der Kern des Antrags der CDU/CSU ist: Klimaschutz soll in der (Beifall des Abg. Horst Kubatschka [SPD]) Dritten Welt selbst durch fragwürdige Projekte billig eingekauft werden und dadurch die Motivation zumdie wir in unseren Unternehmen, Energieerzeugungsan- Klimaschutz in Deutschland verringert werden. Ichlagen, Autos und Haushalten längst einsetzen? Daran glaube, dass es moralisch falsch ist, wenn der Norden, müssen wir doch ein Interesse haben. Deswegen schadet der für den größten Teil der Klimaverschlechterung ver- der CDU/CSU-Antrag eindeutig deutschen wirtschaft- antwortlich ist, die Hauptlast der Aktivitäten zur Verbes- lichen Interessen. serung des Klimaschutzes in der Dritten Welt erbringen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ will, seiner Beispielfunktion zu Hause aber nicht gerecht DIE GRÜNEN) werden will. Ich glaube, dass es auch ökologisch falsch ist, weil man nicht nur kurzfristige Erfolge braucht, son- Die Gretchenfrage an CDU/CSU und FDP lautet: Wie dern auch langfristige. Es ist ökonomisch falsch, weil haltet ihr es mit dem Klimaschutz? Heute liegt ein An- wir neue Produkte und neue Technologien brauchen, um trag vor, mit dem erreicht würde, dass der Klimaschutz bei uns Arbeitsplätze zu schaffen. für viele Jahre in Deutschland unnötig gemacht würde. Im Sommer gab es den Versuch, die Emission von Treib- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hausgasen in Deutschland sogar noch zu erhöhen, anstatt DIE GRÜNEN) sie zu senken. Wir unterscheiden uns nicht in der Frage, ob wir die (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ist doch flexiblen Instrumente des Kioto-Protokolls, also Maß- Quatsch!) nahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern durch CDU/CSU und FDP stimmen gegen alles, was mit Kli- Unternehmen der Industrieländer, wollen oder nicht. Wir maschutz zu tun hat. wollen aber darüber hinaus, dass auch in Deutschland und Europa moderne Technologien entwickelt werden. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist Ihr Das geht nur, wenn es den Anreiz gibt, auch hier vor der Märchen!) eigenen Tür Klimaschutz zu betreiben. Ein einfaches Beispiel sind die erneuerbaren Energien, In dem Antrag der Union kommt es zu einem der üb- bei denen Deutschland Weltmarktführer ist. Es geht um lichen Oppositionsrituale. Dort steht, es gebe eineEU- eine schnelle Markteinführung neuer Technologien. Wir Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11617

Ulrich Kelber (A) haben sinkende Preise erzielt und eine steigende Anzahl sche Offensive“ – und kritisiert die Schwesterpar- (C) von Jobs erreicht. Weiterhin konnte die Emission von tei. So blockierten CDU-Mitglieder im Umweltaus- Treibhausgasen reduziert werden. Die Zwischenrufe, die schuss Ökoprojekte wie die Energie sparende man jetzt vielleicht auch im Publikum hören kann, hat es „Sanierung der Altbausubstanz“, die „Einführung auch schon in der letzten Sitzungswoche gegeben, als von Rußfiltern für PKW“ ... Die Christsozialen be- ich diese Kritik vorgebracht habe. Deswegen werde ich mängeln, die „Exportchancen“ für deutsche Um- heute zusätzliche Fakten auf den Tisch legen. welttechnik wie Windenergieanlagen oder Bio- Kraftwerke würden in der CDU/CSU-Fraktion zu Zunächst einmal komme ich zur FDP und zum Thema wenig erkannt. Als einziger Unionsabgeordneter erneuerbare Energien und Windenergie. Die FDP lehnt hatte ein CSU-Mann, der Forstingenieur Josef die heutige Förderung ab, die uns – wie gesagt – zum Göppel, Anfang April mit der Regierung für die Weltmarktführer gemacht hat. Sie fordert Ausschrei- umstrittene Gesetzesnovelle über erneuerbare Ener- bungsmodelle mit Mengenregelungen. So ist es doch, gien gestimmt. Frau Homburger? Das will die FDP haben. Lassen Sie uns einmal auf die Zahlen von Europa schauen. IchDas ist einer von 248 und entspricht 0,4 Prozent Ihrer nehme vier große Länder. Deutschland und Spanien ha- Fraktion! ben eine Förderung nach dem deutschen System, Groß- Ich stimme Edmund Stoiber nicht oft zu, aber damit britannien und Italien haben ein Ausschreibungsmodell hat er Recht: Mit CDU/CSUund FDP ist kein konse- mit Mengenregelung, also ein System, wie es die FDP quenter Klimaschutz möglich. Der vorliegende Antrag haben will. ist der erneute Beweis dafür. Der Umweltausschuss Fangen wir mit der installierten Leistung an. Die lag empfiehlt zu Recht, den Antrag abzulehnen. Wir schlie- Ende 2003 in Großbritannien bei 649 Megawatt, ßen in uns dieser Empfehlung an. Italien bei 904 Megawatt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Birgit Homburger [FDP]: Quatsch!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ In Spanien lag die Leistung bei 6 202 Megawatt, in DIE GRÜNEN) Deutschland bei 14 602 Megawatt. Das Modell der Koa- lition ist also um den Faktor 10 bis 15 erfolgreicher als Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: das von der FDP und der CDU/CSU. Ich gebe Ihnen kurz das Ergebnis der Wahl von zwei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mitgliedern in das Gremium gemäß § 4 a des Bundes- DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/ wertpapierverwaltungsgesetzes bekannt. Von den 601 Mit- (B) CSU]: Mengenlehre!) gliedern des Deutschen Bundestages haben 581 ihre(D) Stimme abgegeben. Davon sind 581 gültig. Es gab fünf Gehen wir zum nächsten Punkt: Preise pro Kilowatt- Enthaltungen. Von den gültigen Stimmen entfielen auf stunde. Es geht darum, was der Verbraucher bezahlen die Abgeordnete Anja Hajduk 499 Stimmen und auf den muss. In Großbritannien sind es 9,6 Cent pro Kilowatt- Abgeordneten Otto Fricke 564 Stimmen. Die Abgeord- stunde, in Italien 13 Cent pro Kilowattstunde. In Spanien neten haben die erforderliche Mehrheit von 301 Stimmen sind es 6,6 Cent pro Kilowattstunde, in Deutschlanderreicht und sind damit Mitglieder des Gremiums nach 6,6 bis 8,8 Cent pro Kilowattstunde. Auch hier ist das § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes.1) Modell von Rot-Grün 10 bis 50 Prozent günstiger für die Jetzt fahren wir in der Debatte fort. Das Wort hat der Verbraucher als das der Opposition. Abgeordnete Josef Göppel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der dritte Punkt betrifft die Zahl der geschaffenen Ar- Josef Göppel (CDU/CSU): beitsplätze. In Großbritannien waren es 3 000, in Italien Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- 2 500, in Spanien 20 000 und in Deutschland 46 000 Ar- legen! Ich denke, hier ist ein Kontrastprogramm ange- beitsplätze. Also auch hier ist das Modell der Koalition sagt. Es geht um die Frage, wie wir zu einem Klima- um den Faktor 8 bis 20 erfolgreicher. Darüber sollte die schutz und zu einem Weltklimaabkommen kommen, an FDP einmal nachdenken. dem auch die Entwicklungsländer ein finanzielles Inter- Der Kollege Pfeiffer hat für die CDU/CSU angekün- esse haben. digt, das Fördersystem bei den erneuerbaren Energien Ich habe vor zwei Tagen an der öffentlichen Sitzung im Jahr 2007 kippen zu wollen. Frau Merkel – die frü- des Nachhaltigkeitsrates teilgenommen. here Umweltministerin – hat es wiederholt. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Herr Kelber (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sie waren war nicht da!) am Mittwoch doch gar nicht dabei!) Der Vorsitzende, Volker Hauff, schloss die Sitzung mit Da Sie meine Kritik zurückweisen, zitiere ich ausden Worten: „Kioto ist keine tragfähige Lösung zur Sta- „Spiegel Online“ vom 11. September 2004: bilisierung des Weltklimas.“ Mit Blick auf die Bundestagswahlen 2006 drängt CSU-Chef Edmund Stoiber auf eine „umweltpoliti- 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer siehe Anlage 2 11618 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Josef Göppel (A) Die Union und ich sind anderer Meinung. Wie soll je- Dörfer und im Hintergrund kahl geschlagene Berghänge. (C) mand den Mut zu einem anderen, besseren Konzept fas- Schon aus diesem Grund muss es uns ein elementares sen, wenn wir das vorhandene, mühsam errungene Kon- Anliegen sein, dass die Entwicklungsländer ein finan- zept bereits auf halbem Wege als nutzlos bezeichnen? zielles Interesse daran bekommen, klimaverträglich und nachhaltig zu wirtschaften. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- GRÜNEN) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Insofern stellt sich e di Frage, wo wir stehen. GRÜNEN) 144 Staaten haben das Kioto-Protokoll ratifiziert. Diese Das Ziel von Kioto ist, zu verhindern, dass die Erd- Staaten erzeugen 44 Prozent der gesamten Klimagase. mitteltemperatur mehr als 2 Grad im Vergleich zum Russland erzeugt 17 Prozent; das ergibt zusammenvorindustriellen Wert ansteigt. Wenn der weltweite Aus- 61 Prozent. Die Schwelle liegt bei 55 Prozent. stoß auf mehr als 40 Milliarden Tonnen steigt, dann Ich habe ebenso wie Sie, Herr Kelber, mit Freude die steigt die Erdmitteltemperatur – so schätzt das IPCC, ein Nachricht vernommen, dass Herr Putin die Ratifizierung internationales Wissenschaftlergremium für Klimafra- des Abkommens eingeleitet hat. Aber das ist uns schon gen – um 3 bis 5 Grad. Die Folgen wären – ich nenne zweimal angekündigt worden. Das ist das Problem. nur die wirtschaftlichen – Verlust fruchtbarer Tiefland- gebiete, Verschiebung von Klimazonen mit volkswirt- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) schaftlichen Schäden und ernst zu nehmende Wande- Ich sage Ihnen in allem Ernst: Der Bundeskanzler muss rungsströme. Wir dürfen also nicht an der Frage bei seinem Freund Putin sein volles politisches Gewicht vorbeigehen, wie wir für die Entwicklungsländer einen in die Waagschale werfen, damit Russland das Abkom- Rahmen schaffen können, der dafür sorgt, dass auch sie men tatsächlich ratifiziert! ein wirtschaftliches Interesse haben, mehr Klimaschutz zu betreiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP] – Dr. Peter Paziorek Es gibt dafür bereits Konzepte. So haben Wissen- [CDU/CSU]: Das tut er aber nicht!) schaftler schon vor einigen Jahren in Großbritannien das Modell „Contraction and Convergence“ entwickelt, das Wir wollen, dass dieses Abkommen nicht scheitert, son- auf die Verringerung und die Annäherung der Pro-Kopf- dern ein Erfolg wird. Ausstöße bei den klimaschädlichen Gasen abzielt. Der Wo stehen wir heute beim weltweiten Ausstoß von deutsche Wissenschaftler Lutz Wicke hat im Rahmen des Nachhaltigkeitsrates der baden-württembergischen (B) klimaschädlichen Gasen? Für dasAbkommen von (D) Kioto gilt das Basisjahr 1990. Damals betrug der Aus- Landesregierung ein weltweit wirksames Anreizsys- stoß klimaschädlicher Gase weltweit 30 Milliarden Ton- tem mit handelbaren Zertifikaten entwickelt. Danach nen. Im Jahr 2000 – zehn Jahre später – waren 35 Mil- wird jedem Menschen auf der Welt ein Ausstoß von liarden Tonnen zu verzeichnen. Das heißt, dass in den 5 Tonnen pro Jahr zugestanden. Das wären bei letzten zehn Jahren keine Senkung erfolgt ist. Im Gegen- 6 Milliarden Menschen etwa 30 Milliarden Tonnen, also teil: Es gab eine Steigerung um 17 Prozent. An diesen das Niveau von 1990. Länder, die darüber liegen, müss- 35 Milliarden Tonnen haben die Industrieländer einen ten zukaufen und Länder, die darunter liegen, könnten Anteil von 21 Milliarden Tonnen. Der Ausstoß in den In- finanzielle Anreize für ihre wirtschaftliche Entwicklung dustrieländern ist allerdings in den letzten zehn Jahren bekommen. – Sie lachen vielleicht zu Recht, wenn es um durch die Rückgänge in Russland, die die Zuwächse in die Frage geht, ob sich so etwas durchsetzen lässt. Im- den Vereinigten Staaten ausgeglichen haben, in etwamerhin will die Europäische Kommission auf der nächs- gleich geblieben. Die Europäische Union hat ihren Aus- ten Folgekonferenz in Buenos Aires im Dezember dieses stoß in den letzten zehn Jahren um immerhin 2 Prozent Jahres ein Dreistufenkonzept einbringen, das in der ers- senken können. Aber ihre Verpflichtung, den Ausstoß ten Stufe eine freiwillige Verpflichtung zur Erhöhung um 8 Prozent zu senken – Herr Kollege Kelber, wir sind der Wirkungsgrade von Anlagen in Entwicklungslän- jetzt an einer wichtigen Stelle; denn Sie haben der Union dern, in der zweiten Stufe den verbindlichen Ersatz alter unterstellt, dass sie entsprechende Maßnahmen lieberAnlagen, sodass etwa 1 Tonne Stahl mit weniger klima- woanders als in Deutschland durchführen möchte –, hat schädlichen Abgasen erzeugt wird, und erst in der dritten sie nicht erfüllen können. Deshalb sage ich ganz klar: Stufe verbindliche Länderobergrenzen vorsieht. Es ist Wir müssen in der Europäischen Union und insbeson- natürlich noch offen, ob ein solches Modell eine Mehr- dere in Deutschland noch eine Menge tun, um unser Ziel heit finden kann; denn die entscheidenden Länder sind zu erreichen. China und Indien. Man hört in Brüssel, dass sie für ein solches Mehrstufenmodell Sympathie zeigen; aber der Ich gebe aber zu bedenken: Selbst wenn das Abkom- Erfolg ist noch lange nicht sicher. men von Kioto Erfolg hätte und alle Industrieländer ihre Verpflichtungen erfüllen würden, würde derweltweite Die so genannten flexiblen Maßnahmen im jetzigen Ausstoß bis 2010 auf über 40Milliarden Tonnen stei- Kioto-Abkommen – Clean Development Mechanism, gen. Die Folgen einer solchen Entwicklung können wir also umweltverbessernde Maßnahmen in den Entwick- uns schon heute täglich im Fernsehen anschauen. Es ist lungsländern, und die so genannten Joint Implementations schon fast symbolisch gewesen, dass die Bilder von Ha- in den osteuropäischen Ländern; damit ist im Grunde iti Menschen zeigten, die im Wasser wateten, überflutete dasselbe gemeint – betreffen den Export klimaschützen- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11619

Josef Göppel (A) der Technologien. Ich bin schon der Meinung, dass die Fischer auf diesen Sektoren. Ich habe solche Initiativen (C) jetzige Grenze von 6 bis 8 Prozent willkürlich gewählt bisher noch nicht wahrgenommen. Ich bin sehr gespannt. ist. Es gibt für sie weder eine wirtschaftliche noch eine Nötig sind Initiativen zu einer sinnvollen Weiterentwick- naturwissenschaftliche Begründung. Das war vor einem lung des Abkommens von Kioto von unserer deutschen Jahr der Grund dafür, den Antrag einzubringen, über den Bundesregierung. Sie ist hier ganz besonders gefordert. wir heute reden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin der Meinung, dass es sinnvoll ist, den Ent- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: wicklungsländern mehr Technologietransfer bereitzu- Ich unterbreche die Aussprache, um Ihnen die von stellen und auf diese Art und Weise das wirtschaftliche den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Interesse dort in Gang zu bringen. Das ist aber nochErgebnisse der namentlichen Abstimmungen über die keine über das jetzige Abkommen hinausweisende Lö- Zurückweisungen der Einsprüche des Bundesrates mit- sung. Das müssen wir alle gemeinsam erkennen. zuteilen. Ich fasse zusammen: Fortschritte beim weltweiten Zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Frak- Klimaschutz sind davon abhängig, dass die Entwick-tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen „Zu- lungsländer ein wirtschaftliches Interesse daran ent-rückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das wickeln. An einem solchen Konzept muss die Bundes- Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben“: regierung mit größerem Nachdruck als bisher arbeiten. Abgegebene Stimmen 581. Mit Ja haben gestimmt 303, Schön, dass Minister Trittin bei uns ist. Herr Minister mit Nein haben gestimmt 278. Es gab keine Enthal- Trittin, wir brauchen Ihre Initiativen auf internationaler tungen. Der Antrag ist damit mit der erforderlichen Ebene! Vor allen Dingen brauchen wir auch die Initiati- Mehrheit – 301 Stimmen waren nötig – angenommen ven des überall so geschätzten Außenministers Joschka worden.

Endgültiges Ergebnis Hans Martin Bury Karl-Hermann Haack Klaus Kirschner Abgegebene Stimmen: 581; Marco Bülow (Extertal) Hans-Ulrich Klose davon Dr. Michael Bürsch Hans-Joachim Hacker Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler ja: 303 Sabine Bätzing Marion Caspers-Merk Klaus Hagemann (B) nein: 278 (D) Dr. Alfred Hartenbach Karin Kortmann Michael Hartmann Rolf Kramer Ja Peter Dreßen (Wackernheim) Elvira Drobinski-Weiss Nina Hauer Ernst Kranz SPD Detlef Dzembritzki Nicolette Kressl Reinhold Hemker Angelika Krüger-Leißner Dr. Lale Akgün Dr. Herta Däubler-Gmelin Rolf Hempelmann Gerd Andres Martin Dörmann Dr. Hans-Ulrich Krüger Ingrid Arndt-Brauer Dr. Barbara Hendricks Volker Kröning Siegmund Ehrmann Horst Kubatschka Hermann Bachmaier Petra Heß Ute Kumpf Ernst Bahr (Neuruppin) Marga Elser Monika Heubaum Ernst Küchler Gisela Hilbrecht Helga Kühn-Mengel Gabriele Hiller-Ohm Dr. Uwe Küster Dr. Hans-Peter Bartels Petra Ernstberger Stephan Hilsberg Dr. Heinz Köhler (Coburg) Eckhardt Barthel (Berlin) Karin Evers-Meyer Jelena Hoffmann (Chemnitz) Fritz Rudolf Körper Klaus Barthel (Starnberg) Annette Faße Sören Bartol Walter Hoffmann Elke Ferner (Darmstadt) Christian Lange (Backnang) (Wismar) Christine Lehder Rainer Fornahl Frank Hofmann (Volkach) Waltraud Lehn Dr. Gabriele Frechen Eike Hovermann Dr. Elke Leonhard Hans-Werner Bertl Christel Humme Eckhart Lewering Lilo Friedrich (Mettmann) Klaas Hübner Götz-Peter Lohmann Iris Gleicke Gerd Höfer Erika Lotz (Heidelberg) Günter Gloser Lothar Ibrügger Dr. Renate Gradistanac Brunhilde Irber Gabriele Lösekrug-Möller Gerd Friedrich Bollmann Angelika Graf (Rosenheim) Jann-Peter Janssen Dirk Manzewski Klaus Brandner Dieter Grasedieck Klaus-Werner Jonas Tobias Marhold Monika Griefahn Renate Jäger Lothar Mark Johannes Kahrs (Hildesheim) Gabriele Groneberg Ulrich Kasparick Hans-Günter Bruckmann Achim Großmann Dr. h.c. Susanne Kastner Wolfgang Grotthaus Ulrich Kelber Ulrike Mehl Uwe Göllner Hans-Peter Kemper Petra-Evelyne Merkel 11620 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Ulrike Merten Dr. Cornelie Sonntag- Dr. Uschi Eid (C) Wolgast Hans-Josef Fell Monika Brüning Ursula Mogg Wolfgang Spanier Katrin Göring-Eckardt Klaus Brähmig Gesine Multhaupt Dr. Margrit Spielmann Anja Hajduk Verena Butalikakis Michael Müller (Düsseldorf) Jörg-Otto Spiller Winfried Hermann Hartmut Büttner Christian Müller (Zittau) Dr. Ditmar Staffelt Antje Hermenau (Schönebeck) Franz Müntefering Peter Hettlich Dr. Maria Böhmer Dr. Rolf Mützenich Rita Streb-Hesse Thilo Hoppe Wolfgang Börnsen Volker Neumann (Bramsche) Dr. Peter Struck Michaele Hustedt (Bönstrup) Christoph Strässer Ulrike Höfken Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Erika Ober Joachim Stünker Cajus Julius Caesar Holger Ortel Rolf Stöckel Undine Kurth (Quedlinburg) (Emstek) Heinz Paula Jörg Tauss Markus Kurth Peter H. Carstensen Johannes Pflug Jella Teuchner Renate Künast (Nordstrand) Joachim Poß Dr. Gerald Thalheim Dr. Reinhard Loske Dr. Wilhelm Priesmeier Wolfgang Thierse Anna Lührmann Franz Thönnes Kerstin Müller (Köln) Dr. Hans-Jürgen Uhl Karin Rehbock-Zureich Rüdiger Veit Vera Dominke Simone Violka Christa Nickels Gerold Reichenbach Thomas Dörflinger Jörg Vogelsänger Friedrich Ostendorff Dr. Carola Reimann Marie-Luise Dött (Pforzheim) Simone Probst Christel Riemann- Maria Eichhorn Dr. Marlies Volkmer (Augsburg) Hanewinckel Hans Georg Wagner (Lübeck) Hedi Wegener Christine Scheel Reinhold Robbe Andreas Weigel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Reinhard Weis (Stendal) Rezzo Schlauch Karin Roth (Esslingen) Dr. Hans Georg Faust Petra Weis Albert Schmidt (Ingolstadt) Albrecht Feibel Michael Roth (Heringen) Gunter Weißgerber (Berlin) Petra Selg Ingrid Fischbach Marlene Rupprecht (Wiesloch) Ursula Sowa Hartwig Fischer (Göttingen) (Tuchenbach) Dr. Ernst Ulrich von Rainder Steenblock Dirk Fischer (Hamburg) Gerhard Rübenkönig Weizsäcker Silke Stokar von Neuforn Axel E. Fischer (Karlsruhe- René Röspel Jochen Welt Hans-Christian Ströbele Land) Thomas Sauer Dr. Jürgen Trittin Dr. Maria Flachsbarth (B) Anton Schaaf (D) Lydia Westrich Marianne Tritz Klaus-Peter Flosbach Gudrun Schaich-Walch Inge Wettig-Danielmeier Hubert Ulrich Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Erich G. Fritz Dr. Antje Vollmer Bernd Scheelen Andrea Wicklein Jochen-Konrad Fromme Dr. Ludger Volmer Dr. Jürgen Wieczorek (Böhlen) Dr. Michael Fuchs Josef Philip Winkler Siegfried Scheffler Heidemarie Wieczorek-Zeul Hans-Joachim Fuchtel Margareta Wolf (Frankfurt) Horst Schild Dr. Dieter Wiefelspütz Dr. Jürgen Gehb Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Horst Schmidbauer Engelbert Wistuba Nein (Nürnberg) Barbara Wittig (Aachen) Dr. CDU/CSU Georg Girisch Silvia Schmidt (Eisleben) Verena Wohlleben (Meschede) Waltraud Wolff Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (Wolmirstedt) Kurt-Dieter Grill Heinz Schmitt (Landau) Heidi Wright Dietrich Austermann Michael Grosse-Brömer Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel Wilfried Schreck Dr. Markus Grübel Günter Baumann Hermann Gröhe Gerhard Schröder BÜNDNIS 90/DIE Karl-Theodor Freiherr von GRÜNEN Ernst-Reinhard Beck Brigitte Schulte (Hameln) (Reutlingen) und zu Guttenberg Reinhard Schultz Veronika Bellmann (Everswinkel) (Bremen) Dr. Ralf Göbel (Spandau) (Köln) Dr. Reinhard Göhner Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Rolf Bietmann Josef Göppel Dr. Martin Schwanholz Clemens Binninger Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Axel Schäfer (Bochum) Grietje Bettin Holger-Heinrich Haibach Walter Schöler Karsten Schönfeld Ekin Deligöz Klaus-Jürgen Hedrich Fritz Schösser Dr. Thea Dückert Erika Simm Jutta Dümpe-Krüger Dr. Ursula Heinen Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Franziska Eichstädt-Bohlig Siegfried Helias Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11621

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Uda Carmen Freia Heller Dorothee Mantel Dr. Christian Ruck Dagmar Wöhrl (C) Michael Hennrich (Weiden) Wolfgang Zeitlmann Jürgen Herrmann (Recklinghausen) Peter Rzepka Willi Zylajew (Altötting) Volker Rühe Wolfgang Zöller Ernst Hinsken Dr. Conny Mayer Dr. Norbert Röttgen (Freiburg) FDP Robert Hochbaum Dr. Martin Mayer Norbert Schindler Klaus Hofbauer (Siegertsbrunn) Georg Schirmbeck Hubert Hüppe Wolfgang Meckelburg Angela Schmid Helga Daub Joachim Hörster Dr. Jörg van Essen Susanne Jaffke Dr. Angela Merkel Christian Schmidt (Fürth) Dr. (Hamm) Andreas Schmidt (Mülheim) Ulrike Flach Dr. Egon Jüttner Doris Meyer (Tapfheim) Dr. Otto Fricke Bartholomäus Kalb Dr. Ole Schröder (Bayreuth) Steffen Kampeter Bernhard Schulte-Drüggelte Rainer Funke Irmgard Karwatzki Klaus Minkel Dr. Bernhard Kaster Anita Schäfer (Saalstadt) Hans-Michael Goldmann Siegfried Kauder (Bad Stefan Müller (Erlangen) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Dürrheim) Bernward Müller (Gera) Wilhelm Josef Sebastian Joachim Günther (Plauen) Volker Kauder Dr. Gerd Müller Kurt Segner (Homburg) Gerlinde Kaupa Hildegard Müller Matthias Sehling Klaus Haupt Henry Nitzsche Marion Seib Ulrich Heinrich Jürgen Klimke Heinz Seiffert Birgit Homburger Julia Klöckner Bernd Siebert Dr. Manfred Kolbe Günter Nooke Hartmut Koschyk Dr. Georg Nüßlein Johannes Singhammer Dr. Heinrich L. Kolb Thomas Kossendey Franz Obermeier Jürgen Koppelin Rudolf Kraus Melanie Oßwald Hellmut Königshaus Günther Krichbaum Rita Pawelski Günter Krings Dr. Peter Paziorek Andreas Storm Harald Leibrecht Dr. Martina Krogmann Ulrich Petzold Matthäus Strebl Ina Lenke Dr. Hermann Kues Dr. (Heilbronn) Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (Zingst) Sibylle Pfeiffer Lena Strothmann Markus Löning (B) Kristina Köhler (Wiesbaden) Dr. Friedbert Pflüger Michael Stübgen (D) Dirk Niebel Norbert Königshofen Günther Friedrich Nolting Dr. Karl A. Lamers Edeltraut Töpfer Hans-Joachim Otto (Heidelberg) Dr. Hans-Peter Uhl (Frankfurt) Dr. Daniela Raab Detlef Parr Volkmar Uwe Vogel Dr. Barbara Lanzinger Hans Raidel Andrea Astrid Voßhoff Dr. Karl-Josef Laumann Dr. Marko Wanderwitz Dr. Peter Rauen Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Rainer Stinner Werner Lensing Christa Reichard (Dresden) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Carl-Ludwig Thiele Peter Letzgus Dr. Ursula Lietz Hans-Peter Repnik Annette Widmann-Mauz Dr. Claudia Winterstein Walter Link (Diepholz) Klaus Riegert Klaus-Peter Willsch Dr. Volker Wissing Eduard Lintner Willy Wimmer (Neuss) Dr. Klaus W. Lippold Franz-Xaver Romer Fraktionslose Abgeordnete (Offenbach) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Werner Wittlich Dr. Klaus Rose Elke Wülfing Dr. Gesine Lötzsch Dr. Michael Luther Kurt J. Rossmanith Gerhard Wächter Petra Pau

Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD schriften“: Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben ge- und des Bündnisses 90/Die Grünen „Zurückweisung des stimmt 305, mit Nein haben gestimmt 275, Enthaltungen Einspruchs des Bundesrates gegen das Zweite Gesetzebenfalls keine. Auch dieser Antrag ist damit mit der er- zur Änderung des Zivildienstgesetzes und anderer Vor- forderlichen Mehrheit angenommen worden. 11622 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Endgültiges Ergebnis Dieter Grasedieck Waltraud Lehn Gerhard Schröder (C) Abgegebene Stimmen: 580; Monika Griefahn Dr. Elke Leonhard Brigitte Schulte (Hameln) davon Kerstin Griese Eckhart Lewering Reinhard Schultz Gabriele Groneberg Götz-Peter Lohmann (Everswinkel) ja: 305 Achim Großmann Erika Lotz Swen Schulz (Spandau) nein: 275 Wolfgang Grotthaus Dr. Christine Lucyga Dr. Angelica Schwall-Düren Uwe Göllner Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Martin Schwanholz Ja Karl-Hermann Haack Dirk Manzewski Rolf Schwanitz (Extertal) Tobias Marhold Axel Schäfer (Bochum) SPD Hans-Joachim Hacker Lothar Mark Walter Schöler Bettina Hagedorn Caren Marks Dr. Lale Akgün Karsten Schönfeld Klaus Hagemann Hilde Mattheis Gerd Andres Fritz Schösser Alfred Hartenbach Ingrid Arndt-Brauer Markus Meckel Erika Simm Michael Hartmann Rainer Arnold Ulrike Mehl Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Wackernheim) Hermann Bachmaier Petra-Evelyne Merkel Dr. Cornelie Sonntag- Nina Hauer Ernst Bahr (Neuruppin) Ulrike Merten Wolgast Hubertus Heil Doris Barnett Angelika Mertens Wolfgang Spanier Dr. Hans-Peter Bartels Reinhold Hemker Ursula Mogg Dr. Margrit Spielmann Eckhardt Barthel (Berlin) Rolf Hempelmann Gesine Multhaupt Jörg-Otto Spiller Klaus Barthel (Starnberg) Dr. Barbara Hendricks Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Ditmar Staffelt Sören Bartol Gustav Herzog Christian Müller (Zittau) Ludwig Stiegler Uwe Beckmeyer Petra Heß Franz Müntefering Rita Streb-Hesse Klaus Uwe Benneter Monika Heubaum Dr. Rolf Mützenich Dr. Peter Struck Dr. Axel Berg Gisela Hilbrecht Volker Neumann (Bramsche) Christoph Strässer Ute Berg Gabriele Hiller-Ohm Dietmar Nietan Joachim Stünker Hans-Werner Bertl Stephan Hilsberg Dr. Erika Ober Rolf Stöckel Petra Bierwirth Jelena Hoffmann (Chemnitz) Holger Ortel Jörg Tauss Walter Hoffmann Rudolf Bindig Heinz Paula Jella Teuchner (Darmstadt) Lothar Binding (Heidelberg) Johannes Pflug Dr. Gerald Thalheim Iris Hoffmann (Wismar) Kurt Bodewig Joachim Poß Wolfgang Thierse Frank Hofmann (Volkach) Dr. Wilhelm Priesmeier Gerd Friedrich Bollmann Franz Thönnes Eike Hovermann Florian Pronold Klaus Brandner Hans-Jürgen Uhl Christel Humme Dr. Sascha Raabe Willi Brase Rüdiger Veit Klaas Hübner Karin Rehbock-Zureich Bernhard Brinkmann Simone Violka Gerd Höfer Gerold Reichenbach (B) (Hildesheim) Jörg Vogelsänger (D) Lothar Ibrügger Dr. Carola Reimann Hans-Günter Bruckmann Ute Vogt (Pforzheim) Brunhilde Irber Christel Riemann- Edelgard Bulmahn Dr. Marlies Volkmer Ulla Burchardt Jann-Peter Janssen Hanewinckel Klaus-Werner Jonas Walter Riester Hans Georg Wagner Hans Martin Bury Hedi Wegener Marco Bülow Renate Jäger Reinhold Robbe Johannes Kahrs Dr. Ernst Dieter Rossmann Andreas Weigel Dr. Michael Bürsch Reinhard Weis (Stendal) Sabine Bätzing Ulrich Kasparick Karin Roth (Esslingen) Petra Weis Marion Caspers-Merk Dr. h.c. Susanne Kastner Michael Roth (Heringen) Gunter Weißgerber Dr. Peter Danckert Ulrich Kelber Ortwin Runde Gert Weisskirchen Karl Diller Hans-Peter Kemper Marlene Rupprecht (Wiesloch) Peter Dreßen Klaus Kirschner (Tuchenbach) Dr. Ernst Ulrich von Elvira Drobinski-Weiss Hans-Ulrich Klose Gerhard Rübenkönig Weizsäcker Detlef Dzembritzki Astrid Klug René Röspel Dr. Herta Däubler-Gmelin Dr. Bärbel Kofler Thomas Sauer Jochen Welt Martin Dörmann Walter Kolbow Anton Schaaf Dr. Rainer Wend Sebastian Edathy Karin Kortmann Gudrun Schaich-Walch Lydia Westrich Siegmund Ehrmann Rolf Kramer Rudolf Scharping Inge Wettig-Danielmeier Hans Eichel Anette Kramme Bernd Scheelen Dr. Margrit Wetzel Marga Elser Ernst Kranz Dr. Hermann Scheer Andrea Wicklein Gernot Erler Nicolette Kressl Siegfried Scheffler Jürgen Wieczorek (Böhlen) Petra Ernstberger Angelika Krüger-Leißner Horst Schild Heidemarie Wieczorek-Zeul Karin Evers-Meyer Dr. Hans-Ulrich Krüger Otto Schily Dr. Dieter Wiefelspütz Annette Faße Volker Kröning Horst Schmidbauer Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Elke Ferner Horst Kubatschka (Nürnberg) Engelbert Wistuba Gabriele Fograscher Ute Kumpf Ulla Schmidt (Aachen) Barbara Wittig Rainer Fornahl Ernst Küchler Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Wolfgang Wodarg Gabriele Frechen Helga Kühn-Mengel Dagmar Schmidt (Meschede) Verena Wohlleben Dagmar Freitag Dr. Uwe Küster Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Waltraud Wolff Lilo Friedrich (Mettmann) Dr. Heinz Köhler (Coburg) Heinz Schmitt (Landau) (Wolmirstedt) Iris Gleicke Fritz Rudolf Körper Carsten Schneider Heidi Wright Günter Gloser Christine Lambrecht Olaf Scholz Uta Zapf Renate Gradistanac Christian Lange (Backnang) Wilfried Schreck Manfred Helmut Zöllmer Angelika Graf (Rosenheim) Christine Lehder Ottmar Schreiner Dr. Christoph Zöpel Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11623

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) BÜNDNIS 90/DIE Artur Auernhammer Michael Grosse-Brömer Patricia Lips (C) GRÜNEN Dietrich Austermann Manfred Grund Dr. Michael Luther Norbert Barthle Markus Grübel Dorothee Mantel Kerstin Andreae Dr. Wolf Bauer Marieluise Beck (Bremen) Hermann Gröhe Erwin Marschewski Volker Beck (Köln) Günter Baumann Karl-Theodor Freiherr von (Recklinghausen) Cornelia Behm Ernst-Reinhard Beck und zu Guttenberg Stephan Mayer (Altötting) Birgitt Bender (Reutlingen) Olav Gutting Dr. Conny Mayer Matthias Berninger Veronika Bellmann Ralf Göbel (Freiburg) Grietje Bettin Dr. Christoph Bergner Dr. Reinhard Göhner Dr. Martin Mayer Alexander Bonde Otto Bernhardt Josef Göppel (Siegertsbrunn) Ekin Deligöz Dr. Rolf Bietmann Peter Götz Wolfgang Meckelburg Dr. Thea Dückert Clemens Binninger Dr. Wolfgang Götzer Dr. Michael Meister Jutta Dümpe-Krüger Renate Blank Holger-Heinrich Haibach Dr. Angela Merkel Franziska Eichstädt-Bohlig Antje Blumenthal Gerda Hasselfeldt Laurenz Meyer (Hamm) Dr. Uschi Eid Jochen Borchert Klaus-Jürgen Hedrich Doris Meyer (Tapfheim) Hans-Josef Fell Wolfgang Bosbach Helmut Heiderich Maria Michalk Katrin Göring-Eckardt Dr. Ralf Brauksiepe Ursula Heinen Hans Michelbach Anja Hajduk Helge Braun Siegfried Helias Klaus Minkel Winfried Hermann Georg Brunnhuber Uda Carmen Freia Heller Marlene Mortler Antje Hermenau Monika Brüning Michael Hennrich Stefan Müller (Erlangen) Peter Hettlich Klaus Brähmig Jürgen Herrmann Bernward Müller (Gera) Thilo Hoppe Verena Butalikakis Bernd Heynemann Dr. Gerd Müller Michaele Hustedt Hartmut Büttner Ernst Hinsken Hildegard Müller Ulrike Höfken (Schönebeck) Peter Hintze Henry Nitzsche Fritz Kuhn Dr. Maria Böhmer Robert Hochbaum Michaela Noll Undine Kurth (Quedlinburg) Wolfgang Börnsen Klaus Hofbauer Claudia Nolte Markus Kurth (Bönstrup) Hubert Hüppe Günter Nooke Renate Künast Dr. Wolfgang Bötsch Joachim Hörster Dr. Georg Nüßlein Dr. Reinhard Loske Cajus Julius Caesar Susanne Jaffke Franz Obermeier Anna Lührmann Manfred Carstens (Emstek) Dr. Peter Jahr Eduard Oswald Jerzy Montag Peter H. Carstensen Dr. Egon Jüttner Melanie Oßwald Kerstin Müller (Köln) (Nordstrand) Bartholomäus Kalb Rita Pawelski Winfried Nachtwei Gitta Connemann Steffen Kampeter Dr. Peter Paziorek Christa Nickels Leo Dautzenberg Irmgard Karwatzki Ulrich Petzold (B) Friedrich Ostendorff Hubert Deittert Bernhard Kaster Dr. Joachim Pfeiffer (D) Simone Probst Alexander Dobrindt Siegfried Kauder (Bad Sibylle Pfeiffer Claudia Roth (Augsburg) Vera Dominke Dürrheim) Dr. Friedbert Pflüger Krista Sager Thomas Dörflinger Volker Kauder Beatrix Philipp Christine Scheel Marie-Luise Dött Gerlinde Kaupa Ronald Pofalla Irmingard Schewe-Gerigk Maria Eichhorn Eckart von Klaeden Ruprecht Polenz Rezzo Schlauch Rainer Eppelmann Jürgen Klimke Daniela Raab Albert Schmidt (Ingolstadt) Anke Eymer (Lübeck) Julia Klöckner Thomas Rachel Werner Schulz (Berlin) Georg Fahrenschon Manfred Kolbe Hans Raidel Petra Selg Ilse Falk Hartmut Koschyk Dr. Peter Ramsauer Ursula Sowa Dr. Hans Georg Faust Thomas Kossendey Peter Rauen Rainder Steenblock Albrecht Feibel Rudolf Kraus Christa Reichard (Dresden) Silke Stokar von Neuforn Enak Ferlemann Michael Kretschmer Katherina Reiche Hans-Christian Ströbele Ingrid Fischbach Günther Krichbaum Hans-Peter Repnik Jürgen Trittin Hartwig Fischer (Göttingen) Günter Krings Klaus Riegert Marianne Tritz Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Martina Krogmann Hannelore Roedel Hubert Ulrich Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Hermann Kues Franz-Xaver Romer Dr. Antje Vogel-Sperl Land) Werner Kuhn (Zingst) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Antje Vollmer Dr. Maria Flachsbarth Kristina Köhler (Wiesbaden) Dr. Klaus Rose Dr. Ludger Volmer Klaus-Peter Flosbach Norbert Königshofen Kurt J. Rossmanith Josef Philip Winkler Herbert Frankenhauser Dr. Karl A. Lamers Dr. Christian Ruck Margareta Wolf (Frankfurt) Erich G. Fritz (Heidelberg) Albert Rupprecht (Weiden) Jochen-Konrad Fromme Dr. Norbert Lammert Peter Rzepka Fraktionslose Abgeordnete Dr. Michael Fuchs Helmut Lamp Volker Rühe Dr. Gesine Lötzsch Hans-Joachim Fuchtel Barbara Lanzinger Dr. Norbert Röttgen Petra Pau Dr. Jürgen Gehb Karl-Josef Laumann Andreas Scheuer Norbert Geis Vera Lengsfeld Norbert Schindler Roland Gewalt Werner Lensing Georg Schirmbeck Nein Eberhard Gienger Peter Letzgus Angela Schmid Georg Girisch Ursula Lietz Bernd Schmidbauer CDU/CSU Michael Glos Walter Link (Diepholz) Christian Schmidt (Fürth) Ulrich Adam Ute Granold Eduard Lintner Andreas Schmidt (Mülheim) Ilse Aigner Kurt-Dieter Grill Dr. Klaus W. Lippold Dr. Andreas Schockenhoff Peter Altmaier Reinhard Grindel (Offenbach) Dr. Ole Schröder 11624 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Bernhard Schulte-Drüggelte Antje Tillmann FDP Jürgen Koppelin (C) Uwe Schummer Edeltraut Töpfer Hellmut Königshaus Angelika Brunkhorst Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Hans-Peter Uhl Ernst Burgbacher Sibylle Laurischk Dr. Wolfgang Schäuble Arnold Vaatz Helga Daub Harald Leibrecht Wilhelm Josef Sebastian Volkmar Uwe Vogel Jörg van Essen Ina Lenke Kurt Segner Andrea Astrid Voßhoff Ulrike Flach Sabine Leutheusser- Matthias Sehling Marko Wanderwitz Otto Fricke Schnarrenberger Marion Seib Peter Weiß (Emmendingen) Horst Friedrich (Bayreuth) Markus Löning Heinz Seiffert Gerald Weiß (Groß-Gerau) Rainer Funke Dirk Niebel Bernd Siebert Ingo Wellenreuther Dr. Wolfgang Gerhardt Günther Friedrich Nolting Thomas Silberhorn Annette Widmann-Mauz Hans-Michael Goldmann Hans-Joachim Otto Johannes Singhammer Klaus-Peter Willsch Dr. Karlheinz Guttmacher (Frankfurt) Jens Spahn Willy Wimmer (Neuss) Joachim Günther (Plauen) Detlef Parr Erika Steinbach Matthias Wissmann Christoph Hartmann Dr. Andreas Pinkwart Christian von Stetten Werner Wittlich (Homburg) Dr. Hermann Otto Solms Gero Storjohann Elke Wülfing Klaus Haupt Dr. Max Stadler Andreas Storm Gerhard Wächter Ulrich Heinrich Dr. Rainer Stinner Matthäus Strebl Dagmar Wöhrl Birgit Homburger Carl-Ludwig Thiele Thomas Strobl (Heilbronn) Wolfgang Zeitlmann Dr. Werner Hoyer Dr. Guido Westerwelle Lena Strothmann Willi Zylajew Michael Kauch Dr. Claudia Winterstein Michael Stübgen Wolfgang Zöller Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Volker Wissing

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat jetzt der hundertprozentig richtig; denn man soll knappe Mittel Abgeordnete Reinhard Loske. wirtschaftlich einsetzen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Dennoch – das scheint eine wichtige Einschränkung DIE GRÜNEN) zu sein – muss man vor einer einseitigen ökonomischen oder gar ökonomistischen Betrachtung, wie sie in Ihrem Antrag leider stattfindet, warnen. Sie lassen die Innova- Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tionen völlig außen vor. Es kann uns aber nicht nur da- NEN): rum gehen, Technologien, die bereits vorhanden sind, (B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sozusagen in den Rest der Welt zu transferieren; wir(D) Der Rede meines Vorredners kann ich weitestgehend zu- wollen doch den Innovationsprozess in unserem eigenen stimmen. Land voranbringen, in neue Technologien investieren und mit diesen Technologien auf den Weltmärkten der (Georg Girisch [CDU/CSU]: Gut! Bravo!) Zukunft präsent sein. Deswegen geht es eben nicht nur – Ja, das war eine sehr gute Rede. – Er hat vor allen Din- um die flexiblen Mechanismen, die Sie sehr stark beto- gen die Kernthese dargestellt, dass die Kosten unterlas- nen, sondern es geht vor allem darum, in unserem eige- senen Handelns möglicherweise viel höher sind als die nen Land den ökologischen Strukturwandel hinzube- Kosten des Handelns. Das, was wir zurzeit in der Kari- kommen und die Innovation voranzutreiben. Dabei bik, in Haiti, in Kuba und in Teilen Floridas erleben, ver- warten wir vergeblich auf die Unterstützung von der ursacht natürlich sehr hohe Kosten, die man möglicher- Union – die findet sich in ihrem Antrag nicht –; da erle- weise hätte vermeiden können, wenn man in ben den wir leider das genaue Gegenteil. Klimaschutz rechtzeitig investiert hätte. Die Kosten des Der Antrag hat so ein bisschen die Tonlage, als sei Nichthandelns müssen immer mit den Kosten der Vor- Klimaschutz quasi nur eine Bürde, nur ein Kostenfaktor. sorge verglichen werden. Genau das geschieht in dem Es wird überhaupt nicht erkannt, welch große Chance Antrag der CDU – über den spreche ich hier – nicht.für die großen Zukunftsmärkte darin liegt. Diese einsei- Wenn das, was Herr Göppel hier gefordert hat, in diesem tige Betrachtung können wir nicht unterstützen. Wir Antrag stünde, dann stimmten wir ihm ganz sicher zu. brauchen beides. Wir brauchen Kostenbewusstsein, aber Ich möchte nun auf einige Argumente in diesem Antrag wir müssen vor allem auch die wirtschaftlichen Chancen eingehen. des Klimaschutzes erkennen. Das kommt in Ihrem An- Es geht in diesem Antrag vor allen Dingen um die fle- trag nicht hinreichend zum Ausdruck. xiblen Mechanismen: Joint Implementation, also die ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meinsame Umsetzung, und CDM, Clean Development sowie bei Abgeordneten der SPD) Mechanism, also die gemeinsame Umsetzung von Kli- maschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern. Wenn Wir wollen innerhalb dieser Mechanismen natürlich man aus einer rein ökonomischen Perspektive auf diese eine Konzentration auf bestimmte qualitative Kriterien. Mechanismen schaut – auch ich bin Ökonom –, dann er- Wir wollen, dass die Mechanismen vor allem dazu bei- kennt man: Sie haben sehr viele Vorzüge. Der Grundge- tragen, erneuerbare Energien zu fördern, Energie einzu- danke ist, dass die Klimaschutzinvestitionen dort statt- sparen und Energieeffizenz zu befördern. Wir wollen finden sollen, wo die Kosten der Vermeidung vonnicht – darin unterscheiden wir uns –, dass die Mecha- Kohlendioxid am niedrigsten sind. Theoretisch ist das nismen auch für die Atomenergie gelten. Die Atomener- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11625

Dr. Reinhard Loske (A) gie – das ist der erste wichtige Punkt – soll bei den fle- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (C) xiblen Mechanismen ausgeschlossen werden. Zweitens. Die Kollegin Birgit Homburger macht nun das, was Senkenprojekte sollen nur in einem begrenzten Umfang wir in der Fußballersprache einen Hattrick nennen: dritte anrechenbar sein sowie nur dann – auch das ist ganzRede in Folge für die FDP. wichtig –, wenn es wirklich um zusätzliche Anstrengun- gen geht. Drittens. Die Große Wasserkraft soll im Rah- (Ulrich Kelber [SPD]: Aber im Fußball sind es men dieser Mechanismen nur gefördert werden, wenn Treffer! – Horst Kubatschka [SPD]: Hier klare ökologische Qualitätsstandards eingehalten wer- schießt sie daneben! – Zuruf von der CDU/ den, nämlich die der Weltkommission für Dämme. CSU: Zweimal hat sie schon getroffen! – Jörg van Essen [FDP]: Aller guten Dinge sind Das sind wichtige Einschränkungen. Ein Persilschein drei!) für die flexiblen Instrumente ist nicht das Richtige; man muss vielmehr klare qualitative Anforderungen formu- lieren. Auch das vermissen wir in Ihrem Antrag. Birgit Homburger (FDP): Sie tun so, als würde der deutschen Industrie ver- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wehrt, die Instrumente anzuwenden. Das ist natürlichWir haben heute zum wiederholten Male die Themen in- nicht der Fall. Wir haben jetzt dieVerbindungsricht- ternationaler Klimaschutz und Kioto-Protokoll auf der linie auf europäischer Ebene. Wir werden sie inTagesordnung, diesmal aufgrund eines Antrages der Deutschland schnell umsetzen. Wir sind da sogar ganz CDU/CSU-Fraktion. Ich finde, wir diskutieren das völlig vorn. Insofern ist dieser Vorwurf ebenfalls leere Pole- zu Recht. Luft macht nämlich an Grenzen nicht Halt. mik. Auch das trifft schlicht und einfach nicht zu. Deshalb ist Klimaschutz eine weltweite Aufgabe und das Kioto-Protokoll die richtige Antwort darauf. Die Tatsa- Jetzt zu den allgemeinen Signalen der letzten Tage. Es che, dass wir im Kioto-Protokoll erstmals denEmis- ist ein gutes Zeichen – ich glaube, Ulrich Kelber hat es sionshandel als Instrument verankert haben, stellt einen schon gesagt –, dass Russland jetzt angekündigt hat, den riesigen Erfolg für die Liberalen und insbesondere für Ratifizierungsprozess einzuleiten. Das ist sicherlichdie damalige FDP-CDU/CSU-Regierung dar, die auf in- auch auf die diplomatischen Anstrengungen von deut- ternationaler Ebene massiv darauf gedrängt hat, dass das scher Seite zurückzuführen. Der Bundeskanzler hat es Kioto-Protokoll zustande kommt. immer wieder angesprochen. Der frühere Bundespräsi- dent Rau hat es immer wieder angesprochen. Außenmi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nister Fischer hat es immer wieder angesprochen. Auch der Deutsche Bundestag hat es angesprochen. Insofern Nun ist das Kioto-Protokoll leider noch nicht in Kraft geht der Vorwurf, es gebe hierzu keine diplomatischen getreten. Dazu ist es erforderlich, dass es mindestens (B) Bemühungen, schlicht und einfach ins Leere und ist bil- 55 Länder ratifizieren und zugleich 55 Prozent der welt- (D) lige Polemik. weiten CO2-Emissionen erfasst werden. Im Augenblick haben es 124 Länder ratifiziert; aber damit werden leider (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ erst 44,2 Prozent der Emissionen erfasst. Russlands An- DIE GRÜNEN) teil an den Emissionen zum Beispiel beträgt 17 Prozent. Ein ganz wichtiger Punkt sind die Signale, die ausDas heißt, wenn Russland es ratifizieren würde, wäre das Großbritannien kommen. Ich finde es sehr positiv, dass Kioto-Protokoll endlich in Kraft. Deswegen ist es eine Premierminister Blair angekündigt hat, das Thema Kli- gute Nachricht, dass, wie wir gehört haben, in Moskau maschutz auf dem G-8-Gipfel zu einem zentralen Thema der Ratifizierungsprozess von der Regierung offensicht- zu machen. Deutschland und Großbritannien sind inlich angestoßen und ins Parlament eingebracht wurde. Europa mittlerweile die Hauptkonkurrenten in Sachen Wenn es wirklich zu einer Ratifizierung käme, dann Klimaschutz. Wer ist der Erfolgreichste? Ich würde sa- wäre das der Durchbruch für den internationalen Klima- gen: Wettbewerb belebt das Geschäft. schutz. Ich hoffe, dass das passiert; ich sage aber auch Sehr wichtig und vor allem unterstützenswert finde ganz deutlich: Wir dürfen in unseren Anstrengungen bei ich das Vorgehen der Briten, die nämlich Klimaschutz Gesprächen mit Russland, und zwar auf allen Ebenen, als strategische Langfristplanung begreifen. Sie setzen nicht nachlassen, bis tatsächlich die Ratifizierung er- sich langfristige Ziele, so wie wir uns in Deutschlandfolgt. vorgenommen haben, bis zum Jahr 2020 den Kohlendi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie oxidausstoß um 40 Prozent zu reduzieren, um unseren bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, aber auch um den NISSES 90/DIE GRÜNEN) Unternehmen sowie den Bürgerinnen und Bürgern Pla- nungssicherheit zu geben. Wir haben auf europäischer Ebene zwischenzeitlich Es darf nicht nur die Kostenseite betont werden – sie den Emissionshandel eingeführt und in Deutschland die ist wichtig –; vor allem müssen die Chancen für Innova- entsprechenden Beschlüsse gefasst. Eines haben wir aller- tion und für Zukunftsmärkte gesehen werden. Das ge- dings bisher nicht in Deutschland, was andere europäi- hört zusammen. Das vermissen wir bei Ihnen. Deswegen sche Länder bereits im Vorgriff auf das Kioto-Protokoll können wir dem Antrag nicht zustimmen. eingeführt haben und was rechtlich auch zulässig ist, ohne dass die von dem Kollegen von den Grünen ange- Danke schön. sprochene Linking Directive, also die Verbindungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN richtlinie, die kommen soll, schon in Kraft getreten und bei der SPD) wäre. Andere Länder in Europa nutzen nämlich bereits 11626 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Birgit Homburger (A) jetzt schon die flexiblen Mechanismen des Kioto-Proto- So weit sind wir uns einig. Wenn Sie hier aber Äpfel mit (C) kolls. Ich wäre froh, wir könnten das in DeutschlandBirnen vergleichen ebenfalls tun. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau das ist (Ulrich Kelber [SPD]: Gibt es doch schon!) es!) – Nein, Sie haben es versäumt, zuzulassen, dass so etwas und behaupten, nach dem FDP-Modell würden die glei- auch in Deutschland möglich ist. chen Zahlen wie in Großbritannien erzielt, muss ich Ih- nen entgegnen: Das ist doch völliger Nonsens. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- ruf von der SPD: Kennen Sie den KfW- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Fonds?) Es tut mir furchtbar Leid: Wir haben klar gesagt, wir – Ja, den kenne ich. Wir können uns gerne noch einmal wollen eine bestimmte Menge regenerativer Energie darüber auseinander setzen. Ich habe leider nicht so viel vorgeben, die erreicht werden muss. Deswegen kann Redezeit, um jetzt mit Ihnen eine Diskussion darüber zu eine Verfehlung des Ziels ausgeschlossen werden. führen. Das mache ich bei Gelegenheit aber gerne. (Beifall bei der FDP) (Ulrich Kelber [SPD]: Deshalb stelle ich auch keine Zwischenfrage!) Aber wir wollen das im Wettbewerb erreichen, weil wir so auch eine Kostenreduktion erreichen können. Etwas, was die FDP schon seit langem und immer wieder gefordert hat, steht jetzt auch im CDU/CSU-An- Deswegen sage ich zusammenfassend für uns: Die trag – deswegen unterstützen wir ihn –, nämlich eineMenschen in diesem Land haben Anspruch darauf, dass Stärkung der Flexibilität und Effizienz im internationa- wir uns im Klimaschutz engagieren; aber sie haben auch len Klimaschutz durch Zulassung genau solch flexibler Anspruch darauf, dass wir das effizient und kostengüns- Mechanismen. Was bedeutet das? Es bedeutet letztend- tig organisieren. Dafür steht die FDP. lich, dass wir auch im Ausland Klimaschutzmaßnahmen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ergreifen können. Dort ist pro eingesetztem Euro deut- der CDU/CSU) lich mehr Klimaschutz möglich als hier in Deutschland. Deswegen wollen wir, dass diese Möglichkeit eröffnet wird und ein Teil dieser im Ausland erzielten Minderun- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: gen dann auch auf den Emissionsrechtehandel inDas Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Jürgen Deutschland angerechnet werden kann. Trittin. (B) (D) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Darum geht Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- es! Nicht um das, was Sie erzielt haben, Herr schutz und Reaktorsicherheit: Kelber! – Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der [SPD]: Das steht aber nicht im Antrag!) Tat hat der Rat in der letzten Woche die Richtlinie über die Nutzung der flexiblen Instrumente beschlossen. Ich Es ist ganz klar, dass die Mechanismen mit den kom- begrüße das, weil mit diesem Beschluss erreicht wird, plizierten Namen, über die wir reden, bei geringerenwas der Kollege Loske zu Recht angemahnt hat, nämlich Kosten mehr Klimaschutz bewirken. Außerdem bergen ein Einsatz der im Kioto-Protokoll vorgesehenen flexib- sie eine Riesenchance für Innovationen gerade in denlen Mechanismen derart, dass die Nutzung einer nicht Ländern, die sich rasant entwickeln, wodurch dieCO 2- nachhaltigen Technologie wie der Atomkraft ausge- Emissionen in der Welt massiv ansteigen werden. Des- schlossen ist, dass bei der Nutzung der großen Wasser- wegen ist es so wichtig, dass hier Klimaschutz greift.kraft die Standards derWorld Commission on Dams Dafür wäre es unglaublich wichtig, dass Deutschland für berücksichtigt werden und dass die Integration von Sen- diesen Bereich auch vernünftige Regelungen trifft. ken sehr vorsichtig erfolgt; denn – hier sehe auch ich das (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Problem, das Sie genannt haben – wenn auf der einen Seite Aufforstung begünstigt wird, darf nicht auf der an- In meiner letzten Bemerkung möchte ich auf das ein- deren Seite unkontrolliert abgeholzt werden; das würde gehen, was Sie, Herr Kollege Kelber, vorhin zu demdem Klimaschutz nicht dienen. Thema erneuerbare Energien gesagt haben. Klimaschutz geschieht nicht nur durch den Einsatz erneuerbarer Ener- Wir sind für dieses Gesetz, weil wir die flexiblen Me- gien; chanismen wollen. Eine Diskussion darüber haben wir in Deutschland gar nicht mehr nötig. Wir haben in ver- (Ulrich Kelber [SPD]: Aber auch!) schiedenen internationalen Verhandlungen darüber dis- Klimaschutz heißt auch Energiesparen und effizienter kutiert, ob eine Reduktion von 50 Prozent im eigenen Umgang mit Energie. Das geht nur durch einen vernünf- Land erbracht werden soll. Das war ein strittiger Punkt. tigen Energiemix unter Einbeziehung und Förderung der Jetzt schauen Sie sich einmal unsere Situation an: Wir erneuerbaren Energien. werden bei fast 100 Prozent landen. Wir werden auch ganz deutlich unter den 6 bis 8 Prozent der Richtlinie (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bleiben. Es wird einer Anstrengung bedürfen, diese NEN]: Sag bloß! Mann, ist die klug!) überhaupt zu erreichen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11627

