ISSN 0948-2407 | 67 485 | 2,00 Euro

DISAugust 2009 PUT

Gregor Gysi und : Ein Wahlkampf mit Leidenschaft! : Eine neue Herausforderung. Aus dem Alltag der Vizepräsidentin des Bundestages Kandidatinnen und Kandidaten für den – was sie bewegt, was sie bewegen wollen Vor den Landtagswahlen im , in Sachsen und in Thüringen Politik und Paella. Die Sommeruniversität der Europäischen Linken in Valencia

Viele Hände braucht der Wahlkampf: Für ein erfolgreiches Abschneiden am 30. August und bei der Bundestagswahl © Erich Wehnert © Erich 4 INTERVIEW und Oskar Lafontaine: Ein Wahlkampf mit Leidenschaft 7 SERVICE Höhepunkte im Wahlkampf 9 LINKSAKTIV Mitmach-Partei ZITAT 10 BILANZ Petra Pau: Eine neue Machen Sie folgendes Gedanken- Herausforderung experiment: Stellen Sie sich vor, 11 DOKUMENTIERT morgen fallen alle Aktienanalysten, Nachhaltige Lehren Investmentbanker und Unternehmensberater tot um. Dann 12 BUNDESTAGSWAHL stellen Sie sich vor, morgen fallen Ich kandidiere: Gerd Nier, alle Krankenschwestern, Polizisten Thurid Feldmann, Janina Pfau, und Altenpfl eger tot um. Und nun Vasco Schultz © Stefan Richter fragen Sie sich kurz, was Sie 16 FEUILLETON In Greiz: Diana Skibbe und Frank Lux persönlich vermissen würden. kandidieren in Thüringen. Seite 24. Volker Pispers, Kabarettist, 2004 17 KAMPAGNE Unsere Wahlwerbung – glaubwürdig und klar 40 EUROPÄISCHE LINKE 18 SAARLAND Politik und Paella. Zwischen Hafenstraße und Die Sommeruniversität der EL Waldweiher. Endspurt im Wahl- kampf 42 LESEPROBE Bedürfnis nach sozialem 20 SACHSEN Gewissen André Hahn: Der Wunsch nach Veränderung 44 BRIEFE 24 THÜRINGEN 46 BÜCHER Hallo, Thüringen! Bodo Ramelow 47 AUGUSTKOLUMNE auf Tour 48 SEITE ACHTUNDVIERZIG 28 NRW KOMMUNAL Bochum: Unsere Stadt gehört © Stefan Richter © Stefan uns allen In Pirna: Sachsens Spitzenkandidat André Hahn. Mehr auf Seite 20. 29 REZENSION 30 EUROPA Schwedens EU-Präsidentschaft auf dem Prüfstand ZAHL DES MONATS 31 DEMNÄCHST 32 SCHLESWIG-HOLSTEIN 297 Das Elend hat ein Ende. Vor der Landtagswahl DIE LINKE tritt bei der Bundestagswahl am 27. September 33 PRESSEDIENST in nahezu allen Wahlkreisen an. 34 NACHBELICHTET 297 Kandidatinnen und Kandidaten werden um ein Direktmandat 36 FRIEDENSMARSCH kämpfen. Marco Winkler aus Von Sylt bis zur Zugspitze: Neumarkt in der Oberpfalz ist mit 19 für eine Welt ohne Atomwaffen Jahren der jüngste Kandidat (siehe 38 INITITATIVE Seite 3), Horst Bethge () ist Es bleibe dabei – die Heide mit 73 Jahren der älteste. ist frei! »Damit es im Land gerecht zugeht.« 39 MEDIEN Zur Kampagne der LINKEN zur Bundes- Ist DIE LINKE offl ine? tagswahl. Seite 17.

IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14 – 16, 10178 REDAKTION Stefan Richter, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: (030) 24 00 95 10, Fax: (030) 24 00 93 99, E-Mail: [email protected] GRAFIK UND LAYOUT Thomas Herbell DRUCK MediaService GmbH BärenDruck und Werbung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin ABOSERVICE Neues Deutschland, Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS 17. August 2009 DER NÄCHSTE DISPUT 17. September 2009

INHALT DISPUT August 2009 02 MARCO WINKLER Geboren am 11. September 1989. Lebt in Neumark (Bayern), ist ledig und Vater eines fünf Monate alten Sohnes. Ab Oktober Auszubildender zum Gesundheits- und Krankenpfl eger. Möchte Gesundheitsökonom werden. Engagiert sich in so- zialen Arbeitskreisen wie Schule ohne Rassismus und ist der jüngste Bundes-

tagskandidat der LINKEN. © privat

Was hat dich in letzter Zeit am meisten überrascht? Der »Deutschland-Plan«. Millionen Arbeitsplätze versprechen – aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?!

Was ist für dich links? Da wo der Daumen rechts ist. Gelebte Sozialität, Gleichheit, Gerechtigkeit.

Worin siehst du deine größte Schwäche, worin deine größte Stärke? Schokolade, in Tafeln, Gläsern, als Ü-Eier… Und meine Stärken liegen im Bereich Organisation und – wie manche sagen – in einer stoischen Ruhe.

Was war dein erster Berufswunsch? Polizist, was sich aber mittlerweile komplett geändert hat.

Wie sieht Arbeit aus, die dich zufrieden macht? Tätigkeiten im sozialen Bereich, die mich vollständig ausfüllen.

Wenn du Parteivorsitzender wärst ... … würde ich einen Anzug tragen. Zudem würde ich die Parteistrukturen verbessern und demokratischer gestalten.

Was regt dich auf? Ämterhäufung und Vergabe von Posten an Gleichgesinnte.

Wann und wie hast du unlängst Solidarität gespürt? Heute. Man hielt mir eine Tür auf, als ich voll bepackt war. Auch kleine Gesten haben große Bedeutung.

Wofür gibst du gerne Geld aus? Für Bücher über apokalyptische Visionen, ergo unsere Zukunft.

Möchtest du (manchmal) anders sein, als du bist? Wer möchte das nicht?

Müssen Helden und Vorbilder sein? Wenn Helden und Vorbilder Moral und Tugend sind, dann ja.

Wann fühlst du dich gut? Wenn ich helfen konnte.

Wo möchtest du am liebsten leben? Im hohen Norden Deutschlands am Meer.

Was bringt dich zum Weinen? Es treibt mir die Tränen in die Augen, wenn Menschen ihre eigene Dummheit erkennen.

Wovor hast du Angst? Wenn die NPD mit mehr als 50 Prozent in den Bundestag einzieht, dann wandere ich aus.

Welche Eigenschaften schätzt du an Menschen besonders? Vernunft und Denkvermögen.

Wie lautet dein Lebensmotto? Man muss etwas tun, um selbst keine Schuld zu tragen. (Sophie Scholl)

30 DISPUT August 2009 FRAGEZEICHEN Ein Wahlkampf mit Leidenschaft Was von unserem Abschneiden bei den Wahlen abhängt. Interview mit den Fraktions- vorsitzenden der LINKEN im Deutschen Bundestag, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine

Vor vier Jahren galt die Bundestags- fraktion als das Referenzprojekt für die noch zu gründende LINKE. Nun ist sie zwei Jahre alt und die Fraktion hat er- folgreich gearbeitet. Was kann die Par- tei noch von der Fraktion lernen? Gregor Gysi: Die Fraktion steht un- ter einem anderen Druck. Die Tagesord- nung des Bundestages wird ja überwie- gend nicht durch uns, sondern durch andere bestimmt. Also sind wir gezwun- gen, uns öffentlichkeitswirksam zu äu- ßern zu Themen, die wir nicht vorgeben. Und das zwingt uns, relativ rasch eine Verständigung herzustellen. Wir haben gar keinen anderen Weg. Beim Parteivorstand kann sich so et- was verzögern, aber dann gibt es Par- teitage und dann müssen auch dort

»Wir haben ein wahrhaf- tiges Steuerprogramm. Wollen die Wohlhabenden und die Börsianer besteu- ern und wollen die Fach- arbeiter und Kleinbetriebe entlasten. Das ist ein klares Programm, und es ist auch fi nanzierbar.« Oskar Lafontaine

Dinge entschieden werden. Ich glaube, die Fraktion hat bewiesen, dass wir ei- ne gemeinsame Partei werden. Und ich fi nde, dass der Parteitag von Berlin das bestätigt hat. Und alle, die etwas an- deres gesehen haben, sind jetzt eines Besseren belehrt. Oskar Lafontaine: Wichtig ist, dass es in der Fraktion gelungen ist, so zu- sammenzuarbeiten, dass die Frage, ob man aus dem Osten oder aus dem Wes- ten ist, keine Rolle mehr spielt.

Wenn ihr eure Arbeit als Fraktionsvor- sitzende Revue passieren lasst und ei- ne Bilanz zieht: Was ist das Wichtigste gewesen, was die Fraktion erreicht hat, und wo sagt ihr, daran haben wir nicht genügend hart gearbeitet?

GESPRÄCH DISPUT August 2009 04 Oskar Lafontaine: Wir haben die Po- litik korrigiert, wenn auch nicht in dem Umfang, wie wir es wollten. Mittlerweile gibt es eine Mehrheit für einen gesetz- lichen Mindestlohn, die aber im Bun- destag nicht zum Tragen kommt. Das Arbeitslosengeld I wurde verlängert – aber nicht ausreichend. Der Hartz-IV- Satz Ost-West wurde angeglichen. Die Rentengarantie der Koalition ist auch ein Ergebnis ihrer Angst vor der LINKEN. Die Grünen erinnern sich wieder an das, was sie für richtig hielten, bevor sie an der Regierung waren. Sie seilen sich langsam vom Krieg ab. Dazu kommt, dass es dank gelungen ist, die anderen Fraktionen mehr oder weniger dazu zu bringen, dass die »Kriegsverrä- ter« endlich rehabilitiert werden. Gregor Gysi: Und weil es gelungen ist, in diesem Fall auch einmal die Me- dien dafür zu gewinnen. Dadurch nahm der Druck auf die Union immer stärker zu. Aber im Kern glaube ich, sind es zwei Dinge. Es tut mir leid, wenn es arrogant klingt, aber ich kann das nicht ändern: Im Wahlergebnis vom 27. September ist eigentlich nur unser Ergebnis ent- scheidend. Ob die Grünen schlechter oder besser abschneiden oder die FDP schlechter oder besser oder die Union oder die SPD – das wird zu keiner Kor- rektur der Politik jeweils der anderen

»Wenn du in einem Saal bist oder auf einer Kundgebung und die Leute gehen leidenschaft- lich mit, dann gehen sie nach Hause und reden noch mit x Leuten darüber. Doch wenn sie einfach so ohne Leidenschaft nach Hause gehen, dann reden sie eher mit niemandem.« Gregor Gysi

Parteien führen. Nur unser Abschnei- den führt entweder zu einer ziemlichen Katastrophe – stellt euch nur einmal vor, wir hätten nur 6,5 Prozent oder so, dann würden die eine derart verschärf- te neoliberale Politik und auch eine un- friedliche Politik machen, das wäre gar nicht auszuhalten. Oder unser Ziel wird

© Erich Wehnert © Erich erreicht, da bin ich übrigens sehr op-

50 DISPUT August 2009 timistisch, wir schaffen 10 plus X Pro- Das hat aber nichts mit Arbeitsteilung und die Leute gehen leidenschaftlich zent, dann werden sie sich korrigieren. zu tun, sondern mit Organisation. An- mit, dann gehen sie nach Hause und Das heißt, das eigentlich Spannende sonsten sind wir beide Politiker, die für reden noch mit x Leuten darüber. Doch an der Wahl ist – und das hat die Frak- DIE LINKE in Gesamtdeutschland spre- wenn sie einfach so ohne Leidenschaft tion Schritt für Schritt herausgearbeitet, chen, und so halten wir das auch bei nach Hause gehen, dann reden sie eher das ist ihr Verdienst –, dass es von un- der Bundestagswahl. mit niemandem. Und das ist ein enor- serem Abschneiden abhängt, wie die Gregor Gysi: Richtig, das müssen wir mer Unterschied. Deshalb brauchen wir anschließende Politik und Wirtschaft auch. Ich trete gerne in München auf, die Leidenschaft, ich habe sie und Os- aussieht. aber ich trete auch gerne in Erfurt auf. kar auch. Tja, und was wir nicht geschafft ha- Das macht mir beides Spaß. Und ich Und jetzt ist also die Frage: Können ben? Wir sind ja erst dabei, uns zu ver- glaube, ihm auch. wir das übertragen? Nach dem Berliner einigen. Niemand will sagen, das ist Parteitag kann man sagen, dass das schon abgeschlossen. Nur will ich auf Gibt es da aus dem Europawahlkampf Wichtige ist, dass über 90 Prozent un- eines hinweisen: Wir sind die einzigen, irgendwelche Zwischenrufe, wo man serer Mitglieder motiviert sind, aktiv in die sich vereinigen. Es gab sonst nur denkt, das baut mich jetzt aber auf? den Wahlkampf zu gehen. Beitritte. Und Beitritte sind unfairer, Freut ihr euch auch mal so über be- aber leichter. stimmte Situationen mit den Leuten, Wenn wir für die nächsten Wochen Mo- zu denen ihr sprecht, dass diese in Er- tivation und Leidenschaft gleicher- Bei der vergangenen Bundestagswahl innerung bleiben? maßen in Ost und West voraussetzen, gab es noch so eine grobe Arbeitstei- Gregor Gysi: Wenn ich eine Rede dann bestünde ja theoretisch die Mög- lung: Gysi im Osten, Lafontaine im halte, führe ich immer eine Art Kommu- lichkeit, nach dem 30. August einen Mi- Westen. Ihr betont beide, dass DIE LIN- nikation durch. Der Punkt ist aber ein nisterpräsidenten Ramelow in Thürin- KE die wirkliche Partei der Einheit ist. anderer. Ich habe wenig Leidenschaft gen im Osten und einen Ministerpräsi- Wird es demzufolge in den kommen- im Osten beim Europawahlkampf fest- denten Lafontaine im Saarland im Wes- den Wochen im Wahlkampf keine sol- gestellt und mehr Leidenschaft im Wes- ten zu haben. Wie wichtig wäre das als che Arbeitsteilung mehr geben? ten. Wir müssen also Leidenschaft her- Wirkung nach innen? Oskar Lafontaine: Das ist eine Fra- stellen. Meine Erfahrung ist: Ein Wahl- Oskar Lafontaine: Das wäre wichtig ge der Organisation. Es ist nun einmal kampf mit Leidenschaft ist ein ganz an- natürlich nach außen und nach innen für Gregor einfacher, nach Potsdam zu derer. Den Unterschied will ich ganz und würde auch für die Bundestags- fahren, als für mich. Ich komme eher einfach beschreiben: Wenn du in einem wahl eine weitere Motivation für DIE mal nach Mainz oder Ludwigshafen. Saal bist oder auf einer Kundgebung LINKE bedeuten. © Erich Wehnert © Erich

GESPRÄCH DISPUT August 2009 06 Das Problem aber ist die SPD. Sie Höhepunkte im Wahlkampf hat erklärt, dass sie sowohl in Thürin- gen als auch an der Saar mit uns nur zu- sammenarbeitet, wenn sie stärker wird. Nun weiß man zwar nicht, wie standhaft die SPD ist und wie sich das nach den Wahlen entwickeln wird. Das Bedauer- liche aber ist, dass durch eine solche Aussage die SPD eigentlich erklärt, das Programm ist uns gleichgültig, wir inter- Veranstaltungen mit Gysi und 16. September – Karlsruhe, essieren uns für Ämter; wenn die Wäh- Lafontaine zwischen und Marktplatz: mit Gregor Gysi sowie ler uns nicht zur zweitstärksten Partei Zwickau, Rostock und Karlsruhe Polkaholix, 16 bis 18 Uhr machen, dann machen wir es halt mit 16. September – Stuttgart: mit 27. August – Dresden, der CDU. Gregor Gysi, 20 bis 22 Uhr Gregor Gysi: Ich fi nde, die Medien re- Am Goldenen Reiter: agieren darauf viel zu wenig. Für mich mit Gregor Gysi sowie der Zöllner 17. September – München, Mari- haben Maas und Matschie erklärt, dass Band, 14 bis 16 Uhr enplatz: mit Oskar Lafontaine so- wie MuSix, 15 bis 17 Uhr der politische Inhalt sie nicht interes- 27. August – Erfurt, Anger: mit siert. Sie machen entweder mit der Uni- Gregor Gysi sowie der Stern Combo 17. September – Nürnberg: mit on eine Bildungspolitik, wonach man Meißen, 18 bis 20 Uhr Oskar Lafontaine, 20 bis 22 Uhr Kinder so früh wie möglich trennt, um die soziale Ausgrenzung hinzukriegen. 28. August – Saarbrücken, 18. September – Erfurt, Anger: mit Oder sie machen mit uns das Gegenteil. Tifl iser Platz: mit Gregor Gysi und Gregor Gysi, 15 bis 17 Uhr Das ist ihnen aber wurscht. Das ma- Oskar Lafontaine sowie Da Vinci, 18. September – Jena: mit Gregor chen sie von einer Zahl abhängig. Das 16 bis 18 Uhr Gysi, 19 bis 21 Uhr ist doch völlig indiskutabel, das haut 4. September – Frankfurt/Main, mich richtig um. Aber sie haben sich Konstablerwache: mit Oskar Lafon- 19. September – Zwickau, Haupt- damit natürlich eine Ypsilanti-Falle ge- taine und MuSix, 15 bis 17 Uhr markt: mit Gregor Gysi sowie Zöll- baut. Ich hoffe, dass wir in beiden Län- ner Band, 10 bis 12 Uhr dern stärker werden, und dann wollen 4. September – /Ha- wir mal sehen, was die SPD macht. Die vel, Neustädtischer Markt: mit 22. September – Saarbrücken: SPD, das darf man ja nicht unterschät- Gregor Gysi sowie der Zöllner Band, mit Oskar Lafontaine sowie Polka- zen, ist ja nun schon so abgemeiert, 16 bis 18 Uhr holix, 16 bis 18 Uhr wenn sie nicht bald mal über neue In- 4. September – Kassel: mit Oskar 23. September – Duisburg, Kuh- halte, Strukturen, Zusammenarbeits- Lafontaine, 20 bis 22 Uhr tor: mit Oskar Lafontaine sowie formen nachdenkt, dann weiß ich nicht, Zöllner Band, 16 bis 18 Uhr wo sie endet. 5. September – Hannover, Opern- platz: mit Gregor Gysi, 15 bis 17 Uhr 23. September – Bielefeld: mit Die LINKE ist wohl die einzige Par- Oskar Lafontaine, 20 bis 22 Uhr tei, die ehrlich ist in ihrem Wahlpro- 5. September – Braunschweig: mit Gregor Gysi, 19 bis 21 Uhr 24. September – Halle, Markt- gramm zur Bundestagswahl. Wir sagen, platz: mit Gregor Gysi sowie Tino wie wir das, was wir erreichen wollen, 10. September – Bremen, Eisbrenner, 16 bis 18 Uhr auch fi nanzieren. Die CDU spart das Am Markt: mit Oskar Lafontaine völlig aus. Und trotzdem wird zumin- sowie Mellow Mark, 16 bis 18 Uhr 24. September – Magdeburg; dest in den Umfragen der Eindruck er- Biergarten Mückenwirt: mit Gregor weckt, als würden 90 Prozent der Be- 10. September – Bremerhaven, Gysi, 19 bis 21 Uhr völkerung eher den Wahlversprechen, Theodor-Heuss-Platz: mit Oskar Lafontaine, 20 bis 22 Uhr 25. September – Potsdam, die höchstwahrscheinlich gebrochen Brandenburger Tor: mit Gregor Gysi werden, glauben und so auch wählen. 11. September – Hamburg, Gänse- Kann man diesen Trend irgendwie dre- markt: mit Gregor Gysi sowie Mel- 25. September – Berlin, Alexan- hen? Welche Verantwortung hat man low Mark, 16 bis 18 Uhr derplatz: mit Gregor Gysi sowie dabei im Wahlkampf? Kann man das der Gruppe bots, 15 bis 17 Uhr weiter auf Schlagworte und Standards 11. September – Kiel, Halle 400: mit Gregor Gysi, 20 bis 22 Uhr 27. September – Berlin, Kultur- reduzieren, oder muss man andere Me- brauerei: Wahlparty, 18 bis 23 Uhr chanismen fi nden, um von der Ehrlich- 12. September – Rostock, Platz keit zu überzeugen? am Kröpeliner Tor: mit Gregor Gysi Oskar Lafontaine: Man muss im sowie Mellow Mark, 13 bis 15 Uhr Wahlkampf die Wahrheit sagen. Aller- dings ist die Wahrheit nicht immer be- 12. September – Neubranden- Hilf mit! quem und bringt nicht immer Wähler- burg, Markt: mit Gregor Gysi, 17 bis stimmen. In der Steuerfrage hoffen wir 19 Uhr Für den gesetzlichen Mindestlohn, gute Arbeit, gute Rente. Für Gesund- aber, dass die Wählerinnen und Wähler, 15. September – Mainz, Guten- heit, Bildungschancen und Frieden. nachdem sie vor jeder Wahl sonst belo- bergplatz: mit Oskar Lafontaine Hilf mit für eine gerechte Politik. gen worden sind, sich diesmal daran er- sowie Polkaholix, 16 bis 18 Uhr Mit Deinen Ideen, Deinem Engage- innern, dass die Versprechen von Mer- ment und Deiner Spende: kel und Westerwelle gar abenteuerlich 15. September – Ludwigshafen: www.die-linke.de/spenden sind. Aber Sicherheit hat man da nicht. mit Oskar Lafontaine, 20 bis 22 Uhr

70 DISPUT August 2009 Wir haben ein wahrhaftiges Steuerpro- den nächsten Wochen Arbeit, Arbeit men der berühmte Campingtisch und gramm. Wollen die Wohlhabenden und und nochmals Arbeit vor. Da wartet die der Info-Stand zum Einsatz. die Börsianer besteuern und wollen die große Tour durch das Land, Marktplät- Gregor Gysi: Und das ist sehr wichtig. Facharbeiter und Kleinbetriebe entlas- ze und Hallen sind zu füllen, jeden Tag Wenn du die Mitglieder nicht erreichst ten. Das ist ein klares Programm, und eine andere Stadt, ihr werdet zigmal und sie kaum Wahlkampf führen, dann es ist auch fi nanzierbar. Wir haben das die gleiche Rede halten. Nun seid ihr können wir uns beide abstrampeln, wie Problem, dass die bürgerlichen Medien, Profi s, meine Frage ist: Wie hält man wir wollen, das wird dann nichts. also die privaten Medien, uns vor der sich in dieser Zeit fi t, wie motiviert ihr Oskar Lafontaine: Ich hatte ein gutes Bundestagswahl klein machen wollen euch selbst zu dieser großen Kraftan- Erlebnis beim Kommunalwahlkampf im – an der Spitze der Springer-Konzern. strengung? Saarland. Wir waren so präsent wie die Wenn man nur die »BILD am Sonntag« Oskar Lafontaine: Ich halte mich anderen Parteien, obwohl wir gegen- sieht – »Die Linke denkt nur daran, die durch Laufen fi t. über den beiden großen Parteien CDU Steuern zu erhöhen« –, dann ist das ei- Gregor Gysi: Und ich durch Radfah- und SPD deutlich weniger Mitglieder ne glatte Lüge, aber so geht es leider vor ren, weil ich Rennen nicht leiden kann. haben. Aber der Wahlkampf der LIN- jeder Wahl. Und unsere Mitglieder und Oskar Lafontaine: Und meine Moti- KEN war so intensiv wie der der beiden Anhänger müssen wissen, dass dies so vation ist die Gewissheit und der Glau- großen Parteien. Und das Ergebnis von läuft und die Medien immer wieder ver- be, dass DIE LINKE jetzt schon die deut- knapp 13 Prozent ist für eine Partei, die suchen werden, DIE LINKE klein zu hal- sche Politik verändert und sie, wenn in fast allen Gemeinden Leute präsen- ten und unsere Wahlaussagen dabei zu sie noch stärker wird, weiter verändern tiert hat, die noch nicht die Erfahrungen verfälschen. wird. hatten, nicht bekannt waren, ein großer Gregor Gysi: Mein Eindruck ist im Ich bin das Kind einer Kriegswitwe Erfolg. Das ging aber nur – und dies Augenblick, sie glauben nicht der Uni- und die Behandlung der Rentner durch war für mich so wichtig –, weil die Mit- on und sie glauben schon gar nicht der die Zerstörung der Rentenformel, ver- glieder motiviert waren. Nur um es zu SPD, was aber nicht heißt, dass sie sie antwortet durch SPD, CDU/CSU, FDP verdeutlichen: Wir haben nun im Saar- nicht wählen. Und über uns denken sie und Grüne, ist für mich ein solcher land 260 Mitglieder mit Mandaten, dar- noch, das ist eine Illusion, das sei nicht Skandal, dass ich alles tun möchte, unter auch Doppelmandate, und von zu schaffen. Und das müssen wir jetzt um wieder eine Rentenformel durchzu- denen kenne ich vielleicht 40. im Wahlkampf hinkriegen, das ist in setzen, die den Menschen, die 45 Jah- Arbeit. Ich habe jetzt gesagt, wir brau- re gearbeitet haben, eine auskömm- Ohne Leidenschaft, Geschlossenheit chen einen Zettel, wo alles durchge- liche Rente einbringt. Nur eine Neben- und Optimismus geht es also nicht. rechnet ist, den dann jedes Mitglied bemerkung: Die jetzige Rentenformel Wie lautet euer Tipp für die Landtags- unserer Partei bekommt und viele Bür- setzt voraus, dass man 45 Jahre lang zu wahl im Saarland und für die Bundes- gerinnen und Bürger. Dass man das al- einem Mindestlohn von 9,49 Euro gear- tagswahl? so lesen kann und sieht – aha, es geht beitet haben muss, um überhaupt die Oskar Lafontaine: Im Saarland reden ja tatsächlich auf, es ist wirklich fi nan- Höhe der Grundsicherung von 676 Euro wir von 20 plus X und bei der Bundes- zierbar. Zum Beispiel die Rentensteige- erreichen zu können. Hier sieht man, tagswahl bleiben wir bei 10 plus X Pro- rung würden wir ja aus der gesetzlichen wie alles miteinander zusammenhängt zent. Rentenversicherung fi nanzieren, nicht und wie notwendig es ist, dass es eine Gregor Gysi: Ich lasse mich jetzt über Steuern. Aber andere Dinge müs- Partei wie DIE LINKE gibt. nicht auf andere Zahlen ein. Ich will sen wieder über Steuern fi nanziert wer- Gregor Gysi: Ich kann nicht jeden das auch versuchen zu erklären. Es hat den. So hauen die anderen auch immer Tag die gleiche Rede halten, ich muss mich wirklich geärgert, als wir das erste den Konjunktur- und den Zukunftsfonds wenigstens Komplexe umstellen, sonst Mal in die Hamburgische Bürgerschaft zusammen, obwohl der Zukunftsfonds fange ich irgendwann an, mich mit eingezogen sind mit über sechs Prozent ja nur einmal zu fi nanzieren ist und ein mir zu langweilen. Meine Motivation – und den ganzen Abend mussten sie Konjunkturprogramm jedes Jahr zu fi - kommt aus zwei Gründen. Zum einen dort die Frage beantworten, warum sie nanzieren wäre. Aber damit sind wir, das, was Oskar gesagt hat, ich will es so schlecht abgeschnitten hätten. Und wie Oskar gesagt hat, bei den Ausga- politisch. Ich will, dass wir stärker wer- das nur, weil sie vorher einmal von ben im Jahre 2000. den, weil ich weiß, dass das die Gesell- zehn Prozent gesprochen hatten. Die- Ich will nur sagen: Wir werden das schaft verändert. Und dann gibt es die sen Fehler werden wir nicht begehen. alles hinbekommen, aber wir müssen Inhalte. Mich beschäftigt neben der Oskar Lafontaine: Wir sind heute bei dafür engagiert noch etwas tun. Erst Rente zum Beispiel sehr die Bildung. der Forsa-Umfrage bei 11 Prozent, bei mal ist es wichtig, dass wir ein Wahl- Ich leide darunter, wenn ich Kinder zur Emnid auch. Nehmen wir also an, wir programm mit überwältigender Mehr- Hauptschule gehen sehe. Ich weiß, was würden 11 Prozent erreichen. Trotzdem heit beschlossen haben. Damit sind al- das bedeutet. wette ich, gleich die erste Frage der le oder doch fast alle Mitglieder moti- Das Zweite ist: Man wird motiviert Journalisten bei der Wahl wäre: Warum viert, und die werden sich jetzt enga- durch die Veranstaltungen selbst. Es ist hat DIE LINKE nicht besser abgeschnit- gieren. Wir müssen dazu noch ein paar ganz einfach. Wenn du da stehst und ten? Übersetzungen liefern, aber das muss redest und es kommt Leidenschaft auf, Gregor Gysi: Oder was glaubst du, man immer machen. Deshalb bin ich dann motiviert mich das. Deshalb ist wie sie reagieren würden bei einer nicht pessimistisch. Unser Ziel ist real: die Kommunikation auf der Veranstal- Zahl von 9,9 Prozent? Dann sagten sie 10 plus X Prozent. tung so wichtig. doch glatt wieder: Sie haben Ihr Ziel Und wenn du sagst, dies wollen wir verfehlt! umkehren, dann müssten uns ja fast 90 So wie ihr – gemeinsam mit den Spit- Prozent wählen – ich wüsste gar nicht, zenkandidaten in unseren Landesver- Interview: Daniel Bartsch ob ich das im Augenblick wirklich wollte. bänden – die Aushängeschilder sein werdet, werden auch die Mitglieder [email protected] Du hast es eben gesagt, uns steht in aktiv kämpfen, unsere Basis. Hier kom- [email protected]

