Plenarprotokoll 19/98

Deutscher

Stenografischer Bericht

98. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abge- d) Erste Beratung des von den Abgeord- ordneten Andreas G. Lämmel, neten , , Sven (Minden), Udo Theodor Hemmelgarn, Lehmann, weiteren Abgeordneten und der Martin Erwin Renner und Dr. h. c. Hans Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Michelbach. 11705 A eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Einwanderungs- Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- gesetzes nung...... 11705 B Drucksache 19/6542. 11712 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 8 und e) Antrag der Abgeordneten Filiz Polat, 24...... 11707 D Katrin Göring-Eckardt, , Nachträgliche Ausschussüberweisungen . 11707 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bleibe- recht für Geflüchtete gestalten, Aufent- Zur Geschäftsordnung haltsrechte stärken, Rechtssicherheit schaffen, Spurwechsel ermöglichen Dr. (AfD). 11708 B Drucksache 19/6541. 11712 B (AfD). 11708 C f) Antrag der Abgeordneten Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, , weite- Dr. (FDP). 11710 B rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine offene, menschen- Feststellung der Tagesordnung. 11711 C rechtsbasierte und solidarische Einwan- derungspolitik Drucksache 19/9052. 11712 C Tagesordnungspunkt 3: g) Antrag der Abgeordneten , a) Erste Beratung des von der Bundesregie- , Gökay Akbulut, weiterer Ab- rung eingebrachten Entwurfs eines Fach- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: kräfteeinwanderungsgesetzes Fachkräfteeinwanderungsgesetz – Gute Drucksache 19/8285. 11711 D Arbeit garantieren und Vollbeschäfti- gung erreichen b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 19/9855. 11712 C rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung in Verbindung mit Drucksache 19/8286. 11711 D Zusatztagesordnungspunkt 3: c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fachkräftestrategie der Bundesregie- Antrag der Abgeordneten , rung , Johannes Vogel (Olpe), wei- Drucksache 19/6889. 11712 A terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Für einen konsequenten Ansatz in der Ein- in Verbindung mit wanderungspolitik – Eckpunkte eines um- fassenden Einwanderungsgesetzbuches Drucksache 19/9924. 11712 D Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- in Verbindung mit schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, , Dr. Bettina Hoffmann, weiterer Zusatztagesordnungspunkt 4: Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Euratom-Vertrag reformie- Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, ren – Sonderstellung der Atomkraft jetzt Filiz Polat, , weiterer Abgeordne- abschaffen ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksachen 19/2512, 19/7206 . NEN: Fachkräfte für den Arbeitsmarkt von 11727 A morgen Drucksache 19/7058. 11712 D Horst Seehofer, Bundesminister BMI. 11713 A in Verbindung mit Dr. (AfD). 11714 C , Bundesminister BMAS. 11715 C Zusatztagesordnungspunkt 7: Linda Teuteberg (FDP). 11717 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Susanne Ferschl (DIE LINKE). 11717 D Antrag der Abgeordneten , Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ , , weiterer DIE GRÜNEN). 11718 C Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: EURATOM-Vertrag­ auflösen – Keine (CDU/CSU). 11720 A EU-Subventionen für die Atomindustrie (AfD). 11720 D Drucksachen 19/7479, 19/10005 . 11727 A Dr. Eva Högl (SPD) . 11721 D (FDP) . 11727 B Stephan Thomae (FDP). 11722 D (CDU/CSU). 11728 B Gökay Akbulut (DIE LINKE). 11723 B Steffen Kotré (AfD) . 11729 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU). 11724 A (SPD). 11731 C (AfD). 11724 C Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE). 11732 D Dr. (SPD). 11725 B (FDP). 11733 C Dr. (CDU/CSU). 11726 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 11734 C Dr. (CDU/CSU). 11735 C Tagesordnungspunkt 4: Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ Antrag der Abgeordneten , DIE GRÜNEN). 11736 C Nicola Beer, Michael Theurer, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Ener- Sandra Weeser (FDP). 11737 A giepolitik europäisch denken Drucksache 19/9931. 11726 D (SPD). 11738 B Nicola Beer (FDP) . 11739 B in Verbindung mit Alexander Ulrich (DIE LINKE). 11740 B Dr . (BÜNDNIS 90/ Zusatztagesordnungspunkt 5: DIE GRÜNEN). 11741 A Antrag der Abgeordneten Ingrid Nestle, (fraktionslos). 11741 D Dr . Julia Verlinden, Tabea Rößner, weiterer Carsten Müller (Braunschweig) Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU). 11742 C DIE GRÜNEN: Aktive Kundinnen und Kunden für eine bürgernahe Energiewende Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/9954. 11726 D DIE GRÜNEN). 11743 A Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 III

Tagesordnungspunkt 5: in Verbindung mit a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Zusatztagesordnungspunkt 8: setzes zur nachhaltigen Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Antrag der Abgeordneten Lisa Badum, Bundeswehr (Bundeswehr-Einsatzbe- Dr . Julia Verlinden, Ingrid Nestle, weiterer reitschaftsstärkungsgesetz – BwEinsatz- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ BerStG) DIE GRÜNEN: Die Europäische Union zur Klimaschutz-Union machen Drucksache 19/9491. 11745 A Drucksache 19/9953. 11758 A b) Antrag der Abgeordneten Rüdiger (BÜNDNIS 90/ Lucassen, Jan Ralf Nolte, , DIE GRÜNEN). 11758 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: § 30c des Soldatengesetzes er- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU). 11759 B satzlos streichen – Wöchentliche Rah- (BÜNDNIS 90/ mendienstzeit in der Bundeswehr flexi- DIE GRÜNEN). 11760 A bilisieren Drucksache 19/9962. 11745 B Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 11761 A Dr. , Bundesministerin BMVg. 11745 C (AfD). 11761 D (BÜNDNIS 90/ Jens Kestner (AfD). 11746 D DIE GRÜNEN). 11762 D Dr. (SPD). 11748 D Johann Saathoff (SPD). 11763 C Alexander Müller (FDP). 11750 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ Tobias Pflüger (DIE LINKE). 11750 D DIE GRÜNEN). 11764 C Dr. (BÜNDNIS 90/ Dr. (FDP) . 11765 B DIE GRÜNEN). 11752 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 11765 D (CDU/CSU) . 11753 B Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE). 11767 A Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). 11754 A Karsten Hilse (AfD). 11768 B (SPD) . 11754 D Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE). 11768 C Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU). 11769 A Dr. (CDU/CSU). 11755 D Lisa Badum (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU). 11756 C DIE GRÜNEN). 11769 B (AfD). 11770 C Tagesordnungspunkt 6: Timon Gremmels (SPD). 11771 B a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Thomas L. Kemmerich (FDP) . 11772 B Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Lisa Badum, weiteren Abgeordneten und der Lisa Badum (BÜNDNIS 90/ Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN). 11773 A eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge- Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU). 11773 D setzes zur Beendigung des Betriebs von Kohlekraftwerken zur Stromerzeugung Dr. Rainer Kraft (AfD). 11774 B (Kohlekraftwerk-Sofortmaßnahme-Ge- Dr. (SPD). 11774 D setz) Drucksache 19/9920. 11757 D b) Antrag der Abgeordneten Karsten Hilse, Tagesordnungspunkt 29: Dr . , Dr. Rainer Kraft, wei- a) Erste Beratung des von den Abgeordneten terer Abgeordneter und der Fraktion der , Dr. Gesine Lötzsch, Caren AfD: Aussetzung des Ausstiegs aus der Lay, weiteren Abgeordneten und der Frak- Kohleverstromung bis alternative Ener- tion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs gien grundlastfähig sind und jederzeit eines … Gesetzes zur Änderung des bedarfsgerecht eingespeist werden kön- Bundeseisenbahnneugliederungsgeset- nen zes Drucksache 19/9963. 11758 A Drucksache 19/9343. 11776 A IV Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 b) Erste Beratung des von den Fraktionen der i) Erste Beratung des von der Bundesregie- CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- wurfs eines Gesetzes zur Erteilung der setzes zur Änderung des Gesetzes über Zustimmung nach § 8 des Integrations- Energiedienstleistungen und andere verantwortungsgesetzes zum Vorschlag Energieeffizienzmaßnahmen der Europäischen Kommission für eine Drucksache 19/9769. 11776 D Verordnung des Rates über Maßnah- men betreffend die Ausführung und die j) Erste Beratung des von den Abgeordne- Finanzierung des Gesamthaushaltsplans ten Roman Johannes Reusch, Stephan der Union im Jahr 2019 im Zusammen- Brandner, Tino Chrupalla, weiteren Ab- hang mit dem Austritt des Vereinigten geordneten und der Fraktion der AfD ein- Königreiches aus der Union (Brexit gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur EU-Haushalt Durchführungs- und Fi- Verbesserung der Strafverfolgung von nanzierungsgesetz – BrexitHHG) Mitgliedern des Deutschen Bundestages Drucksache 19/9919. 11776 A Drucksache 19/9967. 11776 D k) Antrag der Abgeordneten Roman Johannes c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Reusch, Stephan Brandner, Tino ­Chrupalla, rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der setzes zur Anpassung der Berufsausbil- AfD: Änderung der Geschäftsordnung dungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes des Deutschen Bundestages – hier: Um- Drucksache 19/9478. 11776 B setzung des Gesetzes zur Verbesserung der Strafverfolgung von Mitgliedern des d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Deutschen Bundestages rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 19/9966. 11777 A zes zu den Verträgen vom 5. Oktober 2004, 12. August 2008, 11. Oktober 2012 l) Antrag der Abgeordneten , und 6. Oktober 2016 des Weltpostver- Dr. , Dr. , wei- eins terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Drucksache 19/9490. 11776 B LINKE: Stopp der geschlechtszuweisen- den Operationen an Kindern e) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 19/9056. 11777 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- n) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und zes zu dem Zusatzprotokoll vom 22. Ok- SPD: Der Schiene höchste Priorität ein- tober 2015 zum Übereinkommen des räumen Europarats vom 16. Mai 2005 zur Ver- Drucksache 19/9918. hütung des Terrorismus 11777 B Drucksache 19/9507. 11776 B o) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung f) Erste Beratung des von der Bundesre- gemäß § 56a der Geschäftsordnung: Tech- gierung eingebrachten Entwurfs eines nikfolgenabschätzung (TA) – Aktueller Gesetzes zu der Vereinbarung vom Stand und Entwicklungen der Pränatal- 10. Oktober 2018 zwischen der Regie- diagnostik rung der Bundesrepublik Deutschland Drucksache 19/9059. 11777 B und der Regierung der Republik Polen über Umweltverträglichkeitsprüfungen und Strategische Umweltprüfungen im in Verbindung mit grenzüberschreitenden Rahmen (Ver- tragsgesetz zur Deutsch-Polnischen Ver- einbarung über Umweltprüfungen) Zusatztagesordnungspunkt 9: Drucksache 19/9509. 11776 C a) Antrag der Abgeordneten , Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, weite- g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE rung eingebrachten Entwurfs eines Vierten LINKE: Anerkennung von Juan Guaidó Gesetzes zur Änderung des Agrarstatis- als Präsident Venezuelas zurücknehmen tikgesetzes und als völkerrechtswidrig verurteilen Drucksache 19/9763. 11776 C Drucksache 19/7987. 11777 C h) Erste Beratung des von der Bundesregie- b) Antrag der Abgeordneten Karlheinz ­Busen, rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- , Dr. , zes zur Stärkung der Rechte von Betrof- weiterer Abgeordneter und der Fraktion fenen bei Fixierungen im Rahmen von der FDP: Wälder erhalten durch effekti- Freiheitsentziehungen ven Waldschutz Drucksache 19/9767. 11776 C Drucksache 19/9925. 11777 C Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 V

c) Antrag der Abgeordneten , Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Hocker, Ausbau des deutschen Polizeiengage- weiterer Abgeordneter und der Fraktion ments in internationalen Friedensmissi- der FDP: Mehr Bildung, Bewegung und onen voranbringen besseres Essen Drucksache 19/9273. 11778 B Drucksache 19/9926. 11777 C d) Antrag der Abgeordneten , Tagesordnungspunkt 30: Roman Müller-Böhm, Stephan Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion a) Beratung der Fünften Beschlussempfeh- der FDP: Entschädigungen für Fahrgäs- lung des Wahlprüfungsausschusses zu te im Eisenbahnverkehr verbessern Einsprüchen anlässlich der Wahl zum Drucksache 19/9927. 11777 D 19. Deutschen Bundestag am 24. Sep- tember 2017 e) Antrag der Abgeordneten , Drucksache 19/9450. 11778 D Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. (CDU/CSU) . 11778 D der FDP: Beschäftigungssituation für Menschen mit Behinderung verbessern Tagesordnungspunkt 30: Drucksache 19/9928. 11777 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des f) Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Ausschusses für Recht und Verbraucher- Hofreiter, , Oliver Krischer, schutz zu dem Streitverfahren vor dem weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bundesverfassungsgericht 2 BvE 5/18 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Allgemei- Drucksache 19/9974. 11780 C ne Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen Drucksache 19/9948. 11778 A Zusatztagesordnungspunkt 10: g) Antrag der Abgeordneten Dr. , Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Dr. , Luise Amtsberg, der AfD: CO2-Steuer und ihre Auswirkun- weiterer Abgeordneter und der Fraktion gen auf Energiepreise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kontrollen Dr. Rainer Kraft (AfD). 11780 D an der deutschen Binnen-Grenze zu Ös- terreich beenden (CDU/CSU). 11781 D Drucksache 19/9951. 11778 A Dr. Martin Neumann (FDP) . 11782 D h) Antrag der Abgeordneten , (SPD). 11783 C Renate Künast, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Jörg Cezanne (DIE LINKE). 11785 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Frei- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ setzungsrichtlinie 2001/18/EG in ihrer DIE GRÜNEN). 11785 D Regelungsschärfe auch für neue Gen- technik beibehalten – Regulierung im (CDU/CSU) . 11787 A Einklang mit dem Vorsorgeprinzip auch (AfD). 11788 A in Zukunft sichern – hier: Stellungnah- me gegenüber der Bundesregierung ge- Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretä- mäß Artikel 23 Absatz 2 des Grundge- rin BMU. 11789 B setzes Dr. (CDU/CSU). 11790 A Drucksache 19/9952. 11778 B Timon Gremmels (SPD). 11791 B i) Antrag der Abgeordneten , Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Dr . (CDU/CSU). 11792 C Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Carsten Träger (SPD). 11793 C Fraktion der FDP: Neuer Impuls für Frie- den in der Ukraine Drucksache 19/10010. 11778 B Tagesordnungspunkt 7: – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- in Verbindung mit wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräf- Tagesordnungspunkt 29: te an der Multidimensionalen Integrier- m) Antrag der Abgeordneten Ottmar von ten Stabilisierungsmission der Vereinten Holtz, Dr. Irene Mihalic, Dr. Franziska Nationen in Mali (MINUSMA) Brantner, weiterer Abgeordneter und der Drucksachen 19/8972, 19/9932. 11794 C VI Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

– Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Tagesordnungspunkt 10: § 96 der Geschäftsordnung – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksache 19/10006. 11794 C wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der (SPD) . 11794 C Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräf- Rüdiger Lucassen (AfD). 11795 C te an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Opera- (CDU/CSU). 11796 C tion Atalanta zur Bekämpfung der Pira- Dr. (FDP). 11797 B terie vor der Küste Somalias Drucksachen 19/8970, 19/9934. 11815 A (DIE LINKE) . 11798 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Dr. (BÜNDNIS 90/ § 96 der Geschäftsordnung DIE GRÜNEN). 11799 B Drucksache 19/10008. 11815 A Dr. (CDU/CSU). 11800 A Aydan Özoğuz (SPD). 11815 A (SPD). 11800 D Jan Ralf Nolte (AfD). 11815 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU). 11801 D Jürgen Hardt (CDU/CSU). 11816 C Christian Sauter (FDP). 11820 B Namentliche Abstimmung . 11802 D Heike Hänsel (DIE LINKE). 11821 C Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ Ergebnis . 11805 C DIE GRÜNEN). 11822 C Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) . 11823 C Tagesordnungspunkt 9: Dirk Vöpel (SPD). 11824 B – Beschlussempfehlung und Bericht des Markus Grübel (CDU/CSU). 11824 D Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Namentliche Abstimmung . 11825 C Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ergebnis . 11828 C Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) Drucksachen 19/8971, 19/9933. 11803 A Zusatztagesordnungspunkt 11: – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Antrag der Abgeordneten , § 96 der Geschäftsordnung Dr . , , weiterer Drucksache 19/10007. 11803 B Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Pri- Dr. (SPD). 11803 B vilegierte Partnerschaft statt Vollmitglied- schaft – EU-Erweiterungspläne für den (AfD). 11804 B Westbalkan überdenken Drucksache 19/9968. 11825 D Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU). 11808 B Siegbert Droese (AfD) . 11826 A (FDP). 11809 C (CDU/CSU) . 11827 A (DIE LINKE). 11810 B (FDP) . 11831 B (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 11811 B (SPD). 11832 C (CDU/CSU). 11812 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE). 11833 B Siemtje Möller (SPD). 11813 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 11834 B (CDU/CSU). 11813 D (CDU/CSU). 11835 B Siegbert Droese (AfD) . 11835 D Namentliche Abstimmung . 11814 D (SPD) . 11836 C Ergebnis . 11817 C Peter Beyer (CDU/CSU). 11837 C Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 VII

Tagesordnungspunkt 11: (CDU/CSU) . 11861 B Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- Manuel Höferlin (FDP). 11862 C ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Fabio De Masi, Jörg Cezanne, Klaus Ernst, (SPD) . 11863 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Dr. Petra Sitte (DIE LINKE). 11864 B LINKE: Konzerntransparenz gegen Steuer- flucht Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 19/7906, 19/8388 . 11838 B DIE GRÜNEN). 11865 A (Heidelberg) (SPD). 11838 C (CDU/CSU). 11866 A Jörn König (AfD). 11839 C (SPD) . 11867 A Fritz Güntzler (CDU/CSU). 11840 D (fraktionslos). 11868 A (FDP). 11842 C (CDU/CSU). 11868 C Fabio De Masi (DIE LINKE). 11843 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 11844 B Tagesordnungspunkt 14: (SPD). 11845 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Sebastian Brehm (CDU/CSU) . 11846 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Reform der Psychotherapeuten- ausbildung Namentliche Abstimmung . 11847 C Drucksache 19/9770. 11869 A b) Antrag der Abgeordneten Dr. , Ergebnis . 11849 A Paul Viktor Podolay, Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 12: der AfD: Patientenschutz in der Psycho- therapeutenausbildung sicherstellen Erste Beratung des von der Bundesregierung Drucksache 19/9970. 11869 B eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entfristung des Integrationsgesetzes c) Antrag der Abgeordneten Sylvia Drucksachen 19/8692, 19/9764 . 11847 D ­Gabelmann, Susanne Ferschl, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und , Parl. Staatssekretär BMI. 11848 A der Fraktion DIE LINKE: Prekäre Bedin- Dr. Christian Wirth (AfD). 11852 A gungen in der Psychotherapeutenaus- bildung sofort beenden und Verfahrens- (SPD). 11853 A vielfalt im Studium gewährleisten Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann Drucksache 19/9912. 11869 B (FDP). 11853 C d) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- (DIE LINKE). 11854 C Schmeink, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeord- Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 11855 C neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (CDU/CSU). 11856 C GRÜNEN: Reform der Psychotherapeu- tenausbildung zukunftsfest ausgestalten Dr. Lars Castellucci (SPD). 11857 B und Finanzierung der ambulanten Wei- (BÜNDNIS 90/ terbildung sichern DIE GRÜNEN). 11858 A Drucksache 19/9272. 11869 C (CDU/CSU) . 11858 D Sabine Weiss, Parl. Staatssekretärin BMG. 11869 D Dr. Robby Schlund (AfD). 11870 B Tagesordnungspunkt 13: Dr. (SPD). 11871 A Antrag der Abgeordneten Tobias Matthias Dr. (FDP). 11871 D Peterka, Roman Johannes Reusch, Jens ­Maier, weiterer Abgeordneter und der Frakti- (DIE LINKE). 11872 D on der AfD: EU-Urheberrechtsrichtlinie – Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Upload-Filter verhindern, Freiheit der Mei- DIE GRÜNEN). 11873 C nungsäußerung gewährleisten Drucksache 19/9969. 11859 D (CDU/CSU) . 11874 C Tobias Matthias Peterka (AfD). 11859 D (SPD). 11875 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU). 11860 C Dr . (CDU/CSU) . 11876 B VIII Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Tagesordnungspunkt 15: Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- a) Zweite und dritte Beratung des von der schusses für Recht und Verbraucherschutz Bundesregierung eingebrachten Entwurfs zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin eines Gesetzes zur Änderung des Fahr- ­Helling-Plahr, Stephan Thomae, Renata Alt, lehrergesetzes weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Drucksache 19/8751, 19/9863. 11894 B FDP: Rechtsanwaltsgebühren zukunftssi- cher gestalten b) Antrag der Abgeordneten Torsten Herbst, Drucksachen 19/8266, 19/10002 . 11877 A Frank Sitta, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: (SPD) . 11877 B Verkehrssicherheit durch Reform des Stephan Brandner (AfD). 11878 A Begleiteten Fahrens ab 17 Jahren erhö- hen Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU). 11879 B Drucksache 19/9921. 11894 B Dr . Jürgen Martens (FDP). 11880 D (CDU/CSU). 11894 B (DIE LINKE). 11882 A (AfD). 11895 A (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 11883 A

Tagesordnungspunkt 19: Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung Zweite und dritte Beratung des von der Bun- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur desregierung eingebrachten Entwurfs eines Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2370 Gesetzes zur weiteren Ausführung der vom 14. Dezember 2016 zur Änderung der EU-Prospektverordnung und zur Ände- Richtlinie 2012/34/EU bezüglich der Öff- rung von Finanzmarktgesetzen nung des Marktes für inländische Schienen- Drucksachen 19/8005, 19/8617, 19/9079 Nr. 6, personenverkehrsdienste und der Verwal- 19/10000. 11884 B tung der Eisenbahninfrastruktur Matthias Hauer (CDU/CSU). 11884 B Drucksache 19/9738. 11896 B (AfD). 11885 A Martin Burkert (SPD). 11896 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . 11886 A (AfD). 11897 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 11898 B Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, weite- Tagesordnungspunkt 20: rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Solidarische Städte und kom- Antrag der Abgeordneten , munale Initiativen zur Flüchtlingsauf- , Anja Hajduk, weiterer Abge- nahme unterstützen ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Drucksache 19/8648. 11887 B GRÜNEN: Das Recht von Mädchen auf Bil- dung und Gesundheit in Krisen- und Kon- b) Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, fliktgebieten stärken und die G7-Deklarati- Filiz Polat, Dr. Franziska Brantner, weite- on zügig und konsequent umsetzen rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksache 19/6439. 11899 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Regionale und kommunale Flüchtlingsaufnahme stär- Ottmar von Holtz (BÜNDNIS 90/ ken DIE GRÜNEN). 11899 B Drucksache 19/9275. 11887 B Dr. (CDU/CSU) . 11900 A Ulla Jelpke (DIE LINKE). 11887 C (AfD). 11901 A (CDU/CSU). 11888 B Dr. Bernd Baumann (AfD). 11889 B Tagesordnungspunkt 21: (SPD). 11890 B Erste Beratung des von der Bundesregierung Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (FDP). 11892 A Umsetzung der zweiten Aktionärsrechte- Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ richtlinie (ARUG II) DIE GRÜNEN). 11893 A Drucksache 19/9739. 11902 A Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 IX

Christian Lange, Parl. Staatssekretär empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu BMJV. 11902 B dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- (AfD). 11903 A kräfte an der Militärmission der Europäischen Elisabeth Winkelmeier-Becker Union als Beitrag zur Ausbildung der mali- (CDU/CSU). 11903 D schen Streitkräfte (EUTM Mali) Dr. (BÜNDNIS 90/ (Tagesordnungspunkt 9). 11930 C DIE GRÜNEN). 11904 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU). 11905 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- Tagesordnungspunkt 22: ten Dr. Tobias Lindner, Kerstin Andreae, Erste Beratung des von der Bundesregierung Dr. , Dr. , Ekin eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Deligöz, , Dr. Bettina Hoffmann, Ersten IT-Änderungsstaatsvertrag Ottmar von Holtz, Dieter Janecek, Omid Drucksache 19/9737. 11906 A Nouripour, Tabea Rößner, Stefan Schmidt, und Daniela Wagner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärti- in Verbindung mit gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesre- gierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- Zusatztagesordnungspunkt 12: neter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Antrag der Abgeordneten Manuel Höferlin, Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung Frank Sitta, (Südpfalz), der Piraterie vor der Küste Somalias weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (Tagesordnungspunkt 10). FDP: Smart – Bundesministerium 11931 A für Digitalisierung etablieren Drucksache 19/9929. 11906 A Anlage 5 Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI. 11906 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des (AfD) . 11907 A Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Nächste Sitzung . 11908 C ­Helling-Plahr, Stephan Thomae, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Rechtsanwaltsgebühren zukunftssicher Anlage 1 gestalten Entschuldigte Abgeordnete. 11929 A (Tagesordnungspunkt 15). 11931 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . 11931 D Anlage 2 Sonja Amalie Steffen (SPD) . 11932 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten und (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der na- Anlage 6 mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung des von der Bundesregierung eingebrachten der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Ausfüh- kräfte an der Multidimensionalen Integrierten rung der EU-Prospektverordnung und zur Än- Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen derung von Finanzmarktgesetzen in Mali (MINUSMA) (Tagesordnungspunkt 16). 11933 A (Tagesordnungspunkt 7). 11929 D (CDU/CSU). 11933 A

Anlage 3 (SPD). 11933 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frank Schäffler (FDP). 11934 C Canan Bayram und Erhard Grundl (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der na- Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/ mentlichen Abstimmung über die Beschluss- DIE GRÜNEN). 11935 A X Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Anlage 7 Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung a) des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, des Antrags der Abgeordneten Ottmar von Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, weite- Holtz, Uwe Kekeritz, Anja Hajduk, weiterer rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ LINKE: Solidarische Städte und kommu- DIE GRÜNEN: Das Recht von Mädchen auf nale Initiativen zur Flüchtlingsaufnahme Bildung und Gesundheit in Krisen- und Kon- unterstützen fliktgebieten stärken und die G7-Deklaration b) des Antrags der Abgeordneten Luise zügig und konsequent umsetzen Amtsberg, Filiz Polat, Dr. Franziska (Tagesordnungspunkt 20). 11942 C Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dr . Georg Kippels (CDU/CSU) . 11942 C Regionale und kommunale Flüchtlingsauf- Gabriela Heinrich (SPD). 11943 B nahme stärken (Tagesordnungspunkt 17 a und b). 11935 C (SPD). 11943 D Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU). 11935 C (FDP). 11944 D Alexander Throm (CDU/CSU). 11936 C Helin (DIE LINKE) . 11945 C

Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Anlage 11 a) des von der Bundesregierung eingebrach- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des von der Bundesregierung eingebrachten des Fahrlehrergesetzes Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der b) des Antrags der Abgeordneten Torsten zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) Herbst, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, (Tagesordnungspunkt 21). 11946 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verkehrssicherheit durch Reform des Dr. (SPD) . 11946 A Begleiteten Fahrens ab 17 Jahren erhöhen (Tagesordnungspunkt 18 a und b). 11937 B Dr . Marco Buschmann (FDP). 11946 D (CDU/CSU). 11937 B Friedrich Straetmanns (DIE LINKE). 11947 A (SPD). 11938 B Torsten Herbst (FDP). 11939 A Anlage 12 (DIE LINKE). 11939 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ – des von der Bundesregierung eingebrach- DIE GRÜNEN). 11939 D ten Entwurfs eines Gesetzes zum Ersten IT-Änderungsstaatsvertrag – des Antrags der Abgeordneten Manuel Anlage 9 Höferlin, Frank Sitta, Mario Brandenburg Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (Südpfalz), weiterer Abgeordneter und der des von der Bundesregierung eingebrachten Fraktion der FDP: Smart Germany – Bun- Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der desministerium für Digitalisierung etablie- Richtlinie (EU) 2016/2370 vom 14. Dezember ren 2016 zur Änderung der Richtlinie 2012/34/EU (Tagesordnungspunkt 22 und Zusatztagesord- bezüglich der Öffnung des Marktes für inlän- nungspunkt 12). 11947 D dische Schienenpersonenverkehrsdienste und (CDU/CSU). der Verwaltung der Eisenbahninfrastruktur 11948 A (Tagesordnungspunkt 19). 11940 B Saskia Esken (SPD). 11948 C (CDU/CSU). 11940 C Manuel Höferlin (FDP) . 11949 B Florian Oßner (CDU/CSU) . 11941 A (DIE LINKE). 11950 A Torsten Herbst (FDP). 11941 C Dr. (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE). 11942 A DIE GRÜNEN). 11950 C Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11705

(A) (C)

98. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Antrag auf Genehmigung zur Durchführung Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte eines Strafverfahrens nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Drucksache 19/9947 Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich einigen Kollegen nachträglich zu ihren Geburtstagen gratulieren. (siehe 97. Sitzung) Die Kollegen Andreas Lämmel, Achim Post und Udo ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Hemmelgarn haben ihren 60. Geburtstag gefeiert. Thomae, Linda Teuteberg, Johannes Vogel (Beifall) (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Der Kollege hat seinen 65. Geburtstag gefeiert. Für einen konsequenten Ansatz in der Ein- (Beifall) wanderungspolitik – Eckpunkte eines umfas- (B) senden Einwanderungsgesetzbuches (D) Der Kollege Dr. hat seinen 70. Ge- burtstag gefeiert. Drucksache 19/9924 (Beifall) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Allen genannten Kollegen gratuliere ich im Namen des Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ganzen Hauses. ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Für die heutige 98. und die morgige 99. Sitzung konnte Andreae, Filiz Polat, Anja Hajduk, weiterer Ab- zwischen den Fraktionen im Ältestenrat keine Tagesord- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE nung vereinbart werden. Die Fraktion der AfD hat dem GRÜNEN Vorschlag der anderen Fraktionen widersprochen. Ich habe daher den Bundestag mit der von den anderen Frak- Fachkräfte für den Arbeitsmarkt von morgen tionen vorgeschlagenen Tagesordnung einberufen. Nach Drucksache 19/7058 § 21 Absatz 3 der Geschäftsordnung ist für die Genehmi- gung der Tagesordnung ein Plenarbeschluss erforderlich. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Es gibt des Weiteren eine interfraktionelle Vereinba- Ausschuss für Inneres und Heimat rung, die vorgeschlagene, aber noch nicht beschlossene Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführ- schätzung ten Punkte zu erweitern: Ausschuss Digitale Agenda ZP 1 Aktuelle Stunde ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid auf Verlangen der Fraktion der FDP Nestle, Dr. Julia Verlinden, Tabea Rößner, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Stand der Wirtschaftsverfassung Deutsch- NIS 90/DIE GRÜNEN lands – Ein Plädoyer für die soziale Markt- wirtschaft Aktive Kundinnen und Kunden für eine bür- (siehe 97. Sitzung) gernahe Energiewende ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Drucksache 19/9954 schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Überweisungsvorschlag: schäftsordnung (1. Ausschuss) Ausschuss für Wirtschaft und Energie 11706 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Überweisungsvorschlag: (C) richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ausschuss für Gesundheit Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- schätzung tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- munen Euratom-Vertrag reformieren – Sonderstel- lung der Atomkraft jetzt abschaffen d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Torsten Herbst, Roman Müller-Böhm, Stephan Thomae, Drucksachen 19/2512, 19/7206 weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Entschädigungen für Fahrgäste im Eisen- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- bahnverkehr verbessern gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- neten Alexander Ulrich, Hubertus Zdebel, Fabio Drucksache 19/9927 De Masi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Überweisungsvorschlag: DIE LINKE Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur EURATOM-Vertrag auflösen – Keine EU-Subventionen für die Atomindustrie e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), Drucksachen 19/7479, 19/10005 weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Beschäftigungssituation für Menschen mit Be- Badum, Dr. Julia Verlinden, Ingrid Nestle, wei- hinderung verbessern terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/9928 Die Europäische Union zur Klimaschutz-Uni- Überweisungsvorschlag: on machen Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 19/9953 f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. , Daniela Wagner, Oliver Überweisungsvorschlag: Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) (D) ZP 9 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Allgemeine Höchstgeschwindigkeit von fahren 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen (Ergänzung zu TOP 29) Drucksache 19/9948 Überweisungsvorschlag: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrej Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Hunko, Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, weiterer Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irene Anerkennung von Juan Guaidó als Präsident Mihalic, Dr. Franziska Brantner, Luise Amtsberg, Venezuelas zurücknehmen und als völker- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- rechtswidrig verurteilen NIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/7987 Kontrollen an der deutschen Binnen-Grenze Überweisungsvorschlag: zu Österreich beenden Auswärtiger Ausschuss Drucksache 19/9951 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: , Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Ausschuss für Inneres und Heimat Hocker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Renate Künast, Friedrich Ostendorff, Wälder erhalten durch effektiven Waldschutz weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksache 19/9925 NIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG in ihrer Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Regelungsschärfe auch für neue Gentechnik Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union beibehalten – Regulierung im Einklang mit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole dem Vorsorgeprinzip auch in Zukunft sichern Bauer, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Hocker, hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP regierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des Mehr Bildung, Bewegung und besseres Essen Grundgesetzes Drucksache 19/9926 Drucksache 19/9952 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11707

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Überweisungsvorschlag: ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter (C) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Boehringer, Dr. , Marc Bernhard, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renata Alt, Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Rückabwicklung von Finanzhilfen für Grie- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- chenland wegen Nichterfüllung und Nichtbe- tion der FDP achtung der Kreditkonditionen Neuer Impuls für Frieden in der Ukraine Drucksache 19/9961 Drucksache 19/10010 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Auswärtiger Ausschuss ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus ZP 10 Aktuelle Stunde Kurth, , Annalena Baerbock, wei- auf Verlangen der Fraktion der AfD terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN CO2-Steuer und ihre Auswirkungen auf Ener- giepreise Alterssicherung für Bergleute in der Braun- ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegbert kohleveredlung verbessern – Gerechtigkeits- Droese, Dr. Harald Weyel, Lars Herrmann, wei- lücke schließen terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Drucksache 19/9949 Privilegierte Partnerschaft statt Vollmitglied- Überweisungsvorschlag: schaft – EU-Erweiterungspläne für den West- Ausschuss für Arbeit und Soziales balkan überdenken ZP 17 Aktuelle Stunde Drucksache 19/9968 auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) GRÜNEN Auswärtiger Ausschuss Nach dem globalen Report zur Artenvielfalt – ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel Politische Konsequenzen aus dem gefährli- Höferlin, Frank Sitta, Mario Brandenburg (Süd- chen Artensterben pfalz), weiterer Abgeordneter und der Fraktion (B) der FDP Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- (D) weit erforderlich, abgewichen werden. Smart Germany – Bundesministerium für Di- gitalisierung etablieren Vor dem Tagesordnungspunkt 7 soll eine Aktuel- le Stunde mit dem Titel „CO2-Steuer und ihre Auswir- Drucksache 19/9929 kungen auf Energiepreise“ aufgesetzt und die bisher an Überweisungsvorschlag: dieser Stelle vorgesehene Aktuelle Stunde mit dem Titel Ausschuss für Inneres und Heimat (f) „Nach dem globalen Report zur Artenvielfalt – Politische Ausschuss Digitale Agenda (f) Konsequenzen aus dem gefährlichen Artensterben“ am Ausschuss für Wirtschaft und Energie Federführung strittig Freitag als letzter Tagesordnungspunkt aufgerufen wer- den. ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel Föst, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer Der Tagesordnungspunkt 8 soll abgesetzt und stattdes- Abgeordneter und der Fraktion der FDP sen nach dem Tagesordnungspunkt 10 der Antrag auf der Drucksache 19/9968 mit dem Titel „Privilegierte Part- Städtebauförderung neu denken nerschaft statt Vollmitgliedschaft – EU-Erweiterungsplä- Drucksache 19/9930 ne für den Westbalkan überdenken“ mit einer Debatten- Überweisungsvorschlag: zeit von 38 Minuten aufgesetzt werden. Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- Ebenso soll der Tagesordnungspunkt 24 abgesetzt und munen (f) Ausschuss für Inneres und Heimat an dessen Stelle der Antrag auf der Drucksache 19/9961 Haushaltsausschuss mit dem Titel „Rückabwicklung von Finanzhilfen für Griechenland wegen Nichterfüllung und Nichtbeachtung ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela der Kreditkonditionen“ im Umfang von 60 Minuten be- Wagner, Christian Kühn (Tübingen), Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- raten werden. tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche Städtebauförderung nachhaltig ausrichten Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkte- liste aufmerksam: Drucksache 19/9950 Der am 5. April 2019 (93. Sitzung) überwiesene nach- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- folgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss munen (f) für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Aus- Haushaltsausschuss schuss) zur Mitberatung überwiesen werden: 11708 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Dazu brauchen wir keine Debatte zu beschließen. Wenn (C) CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht wird, wird es Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Betrof- erteilt. So ist die Regel. fenen bei Fixierungen im Rahmen von Frei- (Zuruf von der SPD: Die kennen die aber heitsentziehungen nicht!) Drucksache 19/8939 Herr Kollege Brandner. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Stephan Brandner (AfD): Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ich habe noch gar nicht gefrühstückt. Hier steht kein Ausschuss für Gesundheit Wasser. Könnte ich ein Schlückchen Wasser bekommen? Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Der am 4. April 2019 (92. Sitzung) überwiesene nach- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: folgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss Bitte? für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur Mitbera- tung überwiesen werden: Stephan Brandner (AfD): Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Ich hätte gerne einen Schluck Wasser, bevor ich be- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- ginne. zes gegen illegale Beschäftigung und Sozial- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der leistungsmissbrauch SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 19/8691

Überweisungsvorschlag: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Herr Kollege Brandner, einen Moment, bitte. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Stephan Brandner (AfD): Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Danke schön. Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? (B) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (D) (Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD] erhebt sich) Wenn Sie noch einmal Platz nehmen würden. Wir werden jetzt das Wasser hinstellen. – Bitte sehr, Herr Kollege Baumann. (Abg. Stephan Brandner [AfD] wird ein Glas Wasser gereicht) Dr. Bernd Baumann (AfD): Die AfD wünscht eine Geschäftsordnungsdebatte zur Stephan Brandner (AfD): Tagesordnung nach § 29. Ich habe es jetzt. Danke.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sie wünschen das Wort zur Geschäftsordnung? Dann haben Sie jetzt das Wort, und bitte nehmen Sie es auch. Dr. Bernd Baumann (AfD): ( [SPD]: So peinlich, was Sie da Ja. veranstalten!)

Stephan Brandner (AfD): Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Meine Damen und Herren! Es ist an mir, den Ge- Dann nehmen Sie es. Bitte, Sie haben das Wort. schäftsordnungsantrag der AfD-Fraktion zu begründen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wel- Dr. Bernd Baumann (AfD): chen Antrag denn?) Sprechen wird der Kollege Stephan Brandner dazu. Wahrscheinlich wird da einer von Ihnen ausgekungelt, der für alle erwidert. Ich tippe mal auf den Kollegen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Buschmann, der das macht. Der Kollege Brandner wünscht das Wort zur Ge- Meine Damen und Herren, aus zwei Gründen lehnen schäftsordnung. Dann haben Sie das Wort zur Geschäfts- wir die Tagesordnung ab: ordnung. Bitte sehr. Der erste Grund ist ein weiterer Bruch mit einer lan- (Beifall bei der AfD) gen parlamentarischen Tradition in diesem Hause: dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11709

Stephan Brandner (A) es der größten Oppositionsfraktion obliegt, den ersten Jetzt könnte man sagen: Die Geschäftsordnung inte- (C) Tagesordnungspunkt, den ersten Oppositionstagesord- ressiert uns nicht weiter, wenn es um die AfD geht. – Ge- nungspunkt, am Donnerstag zu bestimmen. Das war im- nauso handeln Sie heute und hier auch wieder. Es gibt mer so. Es ist plötzlich nicht mehr so. aber auch noch einen Bundestagsbeschluss, den wir am 27. Oktober 2017 gefasst haben: Bundestagsdrucksa- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist bei che 19/3. Die scheint bei Ihnen allen in Vergessenheit Ihnen das Rennen um den Fraktionsvorsitz geraten zu sein. Einstimmig – einstimmig! – hat dieser schon eröffnet?) Deutsche Bundestag – bei zwei Enthaltungen – beschlos- Plötzlich gibt es ein roulierendes System, nach dem die sen, dass jeder Fraktion ein Bundestagsvizepräsident zu- größte Oppositionsfraktion, also die AfD, und dann eine steht. Da gibt es keine Auslegungsmöglichkeiten, meine weitere, meistens die FDP, diesen Tagesordnungspunkt Damen und Herren, und darauf bestehen wir. bestimmen kann. Dass die FDP eine Art Wurmfortsatz (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD – der Regierung ist, wissen wir alle. Dass dadurch aber mit Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie parlamentarischen Traditionen gebrochen wird, ist eine haben Sie eigentlich Ihr Staatsexamen bestan- Schande für dieses Parlament, meine Damen und Herren. den?) (Beifall bei der AfD) Deshalb ist es zwingend, dass natürlich auch der Ta- Wenn ich über parlamentarische Traditionen rede, er- gesordnungspunkt zur Wahl eines Bundestagsvizeprä- laube ich mir, an Ihre Tricks im Jahre 2017 zu erinnern, sidenten aufgesetzt wird, meine Damen und Herren. Es uns den seit über 100 Jahren feststehenden Altersprä- ist geltendes Verfassungsrecht, geltendes Geschäftsord- sidenten zu versagen und sich da in die Tradition eines nungsrecht. § 2 Absatz 2 Satz 5 – Herr Buschmann, ich Reichsinnenministers und eines Reichstagspräsidenten tippe mal, dass Sie gleich darauf eingehen werden – sieht zu stellen. Auch da haben Sie mit Traditionen gebrochen, vor, dass mehrere Kandidaten zur Wahl gestellt werden meine Damen und Herren. können. Das steht ausdrücklich da drin. Aber der Gipfel der Ignoranz und der Willkür des Um- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Des- gangs mit uns ist das, was Sie hier mit dem Bundestags- wegen haben wir den zweiten Wahlgang ja vizepräsidenten veranstalten. Wir haben heute beantragt, heute zugelassen! Das zeigt, wie ernst Sie das eine Wahl aufzusetzen. Wir haben drei Kandidaten vor- nehmen! Das ist ja lächerlich!) geschlagen, meine Damen und Herren. Da steht nirgendwo, dass diese Kandidaten nicht von ei- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ner Fraktion stammen dürfen. Und seien Sie doch froh (B) (D) zeigt, wie wenig ernst Sie das nehmen!) darüber: Wir unterbreiten Ihnen ein weiteres Personalta- Es wurde von Ihnen abgelehnt, überhaupt nur die Wahl bleau mit fähigen Persönlichkeiten, die wir Ihnen vorge- auf die Tagesordnung zu nehmen. schlagen haben, mit Herrn Otten, mit Herrn Podolay und mit Herrn Renner. Sie haben die Auswahl. Sie haben die (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wieso Qual der Wahl, liebe Altfraktionen. eigentlich drei Kandidaten? Sie haben doch nur eine Person vorgeschlagen!) (Beifall bei der AfD) Damit verstoßen Sie gegen Verfassungsrecht, Sie versto- Jetzt sagen Sie alle: Ja, stellt doch einen auf; dann ßen gegen das Geschäftsordnungsrecht, wählen wir einen guten. – Und jetzt wird es ganz perfide: Jetzt setzen Sie den Tagesordnungspunkt nicht mal mehr (Lachen der Abg. Ulli Nissen [SPD]) auf die Tagesordnung. Es gibt Bestrebungen der FDP, zu und Sie verstoßen gegen einstimmige Beschlüsse dieses sagen: Jetzt wählen wir nur noch alle drei Wochen. Parlaments. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Keine Stimmt doch gar nicht! – Ahnung von Verfassungsrecht und Geschäfts- [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! – Britta ordnung!) Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach mal in die Geschäftsordnung gucken!) Artikel 40 Absatz 1 des Grundgesetzes statuiert Bun- destagspräsidenten und Bundestagsvizepräsidenten. Sie Ja, was ist das denn für eine Demokratie? So was geht haben also Verfassungsrang. Wenn Sie in § 2 der Ge- überhaupt nicht. Entweder haben wir einen Anspruch da- schäftsordnung hineinschauen: Da ist statuiert – und das rauf, und der ist statuiert in der Geschäftsordnung und im ist nicht etwa eine lose Abrede zwischen irgendjeman- einstimmigen Beschluss auf Drucksache 19/3, oder wir dem –, dass jeder Fraktion mindestens ein Bundestagsvi- haben ihn nicht. Dann sagen Sie doch ganz offen, dass zepräsident zusteht. Sie keinen wählen wollen. Ändern Sie die Geschäftsord- nung, heben Sie den Beschluss 19/3 auf, und ändern Sie (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) meinetwegen das Grundgesetz. Das wäre dann gradlinig Und da wir von der AfD eine Fraktion sind, steht uns das von Ihnen. Aber zu heucheln, dass Sie Beschlüsse beach- zu. Da können Sie erzählen, was Sie wollen. ten würden, und hier das Gegenteil zu tun, das geht nicht. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) 11710 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Stephan Brandner (A) Deshalb bitte ich Sie: Kehren Sie auf den Boden der so sehr auf Kriegsfuß wie diese Fraktion der AfD. (C) Rechtsstaatlichkeit zurück! Blockieren Sie nicht weiter die Arbeit des Bundestages durch Geschäftsordnungs- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, tricks! Verhalten Sie sich einfach, wie Demokraten sich der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE verhalten in einer funktionierenden Demokratie! GRÜNEN)

Vielen Dank. Deshalb möchte ich diese Scharlatanerie hier einmal ein- ordnen. Sie ist Ausfluss einer Ansage, die Ihr Fraktions- (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer vorsitzender in der „FAZ“ in einem Interview gemacht [CDU/CSU]: Mann, Mann, Mann! Noch nicht hat, es solle hier im Parlament – wörtliches Zitat – Krieg mal die Geschäftsordnung kennt der! – Ulli geführt werden. Nissen [SPD]: Rechtsstaatlichkeit und AfD! (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist falsch! Ha! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE „Wenn Sie Krieg wollen“, steht da drin!) GRÜNEN]: Der kennt noch nicht mal die Ge- schäftsordnung! – Gegenruf des Abg. Jürgen Krieg ist kein sportlicher Wettbewerb, sondern zielt auf Braun [AfD]: Aber Sie, oder was? – Gegenruf Vernichtung ab. Was Sie vernichten wollen, ist das Anse- der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ hen dieses Parlaments und dieses Hauses. DIE GRÜNEN]: Ja, im Gegensatz zu Ihnen! – Gegenruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]: Das (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, ist Sozialpädagogik!) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Das machen Sie allein, Herr Buschmann! – Dr. Alexander Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Gauland [AfD]: Das kriegen wir gar nicht Zur Vermeidung von Unklarheiten möchte ich Arti- hin!) kel 40 Absatz 1 des Grundgesetzes zitieren: Dies denke ich mir nicht aus. In der „FAZ“ vom Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen 4. April 2019 ist zu lesen: Stellvertreter und die Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung. Die AfD droht damit, die Arbeit des Bundestags systematisch zu behindern ... Es ist eine Vorschrift des Grundgesetzes, dass die Mit- Dann folgt ein wörtliches Zitat aus einem internen Papier glieder des Präsidiums des Deutschen Bundestages ge- der AfD, das die „FAZ“ zitiert: (B) wählt werden. (D) (Stephan Brandner [AfD]: Soll ich die „FAZ“ (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, vorlesen?) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „In jeder Sitzungswoche fänden dann zeitraubende Wahlen statt“ ... Das werde „das Ansehen des Bun- Wird weiter das Wort zur Geschäftsordnung ge- destags nachhaltig beschädigen und das Vertrauen wünscht? – Der Herr Kollege Buschmann wünscht das in unsere Demokratie erschüttern“. Wort. (Jürgen Braun [AfD]: Das behauptet die (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- „FAZ“! Das sagen nicht wir! Das ist eine NEN]: Das war eine kleine Nachhilfestunde ­„FAZ“-Lüge, nichts weiter!) für die AfD!) Darauf legen Sie es an. Schämen Sie sich! – Es ist die Pflicht eines Bundestagspräsidenten, auf das Grundgesetz hinzuweisen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Sie zitieren der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Fake News!) GRÜNEN) Und wie gehen Sie vor, um dieses Ziel der Untergra- Jetzt hat das Wort zur Geschäftsordnung der Kollege bung des Ansehens des Bundestages hier zu erreichen? Buschmann. (Jürgen Braun [AfD]: Dummes Zeug, Herr Buschmann! Noch nicht einmal sauber zi- Dr. Marco Buschmann (FDP): tiert!) Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- Sie machen Taschenspielertricks. gen! Eines zeigt diese Maßnahme erneut: Keine andere Fraktion dieses Hauses steht mit dem Prinzip des Rechts- (Jürgen Braun [AfD]: Das machen Sie!) staats und der Achtung vor den Institutionen unserer Ver- fassung Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sieht vor, dass Wahlgänge im Zweifelsfall nur dann stattfin- (Jürgen Braun [AfD]: So gut da!) den, wenn sie vorher angekündigt und als Drucksache Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11711

Dr. Marco Buschmann (A) verteilt wurden und eine Schutzfrist von drei Wochen fassungswidrig! Auf solche Hütchenspielertricks werden (C) verstrichen ist. Das ist Ausfluss der wehrhaften Demo- wir hier nicht hereinfallen. kratie, um sich gegen Verfassungsfeinde in diesem Haus (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, zur Wehr zu setzen. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, GRÜNEN) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Deshalb, meine Damen und Herren: Unser Parlament GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Sie miss­ hat Regeln! Unser Parlament kennt Ordnung! Diese Re- achten die Verfassung, Herr Buschmann!) geln und diese Ordnung sind dazu da, um uns gegen Ob- struktion, wie Sie sie vorhaben, zu schützen. Wenn Sie Darüber, dass wir auf diese Regeln bestehen, wenn Sie uns den Krieg erklären, davor haben wir keine Angst; uns mit Ansage den Krieg erklären, dürfen Sie sich nicht denn unsere Verfassung ist wehrhaft gegen Leute wie Sie. beklagen. Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie ge- gen Leute wie Sie. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ GRÜNEN) DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Herr Buschmann, halten Sie sich an die Ordnung! Was Sie in der Sache vortragen, entbehrt jeder juris- Fangen Sie erst einmal an!) tischen Logik. Deshalb ist es Ihrem Ersten Parlamenta- rischen Geschäftsführer vermutlich zu peinlich, das hier Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: vorzutragen. Da muss Herr Brandner hier in die Bütt Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen steigen, mir nicht vor. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Wir kommen damit zur Feststellung der Tagesord- Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des nungen der heutigen 98. und der morgigen 99. Sitzung BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael mit den zuvor genannten einvernehmlichen Ergänzun- Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dem ist gar gen. Wer stimmt für diese so ergänzte Tagesordnung? – nichts peinlich! – Jürgen Braun [AfD]: Der Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die FDP ist gar nichts peinlich!) Tagesordnung gegen die Stimmen der AfD mit den Stim- men der übrigen Fraktionen so beschlossen. um uns zu erklären, dass die Wahl eines Vizepräsidenten (B) ein Benennungsrecht seiner Fraktion darstelle. Ich darf Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 g (D) Sie aufklären: Sie haben ein Vorschlagsrecht, wählen tut sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf: der Bundestag mit Mehrheit. Daran werden Sie nichts 3. a) Erste Beratung des von der Bundesregie- ändern. rung eingebrachten Entwurfs eines Fach- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, kräfteeinwanderungsgesetzes der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Drucksache 19/8285 GRÜNEN) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Gleich drei Kandidaten aus einer Fraktion für eine Po- Auswärtiger Ausschuss sition vorzuschlagen, obwohl Ihnen nur ein Benennungs- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz recht zusteht, ist nicht nur rechtlicher Blödsinn, es ist an Ausschuss für Wirtschaft und Energie Peinlichkeit nicht zu überbieten. Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN abschätzung und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Tourismus sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ausschuss Digitale Agenda Jürgen Braun [AfD]: Herr Buschmann, Sie Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und haben gerade „Benennungsrecht“ gesagt! – Kommunen Dr. [AfD]: Da habt Ihr b) Erste Beratung des von der Bundesregie- doch Auswahl!) rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über Duldung bei Ausbildung und Jeder Mensch mit gesundem Menschenverstand weiß, Beschäftigung dass, wenn man ein Vorschlagsrecht für eine Position hat, man nicht drei Kandidaten vorstellen kann. Das ist Drucksache 19/8286 ein Fortsetzungsroman mit Ansage. Wir wissen ja, wo- Überweisungsvorschlag: rauf das hinausläuft: Sie wollen dann nämlich am Ende Ausschuss für Inneres und Heimat (f) behaupten, wenn Sie drei Kandidaten vorschlagen, dass Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz im dritten Wahlgang die relative Mehrheit reichen würde. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Wer dann die Stimmen Ihrer Fraktion hat, der ist es dann. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Sie wollen ein Wahlrecht in ein einseitiges Benennungs- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- recht umwidmen. Das ist undemokratisch! Das ist ver- abschätzung 11712 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) c) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) desregierung Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, Michel Brandt, weiterer Abgeordneter und der Fachkräftestrategie der Bundesregierung Fraktion DIE LINKE

Drucksache 19/6889 Für eine offene, menschenrechtsbasierte und solidarische Einwanderungspolitik Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Drucksache 19/9052 Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Wirtschaft und Energie Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz abschätzung Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Kommunen Entwicklung Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Filiz Polat, Luise Amtsberg, Sven Lehmann, g) Beratung des Antrags der Abgeordne- weiteren Abgeordneten und der Fraktion ten Susanne Ferschl, Klaus Ernst, Gökay BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- Akbulut, weiterer Abgeordneter und der ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- Fraktion DIE LINKE rung eines Einwanderungsgesetzes Fachkräfteeinwanderungsgesetz – Gute Drucksache 19/6542 Arbeit garantieren und Vollbeschäfti- gung erreichen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Drucksache 19/9855 Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales (B) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (D) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abschätzung Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Thomae, Linda Teuteberg, Johannes Vogel Kommunen (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Filiz Polat, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Für einen konsequenten Ansatz in der Ein- Andreae, weiterer Abgeordneter und der wanderungspolitik – Eckpunkte eines umfas- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN senden Einwanderungsgesetzbuches