Bundesminister Jürgen Trittin (A) Ich sage bewusst: Ich möchte, dass viele Unterneh- Politik ist es, dass wir in Deutschland bisher keine Rege- (C) men die Chance nutzen – dafür legen wir dieses Pro-lungen für den Einsatz der flexiblen Kioto-Mechanismen gramm bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf – Joint Implementation und Clean Development Mecha- nism haben. (Josef Göppel [CDU/CSU]: Sie erwägen das nur!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. – nein –, weil wir der Auffassung sind, dass der Clean- Birgit Homburger [FDP]) Development-Mechanismus eine klassische Win-Win- Deswegen greift unser Vorwurf, dass wir noch kein Situation herbeiführt: effizienterer Klimaschutz – darin überzeugendes nationales Klimaschutzkonzept haben. stimme ich mit Ihnen überein, Frau Homburger – und Das bedauern wir ausdrücklich. Technologietransfer in die Entwicklungsländer. Auch außenpolitisch ist für mich nicht erkennbar, Bei einem dritten Punkt besteht vielleicht eine kleine dass mit dem notwendigenDruck auf all die Staaten Differenz zwischen uns und der CDU/CSU. Wir meinen, reagiert wird, die das Kioto-Protokoll bisher nicht unter- dass mit einem schnellen Einstieg in den Clean Develop- zeichnet haben. Wir schauen immer auf Russland. Herr ment Mechanism auch der Druck zur Weiterentwicklung Kelber hat uns heute erzählt, Russland werde es ratifizie- des Kioto-Protokolls wächst. Das gilt allerdings nicht ren. Nur, Herr Kelber, Sie wissen genau, dass es sich da- – da besteht die Differenz – für einen vorzeitigen Start bei lediglich um ein Vorprüfungsverfahren handelt. Nie- des Joint Implementation. Dieser würde den Anreiz mand weiß, was dabei herauskommt. zur Ratifizierung, beispielsweise für Russland, deutlich reduzieren. (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist ein Zuleitungs- verfahren!) Deswegen wollen wir einen schnellen Start des Clean Development Mechanism. Wir würden uns wünschen, Noch eines, Herr Kelber und Herr Minister Trittin: dass sich viele Unternehmen daran beteiligen, weil es für Die Russen haben unmissverständlich erklärt, dass sie, sie günstig ist. Wir werden darangehen, sehr schnell die wenn sie das Protokoll unterzeichnen, in ein neues, gro- entsprechende Rechtsgrundlage zu schaffen. ßes Programm zum Bau von Atomkraftwerken einstei- gen werden. Dafür möchten sie die Unterstützung ihrer Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren. Wenn europäischen Verbündeten und Partner. Ich bin einmal Russland den Weg der Ratifizierung weitergeht – ichgespannt, wie diese Bundesregierung, insbesondere Herr glaube, Deutschland hat durch das gute Verhältnis, das Trittin, darauf reagieren wird. wir zu Russland haben, viel dafür getan –, werden wir (Beifall bei der CDU/CSU) (B) uns bei der nächsten Klimakonferenz in Buenos Aires (D) genau über die Fragen unterhalten müssen, die Sie ge- Klar ist, dass sich aus der Nichtratifizierung des nannt haben, Herr Göppel: Wie erfüllen die Industrie- Kioto-Protokolls erhebliche Folgen für Europa und den staaten ihre Verpflichtung? Standort Deutschland ergeben; denn es wird sich natür- (Josef Göppel [CDU/CSU]: Entwicklungs- lich die Frage stellen, wie es mit der Wettbewerbsfähig- länder!) keit Europas gegenüber den USA oder Schwellenlän- dern wie China oder Indien steht, wenn dem Kioto- Welche Schwellenländer, die teilweise höhere Pro-Kopf- Protokoll nicht international rechtliche Bindungswir- Emissionen als manche Länder der Europäischen Union kung zukommt. Die Umsetzung des Kioto-Protokolls al- haben, müssen hinzugenommen werden? Wie gehen wir lein in Europa kann zu erheblichen Wettbewerbsver- gemeinsam mit dem Problem der Treibhausgasemissio- schiebungen weltweit führen und nutzt den Zielen des nen insbesondere aus dem weltweit wachsenden Luft- Klimaschutzes angesichts eines weltweit steigenden verkehr und aus dem Schiffsverkehr um? Ich bin sehr CO -Ausstoßes nicht. Allein in Asien werden in den gespannt, wie wir in diesen Fragen zu einem konsensu- 2 nächsten Jahren zusätzliche Milliarden Tonnen CO2 aus- alen Ergebnis bezüglich des Klimaschutzes kommen,gestoßen, ohne dass die Notwendigkeit des Klimaschut- was das Kioto-Protokoll angeht. Bisher gab es da in die- zes in die dortigen staatlichen Programme einfließt. Die sem Hause eine gute Tradition. dabei so gerne propagierte Vorreiterrolle Deutschlands (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jedenfalls in diesen Fällen international keine Wir- und bei der SPD) kung gezeigt. Umso bedauerlicher ist es, dass die rot-grüne Regie- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: rungskoalition bis heute keine Bereitschaft zeigt, die Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Bietmann. projektbezogenen Klimaschutzmechanismen CDM und JI im System des Emissionshandels ohne Einführung ei- Dr. Rolf Bietmann (CDU/CSU): ner Obergrenze für deren Inanspruchnahme zu akzeptie- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrren. Minister, ich denke, es ist gut, dass wir heute Gelegen- (Beifall bei der CDU/CSU) heit haben, uns wirklich noch einmal sachgerecht mit dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion auseinander zu set- Herr Minister, bereits bei der ersten Lesung unseres zen, der Schwachstellen der aktuellen Politik aufzeigt. Antrages haben Sie und Vertreter der rot-grünen Regie- Eine der wesentlichen Schwachstellen der aktuellenrungskoalition deutlich gemacht, dass Sie an einer 11628 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Dr. Rolf Bietmann (A) niedrigen Quote für den Einsatz dieser Klimaschutzme- und Chancen einer international wirksamen und fle-(C) chanismen festhalten wollen. Diese Politik ist nach mei- xiblen Klimaschutzpolitik aufgezeigt. ner Auffassung im Ergebnis klimaschutzschädlich. Ich sage hier ausdrücklich: Für mich ist bedauerlich, (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) dass Rot-Grün angesichts der klimapolitischen Heraus- forderungen in nationaler Kleinkariertheit verharrt. Da- Die am Emissionshandel Beteiligten müssen die Mög- mit werden wir die weltweiten Probleme nicht lösen lichkeit haben, sich Emissionsreduktionen im Ausland können. ohne Begrenzung gutschreiben zu lassen, um damit wei- tere Beiträge zum Klimaschutz bei möglichst geringem (Beifall bei der CDU/CSU) Kosteneinsatz leisten zu können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Treibhausgasemissionen stellen nun einmal ein globales Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Ulrich von Problem dar. Es ist nicht nationalstaatlich zu lösen, son- Weizsäcker. dern nur in Form internationaler Zusammenarbeit. Wer daher unbedingt an einer geringen Quote für projektbe- Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD): zogene Klimaschutzmechanismen festhalten will, han- Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Her- delt entgegen aller klima-und wirtschaftspolitischen ren! In das Kioto-Protokoll sind flexible projektbezo- Vernunft. gene Mechanismen aufgenommen worden, damit die Entwicklungsländer schon in der Frühphase der Umset- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) zung des Protokolls beteiligt werden. Denn in dem Pro- Herr Loske, dass ausgerechnet Sie, die Vertreter der tokoll selbst werden nur von den Industrieländern Re- grünen Fraktion, fordern, die Emissionsminderung im duktionsverpflichtungen verlangt. Inland müsse Priorität haben, dokumentiert für mich, wie weit Teile der Politik von den Erfordernissen einer (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Richtig!) international ausgerichteten Klimaschutzpolitik entfernt Insofern haben die Oppositionsparteien zweifellos Recht sind. damit, dass man die flexiblen Mechanismen auch nutzen (Ulrich Kelber [SPD]: Das steht im Kioto- soll; insoweit besteht überhaupt kein Widerspruch. Protokoll!) Ich bin einerseits sehr froh darüber, dass man auf der Mit nationalen Instrumenten lassen sich Klimaschutzhe- europäischen Ebene ein Stück vorangekommen ist. Ich rausforderungen von Gegenwart und Zukunft dauerhaft stimme andererseits Herrn Minister Trittin zu (B) (D) nicht lösen. 100 Prozent zu, wenn er sagt, dass es aus Gründen eines politischen Anreizes eine zeitliche Präferenz für den (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wohl wahr!) Clean Development Mechanism gegenüber der Joint Im- Daher unterstreiche ich die Forderung in unserem An- plementation gibt. Das ist notwendig, damit wir den trag, umgehend ein schlüssiges nationales Klimaschutz- Russen, die den jetzt erforderlichen Schritt gemacht ha- konzept vorzulegen und rin da die flexiblen Kioto-ben, nicht schon wieder in den Rücken fallen und den Mechanismen einzubinden. Bremsern, die es in Moskau weiterhin gibt, nicht Nah- rung geben. Insofern ist der Prozess auf dem richtigen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Weg. In diesem Konzept müssen dann endlich auch die Öko- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ steuer, das KWK-Gesetz und das EEG auf den Prüfstand DIE GRÜNEN) gestellt und entsprechend angepasst werden. Ich will mich kurz mit der Aussage des Herrn Abge- (Ulrich Kelber [SPD]: Ich wusste ja: Es geht ordneten Göppel auseinander setzen, der den Vorsitzen- um weniger Klimaschutz!) den des Nachhaltigkeitsrats, Herrn Dr. Hauff, zitiert Insbesondere der Ökosteuer, Herr Kelber, kommt keiner- hat, der gesagt haben soll, das Kioto-Protokoll sei gar lei klimawirksame Lenkungswirkung zu. Auch mit dem nicht mehr nütze. So habe ich Herrn Dr. Hauff nicht ver- EEG allein werden wir auf den Schutz des Klimas keinen standen; auch ich war bei dieser Zusammenkunft an- messbaren Einfluss nehmen können. Von daher muss der wesend. Er hat lediglich gesagt – da hat er natürlich Emissionshandel einschließlich der Joint-Implementation- Recht –, dass das Kioto-Protokoll klimapolitisch bei und der Clean-Development-Mechanismen das entschei- weitem nicht weit genug geht. Das liegt unter anderem dende Instrument eines zukünftigen Klimaschutzkon- daran, dass die Entwicklungsländer bei den CO2-Emis- zeptes sein. sionen erhebliche Wachstumsraten zu verzeichnen haben und nicht Bestandteil des Kioto-Protokolls sind. Insofern Die Richtlinie der Europäischen Union vom Juliist es wieder richtig, dass wir das Kioto-Protokoll zwar 2004, die zitiert worden ist, entspricht in Teilen der In- so schnell wie möglich ratifiziert bekommen und in die tention unseres Antrages. Sie sollte daher von der Bun- Tat umsetzen, dabei aber wissen, dass das nicht das Ende desregierung schnellstens vor In-Kraft-Treten der ersten der Fahnenstange sein kann. Stufe des Emissionshandels aufgegriffen und umgesetzt werden. Die CDU und die CSU haben jedenfalls mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dem vorliegenden Antrag rechtzeitig die Möglichkeiten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11629

Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (A) In diesem Zusammenhang gestatte ich mir, auf einen Im Bereich der Energieeffizienz sind wir noch nicht(C) wissenschaftlichen Artikel hinzuweisen, der im Märzganz so weit; wir sind jedenfalls nicht an der Weltspitze. dieses Jahres im „Scientific American“ von einem Ame- Bei der gleichen Veranstaltung, Herr Göppel, hat Frau rikaner namens James Hansen erschienen ist, der über Dr. Merkel mit Recht auf das riesige Potenzial an Ein- den Art. 2 des Klimarahmenabkommens reflektiert und sparungen im Bereich derGebäudesanierung hinge- sich fragt: Was heißt das eigentlich, dass es keine schäd- wiesen. Da muss bei uns im Lande einiges gemacht wer- liche Indifferenz des Menschen mit dem Klimagesche- den; auf diese Beschäftigungsmöglichkeiten zugunsten hen geben darf? Er nimmt dann genau einen Parameter des Klimaschutzes warten auch Tausende von Hand- heraus – ich glaube, das macht er richtig –, der uns allen werksbetrieben. Das wird Deutschland voranbringen wirklich höchst bedrohlich erscheinen muss: den Mee- und sicherlich nicht zurückwerfen. resspiegel. Er sagt, dass nach all dem, was man aus geo- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ logischen Daten weiß, ein gefährlicherAnstieg des DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Meeresspiegels nur dann verhindert werden kann, wenn CDU/CSU) der Temperaturanstieg nicht über 1 Grad Celsius hinaus- geht. Diese Toleranzgrenze ist wesentlich geringer als Um der Beschäftigung willen, um der Pionierrolle die, die man bisher angenommen hat. Wenn sich daswillen und um des langfristigen Klimaschutzes willen zum Beispiel in Sankt Petersburg, das ebenfalls aufhaben wir also allen Anlass, die im Kioto-Protokoll vor- Meeresspiegelhöhe liegt, in Kalkutta, in Hamburg oder gesehenen flexiblen Mechanismen zu nutzen, aber auch an anderen Stellen herumspricht, darüber hinauszugehen und bei uns wesentlich mehr zu erreichen als nur die Verminderung um 19 Prozent ge- (Horst Kubatschka [SPD]: Oder Florida!) genüber dem Jahr 1990. Darüber sollte es keinen Partei- enstreit geben. dann wird völlig klar, dass wir über das Kioto-Protokoll weit hinausgehen müssen. Dann wird das Land, das die Vielen Dank. Abkoppelung der Wirtschaftskraft von CO-Emissionen 2 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ am elegantesten und effizientesten vorgeführt hat, den DIE GRÜNEN sowie des Abg. Josef Göppel Wettbewerbsvorteil haben. [CDU/CSU]) Deswegen ist es so wichtig, dass wir Deutsche uns aus dieser klimapolitischen Diskussion nicht durch eine Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wegnahme dieser Obergrenze davonstehlen. Die Ober- Vielen Dank, auch dafür, dass Sie Ihre Redezeit nicht grenze ist ja sehr sinnvoll für ein Land, das die Kioto- voll ausgenutzt haben. – Ich schließe damit die Aussprache. Verpflichtungen schon erreicht hat, ohne auf die fle- (B) xiblen Mechanismen zurückgegriffen zu haben. Wenn Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- (D) wir jetzt auch noch die Obergrenze wegnehmen, dann ist schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der Anreiz für die deutsche Industrie, wie Herr Kelber auf Drucksache 15/2803 zu dem Antrag der Fraktion der richtig gesagt hat, faktischnull, sich auf diesen fort- CDU/CSU mit dem Titel „Mehr Kosteneffizienz im Kli- schrittsträchtigen Weg zu begeben. maschutz durch verstärkte Nutzung der projektbezoge- nen Kioto-Mechanismen“. Der Ausschuss empfiehlt, (Dr. Rolf Bietmann [CDU/CSU]: Die Ober- den Antrag auf Drucksache 15/1690 abzulehnen. Wer grenzen sind in der europäischen Richtlinie stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschus- nicht mehr drin!) ses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bünd- – Wir sind uns einig, Herr Bietmann, dass wir die flexi- nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU blen Mechanismen nutzen wollen. Wir sollten versu-und FDP angenommen. chen, in dieser Sache keinen unnötigen Parteienstreit an- zufangen. Wir müssen auch bei uns im Land den Anreiz Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: dafür groß genug machen, dass man sich auf die nötigen Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- klimafreundlichen Innovationen einlässt. nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Im Bereich der erneuerbaren Energien ist ja bereits GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Haus- der Beweis geführt worden, dass die Zahl der Arbeits- haltsbegleitgesetzes 2005 (Haushaltsbegleitge- plätze, an denen für den heimischen Markt und für den setz 2005 – HBeglG 2005) Export produziert wird, durch den Ausbau dieser zu- – Drucksache 15/3442 – kunftsträchtigen Energieformen erheblich vergrößert werden konnte. China hat ja anlässlich der Bonner Kon- (Erste Beratung 119. Sitzung) ferenz erklärt, man wolle auf jeden Fall eine gewaltige Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- Ausweitung auf – ich glaube – 17 Prozent bei den erneu- ausschusses (8. Ausschuss) erbaren Energien haben. – Drucksache 15/3755 – (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: 19 Prozent!) Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Ferner hat man erklärt, dass Deutschland für sie in dieser Ernst Bahr (Neuruppin) Frage der Technologiepartner ist. Darauf können wir Franziska Eichstädt-Bohlig stolz sein. Dr. Andreas Pinkwart 11630 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus- Ich bin schon sehr gespannt – Herr Kampeter, jetzt(C) sprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Widerspruch kommen wir genau zu diesem Punkt – auf die Umset- höre ich von Ihnen nicht. Dann verfahren wir so. zung Ihrer Ankündigung, dieses Jahr konkrete Einspar- vorschläge zu machen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Ernst Bahr. Um die Bewertung unserer konkreten Vorschläge ging es bei der Anhörung zumHaushaltsbegleitgesetz. Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD): Mit deren Ergebnis bin ich sehr zufrieden. Alle unabhän- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- gigen Experten haben unseren Gesetzentwurf ausgespro- legen! Inzwischen haben sich offenbar alle Fraktionen chen positiv bewertet. den Schuldenabbau auf die Fahnen geschrieben. Das ist (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wie gut so. Die 40 Milliarden, die wir heute für Zinsen aus- bitte? Kein einziger! – Steffen Kampeter geben müssen, fehlen uns bei Investitionen für Bildung, [CDU/CSU]: Bei welcher Anhörung waren Forschung, Familie, Infrastruktur usw. Jeden Tag könn- ten wir mit über 110 Millionen Euro den Bau von Uni- Sie?) versitäten, Schulen oder Kindergärten fördern und damit – Ich habe gesagt: alle unabhängigen Experten. in die Zukunft unserer Kinder investieren. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass die Experten des Deutschen Bauernverbandes und des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen Kranken- Das zeigt: Wer Schulden macht, der prellt die Zeche zu- kassen anderer Meinung waren, war sowohl vorherseh- lasten der nächsten Generationen. Soweit sind wir uns bar als auch nachvollziehbar. hier alle einig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Die Unterschiede beginnen allerdings, wenn es kon- kret wird. Auch im vergangenen Jahr hatte die Opposi- Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD): tion vom Schuldenabbau geredet und sich dann, als es Nein, ich möchte gern die Zeit nutzen, um ohne Un- konkret wurde, vom Acker gemacht, um sich opportu- terbrechung zu reden. nistisch seitwärts in die Büsche zu schlagen. Im Ergeb- nis dessen wurden die Einsparungen, über die wir heute (Beifall des Abg. Friedrich Ostendorff (B) wieder reden, im Vermittlungsausschuss von Edmund [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Steffen (D) Stoiber für ein Jahr einkassiert, wohlgemerkt für ein Kampeter [CDU/CSU]: Sie kneifen doch nur!) Jahr, denn sowohl das Haushaltsgesetz als auch das Haushaltsbegleitgesetz sind Gesetze für ein Jahr, was Sie – Ich kenne diese Situation aus dem Haushaltsausschuss. im Übrigen auch alle wissen. Also kommen Sie dannDas wollen wir uns hier lieber sparen. nicht wieder mit dem Märchen vom Wortbruch. Bei den zuletzt genannten Experten handelt es sich Schließlich fordert inzwischen auch Herr Stoiberum die Interessenvertreter der vom Subventionsabbau selbst wieder 5 Prozent Ausgabeneinsparungen, auch im Betroffenen. Insofern ist es klar, dass diese Leute andere Agrarbereich, allerdings ohne zu sagen, an welcherMeinungen vertreten. Alle übrigen Experten haben un- Stelle gespart werden soll. Es handelt sich also weiterhin sere Vorschläge begrüßt. nur um Scheingefechte, die die Öffentlichkeit täuschen Dr. Schrader vom Institut für Weltwirtschaft hat auf sollen. die hohen öffentlichen Hilfen im Agrarsektor aufmerk- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sam gemacht. Insgesamt fließen 14,3 Milliarden Euro DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ Steuergelder in den Agrarsektor. Ihnen steht eine Netto- CSU]: Sagen Sie doch mal was zu Ihren eige- wertschöpfung von lediglich 8,3 Milliarden Euro gegen- nen Vorschlägen!) über. Herr Dr. Schrader folgert daraus zu Recht, dass der Abbau von Subventionen nicht nur eine Entlastung des Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die lee- Bundeshaushalts bringt, ren Anträge der CDU/CSU in den anschließenden Be- ratungen des Haushaltsausschusses im letzten Jahr. Sie (Hans-Michael Goldmann [FDP]: So ein Blöd- sind geradezu der Papier gewordene Ausdruck Ihrer sinn!) Politik. Anstatt konkrete Vorschläge zu machen, haben Sie sich erst der Beratung des Haushalts verweigert, um sondern vor allem auch das Wirtschaftsergebnis unseres anschließend über 300 Änderungsanträge einzureichen, gesamten Landes verbessert. Dies sollte eigentlich in un- auf denen nur ein Wort stand: Erörterungsbedarf. Das ser aller Interesse sein. muss man sich einmal vor Augen führen: erst nicht mit- Ebenso unterstützen Dr. Mehl von der Bundesfor- beraten und dann Erörterungsbedarf anmelden. schungsanstalt für Landwirtschaft und Dr. Rexrodt vom (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sagen Sie Bundesrechnungshof den von uns vorgeschlagenen Sub- mal: Welchen Etat beraten wir hier eigentlich? ventionsabbau. Beide kritisieren die vollständige Über- Das war Ihre Rede aus dem letzten Jahr! – Ge- nahme des Leistungsdefizits der Altenteiler durch den genrufe von der SPD) Bund. Sie sei eine – ich zitiere – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11631

Ernst Bahr (Neuruppin) (A) unter den heutigen Bedingungen nicht mehr zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) rechtfertigende Besserstellung der aktiven Mitglie- DIE GRÜNEN) der in der landwirtschaftlichen Krankenversiche- rung gegenüber denen in der übrigen gesetzlichen Ich denke, wir geben den Landwirten mit unserer Ge- Krankenversicherung. setzgebung die Chance, auf eine neue Technologie um- zusteigen und Biodiesel zu nutzen. Das wird die Land- so die Gutachter. wirte in die Lage versetzen, im Wettbewerb zu bestehen. Darauf setzen wir mit diesem Gesetzentwurf. Natürlich müssen wir den Strukturwandel in der Landwirtschaft berücksichtigen. Viele junge Leute ver- Herzlichen Dank. lassen die ländlichen Regionen und stehen den landwirt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaftlichen Krankenkassen nicht mehr als Beitragszah- DIE GRÜNEN) ler zur Verfügung. Deshalb finanzieren wir das Defizit der landwirtschaftlichen Krankenkassen, soweit es durch Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: den Strukturwandel in der Landwirtschaft verursacht wird. Das haben wir bisher gemacht; Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Koppelin für die FDP-Fraktion das Wort. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!) Jürgen Koppelin (FDP): Das, was der Kollege Bahr über die Anhörung, die das werden wir auch zukünftig tun. Diesen Strukturwan- der Haushaltsausschuss durchgeführt hat, gesagt hat, del gibt es im Übrigen bereits seit 50 Jahren und nicht kann man so nicht stehen lassen, weil es nicht den Tatsa- erst, seitdem Rot-Grün regiert. Allerdings muss man chen entspricht. auch anerkennen, dass ein Teil dieses Defizits bei den Krankenkassen eben nicht durch den Strukturwandel, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – sondern durch den demographischen Wandel verursacht Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE ist. GRÜNEN]: Das ist die Wahrheit! Ihr wollt sie nur nicht hören!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist kein Strukturwandel!) Er hat gesagt, an der Anhörung hätten „auch unabhän- gige Experten“ teilgenommen. Scheinbar nehmen Sie Davon sind auch die übrigen gesetzlichen Kranken- nicht an Anhörungen teil, sonst wüssten Sie, dass vor kassen betroffen. Bei ihnen müssen die aktiven Mitglie- Durchführung einer Anhörung alle Fraktionen Experten (B) der circa ein Drittel ihrer Beiträge für die Defizitdeckung vorschlagen. Ich gehe nach wie vor davon aus, dass alle (D) in der Krankenversicherung der Rentner bereitstellen. Experten, die bei der Anhörung anwesend waren, unab- Hier geht es also um einen Solidarbeitrag zwischen den hängige Experten waren, selbst diejenigen, die von den Generationen. Diesen Solidarbeitrag sollten auch dieSozialdemokraten eingeladen worden sind. Mitglieder der landwirtschaftlichen Krankenkasse auf gleichem Niveau leisten. Dem haben wir mit unserem Alle Experten haben sich sehr wohl – insoweit unter- Gesetzentwurf Rechnung getragen. stütze ich das, was der Kollege Bahr gesagt hat – für einen Subventionsabbau ausgesprochen. Die Experten Auch die Agrardieselsubventionierung kann nicht haben sich aber nicht dafür ausgesprochen, Jahr für Jahr auf Dauer Bestand haben. nach rot-grüner Methode nur bei den Landwirten abzu- kassieren. Sie haben sich für einen allgemeinen Subven- (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ist Ih- tionsabbau ausgesprochen. nen bekannt, dass das eine Rückvergütung und keine Subvention ist?) Sie werden sich vielleicht daran erinnern, dass ich zum Beispiel den Vertreter des Institutes für Weltwirt- Zwar ist es so, dass sich die Wettbewerbssituation der schaft, welches auch Bundeszuwendungen bekommt, deutschen Landwirte gegenüber denen aus dem europäi- darauf angesprochen und ihm gesagt habe, dass dieses schen Ausland dadurch verschärft. Der Wettbewerb aber Institut dann davon auch betroffen wäre. Er hat das auch wird nicht nur durch die Dieselbesteuerung bestimmt, eingeräumt und gesagt: Wir müssen allgemein die Sub- sondern auch durch die rigen üb Steuern sowie die ventionen kürzen. Das unterstützen wir. Sozialgesetzgebung. Diesem Vergleich können wir uns Sie, Kollege Bahr, haben einzig und allein die Land- sehr wohl stellen. wirte zu Opfern Ihrer Politik gemacht. Der Grund ist, (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert) dass die Landwirte ihren Betrieb nicht ins Ausland verla- gern können. Deswegen kassieren Sie bei denen ab. Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen. Ich wollte Ihnen gerne noch sagen, dass bezüglich Ihrer Verweise (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auf Flugbenzin Herr Stoiber befragt werden sollte, wie DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: er es damit hält. Denn die Wettbewerbsfähigkeit des Quatsch!) Flughafens in München liegt ihm offenbar eher am Her- zen als die Besteuerung des Flugbenzins. Sonst hätten Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Sie schon einen Antrag eingebracht. Zur Erwiderung Herr Kollege Bahr. 11632 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