GESPRÄCH DISPUT August 2009 08 Mitmach-Partei im Wahlkampf Linksaktiv auf Tour, zum Beispiel vor Karstadt in Düsseldorf Von Sascha Müller und Florian Kautter

DIE LINKE versucht im Superwahljahr, durch Nordrhein-Westfalen kamen wir mal einige Kernelemente und Metho- neue Wege in den Wahlkämpfen und am 29. Juli nach Düsseldorf, wo bereits den des Linksaktiv–Projekts vor, und bei der Mobilisierung unserer Wähle- ausführliche Vorbereitungen für eine das lokale Team plante das weitere rinnen und Wähler zu gehen. Mit dem aktivierende Aktion vor Karstadt statt- Vorgehen. Bei dem Treffen diskutier- Linksaktiv-Projekt wollen wir unsere gefunden hatten. Die AktivistInnen vor ten wir sehr konzentriert das Linksak- SympathiesantInnen für die Idee be- Ort hatten eine »Bodenzeitung« vorbe- tiv-Projekt, ohne die alltägliche Partei- geistern, sich aktiv dafür einzuset- reitet. Mit ihr wurde PassantInnen die arbeit mit einzubeziehen. Das ist be- zen, dass DIE LINKE in den anstehen- Möglichkeit gegeben, ihre Meinung zu sonders für jene AktivistInnen wichtig, den Wahlen gestärkt wird. Trotz eines äußern – wer für die Krise verantwort- die nicht Mitglied der Partei sind und enormen Mitgliederzuwachses in den lich ist und wer ihre Kosten zu tragen die sich vor allem über ihr aktionsorien- letzten Jahren ist die Mitgliederzahl hat. Zwei AktivistInnen hatten sich als tiertes Engagement in den Wahlkampf immer noch recht gering. Deshalb ist Millionäre verkleidet, die nun – in ei- einbringen wollen. es besonders wichtig, diejenigen, die DIE LINKE wählen, dazu zu motivieren, andere davon zu überzeugen, dassel- be zu tun. Da DIE LINKE nicht wie ande- re Parteien Spenden von Banken und Versicherungen in Millionenhöhe erhält und sie dies auch nicht anstrebt, muss sie in den Wahlkämpfen den Nach- teil in der materiellen und fi nanziellen Ausstattung mit der Aktivität ihrer Mit- glieder und SympathiesantInnen aus- gleichen. Hierbei wollen wir jene, die sich aktivieren, nicht einfach als Hilfs- kräfte für überforderte Wahlkämpfer/ innen einsetzen, sondern wollen sie anregen, sich zusammen mit der LIN- KEN aktiv für ihre eigenen Interessen zu engagieren. Wir wollen uns als Mitmach-Par- tei zeigen, die offen für alle ist, die die bestehenden Verhältnisse nicht al- lein durch ein Kreuzchen am Wahltag, sondern aktiv verändern wollen. Hier- Harmgart© Yves zu müssen sich nicht nur neue Leute in Wer spendet für die armen Millionäre? Mit kreativen Aktionen macht das Linksaktiv- der heißen Wahlkampfphase aktivie- Team auf DIE LINKE aufmerksam. ren. Auch die bereits aktiven Mitglieder müssen in den Strukturen vor Ort die ner ironischen Anspielung auf die Kar- Ähnliche Aktionen und Treffen fan- Voraussetzungen dafür schaffen, dass stadt-Mitbesitzerin Schickedanz – auf- den inzwischen an vielen Orten statt. sich die neuen Aktiven schnell in die grund ihrer Krisenverluste auf der Stra- Es scheint uns besonders wichtig, dass Wahlauseinandersetzung einbringen ße Geld sammeln gehen. Beide Akti- die lokalen Teams bei Aktionen eine ge- können. Das Gleiche gilt für bisher in- onen erzeugten große Aufmerksamkeit. meinsame Praxis entwickeln, so dass aktive Parteimitglieder, die so leichter So war es den nicht direkt an den Akti- sie in der heißen Wahlkampfphase gewonnen werden können, in der ent- onen beteiligten GenossInnen und Ak- vorbereitet sind, schnell weitere Aktivi- scheidenden Wahlkampfphase eine ak- tivistInnen (insgesamt waren etwa 25 täten durchzuführen, die die Menschen tive Rolle einzunehmen. Leute gekommen) leichter möglich, mit ansprechen und mobilisieren. Seit Juli ist das Linksaktiv-Team auf Passantinnen und Passanten ins Ge- Der Europawahlkampf hat uns ge- Tour durch die Republik. Es nimmt an spräch zu kommen, Material zu vertei- zeigt, dass in der Zeit intensiverer po- lokalen Aktionen teil, veranstaltet Se- len und Interessierte darauf anzuspre- litischer Auseinandersetzung eine im- minare und unterstützt die örtlichen chen, ob sie sich für DIE LINKE im Wahl- mer größere Anzahl an Menschen offen Aktiven- und Parteistrukturen bei der kampf engagieren wollen. und ansprechbar ist. Dabei bietet die Planung des Aktivierungswahlkampfs Am Abend besprachen wir mit dem wachsende Dichte an Veranstaltungen vor Ort. Hierbei werden Aktionsformen örtlichen Team von AktivistInnen, das im Wahlkampf eine gute Chance, noch ausprobiert, die es erleichtern sollen, sich schon seit einigen Wochen regel- vielen weiteren Menschen zu begeg- mit den Menschen auf der Straße ins mäßig trifft, die Aktion. Jeder konnte nen, die von sich aus oder durch unse- Gespräch zu kommen. seine Vorstellungen darlegen und dis- re Motivation aktiv an unserem Wahl- Ein Beispiel: Im Rahmen unserer Tour kutieren. Außerdem stellten wir noch kampf mitmachen können.

90 DISPUT August 2009 AKTION Eine Herausforderung Schiedsrichterin, Aufsichtsrätin, Diplomatin – aus dem Alltag einer Vizepräsidentin des Bundestages Von Petra Pau

»Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen Kolleginnen und Kollegen der SPD, um- land vom Faschismus zu befreien. In der SPD, umgehend den Plenarsaal gehend den Plenarsaal zu verlassen.« der DDR fi el er als Schriftsteller in Un- zu verlassen.« Das waren meine ers- Meine erste Auslandsreise als Vi- gnade und wurde dafür in der Alt-BRD ten Worte als frisch gewählte Vizeprä- zepräsidentin führte mich in die Ukra- hofi ert. Im Westen Deutschlands galt sidentin des Deutschen Bundestages. ine, konkret nach Babij Jar. Dort wur- er als Vorzeige-Ossi, als er am 4. No- Sie sind protokolliert. LINKE schmeißt den 1941 binnen weniger Tage 33.771 vember 1989 auf der legendären Bür- Sozis raus? Das wäre die kurze Pointe. Jüdinnen und Juden ermordet – von gerrechtskundgebung auf dem Berli- Die ganze Geschichte klingt anders. Ei- deutschen Einheiten. Vertreterinnen ner Alex sprach. Aber das Blatt wendete ne laufende Plenardebatte war mäßig und Vertreter verschiedener Staaten sich jäh, nachdem er sich 1994 ausge- besucht. Es gab eine Abstimmung. Sie waren nun, 65 Jahre später, gekommen, rechnet für die PDS um ein Bundestags- schien zugunsten der Opposition aus- um der Opfer zu gedenken. Die »Tragö- mandat bewarb, obendrein erfolgreich. die von Babij Jar«, wie inzwischen auch So wurde der ewig linke Stefan Heym ein Film heißt, galt lange als vergessen. in »Deutschland einig Vaterland« er- Das zentrale Symbol für den Holocaust, neut zur Unperson. Zwölf Jahre später für die industrielle Vernichtung von Jü- traf dieselbe Arroganz . Die dinnen und Juden durch das Hitler-Re- Faktion DIE LINKE beschloss, aus Pro- gime, ist das KZ Auschwitz. Hier wur- test vorerst auf das uns zustehende Vi- den über eine Million Menschen ver- zepräsidentenamt zu verzichten. brannt, vergast, ermordet. Aber eben Vier Monate später trat ich zur Wahl nicht nur da, sondern überall, wo da- an. Drei Abgeordnete von Bündnis 90/ mals die NS-Schergen gewütet hatten Die Grünen inszenierten gegen mich – immer auch mit Hilfe namhafter deut- noch eine Medienkampagne. Das tat scher Konzerne, die von Massenmor- weh. Aber sie verpuffte. Und so konnte den profi tierten. Ich reiste ohne Scham das Bundesamt für Verfassungsschutz nach Babij Jar. Ich bin Jahrgang 1963. akkurat in seiner fortlaufenden Über- Man kann mich nicht für die Gräuel von wachungsakte über mich festhalten: vorgestern in Haftung nehmen. Aber »Am 16. April 2006 wurde Petra Pau zur ich fühle mich dafür verantwortlich, Vizepräsidentin des Bundestages ge- dass so etwas niemals wieder gesche- wählt.« hen kann. Denke bitte niemand, das sei Im Bundestag empfange ich viele ausgeschlossen. Rechtsextremismus, Besucherinnen und Besucher. Oft wer-

© Erich Wehnert © Erich Rassismus und Antisemitismus fi nden de ich gefragt, was eine Vizepräsiden- europaweit neue Anhänger. Auch dar- tin denn eigentlich zu tun habe. Salopp zugehen. Für die CDU/CSU und für die über sprach ich 2006 mit Repräsentan- gesagt sind es drei Dinge. Die Abgeord- SPD wäre das ein Mini-Eklat gewesen, ten der Ukraine. neten beschließen eine Geschäftsord- für die FDP, DIE LINKE und die Grünen Meiner Wahl zur Vizepräsidentin des nung, damit möglichst alles demokra- ein Sensatiönchen. Also zweifelten die Bundestages ging ein Trauerspiel vor- tisch, fair und kulturvoll zugeht. Wie Regierungsfraktionen fl ugs das Votum aus. Die Fraktion DIE LINKE hatte für ein Fußballschiedsrichter im Stadi- an. dieses Amt Prof. Lothar Bisky nomi- on habe ich im Parlament darüber zu Das Präsidium ging auf Nummer si- niert. Er stellte sich vier Mal zur Wahl, wachen, dass niemand foult. Der Bun- cher. Es rief zum Hammelsprung auf: und man ließ ihn ebenso oft durchfal- destag ist ein Großbetrieb mit Gebäu- Alle Abgeordneten müssen den Plenar- len. Ein Affront. Gregor Gysi war außer den, Dienstleistungen und Tausenden saal verlassen. Sobald er leer ist, betre- sich. Eine Begründung hieß: Es ist un- Beschäftigten, die das Parlamentsge- ten sie ihn nach Aufruf wieder und zwar üblich, dass ein Parteivorsitzender zu- schehen ermöglichen. Für sie agiere durch eine Tür ihrer Wahl. Die eine be- gleich Vizepräsident des Bundestags ich quasi im Aufsichtsrat. Schließlich deutet Ja, die zweite Nein, die dritte Ent- werde. Ach so? (SPD) pfl egt der Bundestag internationale Be- haltung. So kann exakt gezählt werden, war Partei-Vize und wurde vordem ziehungen. Empfange ich Delegationen welche Meinung eine Mehrheit hat. selbstverständlich zum Präsidenten von Parlamenten oder Regierungen an- Das Problem: Die übliche Koaliti- des Bundestages gewählt. derer Staaten oder bin ich als Vizeprä- onsmehrheit war personell gerade ei- Viele von uns fühlten sich ob der ab- sidentin im Ausland unterwegs, so im- ne Minderheit. Also mussten die säu- surden Argumentation an 1994 erin- mer auch als »Diplomatin« der Bundes- migen Regierungsabgeordneten herbei nert. Damals zog Stefan Heym für die republik Deutschland. Schiedsrichte- telefoniert werden. Dafür brauchte die PDS in den Bundestag ein. Während rin, Aufsichtsrätin, Diplomatin, das ist SPD Zeit. Um die zu gewinnen, verwi- seiner Eröffnungsrede als Alterspräsi- für mich in der Tat eine neue Heraus- ckelten sich die anwesenden Koalitio- dent schlug ihm eisige Kälte entgegen. forderung. näre in intensivste Gespräche. Just in Er war Jude und musste in jungen Jah- Bevor ich mich überhaupt als Vize- diesem Moment hatte ich die Plenarlei- ren aus Deutschland fl iehen. Er kam mit präsidentin bewarb, wollte ich etwas tung übernommen. Ergo: »Ich bitte die der US-Army zurück und half, Deutsch- anderes wissen. Werde ich damit auf ei-

PARLAMENT DISPUT August 2009 010 ne freundliche Frühstücksmoderatorin NACHHALTIGE LEHREN zurückgestutzt, oder kann ich weiter als LINKE politisch agieren? Ich suchte Rat bei alten Hasen, bei ehemaligen Amts- trägern der FDP und immer noch agilen Bürgerrechtlern. Sie sprachen mir Mut zu. Meine Pro-Themen sind seit Langem Bürgerrechte und Demokratie, meine Anti-Themen Rechtsextremismus, Ras- sismus und Antisemitismus. Und sie bleiben es. Ich kann meine politischen Anliegen als Vize-Präsidentin des Bun- destages sogar noch medial verstärken. Gut so. Und wichtig! Aber die übliche Gratwanderung schmeckt nicht jedem. Jüngst klagte ich in einer Plenardebatte im Bundes- tag an, dass immer mehr Bürgerrechte einer vermeintlichen Sicherheit geop- fert werden. Ich sprach über »Hartz IV«,

über Vorratsdatenspeicherung, über Melde Bundestag/Lichtblick/Achim © Deutscher Einsätze der Bundeswehr im Inneren, über den drohenden Umbau eines de- Herr Kauder, ich sage das sehr Kollege, ... Ihr Zwischenruf veran- mokratisch verfassten Rechtsstaates deutlich: Nicht alles, was tech- lasst mich, hier mal sehr deutlich in einen präventiven Sicherheitsstaat, nisch machbar ist und was man Folgendes zu sagen: über Sonntagsreden und über die All- sicherlich aus dem berufl ichen ( (CDU/CSU): Nein! Es tagspraxis. Meine Rede ist mehrfach Blickfeld von Polizistinnen und Po- reicht, was Sie gesagt haben!) dokumentiert. Man kann sie auf mei- lizisten sowie Ermittlungsbehör- Ja, ich bin in der DDR geboren. ner Webseite nachlesen (und in Aus- den gern an Instrumenten in der Ich habe in der DDR Verantwor- zügen nebenan auf dieser Seite). Auch Hand hat, ist mit unseren Grund- tung getragen. 1990, die demo- die empörten Rufe aus den Reihen der rechten und unserem Grundgesetz kratische Wende, die ich nicht CDU/CSU und der SPD, ebenso die zu- vereinbar. Wir sind dazu da, genau erzwungen habe, auch das geste- stimmenden Kommentare anderer. dieses Spannungsfeld sehr verant- he ich hier, hat mir nicht nur sehr Im September 2008 demonstrierten wortungsvoll auszuloten. viel Stoff zum Nachdenken gege- in Berlin 60.000 Bürgerinnen und Bür- (Beifall bei der LINKEN sowie des Ab- ben, sondern ich persönlich ha- ger aus allen Landen der Bundesrepub- geordneten Jörg Tauss (fraktionslos). be aus dem Scheitern dessen, was lik. »Freiheit statt Angst« hieß das Mot- Volker Kauder (CDU/CSU): Was Sie sich Sozialismus nannte, auch to. Zuvor gab es Daten- und Überwa- sagen, ist ungeheuerlich, Frau Pau!) aus dem Scheitern der Ideen, für chungsskandale: bei der Bahn, bei der Das Ganze korrespondiert mit ei- die ich dort gearbeitet habe, sehr Telekom, bei LIDL. Zugleich gibt es wei- ner weiteren Entwicklung. schmerzhafte, aber für mich auch tere Attacken auf die Privatsphäre. Die (Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist nachhaltige Lehren gezogen. Als bekannteste heißt Vorratsdatenspei- Demagogie, was Sie hier machen!) ich 1998 in den Deutschen Bun- cherung. Sie bedeutet: Der Staat lässt Substanzielle und verfassungs- destag gewählt wurde, habe ich erfassen, wer wann wo mit wem tele- rechtliche Grenzen werden Stück es mir zur Aufgabe gemacht, dass foniert, wer wem eine E-Mail oder SMS für Stück aufgeweicht, zum Bei- es eine linke, eine sozialistische geschickt und wer welche Webseite an- spiel zwischen Landesverteidi- Bürgerrechtspartei in der Bundes- geklickt hat. Das Ganze wird sechs Mo- gung und weltweiten Kampfein- republik gibt. Das heißt, aus den nate lang gespeichert. Wir haben hoch- sätzen, zwischen Militär und Poli- Lehren aus der Geschichte nehme gerechnet: Binnen eines halben Jahres zei, zwischen Polizei und Geheim- ich mir das Recht heraus, auf Ge- fallen so mindestens 60 Milliarden Da- diensten. Das heißt, wir erleben fahren für die Grundrechte und für tensätze an. Ein Sack Flöhe hüten ist seit Jahren den zielstrebigen Um- das Grundgesetz auch hier in die- leichter. Schlimmer ist: Alle rund 80 bau der Gesellschaft weg vom ser Bundesrepublik hinzuweisen. Millionen BürgerInnen der Bundesre- Rechtsstaat hin zum präventiven Dazu steht DIE LINKE. publik Deutschland werden per Vorrats- Sicherheitsstaat. (Beifall bei der LINKEN. Joachim datenspeicherung unter einen staatli- (Joachim Stünker (SPD): Das ist ja Stünker (SPD): Sie haben zielgerich- chen Generalverdacht gestellt, poten- wohl unglaublich! Das ist Unsinn! tet von Umbau gesprochen! Das ist zielle Terroristen zu sein. Ich gehöre zu Das ist eine Unverschämtheit! Mi- Vorsatz! Eine Unverschämtheit! Hart- der wachsenden Gemeinschaft, die da- chael Grosse-Brömer (CDU/CSU): wig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): gegen in Karlsruhe klagt, also vor dem Freuen Sie sich, dass Sie endlich in Gestern den Internationalen Straf- Bundesverfassungsgericht. Und so viel einem Rechtsstaat leben!) gerichtshof verhöhnen und heute ich weiß, ist es das erste Mal in der Andere sprechen auch vom Über- solche Reden! Volker Kauder (CDU/ Geschichte der Bundesrepublik, dass wachungsstaat. Auch diese Praxis CSU): Und dann als Vizepräsiden- gleich zwei Vizepräsidenten des Bun- widerspricht den wohlfeilen Ant- tin da oben sitzen! Das ist alles so destages gegen ein Gesetz des Bun- worten der Bundesregierung. ein Ding!) destages vor Gericht ziehen. (Joachim Stünker (SPD): Sie kommen aus einer Diktatur und halten solche Petra Pau am 3. Juli 2009 [email protected] Reden! Das ist unglaublich!) im Bundestag

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Gerd Nier: Die Ohren offen halten Ich kandidiere! Aufgewachsen in einer Arbeiterfami- Eine Partei für den Alltag – lie, habe ich erfahren, wie schwer sich und deshalb auch für den viele Menschen ihren Lebensunterhalt Wahltag. DISPUT stellt verdienen müssen und wie wichtig es vier KandidatInnen vor. ist, dass sie ihre Interessen solidarisch vertreten. Ich hatte noch das Glück, mehre- re staatlich geförderte Bildungs- und Berufsabschlüsse machen zu können. Deshalb setze ich mich vehement da- für ein, dass Bildungschancen nicht vorrangig vom Geldbeutel der Eltern ab- hängig sein dürfen. Kinder mit den un- terschiedlichsten Lebenshintergründen sollen möglichst lange gemeinsam eine Schule besuchen können. In meiner Tätigkeit als Sozialarbei- ter, unter anderem in der Obdachlo- senarbeit, erlebte ich, was es bedeutet, keine Lobby zu haben und in unserer Gesellschaft ausgegrenzt zu werden. THURID FELDMANN, Das hat mich endgültig dazu bewogen, 45, kaufmännische mich gewerkschaftlich und parteipoli- Angestellte, tisch zu engagieren. Direktkandidatin für So bin ich seit knapp 40 Jahren Mit- Karlsruhe-Land glied in der Gewerkschaft. Fast 20 Jah- re lang war ich Mitglied der SPD, ich ha- be sie im Rat der Stadt Göttingen ver- JANINA PFAU, 25, Studentin, Direktkandidatin im Vogtlandkreis treten und war ihr Direktkandidat zur und auf Platz 11 der Landesliste Sachsen Bundestagswahl 1987. Drei Jahre dar- auf habe ich die SPD verlassen. Aus- schlaggebend dafür war der soge- nannte Asylkompromiss. Ich konnte es nicht mehr mittragen, dass sich ei- ne Partei, deren eigene Mitglieder wäh- rend der Verfolgung durch die Nazis auf politisches Asyl angewiesen waren, so weit verbiegen lässt. Auch das Schie- len der SPD-Spitze nach der ominösen »Neuen Mitte« und das Aufweichen so- zialpolitischer Positionen und schwer erkämpfter Rechte von Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmern war für mich nicht mehr hinnehmbar. Meine Begeisterung für ein partei- politisches Engagement hielt sich dann für 15 Jahre in engen Grenzen. Erst mit Gründung der WASG habe ich wieder einen Ansatz gesehen, linke Politik in-

nerhalb einer Partei glaubwürdig ver- (3) © privat treten zu können.

DISPUT August 2009 012 Als Landesvorstandsmitglied der scheidungen in Berlin und deren Aus- WASG in Niedersachsen konnte ich ei- wirkungen vor Ort in einen erkennbaren nen kleinen Beitrag dazu leisten, den Zusammenhang bringen. Was mir dabei GERD NIER, 62, wichtigen Zusammenschluss von PDS Spaß macht, ist das direkte Gespräch. Berufsschullehrer, und WASG voranzubringen. Das erfolg- Ich möchte, dass die Menschen mich Direktkandidat in Göttingen reiche Abschneiden bei den Landtags- auch künftig zu Ungerechtigkeiten im wahlen schon kurze Zeit nach Grün- Alltag ansprechen und ich hier und da dung der LINKEN übertraf selbst meine einen Beitrag zur Verbesserung ihrer Si- optimistischen Erwartungen. tuation leisten kann. Und nun, eineinhalb Jahre später, Eine andere Politik ist möglich und trete ich selbst für DIE LINKE als Direkt- umsetzbar. Dafür werde ich – unabhän- kandidat im Wahlkreis Göttingen an. gig davon, ob ich das Bundestagsman- Selbstverständlich vertrete ich über- dat erobere oder nicht – meine Ohren zeugt das sozial- und wirtschaftspoli- offen halten, mich informieren, an Soli- tische Konzept unserer Partei, die Not- daritätsaktionen teilnehmen und in der wendigkeit einer tief greifenden ge- LINKEN mitarbeiten. Nach wie vor leitet rechten Steuerreform, unsere anti- mich dabei die Überzeugung, dass so- militaristische Überzeugung und die ziales und ehrenamtliches Engagement Forderung nach Demokratisierung. Da- wichtige Elemente einer humanen Ge- von muss ich nicht näher berichten, das sellschaft sind. Die grundlegende Ver- teile ich mit allen Mitgliedern der LIN- änderung von Machtverhältnissen ist KEN, und dafür habe ich bei der Ver- jedoch nur durch den politischen Druck abschiedung des Bundestagswahlpro- vieler Menschen zu erreichen. gramms meine Hand gehoben. [email protected] Mein direktes Engagement orien- tiert sich schwerpunktmäßig an den Lebenssituationen im Wahlkreis. Bei vielen Menschen in der Region Göt- Thurid Feldmann: tingen bin ich mittlerweile bekannt da- für, dass ich mich gegen Ämterschika- ne und Behördenwillkür einsetze und ... dass Menschen dass ich dies auch öffentlich mache. aufwachen

© Stephan © Stephan Knoblauch Mit Hilfe von Bürgerinnen und Bürgern konnte ich etliche Auswüchse im Rah- Über lange Jahre hinweg habe ich in ei- men der unseligen und abzuschaffen- ner WG mit meiner Schwester zusam- den Hartz-IV-Gesetze aufdecken. Bun- men gelebt. Morgens zum Frühstück desweite Aufmerksamkeit erlangte ich hörte ich die Debatten über Marx und mit der Offenlegung des sogenannten Engels und wurde zum Morgenmuffel. Bettelskandals in Göttingen. Dann wurde ich irgendwann erwach- Mein Protest gegen die Auslage- sen. Schröder verabschiedete sich aus rung der Gastronomie mit den damit der Politikarena, was ich zum Anlass einhergehenden deutlich verschlech- nahm, bei der SPD einzutreten. Der er- terten Arbeits- und Lohnbedingungen hoffte Ruck nach links geschah jedoch für das Küchen- und Reinigungsperso- in keinster Weise, also habe auch ich nal der Uni-Kliniken sorgte ebenfalls mich wieder aus dieser Partei verab- für einiges Aufsehen. Der Platzverweis schiedet. und eine Strafanzeige der Klinikleitung Meinem parteilosen Zwischenzu- gegen mich wegen unerlaubten Betre- stand kam ein großer Umstand entgegen tens des »Hoheitsgeländes« trugen da- – meine Tätigkeit im Verkauf. Aus vielen zu bei, dass viele Menschen über die Verkaufsseminaren weiß ich, dass für die Pressemeldung von den geplanten Steigerung des Umsatzes eines wichtig Maßnahmen und dem Protest dagegen ist: das Zuhören. Also hörte ich zu. Man erfuhren. Die Unterstützung der strei- hört soviel Ängste und Nöte, und »dank« VASCO SCHULTZ, kenden Erzieherinnen und meine Bei- der bisherigen Regierung werden es im- 32, Student, Direktkandidat teiligung am Bildungsstreik wurden von mer mehr. Die Menschen sind müde und in Hamburg-Wandsbek den KollegInnen, den SchülerInnen und hoffnungslos. Keiner glaubt mehr an die StudentInnen erkennbar registriert. Regierung und letztendlich auch an un- Wichtig ist, dass wir als LINKE Ent- sere Demokratie.