Bleiberecht für Geflüchtete gestalten, Drucksache 19/9924 Aufenthaltsrechte stärken, Rechtssicher- Überweisungsvorschlag: heit schaffen, Spurwechsel ermöglichen Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 19/6541 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Überweisungsvorschlag: Andreae, Filiz Polat, Anja Hajduk, weiterer Ab- Ausschuss für Inneres und Heimat (f) geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz GRÜNEN Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Fachkräfte für den Arbeitsmarkt von morgen Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 19/7058 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Entwicklung Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Ausschuss für Arbeit und Soziales Union Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und schätzung Kommunen Ausschuss Digitale Agenda Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11713

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ein Gesetz dieselbe Behandlung und die gleiche Wert- (C) die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- schätzung erfahren. Es ist wichtig, dass Hochschulab- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. solventen zu uns in unser Land kommen können, um zu arbeiten. Aber es ist mindestens genauso wichtig, dass Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem wir Fachkräfte mit einer qualifizierten Berufsausbildung Bundesminister des Innern, für Städtebau und Heimat, für die betrieblichen Berufe im dualen System den Hoch- Herrn Horst Seehofer. schulabsolventen diesbezüglich gleichstellen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau Wir machen damit deutlich, dass wir die Fachkräfte- und Heimat: zuwanderung steuern wollen. Wir stellen ab auf die Qua- Für Bau und Heimat. lifikation der Bewerber und Interessenten. Diese Quali- fikation wird – das ist der Hauptteil des Gesetzes – aus dem Ausland durch deutsche Stellen geprüft. Nur wer Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: eine anerkannte Qualifikation hat oder wer so weit qua- Entschuldigung, für Bau und Heimat. Früher hieß es lifiziert ist, dass er mit Anpassungslehrgängen die volle einfach nur Bundesminister des Innern. Das war auch ein Anerkennung erreichen kann, darf zur Erwerbstätigkeit schöner Titel. einwandern. Das sind klare Regeln. (Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Ab- Aber wir machen dieses Gesetz nicht nur für heute, geordneten der SPD – Britta Haßelmann sondern wir denken auch daran, dass sich die Konjunk- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre auch tur, die Arbeitsplatzsituation in Regionen oder im ganzen besser gewesen, wenn es so geblieben wäre!) Land verändern können. Deshalb haben wir Vorsorge getroffen und sehen im Gesetz eine Verordnungsermäch- Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau tigung vor. Bei einer Veränderung der Arbeitsmarktsitu- und Heimat: ation in einer Region ist also sichergestellt, dass wieder Lieber Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen eine Vorrangprüfung durchgeführt werden kann. Das und Herren! In der Gesundheitsbranche, in der Pflege, heißt, dass bei einem Strukturwandel in einer Region die im Handwerk, auf dem Bau und in vielen technologi- Menschen, die dort bereits leben, einen Vorrang bei der schen Berufen suchen die Betriebe händeringend nach Arbeitsplatzvermittlung haben. Fachkräften. Die demografische Entwicklung wird die- Wir sehen eine weitere Verordnungsermächtigung vor, ses Problem des Fachkräftemangels noch verstärken. Ich (B) und zwar eine Zuwanderungssperre für Menschen aus (D) möchte festhalten, dass zuallererst unser Arbeitskräf- bestimmen Staaten für den Fall, dass sich herausstellen tepotenzial im Inland und in Europa genutzt wird, um sollte, dass aus bestimmten Staaten heraus missbräuchli- dieses Problem zu bewältigen. Absehbar wird dies aber che Entwicklungen zu verzeichnen sind. Auch das halte nicht ausreichen, um den Fachkräftebedarf bei uns in der ich für eine sehr verantwortliche Politik. Den Grundsatz Bundesrepublik Deutschland zu sichern. regeln, auf die Qualifikation abstellen, aber auch an eine Deshalb legt die Bundesregierung heute den Entwurf schnelle Reaktionsmöglichkeit denken, wenn sich Struk- eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vor und gibt da- turen oder die Konjunktur verändern oder wenn sich mit ein klares Bekenntnis zur Fachkräfteeinwanderung missbräuchliche Entwicklungen zeigen: Das ist Verant- aus Drittstaaten ab, das heißt aus Staaten außerhalb der wortung in der Politik. Europäischen Union. Wir schaffen mit diesem Gesetz die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Voraussetzungen dafür, dass diejenigen Fachkräfte, die ordneten der SPD) unsere Wirtschaft dringend braucht, gesteuert und geord- net zu uns kommen können. Das ist nach vielen Jahr- Ich will noch auf einen Punkt hinweisen, über den sich zehnten, wie ich meine, eine historische Weichenstellung in diesen Stunden eine eigenartige Diskussion entwickelt in der Bundesrepublik Deutschland. hat. Wir haben seit Jahren eine Regelung für Hochschul- absolventen, die sich sehr bewährt hat, nämlich dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Hochschulabsolventen zu uns kommen können, um einen ordneten der SPD) Arbeitsplatz zu suchen. Genau diese seit Jahren mit null Der Gesetzentwurf enthält klare Kriterien dafür, wer Problemen versehenen Regeln erweitern wir jetzt auf die unter welchen Voraussetzungen zum Arbeiten nach Ausbildungsplatz- und Arbeitsplatzsuche im dualen Sys- Deutschland kommen darf. Damit bekommen die Unter- tem. Das ist nur recht und billig. Wir binden das auch an nehmen Rechtssicherheit, und die Fachkräfte, die zum Bedingungen, nämlich gute deutsche Sprachkenntnisse Arbeiten nach Deutschland kommen wollen, bekommen und entsprechende Schulabschlüsse. Deshalb ist das, was eine Perspektive. wir jetzt einführen, nichts Neues, sondern eine Gleich- stellung mit der schon lange bestehenden Regelung für Meine Damen und Herren, gebraucht werden Fach- Hochschulabsolventen. kräfte. Das sind einerseits Hochschulabsolventen und andererseits Fachkräfte mit einer qualifizierten Berufs- Wir schaffen also klare Regeln. Wir werden dadurch ausbildung. Wir legen Wert auf beide Gruppen. Es ist im jederzeit die Kontrolle darüber behalten, wer zu uns ins Rahmen der Regelung des Aufenthalts- und Erwerbs- Land kommt und wer hier erwerbstätig werden kann. rechts endlich der Fall, dass diese beiden Gruppen durch Es sind die Menschen, die wir brauchen und die unserer 11714 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Bundesminister Horst Seehofer (A) Volkswirtschaft nutzen. Genau das ist eine moderne und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) kluge Einwanderungspolitik. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gottfried Curio, AfD. Für mich ist zentral, dass wir an der klaren und auch nachvollziehbaren strikten Trennung von Asyl und Er- (Beifall bei der AfD) werbsmigration festhalten. Das ist ein wesentlicher Teil dieses Gesetzes. Es geht hier um die Erwerbsmigration, Dr. Gottfried Curio (AfD): und es geht nicht um eine Spielart des Asylverfahrens. Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Abgeordnete! Deshalb sage ich als Minister, der auch für Asylverfahren Ein Satz vorweg: Wir diskutieren oft gemäß unterschied- zuständig ist: Ich bin der tiefen Überzeugung, dass dieses licher gesellschaftlicher Zielvorstellungen – okay. Aber Gesetz geeignet ist, die legale Migration zu stärken und vonseiten der Altparteien erleben wir hier leider auch die die illegale Migration zurückzudrängen. Das ist ein ganz nackte Arroganz der Macht wie jetzt bei der widerrecht- wichtiges politisches Ziel. lichen Verhinderung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) ordneten der SPD) einer demokratischen Auswahl unseres Vizepräsiden- Das gesamte Gesetzesvorhaben bettet sich in die Ge- ten. Heute ist ein schwarzer Tag für die Demokratie in samtstrategie dieser Koalition und Regierung ein, näm- Deutschland. lich Migration zu ordnen und zu steuern. Wir haben ja die Leitbegriffe Humanität und Ordnung: auf der einen Seite (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Katrin Humanität und Schutzgewährung für Verfolgte sowie In- Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tegration für schutzbedürftige Menschen und auf der an- NEN]) deren Seite Ordnung durch Steuerung und Begrenzung. Dieses Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist eine Mo- Zu dieser Steuerung gehört auch das Fachkräfteeinwan- gelpackung. Es dient gerade nicht dem Zweck, den es derungsgesetz. zu befördern vorgibt. Was lesen wir da? Keine Beschrän- Im Vollzug wird dieses Gesetz auf engste Zusammen- kung auf Mangelberufe – also egal, ob wir die Leute arbeit mit der deutschen Wirtschaft angewiesen sein. überhaupt brauchen, Hauptsache mehr fremdkulturelle Wir brauchen die deutsche Wirtschaft im Ausland für Zuwanderung. Keine Vorrangprüfung – also egal, ob ein die Anwerbung der Fachkräfte in den Außenhandels- Deutscher oder ein Europäer den Job machen könnte, kammern. Das wird eine Aufgabe sein, die der deutsche Hauptsache außereuropäische Zuwanderung. Kein Nach- Wirtschaftsminister Herr Altmaier und auch der Sozial- weis der Gleichwertigkeit einer Qualifikation vor Einrei- (B) minister Hubertus Heil zu managen haben. Das Gesetz se – ja erst hier Beginn einer Ausbildung. Also egal, ob (D) wird dann richtig mit Leben erfüllt, wenn die Wirtschaft überhaupt Fachkräfte kommen, wenn nur mehr Zuwan- und die Sozialpartner bei der Umsetzung engstens zu- derung. Kein Arbeitsplatznachweis – erst hier Jobsuche. sammenwirken. Also egal, ob überhaupt Arbeitskräfte kommen, aber bitte Zuwanderung – und das bei einer europäischen Jugend- Das Gesetz entspricht meiner ganz persönlichen Über- arbeitslosigkeit von über 20 Millionen. Wo sind da die zeugung, auch wenn ich hier immer im Verdacht stehe, Initiativen der Regierung für die eigene Jugend? Erst die ich hätte nur die Begrenzung der Zuwanderung im Sinne. Bildung an die Wand fahren und dann nach Fachkräften rufen. Na, danke sehr! (Cansel Kiziltepe [SPD]: Nein! Gar nicht! – Zurufe von der LINKEN: Nein!) (Beifall bei der AfD) Die Zukunft unseres Wirtschaftsstandortes, der Wohl- Tatsächlich wird das Gesetz die Armutsmigration Un- stand und die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme terqualifizierter anheizen. Pseudofachkräfte aus Afrika hängen nach meinem Dafürhalten ganz entscheidend da- als Reservearmee von Niedriglohnsklaven werden die von ab, wie gut es uns gelingt, die Fachkräftebasis der Arbeitsmarktlage für deutsche Arbeitnehmer weiter ver- Unternehmen und Betriebe zu sichern. schlechtern. Die Folge: Lohndumping im Niedriglohn- bereich, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der FDP) (Beifall bei der AfD) Engpass am Wohnungsmarkt. Erst Hundertausende Ich glaube, dass der heute vorgelegte Gesetzentwurf Migranten reinlassen und dann Wohnungsmangel bekla- dafür eine gute, ich meine sogar, eine beste Grundlage gen. Überlastung der Städte durch Dauerzustrom in die bietet. Parallelgesellschaften – so wird die jetzt schon oft abge- (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lehnte Integration immer aussichtsloser. Man hat es nicht Glaube reicht nicht!) mehr nötig. Das ist unverantwortlich. Ich kenne jedenfalls in Europa kein Fachkräfteeinwande- Wer nach einem halben Jahr ohne Arbeit bleibt, kann rungsgesetz, das moderner ist als das, was die Koalition im umgekehrten Spurwechsel Asyl beantragen und dann hier heute vorlegt. auf unsere Kosten leben. Schon jetzt werden Hundert- tausende abgelehnte Asylbewerber nicht abgeschoben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die illegale Einwanderung läuft neben diesem Einwan- ordneten der SPD) derungsgesetz massenhaft weiter. Das Gesetz öffnet nur Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11715

Dr. Gottfried Curio (A) eine weitere Schleuse. Aber warum draußen Deutsch Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) lernen, wenn man drinnen nur ein einziges Wort aus- Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesminister für Ar- sprechen können muss? Jetzt sind es sogar zwei Wörter. beit und Soziales, Hubertus Heil. War sonst „Asyl“ das Sesam-öffne-dich, geht jetzt auch „Fachkraft“. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozi- Dieses Gesetz ist eine Totgeburt. Während Sie auf ales: der Lauer liegen – mit Schmetterlingsnetz ausspähend Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle nach diesem seltenen Geschöpf einer vorbeilaufenden wollen doch, dass es in unserem Land gut läuft. deutschsprechenden Fachkraft aus dem Senegal, die sich hier auf Jobsuche selbst durchschlagen will –, spazieren (Lachen bei der AfD) zugleich Hunderttausende nichtausgebildete, fremdspra- Wir erleben im Moment, dass Fachkräftemangel in vie- chige, fremdkulturelle Nichtfachkräfte illegal über die len Regionen und Branchen eine große Wachstumsbrem- grüne Grenze, die immer noch völlig ungeschützt ist, und se ist. Wer in Berlin beispielsweise versucht, einen Hand- lassen sich hier mit Wohnung, Geld, Integrations- und werker zu bekommen, weiß, wie viel Arbeit schneller Sprachkursen und allen Rechten ausstatten. Mal Mut zur erledigt werden könnte, wenn wir mehr Fachkräfte zur Wahrheit: Das Modell „Asylbewerber in Deutschland“ Verfügung hätten. Das Problem wird sich in den nächsten ist nun einmal unschlagbar, ist Lebensziel und Migra- Jahren verschärfen. Deshalb ist es vollkommen richtig, tionszweck für Millionen und schlägt jedes Einwande- dass wir im Rahmen einer Gesamtfachkräftestrategie mit rungsgesetz. der deutschen Wirtschaft, mit den Gewerkschaften, mit (Beifall bei der AfD) Bund und Ländern erst einmal alles tun, die inländischen Potenziale in Deutschland zu nutzen. Dann setzt die Arbeitsduldung, ja sogar schon Aus- Ja, es ist richtig: Wir haben da noch viel Luft nach bildungsduldung dem Ganzen die Krone auf. Dieses oben. Wir haben Fachkräftemangel und gleichzeitig Spurwechselgesetz hebelt das schon fehlkonstruierte 50 000 junge Menschen in Deutschland, die Jahr für Jahr Einwanderungsgesetz noch einmal aus. Nix mehr mit ohne schulischen Abschluss die Schule verlassen. Wir Fachkräften! Abgelehnte Asylbewerber, die gar nicht haben 1,6 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Jah- hier sein dürften, die diesen Staat betrogen haben, sollen ren ohne berufliche Erstausbildung. Denen müssen wir über das neue Duldungsticket hierbleiben können. Das eine Chance geben. Das tut diese Bundesregierung, mei- (B) ist die perfekte Legalisierung des Asylmissbrauchs, ein ne sehr geehrten Damen und Herren. (D) Zuwanderungsanreiz mit weltweiter Sogwirkung. (Beifall bei der SPD) (Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/ Sie tut dies, indem sie Mittel für die Organisation der DIE GRÜNEN]) Ganztagsbetreuung in Bund und Ländern bereitstellt, Sie werden nach jahrelangen Widerspruchsverfah- mit Investitionen in digitale Bildung, mit Hilfen für die ren klagen, nach oft fragwürdig erlangten Duldungen zweite Chance für diejenigen, die den Abschluss verpasst ein paar Konditiönchen – ein bisschen Sprache, Ausbil- haben, mit Mitteln der aktiven Arbeitsmarktpolitik. dungsbeginn, Jobversuch; der Ali, der den Dönerspieß Es geht auch um die bessere Vereinbarkeit von Beruf aus dem Hinterzimmer nach vorne trägt, ist in Ausbil- und Familie und um die bessere Verteilung der Arbeits- dung – nachreichen. Sie alle werden zu regulären Ein- zeit zwischen Männern und Frauen. Die Frauenerwerbs- wanderern gemacht – mit voller Aussicht auf Dauerauf- beteiligung ist zwar viel höher als vor vielen Jahren, enthalt und Staatsbürgerschaft. aber das Arbeitszeitvolumen ist immer noch nicht richtig zwischen Männern und Frauen verteilt. Es geht um Wei- Spurwechsel als Lohn der Lüge, meine Damen und terbildung. All das ist notwendig. Gleichwohl – Horst Herren! Dieses Gesetz hebt zum Schaden Deutschlands Seehofer hat es zu Recht gesagt – werden wir ergänzende die gebotene Trennung von Asyl- und Einwanderungs- Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland recht auf. brauchen – nicht nur aus dem europäischen Ausland, sondern auch aus Drittstaaten. ( [DIE LINKE]: Wie krank sind Sie eigentlich?) Heute legen wir Ihnen das Fachkräfteeinwanderungs- gesetz vor. Ich kann nur sagen: Wenn Sie uns nicht glau- Das dient nicht pragmatisch den Interessen unserer Bür- ben, hören Sie auf den Zentralverband des Deutschen ger, sondern missbraucht deren Leistungsfähigkeit für Handwerks, der sich gestern dazu geäußert hat. Er hat die Wohlfahrt ausländischer Migranten. Die AfD wird gesagt: Beide Gesetze – das Fachkräfteeinwanderungs- das beenden. Denn der gefährlichste Fachkräftemangel, gesetz und das Beschäftigungsduldungsgesetz, das heute den wir in Deutschland haben, ist der in der Regierung. auch vorliegt – sind der richtige Weg; es ist eine ausge- wogene Lösung und sortiert die Einwanderungs- und Ich danke Ihnen. Migrationspolitik auf vernünftige Weise. (Beifall bei der AfD – [DIE Ich kann die Notwendigkeit dieses Gesetzes an einem LINKE]: Hetzer!) praktischen Beispiel, basierend auf dem, was wir auf den 11716 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Bundesminister Hubertus Heil (A) Weg gebracht haben, verdeutlichen. Wir haben schon Aber wir brauchen Lösungen für Menschen, die ganz (C) Zuwanderungsmöglichkeiten für akademisch Gebilde- lange hier sind, die sich inzwischen integriert haben, te in Deutschland. Wir haben aber keine ausreichenden die die deutsche Sprache können, die sich nichts haben Zuwanderungsmöglichkeiten für beruflich Qualifizierte. zuschulden kommen lassen, die in Ausbildung oder in Arbeit sind. Für diese Menschen brauchen wir pragma- (Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/ tische Lösungen. Sie alle kennen doch die Fälle aus den DIE GRÜNEN]) Wahlkreisen, in denen uns das deutsche Handwerk, viele Es ist vollkommen richtig, dass wir dafür unbürokrati- Mittelständler sagen: Wir haben hier Leute, die wir rich- sche, praktische Lösungen schaffen. tig gut gebrauchen können. Eine Voraussetzung limitiert die Möglichkeiten, nach (Beifall bei der SPD) Deutschland zu kommen, im Gegensatz zu klassischen Einwanderungsländern stark. Das ist die Tatsache, dass Mit der Beschäftigungsduldung gehen wir einen klu- die deutsche Sprache auf der Welt von ungefähr 100 Mil- gen, einen ausgewogenen Weg, um das Ganze zu orga- lionen Menschen gesprochen wird – 80 Millionen Men- nisieren. schen davon wohnen allein in Deutschland, ein paar auch in Österreich und in der Schweiz. Das heißt, im Es braucht entsprechende Vorzeiten, langfristige Dul- Gegensatz zu englischsprachigen oder französischspra- dungen. Es braucht Beschäftigung. Es braucht die Siche- chigen Ländern ist die Zahl potenzieller Einwanderer mit rung des Lebensunterhaltes an dieser Stelle. Es braucht Deutschkenntnissen auf der Welt nicht so riesig. Sprachkenntnisse. Und es muss natürlich klar sein, dass die Menschen straffrei hier sind. Wir schaffen mit der Be- Warum halten wir trotzdem daran fest? Weil wir einen schäftigungsduldung die Chance, für einen Zeitraum in Fehler der Vergangenheit – die Arbeitskräftezuwande- Arbeit zu bleiben, einen anderen Status zu bekommen. rung der 60er- und frühen 70er-Jahre – nicht wiederholen Wenn der absolviert ist, dann gibt es auch die Chance, wollen. Um es mit Max Frisch zu sagen: Wir wollten da- dauerhaft hierzubleiben. Das ist, meine Damen und Her- mals Arbeitskräfte, aber es kamen Menschen. – Deshalb ren, eine pragmatische Lösung. ist es richtig, dass, wenn wir Fachkräfte nach Deutsch- land holen, wir davon ausgehen müssen, dass viele von Wir vermischen nicht, wie einige glauben, humanitä- denen dauerhaft hierbleiben. Wir müssen das Thema In- res Asylrecht und Fachkräfteeinwanderung. Wir wissen: tegration mitdenken. Es ist notwendig, im Ausland un- Das muss geordnet werden in Deutschland. Wir haben sere Anstrengungen zu verstärken, dass mehr Menschen humanitäres Asylrecht in diesem Land; das hat Verfas- die deutsche Sprache mithilfe von Goethe-Instituten, mit sungsrang. Fachkräfteintegration ist im Wesentlichen (B) Institutionen, die dafür notwendig sind, lernen können, keine Frage der Humanität, sondern der wirtschaftlichen (D) damit wir die Potenziale nutzen können. Bedürfnisse unseres Landes. Das muss klar sortiert sein. Aber, meine Damen und Herren, das schaffen wir heute. Aber weil viele Qualifizierte uns nicht automatisch In vielen technischen Berufen, in vielen Bereichen der die Bude einrennen werden, ist es richtig, dass wir eine sozialen Dienstleistungen, beispielsweise in den Pfle- gemeinsame Anwerbestrategie mit der deutschen Wirt- geberufen, im Bereich des Handwerks haben wir heute schaft organisieren und der Wirtschaft die Chance geben, schon ganz großen Fachkräftemangel. Deshalb, meine das Ganze unbürokratisch hinzubekommen. Die Unter- Damen und Herren, ist es eine Frage der Zukunftsfähig- nehmen haben ganz praktische Probleme: Visumsertei- keit, des Wohlstands und der Arbeitsplatzsicherung in lung, die Frage der Anerkennung von beruflichen Quali- diesem Land, dass wir die Dinge sortieren. fikationen. Dafür haben wir in diesem Gesetz richtig gute Regelungen geschaffen. Meine Damen und Herren, heute Ich kann nur sagen: Wir haben heute gute Gesetze ist ein guter Tag, indem wir im Rahmen einer Fachkräfte- vorgelegt. Das deutsche Handwerk gibt uns noch eines strategie Regelungen für eine ergänzende Fachkräfteein- mit auf den Weg: Sie erwarten, dass wir die Gesetzent- wanderung ermöglichen. würfe zügig beraten und verabschieden. Es ist höchste Lassen Sie mich noch einen Satz zum Thema Beschäf- Zeit, aber wir kriegen jetzt endlich, nach über 30 Jahren tigungsduldung sagen. Es macht doch keinen Sinn, mei- Debatte in diesem Land, ein modernes Einwanderungs- ne Damen und Herren, auf der einen Seite mühsam Fach- gesetz. Das hilft unserer Gesellschaft, das hilft unserer kräfte aus dem Ausland zu holen, und andererseits die Wirtschaft. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung im parla- Fachkräfte, die wir schon bei uns haben, abzuschieben. mentarischen Verfahren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herzlichen Dank. der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen eine pragmati- der CDU/CSU) sche Lösung.

Nächste Woche beraten wir das Geordnete-Rück- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: kehr-Gesetz. Ja, es ist richtig, dass Menschen zurückge- führt werden müssen, die kein Recht haben, in diesem Nächste Rednerin ist die Kollegin Linda Teuteberg, Land zu sein. FDP. ( [CDU/CSU]: So ist das!) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11717

(A) Linda Teuteberg (FDP): Für einen echten Fortschritt, gerade auch für mehr (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Fachkräfteeinwanderung, braucht es aber mehr. Es Kollegen! Herr Bundesminister Heil, in einem sind wir braucht einen konsequenten, neuen Ansatz für ein umfas- uns einig: Es ist höchste Zeit! Nach 2015 wäre es aller- sendes Einwanderungsgesetzbuch. Unser Konzept haben dings vor allem höchste Zeit gewesen für einen großen wir Ihnen heute noch einmal vorgelegt. Denn wir wollen Wurf, um das unübersichtliche, inkonsistente und oft und wir müssen die Dinge im Gesamtzusammenhang lö- einfach nicht mehr handhabbare Aufenthaltsrecht neu sen. Mit klaren Regeln, welche Menschen nach Deutsch- zu ordnen. Und endlich sowohl mehr geordnete, legale land kommen sollen und dürfen. Für Fachkräfte. Für po- Migration zu ermöglichen als auch illegale Migration litisch Verfolgte. Für Kriegsflüchtlinge. Und eindeutigen wirksam zu bekämpfen. und konsequenten Bestimmungen, um die Ausreise von Menschen durchzusetzen, die kein Recht haben, sich in (Beifall bei der FDP) unserem Land aufzuhalten. Stattdessen hat sich die Große Koalition jetzt für den (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Weg des vermeintlich geringsten Widerstandes entschie- Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]) den. Statt einer großen, grundlegenden Reform versu- chen Sie mit zahllosen größeren und kleineren Eingrif- Nur eine solche, eine umfassende Reform wird den fen, Fehler und Probleme in den Griff zu bekommen. großen praktischen Problemen, vor denen wir stehen, Das ist ungefähr so aussichtsreich wie die Reparatur des gerecht. Und gleichzeitig können wir durch die zu einer Brandschutzsystems am BER. überzeugenden Gesamtlösung dazugehörende Debatte endlich einen neuen, großen Migrationskonsens schaf- (Beifall bei der FDP) fen, Vertrauen zurückgewinnen. Und die Akzeptanz für das Asylrecht und für legale Einwanderung stärken. Für Aber vor allem kommen Sie auf diesem Weg auch poli- diesen grundlegend neuen Ansatz werden wir in den tisch nicht weiter. Jeder Eingriff, jede noch so kleine Ver- kommenden Beratungen weiter werben. Ich freue mich änderung führt zu endlosen Debatten und Auseinander- auf ebenso kontroverse wie konstruktive Gespräche. setzungen und im Ergebnis zum kleinsten gemeinsamen Nenner. Und zu Lösungen, die noch mehr Unübersicht- Vielen Dank. lichkeit und Komplexität in dieses System bringen. Das (Beifall bei der FDP) alles zeigt sich leider auch an dem Fachkräfteeinwande- rungsgesetz, das uns die Bundesregierung hier vorlegt. Das ist zaghaft, das ist uninspiriert, das ist kein großer Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Fortschritt. Susanne Ferschl, Die Linke, ist die nächste Rednerin. (B) (D) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nach der Einschätzung der Bundesregierung selbst Susanne Ferschl (DIE LINKE): werden mit diesem Gesetz höchstens 25 000 zusätzliche Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- Fachkräfte pro Jahr nach Deutschland kommen. Wenn nen und Kollegen! Die Herren Minister! Wir brauchen man berücksichtigt, dass jedes Jahr Tausende Fachkräfte eine solidarische Zuwanderungspolitik. Konkurrenz und das Land wieder verlassen, sind es im Saldo höchstens Unterbietung am Arbeitsmarkt brauchen wir nicht. 15 000 bis 18 000 Fachkräfte mehr. Angesichts eines Fachkräftebedarfs, der in den nächsten Jahren in die Mil- (Beifall bei der LINKEN) lionen geht, ist das viel zu wenig. Es ist richtig, den Arbeitsmarkt für Menschen außerhalb (Beifall bei der FDP) der EU zu öffnen; aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Im Übrigen gab es Arbeitsmigration schon im- Statt des Klein-Kleins der Großen Koalition brauchen mer . Als Gewerkschafterin weiß ich, dass aus sogenann- wir eine grundsätzliche Modernisierung für mehr lega- ten Gastarbeitern Kolleginnen und Kollegen geworden le Arbeitsmigration. Mit einem Punktesystem nach dem sind und man gemeinsam für gute Arbeits- und Lebens- Vorbild erfolgreicher Einwanderungsländer. Mit einer bedingungen gekämpft hat. stärkeren Betonung von beruflicher Erfahrung. Mit zen- (Beifall bei der LINKEN) tralen und zügigen Anerkennungsverfahren, damit die berufliche Qualifikation schnell und nach gleichen Krite- Dieser Gesetzentwurf ist aber keine gute Grundlage. rien überprüft wird. Mit der Möglichkeit zum Spurwech- Er basiert auf einer völlig undifferenzierten Analyse des sel für gut integrierte Geduldete. Und mit modernen An- Arbeitsmarktes. Die Bundesregierung spricht von 1 Mil- geboten für Information, Beratung und Vermittlung von lion offenen Stellen, verschweigt aber, dass es dreimal so Menschen, die sich vorstellen können, nach Deutschland viele Arbeitslose gibt. Gebetsmühlenartig wird ein Fach- zu kommen. kräftemangel beklagt, den es in dieser Form gar nicht gibt. (Beifall bei der FDP) (Lachen des Abg. Dr. [FDP]) Hier werden wir uns weiterhin mit Vorschlägen in die Beratungen einbringen, um zu retten, was zu retten ist, Von 144 Berufsgruppen gibt es lediglich in sieben einen bei diesem mutlosen Gesetzentwurf. tatsächlichen Mangel. Es hakt doch an der Qualität der 11718 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Susanne Ferschl (A) Arbeit. Miese Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) sind eben auf Dauer nicht attraktiv. NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der LINKEN) Herr Seehofer! Herr Heil! Herr Seehofer, Sie hatten sich Wen wundert es denn, dass im Hotel- und Gaststättenge- ja eigentlich vorgenommen, über Migration lieber gar werbe Stellen unbesetzt bleiben, wenn Arbeitgeber hier nicht zu reden. Einwanderung – das ist Migration – ist ja weder den Mindestlohn noch nach Tarif bezahlen und in Ihrem Duktus „die Mutter aller Probleme“. In Wahr- die Arbeitszeiten immer weiter ausweiten wollen? Seit heit ist Einwanderung die Mutter vieler Lösungen, insbe- Jahren gehen die Maßnahmen der Bundesagentur für sondere beim Fachkräftemangel. Ich finde, das müssen Arbeit zur beruflichen Weiterbildung zurück und eben- Sie endlich akzeptieren, statt weiter rumzuschwurbeln, so die Ausbildungszahlen in den großen Betrieben. Viele einzuschränken und zurückzugehen. Arbeitgeber stellen Jugendliche lieber als ausbildungs- (Lachen des Abg. Martin Erwin Renner unfähig hin, anstatt Zeit und Geld in die Ausbildung zu [AfD]) investieren. Die Bundesregierung bedient ausschließlich wirtschaftliche Interessen, anstatt sich um gute Arbeit für Sie haben auch heute wieder mehr über Ordnung und alle zu kümmern. Begrenzung geredet als darüber, dass wir tatsächlich Einwanderung brauchen in diesem Land, und zwar von (Beifall bei der LINKEN) Fachkräften. Das Problem ist nicht die Einwanderung. Das Problem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ist der deregulierte Arbeitsmarkt, und der bleibt Status Thomas Ehrhorn [AfD]: Wir bekommen Men- quo. schen geschenkt!) Sie haben sich ja nicht mal getraut, das Gesetz so zu (Beifall bei der LINKEN) nennen. Sie nennen es Fachkräfte– – und dann weiß man schon nicht mehr genau, wie man sagen soll. Es ist ein Besonders erpressbar sind doch Fachkräfte aus Dritt- Einwanderungsgesetz. Wir sind ein Einwanderungsland. staaten, da ein Arbeitgeberwechsel oder Arbeitslosig- keit mit dem drohenden Verlust der Bleibeperspektive (Jürgen Braun [AfD]: Einwanderung von ge- einhergehen. Letztlich bedeutet der Gesetzentwurf: Wer schenkten Menschen! Wir bekommen Men- aufmuckt, fliegt raus. Er verliert also nicht nur den Job, schen geschenkt!) sondern auch das Aufenthaltsrecht. Das ist doch wirklich abartig, meine Damen und Herren. Und dieses Einwanderungsland braucht ein modernes (B) Einwanderungsgesetz. (D) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie sollen Beschäftigte denn dann noch für ihre Rechte Die Bundesregierung ist gerade sehr kreativ bei der kämpfen können? Geflüchtete, die jetzt schon einen Aus- Namensgebung von Gesetzen. Für das, was Sie uns hier bildungs- oder Arbeitsplatz haben, bekommen weiterhin heute vorlegen, habe ich einen Vorschlag. Ich sage: Das kein echtes und verbindliches Bleiberecht. Die Liste der ist eher ein Fachkräfteeinwanderungsverhinderungsge- Einschränkungen ist länger als meine komplette Rede- setz. Es reicht nicht mehr, es zu unterlassen, Einwande- zeit. Das ist zynisch. rung aktiv zu verhindern. Wir müssen sie jetzt fördern. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass klar ist: Wir sind ein (Beifall bei der LINKEN) guter Standort. Wir schaffen gute Bedingungen, übrigens auch für die Familien; denn Menschen, die als Fachkräfte Genauso zynisch ist, wie jetzt geplant, Arbeitsmigration hierherkommen, haben Familie, sie müssen abgesichert mit einem Abschiebegesetz zu verbinden. Das ist mit uns werden, und sie müssen auch eine Chance haben. Des- nicht zu machen. wegen: Geben Sie sich endlich einen Ruck bei der Bera- (Beifall bei der LINKEN) tung des Gesetzes, und sorgen Sie endlich dafür, dass es Einwanderung gibt, dass wir die besten Kräfte bekom- Um den Arbeitsmarkt zu verbessern, muss man ihn re- men für die vielen Bereiche, in denen wir sie tatsächlich gulieren und die Tarifbindung erhöhen. Die Linke jeden- brauchen. falls steht für eine offene, solidarische Zuwanderungspo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) litik und für gute Arbeit für alle Menschen. Wir als Grüne haben etwas vorgelegt, die FDP hat Vielen Dank. etwas vorgelegt, die SPD hat etwas vorgelegt. Was wir jetzt haben, ist wieder mal nichts anderes als ein kleinster (Beifall bei der LINKEN) gemeinsamer Nenner. Und die Unternehmen sind ja nicht mehr leise, sondern laut und sagen: Wir sind auf Einwan- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: derung angewiesen. Es geht um die Besetzung von Aus- bildungsstellen, es geht um qualifizierte Fachkräfte, es Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende von geht um aktuell 1 Million unbesetzte Stellen. Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt. Liebe Frau Ferschl, ich glaube, dass wir uns sicher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einig sind, wenn es darum geht, dass man Arbeitsbedin- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11719

Katrin Göring-Eckardt (A) gungen verbessern muss. Aber zu der Behauptung, das Auch bei der Berufsausbildung ist es so: Sie öffnen (C) würde dann schon reichen, wir brauchten keine Einwan- die Tür einen ganz kleinen Spalt. Man kommt da aber derung, am Ende einfach nicht durch, weil die Voraussetzungen immer mehr statt weniger werden. (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Hat sie nicht gesagt! Zuhören!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sage ich Nein. Das wird nicht reichen, weder angesichts Frau Kollegin Göring-Eckardt, gestatten Sie eine Zwi- des Fachkräftemangels noch angesichts der demografi- schenfrage vom Kollegen Hebner, AfD? schen Entwicklung. Beides gehört für mich zusammen: gute Arbeitsbedingungen und Einwanderung. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN): Ich nenne ein paar Beispiele: energetische Sanierung Nein, ich glaube, das macht wenig Sinn für uns alle. von Häusern. Darüber reden alle, das wollen alle. Es fehlen jedoch aktuell 100 000 Handwerker. In diesem Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bereich gibt es besonders viele offene Stellen. 20 Pro- Die Antwort lautet: „Nein“? zent der offenen Stellen entfallen auf den Industriesektor, 17 Prozent auf den Handel, 10 Prozent auf das Gesund- (Jürgen Braun [AfD]: Sie können auch ein- heitswesen und hier vor allem auf die Pflege. Es bringt fach Nein sagen!) auch nichts, dass wir hier immer wieder beschwören: Wir brauchen mehr Pflegekräfte. Es bringt nichts, dass wir Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- immer wieder beschwören, wo wir überall Veränderun- NEN): gen, Innovationen und Investitionen brauchen, wenn am Schluss die Leute fehlen, die es umsetzen können. Es ist ein klares Nein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie können ganz normal Nein sagen!) Herr Seehofer, Sie haben das in einem Nebensatz ge- sagt, aber eigentlich müsste darauf eine große Offensive Außerdem lassen Sie eine ganze Reihe von Schwie- folgen: Der Fachkräftemangel gefährdet den Wohlstand rigkeiten unangetastet, und das heißt: Es bleibt unattrak- in Deutschland, unsere gute Entwicklung. – Wenn man tiv . Zum Thema Qualifikation: Wir wissen, wie das bei das erkannt hat, dann muss man doch aktiv werden und Fachkräften innerhalb der Europäischen Union ist. Wir handeln. Es muss doch allen klar sein: Dieses Deutsch- wissen, welche Schwierigkeiten wir da haben. Auch da (B) land wirbt in der ganzen Welt um die besten Kräfte. Die- werden mehr Hürden aufgebaut und belassen, als dass (D) ses Deutschland sorgt dafür, dass die Fachkräfte hierher- sie abgebaut werden. Hier ist auch über den Spurwechsel kommen wollen, und es macht nichts Verschwurbeltes, gesprochen worden. Frau Teuteberg und Herr Heil haben das am Ende immer noch so wirkt, als wollten wir es darauf hingewiesen. eigentlich nicht, sondern seien nur getrieben. Das ist der Sie sagen: „Wir haben eine Arbeitsduldung“. Wenn falsche Weg, meine Damen und Herren. aber jemand, der hier gut integriert ist, der Deutsch spre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chen kann, der in ein Team eingearbeitet ist und für den sich Unternehmen angestrengt haben – über hundert Die Beispiele sind vielfältig, wir kennen sie alle. Unternehmen, darunter Vaude, Trigema und Edeka, ha- Unternehmensnachfolge: Googeln Sie mal „Kasseler ben sich der Unternehmerinitiative „Bleiberecht durch Traditionsbäckerei kämpft ums Überleben“, „Berliner Arbeit“ angeschlossen –, nur für zwölf Monate bleiben Bäckerin, 82, findet keinen Nachfolger“. In so einer Si- kann, dann hat er eben keine Planungssicherheit. Diese tuation muss die Botschaft doch klar sein: Wir strengen aber wird endlich benötigt. uns wirklich an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir Grünen haben einen Vorschlag gemacht: eine Ta- sowie des Abg. [SPD]) lentkarte, mit der man sich in Deutschland ein Jahr lang nach Arbeit umsehen kann. Den Lebensunterhalt dürfte Deswegen: Spurwechsel muss Spurwechsel heißen. Wir man in dieser Zeit übrigens auch mit geringqualifizierter brauchen nicht schon wieder eine Zwischenlösung. Tätigkeit bestreiten. Wie sieht Ihre Regelung aus? Man Noch einmal, meine Damen und Herren: Deutschland darf für ein halbes Jahr kommen, aber man hat Arbeits- ist ein Einwanderungsland. Deutschland braucht ein mo- verbot in diesem halben Jahr. Wer bitte schön soll das dernes Einwanderungsgesetz, das so heißt. Diese Geset- denn machen? Wer bitte schön soll so viel Geld mitbrin- ze sind es nicht. gen können, dass er oder sie sich dann hier einen Fach- kräftejob suchen kann? Wer bitte schön soll denn, wenn Vielen Dank. er beispielsweise im Thüringer Wald in einem Kranken- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haus arbeiten will, schon von zu Hause das Geld mitbrin- gen können, um hier ein halbes Jahr zu überleben? Das ist impraktikabel. Das geht nicht; das ist das Gegenteil Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dessen, was wir brauchen, meine Damen und Herren. Thorsten Frei, CDU/CSU, ist der nächste Redner. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) 11720 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Thorsten Frei (CDU/CSU): auch für diejenigen öffnen, die mit einer qualifizierten (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Berufsausbildung zu uns kommen. Bundesminister Seehofer ist umfassend auf das Fach- (Beifall des Abg. Hermann Gröhe [CDU/ kräfteeinwanderungsgesetz eingegangen, das wir heu- CSU]) te in erster Lesung beraten. Es ist mitnichten so, liebe Frau Teuteberg, dass wir hier Stückwerk vorlegen. Wir Da wird dann auch die Begrenzung auf die Engpassbe- gehen dieses Thema in seiner Gesamtheit mit einer gan- rufe wegfallen. Diejenigen, die mit einer qualifizierten zen Reihe von Gesetzentwürfen an, und zwar mit zwei Berufsausbildung zu uns kommen, werden in allen Be- Gesetzentwürfen, die wir heute in erster Lesung beraten, reichen, wo es qualifizierte Tätigkeiten gibt, arbeiten und mit dem Entwurf zum Zweiten Gesetz zur besseren können. Das ist ein Riesenfortschritt. Durchsetzung der Ausreisepflicht, der in der nächste Wo- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) che beraten werden soll. Für uns sind das zwei Seiten einer Medaille. Das ist in der Tat eine in sich konsisten- Ich will einen zweiten Punkt nennen: Es geht nicht nur te Einwanderungspolitik. Deshalb glaube ich: Wir legen um Gesetze, sondern auch um administrative Abläufe. hier etwas Gutes vor, was den Herausforderungen, denen Wir werden in manchen Bereichen besser werden müs- wir uns gegenübersehen, tatsächlich gerecht wird. sen, beispielsweise wenn es um raschere Verfahren für Berufsanerkennungen oder um zügigere Visaerteilungen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) in unseren Auslandsvertretungen geht. Es geht auch um zentrale Anlaufstellen. Nur dann wird dieses Gesetz am Die wirtschaftliche Prosperität einerseits und der Ende erfolgreich sein. Nur dann werden wir unser Ziel demografische Wandel unserer Gesellschaft anderer- tatsächlich erreichen können. seits zwingen uns zum Handeln. Das, was die Bundes- regierung dem Bundestag als Entwurf vorgelegt hat, ist ( [SPD]: Ja!) die richtige Antwort. Das sage ich insbesondere an die Ich will einen dritten Aspekt ansprechen, der in der Adresse der Grünen und der FDP, die mit Chancenkarten bisherigen Debatte schon eine Rolle gespielt hat. Für uns oder ähnlichen Modellen hauptsächlich ihr Punktesystem ist ganz entscheidend, dass eine Zuwanderungsstrategie durchsetzen möchten. in Bezug auf Arbeitskräfte immer auch mit einem Kon- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) zept zur Hebung der inländischen Arbeitskräftepotenzia- le einhergeht. Das bedeutet, dass wir eben auch diejeni- Dazu möchte ich Ihnen zwei Dinge sagen: Sie geben gen in den Blick nehmen müssen, die mit einer geringen vor, das Zuwanderungsrecht für Fachkräfte mit dem oder ohne Qualifikation in Deutschland nicht über einen Arbeitsplatz verfügen. Denen wollen wir keinen zusätzli- (B) Punktesystem einfacher machen zu können. Das ist ein (D) absoluter Trugschluss; das ist schlicht falsch, weil Sie chen Druck auf dem Arbeitsmarkt machen. Minister Heil ignorieren, dass es bereits heute 100 dicht bedruckte Sei- ist darauf eingegangen. ten europäischer Gesetzestexte für Arbeitsmigration aus Ein weiterer Aspekt, den man nicht aus den Augen ver- Drittstaaten gibt. Das, was Sie vorschlagen, löst nicht lieren darf, ist: Wir haben in Deutschland über 450 000 dieses alte Recht ab, sondern tritt daneben. Das heißt, es anerkannte Asylbewerber, die arbeitsuchend sind. Das ist ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Es auch ein Potenzial, das man zunächst einmal heben muss, ist schlicht ein Bürokratiemonster. Wir lehnen das ab. bevor man in andere Richtungen weiterdenkt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Darüber hinaus ist für uns vollkommen klar: Arbeits- migration setzt das Vorhandensein eines Arbeitsplatzes Ich möchte zum Schluss eines sagen: Wir legen hier voraus. Das zieht sich bei uns wie ein roter Faden durch ein Konzept vor, das eben nicht nur betriebswirtschaft- diesen Gesetzentwurf, und dort, wo wir davon abwei- lich, sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Das chen, beispielsweise wenn es um die Suche nach einem muss unser Ansatz sein. Das wird uns in den Beratungen Arbeits- oder Ausbildungsplatz geht, setzen wir hohe leiten. Voraussetzungen, damit tatsächlich qualifizierte Perso- Herzlichen Dank. nen zu uns kommen. Das ist der Unterschied zu Ihrem Konzept. So etwas wie eine Potenzialzuwanderung wird (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- es mit CDU und CSU nicht geben. Wir wollen keine ordneten der SPD) Migration ins Arbeitsamt. Wir wollen eine Migration in den konkreten Arbeitsplatz. Das ist der Punkt, um den es Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: uns geht. Nächster Redner ist der Kollege Martin Sichert, AfD. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Harald Weinberg [DIE Lassen Sie mich drei wesentliche Erwägungen nennen, LINKE]: Der nächste Hetzer!) von denen wir uns bei diesem Gesetzentwurf haben leiten lassen. Zum einen haben wir schon heute – Experten be- Martin Sichert (AfD): stätigen das auch – einen wirklich offenen Rechtsrahmen Wertes Präsidium! Meine Damen und Herren! Sie für die Arbeitsmigration von akademischen Fachkräften. alle hier sind sich einig darin, dass jene, die uns anlügen Es ist absolut richtig, dass wir diesen Rechtsrahmen jetzt und nur so tun, als wären sie verfolgt, dauerhaft bleiben Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11721

Martin Sichert (A) können. Die einzige Bedingung, die Sie stellen, ist, dass Nigeria oder Äthiopien ersetzen. In der Folge rutschen (C) jene eine Ausbildung auf unsere Kosten machen. Es geht viele weitere Deutsche in Armut ab und sind auf Sozial- beim Spurwechsel und bei der Duldung bei Ausbildung leistungen angewiesen. Dabei sind die Probleme, die wir und Beschäftigung nur um Wege, wie man abgelehnte im Land haben, eigentlich schon groß genug. 5 Millio- Asylbewerber, die nicht verfolgt und keine Flüchtlinge nen Rentner in Deutschland haben weniger als 500 Euro sind, dauerhaft im Land behalten kann. Rente und 11 Millionen weniger als 1 000 Euro Rente im Monat. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Blödsinn!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie Die FDP setzt dem Ganzen die Krone auf, indem sie viel haben die an Gesamteinkommen? Haben auch noch fordert, dass nach fünf Jahren die deutsche Sie mal in den Alterssicherungsbericht ge- Staatsbürgerschaft vergeben werden soll. Sie verram- guckt? Schauen Sie da mal rein!) schen so nicht nur die deutsche Staatsbürgerschaft, Sie fördern auch noch die Islamisierung im Land. Um diese Dinge müssten wir uns kümmern, anstatt stän- dig neue Armutszuwanderer ins Land zu locken. (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Meine Damen und Herren, ich bin stolz, Deutscher zu sein, aber ich schäme mich heute, Abgeordneter eines Laut Koran darf ein Mann mehrere Frauen haben, er Parlaments zu sein, in dem die große Mehrheit sich darin muss diese nur finanziell versorgen können. Jeder Mus- einig ist, die Verelendung dieses Landes voranzutreiben. lim, der von einer Vielehe träumt, sie sich aber einfach nicht leisten kann, (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hält Sie (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hier keiner! Machen Sie doch was ande- NEN]: Sie mit Ihrem Hass auf Menschen! res! Absolute Hetzerei gegen Menschen! – Abartig!) Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Legen braucht nur nach Deutschland zu kommen und kann dann Sie doch Ihr Mandat nieder!) seinen Traum im deutschen Sozialsystem verwirklichen. Ihr Spurwechsel bringt neben völlig falschem Anreiz nur Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Armut und Elend, weil das Geld, das Sie für das Durch- Dr. Eva Högl, SPD, ist die nächste Rederin. füttern von abgelehnten Asylbewerbern verwenden, ein- fach bei der Rente und bei den Sozialleistungen fehlt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald (B) [DIE LINKE]: Das ist ja nun richtig falsch! Dr. Eva Högl (SPD): (D) Gelogen! Das hat mit der Realität nichts zu Einen schönen guten Morgen! Sehr geehrter Herr Prä- tun!) sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutie- ren heute im Deutschen Bundestag zum ersten Mal über Die echten Fachkräfte vertreiben Sie doch aus ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Ich glaube, wir alle Deutschland, weil sie mit immer höheren Steuern und streichen uns diesen Tag dick im Kalender an. Für die Abgaben belastet werden, um diesen Wahnsinn zu finan- SPD-Fraktion darf ich sagen: Wir warten schon lange da- zieren. Obendrein legen Sie auch noch die Axt an das rauf. Insofern ist heute ein guter Tag. Grundgesetz; denn dort steht in Artikel 16a: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Sie aber wollen jeder- (Beifall bei der SPD) mann dauerhaftes Bleiberecht geben. Sie setzen damit Endlich bekommt Deutschland ein Fachkräfteeinwan- die wirklich politisch Verfolgten hierzulande wieder den derungsgesetz. Das ist ein Herzensanliegen der SPD. Wir Verfolgern aus ihren Heimatländern aus. engagieren uns dafür seit mehr als 20 Jahren. Liebe Kol- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Das leginnen und Kollegen, wir sagen hier und heute ganz glauben Sie selbst nicht, was Sie da sagen!) klar: Deutschland ist ein Einwanderungsland, und darauf können wir stolz sein. Und als wäre das alles noch nicht genug, setzt die Bundesregierung noch einmal einen obendrauf. Sie will (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Vorrangprüfung abschaffen und bietet damit jeden der LINKEN) Arbeitsplatz in Deutschland jedem Niedriglöhner aus Es ist eine gute Nachricht, dass wir nach den USA welt- Afrika oder Asien an. Herr Seehofer, es ist wirklich un- weit Einwanderungsland Nummer zwei sind und dass verschämt, wenn Sie hier sagen, dass zuerst Arbeitskräfte Menschen gerne zu uns kommen, um hier zu leben und aus Deutschland und Europa zum Zuge kommen sollen. zu arbeiten oder um Schutz und Sicherheit zu bekommen. Ihr Gesetzentwurf bewirkt genau das Gegenteil. Wir haben 1998 ganz grundlegend das Staatsangehö- (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann rigkeitsrecht reformiert, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir jetzt genug diffamiert?) (Jürgen Braun [AfD]: Das war ein Fehler!) Es wird zu einem massiven Lohndumping bei allen Jobs und wir haben 2005 das Zuwanderungsrecht moderni- für Geringqualifizierte in Deutschland kommen; denn siert. Jetzt wollen wir mit dem Einwanderungsgesetz den die Deutschen, die sich weigern, beim Lohndumping nächsten großen Schritt machen. Wir mussten in der Ko- mitzumachen, kann man dann durch irgendjemanden aus alition – das ist bekannt – lange dafür werben und viele 11722 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Eva Högl (A) Jahre Überzeugungsarbeit leisten. Es war ein erster wich- Dr. Eva Högl (SPD): (C) tiger Erfolg, dass wir das im Koalitionsvertrag vereinbart Herr Präsident? haben und dass das Kabinett das im Dezember beschlos- sen hat. Jetzt geht es endlich los, und jetzt wollen wir auch zügig beraten. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: – ein Kollege von der AfD möchte eine Zwischenfra- Wir haben einen riesigen Fachkräftebedarf – das ist ge stellen. heute schon erwähnt worden; ich will es noch mal her- vorheben –: in der Pflege, im Handwerk, auch in Tech- (SPD): nologiebereichen, in der Medizin, in der Bildung, im Dr. Eva Högl Ingenieurbereich. 1,6 Millionen Stellen sind in Deutsch- Nein, möchte ich nicht, vielen Dank. land unbesetzt. Viele Unternehmen suchen händeringend Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch eine letzte Auszubildende. Wir wissen das alle aus unseren Wahl- Bemerkung. Es wird sehr darauf ankommen, wie dieses kreisen. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Gesetz in der Praxis umgesetzt wird. Denn wir können brauchen wir Fachkräfte aus Drittstaaten. hier noch so gute Gesetzgebung machen: Am Ende ist es (Beifall bei der SPD) wichtig, dass die Behörden vor Ort die Anerkennung der Ausbildung, der Qualifikation sehr schnell auf den Weg Wir brauchen Zuwanderung, wir brauchen Einwande- bringen, dass die Ausländerbehörden zügig entscheiden. rung, um unsere Wirtschaft zu stärken und unseren Wohl- Das Ergebnis unserer guten gesetzlichen Grundlage muss stand langfristig zu sichern. Mit dem Fachkräfteeinwan- in der Praxis sein, dass Menschen zu uns kommen und derungsgesetz senden wir zwei wichtige Botschaften. wertvolle Arbeit in den Betrieben leisten können. Die eine ist Steuerung und Ordnung. Wir definieren ganz klar, wen wir einladen, zu uns zu kommen. Das ist ein Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und hoffe, ganz wichtiger Baustein in unserem Migrationsrecht. Die dass wir dieses wichtige Gesetz noch vor der Sommer- zweite Botschaft ist – das sage ich für die SPD-Fraktion pause verabschieden können, damit es sehr bald in Kraft ganz deutlich –: Wir brauchen mehr Einwanderung, liebe tritt. Kolleginnen und Kollegen. Das ist kein Einwanderungs- Vielen herzlichen Dank. verhinderungsgesetz, sondern ein Gesetz, das dazu füh- ren soll, dass Menschen zu uns ins Land kommen. (Beifall bei der SPD) Das sind zwei wichtige Neuerungen, die wir verein- bart haben, und ich hoffe, dass sie sich am Ende auch so Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (B) durchsetzen und wir sie hier gemeinsam verabschieden. Stephan Thomae, FDP, ist der nächste Redner. (D) Wir öffnen die Einwanderungsmöglichkeiten für Men- (Beifall bei der FDP) schen mit einer qualifizierten Berufsausbildung, und – auch das war für die SPD sehr wichtig – wir eröffnen die Möglichkeit, dass Menschen zunächst ins Land kommen, Stephan Thomae (FDP): um hier einen Arbeitsplatz zu suchen oder eine Ausbil- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! dung aufzunehmen, das heißt, wir geben Menschen auch Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Högl, es ist, eine Chance, hierherzukommen. mit Verlaub, die FDP gewesen, die vor einem Vierteljahr- hundert, in den 90er-Jahren, zum ersten Mal einen Ent- (Beifall bei der SPD – Filiz Polat [BÜND- wurf für ein Einwanderungsgesetz vorgelegt hat. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gar nicht neu!) (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Natürlich ist es für uns sehr wichtig, liebe Kolleginnen Damals war die SPD noch dagegen, weil Sie mutmaßten, und Kollegen, dass Asylrecht und Einwanderungsrecht damit werde dem Lohndumping Tür und Tor geöffnet. strikt getrennt bleiben. Die Union war damals dagegen, weil Sie sagten, damit werde einer ungeordneten Zuwanderung Tür und Tor ge- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Tun sie aber öffnet. Übrigens waren auch die Grünen, Frau Kollegin nicht!) Göring-Eckardt, damals noch dagegen, vermutlich weil Das soll so sein. Aber wir wissen ganz genau, dass viele Sie dachten: Das kommt von der FDP; das ist schon mal Menschen, die schon sehr lange in unserem Land leben, per se verdächtig. über das Asylrecht gekommen sind. Sie sind gut quali- So hat sich die Lebenslüge der alten Bundesrepublik, fiziert. Sie machen eine Ausbildung. Sie haben unsere dass wir kein Einwanderungsland seien, noch ein weite- Sprache gelernt. Deswegen wollen wir diese Menschen res Vierteljahrhundert fortgeschleppt, bis zum heutigen nicht zurückführen, sondern ihnen hier in Deutschland Tage, wo wir endlich – da stimme ich Ihnen zu, Frau Kol- eine Chance geben. Auch das ist ein wichtiger Bestand- legin Högl – ein solches Gesetz hier im Deutschen Bun- teil dieses Gesetzes. destag diskutieren und debattieren können. Gleichwohl: (Beifall bei der SPD) Die alten Bedenken, die alten Vorbehalte zeichnen sich auch in diesem Gesetzentwurf ab. Hier sind, Herr Mi- nister, deutlich die Spuren der alten Vorbehalte vor allem Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ihrer Partei zu erkennen. Ihr Entwurf ist übervorsichtig, Frau Högl, – zurückhaltend, zaghaft, mutlos, protektionistisch. Was es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11723