(A) Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD): Das halten wir für unanständig, weil jeder, der die Situa- (C) Herr Kollege Koppelin, ich denke, hinsichtlich dertion in der Landwirtschaft kennt, die Konsequenzen Unabhängigkeit der Gutachter besteht Einigkeit. Daseines Preisverfalls – bei welchen Produkten auch kann auch im Protokoll nachgelesen werden. Vom Deut- immer – kennt. So liegt zum Beispiel der Verkaufspreis schen Bauernverband waren ebenso wie von den Kran- der Milch unterhalb der Produktionskosten. Dieser Zu- kenkassen Interessenvertreter anwesend. Dies sind ja die stand ist gewissermaßen symbolisch für die gesamte Si- direkt betroffenen Interessenvertreter der Landwirt-tuation in der Landwirtschaft. schaft. Dass diese sich einseitig für die Interessen der (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ Landwirte einsetzen, ist doch verständlich und nachvoll- DIE GRÜNEN]: Das ist eine Frage der Preis- ziehbar. Das habe ich gar nicht kritisiert. Ich stelle das politik und nicht der Subventionspolitik!) nur fest. – Frau Kollegin, trotz dieser Lage verhalten Sie sich ent- Ich denke, dass die anderen drei Gutachter, die ichgegen den Verabredungen des letzten Jahres. hier genannt habe, sehr wohl eine unabhängige Interes- senvertretung machen, selbst wenn die Institutionen, die Kollege Bahr, Sie wissen, dass über die Verhandlun- sie vertreten, wie etwa das Institut für Weltwirtschaft, gen im Vermittlungsausschuss nicht berichtet wird. vom Bund finanziert werden. Fachlich ist eindeutig Stel- Deswegen kann ich nicht belegen, dass das, was Sie ge- lung bezogen worden. sagt haben, falsch ist. Ich verweise somit nur darauf, welche Verabredung tatsächlich getroffen wurde: Man Wir haben die Mittel nicht nur im Landwirtschaftsbe- hat sich in einem lange andauernden Prozess, der von reich gekürzt. Außerdem haben wir im vergangenen Jahr den Bundesländern angestoßen worden war, darauf ver- die Mittel im Landwirtschaftbereich nicht in dem Um- ständigt, Subventionen abzubauen, beispielsweise im fang gekürzt wie in allen anderen Bereichen, weil imBereich der Steinkohle und in vielen anderen Wirt- Vermittlungsausschuss auf Veranlassung von Herrnschaftsbereichen. Stoiber die Verabredung getroffen wurde, die Landwirt- Am Ende kam man zu dem Ergebnis, im Kohlebe- schaft von dem Subventionsabbau völlig auszunehmen. reich und in vielen weiteren Bereichen einen bestimmten Dieses Ausnehmen der Landwirtschaft kann – wie ich Betrag einzusparen, bei der Landwirtschaft aufgrund der erläutert habe – nur für ein Jahr gegolten haben. Es gab Situation, in der sie sich befindet, allerdings nicht. Jetzt, keine andere Verabredung. Soweit ich weiß, ist dort so- ein halbes Jahr nachdem diese Verabredung getroffen gar ausdrücklich gesagt worden, dass dies nur für das wurde – so lange gibt es diesen Gesetzentwurf nämlich Haushaltsjahr 2004 gilt. Es kann daher von Wortbruch schon –, wollen Sie, ohne dass sich die Situation in der keine Rede sein. Landwirtschaft geändert hat, ein Sonderopfer erheben, (B) (D) Genauso wenig kann davon die Rede sein, dass wir (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ die Landwirtschaft auf Dauer ausnehmen. Diese Diskus- DIE GRÜNEN]: Weil ihr den anderen Subven- sion haben wir bereits voriges Jahr geführt und wir tionsabbau blockt!) mussten sie in diesem Jahr wieder führen. Wir wissen sehr wohl, dass wir dafür von den Landwirten kritisiert das gewissermaßen eine Strafaktion für einen bestimm- werden. Wir müssen aber diesen Mut aufbringen; denn ten Teil der Bevölkerung sein soll, von dem Sie wissen, Subventionsabbau steht nicht nur in unseren Wahlpro- dass er anders wählt als Sie. grammen. Eine solche Politik verfolgen wir definitiv (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in allen anderen Bereichen, und das vertreten wir auch den Be- Es wird immer wieder darauf hingewiesen, wir hätten troffenen gegenüber mit aller Klarheit und Sachlichkeit. uns den Kürzungen verweigert. Daher möchte ich deut- lich sagen, dass die potenziellen Kürzungen, die vom (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Finanzminister vorgeschlagen wurden, in ihrer vollen DIE GRÜNEN) Jahreswirkung ein Volumen von insgesamt 22,8 Milliar- den Euro umfasst haben, dass wir davon Kürzungen in Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Höhe von rund 22 Milliarden Euro mitgetragen haben und lediglich den restlichen Teil abgelehnt haben. Jetzt Das Wort hat nun der Kollege Dietrich Austermann, zu behaupten, wir hättenuns beim Subventionsabbau CDU/CSU-Fraktion. verweigert, ist einfach nicht wahr. Genau das Gegenteil (Beifall bei der CDU/CSU) ist richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dietrich Austermann (CDU/CSU): Diese Vorschläge sind von den Ministerpräsidenten Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Re- Koch und Steinbrück einvernehmlich eingebracht wor- gierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, durch den den. Daher wäre es ziemlich töricht, zu sagen, wir hätten sie ausschließlich bei einer Berufsgruppe Geld einsparen das, was gemeinsam vereinbart worden ist, abgelehnt. möchte: bei den Landwirten. Dieser Weg wurde beschritten, weil sich Deutschland (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ nach sechs Jahren rot-grüner Regierung in der schlimms- DIE GRÜNEN]: Weil ihr unserem Subven- ten Finanz-, Haushalts- und Arbeitsmarktkrise seit 1949 tionsabbau nicht zustimmt!) befindet. Trotzdem waren wir bereit, Entscheidungen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11633

Dietrich Austermann (A) mitzutragen, die gegenüber der Bevölkerung nicht be- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie re- (C) quem zu vertreten sind. Aber ich sage noch einmal und den wirklich nur falsch! Unglaublich! Un- nicht zum letzten Mal: Wir wehren uns gegen ein Son- wahrheiten!) deropfer für eine einzige Berufsgruppe. Wo sind wir denn überhaupt? Das ist doch eine völlig (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- abwegige Vorstellung. Auch der Union geht es um die neten der FDP – Zuruf des Abg. Joachim Poß Kumpel, Herr Kollege Müller. Deswegen wurde seiner- [SPD]) zeit eine sanfte Degression der Kohleförderung be- schlossen. Diese Vereinbarung, die auch von Koch/ – Herr Poß, es ist gut, dass Sie als Nordrhein-Westfale Steinbrück im Vermittlungsausschuss bestätigt worden sich zu Wort melden. Denn dieses Sonderopfer wird zu- ist, dem dadurch konterkariert, dass andere Berufsgruppen von Kürzungen, die gemeinsam vereinbart worden sind, (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das ist ausgenommen werden. So wurde miteinander verein- falsch! Sie reden Unsinn!) bart, die Subventionen für den Kohlebereich in einem wischen Sie jetzt einfach zur Seite und stellen noch ein- Umfang zu kürzen, der über den Kohlekompromiss des mal 16 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Sagen Jahres 1997 hinausgeht. Das ist auch so beschlossenSie doch nicht: Wir brauchen Geld für Forschung, worden. Aber dann sagen der Finanzminister und der Wirtschaftsminister, dass die Einsparungen, die im (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie Kohlebereich vorgenommen werden sollten, in anderen reden absoluten Unsinn!) Bereichen zu erbringen sind. wir brauchen Geld für Bildung, wir brauchen Geld für (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist sehr das und jenes, wenn Sie dann bei der Kohle einen großen unanständig! – Ilse Aigner [CDU/CSU]: Ja, so Schluck aus der Pulle nehmen. Was heißt hier Pulle? Es ist es!) ist ja keine Pulle, es sind Tonnen und Fässer. Wer sich den Etat des Wirtschaftsministers ansieht, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – stellt fest, zu welchem Ergebnis das führt: Gerade die Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie Lüg- Bereiche, in denen neue Arbeitsplätze geschaffen wer- ner!) den können – Mittelstandsförderung, Gemeinschaftsauf- Ich werde jetzt etwas dazu sagen, wie Sie kürzen wol- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, len. Zum einen, so Ihr Vorschlag, wollen Sie im Bereich neue Bundesländer –, werden zusätzlich gebeutelt, weil der Krankenversicherung der Landwirte kürzen: Die (B) eine Technologie von gestern anders behandelt wird. aktiven Landwirte, deren Zahl wegen Ihrer Politik im-(D) Aber der Skandal ist noch größer: Sie haben im Voll- mer kleiner wird, sollen stärker belastet werden; das macht allein im nächsten Jahr 82 Millionen Euro aus. zug die Kohle nicht nur von der Kürzung ausgenommen, sondern bis zum Jahre 2013 noch einen zusätzlichen Be- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: trag von 16 Milliarden Euro für diesen Bereich bereitge- Unglaublich!) stellt. Wir alle – vom Präsidenten bis ins Plenum – sind der Auffassung, dass wir mit der Kohle anständig umge- Zum anderen wollen Sie die Vergütung bei Gasöl so hen müssen. Wir alle fühlen uns dem Kohlekompromiss ändern, dass in absehbarer Zeit eine zusätzliche Belas- verpflichtet. Aber wir sehen es nicht ein, dass, während tung der Landwirtschaft von 1,2 Milliarden Euro ent- in anderen Bereichen gekürzt wird, bei der Kohle drauf- steht. Ein Sonderopfer von 1,2 Milliarden Euro für die gesattelt wird. Mich wundert dabei sehr, wie die Grünen, Bauern – nur weil sie nicht SPD wählen; das ist gewis- sermaßen der Grund. (Jörg van Essen [FDP]: Ja, sehr richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die ja immer gegen fossile Energien, gegen CO -Ausstoß 2 Jetzt wird das Ganze auch noch ideologisch begründet: und vieles andere wettern, hier bereitwillig dabeigestan- Die Bauern könnten ja umsteigen auf Biodiesel, der ist ja den und gesagt haben: Das tragen wir mit. steuerfrei. (Jörg van Essen [FDP]: Genau wie bei der (Zuruf von der FDP: Ja, genau!) Wehrpflicht!) Jeder, der ein bisschen technischen Sachverstand hat, In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden 16 Milliarden weiß doch wohl, dass es Geld kostet, einen Motor auf Euro zusätzlich für die Kohle bereitgestellt. Also, von Biodiesel umzustellen. Wenn es ein Traktor ist, kostet es Degression kann da keine Rede mehr sein. noch ein bisschen mehr, erst recht, wenn es ein Mähdre- scher ist. Das kann man so ohne weiteres nicht verord- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – nen. Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ist ja gar nicht wahr!) (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Stimmt ja nicht! Schon wieder etwas Falsches!) Jetzt kommt der freche Herr Müller auch noch her und sagt: Jetzt muss der Bund auch noch eine zusätzliche Aber der Witz, Herr Öko-Müller, erfährt seine Pointe ja Zeche finanzieren. erst 11634 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Dietrich Austermann (A) (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wieder (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C) Unsinn!) Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie sind ein mieser Demagoge!) – nein, überhaupt nicht! –, wenn Sie sich vorstellen, alle Bauern würden Ihrem Vorschlag folgen Sie können ja gerne widersprechen. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie sind (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ein ein Schwätzer!) mieser Demagoge!) und zu 25 Prozent mit Biodiesel fahren. Was heißt das Ich sage es noch einmal ganz ruhig, Herr Müller: Ers- für Ihre Einsparmaßnahme? tens. Sie wollen der Landwirtschaft in Deutschland ab 1. Januar 2005 ein Sonderopfer abverlangen – in einem (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das Volumen von zunächst 370 Millionen Euro; im Vollzug wissen wir doch!) wird sich der Betrag in den nächsten zwei Jahren auf 1,2 Milliarden Euro addieren –, während Sie gleichzeitig Das heißt doch, das Geld, das Sie sich zusätzlich ver-einer anderen Branche 16 Milliarden Euro schenken. sprechen, kommt gar nicht in die Kasse. Das erinnertDas muss festgestellt werden. mich ein bisschen an die Tabaksteuer. Da hat man auch gesagt: Steuern rauf! Und was war? Einnahmen runter. Jetzt hört mir Herr Müller nicht einmal zu. Hier machen Sie genau das Gleiche. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ich höre (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihnen zu, ich möchte ja einmal lernen, wie man demagogisch ist!) Aber einmal abgesehen davon, dass Ihr Vorschlag er- hebliche Einnahmerisiken für den Bundeshaushalt ent- Ich wollte Sie gerade aufklären, damit Sie endlich ein hält – wenn alle Bauern auf Biodiesel umsteigen, fehlen bisschen wirtschaftlichen Sachverstand bekommen. Ihnen 250 Millionen Euro in der Kasse –: Am Markt für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Biodiesel wird sich durch den plötzlichen Nachfrageim- der FDP) puls ein erheblicher Preisanstieg einstellen, was einen schwer zu kompensierenden Kostenanstieg bei den Zweitens. Sie haben Maßnahmen getroffen, die wirt- Landwirten nach sich zieht. Das heißt, die Maßnahme ist schaftspolitisch kontraproduktiv sind. Allein der Ge- überhaupt nicht durchdacht, danke, in der gegenwärtigen Wirtschaftslage in einem solchen Bereich die Steuern zu erhöhen, wird jeden, der (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie sind auch nur ein bisschen wirtschaftlichen Sachverstand hat, (B) ein mieser Demagoge!) zu dem Urteil veranlassen: Das ist dumm. (D) eine Alternative gibt es nicht. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Na, dann können Sie ja gar nicht darüber reden!) Grundsätzlich unterstützen wir es sehr wohl, alterna- tiv Biodiesel in der Landwirtschaft einzusetzen Zurzeit bezahlen die deutschen Bauern pro Liter Diesel Steuern in Höhe von 25,56 Cent. In keinem anderen (Zuruf von der SPD: Nein!) Land in Europa wird ein so hoher Preis gezahlt. Die – doch, natürlich –, aber soll ich Ihnen einmal sagen,Bauern bei unseren dänischen Nachbarn zum Beispiel welche Schwierigkeiten ich hatte, in meinem Wahlkreis zahlen 3 Cent. Trotzdem wollen Sie diesen Betrag jetzt einen Rapsölbetrieb auf die Beine zu stellen? auf 40 Cent erhöhen. Das ist doch wohl ganz klar eine Steuererhöhung, die die Wirtschaft zusätzlich belastet. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Bei Ih- Der Kollege Koppelin hat es völlig richtig gesagt: nen liegen die Schwierigkeiten!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Verhandlungen mit dem Umweltminister haben sich als äußerst schwierig herausgestellt, die Zuständigen ha- Die Bauern haben im Vergleich zu anderen Mittelständ- ben sich in die Büsche geschlagen und gesagt: Das ist lern nur das Problem, dass sie ihren Betrieb nicht ins eine Technologie von vorgestern, so etwas wird nichtAusland verlagern können, weil sie ihre Scholle nicht gefördert. – Auch wenn Sie immer wieder Ihre ideologi- mitnehmen können. Ansonsten ist das Problem genau schen Argumente zum Biodiesel hervorholen, das im gleiche: Weil Sie glauben, Geld einsparen zu kön- Grunde glauben Sie doch selber nicht, was Sie hier ver- nen, belasten Sie die Wirtschaft und machen die Betriebe sprechen. An keiner Stelle halten Sie sich daran. kaputt. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Warum Es wird immer wieder gesagt, dass wir unsere Alter- haben Sie das EEG abgelehnt? – Michael nativen nennen sollen. Herr Bahr hat damit angefangen. Müller [Düsseldorf] [SPD]: Abgelehnt haben (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ Sie es!) DIE GRÜNEN]: Ich bin auf Ihre Vorschläge – Ich habe Sie offensichtlich getroffen an dieser Stelle. zur Haushaltskonsolidierung gespannt!) (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nein!) Für den Haushalt 2005 haben wir eine Kürzung in der Größenordnung von 3 Prozent vorgeschlagen, was – Ich verstehe gut, dass Sie hier den Brüller machen. 7,5 Milliarden Euro ausmacht. Während der Haushalts- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11635

Dietrich Austermann (A) beratung werden wir Ihnen genau sagen, an welchen Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Stellen wir die Kürzungen wollen, nämlich vor allenNEN): Dingen bei den flexibilisierten Verwaltungsausgaben Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- und an vielen anderen Stellen, wo noch heute das Geld ren! Ich will versuchen, zum Thema zurückzukehren, mit vollen Händen zum Fenster hinausgeworfen wird. obwohl mir das als jemand, der seinen Hof über der sehr Wenn Sie vorgestern die „FAZ“ und die „Süddeutsche wertvollen Kokskohle im Bereich Hamm bewirtschaftet, Zeitung“ gelesen haben, dann haben Sie dort halbseitige sehr schwer fällt. Anzeigen gesehen. Die Regierung wirbt mit einer Poli- tik, die sie leider nicht macht. Herr Austermann, den Unfug, den ich hier von Ihnen gehört habe, sollten Sie vor Ort bei Ihrem Oberbürger- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nur dummes meister Hunsteger-Petermann in Hamm vertreten, der ja Zeug machen die!) nicht unserer Partei, sondern Ihrer angehört. Ich werde ihm morgen bei einem gemeinsamen Termin empfehlen, Das alles muss der Steuerzahler unserer Meinung nach Sie einzuladen, damit Sie diese Thesen dort vertreten nicht mehr bezahlen. Das sollten Sie aus Ihrer Partei-können. kasse bezahlen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/ Neben dieser dreiprozentigen Kürzung im Haushalt CSU]: Er hat doch nichts Falsches gesagt!) könnte man zusätzliche Mittelzuflüsse erzielen und die Hier geht es um Rentabilität. Das werden wir in Ruhe Einnahmen steigern, indem man endlich etwas gegenmiteinander besprechen, auch wir Grünen aus Nord- den Umsatzsteuerbetrug tut. Auch dadurch würdenrhein-Westfalen. Entweder wird sich hier eine Wirt- Bund, Ländern und Gemeinden zusätzliche Milliarden in schaftlichkeit darstellen oder nicht. Danach wird das ent- die Kassen fließen. schieden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Das Haushaltsbegleitgesetz 2005 bedeutet eine sehr Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ harte Belastung für die Landwirtschaft. DIE GRÜNEN]: Sie wissen doch, welche Pro- bleme es da gibt! Das haben wir oft genug dis- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) kutiert!) Aufgrund der Sparsumme ist es aber sehr notwendig. In Sie könnten auch bei den Stellen, deren Anzahl Sie aus- der Lastenverteilung ist es so ausgewogen, wie es eben geweitet haben, sparen. So könnten Sie an vielen Punk- geht, und beim Sparen werden die richtigen Schwer- (B) ten sparen. Wir machen unsere Vorschläge dafür. Ichpunkte gesetzt. (D) glaube, deswegen sollten Sie endlich aufhören, zu sagen, (Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig es gebe von uns keine Alternativen beim Sparen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rot-Grün veranstaltet einen Beutezug gegen die bäu- Über die Notwendigkeit, einen erheblichen Einspar- erlichen Familienbetriebe. beitrag in allen Bereichen zu leisten, herrscht ja mittler- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) weile Einigkeit unter allen Fraktionen dieses Hauses. Wenn man das eingesehen hat, dann muss man aber auch Ich kann die Ministerpräsidenten der Länder nur auffor- die Konsequenzen ziehen und dazu stehen. An diesem dern, gegen diese Politik zu stimmen. Punkt wird es auf der Seite der Opposition immer ziem- lich still. (Ernst Bahr [Neuruppin] [SPD]: Herr Austermann, wer zahlt denn das? Das sind (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Stimmt nicht!) doch die Großbetriebe, nicht die Familienbe- triebe! Das ist Unsinn, was Sie erzählen!) Nach außen markieren CDU/CSU und FDP den Verein der brutalstmöglichen Sparer, aber wenn es zum Schwur – Die Landwirte sollen bei Ihnen zahlen, Herr Bahr. Ich kommt, sind die Kolleginnen und Kollegen abgetaucht. finde es sonderbar, dass bei Ihnen nur die Landwirte zah- In den Bauernblättern kann man dann nachlesen, dass len, Herr Bahr. – Ich fordere einen jeden Ministerpräsi- die Sparmaßnahmen im Grunde überflüssige rot-grüne denten auf, im Bundesrat zu prüfen, ob er nicht mithel- Gemeinheiten sind. fen sollte, diese Sondermaßnahme zulasten eines (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das, was Berufsstandes zu stoppen. Wenn zwei Drittel aller Mi- Sie sagen, ist glatt gelogen!) nisterpräsidenten – dazu gehören dann auch ein paar von der SPD – diesen Unfug stoppen, dann ist der Wirtschaft Herr Goldmann von der FDP behauptet im „Allgäuer und der Landwirtschaft gedient und dem Haushalt fehlt Bauernblatt“, man könne beim Ökolandbau dreistellige überhaupt kein Geld. Millionenbeträge kürzen, dann sei man aus dem Schneider. Weil Sie zu feige sind, den Bauern die Wahr- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) heit zu sagen, dass nämlich jeder einen Sparbeitrag leis- ten muss, wollen Sie den Biobauern den schwarzen Peter Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: zuschieben. Herr Goldmann, Sie wissen ganz genau, Ich erteile dem Kollegen Friedrich Ostendorff, Bünd- dass – abgesehen davon, dass Sie aus einem Programm nis 90/Die Grünen, das Wort. im Umfang von 20 Millionen Euro schwerlich dreistellige 11636 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Friedrich Ostendorff (A) Millionenbeträge werden mobilisieren können – dasindem er behauptet, sie müssten nur ihn wählen und alles (C) Bundesprogramm Ökolandbau keine Subventionierung könne wieder so werden, wie es früher war, von irgendwem ist, sondern im Wesentlichen eine Inves- tition in Forschung, Entwicklung und Information be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) deutet. als der CDU-Filz in Schleswig-Holstein und im Bund re- gierte und in der Landwirtschaft ein aberwitziges System (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Reiner Lob- von fehlgeleiteten Subventionen herrschte. byismus da vorne!) Die Landwirtschaft befindet sich heute in einem tief Dreistellig wird der Betrag erst durch die von der FDP greifenden Wandel. Die EU-Agrarreform verlangt den vorgeschlagenen Kürzungen bei der Gemeinschaftsauf- Bäuerinnen und Bauern viel ab, aber dafür bietet sie das, gabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“. 100 Millionen was das alte System schon lange nicht mehr hatte: eine Euro wollte die FDP im letzten Jahr hier kürzen. Damit Perspektive. Sehen Sie sich doch einmal an, wie wir hätten wir erhebliche Kofinanzierungsmittel aus Brüssel heute bei der WTO dastehen. Dort spielt heute eine ganz verschenkt. Das macht die ganze Absurdität der FDP- andere Musik als vor der Agrarreform. Inzwischen sind Sparvorschläge deutlich. wir Motor, nicht mehr Bremse. Das wird uns Bauern in Sie wollen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe, der Zukunft helfen. die Forschung und die Entwicklung kürzen. Das bedeu- Schauen wir aber auch auf die landwirtschaftlichen tet, die Zukunftsfähigkeit aufzugeben, um den Agrardie- Märkte. Die Lage ist teilweise angespannt und die Stim- sel beizubehalten. Wettbewerbsfähigkeit lässt sich somung dementsprechend schlecht. Aber sehen Sie sich nicht sichern. doch bitte auch einmal die Entwicklung an. Der Milch- preis liegt heute eben nicht bei 23 bis 25 Cent – Herr Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Austermann, Sie als Nichtbauer müssen das nicht wis- Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des sen –, wo Sie und die Schwarzmaler vom Bauernver- Kollegen Koppelin zulassen? band ihn immer hinreden wollten, sondern bei 29 bis 30 Cent. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das stimmt NEN): doch gar nicht!) Keine Zwischenfragen! – Wir werden stattdessen den – Wenn Sie melken würden, wüssten Sie das. Aber Sie Bauern und Bäuerinnen beim Ausstieg aus dem Erdöl müssen das nicht wissen. Sehen Sie sich auch die Ent- helfen. (B) wicklung am Rind- und Schweinefleischmarkt an. Die(D) Die CDU/CSU hat diese Woche im Agrarausschuss Preise für Bullen sind 30 Prozent höher als am Jahresan- überraschend doch noch den Kern ihrer Sparvorschläge fang, die für Schweine 60 Prozent höher. präsentiert, nämlich die Streichung nicht wissenschaftli- Meine Damen und Herren von der Opposition, ein cher Untersuchungen. Auf Deutsch: Streichung des Test- Westfale redet immer da weiter, wo er aufgehört hat. betriebnetzes – Sparvolumen: 10 Millionen Euro. Meine Deshalb bleibe ich bei dem, was ich schon letzte Woche Damen und Herren von der CDU/CSU, ich fürchte, das gesagt habe: Nicht Ihre Gummistiefelrhetorik und Ihre wird nicht reichen, um an die Sparvorgaben von rundSpanferkelweisheiten machen die deutsche Landwirt- 375 Millionen Euro heranzukommen. schaft zukunftsfähig, sondern Renate Künast und Rot- (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Wir sind ja erst am Grün. Anfang der Beratungen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollege Schirmbeck von der CDU hat dann noch ge- und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU fordert, man solle doch endlich dasFlugbenzin besteu- und der FDP) ern. Bei schwerer See haben wir das schlingernde Schiff sta- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wo haben bilisiert, indem wir entschlossen das Ruder übernommen Sie das gehört?) haben, während Sie weiter an der Reling stehen und über die Lust am Untergang philosophieren. Ich wünsche Ih- Das hat ihm wohl im Ausschuss der Bauernverband auf- nen dabei weiterhin viel Vergnügen. Wir werden uns geschrieben. Aber wenn man ihn dann beim Wort neh- derweil an die großen Aufgaben machen, die noch vor men will – das haben wir getan –, zieht er zurück, was uns liegen. symptomatisch ist für die CDU, und erklärt wörtlich, er habe das nur so aus Spaß vorgeschlagen. Noch eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Spaßpartei im Bundestag! und bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Es tut ja weh, dass Sie Landwirt sind!) Herr Carstensen, der Agrarsprecher der CDU, nimmt heute wie auch im Ausschuss an der wichtigen Beratung Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: dieser Gesetze leider nicht teil. Ich sage „leider“, weil Für den frühen Freitagnachmittag herrscht eine be- ich befürchte, dass er stattdessen wieder einmal alsmerkenswerte Stimmung im Hause. Sandmännchen in Schleswig-Holstein unterwegs ist und den Bäuerinnen und Bauern Sand in die Augen streut, (Heiterkeit) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11637

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) Zur Stabilisierung derselben hat nun für eine Kurzin- Als wir das Haushaltsbegleitgesetz im Ausschuss be-(C) tervention der Kollege Schirmbeck das Wort erbeten. sprochen haben, haben gerade Sie immer wieder darauf hingewiesen, dass wir die Landwirtschaft einseitig be- (Abg. Georg Schirmbeck [CDU/CSU] begibt lasten würden, andere aber nicht. sich zum Rednerpult) (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist ja – Kurzinterventionen erfolgen vom Platze aus, Herr Kol- auch korrekt!) lege. Sie haben den Schiffsverkehr sowie das Flugbenzin er- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Nicht nach wähnt und gesagt, dass wir hier eine Menge Geld sparen Wahl?) könnten. Das haben Sie im weiteren Verlauf Ihrer Inter- – Nein, nicht nach Wahl. Die Versuchung, aus Kurzinter- vention auch zugegeben. ventionen Reden entstehen zu lassen, ist umso größer, je (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Durch mehr man durch die Strecke vom Platz zum Mikrofon Wiederholung wird das nicht wahrer!) glaubt, einen solchen Nachweis erbringen zu müssen. Das sollten wir jetzt festhalten. Das ist von Ihnen in die (Heiterkeit und Beifall) Debatte gebracht worden. Niemand anderer hat dazu ge- sprochen. Sie können das im Protokoll nachlesen. Nichts Georg Schirmbeck (CDU/CSU): anderes habe ich hier behauptet. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ja eben darauf hingewiesen wurde, dass ein Westfale geredet Natürlich können wir diese Debatte führen, aber diese Debatte können wir nur gemeinsam führen. Wir vermis- hat, will ich sagen: Ich komme aus dem Osnabrücker sen allerdings Ihr Engagement, wenn es darum geht, das Bereich, dem größten westfälischen Bereich in Nieder- umzusetzen. Sie reden nur plakativ, um Stimmung zu sachsen. Das, was Sie erklärt haben, sollten wir einmal machen. Konkret kommt nichts. Das ist das, was wir im- mit unseren Landsmännern besprechen. mer wieder feststellen. Wenn man aus dem bäuerlichen Berufsstand kommt, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben die gehört es dazu, dass man redlich miteinander umgeht Unwahrheit gesagt und sollten sich entschuldi- und man niemandem etwas unterstellt, was er überhaupt gen!) nicht gesagt hat. Wir können in der Debatte über den Abbau von Subven- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tionen, die der Vergangenheit angehören, nur weiter- Ich habe das Flugbenzin in die Debatte im Agraraus-kommen, wenn wir einen möglichst breiten Konsens er- (B) schuss nicht eingebracht. Wir haben zwar über Flug-zielen. Wenn wir eine demagogische Debatte führen, wie (D) plätze und deren Entwicklungen gesprochen, aber diese Sie es immer wieder tun, werden wir nicht weiterkom- Vokabel ist von mir nicht genannt worden. men. Sie sollten wenigstens so redlich sein, Herr(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ostendorff, offen zu sagen, dass Sie dem Berufsstand, und bei der SPD – Hans-Michael Goldmann dem wir gemeinsam angehören, von 1999 bis jetzt eine [FDP]: Das ist eine Unverschämtheit! Ihr habt zusätzliche Belastung von 1 Milliarde Euro aufgebürdet 2002 im Wahlprogramm gehabt, es gibt keine haben. Das heißt, 1 Milliarde Euro weniger Kaufkraft im Erhöhung!) ländlichen Raum. Wenn wir feststellen müssen, dass je- Wir können natürlich weiterhin auf der Politik der den Tag 1 000 Arbeitsplätze verloren gehen, dann um- Vergangenheit beharren. Aber ich glaube, Herr fasst das auch Arbeitsplätze im ländlichen Raum und in Schirmbeck, dass wir klug beraten sind, wenn wir ge- unseren Familienbetrieben. Es ist eine Schande, dass Sie meinsam versuchen, der Landwirtschaft, gerade was den mich mit einer solchen Unwahrheit in Zusammenhang Agrardiesel angeht, beim Umstieg zu helfen. bringen und so versuchen, die Situation zu vernebeln. Dafür sollten Sie sich entschuldigen. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Herr Prä- sident, der filibustert!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir können durchaus in einem zweiten Schritt auch über Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: den Schiffsverkehr diskutieren. Jedenfalls sollten wir der Landwirtschaft helfen, auf pflanzliche Energieformen Zur Erwiderung Herr Kollege Ostendorff, bitte schön. umzustellen. Darüber werden wir viele Diskussionen führen können, wenn Sie nur wollen. Wenn nicht, müs- Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sen wir es alleine tun. Das würden wir auch machen. Wir NEN): bieten jederzeit an, gemeinsam vorzugehen. Das ist der Man muss sich nicht an alles erinnern, was man so im Weg in die Zukunft. Das sichert der Landwirtschaft Ausschuss sagt, Herr Schirmbeck. Sie reden immer sehr Akzeptanz in der Gesellschaft und darum streiten wir. Es viel. Das kann ich Ihnen nachsehen. Natürlich haben wir geht um Zukunftsfähigkeit, um nichts anderes. die Flugbenzindebatte geführt. Sonst hätte ich das nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in meiner Rede aufgegriffen. und bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie haben CSU]: Er hat sich nicht entschuldigt, stellen mich konkret zitiert!) wir fest!) 11638 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