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Mir erging es genauso. Aber mir wurde Arm und Reich und die immer gravie- dass so viele Menschen Informationen, klar, dass, wenn sich was ändern soll, render werdende soziale Ungerechtig- die sie durch Medien wie Zeitung oder ich es selbst tun muss. Also trat ich in keit hier und in überall in der Welt, ver- Fernsehen geliefert bekommen, nicht eine Gemeinschaft ein, die meine er- bunden mit der stetig steigenden Re- mehr hinterfragen. Es wird einfach vor- wünschten Werte vertritt. Außerdem levanz von Geld für unser alltägliches schnell geurteilt, ohne die Hintergrün- bin ich davon überzeugt, dass immer Miteinander, brachten mich zum Um- de zu beleuchten. Viele Menschen ha- mehr Bürgerinnen und Bürger langsam denken. Mir wurde klar, dass ich allein ben aus persönlichen Enttäuschungen, aber sicher auf denselben Trichter kom- die Welt nicht ändern werde, sondern aus Verblendungen oder aus Bequem- men wie ich. Leider ist unser Ruf nicht nur in einer Organisation etwas errei- lichkeit zu politischen Fragen scheinbar der beste, doch daran werde ich eben- chen kann. Weil eine andere Partei als keine Meinung mehr oder wollen sie zu- falls mit arbeiten. die damalige PDS für mich nicht in Fra- mindest nicht äußern. Die »Partei« der Ich will, dass die Agenda 2010 auf ge kam, trat ich im Januar 2004 online Nichtwähler ist die stärkste in Deutsch- den Müll geworfen wird. Ich will die »al- in die Partei ein. Den Eintritt habe ich land. Eine wesentliche Ursache für die ten« Regeln für den Aktienhandel wie- nicht bereut, auch wenn ich mir im Be- entstandene Politikverdrossenheit se- der einführen, damit Hedgefonds kei- kanntenkreis durchaus kritische Kom- he ich darin, dass es als »unfair« gilt, ne Zukunft mehr haben. Ich will ein be- mentare anhören musste. nach der Wahl an Aussagen und Ver- dingungsloses Grundeinkommen und Es gibt viele Dinge, die mich erfreu- sprechen aus dem Wahlkampf erinnert die Abschaltung aller Atomkraftwerke. en. In diesem Jahr besonders, dass ich zu werden, und dass diese Haltung zum Eigentlich kann man das alles zusam- Tante geworden bin. Auch mit kleinen »guten« Ton der bisherigen Regierungs- menfassen: Ich will, dass unser Wahl- Dingen kann man mir immer eine große parteien gehört. programm Wirklichkeit wird. Fangen wir Freude machen. So freue ich mich über Ich will den Herren von CDU, SPD in unserer nicht mehr ganz so demokra- jede aus dem Urlaub mitgebrachte und FDP, die bisher angeblich für das tischen Demokratie an. Denn zu aller- »Sand-Spende« für meine außerge- Vogtland im Bundestag sitzen oder so- erst muss sie wieder auf ihren vorher- wöhnliche Sandsammelleidenschaft. gar Staatssekretär sind, Paroli bieten. bestimmten Weg gebracht werden. Stolz bin ich darauf, dass ich mit- Meine Meinung ist eindeutig: Der Ab- In meinem Wahlkreis Karlsruhe- helfen konnte, in den letzten zwei Jah- geordnete muss den Wählerinnen und Land haben wir aber auch noch andere ren im Vogtland eine gut vernetzte und Wählern verpfl ichtet sein! Und die über- Probleme. Sei es der gentechnisch ver- organisierte Gruppe der Linksjugend wältigende Mehrzahl will eben keine änderte Mais, der hier seinen Einzug [‘solid] aufzubauen, die inzwischen Soldaten nach Afghanistan oder an- hält, oder die absurde Milchsubventi- nicht mehr zu übersehen ist. Beim ge- derswohin schicken und lehnt Hartz IV on. Doch vor allem will ich in meinem meinsamen Auftreten gegen die rechte ebenso ab wie eine Zwei-Klassen-Medi- Wahlkreis eines erreichen: dass die Szene im Vogtland, aber auch bei zen- zin oder die Privatisierungen bei Bahn, Menschen aufwachen und sich ihren tralen Aktionen wie dem »GehDenken« Post und anderen Aufgaben der öffent- Platz wieder erkämpfen. Deswegen in Dresden im Februar zeigt sich, dass lichen Daseinsvorsorge. Hier will ich in werbe ich auf allen Homepageseiten unsere Jungendgruppe nicht nur redet. meinem Wahlkampf ansetzen. All diese und in der Öffentlichkeit für mich und Es freute mich ebenso, dass mein Gesetze einschließlich der Rettung der für meine Partei mit dem Slogan: »Ich Ortsverband in Treuen mich dem Kreis- Spekulanten auf Kosten der Arbeits- bin der soziale Weckruf für das Karls- vorstand zur Direktkandidatur für den plätze und der »kleinen Leute« haben ruher Land«. Es wartet noch viel Über- Bundestag vorschlug und mich dann diese Männer mitgetragen. zeugungsarbeit auf uns – ich bin dazu die Kreismitgliederversammlung mit Ich möchte mit meinem politischen bereit. Ich wünsche mir einen weiterhin fast hundert Prozent Zustimmung no- Engagement auf allen Ebenen – also spannenden Wahlkampf. miniert hat. Dies war durchaus keine in der Kommunalpolitik wie als Mit- [email protected] Selbstverständlichkeit. Zur Kommunal- glied des Kreisvorstandes unserer Par- wahl im Juni 2009 trat ich zusammen tei oder als Bundestagsabgeordnete – mit einem Gewerkschaftssekretär der meinen Mitmenschen Hoffnung und IG Metall für den Gemeinderat in Neu- Zuversicht geben, sich wieder einzu- Janina Pfau: ensalz an. Als feststand, dass mit uns mischen und das Leben lebenswert zu beiden erstmalig in diesem Gemeinde- fi nden. Vor allem möchte ich den jun- rat auch DIE LINKE vertreten sein wird, gen Menschen helfen, im wunderschö- Eine Zukunft im habe ich mich über die »langen Ge- nen Vogtland eine Heimat und Zukunft wunderschönen sichter« der Bürgermeisterin und an- zu fi nden, auf die sie mit eigener Identi- derer Gemeinderäte ebenfalls gefreut. tät und Sprache stolz sein können. Vogtland Für den Ortschaftsrat in meinem Wohn- Dabei will ich mich besonders für ort Mechelgrün erhielt ich auf Anhieb die »weichen« Standortfaktoren ein- Ich war schon immer politisch interes- sogar die meisten Stimmen. setzen und die unter der CDU-Führung siert, allerdings wollte ich mich nie di- Es gibt aber auch zahlreiche Din- entstandenen Verschlechterungen un- rekt engagieren. Die ständig weiter aus- ge, über die ich mich ärgere. Am meis- serer Infrastruktur, zum Beispiel beim einander klaffende Schere zwischen ten bin ich immer wieder enttäuscht, öffentlichen Verkehr, bei ärztlicher Ver-

DISPUT August 2009 014 sorgung und im Bildungswesen, rück- einzelnen Person, ob man die Chan- wundern, dass es vor Ort Politiker/in- gängig machen. Ausbildungs- und Ar- ce bekommt, politisch tätig zu werden, nen der LINKEN gibt, die ihre Probleme beitsplätze mit guter Entlohnung müs- sondern die Stromlinienförmigkeit und ernst nehmen. sen wieder in traditionellen Bereichen die Verfl echtung im parteiinternen Klün- Zwei Beispiele: Der Bezirk genehmigt der Industrie, aber ebenso in der Land- gel. Das Ergebnis dürfen wir aktuell bei – an den politischen Gremien vorbei – wirtschaft und vor allem im Tourismus SPD und CDU im Bundestag bewun- neue beleuchtete Werbesäulen, eini- geschaffen werden. Auch dadurch kann dern: Es gibt kaum noch unverwechsel- ge davon sind derart unglücklich plat- die Abwanderung besonders von jun- bare Politikertypen, an denen man sich ziert, dass sie nachts den Leuten direkt gen Menschen gestoppt werden. reiben kann, sondern allenfalls Politik- ins Schlafzimmer scheinen. Die Bürger/ [email protected] manager, die nicht mehr fragen: Wie innen (in diesem Fall ein älteres Ehe- überzeuge ich die Menschen von mei- paar) werden von den anderen Parteien nen politischen Ideen? Stattdessen fra- nicht ernst genommen, einzig DIE LIN- gen sie : Welche politische Meinung ist, KE nimmt sich des Problems an, und Vasco Schultz: durch Umfragen gedeckt, mehrheitsfä- inzwischen wurden nach mehreren Be- hig? – um sie gleich darauf opportunis- richten in der Lokalpresse einige Stand- tisch zu ihrer eigenen zu machen. orte der Werbesäulen verändert. Demokratie und Politisch bewegen möchte ich vor Zweites Beispiel: An einer stark fre- Kantstein allem eines: Deutschland muss de- quentierten Bushaltestelle gibt es nur mokratischer werden. Konkret bedeu- einen einzigen Sitzplatz. Unsere Mit- Es mag etwas idealistisch klingen, aber tet das: bundesweite Volksentscheide, glieder haben daraufhin spontan eine ich bin in der Politik, um »Gutes« zu tun stärkere und verbindlichere Beteili- größere Sitzbank gespendet mit einem und mich für diejenigen einzusetzen, gung von Bürgerinnen und Bürgern deutlich sichtbaren Hinweis auf die die Unterstützung brauchen. Und dar- an kommunalpolitischen Entschei- spendende Organisation. Mehrere Ver- über hinaus: Politik kann unheimlich dungen, mehr Mitbestimmung in Be- teilaktionen wurden organisiert, und viel Spaß machen. Man lernt viele un- trieben durch mehr Rechte von Arbeit- in diesem eher konservativen Stadt- terschiedliche Menschen kennen und nehmerInnen und Betriebsräten. Das teil erfuhren wir durchaus viel Zustim- kann manchmal ganz direkt und unbü- reicht von Bebauungsplanverfahren, mung. Die Bank wurde zwar wiederholt rokratisch helfen. in denen so früh wie möglich die Bür- »geklaut«, aber mehrfach wurde auch Politisch aktiv bin ich seit 2001. In ger/innen eingebunden werden, bis zur in der Presse über die Aktion berichtet, dem Jahr habe ich angefangen, für die Aufstellung kommunaler Haushalte mit und DIE LINKE konnte sich als die Par- Hamburger GAL (Grüne Alternative Lis- Bürgerbeteiligung. tei zeigen, die sich um die Menschen te) Kommunalpolitik zu machen. Zu- Meine feste Überzeugung ist, dass kümmert. erst in einem Stadtteilausschuss und wir nur dann ein soziales, gerechtes, Die Kommunalpolitik muss inner- seit 2004 in der Bezirksversammlung friedliches und demokratischeres Land halb der LINKEN stärker gewichtet wer- Wandsbek, dem Bezirksparlament für werden, wenn endlich nicht mehr ein- den. Das muss sich auch darin nieder- mehr als 400.000 Einwohnerinnen und zelne Interessengruppen durch Hinter- schlagen, dass sich mehr Mitglieder da- Einwohner. zimmerpolitik die Geschicke Deutsch- zu bereit erklären, aktiv in ein kommu- Dabei habe ich mich mit Themen lands prägen, sondern die Mehrheit der nalpolitisches Gremium zu gehen, in wie Tempo 30-Zonen, Schließung von Bevölkerung sich emanzipiert und aktiv einen Stadtteilbeirat oder sich sogar für Schwimmbädern, Hartz IV, Zebrastrei- beteiligt. Dafür muss man die Bürgerin eine Kommunalwahl aufstellen lassen. fen, Baumfällungen, Eisenbahnlärm, und den Bürger ernst nehmen und Ent- Die Kommunalpolitik ist eine wichtige Luftverschmutzung, Verkehrslärm, Dro- scheidungen verbindlich machen. strategische Basis sowohl für unseren genproblematik etc. beschäftigt. Hamburg-Wandsbek ist der Bezirk, Rückhalt in der Bevölkerung als auch Die Entscheidung der GAL für eine in dem die meisten Bürgerbegehren ge- als Testfeld für unsere angehenden Po- schwarz-grüne Koalition in Hamburg startet werden. Auch das zeigt, dass die litiker/innen. Wir müssen den »Par- war der eine Grund dafür, dass ich mich Menschen, wenn man ihnen denn die teinachwuchs« stärker für ein kom- jetzt bei der LINKEN engagiere. Der an- Möglichkeit gibt, gerne mitgestalten. munalpolitisches Engagement begeis- dere Grund: Die Grünen haben inzwi- Und man muss zuhören: Auch stra- tern. Punktuelle politische Aktionen schen eine verkrustete Führungsstruk- tegisch ist es für uns als LINKE wich- beispielsweise gegen »Rechts« sind tur, ähnlich wie in der SPD. Eine Ten- tig, die vermeintlich kleinen kommu- wichtig. Aber besonders effektiv ist der denz, die es leider auch in der LINKEN nalpolitischen Bedürfnisse der Bür- Kampf gegen »Rechts« dann, wenn wir gibt und der es mit aller Entschieden- ger/innen zu bewegen und das nicht den Rechten keine Chance geben, sich heit zu begegnen gilt, wenn wir nicht den »großen« Parteien zu überlassen. als Kümmerer aufzuspielen. wie die »normalen« Parteien in der Ver- Wenn wir als LINKE uns im Westen dau- krustung enden wollen. erhaft etablieren wollen, dann müssen [email protected] Es gilt, Strategien zur Verhinderung wir auch Kantstein1-Politik machen. Wir von Erbhöfen zu entwickeln. Denn dort erreichen damit Menschen, die – mei- bestimmt nicht mehr die Fähigkeit der ne Erfahrung – sich häufig darüber 1 norddeutsch für Bürgersteig

15 0 DISPUT August 2009 ie die obersten Richter in Karls- Aber da darf man auf die Zwischen- ruhe feststellten, laufen die rufe der Ostdeutschen nicht hören. Die W Bundestagswahlen zum Teil lebten ja in einem undemokratischen nicht nach einem verfassungskon- Unrechtsstaat. Da gab zwar öffentliche formen Reglement. Solch Urteil riecht Kadidatenvorstellungen, Wähleraufträ- nach »Wahlbetrug«. Wenn anderswo ge und Abwahlrechte. Die Volkskam- ein Wahlbetrug vermutet wird, folgt der mer hatte auch mehr Fraktionen als Einmarsch der Bürgerrechtler oder der der Bundestag. Aber die waren doch al- NATO. Natürlich nur, wenn es sich um le an die Kette gelegt durch vier Tabus: »Schurkenstaaten« handelt. Da aber Das Volkseigentum ist unantastbar! Die Deutschland ein Musterland der Demo- Arbeiter-und-Bauernmacht bleibt! Der kratie ist, gab das Gericht eine Frist bis Sozialismus ist die bessere der beiden 2011, um den Trick mit den Überhang- Welten! Der Warschauer Pakt dient sei- mandaten aus dem Wahlrecht zu elimi- nem Schutz! Jeder Streit begann erst nieren. So könnte bei der kommenden jenseits dieser Tabus. Bundestagswahl zum Beispiel die CDU/ Man stelle sich vor, im Bundestag CSU Dutzende Mandate zusätzlich er- gäbe es vier ähnliche Tabus: Das Pri- gattern, die als eine Art Bonus für die vateigentum ist unantastbar! Die frei- Zahl der Direktgewählten gelten. heitlich-demokratische Grundordnung Ein wirklich demokratisches Muster- bleibt! Der Kapitalismus ist die beste land würde diese undemokratischen aller Welten! Die NATO ist unverzicht- Spielregeln sofort bar als Schutzschirm! Und jeder, der an ändern. Aber die re- diesen Pfeilern rüttelt, kriegt was aufs Wahlfänger gierenden Christ- und Maul, besonders die Linken. Sozialdemokraten Nun sind das aber die tatsächlichen meinen: Erst mal die Spielregeln im Hohen Haus – mit dem verbotenen Früchte markanten Unterschied, dass eine Op- ins Parlament holen position gewählt und das Wort ergrei- und dann die Tür zu- fen kann. Oft ist das nur der Pfi ff einer schließen! Doch ge- Maus, den die Regierenden überhören Von Jens Jansen rade diese Überhang- und überstimmen können. Aber dann mandate könnten der gibt es ja noch die ehrbare Gewalten- Union helfen, die SPD als Koalitions- teilung. Manches Gesetz wird vom Ver- partner in die Ecke zu stellen, um dann fassungsgericht zurückgewiesen. Man- mit der FDP wieder auf die Rennbahn cher Richter wagt es gar, auch Groß- des Turbo-Kapitalismus zu gehen – oh- unternehmen in die Waden zu beißen. ne angezogene Handbremse. Das endet dann meist mit einem Ver- Wahlen sind Barometer für den Mas- gleich, den die Beschuldigten aus der seneinfl uss der Parteien. Spötter sagen: Portokasse bezahlen können. Aber das Wahlen können nichts ändern, sonst tröstet doch? wären sie abgeschafft. Pragmatiker sa- Die Meinungsforscher ermitteln nun gen: Wahlen sind wichtig, weil man an- wieder, was die Wähler hören wollen. ders keine Mehrheiten für die Gesetz- So hat man bei den Wahlrednern den gebung erringt. Aber Wahlen zemen- Eindruck, dass alle das Gleiche ver- tieren meist die bestehenden Macht- sprechen. Der Witz bei den bevorste- verhältnisse, weil die Regierenden mit henden Bundestagswahlen liegt darin, einem Amtsbonus starten und weil die dass jene Forderungen der LINKEN, die wirklich Mächtigen in Wirtschaft und bislang als zu radikal, zu teuer und sys- Staat sich nicht zur Wahl stellen. Sie temgefährdend verketzert wurden, un- spenden aber umso mehr für ihre poli- ter dem Anpassungszwang der tiefen tischen Geschäftsführer. Und so wächst Krise Stück für Stück von den anderen dann die Kluft zwischen Wählerwillen Parteien übernommen wurden. Frau und Regierungspolitik. Merkel hat gar – frech wie Oskar – ei- Das bewirkt, dass die Hälfte der ne Privatbank verstaatlicht! Wähler bei vielen Wahlen frustriert zu Wenn aber nun die bürgerlichen Hause bleibt. Dann wählt die andere Parteien erstmals ihre Versprechen tat- Hälfte je zur Hälfte jene Listen, wo jene sächlich einhalten würden, dann müss- Leute draufstehen, die kein Wähler ge- te der Verfassungsschutz Überstunden wählt hat, nur die Parteivorstände. Ein machen, um diese »Bande von sys- guter Listenplatz ist ein sicherer Einzug temgefährdenden Radikalen« zu ent- ins Parlament. Nur das letzte Viertel der larven. Mandatsträger wird direkt gewählt, wo- Den Wählern ist deshalb zu ra- bei nach Auskunft der Wahlforscher die ten: Wählen Sie keine käufl ichen Ab- Personen wichtiger sind als die Pro- schreiber – wählen Sie die unbestech- gramme. Es fällt schwer, derlei als den liche LINKE! Die kommt übrigens auch Gipfel der demokratischen Mitbestim- der Sozial-Enzyklika des Papstes am mung des Volkes zu begreifen. nächsten!

FEUILLETON DISPUT August 2009 016 Einladung zum Gespräch Die Werbekampagne der Partei DIE LINKE zur Bundestagswahl 2009 – glaubwürdig und klar Von Harald Pätzolt und Reiner Strutz

Wenn gelegentlich behauptet wird, mit zeigen wir glaubhaft und öffentlich: besser, weil glaubwürdiger und kon- dass DIE LINKE nicht von der Krise pro- »Hier ist DIE LINKE«. sequenter, auch wenn wir für diesen fi tiere, so setzen wir dem entgegen: Wir Und weil Glaubwürdigkeit gerade in Wahlkampf im Vergleich mit der SPD profi tieren seit Gründung der Partei bei der politischen und werberischen Aus- nur ein Sechstel der fi nanziellen Mittel allen Wahlen von einer klaren Linie un- einandersetzung in der Krise ein zen- zur Verfügung haben. trales Thema ist, werden die beiden be- Wesentlich erweitert hat DIE LINKE kanntesten Personen der LINKEN, Gre- ihr Angebot im Internet. Es ist informa- gor Gysi und Oskar Lafontaine, erneut tiver und lebendiger als früher, dient prominent auf Wahlkampfmitteln für nicht nur der Information, sondern zu- unsere Partei werben. Aber es werden nehmend der Organisation und Vernet- auch viele weitere bekannte wie neue zung der Wahlkampfaktivistinnen und Gesichter auf Personenplakaten und -aktivisten. Hierbei werden Erfahrungen -faltblättern ansprechend präsentiert. gesammelt, die wichtig für die künftige Apropos Glaubwürdigkeit: Es wird politische Arbeit und neue Organisati- der SPD nicht viel nützen, dass sie onsformen sind.