Stephan Thomae (A) bräuchte, wäre ein mutiger, ein moderner Entwurf. Wir großen Schritt in Richtung legaler und moderner Ein- (C) waren damals, vor 25 Jahren, schon moderner, als Sie es wanderungspolitik gemacht hat. heute sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Carsten (Beifall bei der FDP) Schneider [Erfurt] [SPD]: Richtig!) Ihr Entwurf ist so konservativ wie möglich und so pro- Aber nicht mal das klappt. Nicht mal eine Spur von Spur- gressiv wie nötig. Dabei bräuchten wir heute, bei heute wechsel kriegen Sie hin. schon 1,2 Millionen fehlenden Arbeitskräften, einen mu- (Andrea Nahles [SPD]: Ach! Quatsch!) tigen Schritt nach vorne, weil wir jetzt schon wissen, dass wir in etwa zehn Jahren fast 4 Millionen Arbeitskräfte Mit Ihrem Gesetzentwurf wird es für die Betroffenen hier im Lande benötigen und Arbeitsplätze haben, die wir weiterhin schwer, die Voraussetzungen für eine Einwan- nicht besetzen können. Um diesem Problem zu begeg- derung nach Deutschland zu erfüllen; denn die Hürden nen, Herr Kollege Frei, wäre ein Punktesystem durchaus sind weiterhin viel zu hoch, das Richtige. Sie haben das kritisiert, weil Sie sagten, das (Beifall bei der LINKEN) sei dann Einwanderung zum Arbeitsamt statt Einwande- rung in den Arbeitsmarkt. Angesichts der zu erwartenden wie zum Beispiel die Diskussion um die Anerkennung Zahl von fast 4 Millionen fehlenden Arbeitskräften in von ausländischen Qualifikationen zeigt. zehn Jahren kann man doch nicht davon sprechen, dass Ihr Gesetzentwurf für die Asylsuchenden und dieje- eine Zuwanderung zum Arbeitsamt erfolgen würde. nigen mit Duldung, den Sie auf Druck von rechts vom Fachkräfteeinwanderungsgesetz getrennt eingebracht Was wir brauchen, ist ein logisches, konsequentes haben, greift viel zu kurz. Selbst wenn die Betroffenen Zwei-Säulen-System. Wir brauchen eine Zuwande- einen Arbeitsvertrag vorlegen oder schon eineinhalb Jah- rung mit Arbeitsvertrag nach dem System der heuti- re gearbeitet haben, bekommen sie nur eine Duldung, gen Bluecard. Wer also einen Arbeitsvertrag mitbringt, also keinen sicheren Aufenthaltstitel und keine sichere kann zuwandern, kann hier arbeiten. Aber das müssten Perspektive. Hier werden anstelle von Vereinfachungen wir vereinfachen. Wir müssten gerade für junge Leute, von Verfahren weitere Unsicherheiten geschaffen. Diese die weniger verdienen und noch mehr Zeit haben, um Duldungsmaschinerie im Aufenthaltsrecht muss endlich Altersvorsorge aufzubauen, die Gehaltsgrenze senken. beendet werden. Aber was wir eben auch brauchen, Herr Kollege Frei, ist eine Chancenkarte – die Grünen nennen es eine Talent- (Beifall bei der LINKEN) karte –, also die Möglichkeit, wenn jemand eine Qua- Durch Ihre Gesetzentwürfe zieht sich ein Grundgedan- (B) lifikation, eine Ausbildung mitbringt, diese Ausbildung, (D) diese Qualifikation auch in unserem Arbeitsmarkt an- ke: Die Möglichkeit der Einwanderung soll immer nur an zubieten und hier damit auf Jobsuche zu gehen. Erfolg- die wirtschaftliche Nützlichkeit der Menschen geknüpft reiche Einwanderungsländer haben ein solches System, werden. Da sagen wir als Linke: Das geht so nicht. haben ein Punktesystem mit klaren Kriterien. Das muss (Beifall bei der LINKEN) kein Bürokratiemonster sein, wie Sie es vermuten. Viel- mehr kommt es auf wenige klare Kriterien bzw. Regeln Ich frage mich, mit wem Sie überhaupt gesprochen an. Auch Berufserfahrung muss hier ins Gewicht fallen haben, um die Perspektive der Betroffenen in Ihren Ge- können. setzentwurf einzubringen. Sie hätten die Vertreterinnen und Vertreter fachkundiger Verbände, der Gewerkschaf- Der Vorschlag, den wir von der FDP vorlegen, basiert ten, der Wissenschaft und der Entwicklungsorganisatio- auf zwei Säulen: einer reformierten Bluecard und einer nen sowie die Interessen der Herkunftsländer und ‑regio- Chancenkarte, die es möglich macht, eine Qualifikation nen mit einbeziehen müssen. Deshalb fordern wir Linke mitzubringen und in unserem Arbeitsmarkt anzubieten. ein Gremium, welches diese Interessen und Akteure mit Genau das brauchen wir. einbindet und berücksichtigt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Die aktuelle Debatte und Gesetzgebung ist zu ein- (Beifall bei der FDP) seitig auf Fachkräfte aus Drittstaaten fokussiert. Der größte Teil – das hat der aktuelle Jahresbericht des SVR Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gezeigt – kommt aus den Mitgliedstaaten der EU. Da Gökay Akbulut, Die Linke, ist die nächste Rednerin. müssen wir etwas tun. Da müssen wir einen Unterstüt- zungsmechanismus für die Betroffenen schaffen, die sich (Beifall bei der LINKEN) in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen befinden. Für die Linke ist es ganz wichtig, dass die Einwan- Gökay Akbulut (DIE LINKE): derungspolitik die Interessen aller Menschen einbezieht. Das bedeutet, dass wir eine solidarische Ausgestaltung Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und brauchen. Diese muss sich an menschenrechtlichen, ent- Kollegen! Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und sei- wicklungspolitischen und humanitären Gesichtspunkten ne Genese zeigen: Das Thema ist eines der bewegends- orientieren. ten im derzeitigen politischen Diskurs. Die Bundesregie- rung, insbesondere die SPD, denkt, dass sie hier einen (Beifall bei der LINKEN) 11724 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Gökay Akbulut (A) Für die Linke ist es wichtig, dass man die beschäftigten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Deutschen und die Migrantinnen und Migranten nicht Herr Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage gegeneinander ausspielt und in eine Konkurrenzsituati- des Kollegen Ehrhorn? on bringt, die nur den Konzernen dient und die aufgrund dieses kapitalistischen Systems reproduziert wird. Statt- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): dessen setzen wir uns für eine rechtebasierte und soli- darische Einwanderungspolitik ein, bei der grundsätzlich Bitte schön. alle Menschen die Chance auf Einwanderung und gute Arbeitsbedingungen sowie echte Teilhabe in unserer Ge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sellschaft haben. Herr Kollege Ehrhorn, bitte sehr. Vielen Dank. Thomas Ehrhorn (AfD): (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank für die Erteilung des Wortes, sehr ver- ehrter Herr Kollege. – Nach allem, was ich heute in die- sem Hause gehört habe, muss ich die Frage stellen: Ist es Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nicht so, dass dies – und zwar getragen von allen Frakti- Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/ onen, die hier versammelt sind, bis auf die AfD – darauf CSU. hinausläuft, einfach den Migrationspakt in die Tat umzu- setzen, das heißt, aus illegaler Migration legale Migra- (Beifall bei der CDU/CSU) tion zu machen? Das ist es doch, was Sie hier zurzeit planen, was Sie umsetzen. Ich kann mich, ehrlich gesagt, Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): nur meinem Kollegen anschließen, der gesagt hat: Ich Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! schäme mich für dieses Parlament, das dem deutschen Made in Germany, das ist die Erfolgsmarke, die weltweit Volk zumutet, gefragt ist. Sie ist nur möglich mit guter Arbeit, auch mit (Zurufe von der SPD) gut bezahlter Arbeit, mit Fachkräften. Fachkräftestrate- gie und Fachkräftegesetz haben deswegen vor allem ein für diese unglaublichen Summen arbeiten zu müssen, Ziel: Wir wollen „made in Germany“ auch in Zukunft zu jeden Tag um 6 Uhr aufzustehen und abends um 8 Uhr einer weltweiten Erfolgsstory machen. nach Hause zu kommen, um dann 50 Prozent der Lohn- tüte vom deutschen Staat weggenommen zu bekommen, (Beifall bei der CDU/CSU) um all diese Menschen zu ernähren. Sie wissen doch (B) ganz genau, dass 70 Prozent oder mehr dieser Leute, die (D) Entgegen dem, was uns zum Teil vorgeworfen wird, Sie ins Land holen, keine qualifizierte Berufsausbildung verfolgen wir einen klaren Dreischritt: haben, dass sie dem deutschen Steuerzahler eine Last Erstens. Wir sorgen dafür, dass noch mehr Menschen sein werden, aber kein Nutzen, Herr Kollege. in Deutschland besser qualifiziert werden können. Das Vielen Dank. haben wir gemacht, indem wir seit Beginn dieses Jahres eine Menge Geld in die Hand nehmen, um Langzeitar- (Beifall bei der AfD) beitslose durch zusätzliche Angebote aus der Langzeitar- beitslosigkeit herauszubringen. Das haben wir gemacht, Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): indem wir mit dem Qualifizierungschancengesetz die Verehrter Herr Kollege, ich antworte sehr gerne auf Möglichkeit geschaffen haben, dass noch mehr wenig Ihre Zwischenfrage. Aber ich habe auch einen Wunsch Qualifizierte mit Förderung der Bundesagentur für Ar- an Sie und Ihre Kollegen: Es wäre schön, wenn auch Ab- beit einen qualifizierteren Job bekommen können. geordnete der Fraktion, der Sie angehören, sich ab und zu nicht in den sozialen Netzwerken, in denen Sie Ihre Fake (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und News austauschen, bewegen würden, sondern vielleicht der SPD) auch einmal die Gesetzvorlagen, die hier zur Beratung Und das werden wir machen, wenn uns die Bundesbil- anstehen, lesen würden. dungsministerin und der Bundesarbeitsminister – hof- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP fentlich bald – eine nationale Fort- und Weiterbildungs- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) strategie vorlegen. Zu Ihrer Zwischenfrage Folgendes: Der Kollege Frei Zweitens. Wir bauen auf die Zusammenarbeit in der hat schon darauf hingewiesen, dass wir nächste Woche Europäischen Union. Wenn Sie sich den Anstieg der das Gesetz zur geregelten Rückkehr beraten werden und Beschäftigung in Deutschland in den letzten Jahren an- noch einmal klarer präzisieren, dass, wer hier kein Blei- schauen, der zum Erfolg unseres Landes beigetragen berecht hat, auch gehen muss. Bei dem Gesetz, das wir hat, dann sehen Sie, dass 50 Prozent dieser zusätzlichen jetzt beraten, geht es darum, qualifizierten Fachkräften, Arbeitsplätze mit Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus die ein wissenschaftliches Studium hinter sich haben anderen EU-Staaten besetzt worden sind. Die Europäi- oder eine qualifizierte berufliche Tätigkeit ausgeübt ha- sche Union und die Arbeitnehmerfreizügigkeit der EU ben und die zuvor Deutsch gelernt haben, die Möglich- sind keine Gefahr für uns, sondern ein Erfolgsrezept für keit zu geben, auf dem deutschen Arbeitsmarkt, wo sie Deutschland gewesen. dringend benötigt werden, zu arbeiten. Das ist übrigens Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11725

Peter Weiß (Emmendingen) (A) die Grundlage dafür, dass das erfolgreiche Wirtschafts- Migrationshintergrund, unter ihnen mein Vater, der übri- (C) modell Deutschlands fortgeführt wird. Es geht um den gens ohne deutsche Sprachkenntnisse nach Deutschland Wohlstand Deutschlands und nicht um das Gegenteil. gekommen ist, der keine Ausbildung hatte, der sich da- (Beifall bei der CDU/CSU) ran gewöhnen musste, was es hier zu essen gibt und dass alles auf einem Teller angerichtet wird, Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe über die Arbeitsmigration in Europa gesprochen. Der (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Punkt ist: Etliche Länder, aus denen bis vor kurzem noch Leute zum Arbeiten ausgewandert sind, suchen heute der dann angefangen hat, Häuser mit zu bauen, und an den Fachkräfte. Auch Polen, selbst Bulgarien oder Sloweni- ersten Computern gestanden hat, die noch ganze Wände en suchen Leute, die zu ihnen kommen. Das heißt, wir gefüllt haben. Ich finde, wir dürfen, wenn wir über Zu- werden den Fachkräftebedarf der Zukunft nicht allein im wanderer reden – das ist meine herzliche Bitte –, diese Rahmen der Arbeitsmigration in Europa lösen können. Gruppe von Menschen nicht immer wieder so darstellen, Deshalb ist Stufe drei ein Fachkräftegesetz, das seinen als wäre sie eine große Bedrohung für dieses Land. Namen auch verdient. Es geht nicht um Hilfsarbeiter, es geht nicht um Hilfsjobs, es geht nicht um Geringqualifi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ zierte. Es geht um Fachkräfte, Leute, die studiert haben, CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Leute, die eine Ausbildung gemacht haben, Leute, die GRÜNEN) berufliche Fachqualifikationen haben und die zusätzlich Deutsch können. Die stehen übrigens nicht Schlange, um Sie haben Schulter an Schulter mit den deutschen Kolle- nach Deutschland zu kommen. Mit Englisch kann man ginnen und Kollegen dieses Land mit aufgebaut, als Vä- überall in der Welt ankommen. Deutsch ist eine schwere ter und Mütter, und sie verdienen genau wie alle anderen Sprache, für manche Deutsche übrigens auch. Deswegen unseren Respekt und unsere Anerkennung. ist es richtig, dass wir diesen Leuten ein faires Angebot machen. Wir werden sie in der Regel mit einem bewähr- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, ten Instrument hierher holen, nämlich durch Vermitt- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE lungsabsprachen der Bundesagentur für Arbeit mit dem GRÜNEN) Entsendeland. Das heißt, es geht um die Vermittlung in einen konkreten freien Job. Es geht um eine qualifizierte Respekt und Anerkennung sind sowieso der Schlüs- Tätigkeit, die auch anständig bezahlt wird. Mit diesem sel für alles. Wir haben hier Argumente für und gegen Gesetz wollen wir die Voraussetzungen dafür schaffen. Einwanderung gehört. Auch die deutsche Bevölkerung (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das ist ist für und gegen Einwanderung eingestellt. Es gibt eine (D) eine tolle Sache. Es sollte unser aller Verpflichtung sein, aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, nach der dass „made in Germany“ auch in Zukunft ein Erfolgsmo- zwei Drittel der Deutschen Ja sagen zur Zuwanderung dell bleibt. aus Gründen des Fachkräftebedarfs. Da sind die Men- schen im Land weiter als manche Leute hier im Parla- Vielen Dank. ment. Manche Menschen sind aber auch skeptisch. Ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rate dazu, nicht zu glauben, dass jeder, der sich skeptisch ordneten der SPD) oder ablehnend äußert, automatisch etwas gegen Ein- wanderung oder gegen die Menschen, die zu uns kom- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: men wollen, haben. Ich glaube vielmehr, dass manche Dr. Lars Castellucci, SPD, ist der nächste Redner. Menschen in diesem Land in ihrem Leben Respekt und Anerkennung vermisst haben. Vielleicht hängen sie in ei- (Beifall bei der SPD) ner Beschäftigung fest, die unterhalb ihrer Qualifikation ist. Vielleicht schaffen sie nach der Familienphase den Dr. Lars Castellucci (SPD): Wiedereinstieg nicht so, wie sie es sich vorstellen. Viel- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- leicht fürchten sie auch die Konkurrenz, weil sie heute ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute schon keine günstige Wohnung oder keine Kindergarten- Morgen Argumente für Einwanderung gehört, wir haben plätze finden. Deswegen ist es gut, dass wir heute nicht auch Argumente gegen Einwanderung gehört. Aber auf nur ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz diskutieren, son- eines sollten wir uns doch verständigen können: Deutsch- dern auch eine Fachkräftestrategie für alle Menschen in land, aus dem noch vor drei, vier oder fünf Generationen diesem Land. Wir müssen eine soziale Politik machen, Menschen ausgewandert sind, weil dieses Land sie nicht die bei den Menschen ankommt – für bezahlbaren Wohn- ernähren konnte, ist heute zu einem attraktiven Land ge- raum, für anständige Bedingungen auf dem Arbeits- worden, das mehr Arbeit zu bieten hat, als die Menschen, markt, für Renten, die wirklich Respekt gegenüber der die schon hier sind, leisten können. Wir sind allen zu Leistung der Menschen ausdrücken. Dann, glaube ich, ist Dank verpflichtet, die es aufgebaut haben. das mit der Zuwanderung in diesem Land kein Problem. (Beifall bei der SPD) Die Leute werden sehen: Das ist Teil der Lösung. Unter diesen Leuten, die das Land aufgebaut haben, Vielen Dank. sind übrigens bereits heute fast 20 Millionen Menschen – fast ein Viertel der Bevölkerung – mit sogenanntem (Beifall bei der SPD) 11726 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ausland nicht voll anerkennen können. Und wir sagen (C) Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der sogar: Ihr könnt auch zur Ausbildungsplatzsuche kom- Kollege Dr. Mathias Middelberg, CDU/CSU. men. Ihr könnt also schon kommen, wenn ihr noch gar keine Fachkräfte seid, sondern auf der Suche nach einem (Beifall bei der CDU/CSU) Ausbildungsplatz, der euch dann hier in Deutschland zu einer Fachkraft macht. – Selbst den Weg öffnen wir, un- Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): ter durchaus strengen Bedingungen. Herr Präsident, herzlichen Dank. – Meine Damen und (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle zunächst unseren beiden beteiligten Mi- Aber hier liegt ein erhebliches Potenzial. Es geht um die nistern gratulieren, nämlich unserem Innenminister Horst Absolventen der 140 deutschen Schulen im Ausland; da- Seehofer und unserem Arbeitsminister Hubertus Heil. rüber hinaus haben wir alle Schulen der KMK-Liste be- nannt. Das ist ein Millionenpotenzial, das im Zweifel zur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Verfügung steht. Deswegen ist es sachgerecht, dass wir der SPD – Zuruf von der AfD: Unser Beileid!) hohe Anforderungen an diejenigen stellen, die schließ- Ich glaube, die beiden haben für uns im Parlament sehr lich zu uns kommen können, und von ihnen erwarten, brauchbare und sehr geeignete Vorlagen zu den beiden dass sie gewisse Qualifikationen mitbringen, damit sie Gesetzen erarbeitet, die hier heute zur Debatte stehen. auf unserem Arbeitsmarkt auf lange Perspektive Erfolg Den einzigen Fehler, den sie vielleicht gemacht haben, haben. ist, bei den vielen Euphemismen, die wir hier nutzen, Insgesamt diskutieren wir hier eine abgewogene Lö- nicht den Euphemismus „gut“ davorzuschreiben. Aber sung. Ich freue mich in diesem Sinne auf sachliche und – das ist im Kern dann doch kein Versäumnis; denn in der da bin ich sehr zuversichtlich – gute parlamentarische Sache sind es gute Gesetzesvorlagen. Das ist hier von Beratungen. vielen meiner Vorredner auch zu Recht betont worden. Herzlichen Dank. Der Kollege Castellucci hat sich hier mit dem Begriff (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- „Einwanderung nach Deutschland“ auseinandergesetzt ordneten der SPD) und der Frage, wie wir sie sehen. Wir sind ein offenes Land, und wir sind ein gegenüber Zuwanderung freund- lich eingestelltes Land. Wir hatten in den letzten sechs Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jahren eine Nettozuwanderung von 4 Millionen Men- Damit schließe ich die Aussprache. schen nach Deutschland. (B) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf (D) (Zuruf von der AfD: Applaus, Applaus, Ap- den Drucksachen 19/8285, 19/8286, 19/6889, 19/6542, plaus!) 19/6541, 19/9052, 19/9855, 19/9924 und 19/7058 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- Das hat auch sehr viele Vorteile. Ich will jetzt nicht nur geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der über Wohnungen und Kitaplätze reden. Wir haben davon Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. sehr profitiert; denn es war in großem Umfang eine Zu- wanderung in unseren Arbeitsmarkt, in großem Umfang Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 4 sowie die auch aus den benachbarten EU-Ländern. Das hat unseren Zusatzpunkte 5 bis 7 auf: Standort, das hat Deutschland und unseren Wohlstand 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Sandra vorangebracht. Weeser, Nicola Beer, Michael Theurer, weiterer Jetzt müssen wir zielgerichtet daran arbeiten, wie wir Abgeordneter und der Fraktion der FDP das Thema Zuwanderung, das Thema „Einwanderung Energiepolitik europäisch denken von Fachkräften“ weiter steuern. Dazu leistet das vorlie- gende Gesetz einen sehr guten Beitrag. Dabei müssen wir Drucksache 19/9931 im Blick behalten, dass wir in diesem Land noch 2 Mil- Überweisungsvorschlag: lionen Menschen haben, die arbeitslos sind, dass wir Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) 1 Million Menschen haben, die in Unterbeschäftigung Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur sind, also häufig in Maßnahmen der Bundesagentur, und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit dass wir auch 600 000 anerkannte Flüchtlinge haben, um Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die wir uns noch bemühen müssen und die wir in Arbeit Haushaltsausschuss bringen wollen. ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Wir haben also ganz unterschiedliche Zielrichtungen Nestle, Dr. Julia Verlinden, Tabea Rößner, wei- und ganz unterschiedliche Anliegen. Das erfordert diffe- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- renzierte Antworten. Genau die gibt dieses Gesetz; die NIS 90/DIE GRÜNEN verschiedenen Punkte sind genannt worden. All denen, Aktive Kundinnen und Kunden für eine bür- die sich da sehr skeptisch geäußert haben, sage ich: Wir gernahe Energiewende haben hier wesentliche neue Tatbestände. Die Arbeits- platzsuche ist jetzt für alle geöffnet, nicht mehr nur für Drucksache 19/9954 Hochschulabsolventen. Wir geben die Möglichkeit ei- Überweisungsvorschlag: ner Nachqualifizierung, wenn wir die Qualifizierung im Ausschuss für Wirtschaft und Energie Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11727

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- chend Netze und Erzeugungskapazitäten haben, um die (C) richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie Lücke bei der gesicherten Leistung zu schließen. (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Beim Netzausbau hinken wir dramatisch hinterher, da Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- die Bundesregierung einseitig auf den Ausbau von Er- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN neuerbaren gesetzt hat. In windreichen Zeiten können wir Strom nicht abtransportieren und fluten stattdessen Euratom-Vertrag reformieren – Sonderstel- die Netze unserer europäischen Nachbarn. lung der Atomkraft jetzt abschaffen (Zuruf von der FDP: So ist es!) Drucksachen 19/2512, 19/7206 Das hat schon dazu geführt, dass etwa Polen oder Tsche- ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- chien an den Grenzen Phasenschieber installiert haben, richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- um sich vom deutschen Überschussstrom abzuschotten. gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Österreich wurde von der deutschen Strompreiszone neten Alexander Ulrich, Hubertus Zdebel, Fabio gleich ganz abgekoppelt. Diese Energiepolitik auf Kos- De Masi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion ten unserer europäischen Nachbarn muss ein Ende haben. DIE LINKE (Beifall bei der FDP) EURATOM-Vertrag auflösen – Keine EU-­ Subventionen für die Atomindustrie Wenn die Sonne nicht scheint, wenn der Wind nicht weht und wir keine Kohlekraftwerke mehr haben, dann Drucksachen 19/7479, 19/10005 soll der Strom aus dem europäischen Ausland kommen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Das ist ein sehr einseitiges Verständnis von europäischer die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Solidarität. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jens Ich bitte diejenigen, die es gar nicht mehr im Plenar- Koeppen [CDU/CSU]) saal aushalten, die Plätze zügig zu verlassen, und die an- deren Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen. Es ist ein Unding, dass unsere Nachbarn und die Kom- mission in die jahrelangen Debatten über den Kohleaus- Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort stieg nicht ausreichend einbezogen wurden. Da feiert der Kollegin Nicola Beer, FDP. nationales Denken trotz grünen Anstrichs Urstände, oder (Beifall bei der FDP) vielleicht auch gerade wegen des grünen Anstrichs. (B) (Beifall bei der FDP) (D) Nicola Beer (FDP): Jedenfalls sind sachliche Fragen nicht gelöst, und Nach- Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol- barn werden vor den Kopf gestoßen. legen! Die Vollendung des europäischen Energiebinnen- marktes ist aus Sicht der Freien Demokraten eines der Wir Freien Demokraten setzen auf den europäischen wichtigsten Projekte europäischer Integration. Emissionshandel als ordnungspolitischen Rahmen für eine integrierte Energiewende, und zwar in ganz Euro- (Beifall bei der FDP) pa und in allen Sektoren. Im Gegenzug wollen wir die Angesichts der enormen Herausforderung, eine sichere Belastungen auf den Strompreis wie die Stromsteuer und wettbewerbsfähige Energieversorgung mit den Pa- streichen und die Stromsteuerrichtlinie entsprechend an- riser Klimaschutzzielen zu vereinen, sollten sämtliche passen; EU-Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen und Europas Chancen nutzen. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sagen Sie noch was zum Klimaschutz, (Beifall bei der FDP) oder kommt das bei Ihnen nicht vor?)

Doch leider ist es insbesondere Deutschland, das immer denn diese Formen der CO2-Steuer, Frau Kollegin, sind wieder durch nationale Alleingänge in der Energiepolitik gescheitert. auffällt. Das verstößt nicht nur gegen den europäischen Geist, sondern es ist klimapolitisch, energiepolitisch und (Beifall bei der FDP) wirtschaftspolitisch unsinnig. Deutschland und Europa werden auch in Zukunft (Beifall bei der FDP) auf Energieimporte angewiesen sein. Die Vision einer autarken, dezentralen Energieerzeugung stößt nicht nur Beispiel Kohleausstieg. Obwohl der CO2-Ausstoß der bei Protesten von Naturschützern gegen Windräder und Energiewirtschaft europaweit durch den Emissionshan- Strommasten an ihre Grenze. del gedeckelt ist, möchte die Bundesregierung einseitig Kraftwerke stilllegen. Doch, sehr geehrte Kolleginnen Mit dem Kohleausstieg wird die Bedeutung von Gas und Kollegen, das führt nur bei einer gleichzeitigen Ver- als Energieträger wieder steigen. Dazu zählt Erdgas, knappung von Zertifikaten überhaupt zu mehr Klima- wenn es weiter aus Pipelines kommt, aber vermehrt schutz. Gleichzeitig ist es eine enorme Herausforderung auch Flüssiggas, das nach Europa kommen wird. Dazu im Hinblick auf die Versorgungssicherheit; denn es ist zählt perspektivisch auch grünes Gas, Frau Kollegin, das derzeit eben nicht absehbar, dass wir rechtzeitig ausrei- durch Wasserstoffelektrolyse dort auf der Welt produziert 11728 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Nicola Beer (A) wird, wo es bessere Standortbedingungen für erneuerba- aber auch aufgrund der hohen Kosten von nationalen Al- (C) re Energieerzeugung als hierzulande gibt. leingängen schlichtweg unsinnig. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber: Europa gut, alles gut? Das wäre zu schön. Euro- NEN]: Wir würden Ihre Position zum Klima- pa allein ist auch nicht die Lösung; denn Europa ist kein schutz gerne hören!) homogener Staat mit einheitlichen Interessen. Es gibt nationale Interessen. Allein die Diskussionen über Nord Umso wichtiger wäre es, dass die EU hierbei eine ge- Stream 2 – Sie haben darauf hingewiesen – zeigen, dass schlossene, einheitliche Strategie hat, um beispielswei- es innerhalb der Europäischen Union sehr unterschiedli- se einen Weltmarkt für klimaneutrale Gase zu forcie- che Positionen gibt. ren. Aber Kanzlerin Merkel und Minister Maas haben Deutschland beim Thema Erdgas in eine katastrophale (Zuruf von der AfD: In Ihrer eigenen Partei!) Verhandlungsposition manövriert. Deswegen brauchen wir einen europäischen Ansatz. (Beifall bei der FDP) (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nord Stream 2 fliegt der Kanzlerin international um die NEN]: Wollen Sie Klimaschutz oder nicht?) Ohren Die Lehre aus diesen Debakeln muss sein, dass Ihre Punkte sind sehr klar formuliert. Ich bin mir al- Deutschland wichtige Infrastrukturprojekte zukünftig lerdings nicht sicher, ob andere Länder in Europa unsere auf europäischer Ebene abstimmt. Position einfach eins zu eins übernehmen. Wir müssen die deutsche Energiewende korrigieren. (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Wir brauchen ein echtes europäisches Projekt mit Mehr- GRÜNEN]: Hoffentlich nicht!) wert für Verbraucher und Unternehmen. Deshalb brauchen wir, bevor solche Anträge vorgelegt (Beifall bei der FDP) werden, eine europäische Diskussion über Lösungsansät- Das ist die europäische Integration eines Energiebinnen- ze, in der wir versuchen, die anderen Länder von unseren marktes. Vorschlägen zu überzeugen. Wir sollten nicht versuchen, unsere Lösungen den anderen Ländern einfach überzu- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stülpen. NEN]: Sind Sie jetzt für oder gegen Nord Stream 2?) Richtig ist: Wir müssen klar formulieren, was wir wol- len und wo unsere Interessen liegen. Genauso richtig ist Das sollte – auch wenn Sie schreien – eine zentrale Rolle es aber, dass wir von der Bundesregierung nicht erwarten (B) einnehmen, sowohl in Brüssel als auch in Berlin. können, dass sie einfach mal so nach Brüssel geht und (D) unsere Positionen eins zu eins durchsetzt. Das ist auch (Beifall bei der FDP – Steffi Lemke [BÜND- ein bisschen der Makel an Ihrem Antrag. Warum bezieht NIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein einziges Wort denn die Europäische Union nicht auch andere Sektoren zum Klimaschutz!) in den Emissionshandel ein? Ich glaube, das scheitert nicht an Deutschland. Wir können das in Deutschland Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: aber nicht allein beschließen. Dazu brauchen wir die an- Jens Koeppen, CDU/CSU, ist der nächste Redner. deren Mitgliedstaaten. Richtig ist aber auch: Viele Pro- bleme der Energiewende liegen nicht bei unseren europä- (Beifall bei der CDU/CSU) ischen Nachbarn, sondern sie liegen bei uns. Deswegen müssen wir unsere Hausaufgaben machen, Jens Koeppen (CDU/CSU): (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und GRÜNEN]: Aha!) Kollegen! Ein europäischer Ansatz in der Klimapolitik ist nicht nur richtig und wichtig, sondern er ist Vorausset- auch – liebe Frau Verlinden – unabhängig von jedweder zung dafür, dass die Energiewende, dass die Energiepoli- Regierungskonstellation. Ich möchte ein paar Beispiele tik im Sinne des Zieldreiecks gelingt. Da gebe ich Ihnen, nennen, in welchen Bereichen wir unsere Hausaufgaben liebe Kollegin Beer, uneingeschränkt recht. zu machen haben, wo die Säge noch richtig klemmt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Erstes Beispiel ist das gut gedachte, aber mittlerweile völlig aus dem Ruder gelaufene EEG. Der Antrag der FDP ist sehr konsequent und gut struktu- riert, und demzufolge ist an dem Antrag auch nicht viel (Christian Dürr [FDP]: Ja!) herumzumäkeln. Hier müssen wir endlich das gesamte System vom Kopf auf die Füße stellen. (Beifall bei der FDP – Nicola Beer [FDP]: Dann können Sie ja zustimmen!) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. [CDU/CSU] – Christian Dürr [FDP]: Wer die energie- und klimapolitischen Ziele alleine in Abschaffen!) Deutschland erreichen will, der wird scheitern, übrigens unabhängig von der entsprechenden Regierungskonstel- Denn Europa schaut sehr genau, wie wir das machen. Es lation. Nationale Lösungen sind aufgrund der Verfüg- schaut sehr genau auf die Kosten, die insbesondere die barkeiten der Ressourcen, der einzelnen Energiequellen, EEG-Umlage verursacht. Das war in den 90er-Jahren Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11729

Jens Koeppen

(A) oder Anfang der 2000er-Jahre vielleicht erfolgreich, aber Viertes Thema ist die CO2-Speicherung. Es geht um (C) jetzt ist es nicht mehr zeitgemäß und auch nicht mehr CCS, also um die Abspaltung von CO2 in Industriepro- zielführend. zessen und um die anschließende Speicherung in Gaska- vernen oder vorübergehend in Salinen, also praktisch in Zweites Beispiel ist die Versorgungssicherheit. Eu- der Erde. Die CCS-Technologie wurde in Deutschland ropäische Lösung heißt doch nicht, mit überschüssigem einfach abgesagt, obwohl wir sie für den Klimaschutz gut erneuerbarem Strom die europäischen Netze zu fluten gebrauchen könnten. Hier sind wir uns querbeet durch und dann, wenn wir bei Dunkelflaute den Strom aus den alle Fraktionen einig. Wenn wir CCS ausschließen, dann Nachbarstaaten brauchen, allen verfügbaren Strom abzu- können wir – das wurde berechtigterweise gesagt – auch saugen. CCU nicht nutzen. Das ist schlicht und ergreifend nicht (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jürgen möglich. Deswegen sollten wir uns überlegen, ob wir Braun [AfD]) solche Technologien ausschließen. Am Ende ist das noch der Kernstrom aus Frankreich oder Fazit: Eine erfolgreiche Energiepolitik im Rahmen der Kohlestrom aus Polen. Das ist keine europäische Lö- von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Um- sung. weltverträglichkeit kann nur europäisch gelingen. Wir brauchen energiepolitische Lösungen mit Europa, un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und abhängig von jedweder Regierungskonstellation in der FDP und des Abg. Jürgen Braun [AfD]) Deutschland. Aber wenn wir unsere Hausaufgaben nicht Drittes Thema ist die Akzeptanz. Auch wenn Sie alle machen, wenn wir uns nicht klar darüber sind, was wir es nicht mehr hören können, werde ich nicht müde, das wollen, sind wir in einer schlechten Verhandlungsposi- hier immer wieder zu bewerten: Wenn wir die Ener- tion. giewende und die Energiepolitik gegen die Menschen durchdrücken, wird sie scheitern. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann machen Sie mal Ihre (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Hausaufgaben!) der AfD) Die Voraussetzung für eine europäische Lösung ist, dass Mittlerweile gibt es über 1 000 Bürgerinitiativen, weitere wir unser Feld hier selbst richtig bestellen. Das nimmt schießen nahezu wie Pilze aus dem Boden. Wind onshore uns keiner ab. verliert zunehmend die Akzeptanz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Timon Gremmels [SPD]: Wegen Leuten wie ordneten der FDP) (B) Ihnen! (D)

Alle möglichen Genehmigungen werden beklagt. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Timon Gremmels [SPD]: Weil Sie ein Steffen Kotré, AfD, ist der nächste Redner. Scharfmacher sind!) (Beifall bei der AfD) Die Verfahrensdauer zur Erteilung von Genehmigungen hat sich massiv verlängert. In sehr vielen Regionen gibt es mittlerweile ein Moratorium, bis eine Lösung gefun- Steffen Kotré (AfD): den worden ist. Ich kann die Menschen verstehen. Ich Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen wiederhole: 800 Meter Abstand zur Wohnbebauung bei und Herren! Früher konnte Deutschland stolz auf seine einer Anlage, die 230 Meter hoch ist, kann man den Men- Stromversorgung sein. Es gab verlässlichen und bezahl- schen einfach nicht zumuten. baren Strom. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ (Timon Gremmels [SPD]: Aus Atomkraft!) DIE GRÜNEN) Deutschland konnte sich selbst versorgen. Das ist leider Nun hebt das Bundesumweltministerium den Klima- vorbei. schutz berechtigterweise immer sehr hervor. Aber bei der Umsetzung der Maßnahmen, die zum Klimaschutz bei- (Timon Gremmels [SPD]: Wir exportieren tragen könnten, zum Beispiel die Beschleunigung beim immer noch! Sie müssen sich mal die Zahlen Netzausbau, steht das BMU auf der Bremse. Ich erinnere angucken!) nur an das Artenschutzportal im Zuge der NABEG-Be- Dank der Verknappung der Stromerzeugungskapazität richterstattung, das wir gut gebrauchen könnten, oder an aufgrund der Energiewende der Altparteien, allen voran den Verzicht auf Ausgleichsflächen im landwirtschaftli- der von den Grünen vor sich hergetriebenen Bundesre- chen Bereich und viele andere Maßnahmen. gierung, sind wir jetzt stärker auf das Verbundnetz an- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gewiesen. der FDP) Die Energiewende – wir haben es schon oft gehört – Es ist nicht sehr kooperativ, gegen das Wirtschaftsminis- hat uns die weltweit höchsten Strompreise beschert. In terium zu arbeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. dieser Situation schlägt die Bundesregierung jetzt eine 11730 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Steffen Kotré

(A) CO2-Steuer vor. Eine CO2-Steuer in Verbindung mit dem Es ist völlig klar, dass wir kleinere Einheiten koordi- (C) falschen Ausstieg aus der Kohleverstromung und mit nieren müssen. Wir müssen sie noch besser aufeinander dem völlig übereilten Ausstieg aus der Kernenergie abstimmen, teilweise manuell. Dass ein solches System anfälliger ist, liegt auf der Hand. (Timon Gremmels [SPD]: Was ist denn daran übereilt? 2022!) Noch mal ganz klar zur Energiewende. Diese Ener- und den damit verbundenen Entschädigungszahlungen giewende, die real existierende Energiewende, schädigt wird weitere Preissteigerungen nach sich ziehen. Strom, unsere Versorgungssicherheit. So sagt dann eben auch Gas, Heizöl werden dann vielleicht nur noch von Bes- Herr Neldner, wie gesagt, Chef des zukünftigen Berliner serverdienenden gut zu bezahlen sein. Das Maß ist voll, Stromnetzbetreibers, dass er sich selbst schon Vorräte der Geldbeutel der Stromkunden leer, meine Damen und für den Fall des Blackouts zu Hause anlegt. Mittlerwei- Herren. le denken immer mehr Menschen so. Ich frage mich: Ist das eine Lösung für den Industriestaat Deutschland? Ich (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels meine, nein. Das ist keine Lösung, das ist eine Schande, [SPD]: Gleich ist Ihre Rede leer!) meine Damen und Herren. Was nun Europa betrifft: 41 Leitungen verbinden zum (Beifall bei der AfD) Beispiel das Schweizer Übertragungsnetz mit seinen eu- ropäischen Nachbarn. 30 Prozent der Stromflüsse in Zen- An dieser Stelle muss europäisch gedacht werden. tralwesteuropa laufen durch die Schweiz. Die Strommen- gen, die die Schweiz zur Durchleitung aufnehmen muss, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das übersteigen regelmäßig die vereinbarten Vergütungen. ist ja unglaublich! Ich dachte, „Deutschland, Dabei könnten wir durchaus guten Nutzen aus der fle- Deutschland“!) xiblen Wasserkraft der Schweizer Speicherseen ziehen. Doch was tut Europa? Es legt das Stromabkommen mit Wir können in Deutschland nicht planlos alle konventi- der Schweiz auf Eis. Warum? Um die Schweiz zu erpres- onellen Kraftwerke stilllegen. Wenn wir das in Deutsch- sen; land tun, dann fällt uns die Energiewende auf die Füße. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Wir haben, wie ich schon sagte, den teuersten Strom; Einfach Unfug! Sie waren doch gerade vor das kann man nicht oft genug wiederholen. Wir müssen einem halben Jahr in der Schweiz, Herr Kol- Kernenergiestrom und auch Kohlestrom aus dem Aus- lege!) land teuer zukaufen.

(B) denn die Schweiz soll zum Beispiel ihren Arbeitsmarkt (Timon Gremmels [SPD]: Bilanziell exportie- (D) öffnen und noch andere Dinge machen. Das ist kein fai- ren wir mehr, als wir importieren!) rer Umgang mit einem Partner. Wir fordern an dieser Stelle die zügige Umsetzung des Stromabkommens mit Wenn wir zu viel Strom aus erneuerbaren Energien pro- der Schweiz. duzieren, dann müssen wir sogar Geld dafür bezahlen, dass das Ausland diesen Strom abnimmt. Das ist ein völ- (Timon Gremmels [SPD]: Da kommen Ihre liger Anachronismus. Spenden her, aus der Schweiz, nicht?) ( [DIE LINKE]: Sie erzählen Im Übrigen hat dieses erpresserische Gebaren der EU zur Mist! Lesen Sie mal die Statistiken!) Folge, dass sich auch die Schweizer von der EU abwen- den. Ist das so gewollt, meine Damen und Herren? Mein Vorredner, Herr Koeppen von der CDU/CSU, (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels hat es an dieser Stelle schon gesagt: Das EEG ist völlig [SPD]: Ist das die Gegenleistung für die Spen- aus dem Ruder gelaufen, meine Damen und Herren. den aus der Schweiz?) (Beifall bei der AfD) Zur Netzstabilität. Nur weil wir im Moment noch mehr konventionelle Kraftwerke im Netz haben, ist das Wir hatten in 2017 329 sogenannte Stresstage, also Tage, Netz noch stabil. Der instabile neue Strom aus Windkraft an denen man schon mal das Eingreifen in die Strom- und Solarenergie gefährdet unsere Netzsicherheit. Schon netze planen muss, und 2018 hatten wir davon 353, also heute müssen wir energieintensive Unternehmen manch- ansteigende Kurve, permanent und dauernd; das sind An- mal vom Netz nehmen, um es zu stabilisieren. Der Chef gaben der Bundesnetzagentur. Auch das zeigt den Verlust des zukünftigen kommunalen Stromnetzbetreibers Ber- der Versorgungssicherheit auf. lin Energie, Herr Wolfgang Neldner, sagt, dass das Risi- ko für einen größeren Stromausfalls steigt; und der muss Zur Gasversorgung. Was nun der Spitzenkandidat es wissen. Der Grund für das zunehmende Risiko ist die der EVP für Europa, Herr von der CSU, immer komplexere Struktur der Energieerzeugung; denn macht, ist klar gegen unsere nationalen Interessen gerich- die real existierende Energiewende hat dazu geführt, dass tet. wir Hunderttausende Einspeisepunkte haben, eben Solar- dächer und Windräder. (Beifall bei der AfD) (Timon Gremmels [SPD]: Das ist auch gut Er versucht, das deutsch-russische Projekt der Gasleitung so!) Nord Stream 2 zu torpedieren und zu verhindern. Er will Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11731

Steffen Kotré (A) damit etwas verhindern, was sogar die Bundesregierung Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) unterstützt. Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wird Steffen Kotré (AfD): Ihre Fraktion eigentlich immer noch von Putin ansatzweise finanziert, oder hat sich das erle- Darauf gibt es keine Antwort. Wir sagen aber: Das digt?) wollen wir erreichen. Vielen Dank. Dabei sind wir aufgrund der Energiewende noch mehr auf Gaslieferungen, vor allen Dingen auf kostengünstige (Beifall bei der AfD) Gaslieferungen aus Russland angewiesen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nun versucht Herr Weber von der CSU, auf Kosten Nächster Redner ist der Kollege Johann Saathoff, des deutschen Steuerzahlers und des Energiekunden sein SPD. eigenes Süppchen zu kochen und uns in die Suppe zu (Beifall bei der SPD) spucken. Er will mit seinem Verrat an deutschen und auch europäischen Interessen dafür sorgen, dass seine Johann Saathoff (SPD): persönlichen Chancen, zum EU-Kommissionspräsiden- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ten gewählt zu werden, steigen. Er nimmt weder Rück- Kollegen! Herr Kotré, ich war im letzten Jahr in Fuku- sicht auf seine eigene Partei noch auf die Bundesregie- shima. Ich habe gesehen, welche Auswirkungen Atom- rung noch auf Deutschland. Er weiß nämlich, dass, wenn energie hat, wenn so ein Reaktor havariert. Ich habe die er die Interessen anderer Mitgliedstaaten vertritt, dann Digitalanzeigen an der Autobahn gesehen, die die aktu- seine Wahlchancen steigen. Da kann ihm seine eigene elle radioaktive Strahlung angeben. Ich habe die Angst Partei schlecht dazwischenreden. Mehrheit ist Mehrheit, der Menschen gesehen, die nicht nur um ihr Hab und Gut er wird also unterstützt. Aber das, was Herr Weber hier fürchten mussten, sondern auch um ihr Erbgut im weites- macht, ist Verrat an deutschen Interessen. ten Sinne, die Angst davor hatten, dass ihre Kinder nicht (Beifall bei der AfD) gesund bleiben. Herr Weber hat unserem Vaterland sozusagen den Rü- Ich kann mich gut daran erinnern, wie in den 80er-Jah- cken zugekehrt. ren das Atomkraftwerk in Tschernobyl explodiert ist und die radioaktive Wolke über Deutschland gezogen ist. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hat (Beifall der Abg. [Augsburg] Ihnen Herr Frohnmaier die Rede geschrieben?) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jürgen (B) (D) Konsequent wäre es an dieser Stelle, wenn er sich um Braun [AfD]: Tsunami in Deutschland, Herr eine andere Staatsbürgerschaft bemühen würde und die Saathoff!) deutsche Staatsbürgerschaft abgeben würde. Faktisch hat Die Menschen hier haben zu Recht entschieden, dass er das schon getan. Atomenergie nicht mehr genutzt wird. (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ [SPD]: Unglaublich!) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Tsuna- Vielleicht noch ein Aspekt zur europäischen Ener- mi-Spezialist!) giepolitik. Ich glaube, die europäische Solidarität besteht Gut ist, dass wir heute eine Debatte zu europäischer nicht darin, dass die Staaten ihre Kernkraftwerke an ihre Energiepolitik führen. Energiepolitik kann man näm- Grenzen legen, hin zu den anderen Ländern. Ich glau- lich nicht mit nationalen Scheuklappen machen, weder be, das ist kein solidarisches Gebaren hier in Europa; das in der fossilen Welt noch in der Welt der Erneuerbaren; muss an dieser Stelle auch mal erwähnt werden. das muss man sagen. Es hilft auch nichts, sich angesichts (Beifall bei der AfD) des Klimawandels in sein Schneckenhaus zu verkriechen und alles mit ungewöhnlichen Wetterphänomenen er- Weil wir bei der Kernenergie sind: Die Grünen ar- klären zu wollen. Klimawandel, liebe Kolleginnen und beiten sich daran gerade ab und machen das Tollhaus Kollegen, ist eine globale Herausforderung. Der Kampf Deutschland perfekt. Sie sprechen von einer sogenannten gegen den Klimawandel ist eine globale Aufgabe. Der Privilegierung der Kernkraft, die es aber nicht gibt. Es stellt man sich am allerbesten, wenn man das auf dem gibt keine Sonderstellung. Die AfD hält es für zielfüh- Kontinent gemeinsam macht. render, die Kernkraftwerke hier bei uns – die sichersten in der Welt – länger laufen zu lassen, Gut ist im Antrag der FDP der Ansatz, auch die Be- reiche Verkehr und Wärme in den europäischen Emis- (Beifall bei der AfD) sionshandel einzubeziehen. Ich glaube, das kann man begrüßen. Allerdings ist mir Ihr Antrag zu monokausal. aber leider gibt es dafür keine Mehrheit hier. Wenn sich Es liegt mir fern, das ETS als Allheilmittel für richtig die Grünen und die Grüninnen schon ins Knie schießen zu halten. Der Markt wird Klimaschutz allein durch den wollen, dann sagt die AfD: Nein, macht das bitte unter Emissionshandel nicht regeln; diese Botschaft muss so euch, aber nicht mit uns. Wir haben auch keine Antwort klar gebracht werden. darauf, wie die Technologie der Kernenergie in Deutsch- land gehalten werden soll. (Beifall bei der SPD) 11732 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Johann Saathoff (A) Faktisch wirkt das ETS eher wie eine Bremse. Das liegt Neben den ambitionierten, aber auch notwendigen (C) zugegebenermaßen nicht am System selber. Das liegt Zielen regelt die EU im „Clean Energy Package“ auch eher an der Ausgestaltung: zu viele Zertifikate – Frau das europäische Strommarktdesign neu. Dazu gehört die Beer, Sie können ja in Ihrer zukünftigen Verwendung da- Anpassung des Strommarktes an den steigenden Anteil für sorgen, dass diese Ausgestaltung ein bisschen inno- der Erneuerbaren, die Erhöhung des grenzüberschreiten- vativer angegangen wird –, zu zögerliche Verknappung den Stromhandels. Die Versorgungssicherheit wird damit der Zertifikate und zu zögerliches Handeln in Brüssel. zum ersten Mal wirklich zum europäischen Projekt. Nicht wenige halten es schlicht für unrealistisch, dass die notwendige Verschärfung über das ETS im Kampf für Es scheint nicht immer die Sonne, und es weht nicht das Klima auf der Erde tatsächlich erreicht werden kann. immer der Wind: Diesen Satz habe ich hier im Hause schon hundertmal gehört. Dieser banale Satz wird immer Europa setzt die Rahmenbedingungen, liebe Kollegin- richtiger, je kleiner die Scholle ist, auf der Sie sich be- nen und Kollegen. Der Emissionshandel ist eben nur ei- wegen, und immer falscher, wenn es gelingt, nationale nes von vielen Instrumenten. Die Mitgliedstaaten müssen Scheuklappen abzulegen und europäisch zu denken. die europäischen Rahmenbedingungen ausgestalten. Wir wollen kein Europa mit erhobenem Zeigefinger, sondern Ich will ein Beispiel nennen. Stellen Sie sich vor, ein wir wollen ein vielfältiges Europa mit vielfältigen Lö- Tiefdruckgebiet wandert über Europa; das soll ja gele- sungen in der Energiepolitik. gentlich vorkommen. Dann haben Sie innerhalb der fünf Tage, in denen es von der Biskaya bis über die polnische (Beifall bei der SPD) Grenze wandert, fünf Tage lang Wind und damit fünf Wir wollen in Deutschland die Energiewende erfolg- Tage lang Windenergie, nicht immer überall, aber wenn reich fortführen: sicher, sauber und bezahlbar. Zur Ener- Sie das vernetzt denken, haben Sie ausreichend Energie giewende gehört, dass es eben nicht nur um Klimapolitik für ganz Europa zur Verfügung. Sie müssen den Mut geht, sondern natürlich auch um knallharte Wirtschafts- haben, die nationalen Scheuklappen abzulegen und die politik. Wir müssen den Rahmen dafür setzen, dass in Energiewende in Europa grenzübergreifend anzugehen. Deutschland die Produkte entwickelt werden, die morgen Zum „Clean Energy Package“ gehört auch, die Rol- Exportschlager der erneuerbaren Welt sind. Das ist sozu- le des Verbrauchers im neuen flexiblen Marktdesign zu sagen unsere Verantwortung. Wir wollen unseren Nach- stärken und aktive Verbraucher in den Fokus zu stellen. barn nichts diktieren, um das klar zu sagen. Darauf legen auch die Grünen in ihrem Antrag den Fo- (Beifall bei der SPD) kus, genauso wie auf die dringend notwendige Reform der EEG-Umlage. Ich freue mich auf die Debatte, und Wir wollen ihnen zeigen, dass Industriepolitik und Kli- ich freue mich auch auf eine intensive Ausschussarbeit (B) maschutz zusammengehen. Dafür reicht das ETS nicht. in dieser Frage, weil das richtige Ansätze sind, die wir (D) Das kann man nur mit einem Klimaschutzgesetz machen. dringend miteinander angehen müssen. Die Akteure brauchen jetzt hinsichtlich des Klimaschutz- gesetzes endlich verlässliche Rahmenbedingungen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die vielleicht größte Herausforderung wird wohl im Bau und Betrieb der Netze nicht nur in Deutschland, son- Wir wollen klare Sektorenziele definieren und kla- dern auch in ganz Europa liegen. Dieses Thema ist in den re Maßnahmen zur Erreichung der Reduktion von Anträgen zu Recht aufgegriffen worden. Man kann in CO2-Emissionen, auf die sich alle einstellen können. Da- Ostfriesland sagen: För een gaud Soop bruukst du mehr für ist die Einrichtung des Klimakabinetts eine richtige as bloot Prey. – Man braucht also viele Zutaten für eine Maßnahme. Wir sollten uns parlamentarisch überlegen, gute Suppe. Für eine gute Energiepolitik braucht man ob wir dieses Klimakabinett nicht parlamentarisch spie- eben viele Instrumente: nationale, aber vor allen Dingen geln müssten, ob wir nicht also auch einen Ausschuss auch europäische Instrumente. brauchen, der sich ausschließlich mit Klima- und Ener- giepolitik befasst. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Das Klimaschutzgesetz ist auch notwendig, um die europäischen Rahmenbedingungen umzusetzen. Das Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: „Clean Energy Package for all Europeans“ wird aus mei- Lorenz Beutin, Die Linke, ist der nächste Redner. ner Sicht viel zu wenig beachtet. Dort gibt es ein ver- (Beifall bei der LINKEN) bindliches EU-Ziel für Erneuerbare bis 2030, nämlich 32 Prozent, Herr Koeppen, und zwar für alle Sektoren. Da müssen Sie uns mal erklären, wie Sie das erreichen Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): wollen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- (Beifall bei der SPD) be Zuschauerinnen und Zuschauer! Liebe Nicola Beer von der FDP, als ich eben Ihre Rede gehört habe, habe ich Es gibt ein Gesamteinsparungsziel in der Effizienz von gedacht: Irgendetwas stimmt daran nicht. – Ich habe vor- 32,5 Prozent. Die Ziele sind ambitioniert. Wir sind von her Ihre Aussagen gelesen, auch die, die Sie Ende letzten diesen Zielen sektorenübergreifend noch meilenweit ent- Jahres gemacht haben und von denen Sie noch immer fernt. Wir müssen was tun. nicht Abstand genommen haben. Sie haben erklärt, das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11733

Lorenz Gösta Beutin (A) zunehmende Auftreten von Extremwettern infolge des Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Klimawandels sei Fake News. Herr Kollege Beutin, der Kollege Theurer, FDP, wür- (Nicola Beer [FDP]: Nein!) de Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Das haben Sie wortwörtlich gesagt, ich habe es extra Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): noch einmal nachgelesen. Sie haben auch gesagt, der Ja. Bericht des Weltklimarates betreibe Panikmache. – Ganz ehrlich: Erzählen Sie das den Menschen in Bangladesch, erzählen Sie das den Menschen in Indonesien, erzählen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sie das den Menschen in Mosambik! Herr Kollege Theurer. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Michael Theurer (FDP): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischen- Der Klimawandel, die Extremwetter sind eine Tatsache. frage zulassen. – Sie haben gerade behauptet, dass der Emissionshandel nicht funktioniert. Fakt ist doch, dass (Jürgen Braun [AfD]: Das ist und bleibt Fake in den Sektoren, die in den europäischen Emissions- News! Es gibt keine Erhöhung von Extrem- handel einbezogen sind, nämlich die stromerzeugende wetterlagen!) Industrie, die Klimaschutzziele erreicht werden und es Das können wir nicht bestreiten, sondern wir müssen eine CO2-Minderung gibt, während in den Bereichen, in handeln. denen der Markt nicht funktioniert und die in den Emis- sionshandel nicht einbezogen sind, nämlich Verkehr und Worin unterscheidet sich Ihre Aussage von den Aussa- auch Wärme, also Heizungsenergie, die Klimaschutzzie- gen der Rechtsradikalen hier im Hohen Hause? Ich sehe le eben nicht erreicht werden. da keinen Unterschied. Sieht so Ihre europäische Klima- und Energiepolitik aus? Ich hoffe nicht. Also, Ihre Behauptung, der Markt funktioniere nicht, ist doch absurd und nicht von den Fakten getragen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Wenn wir uns die Ausführungen der FDP zu Ihrem Sind Sie bereit, diese Fakten zur Kenntnis zu nehmen, Antrag anhören, hören wir doch wieder nur die alte Lei- oder wollen Sie weiterhin faktenfrei diskutieren? er davon, dass der Markt schon alles regeln würde. Wir (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (B) sollen uns auf den europäischen Emissionshandel verlas- (D) sen, und dann werde schon alles klappen. – Die Politik, Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): die Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, ist in den letzten Lieber Kollege von der FDP, ich werde Ihnen das ein- 30 Jahren krachend gescheitert. mal erklären und das Ganze auseinandernehmen. Es gibt (Christian Dürr [FDP]: Nein! Die nationale da unterschiedliche Komponenten. Klimapolitik ist gescheitert, Herr Kollege!) (Lachen bei der FDP) Sie hat nicht zu mehr Klimaschutz geführt, sondern ge- Die erste Komponente ist die Frage: Was ist beim Kli- nau zum Gegenteil. maschutz in Deutschland die Berechnungsgrundlage? (Beifall bei der LINKEN) Berechnungsgrundlage ist die Zeitspanne von 1990 bis 2017. Das heißt, die Einsparungen, die wir bei den Wenn Sie mit Ihren Rezepten von gestern kommen, dann CO2-Emissionen feststellen können, gehen zu einem kann ich Ihnen nur sagen: Sehen Sie es doch endlich ein: Teil – das sind etwa ein Drittel; ich habe das extra vorher Dieser Neoliberalismus, den Sie hier wieder vorschla- nachgeguckt, weil ich mir gedacht habe, dass eine sol- gen, hat abgewirtschaftet. che Frage aus Ihren Reihen kommt – auf den damaligen Zusammenbruch der DDR, auf den Rückbau der Indus­ (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei trieanlagen in Ostdeutschland, zurück; ein Drittel der der FDP) Einsparungen beim CO2 sind also darauf zurückzufüh- Wenn vom Bundesumweltministerium endlich ein ren. Etwa zwei Drittel der CO2-Einsparungen im Strom- Klimaschutzgesetz vorgelegt wird, in dem es um die sektor sind darauf zurückzuführen – das können Sie ger- Einsparziele nach Sektoren geht, dann sagen Sie, das sei ne in den entsprechenden Studien nachlesen; ich schicke alles Planwirtschaft, das sei nur die nationale Ebene, das sie Ihnen auch gerne zu –, dass wir ein EEG haben, das könne nicht funktionieren. als Eingriff funktioniert hat, ein EEG, das Sie übrigens abschaffen wollen. (Nicola Beer [FDP]: Sozialismus!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Nein. Wir haben beim Klimaschutz kein Problem mit neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE zu viel Staat. Unser Problem momentan ist, dass wir zu GRÜNEN – Christian Dürr [FDP]: Das kann wenig verbindliche Regelungen, zu wenig verbindliche ja gar nicht sein!) Vorgaben beim Klimaschutz auf nationaler Ebene haben. Das EEG bedeutet genau das: Mit staatlichen Mitteln (Beifall bei der LINKEN) wird versucht, erneuerbare Energien anzuschieben, in 11734 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Lorenz Gösta Beutin (A) den Markt zu bringen. Genau das brauchen wir. Es ist Profis, und tischen Sie uns hier keinen Klimawandels- (C) verheerend, dass Sie das abschaffen wollen. keptizismus auf!