(A) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Steuer dient aber einem anderen Zweck. Eigentlich(C) Da vorhin vom Kollegen Kampeter und anderen in sollte damit die Verkehrsinfrastruktur gestärkt werden. sehr freundschaftlicher Weise Zweifel an der Richtigkeit Die Landwirtschaft hat damit aber nichts zu tun. Deshalb des vermeintlich zu strengen Hinweises, von welchem können Sie sie auch nicht zu Vergleichen heranziehen. Ort aus Kurzinterventionen durchzuführen sind, ange- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) meldet worden sind, verweise ich auf die inzwischen von Ihnen offenkundig auch entdeckte Fundstelle in der Der Landwirt fährt doch mit seinem Trecker allenfalls Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. In § 27 auf der Kreisstraße zu seinem Acker. Deshalb sind alle Nr. 2 heißt es: entsprechenden Vergleiche fehl am Platz. Sie wollen doch nur die durch die ausbleibenden Mauteinnahmen Für Zwischenfragen an den Redner und für Zwi- entstehenden Haushaltslöcher auf Kosten der Landwirt- schenbemerkungen in der Aussprache über einen schaft schließen. Verhandlungsgegenstand melden sich die Mitglie- der des Bundestages über die Saalmikrofone zum (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wort. Interessant war auch der Hinweis auf denBiodiesel. Nachdem damit hoffentlich alle Restzweifel über die Herr Austermann hat ausgeführt, warum das nicht funk- korrekte Handhabung durch das Präsidium ausgeräumt tionieren kann. Aber immerhin ist eines im Haushalts- sind, erteile ich nun dem Kollegen Hellmut Königshaus ausschuss deutlich geworden. Der Parlamentarische für die FDP-Fraktion das Wort. Staatssekretär hat dort nämlich erläutert, dass die Pro- duktion von Biodiesel nicht unbegrenzt erweitert werden (Beifall bei der FDP) könne. Im Gegenteil: Bei den derzeit produzierten Men- gen handele es sich um eine konstante Größe. Das heißt, Hellmut Königshaus (FDP): wir werden keine Ölscheichs, wie es Herr Trittin immer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herrwieder in Aussicht stellt; es wird nichts aus der „grünen Ostendorff hat eben gesagt, die Landwirtschaft sei bei Ölproduktion“. Insofern bin ich dankbar dafür, dass ein- Frau Künast in guten Händen. Wir unterhalten uns hier mal Klartext gesprochen wurde. über enorme Belastungen, die auf die Landwirtschaft zu- kommen, und wo ist Frau Künast? Wo sind die Vertreter (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) des Landwirtschaftsministeriums? Das interessiert sie Zum anderen sollen die Landwirte mehr für die überhaupt nicht. Kranken- und Sozialversicherung zahlen. Auch in die- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sem Zusammenhang vergleichen Sie Äpfel mit Birnen. Bei den landwirtschaftlichen Kassen handelt es sich um (B) (D) Das zeigt einmal mehr, dass sich hinter dem schönen ein in sich geschlossenes System außerhalb der übrigen Begriff Haushaltsbegleitgesetz eine böse Absicht ver- Kassen; sie weisen andere Voraussetzungen, Strukturen steckt. Ähnliches galt früher für das schöne Wort „Steu- und demographische Bedingungen auf. ervergünstigungsabbaugesetz“. Es verbirgt sich dahinter nichts anderes als schlichtes Abkassieren bei denen, die Auch das Stichwort „Altenteiler“ ist bereits genannt sich nicht wehren können. worden. Das alles sind Belastungen, die mitzutragen sind und die in anderen gesetzlichen Kassen durch den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Risikostrukturausgleich ausgeglichen werden. Wollen Sie begründen Ihr Vorhaben mit Subventionsabbau. Wir Sie das auch in diesem Bereich? Herr Austermann hat haben eben schon – der Kollege Austermann hat das sehr diese Frage schon vorhin gestellt. Sie äußern sich aber klar dargestellt – über wirkliche Subventionen gespro- nicht dazu. Es würde uns schon interessieren, was Sie in chen, zum Beispiel über die Steinkohle. Wir könnendieser Hinsicht beabsichtigen. auch über die Windenergie sprechen. Das sind wirkliche (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Subventionen. der CDU/CSU) (Joachim Poß [SPD]: Sie bestimmen, was Sub- Beide Vorhaben zusammengenommen bewirken eine ventionen sind! Sehr merkwürdiger Subven- erhebliche Belastung. Das gilt auch für den europäischen tionsbegriff!) Wettbewerb. Wir haben das eben noch einmal erörtert. Wer das hiermit vergleicht, vergleicht Äpfel mit Birnen. So können vor allem die kleinen und mittleren landwirt- schaftlichen Betriebe nicht überleben. Deswegen wollen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wir über Umstrukturierungen reden – das ist durchaus der CDU/CSU) richtig –, aber diese dürfen nicht in einer Weise erfolgen, die die Landwirtschaft in ihrem Kern gefährdet und die Worum geht es denn hier? Sie wollen zum einen die Betriebe in ihrer Existenz bedroht. Besteuerung des Agrardiesels anheben. Das würde eine weitere Belastung bedeuten. Der Kollege Austermann (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hat das eben zum Beispiel in einem Vergleich mit Däne- der CDU/CSU) mark erläutert. Ich komme zum Schluss. Wenn Sie ausgerechnet uns Wenn Sie sagen, dass es nicht darum geht, abzukas- nach Alternativen und Vorschlägen fragen, dann sollten sieren, dann gibt es nur einen anderen möglichen Grund: Sie sich in Erinnerung rufen, dass die FDP bereits den Das ist die Heranführung an die Mineralölsteuer. Diese Entwurf eines Subventionsbegrenzungsgesetzes vorge- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11639

Hellmut Königshaus (A) legt hat. Manchmal empfiehlt es sich, auch die Vor- Man kann es doch drehen und wenden, wie man will. (C) schläge der Opposition zu betrachten. Wir müssen in allen Bereichen des Haushaltes die Leis- tungen, die einzelne Gruppen erhalten, in Relation zur Ich danke Ihnen. wirtschaftlichen Situation der Allgemeinheit, der Steuer- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zahler, setzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren der CDU/CSU) von der Opposition, das wissen Sie. Klar ist uns allen in diesem Haus ebenfalls – das steht hundertprozentig Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: fest –: Hätten Sie die Regierungsverantwortung, dann würden Sie weder bei der Agrarsozialsicherung noch Herr Kollege Königshaus, zu Ihrer ersten Rede imbeim Agrardiesel etwas ändern. Das gehört ebenfalls zur Deutschen Bundestag gratuliere ich Ihnen auch im Na- ganzen Wahrheit. men des Hauses herzlich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie DIE GRÜNEN) bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Zweidritteleinsparung beim Agrardiesel hat uns sehr lange beschäftigt und hat mir persönlich – das gebe Sie werden sie gewiss auch deshalb in bester Erinnerung ich zu – große Bauchschmerzen bereitet. Es gab mehrere behalten, weil sie vor beinahe vollem Haus erfolgt ist, Modelle, nach denen die 287 Millionen Euro hätten ab- was – zumal freitagnachmittags – eher selten der Fall ist. gebaut werden können. Eines möchte ich ganz deutlich sagen: Niemand von uns hat es sich einfach gemacht. Es (Dirk Niebel [FDP]: Das ist die Wirkung von gab eine Anhörung – dazu ist schon etwas gesagt wor- Zwischenrufen, Herr Präsident!) den –, in der wir alle Facetten noch einmal beleuchtet Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist haben. Letztendlich ist die Entscheidung zugunsten des die Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion. Regierungsentwurfs gefallen. Wichtig an dieser Stelle ist aber, dass man nach allen Erwägungen zu einer Ent- scheidung kommt, mit der man in Zukunft leben kann. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ich denke, das haben wir mit dem jetzigen Modell der Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Agrardieselkürzung mit einer Obergrenze von 10 000 Li- ren! Ich bin zutiefst beeindruckt von dem kolossalentern Verbrauch, einer Untergrenze von 350 Euro Selbst- Fachwissen, das von den Kollegen Königshaus – auch behalt und einer Bagatellgrenze von 50 Euro geschafft. wenn es Ihre erste Rede gewesen ist; Entschuldigung – Wir haben gleichzeitig den Umstieg auf Biodiesel vo- (B) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das war rangetrieben. Herr Austermann – hier zeigt sich die Qua- (D) doch gut!) lität Ihres Fachwissens noch einmal –, natürlich können die meisten landwirtschaftlichen Fahrzeuge mit Biodie- und Austermann an den Tag gelegt worden ist. sel betrieben werden. An die Adresse der FDP: Es (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stimmt nicht, dass der Markt an dieser Stelle ausgereizt DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU ist. Natürlich haben die Bauern noch Möglichkeiten, hier und bei der FDP) etwas zu tun.

– Ihr Lachen wird Ihnen gleich vergehen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Austermann, Sie haben die Koch/Steinbrück- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Vorschläge angesprochen. Merkwürdigerweise habenKollegen Koppelin? diese Vorschläge aber für die CDU/CSU-Fraktion in den Haushaltsberatungen keine Rolle mehr gespielt. Das Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): können Sie nachlesen. Nichts davon hat noch gezählt. Ja, gerne. Alle Einsparvorschläge sind außen vor geblieben. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auch wenn wir die Subventionen für Agrardiesel zu- Nein!) rückführen müssen, erhält der größte Teil der Bauern beim Agrardiesel die Rückerstattung in gleicher Höhe – Entschuldigung, aber ich möchte gerne, dass Herr wie im vergangenen Jahr. Auch das muss einmal deut- Koppelin eine Zwischenfrage stellt. lich gesagt werden. Das haben Sie aber hier nicht be- rücksichtigt. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Koppelin, bitte. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jürgen Koppelin (FDP): Wir stimmen heute über die Beschlussempfehlung Herzlichen Dank, dass Sie nicht wie der Kollege der des federführenden Haushaltsausschusses ab. Nun frage Grünen bei einer Frage kneifen. – Da Sie deutlich ge- ich mich, woher das geballte Fachwissen kommen soll, macht haben, dass es selbst in der Koalition Probleme wenn die Opposition nicht einmal einen einzigen Fach- mit dem Gesetz gibt, weil es erhebliche Einschnitte bei politiker reden lässt. Das finde ich sehr bemerkenswert. der Landwirtschaft – das haben Sie auch eingestanden – 11640 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Jürgen Koppelin (A) vorsieht, frage ich Sie: Wie bewerten Sie es als Parla- sonders eigenverantwortliches Unternehmertum ge-(C) mentarierin, dass weder die für die Landwirte zuständige stärkt. Ministerin noch ein Vertreter ihres Ministeriums heute Schönen Dank. anwesend sind? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ich schließe die Aussprache. Herr Koppelin, diese Frage kann ich nicht beantwor- ten; denn ich kenne den Terminplan von Frau Ministerin Wir kommen zur Abstimmung über den von den Künast nicht. Aber Herr Diller ist anwesend. Die Feder- Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen führung liegt schließlich beim Haushaltsausschuss. Ich eingebrachten Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes kann mich an dieser Stelle nur bei meinen Kollegen vom 2005, Drucksache 15/3442. Der Haushaltsausschuss Haushaltsausschuss bedanken, dass ich hier reden darf. empfiehlt auf Drucksache 15/3755, den Gesetzentwurf So ist die Sache. in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- (Beifall bei der SPD) stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da- Schön, dass ich Ihnen erlaubt habe, dazu eine Zwischen- gegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der frage zu stellen. Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- men. Wenn Sie an dieser Stelle eine gute Möglichkeit für die Landwirte sehen, warum haben Sie dann unser EEG Wir kommen zur abgelehnt, mit dem wir den Bauern die Chance eröffnen, dritten Beratung sich selber mit Biodiesel zu versorgen, wenn es schwie- rig wird? Sie verfahren ganz nach dem Motto: Die CDU/ und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem CSU ist für die Landwirtschaft zuständig, nur nicht die Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – SPD. Ganz so ist es aber nicht. Ich finde es auch sehrWer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – verwerflich, dass hier zweimal der gesamte landwirt-Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition schaftliche Berufsstand durch eine Partei vereinnahmt gegen die Stimmen der Opposition angenommen. wird. Das darf nicht sein. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Wir alle wissen, dass wir mit dem alten Preisstützsys- Beratung des Antrags der Abgeordneten (B) tem nicht mehr wirtschaften können. Angesichts der (D) Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Ängste und der Sorgen, die zum Beispiel durch die EU- Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Agrarreform bei den Landwirten bestehen, kann ich nur FDP sagen, dass wir ein konstruktives Konzept entwickelt ha- ben. Was mich nicht nur froh, sondern auch glücklich Freie Wahl der Kostenerstattung in der gesetz- macht – das habe ich schon angesprochen –, ist die No- lichen Krankenversicherung velle des EEG. – Drucksache 15/3511 – Zum Schluss möchte ich an die Adresse der Opposi- Überweisungsvorschlag: tion noch Folgendes sagen: Es macht keinen Spaß, Ein- Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f) sparungen vorzunehmen und den Haushalt Jahr für Jahr Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit zu konsolidieren. Die Ursachen dafür liegen aber – das Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die will heute niemand mehr hören – in Ihrem 16-jährigen Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Wirtschaften. Fraktion der FDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. DIE GRÜNEN) (Unruhe) Ansonsten hätten wir an dieser Stelle heute nicht solche – Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich diejeni- Schwierigkeiten. gen, die an derselben nicht mehr teilnehmen können (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Peinlich oder wollen, bitten, den Plenarsaal zu verlassen und ist diese Frau! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: wichtige Staatsgeschäfte außerhalb des Plenums fortzu- Sie sind wohl erst seit gestern an der Regie- setzen. rung! – Ilse Aigner [CDU/CSU]: Also wirk- Ich eröffne nun die Aussprache und erteile das Wort lich, Frau Wolff!) zunächst dem Kollegen Detlef Parr von der FDP-Frak- Auf der anderen Seite weiß ich – schließlich muss ich tion. hier für solche Einsparmaßnahmen einstehen – Über- schriften wie „Sektkorken knallen auf deutschen Höfen Detlef Parr (FDP): nach der Verabschiedung des EEG“ zu deuten. Wissen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich Sie, was das bedeutet? Die Bauern haben verstanden:möchte mit der Einleitung meiner Rede ein bisschen Die rot-grüne Bundesregierung hat an dieser Stelle be- Freizeitstimmung transportieren. Vorgestern haben wir Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11641

Detlef Parr (A) in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz das Sommer- das wohl nicht geschehen. Wohl eher die notwendige(C) fest einer großen gesetzlichen Krankenkasse gefeiert.Angleichung an europäisches Recht hat die Regierung Die Vorhänge im Saal waren zurückgezogen, es bot sich zu diesem Schritt gezwungen. ein herrlich freier Blick in den Garten – es war so ähn- Wir haben heute also eineWahlmöglichkeit für die lich wie im Sommer 2003 bei den Konsensverhandlun- Versicherten – eine Mogelpackung, wie ein Blick auf die gen in der Landesvertretung Baden-Württemberg – und Beratungspflicht durch die Krankenkassen beweist. Die man hatte eine Transparenz, wie wir sie uns heute auch AOK Rheinland zum Beispiel empfiehlt in ihrer Zeit- im Gesundheitswesen wünschen. schrift „Vigo“ ihren Versicherten Anfang des Jahres Fol- Heute wie damals scheint aber ein seltsamer Geistgendes – man achte auf die Qualität der Sprache; Zitat –: den Blick der großen Gesundheitskoalition zu vernebeln. Sie erhalten eine Rechung Ihres Arztes. Diese In allen Reformpapieren, die wir zurzeit diskutieren, fin- Rechnung begleichen Sie selbst. Anschließend be- den sich zwar gleich lautende Forderungen nach mehr kommen Sie die Kosten auf der Grundlage der gel- Wettbewerb, mehr Effizienz, mehr Eigenverantwortung tenden Vertragssätze zum Teil erstattet. und mehr Wahlfreiheit – alles auf der Grundlage von mehr Transparenz –; den entscheidenden Schritt nach Kommen Sie nämlich als „Privatpatient“ zum Arzt, vorne, endlich das anonyme Chipkartensystem durch die was bei der gewählten Kostenerstattung quasi der Kostenerstattung abzulösen, wagen Sie aber nicht. Was Fall ist, räumt der Gesetzgeber den Ärzten die nützt alles Wehklagen über Doktor-Hopping, Selbstbedie- Möglichkeit ein, höhere Gebühren für die Behand- nungsmentalität oder Abrechnungsbetrug, wenn wir an lung abzurechnen. einem Sachleistungsprinzip sklavisch festhalten, das ge- Die Differenz müssen Sie selbst bezahlen, wenn Sie nau diese Fehlentwicklungen fördert? Gesundheitsleis- dafür nicht wiederum eine private Zusatzversiche- tungen als Naturalleistungen sind ein Relikt aus vergan- rung abgeschlossen haben. Daher sollten Sie gener Zeit und ein Luxus, den wir uns heute nicht mehr leisten können. Bismarck ist tot! – jetzt kommt der erhobene Zeigefinger – Die Chipkarte öffnet den Zugang zu gesetzlich zu- den Schritt gut überlegen und sich unbedingt vor stehenden medizinischen Leistungen nach dem Motto einer Entscheidung für die Kostenerstattung von Ih- „Sesam, öffne dich“. Der Patient wird künstlich uninfor- rer AOK Rheinland beraten lassen. Denn Sie sind miert gehalten. Die Kosten seiner Behandlung bleiben an Ihre Entscheidung dann mindestens ein Jahr lang ihm unbekannt. Die Abrechnung findet ohne ihn statt. gebunden. Das Sachleistungsprinzip verleitet zudem dazu, mehrMeine Damen und Herren, das ist keine Wahlfreiheit, (B) Leistungen als erforderlich zu erbringen. Patient unddas ist die blanke Kostenerstattungsabschreckung. (D) Arzt haben wenig Interesse an einem kostenbewussten Umgang mit den immer begrenzteren Ressourcen. Dafür (Beifall bei der FDP) hat die Bundesregierung aufwendige Kontrollmechanis- Daher fordern wir, dass diese Beratungspflicht gestri- men etabliert. Diese Mechanismen werden immer ausge- chen wird. Außerdem sollte der Versicherte jeden appro- feilter, immer komplizierter. Das heißt: Bürokratisierung bierten Arzt aufsuchen können. Wir schützen die Kran- und Intransparenz auch an dieser Stelle. Gäbe es daskenkasse vor finanzieller Überforderung; es gibt ja die Kostenerstattungsprinzip, würde den Versicherten eine Regelung, dass sie die Kosten nur in der Höhe über- völlig neue Rolle im Gesundheitswesen eingeräumt. nimmt, die bei einer vertragsärztlichen Behandlung im Herr Staatssekretär, Ihre Ministerin hat gestern aufRahmen der Sachleistung anfallen würden. Auch sollte dem Hausärztetag zu Recht von einer neuen Balance der der Versicherte nach unserer Überzeugung die Wahl ha- Solidarität und derEigenverantwortung gesprochen. ben, für die ambulante oder die Krankenhausbehandlung Die können Sie mit der Kostenerstattung leicht herstel- die Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen. len. Trauen wir dem Versicherten doch endlich mehr zu! (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!) Lassen wir ihn die Rechnung seines Arztes prüfen! Las- sen wir ihn zu einem Partner des Arztes werden, der sich Ich möchte Sie alle im Hohen Hause auffordern, über über seine Krankheit informiert und Kostenbewusstsein mehr Eigenverantwortung, über mehr Wahlfreiheit und entwickelt! Lassen wir ihn zu einem Partner im Wettbe- über den mündigen Patienten nicht nur zu reden. Entlas- werb werden, der sich für einen effizienten und gutensen Sie den Patienten endlich in ein freiheitlicheres Ge- Ablauf seiner Behandlung interessiert! Last, but notsundheitssystem! least: Schaffen wir mit der Kostenerstattung eine zuver- (Beifall bei der FDP) lässige Selbstbeteiligungsregelung, über die der Ein- zelne der Höhe nach im Rahmen einer prozentualen Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Zuzahlung selbst entscheiden kann, statt ihm eine will- Das Wort hat nun die Kollegin Erika Ober, SPD-Frak- kürliche Praxisgebühr aufzupfropfen! tion. Der Versuch, die Kostenerstattung einzuführen, hat eine lange Tradition: von Schwarz-Gelb in den 90er-Jah- Dr. Erika Ober (SPD): ren als Wahloption für alle Versicherten eingeführt, nach Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! dem Regierungswechsel 1998 wieder abgeschafft,Herr Parr, auf dem AOK-Sommerfest war ich auch. Sie schließlich im letzten Jahr wiederbelebt. Freiwillig ist haben davon gesprochen, es sei so schön gewesen, die 11642 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Dr. Erika Ober (A) Vorhänge seien zurückgezogen gewesen, es sei transpa- pressen wollten: entweder Kostenerstattung oder keine (C) rent gewesen, es habe gute Kommunikation gegeben. Behandlung; ich erinnere mich auch an Fälle dieser Art in Bayern. Die niedersächsische Gesundheitsministerin (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wo wart ihr hat damals eingegriffen und richtigerweise mit aller zwei denn?) Härte diesem Verhalten den Garaus gemacht. Sie haben es so empfunden; ich habe es auch so empfun- (Detlef Parr [FDP]: Da sind wir völlig einig!) den. Aber warum sind Sie, Herr Parr, wenn alles so gut, so kommunikativ und transparent gewesen ist, im letzten Wegen der Asymmetrie der Information zwischen Jahr aus den Verhandlungen ausgestiegen? Die FrageLeistungserbringern und Patienten ist die vorherige Be- müssen Sie mir noch beantworten. ratung durch die Krankenkassen ein sinnvolles, ja not- (Detlef Parr [FDP]: Das habe ich gerade er- wendiges Angebot. Ihre Auffassung, Herr Parr, kann ich klärt!) vor diesem Hintergrund natürlich nicht teilen. Von einer Zwangsberatung der Versicherten, wie Sie es in Ihrem Ich komme zum Antrag Ihrer Fraktion. Sehr oftAntrag nennen, kann keine Rede sein. Kein Versicherter kommt das Thema Kostenerstattung von der FDP aufist gezwungen, sich beraten zu lassen. Die Patienten ha- den Tisch. Die FDP will mit dem Traum von der Kosten- ben als mündige Bürger lediglich einen Anspruch auf erstattung das deutsche Gesundheitswesen genesen las- Beratung. Sie können sich beraten lassen, sie müssen sen. nicht. Das ist sinnvoll. Die Beratung soll sie in den Stand (Hans-Michael Goldmann [FDP]: So ist es versetzen, eine unvoreingenommene Wahl zwischen richtig!) Sachleistung und Kostenerstattung zu treffen, sie soll also eine neutrale Information vermitteln. Mit Ihrem An- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dass das nur eintrag wollen Sie diese Orientierungshilfe zunichte ma- Traum ist, werde ich Ihnen jetzt belegen. Ich will Ihnen chen. Das ist nicht in Ordnung. vorstellen, warum die Kostenerstattung ohne vorherge- hende Beratung – darauf haben Sie ja eben abgestellt – (Beifall bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: nicht sinnvoll ist. Ich befürchte natürlich, dass Sie, wenn Mündigkeit! So dumm sind die Menschen ich es Ihnen klar mache, auf diesem Ohr taub sind. nicht!) (Detlef Parr [FDP]: Sie befürchten es, Sie – Mündigkeit gestehen wir alle den Patientinnen und Pa- wissen es aber auch!) tienten zu. – Nach meinerÜberzeugung ist es sinnvoll, – Jawohl, Herr Parr; ich weiß es auch. die Kostenerstattung mit den Krankenkassen und nicht mit den Leistungserbringern zu vereinbaren. Eine Bera- (B) Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, dann stelle ich tung bei den Krankenkassen stärkt nämlich die Unab- (D) fest: Eine Fülle von wohlklingenden Fragen im Antrag hängigkeit der Patienten. Eigentlich wollen Sie von der verstellt den Blick auf das Wesentliche. Sie wollen die FDP doch genau das: Sie wollen unabhängige Ver- im Gesetz verankerteBeratung der Versicherten vor sicherte. dem Wechsel von der Sachleistung auf die Kostenerstat- tung abschaffen. Diese Beratung ist aber als Informa- Nahezu jeder Patient und jede Patientin sitzt im tionsquelle und als Hilfe für die Patientinnen und Patien- Krankheitsfall mit einem Gefühl von Unsicherheit vor ten zu sehen. dem behandelnden Arzt. Ich denke, jeder kennt von ei- nem Arztbesuch dieses Gefühl der Unsicherheit und Ab- (Detlef Parr [FDP]: Das hat mein Zitat auch hängigkeit. bewiesen!) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Besonders – Das ist so. Das erkläre ich Ihnen gleich noch. – Sie beim Zahnarzt!) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie mit Ih- rem Antrag reine Klientelpolitik betreiben. Im Sinne der – Beim Zahnarzt, Herr Zöller, sagt man aber nicht so Versicherten ist dieser Vorschlag nicht. viel. – Eine sachliche Entscheidung über das Pro und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kontra der Kostenerstattung ist in einer solchen Situation DIE GRÜNEN) schwierig. Vor die Wahl gestellt, wollen die Patienten natürlich immer die bestmögliche Behandlung. Das ist Die weihevollen Worte zu Beginn können nicht davon auch in Ordnung. Die Kosten einer Behandlung sind im ablenken, dass Sie die Patientinnen und Patienten einer direkten Gespräch mit dem Arzt nicht immer abschätz- notwendigen Informationsquelle berauben wollen, denn bar, denn der Arzt kennt sie auch nicht immer. Wer sich der Versicherte muss wissen, worauf er sich bei seiner schon einmal in einer solchen Situation befunden hat, Entscheidung für die Kostenerstattung einlässt. weiß um diese Abhängigkeit. Ich unterstelle den Ärztin- (Detlef Parr [FDP]: Das ist richtig!) nen und Ärzten natürlich keine unsachgemäße Beratung, auch wenn wir Beispiele kennen, wie das schon einmal Die Beratung soll diese Information vermitteln. Dies gilt lief. Die Beratung pro oder kontra Kostenerstattung ge- umso mehr, wenn einzelne Leistungserbringer, wie wir hört nämlich nicht zu ihrem eigentlichen Betätigungsfeld. erfahren mussten, Patienten massiv bedrängt haben, da Das wollen Sie auch gar nicht. Meiner Meinung nach ge- ihnen die Kostenerstattung mehr Geld bringt. Wir alle hört also diese Beratung nicht in das Sprechzimmer. haben noch das schamlose Verhalten einiger niedersäch- sischer Kieferorthopäden in Erinnerung, die die Patien- (Detlef Parr [FDP]: Steht auch nirgendwo tinnen und Patienten schlichtweg mit der Forderung er- drin!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11643