© DIE LINKE (4) LINKE © DIE klammheimlich in ihrer Werbung zu unserem Rot gewechselt ist und insge- Dr. Harald Pätzolt ist im Wahlstab verant- serer Politik. Das gilt sowohl politisch samt ihre Flächen röter geworden sind wortlich für Strategie, Reiner Strutz ist wie werberisch. – DIE LINKE ist auf diesem Felde einfach Geschäftsführer der Agentur Trialon. Damit das bei der Bundestagswahl am 27. September 2009 wieder so ist, stellt DIE LINKE in den Mittelpunkt ih- rer Plakatkampagne konsequent je- ne Themen, die ihre politische Agenda seit 2005 bestimmen: »Hartz IV abwäh- len«, »Reichtum besteuern«, »Mindest- lohn gerade jetzt«, »Gegen die Rente ab 67«, »Mehr Geld für Bildung, nicht für Banken«, »Raus aus Afghanistan« – al- les mehrheitsfähige Positionen in der Gesellschaft. Wir setzen dabei weiterhin auf ein bewährtes Plakatprinzip: Die Hauptlo- sung in Verbindung mit dem dominan- ten Rot und unserem Parteilogo ist für die Fernwirkung bestimmt und damit auch für Autofahrer erfassbar. Die er- läuternden Texte umreißen unsere Po- sitionen und verweisen auf das Inter- net, in dem wir sie ausführlich und au- thentisch erläutern. Damit unterschei- den wir uns bewusst von den anderen Parteien, die sich oft auf Losungen be- schränken. Wer nur begrenzt Zugang zum Internet hat, fi ndet unsere Positi- onen auf thematischen Handzetteln als Untersetzung der Plakate wieder. Überhaupt wird unser Wahlkampf dann erfolgreich sein, wenn die werb- lichen Mittel insbesondere genutzt wer- den, um mit den Bürgerinnen und Bür- gern ins persönliche Gespräch zu kom- men. Dazu dienen auch das Kurzwahl- programm, die Wahlzeitung und der Bürgerbrief, die in einer hohen Aufl a- ge hergestellt werden und vor allem zum Verteilen durch unsere Aktivistin- nen und Aktivisten bestimmt sind. Da-

170 DISPUT August 2009 KAMPAGNE Zwischen Hafenstraße und Waldweiher Die Saar-LINKE im Wahlkampf-Endspurt: Es geht um Prozente und noch mehr um den Politikwechsel Von Stefan Richter

»Du bist der …?« – »Philip«. »Ich bin Dieter.« Wahlkampf ist manchmal auch ein Ort des Kennenlernens in den eige- nen Reihen. Philip Preysing und Dieter Hofmann, 19 der eine, 52 der andere, begegnen sich an diesem 14. August 2009 unter roten Schirmen in der Saar- brücker Hafenstraße, direkt vor den Tü- ren der Arbeitsagentur. Mit zwei wei- teren Mitstreitern sprechen sie Besu- cherinnen und Besucher (sowie drei Mitarbeiterinnen des Hauses) an: Dür- fen wir Ihnen ein paar Informationen zur Landtagswahl mitgeben? Bei knapp der Hälfte dürfen sie’s. Dieter Hofmann in einem »Ich wäh- le Oskar!«-T-Shirt gehört seit zwei Jah- ren zur LINKEN. Vor langen Zeiten war er Mitglied bei den Sozialdemokraten, danach parteipolitisch abstinent. Auch jetzt hält er Parteien nicht für das Non- Dürfen wir Ihnen ein paar Informationen zur Landtagswahl mitgeben? Dieter Hofmann plusultra, aber für mehr soziale Ge- vor dem Arbeitsamt und die Saar-LINKE auf ihrem Sommerfest. rechtigkeit im Saarland wollte er sich unbedingt wieder aktiver einmischen. fahre ich, kämen vorwiegend aus ver- Das hat auch, jedoch nicht allein, mit mögenderen Haushalten, entspre- seinem Lebensweg zu tun. Der Ernäh- chend urteilten viele von ihnen. rungswissenschaftler ist nach einigen 30. August Dieter und Philip gehen (wie ihre berufl ichen und privaten Turbulenzen 2009 beiden Mitstreiter) auf die Passanten Hartz-IV-Empfänger. Selber »drin« zu zu, freundlich, unbefangen und durch- stecken, sei ein deutlicher Einschnitt, Landtagswahl aus optimistisch. Auch was die Wahl- schildert er. Saarland hoffnungen betrifft: 20 Prozent, meinen »Unser Saarland sozial gerecht re- sie übereinstimmend, wären schön. gieren« ist überall im Land auf großen Zur gleichen Zeit herrscht, etwa ei- Plakaten zu lesen, daneben das Konter- nen Kilometer von der Hafenstraße ent- fei des Spitzenkandidaten und ehema- fernt, auf dem St. Johanner Markt mehr ligen Erfolgsministerpräsidenten Oskar Aufl auf als ohnehin in der Altstadt. Der Lafontaine. Die Großwerbungen der An- kennung« attestieren will. Die Zielper- Spitzenkandidat wird von rund zwanzig deren rücken den »neuen Mann« (Heiko son dieser Anfeindungen bezeichnet Journalisten und drei Fernsehteams be- Maas, SPD) und den amtierenden CDU- die regionale Bild-Zeitung als »kosten- gleitet. Doch das hält zahlreiche Saar- Regierungschef Peter Müller (»Wenn’s loses Flugblatt der Saar-CDU«, und da brücker keineswegs davon ab, seine drauf ankommt«) ins Zentrum ihrer hat Lafontaine Recht. (Zum Schmun- Nähe zu suchen. Die meisten schät- Kampagnen. zeln liest sich in diesem Zusammen- zen ihn aus seiner Zeit als Oberbür- In den regionalen Medien werden hang der Hinweis auf einem SPD-Pla- germeister und als Ministerpräsident, die großen Drei auffallend unterschied- kat, dass sich in Bexbach ein CDU-Bei- viele sprechen ihn wie selbstverständ- lich »plakatiert«. In ihrer Einseitigkeit geordneter mit den Stimmen von zwei lich mit Vornamen an, manche spricht treibt’s die einheimische Bild-Zeitung LINKEN wählen ließ.) er mit Vornamen an. Immer wieder ein an diesem Freitag auf die Spitze: Außer Philip Preysing – »bald Auszubilden- Gruß, ein Händeschütteln, ein Plausch, einer halbseitigen Anzeige fürs CDU- der, jetzt im Wahlkampf« – betrachtet ein Foto. Für Letzteres ist Sandy Stachel Sommerfest mit der Kanzlerin, außer in der Arbeitsagentur ein Symbol für zuständig. Die 22jährige stellvertre- einer scheinbar privaten Anzeige »Ge- den Abbau an sozialer Gerechtigkeit. tende Landesvorsitzende des Jugend- gen extreme Parteien von rechts und Den Superreichen ein bisschen neh- verbandes drückt an die 50, 60 Mal auf links!« (www.ich-lasse-mich-nicht-lin- men, um die Arbeitslosen und Gering- eine Polaroid-Kamera, um die persön- ken.de) und einem Werbeartikel für verdienenden besser zu unterstützen – lichen Begegnungen mit »Oskar« abzu- Thüringens CDU-Althaus bringt das das bewegt Philip. Und eine echte Bil- lichten und den Passanten als beson- Blatt ein Interview mit Hubertus Knabe, dungsreform. Mit seinen Vorstellungen deres Markt-Mitbringsel mitzugeben. der wortreich-dramatisch vor der LIN- und seinem Engagement steht er im Be- Der Wahlkampf läuft hervorragend, KEN warnt und ihrem Spitzenmann ei- kanntenkreis ziemlich einsam da. War- meint Rolf Linsler. Der Landesvorsit- nen »fast krankhaften Drang nach Aner- um? Die Gymnasiasten im Saarland, er- zende der LINKEN verweist auf die Kom-

REPORTAGE DISPUT August 2009 018 munalwahlen, die Ergebnisse am 6. Ju- glieder, mittlerweile 3.500. Und Linsler te Salate, verteilen Material und räu- ni seien eine sehr gute Grundlage für ist sich gewiss: »Ein erfolgreiches Ab- men auf. die Landtagswahlen gewesen. Auf An- schneiden bei der Landtagswahl bringt Einer der Helfer auf dem Sommerfest hieb hatten sie landesweit 260 Man- der Partei einen weiteren Schub – für und in diesen Sommerwochen heißt Fre- date und in Saarbrücken, Bous, Fried- die Stabilität und für die Gewinnung derick Leister (»wie Kleister ohne K«). Er richsthal und Völklingen sogar über 17 neuer Mitglieder. Vor allem würden wir ist 27, Politikstudent in Frankfurt/Main Prozent der Stimmen erreicht. »Bei der zeigen: DIE LINKE ist nicht nur vorüber- und zu Hause in Spiesen-Elversberg. Für Landtagswahl wollen wir die Messlatte gehend da, wir beißen uns fest.« ihn ist Koordinieren, Plakatieren, Vertei- len und Feste organisieren nichts Neues. Schon vor elf Jahren hat er das im Land- tagswahlkampf für die damalige PDS ge- macht. Die Auffassungen der neuen LIN- KEN zu Bildung, Demokratie und Mitbe- stimmung, zum Sozialen sowieso, sind seinen sehr nahe; bei denen zur Außen- politik etwas weniger. Doch weder da- mals noch heute drängt(e) es ihn in die Partei; er möchte sich, wie er erläutert, eine kritische Distanz bewahren. Das bremst freilich seinen Eifer überhaupt nicht. Langweilig wird’s im Wahlkampf nie, und hilfreich fürs Studium ist der Einblick, den er bei seinem Praktikum im Landesverband erhält, auf jeden Fall. »Es ist interessant, wie sich – im Ver- gleich zu PDS-Zeiten – das gesamte Um- feld verändert hat. Die positive Reso- nanz überwiegt. Ich hatte mir die Ableh- nung im Wahlkampf größer vorgestellt.« In der Haltung zum Spitzenkandidaten würden sich die Geister stark scheiden, Zwischentöne vernehme er selten. »Wo er ist, gehen viele auf ihn zu. Sie verbin- den mit ›Oskar‹« eine gute Zeit.« Der Platz am Waldweiher erlebt ein Sommerfest im Wortsinn. Die Sonne strahlt, Kinder spielen. Man isst und trinkt zu – wie auf den Einladungen in der Stadt ausdrücklich versprochen wurde – sozialen Preisen: 1,50 Euro fürs Bier und fürs Alkoholfreie, 3,50 Euro für Schwenkbraten und einen der hausge- machten Salate. Man fl achst und unterhält sich, bis der »Oskar« ans Mikrofon tritt und die Stimmung für vierzig Minuten zum Ko- chen bringt. DIE LINKE, konstatiert er zunächst, mische politisch das Saar- land auf, was ihm die gut tausend Zu- hörerinnen und Zuhörer im und vor dem Zelt applaudierend bestätigen. 20 Pro- zent plus X wiederholt er als Ziel für den Wahlabend; der Ehrgeiz sei da, viel- leicht als Zweitstärkste durchs Ziel zu gehen. Aber, und daran erinnert er zum Schluss: »Es geht nicht darum, irgend-

© Stefan Richter (3)© Stefan Richter welche Prozentzahlen zu erreichen. Es geht darum, dass wir einen Politikwech- von 20 Prozent überspringen. Das wer- Wer gut wahlkämpft, sollte auch sel an der Saar wollen.« den wir auch schaffen. Darin bestär- gut feiern. Am Burbacher Waldwei- Am Waldweiher stärkt sich DIE LINKE- ken mich viele Gespräche und der Ein- her, einem idyllischen Ausflugsziel Familie für den Endspurt zur Landtags- satz unserer Mitglieder und Sympathi- vor den Toren Saarbrückens, nennen wahl. Im Zelt spielt ein Trio »Wenn nicht santInnen. Ein solcher Erfolg würde ei- sie das Sommerfest. Nicht zum ersten jetzt, wann dann«. So lautstark wie die ne sehr hohe Verantwortung gegenüber Mal übrigens. Ein paar Dutzend Frauen Sommerfestler klatschen und johlen, den Bürgerinnen und Bürgern bedeuten. und Männer packen dafür mit an, sie möchten sie den Text diesmal politisch Das ist allen bewusst.« Bei ihrer Grün- stellen Zelte, Schirme und Bänke auf, interpretieren; mit dem »jetzt« kann für dung zählte die Saar-LINKE 1.300 Mit- bringen Getränke und selbst gemach- sie nur der Wahltag gemeint sein.

190 DISPUT August 2009 Der Wunsch nach Veränderung Gespräch mit André Hahn, Ministerpräsidentenkandidat in Sachsen

Du bist bestimmt der einzige Minister- Was war denn dein erster Berufs- präsidentenkandidat in der Geschich- wunsch? te der Bundesrepublik, der außerdem Es gab zwei: Sportreporter (ich habe noch sportpolitischer Sprecher ist. 30. August Heinz-Florian Oertel bewundert, sah zu- Bist du nicht ausgelastet, oder ist die gleich die Möglichkeit, andere Länder Sehnsucht nach Toren so groß? 2009 und Kulturen kennenzulernen) und Kri- Zehn Jahre war ich in der Landtags- Landtagswahl minalist. fraktion bildungs- und sportpolitischer Sachsen Sprecher, bis ich 2004 die Bildungs- Geworden bist du, so steht’s in der politik abgab. Für den Sport rief nie- Biografi e, Lehrer für Deutsch und Ge- mand »Hier!«. Also blieb er thema- schichte. Dein Einstieg in die Politik er- tisch bei mir. Das hat auch seine Vor- folgte in spannenden Zeiten, du hast teile, schließlich ist der Landessport- vor knapp zwanzig Jahren am Zentra- bund mit über 500.000 Mitgliedern die Mit Verlaub: Das sieht man dir nicht len Runden Tisch der DDR gesessen. größte Massenorganisation in Sachsen. unbedingt an ... Worum ging’s damals von Dezember Außerdem bin ich wirklich sehr sport- Gerd Müller war auch keine Gerte. – 1989 bis März 1990 in Berlin? begeistert. Ich habe schon im Jugend- In genau einhundert Spielen auf dem Der Runde Tisch war ein wichtiges bereich Fußball gespielt, war Übungs- Großfeld habe ich bislang 109 Tore er- Gremium mit Vertreterinnen und Ver- leiter und auch Schiedsrichter bis zur zielt. tretern aus den alten und neuen Par- DDR-Liga. Derzeit bin ich Vizepräsident teien und Organisationen. Er begleite- und Kapitän der Fußballmannschaft Bevorzugst du die Offensive auch in te den Übergang in die Demokratie und des FC Landtag. der Politik? übernahm de facto wichtige Aufgaben Mir hat das Angreifen immer mehr sowohl der Legislative wie der Exeku- Auf welcher Position spielst du dort? gelegen als das Verteidigen. Auch in tive. Unter anderem erarbeitete er den Meist als Mittelstürmer. der Politik greife ich lieber an. Verfassungsentwurf für eine erneuer-

INTERVIEW DISPUT August 2009 020 Die zwei Kernaufgaben der Oppo- sition – Kontrolle der Regierungstä- tigkeit und die Vorlage von Alterna- tiven – haben wir gut erfüllt. Was die Kontrolle betrifft: Zwei Untersuchungs- ausschüsse wurden eingesetzt, der zu den Skandalen der Landesbank be- reits im Jahr 2005. Was wurden wir da- mals für die Einsetzung des Untersu- chungsausschusses beschimpft! Fakt ist: Die Bank ist wegen völlig unverant- wortlicher Devisenspekulationen inzwi- schen zusammengebrochen. Zwei kom- plette Bankvorstände, ein Finanzminis- ter und ein Ministerpräsident mussten zurücktreten. Der Rechnungshofbericht hat die Ergebnisse des Ausschusses in vollem Umfang bestätigt. Ein zweiter Ausschuss untersucht die Korruptions- bzw. Verfassungsschutzaffäre. Dessen Arbeit wird wohl nach der Wahl weiter- geführt werden müssen.

Habt ihr euch mit euren Alternativvor- schlägen auf spezielle Gebiete kon- zentriert? Unsere Fraktion legte 36 komplette Gesetzentwürfe und fast 500 Anträge vor – und zwar zu sämtlichen landes- te DDR, eine Sozialcharta und wichtige Auf dem Burgplatz in Leipzig eröffne- politischen Themen, von der Bildung Gesetze, zum Beispiel für freie Wahlen te am 7. August die sächsische LINKE mit bis zur Umwelt. Dabei wurden auch und zur Pressefreiheit. Spitzenkandidat André Hahn (links) of- Schnittmengen zur SPD und zu den Für mich war der Runde Tisch ei- fi ziell ihren Wahlkampf. Mit dabei: Bun- Grünen deutlich. Ein Grundproblem bis ne Schule der Demokratie. Ich saß in desvorsitzender Lothar Bisky. heute ist jedoch: Im Landtag wird prin- der Arbeitsgruppe Bildung mit interes- santen Leuten, auch mit Marianne Bir- thler und Prof. Meyer, dem späteren sächsischen Wissenschaftsminister. Wir hatten den Wunsch und die Mög- lichkeit, etwas zu verändern und grund- sätzlich Neues zu schaffen. Der Wunsch nach Veränderung treibt mich auch heute an.

Welche politischen Vorbilder hattest du bzw. hast du? Ich bewundere Nelson Mandela und – auf andere Weise, sie war ja keine Po- litikerin – Mutter Teresa. Vor allem je- doch sollte man seinen eigenen Weg suchen.

Auf wessen Meinung hörst du beson- ders? Auf meine Frau; sie ist meine wich- tigste Beraterin und hat als langjährige Bürgermeisterin auch viele kommunal- politische Erfahrungen. Sie sorgt dafür, dass ich die Alltagsprobleme nie aus dem Blick verliere. Darüber hinaus set- ze ich auf den Rat meiner Vorstandskol- legen und unseres Pressesprechers in der Fraktion sowie von Freunden aus dem privaten Umfeld.

Wie fällt die Bilanz der Landtagsfrakti-

on der LINKEN aus? (3) Wehnert © Erich

210 DISPUT August 2009 zipiell nicht nach dem Inhalt, sondern Die CDU hat in den vergangenen nach dem Absender entschieden. Das Jahren zwei Kernkompetenzen verlo- gibt es in dieser Weise fast nur noch in ren: auf den Gebieten stabile Finanzen Sachsen. Alle unsere Anträge wurden und innere Sicherheit. Auch die SPD hat abgelehnt. Aber diese Gesetzentwürfe kaum etwas zu Wege gebracht. Ihr zen- und Anträge könnten eine gute Grund- trales Projekt war die Gemeinschafts- lage bilden für mindestens die ersten schule. Nun gibt es ganze neun dieser beiden Jahre in Regierungsverantwor- Schulen im Land, nur vier von ihnen tung. Wir sind also gut vorbereitet. sind dabei wirklich neu. Für Sachsen Bereits fünfmal haben wir einen Al- bedeutet all das fünf verlorene Jahre. ternativen Haushalt vorgelegt, solide Diese Stagnation muss endlich been- durchgerechnet. Das heißt, wenn wir det werden. Wir sind bereit, mehr Ver- zum Beispiel mit Ausgaben von 180 antwortung zu übernehmen. Millionen Euro allen Schülerinnen und Schülern kostenloses Mittagessen er- Das heißt: die CDU ablösen? möglichen wollen, sagen wir ebenfalls, Wir wollen eine absolute Mehrheit woher wir dieses Geld nehmen, ohne der CDU unter allen Umständen verhin- neue Schulden zu machen. dern und den Weg ebnen, dass eine Re- gierung ohne CDU möglich wird. Wir fa- Welche Note gibst du dem Ministerprä- vorisieren als Alternative eine Mehrheit sidenten und seiner CDU/SPD-Landes- von Rot-Rot-Grün. Die SPD kann achtzig regierung? Prozent ihrer landespolitischen Ziele Stanislaw Tillich ist der blasseste Mi- nur mit uns verwirklichen, mit der CDU nisterpräsident in ganz Deutschland. bestenfalls zwanzig Prozent. Zehn Jahre war er zuvor Minister, und dennoch fällt den meisten Menschen Wie stehen dafür die Aussichten? im Land überhaupt nichts ein, was sich Alles ist möglich. Nach den Ergeb- mit dem Namen Tillich verbindet – kein nissen der Europawahl hatten weder Gesetz, keine Idee, keine öffentliche In- CDU/SPD noch CDU/FDP eine Mehr- itiative. Der noch amtierende Minister- heit in Sachsen. Die derzeitigen Um- präsident hat große Angst vor dem Aus- fragezahlen sprechen vor allem für ein tausch von Argumenten mit der Opposi- enormes Potenzial, das es – vor allem tion; er weigert sich, zusammen mit mir in den letzten Tagen vor der Landtags- zu einem Fernsehduell anzutreten. Er wahl – noch zu überzeugen gilt. Die duckt sich permanent weg, ist irgend- Sachsen sind durchaus für Überra- wie ein Phantom. schungen gut. Im Koalitionsvertrag von CDU und Im Wahlkampf erlebe ich viel Auf- SPD von 2004 habe ich mit viel gutem geschlossenheit und eine gute Stim- Willen 98 Vorhaben gefunden, die bis mung. Die Frage wird sein, inwieweit 2009 realisiert werden sollten. Drei es gelingt, Nichtwählerinnen und -wäh- Viertel davon sind nur teilweise oder ler zur Stimmabgabe zu bewegen. Und gar nicht umgesetzt worden. Das ist ei- wichtig wird auch das Abschneiden der ler, wird es für den Wechsel nicht rei- ne ziemlich erbärmliche Bilanz. SPD werden. Verharrt sie weiter im Kel- chen. Wir werden unseren Beitrag leis- ten, aber es kann letztlich an den Sozi- aldemokraten scheitern. Zu unseren Wahlzielen gehört, al- les dafür zu tun, dass die NPD aus dem Landtag fl iegt. Wir machen keine spe- zielle Anti-NPD-Kampagne, weil sie das nur aufwerten würde. Aber wir nutzen den Wahlkampf, um konkret aufzulis- ten, was die Neonazis im Landtag ge- tan beziehungsweise nicht getan ha- ben und warum es für ihre Wiederwahl nicht den geringsten Grund gibt.

Wofür würde, kurz gefasst, eine Regie- rung mit der LINKEN stehen? Erstens für ein neues, modernes Schulgesetz mit einem längeren ge- meinsamen Lernen. Zweitens für eine stärkere Wirt- schaftsförderung, insbesondere der kleinen und mittelständischen Unter- nehmen. Nur ein Beispiel: 80.000 bis 90.000 Unternehmen in Sachsen ha- ben weniger als fünf Beschäftigte und

INTERVIEW DISPUT August 2009 022 © Erich Wehnert (2) Wehnert © Erich können sich keine eigenen Forschungs- re Menschen unmittelbarer ansprechen Ich mochte schon immer die deut- abteilungen leisten. Deswegen wollen und motivieren. sche Sprache und Gedichte von Eva wir sogenannte Innovationsgutscheine Strittmatter, Heinz Kahlau und anderen. einführen, mit denen in Baden-Würt- Themenwechsel von der politischen temberg gute Erfahrungen gemacht Ansprache zur – Lyrik. Die sollst du be- Zurück zum Anfang: Wer wird Fußball- wurden. sonders mögen ... meister 2009/10? Und drittens: Wir wollen mehr di- Ja, früher schrieb ich selbst viele Ge- Ich fürchte der FC Bayern München. rekte Demokratie. Das bedeutet für dichte. Ich war in einem Rezitatoren- uns, die Quoren für Volksbegehren zu club, bin gern öffentlich aufgetreten Und wie lautet dein Tipp für die Land- senken und auch Sachfragen, und nicht und kenne noch heute vielleicht zwei- tagswahl? nur Gesetze, bei Volksentscheiden zu- bis dreihundert Gedichte auswendig, Die CDU wird die absolute Mehrheit zulassen. bis hin zu klassischen Balladen. eindeutig und auch die 40-Prozent-Mar- ke verfehlen. Wir sind die einzige Partei, Viele Jahre hast du als Parlamenta- Wirklich? die seit 1990 bei jeder Landtagswahl rischer Geschäftsführer der Landtags- »Der Zugwind wächst, doch die zulegen konnte, 2004 auf 23,6 Prozent. fraktion sozusagen in der zweiten Rei- Qualmwolke steht, Daran wollen wir anknüpfen. Wir stre- he gestanden. Nun bist du die Nr. 1, Der Kapitän nach dem Steuer späht, ben jede vierte Stimme in Sachsen an. trittst das erste Mal als Spitzenkan- Er sieht nicht mehr seinen Steuer- Das wird nicht einfach sein bei einem didat an. Was macht den Unterschied mann, Landtag – dem einzigen in der Bundes- aus? Aber durchs Sprachrohr fragt er an: republik – mit sechs Parteien. Aber wir Die viel größere Verantwortung. Die ›Noch da, John Maynard?‹ kämpfen darum, auch weil ein gutes öffentliche Wahrnehmung ist ganz an- ›Ja, Herr. Ich bin.‹ ... Ergebnis des mitgliederstärksten Lan- ders, auf jedes Wort wird geachtet, es >Auf den Strand in die Brandung!< desverbandes der LINKEN ein wichtiges gibt niemanden, der einen eventuellen >Ich halte drauf hin<« Zeichen für die Bundestagswahl ist. Fehler zudecken könnte. Andererseits kann man durch sein Auftreten ande- Alle Achtung! Gespräch: Stefan Richter

230 DISPUT August 2009 Hallo, Thüringen! Die Wahlkampf-Tour mit Bodo Ramelow macht Halt in 21 Städten. DISPUT war in Greiz dabei Von Florian Müller

»Hallo, Greiz!«, grüßt der Moderator kaufswagen gibt’s »Mix-Eis« und an von der Bühne. Das klingt reichlich op- einem Imbissstand rote Fassbrau- timistisch. Der »Star« des Nachmittags se, an einer Hausfassade direkt hinter auf dem Westernhagenplatz1 ist auch 30. August der Bühne preist ein Schriftband »ver- kein Künstler, sondern der Spitzen- schiedene Peelings ab 8 €« und »neue mann der LINKEN für die Landtagswahl 2009 Wellnessangebote« an. Da möchte der am 30. August. Was er mitbringt, sollen Landtagswahl Hauptredner dem politischen Kontra- keine Wahlversprechen-Hits sein, son- Thüringen henten auch was gönnen: »Zu den de- dern klare Töne zu den Absichten sei- mokratischen Gepfl ogenheiten gehört, ner Partei in den nächsten Jahren. Was dass eine Partei, die 19 Jahre regiert hat, er mitnimmt, sind folglich nicht so sehr ein Recht darauf hat, sich zu erholen – Applaus und gute Wünsche (die auch), und zwar in der Opposition. Wir bieten es sind vor allem Eindrücke und Anre- an, dass sich die CDU in der Opposition gungen. So wie bereits mittags beim Ramelow redet laut, klar, nicht unbe- erholen kann.« Dieses Angebot kommt Blinden- und Sehbehindertenverband dingt einschmeichelnd. Bei dem einen an, zumindest auf dem Platz. Die Rede Greiz und Gera. oder anderen der Gastgeber stößt nicht ist dann von drei Punkten aus dem Re- Die gut 20 Gastgeber im Klub der jede Antwort auf Zustimmung. Es ent- gierungsprogramm: längeres gemein- Volkssolidarität sind zwischen et- wickelt sich ein ernsthaftes, offenes sames Lernen (ein »Schlüsselthema in wa vierzig und weit über siebzig. Ihr Gespräch. Und wenn der Ministerprä- unserer Gesellschaft«), bürgerfreund- Interesse ist enorm, sieben stellen sidentenkandidat nicht zum Schluss liche Neuorganisation der Verwaltung mindestens eine Frage, und gleich zu gebeten hätte: »… deswegen überle- (»mit Ihnen gemeinsam«) und eine an- Anfang bittet ein Herr darum, das Ge- ge jeder, was er am 30. August wählt«, dere Energiepolitik für das Land. Er ste- spräch mitschneiden zu dürfen – für wäre ein Außenstehender wohl mit kei- he, sagt der Wahlkämpfer schließlich, »unsere Mitglieder, die nicht hier sein nem Gedanken auf Wahlkampf gekom- für eine reformorientierte Landesregie- können«. Bodo Ramelow spricht zu- men. Monika Springer vom Verband rung: »Die SPD muss sich entscheiden, nächst kurz Landesfakten an: Jeden Tag wünscht dem Gast alles Gute, der wie- ob sie eine Koalition der Verlierer mit würden 121 junge Leute Thüringen ver- derum würde sich über ein weiteres Ge- der CDU macht oder ob sie mit uns die lassen, drei sozialversicherungspfl ich- spräch freuen. notwendigen Reformen umsetzt.« tige Arbeitsplätze verloren gehen und Derweil ist auf einem Teil des Wes- Im Publikum steht Reiner Vogel. Er 35 Frauen und Männer arbeitslos wer- ternhagenplatzes aus einem impo- kandidiert zwar nicht und hat auch den. Eine andere Politik sei für die Per- santen Truck eine kleine Bühne aufge- nicht kandidiert – und dennoch ist er spektive des Landes dringend notwen- baut worden. Davor Sitzbänke für die in diesem Jahr bereits, und das auf un- dig. Rasch und ohne Floskeln folgen Älteren und eine Hüpfburg für die ganz gewöhnlichste Weise, in ein sogenann- Fragen und Antworten und wieder Fra- Jungen. The Golden Sixties aus Erfurt tes Ehrenamt gewählt worden. Da- gen. Sie drehen sich, selbstverständ- spielen goldig Oldies aus England und bei hatte der 73-Jährige das nicht ge- lich, auch um Geld: Müssten Sehbehin- dem Rest der westlichen Welt. Beatles, wollt. Im Gegenteil. Nach 31 Jahren in derte nicht ebenfalls einen Ausgleich Stones, Pink Floyd …, das sind Klänge, der Kommunalpolitik, zuletzt als Orts- für Nachteile erhalten? Wie hoch sollte die Ramelow früher mochte und heu- teilbürgermeister von Gommla, woll- das Blindengeld sein – für alle dersel- te noch mag. Aber auch Puhdys, Silly, te er sich zurückziehen. Da sich kein be Satz? Vor allem jedoch geht es um City, was nichts mit einem »falschen« Nachfolger fand, waren seine Mitbür- Würde und Gerechtigkeit. Der Gast sagt oder »richtigen« Thüringer, sprich: Ossi gerinnen und Mitbürger am 7. Juni auf- unmissverständlich, dass das Blinden- zu tun habe. gerufen, auf einem leeren Stimmzet- geld von 220 Euro – damit ist Thürin- Die Musikmacher kommen von ih- tel ihren Wunschbürgermeister zu no- gen Schlusslicht bundesweit – völlig rem Spielplatz, geben dem Musikhö- tieren. 28 Namen kamen zusammen. unakzeptabel sei. Er wendet sich eben- rer die Hand, dann geht der 53-Jährige 27 von ihnen erhielten – insgesamt – so deutlich gegen den Wunsch nach ei- nach oben und beginnt seine Kandida- 53 Stimmen. Den Mann der LINKEN je- ner einheitlichen Höhe: Die sollte indi- tenrede. Sie ähnelt der, die er gestern doch wollten 125! Damit schoss, kalau- viduell bestimmt werden, je nachdem, in Altenburg und vorvorgestern in Gera ernd ausgedrückt, Reiner den Vogel ab. was für die Mobilität der Benachteilig- gehalten hat und die er morgen in Pöß- Nach reichlicher Überlegung entschied ten erforderlich ist; es handele sich da- neck, übermorgen in Hermsdorf und er, noch mal zwei Jahre ranzuhängen, bei nicht um eine Art Einkommen. Wür- überübermorgen in Sonneberg halten bevor (hoffentlich) ein Jüngerer bereit- de die individuelle Festlegung nicht zu wird. Er hält sie mit ähnlichem Einsatz steht. Warum übrigens auf einem (des- neuer, unnötiger Bürokratie führen? – gleich ob zwei, drei Dutzend Frauen wegen ungültigen) Zettel stand: »Wir Nein. An konkreten Beispielen schildert und Männer ihm zuhören oder zwei-, wollen unseren roten Fürsten wieder- Ramelow, wie wichtig der LINKEN Poli- dreihundert. haben«, kann ich ihn nicht mehr fragen, tik für die Benachteiligten – und mit ih- Es ist heiß geworden an diesem er ist auf dem Weg in sein Gommla. nen! – ist und wie er in diesen Fragen Dienstagnachmittag, da tut ein biss- Geblieben ist Diana Skibbe. Die Di- selbst hinzugelernt hat. chen Erfrischung gut. An einem Ver- plomlehrerin für Physik und Astrono-