Ein weiterer Punkt. Die CO2-Preise ziehen jetzt an. Vielen Dank. Sie sollten ein paar Börsenmagazine lesen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Johann Saathoff [SPD]: Das macht die FDP NIS 90/DIE GRÜNEN) doch gerne! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das macht die FDP sowieso gerne!)

– Stimmt, eigentlich liest die FDP solche Magazine ganz Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gerne. – Dort wird zum Kauf von CO2-Zertifikaten ge- Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ingrid Nestle, raten, weil man nun Gewinn damit machen kann. Das Bündnis 90/Die Grünen. heißt, die Gewinne im Emissionshandel und der steigen- de Preis bei den Zertifikaten sind gerade auf eine Speku- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lation zurückzuführen. Ich will Ihnen mal erklären, wie ein Markt funktio- Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): niert. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der (Lachen bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: Antrag der FDP spricht über die wichtige Rolle Europas Der war gut! Sozialismus predigen und den in der Energiepolitik. Das ist ein ehrenwertes Anliegen. andern den Markt erklären! Der war wirklich Auch wir Grüne zeigen in unserem Antrag, dass Brüssel gut!) viel weiter ist als die Bundesregierung. Die EU will es allen Menschen ermöglichen, in ihren eigenen vier Wän- Wir haben im Emissionshandel rund 2 Milliarden über- den eine Energiewende zu machen, an den wichtigen schüssige Emissionszertifikate. Auch Sie können nicht Märkten teilzuhaben, ihre Kreativität zu entfalten. Herr erklären, wie ein Markt funktionieren soll, auf dem keine Altmaier, setzen Sie das endlich um! Knappheit herrscht; denn nach der Logik der FDP und der Logik der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN funktioniert ein Markt nur, wenn Knappheit besteht. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Wenn keine Knappheit besteht, funktioniert ein Markt FDP) eben nicht. Das sind ein paar Basics. Aber dann wird es leider schwieriger mit dem An- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- trag der FDP. Sie sagen: Nur Emissionshandel darf (B) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Klimaschutz machen. – Emissionshandel ist genauso (D) GRÜNEN) marktwirtschaftlich wie eine CO2-Bepreisung, und an- dersherum. Der Unterschied ist: Der CO -Preis gibt In- Ich will kurz fortfahren. Ich habe gesagt: Wenn dann 2 vestitionssicherheit und Preissicherheit für Bürger und ein Klimaschutzgesetz vorgelegt wird – – Ach, da war Unternehmen. Und in der Vergangenheit haben Sie sich ich gar nicht. Entschuldigung, aber ich bin in meinem oft für schwache Ziele im Emissionshandel eingesetzt. Manuskript etwas verrutscht. Man fragt sich also: Warum lehnen Sie das eine markt- (Lachen und Beifall bei der FDP) wirtschaftliche Instrument, die CO2-Bepreisung, vehe- ment ab, während Sie das andere, den Emissionshandel, Die FDP lehnt – das sehen wir auch in Ihrem Antrag – als angeblichen Heilsbringer darstellen? eine kluge und lenkende Gestaltung der Wirtschaft im In- teresse der Mehrheit der Menschen ab. Sie lehnt sie auch (Sandra Weeser [FDP]: Nur die Steuer, Frau im Interesse unserer Umwelt ab. – Herr Präsident, haben Nestle!) Sie die Zeit, die ich für die Beantwortung der Zwischen- frage benötigt habe, nicht berücksichtigt? – Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. – Die Erklärung ist: Sie fordern deshalb die Aufnahme des Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Verkehrs in den Emissionshandel, weil Sie genau wis- sen, dass das nicht kommen wird. Immerhin geben Sie in Sie hatten drei Minuten Redezeit. Sie sind nun fast Ihrem Antrag offen zu, dass Sie auf Europa warten wol- zehn Minuten am Rednerpult. len – Herr Koeppen hat erklärt, wie lange das dauert –, und schieben Ihre Verantwortung an Europa und damit in Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): die Zukunft ab. Diese Zeit haben wir nicht. Okay, aber ich musste leider der FDP das noch mal erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich schließe. Sie diffamieren Jugendliche, die auf die Ganz abgesehen davon genügt ein Blick in die Ana- Straße gehen und protestieren, und sagen, sie sollten sich lyse des Bundesverbandes der Deutschen Industrie zur das von den Profis erklären lassen. Die Profis sind aber Verkehrskommission, um zu verstehen, warum der Emis- nicht Sie. Die Profis sind diejenigen, die den Schülerin- sionshandel so schlecht zum Verkehr passt. Wollte man nen und Schülern recht geben. Die Profis sind die Wis- die Klimaziele des Verkehrssektors allein über den Emis- senschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sagen, dass sionshandel erreichen, würde ein CO2-Preis von über jetzt Zeit ist, zu handeln. Also: Halten Sie sich an die 200 Euro pro Tonne entstehen. Sie fordern also impli- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11735

Ingrid Nestle

(A) zit einen höheren CO2-Preis als Fridays for Future und Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): (C) scheinen das noch nicht einmal zu merken. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Morgen! Sehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol- Dr . [FDP]: Sie haben es nicht legen! Es liegen verschiedene Anträge der Opposition zu verstanden!) energiepolitischen Themen vor. Einige Punkte darin sind durchaus richtig. Vieles ist aber entweder unvollständig Faktisch würden die Autofahrerinnen und Autofahrer erst oder schlichtweg falsch. Zunächst einmal möchte ich be- mal ziemlich viel blechen, ohne etwas zu ändern. Weil tonen, dass wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien Sie von der FDP flankierende Maßnahmen ablehnen, vorankommen. Über 40 Prozent der Nettostromerzeu- würde sich auch sonst nichts ändern. Irgendwann müsste gung erfolgt mittlerweile durch erneuerbare Energien. der Verkehr natürlich trotzdem reduzieren, aber nach Ih- rem Vorschlag dann ganz plötzlich und ohne Zeit, E‑Mo- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bilität zu etablieren. NEN]: Trotz dieser Bundesregierung! – Ge- genruf des Abg. Carsten Müller [Braun- Wir Grüne wollen, dass die Autoindustrie ab sofort schweig] [CDU/CSU]: Gerade wegen dieser ihren Teil der Verantwortung übernimmt und sparsamere Bundesregierung!) Autos baut, anstatt das China zu überlassen. Wir wollen mit einem CO2-Preis diejenigen belohnen, die sich kli- Ebenso gilt es zu betonen, dass der Ausstoß von klima- mafreundlich verhalten. Wir wollen das den Menschen schädlichen Treibhausgasen allein im letzten Jahr um erleichtern, indem wir die Bahn gut und günstig machen, 4,5 Prozent zurückging, und das bei steigender Wirt- indem wir sichere Radwege schaffen, indem E-Mobilität schaftsleistung. Das alles ist ein Erfolg. einfach wird und indem wir die Einnahmen an die Bür- (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke gerinnen und Bürger so zurückgeben, dass diejenigen mit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotz dieser wenig Geld in der Tasche unterm Strich profitieren. Bundesregierung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dass wir aber im Rahmen einer vollständigen Dekar- Olaf in der Beek [FDP]: Das hat noch nie bonisierung oder Klimaneutralität unserer Gesellschaft – funktioniert!) wie auch immer man das ausdrückt – noch erhebliche Wir wollen die Verantwortung nicht abschieben, nicht in Anstrengungen unternehmen müssen, ist unstrittig. Was die Zukunft und nicht auf die EU. Wir wollen, dass wir auch richtig ist, ist, dass diese Anstrengungen möglichst hier und jetzt unseren Teil beitragen. Dann werden die global und, wenn das nicht möglich ist, auf europäischer anderen es auch tun. Ebene unternommen werden müssen. (B) (D) Zum Abschluss eine Bitte an die Union. Sie haben ge- Aber es gibt nicht das eine Instrument, mit dem man sagt, dass wir jetzt das EEG abschaffen müssen, weil die sozusagen mit einem Schnipp alle vorhandenen Pro- Erneuerbaren so teuer sind. Unter Ihrer Regierung haben bleme lösen könnte. Im Gegenteil: Wir brauchen viele wir viele Erneuerbare zugebaut, als sie noch teuer waren. Instrumente, um unterschiedliche Technologien anzu- Heute sind neue Erneuerbare günstiger als neue Fossile. reizen, um Effizienzen hinsichtlich der weiteren Einspa- Und jetzt wollen Sie das EEG abschaffen? Das ist völlig rung von Energie zu erzielen. Das alles hilft dann auch, unlogisch. den Ausstoß von CO2 weiter zu reduzieren. Wir wollen hier möglichst viele Innovationen und möglichst wenige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zusätzliche Belastungen. Wir wollen nicht die Lust am sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gängeln und an Verboten. Wir wollen die Lust an Zu- Von Ihnen hört man vielfach das Wort „nachdenken“. kunft und an Innovation. Sie regieren seit 14 Jahren. Die Zeit zum Nachdenken ist (Beifall bei der CDU/CSU) vorbei. Irgendwann muss eine Regierung auch handeln. Irgendwann muss eine Regierung handeln und auf die Die FDP fordert in ihrem Antrag: „Energiepolitik eu- Klimakrise reagieren. Die Frage ist: Finden Sie immer ropäisch denken“. Sie waren zwar vier Jahre nicht in nur Gründe, warum Sachen nicht gehen, oder packen wir diesem Parlament, aber in dieser Zeit ist durchaus was es an? Wir wollen es anpacken. passiert, auch auf europäischer Ebene, wo Sie eigent- lich vertreten waren. So hat sich die EU für 2030 das Herzlichen Dank. Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen um mindes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tens 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Darü- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ber hinaus soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch der EU bis 2030 auf 32 Prozent Vizepräsidentin Claudia Roth: gesteigert werden, und im Bereich der Energieeffizienz sollen zusätzlich 32,5 Prozent erreicht werden. Es gilt Vielen Dank, Ingrid Nestle. – Bevor ich Andreas Lenz das Leitmotiv „Efficiency First“, also Effizienz zuerst. das Wort gebe, will ich Ihnen erst mal einen schönen gu- All diese Maßnahmen dienen auch der Umsetzung der ten Morgen wünschen, auch Ihnen, Herr Lenz. Klimaschutzverpflichtungen der EU aufgrund der Pariser Der nächste Redner: Dr. Andreas Lenz für die CDU/ Verträge. CSU-Fraktion. Die FDP fordert mehr Anstrengungen im Bereich von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Forschung und Entwicklung. Das ist zunächst richtig; es 11736 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Andreas Lenz (A) ist natürlich immer richtig. Sie fordern aber auch, dass Wir müssen dieses richtige Vorhaben aber auch richtig (C) beispielsweise der Unbundling-Grundsatz unbedingt umsetzen, damit es eben nicht zu sozialen Verwerfungen eingehalten wird, also die Trennung von Netzbetrieb und kommt. Stromerzeugung. Das ist prinzipiell auch richtig, verhin- dert auf der anderen Seite aber teilweise Innovationen. (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir brauchen gleichzeitig Energienetzbetreiber, die die NEN]: Wie denn? – Oliver Krischer [BÜND- Netzsituation durch Speicher zukünftig weiter stabilisie- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, ren. Also: Innovationen bedürfen eines allumfassenden wie!) Ansatzes. Wir sind es, die zukünftig Power-to‑X-Techno- logien anreizen und auch die Wasserstofftechnologie auf Auch dem Weltklima bringt es nichts, wenn wir durch den Markt bringen werden. übereilte Reformen die energieintensive Industrie verlie- ren, die Landwirtschaft abschaffen und gleichzeitig indi- Sie wollen – so wörtlich – die „unterschiedlichen viduelle Mobilität einschränken, wodurch es zu sozialen energiepolitischen Strategien der EU-Mitgliedstaaten Verwerfungen kommt. zusammenführen“. Die Koordinierung ist zwar wichtig – das ist überhaupt keine Frage –, wir können und wollen es allerdings den Ländern selber überlassen, welche In- Vizepräsidentin Claudia Roth: strumente sie zur Erreichung der Ziele letzten Endes an- Herr Dr. Lenz, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder wenden. Für uns gilt auch hier der Grundsatz der Subsi- -bemerkung von Frau Nestle? diarität. Der einzige Punkt, bei dem ich mit Herrn Beutin übereinstimme, ist der, dass bei Ihrem Antrag zwar einige Spezialisten am Werk waren, aber noch längst keine Pro- Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): fis in der Klima- und Energiepolitik. Ja, bitte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Grünen nehmen wiederum explizit Bezug auf Ingrid Nestle das EU-Paket „Saubere Energie für alle Europäer“. Das Danke, dass ich fragen darf. – Ich wollte mich ein- Clean-­Energy-Paket bildet mit acht Richtlinien und Ver- mal erkundigen, was für Sie „übereilt“ bedeutet. Ich habe ordnungen und über 1 000 Seiten Rechtstext den Rah- 1998 angefangen, Klima- und Energiepolitik zu studie- men für die europäische Energiepolitik der Zukunft. Sie ren. Seitdem und auch schon vorher wurde in Deutsch- von den Grünen haben die über 1 000 Seiten anscheinend land über die richtige Energie- und Klimapolitik nachge- schon durchgearbeitet und können jetzt schon sagen, was dacht. Wir haben alle Technologien und wissen, wie es (B) der nationale Gesetzgeber daraus machen muss. Des- bezahlbar geht. Wir haben alle politischen Instrumente. (D) wegen fordern Sie in einem Schnellschuss, den aktiven Wir haben sie in zig Studien aufeinander abgestimmt, Kunden in die nationale Gesetzgebung zu überführen. verbessert, optimiert und bewertet. Seit 14 Jahren ist die Union mit in der Regierung. Was ist also für Sie „über- Zunächst findet die Entwicklung des aktiven Kunden eilt“, wenn wir von Ihnen einfordern, dass Sie heute mal oder Consumers – wie auch immer man das bezeich- eine Maßnahme nennen, zu der Sie sich wirklich beken- nen will – bereits statt. Die Umsetzung des EU-Pakets nen? umfasst aber natürlich wesentlich mehr. Da geht es um Energieeffizienz, um die EU-Gebäuderichtlinie, um die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Strombinnenmarktrichtlinie und, und, und. Sie wollen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) außerdem Unternehmen beim Eigenverbrauch zusätz- lich belasten – das schreiben Sie in Ihrem Antrag – und dadurch Privatverbraucher entlasten. Das ist natürlich Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Gift für langfristige Investitionen. Wir haben gerade In- Frau Nestle, vielen Dank für Ihre Frage. – Sie haben vestitionssicherheit bei der Kraft-Wärme-Kopplung, der gerade in Ihren Ausführungen, wenn ich mich richtig er- KWK, geschaffen, und Sie wollen das jetzt zurückdre- innere, die FDP kritisiert, weil sie den ETS-Bereich auf hen. Das ist nicht der richtige Weg. Wir werden auch die andere Sektoren übertragen will, und haben argumen- Spielräume des nationalen Gesetzgebers nutzen, die das tiert, dass der Preis für CO2 nicht für jeden Sektor un- EuGH-Urteil erlaubt. Es besagt, dass das EEG eben ge- bedingt der gleiche sein sollte. Das ist ja das Argument rade keine Beihilfe ist. dafür, dass man sich die Sektoren genau anschauen muss, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bevor man eine entsprechende Bepreisung einführt, und nicht alles über einen Kamm scheren darf. Hier werden wir die Planungssicherheit weiter stärken. (Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Natürlich ist das Klimasteuer- und -abgabensystem NEN]: Was haben Sie die letzten 14 Jahre ge- insgesamt ein Thema. Wir brauchen eine Abgaben- und macht?) Gebührenreform. Diese muss mehr auf CO2-Gesichts- punkten basieren und sektorübergreifend erfolgen. Deswegen muss man sich solche Instrumente auch im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hinblick auf mögliche Kollateralschäden, die nicht er- wünscht sind, beispielsweise im Bereich der energiein- Wir müssen und werden die Erneuerbaren noch stärker tensiven Industrie, im Bereich der Mobilität, aber auch in in den Wärme- und in den Mobilitätsbereich bringen. anderen Sektoren, anschauen. Das werden wir machen, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11737

Dr. Andreas Lenz (A) und wir werden hier nicht das Kind mit dem Bade aus- Meiner Wahrnehmung nach ist das sozialistische System (C) schütten. in der ganzen Welt gescheitert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jens Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Koeppen [CDU/CSU]) Wann? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch gar nicht! Wie Das nur zum Einstieg. viele Jahre wollen Sie noch warten?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf die Abschließend möchte ich sagen: Das Paket „Saubere zukünftige Sicherheit bei der Versorgung mit Strom, Energie für alle Europäer“ muss sorgfältig in nationales dessen Bezahlbarkeit und den Klimaschutz in Europa Recht umgesetzt werden. Dabei gilt – das betont auch muss dieses Parlament gemeinsam an einem Strang zie- die Kommission und die EU insgesamt – natürlich auch hen. Wenn wir ein Interesse an der Lösung der energie- das Zieldreieck von Bezahlbarkeit, Versorgungssicher- und klimapolitischen Probleme unserer Zeit haben – ich heit, Umweltverträglichkeit und Klimaschutz. Deswegen gehe davon aus, dass das für eine Mehrheit des Hauses müssen wir Ihre Anträge leider ablehnen. Warum wir zutrifft – und gleichzeitig ein Interesse an einem konkur- auch die Euratom-Anträge ablehnen werden, wird Ihnen renzfähigen Europa haben, dann müssen wir uns für die der Kollege Müller erklären. Energielandschaft Europa und für die Überwindung nati- onaler Alleingänge starkmachen. Es mag in diesem Haus In diesem Sinne herzlichen Dank für die Aufmerk- sehr unterschiedliche Meinungen über den Weg zum Ziel samkeit und einen schönen Vormittag. geben; aber eins muss uns allen doch klar sein: Europa (Beifall bei der CDU/CSU) muss gemeinsam einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsidentin Claudia Roth: GRÜNEN]: Welchen leisten Sie?) Vielen Dank, Dr. Lenz. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Sandra Weeser. – Ich hoffe, dass wir das gemeinsam hinkriegen, wenn wir uns zusammensetzen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Sandra Weeser (FDP): Also: Eine gemeinsame energiepolitische Strategie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und bietet riesige Chancen. Ich stelle mir vor, dass Europa (B) Kollegen! Ich sehe, die Debatte ist wieder animiert. Be- dabei seine unterschiedlichen geografischen Gegeben- (D) vor ich in meine Rede einsteige, muss ich noch ein paar heiten nutzt. Worte verlieren. Interessanterweise ist das ETS ja nicht der einzige Punkt in unserem Antrag, wird hier aber von (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- vielen genannt. Wir beschreiben sieben Ansätze für eine NIS 90/DIE GRÜNEN]) europäische Energiepolitik. – Jetzt lassen Sie mich doch mal ausreden! – Wir haben (Beifall bei der FDP – Timon Gremmels die windreichen Küsten, den sonnigen Süden und die [SPD]: Wow!) steilen Berge. Wir haben sie gemeinsam besichtigt; Sie waren ja mit dabei. Das alles ist in Bezug auf die Strom- – Sie haben ihn wahrscheinlich nicht gelesen, Herr erzeugung sinnvoll und effizient. Das bietet viel mehr Gremmels, nicht wahr? Möglichkeiten, als jeder Staat allein hat. (Timon Gremmels [SPD]: Doch, ich komme Im letzten Jahr waren wir mit einigen Abgeordneten gleich drauf! Ich bin ja nach Ihnen dran!) dieses Hauses zu Besuch in der Schweiz. Wir haben dort eins von 19 Pumpspeicherkraftwerken besichtigt. Frau Nestle, ja, wir sind für eine CO2-Bepreisung, aber nicht für eine CO -Steuer. 2 (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- (Beifall bei der FDP) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Das möchte ich noch einmal ganz klar herausstellen; – Ja. – Leider blieb es nur beim Sehen. Denn als wir im denn eine CO2-Steuer ist für uns nicht zielführend. Maschinenraum waren, da habe ich nichts gehört, da war es verdammt still, weil die Turbinen stillstanden. Wissen Herr Beutin, ich fand es schon sehr interessant und Sie, woran das liegt? Das liegt daran, dass diese Pump- auch ein bisschen amüsant, dass Sie uns Marktwirtschaft speicher momentan zum größten Teil nicht zum Einsatz erklären. kommen. (Beifall bei der FDP – Timon Gremmels (Beifall bei der FDP) [SPD]: Hat er aber gut gemacht!) Das ETS ist erfolgreich; das muss man sagen. Da hat die Das liegt daran, dass die Schweiz vom Strommarkt aus- Marktwirtschaft gegriffen. geschlossen ist. Auf der einen Seite ringen wir darum, in Europa Energie aus Russland und aus den USA zu (Beifall bei Abgeordneten der FDP) beziehen, auf der anderen Seite will Brüssel momentan 11738 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Sandra Weeser (A) kein Stromabkommen mit der Schweiz schließen. Das ist sind energiepolitisch durchaus zu hinterfragen, weil es (C) völlig absurd. Spitzenleistungskraftwerke sind. Sie brauchen viel mehr Energie und Strom, um das Wasser nach oben zu pum- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jens pen und um es in Spitzenzeiten runterzulassen. Wenn in Koeppen [CDU/CSU]) der Zeit Photovoltaik im Einsatz ist, dann ist das ener- Und sosehr die Eidgenossen auf die Einbindung in das giepolitisch sehr viel sinnvoller als das, was Sie hier vor- europäische Stromnetz angewiesen sind, so sehr braucht geschlagen haben, Frau Weeser. Energiepolitisch ist da die EU die Schweiz als ideal gelegene Stromdrehscheibe also wenig Ahnung bei der FDP vorhanden. Sie haben da samt ihren Speichermöglichkeiten für volatil erzeugten keine Profis. Strom. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP) Die Überschrift, man müsse Energiepolitik doch mal europäisch denken, klingt ja im ersten Moment gut. Und Vizepräsidentin Claudia Roth: wer hätte ein Problem damit, wenn die FDP mal nach- Frau Weeser. denkt! Aber wir haben doch kein Erkenntnisproblem in Europa. Wir haben ein Umsetzungsproblem in Europa in Sandra Weeser (FDP): der Frage der Energiepolitik. Das ist doch unser Problem, Ich weiß. – Die Infrastruktur der Schweiz ist be- und das ist auch das FDP-Problem, da Sie hier keine Lö- reits voll integriert. Das Netz besteht aus 41 Leitungen. sung präsentieren, sondern nur Fragen aufwerfen. 30 Prozent der Stromflüsse gehen durch die Schweiz. – (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ich werde die Aufzählung nicht mehr bis zum Ende mei- Dr . Florian Toncar [FDP]: Lesen Sie doch un- ner Redezeit schaffen. seren Antrag!) (Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordne- Wir haben doch in Europa verbindliche nationale Zie- ten der CDU/CSU) le vereinbart, zum Beispiel bei der EU-Richtlinie, bei Wir brauchen einen EU-Binnenmarkt, der möglichst kos- den Energien aus erneuerbaren Quellen oder auch bei der tengünstig und vor allen Dingen auch emissionsarm ist. CO2-Reduktion und der EU-Rechtsvorschrift zur Lasten- teilung. Das sind doch Vereinbarungen, die wir getroffen haben, wo klar drinsteht, dass wir national handeln müs- Vizepräsidentin Claudia Roth: sen. Und jetzt tut die FDP in ihrem Antrag so, als ob es Frau Weeser, ich muss Sie jetzt unterbrechen; sonst auf EU-Ebene diese national festgelegten Ziele gar nicht kriege ich Ärger mit Herrn Kubicki. (B) gibt. Ehrlich gesagt, Frau Beer, von einer FDP-Spit- (D) (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) zenkandidatin, die ins Europaparlament will, hätte ich deutlich mehr erwartet; das muss man an dieser Stelle Sandra Weeser (FDP): mal sagen. Ja. – Schluss mit dem Flickenteppich in der Energiepo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- litik! Sorgen wir für eine verbundene Energielandschaft! ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Danke schön. Dr. Florian Toncar [FDP]: Immerhin haben wir eine Spitzenkandidatin, Herr Kollege!) (Beifall bei der FDP) Frau Beer, wir haben ja eine gemeinsame Vergan- genheit im Hessischen Landtag. Da war ich auch schon Vizepräsidentin Claudia Roth: mit Energiepolitik beschäftigt. Ich erinnere mich an eine Vielen Dank, Frau Weeser. – Nächster Redner in der Debatte mit Frau Beer, bei der es um das Thema Fra- Debatte: für die SPD-Fraktion Timon Gremmels. cking ging. Es gab einen kanadischen Anbieter, der wür- (Beifall bei der SPD) de gerne in Nordhessen schön Erdgas und Erdöl fracken, Chemie in den Untergrund pumpen und dort dann dafür sorgen, dass Gas und Öl gefördert wird. Timon Gremmels (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und (Nicola Beer [FDP]: Da ging es um Fracking Herren! Zwei Wochen vor der Europawahl hat die FDP mit Wasser!) die Gunst der Stunde genutzt und für ihre Spitzenkandi- An diese Debatte im Hessischen Landtag erinnere datin vermeintlich ein Thema gefunden, das sie hier set- ich mich sehr gut, weil Sie, Frau Beer, damals gefor- zen kann, damit sich Frau Beer noch mal präsentieren dert haben, dieses Fracking in Nordhessen zu ermögli- kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, um mal chen. Also, an alle Wählerinnen und Wähler: Wer Frau Herrn Lindner zu zitieren: Hätten Sie das doch bloß mal Beer und die FDP wählt, wird dafür sorgen, dass es in den Profis überlassen. Deutschland Fracking geben wird. Das ist nämlich die (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Position der FDP, und das sollten auch die Wählerinnen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Wähler wissen. Das beste Beispiel ist die Kollegin Weeser, die gera- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Nicola de formuliert hat, dass das ja alles schwierig ist mit den Beer [FDP]: Nein! – Sandra Weeser [FDP]: Pumpspeicherkraftwerken. Pumpspeicherkraftwerke Das ist doch Schwachsinn!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11739

Timon Gremmels (A) Das Zynische war doch, dass Sie einerseits dafür ein- wir müssen kurzfristiger handeln. Jetzt droht doch, dass (C) getreten sind, in Hessen schön Fracking zu machen, und wir die Klimaschutzziele, auf die wir uns verständigt ha- gleichzeitig gegen Windkraftenergie gekämpft haben. ben – auch hier – 2030 verfehlen. Es drohen Strafzah- Das war nämlich die FDP, die mit ihren SUVs in die lungen aus dem Effort Sharing. Das sind Strafzahlungen, Wälder gefahren ist, um dort die Demonstrationen gegen die Deutschland dann vornehmen muss. Das wird doch Windkraft voranzutreiben. auch auf die Steuerzahler umgelegt. Deswegen brauchen wir kurzfristig eine Lösung und dürfen das nicht auf den (Sandra Weeser [FDP]: Und was haben Sie Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. gemacht?) Das ist der ganze Zynismus und die Doppeldeutigkeit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dieser FDP. Ich zitiere jetzt einmal: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich, wer wollte den Emissionshandel nicht ausweiten! Aber das System ist auf Jahre europa- Frau Beer, überlassen Sie es bitte den Profis! weit festgezurrt. Es lässt sich im Moment nicht (Sandra Weeser [FDP]: Ah!) aufschnüren. Die Ausweitung des Emissionshan- dels ist also eine Lösung für die fernere Zukunft. Eine CO -Steuer entscheidet daher als pragmati- Vizepräsidentin Claudia Roth: 2 scher Lösungsansatz im Hier und Jetzt. Herr Gremmels, erlauben Sie eine Bemerkung, Kom- mentierung oder Frage von Frau Beer? Woraus habe ich jetzt zitiert? Es war nicht die „taz“. Es war das „Handelsblatt“ von gestern, das Ihnen das so- Timon Gremmels (SPD): zusagen ins Stammbuch schreibt. Wenn Sie schon nicht Es wäre unhöflich, wenn ich das jetzt nicht tun würde. auf mich hören, hören Sie doch mal auf das „Handels- blatt“! Das machen Sie doch sonst auch so gerne, meine sehr verehrten Damen und Herren. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, das wäre unhöflich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich möchte an dieser Stelle noch etwas sagen. Sie ha- NEN]: Unbedingt!) ben in Ihrem Antrag auch ein paar richtige Punkte ange- sprochen. Ich will ja kein FDP-Bashing machen, sondern (B) Nicola Beer (FDP): nur sachliche Kritik üben. (D) Ganz herzlichen Dank. – Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es in der damaligen Debat- (Dr . Florian Toncar [FDP]: Nein! – Sandra te darum ging, dass Forschungseinrichtungen Gelder aus Weeser [FDP]: Natürlich nicht!) der öffentlichen Hand gestrichen wurden, weil sie Mem- branen erfunden haben, die es möglich machen, Fracking Also: Was Sie zum Thema Erdgas geschrieben haben, ist mit Wasser zu betreiben und gleichzeitig auf dem Rück- in der Tat richtig. Wir brauchen eine europäische Erd- weg wieder Wasser mit Grundwasserqualität zurückzu- gasversorgung. Natürlich muss auch Gas künftig grüner bekommen? Das durfte damals nicht sein, weil es nicht werden; das schreiben Sie auch völlig zu Recht in Ihrem in Ihr Weltbild passte und weil sich die Bewertung von Antrag. Aber wenn wir jetzt parallel den Kohleausstieg Fracking auch in Deutschland hätte ändern müssen. und den Atomausstieg durchführen, brauchen wir auch eine gute Gasversorgung in Deutschland, und dafür ist (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ein Projekt wie Nord Stream 2 sinnvoll und richtig. NEN]: Sind Sie für oder gegen Fracking?) (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD]) Timon Gremmels (SPD): Was Herr Weber da macht, ist purer Populismus. Das Frau Beer, es ist ganz einfach: Auch diese Landtags- ist billiger Wahlkampf, den er da macht, um die Stimmen debatte wurde – wenn ich das richtig weiß – festgehalten. aus Polen zu bekommen. Ich finde, das geht überhaupt Ich stelle das Protokoll auf meine Homepage; dann kann nicht, und ich finde, da sollte die CDU-Vorsitzende ih- sich jeder Bürger eine Meinung darüber bilden. Die FDP rem Spitzenkandidaten mal in die Parade fahren. Hier hat damals für Fracking gekämpft, die SPD war dagegen. geht es um eine europäische Versorgung. Gut, dass wir uns damals auch in dieser Frage durchge- setzt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael (Beifall bei der SPD – Dr. Marcus Faber Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir sind ja nicht [FDP]: Peinliche Antwort!) in der SPD! Lasst das mal den Kevin weiter- machen, der Vorsitzenden in die Parade fah- Ich möchte an dieser Stelle aber noch mal deutlich ren!) machen, dass das Thema ETS durchaus schwierig und komplex ist. Sie wollen das Ganze auf europäischer Ebe- Denn das Gas, das hier landet, soll ja nicht in Deutsch- ne lösen. Das kann man ja mal probieren und auch mal land verbraucht werden, sondern in ganz Europa. Wenn angehen; aber das ist ein langwieriger Prozess. Ich finde, Sie sich bewusst machen, dass die Niederlande und auch 11740 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Timon Gremmels (A) Deutschland weniger Gas fördern, dann wird Ihnen ganz US-amerikanisches Fracking-Gas. Nein, wir brauchen (C) klar: Wir brauchen Nord Stream 2. jemanden, der der Herausforderung gewachsen ist, und Herr Weber ist dieser Position nicht gewachsen. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Sie sind ja voll auf AfD-Linie, Kollege!) (Beifall bei der LINKEN) Deswegen ist es auch gut so, dass es im europäischen Tri- Herr Kotré, Sie haben in diesem Zusammenhang in log einen Kompromiss gegeben hat. Am Ende haben 27 Ihrer Fake-News-Rede davon gesprochen, dass Herr von 28 Ländern dem Kompromiss zugestimmt. Wie Herr Weber, wenn er eine falsche Politik macht, seine Staats- Weber das wieder aufschnüren will, ist mir ein Rätsel. Er bürgerschaft zurückgeben sollte. Das wäre der völlig soll sich an dieser Stelle nicht verkämpfen. Wir werden falsche Weg. Sie müssen auch aufpassen; denn wenn fal- dafür sorgen, dass er gar nicht erst EU-Kommissionsprä- sche Politik Maßstab für Staatsbürgerschaft ist, dann ist sident wird. Dann haben wir auch da Ruhe. von der AfD bald niemand mehr da. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Lassen Sie mich zum Schluss aus aktuellem Anlass Deshalb, glaube ich, würde es uns reichen, wenn wir al- noch etwas zum Thema Atomkraft sagen: Ehrlich gesagt, les dafür tun, dass Manfred Weber diese Position nicht merke ich, dass an der einen oder anderen Stelle ein paar bekommt, sondern maximal das bleibt, was er heute ist, Steinchen ins Wasser geworfen werden, was Atomkraft und das ist anscheinend schon zu viel. angeht. So hat der Linde-Aufsichtsrat Wolfgang Reitzle vorgestern eine Verlängerung der Laufzeit von Atom- Wir machen mit unserem heute vorliegenden Antrag kraftwerken gefordert. Ich sage Ihnen hier an dieser Stel- zu Euratom auch deutlich: Wir brauchen wieder eine le klar und deutlich: Es wird mit der SPD keine Laufzeit- Debatte über die Zukunft der Atomenergie. Sie, Herr verlängerung geben. Im Jahr 2022 geht das letzte AKW Gremmels, haben eben gesagt, wie diese Debatte schon vom Netz. wieder abläuft. Es gab schon mal einen Ausstieg aus dem Ausstieg. Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bundesregierung nicht weiter mit gespaltener Zunge re- det. Deswegen ist es umso dringender, dass wir bei der Frage des Ausbaus der erneuerbaren Energien endlich voran- (Timon Gremmels [SPD]: Glasklar!) schreiten. Da ist der grüne Antrag hilfreich. Da sind un- sere Ideen hilfreich. Hilfreich wäre es aber auch, wenn Wir wollen den Atomausstieg; er muss klargemacht Herr Altmaier endlich mal einen Ausbaupfad vorlegen werden. Wir müssen uns klar dazu bekennen. Da ist es nicht ehrlich, wenn wir in Deutschland den Atomausstieg (B) würde. Es ist seine Aufgabe, sich dafür einzusetzen. Wir (D) erwarten da dringend ein Konzept und eine Vorgabe. umsetzen, aber über die Europäische Union weiterhin Atomstrom fördern. Das macht Euratom. Deshalb muss Danke. Euratom endlich aufgelöst werden. Sie haben heute die Chance, wenn es um die Abstimmung über unseren An- (Beifall bei der SPD) trag geht, Ihre Position glaubhaft auch im Abstimmungs- verhalten zu zeigen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Vielen Dank, Timon Gremmels. – Nächster Redner: neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke. Euratom ist ein Relikt aus der vergangenen Zeit. Eu- (Beifall bei der LINKEN) ratom führt dazu – das wissen viele Menschen nicht –, dass wir auch heute noch mit Milliardenbeiträgen neue Alexander Ulrich (DIE LINKE): Atomkraftwerke fördern. Ich möchte nicht, dass wir mit Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! unserem Geld weiter europäische Atompolitik fokussie- Da der Ausbau der erneuerbaren Energien und auch die ren. Wir sagen, wir brauchen als Alternative eine Agen- Energiewende in Deutschland nur schrittchenweise vo- tur für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Da wären rankommen, da wir deutlich hinter dem zurück sind, was diese Milliardenbeiträge viel besser angesiedelt. Man notwendig wäre, und da auch die Große Koalition bei könnte dieser Agentur auch die Zuständigkeit für die Si- dieser Frage versagt, müssen wir leider feststellen, dass cherheitsfrage übertragen. Und sie könnte einen wichti- Gas als Brücke notwendig ist. Wenn man das weiß, ist gen Beitrag dazu leisten, dass auf europäischer Ebene die es einem völlig unverständlich, warum Manfred Weber Klimaschutzziele erreicht werden. Deshalb: Verleihen von der CSU sich auf europäischer Ebene dafür einsetzt, Sie Ihrer Politik ein bisschen mehr Glaubwürdigkeit, und Nord Stream 2 zu beenden. Ich finde das unverantwort- stimmen Sie heute unserem Antrag auf Auflösung von lich. Das allein ist Grund genug, zu sagen, dass Weber Euratom zu! kein geeigneter Mann an der Spitze der EU-Kommission ist. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wir brauchen in der europäischen Energiepolitik ei- neten der SPD) nen sozialökologischen Umbau. Wir müssen da viel mehr tun. Wir glauben, dass die Bundesregierung an Wir brauchen keinen neuen Kalten Krieger gegen dieser Stelle versagt. Wir glauben auch, dass zu wenig Russland. Wir brauchen auch keinen Lobbyisten für Einfluss auf die europäische Politik genommen wird. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11741

Alexander Ulrich (A) Deshalb haben die Menschen in diesem Land am 26. Mai Die CDU hat in den letzten 13 Schuljahren im Fach (C) die Chance, für eine Politik gegen Klimawandel und für Klimaschutz nicht aufgepasst und auch das Lösungsheft einen sozialökologischen Umbau zu stimmen. Die Linke kein einziges Mal in die Hand genommen. ist da eine gute Wahl. (Timon Gremmels [SPD]: Die haben das Vielen Dank. Fach abgewählt!) (Beifall bei der LINKEN) Und jetzt schimpft die CDU, dass das Thema im Abitur überhaupt abgefragt wird – und fällt krachend durch die Prüfung, weil sie ein leeres Blatt abgibt. Die Union hat

Vizepräsidentin Claudia Roth: absolut keine Ahnung, keine Ideen. Was für ein kollekti- Vielen Dank, Alexander Ulrich. – Nächste Rednerin ves Versagen dieser heruntergewirtschafteten Partei! für Bündnis 90/Die Grünen: Dr. Julia Verlinden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Sehr oberlehrerhaft!) Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur eins haben Sie noch nicht mitgekriegt, liebe CDU: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wol- Beim Klimaschutz ist Abschreiben explizit erlaubt. len hier die Energiepolitik europäisch denken. Das klingt gut. Dann muss dafür aber auch mal jemand etwas tun. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber Das fordern die Schülerinnen und Schüler von Fridays nicht bei den Falschen!) for Future, die jetzt in diesem Moment in Rumänien vor Nehmen Sie sich ein Beispiel an den erfolgreichen eu- dem EU-Gipfel für eine gute Zukunft demonstrieren – ropäischen Nachbarn! Kommen Sie endlich in die Pu- und zwar zu Recht. schen! Wenn es Ihnen mit Ihrem Koalitionsvertrag ernst ist, dann kümmern Sie sich dringend um eine Reform (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von Euratom. Nicht die Förderung von immer mehr Das Ziel muss klar sein: 100 Prozent erneuerbare Atomkraft, sondern Sicherheit muss oberste Priorität in Energie beim Strom, bei der Wärme, beim Verkehr so der europäischen Zusammenarbeit sein. schnell es geht. Acht EU-Mitgliedstaaten fordern ein ambitionierteres Vorgehen beim Klimaschutz. Es ist ein Vizepräsidentin Claudia Roth: Skandal, dass unsere Bundesregierung da nicht mitma- Frau Verlinden. chen will! (B) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lernen jetzt die Uhr, Frau Verlinden! Das ha- Stattdessen plant sie lieber die Strafzahlungen an die EU ben Sie verpennt! – Carsten Müller [Braun- für ihre verpassten Klimahausaufgaben heute schon mal schweig] [CDU/CSU]: Damit fängt es an!) ein. Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber schauen wir uns mal den Status quo an: Wo steht denn Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Klimaschutz und ein atomkraftfreies Europa, das geht der EU? Wie hoch ist denn der Anteil der Erneuerbaren? Hand in Hand. Es wird Zeit, dass Sie Verantwortung Von 28 EU-Staaten liegt Deutschland nur auf Platz 17. übernehmen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Marcus Faber [FDP]: Nein!)

Deutschland ist schlechter als der EU-weite Durch- Vizepräsidentin Claudia Roth: schnitt! Und was machen Sie auf dieser Seite des Parla- Vielen Dank, Julia Verlinden. – Nächster Redner in ments? Sowohl Sie von der FDP als auch von der CDU der Debatte: Mario Mieruch. verweigern Ihre Hausaufgaben hier in Deutschland.