Dr. Erika Ober (A) Ich teile auch nicht die Meinung, dass mit Einführung klein ist, wie wir schon eben festgestellt haben. Was das (C) der Kostenerstattung im Gesundheitsmodernisierungs- Gesundheitssystem braucht, ist Kostentransparenz für gesetz – diese Regelung wurde ja auf ein Jahr begrenzt alle Versicherten, nicht nur für diese kleine Gruppe. Da eingeführt – die Büchse der Pandora geöffnet wurde. Ich sind wir uns durchaus einig, Herr Parr. begrüße es sogar ausdrücklich, dass dem Patienten die Wahl zwischen Sachleistung und Kostenerstattung er- Mit der Patientenquittung haben wir bereits einen öffnet wird. Im System der gesetzlichen Krankenver-Schritt in diese Richtung unternommen. Ich gebe zu, sicherung dominiert jedoch weiter das Sachleistungsprin- dass es mit der Umsetzung und Akzeptanz der Patienten- zip. Es ist daher konsequent, wenn nur zugelassene oder quittung besser laufen könnte. Die elektronische Ge- so genannte ermächtigte Leistungserbringer die Behand- sundheitskarte wird – da bin ich überzeugt – diesen Pro- lung der Kassenpatienten vornehmen. Die Forderung, zess ab 2006 verstärken und verbessern. die Kostenerstattung auf Nichtvertragsärzte auszudeh- (Matthias Sehling [CDU/CSU]: Wenn sie nen, widerspricht diesem Grundgedanken. kommt!) (Detlef Parr [FDP]: Freie Arztwahl!) – Sie kommt. Sie wird nicht flächendeckend kommen, – Ich erkläre Ihnen gleich, warum das sinnvoll ist. – Mit aber wir werden ab 2006 starten. Wenn Sie heute die der Zulassung unterwirft sich der Leistungserbringer den Presse gelesen haben, konnten Sie sehen, dass das auch in SGB V festgelegten Anforderungen, wie zum Beispiel dort steht. an die Qualität und die Wirtschaftlichkeit. Das ist im (Jens Spahn [CDU/CSU]: Da steht heute viel Sinne aller Versicherten. Dieses Prinzip entspricht auch drin! Da steht andauernd was drin!) ständiger Rechtsprechung. Es besteht in meinen Augen kein Anlass, an diesem vernünftigen Prinzip zu rütteln. Dann werden wir uns noch einmal unterhalten können, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nun ein Wort zu der Gruppe von Versicherten, die laut Ihres Antrags durch das GMG angeblich schlechter Wir werden dem Antrag der FDP-Fraktion, Herr Parr, gestellt sein soll. Die stenerstattung Ko war nämlich natürlich nicht zustimmen. schon vor dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz für (Detlef Parr [FDP]: Das ist traurig!) gesetzlich Versicherte möglich, allerdings nur in Aus- nahmefällen. Die Kostenerstattung ist für die FDP doch nur der Auf- hänger, ihre Vorstellungen von einer Liberalisierung des Verglichen mit der Gesamtheit der in der gesetzlichen Gesundheitswesens zugunsten einer bestimmten Klientel Krankenversicherung Versicherten bewegt sich die Größe der von Ihnen angesprochenen Gruppe im Promil- (Detlef Parr [FDP]: Na, na, na!) (B) (D) lebereich. und zulasten der Versichertengemeinschaft durchzuset- Kostenerstattung kennen wir auch von gesetzlich ver- zen. Die Interessen der Versichertengemeinschaft vertre- sicherten Patienten, die zum Beispiel im Urlaub im Aus- ten Sie mit diesem Antrag nicht. land behandelt werden. Sie werden dort von bei uns (Detlef Parr [FDP]: Aber die jedes einzelnen nicht zugelassenen, nicht ermächtigten Ärzten und Leis- Versicherten!) tungserbringern behandelt. Wir kennen die Problematik, dass Qualität und Wirtschaftlichkeit in solchen Fällen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nicht immer nachzuvollziehen sind. Ich möchte nichts Böses unterstellen, aber das ist eine Tatsache. Diesen (Beifall bei der SPD) Zustand wollen wir nicht übertragen. Das gleiche Pro- blem hätten wir nämlich, wenn wir, wie in Ihrem Antrag Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: gefordert, die nicht ermächtigten Leistungserbringer hier Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/ zuließen. Wir hätten dann keine Kontrolle über Qualität CSU-Fraktion. und Wirtschaftlichkeit. (Detlef Parr [FDP]: Wolfgang, sei nett!) Oft wird behauptet, der erhöhten Kostentransparenz in der Kostenerstattung folge auch eineVerhaltensän- Wolfgang Zöller (CDU/CSU): derung der Patientinnen und Patienten. Hierzu gibt es Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu- keinen empirisch gesicherten Nachweis. nächst, Frau Ober: Wenn die Zahl der in Anspruch ge- (Detlef Parr [FDP]: Es sind doch zu wenige! nommenen Kostenerstattungen wirklich nur im Promil- Das ist doch nur im Promillebereich, wie Sie lebereich läge, dann brauchte man auch nicht so viel sagen!) Angst davor zu haben, wie Sie es hier dargestellt haben. – Das wird aber immer behauptet, Herr Parr. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Auch unser Ziel ist, Kostentransparenz zu erreichen, wenn auch nicht mit Ihren Instrumenten. Wir befürwor- Wir beraten heute den Antrag der FDP mit dem Titel ten ein anderes System als das, das Sie vorschlagen. Wir „Freie Wahl der Kostenerstattung in der gesetzlichen sehen in der Kostenerstattung kein geeignetes Instru-Krankenversicherung“. Für diese Überschrift haben Sie ment, die Transparenz, die wir alle wollen und auchdie volle Unterstützung der CDU/CSU. Auch inhaltlich brauchen, zu erreichen, nicht nur weil die Gruppe sostimmen wir weitgehend mit dem Antrag überein. 11644 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Wolfgang Zöller (A) Der FDP-Antrag hat aber einen kleinen Schönheits- ratungen über Behandlungsmöglichkeiten und Kosten (C) fehler, der zum jetzigen Zeitpunkt gravierende Nachteile durch den Arzt. im Hinblick auf eine flächendeckende ärztliche Versor- gung mit sich brächte. Schließlich spricht für ein Kostenerstattungsverfahren auch, dass wir uns im Laufe der nächsten Jahre im Hin- (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist blick auf die europäischen Rahmenbedingungen weiter es!) in Richtung Kostenerstattung bewegen werden müssen, ob wir wollen oder nicht. Sie fordern nämlich die Wahlmöglichkeit in Bezug auf jeden Arzt mit Approbation. Wie wollen Sie dann die Si- Das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen cherstellung einer flächendeckenden medizinischen Ver- Krankenversicherung ermöglicht seit Anfang dieses Jah- sorgung gewährleisten? Nicht zugelassene Ärzte könn- res die Wahl des Kostenerstattungsverfahrens. In der ten sich die Behandlungsrosinen herauspicken; auf der Praxis ist dies bisher allerdings kaum vorzufinden, was Strecke blieben weniger attraktive Tätigkeiten wie etwa vor allem daran liegt, dass zu hohe Hürden für diese Op- die Notversorgung an Wochenenden oder in den so ge- tion aufgebaut wurden. So muss man sich vorher von nannten dienstfreien Zeiten. seiner Kasse beraten lassen – – Aufgrund der vielen Vorteile, die das System der Kos- (Zuruf der Abg. Dr. Erika Ober [SPD]) tenerstattung aber bietet, unterstützen wir die Kosten- erstattungsmöglichkeit generell. Ich will einige Vorteile – Frau Kollegin Ober, ich möchte einmal Ihre Argumen- ansprechen. tation hören, wenn wir gesagt hätten, dass wir eine Bera- tung durch die privaten Kassen wünschen, bevor sich je- Zunächst einmal wird damit dem Grundsatz dermand entscheidet, ob er in der GKV bleibt oder in eine Transparenz nachgekommen. Das Erstattungsverfahren private Kasse geht. Wir müssen in unserer Argumenta- ermöglicht dem Patienten, selbst unmittelbar und kon- tion schon ehrlich bleiben. kret nachzuvollziehen, was der Arzt abgerechnet hat. Dies schränkt auch Missbrauchsmöglichkeiten wesent- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – lich ein. Außerdem wird dadurch, dass die Versicherten Detlef Parr [FDP]: Guter Vergleich!) selber anhand von Rechnungen die eigenen Behand- Man muss sich also vorher von einer Kasse beraten lungskosten nachvollziehen können, ihr Kostenbewusst- lassen und bekommt dafür von seinem Erstattungsbetrag sein deutlich geschärft. Bonussysteme könnten weitere einen hohen Prozentsatz als Verwaltungskostenanteil ab- Anreize dafür bieten. gezogen. Die Vorteile eines kostenbewusst handelnden Patien- Hinzu kommt, dass das Kostenerstattungsverfahren(D) (B) ten sind inzwischen allgemein bekannt und unbestritten: nur für ganze Bereiche und nicht für einzelne Sektoren, Noch vor kurzem hatten sich die gesetzlichen Kranken- zum Beispiel Zahnersatz oder ambulante hausärztliche versicherungen vehement gegen Selbstbehalte im Rah- Versorgung, gewählt werden kann. Da waren wir vorher men von Krankenkassenbeiträgen ausgesprochen. Seit- weiter: Man konnte dieses System sektorenweise wäh- dem nun aber durch das GMG diese Möglichkeit len. Jetzt geht es um ganze Bereiche. Die Union hat in gegeben ist, entwerfen sie interessanterweise von sich den Konsensgesprächen insoweit stets weiter gehende aus Selbstbehalt-Bonusmodelle; denn sie wissen, dass Wahlmöglichkeiten zugunsten der Patienten angestrebt. dann etwas eigenverantwortlicher bei der Inanspruch- Das war leider nicht durchsetzbar. nahme von Leistungen vorgegangen wird. Liebe Freunde von der FDP, man kann im Nachhinein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) leicht die vollständige Verwirklichung der freien Wahl Ein weiterer positiver Effekt eines Erstattungssystems der Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenver- sind die geringeren Verwaltungskosten. sicherung fordern. Wir wären unserem gemeinsamen Ziel heute schon wesentlich näher, wenn Sie uns damals (Dr. Erika Ober [SPD]: Das glauben Sie doch im Rahmen der Verhandlungen geholfen hätten, die selber nicht, Herr Zöller!) sinnvollen Wahlmöglichkeiten für Patienten weitestge- Ein Kostenerstattungsverfahren hätte nämlich zur Folge, hend auszuschöpfen. dass der gesamte bürokratische Verwaltungsaufwand Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. zwischen Arzt, Kassenärztlicher Vereinigung und Kran- kenkasse – und dann zurück zur Kassenärztlichen Verei- (Beifall bei der CDU/CSU) nigung und zum Arzt – wesentlich vereinfacht werden könnte. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Dr. Erika Ober [SPD]: Und deshalb hat die Ich gratuliere dem Kollegen Zöller zu seiner Punkt- GKV so niedrige Verwaltungskosten?) landung, was die Redezeit betrifft, und weise darauf hin, dass die Rede der Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die Auch dürfte ein Kostenerstattungsprinzip dasVer- Grünen, zu Protokoll gegeben worden ist. hältnis zwischen Arzt und Patient enger, intensiver und vielleicht auch qualitativ besser werden lassen; denn Mit dem Kollegen Michael Hennrich für die CDU/ mehr Mitbestimmungs- und VergleichsmöglichkeitenCSU-Fraktion als letztem Redner erreichen wir dann be- des Patienten korrespondieren hier mit intensiveren Be- reits das Ende dieses Tagesordnungspunkts. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11645

(A) Michael Hennrich (CDU/CSU): – Es besteht eine Pflicht. Ich habe mich noch einmal ver- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gewissert: In § 13 Abs. 2 Satz 2 SGB V steht wortwört- Kollegen! Die CDU/CSU hat im letzten Jahr den Ge-lich: „Sie sind … zu beraten.“ sundheitskompromiss schweren Herzens mitgetragen. (Dr. Erika Ober [SPD]: Sie sind gehalten!) Lieber Herr Kollege Parr, auch wir waren über be- stimmte Einzelregelungen nicht glücklich. Aber anders – Der Unterschied zwischen Ihnen und mir ist: Sie sind als Sie haben wir Verantwortung übernommen und uns Ärztin und ich bin Jurist. Ich weiß, wie das zu verstehen nicht in die Büsche geschlagen. ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Detlef Parr (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und [FDP]: Na, na, na!) der FDP – Dr. Erika Ober [SPD]: Ich sage Ih- nen, wie die Beratung in der Praxis abläuft!) Deswegen kann ich dem Herrn Kollegen Zöller nur bei- pflichten, der ganz deutlich betont hat, dass wir im Hin- Wenn Sie die Krankenkassen ermächtigen, den Ver- blick auf das Kostenerstattungsprinzip ein ganzes Stück sicherten zu beraten – Sie wissen, welche Skepsis es weiter wären, wenn Sie sich an den Verhandlungen be- hierbei bei den Krankenkassen gibt; sie scheuen viel- teiligt hätten. leicht ein Stück weit den Verwaltungsaufwand, der dann bei ihnen entsteht –, ist doch das Ergebnis von vornhe- Wir haben über die Vorteile des Kostenerstattungs- rein klar: Die Krankenkassen sagen dem Versicherten: prinzips, über die Aspekte Transparenz, Kostenbewusst- Nehmen Sie von der Behandlung Abstand! Deswegen sein und Verwaltungskosten, schon ein Stück weit ge- halte ich fest: Wir hätten unseren Bürgern etwas mehr sprochen. Frau Kollegin Ober, Sie haben vorhin gemurrt, Mündigkeit zutrauen können. Das haben Sie uns versagt. als gesagt wurde, dass das Kostenerstattungsprinzip letztendlich zu Kosteneinsparungen führen kann. Sie Ich möchte noch ein Vorurteil ausräumen, das in der sehen im Grunde genommen nur das Verhältnis zwi-Diskussion über das Kostenerstattungsprinzip immer schen dem Patienten und der Krankenkasse. wieder vorgebracht wird, das Vorurteil, dass die so ge- nannte Verkäuferin nicht in Vorleistungen treten kann. (Dr. Erika Ober [SPD]: Nein!) Dies wird immer wieder von Ihren Kolleginnen und Kol- Aber es gibt noch das Verhältnis zwischen der Kassen- legen in Anwendung gebracht, indem gesagt wird,Ge- ärztlichen Vereinigung und der Krankenkasse ringverdiener könnten die Kosten im Grunde genom- men gar nicht vorstrecken. Wie sieht es denn in der (Dr. Erika Ober [SPD]: Das kenne ich sehr Praxis aus? Wenn ein Arzt eine höhere Rechnung, zum gut!) Beispiel eine Rechnung über 2 000 oder 3 000 Euro, (B) und das Verhältnis zwischen Arzt und Krankenkasse. Es stellt, dann gewährt er ch do ein Zahlungsziel von(D) gibt also auch noch andere Aspekte. 30 Tagen. Sie können diese 30 Tage ausschöpfen und die Rechnung bei der Krankenkasse einreichen. Dann dauert (Dr. Erika Ober [SPD]: Als KV-Mitglied es vielleicht zehn bis 14 Tage und dann haben Sie das kenne ich das!) Geld auf dem Konto. Zudem denke ich, dass bei einer Kostenerstattung die (Detlef Parr [FDP]: Genau!) Patientenrechte gestärkt werden können, weil sich der Versicherte im Gespräch mit seinem Arzt berät und sich Wenn dann jemand ganz clever ist, legt er das Geld noch über die Vor- und Nachteile einer Behandlung aufklären 14 Tage an, bekommt dafür Zinsen und bezahlt dann die lässt. Rechnung des Arztes. Ihre Aussage stimmt also nicht. (Dr. Erika Ober [SPD]: Über die Kosten!) (Dr. Erika Ober [SPD]: Mit der Kostenerstat- tung wird es teurer!) – Wenn Sie sich von einem Arzt beraten lassen, dann geht es nicht nur um die Kosten. Da werden Sie vielmehr Zum Schluss möchte ich noch auf einen Aspekt ein- umfassend beraten. Schauen Sie einmal, welche Bera- gehen, den wir schon angerissen haben, der aber in die- tung zwischen Privatversicherten und Ärzten erfolgt! Da sem Zusammenhang noch nicht vertieft diskutiert funktioniert dieses Prinzip auch. Ich denke mir, dass eine wurde: das Thema Europa. Wenn sich ein Versicherter Kostenerstattung bei der GKV ebenso funktionierenin der Europäischen Union, zum Beispiel in Frankreich würde. oder Italien, behandeln lässt, braucht er vorher keine Ge- nehmigung. Er lässt sich also behandeln, fährt zurück, (Beifall bei der CDU/CSU) reicht die Rechnung bei seiner Kasse ein und dann wird Frau Ober, Ihr Bild von dem Versicherten ist das eines sie bezahlt. Wenn Sie sich im Inland behandeln lassen unmündigen Bürgers. müssen und Sie das Kostenerstattungsprinzip wählen, brauchen Sie vorher eine Genehmigung, eine Wirtschaft- (Dr. Erika Ober [SPD]: Nein!) lichkeitsprüfung und all das, was vorhin aufgeführt wurde. Sie haben vorhin einen kleinen Fehler gemacht, als Sie gesagt haben, es bestehe keinePflicht zur Bera- (Dr. Erika Ober [SPD]: Das macht auch Sinn, tung. Herr Hennrich!) (Dr. Erika Ober [SPD]: Nein, es besteht keine – Dann frage ich mich aber, mit welcher Begründung Sie Pflicht!) jemanden, der sich im EU-Ausland behandeln lässt, 11646 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Michael Hennrich (A) privilegieren, während Sie dann, wenn sich jemand im Auch hierzu soll, interfraktionell vereinbart, eine(C) Inland behandeln lässt, einen riesengroßen bürokrati-halbstündige Debatte stattfinden. – Dazu höre ich keinen schen Wahn aufbauen. Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- Dr. Erika Ober [SPD]: Wenn das die Regel nächst dem Kollegen Klaus Barthel für die SPD-Frak- wäre, würden wir es anders machen! Aber es tion. ist Gott sei Dank nur die Ausnahme!) – Es ist so. Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol- Ich sage Ihnen eines: Wir brauchen nur darauf zu war- leginnen und Kollegen! Vor gut zehn Jahren haben Bun- ten, dass der Erste klagt und sagt: Ich möchte im Inland destag und Bundesrat mit verfassungsändernder Mehr- genauso behandelt werden wie im Ausland. heit die Postreform II verabschiedet. Wie immer man (Dr. Erika Ober [SPD]: Mit gleicher Qualität!) dazu steht, wir halten heute fest: Die SPD hat es damals zur Bedingung gemacht und auch durchgesetzt, dass ne- Ich möchte nicht die Beratungspflicht in Anspruch neh- ben anderen Gemeinwohlverpflichtungen die Rechte men. – Er wird vom EuGH Recht bekommen und dann und Interessen der Beschäftigen gewahrt werden, und sind wir als Gesetzgeber wieder die Gehetzten, die einer zwar aller Beschäftigten, egal ob sie Beamtinnen oder europäischen Rechtsprechung hinterherlaufen. Stattdes- Beamte, Arbeiterinnen oder Arbeiter oder Angestellte sen könnten wir auch bewusst im Vorfeld agieren und sind. Wir sehen uns hier im Wort. das Kostenerstattungsprinzip schon jetzt einführen. Wir alle wissen: Die Beschäftigten der Nachfolgeun- Herr Kollege Zöller hat das Thema der approbierten ternehmen der Deutschen Bundespost haben in den letz- Ärzte schon angesprochen. Das ist sicherlich ein Pro- ten zehn Jahren viel mitgemacht; sie haben aber auch blem. Ich möchte einen zusätzlichen Aspekt erwähnen: viel gearbeitet und konstruktiv mitgestaltet. Sie haben Wenn Sie jeden approbierten Arzt im Rahmen des Kos- den Abbau Zigtausender Arbeitsplätze, permanente Um- tenerstattungsprinzips zur Behandlung zulassen, haben strukturierungen und steigenden Leistungsdruck erlebt. Sie das Problem, dass die Krankenkasse nicht mehr Ver- Ohne sie würden heute weder die Post AG noch die tragspartner der Ärzte ist. Wenn wir von Eigenverant- Telekom AG als erfolgreiche Global Player dastehen. wortung sprechen, dann darf das nicht heißen, dass wir die Krankenkassen aus der Verantwortung entlassen. (Beifall des Abg. Clemens Binninger [CDU/ Deswegen stehen wir Ihrem Antrag noch ein Stück weit CSU]) (B) offen gegenüber. Wir warten ab, was die Anhörung brin- – Ich bedanke mich für den Beifall. (D) gen wird. Aber ich denke, er geht im Prinzip in die rich- tige Richtung. Trotzdem reden manche Leute so, als wären diese Be- schäftigten, insbesondere die Beamtinnen und Beamten Herzlichen Dank. unter ihnen, vor allem als Ballast zu sehen, als träge (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Masse, der man Beine machen muss und der man sich Hans-Peter Kemper [SPD]: Eine dramatische möglichst schnell entledigt. Rede!) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Schauen Sie mal in den Gesetzentwurf von Ihnen!) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Wenn ein solcher Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt, Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird dann löst er natürlich erst einmal Ängste aus, Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3511 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja!) schlagen. Ich vermute, dazu besteht Einverständnis. – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. wenn in ihm von Flexibilisierung und dem Wegfall von Zahlungen die Rede ist. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja!) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs einesErsten Deswegen hat die Mobilisierung der Betroffenen bis in Gesetzes zur Änderung des Postpersonal-die letzten Tage angehalten. Dabei gab es auch Übertrei- rechtsgesetzes bungen und falsche Ängste. Für wichtig halte ich, dass hierbei auch ein dauerhaftes Engagement zum Ausdruck – Drucksachen 15/3404, 15/3591 – gebracht wurde. Es ist keine Resignation und kein Ab- wenden von der Politik, wie wir das von anderen Berei- (Erste Beratung 118. Sitzung) chen kennen. Vielmehr handelte es sich um eine sach- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- liche Diskussion, die dann auch zu einem Ergebnis ses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) geführt hat. – Drucksache 15/3732 – (Beifall bei der SPD) Berichterstattung: Zum Schluss war aber allen gemeinsam alles klar: Abgeordneter Klaus Barthel (Starnberg) Wir mussten handeln, weil wir den Beschäftigungspakt Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11647

Klaus Barthel (Starnberg) (A) bei der Deutschen Telekom ermöglichen müssen. Wir der Post und bei der Postbank künftig die Sonderzahlun- (C) mussten handeln, weil wir praktikable Regelungen zum gen in ihrem Gesamtvolumen allen Beschäftigtengrup- Einsatz von Beamten bei Tochterunternehmen von Post pen zugute kommen. Wir haben die Befürchtung gehört, AG und Telekom AG schaffen müssen. Und wir mussten die Sonderzahlung werde ersatzlos wegfallen; durch das handeln, weil wir es dem Bundesfinanzministerium er- Gesetz, das wir heute verabschieden werden, haben wir möglichen müssen, auf dem Verordnungsweg Regelun- sie gegenstandslos gemacht. gen der Sozialpartner abzubilden, die auch den immer unterschiedlicher werdenden Anforderungen der beiden (Beifall bei der SPD) Betriebe gerecht werden. Das alles war mit dem alten Drittens. Mehrarbeit muss weiterhin in erster Linie Recht eben nicht mehr möglich. durch Freizeit ausgeglichen werden. Das passt in die Lo- Neue Handlungsspielräume für die Unternehmen gik des Gesetzes. müssen aber mit den entsprechenden Sicherungen,Viertens. Bei der In-sich-Beurlaubung bleibt es bei Schutzmechanismen und Mitbestimmungsregelungen der Freiwilligkeit. Sie kann über zehn Jahre hinaus ver- ausbalanciert werden. längert werden, aber nur im gegenseitigen Einverneh- Wir bekennen uns ausdrücklich dazu, dass wir die Ar- men. beitsbedingungen und die Rechte aller Beschäftigten si- Sie sehen: Bei allen notwendigen Anpassungen an chern, aber auch harmonisieren wollen. Es kann nämlich Veränderungen haben wir Wort gehalten. Die Interessen nicht sein, dass es vom Status eines Beschäftigten und der Beamtinnen und Beamten sind gewahrt, die verfas- von der Unternehmenskonstruktion abhängt, ob ein Be- sungsrechtlichen Bedenken berücksichtigt, negative schäftigter an derselben Stelle mit demselben Geld inAuswirkungen für Arbeiter und Angestellte ausgeschlos- derselben Tätigkeit arbeitet oder nicht arbeitet. sen sowie die Verhandlungsrechte von Betriebsräten und (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Schauen Sie Gewerkschaften gesichert. in den öffentlichen Dienst!) Jetzt kommen wir zu Ihnen: Das hat die Koalition Gleichzeitig haben wir aber auch die beamtenrechtli- wieder einmal alleine machen müssen. Abgeordnete von chen Grundsätze beachtet. Ich will kurz auf die Haupt- Union und FDP haben zwar keine Gelegenheit verstrei- probleme eingehen und sie benennen. chen lassen, in Verbandspostillen und auf Veranstaltun- gen zu posieren Der erste Problembereich ist die Zuweisung. Künftig können die Unternehmen Beamtinnen und Beamte auch (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das kennen ohne Zustimmung zu Töchtern versetzen, also „zuwei- Sie doch!) (B) sen“, wie dieser schreckliche obrigkeitsstaatliche Begriff (D) heißt. Aber wir nehmen die Befürchtungen und die Re- und sich mit starken Worten für das Berufsbeamtentum alität der Beschäftigten ernst und machen deutlich: Es aufzuplustern. Ich brauche hier nicht alle Namen und darf dabei keine Willkür geben. Der Rahmen ist die be- Aussagen dazu zu nennen, die Bosbachs und wie sie alle triebliche Mitbestimmung und sind die Zumutbarkeits- heißen. Aber eine besondere Reformerin soll heute er- kriterien, wie sie sonst im jeweiligen Unternehmen auch wähnt werden. Ich zitiere aus einer Verbandszeitschrift: gelten. „Angela Merkel sagte den Beschäftigten ihre Unterstüt- zung zu.“ Sie wird dann wörtlich zitiert: „Sie können ge- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Die stehen wiss sein, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weiter aber nicht im Gesetz! – Gegenruf des Abg. ein offenes Ohr für die besonderen Anliegen usw. Klaus Brandner [SPD]: Das ist auch gut so!) hat …“ Der zweite Bereich betrifft dieSonderzahlungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch das steht in der Begründung; das können Sie nach- lesen Angesichts dieser Worte und dieses Beifalls von Ih- nen hätten wir uns gefreut, von Ihnen dazu irgendetwas (Clemens Binninger [CDU/CSU]: In der Be- zu hören oder zu lesen. Wir hatten Sie gebeten, uns Ihre gründung, aber nicht im Gesetz!) Änderungsvorschläge mitzuteilen, aber bis zum heuti- und das ist verbindlich. Durch die Regelung hinsichtlich gen Tag haben Sie es nicht geschafft – weder Union der Sonderzahlungen machen wir den Beschäftigungs- noch FDP –, auch nur eine Zeile zu verfassen. Wir hätten pakt bei der Telekom möglich, denn es darf nicht sein, mit Ihnen über alles gesprochen. dass an der Form der Sonderzahlung so etwas wie die Si- Das muss man sich sowieso einmal auf der Zunge cherung von 10 000 Arbeitsplätzen scheitert. Das kann zergehen lassen: Ausgerechnet die Radikalreformer des doch nicht wahr sein! Arbeitsmarktes von Merkel über Singhammer bis zur (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ FDP, die den Kündigungsschutz abschaffen und Arbeits- DIE GRÜNEN) lose zur Manövriermasse machen wollen, ausgerechnet Sie schwingen sich hier zu den Rettern des Berufsbeam- Wenn sich die Sozialpartner zum Erhalt von Tausen- tentums nach dem Modell des 19. Jahrhunderts auf! Das den von Stellen auf Arbeitszeitverkürzung bei teilwei- ist doch absurd hoch drei. sem Einkommensausgleich einigen, dann müssen wir den rein formalen Weg dafür frei machen. Wir haben da- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ für gesorgt, dass genauso wie bei der Telekom auch bei DIE GRÜNEN) 11648 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