REPORTAGE DISPUT August 2009 024 mie ist seit 2004 Landtagsabgeord- ein, der »richtige« Wahlkampf konzen- nete. Viele ihrer damaligen Hoffnungen, triert sich auf die zwei Wochen unmit- räumt sie ein, hätten sich nicht erfüllt. telbar vor der Entscheidung. Durch sei- Da hatte eine Enquete-Kommission in ne Außendiensttätigkeit ist Lux oft auf der Legislaturperiode zuvor eine »wun- Achse. Da bleiben als Hobbys die Fami- derschöne Broschüre mit mehr als 70 lie, der Kleingarten und eben die Politik. Empfehlungen« erarbeitet, doch Bro- Der stellvertretende Kreisvorsitzende schüre und Empfehlungen spielten freut sich über drei neue Mitglieder in anschließend überhaupt keine Rol- Zeulenroda, die gleich in die Aktivitäten le. Ebenso wenig wie generell die Er- mit einbezogen werden. Sein spezielles fahrungen des DDR-Bildungswesens. Interesse gilt abends der Zeitungslek- Das ärgert und das motiviert: »Eine Er- türe, sieben, acht Blätter (»bis hin zur fahrung für mich ist, dass wir nur mit ›Welt am Sonntag‹«) hat er abonniert. Mehrheiten Thüringen gestalten kön- Sie sind sicherlich die Jüngsten weit nen«. Dafür kämpft sie auf ihre Art. Dia- und breit: Lisa Marie Prautzsch und na Skibbe ist Präsidentin des Thüringer Tina Albrecht. Die Gymnasiastinnen Schachbundes und spielt mit der TSV kommen jetzt in die zehnte Klasse, zur Zeulenroda in der 2. Bundesliga. Am Linksjugend [’solid] sind sie vor Kurzem Brett bevorzugt sie in den Eröffnungen gekommen. Große Reden sind, glückli- Gambits, die ermöglichen durch Fi- cherweise, ihre Sache nicht. Doch auch gurenopfer eine schnelle, angriffslus- so wird verständlich, wogegen sie sind: tige Spielweise. Anders in der Politik, »NPD geht gar nicht«, »Kinderarmut in da operiert die 48-Jährige zurückhal- armen Ländern, aber auch an unseren tender. 70 Prozent der Thüringerinnen Schulen geht auch nicht.« Lisa und Ti- und Thüringer fordern ein längeres ge- na wollen nicht wegschauen, die kleine meinsames Lernen bis mindestens zur Greizer Linksjugendgruppe freut sich Klasse 8 in offenen Ganztagsschulen über Verstärkung. mit individueller Förderung von An- Nach drei Stunden klingen Politik fang an. »Eine chancengerechte Bil- und Musik langsam aus. Nein, ganz dung darf nicht vom Geldbeutel der El- Greiz ist nicht der Einladung der LIN- tern abhängen und bedeutet Gebüh- KEN gefolgt, ein kleiner Teil war neu- renfreiheit aller Einrichtungen. Dazu gierig und ist zufrieden. Auch der Mi- gehört ein kostenloses warmes Mittag- nisterpräsidentenkandidat ist es: Der essen in Kindergärten und Ganztags- Wahl tross fährt durchs Land und fällt schulen.« weithin auf – auch hinter den Fenstern Die »Golden Sixties« spielen mit der Häuser und der Autos. Und auch Lust und Laune, ihre Klänge kommen die Veranstaltungen sind nicht zu un- an. Und wenn die Erfurter Band nicht terschätzen; sie helfen nicht zuletzt musiziert, stellen sich die Kandidaten den Mitgliedern und SypathisantInnen. aus den Wahlkreisen vor. Neben Dia- Außerdem berichtet die örtliche Presse na, der Kreisvorsitzenden, ist das Frank über uns und unsere Ziele (und tatsäch- Lux. Der verkauft berufl ich Glas/Kera- lich: die örtliche Kollegin der Ostthürin- mik und Porzellan an Großmärkte und ger Zeitung macht das anderntags recht wirbt politisch für die Solidarität mit objektiv). sozial Schwachen. Sein bevorzugtes Der rote, musikalische Wahltross Thema: die Wirtschaft. Das heißt für zieht weiter. Es werden 22 Halts in 21 ihn unter anderem: die Schaffung von Städten. Eine Dialog-Tour, die vom Di- Arbeitsplätzen, die Förderung kleiner alog leben soll. Die letzten Gelegen- und mittelständischer Firmen sowie heiten – vor dem Wahltag – gibt’s da- die Zahlung von Löhnen und Gehältern für am 21. August in Gotha (Oberer zumindest nach Mindeststandards. Hauptmarkt, ab 13 Uhr), am 25. August Was dies betrifft, muss ein Einschub in Sondershausen (Markt, 12 Uhr), am her. Bodo Ramelow hatte auf einen 26. August in Jena (Holzmarkt, 14 Uhr), sozialen wie moralischen Skandal auf- am 28. August in Sömmerda (Böblinger merksam gemacht: In Erfurt propagiert Platz, 14 Uhr) und am 29. August in Ge- FDP-Spitzenmann Thomas Kemme- ra (Eventfl äche, 11 Uhr). Überall lädt DIE rich, Vorstand der Friseur-Masson AG, © Stefan Richter LINKE ein: Hallo, Thüringen! »Kompetenz und Vision«, während in Eine Station der Sommertour der seinen Filialen Stundenlöhne von we- thüringischen LINKEN war Greiz. niger als vier Euro gezahlt werden! Weit oberhalb der Kreisstadt im 1 Der Kurt-von-Westernhagen-Platz ist Frank Lux strebt an, in seiner Heimat Vogtland thront das Obere Schloss. nach einem Wehrmachtsoffizier be- endlich die schwarze Mehrheit zu bre- nannt, der 1945 die Sinnlosigkeit wei- chen. Hoffnung machen ihm die Stim- rung der Gebühren konnten sie nicht terer Kriegszerstörungen erkannt hatte menverluste der CDU bei den Kommu- verhindern, aber die geplant hohen Ta- und seine Soldaten in Gefangenschaft nalwahlen. Und das Zusammenwirken rife. Sein persönliches Ziel am 30. Au- schickte. Er wurde daraufhin von einem mit einer Bürgerinitiative gegen ho- gust sind 30 Prozent. Freitags lädt er in SS-Kommando am 14. April auf dem he Regenwassergebühren. Die Einfüh- diesen Wochen zu Bürgergesprächen Platz erschossen.

25 0 DISPUT August 2009 LANDTAGSWAHL 2009

Im Zentrum von Gera startete Thüringens LINKE am 1. August ihren Wahlkampf mit Kind und Kegel – und Hündchen »Attila«. Die verdiente Antwort erhielt die primi- tive Anti-Ramelow-Kampagne der Jungen Union (rechts). © Erich Wehnert (6) Wehnert © Erich

DISPUT August 2009 026 270 DISPUT August 2009 Unsere Stadt gehört uns allen Am 30. August wählt Nordrhein-Westfalen die Kommunalvertretungen: Große Ziele in Bochum – und »schuld« daran ist die erfolgreiche Politik vor Ort Von Anna-Lena Orlowski

Vor fünf Jahren wurden wir bei den beantragt, Hartz-IV-Betroffenen Bera- Kommunalwahlen in Bochum als Frak- tungsgutscheine beim Mieterverein tion in den Stadtrat gewählt. Damit zu fi nanzieren. Das wurde zwar abge- hatte von uns niemand gerechnet – als 30. August lehnt, aber daraus erwuchs eine Ar- kleine PDS bei unserem ersten Wahl- 2009 beitslosenberatungsstelle, die ihre Ar- antritt zu den Kommunalwahlen in Bo- Kommunalwahl beit aufgenommen hat. chum, wo wir es nicht einmal geschafft Auf unsere Initiative hin machte der hatten, fl ächendeckend in allen Wahl- Nordrhein- »Zug der Erinnerung« in Bochum Sta- kreisen und allen Bezirksvertretungen Westfalen tion, und im November dieses Jahres anzutreten! Am Wahlabend schwank- kommt die Ausstellung »Sonderzüge in ten wir dann auch zwischen Unglaube den Tod« in unsere Stadt. und Freude, die meiste Zeit haben wir An all diesen Erfolgen haben aber wohl verwundert mit den Köpfen ge- nicht nur die drei bisherigen Ratsmit- schüttelt. selben Sachverhalt gefunden. Aber ge- glieder Ernst Lange, Uwe Vorberg und Ziemlich schnell wurde uns dann nau betrachtet konnten wir uns, wenn Bianca Schmolze mitgearbeitet. Viele klar, wie viel Arbeit mit der neuen Frak- auch indirekt, dank Anträgen, Anfragen unserer Mitglieder engagierten sich tion und den damit verbundenen Man- und Öffentlichkeitsarbeit an einzelnen gleich von Beginn an in Ausschüssen daten auf uns zukommen würde. Und Punkten am Ende durchsetzen. oder Bezirksvertretungen. Und etliche fast noch schneller wurde deutlich, Schwerpunkt war dabei immer die von ihnen kandidieren jetzt für den Rat, dass wir als kleine Oppositionspartei Milderung der Folgen von Hartz IV. für eine der sechs Bezirksvertretungen bei Weitem weniger Einfl uss haben als Der Satz für die Erstausstattung von oder direkt in einem der 33 Wahlkreise beispielsweise die SPD-Grünen-Koaliti- Schwangeren wurde von 205 Euro auf – gerade auf den ersten Plätzen für den on, die Bochum regiert. Wir stellten fest, 525 Euro erhöht, die Richtlinie für die Rat und die Bezirke mit guten Aus- dass SPD und Grüne, vom Rest ganz zu Kosten der Unterkunft wurde in der sichten auf Erfolg. Unter unseren Kan- schweigen, nicht bereit waren, unseren Verwaltung veröffentlicht. Damit kön- didatinnen und Kandidaten fi nden sich Anträgen zuzustimmen, egal wie sinn- nen Betroffene einfacher ihre Rechte alle Altersklassen und die unterschied- voll sie waren. So wurden unsere Anträ- einfordern. Nach langem Kampf und lichsten Professionen: StudentInnen, ge, wenn die Koalition sie inhaltlich für wiederholten Anträgen werden seit Ja- ein Familienrichter, eine Betriebsrats- richtig befand, das eine oder andere nuar 2008 die vollen – und nicht nur vorsitzende, ein Radiologe, eine Kell- Mal einfach mit einem rot-grünen Label die nach Ansicht der ARGE angemes- nerin, ein Werkzeugmacher, Renter/ versehen und neu eingebracht, oder es senen – Heizkosten erstattet. Wegen innen, eine Tierärztin und noch eini- wurden andere Formulierungen für den drohender Zwangsumzüge hatten wir ge mehr. Insgesamt eine bunte Truppe,

KOMMUNAL DISPUT August 2009 028 die wohl auch zu dem zu erwartenden chumerinnen und Bochumer für die REZENSION Erfolg am 30. August führen wird. Haushaltsgestaltung gewinnen und Auf eine eigene Oberbürgermeister- sie in die konkrete Planung mit einbe- kandidatur haben wir bewusst verzich- ziehen. Um das zu verwirklichen, sind tet; eine Entscheidung, die sich die wir gut aufgestellt. Dank wachsender Mitglieder nicht leicht gemacht haben. Mitgliederzahlen und großem Engage- Ausschlaggebend war letztlich das von ment schaffen wir es jetzt sogar, sams- Schwarz-Gelb auf Landesebene geän- tags in allen sechs Stadtbezirken zeit- derte Kommunalwahlgesetz, das keine gleich Infostände durchzuführen. Mehr Stichwahlen mehr vorsieht. als 500 Plakate wurden seit Anfang Au- DIE LINKE kann auf eine gute kom- Unser Kommunalwahlprogramm ist gust aufgehängt, und 80.000 Flyer sind munalpolitische Tradition bauen. jetzt noch konkreter als vor fünf Jah- im Druck. Das merkt man dem Büchlein »Lin- ren. Auch, weil wir die Erfahrungen, die In ostdeutschen Kommunen, wo ke Kommunalpolitik. Eine Einfüh- wir gesammelt haben, mit einbringen DIE LINKE schon zu PDS-Zeiten stark in rung« (VSA Verlag, 2009) an, es konnten. Der Kerngedanke ist aller- den Räten vertreten war und sich über ist erfahrungsgesättigt. Auf grade dings gleich geblieben: Unsere Stadt viele Jahre Strukturen erarbeiten konn- einmal 100 Seiten nimmt uns die gehört uns allen. Wir wollen, dass so- te, mag das alles banal klingen, und ei- Autorin Felicitas Weck mit auf ei- ziale Gerechtigkeit und demokratische nige mögen auch denken, dass das al- nen Gewaltritt. Nicht leicht, sicher- Teilhabe aller das Leben der Menschen les doch wohl selbstverständlich ist. lich, aber wenn man dabei nicht in Bochum bestimmen. Unser Ziel ist Aber für uns ist es das nicht. Als PDS gestrauchelt ist, hat man eine ge- es, dass allen gleichermaßen Arbeit, hatten wir 40 Mitglieder, natürlich nicht wisse Bekanntheit mit fast allem, Bildung, Freizeit und Kultur zugänglich alle aktiv, und haben es in den Rat ge- was einer oder einem in der Kom- sind. schafft. Ohne größere Hilfe – in ganz munalpolitik begegnet, gewon- Konkret bedeutet das unter ande- Nordrhein-Westfalen gab es bis zu nen. rem, dass wir uns weiter für ein ge- den Kommunalwahlen 2004 nur eine Im ersten Kapitel stellt Weck dar, bührenfreies Konto für Bedürftige bei Ratsfraktion der PDS – haben wir ler- wie sich kommunale Selbstverwal- der Sparkasse einsetzen und für Sozi- nen müssen, wie das überhaupt geht: tung in Deutschland entwickelt hat, altarife für den Energiebezug bei den einen Antrag stellen, wie man Anfra- wie Kommunen ins föderale Sys- Stadtwerken, die in Bochum glückli- gen formuliert und wo der Ort ist, die- tem eingebettet sind und wie sich cherweise noch nicht privatisiert wur- se einzubringen. Keine/r von uns hatte der Einfl uss der EU zunehmend be- den. Die Durchsetzung eines Sozialti- vorher Erfahrungen in der Kommunal- merkbar macht. Linke Kommunal- ckets für die Bochumer Verkehrsbetrie- politik, da fällt so etwas schwer. Inzwi- politik ist Politik für Lebens- und be bleibt ein wichtiger Punkt, für den schen haben wir knapp 200 Mitglieder, Selbstentfaltungsräume, Bürger- wir uns schon in den vergangenen Jah- treten in ganz Bochum an und haben beteiligung und soziale Gerechtig- ren engagiert haben. Auch in Bochum als erklärtes Ziel die Verdopplung un- keit sind ihre Prinzipien. ist der fi nanzielle Spielraum sehr be- serer Ratsmandate. Ein zweites Kapitel widmet sich grenzt. In diesem Jahr wurde der Haus- den Handlungsfeldern. Wie kann halt nicht einmal genehmigt. Was das Anna-Lena Orlowski ist die Bochumer die Situation im Bildungsbereich, bedeutet, ist für die Bürgerinnen und Spitzenkandidatin für die Kommunal- sozial, bei den übrigen öffentlichen Bürger nicht transparent. Wir möchten wahl am 30. August und Sprecherin Leistungen vor Ort verbessert wer- mit einem Bürgerhaushalt mehr Bo- des Kreisverbandes. den? Das dritte Kapitel behandelt die Überwindung der formalen Hürden auf eine Weise, dass Ord- nungen, Satzungen usw. als Werk- zeuge betrachtet werden, die es zu beherrschen gilt – und die, das le- gen die Beispiele nahe, auch zu beherrschen sind. Im vierten Teil geht es um das kommunale Man- dat selbst, die Rechte und Pfl ich- ten der Mandatsträger/innen, um Fraktionen und einsame Streiter/ innen. Abschließend werden Partizipa- tion, Offenheit und Transparenz als Tugenden linker, alternativer Kom- munalpolitik dargestellt, wie sie sich an Themen wie direkte Demo- kratie, die Rechte der MigrantInnen, Machtmissbrauch und Korruption sowie dem Umgang mit kommu- nalen Gesellschaften bewähren. Ein Glossar komplettiert das Ganze. Nützlich, lesbar – was will man mehr von einer Einführung?

© Hella Eberhardt (2) Eberhardt © Hella Harald Pätzolt

290 DISPUT August 2009 Harte Zumutungen Schwedens EU-Präsidentschaft auf dem Prüfstand Von Sabine Wils

»Die Herausforderungen annehmen« – sich in jeweils eigenen gemeinsamen Reduktionsziel von mindestens 40 Pro- so betitelt die schwedische EU-Präsi- Positionspapieren mit dem Deutschen zent bis 2020 und energische Klima- dentschaft ihr Arbeitsprogramm für das Gewerkschaftsbund vor der Europa- schutzmaßnahmen in den ersten fünf zweite Halbjahr 2009 und versucht, den wahl verpfl ichtet, keine Kommissare zu Jahren nach 2012. Greenpeace zeigt Eindruck von Entschlossenheit zu ver- wählen, die sich nicht für Initiativen zu der schwedischen EU-Präsidentschaft mitteln. Ihr erster Schwerpunkt ist »Ar- einem sozialen Europa und insbeson- bereits die Gelbe Karte, weil sie die beit, Wachstum und Wettbewerbsfähig- dere für eine soziale Fortschrittsklausel Themen Klima-Finanzierungsfonds, In- keit«, um die Wirtschafts- und Finanz- aussprechen. Sie soll den Vorrang von strumente und Mechanismen für die är- krise langfristig zu überwinden. Weitere Grundrechten und insbesondere des meren Länder durch die reicheren und Punkte sind Klima, Umwelt und Ener- Streikrechts und der Tarifvertragsfrei- den Schutz der Wälder als CO2-Sen- gie (UN-Klimagipfel in Kopenhagen), heit vor den unternehmerischen Frei- ken nicht angeht. Die Linksfraktion im ein weiteres Fünf-Jahres-Programm zur heiten des EU-Binnenmarkts im EU-Pri- EP wird gemeinsam mit sozialen Bewe- Schaffung des »Raums der Freiheit, der märrecht verankern. Wir sind gespannt, gungen und Klimaschutzbündnissen Sicherheit und des Rechts«, eine Ost- versuchen, den öffentlichen Druck für seestrategie, die Weiterentwicklung der eine wirksame und gerechte Klimapoli- »Östlichen Partnerschaft« im Rahmen tik zu verstärken. der Europäischen Nachbarschaftspoli- Inhaltlich ist das schwedische Ar- tik und die Ratifi zierung des Lissabon- beitsprogramm zu großen Teilen ge- Vertrages. gen das Projekt eines sozialen Europa Auch wenn der schwedische Minis- gerichtet. Der Europäische Gewerk- terpräsident Frederik Reinfeldt somit schaftsbund (EGB) hat in seinem Me- viel Ehrgeiz zur Schau stellt – ich be- morandum an die schwedische EU-Prä- zweifele, dass diese Ratspräsident- sidentschaft ein ausgeweitetes Anti-Kri- schaft sehr viel bewegen kann. Am 2. sen-Programm von einem Prozent des Oktober 2009 stimmt Irland erneut über EU-Bruttoinlandprodukts gefordert. Es den Vertrag von Lissabon ab. In Umfra- soll Investitionen in den sozial-ökolo- gen liegt das Ja derzeit klar vorn. Doch gischen Umbau, Maßnahmen zum Er- wenn es anders kommen sollte, vertieft halt und zur Schaffung von Arbeitsplät- sich die Legitimationskrise der EU dra- zen und die Verbesserung von Quali- matisch. Die Linksfraktion im Europa- fi kation und Bildung beinhalten. Der

parlament (GUE/NGL) und DIE LINKE in Wehnert © Erich EGB schlägt weiterhin eine Reihe von Deutschland werden die irische Nein- Gesetzesmaßnahmen vor (zum Bei- Kampagne nach Kräften unterstützen. ob Sozialdemokraten und Grüne ge- spiel die Überarbeitung der EU-Entsen- Selbst bei einem Ja-Sieg in Irland ist genüber den Gewerkschaften Wort hal- derichtlinie zur Durchsetzung des Prin- die EU für den größten Teil der schwe- ten, wenn über die EU-Kommissare im zips »Gleiches Entgelt für gleichwertige dischen Ratspräsidentschaft nur be- Europaparlament abgestimmt wird. Arbeit am gleichen Ort«, Richtlinien zur dingt handlungsfähig. Die neue Euro- Die neue EU-Kommission wird so- Begrenzung der Unterauftragsvergabe, päische Kommission wird wohl nicht mit vielleicht erst am 1. Dezember zur Stärkung des Arbeits- und Gesund- vor dem Ausgang des irischen Votums 2009 ins Amt kommen. Nur die Kom- heitsschutzes am Arbeitsplatz und zur ernannt werden. mission hat das Recht, EU-Gesetzge- Vereinbarkeit von Erwerbs- und Privat- Die erneute Kandidatur des derzei- bung vorzuschlagen. Deshalb wird sich leben). Von all dem will die Präsident- tigen Kommissionspräsidenten José die schwedische Präsidentschaft eher schaft nichts wissen. Manuel Barroso ist hoch umstritten, auf Themen und Projekte konzentrie- Sie will lediglich die bisherigen, auch wenn er von den Staats- und Re- ren, die keine neue EU-Gesetzgebung weitgehend nur nationalstaatlichen gierungschefs der EU einstimmig nomi- erfordern. Die nachfolgende spanische Konjunkturmaßnahmen der Mitglied- niert wurde. Sozialdemokraten und Li- Präsidentschaft (1. Januar bis 30. Juni staaten auf ihre Wirksamkeit prüfen berale im EP machen seine Wahl von 2010) darf dann den entstandenen Ge- und einen Dialog darüber anstoßen. der Erfüllung bestimmter Kriterien ab- setzgebungsstau abarbeiten. Damit wird das totale Versagen der Eu- hängig. Die Sozialdemokraten fordern In die Verhandlungen über das Nach- ropäischen Union fortgesetzt, eine ge- von ihm unter anderem ein klares En- folgewerk zum Kyoto-Protokoll auf dem meinschaftliche systemische Antwort gagement der neuen Kommission für UN-Klimagipfel im Dezember 2009 in auf die Wirtschafts- und Finanzkrise zu eine »Soziale Fortschrittsklausel« als Kopenhagen geht die Ratspräsident- entwickeln. In der Beschäftigungspo- Protokoll zu den Europäischen Verträ- schaft mit dem bereits vereinbarten litik soll alles beim Alten bleiben (Fle- gen. Dies hat die Kommission bislang Angebot der EU: Reduzierung des CO2- xicurity, Förderung der Anpassungs- entschieden abgelehnt. Ausstoßes um 30 Prozent bis 2020, fähigkeit der Arbeitnehmer und so Linksfraktion und Grüne lehnen Bar- wenn andere entwickelte Länder dabei weiter). Zum Kampf gegen Armut und rosos erneute Kandidatur rundheraus mitziehen, ansonsten um 20 Prozent. soziale Ausgrenzung fi ndet die Präsi- ab. SPD, Grüne und DIE LINKE haben Die Umweltorganisationen fordern ein dentschaft zwar ein paar warme Worte,