Und Ihre Ausreden sind echt abenteuerlich: Die FDP Mario Mieruch (fraktionslos): ist wie der Schüler, der für die Gruppenarbeit stimmt und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen dann die anderen die Arbeit machen lässt. und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich möchte (Nicola Beer [FDP]: Hä? – Dr. Florian Toncar zu Beginn zwei wesentliche Punkte festhalten, die wir [FDP]: Barer Unsinn!) heute hier gelernt haben: Experte werden Sie, indem Sie Fridays for Future recht geben – so einfach ist das. Und: Das ist nämlich Ihr absurdes Verständnis davon, alles Investieren Sie in CO2-Zertifikate – damit kann man rie- europäisch zu denken: Sie wollen sich auf den Erfolgen sige Spekulationsgewinne einfahren. – Das sind die bei- anderer Länder ausruhen, statt selbst irgendetwas zu leis- den Kernaussagen, die wir heute hier mitnehmen durften. ten. Am Ende ist es relativ egal, ob es ein CO2-Zertifikat, ein CO2-Preis oder eine CO2-Steuer ist, Sie bezahlen das am (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ende: entweder direkt an den Fiskus, oder Sie finden es sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Florian auf den Preisschildern. Toncar [FDP]: Uns geht es um Ergebnisse! Sie wollen nur Ablasshandel!) (Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD]) 11742 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Mario Mieruch (A) Das macht keinen Unterschied; das Geld ist weg. – So Freiheit von Forschung und Lehre, darüber wird im- (C) viel dazu. mer gerne gesprochen. Hier könnten wir es einfach mal leben. Energiepolitik ist Geopolitik. Das ist ein Thema, das heute etwas unterging. Das gilt nicht nur für den Ver- Vielen Dank. lauf von Netzen oder Pipelines; auch die erneuerbaren Energien kommen nicht ohne Ressourcen aus. Wir in Vizepräsidentin Claudia Roth: Deutschland sind auf Seltene Erden, auf Selen, Lithium, Vielen Dank, Kollege Mieruch. – Der letzte Redner in Kobalt und vieles mehr angewiesen, wovon wir nichts dieser lebendigen Debatte: Carsten Müller für die CDU/ im eigenen Land finden. So importieren wir das alles CSU-Fraktion. aus China, aus Südamerika oder auch aus einer Bürger- kriegsregion im Kongo. Diese Beispiele zeigen, dass wir (Beifall bei der CDU/CSU) eben keine Insel der Glückseligen sind, sondern dass der deutsche Alleingang in der Energiewende massive Aus- Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): wirkungen auf unsere Außenpolitik haben wird und auch Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will schon längst hat. versuchen, am Schluss der Debatte etwas zur Versachli- (Zuruf des Abg. Johann Saathoff [SPD]) chung beizutragen. Zunächst: Wir beraten heute insge- samt vier Anträge. Die Kolleginnen und Kollegen der Dabei versperrt uns einengende Ideologie Möglich- FDP haben – das hat unser Eingangsredner, glaube ich, keiten in unserem außenpolitischen Handeln. Wenn wir richtig dargestellt – einige nicht unwesentliche Punkte andere Länder zwingen wollen, unseren Weg mitzuge- aufgegriffen, nach unserem Geschmack allerdings zum hen, obwohl sie unter Umständen eine eigene Meinung Teil mit einer etwas fragwürdigen Tonalität und in Teilen haben, dann fördert das die europäische Integration nur mit etwas wenig Tiefgang. mäßig. Statt auf eine nachhaltige und gesicherte Energie- erzeugung unter eigener Kontrolle zu setzen, machen wir Wir dürfen die Augen einfach nicht davor verschlie- uns unter Umständen von Ländern abhängig, die unser ßen: Die Frage der Energieunion ist seit Jahren ein Haupt- freiheitlich-westliches Wertesystem nicht immer teilen. anliegen der Europäischen Union und ist es heute noch Ich bin sehr gespannt, was passiert, wenn uns eines die- immer . Wir haben in den vergangenen Jahren bedeutende ser Länder mal den Versorgungshahn zudreht. Fortschritte erreicht. Ich will diese nur kurz aufzählen: Das Paket zur Sicherung der Energieversorgung, das Der Antrag der FDP enthält wichtige Ansätze, die un- Paket „Saubere Energie für alle Europäer“ – das ist im sere Energiepolitik wieder vom Kopf auf die Füße stellen Übrigen das größte jemals im Energie- und Klimaschutz- (B) können. Das sehen wir auch so. Als blaue Partei erteilen bereich vereinbarte Legislativpaket der EU –, wir haben (D) wir planwirtschaftlichen Absichten wie dem Kohleaus- eine Vielzahl von EU-Klimavorschriften auf den Weg stieg ein klares Nein, aber wir beziehen noch etwas klarer gebracht, es gibt die drei Mobilitätspakete 2017 bis 2018. und eindeutiger Stellung, indem wir ganz deutlich sagen, dass Sicherheit, zuverlässige Energieversorgung nicht Meine Damen und Herren, es gab aber auch einen ohne Kernenergie machbar sind. Wechsel der Spielregeln. Die Verankerung des Grundsat- zes „Efficiency First“ – das ist Gott sei Dank heute schon Wir reden von einem Wiedereinstieg in eine saube- angesprochen worden – war eine wesentliche Neuerung. re Kernenergie, die auch die Diskussion über Endlage- Das ist ganz wesentlich für ein Thema, auf das ich mit rungsprobleme obsolet macht. Blick auf den einen Antrag der Grünen kommen will. (Timon Gremmels [SPD]: Die lagern wir in Dies nimmt nämlich das Bild der Wirtschaftlichkeit und Ihrem Garten ein!) der Umweltverträglichkeit auf. Das ist für uns wichtig und wird abgerundet durch die Versorgungssicherheit, Mit diesen Forderungen stehen wir nicht alleine; der ein Punkt, der oftmals zu kurz kommt. Aus Sicht der Journalist Dirk Maxeiner wie auch der Linde-Aufsichts- Union bildet das das unverzichtbare Zieldreieck im ener- ratschef Reitzle haben hierzu klare Worte gefunden. giewirtschaftlichen Bereich. Das ermöglicht uns eine Kooperation unter anderem mit Frankreich. Ich denke an Kernforschungszentren in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Cadarache oder Projekte wie ITER, deren langfristiges Ich habe mir den Grünenantrag durchgelesen. An einer Ziel die Kernfusion ist. Stelle war ich schwer entsetzt. Die Grünen greifen das Thema der sogenannten Bürgerenergiegenossenschaften (Johann Saathoff [SPD]: Fahren Sie mal nach auf und wenden sich explizit gegen marktwirtschaftliche Fukushima!) Ausschreibungen im Bereich der erneuerbaren Energien. Ähnliches gilt auch für die Brennstoffzelle, die ein (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE bisschen zum Stiefkind der Energiegewinnung geworden GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht! – Ingrid ist. Stromerzeugung statt ideologischem Strom aus der Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steckdose, der seine Emissionen nur ins Ausland ver- Stimmt doch gar nicht!) lagert und Ressourcenkonflikte provoziert! Ein solcher Strom kann nicht die Lösung sein. Ein guter Unterneh- Meine Damen und Herren, wenn wir das machen, errei- mer streut seine Geschäfte. Das sollten wir auch mit un- chen wir weniger Markt, erreichen wir weniger Nachhal- seren Energiequellen machen. Wir sollten auf mehrere tigkeit, erreichen wir weniger Preiswürdigkeit, und das Möglichkeiten setzen, um Sicherheit herzustellen. alles führt dazu, dass wir Akzeptanz für das nicht leichte Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11743

Carsten Müller (Braunschweig) (A) Unterfangen der Energiewende verlieren. Daher müssen – Ich bin mit der Antwort noch nicht fertig. (C) Sie noch mal in Klausur gehen und sich über Ihre un- ausgegorenen Vorschläge dringend weitere Gedanken Wir müssen eines zur Kenntnis nehmen: Die soge- machen. nannten Bürgerenergiegenossenschaften und die Privi- legierung derselben haben dazu geführt, dass aus dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ausnahmefall der Regelfall geworden ist. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen unseren Text besser (Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lesen!) NEN]: Das wollen wir gar nicht!) Ich nehme noch einmal das Thema der Bürgerenergie- – Ich habe Sie auch ausreden lassen. – 90 Prozent aller genossenschaften auf. Zuschläge gingen an diese sogenannten – ich sage be- wusst „sogenannten“ – Bürgerenergiegenossenschaften Vizepräsidentin Claudia Roth: unter Verzicht auf Planungserfordernisse. Im Ergebnis Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder führte das dazu: 90 Prozent zugeschlagen an Vorhaben- -bemerkung von Frau Nestle? träger, die bisher nicht in der Lage waren, diese Vorhaben zu realisieren. Das ist genau das Gegenteil von Klima- Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): schutz. Wir wollen eine Beschleunigung des Ausbaus Ja, gerne. der erneuerbaren Energien, und wir wollen eine effektive Beschleunigung des Ausbaus. Zuschläge allein nutzen Vizepräsidentin Claudia Roth: nichts; sie müssen realisiert werden. Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): NEN]: Was hat das jetzt mit Marktwirtschaft Ich danke auch. – Sie sagen, wir würden uns hier ex- zu tun? Das habe ich jetzt nicht verstanden!) plizit gegen marktwirtschaftliche Regeln wenden. Zum einen haben Sie gemerkt, dass wir versuchen, ganz viel – Mir ist vollkommen klar, dass Sie, geschätzter Kollege mehr Markt hinzubekommen, indem wir diesen ganzen Krischer, Themen rund um die Marktwirtschaft regelmä- aktiven Kunden Marktzugang verschaffen wollen. Das ßig nicht verstehen. Aber das ist nicht mein Problem. Das ist ja der wesentliche Bestandteil des Antrages. Ich ver- ist Ihr Problem. Dafür reicht jetzt auch die begrenzte Re- mute, dass Sie mit Ihrem Fokus auf den kleinen Punkt dezeit bedauerlicherweise nicht mehr. abzielen, dass wir sagen: Ja, wir wollen Bürgerenergie-, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Windenergieprojekte wieder vereinfachen und halten es (B) der FDP) (D) für möglich, dass Bürger selbst teilhaben können an den Märkten, ohne die volle Komplexität zu verstehen. Auch im Falle einer Zwischenfrage würde ich Ihnen das Ständig sagen Sie, wie schwierig es ist, dass wir keine angesichts Ihrer Einsichtsverweigerung nicht erklären Windparks mehr hinbekommen. Das war das Erfolgsre- können. zept in Schleswig-Holstein, wo alle Dörfer gerufen ha- Ich hatte Ihnen diesen Paradigmenwechsel, den wir ben: Wir wollen einen Windpark. – Das ist kaputt. Das unter Unionsführung vorgenommen haben, erklärt. Er ist das Einzige, was wir wieder machen wollen. Ansons- zeitigt Erfolge. Wir haben einen Anstieg der EEG-Umla- ten würde ich das scharf zurückweisen und sagen: Wir ge verhindern können. Wir haben den Ausbau der Erneu- wollen mit diesem Antrag mehr Markt schaffen und nicht erbaren, den wir, wie gesagt, sehr unterstützen, enorm weniger. beschleunigt. Es ist uns gelungen, den Strompreis für (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- private Haushaltskunden zu stabilisieren. Wir hatten vor SES 90/DIE GRÜNEN) einigen Wochen hierzu eine Aktuelle Stunde. Wir haben ausgeführt, dass wir deutlich unter der allgemeinen Infla- tionsrate geblieben sind. Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Frau Kollegin, Ihre Vermutung geht fehl und Ihre Wir machen einen Angriff auf ganz neue Spielfelder. scharfe Zurückweisung somit ins Leere. Dafür gibt es Wir kümmern uns um Innovationsausschreibungen, um verschiedene Anhaltspunkte. Ich erinnere mich, dass Sie auch beispielsweise die Erzeugung erneuerbarer Energi- vor etwa 30 Minuten zu den etwas irrlichternden Aus- en und Speicherung derselben zusammenzupacken und, führungen des Kollegen Beutin zur Marktwirtschaft und wie gesagt, ganz neue Wege zu beschreiten. Auch das zum Markt an sich frenetisch Beifall geklatscht haben. dient aus unserer Sicht dem wichtigen Akzeptanzgewinn. Wenn Sie an solch einer Stelle klatschen, dann erklärt das Ich will abschließend auf das Thema Euratom kom- auch Ihre falsche Sicht auf die Dinge. men. Uns liegen zwei Anträge vor, einmal der Grünen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und einmal der Linken. Wir haben über diese Anträge im der FDP – Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE zuständigen Fachausschuss diskutiert. In der Diskussion GRÜNEN]: Und was ist mit unserem An- ist es bereits zu einer ganz bemerkenswerten Verkürzung trag? – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/ der Sachlage gekommen. Sie negieren offensichtlich, DIE GRÜNEN]: Antrag! – Abg. Ingrid Nestle dass wir bei einer substanziellen Änderung des Eura- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder tom-Vertrages auf eine Einstimmigkeit der Mitgliedstaa- Platz) ten angewiesen sind. Wir sehen das. Wir sehen auch, dass 11744 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Carsten Müller (Braunschweig) (A) es einen Erneuerungsbedarf gibt. Das findet sich im Üb- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) rigen im Koalitionsvertrag; ich empfehle Nachlesen auf Ja oder nein? Seite 141. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie machen Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): aber nichts!) Chance vertan. – Nur weil Sie nicht merken, dass was passiert, heißt das (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU noch lange nicht, dass nichts passiert. Denn das ist sozu- und der FDP) sagen Ihr regelmäßiges Auftreten. Wir sind dafür, dass aus dem Euratom-Vertrag heraus Vizepräsidentin Claudia Roth: und auf dessen Grundlage der Ausbau der Kernenergie Ich habe Sie nicht verstanden. europaweit nicht mehr gefördert wird. Auch das lesen Sie (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE im Vertrag. Aber, meine Damen und Herren, Sie gehen GRÜNEN]: Was jetzt? Hallo?) mit einer, ich finde, unverantwortlichen Leichtigkeit – das trifft die Grünen, und das trifft noch viel mehr die Linken – über wesentliche Inhalte des Euratom-Vertra- Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): ges hinweg. Sie nehmen offensichtlich nicht zur Kennt- Ich habe Ihnen gerade meine Entscheidung mitgeteilt. nis, dass der Euratom-Vertrag die Grundlage für den Strahlenschutz der Bevölkerung bildet und dass der Eu- Vizepräsidentin Claudia Roth: ratom-Vertrag die sichere und diskriminierungsfreie Ver- Entschuldigen Sie, ich hatte Sie nicht verstanden. Also sorgung mit Nuklearmaterial für medizinische Anwen- nein. dungen regelt und für uns für den Frieden so wichtig ist. Sie nehmen offensichtlich gar nicht zur Kenntnis, dass Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): der Euratom-Vertrag die wesentliche Handlungsgrundla- ge für Überwachung und Nichtverbreitung von Kernma- Nein. terial liefert. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜND- GRÜNEN]: Nein? Oh!) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Das war eigentlich recht unmissverständlich. Sie hatten mir ein Angebot gemacht, dem ich gut widerstehen konn- Die Europäische Kommission – man muss nicht alles te. ausschließlich gut finden, was dort gesagt wird – hat zu- (B) treffend festgestellt – ich zitiere –: Meine Damen und Herren, zum Euratom-Vertrag ab- (D) schließend. Der Erfolg beim Ausbau der Erzeugung er- Der Euratom-Vertrag bietet den fortschrittlichsten neuerbarer Energien in der Bundesrepublik Deutschland Rechtsrahmen der Welt auf dem Gebiet der nuklea- straft alle diejenigen Lügen, die behaupten, der Eura- ren Sicherheit, der Abfallwirtschaft und des Strah- tom-Vertrag stünde diesem entgegen. Er ergänzt ihn we- lenschutzes. sentlich. Deswegen können wir diese beiden Anträge nur Wenn sich jetzt beispielsweise das Vereinigte König- ablehnen. reich bedauerlicherweise um den Abschluss bilateraler Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Verträge kümmern muss, dann ist es ein Zeichen für die Qualität des Euratom-Vertrages, dass sie wesentliche (Beifall bei der CDU/CSU) Passagen hieraus in ihre bilateralen Vereinbarungen auf- nehmen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Carsten Müller. – Damit schließe ich die Vizepräsidentin Claudia Roth: Aussprache. Herr Müller, entschuldigen Sie. Erlauben Sie eine Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 5. Interfrak- Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Frau tionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa- ­Kotting-Uhl? chen 19/9931 und 19/9954 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind einver- Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): standen? – Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Von Frau Kotting-Uhl? Sie war heute noch nicht dran, Zusatzpunkt 6. Wir kommen zur Beschlussempfeh- und ich bekomme drei weitere Minuten Redezeit. lung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Vizepräsidentin Claudia Roth: Titel „Euratom-Vertrag reformieren – Sonderstellung der Nein, das entscheide ich. Atomkraft jetzt abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/7206, (Heiterkeit) den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/2512 abzulehnen. Wer stimmt für diese Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Na gut, dann entscheide ich, dass Frau Kotting-Uhl enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- nicht drankommt. men. Zugestimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11745

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) SPD, FDP und AfD. Dagegen war Bündnis 90/Die Grü- Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der (C) nen. Enthaltungen kommen von der Fraktion Die Linke. Verteidigung: Zusatzpunkt 7. Beschlussempfehlung des Ausschus- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktion Soldatsein ist kein Beruf wie jeder andere. – Das ist ein Die Linke mit dem Titel „EURATOM-Vertrag auflösen – Satz, den wir häufig gehört haben. Der Satz stimmt. Aber Keine EU-Subventionen für die Atomindustrie“. Der er wird auch häufig genommen, um zu begründen, dass Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf ganz normale Arbeitnehmerbelange, also sogenannte Drucksache 19/10005, den Antrag der Fraktion Die Lin- weiche Themen, für Soldatinnen und Soldaten nicht re- ke auf Drucksache 19/7479 abzulehnen. Wer stimmt für levant sind. Das ist im doppelten Sinne falsch. Erstens diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – sind diese weichen Themen ganz oft ganz harte Wirk- Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange- lichkeit. Und zweitens: Gerade weil Soldatsein kein Be- nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, ruf wie jeder andere ist, gerade weil diese Männer und CDU/CSU, FDP und AfD. Dagegen war die Fraktion der Frauen bereit sind, mehr zu geben als motivierte, enga- Linken. Enthalten hat sich die Fraktion von Bündnis 90/ gierte Arbeitsleistung, gerade deshalb sollten wir die Sol- Die Grünen. datinnen und Soldaten mindestens genauso gut schützen, versorgen und sozial absichern wie alle anderen Arbeit- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf – ich nehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land auch. lese langsam vor, damit Sie schon die Plätze tauschen Deshalb legen wir dieses Artikelgesetz vor. können –: In der vergangenen Legislaturperiode haben wir mit a) Erste Beratung des von der Bundesregierung der Agenda Attraktivität begonnen. Die ersten großen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Themen sind „Vereinbarkeit von Dienst und Familie“, nachhaltigen Stärkung der personellen Ein- „Karrierepfade“ oder „Modernisierung der Unterkünfte“ satzbereitschaft der Bundeswehr (Bundes- gewesen. Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ge- wehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz – hen wir weitere Großthemen an. Ich möchte einige Bei- BwEinsatzBerStG) spiele daraus exemplarisch nennen.

Drucksache 19/9491 Wir verbessern für unsere freiwillig Wehrdienstleis- Überweisungsvorschlag: tenden die Besoldung. Unsere FWDLer machen einen Verteidigungsausschuss (f) klasse Dienst; sie machen das freiwillig. Ihr Sold wird Ausschuss für Inneres und Heimat auf bis zu 80 Prozent der Bezüge der Zeit- und Berufssol- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO (B) daten angehoben. Das kann für den einen oder anderen (D) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rüdiger FWDLer durchaus einige Hundert Euro im Monat mehr Lucassen, Jan Ralf Nolte, Jens Kestner, weiterer bedeuten. Wir werden gleichzeitig für unsere FWDLer Abgeordneter und der Fraktion der AfD auch das Trennungsgeld und die Erschwerniszulagen zahlen. Die erhalten sie neu, wenn sie sich länger als ein § 30c des Soldatengesetzes ersatzlos strei- Jahr verpflichten. Ebenso wie ihre Kameradinnen und chen – Wöchentliche Rahmendienstzeit in der Kameraden werden sie dann eingestuft. Das würdigt den Bundeswehr flexibilisieren Freiwilligendienst dieser jungen Männer und Frauen; das würdigt die freiwillige längere Verpflichtung. Insgesamt Drucksache 19/9962 profitieren davon in Zukunft über 8 000 FWDLer. Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Wir tun auch etwas für unsere Reservedienstleisten- Widerspruch dazu. Dann ist das so beschlossen. den. Sie bekommen Zulagen und Zuschläge. Die Höhe wird den Regelungen für aktive Soldatinnen und Solda- Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der De- ten angeglichen. Wir werden – das finde ich ganz wich- batte teilnehmen, die Plätze einzunehmen. Die anderen tig – die Arbeitgeber, die eine maßgebliche Rolle bei bitte ich, den Raum zu verlassen oder Gespräche einzu- den Reservedienstleistenden spielen, indem sie diese stellen. freistellen müssen, finanziell entlasten. Wir werden den Reservedienst so gestalten, dass er künftig auch zehn (In den Reihen der CDU/CSU-Fraktion wird Monate im Jahr sowie in Teilzeit ausgeübt werden kann. fotografiert) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im letzten Jahr haben – Würden Sie hier im Raum bitte nicht fotografieren. Das 17 500 Männer und Frauen Reservedienstleistungen er- haben wir eigentlich vereinbart. Das gilt für alle. – Danke bracht. Die Verbesserungen in diesem Gesetz sind auch schön. dazu da, diesen großartigen freiwilligen Einsatz zu wür- digen und Dank und Anerkennung dafür auszusprechen. Ich eröffne die Aussprache und rufe als erste Rednerin die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen auf. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU) NISSES 90/DIE GRÜNEN) 11746 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) Wir verbessern die Therapien für einsatzgeschädigte eingezahlt hat. Diese Zeit kann man später nie wieder (C) Soldatinnen und Soldaten. Manchmal kann es, insbeson- nachholen. Deshalb ist das ein ganz wichtiger Schritt. dere bei PTBS, sinnvoll und hilfreich sein, Familienan- Wir schließen diese rentenrechtliche Lücke jetzt. Die gehörige mit in die Therapien einzubeziehen. Bisher wur- Bundeswehr zahlt künftig auf die Übergangsgebührnis- den die Kosten dafür nicht von der Bundeswehr getragen. se Rentenbeiträge. Das bedeutet für jemanden, der fünf Das ändern wir jetzt. Gerade bei PTBS-Behandlungen Jahre Übergangsgebührnisse bezieht – das kann durchaus kann das sinnvoll und notwendig sein. Es befinden sich häufig der Fall sein –, immerhin eine Rentensteigerung zurzeit knapp 1 300 Soldatinnen und Soldaten aus ganz um circa 160 Euro im Monat im späteren Rentenleben. unterschiedlichen Gründen in der Rehabilitation. Dieses Das ist ein ganz wichtiger Meilenstein. Gesetz ermöglicht, wenn es verabschiedet ist, dass die Kosten für Familienangehörige, wenn sie in die Therapie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) einbezogen werden, von der Bundeswehr übernommen Wir verbessern auch die Rentensituation von FWDLern werden. und Reservedienstleistenden, das heißt, wir erhöhen die Bemessungsgrundlage um 20 Prozent. Für das ganze Wir entwickeln die Einsatzversorgung weiter. Bei Ver- Rentenpaket stehen im Jahr etwa 130 Millionen Euro letzungen, die im Einsatz geschehen, gibt es heute schon zur Verfügung. Das zeigt auch, welch ein Gewicht dieses eine besondere Absicherung; das ist gut. Im Augenblick Maßnahmebündel hat. sind über 13 000 Männer und Frauen in einsatzgleichen Verpflichtungen. Bisher war es, wenn es in einsatzglei- Meine Damen und Herren, mit diesem Artikelgesetz, chen Verpflichtungen tragischerweise zu Unfällen oder das wir heute einbringen, stärken wir die Bundeswehr als Schäden gekommen ist, ein sehr bürokratisches Verfah- attraktiven und verantwortungsbewussten Arbeitgeber. ren, wo jeder Einzelfall genau betrachtet werden musste. Vor allem aber honorieren wir mit diesen Verbesserungen Dieses Gesetz regelt neu, dass bei einsatzgleichen Ver- den herausragenden Dienst, den unsere Soldatinnen und pflichtungen ab Gefährdungsstufe 3 – das ist etwa die Soldaten für ihr Land leisten. Enhanced Forward Presence in Litauen – die Versorgung bei Schäden automatisch genauso wie bei einem manda- Vielen Dank. tierten Auslandseinsatz behandelt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir verbessern die Fürsorge über das Dienstzeitende hinaus. Das ist mir ein ganz wichtiger Teil; denn viele Vizepräsidentin Claudia Roth: Soldatinnen und Soldaten auf Zeit verbringen zwar ei- Vielen Dank, Dr. Ursula von der Leyen. – Nächster nen erheblichen Teil ihres Arbeitslebens bei der Bun- Redner: Jens Kestner für die AfD-Fraktion. (B) deswehr, aber danach muss auch der Übergang in das (D) zivile Erwerbsleben gelingen. Das ist gerade für ältere (Beifall bei der AfD) Soldatinnen und Soldaten oft eine gewaltige Herausfor- derung. Wir wollen diesen Schritt so gut wie irgend mög- Jens Kestner (AfD): lich vorbereiten. Deshalb bauen wir die Berufsförderung Sehr geehrte Frau Präsidentin! Damen und Herren aus: mehr Bildungsoptionen, mehr Berufspraktika, hö- Abgeordnete! Zuschauer und Kameraden vor den Bild- here Lohnkostenzuschüsse. Das ist ganz wichtig, wenn schirmen! Heute geht es um den Gesetzentwurf zur nach- die Eingliederung in einen neuen Beruf oder eine neue haltigen Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Arbeitnehmerfunktion in einem neuen Unternehmen Bundeswehr. Ein starker Name: „Entwurf eines Gesetzes gelingen soll. Gerade für länger dienende Zeitsoldaten zur nachhaltigen Stärkung der personellen Einsatzbereit- verbessern diese Fortschritte in der Berufsförderung die schaft der Bundeswehr“. Für Außenstehende klingt das Eingliederung in den zivilen Arbeitsmarkt. fast schon animalisch. Starke Begriffe wie „nachhaltig“, Und: Wir schaffen endlich das Schulgeld ab. Es war ja „Stärkung“, „Einsatzbereitschaft“ sollen dem Laien et- bisher ein absurder Zustand, dass wir, wenn wir am Ende was Positives vermitteln. In Wirklichkeit ist es nichts an- der Dienstzeit für besondere, nachgefragte Berufe aus- deres, als zu nebeln und zu blenden. bilden, den Soldatinnen und Soldaten auf der einen Seite (Henning Otte [CDU/CSU]: Sie haben das den Sold bezahlt und ihn auf der anderen Seite durch das doch gar nicht durchschaut offensichtlich! Schulgeld sofort wieder abgenommen haben. Das schaf- Was Sie da reden! Unglaublich!) fen wir jetzt ab; das ist gut. Von diesem Maßnahmenbün- del profitieren über 5 000 Soldatinnen und Soldaten. Frau von der Leyen, zu dem, was Sie eben zum The- ma PTBS gesagt haben, sage ich: Sie wissen genau, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sie noch lange nicht da sind, wo wir eigentlich schon ordneten der SPD) lange hätten sein sollen. Gerade nach 18 Jahren Afgha- nistan beschränken Sie sich auf die Vitalfunktionen. Das Schlussendlich als weiteres Beispiel: Wir verbessern finde ich eine Frechheit. Wir sind noch lange nicht da, die rentenrechtliche Absicherung im Übergang, den ich wo wir sein sollten, und Sie verkaufen das so, als sei das eben geschildert habe. Es gibt nach Ende der Dienst- wunderbar und als würden Sie sich um unsere Soldaten zeit sogenannte Übergangsgebührnisse. Bisher klaffte kümmern. Nein, das tun Sie nicht. hier eine rentenrechtliche Lücke. Es wurden gar keine Rentenbeiträge gezahlt. Bei der Rente zählt nicht nur (Beifall bei der AfD – Henning Otte [CDU/ die Höhe der Beiträge, die gezahlt werden, sondern bei CSU]: Haben Sie sich überhaupt damit ausei- der Rente ist zum Schluss ganz wichtig, wie lange man nandergesetzt?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11747

Jens Kestner (A) Waren es nicht Sie, Frau Ministerin, die von der Agenda Tätigkeit im erforderlichen Umfang ausüben zu (C) Attraktivität mit der dazugehörigen Trendwende Perso- können. nal gesprochen und sie auch ausgerufen hat? Hier spricht man von der sogenannten Spezialistenre- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE gelung. Wer oder was sind denn dann bitte Spezialisten? GRÜNEN]: Schreien Sie nicht so!) Für wen gelten denn dann diese Sonderregelungen? Für alle und jeden letztendlich, weil es der Dienstbetrieb gar – Das ist meine normale Stimme. Das ist ein Führungs- nicht mehr anders zulässt? Mit der Arbeitszeitverord- mittel, Entschuldigung. nung, Frau Ministerin, hat man der Bundeswehr ein zi- Im fünften Jahr der Zeitrechnung nach Amtsantritt viles Instrument aufgepfropft, das überhaupt nicht zu ihr von Frau von der Leyen legt man nun eine Selbstkapitu- passt und das an allen Ecken und Enden kneift. lation der eigenen Politik vor. (Henning Otte [CDU/CSU]: Sie haben das ja (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann gar nicht verstanden!) [FDP]: Sie sind hier nicht zu Hause!) – Alles gut, ich habe das schon verstanden. Sie sind ehe- – Bei Ihnen zu Hause will ich auch gar nicht sein. maliger Soldat, Sie sind ein ehemaliger Kamerad, Sie sollten doch für Ihre Leute da sein, das würde ich eigent- (Beifall bei der AfD) lich von Ihnen erwarten. Von all dem, was man angekündigt hat, hat man nichts (Beifall bei der AfD – Henning Otte [CDU/ umgesetzt. Sie möchten den Reservistendienst attrak- CSU]: Sie haben doch gar nicht verstanden, tiver machen, wie man hier lesen kann, möchten mehr worum es geht!) Reservisten gewinnen, die in unseren Streitkräften die- nen. Aber wo ist denn dann bitte der Rückhalt? Warum So etwas kann man nur machen, wenn man nicht ver- wurden denn die kritischen Stimmen aus dem Reser- steht, wie Streitkräfte funktionieren, wenn man die in- vistenverband, die deutlich vorgebracht worden sind, nere Haltung nicht versteht und nicht weiß, wie unsere nicht gehört? Sie haben Kritik angebracht und auch mit Streitkräfte ticken. Das habe ich Ihnen schon mehrfach klaren Fakten untermauert. Das hat man mir gegenüber gesagt, auch zum Ausdruck gebracht. Herr Veith – Sie sitzen mir (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Unsere genau gegenüber, Sie sind ja deren Präsident –, warum Soldaten haben nicht Ihre Haltung!) haben Sie denn nicht auf die Kameraden gehört? Warum haben Sie das hier nicht eingebracht? Warum haben Sie aber das geht wahrscheinlich links rein und rechts raus. denn die Sorgen und Nöte nicht gehört? Warum sind sie All das haben Sie nicht verstanden. Das haben Sie bei an- (B) hier nicht eingeflossen, so wie es sein sollte? deren Dingen gezeigt, und heute offenbaren Sie es ganz (D) deutlich, Frau Ministerin. (Henning Otte [CDU/CSU]: Warum machen Sie denn nicht mal einen konstruktiven Vor- Man drängt gestandene Soldaten, gestandene Dienst- schlag? Sie hätten doch im Ausschuss etwas grade dazu, eine Nebentätigkeit anzumelden. Jetzt haben sagen können!) sie zwar genügend Zeit, aber es gibt keine monetären Anreize mehr. Das klassische Beispiel – das finden Sie Hören Sie Ihren Kameraden nicht zu, oder sind Sie ein- überall in der Truppe – ist der Stabsfeldwebel, der im fach zu schwach, hier in Berlin die Forderungen Ihres Fitnessstudio jobbt, um sich nebenbei etwas dazuzuver- Verbandes, Ihrer Kameraden einzubringen? So kommt es dienen. Respekt und Anerkennung, CDU, das sind Ihre mir nämlich vor. Leute. Für die waren Sie immer da? Ja, gute Nacht! (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) So oder so, Herr Veith, für mich persönlich verraten Sie Dann betrifft es die Kameraden, die mit ihrer Lebenspla- die Interessen der Reservisten – ich bin selbst einer –, auf nung auf ein anderes System gesetzt haben. Heute haben die unsere Streitkräfte angewiesen sind, und das gerade sie genügend Freizeit – das kennen sie –, werden aber in dieser personell kritischen Situation. damit konfrontiert, dass es nur noch Freizeit gibt und keinen Dienst zu ungünstigen Zeiten und Anrechnungs- Wir brauchen engagierte Kameraden, die sich in ih- fälle, wie sie es gewöhnt waren. Es gibt Kompaniechefs rer Freizeit für die Streitkräfte einbringen und ihre Fä- und Spieße, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Aufträge higkeiten anbieten. Mit Ihrem Gesetzentwurf fehlt den erledigen können, weil die Kameraden wochenlang im Kameraden Geld, wenn sie sich entscheiden, zu dienen. Urlaub und nicht mehr da sind, wenn sie ihren Dienst Mit diesem Gesetzentwurf stärken Sie beileibe nicht die erfüllt haben. Attraktivität und den Einsatzwillen der Kameraden. Hier ist Ihnen kein so großer Wurf gelungen, wie eben von der (Henning Otte [CDU/CSU]: Fern der Reali- Ministerin vorgetragen wurde – genau das Gegenteil ist tät!) der Fall. Noch dunkler wird es dann, wenn ich folgenden Ausbildungsmaßnahmen wie zum Beispiel auf einer Punkt betrachte: Standortschießanlage muss man früher abbrechen, weil Schaffung der temporären Möglichkeit, die An- man pünktlich Dienstschluss machen muss. Dabei geht wendung von Arbeitszeitvorschriften für bestimmte es nicht darum, ob das Ausbildungsziel erreicht ist bzw. genau bezeichnete Tätigkeiten in den Streitkräften ob ich gute oder schlechte Schießergebnisse erzielt habe. auszusetzen, wenn dies erforderlich ist, um diese Nein, es geht einfach nur noch darum, dass ich pünkt- 11748 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Jens Kestner (A) lich Dienstschluss habe. Eine Ausbildung wie das Nacht- „Mut ist das, was man sich von vielen Politikern (C) schießen ist nur noch unter den größten Mühen durch- wünscht, aber nur von wenigen bekommt“, sagte einmal setzbar. Früher war das Tagesgeschäft. der Nobelpreisträger Günter Blobel. Auch hier wieder an Ihre Adresse, Frau Ministerin, und natürlich an die hier (Henning Otte [CDU/CSU]: Das stimmt doch Anwesenden, die immer so schön dazwischengerufen ha- gar nicht! Gehen Sie doch mal auf einen ben, dass ich ja keine Ahnung habe: Jetzt gilt es, einmal Übungsplatz!) Mut in Ihrem Leben zu beweisen. – Natürlich ist das so. Herr Otte, gehen Sie doch mal in (Henning Otte [CDU/CSU]: Nicht nur laut die Truppe. Sie lesen nur noch auf dem Blatt Papier. Ge- reden, sondern auch argumentieren!) hen Sie in die Truppe! Gehen Sie in die Truppe, dann werden Sie es sehen! Mut ist etwas Gutes. Wenn Mut Sie durchströmt, dann (Beifall bei der AfD) ist das etwas Kräftiges, etwas Vernünftiges, und dann tun Sie etwas Gutes für unsere Streitkräfte. Unterstützen Sie Beim deutschen Anteil der NATO-Battlegroup Li- unseren Antrag „§ 30c des Soldatengesetzes ersatzlos tauen konnte nur durch das Einführen von Sonderrege- streichen – Wöchentliche Rahmendienstzeit in der Bun- lungen verhindert werden, dass nach dem Abschluss ein deswehr flexibilisieren“. ganzes Bataillon des Heeres mehrere Wochen im Urlaub gewesen wäre. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Denken Sie an Ihre Redezeit. Was haben Sie denn jahrelang gemacht!) In den Bataillonen gibt es mittlerweile extra geschaffe- Jens Kestner (AfD): ne Dienstposten, die sich damit beschäftigen, Zeiterfas- Damit würden wir den richtigen Weg für unsere Bun- sungsbögen zu führen und diese auszuwerten: wieder ein deswehr gehen – ich komme zum Ende, Frau Präsiden- Soldat mehr im zahnlosen Wasserkopf der Bundeswehr. tin – und wieder Luft zum Atmen schaffen, sodass unsere Hier wird gekämpft, ja, aber nicht gegen den außenste- Armee wieder die Flexibilität im Dienst und in der Aus- henden Feind, der vielleicht einmal gegen unsere Repu- bildung erreicht, die sie braucht. blik anrückt. Nein, hier wird gegen die Bürokratie ge- kämpft, die Sie alle der Bundeswehr aufgepfropft haben. Danke schön. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) All dies ist absurd und eine Ausgeburt der Unfähigkeit,

(B) Truppen zu führen und zu verstehen, wofür die Bundes- Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) wehr steht und welche Aufgabe sie letztendlich erfüllen Danke schön, Herr Kestner. – Nächster Redner: muss. Dr. Fritz Felgentreu für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Die soldatische Lebensrealität sieht heute so aus, dass die Organisation des täglichen Dienstbetriebs immer Dr. Fritz Felgentreu (SPD): mehr ins Ungewisse führt. Die gestalterische Flexibili- Herr Kollege Kestner, ein gutgemeinter Rat: Der tät für die Ausbildung von Soldaten wird den Vorgesetz- Kommisston passt nicht zum Parlament. ten genommen, und man kann bei den vorherrschenden (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN Regeln ja schon von einer Art Planwirtschaft sprechen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Auch hier an Ihre Adresse, Frau Ministerin: Der Erfolg bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Bundeswehr bemisst sich einzig und allein an der militärischen Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Das Wenn Sie lieber Soldat wären, dann machen Sie eine und nichts anderes ist das Maß aller Dinge; denn alles Dauerwehrübung. Aber selbst da würde ich Ihnen raten: andere ist buntes Vogelgesinge. Das geht von Cis- und Seien Sie vorsichtig, wenn Sie in diesem Ton mit Ihren Transsternchen-Menschen in den Streitkräften über dubi- Untergebenen reden, wegen der Attraktivität der Bundes- ose Beraterdienstleistungen, die Geschichte der „Gorch wehr. Fock“, Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bis hin zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ diesem Gesetz, das wieder alles will, aber letztendlich DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der nicht alles erreicht, was wir für unsere Truppe erreichen CDU/CSU) sollten. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor gut Sie versuchen, hier nachzubessern, aber Sie scheuen drei Jahren ist die Soldatenarbeitszeitverordnung in Kraft sich doch, Fehler klar zu benennen und zu erkennen. getreten. Seitdem gilt für die Soldatinnen und Soldaten Aber nur wenn man bereit ist, zu verstehen, was falsch der Bundeswehr eine Wochenarbeitszeit von 41 Stun- ist, wird man in die Lage versetzt, etwas besser zu ma- den – im Normalbetrieb natürlich, nicht im Einsatz oder chen. Sie scheuen sich aus Angst vor der eigenen Coura- im Manöver. Ungefähr ein Vierteljahr nach der Einfüh- ge, das Richtige zu tun. Wenn Angst die Seele auffrisst, rung hatte ich ein Gespräch mit einem etwas genervten dann ist man falsch auf dem Posten, den man bekleidet. altgedienten Offizier, der mir erklärte, dass ihn schon das (Beifall bei der AfD) Wort „Arbeitszeit“ stört. Denn ein Soldat, so mein Ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11749

Dr. Fritz Felgentreu (A) sprächspartner, arbeitet nicht, er dient. Und deswegen sei Das ist ein wichtiger Schritt zur Vorbeugung von Al- (C) das alles sträflicher Unsinn. tersarmut, den wir als SPD lange gefordert haben. Ins- gesamt hilft der Ausbau des Berufsförderungsdienstes Ich habe längere Zeit über das Gespräch nachgedacht; beim Übergang selbst, damit ehemalige Soldatinnen und denn mein sozialdemokratisches Bauchgefühl sagte mir Soldaten erfolgreich ihren Platz im zivilen Berufsleben natürlich: Eine geregelte Wochenarbeitszeit ist eine gute finden. Sache im Interesse der gesamten Organisation und der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und mein Sehr wichtig ist auch der klare Blick für die Bedürfnis- Bauchgefühl als Reserveoffizier sagte mir: Ja, aber Sol- se von Soldaten, die im Einsatz traumatisiert oder körper- dat ist kein Beruf wie jeder andere. Das Selbstverständnis lich geschädigt worden sind. In Zukunft wird Angehöri- ist nicht das gleiche wie bei Beschäftigten in der Indus- gen, wie zum Beispiel den Ehepartnern, die Teilnahme trie. Soldatinnen und Soldaten verstehen den Unterschied an Therapiemaßnahmen zeitlich begrenzt finanziert. Das zwischen Arbeit und Dienst und orientieren sich auch ist eine in jeder Hinsicht sinnvolle Maßnahme; denn die daran. Insofern hatte der Kamerad nicht vollkommen Nähe zu geliebten Menschen kann bei der Therapie der unrecht. Aber, meine Damen und Herren, die Schluss- Einsatzgeschädigten sehr hilfreich sein. Oft sind aber folgerung aus solchen Überlegungen kann doch nicht auch die Angehörigen selbst indirekt traumatisiert. Sie sein, dass wir in unserer hochprofessionellen Freiwilli- lernen in der Therapie, das Geschehene zu verarbeiten genarmee den Anspruch auf eine geregelte Arbeitszeit und damit zu leben. oder – von mir aus – Dienstzeit und auf planbare Freizeit Echten Fortschritt bringt auch das Vorhaben, die zurücknehmen. Einsatzversorgung nicht nur in den Auslandseinsätzen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sondern auch bei NATO-Manövern oder NATO-Verwen- der CDU/CSU) dungen und Aufträgen innerhalb des Bündnisgebietes zu gewähren. Warum soll der NATO-Dienst in Litauen Andersherum wird ein Schuh daraus. Die Professiona- schlechter abgesichert sein als der mandatierte Einsatz lisierung der Bundeswehr seit Abschaffung der Wehr- im Kosovo? Das war noch nie einzusehen. Vollständige pflicht erfordert auch vom Dienstherrn ein neues Ver- Gleichbehandlung sieht der Gesetzentwurf allerdings ständnis für seine Fürsorgepflicht. Das Ziel ist eine zu noch nicht vor. Die Einsatzversorgung soll innerhalb der Einsätzen und Landesverteidigung gleichermaßen befä- NATO erst ab einer Gefährdungslage der Gefahrenstu- higte leistungs- und kampfstarke Armee. Um dieses Ziel fe 3 gezahlt werden. Das werden wir uns bei der Bera- zu erreichen, muss die Bundeswehr attraktiv sein. tung des Gesetzentwurfs im Ausschuss noch einmal ge- nauer anschauen müssen. Attraktiv ist die Bundeswehr nur, wenn sie einerseits (B) dem Nachwuchs eine gute Perspektive für den Berufs- Wo hakt es noch? Da ist die Idee, den Arbeitgebern (D) und Lebensweg bietet und andererseits den Soldatinnen die Zustimmung für Wehrübungen ihrer Beschäftigten und Soldaten, die schon lange in der Bundeswehr dienen, leichter zu machen, indem man ihnen ab der dritten Wo- gute Bedingungen und eine zeitgemäße soziale Absiche- che eine Ersatzarbeitskraft bezahlt. Davon sind wir in der rung zu bieten hat; denn für die Attraktivität kommt es SPD-Fraktion noch nicht so richtig überzeugt. Natürlich eben nicht nur darauf an, was der Berater im Karrierecen- ist es wichtig, dass ein Reservist nicht mit seinem Ar- ter vor den neuen Bewerberinnen und Bewerbern entfal- beitgeber in Konflikt gerät, wenn er als Soldat übt. Das ten kann, und zwar buchstäblich in Form eines Prospekts, Unternehmen bekommt dafür aber schon eine Entschä- sondern auch auf die Berichte des 50-jährigen Stabsfeld- digung. Eine Verdoppelung ab der dritten Woche könnte webels im Kreis seiner zivilen Freunde und Verwandten. Mitnahmeeffekte erzeugen. Wir halten viel davon, auch Attraktivität ist ein ganzheitliches Konzept. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gelegentlich daran zu erinnern, dass wir ja alle gemeinsam Verantwortung für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Sicherheit unseres Landes tragen. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Diesem ganzheitlichen Konzept, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch der vorliegende Gesetzentwurf Ich komme zum Abschluss noch einmal zur wöchent- verpflichtet. Als Artikelgesetz wirkt es auf den ersten lichen Arbeitszeit zurück. Einem Gummiparagrafen, der Blick wie ein etwas unübersichtliches Sammelsurium bei Bedarf im Grunde jede beliebige Überschreitung von Einzelvorschriften, aber es folgt in Gänze der Philo- möglich macht, werden wir sicherlich nicht zustimmen. sophie, die soziale Sicherheit der Soldatinnen und Solda- (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Aha!) ten zu verbessern und den Dienst in der Bundeswehr für sie und auch für die Reserve und die freiwillig Dienst- Mir ist auch klar, dass dienstliche Notwendigkeiten gera- leistenden nicht unbedingt leichter, aber attraktiver zu de im Falle von Spezialistinnen und Spezialisten manch- machen. mal einen längeren Dienst erfordern. Die Überschreitung muss aber in jedem Fall ausgeglichen werden, und zwar Ein echter Durchbruch ist auch aus unserer Sicht die vorzugsweise durch Freizeit und, wenn es nicht anders Einführung einer Rentenversicherungspflicht, Frau Mi- geht, durch Geld. nisterin, für die Übergangsgebührnisse von Zeitsoldaten, die aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Es gibt dabei also durchaus noch viel zu diskutieren. Wir sind unter den Kolleginnen und Kollegen des Ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der teidigungsausschusses im Gespräch darüber, ob wir die Abg. Kerstin Vieregge [CDU/CSU]) Diskussion nicht auch in Form einer Anhörung noch ein- 11750 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Fritz Felgentreu (A) mal vertiefen können. Ich freue mich darauf; denn der Wie können Sie als Inhaberin der Befehls- und Kom- (C) Gesetzentwurf enthält heute schon viel Gutes, wir wollen mandogewalt über die Bundeswehr ein solches Beispiel ihn aber noch besser machen. abgeben? Die Soldatinnen und Soldaten müssen die Be- fehle der Führung des BMVg loyal befolgen. Deswegen Bei all dem wollen wir nicht vergessen, dass der wich- ist die vorbildliche Führung des Ministeriums ganz be- tigste Beitrag für eine attraktive Bundeswehr am Ende sonders wichtig. Eine Führung der Bundeswehr, in der doch darin besteht, dass wir den Soldatinnen und Sol- frisierte Zahlen keinen Vertrauensbruch darstellen und daten im Dienst mehr und eine bessere Ausrüstung zur keine Konsequenzen haben, erodiert die Akzeptanz der Verfügung stellen. Befehlskette. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie selbst haben der ganzen Truppe einmal ein „Hal- tungsproblem“ attestiert. Ich attestiere Ihnen, Frau Mi- Vizepräsidentin Claudia Roth: nisterin, dagegen ein Führungsproblem. Räumen Sie in Vielen Dank, Dr. Felgentreu. – Nächster Redner: Ihrem Haus auf! Ziehen Sie notwendige personelle Kon- Alexander Müller für die FDP-Fraktion. sequenzen! Damit könnten Sie einen erheblichen Beitrag (Beifall bei der FDP) zur Attraktivitätssteigerung des Arbeitgebers Bundes- wehr leisten. Alexander Müller (FDP): Wenn Sie die Einsatzbereitschaft der Truppe nachhal- Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! tig steigern möchten, müssen Sie auch die Materiallage Im Januar 2015 haben Sie, Frau Ministerin, in der Debatte dringend verbessern. Zur Beschaffung eines Stemmei- zum Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz hier im sens aus dem Baumarkt und jeder Batterie müssen An- Plenum festgestellt, dass die Bundeswehr im Bereich IT träge gestellt werden, und die Truppe wartet dann mo- mit den Toparbeitgebern Google, SAP und BMW kon- natelang, teilweise jahrelang darauf. Vertrauen wir doch kurriere. Während die genannten Firmen heute bei etwa unseren Soldatinnen und Soldaten stärker. Ich sehe nicht einem Viertel der angehenden Informatiker als attraktive ein, warum man ganzen Kompanien nur 500 Euro Hand- Arbeitgeber gelten, dümpelt die Bundeswehr nach wie geld im Jahr anvertraut, während diese mit millionenteu- vor bei 2 Prozent herum. rem Gerät arbeiten. Während die Truppe dringend Fachkräfte für Cybersi- (Beifall bei der FDP) cherheit, Waffensystemspezialisten und Flugzeugführer (B) braucht, kommt die Union mit einem „Deutschland-Prak- Lösen Sie die Handbremse! Entbürokratisieren Sie die (D) tikum“ um die Ecke. Beschaffungsprozesse! Beenden Sie die Verzögerungen (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) und Kostensteigerungen! Dann wird die Einsatzbereit- schaft der Bundeswehr auch besser. Im vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur nachhal- tigen Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Ihr Gesetzentwurf, Frau Ministerin, geht in die richti- Bundeswehr finden sich zwar einige gute Vorschläge, ge Richtung. Er enthält auch mehrere sinnvolle Maßnah- manche Regelungen aber verschlechtern die Personal- men. Damit wird aber noch nicht genug getan, um aus situation. Damals hielten Sie, Frau Ministerin, geregelte der Bundeswehr einen attraktiveren Arbeitgeber zu ma- Arbeitszeiten für selbstverständlich, und heute hebeln chen und um Ihre personalstrategischen Ziele zu erfüllen. Sie diese wieder aus. Der Wegfall von finanziellen Leis- Ermöglichen Sie den Soldatinnen und Soldaten wieder tungen für den Wochenenddienst wird für die betroffenen Vertrauen in die Führung Ihres Hauses, sorgen Sie für Reservisten, die häufig ohnehin ihre wertvolle Freizeit die rechtskonforme Vergabe von Haushaltsmitteln, geben opfern, den Dienst in der Reserve weniger attraktiv ma- Sie den Soldatinnen und Soldaten mehr Verantwortung in chen. Und warum sparen Sie ausgerechnet bei der Be- ihrem Job, und sorgen Sie für weniger Bürokratie! handlungsdauer von Angehörigen einsatzgeschädigter Vielen Dank. Soldatinnen und Soldaten? (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Jede Verbesserung nützt aber wenig, wenn Ihre Haus- leitung, Frau Ministerin, für andauerndes Chaos und Af- Vizepräsidentin Claudia Roth: fären sorgt. Ihre Leute haben Ihnen frisierte Zahlen für Vielen Dank, Alexander Müller. – Nächster Redner: die Entscheidungsfindung zur „Gorch Fock“-Sanierung Tobias Pflüger für die Fraktion Die Linke. vorgelegt, berichtet uns Ihr eigenes Ministerium. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: So ist es!) Tobias Pflüger (DIE LINKE): Sie haben keine Konsequenzen daraus gezogen und las- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sen dieselben Menschen auf hochdotierten Posten wei- Uns liegt ein Gesetzentwurf vor, mit dem Frau Ursula termachen. von der Leyen die Bundeswehr zu einem attraktiven, (Beifall bei der FDP) wettbewerbsfähigen und modernen Arbeitgeber machen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11751

Tobias Pflüger (A) will. Mit höherem Sold und mehr Sozialleistungen will ligung. Wir brauchen keine Aufrüstung, auch nicht ge- (C) Ursula von der Leyen mehr Menschen in die Bundes- genüber Russland. Also brauchen wir auch nicht diese wehr locken. Trendwende Personal.

Der Name des Gesetzes sagt aber, worum es eigentlich (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn geht, nämlich um die Stärkung der Einsatzbereitschaft [CDU/CSU]: Sie wollen auch keine Bundes- der Bundeswehr. Wir wollen nicht mehr und effektivere wehr!) Einsätze; wir wollen zum Beispiel, dass die Auslandsein- sätze der Bundeswehr beendet werden. Sie gehen wieder in die völlig falsche Richtung. Wir haben einen Verteidigungshaushalt, der enorm gewach- (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte sen ist: 43,2 Milliarden Euro. Damit ist der Bundeswehr- [CDU/CSU]: Eigentlich finden Sie die Mittel etat seit 2014 um 40 Prozent gestiegen. Um das noch ein- ja ganz gut!) mal klipp und klar zu sagen: Das lehnen wir ab.

Im Prinzip haben wir hier Ihr Eingeständnis, Frau Ursula (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn von der Leyen, dass Sie mit Ihrem Konzept, die Bundes- [CDU/CSU]: Sie lehnen die ganze Bundes- wehr attraktiver zu machen, gescheitert sind. Seit Jahren wehr ab!) klagt die Bundeswehr über zu wenig Bewerberinnen und Bewerber. Nimmt man die neuesten Zahlen zur Personal- Diese Aufrüstung geht im Übrigen auch auf Kos- stärke der Bundeswehr, muss man sagen: Ursula von der ten der Soldatinnen und Soldaten. In diesem Bundes- Leyen hat ihr aktuelles Ziel von 182 000 Soldatinnen und wehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz wird nämlich Soldaten verfehlt. die EU-Arbeitszeitrichtlinie von 2016, die die wöchentli- che Arbeitszeit auf 41 Stunden begrenzt, teilweise wieder Es bleibt dabei: Rein objektiv ist die Bundeswehr als einkassiert. Das Soldatengesetz soll nämlich dahin ge- Arbeitgeber unattraktiv. Offenbar will Ursula von der hend geändert werden, dass das geltende Arbeitszeitrecht Leyen junge Menschen mit besserer sozialer Absiche- bei der Luftraumüberwachung oder beim Rettungsdienst rung ködern. Die teuren YouTube-Serien und die Pla- der Marine komplett ausgesetzt werden kann. So sozial katwerbung, mit der die Bundeswehr die Innenstädte ist dieses Gesetz also gar nicht, wenn man genauer hin- zupflastert, hatten wohl nicht den gewünschten Erfolg. schaut. Der Gesetzentwurf zeigt, dass soziale Erwägun- gen bei der Bundeswehr fallen, sobald sie der militäri- Einiges klingt gut in diesem Gesetzentwurf: mehr schen Effektivierung im Wege stehen. Das lehnen wir ab. Sozialleistungen für Soldatinnen und Soldaten, höherer (B) Sold, bessere soziale Absicherung, berufsfördernde Maß- (Beifall bei der LINKEN) (D) nahmen, bessere rentenversicherungsrechtliche Absiche- rung. Trotzdem werden wir als Linke dagegenstimmen, Nicht umsonst haben die Bundesländer Brandenburg weil es ganz offensichtlich darum geht, die Einsatzbereit- und Thüringen dagegen im Bundesrat Bedenken geäu- schaft, insbesondere für Auslandseinsätze, zu verbessern. ßert; denn damit würde ein Präzedenzfall geschaffen, der Das lehnen wir ab. Und wir lehnen auch das, was Sie geltende Arbeitszeitregelungen aushöhlt, wenn er denn mit diesem Gesetzentwurf erreichen wollen, ab, nämlich Schule macht. Ein kleiner Hinweis an die Kolleginnen eine Aufstockung der Personalstärke der Bundeswehr. und Kollegen der SPD: Vielleicht überdenken Sie diesen Das sind die zentralen Punkte dieses Gesetzentwurfes. Passus im Gesetzentwurf noch einmal. Im Übrigen ist in- Deshalb werden wir dazu Nein sagen. teressant, wie sich hier die AfD positioniert. Sie hat dazu einen Antrag eingebracht, der nicht etwa für, sondern ge- (Beifall bei der LINKEN) gen die Begrenzung der Arbeitszeit der Soldatinnen und Soldaten ist; denn so was passe nicht – Zitat – „zum We- Die Bundeswehr soll von derzeit 180 000 auf sen von Streitkräften“ und zur „deutschen militärischen 198 000 Soldaten im Jahr 2024 vergrößert werden. Diese Führungskultur“, behauptet die AfD. sogenannte Trendwende Personal begründen Sie damit, Frau Ursula von der Leyen, dass – Zitat –eine „Refo- (Beifall der Abg. [AfD]) kussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung“ notwendig sei. Aber was steckt denn dahinter? Das ist Das Übliche: Die AfD ist wieder einmal arbeitnehmer- Aufrüstung, die stattfindet, Aufrüstung auch gegenüber feindlich. Russland. Und es steht sogar konkret im Gesetzestext – ich zitiere –: (Beifall bei der LINKEN)

Bei Maßnahmen, die sich unterhalb der Schwelle ei- Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen nes Einsatzes nach § 2 Absatz 1 des Parlamentsbe- kein Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz. Viel dringen- teiligungsgesetzes bewegen, jedoch Einsatzcharak- der wäre es, andere Berufe attraktiver zu machen: den ter im militärfachlichen Sinne haben, wie Enhanced der Erzieherinnen und Erzieher zum Beispiel, der Alten- Forward Presence in Litauen, wird zukünftig ein- pflegerinnen und Altenpfleger, der Krankenschwestern heitlich Einsatzversorgung gewährt. und -pfleger. Die Wahrheit ist doch: Alles, was Sie für die Bundeswehr verbraten, fehlt an anderer Stelle im Genau das lehnen wir als Linke ab. Wir wollen nicht Bundeshaushalt. Statt die Bundeswehr aufzustocken, ist mehr Einsätze, insbesondere nicht ohne Parlamentsbetei- Abrüstung das Gebot der Stunde. Wir werden diesen Ge- 11752 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Tobias Pflüger (A) setzentwurf ablehnen, weil er in die völlig falsche Rich- eine Bundeswehr, bei der im vergangenen Jahr die Zahl (C) tung geht, der Neueinstellungen rückläufig war. Wir reden über eine Bundeswehr, die in Zeiten des demografischen Wandels (Florian Hahn [CDU/CSU]: Weil Sie die auf dem Arbeitsmarkt natürlich auch in Konkurrenz steht Bundeswehr ablehnen! Das ist die Wahrheit!) mit einer anwachsenden Bundespolizei, mit einem an- und wir sagen Nein zu diesem sogenannten Einsatzbe- wachsenden Zoll, mit anwachsenden Länderpolizeien. In reitschaftsstärkungsgesetz. dieser Situation, meine Damen und Herren, müssen wir natürlich ein realistisches Bild zeichnen, auch was den Vielen Dank. Personalumfang anbetrifft. Uns Grünen ist es wichtiger, (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn dass die 185 000 Stellen auch wirklich besetzt und attrak- [CDU/CSU]: Seien Sie doch mal ehrlich!) tiv sind und dass die Frauen und Männer, die ihren Dienst in unseren Streitkräften leisten, gut und angemessen aus- gestattet sind, als darüber zu reden, die Bundeswehr ir-

Vizepräsidentin Claudia Roth: gendwie auf 200 000 Stellen aufzublähen. Vielen Dank, Tobias Pflüger. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn, meine Damen und Herren, wenn wir als Par- lament hergehen und unseren Streitkräften einfach nur mehr Aufträge zuweisen, weil wir von einer Bundeswehr Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ausgehen, die auf dem Papier größer ist, als sie realistisch Vielen Dank. – Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe betrachtet eines Tages tatsächlich einmal sein wird, dann Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pflüger, gestat- sind wir nicht nur frustriert darüber, dass die Truppe nicht ten Sie mir zu Beginn eine Bemerkung: Ich meine, es ist alles kann, was man von ihr fordert, sondern dann tun unstreitig hier in diesem Hause, dass der 8. Mai ein Tag wir auch den Soldatinnen und Soldaten, die tagtäglich der Befreiung war, und wir sind dankbar um den Anteil, ihren Dienst in unseren Streitkräften leisten, unrecht und den die Rote Armee am Sieg über den Faschismus hatte. überfordern sie. Das sollten wir als verantwortungsvolle Aber sich an dieses Pult zu stellen und über Aufrüstung Politikerinnen und Politiker nicht tun. gegenüber Russland zu reden, während Ihr Fraktionskol- lege sich gerade auf Fraktionskosten auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dem Roten Platz in Moskau die Militärparade anschaut, In Ihrem Gesetzentwurf schlagen Sie viele Maßnah- ist schon ein Treppenwitz. men vor, die wir Grüne ausdrücklich begrüßen. Es ist (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, richtig, dass die Angehörigen von Soldatinnen und Sol- (D) bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- daten, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung geordneten der FDP – Henning Otte [CDU/ leiden, in die Fürsorge einbezogen werden. CSU]: Ach! Pfui!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kommen wir zum Gesetz selbst. Liebe Kolleginnen Es ist richtig, dass wir bei Angelegenheiten der Ren- und Kollegen, es war richtig, die Wehrpflicht auszuset- tenversicherung mehr tun, meine Damen und Herren, zen. Aber wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir sagen: und es ist natürlich auch richtig, dass jetzt eingeführt Wir sind den Weg zur Freiwilligen- bzw. Berufsarmee bis wird, dass alle Statusgruppen unserer Streitkräfte die heute nicht konsequent, realistisch und vollständig ge- Möglichkeit haben werden, Teilzeit zu beantragen. Das gangen. Deswegen sind die zentralen Anliegen in diesem sind vernünftige Schritte. Gesetzentwurf, die Attraktivität und die Wettbewerbsfä- higkeit der Bundeswehr und auch die Fürsorge gegenüber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Soldatinnen und Soldaten zu steigern, keine falschen Anliegen. Nein, in weiten Teilen sind sie notwendig. Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zum Thema Arbeitszeit und zum Antrag der AfD-Fraktion sagen. Es (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ist richtig, dass Soldatinnen und Soldaten eine geregelte SES 90/DIE GRÜNEN) Arbeitszeit und im Friedensbetrieb eine Höchstwochen- arbeitszeit haben. Das ist ein richtiger und ein vernünfti- Deswegen sollten wir miteinander darüber streiten, was ger Schritt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn man die richtigen Mittel und die richtigen Wege dazu sind. sich hierhinstellt und beantragt, das Ganze streichen zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wollen, dann zeichnet man aus meiner Sicht ein Bild, bei dem die Soldatin oder der Soldat voll auf die Rol- Frau Ministerin, Sie haben hier zu Recht gesagt: Die le als Kämpfer reduziert werden, ohne daran zu denken, Bundeswehr ist kein Arbeitgeber wie jeder andere. – Sie dass es Frauen und Männer wie wir sind, mit Familie, befindet sich aber in Konkurrenz mit zivilen Arbeitge- mit Angehörigen, mit einem Privatleben. Wer dieses Bild bern. Deswegen bewegen wir uns mit dem Bild, das wir zeichnet, der sagt: Egal was am Ende rauskommt, wir von der Truppe zeichnen, und mit Schlagworten wie Re- schleifen die Leute, die in der Truppe dienen, und neh- krutierung, Werbung, Attraktivität, Fürsorge immer auf men überhaupt keine Rücksicht auf ihr Menschsein und einem schmalen Grat. Wir müssen realistisch sein und auf ihr Familienleben, liebe Kolleginnen und Kollegen. uns eines klarmachen: Wir reden über eine Bundeswehr, bei der die 185 000 Sollstellen bis heute nicht voll mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Soldatinnen und Soldaten besetzt sind. Wir reden über sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11753