(A) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Marktanteile abgeben. Das hat natürlich Auswirkungen (C) Herr Kollege, Sie bedenken bitte, dass für weitereauf den Personalkörper, es sei denn, das Wirtschaft- nahe liegende Attacken leider keine Zeit mehr ist. wachstum wäre so groß, dass es diese Veränderungen absorbieren könnte. Leider ist das bei diesem Umfeld Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): und den Bedingungen, die Rot-Grün zu verantworten Ich bedenke die Zeit. – Wenn Sie also heute hier die hat, nicht zu erwarten. Gesetzesnovelle ablehnen, dann tragen Sie die Verant- Wir sehen aber ganz klar die Notwendigkeit von Ver- wortung dafür, dass es Beamtinnen und Beamte ohneänderungen. Wir stimmen diesem Gesetz dennoch nicht Beschäftigung hier und verschärften Druck dort gibt. zu. Lassen Sie mich dazu drei Gründe in aller Kürze an- (Klaus Brandner [SPD]: Herr Präsident, der führen. Patient steht noch!) Zunächst zum Verfahren: Dieses Gesetz liegt seit Sie tragen die Verantwortung dafür, dass es eine Ver-fast zwei Jahren in den Schubladen der Bundesregie- drängung von Arbeitern und Angestellten bei Post und rung. Es hätte in aller Ruhe beraten werden können. Telekom im Osten durch Beamte aus dem Westen geben Jetzt, nachdem die Unternehmen Tarifverträge abge- wird. Sie verantworten den Abbau von 10 000 Arbeits- schlossen haben, ist Eilbedürftigkeit gegeben, weil damit plätzen bei der Deutschen Telekom. Sie verhindernspätestens im Oktober eine Ungleichbehandlung zwi- einen vernünftigen Personaleinsatz in den Unternehmen. schen Beamten und Angestellten gedroht hätte. Dadurch wurde eine Beratung so, wie wir sie uns gewünscht und vorgestellt haben, unmöglich. Diese Fehler im Verfahren Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: fallen allein auf Sie zurück. Herr Kollege, ich hatte eigentlich angenommen – – (Klaus Brandner [SPD]: Das ist jetzt Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): lächerlich!) Also geben Sie sich bitte einen Ruck und stimmen Sie Es gibt aber auch inhaltliche Gründe, von denen Sie der geänderten Fassung des Gesetzes zu. selbst wissen, wie problematisch sie sind. Ich will mich auf zwei beschränken. Der eine Punkt betrifft die Frage Als Berichterstatter darf ich mich noch bei allen be- der Zuweisung auch gegen den Willen der Betroffenen. danken, die an diesem erfolgreichen Gesetz, wie es uns Die Anhörung hat ergeben, dass es eine Reihe von ver- heute vorliegt, mitgewirkt haben. Ich glaube, damit kön- fassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Zuweisung nen wir uns gut sehen lassen. auch gegen den Willen der Betroffenen gibt. Ich meine, (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass mit einigem guten Willen durchaus ein Weg hätte(D) DIE GRÜNEN) gefunden werden können, (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wo waren Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ihre Vorschläge?) Das Wort hat nun der Kollege Johannes Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion. um diese Bedenken auszuräumen. Bei der Regelung, die Sie jetzt in den Gesetzentwurf aufgenommen haben, be- stehen diese Bedenken allerdings weiterhin. Johannes Singhammer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- In diesem Zusammenhang bleibt eine Reihe von Fra- ren! Bei diesem Gesetz mit dem langen Namen – Post- gen unklar. Was geschieht beispielsweise, wenn diese personalrechtsänderungsgesetz – geht es um rundZuweisung, also die Abordnung an ein Tochter- oder En- 160 000 Beamtinnen und Beamte und deren Familienan- kelunternehmen der beiden Großunternehmen, die priva- gehörige, die sich vor zum Teil vielen Jahren für einetisiert sind, gegen den Willen der Beamten erfolgt, diese Beamtenlaufbahn beworben haben und auch genommen Unternehmen sich jedoch später in ihrem Status verän- worden sind. Damit haben sie eine Reihe von Rechten, dern, also beispielsweise nicht mehr zu Post oder Tele- aber auch Pflichten übernommen. kom gehören, wenn sich auch die Eigentumsverhältnisse ändern? Wer informiert dann die betroffenen Beamten Wir wollen eines nicht, nämlich dass diese Beamtin- rechtzeitig? nen und Beamten als Ballast empfunden werden. Wir wollen, dass sie als Kapital für die beiden Unternehmen Diese Fragen sind nicht rein akademischer Natur. Sie Post und Telekom angesehen werden und dass sie bei al- sind sehr wichtig für die rechtliche Einordnung und den len Veränderungen auf einer festen Grundlage stehenBetriebsfrieden. Wir hätten uns hier eine entsprechende bleiben, auf die sie sich verlassen können. Regelung gewünscht und ich denke, sie wäre auch er- reichbar gewesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Klaus Brandner [SPD]: Herr Singhammer, Wir wissen, dass sich Post und Telekom in einem wir haben das gerade gesetzlich geregelt und Umstrukturierungsprozess befinden. Das möchte ich Sie haben dagegen gestimmt! Sie wollten vorausschicken. Beide befinden sich in einem Regulie- keine offensiven Informationsrechte!) rungsprozess. Regulierung bedeutet im Klartext die Ab- gabe von Marktanteilen. Das ist der Sinn der Regulie- Lassen Sie mich noch auf einen weiteren strittigen rung. Die großen ehemaligen Monopolisten sollenPunkt eingehen, nämlich den Wegfall derSonderzah- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11649

Johannes Singhammer (A) lungen. Die Regelung, die Sie jetzt vorschlagen, führt Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE (C) allein schon zu einer schwer verständlichen Ungleichbe- GRÜNEN): handlung der beiden Unternehmen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vor- würfe der Opposition kann ich wirklich nicht nachvoll- (Klaus Brandner [SPD]: Das müssen doch die Par- ziehen. teien regeln! Was mischen wir uns da ein?) (Klaus Brandner [SPD]: Ich auch nicht! – Bei dem Postunternehmen werden die Sonderzahlun- Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das können gen – im Klartext heißt das Weihnachtsgeld – dazu be- die selber nicht!) nutzt, eine neue Form der Entlohnung in Form von Leis- tungsprämien zu erstellen. So weit, so gut. Denn die komplizierte Situation im Bereich des Postper- sonalrechtsänderungsgesetzes, die wir übernommen ha- (Klaus Brandner [SPD]: Sind Sie gegen Leis- ben, ist durch die Postreform II in den 90er-Jahren von tung, Herr Singhammer?) Ihnen initiiert worden. – Ich bin natürlich für Leistung. Zur Wahrheit und Klarheit dieser Problematik gehört, (Klaus Brandner [SPD]: Das habe ich doch auch zur Kenntnis zu nehmen, dass damals ein unge- erhofft!) wöhnlicher Weg beschritten worden ist. Wir haben Staatsunternehmen privatisiert und gleichzeitig eine Aber, Herr Brandner, Sie wissen doch genau, wo dasgroße Zahl von Beamten in ein Beleihungsverhältnis mit Problem liegt: In dem einen Bereich wird ein neues Sys- diesen privatisierten Unternehmen geschickt. Daraus hat tem der Leistungsprämie installiert, in dem anderen Be- sich im Laufe der Jahre ein Spannungsverhältnis ent- reich, bei der Telekom, wird ein anderes Verfahren ange- wickelt: zwischen wirtschaftlichen Interessen, die von wendet, bei dem es im Klartext um Kürzungen geht. der CDU/CSU auch im Innenausschuss anscheinend in (Klaus Brandner [SPD]: Um Arbeitsplatz- keiner Weise berücksichtigt werden, und den Zusagen sicherung!) gegenüber den Beamtinnen und Beamten, dem Vertrau- ensschutz. Im Gegenzug sollen auf eine bestimmte Weise Arbeits- plätze gesichert werden. Wir haben diesen Gesetzentwurf auch nicht etwa hopplahopp beraten. Ich persönlich bin seit anderthalb (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Was ist da- Jahren mit dieser Problematik befasst. Gemeinsam mit ran zu beanstanden, dass Arbeitsplätze gesi- den Kolleginnen und Kollegen von der SPD haben wir chert werden?) sehr intensive Gespräche mit den Gewerkschaften, mit Verdi und dem Deutschen Beamtenbund, aber selbstver- (B) Allein daran sehen Sie, dass es hier eine Vielzahl von (D) Problemen gibt. ständlich auch mit den Post AGs, also mit den betroffe- nen Unternehmen, geführt. Ich sage Ihnen aber auch, wie der Lösungsweg hätte aussehen können: Man hätte die Regelungen, die für Dann haben wir eineAnhörung durchgeführt, die Bundesbeamte gelten, auf angemessene und synchrone meiner Meinung nach sehr interessant war. Im An- Weise auf die in privatisierten Unternehmen tätigen Be- schluss an diese Anhörung hätten Sie, die Opposition amten übertragen können. von CDU und CSU – so handlungsunfähig sind Sie doch gar nicht –, wenn Sie es gewollt und den Mut dazu ge- (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Dann gibt habt hätten, den Konflikt zwischen Beamtenrecht und es keinen Beschäftigungspakt!) Wirtschaftsinteressen in Ihrer eigenen Fraktion thema- – Natürlich gibt es den. tisieren können. (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Nein! – (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Rainer Funke [FDP]: Genau! Wir können uns GRÜNEN]: Genau!) doch nicht erpressen lassen!) Aber Ihre Fraktion war nicht in der Lage, Änderungsan- Das wäre der richtige Weg gewesen; denn die Übertra- träge zu formulieren, weil Sie diesen Konflikt in Ihrer ei- gung dieser Regelungen wäre systematisch sauber gewe- genen Fraktion nicht auflösen konnten. sen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und bei der SPD) Aus diesen Gründen tragen wir diesen Gesetzentwurf Rot-Grün hat diesen Konflikt aufgelöst. Wir haben ei- nicht mit. Sie werden sehen, dass Sie durch die Eilbe- nige zentrale Forderungen, die in der Anhörung, die Sie dürftigkeit noch weitere Probleme schaffen. Ich fürchte auch angesprochen haben, erhoben worden waren, auf- daher, heute wird nicht das letzte Mal sein, dass sich der gegriffen. Das finde ich auch gut. Ich möchte mich bei Deutsche Bundestag mit diesen Fragen beschäftigt. allen Beteiligten dafür bedanken, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung aus den Fraktionen heraus in sehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) verantwortlicher Weise abgeändert worden ist. So haben wir zum Beispiel sichergestellt, dass der Wegfall der Son- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: derzahlungen erst dann in Kraft tritt, wenn mit Blick auf Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar von die betroffenen Unternehmen eine Verordnung über ein Neuforn für Bündnis 90/Die Grünen. leistungsbezogenes Entgelt bzw. über Sonderzahlungen 11650 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Silke Stokar von Neuforn (A) zustande gekommen ist. Wir haben Rücksicht genom- Ich kann mich noch ganz genau an dieses Gesetzespaket (C) men – ich finde es auch richtig – und als Staat, als parla- erinnern: Es ist ein Kompromiss gewesen. mentarischer Gesetzgeber abgewartet und nicht in die (Klaus Brandner [SPD]: Den haben Sie auch Tarifautonomie eingegriffen. Wir haben erst einmal ge- ganz gut gemacht!) schaut, was Unternehmen und Gewerkschaften im Rah- men eines Beschäftigungspaktes untereinander regeln Wie immer bei Kompromissen hat es gute und böse können; das hat für uns Vorrang. Wir haben sicherge-Tropfen gegeben und auch in letzter Minute haben wir stellt, dass Überstunden auch weiterhin vorrangig durch noch das eine oder andere verändern müssen. Unter an- Freizeit und nicht durch Geld ausgeglichen werden; auch derem wurde festgelegt, dass die Rechtsstellung der be- dies ist eine Forderung der Gewerkschaften. troffenen Beamten durch die Privatisierung unberührt bleibt. Zu Art. 143 b Abs. 3 Grundgesetz heißt es: Hinsichtlich der Zuweisungen möchte ich hier fragen – das müssten Sie dann auch einmal beantworten –: Über Die bei der Deutschen Bundespost tätigen Bundes- welche Zuweisungen haben wir denn im Zusammenhang beamten werden unter Wahrung ihrer Rechtsstel- mit Hartz IV geredet? Was sind das für Zuweisungen ge- lung und der Verantwortung des Dienstherrn bei wesen, die Sie aus den Reihen der Union ja noch erheb- den privaten Unternehmen beschäftigt. lich verschärfen wollten? Ich bin zur Veranstaltung von (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Beschäf- Verdi gegangen und habe den Beamtinnen und Beamten tigt!) gesagt: Jawohl, diese Flexibilisierung, auch woanders als beim Mutterunternehmen beschäftigt werden zu kön- – „Beschäftigt“, jawohl; auch das ist die Verantwortung nen, muss sein. Wer eine lebenslange Arbeitsplatzgaran- der Unternehmen. Und sie sollten nicht anders behandelt tie mit Pensionsanspruch hat, dem muss es doch bittewerden als beispielsweise die Bundesbeamten im verant- schön möglich sein, ein bisschen Flexibilität zu zeigen. wortlichen Bundesfinanzministerium. Wenn 20 000 Beamte beschäftigungslos in diesen Unter- nehmen sitzen, muss man doch etwas mehr Flexibilität An diese Zusage fühlt sich die FDP, fühle ich mich als fordern können. Deshalb müssen in dem Rahmen, den Verhandlungsführer der FDP in diesem kleinen Zirkel wir geschaffen haben, Zuweisungen doch möglich sein. nach wie vor gebunden. Deswegen stimmen wir diesem verfassungswidrigen Gesetz nicht zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Das ist aber starker Zum Schluss will ich Ihnen sagen: Bei Zuweisungen Tobak! – Dr. Uwe Küster [SPD]: So eine ohne Zustimmung muss weiterhin geprüft werden, ob schwache Rede und so ein starkes Wort!) (B) die Zuweisung zumutbar ist. Der Betriebsrat wird im (D) strittigen Fall einbezogen. Die letzte Entscheidung hat Es war das Leitbild der Postreform II, die Postbeam- das BMF. Es wird doch niemand – das ist Propaganda ten hinsichtlich ihres beruflichen Fortkommens den an- gewesen – willkürlich versetzt. Es werden doch nichtderen Bundesbeamten gleichzustellen. Herr Brandner, willkürlich Familien auseinander gerissen. Es gibt ein Sie sind damals vonseiten der SPD zu den Beamten ge- Verfahren der Abwägung, was zumutbar ist und wasgangen und haben entsprechende Zusagen gemacht. nicht. (Klaus Brandner [SPD]: Nicht besser und Ich denke, dass Rot-Grün hier gute Arbeit geleistet nicht schlechter gestellt!) hat. Wir haben Verantwortung übernommen und einen Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern. Sie hal- Interessenausgleich geschaffen. Ich verstehe, ehrlich ge- ten hier nicht Wort. Das muss man leider sagen. sagt, nicht, wieso Sie das Verfahren nicht mitgestaltet haben und unsere Ergebnisse einfach nur ablehnen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU] – Klaus Brandner Danke schön. [SPD]: Nein, nein! Wir organisieren faire neue (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Chancen!) und bei der SPD) Sie von der SPD sagen, wirhätten nicht mitgewirkt. Sie wissen ganz genau, Herr Kollege Barthel, dass das Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: eine schlichte Lüge ist. Wir haben uns immer wieder für Nächster Redner ist der Kollege Rainer Funke, FDP- Berichterstattergespräche angeboten. Sie haben uns statt- Fraktion. dessen Ihre Änderungswünsche am Montagabend zu nachtschlafener Zeit gegeben. Rainer Funke (FDP): (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wann schlafen Sie Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grundlage denn schon?) der Privatisierung der Postunternehmen im Am Mittwoch sollten wir sie im Ausschuss abnicken. Es Jahre 1994 ist das Gesetzespaket zur Postreform II. gab kein Berichterstattergespräch, obwohl wir mehrfach Dieses Gesetzespaket wurde vom Deutschen Bundestag darum gebeten haben. mit großer Mehrheit – im Übrigen, Herr Brandner, auch mit den Stimmen der SPD – beschlossen. Verhandlungs- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE führer waren damals Herr Clement auf der SPD-Seite, GRÜNEN]: Sie hätten wochenlang selbst wel- Herr Bötsch von der Union und ich auf der FDP-Seite. che schreiben können!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11651

Rainer Funke (A) Das ist eine schlechte parlamentarische Übung. Sie soll- in den Tochter- und Enkelunternehmen beschäftigt wer- (C) ten sie nicht fortsetzen. den können, soweit es sich um Unternehmen handelt, die sich mehrheitlich im Bundesbesitz befinden. Hierdurch Solch wichtige Gesetze sollten wir parlamentarisch ist gewährleistet, dass die Beamten zwar umgesetzt wer- sauber miteinander beraten und nicht erst in letzter Mi- den können, nicht aber in ihren angestammten Rechten nute mit Änderungen versehen in die Ausschüsse geben. beschnitten werden. Solch schwierige Gesetze sollten wir gemeinsam erar- beiten. Zum Beispiel bezüglich der Zuweisung an Toch- Ich denke, diese Regelung ist insbesondere unter dem ter- und Enkelgesellschaften wären wir zu Kompromis- Aspekt zumutbar, dass es sich bei den Betroffenen um sen bereit gewesen. Bundesbeamte handelt, die wie alle anderen Bundesbe- amten auch bundesweit einsetzbar sein müssen. Herr (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Warum ha- Funke, die Bundesbeamten unterschreiben das, wenn sie ben Sie uns denn nichts gesagt?) ins Beamtenverhältnis eintreten. – Wir haben Ihnen das mehrfach gesagt und wir haben (Rainer Funke [FDP]: Ich weiß das! – Silke Anhörungen in der eigenen Fraktion dazu durchgeführt. Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das war auch notwendig. Sie haben sich verweigert. NEN]: Das müssen die Polizei und der BGS Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. auch!) (Beifall bei der FDP und der CDU/Ich beziehe mich jetzt einmal ausschließlich auf die CSU – Klaus Brandner [SPD]: Herr Funke, Post AG. Ich weiß, dass dieses Thema im Vorfeld angst- Sie wollen aber nicht behaupten, dass Sie die besetzt war. Wir wissen natürlich auch, dass wir es bei Änderungen verschlafen haben, oder? – Silke den Postbediensteten nicht nur mit A-15-, A-16- oder Stokar von Neuform [BÜNDNIS 90/DIE B-Besoldeten, sondern auch mit vielen Beamten des ein- GRÜNEN]: Sie werden doch wohl Ände- fachen und des mittleren Dienstes zu tun haben. Dem ha- rungsanträge schreiben können!) ben wir Rechnung getragen. Unter besonderer Beach- tung der Zumutbarkeitskriterien, wie es sie bei den Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Tarifbeschäftigten gibt, haben wir eine Rationalisie- Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Kemper, SPD- rungsschutzklausel mit aufgenommen. Das schützt die Fraktion. Beamten. So ist ausgeschlossen, dass die Beamten unzu- mutbar versetzt und belastet werden können. Ich glaube, wir haben in diesem Punkt den berechtigten Anliegen Hans-Peter Kemper (SPD): der Beamten Rechnung getragen. Nach unserem Dafür- (B) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halten sind Ängste in diesem Punkt völlig unbegründet. (D) bin froh, dass wir heute mit der Verabschiedung des Postpersonalrechtsgesetzes ein Gesetzesvorhaben zu (Beifall bei der SPD) Ende bringen, das im Vorfeld für starke Unruhe gesorgt In einem zweiten Schritt ging es um die Jahresson- hat und das im Prinzip auch starke Ängste ausgelöst hat. derzahlungen. Das ist so geregelt worden, dass bei der Es handelt sich hier um die Beseitigung der Spätfol- Telekom die Jahressonderzahlungen mit der Arbeitszeit- gen der Privatisierung von Bundesbehörden unter verkürzung zur Rettung von Zehntausenden von Arbeits- Beibehaltung des Beamtenverhältnisses für circaplätzen verrechnet worden sind. 160 000 Beamte. Das ist eine völlig atypische Konstella- Bei der Post sollten die Sonderzahlungen in eine tion, die aber damals von der Opposition und der Regie- Leistungsprämie umgewandelt werden. Wir haben für rung gemeinsam beschlossen worden ist. Wir stehen die Beamten im öffentlichen Dienst immer die Einfüh- heute dazu. Diejenigen jedoch, die damals die Verant- rung von Leistungselementen gefordert. Sie haben eifrig wortung hatten, versuchen sich heute aus der Verantwor- genickt und so getan, als ob Sie dabei mitmachen woll- tung zu stehlen. ten. Bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern be- (Beifall bei der SPD – Clemens Binninger stand jedoch die Sorge, dass die Post die Leistungsprä- [CDU/CSU]: Nein, wir stehen dazu! Ihr ändert mien verändern oder streichen könnte, weil diese es ja!) zunächst formaljuristisch abgeschafft werden müssen, um dann auf eine neue Basis gestellt werden zu können. Nun hat sich die Situation ergeben, dass in vielen Hier haben wir festgelegt, dass erst mit In-Kraft-Treten Mutterunternehmen Beamte beschäftigt sind, die nicht einer neuen Rechtsverordnung die alte Leistungsprä- beschäftigt sind. Für sie ist keine Arbeit da. Wir wollen mienregelung verändert werden kann. Das heißt, in die- aber keine arbeitslosen Beamten, wir wollen, dass die sem Jahr bleiben die Sonderzahlungen völlig unver- Beamten ihrer Ausbildung und ihrer Besoldung entspre- ändert. Veränderungen werden sich erst mit In-Kraft- chend adäquat beschäftigt werden. Die Beamten wollen Treten einer neuen Rechtsverordnung ergeben. das im Übrigen auch. Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen:Frei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zeitausgleich. Die Post wollte Überstunden vorrangig DIE GRÜNEN) auszahlen. Dazu haben uns die Arbeitnehmerinnen und Um dies zu gewährleisten, bedurfte es des Instruments Arbeitnehmer erklärt, das führt möglicherweise zu Ar- der Zuweisung. Dieses Instrument bedeutet, dass Be- beitsplatzabbau und eben nicht zur Sicherung bestehen- amte nicht nur in den Mutterunternehmen, sondern auch der Arbeitsplätze. Wir sind dieser Argumentation gefolgt 11652 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

Hans-Peter Kemper (A) und haben vereinbart: Es bleibt bei der jetzigen Rege- Ich muss schon sagen, Frau Kollegin Stokar: Kühler (C) lung, dass Überstunden zunächst durch Freizeit abgebaut und abweisender, als Sie ihn formuliert haben, kann man werden und erst dann, wenn das nicht möglich ist, vergü- einen Beitrag nicht vortragen. tet werden. Damit haben wir die Sorgen der Beschäftig- ten aufgenommen. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl das Letzte!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Beschäftigten kamen in Ihrer Rede wie auch in der DIE GRÜNEN) Argumentation im Innenausschuss nicht ein einziges Ich bin der Meinung, dass wir in zähen und schwieri- Mal vor. Das zeigt Ihre wahre Haltung. Es geht hier aber gen Verhandlungen mit den Arbeitnehmern, den Ge-auch um die Beschäftigten. werkschaften und den Betriebsräten ein Höchstmaß an (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – sozialer Sicherheit erzielt haben, gleichzeitig aber auch Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Zwängen GRÜNEN]: Lesen Sie doch die Rede einmal bei der Privatisierung von Bundesunternehmen Rech- nach! Das stimmt doch überhaupt nicht! – nung getragen haben. Klaus Brandner [SPD]: Sie müssen aufpassen! Noch ein Wort an die Opposition. Ich kann Ihnen nur Das wird alles mitstenografiert!) raten, Dingen, die Sie im Prinzip längst als richtig er- Dass sich diese Unternehmen einem stärkeren Kon- kannt und im Vorfeld immer wieder gefordert haben, zu- kurrenzdruck stellen müssen, ist unbestritten. Dass diese zustimmen, wenn es darauf ankommt. Ich war über Ihre Unternehmen dazu Instrumente brauchen, um ihr Perso- Argumente, Ihre ablehnende Haltung im Innenausschuss nal flexibel einzusetzen, bestreiten wir auch nicht. und ebenso über Ihre heutige Ankündigung der Ableh- nung erstaunt, überrascht und auch verärgert. Sie reden (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wo waren stets einer leistungsbezogenen Beamtenbesoldung das Ihre Vorschläge?) Wort. Wenn es aber Ernst wird, dann kneifen Sie. Das ist Wenn jetzt aber als Einschnitte die Streichung der Son- Populismus pur. derzahlung und die Zuweisung auch gegen den Willen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des Beschäftigten vorgeschlagen werden, DIE GRÜNEN) (Klaus Brandner [SPD]: Hier wird nichts ge- Die Handlungsweise, die Sie hier an den Tag legen, strichen! Sagen Sie nicht die Unwahrheit! Sie erinnert mich ganz fatal an Ihre Verhaltensweise bei der verunsichern die Leute nur!) (B) Agenda 2010. Sie haben über den Bundesrat Verschär- muss man zumindest die Frage stellen, ob diese beiden (D) fungen herbeigeführt und überall zugestimmt. Als esMaßnahmen auch mehr Beschäftigung bringen. Das war dann jedoch Ernst wurde, haben Sie sich in die Büsche doch das Argument. Sie müssen sich schon vorhalten geschlagen. Das ist keine seriöse Politik. Die Wählerlassen, dass die Skepsis der Beschäftigten ihre Gründe werden Ihnen auf die Schliche kommen; da bin ich ganz hat. sicher. (Zuruf von der SPD: Keine Sternstunde!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) – Zuhören wäre auch eine Sternstunde, Frau Kollegin. – Herr Funke hat es angesprochen: Vor mehr als zehn Jah- ren hat man den Beschäftigten etwas zugesichert und Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: den Art. 143 b ins Grundgesetz geschrieben. Die Realität Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollegeheute sieht in Teilen anders aus. Ich sage bewusst: in Tei- Clemens Binninger, CDU/CSU-Fraktion. len. Man muss die Sorgen der Beschäftigten ernst neh- men, dass die Zuweisung so angewandt wird, dass sie Clemens Binninger (CDU/CSU): weit unter Wert beschäftigt werden. Wir alle, auch Sie, haben Briefe bekommen, in denen sich Beschäftigte be- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenklagen und sagen, dass sie gerne das arbeiten wollen, und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn wirwas sie können und was sie gelernt haben, sie aber unter heute über das Postpersonalrechtsgesetz und die vorge- Wert eingesetzt werden. Das sollte man wenigstens ernst sehenen Änderungen debattieren, geht es um Begriffe nehmen. wie Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit, aber auch um Begriffe wie Verlässlichkeit und Vertrauen. (Widerspruch bei der SPD) 160 000 ehemalige Bundesbeamte arbeiten nochMan kann darüber diskutieren, aber Sie blenden das heute bei den börsennotierten Unternehmen Post AG,komplett aus. Sie machen bei dieser Reform die gleichen Postbank AG und Telekom AG. Diese 160 000 Beschäf- Fehler wie bei Hartz IV. tigten haben schon 20 oder 30 Berufsjahre hinter sich. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Sie haben vor vielleicht 30 Jahren ihre Berufswahl ge- GRÜNEN]: Stimmt nicht!) troffen, sich qualifiziert und diese Unternehmen zu dem gemacht, was sie heute sind: erfolgreiche Global Player Die Reform ist technokratisch und Sie haben nur das im Bereich der Telekommunikation oder der Postdienst- Fordern im Blick. Das Fördern kommt bei Ihnen nicht leistungen. vor. Schauen Sie sich beispielsweise die Realität bei Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11653

Clemens Binninger (A) Vivento an. Es sitzen hoch qualifizierte Mitarbeiter, auch geschrieben. Das sind die Mängel, die heute wieder zu- (C) Fernmeldeingenieure, zu Hause und warten jeden Tag tage gekommen sind. auf den Anruf. Wenn der bis 9 Uhr nicht kommt, ist der Rest des Tages frei. Der Anruf kommt so gut wie nie. (Widerspruch bei der SPD) Das ist nicht zufriedenstellend. Sie müssen der Bevölkerung in diesem Land auch klar machen – das nur am Rande –, warum sich die Post (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE auf der einen Seite aus der Fläche immer mehr zurück- GRÜNEN]: Das ist richtig!) zieht – das ist rechtlich nicht zu beanstanden, für die Be- Die Beschäftigten zermürbt das, sie gehen seelisch ka- völkerung aber sehr schmerzhaft –, auf der anderen Seite putt. aber für das Personal keine Arbeit da ist. Auch mit dieser Frage müssen wir uns auseinander setzen. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb ändern wir das!) Wir haben Ihnen nicht zugestimmt und werden Ihnen nicht zustimmen, weil Sie von den vier Begriffen, die ich Das ist die Vorstufe zur Frühpensionierung. Das wollen eingangs genannt habe, die Begriffe Verlässlichkeit und wir nicht. Vertrauen mit Füßen treten. Bei Ihnen sind die Beschäf- tigten nicht gut aufgehoben. Deshalb stimmen wir mit (Klaus Brandner [SPD]: Dann sagen Sie, was Nein. Sie wollen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sie brauchen mir nicht zu sagen, dass mit den Maßnah- [Klaus Brandner [SPD]: Sie ducken sich wie- men, die Sie heute auf den Weg bringen, dieser Mangel der weg vor der Verantwortung – Hans- bei Vivento beseitigt werden könnte. Mit der Streichung Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Weihnachtsgeldes wird doch nicht der Mangel besei- NEN]: Immer noch keine Vorschläge!) tigt, er wird noch schlimmer. (Klaus Brandner [SPD]: Das Weihnachtsgeld Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: wird nicht gestrichen! Behaupten Sie nicht die Es gibt nun noch eine Rede, die die Kollegin Petra Unwahrheit, Herr Binninger!) Pau allerdings zu Protokoll gegeben hat. Um einer Mär entgegenzutreten: Wir hätten schon Damit schließe ich die Aussprache. mitgemacht und Veränderungen mitgetragen. Aber tun Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Sie nicht so, meine Damen und Herren von der Regie- (B) desregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Geset- (D) rung, als ob unsere Anträge Sie in Ihrer festgelegten und zes zur Änderung des Postpersonalrechtsgesetzes auf vorgefassten Meinung jemals beeindruckt hätten. Sie be- den Drucksachen 15/3404 und 15/3591. Der Ausschuss eindruckt doch nur unsere Mehrheit im Bundesrat. Argu- für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner Beschluss- mente hier haben Sie doch noch nie beeindruckt. Also empfehlung auf Drucksache 15/3732, den Gesetzent- lassen Sie die Bemerkung, dass wir keine Anträge ge- wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte schrieben haben. diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt Rainer Funke [FDP]) dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Wir wären einen Weg mitgegangen, den ich nennen Wir kommen zur möchte, damit er im Protokoll steht. Kollege Kemper hat immer wieder darauf hingewiesen, dass man die glei- dritten Beratung chen Regelungen wie bei Bundesbeamten – ich nenne zum Beispiel die bundesweite Versetzung – anwenden und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem soll. Man kann dafür sein, sollte dann aber auch dieGesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen Rechte beachten. Wir hätten dann gefragt, warum eszu erheben. – Wer stimmt gegen diesen Gesetzent- nicht analog zu den Bundesbeamten eine Öffnungsklau- wurf? – Wer möchte sich der Stimme enthalten? – Damit sel zur Sonderzahlung gibt. ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition ge- gen die Stimmen der Opposition angenommen. (Klaus Brandner [SPD]: Die haben Sie doch!) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Bei der Zuweisung verschließen wir uns auch nicht.ordnung. Wenn Arbeit da ist und siezumutbar ist, muss eine Zu- weisung möglich sein. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Mittwoch, den 29. September 2004, 13 Uhr, (Zuruf des Abg. Ludwig Stiegler [SPD]) ein. – Nein, Herr Stiegler, ein Blick ins Gesetz wird Sie eines Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende. Besseren belehren. Im Gesetz steht nämlich nichts von Die Sitzung ist geschlossen. den Rationalisierungsschutzvorschriften. Das wäre unser Wunsch gewesen. Sie haben das nur in die Begründung (Schluss: 14.50 Uhr)