EUROPA DISPUT August 2009 030 schlägt aber trotz Krise kein Maßnah- DEMNÄCHST menprogramm vor. Hingegen macht sie im Chor mit der amtierenden Europäischen Kommis- sion und dem Rat der EU-Wirtschafts- und -Finanzminister den raschen Abbau der krisenbedingt rasch angestiegenen Haushaltsdefi zite der Mitgliedstaaten zu ihrem Top-Thema. Ein zügiger Schul- denabbau unter die Maastricht-Grenz- Jubiläen und Jahrestage 8. September werte (drei Prozent Haushaltsdefi zit, Welt-Alphabetisierungstag (Unesco) 23. August 1939 60 Prozent gesamtstaatliche Schulden) 10. September 1989 soll spätestens ab 2011/12 einsetzen. Nichtangriffspakt zwischen Deutsch- land und Sowjetunion DDR-Bürger dürfen aus Ungarn nach Damit würde aber selbst die von eini- Österreich ausreisen gen Optimisten ersehnte leichte wirt- 23. August 1989 schaftliche Erholung ab 2010/2011, für BRD-Botschaft in Prag wird wegen 11. September die es wenig Anzeichen gibt, sofort wie- Überfüllung durch DDR-Ausreisewilli- Gedenktag für die Terroropfer vom der abgewürgt, die Krise verlängert und ge geschlossen 11.9.2001 in den USA verschärft. Was ein solcher rascher Schulden- 23. August 1999 12. September 1949 abbau bedeutet, kann man in Lett- Bundesregierung nimmt Arbeit in Theodor Heuss wird erster Bundes- land studieren. Die lettische Regierung Berlin auf präsident der Bundesrepublik musste sich gegenüber Internationa- 23. August 13. September lem Währungsfonds und EU verpfl ich- Tag des Offenen Denkmals ten, das Haushaltsdefi zit von derzeit Internationaler Sklaventag (Unesco) knapp zehn Prozent des Bruttoinlands- 26. August 1909 15. September 1949 produktes um fünf bis sieben Prozent Idee zur Gründung von Jugendher- Adenauer mit einer Stimme Mehrheit bis 2012 zu reduzieren, um Nothilfekre- bergen zum ersten Bundeskanzler gewählt dite zu erhalten. Die Gehälter im öffent- 15. September lichen Dienst wurden in zwei Schritten 29. August 1949 Internationaler Tag der Demokratie um 35 Prozent gekürzt und in der Pri- UdSSR bricht Atombombenmonopol vatwirtschaft um bis zu 50 Prozent ge- der USA 15. September drückt, die Mindestlohngrenze um 23 29. August 1994 August Dickmann als erster Kriegs- Prozent gesenkt, die Mehrwertsteuer Israel und PLO unterzeichnen Vertrag dienstverweigerer des Zweiten wurde erhöht, die Renten wurden um zur Autonomie der Palästinenser im Weltkrieges hingerichtet zehn Prozent beschnitten und der Sozi- Westjordanland aletat erheblich zusammengestrichen – Termine und das bei einem Minuswachstum von 30. August 18 Prozent. Für die Rettung der Banken Tag der Verschwundenen 26. August und Aktionäre müssen Erwerbstätige, Sondersitzung Bundestag Rentner/innen und Arbeitslose bluten. 31. August 1939 In anderen EU-Ländern – Irland, Est- Überfall auf den Sender Gleiwitz 30. August land, Litauen, Ungarn, Rumänien, Grie- durch verkleidete SS-Angehörige Landtagswahlen im Saarland, in Sachsen und Thüringen, Kommunal- chenland – haben die Regierungen be- 1. September 1939 wahlen in Nordrhein-Westfalen reits mit einem ähnlichen »Sparkurs« Beginn des Zweiten Weltkrieges, und Lohndrückerei begonnen. Und in Weltfriedenstag 31. August Deutschland könnte dies nach der Bun- Sitzung Parteivorstand destagswahl bevorstehen. 2. September 1909 Die Linksfraktion im EP wird versu- 100. Geburtstag Harro Schulze-Boy- 5. September chen, eine breite öffentliche Diskussi- sen (Rote Kapelle) bundesweite Anti-Atom-Demonstra- on über diesen Katastrophenkurs der tion »Mal richtig abschalten!«, 4. September 1989 schwedischen Präsidentschaft und Berlin erste Montagsdemonstration in der EU-Institutionen anzufachen. Ge- Leipzig meinsam mit Gewerkschaften und so- 7. September Sitzung Geschäftsführender Partei- zialen Bewegungen wollen wir uns für 5. September 1929 vorstand wirtschafts-, beschäftigungs-, umwelt- Frankreich schlägt Gründung »Verei- und sozialpolitische Alternativen enga- nigter Staaten von Europa« vor 8. September gieren und zum Aufbau eines europa- Sondersitzung Bundestag weiten Widerstands beitragen. 7. September 1949 erster Bundesrat und Bundestag 12. September Sabine Wils ist Leiterin der Delegation konstituieren sich (Bonn) bundesweite Demonstration »Freiheit statt Angst, Berlin DIE LINKE im Europäischen Parlament. 7. September 1949 Sie gehört zur Linksfraktion GUE/NGL, Gründung der Bundesbahn 14./17. September die aus 35 Abgeordneten aus 13 EU-Mit- Sitzungswoche im Europaparlament gliedstaaten besteht. 8. September 1994 West-Alliierte verabschieden sich [email protected] aus Berlin Zusammenstellung: Daniel Bartsch

310 DISPUT August 2009 Das Elend hat ein Ende Die Große Koalition in Schleswig-Holstein ist gescheitert Zur Landtagswahl am 27. September befragte DISPUT Raju Sharma

Landtagspräsident Martin Kayenburg Programme und KandidatInnen auf- sellschaft vorstellen, bei der das Prin- hat sich am 23. Juli geweigert, seinem stellen. Welches werden die zentralen zip »Menschen vor Profi te« gilt und die Ministerpräsidenten und CDU-Par- Forderungen und Aussagen der LINKEN für alle Bürger/innen da ist, nicht nur teifreund Carstensen absichtlich das für Schleswig-Holstein sein? für die Reichen. Vertrauen zu entziehen, und die »un- Wie es jetzt aussieht, werden die echte« Vertrauensfrage kritisiert. Wie Themen des Bundestagswahlkampfs Du hast im März 2009 als Kandidat der viel politisches Porzellan haben Union auch die inhaltlichen Diskussionen im LINKEN zur Oberbürgermeisterwahl in und SPD tatsächlich zerbrochen? Landtagswahlkampf bestimmen. Und Kiel für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Das Porzellan war tatsächlich überlappt sich da vieles. Jetzt trittst du zur Bundestagswahl an. schon lange vorher Die Folgen der Finanzkrise und die ho- Wie reagieren die Menschen auf DIE kaputt, jetzt zerdep- he Arbeitslosigkeit sind vor allem bei LINKE und insbesondere auf ihre poli- pern sie nur noch den Ländern und Kommunen zu spüren. tischen Alternativen zu den etablierten den Rest des Mo- Um dem wirksam begegnen zu können, Parteien? biliars. Im Grunde brauchen wir Investitionsprogramme Bei der OB-Wahl ging es uns unter hat diese Landes- und eine Sozialgesetzgebung, die die- anderem darum, die öffentliche Auf- regierung nie funk- sen Namen auch verdient. merksamkeit für die Themen der LIN- tioniert, weder in- Natürlich werden die Themen Bil- KEN zu nutzen und zugleich das Image haltlich noch per- dung, Rekommunalisierung öffent- der Partei zu verbessern. Das ist uns

© Robert Bajela sonell. Deswegen licher Aufgaben und Umweltpolitik im nachhaltig gelungen. Die Berichterstat- sind die meisten Schleswig-Holsteiner Landtagswahlkampf eine wichtige Rol- tung über DIE LINKE ist insgesamt sach- froh, dass das Elend endlich ein En- le spielen. licher geworden, wozu die gute Arbeit de hat und es die Neuwahl gibt. Dass unserer Mitglieder in den Kommunal- diese Neuwahl jetzt über eine fi ngier- Nimmt man aktuelle Umfragen, hat DIE vertretungen beiträgt. te Vertrauensfrage herbeigeführt wor- LINKE durchaus Chancen, in den Land- Für die meisten Menschen in Schles- den ist, wird man aber vor allem dem tag einzuziehen. Wie ist der Landes- wig-Holstein sind wir mittlerweile nicht amtierenden Ministerpräsidenten an- verband für den kurzen Wahlkampf mehr lediglich eine Möglichkeit zum kreiden, dessen bisherige Popularität aufgestellt? Protest wählen, sondern eine ernst zu sich ja weniger auf Fachkompetenz als Wir müssen uns jetzt natürlich et- nehmende Alternative zu den anderen auf Vertrauen und Sympathie begrün- was sputen, aber das geht den ande- Parteien. det hatte. Von seinem SPD-Herausfor- ren Parteien zumeist auch nicht anders. derer Stegner hatte eh niemand etwas Ein kurzer Wahlkampf hat durchaus Und was muss DIE LINKE unternehmen, anderes erwartet. Vorteile, weil wir so nicht Gefahr laufen, um von dem Bild loszukommen, gegen uns zum Beispiel bei der Diskussion alles zu sein und Versprechungen nicht Mit welchen unerledigten Hausaufga- des Wahlprogramms in endlosen De- fi nanzieren zu können, wie es die Me- ben verabschieden sich CDU und SPD batten über Kommas und Spiegelstri- dien so gern zeichnen? in den Wahlkampf? che zu verheddern. Das geht jetzt alles Dieses unzutreffende Bild, das ver- Von ihren politischen Zielen – Haus- Schlag auf Schlag. Ich fi nde das gut. einzelt Medien immer noch von der haltskonsolidierung, Bürokratieabbau, LINKEN zeichnen, kommt in der Wahr- Kreisgebietsreform – hat die Große Ko- Die Bundestags- und die Landtags- nehmung der Menschen kaum noch alition kein einziges erreicht. Trotz jah- wahl fallen auf den selben Tag. Im an. Das hängt sicher damit zusammen, relanger Mehreinnahmen ist das Land Bund wird ein Sieg von Union und Li- dass die Leute erleben konnten, wie höher verschuldet als je zuvor. Von Auf- beralen vorhergesagt, CDU-Minister- schnell Union und SPD dreistellige Mil- gabenabbau gibt es keine Spur. Das präsident Carstensen wird unterstellt, liardenbeträge zur Rettung von Banken von CDU und SPD vorgelegte Polizei- dass er die Neuwahl auch deswegen und Bankern bereitstellten. Dagegen gesetz musste gleich wieder geändert provoziert hat, weil in Schleswig-Hol- nehmen sich die Forderungen der LIN- werden, weil es in weiten Teilen verfas- stein die Sterne gut für Schwarz-Gelb KEN für staatliche Beschäftigungspro- sungswidrig war. Die Landesregierung stehen. Womit wird DIE LINKE ihre gramme und eine gerechtere Sozialpo- selbst feiert sich für die Streichung des Wählerschaft mobilisieren? litik eher bescheiden aus. Aber im Ge- Weihnachtsgeldes bei den Beamten – Ein Hauptmotiv für die Ansetzung gensatz zu den Wahlversprechen aus übrigens ein klarer Bruch eines Wahl- der Neuwahl war sicher die Erwartung, dem bürgerlichen Lager haben wir ein versprechens der CDU – und für eine dass die schlimmsten Auswirkungen klares und durchfinanziertes Steuer- halbgare Schulreform, die alle mög- der gegenwärtigen Krise erst nach der konzept: Wir wollen Reichtum vertei- lichen Schulsysteme nebeneinander Bundestagswahl 2009 sichtbar werden len und Armut bekämpfen. Das geht – stehen und die Menschen in totaler Ver- und dass sich auch erst dann die vie- mit links. wirrung lässt. len Versprechen der Großkoalitionäre als billige Wahlkampflügen entpup- Raju Sharma kandidiert auf Platz 2 Alle Parteien müssen jetzt für die Land- pen. Wir werden den Menschen unsere der Landesliste zur Bundestagswahl. tagswahl am 27. September kurzfristig Politikansätze für eine gerechtere Ge- www.raju-sharma.de

LANDTAG DISPUT August 2009 032 PRESSEDIENST

■ ■ Schleswig-Holstein-Wahl: Die schen fl üchten, der von den Menschen erteilen.« USA, Europa, Israel und Rus- Vertreter/innenversammlung der LIN- nicht gewollt wird und der seine Men- sland dürften nicht nur über Abrüstung KEN in Schleswig-Holstein bestimmte schen einsperrt, sei kein Sozialismus. reden, sondern müssten gemeinsam am 16. August in Kiel die Liste zur Land- Der Mauerbau eigne sich jedoch nicht praktische Schritte einleiten, um das tagswahl. An der Spitze der Landeslis- für Wahlkampfmanöver und schon gar Aufrüsten zu stoppen sowie alle Atom- te stehen Antje Jansen, Heinz-Werner nicht zur Diskreditierung der Lebens- waffen zu vernichten. Jezewski, Ellen Steitbörger, Uli Schip- leistung vieler Bürgerinnen und Bürger pels, Ranka Prante sowie sieben wei- der DDR. Dennoch habe der Parteivor- ■ ■ Grüne: Zur Absicht der Grünen, tere Kandidatinnen und Kandidaten. stand der PDS im Jahr 2001 Recht ge- jetzt auch die Reichen zur Kasse zu bit- Die vorgezogene Landtagswahl fi ndet habt, als er erklärte, der Mauerbau sei ten, betonte Bundesgeschäftsführer am 27. September 2009 statt. der in Beton gegossene Nachweis der am 5. August, es sei Unterlegenheit des stalinistisch ge- gut, wenn immer mehr Parteien Vor- ■ ■ Linksaktiv: Fast 4.000 Menschen prägten Sozialismustyps in der DDR schläge der LINKEN aufnehmen: »Jetzt haben sich bis Mitte August beim Links- gegenüber dem realen damaligen Ka- haben die Grünen die Zeichen der Zeit aktiv-Team für den Wahlkampf gemel- pitalismustyp in der Bundesrepublik erkannt. Allerdings nur ein bisschen det. Sie verteilen Zeitungen und Kurz- gewesen. »Die Mauer hat die Teilung und mit einer zeitlich befristeten, ein- wahlprogramme, machen Infostän- Deutschlands nicht verursacht, sie hat maligen Vermögensabgabe, mit der de und aktivieren weitere Mitstreite- sie vertieft«, unterstrich Wawzyniak. zweckgebunden die Kosten zur Bewäl- rinnen und Mitstreiter. Viele von ihnen Der 13. August sei ein Tag zum Streiten tigung der Krise getilgt werden sollen. sind keine Parteimitglieder. Weitere In- für eine wirkliche Alternative: Freiheit Das ist inkonsequent.« Die Steuern teressierte können sich im Internet ein- und Sozialismus! für Best- und Besserverdienende und tragen unter: https://www.die-linke. große Unternehmen wurden in den ver- de/nc/wahlen/kampagne/aktiv_wer- ■ ■ Reallöhne: Dass die Reallöh- gangenen zehn Jahren massiv gesenkt. den/. Für alle Fragen rund um Linksak- ne von 2004 bis 2008 gesunken sind, Dank der damaligen rot-grünen Bun- tiv: [email protected] oder sei das Ergebnis sozialdemokratischer desregierung zahlt ein Einkommensmil- Telefon (030) 24 00 99 99. Regierungspolitik, kommentierte der lionär heute jährlich über 100.000 Euro stellvertretende Parteivorsitzende weniger Steuern als Ende der 90er Jah- ■ ■ Hartz IV-Sanktionen: DIE LINKE am 12. August eine Studie re. Deshalb fordert DIE LINKE eine fünf- unterstützt den Aufruf des Bündnisses des Deutschen Instituts für Wirtschafts- prozentige Millionärssteuer auf Privat- für ein Sanktionsmoratorium bei Hartz forschung. »Steinmeier und Finanzmi- vermögen ab einer Million Euro. IV. Dazu erklärte die stellvertretende nister Peer Steinbrück haben lieber mit Parteivorsitzende am 13. der Union Hartz IV und die Rente ab 67 ■ ■ Deutschland-Plan: »Steinmei- August, Hartz IV sei ein Armuts- und durchgesetzt als mit der LINKEN einen ers Deutschland-Plan ist aus der Abtei- Ausgrenzungsgesetz und gehört ab- gesetzlichen Mindestlohn.« Der Auf- lung ›Wünsch dir was‹«, kritisierte Ul- geschafft. Die sofortige Aussetzung al- schwung sei bei den Menschen nicht rich Maurer, Mitglied im geschäftsfüh- ler Sanktionen bei Hartz-IV-Bezug wä- angekommen, und jetzt würde ihnen renden Parteivorstand, am 3. August: re ein erster Schritt in Richtung einer auch noch die Rechnung für die Wirt- »Wer wie Steinmeier im elften Jahr grundrechtskonformen Ausgestaltung schaftskrise in Gestalt von Lohnsen- der SPD-Regierungsbeteiligung Millio- sozialer Sicherungssysteme. »Um das kungen, Entlassungen und bald auch nen Arbeitsplätze für die Zukunft ver- Grundrecht auf eine Existenzsicherung Sozialabbau in voller Höhe präsentiert. spricht, macht sich vollkommen un- und Teilhabe eines jeden Menschen Die Bundesregierung ignoriere jedoch glaubwürdig.« Die SPD habe in ihren tatsächlich zu garantieren, fordert DIE die Gefahr für die Demokratie und den Regierungsjahren Leiharbeit salonfä- LINKE in ihrem Wahlprogramm darü- sozialen Frieden, die daraus erwachse. hig gemacht, mit Hartz IV Armut per ber hinaus die sofortige Abschaffung Stattdessen wollten Merkel mit leeren Gesetz beschlossen, die Rentenformel des Sanktionsparagrafen 31 bei Hartz Gesten und Steinmeier mit leeren Ver- bis zur Unkenntlichkeit zerstört und IV und der Bedarfsgemeinschaftsrege- sprechungen punkten. den Finanzhasardeuren Tür und Tor ge- lung. Die Regelsätze sind auf 500 Euro öffnet. »Der einzige Sektor, in dem Poli- zu erhöhen. Hartz IV ist in eine bedarfs- ■ ■ Atomwaffenabzug: Anlässlich tik wirklich direkt auf die Schaffung von deckende und sanktionsfreie Mindest- der Atombombenabwürfe auf Hiroshi- Arbeitsplätzen Einfl uss nehmen kann, sicherung umzuwandeln.« ma und Nagasaki vor 64 Jahren for- bleibt in Steinmeiers Wolkenkuckucks- derte Parteivorstandsmitglied Helmut heim unberücksichtigt. Nur DIE LINKE ■ ■ Mauerbau: Spätestens mit dem Scholz am 6. August die Bundesregie- will eine Million Stellen im öffentlichen Bau der Mauer endete der Versuch, de- rung auf, »unverzüglich die notwen- Sektor schaffen, seriös fi nanziert durch mokratischen Sozialismus in einem digen Schritte zum endgültigen und Börsenumsatzsteuer, Millionärssteu- Teil Deutschlands zu etablieren, be- vollständigen Abzug amerikanischer er und höheren Spitzensteuersatz für tonte die stellvertretende Parteivorsit- Atomwaffen von deutschem Boden Bestverdiener.« zende am 13. Au- zu realisieren und der nuklearen Erst- gust. Ein Sozialismus, vor dem Men- schlagdoktrin der Nato eine Absage zu Zusammenstellung: Dirk Schröter

330 DISPUT August 2009 Gliwice 1972, in Mann, ein Haus, ein Turm. Der ler einen Vorwand für den Beginn des fotografi ert von Mann ist Offi zier. Das Haus ist ein Zweiten Weltkrieges verschaffte. Erich Wehnert E Funkhaus. Der Turm ist ein Sende- Deutschland war damals bis an die mast. Wir sind beim Sender Gliwice, ehe- Zähne bewaffnet. Die ersten Beutezüge mals Gleiwitz. Grund ist das Datum waren geglückt: »Rückgewinnung der 1. September 1939. Wer heute jünger als Rheinzone«, »Heimholung« Österreichs, 85 Jahre ist, kann es nicht bewusst erlebt »Schutzherrschaft« über die Sudeten, haben, was der polnische Offi zier Mar- »Eindeutschung« des Memellandes. Nun tin Gluch 1972 einem Reporter der »Jun- ging es um den »Lebensraum« im Os- gen Welt« schilderte. Er war der letzte ten. Zeuge jener Schandtat, mit der sich Hit- Drum brachte die Nazi-Presse pau-

DISPUT August 2009 034 NACHBELICHTET

senlos Gräuelmeldungen über die Ver- Am 30. August 1939 trifft sich Naujocks heben! Schlagt jeden Widerstand nie- folgung »Volksdeutscher« in Polen. Hit- mit Gestapo-Chef Müller in Oppeln. Der der!« ler kündigt im Generalstab an, einen pro- steckt ein Dutzend Häftlinge in polnische Am nächsten Morgen wird Martin pagandistischen Anlass zur Auslösung Uniformen, um sie anschließend als Lei- Gluch mit zwei anderen Häftlingen der des Krieges zu geben. chen im Funkgelände zu platzieren. versammelten Presse vorgeführt mit den Am 10. August 1939 befi ehlt der Chef Am 31. August 1939 um 20 Uhr stür- Worten: »Das sind die polnischen Ban- des Sicherheitsdienstes Heydrich seinem men Polen-Darsteller von Naujocks das diten, die gestern den Sender überfallen Vertrauensmann Naujocks, einen An- Funkhaus. Ein polnisch sprechender haben.« Aber vorher konnte Hitler über schlag auf den Sender Gleiwitz nahe der Deutscher verliest den Aufruf: »Hier ist alle Sender brüllen: »Seit 4 Uhr 45 wird Grenze zu organisieren. Es muss aussehen, die Radiostation Gleiwitz! Wir rufen alle zurückgeschossen!« als wären Polen die Angreifer. Polen auf, sich gegen Deutschland zu er- So macht man Kriege.

35 0 DISPUT August 2009 Ein gemeinsames Ziel Von Sylt zur Zugspitze: Langer Marsch für eine Welt ohne Atomwaffen Von Manfred Sohn

Jeder noch so lange Marsch startet be- dass wir – um der Menschen in Hiro- rufene Konferenz zur Überprüfung des kanntlich mit einem ersten Schritt. In shima und um unserer selbst willen – Atomwaffensperrvertrages. Den dort diesem Falle knirschte unter den Soh- die Gefahr eines neuen Nuklearkrieges zusammentreffenden Staatschefs sol- len der Sand der Insel Sylt. Gut zwanzig niemals vergessen und solange gegen len möglichst Millionen Unterschriften Menschen – die Mehrheit Frauen – hat- diese Gefahr kämpfen müssen, bis diese überreicht werden, damit endlich ernst ten sich am 6. August 2009 am nörd- Waffen von der Erde verschwunden sind. gemacht wird mit der Verpfl ichtung aus lichsten Gebäude der Bundesrepublik, Die Kundgebung beendete der Rentner dem Atomwaffensperrvertrag und – wie dem Leuchtturm in List, getroffen. Hier Bernd Funke vom Duisburger Friedens- es in dem Appell heißt – »Nuklearwaf- starteten sie einen Friedensmarsch, forum mit den drängenden Worten: »Der fen ohne Verzögerungen verboten und der, wenn alles gut geht, erst knapp ein Wahnsinn wurde in unserer Generation vernichtet werden«. Jahr später auf dem höchsten Gebäu- angeschafft. Also muss er auch in un- Mit dem Marsch wollen wir, die wir de Deutschlands, auf der Zugspitze, en- serer Generation abgeschafft werden.« ihn begonnen haben, auf diese Unter- den soll. Dann ging’s los: Über den Strand schriftensammlung aufmerksam ma- Diese ungewöhnlich aufwendige Ak- von Sylt, durch Kampen bis nach Wes- chen. Der erste Abschnitt des großen tion begann um 8:15 Uhr mit dem tiefen terland. Dort hatte, begleitet von einem Marsches liegt hinter uns. Wir sind von Gong einer alten Schiffsglocke und einer Musikerduo der Kirchengemeinde, die Sylt an der ganzen deutsch-dänischen gemeinsamen Schweigeminute für die Friedensinitiative einen Stand auf- Grenze entlang Schritt für Schritt bis über 100.000 Menschen, die am 6. Au- gebaut und weit über hundert Unter- nach Flensburg gelaufen. Wir haben gust 1945 in der Hitze- und Druckwelle schriften unter den »Appell für eine – auch dank einer durchweg ausführ- in Hiroshima zum Teil buchstäblich ver- Welt ohne Atomwaffen« gesammelt. lichen und positiv eingestellten Lokal- dampften, als 560 Meter über ihnen mit Das Sammeln der Unterschriften ist presse – überall Sympathien und ins- einem grellen Blitz die erste Atombom- der Ausgangspunkt und eigentliche gesamt mehrere hundert Unterschriften be über einer Stadt explodierte. Sinn des Friedensmarsches. Vor einem geerntet. Zweimal haben uns Menschen Vera Bleicken von der örtlichen Initi- Jahr, im August 2008, hatte eine inter- zu Kaffee und Keksen eingeladen. Mal ative »Sylter für den Frieden« eröffnete national besetzte Konferenz in Hiro- waren wir zwanzig auf dem Marsch, ei- die kleine Gedenkveranstaltung mit ei- shima diesen Appell beschlossen. Er nen Wegabschnitt auch mal nur drei. nigen Worten über die Notwendigkeit, zielt auf die für den 3. Mai 2010 einbe- Aber als wir uns dann Flensburg nä-

AKTION DISPUT August 2009 036 herten, kamen uns hier, dank der wun- nigen seiner Partei gegen den Afgha- zweisprachig ist, braucht ihn niemand derbaren Organisation des dortigen nistan-Einsatz gestimmt hatte. zu übersetzen. Kreisverbandes der LINKEN, nach und Dem Marsch weht eine Fahne voran, Für die ersten hundert Kilometer nach Menschen zwischen sieben und auf der in Deutsch und Japanisch zu le- ist allein die reine Zahlenbilanz ganz siebzig Jahren entgegen. Sie begleite- sen ist: »Friedensmarsch zum Geden- beeindruckend: Sechs Menschen ha- ten uns die letzten Kilometer, bis wir ken an Hiroshima, 1945 – 2010, für ei- ben die Fahne schon getragen, mitge- schließlich wieder über zwanzig waren, ne Welt ohne Atomwaffen«. Sie ruht wandert sind irgendeinen Streckenab- als wir am 9. August, um genau 11:02 jetzt in Flensburg. Zum 1. September, schnitt ungefähr vierzig, mehrere Hun- Uhr, der Menschen gedachten, die an dem 70. Jahrestag des Überfalls auf Po- dert haben den Appell unterzeichnet, len, soll und wird sie – vor allem mit Hil- und Tausende haben die Zeitungsarti- fe der Kieler Friedensbewegung – in der kel gelesen, die in Schleswig-Holstein Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins erschienen sind. Am Schluss werden eintreffen. Damit soll auch unterstrichen Dutzende die Fahne getragen, Hunder- werden: Weder Japan noch Deutschland te mitgewandert sein und Tausende waren Opferländer. Ihre herrschenden werden den Appell für eine Welt ohne Klassen waren in Europa und Asien die- Atomwaffen unterzeichnet haben. jenigen, die als erste die Waffen in die Welchen Weg genau die Fahne ge- Hand befahlen, um andere Völker zu hen wird, hängt vor allem von engagier- unterwerfen. Hiroshima steht auch als ten Menschen vor Ort ab. Die meisten Mahnung, dass Kriege häufig in das Abschnitte werden zu Fuß zurückgelegt Land zurückkehren, von dem sie ausge- werden. Aber auch Fahrradabschnitte gangen sind. sind geplant, und diskutiert wird ge- In Etappen wird die Fahne wie ein genwärtig, ob nicht einzelne Abschnitte Staffelholz nach Süden getragen, um von ReiterInnen übernommen werden, schließlich auf der Zugspitze an die Ju- die den Gedanken einer Welt ohne gendliche übergeben zu werden, die Atomwaffen hoch zu Ross durchs Land sie mit einem Fotoalbum nach Japan tragen wollen. Dies ist also vor allem ei- nimmt. Dort ist für August 2010 eine ne Aktion im Werden, eine Aktion zum

© privat (3) © privat weitere große Friedenskundgebung Mitgestalten und zum Mitmachen. vorgesehen, auf der sie dann an die Ja- Nähere Informationen über die- diesem Tag vor 64 Jahren in Nagasaki paner überreicht werden soll – als Zei- se Friedensaktion sind zu fi nden un- Opfer der zweiten Atombombe wurden. chen dafür, dass Hiroshima und unse- ter www.friedensmarsch-fuer-hiroshi- Daran schlossen sich Reden von Vertre- re gemeinsame Verpfl ichtung, für eine ma.de. tern der Partei DIE LINKE, aber auch des Welt ohne Atomwaffen zu kämpfen, in SPD-Bundestagsabgeordneten Wolf- Deutschland niemals vergessen wird. Manfred Sohn ist Fraktionsvorsitzender gang Wodarg an, der als einer der we- Und weil der Text auf der Fahne eben der LINKEN im niedersächsischen Landtag.