Dr. Tobias Lindner (A) Deswegen muss es beim Thema Soldatenarbeitszeit- welches naturbedingt nie vollständig zu lösen sein wird. (C) verordnung darum gehen, dass wir lebens- und praxis- Insbesondere in Zeiten guter Konjunktur liegen die Vor- nahe Lösungen finden. Auch ich rede mit Angehörigen teile klar beim Mittelstand, beim Handwerk, bei der In- unserer Streitkräfte, die sagen: Wenn es um Lehrgänge dustrie und anderen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, den geht, wenn es um Übungen geht, dann brauchen wir na- Arbeitgeber Bundeswehr fit für die Zukunft zu machen: türlich eine gewisse Flexibilität, damit man in solchen mehr Geld für freiwillig Wehrdienstleistende, die Öff- Situationen auch mehr als 41 Stunden in der Woche die- nung der Berufssoldatenlaufbahn für Unteroffiziere und nen kann. – Aber ich sage auch dazu: Dann muss das Stabsunteroffiziere oder eine verbesserte Einsatzversor- natürlich am Ende des Tages kompensiert werden – ent- gung. Und dies sind nur drei Beispiele für die vielfäl- weder durch Freizeit oder durch Geld, liebe Kolleginnen tigen Verbesserungen, aber aus meiner Sicht einige der und Kollegen. prägnantesten. Unter dem Gesichtspunkt, dass es darum geht, weite- Ich freue mich wirklich sehr darüber, dass den vielen re Ausnahmen einzuführen, sehen wir Grüne in diesem erfahrenen Unteroffizieren und Stabsunteroffizieren nun Gesetz, ehrlich gesagt, mehr Schatten als Licht. Uns ist die Möglichkeit eröffnet wird, Berufssoldat zu werden. wichtig, dass man nicht irgendeine allgemeine Öffnungs- Sie können damit ihre wichtigen Fähigkeiten ihr gesam- klausel verankert, mit der man am Parlament vorbei je- tes Berufsleben lang bei der Bundeswehr anwenden. Es den Angehörigen der Bundeswehr zu einer Spezialistin soll sich in jeder Hinsicht lohnen, den deutschen Streit- oder einem Spezialisten erklären kann und somit eine kräften anzugehören. Ausnahme definiert. Wir werden in den parlamentari- schen Beratungen sehr genau darauf achten, wie man mit Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der durch dieser Formulierung umgeht und dass man sie so prä- Trendwende Personal und Agenda Attraktivität einge- zisiert, dass auch wir als Parlament am Ende des Tages schlagene Weg konsequent fortgesetzt. Und das ist gut. wissen, wo Flexibilität geschaffen worden ist. Es darf Diese Bemühungen sind für uns jedoch noch lange nicht eben keinen Wildwuchs bei den Ausnahmetatbeständen am Ende. Das Ziel, die Bundeswehr attraktiver zu ma- geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. chen oder zu halten, entspricht einem dauerhaften Pro- zess. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir Grüne werden den vorliegenden Gesetzentwurf Verbesserungen sind ohnehin dringend geboten. Die wohlwollend prüfen. Wir werden in einer anstehenden Ziele der Trendwende Personal müssen erreicht werden, öffentlichen Anhörung zu diesem Gesetzentwurf den auch um Bündnisverpflichtungen einhalten zu können. (B) Finger dort in die Wunde legen, wo wir die Notwendig- Beides bedingt einander. Ein verlässliches Bündnis muss (D) keit von Verbesserungen sehen. Wir werden am Ende des aus starken Armeen bestehen, und zu einer starken Ar- Tages, weil wir wissen, dass kein Gesetz dieses Haus so mee gehört leistungsfähiges Personal. verlässt, wie es eingebracht wurde, daran dann auch un- ser Abstimmungsverhalten festmachen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns weiß aus Gesprächen mit Soldaten und Zivilpersonal gleicher- Ich danke Ihnen. maßen, worin die Erwartungshaltung besteht. Bei Trup- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) penbesuchen in meiner ostwestfälisch-lippischen Heimat und darüber hinaus werde ich von Soldaten aller Dienst- grade und Altersgruppen jedenfalls immer wieder auf Vizepräsidentin Claudia Roth: ihre Motivation hingewiesen. Vielen Dank, Tobias Lindner. – Nächste Rednerin: Kerstin Vieregge für die CDU/CSU-Fraktion. Attraktivität hat selbstredend viel mit Laufbahnrecht, Fürsorge, Sozialmaßnahmen und Geld zu tun. Dem kom- (Beifall bei der CDU/CSU) men wir hier nach. Und im Herbst wird mit dem Be- soldungsstrukturenmodernisierungsgesetz ein weiterer Kerstin Vieregge (CDU/CSU): wichtiger Schritt folgen. Zum anderen entsteht Attrakti- Frau Bundestagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und vität aber mittels Anerkennung militärischer Leistungen Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Koali- der Parlamentsarmee Bundeswehr und des Dienstes der tion setzt mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf zur Soldatinnen und Soldaten sowie zivilen Bediensteten nachhaltigen Stärkung der personellen Bereitschaft nach durch Gesellschaft und Staat. Dort hat Deutschland viel dem Versichertenentlastungsgesetz ein weiteres wesent- Nachholbedarf, der natürlich nicht über ein Gesetz zu lö- liches Versprechen aus dem Koalitionsvertrag um, von sen ist. Daher möchte ich alle Kolleginnen und Kollegen dem die Angehörigen der Bundeswehr unmittelbar pro- dazu aufrufen, sich für eine Intensivierung der Anerken- fitieren. nung soldatischer oder militärischer Leistungen einzuset- zen. Wir müssen das Bewusstsein für diese Leistungen in (Beifall bei der CDU/CSU) die Mitte der Gesellschaft holen. Einer der Eckpfeiler dieses Artikelgesetzes ist zwei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. felsohne die Steigerung der Attraktivität des Dienstes bei Gabi Weber [SPD]) der Bundeswehr. Der Arbeitsmarkt ist ein Feld, in dem unsere Streitkräfte zu oft gegenüber der Wirtschaft das Auch das wird zu einer weiteren Attraktivität des Arbeit- Nachsehen haben. Dabei handelt es sich um ein Problem, gebers Bundeswehr beitragen. 11754 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Kerstin Vieregge (A) Ich kann auf jeden Fall voller Überzeugung sagen: Meine Damen und Herren, unsere Soldatinnen und (C) Die Bundeswehr ist eine starke Truppe. An jeder Stelle Soldaten sind weiß Gott mit Leidenschaft dabei, doch sie leisten die Angehörigen der Bundeswehr großartige Ar- erwarten zu Recht für ihre Leistungen Anerkennung und beit. Es bereitet riesige Freude, sich für sie einzusetzen. für ihre Arbeit einen fairen und unbürokratischen Aus- Das Bundeswehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz tausch. Mit der jetzt vorliegenden Formulierung wird das ist ebenso ein sichtbares Zeichen dieser Anerkennung Verteidigungsministerium ermächtigt, diese Verordnung wie hoffentlich noch weiterhin zu führende Sachdebat- im Prinzip aufzuheben. Ich zitiere: Soweit ten. Lassen Sie uns also gemeinsam für die Bundeswehr streiten im Sinne der Soldaten und Soldatinnen und des Soldaten … andere genau bezeichnete Tätigkeiten Zivilpersonals; denn die zahlreichen Verbesserungen in in den Streitkräften ausüben, die besondere militäri- den Bereichen Haushalt, Material und Personal müssen sche Kenntnisse oder besondere militärische Fähig- spürbar bei den Menschen in der Bundeswehr ankom- keiten erfordern, men. kann die Rechtsverordnung ausgesetzt werden. Meine Damen und Herren, über besondere militärische Fähig- Ich freue mich sehr auf die weiteren Beratungen, auch keiten verfügt bei uns jeder in dieser modernen Armee. im Hinblick auf den bereits vorliegenden Änderungsan- trag und die noch kommenden, und bedanke mich für (Beifall bei der FDP) Ihre Aufmerksamkeit. Aber anstatt gleichzeitig direkt festzuhalten, wie die (Beifall bei der CDU/CSU) Überstunden künftig ausgeglichen werden sollten, ver- weisen Sie nur auf eine noch zu erlassende Rechtsver- ordnung. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Vieregge. – Nächs- Meine Damen und Herren, wir, das Parlament, sollten te Rednerin für die FDP-Fraktion: Dr. Marie-Agnes darauf vertrauen, dass Ihr Haus das schon regelt. Liebe Strack-Zimmermann. Frau Ministerin, bei allem Respekt, unser Vertrauen in Ihre Arbeit und die der Staatssekretäre ist in den letzten (Beifall bei der FDP) Monaten nicht größer geworden. Der Fanklub hat sich deutlich verringert. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Und zum Schluss. Lieber Kollege Felgentreu, wir Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wollen eine Anhörung mit Sachverständigen. Das ist Nachdem wir über das Material der Bundeswehr gewis- wichtig, das ist richtig. Grundsätzlich stehen wir dem (B) sermaßen nur noch in der Geheimschutzstelle debattieren Gesetzentwurf positiv gegenüber, aber wir werden in den (D) dürfen, freut es mich, dass wir wenigstens über die per- parlamentarischen Beratungen Änderungen und Ergän- sonelle Einsatzbereitschaft öffentlich sprechen können. zungen einbringen. Wir haben hervorragende Soldatinnen und Soldaten (Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist ja einmal und zivile Beschäftigte, aber schlichtweg noch zu weni- interessant!) ge, um die steigenden Anforderungen mit dem vorhan- Vielen Dank. denen Personal bewältigen zu können. Dabei dürfen wir keine Arbeitsbedingungen entstehen lassen, die junge (Beifall bei der FDP) Menschen davor zurückschrecken lassen, zur Bundes- wehr zu kommen. Der Gesetzentwurf der Bundesregie- Vizepräsidentin Claudia Roth: rung enthält viele punktuelle Verbesserungen, die den Vielen Dank, Dr. Strack-Zimmermann. – Nächste Betroffenen das Leben und Arbeiten leichter machen Rednerin: Gabi Weber für die SPD-Fraktion. sollten. Diesen Schritt unterstützen wir ausdrücklich. Aber der ganz große Wurf gelingt nicht. (Beifall bei der SPD) Das liegt auch daran, dass eine der weitestreichenden Änderungen deutlich über das Ziel hinausschießt. Ich Gabi Weber (SPD): spreche von der Soldatenarbeitszeitverordnung. Die hat Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen ja in der jetzigen Form mit der Realität überhaupt nichts und Kollegen! Fast 120 000 Soldatinnen und Soldaten zu tun. auf Zeit, rund 8 000 freiwillig Wehrdienstleistende und rund 35 000 Berufssoldatinnen und ‑soldaten garantieren (Beifall bei der FDP) derzeit die Sicherheit unseres Landes nach außen. Ihre Aufgaben erstrecken sich von der Landes- und Bünd- Soldatinnen und Soldaten arbeiten nicht von 9 bis 17 Uhr nisverteidigung bis hin zur Friedenssicherung unter dem nach dem Motto: Freitag ab eins macht jeder seins. Das Dach der Vereinten Nationen. wollen die meisten auch nicht und ist auch aus Sicher- heitsgründen komplett absurd – nach dem Motto: Liebe Damit unsere Soldatinnen und Soldaten ihre Aufgaben Gegner auf dieser Welt, am Wochenende Angriffsverbot. optimal erfüllen können, müssen auch wir unsere Haus- Das erinnert mich übrigens – das kann ich nur empfeh- aufgaben machen. Als Abgeordnete ist es unsere Pflicht, len – an Asterix und Obelix bei den Briten. Wenn die sich die Bundeswehr materiell und personell gemäß ihren mit den Römern geschlagen haben, gab es immer eine Aufgaben, die auch wir ihr geben, auszustatten. Gerade Heißwasserpause. weil es in Deutschland keine Wehrpflicht gibt, müssen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11755

Gabi Weber (A) wir dafür Sorge tragen, dass der Beruf der Soldatin oder ansonsten, im Bereich der Beamten oder in der freien (C) des Soldaten attraktiver wird. Neben hoher persönlicher Wirtschaft, völlig anders gestaltet? Unsere Arbeitszeiten Erfüllung muss dazu auch gehören, dass dieser Beruf so- als Abgeordnete, denke ich, dürfen wir nicht als Ver- ziale und finanzielle Sicherheit bietet. gleich heranziehen. Hier geht es im Wesentlichen um die Frage: Können wir in der Bundeswehr im Normalbetrieb Kollegen und Kolleginnen, wenn wir hier von Attrak- verlässlich garantieren, dass die Vereinbarkeit von Beruf tivität sprechen, geht es um ganz konkrete Fragen, die das und Familie für die Menschen auf Dauer möglich ist? – Leben der Soldaten täglich prägen, zum Beispiel: Wann Das muss hier die zentrale Frage sein. Im Einsatz ist es gilt ein Unfall als Dienstunfall? Können für meinen Part- eine andere Sache. Das haben wir auch im Rahmen der ner oder meine Partnerin Kosten übernommen werden, Debatten um die Soldatenarbeitszeitverordnung lange wenn ich eine Psychotherapie benötige und er oder sie und intensiv miteinander diskutiert. Kurz und gut: Bei diese begleitet? Wie funktioniert meine soziale Siche- der Frage der Arbeitszeitregelungen, die im Gesetzent- rung nach der Dienstzeit, wenn ich Soldat oder Soldatin wurf enthalten sind, gibt es Nachbesserungsbedarf. auf Zeit bin? Und: Wie vereinbare ich Soldatenberuf und Familie? – Viele dieser Fragen werden im vorliegenden Man darf auch nicht darüber hinwegtäuschen: Wenn Gesetzentwurf positiv beantwortet. Das neue Bundes- eine gesetzliche Regelung geschaffen wird, steht sie wehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz – ich könnte immer oberhalb einer Verordnung. Das heißt, wenn ein im neuen Stil auch „Gute-Truppe-Gesetz“ sagen – Gesetz kommt und eine Regelarbeitszeit von 44 Stunden vorsieht, dann kann die Verordnung sagen, was sie will: (Beifall des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD] – Es gilt dann die Regelarbeitszeit von 44 Stunden. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Bitte nicht! – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: (Beifall des Abg. [SPD]) Ogottogott! Bitte nicht!) Attraktivität, Kolleginnen und Kollegen, klingt anders. enthält an dieser Stelle klare Fortschritte. Wir verbessern Deshalb ist diese Form der Arbeitszeitregelungen eigent- damit den Arbeitsalltag in der Bundeswehr ganz konkret lich kontraproduktiv, wenn wir Attraktivität herstellen und setzen wichtige Zeichen. wollen. Deshalb werden wir diese Diskussion, denke ich, unbedingt auch weiterhin führen müssen. Kolleginnen und Kollegen, zentrales Anliegen – das habe ich schon mal gesagt – ist, Sicherheit zu bieten, und Werte Kolleginnen und Kollegen, verstehen Sie mich das ist an vielen Stellen gelungen, zum Beispiel mit der jetzt aber nicht falsch. Ich freue mich, dass es gelungen Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes, die für Sol- ist, mit diesem Artikelgesetz einen Weg zu beschreiben, daten und Soldatinnen auf Zeit eine deutlich bessere so- der insgesamt zu mehr Attraktivität führt. Es gibt nicht nur Kritikpunkte. Es gibt klare Fortschritte: die Absiche- (B) ziale Absicherung für das Alter schafft und insbesondere (D) ihre Wiedereingliederung in den zivilen Arbeitsmarkt er- rung auch von Soldaten auf Zeit in der Krankenversiche- leichtert, etwa durch die Förderung von Praktika. rung, die Ausweitung der Definition von Dienstunfällen, die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung für Reservis- Auf der anderen Seite gibt es aber durchaus Nach- tinnen und Reservisten und vor allen Dingen die bessere holbedarf. Fast alle meine Vorredner sind auf ein Thema Bezahlung derjenigen, die Reservedienst leisten wollen. schon eingegangen: die Frage der Arbeitszeit. Das mache ich auch noch. Es gibt aber noch einen Punkt, nämlich Im Gesetzgebungsverfahren selbst haben wir aber, dass laut Entwurf der Psychologische Dienst nun Infor- wie eben schon von vielen aufgezeigt wurde, noch Hand- mationen zur Weltanschauung – sei es Religion oder po- lungsbedarf. Nur wenn die Bundeswehr in der Bevöl- litische Einstellung – erheben soll, um die psychologi- kerung breite Akzeptanz erfährt – und dazu wollen wir sche Eignung für eine Tätigkeit bei der Bundeswehr zu beitragen –, kann sie ein attraktiver Arbeitgeber sein, und beurteilen. Die Aufgabe des Psychologischen Dienstes – dann stimmen auch die Bewerberzahlen. Mit dem Gesetz so habe ich es immer verstanden und will es auch wei- hat das Ministerium einen Teil seiner Hausaufgaben ge- ter verstehen – ist ausschließlich medizinischer Art und macht, und bei dem Übrigen werden wir über das Parla- muss es auch bleiben. Das Bewerbungsverfahren darf ment gerne nachhelfen. nicht mit einer psychologischen Beurteilung bezüglich Vielen Dank. der Weltanschauung verknüpft werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Erkenntnis, ob jemand politisch für den Dienst in der Vizepräsidentin Claudia Roth: Bundeswehr geeignet ist, muss im Bewerbungsverfahren Vielen Dank, Gabi Weber. – Nächster Redner: für die gewonnen werden, und zwar von denen, die die Einstel- CDU/CSU-Fraktion Dr. Reinhard Brandl. lung vornehmen, unter Hinzuziehung des MAD, wenn Zweifel bestehen, aber nicht durch den Psychologischen (Beifall bei der CDU/CSU) Dienst. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen und Kolleginnen, die Frage der Ar- Die zentrale Herausforderung für die Bundeswehr ist die beitszeit ist hier von vielen schon angesprochen worden. Erhöhung der Einsatzbereitschaft. Die meisten Menschen Wie fänden Sie es denn, eine regelmäßige Arbeitszeit denken bei dem Stichwort „Einsatzbereitschaft“ an Flug- von 44 Stunden zu haben, während sich die Arbeitszeit zeuge, die fliegen oder nicht, und Panzer, die fahren oder 11756 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Reinhard Brandl (A) nicht. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Für die besuchen immer wieder an uns herangetragen worden (C) Bundeswehr mindestens genauso wichtig ist die perso- sind, zum Beispiel bei der Frage der Rentenversicherung nelle Einsatzbereitschaft, und zwar unter zwei Gesichts- für Zeitsoldaten, die ausscheiden und dann Übergangs- punkten: Erstens. Gibt es genügend Soldaten? Zweitens. gebührnisse erhalten, bei der Berufsförderung, bei der Sind die vorhandenen Soldaten auch bereit, den Einsatz Versorgung bei Einsätzen wie in Litauen. zu erbringen? – Auch das ist Einsatzbereitschaft. – Meine Damen und Herren, beide Fragen kann man im Moment Insgesamt ändern wir mit diesem Gesetz 30 Gesetze mit einem „Ja, aber“ beantworten. und Verordnungen. Meine Damen und Herren, in dem Gesetz ist viel drin, und es wird auch viel helfen. Aber Zur ersten Frage: Gibt es genügend Soldaten? Wir wir werden es in den parlamentarischen Beratungen noch haben – Stand: Anfang dieser Woche – 181 760 aktive deutlich besser machen. Ich freue mich auf die Zusam- Soldaten. Wir sollten laut Personalstrukturmodell, Jah- menarbeit in den nächsten Wochen. resscheibe 2019, 184 530 haben. Somit ergibt sich eine Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Deckungsquote von knapp 99 Prozent, und die kann sich sehen lassen. Aber: Die Anzahl der Soldaten soll bis (Beifall bei der CDU/CSU) 2025 auf über 200 000 steigen. Meine Damen und Her- ren, das wird eine Herausforderung sein. Wir haben zwar Vizepräsidentin Claudia Roth: im Moment gut 50 000 Bewerbungen im Jahr. Wir brau- chen aber erstens mehr Spezialisten zum Beispiel, aber Vielen Dank, Dr. Brandl. – Der letzte Redner ist, wie nicht nur, im IT-Bereich, zweitens mehr Reservisten und schon angekündigt, für die CDU/CSU-Fraktion Oswin drittens mehr freiwillig Wehrdienstleistende. Veith. Den ersten Punkt, die Erhöhung der Konkurrenzfähig- (Beifall bei der CDU/CSU) keit auf dem Arbeitsmarkt bei der Gewinnung von Spezi- alisten, gehen wir in dieser Legislaturperiode, in diesem Oswin Veith (CDU/CSU): Jahr noch, mit einem eigenen Gesetz zur Modernisierung Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und der Besoldungsstrukturen an. Mit dem Gesetz, das wir Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sol- heute hier debattieren, kümmern wir uns um Reservisten datinnen und Soldaten! Reservistinnen und Reservisten! und auch um freiwillig Wehrdienstleistende. Davon sitzen auch in diesem Saal sehr viele, wofür ich sehr dankbar bin. Heute ist ein guter Tag für die Bun- Was die Reservisten angeht, bin ich froh, dass der deswehr und für die Reserve. Der Schutz der äußeren Präsident des Reservistenverbandes, Oswin Veith, unter Sicherheit unseres Landes ist eine, wenn nicht die Kern- uns ist, der direkt nach mir sprechen wird. Er wird da- aufgabe des Bundes. Auch wenn es in letzter Zeit viel um (B) rauf auch noch eingehen. Für uns ist zentral, dass wir die (D) Material ging, ist es ebenso selbstverständlich, dass wir Reservisten stärker in die Truppe integrieren und alle Un- die Bundeswehr als Parlamentsarmee bei den von uns an gleichbehandlungen zwischen aktiven Soldaten und Re- sie gestellten Aufträgen so unterstützen, dass sie diese servisten aufheben. Das gilt bei der Besoldung, das gilt auch personell leisten kann. bei Zuschlägen, das gilt bei der Frage der Teilzeit, das gilt aber auch – ganz sichtbar – für die Reservistenkordel, Angesichts einer deutlich verschlechterten Sicher- die in Zukunft wegfallen wird. heitslage müssen wir mehr Menschen für die Bundeswehr gewinnen und das – das wissen wir alle – unter deutlich Bei den freiwillig Wehrdienstleistenden steigern wir schwierigeren demografischen Rahmenbedingungen als die Attraktivität, indem wir den Sold erhöhen. Wenn heu- jemals zuvor. Dazu haben wir uns im Koalitionsvertrag te ein junger Mensch nach der Schule für ein paar Mona- verpflichtet. Wir wollen die im Koalitionsvertrag festge- te freiwilligen Wehrdienst leistet, steigt er mit ungefähr schriebene Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr 1 500 Euro ein und ist zum Schluss, als Hauptgefreiter, fortführen, was anfangs von vielen belächelt wurde. bei etwa 1 900 Euro. Meine Damen und Herren, das ist Aber seitdem sind zahlreiche Maßnahmen im Zuge der ein wirkliches Attraktivitätsmerkmal. Ich hoffe, dass wir Agenda Attraktivität erfolgreich umgesetzt worden. Ein damit wieder mehr Freiwillige gewinnen. Kollege hier hat es besonders vermissen lassen, das anzu- Die zweite Frage „Sind die Soldaten auch bereit, den sprechen. Aber auf seine Ausführungen werde ich später Einsatz zu erbringen?“, lässt sich nicht so einfach mit gerne noch eingehen. Zahlen beantworten. Wir verlangen von unseren Solda- Sich nur darauf zu beschränken, die Defizite zu be- tinnen und Soldaten sehr viel. Ich will nur zwei Berei- nennen und das Negative zu beschreiben, das machen che nennen: Die Bundeswehr ist heute eine Armee im wir nicht. Wir haben Wort gehalten und verbessern die Dauereinsatz, und die Bundeswehr ist heute eine Armee Arbeitsbedingungen in Bundeswehr und Reserve Schritt von Pendlern. Beides bedeutet große Belastungen nicht für Schritt. Dafür sorgen wir auch heute mit dem uns vor- nur für die Soldaten, sondern auch für ihre Familien. Sie gelegten Gesetzentwurf. werden die Belastungen nur auf sich nehmen und den Einsatz nur erbringen, wenn sie sich auf der anderen Als Mitglied des Innenausschusses und als seinerzeit Seite zu 100 Prozent darauf verlassen können, dass ihr zuständiger Berichterstatter meiner Fraktion durfte ich in Dienstherr alles unternimmt, um sie im Hinblick auf die der vergangenen Legislaturperiode an einem ganzen Bün- Versorgung und die soziale Absicherung gutzustellen. Da del von Gesetzesänderungen und Verbesserungen für die ist schon viel geregelt; aber mit dem Gesetz gehen wir Soldatinnen und Soldaten mitwirken. Allen voran ist das gezielt einige Lücken an, die auch bei unseren Truppen- Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz zu nennen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11757

Oswin Veith (A) und – die meisten wissen das nicht mehr – das Siebte Be- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) soldungsänderungsgesetz. Das sind sperrige Begriffe, die Herr Veith, ich fürchte, es führt jetzt zu weit, wenn Sie man vernimmt, doch dahinter steht ein Dreiklang: erstens alle Erfolge aufzählen. bessere Arbeitsbedingungen, zweitens bessere Vergütung und drittens bessere soziale Absicherung für unsere Frau- (Henning Otte [CDU/CSU]: Nein, das muss en und Männer in Uniform. Dieser Dreiklang, meine sehr doch einmal gesagt werden!) verehrten Damen und Herren, wirkt. Es ist wichtig, auch das heute zu betonen. Oswin Veith (CDU/CSU): Nein, nein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ob zivil oder in Uniform: Seit Beginn der 90er-Jah- Doch, doch. re ging der Personalbestand in der Bundeswehr deutlich und drastisch zurück. Wir haben den Rückgang mitt- Oswin Veith (CDU/CSU): lerweile durch die von Frau Bundesministerin initiierte Das will ich auch gar nicht, Frau Präsidentin. Trendwende – sie ist mehrfach angesprochen worden – gestoppt. Die Anzahl der Zeitsoldaten hat sich in den Vizepräsidentin Claudia Roth: letzten Jahren um 6 500 erhöht. Auch das ist ein mess- Die Redezeit ist deutlich überschritten. barer und, wie ich meine, erwähnenswerter Erfolg. Das ist ein schlagkräftiges Indiz dafür, dass wir uns auf dem Oswin Veith (CDU/CSU): richtigen Weg befinden. Dann noch ein Satz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die wichtigsten Punkte für die aktiven Soldatinnen Die Redezeit ist deutlich überschritten, mit Verlaub. und Soldaten sind in der Debatte bereits ausführlich er- wähnt worden. Ich verzichte daher darauf, noch einmal Oswin Veith (CDU/CSU): darauf einzugehen. Aber wenn ich hier schon angespro- Dann ist das so. chen werde, dann will ich auch deutlich erwidern. Als Reservist und Reserveoffizier des deutschen Heeres – Danke schön. mittlerweile im 38. Dienstjahr dabei – und als Präsident (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundes- ordneten der SPD) (B) wehr kann ich nur sagen: Mein und unser besonderes Au- (D) genmerk gilt im Entwurf vor allem den dort formulierten Verbesserungen für die Reserve. Deshalb, Herr Kollege Vizepräsidentin Claudia Roth: Kestner, an Sie gerichtet: Sie haben hier Ihren Vortrag Vielen Dank, Herr Veith. Aber Sie verstehen, dass es quasi zurechtgebrüllt, hatten aber wenig in der Sache zu meine Aufgabe ist, auf die Redezeiten zu achten. – Ich sagen. schließe die Aussprache. (Zurufe von der AfD) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/9491 und 19/9962 an die in der Ta- Ihr Vortrag hatte wenig Substanz. Deswegen mein Rat an gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie: Politik macht man mit dem Kopf und nicht mit dem Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überwei- Kehlkopf. Lassen Sie sich das gesagt sein! sungen so beschlossen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- tauschen – das tun Sie ja schon – oder den Saal zu ver- NEN – Zuruf des Abg. Jens Kestner [AfD]) lassen. Ich will Ihnen nur einmal sagen, was alles auf den Weg Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie gebracht wurde – Sie haben es nicht erwähnt, aber es ge- Zusatzpunkt 8 auf: hört dazu –: im Februar 2015 das Bundeswehr-Attrak- 6. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten tivitätssteigerungsgesetz und im Mai 2015 die Verbes- Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Lisa serungen im Unterhaltssicherungsgesetz. Heute können Badum, weiteren Abgeordneten und der wir sagen: Fast jeder Reservist, der Wehr übt, bekommt Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- nahezu dasselbe Geld wie der Aktive über seine Bezüge. gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes All das sind Verbesserungen, die wir erreicht haben. zur Beendigung des Betriebs von Kohle- kraftwerken zur Stromerzeugung (Koh- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!) lekraftwerk-Sofortmaßnahme-Gesetz) Wir haben das Besoldungsänderungsgesetz auf den Weg Drucksache 19/9920 gebracht. Wir haben die Trennungsgeld- und Umzugs- Überweisungsvorschlag: kostenvergütungen verbessert. Wir haben auch die Aus- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) landsverwendungszuschläge, die auch Reservistinnen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare und Reservisten bekommen, deutlich angehoben. Sicherheit 11758 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) b) Beratung des Antrags der Abgeordne- ausstiegsgesetz in der Tasche, das bringen wir hier ein. – (C) ten Karsten Hilse, Dr. Heiko Wildberg, Nein, das tun wir nicht. Wir tun das bewusst nicht, weil Dr. Rainer Kraft, weiterer Abgeordneter und die Zeit drängt. der Fraktion der AfD 2022 wollen Sie Kohlekraftwerke mit einer Leistung Aussetzung des Ausstiegs aus der Kohle­ von 7 Gigawatt vom Netz nehmen. Nicht nur wir, son- verstromung bis alternative Energien dern eigentlich alle hier im Land haben erkannt, dass sich grundlastfähig sind und jederzeit be- Kohlekraftwerke nicht von selbst einfach abschalten, darfsgerecht eingespeist werden können (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 19/9963 dass sie sich nicht abschalten, nur weil ein Bericht der Überweisungsvorschlag: Kohlekommission auf dem Tisch liegt, auf den Sie im- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) mer wieder verweisen können. Einer Ihrer Ministerprä- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare sidenten, der neben mir bei „Anne Will“ saß, hat das ja Sicherheit getan. Immer, wenn er auf den Tisch gehauen hat, hat er wohl gedacht, jetzt schaltet sich gleich ein Kohlekraft- ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa werk ab. Nein, so passiert das nicht. Sie müssen schon Badum, Dr. Julia Verlinden, Ingrid Nestle, wei- ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen. Und terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- dass Sie das nicht tun, ist wirklich eine Schande. Dass NIS 90/DIE GRÜNEN Sie nicht handeln, ist katastrophal für unser Land. Die Europäische Union zur Klimaschutz-Uni- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) on machen Wir stehen wirtschafts- und klimapolitisch mittler- Drucksache 19/9953 weile ziemlich allein da. Vor ein paar Tagen haben acht Überweisungsvorschlag: europäische Länder – Frankreich, Belgien, Luxemburg, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Niederlande, Dänemark, Schweden, Portugal und Spa- Ausschuss für Wirtschaft und Energie nien – gemeinsam in einer Initiative gefordert, dass die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Europäische Union bis 2050 klimaneutral sein soll. die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es (Timon Gremmels [SPD]: Mit Atomkraft! – keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Zuruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/ Ich gebe das Wort der ersten Rednerin in der Debatte: CSU]) (B) Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen. Und wo sind Sie? Wo sind Sie als Bundesregierung? Wo (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind Sie als regierende Fraktionen? Sie tauchen da ein- fach nicht mit auf. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN): Dieses Nichthandeln hat nicht nur katastrophale Fol- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und gen für den Ruf Deutschlands auf internationaler Ebe- Herren! ne, nicht nur katastrophale Folgen für den Klimaschutz, Wir wissen, dass sich das Klima verändert. Die sondern gerade auch für unsere Wirtschaftspolitik, für Leute können es selbst sehen. Mit diesem Gesetzes- Ostdeutschland, für Regionen, die den Kohleausstieg be- vorhaben packen wir den Kampf gegen den Klima- wältigen müssen. wandel an; denn die Alternative wären die katastro- (Dr. Martin Neumann [FDP]: Genau darum phalen Folgen des Nichtstuns. geht es!) „Die katastrophalen Folgen des Nichtstuns“, das wäre ein Herr Vassiliadis, der nun nicht gerade mein bester Freund perfekter Einstieg in Ihr Kohleausstiegsgesetz gewesen, ist, hat doch gerade erst vor ein paar Tagen bei einem par- das Sie pünktlich ein Jahr nach der Einsetzung der Koh- lamentarischen Frühstück hier gesagt: Was tut ihr? Wa- lekommission heute in den Bundestag hätten einbringen rum tut ihr nichts? Wir hängen vollkommen in der Luft. – müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie müssen jetzt endlich einen Gesetzentwurf einbringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider stammt dieses Zitat nicht von der Bundeskanz- Ich weiß, dass Sie jetzt damit kommen werden: Wir lerin, nicht von der Umweltministerin, nicht vom Wirt- machen doch das Strukturfördergesetz. – Jetzt werde ich schaftsminister, sondern von der neuseeländischen Pre- technisch, fachpolitisch – ich hoffe echt, dass hier nicht mierministerin Jacinda Ardern, die erkannt hat, dass die nur Umweltpolitiker sitzen, sondern auch ein paar Fi- katastrophalen Folgen des Nichtstuns schlimmer sind, als nanz- und Wirtschaftspolitiker –: jetzt zu handeln, selbst wenn es Geld kostet. (Thomas Lutze [DIE LINKE]: Die reden Wir als Opposition bringen daher heute einen Gesetz- sogar gleich noch!) entwurf ein, den eigentlich Sie hätten einbringen müssen. Wir hätten uns schön zurücklehnen können. Wir hätten Sie wollen ein Strukturfördergesetz mit einem Volumen sagen können: Wir haben schon seit Jahren ein Kohle- von 40 Milliarden Euro auf den Weg bringen. Das sind Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11759

Annalena Baerbock (A) keine Peanuts, gerade wenn Sie sagen, unserem Haushalt und dünn. Wenn man den Gesetzentwurf liest, stellt man (C) wird es demnächst schlecht gehen. Dieses Strukturför­ aber fest, dass der Inhalt genauso dünn ist wie der Um- dergesetz koppeln Sie aber nicht daran, dass Kohlekraft- fang. werke abgeschaltet werden. Sie koppeln es noch nicht einmal daran, dass Arbeitsplätze und die Kohlekonzer- (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜND- ne in der Region gehalten werden. Nein, Sie wollen das NISSES 90/DIE GRÜNEN) Geld einfach mit der Gießkanne verteilen. Jeder kann Das ist aber auch klar; denn Sie beziehen sich zwar sich melden: Ich könnte auch 1 Milliarde gut gebrau- auf den Bericht der Kommission „Wachstum, Struktur- chen. – Das ist wirtschaftspolitisch wirklich fatal, meine wandel und Beschäftigung“, picken sich aus dem Kom- Damen und Herren. missionsbericht aber nur ein einziges Element heraus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Wir Timon Gremmels [SPD]: Stimmt doch gar betrachten diesen Strukturwandel ganzheitlich, während nicht! – Johann Saathoff [SPD]: Wo ist denn Sie nur einen Bestandteil herauslösen und sagen: Ihr Ihr Strukturfördergesetz?) müsst jetzt sofort die Kohlekraftwerke abstellen. – Das ist immer wieder der Trick der Grünen: Sie versprechen, Wir zeigen in unserem Gesetzentwurf auf, wie man dass der globale Klimawandel aufgehalten wird, wenn bei den Braunkohlekraftwerkskapazitäten 3 Gigawatt die Kohlekraftwerke jetzt sofort abgeschaltet werden. und bei den Steinkohlekraftwerkskapazitäten 4 Giga- Unser Blickwinkel ist viel weiter gefasst. watt Leistung abschalten kann. Wir sagen Ihnen auch, dass Sie die ältesten Kraftwerke – Niederaußem ist 1965 Der Zeitplan ist doch klar – darüber gab es doch nie ans Netz gegangen; da war ich noch nicht einmal gebo- Diskussionen –: ren – ohne Entschädigung abschalten können. Stattdes- (Lachen der Abg. Annalena Baerbock sen sollten Sie die 40 Milliarden Euro gezielt nutzen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Geben Sie das Geld den Konzernen, die in der Region bleiben wollen. Es gibt dafür ein gutes Vorbild, den Glo- Als Erstes kommt der Kommissionsbericht. Wir hatten ja balisierungsfonds: Unternehmen bleiben in der Region, gehofft, dass die Bundesregierung ein klares Statement bekommen dafür Innovationsförderung. So halten Sie zum Kommissionsbericht abgibt; 8 000 Beschäftigte in der Region. Die Unternehmen er- halten Förderung, wenn sie verbindlich zusagen, ihren (Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Konzern umzubauen zu einem Konzern der Zukunft, der NEN]: Sie sind doch in der Regierung!) nicht mehr Kohle produziert und nicht länger CO emit- 2 sie entwickelt jetzt aber ein Eckpunktepapier, das in den tiert, sondern auf Speicher und Nachhaltigkeit setzt. (B) nächsten Wochen durch das Kabinett gehen soll. Aus die- (D) Geben Sie sich einen Ruck. Enttäuschen Sie die Koh- sem Eckpunktepapier, in dem all die Punkte bearbeitet lekommission, die Sie selbst vor einem Jahre eingesetzt werden, die im Kommissionsbericht aufgelistet sind, ent- haben, nicht, sondern bringen Sie jetzt und hier ein Koh- steht letztendlich der Gesetzentwurf. leausstiegsgesetz auf den Weg, das eine vernünftige Un- Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, wie ge- terstützung der Kohleregionen beinhaltet. sagt, dass wir nicht nur abschalten wollen, sondern auch Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Strukturentwicklung betreiben wollen. Herren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN]: Wo denn? Wie denn?) Das ist genau der Punkt. Unser Slogan lautet immer: Erst Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: neue Arbeitsplätze schaffen, dann abschalten. Der nächste Redner ist der Kollege Andreas Lämmel, CDU/CSU-Fraktion. Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, aus politischen Gründen einen ganzen Industriezweig ab- (Beifall bei der CDU/CSU) zuschalten, weil er klimapolitisch angeblich nicht mehr in die Welt passt, dann muss sich die Politik auch da- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): rum kümmern, dass der Strukturwandel entsprechend gefördert wird. Diesen Aspekt lassen Sie völlig vermis- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sen. Das ist aber auch klar. Damit befassen Sie sich gar führen heute wieder einmal eine spannende Debatte über nicht. Es ist Ihnen immer egal gewesen – das ist in al- einen Gesetzentwurf der Grünen. len klimapolitischen Diskussionen deutlich geworden –, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE was aus den Leuten wird. Sie haben nur Tonnen CO2 im GRÜNEN]: Es ist immer spannend, wenn es Kopf, und das ist leider sehr wenig. Sie schießen mit Ih- was von uns gibt!) rem Gesetzentwurf aus unserer Sicht vollkommen über das Ziel hinaus. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ihr seid schnell gewesen, gar keine Frage. Ihr legt heute ei- nen Gesetzentwurf auf den Tisch, dessen Vorteil es viel- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: leicht ist, dass er ziemlich dünn ist. Das wünschten wir Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des uns bei manch anderen Gesetzentwürfen auch: schlank Kollegen Krischer? 11760 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): wird sich die Umsetzung des Kommissionsberichts ab- (C) Ja, gern. bilden. – Also, lieber einmal zuhören, bevor man solche halbgaren Zwischenfragen stellt, und, wie gesagt, nicht Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ablenken davon, dass Sie die Menschen überhaupt nicht im Blick haben. Ihnen geht es um etwas anderes. Früher Herr Lämmel, ehrlich gesagt, ich finde, das, was Sie hieß das „Tonnen-Ideologie“; das kennen wir noch aus hier zum Besten geben, ist eine Unverschämtheit. Wenn ich nicht irre, gehören Sie zu einer Regierungsfraktion. DDR-Zeiten. Die hatten das Gleiche drauf wie Sie: Die Kommission, die von der Bundesregierung einge- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE setzt worden ist, hat vor drei Monaten – vor über drei Monaten! – ihr Ergebnis vorgelegt. So! Ich komme aus GRÜNEN]: Das ist eine Unverschämtheit, einer Braunkohleregion. Die Menschen dort warten auf was Sie hier von sich geben! Peinlich!) eine klare Ansage der Regierungsfraktionen oder der Da wurde nur in Tonnen gerechnet, und Pläne mussten Bundesregierung, wie und in welchem Zeitraum genau dieser Kommissionsbericht umgesetzt werden soll. erfüllt werden. Um die Leute ging es damals nicht. Um die Leute, um die Menschen in den Regionen geht es bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihnen auch heute nicht, meine Damen und Herren. Von einer seriösen Regierungsfraktion erwarte ich, (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton dass sie, wenn sie schon keinen Gesetzentwurf zur Um- Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: setzung vorlegt – dass Sie da ein bisschen langsamer sind als wir, das mag ja sein –, hier zumindest zusammen Wissen Sie, wie unser Name ist? Bündnis 90! mit dem Koalitionspartner einen Antrag einbringt und Teile von Ihnen waren damals in der Block- den Menschen Klarheit darüber verschafft, wie es wei- partei!) tergehen soll. Dazu sind Sie ganz offensichtlich seit drei Monaten nicht in der Lage; denn sonst hätten Sie einen Wenn man den Gesetzentwurf weiterliest, wird es solchen Antrag hier eingebracht. noch viel schlimmer. Herr Hofreiter, Sie stellen sich di- rekt in die Linie von Herrn Kühnert. Herr Kühnert will Ich frage Sie jetzt hier: Wann werden Sie einen Be- nun Konzerne aus dem Bereich der Wohnungswirtschaft schluss im Deutschen Bundestag über die Umsetzung der enteignen, Ergebnisse der Kommission herbeiführen, um den Men- schen in den Regionen Klarheit über die weitere Ent- (Timon Gremmels [SPD]: Vorsicht! Dünnes wicklung zu verschaffen und deutlich zu machen, wann Eis, Herr Lämmel!) (B) die Klimaschutzziele erfüllt werden? Wann werden Sie (D) etwas Entsprechendes vorlegen? und die Grünen haben jetzt ein Hauptkampffeld, nämlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Enteignung von Energiekonzernen. Konzerne wie RWE sind ja Ihre Feindbilder. Ich will Ihnen bloß einmal Folgendes sagen: Wenn RWE wirtschaftlich in Turbu- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): lenzen gerät, weil Sie entschädigungslos sozusagen den Offensichtlich haben Sie während meiner Rede auf Schlüssel umdrehen wollen, dann enteignen Sie damit Ihren Ohren gesessen. erst einmal Kommunen – Sie wissen, dass es dabei um (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE große kommunale Vermögen geht; denn zum Beispiel GRÜNEN]: Nein!) die Städte Dortmund und Essen sind Großaktionäre bei RWE –, und Sie enteignen Tausende Kleinaktionäre, die Ich habe mich zum Zeitplan vorhin ganz klar geäußert. in RWE investiert haben, möglicherweise als Alterssi- Ich sage es noch einmal: Sie picken sich ein ganz win- cherung. ziges Detail aus dem gesamten Kommissionsbericht heraus. Sie wissen genau, dass es nicht nur um die Ab- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaltung von Kraftwerken geht, sondern auch um einen NEN]: Das ist selbst für Sie zu einfach!) Strukturwandelprozess. Tausende Leute wollen jetzt na- türlich wissen, wie es mit ihnen weitergeht. Das ist Ihre Politik: Sie enteignen den kleinen Mann dop- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- pelt. SES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe vom BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Eben! – Genau!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ja, regen Sie sich nicht so auf. – Mit Ihnen geht es über- Dass Sie von den Grünen sich auf diese Linie begeben, haupt gar nicht weiter, weil Sie einfach nur den Schlüssel das finde ich schon ziemlich abgefahren; das muss ich rumdrehen wollen, und dann ist das für Sie erledigt. Für ehrlicherweise sagen. Das hätte ich von Ihnen nie erwar- uns ist das damit noch lange nicht erledigt. tet. Ich sage es noch einmal zur Erläuterung: Im Moment werden die Eckpunkte erarbeitet. Das Eckpunktepapier Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: befindet sich in der Ressortabstimmung; das wird durch das Kabinett gehen. Wenn der Kabinettsbeschluss vor- Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage liegt, wird daraus ein Gesetzentwurf entwickelt. Darin des Kollegen Trittin? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11761

(A) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Ich bleibe dabei: Ihr Gesetzentwurf ist der Weg in die (C) Ja, gern, immer. Sie können dabei ja nur schlechter nächste Enteignung. Ich kann nur davor warnen; denn abschneiden. dann sind wir nicht mehr so weit weg vom VEB Energie- kombinat. Das mögen Sie vielleicht, aber ich nicht. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Patrick Schnieder [CDU/ CSU])

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe das nämlich alles live erlebt, wissen Sie. Ich habe keine Lust, das noch einmal hinter mich zu bringen. Herr Lämmel, meine erste Frage: Haben Sie schon mal was davon gehört, dass Anlagen, auch Kohlekraftwerke, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wie zum Beispiel das in Bremen-Farge oder in Nieder- ordneten der FDP) außem, nach einem bestimmten Zeitpunkt abgeschrieben sind und die vom Grundgesetz vorgesehene Entschädi- Meine Damen und Herren, Sie haben ja auf die Ge- gungspflicht im Falle von Enteignung dann nicht mehr werkschaft verwiesen. Natürlich ist die Gewerkschaft zieht? Sie können das in einem Urteil des Bundesverfas- genauso unruhig, weil sie natürlich weiß, dass die Koh- sungsgerichts nachlesen. lekumpel und ihre Familienangehörigen, die in der Regi- on von der Energie- und Kohlewirtschaft leben, wissen Zweite Frage. Sie haben von der Enteignung von Ak- wollen, wo es langgeht. Aber sie wollen nicht hören: tionären gesprochen. Ich habe mir mal die letzten Tage Abschalten! Zumachen! Schluss! Vielmehr wollen sie aus anderem Anlass den Aktienkurs von RWE über die wissen: Was ist denn die Zukunftsperspektive? Genau letzten 15 Jahre angesehen. Der Wert der Aktien hat sich das machen wir im Moment – ich kann es nur wieder- mehr als halbiert. Können Sie mal beantworten, wer die holen; das ist der Unterschied zwischen uns, zwischen Städte und Kommunen, BlackRock, die Kleinsparer, die der Regierungskoalition und den Grünen –: Wir machen Sie erwähnt haben, um mehr als die Hälfte ihres Vermö- uns Gedanken, wie eine Region ohne Energiewirtschaft gens enteignet hat? Wer trägt dafür die Verantwortung? oder mit einer anderen Energiewirtschaft leben kann. Sie Das sollten Sie sagen, bevor Sie dabei auf die Grünen aber denken nur darüber nach, wie viel Tonnen CO2 man verweisen. endlich einsparen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine Sache ist reine Augenwischerei. Sie wissen doch sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ganz genau: Selbst wenn wir in Deutschland über Nacht alle Kohlekraftwerke abschalten würden, würde sich am Weltklima gar nichts ändern. (B) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): (D) Erstens. Die Verantwortung – das haben Sie gerade (Beifall bei Abgeordneten der AfD und des selbst richtig festgestellt – tragen zur Hälfte die Politi- Abg. [CDU/CSU]) ker – das sind meistens Sie gewesen –, Es sind ja nur 0,2 Prozent CO2-Emissionen, die die deut- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sche Energiewirtschaft erbringt, meine Damen und Her- ren. Es gibt da doch so eine Redensart, wenn ich mich die mit ihrer Politik sozusagen stückweise die Industrie recht erinnere: Was stört es uns, wenn in China ein Sack in Deutschland, vor allen Dingen auch die energieinten- Reis umfällt? So ist das auch mit der deutschen Kraft- sive Industrie, aus dem Lande treiben. Zum Glück sind werkswirtschaft mit Blick auf das Weltklima. Genau des- wir noch da. Deshalb können Sie nirgendwo allein regie- wegen folgen unsere Nachbarländer dem deutschen Weg ren; das ist auch gut so. eben nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Sie sollten Ihren Gesetz- entwurf besser zurückziehen, bevor wir damit noch mehr Zweitens. Natürlich gibt es abgeschriebene Kraftwer- Zeit verschwenden. Sie sollten lieber darauf warten, dass ke; das ist ja gar keine Frage. Sie sprachen gerade von der der Gesetzentwurf der Bundesregierung hier eingebracht Steinkohle. In Ihrem Gesetzentwurf geht es jedoch nicht wird. Es lohnt sich viel mehr, darüber zu diskutieren. nur um die Steinkohle, sondern auch um die Braunkohle. Schauen Sie sich mal die Altersstruktur der Braunkohle- Vielen Dank. kraftwerke an. (Beifall bei der CDU/CSU) (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich gerade gesagt!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sie differenzieren an dieser Stelle in Ihrem Gesetzent- Der Kollege Karsten Hilse ist der nächste Redner für wurf überhaupt nicht. Also, wenn Sie da Unterschiede die AfD. machen wollen, dann müssen Sie diese auch darstellen (Beifall bei der AfD) und nicht alles pauschal betrachten. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Karsten Hilse (AfD): GRÜNEN]: Das habe ich gerade gesagt! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kohlekumpel! 105 Gigawatt, 0,7 Gigawatt, 46 Gigawatt: NEN) Diese Zahlen klingen sehr kryptisch. Sie werden auch 11762 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Karsten Hilse (A) den meisten von Ihnen nichts sagen, zumindest Ihnen bare Großspeicher, zur Verfügung stehen. Nichts ande- (C) nicht. Und doch zeigen sie, warum mit den sogenannten res fordern wir in unserem vorliegenden Antrag. Alle Erneuerbaren kein Industriestaat mit Strom zu versorgen versprochenen Anlagen wie Power-to-Gas, Power-to-X ist. Sie veranschaulichen nämlich die Schwankungen der oder Power-to-Irgendetwas sind, wenn überhaupt, erst in Stromproduktionen vom Januar dieses Jahres. Jahrzehnten in der Lage, diese 40 Gigawatt Grundlast zur Verfügung zu stellen. Bis dahin muss die Kohleverstro- Um das Rätsel für Sie zu lösen: 105 Gigawatt an elek- mung als sicherer Grundlasterzeuger erhalten bleiben. trischer Leistung an Windenergie und Energie aus Solar- anlagen waren im Januar in Deutschland installiert. Das (Beifall bei der AfD) sind schon jetzt gut 20 Gigawatt oder 30 Prozent mehr, als wir auch bei dem strengsten Winter in diesem schö- Der Kohleausstieg wird rein ideologisch begründet. nen Land verbrauchen. Grundlage ist die Hypothese, dass der Mensch mit seinen CO2-Emissionen die Erderwärmung maßgeblich beein- Was haben diese Anlagen geliefert? Im Januar stieg flusst. die Natur immer mal wieder aus Wind und Sonne aus, sodass auch mal nur weniger als 1 Gigawatt – genau wa- (Timon Gremmels [SPD]: Forschungser- ren es 0,7 Gigawatt – zur Verfügung stand. Gebraucht kenntnisse!) wurden zum selben Zeitpunkt 72 Gigawatt, also über Dafür gibt es nach wie vor keinen einzigen Beweis. 100-mal mehr. Das entspricht 72 konventionellen Kraft- werken. Nur wenige Tage früher, als der Wind kräftig (Beifall bei der AfD – Johann Saathoff blies – von der Sonne kam de facto nichts –, schaffte er [SPD]: So ein Unsinn!) auch nur 46 Gigawatt, also nicht einmal die Hälfte der Selbst wenn man dieser absurden Theorie vom men- installierten Leistung. Auf den momentanen Spitzenbe- schengemachten Klimawandel glaubt, dann könnten wir darf bezogen fehlten satte 29 Gigawatt. Das entspricht die Erderwärmung bei sofortiger Abschaltung aller deut- 29 konventionellen Kraftwerken. schen Kohlekraftwerke rein rechnerisch maximal um Der April war besonders erfolgreich. Den ganzen 0,000284 Grad Celsius verringern. Monat über konnten die plötzlich auftretenden Ange- (Zurufe von der SPD) botsspitzen von unserem Netz nicht aufgenommen wer- den und mussten mit Zuzahlung ins Ausland verklappt werden. Netto kostete uns dieser grüne Spaß schlappe Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: 1,9 Milliarden Euro mehr, als er an der Börse wert war. Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Hilse? Das ist die neue grüne Stromwelt, in die Sie, Frau Bun- (B) deskanzlerin – gut, sie ist nicht da –, unterstützt von allen (D) Karsten Hilse (AfD): Altparteien, uns geführt haben. Flatterstrom, soweit das Netz reicht: nicht grundlastfähig, zu überhöhten Preisen Aber natürlich; immer gerne. Das verlängert meine und deswegen auch nur per Zwang in Form des EEG an Redezeit. den Mann bzw. die Frau zu bringen; von der ersten Mi- (Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks nute an ungeeignet, ein Industrieland wie Deutschland zu [SPD]) versorgen. – Alles klar, Frau Hendricks. Stellen Sie doch auch eine Die riesigen Lücken, die diese Stromerzeugung un- Zwischenfrage. Ich beantworte sie gerne. weigerlich bringt, müssen die vielgeschmähten Kohle- und Kernkraftwerke ausfüllen. Aber genau die wollen Sie abschalten. Mit der Abschaltung kann es Ihnen nicht Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schnell genug gehen. Die circa 30 000 Arbeitsplätze, die Herr Kollege Hilse, ich persönlich finde es ja sehr gut, allein in Sachsen direkt oder indirekt von der Braunkohle wenn sich die AfD in der Klimafrage so positioniert. Ich abhängig sind, werden als Kollateralschäden verbucht. glaube, Sie marginalisieren sich damit auf Dauer. Das ist Verrat an den Kohlekumpeln, die bei Wind und Wetter für eine sichere Stromversorgung stehen. Das ist Karsten Hilse (AfD): Verrat! Sie marginalisieren sich. (Beifall bei der AfD) Eine allein von Naturgewalten abhängige Stromver- Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sorgung kann und wird nicht funktionieren. Gegen die Das bietet die Möglichkeit, Sie in einigen Jahren dann Naturgesetze können auch Sie keine Politik machen. hier nicht mehr anzutreffen. Aber ich komme zu meiner Niemand kann das, egal welcher Größenwahn, zum Bei- Frage. spiel die ganze Welt retten zu wollen, ihn befallen hat. Sie haben erneut die Zahl genannt, diese 0,00-­etc.-Zahl. Wenn Sie schon am Kohleausstieg festhalten, den wir Sie wissen ganz genau: Diese Zahl bezieht sich darauf, übrigens, sobald wir in Regierungsverantwortung sind, wenn man sie überhaupt ernst nehmen kann, dass wir in wieder rückgängig machen werden, dann versuchen Sie, Deutschland ein Jahr lang die CO2-Emissionen ausset- wenigstens einmal rational zu handeln, und planen Sie zen. Was macht diese Zahl für einen Sinn? Sollen wir ihn erst dann, wenn mindestens 40 Gigawatt Grundlast dann nächstes Jahr die Braunkohlekraftwerke wieder an- durch alternative Energien, zum Beispiel durch brauch- schalten, oder was ist der Sinn hinter dieser Zahl? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11763