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11655

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bahr (Münster), Daniel FDP 24.09.2004 Otto (Godern), FDP 24.09.2004 Eberhard Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 24.09.2004 Joseph DIE GRÜNEN Piltz, Gisela FDP 24.09.2004

Dr. Friedrich (Hof), CDU/CSU 24.09.2004 Schauerte, CDU/CSU 24.09.2004 Hans-Peter Hartmut

Merz, Friedrich CDU/CSU 24.09.2004 Schüler, Walter SPD 24.09.2004

Neumann (Bremen), CDU/CSU 24.09.2004 Straubinger, Max CDU/CSU 24.09.2004 Bernd

Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes teilgenommen haben

SPD Dr. Peter Danckert Bettina Hagedorn Klaus Kirschner Dr. Herta Däubler-Gmelin Klaus Hagemann Hans-Ulrich Klose Dr. Lale Akgün (B) Karl Diller Alfred Hartenbach Astrid Klug (D) Gerd Andres Martin Dörmann Michael Hartmann Dr. Bärbel Kofler Ingrid Arndt-Brauer Peter Dreßen (Wackernheim) Dr. Heinz Köhler (Coburg) Rainer Arnold Elvira Drobinski-Weiss Nina Hauer Walter Kolbow Hermann Bachmaier Detlef Dzembritzki Hubertus Heil Fritz Rudolf Körper Ernst Bahr (Neuruppin) Sebastian Edathy Reinhold Hemker Karin Kortmann Doris Barnett Siegmund Ehrmann Rolf Hempelmann Rolf Kramer Dr. Hans-Peter Bartels Hans Eichel Dr. Barbara Hendricks Anette Kramme Eckhardt Barthel (Berlin) Marga Elser Gustav Herzog Ernst Kranz Klaus Barthel (Starnberg) Gernot Erler Petra Heß Nicolette Kressl Sören Bartol Petra Ernstberger Monika Heubaum Volker Kröning Sabine Bätzing Karin Evers-Meyer Gisela Hilbrecht Dr. Hans-Ulrich Krüger Uwe Beckmeyer Annette Faße Gabriele Hiller-Ohm Angelika Krüger-Leißner Klaus Uwe Benneter Elke Ferner Stephan Hilsberg Horst Kubatschka Ute Berg Gabriele Fograscher Gerd Höfer Ernst Küchler Dr. Axel Berg Rainer Fornahl Jelena Hoffmann (Chemnitz) Helga Kühn-Mengel Hans-Werner Bertl Gabriele Frechen Walter Hoffmann Ute Kumpf Petra Bierwirth Dagmar Freitag (Darmstadt) Dr. Uwe Küster Rudolf Bindig Lilo Friedrich (Mettmann) Iris Hoffmann (Wismar) Christine Lambrecht Lothar Binding (Heidelberg) Iris Gleicke Frank Hofmann (Volkach) Christian Lange (Backnang) Kurt Bodewig Günter Gloser Eike Hovermann Christine Lehder Gerd Friedrich Bollmann Uwe Göllner Klaas Hübner Waltraud Lehn Klaus Brandner Renate Gradistanac Christel Humme Dr. Elke Leonhard Willi Brase Angelika Graf (Rosenheim) Lothar Ibrügger Eckhart Lewering Bernhard Brinkmann Dieter Grasedieck Brunhilde Irber Götz-Peter Lohmann (Hildesheim) Monika Griefahn Renate Jäger Gabriele Lösekrug-Möller Hans-Günter Bruckmann Kerstin Griese Jann-Peter Janssen Erika Lotz Edelgard Bulmahn Gabriele Groneberg Klaus-Werner Jonas Dr. Christine Lucyga Marco Bülow Achim Großmann Johannes Kahrs Dirk Manzewski Ulla Burchardt Wolfgang Grotthaus Ulrich Kasparick Tobias Marhold Dr. Michael Bürsch Karl-Hermann Haack Dr. h.c. Susanne Kastner Lothar Mark Hans Martin Bury (Extertal) Ulrich Kelber Caren Marks Marion Caspers-Merk Hans-Joachim Hacker Hans-Peter Kemper Hilde Mattheis 11656 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

(A) Markus Meckel Erika Simm Veronika Bellmann Michael Grosse-Brömer (C) Ulrike Mehl Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Christoph Bergner Markus Grübel Petra-Evelyne Merkel Dr. Cornelie Sonntag- Otto Bernhardt Manfred Grund Ulrike Merten Wolgast Prof. Dr. Rolf Bietmann Karl-Theodor Freiherr von Angelika Mertens Wolfgang Spanier Clemens Binninger und zu Guttenberg Ursula Mogg Dr. Margrit Spielmann Renate Blank Olav Gutting Michael Müller (Düsseldorf) Jörg-Otto Spiller Peter Bleser Holger-Heinrich Haibach Christian Müller (Zittau) Dr. Ditmar Staffelt Antje Blumenthal Gerda Hasselfeldt Gesine Multhaupt Ludwig Stiegler Dr. Maria Böhmer Klaus-Jürgen Hedrich Franz Müntefering . Rolf Stöckel Jochen Borchert Helmut Heiderich Dr. Rolf Mützenich Christoph Strässer Wolfgang Börnsen Ursula Heinen Volker Neumann (Bramsche) Rita Streb-Hesse (Bönstrup) Siegfried Helias Dietmar Nietan Dr. Peter Struck Wolfgang Bosbach Uda Carmen Freia Heller Dr. Erika Ober Joachim Stünker Dr. Wolfgang Bötsch Michael Hennrich Holger Ortel Jörg Tauss Klaus Brähmig Jürgen Herrmann Heinz Paula Jella Teuchner Dr. Ralf Brauksiepe Bernd Heynemann Johannes Pflug Dr. Gerald Thalheim Helge Braun Ernst Hinsken Joachim Poß Wolfgang Thierse Monika Brüning Peter Hintze Dr. Wilhelm Priesmeier Franz Thönnes Georg Brunnhuber Robert Hochbaum Florian Pronold Hans-Jürgen Uhl Verena Butalikakis Klaus Hofbauer Dr. Sascha Raabe Rüdiger Veit Hartmut Büttner Joachim Hörster Karin Rehbock-Zureich Simone Violka (Schönebeck) Hubert Hüppe Gerold Reichenbach Jörg Vogelsänger Cajus Julius Caesar Susanne Jaffke Dr. Carola Reimann Ute Vogt (Pforzheim) Manfred Carstens (Emstek) Dr. Peter Jahr Christel Riemann- Dr. Marlies Volkmer Peter H. Carstensen Dr. Egon Jüttner Hanewinckel Hans Georg Wagner (Nordstrand) Bartholomäus Kalb Walter Riester Hedi Wegener Gitta Connemann Steffen Kampeter Reinhold Robbe Andreas Weigel Leo Dautzenberg Irmgard Karwatzki René Röspel Petra Weis Hubert Deittert Bernhard Kaster Dr. Ernst Dieter Rossmann Reinhard Weis (Stendal) Alexander Dobrindt Volker Kauder Karin Roth (Esslingen) Gunter Weißgerber Vera Dominke Siegfried Kauder (Bad Michael Roth (Heringen) Gert Weisskirchen Thomas Dörflinger Dürrheim) Gerhard Rübenkönig (Wiesloch) Marie-Luise Dött Gerlinde Kaupa Ortwin Runde Dr. Ernst Ulrich von Maria Eichhorn Eckart von Klaeden (B) Marlene Rupprecht Weizsäcker Rainer Eppelmann Jürgen Klimke (D) (Tuchenbach) Jochen Welt Anke Eymer (Lübeck) Julia Klöckner Thomas Sauer Dr. Rainer Wend Georg Fahrenschon Kristina Köhler (Wiesbaden) Anton Schaaf Lydia Westrich Ilse Falk Manfred Kolbe Axel Schäfer (Bochum) Inge Wettig-Danielmeier Dr. Hans Georg Faust Norbert Königshofen Gudrun Schaich-Walch Dr. Margrit Wetzel Albrecht Feibel Hartmut Koschyk Rudolf Scharping Andrea Wicklein Enak Ferlemann Thomas Kossendey Bernd Scheelen Jürgen Wieczorek (Böhlen) Ingrid Fischbach Rudolf Kraus Dr. Hermann Scheer Heidemarie Wieczorek-Zeul Hartwig Fischer (Göttingen) Michael Kretschmer Siegfried Scheffler Dr. Dieter Wiefelspütz Dirk Fischer (Hamburg) Günther Krichbaum Horst Schild Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Günter Krings Otto Schily Engelbert Wistuba Land) Dr. Martina Krogmann Horst Schmidbauer Barbara Wittig Dr. Maria Flachsbarth Dr. Hermann Kues (Nürnberg) Dr. Wolfgang Wodarg Klaus-Peter Flosbach Werner Kuhn (Zingst) Ulla Schmidt (Aachen) Verena Wohlleben Herbert Frankenhauser Dr. Karl A. Lamers Silvia Schmidt (Eisleben) Waltraud Wolff Erich G. Fritz (Heidelberg) Dagmar Schmidt (Meschede) (Wolmirstedt) Jochen-Konrad Fromme Dr. Norbert Lammert Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Heidi Wright Dr. Michael Fuchs Helmut Lamp Heinz Schmitt (Landau) Uta Zapf Hans-Joachim Fuchtel Barbara Lanzinger Carsten Schneider Manfred Helmut Zöllner Dr. Jürgen Gehb Karl-Josef Laumann Walter Schöler Dr. Christoph Zöpel Norbert Geis Vera Lengsfeld Olaf Scholz Roland Gewalt Werner Lensing Karsten Schönfeld CDU/CSU Eberhard Gienger Peter Letzgus Fritz Schösser Georg Girisch Ursula Lietz Wilfried Schreck Ulrich Adam Michael Glos Walter Link (Diepholz) Ottmar Schreiner Ilse Aigner Ralf Göbel Eduard Lintner Gerhard Schröder Peter Altmaier Dr. Reinhard Göhner Dr. Klaus W. Lippold Brigitte Schulte (Hameln) Artur Auernhammer Josef Göppel (Offenbach) Reinhard Schultz Dietrich Austermann Peter Götz Patricia Lips (Everswinkel) Norbert Barthle Dr. Wolfgang Götzer Dr. Michael Luther Swen Schulz (Spandau) Dr. Wolf Bauer Ute Granold Dorothee Mantel Dr. Angelica Schwall-Düren Günter Baumann Kurt-Dieter Grill Erwin Marschewski Dr. Martin Schwanholz Ernst-Reinhard Beck Reinhard Grindel (Recklinghausen) Rolf Schwanitz (Reutlingen) Hermann Gröhe Stephan Mayer (Altötting) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11657

(A) Dr. Conny Mayer Anita Schäfer (Saalstadt) BÜNDNIS 90/DIE Dr. Antje Vollmer (C) (Freiburg) Dr. Wolfgang Schäuble GRÜNEN Dr. Ludger Volmer Dr. Martin Mayer (Freiburg) Andreas Scheuer Josef Philip Winkler Wolfgang Meckelburg Norbert Schindler Kerstin Andreae Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Michael Meister Georg Schirmbeck Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Angela Merkel Angela Schmid FDP Laurenz Meyer (Hamm) Cornelia Behm Bernd Schmidbauer Angelika Brunkhorst Doris Meyer (Tapfheim) Birgitt Bender Christian Schmidt (Fürth) Ernst Burgbacher Maria Michalk Matthias Berninger Andreas Schmidt (Mülheim) Helga Daub Hans Michelbach Grietje Bettin Dr. Andreas Schockenhoff Jörg van Essen Klaus Minkel Alexander Bonde Dr. Ole Schröder Ulrike Flach Marlene Mortler Ekin Deligöz Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Thea Dückert Otto Fricke Dr. Gerd Müller Uwe Schummer Jutta Dümpe-Krüger Horst Friedrich (Bayreuth) Hildegard Müller Wilhelm Josef Sebastian Franziska Eichstädt-Bohlig Rainer Funke Stefan Müller (Erlangen) Kurt Segner Dr. Uschi Eid Dr. Wolfgang Gerhardt Bernward Müller (Gera) Matthias Sehling Hans-Josef Fell Hans-Michael Goldmann Henry Nitzsche Marion Seib Katrin Göring-Eckardt Joachim Günther (Plauen) Michaela Noll Heinz Seiffert Anja Hajduk Dr. Karlheinz Guttmacher Claudia Nolte Bernd Siebert Winfried Hermann Christoph Hartmann Günter Nooke Thomas Silberhorn Antje Hermenau (Homburg) Dr. Georg Nüßlein Johannes Singhammer Peter Hettlich Klaus Haupt Franz Obermeier Jens Spahn Ulrike Höfken Ulrich Heinrich Melanie Oßwald Erika Steinbach Thilo Hoppe Birgit Homburger Eduard Oswald Christian von Stetten Michaele Hustedt Dr. Werner Hoyer Rita Pawelski Gero Storjohann Fritz Kuhn Michael Kauch Dr. Peter Paziorek Andreas Storm Renate Künast Dr. Heinrich L. Kolb Ulrich Petzold Matthäus Strebl Markus Kurth Hellmut Königshaus Dr. Joachim Pfeiffer Thomas Strobl (Heilbronn) Undine Kurth (Quedlinburg) Jürgen Koppelin Sibylle Pfeiffer Lena Strothmann Dr. Reinhard Loske Sibylle Laurischk Dr. Friedbert Pflüger Anna Lührmann Harald Leibrecht Beatrix Philipp Michael Stübgen Jerzy Montag Ina Lenke Ronald Pofalla Antje Tillmann Kerstin Müller (Köln) Sabine Leutheusser- Ruprecht Polenz Edeltraut Töpfer Winfried Nachtwei Schnarrenberger Daniela Raab Dr. Hans-Peter Uhl Christa Nickels Markus Löning Thomas Rachel Arnold Vaatz (B) Friedrich Ostendorff Dirk Niebel (D) Hans Raidel Volkmar Uwe Vogel Simone Probst Günther Friedrich Nolting Dr. Peter Ramsauer Andrea Astrid Voßhoff Claudia Roth (Augsburg) Hans-Joachim Otto Peter Rauen Gerhard Wächter Krista Sager (Frankfurt) Christa Reichard (Dresden) Marko Wanderwitz Christine Scheel Detlef Parr Katherina Reiche Peter Weiß (Emmendingen) Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Andreas Pinkwart Hans-Peter Repnik Gerald Weiß (Groß-Gerau) Rezzo Schlauch Dr. Hermann Otto Solms Klaus Riegert Ingo Wellenreuther Albert Schmidt (Ingolstadt) Dr. Max Stadler Hannelore Roedel Annette Widmann-Mauz Werner Schulz (Berlin) Dr. Rainer Stinner Franz-Xaver Romer Klaus-Peter Willsch Petra Selg Carl-Ludwig Thiele Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Willy Wimmer (Neuss) Ursula Sowa Dr. Guido Westerwelle Dr. Klaus Rose Matthias Wissmann Rainder Steenblock Dr. Claudia Winterstein Kurt J. Rossmanith Werner Wittlich Silke Stokar von Neuforn Dr. Volker Wissing Dr. Norbert Röttgen Dagmar Wöhrl Hans-Christian Ströbele Dr. Christian Ruck Elke Wülfing Jürgen Trittin Fraktionslose Abgeordnete Vo l ke r R ü he Wolfgang Zeitlmann Marianne Tritz Albert Rupprecht (Weiden) Wolfgang Zöller Hubert Ulrich Dr. Gesine Lötzsch Peter Rzepka Willi Zylajew Dr. Antje Vogel-Sperl Petra Pau 11658 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004

(A) Anlage 3 Souveränität und Wahlfreiheit der Patientinnen und Pati- (C) enten! Denn das ist „bal paradox“. Erklärung nach § 31 GO Worum geht es? Immer wieder wird in der gesund- der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/ heitspolitischen Diskussion von der FDP die Ablösung CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines des Sachleistungsprinzips durch die Kostenerstattung Vierten Gesetzes zur Änderung des Dritten gefordert. Vor allem soll für die Patientinnen und Patien- Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze ten mehr Transparenz entstehen. Mit der Gesundheitsre- (Tagesordnungspunkt 14) form wurde deutlich gemacht, dass wir die Weiterent- Der vorliegende Gesetzentwurf korrigiert vorange- wicklung der Kostenerstattung in der GKV nicht gangene Fehlentscheidungen im Bereich der Arbeits-grundsätzlich ablehnen. So wurde die Wahlmöglichkeit marktreform der Bundesregierung. Die Notwendigkeit zwischen Sachleistung und Kostenerstattung ausgewei- einer solchen Korrektur beweist, dass viele Bestandteile tet. der Reform unausgegoren und wenig durchdacht waren. Seit Anfang des Jahres können alle – und nicht nur Auch nach einer Verabschiedung des vorliegenden Ge- freiwillig – Versicherten unter bestimmten Bedingungen setzentwurfs bleibt ein erheblicher Korrekturbedarf be- die Kostenerstattung wählen. Und das ist gut so. An- stehen. spruch auf Erstattung besteht dabei höchstens in Höhe So müssen beispielsweise die Hinzuverdienstmög- der Sachleistungskosten. Die Versicherten sind an ihre lichkeiten für Empfänger von Arbeitslosengeld II ver- Wahl mindestens ein Jahr gebunden. Vor der Wahl der bessert werden. Die derzeitigen Freigrenzen erzeugen Kostenerstattung müssen sich die Versicherten von ihrer wenige Anreize zur Aufnahme einer Beschäftigung.Krankenkasse beraten lassen. Eine abzugsfreie Freigrenze würde dies beheben. Für äl- Deutlich wird, dass die vorgenommene Öffnung kei- tere Arbeitslose, welche sich im Rahmen der so genann- nesfalls als erster Schritt zu einer vollständigen Ablö- ten 58er-Regelung als beschränkt Arbeitsuchende ge-sung des Sachleistungsprinzips missverstanden werden meldet haben, muss dringend ein Bestandsschutz ihrer darf. Und dafür gibt es gute Gründe, die von der FDP Bezüge geschaffen werden. Für ehemalige Arbeitslosen- schlicht ignoriert werden. hilfeempfänger, die ab 2005 ohne Leistungsbezug blei- ben, muss das Betätigungsfeld „Gemeinnützige Tätig- Zum einen deutet alles darauf hin, dass die Kostener- keit“ offen bleiben. Vermögen, das der Altersvorsorge stattung nichts, aber auch gar nichts zur Kostenbegren- dient, darf bei der Bedürftigkeitsprüfung nicht angerech- zung beiträgt. Aufschlussreich ist diesbezüglich ein net werden, da ansonsten diejenigen bestraft werden, die Blick auf die Ausgabensteigerungen der privaten Kran- kenversicherung, die ausschließlich nach dem Kostener- (B) privat vorgesorgt haben. Die Eingrenzung allein auf die (D) so genannte Riester-Rente ist ein ungerechtfertigter mit- stattungsprinzip arbeitet. Während die Prämien in der telbarer Zwang. Des Weiteren muss über die Möglich- PKV um rund 57 Prozent stiegen, lagen die durch- keit von existenzsichernden Lohnkostenergänzungsleis- schnittlichen Beitragssteigerungen in der GKV je Mit- tungen nachgedacht werden. Es ist sinnvoller, Arbeit zu glied bei rund 33 Prozent. fördern, als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Zu diesen deutlich höheren Ausgabensteigerungen In der Hoffnung auf entsprechende weitere Schritte hat das Kostenerstattungsprinzip maßgeblich beigetra- bei den Arbeitsmarktreformen und vor dem Hintergrund gen. Erstens verursacht die Kostenerstattung hohe Ver- der notwendigen Freistellung der Kinderfreibeträge von waltungskosten. Zweitens ermöglicht den Krankenkas- Geburt an stimme ich dem vorliegenden Gesetzentwurf sen nur das Sachkostenprinzip, die Menge, die Qualität zu. und vor allem auch den Preis der erbrachten ärztlichen Leistungen zu beeinflussen. Für die Feinsteuerung der Finanzentwicklung der GKV haben sich diese vertragli- chen Steuerungsinstrumente als überaus wichtig erwie- Anlage 4 sen. Zu Protokoll gegebene Rede Es gibt aber noch einen zweiten wichtigen Grund für zur Beratung des Antrags: Freie Wahl der Kos- die nur reglementierte Wahl der Kostenerstattung. So tenerstattung in der gesetzlichen Krankenversi- muss vermieden werden, dass sich schlecht informierte cherung (Tagesordnungspunkt 19) Versicherte in große finanzielle Risiken stürzen. Nicht umsonst titeln Verbraucherschützer und auch das Ärzte- blatt in der Presse mit „Vorsicht vor der Kostenerstat- Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe tung“. Ich habe ihnen schonin vielen Reden zu ihrem Kollegen von der FDP, Ihre Anträge Freitagmittag er- Lieblingsthema Kostenerstattung gesagt: Lesen bildet. scheinen mir wie ein gruppendynamischer Prozess einer Selbstfindungsgruppe mit dem Ergebnis: Beschäfti- Die FDP fordert nun in ihrem Antrag, dass die Bedin- gungstherapie für Abgeordnete; denn wir debattieren gungen für die Wahl der Kostenerstattung aufgeweicht heute wieder über einen Antrag von Ihnen, der ein Bei- werden. So soll der kassenfinanzierte Zugang zu den spiel dafür liefert, dass Sie sich anscheinend der Klien- Nichtvertragsärzten vollständig freigegeben werden. Je- telpolitik – dieses Mal für die Ärzte – verschriebender approbierte Arzt, ob zugelassen oder nicht, dürfte je- haben. Nichts Neues! Das bleibt Ihnen natürlich unbe- den Versicherten über das Kostenerstattungsverfahren nommen, aber argumentieren Sie dafür nicht mit derbehandeln. Wissen Sie wirklich nicht, dass dies jede Be- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. September 2004 11659

(A) darfsplanung ins Leere laufen ließe und dass jede ver- Sie sollen mehr arbeiten, sie sollen weniger verdienen (C) nünftige Ausgabensteuerung unmöglich wäre? Oder ar- und sie sollen – wie es neudeutsch heißt – flexibler ein- gumentieren Sie hier gegen besseres Wissen, gesetzt um werden können. Die PDS im Bundestag wird Klientelpolitik für die Ärzte zu betreiben? dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir lehnen ihn im Detail und grundsätzlich ab. Daran ändern auch die zwei Fakt ist: Die Versicherten haben bereits jetzt die Mög- Änderungen nichts, die noch eingearbeitet wurden. lichkeit, einen Nichtvertragsarzt in Anspruch zu neh- men, allerdings nur, wenn ihre Krankenkasse zustimmt. Grundsätzlich, denn es geht nur scheinbar um die Post Sie fordern nun, dass die Beratung des Versicherten und um Beamte. Die Wirtschaftsverbände, die CDU/ durch die Krankenkasse nicht mehr obligatorisch sein CSU und die FDP lassen kein Wochenende aus, um prin- soll. Begründet wird dies mit der Mündigkeit des Bür- zipiell längere Arbeitszeiten und weniger Lohn zu for- gers. Diese Begründung heranzuziehen halte ich für äu- dern. Das ist nicht nur unsozial. Es schwächt obendrein ßerst perfide, spielen Sie doch mit einem Totschlagargu- die Kaufkraft und den Binnenmarkt. Es ist also auch für ment, dem niemand ernsthaft widersprechen kann.den Arbeitsmarkt Gift. Natürlich ist niemand gegen Mündigkeit und Selbstbe- Konkret, denn es geht um drei gravierende Folgen. stimmung! Von Zwangsberatung kann keine Rede sein. Erstens sollen Beamtinnen und Beamte künftig inner- Aber glauben Sie denn ernsthaft, dass sich jeder Patient halb und außerhalb der Konzerne eingesetzt werden, je in der Position eines souveränen Kunden befindet, dass nach Bedarf. Wer weiß, dass die Deutsche Post im Irak es für ihn absehbar ist, welche Kosten da auf ihn zurol- amerikanische Feldpost verteilt, kann sich ausmalen, len? was hier zur Abstimmung steht. Letztlich haben vor allem die Ärzte Vorteile von der Wahl der Kostenerstattung. So fließt die Rechnung eines Zweitens wird es Ungleichbehandlungen zwischen Kostenerstattungspatienten nicht in die Berechnung des verschiedenen Nachfolgeunternehmen geben. Das ist Praxisbudgets ein. Darüber hinaus nutzen viele Ärzte die verfassungsrechtlich ebenso bedenklich wie die eben ge- Kostenerstattung dazu, den Patienten von privaten Zu- nannte Zwangszuweisung. satzleistungen zu überzeugen, deren Nutzen meistDrittens soll Mehrarbeit nicht mehr durch Freizeit, höchst fraglich sind und vor allem nicht immer im Ver- sondern mit Geld abgegolten werden. Das vernichtet Ar- hältnis zu den Kosten stehen. beitsplätze, anstatt neue zu schaffen. Alle Vorstöße fol- Ich sehe in Ihrem Antrag nicht, dass Sie den Versi- gen einer Strategie, die wir ablehnen. Sie sind unsozial chertenschutz ernst nehmen. Ich sehe auch nicht, wie Sie und ungerecht. (B) Ausgabenbegrenzung und Bedarfsplanung gewährleis- (D) ten wollen. Schließlich verweisen die Gewerkschaften auf einen weiteren Widerhaken. Gerade in den ehemals staatlichen Alles, was sie mit diesem Antrag wollen, ist der Gar- und nunmehr privatisierten Unternehmen werden Ange- tenzaun für eine besondere Klientelgruppe. Dafür be-stellte und Beamte gern gegeneinander in Stellung ge- kommen sie von uns keinerlei Zustimmung. bracht. Der einen Beschäftigtengruppe wird in die Ta- sche gegriffen und hernach begründet, dass auch die andere nachziehen müsse. Diese Abwärtsspirale wird Anlage 5 dann auch noch als Gleichberechtigung verkauft. Zu Protokoll gegebene Rede Hinzu kommt: Wir entscheiden heute über Arbeitneh- merrechte in Unternehmen, die an der Börse gehandelt zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Ge- werden. Sie versuchen die Kurse zu steigern, indem sie setzes zur Änderung des Postpersonalrechtsge- setzes (Tagesordnungspunkt 20) die Beschäftigten schröpfen. Das mag der Logik des Marktes folgen. Das liegt aber nicht in der Logik der PDS. Petra Pau (fraktionslos): Im vorliegenden Gesetz- entwurf geht es um die Unternehmen der Post und gegen Deshalb: Reden Sie mit der Postfrau, die Ihnen täg- ihre Beschäftigten – konkret um jene, die beamtet sind. lich bei Wind und Wetter für einen Mini-Lohn die Briefe Und das sind – Deutsche Post, Deutsche Telekom und ins Haus bringt, und Sie werden hören, was Sie tun. Wir Deutsche Postbank addiert – rund 150 000 Beamtinnen wissen es und deshalb lehnt die PDS den vorliegenden und Beamte. Gesetzentwurf ab.

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