Anstrengend, aber erfolgreich ist der Friedensmarsch: Über 40 Menschen nahmen am ers- ten Abschnitt teil und Hunderte un- terschrieben den »Appell für eine Welt ohne Atom- waffen«.

370 DISPUT August 2009 Es bleibe dabei – die Heide ist frei! Der letztlich erfolgreiche Widerstand gegen Kriegsübungen in der Kyritz-Ruppiner Heide war kein Spaziergang Von und Wolfgang Gehrcke

Vom Widerstand gegen das Bombo- Denn dieser Sieg taugt zum Beleg da- »Bomben nein – wir gehen rein«, Ro- drom lernen, heißt siegen lernen. Das für, dass sich Einmischen und Wider- sa Heide, Friedensinitiative Kyritz-Rup- klingt banal, ist es aber nicht. Wie so stand lohnen, auch wenn es unglaub- piner Heide. Das Wachsen des Chores einige Bilder der vergangenen Wochen lich lange dauert. hatte Gründe, inhaltliche wie regionale. nicht stimmen. Die Zahl der selbster- These 1: Ein identifikationsstif- Er sang nun mehrstimmig, gelegentlich nannten Mütter und Väter des Protest- tendes Ziel war formuliert. Das Ziel war wurde es ein Kanon. Aber er sang im- erfolgs hat uns vor Ort dann doch über- die Verhinderung des Tieffl uglärms. Bei mer das gemeinsame Lied! Es gab viele rascht. Obwohl wir wissen, dass nur die allen Unterschieden in der Motivation legendäre Mitmach-Aktionen. »Oben Niederlage ein Waisenkind ist. Gerade- für diesen Willen wollten wir die Ruhe ohne«, mit Pferden oder dem Boot ging zu beschwingt gratulierte Ministerprä- nicht wieder hergeben, die durch den es zum Beispiel zum Reichstag. Irgend- sident Platzeck bei der (vorerst?) letz- Abzug der sowjetischen Truppen ent- wann sympathisierte auch die schwei- ten Protest-Jubel-Wanderung in Sewe- standen war. Und auch die erneute mi- gende, inaktive Mehrheit mit dem ak- kow zum Erfolg. Dabei klebte er »Die litärische Besetzung dieses Stücks Hei- tiven Bombodrom-Widerstand. Heide ist frei – 9. Juli 2009« auf das mat wollten viele verhindern. These 4: DIE LINKE wurde Teil der Be- letzte der rund 200 aufgestellten Orts- These 2: Ein breites Bündnis wur- wegung. Die Initiativen haben sich im- ein- und -ausgangsschilder in der Re- de geschmiedet. Die Gründe zur Ab- mer als überparteilich verstanden. Es gion. Die verkünden noch: »Diese Ge- lehnung des Bombodroms waren im- gehört zu den ebenso hartnäckigen meinde wehrt sich gegen den Bomben- mer vielfältig und veränderten sich in wie falschen Mythen, dass Bürgerbe- abwurfplatz«. Hunderte waren anwe- den siebzehn Jahren Widerstand. Zu wegungen links orientiert wären. Es hat send, die dies authentischer hätten tun Beginn der 1990er Jahre konnten sich viele Jahre intensiver politischer Arbeit können. Aber Platzeck hat noch mehr viele zum Beispiel gar nicht vorstel- der PDS/LINKEN gebraucht, bis Vorur- Tatsachen absichtsvoll ausgeblendet. len, dass die Bundeswehr einmal welt- teile ab- und Vertrauen aufgebaut wa- Zum Beispiel, dass der Verzicht auf den weit im Kriegseinsatz sein würde. Es ren. Das ist manchmal ungerecht, denn Tag genau sechs Jahre nach dem 9. Ju- gelang aber, woran so viele scheitern: sie war all die Jahre die verlässliche Un- li 2003 erfolgte, an dem der SPD-Vertei- die Vielfalt der Argumente hat die Be- terstützerin auf allen Ebenen: auf der digungsminister einer rot-grünen Bun- wegung gestärkt. FriedensaktivistIn- Straße, im Parlament oder in Regie- desregierung die Inbetriebnahme des nen, Naturschützer/innen, regionale rungsverantwortung. Gerade die Ver- Bombodroms anordnete. Daran erin- Unternehmer/innen, Urlauber/innen bindung des Protestes mit den Parla- nerte Barbara Lange vom Freien Him- und Anwohner/innen haben sich nicht menten war eine wichtige Funktion und mel. nur geduldet, sondern als Mitstreiter/ hat nicht unwesentlich dazu beigetra- Die 17 Jahre Widerstand gegen innen respektiert. Das war nie konfl ikt- gen, dass sich die anderen Parteien Kriegsübungen in der Kyritz-Ruppiner los, aber die feste Klammer des ge- positionieren mussten. Zunächst auf Heide waren alles andere als ein Spa- meinsamen Ziels hat das gemeinsame kommunaler Ebene, dann in den Land- ziergang. Die regelmäßigen Protest- Agieren nach Außen immer möglich ge- tagen der betroffenen Länder und ganz wanderungen waren zwar ein wichtiges macht. Weil klar war, dass wir gemein- zum Schluss auch im Bundestag. So politisches Mittel in der Auseinander- sam siegen oder verlieren. Aber dieses wurde DIE LINKE zum festen Bestand- setzung, da sie die unmittelbar Betrof- Wissen blieb keine Theorie, sondern teil des Widerstandes. Die Fähigkeit fenen vor Ort aktiv einbezogen. Der Ver- wurde konsequent ins Handeln umge- zum klugen Verzicht auf Selbstprofi lie- zicht wurde aber nicht geschenkt oder setzt. Es entstand eine sehr breite de- rung, wenn sie dem gemeinsamen po- gewährt, sondern erzwungen! Gegen mokratische Mehrheit in der Region, litischen Ziel nicht dient, war eine wich- die jahrelange Verweigerung schwarz- deren Argumente auch Gerichte und tige Grundlage im Bündnis. gelber, rot-grüner und schwarz-roter Parlamentsmehrheiten zur Kenntnis Der Kampf um die friedliche Zukunft Bundes- und Landesregierungen und nehmen mussten. der Kyritz-Ruppiner Heide ist noch Parlamentsmehrheiten! Die Atmosphä- These 3: Der Widerstand war vor Ort nicht zu Ende. In der kommenden De- re war lange geprägt durch Versuche verwurzelt. Politischer Erfolg braucht batte wird sich zeigen, ob die These der Ausgrenzung, Anfeindung und De- AkteurInnen und Strukturen. Es gab 5 stimmt: Der Widerstand gegen die legitimation. Pazifistische Spinnerei, immer Identifikationsfiguren des re- Kriegsübungen hat in dieser dünn be- Demotourismus und Vaterlandsverrat gionalen Widerstandes. So den un- siedelten Region politisch mehr Spuren waren lange bediente Vorurteile. Und vergessenen ersten Vorsitzenden der hinterlassen als »nur« das Bombodrom trotzdem wurde ein immer breiter wer- FREIen HEIDe, Helmut Schönberg, die verhindert. dendes (regionales Zweck-)Bündnis ge- »Großmutter der FREIen HEIDe«, Anne- Und DIE LINKE bleibt auch mit Blick schmiedet, das sich in einem scheinbar marie Friedrich, oder Benedikt Schir- nach Nordhorn, Siegenburg und in die aussichtslosen Kampf gegen die Mili- ge, den Sprecher der Bürgerinitiative. ganze Welt dabei: Kein Bombodrom. tärs und ihre politischen Wegbereiter/ Aber der Widerstand wurde immer von Nirgends. innen durchgesetzt hat! vielen Menschen getragen. Nach 2001 Gerade für DIE LINKE lohnt sich die wurde der Reigen der Initiativen richtig Kirsten Tackmann (Brandenburg) und Analyse, warum der Widerstand in der bunt : Freier Himmel, Pro Heide, Pro Ur- Wolfgang Gehrcke sind Bundestags- Kyritz-Ruppiner Heide erfolgreich war. laub, bomb – o – dream, »Weiße Zone«, abgeordnete der LINKEN.

INITIATIVE DISPUT August 2009 038 Ist DIE LINKE offl ine? Sanfter Faschismus, virtuelle Realitäten und reale Unwissenheit Von Christian Löbel

In seinem Artikel »Die Krise – nichts ge- Nur ein Generationenkonfl ikt? und Zensur kämpfen wir Seite an Seite, lernt aus der Geschichte?« (»clara« 13) so geschehen beim Widerstand gegen bezeichnet Ulrich Maurer das »Compu- Das Unverständnis für die Lebenswirk- die »Kinderpornosperre«. Solange DIE tergewaltspiel ›World of Warcraft‹« als lichkeit junger Leute darf wohl primär LINKE aber als »Offl ine-Partei« wahrge- eine alltagskulturelle Vorstufe des par- als Generationenkonflikt betrachtet nommen wird, deren Akteure weit von lamentarischen »sanften Faschismus«. werden, schließlich ist noch jedes neue der Lebenswirklichkeit der Netz-User Er stellt World of Warcraft somit in eine Medium vom Comic bis zum Videofi lm entfernt sind, wird es uns nicht gelin- Reihe mit BZÖ (Bündnis Zukunft Öster- von der Generation der »Alten« mit Arg- gen, diese inhaltliche Nähe in Wähler/ reich), FPÖ (Freiheitliche Partei Öster- wohn betrachtet worden, nur um wenige innen oder gar Mitglieder umzusetzen. reich) und uniformiert marschierende Jahre später Einzug in die Alltagskultur Noch ist es nicht zu spät, hier glaubwür- Faschisten. Dies stellt nicht nur eine un- zu halten. Daraus zu schließen, es wä- dig Kompetenz zu erlangen. Doch all zu- zulässige Verharmlosung faschistischen re somit kein Problem, ist jedoch falsch. lange zögern sollten wir nicht. Erstarkt Handelns dar, sondern zeugt in aller- Denn solange in unserer Partei die Ge- die Piratenpartei erst einmal zur parla- erster Linie von großer Unwissenheit in neration »Browser? Was war das noch mentarischen Kraft in Deutschland, wird Bezug auf die Lebenswirklichkeit jun- mal?« dominiert, fällt es jungen Leuten, sie dieses Themenfeld ebenso besetzen ger Menschen im Allgemeinen und auf die ansonsten eine große Übereinstim- wie die Grünen den Umweltschutz. World of Warcraft im Speziellen. mung mit unseren Zielen hätten, schwer, Wenn weltweit über elf Millionen in der LINKEN ihre politische Heimat zu Computerspiele als Sündenbock Menschen World of Warcraft spielen, fi nden. Ist der Vorwurf, World of War- Hinzu kommt noch, dass Internet und Computerspiele von den Konservativen schon seit einiger Zeit als Sündenböcke für ihre verfehlte Sozialpolitik herange- zogen werden. Jedes Mal, wenn irgend- wo ein Amoklauf stattfi ndet, dauert es nur wenige Stunden, bis die bürgerli- che Presse den Schuldigen gefunden hat: Böse Computerspiele hat der Täter gespielt, Counterstrike, vielleicht sogar noch Schlimmeres. Und, ach ja: Auf du- biosen »Myspace«-Seiten war er auch, vielleicht entdeckt man sogar ein You- An Mord und Tot- Tube-Video, in dem er – oh Schreck! – schlag denkt da- mit einer Luftpistole auf einen Vogel bei mit Sicherheit schießt (»Warum hat das Jugendamt keiner ... nicht schon auf dieses Alarmsignal re- agiert?!«). Dass die Eltern seit zehn Jah- ren arbeitslos sind und der Vater Alko- holiker ist, dass der Amokläufer jeden Tag in der Schule verprügelt wird – das dann tun sie das – davon kann ruhigen craft sei eine Vorstufe des sanften Fa- fi ndet dann oft nur am Rande Erwäh- Gewissens ausgegangen werden –, um schismus, für sie doch ähnlich absurd nung! »Level 80« zu erreichen, neue Ausrüs- wie eine Behauptung, telefonieren sei Wenn vonseiten der LINKEN ebenso tung zu erspielen oder um mit Freunden eine Erfi ndung des Teufels. Dass diese unrefl ektiert World of Warcraft als Ge- endlich die neue »Instanz« zu knacken. und ähnliche Themen für die Generati- waltspiel und Schlimmeres bezeich- An Mord und Totschlag denkt dabei mit on der Computer- und Internetaffi nen net wird, so erweckt dies den Eindruck, Sicherheit keiner. keine Nebensächlichkeiten sind, zeigt wir LINKEN teilen die Lesart der Konser- Richtig ist sicherlich, dass Krieg und nicht zuletzt der Erfolg der Piratenpartei, vativen. Vielmehr sollten wir nicht mü- Gewalt den erzählerischen Rahmen bil- die in dem sozialen Netzwerk »studiVZ« de werden, ihre asoziale Politik an den den – ebenso wie bei dem Brettspiel Ri- mit Leichtigkeit auf mehr »Unterstützer« Pranger zu stellen und vernehmbar zu siko oder bei Schiffe versenken. Aber kommt als alle anderen Parteien. artikulieren: Ein verkorkstes Leben und ebenso wie es absurd wäre, bei Schiffe Tatsächlich gibt es eine sehr große dieses Schulsystem machen Leute zu versenken das gedankenlose Töten Übereinstimmung der LINKEN mit der Amokläufern – nicht Computergewalt- hunderter Seeleute (wer sagt eigentlich, politischen Netzbewegung. Die Reform spiele oder das Internet! dass keine Zivilisten an Bord sind?) an- des Urheberrechts – weg von den Kapi- zuprangern, ist es abwegig, die Gewalt talinteressen, hin zu den Nutzerinter- Christian Löbel schrieb den Artikel bei World of Warcraft in den Fokus zu rü- essen – ist eine fast sozialistische Idee. namens der Linksjugend [‘solid] Bayern, cken. Auch im Kampf gegen Überwachung deren Landessprecher er ist.

390 DISPUT August 2009 MEDIEN Politik und Paella Die Sommeruniversität der Europäischen Linken bot wieder vielfältige Debatten. Aber nicht nur Von Andreas Günther

form!, kommen Jüngere und Ältere, Wis- senschaftler/innen, Politker/innen und Aktive aus sozialen Bewegungen zu- sammen, um sich über Lage und Per- spektiven der Linken und der sozialen Bewegungen in Europa und der Welt auszutauschen, linke Theorie voranzu- bringen und Netzwerke zu knüpfen und auszubauen. In diesem Jahr stand, wie nicht an- ders zu erwarten, die Wirtschafts- und Finanzkrise ganz oben auf der Themen- liste. Darüber hinaus sprachen die Teil- nehmer/innen über die Situation in La- teinamerika und das Verhältnis zwi- schen europäischer und lateiname- rikanischer Linken. Dazu analysierte ünther (4) eas G © Andr Debatten und Ausfl üge gehören bei der Sommeruni zum Programm. Und das kam wie- der gut an bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 19 Ländern.

Zum vierten Mal fand die Sommeruni- versität der Partei der Europäischen Linken (EL) statt. Diesmal, in der drit- ten Juliwoche, im spanischen Valen- cia. Die Gastgeber von der Izquierda Unida (Vereinigte Linke), der Kommu- nistischen Partei Spaniens (KPS) und der ehemalige ekuadorianische Wirt- der Kommunistischen Partei der auto- schaftsminister Pedro Paez in einem nomen Region Valencia hatten kurzfris- beeindruckenden Vortrag die wirt- tig die Ausrichtung übernommen, nach- schaftliche Situation in Lateinamerika dem die ursprünglich einladende Par- und der Welt. Er zeigte auf, dass die ge- tei der Kommunisten der Republik Mol- genwärtige Krise langfristige Wurzeln in dau sie wegen der dortigen Neuwahlen der früher erfolgten neoliberalen Umge- nicht organisieren konnte. staltung der Gesellschaften hat. Bei hochsommerlichen Tempera- Weitere Themen waren die Synthe- turen begrüßten KPS-Generalsekretär se der verschiedenen linken Zugänge Francisco »Paco« Frutos und VL-Gene- (Feminismus, Gewerkschaften – mit ralkoordinator Cayo Lara etwa 150 Teil- Horst Schmitthenner von der IG Metall nehmerinnen und Teilnehmer aus 19 als Referenten, MigrantInnenrechtsbe- Ländern – nicht nur aus Mitglieds- und wegung, politische Linke) zu einer ge- Beobachterparteien der EL – zu lehr- Die Sommeruniversität ist eine gu- meinsamen Agenda sowie die Lage im reichen Vorträgen und interessanten te Tradition in der erst fünfjährigen Ge- Mittelmeerraum im Zusammenhang Diskussionen. DIE LINKE war mit 15 Teil- schichte der Europäischen Linken. Or- mit der »Union für das Mittelmeer«. Ei- nehmerinnen und Teilnehmern vertre- ganisiert in Zusammenarbeit mit dem ne Analyse der politischen Landschaft ten. europäischen Stiftungsnetzwerk Trans- nach den Wahlen zum Europaparla-

EUROPÄISCHE LINKE DISPUT August 2009 040 ment trug der Europaabgeordnete Mi- verstanden würden oder noch keine guel Portas (Linksblock Portugals) vor. glaubwürdige Konkretheit besäßen. Traditionell stehen auch Kultur und Als Schlussfolgerung forderten sie, Erholung auf dem Programm der Som- dass die EL »von Vorschlägen zu einer meruniversität. So führte dieses Jahr ei- Phase der Entwicklung gemeinsamer ne abendliche Erkundung in die traum- konzeptioneller Werkzeuge (kommen hafte Altstadt von Valencia. Ein weiterer muss), die uns ermöglichen, eine neue Ausfl ug ging ins nahegelegene Naturre- politische Vision zu fi nden. Das ist eine servat von Albufera. Die ehemalige La- Angelegenheit theoretischer und kultu- gune, ein einzigartiges Kleinod der Kul- reller Arbeit, die sowohl auf nationaler tur, konnte durch bürgerschaftliches als auch auf der europäischer Ebene Engagement vor der Zerstörung durch getan werden muss …« Immobilienspekulation gerettet wer- Die Sommeruniversität war auch den. Eine Bootsfahrt über den See und Sommeruniversität unterstützten den 2009 ein beeindruckendes Erlebnis. durch seine malerischen Schilfgürtel Protest mit ihrer Unterschrift. Sie brachte viele spannende Diskus- wurde mit einer traditionellen valenci- Am letzten Tag verständigten sich sionen, neue Anregungen und vielver- anischen Paella zum Abendessen ge- die Anwesenden auf einen gemein- sprechende Kontakte. Nachdem in die- krönt. Nach einem Besuch in der mo- samen »Vorschlag«: Bei Würdigung sem Jahr die Anmeldefrist wegen der dernen Architektur der Stadt der Küste des neuen Niveaus, das die Zusam- Verlegung knapp war, sollten Interes- und der Wissenschaft Valencias führte menarbeit der EL in der Gemeinsamen sentinnen und Interessenten sich den der Weg am letzten Abend in das male- Wahlplattform gefunden hat, werfen Juli 2010 für die nächste Sommeruni- rische Viertel von Cabanal, dessen Ein- sie – ausgehend von dem »unbefrie- versität vormerken. wohner sich gegen seine Zerstörung digenden Wahlergebnis« bei den Eu- durch ein sinnloses Straßenprojekt zur ropawahlen – die Frage auf, ob die po- Bericht und Dokumente im Internet unter Wehr setzen. Die Teilnehmer/innen der litischen Vorschläge der Linken miss- www.european-left.org.

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410 DISPUT August 2009 LESEPROBE

Bedürfnis nach Herren Pofalla, Westerwelle oder Söder Gebiet ist die von Peter Hinze forcierte haben? Plagt diese notorischen poli- Rote Socken-Kampagne, die im Wahl- sozialem Gewissen tischen Versager wirklich die nackte kampf Helmut Kohls 1994 dafür sorgen Existenzangst so sehr, dass sie lieber sollte, dass genau die eben besagte Die LINKE Chance Deutschlands – wir eigenhändig der Demokratie das Grab Angst bei den Menschen geschürt wür- müssen diese nur wahrnehmen. Von schaufeln, als dass sie den Wähler sei- de. Eine sachliche Auseinandersetzung Günter Toth ne Entscheidung ohne niederträchtige mit dem politischen Gegner war nicht Diffamierungen des politischen Geg- wahrzunehmen. Und schließlich hat er bis von kurzer Zeit noch ners treffen lassen? man 2007 die Ideenlosigkeit der Kon- laut darüber nachdachte, ob Hierin begründet sich auch die Tat- servativen eindrucksvoll unterstrichen, W es möglich sein könnte, seine sache, dass es dem deutschen Wäh- indem man genau auf diese Kampagne Stimme bei der nächsten Wahl der neu ler bis heute nicht gestattet wird, sei- zurückgriff und damit Schiffbruch erlitt. entstandenen Partei Die LINKE zu ge- ne Abgeordneten, den betreffenden Mi- Mit dieser Methodik hat das kon- ben, der hatte sich von so manchem an- nisterpräsidenten, den Bundeskanzler servative Lager immer gearbeitet und geblichen Demokraten viel Schelte an- und schließlich auch den Bundesprä- wird es auch weiter tun, weil der not- hören müssen. Wie gesagt, bis vor gar sidenten selber zu wählen. Der Bürger wendige Esprit für eine tatsächlich po- nicht langer Zeit. In den letzten Mona- steht unter der Kontrolle einiger weni- litische Auseinandersetzung fehlt. ten hat die Haltung gegenüber der neu- ger, und mit den sogenannten Wahl- Die Union hatte sich auch stets einer en LINKEN im Volk eine beachtliche Ver- en wird ihm suggeriert, die Macht in politisch-sachlichen Auseinanderset- änderung erfahren. Warum ist das so? den Händen zu halten, die unseren zung mit der SPD verweigert, solange Warum plappern die Leute nicht mehr Staat ausmacht. Mit dieser Form der die Sozialdemokraten noch ihr wirklich den Unsinn nach, der ihnen vorzugs- Demokratie fällt es leicht, sich Legiti- angestammtes Lager vertreten hatten. weise von Unionspolitikern vorgekaut mationen zu verschaffen und die Men- Seit der Aufgabe der grundlegenden wird: »Die Kommunisten sind nicht schen unseres Landes glauben zu ma- Existenzberechtigung der SPD hat diese wählbar! Das sind Feinde der Demokra- chen, sie hätten etwas zu sagen. Dieses es auch nicht mehr notwendig, sich so tie! Die werden unseren Staat durch ih- Spiel beherrschte schon Adenauer recht stark wie irgend möglich von den Toten- re Misswirtschaft zerstören und in den gut. Seine politischen Erben perfektio- gräbern der Sozialen Marktwirtschaft Bankrott treiben! Die haben keine Ah- nierten es noch. Wenn sie auch sonst abzugrenzen, da die Sozialdemokratie nung von Wirtschaft, sondern sie wer- nicht wirklich viel zustande gebracht selbst täglich jeden verzweifelten Ver- den Deutschland nach dem Muster der haben, so schafften sie es doch, sich such unternimmt, sich den Konserva- alten DDR ruinieren!« in diesem System möglichst lange an tiven immer mehr anzuähneln. Es ist ihr So und ähnlich lauteten und lau- der Macht zu halten. bis heute nicht gelungen, wieder zum ten bis heute die schwachsinnigen alten Profi l zurückzufi nden und die Last Hetzparolen der sogenannten bürger- der sozialen Todsünden aus der Schrö- Die altbewährte Rezeptur lichen Parteien, die auf nichts ande- der-Regierung abzuschütteln. Es kann res abzielen, als in den Menschen je- Wie weit sind wir gekommen, wenn auch getrost bezweifelt werden, dass ne Angst zu schüren, eine Abwendung nach dem Beitritt der neuen Bundes- ihr das je gelingen wird. von den etablierten Parteien – insbe- länder immer noch mit denselben Me- Um von all diesen eigenen Unzu- sondere von der Union, die am katas- thoden der alten Despoten wie Strauß, länglichkeiten abzulenken, wird im- trophalen Zustand unserer Demokra- Kohl und Konsorten gearbeitet wird? mer wieder die neue LINKE in ein du- tie die Hauptschuld trägt – würde un- Der politische Gegner darf ohne Nach- bioses Licht gerückt. Den mangelnden mittelbar mit dem Untergang unseres weis auch nur der geringsten Hinweise Willen zur Aufarbeitung ihrer Geschich- Staates, unserer Demokratie und auch auf einen Wahrheitsgehalt aufs Übels- te betonen die politischen Gegner im- mit den wirtschaftlichen Ersparnissen te diskreditiert und mit Dreck beworfen mer wieder mit dem Ziel, in den Köpfen der Bürger verbunden sein. Dabei steht werden. Egal wie viel von diesem Dreck der Menschen Misstrauen zu säen. Da- heute fest, dass die Union den Part, ei- man selber am Stecken hat, man setzt bei ist festzustellen, dass es keine ein- nen Staatsbankrott herbeizuführen, lie- die Maschinerie in Gang und wird dann zige Partei in Deutschland gibt, die ih- ber selber übernehmen will. Das dürfte sehen, was am Schluss beim Bürger an- re eigene Geschichte sauber aufgear- heute klarer sein als jemals zuvor. kommt. Das ist die altbewährte Rezep- beitet hätte – von einzelnen Politikern Das Gespenst von einem Sozialis- tur, und von ihr wird seit Adenauer und insbesondere gar nicht zu reden. Oder mus der ehemaligen DDR soll in den Strauß nicht mehr abgewichen. Neu ist sollte die Union vielleicht vergessen Menschen Verunsicherung hervorrufen nur, dass deren Nachfolgern keine neu- haben, dass es in der DDR auch eine und so zumindest die eine oder ande- en Ideen einfallen, mit denen man et- Blockpartei der CDU gab, die alles an- re zaghafte Stimme sichern, die sonst was Abwechslung in die Diskreditie- dere als engagiert gegen die SED auf- aus Vernunftgründen ins andere La- rung bringen könnte. Hier ist ein deut- getreten ist? Wer sich heute gern als ger abgewandert wäre. Was ist das für licher Abfall an Inspiration und Intelli- couragiertes Mitglied der Bürgerrechts- ein Demokratieverständnis, das ge- genz zu verzeichnen. Ein Beispiel für bewegung darstellen lässt, war in den wisse »bürgerliche« Politiker wie die die »Kreativität« der Union auf diesem meisten Fällen zumindest so unauffäl-