Dieter Janecek (A) Die zweite Frage. Nächste Woche werden Sie ja die 170 Milliarden zu stehlen, ist für niemanden mit gesun- (C) Crème de la Crème der Pseudowissenschaftler hier im dem Menschenverstand nachvollziehbar. Der Wissen- Deutschen Bundestag versammeln, zum Beispiel Tom schaftsjournalist Nigel Calder prophezeite 1998 – ich Wysmuller vom Heartland Institute, das von den Koch zitiere mit Ihrer Genehmigung –: Brothers, von Philip Morris und von der Erdölindustrie der USA finanziert wird. Dass Sie der Büttel der US-ame- Alle Parteien in den Industriestaaten, ob links oder rikanischen Erdölindustrie sind, ist das Ihre Aussage für rechts, werden die CO2-Erderwärmungstheorie den Klimaschutz? übernehmen. Dies ist eine einmalige Chance, die Luft zum Atmen zu besteuern. Weil sie damit an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geblich die Welt vor dem Hitzetod bewahren, er- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Petr halten die Politiker dafür auch noch Beifall. Keine Bystron [AfD]: Besser als ein 16-jähriges Partei wird dieser Versuchung widerstehen. Mädchen!) Bei den schon länger hier Herumsitzenden hat Nigel ­Calder recht behalten. Die AfD fordert, diesen ideologi- Karsten Hilse (AfD): schen Irrsinn endlich zu beenden und zu einer vernünfti- Ich bedanke mich erst einmal für die Frage. Ich gehe gen Energiepolitik zurückzukehren. ganz kurz darauf ein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Sie haben nicht richtig aufgepasst, glaube ich. Ich habe nämlich gesagt: 0,000284 Grad Einsparung bei sofortiger (Beifall bei der AfD) Abschaltung aller deutschen Kohlekraftwerke. Das heißt, diese Kohlekraftwerke emittieren nie wieder CO2. Diese Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Emissionen können also nur einmal eingespart werden. Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Johann Das ist das Ergebnis, das man nach den Formeln des Saathoff. IPCC erzielt. Grundlage ist der sogenannte Equilibrium Climate Sensitivity von 3,2 Grad, der aus Sicht der meis- (Beifall bei der SPD) ten Wissenschaftler überhöht ist. Diesen setzen Sie in die Formel ein. Dann können Sie das berechnen; das können Johann Saathoff (SPD): Sie selber machen. Ich kann Ihnen gerne die Formel schi- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und cken. Aber Sie können sie auch beim IPCC nachlesen. Kollegen! Ich möchte insbesondere die Grünen direkt Dann kommt genau der Wert von 0,000284 Grad Celsius ansprechen. Ich will – auch im Namen der SPD-Frak- heraus, um den sich die Erderwärmung verringert. tion – deutlich sagen: Ich kann Ihre Ungeduld absolut (B) (D) Kommen wir zum nächsten Punkt. Sie zum Beispiel nachvollziehen und verstehen. versammeln sich hinter einer – Entschuldigung, wenn ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das so sage – erkrankten jungen Dame bzw. deren Eltern des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Timon Gremmels [SPD]: Unverschämtheit! Der Abschlussbericht der Kommission „Wachstum, Unglaublich!) Strukturwandel und Beschäftigung“ – kurz: Kohlekom- bzw. NGOs, die diese Kinder steuern. mission – liegt seit einem guten Vierteljahr vor. Sie fragen sich, was hinter den Kulissen gerade wohl dazu (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geschieht. Deswegen haben Sie einen Gesetzentwurf NEN]: Das ist wirklich eine Unverschämt- vorgelegt. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich gerne heit! – Johann Saathoff [SPD]: Das ist ein deutlich machen – auch nach dem, was zuvor hier im Schlag ins Gesicht!) Hause gesagt wurde –, dass der Kohlekonsens eine ge- Schauen Sie sich einmal an, wer das Spendenkonto von samtgesellschaftliche Errungenschaft darstellt Fridays for Future – ich nenne die Bewegung nur No (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Education Fridays – verwaltet. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Timon Gremmels [SPD]: Bei Spenden sollte und dass dieser Kohlekonsens nicht infrage gestellt wer- die AfD mal ganz ruhig sein!) den darf. Das sind wir der Kommission schuldig, die die- – Was hat das denn damit zu tun? – Schüler wären nie se Ergebnisse erzielt hat. Wir sind es ihr auch schuldig, in der Lage, solche Demonstrationen selbst zu organi- ihre Vorschläge umzusetzen. sieren. Das kostet Geld; dafür braucht man Equipment. (Beifall bei der SPD) Das kann eine Schülerorganisation allein nicht machen. Dahinter stecken NGOs, Grüne, Linke wahrscheinlich, Es ist ein Konsens und nicht etwa ein Kompromiss. wie auch immer. Für Kompromisse muss man Zugeständnisse machen, die man vielleicht eigentlich gar nicht machen wollte. (Timon Gremmels [SPD]: Wer steckt hinter Man hat irgendetwas Halbes hinbekommen. Ein Kon- Ihren Spenden?) sens ist etwas anderes. Konsensuale Ergebnisse sind Er- – Gut, alles klar. rungenschaften und Erfolge, auf die man stolz sein kann. Nichts anderes ist dieses Ergebnis. Ich möchte fortfahren. Für den genannten aberwit- zig geringen Wert dem deutschen Steuerzahler laut IHK (Beifall bei der SPD) 11764 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Johann Saathoff (A) Beim Kohlekonsens handelt es sich um einen Erfolg. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Die Menschen dürfen zu Recht erwarten, dass die Umset- NEN): zung jetzt erfolgt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Vielen Dank, vor allen Dingen dafür, dass Sie ein- den Grünen, ich glaube, Sie haben in den letzten Wochen gangs deutlich gemacht haben, dass wir an einer sachori- viel Arbeit mit Ihrem Gesetzentwurf gehabt. Dafür ge- entierten Debatte interessiert sind. Das sind wir tatsäch- bührt Ihnen Respekt. Ich weiß, dass Greenpeace eben- lich. Sonst hätten wir keinen Gesetzentwurf, sondern falls einen Gesetzentwurf erarbeitet hat. Aber Sie haben einen Antrag vorgelegt. Wir haben uns zudem einzelne keinen inhaltsgleichen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie ha- Kraftwerke angeschaut und berücksichtigt, wie lange die ben eigene intellektuelle Arbeit dort hineingesteckt. Sie Restlaufzeiten sind bzw. wie lange sie am Netz sind. bilden mit Ihrem Gesetzentwurf im Grunde das ab, was (Zuruf des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ aktuell geschieht und sich in den kommenden Monaten CSU]) vollziehen wird bzw. auf jeden Fall vollziehen soll. – Dass Sie nur labern können, Herr Lämmel, haben wir Die Bundesregierung, vor allem das BMWi, verhan- zuvor gehört. delt gerade mit den Kraftwerksbetreibern über die Ab- Ich habe jetzt eine inhaltliche Frage. Andere Gesetze, schaltung der Kraftwerke. Dabei handelt es sich – ich die wir verabschieden, treten auch nicht am Montag der glaube, das können wir alle nachvollziehen – um keine Folgewoche in Kraft. Es gibt immer Übergangsfristen. einfache Materie; denn jedes Kraftwerk ist anders. Jedes In unserem Gesetzentwurf steht gerade mit Blick auf die Kraftwerk wird systemisch anders gebraucht. Es hängen Rechtssicherheit sehr deutlich drin, dass die Kraftwerke nicht nur Stromkabel daran, sondern auch Tagebaue und erst im Folgejahr, also 2020, abgeschaltet werden. Wärmelieferungen. Das muss mit ins Kalkül gezogen werden. Deshalb können entsprechende Regelungen Was spricht dagegen, nun das, was im Kommissions- nicht in ultrakurzer Zeit erarbeitet werden. Wir brauchen bericht steht, als Gesetz zu verabschieden, nämlich dass ein bisschen Zeit dazu. Wir brauchen auch die Ruhe, die wir Braunkohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von bei einer solchen komplexen Sachlage notwendig ist. In 3 Gigawatt und Steinkohlekraftwerke mit einer Gesamt- Ostfriesland würde man sagen: Wenn de Minske vergrellt leistung von 4 Gigawatt abschalten, während alles ande- ist, verlüst he sein Klookheid. Also: Man braucht Zeit re in einer Verordnung geregelt wird, genauso wie wir für eine gründliche Umsetzung. Auch eine gründliche das auch bei anderen Gesetzen machen? Am Tag nach Inkrafttreten des Gesetzes müssen die Kraftwerke dann Umsetzung sind wir der Kommission und dem Konsens nicht abgeschaltet werden. Vielmehr gibt es ein Rechts- schuldig. bekenntnis dieses Deutschen Bundestages, dass er hinter der von der Kohlekommission empfohlenen Abschaltung (B) Man darf auch nicht vergessen, dass die Bundesre- (D) gierung zusammen mit den Ländern parallel an einem der Kraftwerke steht. Strukturstärkungsgesetz für die Kohleregionen feilt. Aus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sozialdemokratischer Sicht darf ich, glaube ich, sagen, dass die ernsthafte Begleitung des Strukturwandels in Johann Saathoff (SPD): den betroffenen Regionen genauso wichtig ist wie der Frau Baerbock, in Ostfriesland würde man sagen: Wat Klimaschutz. machs, is verkeerd. Ich erinnere mich an die Anwaltsge- bührenverordnung. In der damaligen Debatte haben wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gesagt: Wir regeln erst einmal etwas. Wir wissen aber noch nicht genau, welche Wirkung wir damit erzielen, Wir können nicht einfach in den Regionen Kraftwerke und werden das im Zweifel nachregeln. – Damals hieß abschalten und damit im wahrsten Sinne des Wortes die es: Ihr wisst ja gar nicht, was ihr regelt. Vorsichtshalber Lichter ausgehen lassen. Die Menschen brauchen eine sorgt ihr schon für Nachregelungsmöglichkeiten. nachhaltige Perspektive und nicht nur ein paar Projekte, die irgendwann beendet sind, nicht nur weiße Salbe. Sie Ich will das gar nicht negieren, was Sie nun vorschla- müssen uns glauben, dass wir ihre Betroffenheit berück- gen. Ich will noch nicht einmal ausschließen, dass unser sichtigen und mit ihr gut umgehen. Gesetz nachher so etwas vorsehen wird. Dass wir aber – darin sind wir beide uns sicherlich einig – hier eine der (Beifall bei der SPD) komplexesten Rechtslagen generell in dieser Legislatur- periode zu lösen haben, darüber brauchen wir nicht zu Die betroffenen Regionen haben eine verantwortliche streiten. Darüber, dass man einen entsprechenden Ge- Strukturbegleitung verdient. setzentwurf nicht innerhalb von zwei Monaten durch das Parlament jagen kann, wie man das bei anderen Gesetz- entwürfen, die weniger komplexe Sachverhalte geregelt Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: haben, getan hat, sind wir uns sicherlich ebenfalls einig. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Hier können wir gemeinsam in die richtige Richtung Kollegin Baerbock? schauen. Ich war in den betroffenen Regionen. Diese haben eine verantwortliche Strukturbegleitung verdient. Ich weiß, Johann Saathoff (SPD): wovon ich rede; denn der Strukturwandel in Ostfriesland Aber sehr gerne, Frau Baerbock. hat schon vor Jahrzehnten eingesetzt. Er wurde durch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11765

Johann Saathoff (A) die Schließung der Fischereiwirtschaft und der Werften den Wettbewerb ist es in dieser Situation für alle Betei- (C) ausgelöst. Damals gab es kein Strukturstärkungsgesetz, ligten wichtig, zu wissen, wo es hingeht. das den Menschen geholfen hat. Wir mussten uns selber helfen. Das war kein freudiges Ereignis. Wir dürfen die Jetzt kommt das große Aber: Es haben mehrere Red- Menschen, die nun vom Strukturwandel in der Energie- ner davon gesprochen, dass man die Energiewende, wenn wirtschaft betroffen sind, nicht alleinlassen. Wir werden man sie tatsächlich erfolgreich umsetzen will, komplex mit ihnen zusammen ihre Zukunft gestalten. angehen muss; das ist, glaube ich, klar. Wir kommen im- mer wieder in die Situation, auch beim EEG, dass wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) uns nur eine Seite genauer angucken, nämlich die Erzeu- gerseite – auch wenn Energie nicht erzeugt, sondern um- Wenn wir nicht massiv und nachhaltig in die betrof- gewandelt wird. Damit fehlt alles, was danach kommt, fenen Regionen investieren und mit ihnen eine Zukunft also die Leitungen, die Speicher, was auch immer. Wir aufbauen, dann gehen sie uns verloren. Das wollen wir müssen also dafür sorgen, dass das Thema komplex an- uns nicht leisten. Das gilt – das muss ich hier aus nieder- gegangen wird. sächsischer Perspektive einflechten – auch für das Helm- stedter Revier. Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf, für den Ein- stieg in den Ausstieg aus der Kohle müssten Kraftwerke Uns liegt auch noch ein Antrag der sogenannten AfD mit einer Leistung von 3 Gigawatt abgeschaltet werden. vor. „Unambitioniert“ wäre aus meiner Sicht noch zu viel Wieso 3 Gigawatt? Warum nicht 5 Gigawatt? Lob, ehrlich gesagt. Sie bezeichnen die Erneuerbaren als Zufallsstrom. Damit ist eigentlich alles gesagt. Gestern (Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜND- war Alexander Gerst zu Gast im Wirtschaftsausschuss. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich fand, dass Sie sich für Ihre Verhältnisse brav benom- – Ich sage es gleich, Frau Baerbock. Warten Sie doch men haben. Aber Sie haben die Erkenntnis nicht mitge- ab! Ich erkläre Ihnen, was ich da problematisch finde. – nommen, dass die Erde der einzige Planet für uns ist und Diese Zahlen kommen durch den einseitigen Blick auf dass wir daher gut auf ihn aufpassen sollten. Der nächste, die Erzeugerseite zustande. Man kann jedoch davon aus- vielleicht bewohnbare Planet ist 39 Lichtjahre entfernt – gehen, dass Sie wissen – es wissen müssten –, was das ein weiter Weg für Sie. Aber diese Erkenntnis ist nicht bedeutet. Es bedeutet nämlich auch eine gewisse Rück- angekommen. sichtslosigkeit; dazu komme ich noch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE LINKEN) GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfra- Da Sie keinen Klimawandel sehen, hier ein paar Fak- ge) (B) (D) ten: Die Durchschnittstemperatur ist im Vergleich zum – Da gibt es eine Frage. Ende des 19. Jahrhunderts bereits um 1 Grad gestiegen. Die zehn wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeich- nungen liegen alle in der Zeit nach 1997. Und – da Sie ja Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: die nationale Brille aufhaben – seit 2000 verlieren die Al- Bitte schön, Herr Krischer. pengletscher pro Jahr 2 bis 3 Prozent ihres Volumens und werden 2050 nur noch halb so groß sein, wie sie vor zehn Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jahren waren. Wenn Sie den Klimawandel negieren, dann Herr Kollege, wir reden hier über das Ergebnis einer lassen Sie nicht nur die Menschen in der Küstenregion, Kommission, die die Bundesregierung eingesetzt hat, um sondern alle Menschen in Deutschland bitterlich allein. die Kohleverstromung in Deutschland zu beenden und Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. den Strukturwandel herbeizuführen. Das Ergebnis liegt seit drei Monaten vor. Ich habe mit Interesse wahrge- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. nommen, dass die FDP sich dafür gar nicht interessiert, Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) dass Ihnen das völlig egal ist, dass Sie das ablehnen. Sie schreiben in dem Antrag, den wir unter einem vorherigen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Tagesordnungspunkt behandelt haben, dass Sie keinen Der Kollege Professor Dr. Martin Neumann hat das nationalen Kohleausstieg wollen. Deshalb frage ich Sie: Wort für die FDP-Fraktion. Was ist eigentlich an der Stelle das Konzept der FDP? Wie wollen Sie am Ende die Energiewende schaffen und (Beifall bei der FDP sowie des Abg. zum Klimaschutz beitragen? Ich gehe davon aus, dass Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU]) auch Sie keine neuen Kohlekraftwerke bauen und kei- ne Kraftwerke, die aus den 60er-Jahren des vergangenen Dr. Martin Neumann (FDP): Jahrhunderts stammen, weiterbetreiben wollen. Ich frage mich, ehrlich gesagt: Was ist Ihr Zukunftskonzept? Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünenfraktion, Im Übrigen möchte ich Ihnen noch die Frage stellen: wenn man sich Mühe gibt und sich Ihre Vorlagen etwas Ist Ihnen klar, dass in unserem Gesetzentwurf die Ab- genauer anguckt, kann man durchaus die eine oder ande- schaltung von Braunkohlekraftwerken mit einer Leistung re Botschaft erkennen. Positiv ist die Botschaft, die Sie, von 3 GW vorgesehen ist, weil das das einvernehmlich Frau Baerbock, gesendet haben, nämlich dass wir endlich vereinbarte Ergebnis der aus 28 gesellschaftlichen Grup- Klarheit brauchen. Das ist völlig richtig. Mit Blick auf pen – dazu gehört übrigens auch der BDEW, dessen Vor- 11766 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Oliver Krischer (A) sitzender, glaube ich, FDP-Mitglied ist – zusammenge- der AfD sagen. Wir lehnen Ihren Antrag, den Antrag der (C) setzten Kohlekommission ist, das jetzt umgesetzt werden Grünen, und auch den Antrag der AfD ab. muss? (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN]: Na wenigstens was!)

Dr. Martin Neumann (FDP): Sie haben sich darin mit dem Thema Versorgungssicher- heit beschäftigt. Es kann aber nicht sein, dass Sie den Ich hatte ja gesagt: Vielleicht warten Sie mal ab, was Unternehmern die Aufgabe erteilen, dafür zu sorgen, ich sage. – Ich will es noch einmal ganz deutlich machen: dass Energie zur Verfügung steht, also dass Versorgungs- Worauf kommt es an? Es kommt darauf an, dass man sicherheit gewährleistet ist. Ich hatte gerade gesagt, dass nicht nur einseitig die Erzeugerseite betrachtet. Vielmehr das eine staatliche Aufgabe ist und dass man dafür na- muss man dafür sorgen, dass für die Wirtschaft und die türlich auch die Bundesregierung verantwortlich machen Verbraucher, also das, was danach kommt, Versorgungs- muss. Das bisherige Verfahren, das im Energiewirt- sicherheit besteht. Das ist der Punkt. schaftsgesetz steht, nämlich alle zwei Jahre einen Bericht Jetzt komme ich darauf zu sprechen, was Sie in Ihrem vorzulegen, reicht uns nicht. In diesen Berichten stehen Gesetzentwurf hätten schreiben können. Ich mache es übrigens auch statische Daten, die einfach nicht ausrei- Ihnen ganz einfach: Sie brauchen nur mal in das Ener- chen, um zu gewährleisten, dass ausreichend Energie zur giewirtschaftsgesetz – §§ 51 und 63 – zu gucken. Danach Verfügung steht. Wir wollen, dass man jährlich Bericht soll die Bundesregierung alle zwei Jahre einen Bericht erstattet, mit dynamischen Parametern. Das schafft Ver- vorlegen, dass Versorgungssicherheit gewährleistet ist. trauen; denn das ist das, was uns fehlt. Wir reden immer Es kommt darauf an, nicht einfach nur etwas abzuschal- über Akzeptanz, wir reden über das, was notwendig ist, ten – das ist purer Aktionismus –, sondern dafür zu sor- damit die Menschen mitmachen. Sie können doch nicht gen, dass Versorgungssicherheit gewährleistet ist. einfach sagen: Wir haben recht, und jetzt schalten wir einfach mal ab. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist die Kohlekommission! – Lisa Sie können auch den besten Umweltschutz nicht betrei- Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ben, wenn Sie am Ende keinen Strom bzw. keine Energie verstehen es einfach nicht!) haben. – Ja, trotzdem erfordert das entsprechende Konsequen- (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) der CDU/CSU und der AfD) zen; ich habe es gesagt.

Bitte betrachten Sie einmal das Ganze, anstatt alles, was Wir wollen CO2 einsparen. Das werden wir tun, aber Ihnen gefällt, herauszunehmen und den Rest die anderen nur dort, wo die CO2-Einsparungskosten am geringsten machen zu lassen. sind. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Was machen Sie denn?) NEN]: Sie wollen bisher überhaupt nichts!)

Ich habe gerade gesagt, dass die Frage der Versor- Das betrachten Sie nicht. Sie betreiben Aktionismus; Sie gungssicherheit ganz wesentlich ist. Wenn Sie von einem legen den Schalter um. Alles andere interessiert Sie nicht, Rückgang um 3 Gigawatt dort und 7,7 Gigawatt dort und das gefällt mir an dem Gesetzentwurf nicht. Wir leh- sprechen, dann sage ich Ihnen: Das können Sie alles ma- nen Ihren Gesetzentwurf und auch den Antrag der AfD chen; es erweckt aber den Anschein von Aktionismus. ab. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten GRÜNEN]: Kommissionsbericht!) der CDU/CSU – Timon Gremmels [SPD]: Wo Und wenn Sie sagen: „Wir schalten ab“, dann sage ich ist Ihr Gesetzentwurf?) Ihnen: Das können Sie ja machen. Sie können einfach alles abschalten. Dann müssen Sie der Gesellschaft, den Zum Schluss möchte ich sagen: Technologieoffenheit Verbrauchern und der Wirtschaft aber eine Antwort auf und Wettbewerb, diese beiden Größen sind der Schlüssel, die Frage geben, wo der Strom bzw. die Energie herkom- men soll. Das ist meiner Ansicht nach eine ganz entschei- (Beifall bei der FDP) dende Frage. nicht das, was Sie tun. Sie schaden mit Ihren gefährli- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- chen Ideologien der ganzen Sache, und genau das ist das ten der CDU/CSU und der AfD – Dr. Julia Problem. Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte!) Vielen Dank. Da meine Redezeit etwas knapp ist – ich habe nur vier (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Minuten –, will ich ganz kurz noch etwas zum Antrag der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11767

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: machen, auf ihren Beitrag zum Klimaschutz abklopfen. – (C) Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Das ist genau der richtige Weg. Lorenz Gösta Beutin. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) In Deutschland hat Konstanz als erste Stadt den Kli- manotstand ausgerufen. Das sollten wir doch auch mal Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): zur Kenntnis nehmen. Aber was passiert hier? Die Gro- ße Koalition kommt nicht voran. Sie kommt nicht vo- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- ran beim Kohleausstieg, bei der Verkehrswende, bei der be Zuschauerinnen und Zuschauer! Was wir in der De- Wärmewende, bei der Agrarwende – in allen Bereichen batte hier erlebt haben, war teilweise wieder ein Trauer- nicht. Dann haben wir Anfang dieses Jahres bei der spiel. Von den Rechtsradikalen haben wir wieder einmal Windenergie einen beispiellosen Einbruch historischen gehört, Ausmaßes erlebt. Das ist dramatisch. Das ist auch dra- (Widerspruch bei der AfD) matisch für die Beschäftigten bei uns in Deutschland. Die Unternehmen rund um die Energiewende und die Wind- dass sie alles auf Kohle setzen wollen. Ihnen ist der Kli- energie sind mittlerweile einer der Grundpfeiler bei den maschutz vollkommen egal. Sie diffamieren die Schü- Arbeitsplätzen in Deutschland. Was da gerade abläuft, lerinnen und Schüler und jemanden, der eine Krankheit was die Große Koalition da verzapft, ist fahrlässig. hat, machen ihn fertig und führen seine Position darauf zurück. Sie sollten sich einmal mit den Fakten auseinan- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. dersetzen; das würde Ihnen sehr helfen. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wir erleben also ein Nichtstun, während die Welt Feu- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE er fängt, und genau das ist die Verantwortungslosigkeit. GRÜNEN) Aber was liegt nun vor? Uns liegt jetzt ein Gesetz- Auf die FDP brauche ich gar nicht einzugehen. Die entwurf der Grünen zum Einstieg in den Kohleausstieg Antwort ist immer: Markt, Markt, Markt. – Nein, das vor. Sie schlagen eine Abschaltung der Kohlekraftwer- klappt nicht mehr. Wir brauchen Ordnungsrecht. ke mit einer Leistung in Höhe von 7 Gigawatt bis 2022 vor, davon nur 3 Gigawatt in der Braunkohle. Ich weiß – Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Annalena Baerbock hat es eben dargelegt –: Es handelt Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hilse? sich dabei um einen Vorschlag der Kohlekommission, (B) das in einen Gesetzestext zu gießen. (D) Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): Der Kollege Saathoff hat eben gesagt, der Kompro- miss der Kohlekommission sei ein Konsens. Aber da Nein, danke. – Ich möchte noch einmal ganz klar sa- kann ich leider nicht zustimmen. Schauen wir uns den gen: Was mich in der Debatte erschreckt hat, war die Po- Kompromiss der Kohlekommission einfach mal an: Es sition von Herrn Lämmel; denn er hat vertreten, was wir gibt ein Sondervotum der Umweltverbände, und die Um- sonst immer von Herrn Hilse hören: dass der Kohleaus- weltverbände sagen wortwörtlich – ich habe es mir noch stieg nichts am Weltklima ändert und nichts zum Klima- mal angeguckt, und ich zitiere daraus –: Wir als Umwelt- schutz beiträgt. – Das ist nachweislich falsch. verbände werden weiter Druck machen, um den Ausstieg (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zu beschleunigen. Die Aufgabe bleibt der schnellere neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ausstieg als 2038. – Da haben die Umweltverbände ver- dammt recht. 10 Prozent macht der europaweite CO2-Ausstoß am welt- weiten Ausstoß aus, und sieben von zehn der dreckigsten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) CO2-Schleudern stehen in Deutschland. Das heißt, es würde sehr wohl etwas für den europäischen Ausstoß und Es sind nicht nur Fridays for Future, Extinction Re- auch für das Weltklima ausmachen. Deswegen steht der bellion oder Ende Gelände; auch fast 20 000 Wissen- Kohleausstieg eben auf der Tagesordnung. schaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützen diesen (Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf Vorschlag. Sie haben es vorgerechnet und sagen: Der Lambsdorff [FDP]: Marxistische Mathematik Kohlekompromiss ist eben leider nicht ausreichend, um ist das!) die Klimaziele des Pariser Klimaabkommens zu errei- chen. Wir haben dazu in der nächsten Woche eine An- Doch leider steht es um die Energiewende hier in hörung im Wirtschaftsausschuss. Wir als Linke schlagen Deutschland schlecht. Wir haben es in den letzten Wo- einen Kohleausstieg bis 2030 statt bis 2038 und den chen erlebt. Wir haben mit Extinction Rebellion eine schnelleren Einstieg in den Ausstieg vor. Wir müssen starke Klimabewegung auf den Straßen weltweit, die die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke bis 2020 abschalten. Fridays for Future gut ergänzt. Die Bewegung hat es er- 2022 ist leider zu spät. reicht, dass in Großbritannien der Klimanotstand ausge- (Beifall bei der LINKEN) rufen worden ist. Sie hat es erreicht, dass eine so große Partei wie Labour in Großbritannien gesagt hat: Das steht Wir müssen den Kollegen in den Braunkohleregio- auf der Tagesordnung. Wir müssen alle Gesetze, die wir nen reinen Wein einschenken. Wir müssen ihnen sagen: 11768 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Lorenz Gösta Beutin (A) Wir in der Bundesrepublik müssen handeln, es ist auf- Dann frage ich mich, ob die Initiatoren dieser No-Educa- (C) grund einer existenziellen Notlage notwendig. – Aber sie tion-Fridays-Streiks wirklich fürs Klima demonstrieren brauchen auch Planungssicherheit. Die Menschen in der oder ob es nicht in Wirklichkeit darum geht, dass die Ju- Lausitz, im Rheinland und im mitteldeutschen Revier gendlichen sich von Menschen wie Ihnen beeinflussen müssen sehen, dass wir erkennen, was sie dort geleistet lassen, die den Kapitalismus abschaffen wollen. haben, dass wir ihre Traditionen anerkennen. (Karsten Hilse [AfD]: Nein! Das tun Sie eben Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nicht!) Wollen Sie antworten, Herr Kollege Beutin? Wir müssen aber auch sagen: Es geht leider nicht mehr so weiter. Wir müssen handeln. Wir brauchen Arbeit und Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): Beschäftigung in den Regionen; die müssen wir sichern. Herzlichen Dank für diese Frage. – Ich werde kurz auf Wir müssen den Strukturwandel auf die Reihe kriegen. einige Punkte eingehen: Nein, es ist kein Zufall, dass wir Das sind wir ihnen schuldig. Das ist dann keine Planwirt- den Kohleausstieg bis 2030 fordern, und zwar nicht nur schaft, sondern das ist Planungssicherheit, das ist Förde- für Deutschland, sondern europaweit. Das ist tatsächlich rung von strukturschwachen Regionen. Das müssen wir deshalb kein Zufall, weil es den Berechnungen der Wis- machen. senschaftlerinnen und Wissenschaftler entspricht, dieser 20 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die (Beifall bei der LINKEN) unter Scientists for Future die Proteste von Fridays for Future unterstützen. Das sind die Profis, und genauso wie Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, deswe- wir es tun, haben Fridays for Future und die Schülerinnen gen können wir leider Ihrem Gesetzentwurf an dieser und Schüler auf diese Profis gehört; und das ist richtig so. Stelle nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten, und wir hoffen sehr, dass wir weiterhin gemeinsam auf die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Straße gehen und Fridays for Future und all die anderen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Klimabewegungen unterstützen werden. Denn es geht um die Rettung der gesamten Menschheit, und da können Aber noch ein Wort zu Greta Thunberg. Das, was es so wir nicht rumlavieren. unerträglich macht, ist, dass dieser Rechtsradikalismus, diese Thesen hier im Hohen Hause überhaupt zu hören Vielen Dank. sind. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Linksfaschis- mus!) (B) (D) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sie reden hier davon, dass sie ja so bedauernswert ist: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem ihre Krankheit und so weiter und so fort. Wissen Sie, Kollegen Karsten Hilse. was für ein Problem wir in der Gesellschaft haben? Men- schen, die Krankheiten haben, sind nicht behindert oder Ähnliches, Karsten Hilse (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Beutin, ich möch- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- te Sie darauf hinweisen, dass ich nicht dieses Mädchen, neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ dieses bedauernswerte Kind, angegriffen habe, DIE GRÜNEN – Karsten Hilse [AfD]: Sie ist krank!) (Timon Gremmels [SPD]: Sie haben sie als „behindert“ bezeichnet! Sie haben sie als sie werden behindert von dieser Gesellschaft, und sie „krank“ bezeichnet! – werden diffamiert von Menschen wie Ihnen, die genau [SPD]: Sie sind bedauerlich!) solche Ausdrücke benutzen. Das ist erbärmlich und schlimm. sondern ich habe diejenigen angegriffen, die sie miss- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem brauchen: NGOs, Plant-for-the-Planet, Club of Rome, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Grüne, Linke. Zufälligerweise deckt sich die Forderung von „No Education Friday“ – Sie nennen sie anders; ich Noch ein Wort zum Thema der Verschwörung, die Sie nenne sie „No Education Friday“ –, 2030 die Kohlekraft- hier angeführt haben: die ganzen NGOs und die Antifa werke abzuschalten, mit Ihrer Forderung. Ich befürworte, und all diese bösen Menschen. Ich werde Ihnen mal et- dass Jugendliche im Rahmen von Demonstrationen und was sagen: Selbstverständlich unterstützen NGOs das. Schülerstreiks auf die Straße gehen, um gegen irgendet- Sie unterstützen die Positionen, die richtig sind. Das ist was oder für irgendetwas zu demonstrieren. Aber wenn gut. Sie gehen da voran. Ich habe eben die Positionierung dort die Antifa und die Interventionistische Linke mit- der Umweltverbände aus der Kohlekommission zitiert. machen und für die Abschaffung des Kapitalismus de- Aber wenn Sie hier behaupten, Schülerinnen und Schüler monstrieren, dann habe ich große Zweifel daran, dass im Alter von 16, von 17, von 18 oder auch 19 Jahren sei- die Jugendlichen, die dort mitlaufen, überhaupt wissen, en irgendwie fremdgesteuert, dann haben Sie etwas nicht worum es geht. verstanden. (Marianne Schieder [SPD]: Wahrscheinlich (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem besser als Sie!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11769

Lorenz Gösta Beutin (A) Unsere Jugend ist in vielen Punkten weiter als Sie. Sie len und dass Klimaschutz und Erhalt der Arbeitsplätze (C) hat viel mehr kapiert, nämlich dass Klimaschutz auf die- nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen. Wie ste- ser Welt notwendig ist und dass wir vor einer existen- hen Sie dazu? ziellen Herausforderung stehen. Wir weisen deshalb Ihre Diffamierung in allen Punkten stark zurück. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Vielen Dank. Das, was Sie gerade gesagt haben, war zwar als Fra- ge formuliert, war aber überhaupt keine Frage. Natürlich (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- werden Maßnahmen, die den Energiebereich betreffen, neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE schon jetzt diskutiert. Aber wir haben immer verspro- GRÜNEN) chen, dass wir uns zuerst um die Menschen kümmern und dann die Folgefragen entsprechend beantworten werden. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der CDU/CSU) Für die CDU/CSU-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Dr. Andreas Lenz. Wenn es um den Strukturbereich geht, dann brauchen wir natürlich noch mehr Kreativität von den Bundesländern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen Konzepte, die maßgeschneidert an den jeweiligen Stärken der Reviere ansetzen. Wir brauchen Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Leuchtturmprojekte, die tatsächlich auch solche sind. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Wir müssen aktivieren und dürfen eben nicht langfristig und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns lie- alimentieren. Wir müssen Grundlagen für Zukunftschan- gen heute ein Gesetzentwurf von den Grünen und ein cen legen. Antrag von der AfD zum Kohleausstieg sowie ein Antrag Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf richtigerwei- zum Klimaschutz generell von den Grünen vor. Ich weiß se, dass die Kommission bis 2022 eine Reduzierung jetzt nicht, ob der Gesetzentwurf sämtlichen Plagiatsprü- der Leistung bei der Braunkohle um 5 GW und bei der fungen standhalten würde, aber sei es jetzt mal drum. Die Steinkohle um 7,7 GW vorgeschlagen hat. Wir haben Vorlagen liegen übrigens inhaltlich so weit auseinander, aber erst das Jahr 2019. Zunächst müssen Gespräche mit wie die Sonne von der Erde entfernt ist, um bei diesen den Kraftwerksbetreibern geführt werden. Wir müssen astronomischen Dimensionen zu bleiben. an möglichen Entschädigungen so viel wie notwendig Im Gegensatz dazu werden wir die Ergebnisse der leisten, aber eben auch nicht mehr, es geht schließlich WSB-Kommission, der Kommission „Wachstum, Struk- um das Geld des Steuerzahlers. Auch Ausschreibungen, turwandel und Beschäftigung“, der sogenannten Kohle- um die günstigsten Kraftwerksstillegungen zu ermitteln, (B) (D) kommission, mit Vernunft umsetzen und eben auch der werden geprüft werden müssen. Dass Sie natürlich – der Reihe nach abarbeiten. Wir haben immer klargemacht: Kollege Lämmel hat das schon zutreffend ausgeführt – Wir wollen zuerst die Strukturstärkung und dann den am liebsten alle Betreiber enteignen würden, das haben energiewirtschaftlichen Teil beschließen. Wir halten hier wir schon zur Genüge gehört. Wir haben ordnungspoli- eben Wort. Die Eckpunkte des Strukturstärkungsgesetzes tisch einen anderen Wertekompass. werden im Moment gerade abgestimmt. Wir brauchen (Beifall bei der CDU/CSU) eine kluge Strukturpolitik, die nicht zu Brüchen in den Regionen führt, sondern zu Chancen. Zudem müssen auch Voraussetzungen zur Gewähr- leistung der Versorgungssicherheit geprüft werden. Es Lassen Sie mich hier vielleicht auch die Frage nach findet ja keine Lotterie dazu statt, welches Kraftwerk als der individuellen Infrastrukturprojektförderung aufgrei- Erstes vom Netz geht. Das muss zur Strukturpolitik, aber fen: Wir wollen eben nicht, dass durch eine Umgestal- vor allem zu den entsprechenden Strombedarfen in den tung des Kosten-Nutzen-Faktors bestehende Projekte be- Regionen passen. Durch einen verlässlichen Ausstiegs- einträchtigt werden. Wenn, dann müssen die zusätzlichen tag wird letzten Endes gewährleistet, dass wir die Klima- Projekte on top gefördert werden. schutzziele 2030 im Energiebereich einhalten. Das war auch die Maßgabe des Einsetzungsbeschlusses. Wir wer- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: den liefern und unserer Verantwortung gerecht werden. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kollegin Lisa Badum? Wann?)

Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Die AfD will im Gegensatz dazu die Aussetzung des Ausstiegs aus der Kohleverstromung. Im Sinne der Ver- Ja, bitte. sorgungssicherheit brauchen wir natürlich Ersatz für die vom Netz gehenden Kapazitäten. Dieser kann nur in der Lisa Badum (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Errichtung und Nutzung neuer Gaskraftwerke liegen. Vielen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulas- Es ist nicht so, dass es jetzt keine Alternative zur Kohle sen. – Herr Lenz, gehe ich richtig in der Annahme, dass geben würde, aber wir brauchen – das sagt jede belast- Sie Mitglied in der Kohlekommission waren? Dann bare Studie – schnelle kaltstartfähige Gaskraftwerke, am müsste Ihnen eigentlich bekannt sein, dass in deren Be- besten übrigens dort, wo der Strom gebraucht wird, also richt steht, dass der Strukturwandel, die Förderung der im Süden der Republik. Diese Kraftwerke müssen natür- Regionen synchron mit dem Kohleausstieg erfolgen sol- lich schnell entstehen. Diese Gaskraftwerke können per- 11770 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Andreas Lenz (A) spektivisch mit Power-to-X und mit Wasserstoffanteilen Tino Chrupalla (AfD): (C) betrieben werden, passen also sehr gut ins Konzept der Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Die Energiewende insgesamt. Als Übergang ist Erdgas für Haltung der AfD zum vorzeitigen Braunkohleausstieg ist die Versorgungssicherheit aber natürlich unerlässlich. bekannt, wir haben sie schon mehrfach hier im Plenum Wir müssen darüber hinaus gewährleisten, dass unser kundgetan: Wir sind dagegen. Strommarkt die notwendigen Investitionen in Gaskraft- (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Eine Rede werke anreizt. Wenn wir feststellen, dass der Strommarkt würde reichen!) das nicht gewährleistet, dann müssen wir entsprechend nachjustieren. Wir brauchen aus meiner Sicht eine ge- Vor allem sind wir gegen einen ideologisch begründeten, setzliche Definition von Versorgungssicherheit. Übri- überhasteten Ausstieg aus einer deutschen Schlüsselin- gens steigen alle europäischen Länder weitestgehend aus dustrie, die vielen Menschen zu Lohn und Brot verholfen der Kohleverstromung aus. Deswegen müssen wir auch hat. auf europäischer Ebene das Thema der Versorgungssi- cherheit adressieren. (Beifall bei der AfD) Es ist eben schon ein Unterschied, Frau Baerbock, Für die strukturschwachen Regionen im Osten wie meine wenn man, wie dies viele Länder innerhalb der Europäi- Heimatregion, die Lausitz, ist dies der Todesstoß. schen Union tun, aus der Kohle aussteigt, aber eben nicht Der Ausstieg aus der Braunkohle ist beschlossene Sa- aus der Kernkraft. Deswegen stehen wir in Deutschland che. Aber den Grünen geht es wieder einmal nicht schnell hier vor besonderen Herausforderungen. Diese können genug, weil ja sonst morgen die Welt untergeht. wir nicht negieren. Wir müssen aber vor allem national die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Thema der (Zuruf der Abg. Lisa Badum [BÜNDNIS 90/ Versorgungssicherheit gesetzlich entsprechend definiert DIE GRÜNEN] wird. Dadurch steigt die Planungssicherheit für Investiti- onen in Gaskraftwerke, und dies gibt die entsprechende Die Klimaritter sind sich nicht zu schade, Kinder für ih- Sicherheit. ren Kreuzzug einzuspannen. Es grenzt wirklich fast an einen Glaubenskrieg, der hier von Ihnen geführt wird, Als ich Ihre Anträge und den Gesetzentwurf las, also und wir von der AfD sind die Ungläubigen. die der AfD und der Grünen, habe ich – das wird Ihnen nicht gefallen – eine Gemeinsamkeit festgestellt. Ich (Beifall bei der AfD – Lorenz Gösta Beutin traue mich fast nicht, Ihnen das zu sagen, will es Ihnen [DIE LINKE]: Jetzt hören Sie doch einmal aber auch nicht vorenthalten. Die Gemeinsamkeit liegt auf!) (B) darin, dass beide den Menschen Angst machen, die einen (D) mit Blackout-Horrorszenarien, die anderen mit Weltun- Unserer Argumente will man sich lieber nicht annehmen. tergangsszenarien aufgrund des Klimawandels. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass man uns am liebsten auf dem Scheiterhaufen verbrennen würde. (Zuruf der Abg. Lisa Badum [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Das sind keine Argumente! – Timon Gremmels [SPD]: Ich sage: Das Licht in Deutschland wird nicht ausgehen, Wir haben noch keins gefunden!) und die Welt wird auch nicht untergehen. Wir brauchen keine Angst, sondern Zuversicht in die Zukunft, wir An Ihrem Gesetzentwurf fällt mir vor allem eines brauchen Technik und Innovation. Es fiel vorhin schon auf: die aufdringliche Wiederholung der Worte „Klima- ein Zitat von Alexander Gerst. Er hat auch gesagt, wir schutz“ und „Klimakrise“. Wiederholung ist ja die beste seien die Spezies von Entdeckern. Das hat uns am Leben Propaganda, sagt man. gehalten, und das wird uns am Leben halten. Gleichzeitig (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE müssen wir natürlich Sorge für unseren Planeten, für un- GRÜNEN]: Da kennen Sie sich ja aus!) sere Erde tragen. Wir brauchen also eine verantwortliche Politik, die Probleme löst Ich kenne das noch aus meiner Jugend aus der FDJ, sehr wohl. Das ist übrigens eine der wenigen Gemeinsamkei- (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ten zwischen mir und der Kanzlerin. Genau! Dann machen Sie das!) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) und nicht Populismus betreibt. Deswegen lehnen wir Ihre Vorlagen ab. Das sind genau die ideologischen Grundpfeiler die- Herzlichen Dank. ses Gesetzentwurfs: Klimaschutz und Klimakrise. Liebe Kollegen, wir haben es hier mit Dogmen zu tun. Diese (Beifall bei der CDU/CSU) werden uns eingehämmert und so oft wiederholt, bis wir nicht mehr klar denken können. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Tino GRÜNEN]: Fakten!) Chrupalla. Vor unserem geistigen Auge geht die Welt unter, weil (Beifall bei der AfD) Deutschland immer noch Braunkohle abbaut. Das sind Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11771

Tino Chrupalla (A) bekannte Methoden der Suggestion und der Psychomani- schied ist: Wir steigen nicht nur aus der Kohle aus. Ich (C) pulation, die Sie hier anwenden. möchte daran erinnern, dass wir bis 2022 auch noch aus der Atomkraft aussteigen. Das ist der große Unterschied (Timon Gremmels [SPD]: Da sind Sie zu vielen anderen europäischen Ländern. ­Experte!) Vielleicht ist Ihnen das nicht einmal bewusst. Sie mei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ nen es vielleicht sogar gut; das will ich Ihnen gar nicht CSU und der FDP) absprechen. Aber ich würde mir wünschen, dass Sie den Es ist gut, dass wir aus beiden Technologien ausstei- Grad Ihrer Verblendung endlich erkennen. gen; denn es sind rückwärtsgewandte Technologien. Wir (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels müssen Richtung Zukunft schauen. Aber wir müssen [SPD]: Auch da sind Sie die Experten!) das gemeinschaftlich mit den Beschäftigten und mit den Regionen machen. Der Vorteil des Kohlekonsenses der Ich habe nichts gegen Idealismus, Ökologie und ganz- Strukturwandelkommission, deren Einsetzung übrigens heitliches Denken. Das sind gute deutsche Traditionen, die SPD in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt zu denen wir uns auch bekennen. Aber die Grünen haben hat, ist, es geschafft, diese schönen Traditionen ad absurdum zu führen. (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie ja zu!) (Beifall bei der AfD) Abgesehen davon kritisieren wir die Tatsache, dass dass wir einen gesellschaftlichen Mehrwert haben woll- man Steuermittel in Milliardenhöhe ausgibt, um alte, ten, dass wir einen gesellschaftlichen Rückhalt haben gewachsene Strukturen zu zerstören. Bewährte deutsche wollten. Wir haben die Menschen, die Beschäftigten, die Schlüsselindustrien werden systematisch abgewickelt – Gewerkschaften, die Umweltverbände und die Energie- mit deutschen Steuergeldern. Wiederum mithilfe von wirtschaft mitgenommen. Wir haben sie an einen Tisch Steuergeldern sollen neue Industriezweige aufgebaut geholt und gesagt: Lasst uns gemeinsam diese historische werden, von denen keiner weiß, ob sie uns wirklich den und schwierige Aufgabe für Deutschland auf den Weg Segen bringen, der uns versprochen wird. Das hat Herr bringen. – Deswegen sind wir stolz darauf, dass dieser Altmaier in seiner sogenannten „Nationalen Industrie- Konsens nahezu einstimmig angenommen worden ist: 27 strategie“ gestern hier im Plenum angekündigt; ich wür- von 28 Mitgliedern haben zugestimmt. de das aber eher antinationale Industriestrategie nennen. Dieser Konsens besteht aus zwei Teilen. Er besteht Jetzt verstehe ich auch, weshalb die CDU mit den zum einen aus einem geplanten Strukturstärkungsgesetz (B) Grünen koalieren will. Herr Lämmel, das haben Sie in und zum anderen aus einem geplanten Kohleausstiegs- (D) Ihrer Rede eindrucksvoll geschildert, Sie werden mit gesetz. Er besteht aus beiden Teilen. Die Grünen, Frau diesen Kollegen in Sachsen koalieren müssen, weil Sie Baerbock, haben sich auf eine Frage konzentriert. Das sonst keine Mehrheit haben. Sie können sich im Prinzip kann man als Grüne machen, aber wir als Sozialdemo- gleich hinübersetzen; kratie haben eine andere Aufgabe. Ich glaube, dass wir die schwierigere Aufgabe haben, weil wir das mit den (Beifall bei der AfD) Beschäftigten, mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeit- denn Sie haben genau die gleichen Ziele. nehmern, gemeinsam machen wollen; denn nur so gibt es Akzeptanz. Für mögliche Umweltschäden durch digitale Tech- nologien interessiert sich hier offenbar niemand. Wenn (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Sie glauben, dass das die Bürger nicht merken, haben Sie G. Lämmel [CDU/CSU]) sich getäuscht. Wir müssen alle Aspekte dieses Konsenses berück- Vielen herzlichen Dank. sichtigen. Übrigens steht dort nicht, dass der Kohleaus- stieg auf jeden Fall erst 2038 erfolgt, sondern dort steht, (Beifall bei der AfD) dass der Ausstieg auf 2035 vorgezogen werden kann. Dort steht auch, dass als Sofortmaßnahme bis 2022 eine Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Abschaltung von 12,5 GW Kohlekraftwerke – das ent- Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Timon spricht rund 20 Kraftwerksblöcken – umgesetzt werden Gremmels. kann. Das ist fast ein Drittel der heutigen Leistung. (Beifall bei der SPD) (Dr. Martin Neumann [FDP]: Das ist Wahn- sinn!) (SPD): Timon Gremmels Auch das müssen wir all denen sagen, die meinen, dass Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- das erst 2038 der Fall sein wird. ren! Ich glaube, dass wir das Thema Kohleausstieg nicht losgelöst von der gesamten energiepolitischen Debatte Wir brauchen aber auch Strukturwandel. Wir brau- sehen dürfen. Frau Baerbock, Sie haben als Beispiele chen Hilfen für die Beschäftigten im Kohlebergbau. Wir für Länder, die beim Kohleausstieg weiter sind als wir, brauchen einen Ausgleich für die Strompreise und eine Frankreich, Großbritannien und Belgien genannt. Das Zukunft für die Menschen, die im Tagebau beschäftigt sind Länder, die auf Atomkraft setzen. Der große Unter- sind. Wir brauchen auch Versorgungssicherheit. Deswe- 11772 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Timon Gremmels (A) gen gilt es jetzt, zeitnah, aber ohne Hetze diesen Kon- vorsieht, noch der Antrag mit diesem Weiter-so. Wir kön- (C) sens, den wir gefunden haben, eins zu eins umzusetzen. nen nicht leugnen, dass ein Veränderungsprozess stattfin- den wird. Auch da brauchen wir kluge und langfristige (Zuruf von der AfD: Von Hetze würde ich bei Antworten. der SPD nicht reden!) (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- Frau Badum, Sie haben gestern der dpa gesagt: Wer NIS 90/DIE GRÜNEN]) nur über Gelder für die betroffene Region spricht, der wird keine einzige Tonne CO2 einsparen. – Ich finde das, Wenn wir nicht ausreichend Energie erzeugen können, ehrlich gesagt, ein bisschen zynisch, weil wir es mit den werden wir weiterhin Atomstrom aus Frankreich bezie- Beschäftigten machen müssen. hen und Kohlestrom aus Polen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lisa (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie Wir exportieren Strom!) spielen sie gegeneinander aus!) Das ist weder klimaschonend noch sozial verträglich; Das sind zwei Seiten einer Medaille: Klimaschutz und denn wir haben schon jetzt die höchsten Energiekosten soziale Gerechtigkeit gehören für die Sozialdemokratie in Europa. zusammen. Wir wollen Betroffene zu Beteiligten ma- Schauen wir auf das Wie der Freien Demokraten. chen, mit den Menschen in den Braunkohleregionen zu- Wir glauben, dass Deutschland mit seinen Innovationen sammen in Richtung Zukunft gehen und dafür sorgen, und Erfindungen großes Potenzial hat, klimafreundliche dass die Menschen, die dort beschäftigt sind, zukünftig Energieerzeugung für die Zukunft zu sichern. gute Arbeitsplätze haben, die tarifgebunden sind. Darauf müssen wir uns konzentrieren; denn wir wollen eben nicht, dass die Rattenfänger von der rechten Seite die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Menschen verblenden. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hilse? (Beifall bei der SPD)