DISPUT August 2009 042 Ich abonniere DISPUT

lig, dass er unbehelligt von der Staats- sen Geistes Kind diese sind und was sie sicherheit sein Studium und eine Pro- von demokratischen Entscheidungen Name, Vorname motion durchziehen konnte. Wer hat bis halten, die der Souverän unseres Staa- heute eine klare Aufarbeitung des Par- tes getroffen hat. Es ist klar, dass der teispendenskandals der Union unter Wähler bewusst der LINKEN ein Man- Straße, Hausnummer Helmut Kohl & Co beobachten können? dat erteilt hat, weil es ein Bedürfnis Wie kann es sein, dass Roland Koch an- nach einem sozialen Gewissen gibt, gesichts seiner dubiosen Machenschaf- das niemand anderes als DIE LINKE zu PLZ, Ort ten in der Parteispendenaffäre und sei- gestalten gewillt ist. Anstatt das wahr- ner öffentlich ausgesprochenen auslän- zunehmen und als besonderen Willen derfeindlichen Ressentiments bis heu- des Wählers zu respektieren, wird DIE Ich bestelle ab sofort Exemplar(e) te Ministerpräsident von Hessen ist? LINKE geschnitten und diffamiert. Ih- der Zeitschrift DISPUT im Die Liste ist endlos. Eine Aufarbeitung re Ideen aufzugreifen und konstruktiv sieht für einen objektiven Betrachter in zu diskutieren, scheint vielen ein gera- Halbjahresabonnement zum Preis von jedem Falle anders aus. dezu absurder Gedanke zu sein. Gera- 12,00 Euro inkl. Versandkosten Am 16. Juni 2007 ging aus dem Zu- de die SPD macht sich darin stark, jene sammenschluss der Linkspartei.PDS Kraft zu diskreditieren, die es geschafft Jahresabonnement zum Preis von und der WASG eine neue Partei hervor: hat, erfolgreich jene Themen zu beset- 21,60 Euro inkl. Versandkosten DIE LINKE. Es gab im Vorfeld dieses Zu- zen und zu vermitteln, die die Sozial- sammenschlusses eine Unmenge an demokratie sang- und klanglos aufge- und nutze den vorteilhaften Bankeinzug Kritik, die vor allem verhindern sollte, geben hat. dass eine neue Kraft in der politischen Es gibt eine Vielzahl von Argumenten, Landschaft entsteht, die sich die Aufga- die in der Tat eine kritische und kons- be zum Ziel setzt, ein neues Verständ- truktive Auseinandersetzung mit der Geldinstitut nis für soziale Gerechtigkeit in der Ge- LINKEN rechtfertigen. Es gibt aber kei- sellschaft schaffen zu wollen. nen einleuchtenden Grund, eine Partei Nach der Abkehr der Sozialdemo- in Deutschland auszugrenzen, nur weil kratie von diesem fundamental wich- sie (wie andere auch) eine spezielle Ge- Bankleitzahl tigen Thema war eine schmerzhafte Lü- schichte hat – und von anderen allein cke entstanden, die die LINKE mit ihrem darauf reduziert wird – oder aber Köp- offenen Bekenntnis zu einem demokra- fe in ihren Reihen hat, die anders den- Kontonummer tisch geprägten Sozialismus schloss. ken als der konservativ verknöcherte Dass sie sich nun gegen Diffamierungen Parteienfi lz in unserer Republik. Es ist oder zur Wehr setzen muss, ist nicht erstaun- so: Deutschland hat eine LINKE Chan- lich. Dies war absehbar. Dass sie aber ce – wir müssen diese nur wahrnehmen bitte um Rechnungslegung (gegen einen derartig imposanten Aufstieg in und ihre Ideen konstruktiv in die Ent- Gebühr) an meine Adresse. so kurzer Zeit verzeichnen konnte, war wicklung zum Wohle unseres Landes eine Überraschung, die in den Bän- einbinden lassen. ken der etablierten Parteien Bestür- zung hervorrief. Es ist anzunehmen, Bei dem Beitrag handelt es sich um das Das Abonnement verlängert sich automatisch um den dass vor allem die Tatsache für Entset- Vorwort zum Buch »Die LINKE Chan- angegebenen Zeitraum zum gültigen Bezugszeitraum, falls ich nicht 15 Tage (Poststempel) vor dessen Ablauf zen sorgte, dass es nun offensichtlich ce Deutschlands« von Günter Toth. Es schriftlich kündige. nicht mehr so leicht sein würde, den ist im Juli 2009 bei Books on Demand ewig praktizierten Parteienklüngel ein- GmbH erschienen (132 Seiten, Preis: fach so fortzusetzen. Die Mehrheits- 9,20 Euro) und in Online-Portalen wie

fi ndung in einem Fünfparteiensystem Buch24 sowie in Kürze im Buchhandel Datum, 1. Unterschrift ist bedeutend schwieriger geworden. erhältlich. Es kann nicht mehr an einer demokra- Der Arbeitersohn Günter Toth hat ka- Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich die Bestellung tisch gewählten Kraft vorbei regiert wer- tholische Theologie und christliche Phi- innerhalb von 10 Tagen widerrufen kann. den, die es sich zur Aufgabe gemacht losophie studiert. Anschließend enga- Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des hat, den Finger in Wunden zu legen, die gierte er sich ehrenamtlich genauso Widerrufs. offensichtlich sehr schmerzen. Gerade wie berufl ich in sozialen Projekten und auf dem Feld der Sozial- und Familien- arbeitete mit sozial benachteiligten Ju- politik, aber auch bei außenpolitischen gendlichen und Randgruppen. Heute Datum, 2. Unterschrift Themen ist dies der Fall. bemüht er sich vor allem um Perspek- Coupon bitte senden an: Parteivorstand DIE LINKE, Wie man seitens der etablierten Par- tiven für Menschen, die von Hartz IV le- Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin. teien mit der LINKEN in den Parlamen- ben müssen und aus ihrem Schicksal Bestellungen auch möglich unter: www.die-linke.de ten umgeht, zeigt sehr deutlich, wes- ausbrechen wollen.

43 0 DISPUT August 2009 BRIEFE

Wahlvorbereitung Kaminer kommt – und liest nicht selten die Form von Koalitions- vereinbarungen. Diese Strukturen tra- Der Erzähler Wladimir Kaminer Parteitagsheft dankend erhalten, ist gen zudem dazu bei, dass die eigent- (»Russendisko«, »Schönhauser Al- sehr informativ. lee«, »Es gab keinen Sex im Sozialis- liche Basis, die Kreisverbände, an Be- Monika Kutter, Schwerin mus«) wird auf Veranstaltungen der deutung verlieren und für so manchen LINKEN während des Wahlkampfes Mitstreiter ohne Wert bleiben. Danke für die schnelle Lieferung des aus seinen Büchern lesen. Die Organe der Partei werden sich Parteitagsheftes. Dresden, 28. August, 19.30 Uhr: nach dem Wahlmarathon dieser Frage Petra Hauthal, Nordhausen Schauburg, Gastgeberin: Katja Kip- widmen müssen. ping Das Gleiche gilt für die Regelungen Vielen Dank für die schnelle Lieferung Düsseldorf, 16. September, 19.30 hinsichtlich der Stellung von Anträgen der Parteitagsmaterialien. Ich wünsche Uhr: ZAKK, Gastgeberin: Sahra Wa- für überörtliche Parteitage. Das gegen- genknecht uns eine optimale Wahlvorbereitung Leipzig, 19. September, 19.30 Uhr: wärtig zulässige Verfahren – jeder kann und einen guten Wahlerfolg. Anker, Gastgeberin: Barbara Höll alleine Anträge stellen – hat weder et- Helga Gregor, Berlin Oldenburg, 20. September, 19.30 was mit Demokratie zu tun noch wer- Uhr: Rocktheater, Bloherfelder Str., den dadurch notwendige Diskussionen Gastgeber: in der Mitgliedschaft auf der Kreisver- Streitkultur , 21. September, 19.00 Uhr: bandsebene angestoßen. Das Verfah- Jugend- und Kulturzentrum mon ami, ren ist weder sinnvoll noch besonders Die Partei DIE LINKE ist in Gefahr, ih- Gastgeber: Frank Spieth – im An- ökonomisch. Es überfordert nicht nur re demokratischen Entscheidungspro- schluss: Russendisco die Antragskommissionen, sondern München, 22. September, 19.30 Uhr: zesse, insbesondere bei Wahlen, er- auch die Delegierten. Freiheizhalle, Rainer-Werner-Fass- heblich zu verengen. Die innerpar- binder-Platz, Gastgeberinnen: Eva Erich Meinicke, Oberhausen, Mitglied im teilichen Zusammenschlüsse/Strö- Bulling-Schröter und Nicole Fritsche Ältestenrat mungen haben unter dem Begriff von Pluralität inzwischen Formen und Strukturen erhalten, die weit über wird gefährdet. Zu politischen Fragen Vielfalt? sinnvolle und vertretbare parteiinter- werden gegenseitige Stellungnahmen ne Diskussionsgruppen hinausgehen. veröffentlicht, die bisweilen den Cha- Auf Wunsch meiner Tochter schreibe Förmliche Mitgliedschaften, fi nanziel- rakter eines Austausches von Noten ich gegenwärtig meine Lebenserinne- le Zuwendungen und besondere Dele- zwischen verfeindeten Staaten haben. rungen. Nach einem Verkehrsunfall vor giertenmandate haben mehr oder we- Personalfragen werden zwischen den knapp einem Jahr und nachstehenden niger zu Parteistrukturen geführt, die »Fraktionsführungen« vorab erörtert Operationen verbringe ich meine Tage eine solidarische Arbeit der Gesamt- und nach Möglichkeit verbindlich ab- im Pfl egeheim und habe Zeit zum Nach- partei mehr als nur infrage stellen, sie gesprochen. Diese Absprachen haben denken und Schreiben. Gegenwärtig bin ich dabei, mein Le- ben seit 2000 zu Papier zu bringen. Ich wollte das kürzer halten, aber als poli- tischer Mensch ist mir das nicht mög- lich. Nun bin ich selbst Pflegeheimbe- wohner und war über die Reaktion hier erstaunt, als ich gesagt habe, dass ich am 7. Juni (Europawahl – d. Red.) ins Wahllokal gehen will. Hier war es wahrscheinlich üblich, dass Briefwahl durchgeführt wird. Für viele Bewohner verständlich, aber mir widerstrebt es, wo ich bei der letzten Wahl noch aktiv mitgemischt habe, mich nicht sehen zu lassen. Natürlich wähle ich DIE LINKE, ob- wohl ich schon manchmal nicht mehr weiß, ob das noch, vor allem nach al- len Veränderungen, die Partei ist, der

© Dietmar Treber © Dietmar ich seit 1946 angehöre. Natürlich hat es Vor dem Atomkraftwerk in Biblis (Hessen) rief der Anti-Atom-Treck zur Demo am viele Veränderungen gegeben, mit de- 5. September in Berlin auf. nen wir zurechtkommen müssen, aber

DISPUT August 2009 044 Klaus Stuttmann GEDANKENSTRICH

müssen wir in einer Partei immer mehr ber 1989) begann auch für die linken täten in den Kreisverbänden und Orten, Plattformen und Strömungen haben. Kräfte in Brandenburg der Weg der Er- den Arbeits- und Interessengemein- Im »ND« las ich von einer Strömung neuerung hin zur Partei des demokra- schaften und die Wirksamkeit der Land- der »Emanzipatorischen Linken«, die tischen Sozialismus. Für die Partei ging tagsfraktion als wesentlichem Teil des mit 50 Mitgliedern die Vielfalt, ich will es um eine grundlegende programma- Landesverbandes umfassend darzu- nicht sagen das Durcheinander, der tische Neu orientierung und um ih- stellen. Bei der Zusammenstellung der Partei beeinfl ussen will. re Teilnahme an der Entwicklung des Daten konnte von einer relativ umfang- Mir ist bewusst, dass das Zusam- Landes sowohl durch ihre Tätigkeit in reichen Material- und Quellengrundla- menwachsen von PDS und WASG zur den parlamentarischen Vertretungen ge ausgegangen werden. In einem An- LINKEN ein komplizierter Prozess ist. als auch durch außerparlamentarische hang werden Übersichten über die Lan- Aber muss da jeder sein Süppchen ko- Aktionen. Dieser Weg fand einen gewis- desparteitage, die Landesvorsitzenden, chen? sen Höhepunkt mit der Bildung der Par- Geschäftsführer, Landesschatzmeister Es ist gut, dass wir wenigstens ein tei DIE LINKE im September 2007, mit und die für die PDS im Landtag vertre- einheitliches Wahlprogramm haben, dem auch diese Chronik abgeschlos- tenen Abgeordneten und eine kurze Zu- wenn es auch recht lang ist. Hoffent- sen wird. sammenstellung einschlägiger Quellen lich lässt das Parteiprogramm der 2. Ta- Der Landesverband Brandenburg und Literatur geboten. gung des 8. Parteitages nicht so lange der PDS nahm als einziger in den neu- Die Chronik verdeutlicht, dass die mit seiner Neufassung zum Programm en Bundesländern an der Ausarbeitung PDS die Entwicklung des Landes Bran- für die einheitliche Partei DIE LINKE auf der Landesverfassung teil und wurde denburg nicht nur kritisch begleitet hat, sich warten. Ich möchte es noch erle- damit auch verfassungsgebende Partei. sondern eigene Vorschläge für ein le- ben. Die Partei war wesentlicher Mitgestal- benswertes Land einbrachte und um H. Böhnhardt, 84 Jahre, Schleiz ter des »Brandenburger Weges«; die deren Verwirklichung rang. PDS-Fraktion engagiert sich bis heute Hildegard Koch im Landtag als konstruktive Oppositi- Brandenburg-Chronik on für die Umsetzung der »modernsten Gerlinde Grahn (Hrsg.): Landesverfassung Deutschlands«. Für einen demokratischen Sozialismus. In Brandenburg ist eine Chronik des In der Chronik werden Fakten darge- Eine Chronik der PDS im Land früheren PDS-Landesverbandes er- stellt, aber Wertungen von Ereignissen Brandenburg 1989 bis 2007. schienen. Nach dem Außerordent- und Inhalten weitgehend vermieden. Schkeuditzer Buchverlag 2009. lichen Parteitag der SED/PDS (Dezem- Anliegen ist es, die Vielfalt der Aktivi- Preis 17 Euro.

45 0 DISPUT August 2009 BÜCHER

Von ungewöhnlichen troingenieur, der seinen 50. Geburts- noch immer nicht ganz über die trau- tag in Prag zusammen mit ehemaligen matischen Ereignissen, die ehemalige Herzensangelegen- Kommilitonen verbringen will. Er hat Herrschaft Francos und den Bürgerkrieg für den Zug Berlin-Prag-Wien die Plät- in den 30er Jahren, hinweggekommen heiten ze eines Abteils reserviert, doch kei- ist, sie haben das Land bis in die Fami- Individuelle Glücksansprüche und ihre ner der Eingeladenen erscheint zur Ab- lien tief gespalten, sind Ausgangspunkt Spätfolgen in den Lebensläufen. Gele- fahrt. Eine Demütigung am Ende einer unzähliger menschlicher Tragödien. sen von Ingrid Feix. ganzen Reihe von Verletzungen, wie Der melodramatisch klingende Titel sich noch herausstellt. Ein Glück aber geht auf einen Vers des Dichters Anto- er Bildhauer und Zeichner Wie- für die Tschechin Alena, die verzweifelt nio Machado zurück, der zum zweige- land Förster, 1930 in Dresden ge- nach einem Platz im Zug Ausschau hält, teilten Land sagte: »Eines der beiden D boren und in Berlin wie im Bran- um schnell zu Mann und Kindern nach Spanien / wird dir das Herz gefrieren denburgischen lebend, wurde gerade Hause zu kommen … Von Prag aus wie- lassen.« mit dem Ehrenpreis des brandenbur- der zu Hause angekommen, beginnt er, Erzählt werden die Lebensläufe der gischen Ministerpräsidenten für sein sich in Briefen an diese fremde Frau, verschiedenen Mitglieder der Familien Lebenswerk geehrt, seine Skulptur »Ni- die gewissermaßen zum Sinnbild sei- Carrión und Fernández. Die einen An- ke 89« zum Beispiel steht an der Glie- ner unerfüllten Sehnsucht wird, zu er- hänger Francos, die anderen Republika- nicker Brücke und erinnert an den Mau- klären. Für ihn, unansehnlich dick und ner, repräsentieren sie den Grundkon- erfall vor 20 Jahren. In einer Gemein- stets schwitzend, war es immer schwer, fl ikt, der sich letztlich in allen Lebens- schaftsausstellung mit anderen Großen akzeptiert und geachtet zu werden. bereichen widerspiegelt. Ausgelöst der DDR-Kunst sind einige seiner Arbei- Auch seine große Liebe stand nicht zu wird der plötzliche Einbruch einer ver- ten derzeit im Cottbuser Kunstmuseum ihm, sondern zog lieber zu einem an- drängten und fast vergessenen Vergan- Dieselkraftwerk zu sehen. Der Schrift- deren in den Westen. Von vielen und genheit durch den Tod von Julio Carrión vielem ausgegrenzt, schuf sich Fried- rich K. eine eigene, intime Welt voller Poesie und Schönheit, menschlicher Almudena Grandes Wärme und schwärmerischer Träume. Das gefrorene Herz Wieland Förster Hier ist er der Andere. Aber in den Au- Roman Der Andere. gen seiner Kollegen beispielsweise ver- Aus dem Spanischen Briefe an Alena hält er sich wie ein Sonderling, so über- von Roberto de Hollando Lukas Verlag nimmt er freiwillig nahezu alle unge- Rowohlt Verlag 280 Seiten liebten Nachtdienste, was ihn verdäch- 958 Seiten Repro 19,80 Euro Repro tig macht. Es gibt keinen Platz für ihn in 24,90 Euro dieser starren genormten Welt. Das war steller Wieland Förster wurde erstmals in den 50er wie in den 70er Jahren so, Gonzales, eines der mächtigsten Män- 1982 mit einem Erzählungsbändchen in von denen dieses Buch erzählt. ner Spaniens, der während des Zwei- der DDR präsentiert. Schon seine in den Wieland Förster hat für sein Manu- ten Weltkrieges sein Immobilienimpe- 70er Jahren erschienenen Reisetagebü- skript in der DDR keine Chance auf Ver- rium begründete. Sein Tod gibt dem cher ließen einen sensiblen Beobachter öffentlichung gesehen, auch hatte er Sohn Álvaro einige Rätsel auf, als er auf erkennen, den immer auch die Innen- mit der dogmatischen Weltbetrachtung Raquel Fernández trifft und in der Hin- welten äußerer Erscheinungen interes- eigene Erfahrungen gesammelt. So er- terlassenschaft auf geheime Dokumen- sierten. Randerscheinungen, die zum scheint dieser Roman erst jetzt. Und te stößt. Mit aller Ehrlichkeit, mit der die Wesen der Dinge führen. auch wenn es vom Leben in der DDR Autorin von Schuld und Unschuld, Ver- Nun ist im kleinen Berliner Lukas Ver- inspiriert ist, weist das Buch weit dar- treibung und Exil, von Liebe und Sehn- lag eine größere literarische Arbeit Förs- über hinaus auf den Widerspruch, in sucht, Treue und Verrat erzählt, entgeht ters erschienen, ein Briefroman, den er dem sich der Einzelne befi ndet, wenn sie sowohl einer Schwarz-Weiß-Male- in der Zeit schrieb, als sein erster Pro- er den Normen der Gemeinschaft nicht rei wie auch einer nostalgischen Verklä- saband »Die versiegelte Tür« heraus- entspricht oder entsprechen will. So et- rung. Wie schwer es ist, über die sich kam. Er weist den Autor als einen fein- was ist prägend. einstellende Normalität nach dem Tod sinnigen Literaten aus, der wider den Francos zu einer Gemeinsamkeit zu fi n- angesagten »Zeitgeist« rebelliert. »Der den, wird hier auch anhand einer groß- Andere. Briefe an Alena« ist die Ge- m Prägungen in den Lebensläu- en und verletzlichen Liebesgeschichte schichte eines Außenseiters, eines Aus- fen geht es auch in dem neuen gezeigt. gestoßenen in einer auf unbedingte Ge- U großartigen, leidenschaftlichen Ein ganzes Gesellschaftspanorama meinschaft fi xierten Gesellschaft, ein und umfangreichen Roman der Spani- scheint in diesem Buch auf und doch Plädoyer für das Recht auf Individuali- erin Almudena Grandes. Anhand der lässt es sich auch wie ein Schmöker im tät und Toleranz. Geschichte zweier Familien wird dar- besten Sinne lesen, schließlich geht es Es geht um Friedrich K., einen Elek- in auch die des Landes erzählt, das um große Gefühle.

DISPUT August 2009 046 amid Karsai hat gute Chancen. mutmaßlichen oder tatsächlichen Ta- Nach einer in diesen Tagen ver- libankämpfern, den Kriegern Hektma- H öffentlichten Umfrage würde der tyars und kriminellen Banden, ohne amtierende afghanische Staatschef bei Angriffe auf Militärkonvois, Lastkraft- den Präsidentschaftswahlen am 20. Au- wagen, Schulen, Lehrern, ohne Bom- gust 36 Prozent der Stimmen erhalten. benanschläge oder die Tötung und Sein schärfster Rivale, Ex-Außenminis- Verletzung von unbeteiligten Zivilis- ter Abdullah Abdullah, käme auf 20 Pro- ten. Selbst in den europäischen Haupt- zent, alle anderen Bewerber würden im städten (außer in Berlin) wird heute of- einstelligen Bereich bleiben. fen von einem noch lange andauernden Abgesehen davon, dass Karsai mit Krieg gesprochen. So geht London da- einem Drittel der Stimmen die für einen von aus, dass britische Truppen noch Sieg im ersten Wahlgang nötige abso- bis zu 40 Jahren am Hindukusch einge- lute Mehrheit klar verfehlen würde, die- setzt sein werden. nen Prognosen bekanntlich meist einem Natürlich wäre es falsch, nur Rück- bestimmten Zweck und sind selbst in schritte seit der Entmachtung der Tali- »westlichen Demokratien« höchst unsi- ban – mit einem völkerrechtswidrigen cher. In Afghanistan sind ihre Aussagen Überfall, das sei noch einmal ausdrück- noch weit fraglicher. Zumal es nicht da- lich betont – Ende 2001 zu sehen. Die Si- nach aussieht, als würde es eine freie tuation im Bildungs- und Gesundheits- und faire Abstimmung geben. Die UNO wesen hat sich verbessert, eine inter- hat kürzlich konsta- national ignorierte Zivilgesellschaft wi- tiert, dass die zuneh- dersteht dem Terror der Taliban und der Wahlprognosen mende Unsicherheit Regierung. Aber der anhaltende Krieg, ernste Auswirkungen das Wiedererstarken extremistisch-fun- auf die Wahlen hat. damentalistischer Kräfte – nicht zuletzt Die Hilfsmission in auf Grund der in vielen Provinzen ka- Afghanistan (Unama) tastrophalen wirtschaftlichen und so- und die afghanische zialen Lage – und ihrer starken Positi- unabhängige Men- onen in Karsais Regierung haben große

Von André Brie schenrechtskommis- Teile dieser Errungenschaften zunichte Parlament © Europäisches sion sehen durch die gemacht und drohen, auch die verblie- zunehmende Gewalt die Bewegungs- benen zu zerstören. und Redefreiheit von Kandidaten und Die Wahrheit mag pessimistisch ihrer Unterstützer stark begrenzt. Nicht klingen, die Tatsachen sind viel schlim- zuletzt würden gerade Frauen einge- mer: Barack Obama mag international schüchtert, um keinen Gebrauch von ih- und in den USA einiges ändern, nicht rem Wahlrecht zu machen. Dazu passt in Afghanistan, zumindest nicht in po- die Warnung des neuen Kommandeurs sitiver Hinsicht. Die »Obamaisierung« der internationalen Truppen in Afgha- und endgültige (US-)Amerikanisierung nistan, Stanley McChrystal. Die Extre- des Afghanistan-Feldzugs wird die Pro- misten würden sich immer mehr aus ih- bleme weiter zuspitzen. Da es keine al- ren Hochburgen im Süden wagen und te Afghanistan-Strategie gab, gibt es bislang vergleichsweise ruhige Regi- auch keine »neue«. Alles wird auf einen onen im Norden und im Westen des aussichtslosen Krieg reduziert, des- Landes bedrohen, erklärte der US-Ge- sen Preis wie seit drei Jahrzehnten vor neral jetzt. Und: »Derzeit haben die Ta- allem Afghanistan zahlt. Auch, weil die liban die Oberhand.« Die »Chancen« »neue« US-Strategie die endgültige Zu- Karsais beschränken sich ohnehin auf rückdrängung autonomer und alterna- die Präsidentschaftswahlen solchen tiver Strategien anderer Akteure in Af- Charakters und seine Rolle als kleins- ghanistan, darunter UNO und EU, ihre tes Übel – nicht als kleinstes Übel für beinahe vollständige Unterordnung un- die Afghaninnen und Afghanen, son- ter die gescheiterte Politik der USA be- dern der USA. Chancen, das Land zu be- deutet. frieden und ein Präsident für alle afgha- Die Abkehr von der fortgesetzten nischen Völker, Stämme und Provinzen Kriegsstrategie in Afghanistan ist da- zu sein, hat er keine. Selbst seine Rol- her unabdingbar. Dazu muss trotz der le als »Bürgermeister« Kabuls ist längst internationalen Krise eine deutliche ausgespielt. Anhebung der zivilen, sozialen und Tatsächlich musste auch ich bei mei- wirtschaftlichen Unterstützung für das nen wiederholten Besuchen als Afgha- Land kommen. Natürlich müssen alle nistan-Berichterstatter des Europä- internationalen Akteure, auch der Iran, ischen Parlaments jedes Mal eine deut- in diesen Prozess einbezogen werden. liche Verschlechterung der Sicherheits- Und es muss die Bereitschaft geben, lage in dem Land feststellen. Kein Tag die Afghanen selbst über ihre eigenen vergeht ohne Gefechte zwischen in- Belange entscheiden zu lassen. Nie- ternationalen Besatzungstruppen und mand sonst.

470 DISPUT August 2009 AUGUSTKOLUMNE Liebe Leserinnen, liebe Leser, helft mit, daß die Linke bei der Bundestagswahl zulegt. Je stärker die Linke, um so sozialer wird Deutschland.

Oskar Lafontaine Gregor Gysi

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