Wir wollen sie mitnehmen. Wir gehen den schwierigeren Thomas L. Kemmerich (FDP): Weg; wir gehen ihn aber konsequent. Die SPD ist schon Gerne nach der Rede. – Dafür benötigen wir keinen seit spätestens 1986 die Partei des sozialökologischen hektischen Aktionismus der Bundesregierung und keine Umbaus. Daran arbeiten wir gemeinsam mit all denjeni- auf Panik- oder Angstmache basierenden weiteren Anträ- gen, die uns begleiten. ge. (B) (D) Danke schön. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD – Dr. Martin Neumann Wir brauchen einen Masterplan für die Energiewende, [FDP]: Dann machen Sie es auch! die auf marktwirtschaftliche Anreize und Wettbewerb setzt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nächster Redner: , FDP-Fraktion. Was ist der Masterplan?) (Beifall bei der FDP) Wir wollen – bitte zuhören; Zuhören erhellt – keine staat- lichen Umverteilungsmechanismen à la CO2-Steuer . Wir Thomas L. Kemmerich (FDP): wollen Anreize und marktwirtschaftliche Instrumente Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten wie eine Weiterentwicklung des CO2-Zertifikatehandels Damen und Herren! Liebe Zuschauer und Zuhörer! Für über alle Sektoren, und das europaweit. uns Freie Demokraten ist beim Klimaschutz nicht das (Beifall bei der FDP) Ob, sondern das Wie entscheidend. Schauen wir einmal auf das Wie des vorliegenden Gesetzentwurfes und des Wir wollen eines – an diese Kraft glauben wir –: Wir wol- vorliegenden Antrags. In ihrem Gesetzentwurf fordern len Innovationsanreize für den Mittelstand, zum Beispiel die Grünen einen Ausstieg aus der Braunkohleerzeu- Vernetzung per Blockchain-Technologie von Solaranla- gung – nicht aus der Nutzung – bis 2022. Der Atomstrom gen. Wir brauchen Power-to-X-Konzepte. Auch wenn sie wird weg sein. Gegen Windenergie demonstrieren Sie heute noch wenig effizient sind, sind sie effektiver, als inzwischen auch. Der Antrag der AfD ist ein pures Wei- für stillgelegte und stillstehende Windräder Entschädi- ter-so. Sie präsentieren beide keinen vernünftigen Ansatz gung zu zahlen. für eine klug gemachte Klimawende, die nicht nur funkti- oniert, sondern auch langfristig das Klima schont und der (Beifall bei der FDP) deutschen Volkswirtschaft nicht schadet. Diese neuen Ideen entwickeln nicht wir Politiker, son- (Beifall bei der FDP) dern unsere Naturwissenschaftler und Ingenieure. Des- halb brauchen wir zielgerichtete Investitionen in unsere Ich glaube, es ist ausreichend erwähnt worden, dass Forschungszentren und Universitäten in diesen Sektoren. der Gesetzentwurf und der Antrag keinen Plan dafür ent- Das ist allemal besser, liebe Bundesregierung, als eine halten, wie mit den betroffenen Regionen umzugehen ist, milliardenschwere Strafe für die Nichterzielung der Kli- weder der Gesetzentwurf, der die sofortige Abschaltung maziele zu riskieren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11773

Thomas L. Kemmerich (A) Wir als Bundesrepublik können die Poleposition im Sie könnten es anders machen, weil wir Ihre Verbün- (C) Klimaschutz einnehmen, aber wir können nicht alleine deten für den Kohleausstieg und eine zukunftsfähige die Welt retten. Klimaschutz geht nur europäisch und Politik sind. Wir sind Ihre Verbündeten für mehr Mut in global. Deshalb sollten wir als Politik Ziele definieren der Politik. Die Umweltbewegung auf der Straße wird und die Umsetzung den Leuten überlassen, die über das täglich größer. Ich habe Ihnen heute wieder 114 000 Un- technische Know-how verfügen. Wir setzen uns für einen terschriften für den Erhalt des Hambacher Waldes, für ordnungspolitischen Rahmen ein, der vor allen Dingen den Erhalt der Dörfer mitgebracht. dem Mittelstand ermöglicht, innovative Ideen, emissi- onsarme Energieerzeugung und energieeffiziente Pro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) duktionen zu entwickeln. So kann der deutsche Mittel- Es gibt nicht nur Fridays for Future, sondern auch Scien- stand zum Hidden Champion des Klimaschutzes werden tists for Future. RWE-kritische Aktionäre haben Vertre- und weltweit einen Beitrag für Wohlstand und Umwelt tern von Fridays for Future ihre Redezeit auf der Akti- leisten. onärsversammlung gegeben. Wir haben heute in Sibiu Vielen Dank. einen europäischen Gipfel, auf dem unsere Nachbar- länder ehrgeizigere Klimaziele fordern. Das richtet sich (Beifall bei der FDP) hauptsächlich in unsere, in die deutsche Richtung. Es gibt keine Lobby mehr für den Status quo, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Die Kollegin Lisa Badum hat das Wort für Bünd- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nis 90/Die Grünen. sowie des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und wir ziehen die Konsequenzen daraus. Wir greifen das Ergebnis Ihrer Kommission auf, Herr Lämmel. Was wir Lisa Badum (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hier vorliegen haben, ist der Kommissionsbericht, kein Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und grüner Gesetzentwurf, sondern der Kommissionsbericht. Herren! Sie wissen vielleicht, dass wir Grüne nicht über alle Zahlen im Abschlussbericht der Kohlekommission (Timon Gremmels [SPD]: Teilweise!) begeistert waren. Aber wir haben das Bemühen, durch Es gibt also diesen Kommissionsbericht. Es gibt einen einen Konsens zu einem Ergebnis zu kommen, wirklich Gesetzentwurf. Was fehlt Ihnen denn eigentlich? Im anerkannt. Dieses Bemühen scheint momentan im abso- Prinzip ist das Malen nach Zahlen. Sie können das jetzt luten Stillstand zu versanden. Das merkt man, wenn man machen. Ich bitte Sie: Stimmen Sie diesem Gesetzent- (B) sich hier die Reden anhört. wurf zu, und malen Sie endlich ein Bild für unser aller (D) Was genau ist seit Ende Januar, seit dieser Bericht Zukunft. übermittelt wurde, passiert? Mitte März soll es ja ein Vielen Dank. Treffen mit RWE gegeben haben. RWE-Chef Schmitz sagte dazu, es wäre ein erstes Kennenlernen gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Zeit läuft uns davon, und Sie spielen Blind Date mit RWE. Ernsthaft? Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Nächster Redner: Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/ SES 90/DIE GRÜNEN) CSU-Fraktion. Es ist für mich ein bisschen schwierig, das zu verste- (Beifall bei der CDU/CSU) hen, wobei ich versuche, es nachzuvollziehen. Bald sind Landtagswahlen. Sie denken, die Wählerinnen und Wäh- Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): ler könnten erschrecken, wenn sich etwas tut. Genau so Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist Ihre Kohlepolitik. Sie haben sie aus Verzagtheit vor Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der letzten den Populisten schon seit Monaten auf Eis gelegt. Sie Nacht, als die Kohlekommission am Abschlussbericht machen aus Angst kurzatmig Politik. Aber die Menschen gefeilt hat, ist es gelungen, einen wichtigen Satz zum in den Kohleregionen haben ebenso wie die Unterneh- Thema „Wasserhaushalt in den Kohlerevieren“ einzu- men ein Recht auf Planungssicherheit und übrigens, lie- bringen. Ich bin sehr froh, dass sich meine Bemühungen ber Timon Gremmels, auch ein Recht auf Klimaschutz. gelohnt haben und das jetzt schriftlich fixiert ist. Es ist falsch, das gegeneinander auszuspielen. Wir haben hier viel zur Versorgungssicherheit, zu den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Preisen, zum Strukturwandel, zur Arbeit und zu den Ar- Timon Gremmels [SPD]: Nein! Sie haben das beitnehmern in den Revieren gehört. Aber zum Thema doch gemacht!) „Umweltschutz im Bereich Wasserwirtschaft“ wurde Das ist absolut falsch, und ihr macht es immer wieder. noch nichts geäußert. Wenn ich mir den Gesetzentwurf Das Fatale daran ist: Wenn Angst Ideen und Entschei- der Grünen anschaue, erscheint das Wort an keiner Stelle, dungen blockiert, führt das zu einem politischen Vaku- weder im Gesetzestext noch in der Begründung. Das ist um. Das ist der beste Nährboden für Populismus. Damit aus meiner Sicht ein gravierender Fehler. Ich habe be- erzeugen Sie genau das, was Sie fürchten. Das ist das reits am 29. November letzten Jahres und am 31. Januar Schlimme an Ihrem Handeln. dieses Jahres auf diese Punkte hingewiesen, aber offen- 11774 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) sichtlich ist das nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Kraft [AfD] gewandt: Ich frage nächste Wo- (C) Deshalb möchte ich darauf jetzt ein drittes Mal eingehen, che mal, ob Sie das noch wissen!) mit einem anderen Beispiel; denn Wiederholung soll ein Die Folgen sind, dass wir erhebliche Aufwendungen gutes pädagogisches Mittel sein, damit sich der eine oder betreiben müssen, um diese Eisenoxidbelastung zu be- andere etwas merkt. seitigen. Mit Kollegen aus der Lausitz haben wir in der ( [SPD]: Hat die AfD auch vor- letzten Legislaturperiode gemeinsam unseren damaligen getragen!) Finanzstaatssekretär überzeugen müssen, dass dies nicht Ländersache, sondern Bundessache ist, weil diese Belas- In meinen letzten Reden bin ich auf die Mengen ein- tung durch das Ausfahren der Tagebaue in den 90er-Jah- gegangen. Heute möchte ich etwas zur Qualität sagen. ren entstanden ist. Das kostet uns in dieser Periode des Wenn es uns nicht gelingt, den Ausstieg so zu organisie- Verwaltungsabkommens zwischen 75 und 100 Millionen ren, dass die Restlöcher zeitiger geflutet sind als der Kip- Euro. Das ist nur ein ganz kleiner Hotspot. Wenn wir penkörper mit dem aufsteigenden Grundwasser, passiert das flächendeckend durchführen, entstehen solche Hot- das, was wir zurzeit im Praxistest an der sächsisch-bran- spots an vielen Stellen, und werden Folgekosten haben, denburgischen Grenze beobachten können: Wir bekom- die weit über das Jahr 2038 hinausgehen. Diese müssen men eine Verockerung der Oberflächengewässer. Die wir dann sicherlich aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Qualität wird durch das Eisenoxid, das aus der Pyritver- Das kann man meiner Meinung nach bei der gesamten witterung kommt – das will ich hier im Einzelnen nicht Debatte nicht ausblenden. erklären, könnte es aber –, stark beeinflusst. Durch das Eisenoxid werden die aquatischen Ökosysteme zerstört. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Im Ergebnis – das kann man genau beobachten, wenn GRÜNEN]: Genau!) man sich so ein Gewässer anschaut – werden die dort Wir hatten am vergangenen Wochenende eine Veran- vorhandenen Pflanzenreste nicht mehr abgebaut, sondern staltung von der CDU Brandenburg. Dort gab es einen nur anaerob. Das hat zur Folge, dass neben CO große 2 Antrag der Schülerunion, in dem es hieß: Wir wollen bis Mengen Methan frei werden. 2030 aus der Braunkohle aussteigen.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall der Abg. Lisa Badum [BÜNDNIS 90/ Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von DIE GRÜNEN]) einem Kollegen der AfD? In der Debatte, die wir dort geführt haben, habe ich die- se Zusammenhänge etwas weiter, als ich hier Zeit habe, Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): ausgeführt. Hinterher sind einige zu mir gekommen, ha- (B) Ja. ben sich bedankt und gesagt: Endlich erklärt uns einer (D) die komplexen Zusammenhänge. Jetzt sehen wir das eine oder andere etwas anders als bisher. Dr. Rainer Kraft (AfD): Herr Schulze, ich nehme an, dass Sie das aus Zeitgrün- (Beifall bei der CDU/CSU – Timon Gremmels den nicht erklären können. Ich würde Sie bitten, das den- [SPD]: Dann sollten Sie mal mit Fridays for noch zu erklären. Ich bin nämlich sehr interessiert daran. Future reden!) Vielen Dank. Vielleicht gelingt es auch heute mit meinem kleinen Beitrag, dass man weiter darüber nachdenkt. Wir sollten (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE uns überlegen, wie wir das Thema insgesamt angehen; GRÜNEN]: Was soll das denn jetzt?) denn Umweltschutz ist nicht nur Klimaschutz. Zum Um- weltschutz gehören auch der Wasserhaushalt und andere Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Dinge, über die wir morgen in der Aktuellen Stunde hier Was soll ich Ihnen erklären? noch debattieren werden. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Dr. Rainer Kraft (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das mit dem Eisenoxid. ordneten der SPD)

Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir haben in den tertiären Kippen Eisensulfid, also Pyrit. Dieses wurde durch den Tagebau belüftet. An- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schulze. – Die Kol- schließend kommt zwar wieder eine Deckschicht darauf. legin Dr. Nina Scheer ist die letzte Rednerin zu diesem Aber die Belüftung hat dazu geführt, dass sich das Eisen- Tagesordnungspunkt. pyrit, wenn es mit Wasser in Kontakt kommt, über meh- (Beifall bei der SPD) rere Schritte in Eisensulfat und Eisenoxid umwandelt. Das Eisenoxid ist dann ab einer Konzentration von über Dr. Nina Scheer (SPD): 3 Milligramm als Ocker im Gewässer sichtbar. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Kollegen! In der Tat ist es höchste Eile, dass die Klima- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas schutzmaßnahmen, die als Zielvorgaben auf dem Tisch Mattfeldt [CDU/CSU], an den Abg. Dr. Rainer liegen, endlich umgesetzt werden. Da sind wir uns so- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11775

Dr. Nina Scheer (A) wohl in der Koalition, wie ich trotz der Wortmeldung von Da wir hier ja auch den AfD-Antrag zu behandeln (C) Herrn Lämmel unterstellen möchte, als auch alle zusam- haben, will ich die letzte halbe Minute meiner Redezeit men einig. Das ist letztendlich auch die Handschrift des darauf verwenden und aufgreifen, dass Sie eingestanden grünen Gesetzentwurfs, der uns heute vorliegt. haben, nicht mehr klar denken zu können. Dass das zu- trifft, zeigt sich auch in dem Antrag, der hier vorliegt. Es ist allerdings etwas irritierend, wenn in dem Ge- Sie unterstellen, dass mit der Braunkohle auch in den setzentwurf der Grünen zum einen aus dem Bericht der Dunkelflauten die Fluktuationen auszugleichen sind und Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäf- die Stabilität der Versorgungssicherheit zu gewährleisten tigung“ zitiert wird, zum anderen aber unterstellt wird, ist. Das ist Nonsens, das ist Quatsch; das ist auch be- dass dieser Bericht, aus dem Sie das Zitat übernommen triebswirtschaftlich und wirtschaftlich nicht haltbar. Wir haben, nichts mit dem Prozess zu tun habe, der hier statt- müssen Versorgungssicherheit für 8 760 Betriebsstunden findet. gewährleisten. Der wirtschaftliche Betrieb von Braun- kohlekraftwerken liegt bei 6 000 bis 6 500 Betriebsstun- (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: den. Zurzeit sind sie mit 7 000 bis 7 400 Betriebsstunden Wir wissen nichts von dem Prozess!) in Betrieb. Wenn wir zweimal im Jahr 336 Stunden an Insofern ist auch nicht ganz korrekt, Frau Baerbock, dass Dunkelflauten unterstellen, wären das die Zeiträume, Sie erklärt haben, Anknüpfungspunkt für diesen Gesetz- mit denen Sie über die Braunkohle eine Versorgungssi- entwurf sei für Sie die Einsetzung der Kommission im cherheit wirtschaftlich gewährleisten wollen. Es ist rein letzten Jahr gewesen. Von der Einsetzung der Kommissi- wirtschaftlich – da haben wir die Klimapolitik außen vor on bis heute hat aber einiges stattgefunden. Die Kommis- gelassen – absolut unvorstellbar, das zu leisten. sion hat Anfang des Jahres den Bericht vorgelegt. Daraus (Beifall bei der SPD) haben Sie zitiert. Es wäre Ihnen ja gar nicht möglich ge- wesen, daraus zu zitieren, wenn Sie dieses Ergebnis nicht In der Merit-Order läuft es derzeit so, dass die Bun- abgewartet hätten. Danach wurde ein Klimakabinett ein- desnetzagentur sich gezwungen sieht, 7 Gigawatt Gas- gesetzt, und in der Tat arbeitet das Klimakabinett. kraftwerke abzuschalten. Auch das gilt es zu verhindern. (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Verstehe ich!) Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. Ich möchte hier nichts verteidigen, wenn ich kurz auf die Äußerung von Herrn Lämmel eingehe. Aber, Herr Dr. Nina Scheer (SPD): Lämmel, ich fand es schon rätselhaft, wieso auf einmal Ich komme zum Ende. – Ich möchte anhand dieser (B) (D) Angriffe in Richtung SPD gefahren werden und uns Zahlen nur darauf hingewiesen haben, dass die AfD in Ratschläge gegeben werden, wie wir mit unserem Ju- der Tat nicht mehr klar denken kann. so-Vorsitzenden umzugehen hätten. Man denkt sich dann schon: Soll hier möglicherweise davon abgelenkt wer- (Dr. [AfD]: Sie wiederholen den, dass Herr Altmaier im Zuge der Klimaschutzbera- sich! – Dr. Rainer Kraft [AfD]: Ich weiß nicht, tungen natürlich in der Pflicht ist, zu liefern? Wir als SPD wer nicht klar denken kann!) erwarten, dass sich die Ergebnisse, die die Kommission Ich hoffe, das ist mir gelungen. In diesem Sinne: Für ei- vorgelegt hat, klipp und klar in den Sektorzielen und den nen guten Klimaschutz. Sektorkonzepten wiederfinden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Nichtsdestotrotz ist der Gesetzentwurf der Grünen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zum Klimaschutz, auch Sofortprogramm genannt, im Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesord- Grunde genommen eine Bestätigung des Prozesses. Er nungspunkt. nimmt wortwörtlich auf, was die Kommissionsergebnis- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf se bedeuten. Es ist aber auch zu erwähnen, dass dies zwar den Drucksachen 19/9920, 19/9963 und 19/9953 an die als Gesetzentwurf gekennzeichnet ist, aber letztendlich in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- erwartet wird, dass die Bundesregierung ein Sofortpro- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der gramm macht. Vom Wording her ist es ein Gesetzent- Fall. Dann ist das so beschlossen. wurf – okay, das habe ich gelesen –, aber es ist ein So- fortprogramm, das bis 2022 zu wirken hat. Ich finde, man Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 o so- sollte nicht den Eindruck erwecken, als ob das Handeln wie die Zusatzpunkte 9 a bis 9 i auf. Es handelt sich um der Bundesregierung plus das Klimaschutzgesetz, das Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne De- im Bundestag noch in diesem Jahr verabschiedet werden batte. wird, dem hinterherhinkt, was Sie jetzt vorlegen. Es darf Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- nicht passieren, dass es hinterherhinkt; wir haben auch sungen. Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 l, 29 n und die Pflicht, alles zu tun, damit es nicht hinterherhinken 29 o sowie Zusatzpunkte 9 a bis 9 i: wird. Aber es ist nicht so, dass mit Ihrem Klimaschutz- gesetz zwingend ein schnellerer Zeitplan verfolgt wird. 29. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Gesine Lötzsch, Caren (Beifall bei der SPD) Lay, weiteren Abgeordneten und der Frak- 11776 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) tion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs f) Erste Beratung des von der Bundesregierung (C) eines … Gesetzes zur Änderung des Bun- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu deseisenbahnneugliederungsgesetzes der Vereinbarung vom 10. Oktober 2018 zwischen der Regierung der Bundesre- Drucksache 19/9343 publik Deutschland und der Regierung Überweisungsvorschlag: der Republik Polen über Umweltver- Haushaltsausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur träglichkeitsprüfungen und Strategische Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Umweltprüfungen im grenzüberschrei- Kommunen tenden Rahmen (Vertragsgesetz zur Deutsch-Polnischen Vereinbarung über b) Erste Beratung des von den Fraktionen der Umweltprüfungen) CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Erteilung der Drucksache 19/9509 Zustimmung nach § 8 des Integrations- Überweisungsvorschlag: verantwortungsgesetzes zum Vorschlag Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare der Europäischen Kommission für eine Sicherheit Verordnung des Rates über Maßnahmen betreffend die Ausführung und die Finan- g) Erste Beratung des von der Bundesregie- zierung des Gesamthaushaltsplans der rung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Union im Jahr 2019 im Zusammenhang Gesetzes zur Änderung des Agrarstatis- mit dem Austritt des Vereinigten König- tikgesetzes reiches aus der Union (Brexit EU-Haus- Drucksache 19/9763 halt Durchführungs- und Finanzierungs- gesetz – BrexitHHG) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 19/9919 h) Erste Beratung des von der Bundesregierung Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Union Fixierungen im Rahmen von Freiheits- c) Erste Beratung des von der Bundesregierung entziehungen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Drucksache 19/9767 Anpassung der Berufsausbildungsbeihil- (B) Überweisungsvorschlag: (D) fe und des Ausbildungsgeldes Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Drucksache 19/9478 Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- i) Erste Beratung des von der Bundesregierung abschätzung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der Änderung des Gesetzes über Energie- GO dienstleistungen und andere Energieeffi- d) Erste Beratung des von der Bundesregie- zienzmaßnahmen rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu den Verträgen vom 5. Oktober Drucksache 19/9769 2004, 12. August 2008, 11. Oktober 2012 Überweisungsvorschlag: und 6. Oktober 2016 des Weltpostvereins Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 19/9490 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Ausschuss für Wirtschaft und Energie Kommunen e) Erste Beratung des von der Bundesregierung j) Erste Beratung des von den Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Roman Johannes Reusch, Stephan Brandner, dem Zusatzprotokoll vom 22. Oktober Tino Chrupalla, weiteren Abgeordneten und 2015 zum Übereinkommen des Europa- der Fraktion der AfD eingebrachten Ent- rats vom 16. Mai 2005 zur Verhütung des wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung Terrorismus der Strafverfolgung von Mitgliedern des Drucksache 19/9507 Deutschen Bundestages Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/9967 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen schäftsordnung (f) Union Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11777

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anerkennung von Juan Guaidó als Präsi- (C) Roman Johannes Reusch, Stephan Brandner, dent Venezuelas zurücknehmen und als völ- Tino Chrupalla, weiterer Abgeordneter und kerrechtswidrig verurteilen der Fraktion der AfD Drucksache 19/7987 Änderung der Geschäftsordnung des Überweisungsvorschlag: Deutschen Bundestages Auswärtiger Ausschuss hier: Umsetzung des Gesetzes zur Ver- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten besserung der Strafverfolgung von Karlheinz Busen, Frank Sitta, Dr. Gero Mitgliedern des Deutschen Bundes- Clemens Hocker, weiterer Abgeordneter und tages der Fraktion der FDP Drucksache 19/9966 Wälder erhalten durch effektiven Wald- Überweisungsvorschlag: schutz Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung (f) Drucksache 19/9925 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: l) Beratung des Antrags der Abgeordne- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) ten Doris Achelwilm, Dr. Achim Kessler, Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und Union der Fraktion DIE LINKE c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stopp der geschlechtszuweisenden Ope- Nicole Bauer, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens rationen an Kindern Hocker, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Drucksache 19/9056 Mehr Bildung, Bewegung und besseres Es- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) sen Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 19/9926 Ausschuss für Gesundheit Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) n) Beratung des Antrags der Fraktionen der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (B) Ausschuss für Gesundheit (D) CDU/CSU und SPD Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Der Schiene höchste Priorität einräumen Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Drucksache 19/9918 Kommunen Überweisungsvorschlag: d) Beratung des Antrags der Abgeordne- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) ten Torsten Herbst, Roman Müller-Böhm, Ausschuss für Wirtschaft und Energie Stephan Thomae, weiterer Abgeordneter und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare der Fraktion der FDP Sicherheit Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Entschädigungen für Fahrgäste im Eisen- Kommunen Haushaltsausschuss bahnverkehr verbessern o) Beratung des Berichts des Ausschusses für Drucksache 19/9927 Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Überweisungsvorschlag: schätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Geschäftsordnung Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Technikfolgenabschätzung (TA) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel Aktueller Stand und Entwicklungen der (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Frakti- Pränataldiagnostik on der FDP Drucksache 19/9059 Beschäftigungssituation für Menschen mit Überweisungsvorschlag: Behinderung verbessern Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 19/9928 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Überweisungsvorschlag: abschätzung Ausschuss für Arbeit und Soziales ZP 9 a) Beratung des Antrags der Abgeordne- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten ten Andrej Hunko, Heike Hänsel, Sevim Dr. Anton Hofreiter, Daniela Wagner, Oliver Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Krischer, weiterer Abgeordneter und der Frak- Fraktion DIE LINKE tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11778 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Allgemeine Höchstgeschwindigkeit von Überweisungsvorschlag: (C) 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Auswärtiger Ausschuss (f) Drucksache 19/9948 Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) lung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Si- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union cherheit Federführung strittig g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Interfraktionell wird Überweisung des Antrags Dr. Irene Mihalic, Dr. Franziska Brantner, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und che 19/9273 mit dem Titel „Ausbau des deutschen Po- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lizeiengagements in internationalen Friedensmissionen Kontrollen an der deutschen Binnen-Gren- voranbringen“ an die in der Tagesordnung aufgeführten ze zu Österreich beenden Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/ CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss Drucksache 19/9951 für Inneres und Heimat. Die Fraktion Bündnis 90/Die Überweisungsvorschlag: Grünen wünscht Federführung beim Auswärtigen Aus- Ausschuss für Inneres und Heimat schuss. h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich lasse zunächst abstimmen über den Überweisungs- Harald Ebner, Renate Künast, Friedrich vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Fe- Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der derführung beim Auswärtigen Ausschuss. Wer stimmt Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für diesen Überweisungsvorschlag? – Das sind die Grü- Die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG in nen und Die Linke. Wer stimmt dagegen? – CDU/CSU, ihrer Regelungsschärfe auch für neue Gen- FDP, AfD und SPD. Enthaltungen gibt es keine. Dann ist technik beibehalten – Regulierung im Ein- die Überweisung abgelehnt. klang mit dem Vorsorgeprinzip auch in Zu- Ich lasse abstimmen über den Überweisungsvorschlag kunft sichern der Koalitionsfraktionen, also Federführung beim Aus- hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- schuss für Inneres und Heimat. Wer stimmt dafür? – desregierung gemäß Artikel 23 Ab- CDU/CSU, SPD, FDP und AfD. Wer stimmt dage- satz 2 des Grundgesetzes gen? – Linke und Grüne. Enthaltungen gibt es keine. Der Überweisungsvorschlag ist damit angenommen. (B) Drucksache 19/9952 (D) Überweisungsvorschlag: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf. Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Si- zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. cherheit Tagesordnungspunkt 30 a: i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renata Alt, Alexander Graf Lambsdorff, Beratung der Fünften Beschlussempfehlung des Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter Wahlprüfungsausschusses und der Fraktion der FDP zu Einsprüchen anlässlich der Wahl zum Neuer Impuls für Frieden in der Ukraine 19. Deutschen Bundestag am 24. September Drucksache 19/10010 2017 Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/9450 Auswärtiger Ausschuss Es ist vereinbart, dass der Vorsitzende des Wahlprü- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an fungsausschusses das Wort zur Berichterstattung erhalten die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu soll. Ich bitte den Kollegen Dr. Sensburg ans Mikrofon. überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Sie haben das Wort, Herr Kollege. Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zu einer Überweisung, bei der die Fe- (Beifall bei der CDU/CSU) derführung strittig ist, und zwar bei Tagesordnungs- punkt 29 m: Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Beratung des Antrags der Abgeordneten Ottmar Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und von Holtz, Dr. Irene Mihalic, Dr. Franziska Kollegen! Der Bundestagspräsident hat es gerade gesagt: Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Wir haben heute über die letzte von insgesamt fünf Be- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlussempfehlungen des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Wahl zum 19. Deutschen Bun- Ausbau des deutschen Polizeiengagements destag zu entscheiden. Es ist sozusagen das abschließen- in internationalen Friedensmissionen voran- de Paket der Wahleinsprüche zur Bundestagswahl 2017, bringen über die der Wahlprüfungsausschuss zu entscheiden hat- Drucksache 19/9273 te. Das Prüfungsverfahren des Deutschen Bundestags ist Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11779

Dr. Patrick Sensburg (A) damit, wenn wir heute darüber beschließen, abgeschlos- Wir gehen davon aus, dass derartige Mängel dann nicht (C) sen. wieder vorkommen. Die Wahlprüfung ist nicht nur in Artikel 41 des Grund- Zudem hat der Ausschuss zum ersten Mal in wenigen gesetzes vorgesehen. Sie ist auch für das Vertrauen in die Fällen die Verletzung des subjektiven Wahlrechts festge- demokratische Legitimation dieses Hauses von besonde- stellt. Diese Möglichkeit ist seit 2013 rechtlich vorgese- rer Wichtigkeit. Wir haben in den letzten Wochen von hen. So hatten in einem Fall Wahlberechtigte Briefwahl den großen Wahlen in Indien mit 900 Millionen und in und damit einen Wahlschein beantragt. Ohne die Brief- Indonesien mit 193 Millionen Wahlberechtigten gehört. wahlunterlagen zu nutzen, sind sie dann am Wahltag mit Im Vergleich dazu ist die Wahl zum Deutschen Bundes- dem Wahlschein im Wahllokal erschienen. Dort wurden tag natürlich von moderatem Ausmaß. Gleichwohl kann sie zurückgewiesen. Rechtlich ist es aber selbstverständ- auch die Wahl zum Deutschen Bundestag als Massenver- lich möglich, mit dem Wahlschein auch unmittelbar im fahren – wenn man das einmal so bezeichnen darf – be- Wahllokal zu wählen. Diese selten genutzte Möglichkeit nannt werden: Über 61 Millionen Deutsche waren wahl- war den Wahlhelfern vor Ort anscheinend nicht bewusst. berechtigt. In ungefähr 90 000 Stimmbezirken wurden Die Wahlberechtigten wurden somit zu Unrecht zurück- Stimmen abgegeben, und mehr als 650 000 Wahlhelfe- gewiesen. Ihre einzelne Stimme hatte jedoch im Ergebnis rinnen und Wahlhelfer waren an der Durchführung der keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des 19. Deut- Wahl beteiligt. An dieser Stelle ist es, glaube ich, ange- schen Bundestages. Auch hier haben wir eine subjektive bracht, den engagierten Wahlhelferinnen und Wahlhel- Verletzung des Wahlrechts festgestellt. Hinweise an die fern ganz herzlich zu danken, die eine hochprofessionelle Wahlhelfer sind erfolgt. Durchführung der Wahl ermöglicht haben. Dies sei nur ein Beispiel, es zeigt aber sehr gut, wie (Beifall im ganzen Hause) wir im Wahlprüfungsausschuss arbeiten und dadurch auch immer wieder zur Verbesserung der Wahl und zur Trotzdem können natürlich Fehler passieren. Deshalb ist Akzeptanz von Wahlen beitragen. Dies erfolgt im Wahl- es gut und richtig, dass die Wahlberechtigten hiergegen prüfungsausschuss bisher überwiegend einstimmig, bei in einem gesetzlich klar geregelten Verfahren Einspruch hohem Engagement der Kolleginnen und Kollegen aus erheben können. Auch der Gang zum Bundesverfas- allen Fraktionen. Ich würde mir wünschen, dass ein so sungsgericht, so sieht es Artikel 41 des Grundgesetzes hoher Anspruch an die Wahlprüfung auch an anderen vor, ist als Rechtsmittel möglich. Stellen gepflegt würde. Wenn man auf die Annullierung Für die Akzeptanz unserer Wahlen und damit für das der Bürgermeisterwahl in Istanbul schaut, dann sieht Vertrauen in unsere Demokratie und den Rechtsstaat ist man, dass dort viele Fragen hinsichtlich eines ordentli- chen Wahlprüfungsverfahrens offen sind. (B) das Wahlprüfungsverfahren ganz wesentlich. Daher hat (D) sich der Wahlprüfungsausschuss auch sehr intensiv und (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gründlich mit allen Wahlrechtseinsprüchen beschäftigt. Thomas Lutze [DIE LINKE]) 275 Einsprüche wurden gegen die Wahl zum 19. Deut- schen Bundestag eingereicht. Der Wahlprüfungsaus- Meine Damen und Herren, nun zu den inhaltlichen schuss hat in fast allen Fällen empfohlen, diese zurück- Schwerpunkten unserer Wahlprüfung. Ich möchte bei der zuweisen. Der Grund dafür ist, dass ein Wahleinspruch Vielzahl der Fälle nur auf drei Gruppen bzw. Aspekte ein- nur Erfolg haben kann, wenn er erstens einen Wahlfehler gehen, die für den Wahlprüfungsausschuss von besonde- feststellt und zweitens dieser für die Verteilung der Man- rer Bedeutung waren. Fast 80 Einsprüche richteten sich date relevant war oder relevant sein könnte. Das sind sehr dagegen, dass der Deutsche Bundestag mit 709 Abgeord- hohe Hürden. neten schlicht zu groß sei. Das spiegelt sich auch in der Stimmung der Bevölkerung wider. Da der Bundestag im Der Ausschuss ist allen behaupteten Verstößen gegen Wahlprüfungsverfahren allein über die ordnungsgemäße Wahlrechtsvorschriften gründlich nachgegangen. Er hat, Anwendung des Wahlrechts befindet, haben wir auch wo erforderlich, Stellungnahmen der zuständigen Lan- dies natürlich geprüft. Ich kann Sie beruhigen: Die Zu- des- oder Kreiswahlleiter eingeholt, sich mit dem Bun- sammensetzung des Deutschen Bundestages mit 709 Ab- desinnenministerium in Verbindung gesetzt und teilweise geordneten ist rechtmäßig; sie entspricht dem Wahlrecht. Hinweise zu Verfahren geäußert, selbst wenn die aufge- Die Verfassungsgemäßheit des geltenden Wahlrechts, deckten Mängel nach unseren Maßstäben im Ergebnis an der der Wahlprüfungsausschuss übrigens keine Zwei- nicht durchgreifen konnten. Da wurde zum Beispiel in fel hegt, ist aber allein Prüfungsmaßstab des Bundes- einem Fall bei der Auszählung der Stimmen versehent- verfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hat lich die Tür zum Wahllokal geschlossen. Wir alle wissen, durch seine Entscheidung an der Größe des Deutschen dass die Auszählung der Stimmen öffentlich zu erfolgen Bundestages natürlich maßgeblichen Anteil gehabt. Das hat. In einem anderen Fall konnte ein Wahlberechtigter, muss man eben auch sagen. der im Rollstuhl saß, die Schwelle am Eingang des Wahl- lokals nicht überwinden. Zum Glück fanden sich tatkräf- Der Wahlprüfungsausschuss hat sich intensiv mit tige Helfer, mit deren Hilfe er dieses Hindernis über- Fragen des Zugangs aller Wahlberechtigten zur Wahl winden konnte. Bei all solchen Verstößen setzen wir uns auseinandergesetzt. Die formalen Anforderungen an die mit den zuständigen Stellen auseinander. Wir bitten, die Wahlberechtigung und den Zugang zur Wahl sind zwar Rechtslage zur Kenntnis zu nehmen, und weisen die ent- klar geregelt, praktisch ist der Zugang aber immer wie- sprechenden Wahllokale und Wahlvorstände darauf hin, der schwierig. Das gilt zum Beispiel für Menschen ohne die Rechtslage einzuhalten und die Mängel abzustellen. festen Wohnsitz. Das gilt auch für Menschen, die in ihrer 11780 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Patrick Sensburg (A) Bewegungsfreiheit eingeschränkt und – darauf haben wir Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- (C) immer wieder hingewiesen – auf barrierefreie Wahlloka- schlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, le angewiesen sind. Und das gilt zum Beispiel für Men- Immunität und Geschäftsordnung. In seiner Beschluss- schen, die in Justizvollzugsanstalten eine Haft verbüßen. empfehlung auf Drucksache 19/9450 empfiehlt der Aus- Ein Ergebnis dieser Wahlprüfung ist, dass auf diese Per- schuss, die aus den Anlagen ersichtlichen Beschlussemp- sonengruppen besonderes Augenmerk gelegt werden fehlungen zu den Wahleinsprüchen anzunehmen. Wer muss. Information und Begleitung sind hierbei wichtig. stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind alle Dadurch kann man den Zugang zur Wahl und die Mög- Fraktionen. Gegenprobe! – Enthaltungen? – Keine. Da- lichkeit zur Teilnahme an der Wahl deutlich verbessern. mit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Dafür setzen wir uns ein. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 30 b: Schließlich hatte der Wahlprüfungsausschuss auch Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Einsprüche vorliegen, die – erneut – die Frage der Ver- richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- fassungsgemäßheit des Wahlrechtsausschlusses von cherschutz (6. Ausschuss) Vollbetreuten und in psychiatrischen Krankenhäusern Untergebrachten betraf. Hier wurde vereinbart, zunächst zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver- die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem fassungsgericht 2 BvE 5/18 damals noch anhängigen Verfahren abzuwarten. Mit der Drucksache 19/9974 heutigen Beschlussempfehlung kann dies nun im Ein- klang mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz vom Januar entschieden werden. Wir schlagen vor, bei empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, zu dem Or- den betroffenen Einspruchsführern, die nicht an der Wahl ganstreitverfahren 2 BvE 5/18 vor dem Bundesverfas- teilnehmen konnten, eine subjektive Rechtsverletzung sungsgericht eine Stellungnahme abzugeben und den festzustellen. Die Gültigkeit der Bundestagswahl wird Präsidenten zu bitten, einen Prozessbevollmächtigten zu hierdurch jedoch nicht infrage gestellt. An zukünftigen bestellen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wahlen können die betroffenen Personen teilnehmen. Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist die Die Änderungen im Bundeswahlgesetz, der Bundes- Beschlussempfehlung bei Enthaltung der Fraktionen der wahlordnung, auch im Europawahlgesetz und der Euro- Grünen und der AfD und Zustimmung der Fraktionen der pawahlordnung sind auf dem Weg. FDP, CDU/CSU, SPD und Die Linke angenommen. Wir schließen heute die Wahlprüfung der Bundestags- Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf: wahl 2017 ab. Die nächste Wahl, die Europawahl, steht Aktuelle Stunde (B) schon vor der Tür. Auch hier hat der Wahlprüfungsaus- (D) schuss des Deutschen Bundestages über die Einsprüche – auf Verlangen der Fraktion der AfD

die deutschen Einsprüche gegen die Europawahl – zu CO2-Steuer und ihre Auswirkungen auf Ener- entscheiden. giepreise Ich gehe davon aus, dass wir auch die kommenden Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Einsprüche in der äußerst sachlichen, kollegialen und Kollege Dr. Rainer Kraft für die AfD. freundlichen Atmosphäre beraten werden, die bisher bei (Beifall bei der AfD) den Beratungen in diesem Ausschuss geherrscht hat. An dieser Stelle möchte ich den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen ganz herzlich für die kollegiale und kon- Dr. Rainer Kraft (AfD): struktive Zusammenarbeit danken. Ich bedanke mich Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Der aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Grund, warum wir heute diese Aktuelle Stunde verlangt Wahlprüfungsausschusses, die uns ganz tatkräftig unter- haben, ist die Sorge um unser Land und um das Wohl stützt haben. unserer Bürger. Wir möchten, dass wir in unserem Land gemeinsam in Frieden und Wohlstand leben. Die Politik (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) der Bundesregierung und der vermeintlichen Oppositi- onsparteien hat dieses Ziel nicht. Sie schafft Spaltung, Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Be- Konfusion und Armut. Die Idee einer CO2-Steuer zeigt, schlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zuzu- wie weit die Abgeordneten der Union, der FDP und der stimmen. ganze andere unappetitliche Rest sich von diesem Ziel Danke schön für die Aufmerksamkeit. entfernt haben. Ihre Version eines menschengemachten Klimawandels ist eine Mär: die moderne Version von (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Fegefeuer und ewiger Verdammnis. Ihre Politik, meine BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Damen und Herren Konsenspolitiker, ist die aktualisierte geordneten der FDP und der LINKEN) Version des alten Bündnisses aus Feudalherren und Pfaf- fen: Halt du sie dumm, ich mach sie arm. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der AfD) Vielen Dank, Herr Kollege Professor Sensburg. – Die Rolle der Pfaffen übernimmt dabei die Klimasek- Auch ich darf mich herzlich für die Arbeit der Kollegin- te; für das Armmachen zeichnen Sie, meine Damen und nen und Kollegen im Wahlprüfungsausschuss bedanken. Herren Konsenspolitiker, verantwortlich. Ihre sogenann- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11781

Dr. Rainer Kraft

(A) te CO2-Steuer ist de facto nichts anderes als eine Al- ger abgelehnt. Umfragen belegen dies. Die Mehrheit der (C) les-Steuer. Es gibt kein Produkt, kein Nahrungsmittel, Menschen weiß, dass hier Dinge besteuert werden, die einfach nichts, das nicht in irgendeiner Form CO2-behaf- bereits besteuert sind, und die Mehrheit der Menschen tet ist. fürchtet sich vor den unkalkulierbaren Folgen für die Wirtschaft und für ihren Arbeitsplatz. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Liebe Zuschauer auf der Tribüne, es wird durch diese Steuer alles teurer werden. CO2, also Kohlendioxid, ist Wofür soll diese Steuer gut sein? CO2 soll reduziert der Grundstoff allen pflanzlichen Lebens auf diesem Pla- werden. Deutschland emittiert – wir wissen es – 2 Pro- neten. Diese Art der Photosynthese, die Absorption von zent des globalen menschengemachten CO2. China emit- Kohlendioxid bei Freisetzung von Sauerstoff, ist über tiert 28 Prozent. China darf bis 2030 ungehindert und 2 Milliarden Jahre alt. Aus diesen Prozessen entstehen in beliebiger Höhe weiter CO2 emittieren, während Sie, die Kohlehydrate, die wir alle, Sie und ich, zum Leben meine Damen und Herren Konsenspolitiker, Hunderte brauchen. Milliarden an Steuergeldern für Ihr ökopopulistisches Nun will uns eine Regierungsfraktion mit ihren Plä- Klima-Voodoo versenken. nen zu einer CO2-Steuer beglücken, also einer Steuer (Beifall bei der AfD) auf jedes Gramm freigesetztem CO2, egal bei welchem Prozess, bei welcher Dienstleistung es entsteht. Das ist Die Gletscher Islands wachsen. In der Antarktis ent- eine Steuer, der keiner entkommen kann und die will- stehen jedes Jahr Milliarden Tonnen an neuem Eis. Der kürlich darüber bestimmt, was Sie, liebe Steuerzahler auf IPCC verdoppelt über Nacht das Carbon Budget und gibt der Tribüne und am Fernseher, sich noch leisten können damit offen zu, dass seine bisherigen Berichte falsch wa- und was nicht. ren. Sie ignorieren das, meine Damen und Herren. Sie ignorieren das, weil die Verlockung, den Menschen im (Beifall bei der AfD) Land noch mehr Geld aus den Taschen zu ziehen, Sie Das, was uns heute als neue Erfindung verkauft wer- blind und taub gemacht hat. den soll, gibt es bereits. Kohle, Benzin, Gas usw. und Wir halten fest: Der Ruf nach einer CO2-Steuer ist der damit Energie im Allgemeinen wird bereits mit der Ener- bisherige Höhepunkt einer staatlichen Verdummungs- gie- und der Stromsteuer, wohlfeil Ökosteuer genannt, so kampagne. Ob unsere Wirtschaft das überlebt oder nicht, teuer gemacht wie in fast keinem anderen Land dieser interessiert Sie nicht. Das Geld sprudelt ja trotz Bedenken Welt. Wir reden also nicht über ein neues Instrument zur des Bundesverfassungsgerichtes in Ihre Parteikassen. Steuerung des Verbrauchs von Energieträgern, sondern (B) nur über ein weiteres Folterwerkzeug aus dem sozialisti- (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Ausge- (D) schen Enteignungskeller. rechnet!) (Beifall bei der AfD) Dafür blutet der Steuerzahler ja auch dann, wenn er selbst nichts mehr zu beißen hat. Wenn Sie also nun eine weitere Steuer auf das Gleiche fordern, stellen Sie damit lediglich die Unzulänglichkeit Meine Damen und Herren, Sie betreiben eine unver- Ihrer bisherigen Bemühungen fest. Was Sie damit aber antwortliche Politik. Statt eine CO2-Steuer einzuführen, eigentlich bezwecken, ist klar: Der deutsche Steuerzahler sollten Sie Ihre untauglichen Regularien wie zum Bei- soll weiter gemolken werden. Treffen wird diese Steuer spiel das EEG abschaffen. Dann kann sich die Großmut- diejenigen, die schon heute unter den Härten der Steuer- ter, die ihr Leben lang gearbeitet hat, vielleicht im nächs- last in Deutschland ächzen, die Geringverdiener. Diese ten Winter wieder eine warme Wohnstube leisten. Steuer wird es für Otto Normalbürger unmöglich ma- Danke. chen, sich mit seiner eigenen Hände Arbeit eine Zukunft, Wohlstand und Glück aufzubauen. (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: Muss Frau Weidel ihre Finanzen klä- Eine aktuelle Studie des Internationalen Währungs- ren!) fonds verrät es uns: Bei einem Preis von 30 Euro pro Ton- ne CO2 wird sich Kohle um 88 Prozent verteuern. Erd- gas, mit dem viele Menschen im Land ihre Wohnungen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: heizen und ihr Essen kochen, kostet dann fast ein Drittel Der nächste Redner: der Kollege Andreas Jung, CDU/ mehr. Solche Verteuerungen sind sozialer Sprengstoff. CSU-Fraktion. Sie werden den Bürgern unseres Landes jede Chance auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. eine Zukunft in selbst erarbeitetem Wohlstand zerstören. Timon Gremmels [SPD]) Die soziale Frage, nämlich wie die Geringverdienen- den diese neue Steuer, die in alle Bereiche ihres Lebens Andreas Jung (CDU/CSU): hineinwirken wird, stemmen sollen, wird nur vage be- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich antwortet. Der Staat will kassieren und dann vielleicht will gerne unseren Standpunkt in dieser Debatte klarma- einige Brosamen zurückverteilen, um die Steuerzahler chen. Da gilt zuallererst, dass es uns wichtig ist, zu be- ruhigzustellen. tonen, was für eine herausragende Aufgabe Klimaschutz Aber die Menschen in unserem Land wollen Ihre ist. Das ist der Grund, warum dieser Bundestag, warum CO2-Steuer nicht. Sie wird von zwei Dritteln der Bür- unsere Bundesregierung, übrigens über unterschiedliche 11782 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Andreas Jung (A) parteipolitische Besetzungen hinweg, Klimaschutz im drängen als Union darauf, dass das tatsächlich umgesetzt (C) internationalen Prozess vorangebracht hat, warum wir wird. Das ist ein effizienter Weg für Klimaschutz. immer wieder auf eine globale Antwort auf diese globale Frage gedrungen haben und warum wir gemeinsam den (Beifall bei der CDU/CSU – Bernhard Erfolg des Pariser Klimaabkommens erreicht haben. Daldrup [SPD]: Und die Länder?) Wir müssen die Menschen mitnehmen. Wir müssen im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sinne unseres Ziels, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ordneten der SPD) gerade die Menschen mitnehmen, die schon heute mit hohen Nebenkosten zu tun haben. Wir müssen die Men- Wir nehmen das ernst. Diese globalen Verpflichtungen schen im ländlichen Raum mitnehmen, die weite Wege führen auch zu nationaler Verantwortung. Auch daran ha- zur Arbeit haben und auf das Auto angewiesen sind. Für ben wir nie einen Zweifel gelassen. Auch daran lässt die- all diese Menschen brauchen wir Antworten. Eine Ant- se Koalition im Koalitionsvertrag keinen Zweifel. wort ist für uns zu kurz gesprungen: Wir machen eine (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE CO2-Steuer, teilen das Aufkommen durch 82 Millionen, GRÜNEN]: Na ja!) und jeder bekommt quasi einen Beitrag ausgezahlt. Da brauchen wir intelligentere Systeme, und an denen arbei- Wir bekennen uns zu den Klimazielen und haben fest- ten wir. Diese Frage wollen und müssen wir beantworten. geschrieben: Es darf nicht sein, dass wir noch mehr Kli- (Beifall bei der CDU/CSU) maziele nicht erreichen. Umso ernster müssen wir die 2030-Ziele nehmen, und dafür müssen wir eine Schippe Und wir müssen die Frage beantworten: Wie schaf- drauflegen. fen wir es, Wirtschaft, Mittelstand, Handwerk auf die- sem Weg mitzunehmen? Wir wollen eine Entlastung von (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wirtschaft und Mittelstand, nicht eine zusätzliche Belas- Bernhard Daldrup [SPD]) tung. Deshalb wollen wir ein Instrument, das statt Nach- teilen im Standortwettbewerb Anreize für Innovation, für Wenn wir jetzt darüber debattieren, welcher der rich- Effizienz, für neue Technologien schafft. Das ist unser tige Weg ist, dann ist uns wichtig, zu sagen: Unser C Schlüssel. Das wollen wir voranbringen, das müssen wir verpflichtet uns auf der einen Seite auf die Bewahrung voranbringen. Wir wollen das im Übrigen tun mit unseren der Schöpfung und auf der anderen Seite auf soziale internationalen Partnern, mit unseren europäischen Part- Marktwirtschaft. Wenn wir beides zusammennehmen, nern, mit allen, die gewillt sind, sich mit uns gemeinsam dann heißt das: Wir wollen diese Debatte nicht verengen auf diesen Weg zu begeben. Das ist unser Weg, und daran auf Verbote und Subventionen, sondern wir setzen auf (B) werden wir mit großer Ernsthaftigkeit arbeiten. Ich will (D) marktwirtschaftliche Prinzipien. Wir wollen Klimaschutz aber ganz ausdrücklich sagen: Das, was ich als Kriterien mit marktwirtschaftlichen Prinzipien effizient machen. formulierte, sind Dinge, die wir berücksichtigen müssen, Wir reden nicht über eine CO2-Steuer . Wir reden über sind nicht Ausreden, um am Ende zu sagen: Wir können CO2-Bepreisung. Es ist richtig, wenn CO2 einen Preis eben doch nichts erreichen. Wir müssen vorankommen. bekommt. Aber uns ist wichtig: Das muss man richtig Wir müssen mehr tun. Wir haben eine besondere Verant- machen, und richtig machen heißt, dass es klare Kriterien wortung, und der stellen wir uns. gibt. Das erste Kriterium ist: Das darf nicht noch on top obendrauf kommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Der Staat hat Einnahmen genug. Wir haben die Ergeb- nisse der Steuerschätzung. Mit diesen Einnahmen müs- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sen wir auskommen. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Pro- nicht stärker belastet werden; denn es ist ja nicht so, dass fessor Dr. Martin Neumann. wir zu wenig Steuern, Abgaben, Umlagen, Entgelte ha- ben. Vielmehr müssen wir die Frage beantworten, wie es (Beifall bei der FDP) uns eigentlich gelingt, dieses Gestrüpp an unterschied- lichen Maßnahmen so unter die Lupe zu nehmen, dass Dr. Martin Neumann (FDP): wir nicht zu mehr Steuern, zu mehr Abgaben kommen, sondern zu einer besseren Lenkungswirkung im Sinne Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! von mehr und besserem Klimaschutz. Darum geht es uns. Worum geht es bei dieser Diskussion? Es geht bei dieser Diskussion darum, die Ziele des Pariser Klimaabkom- (Beifall bei der CDU/CSU) mens zu erreichen, also die CO2-Emissionen deutlich zu verringern. Das ist unser Ziel, und all das, was wir hier Ich will dazusagen, dass es richtig ist, darüber nachzu- tun, muss sich daran orientieren. Auch der zweite Punkt, denken, was man über das Vereinbarte hinaus tun kann. den wir immer wieder diskutieren – ich staune ja, was Aber genauso notwendig ist es, erst mal das umzusetzen, Kollege Gremmels heute in einer vorangegangenen De- was man vereinbart hat. Wir haben im Koalitionsver- batte gesagt hat –, nämlich das Thema der Versorgungs- trag vereinbart, die steuerliche Förderung der Gebäude- sicherheit und die Frage der Akzeptanz, ist ein ganz sanierung voranzubringen, und haben das als prioritäre wichtiger . Wenn wir sozusagen schon wieder mit einer Maßnahme festgeschrieben. Deshalb erwarten wir und neuen Steuer kommen – wir haben ja schon Steuern wie Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11783

Dr. Martin Neumann (A) die Ökosteuer; es gibt auch Steuern, die dann nicht mehr fen, dann muss ich sagen, dass dies ein aufwendiger Weg (C) verschwinden –, ist die Akzeptanz an dieser Stelle doch ist, um zum Ziel zu kommen. Wir wollen letztendlich den etwas gefährdet. Es ist der falsche Weg. Wir wollen keine Wettbewerb, den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht CO2-Steuer. gefährden. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Denn wir haben einen anderen, einen besseren Weg. Es ist für den Klima- und Umweltschutz wichtig, nied- Uns geht es nicht darum, hier Preissignale auszusenden, rige Energiepreise zu haben, und zwar auch mit den sondern wir wollen ganz konkret die Mengen reduzieren. Technologien – ich habe CO2-geminderte Energieträger Und wenn wir die Mengen reduzieren wollen, brauchen angesprochen –, mit denen wir im Wettbewerb die Mög- wir den Emissionshandel. lichkeit haben, wirtschaftliche Entwicklungen zu organi- (Beifall bei der FDP) sieren und – das ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig; ich habe das Wort „Akzeptanz“ genannt – soziale Schiefla- Der muss tatsächlich ausgeweitet werden, weil wir dann gen bzw. negative soziale Folgen zu vermeiden. die Möglichkeit haben, dort stärker CO2 einzusparen, wo wir die geringsten CO2-Vermeidungskosten haben. Das Also: Wir dürfen hier nicht irgendwelche Preisspiele genau ist der Punkt. machen, sondern es kommt darauf an, das Ziel zu ver- folgen, die CO2-Emissionen zu senken, und das in einem (Beifall bei der FDP) Wettbewerb unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. So können wir Wettbewerb, Innovation und neue Tech- Hier ist die CO2-Steuer das falsche Instrument. nologien schaffen. Herzlichen Dank. Noch mal ganz einfach gesagt: Der Atmosphäre ist doch völlig egal, wo das CO herkommt. Die Frage ist 2 Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: doch, ob wir es dort vermeiden und abbauen, wo es nicht zu Kosten führt und wo es mit entsprechenden Maß- Nächster Redner: der Kollege Bernhard Daldrup, nahmen einfach reduziert werden kann. Wir wollen den SPD-Fraktion. Emissionshandel im Grunde genommen ausweiten, ganz (Beifall bei der SPD) klar . Wir brauchen dafür auch einen Anreiz. Das meinen wir, wenn wir von Planbarkeit und Planungssicherheit re- den. Wir müssen Unternehmen motivieren, tatsächlich in Bernhard Daldrup (SPD): emissionsarme Technologien zu investieren. Das ist ein Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich (B) Schritt, der uns auf dem Weg, CO2-Emissionen zu ver- will zunächst sagen: Herr Dr. Kraft, Ihre Rede hat mich (D) ringern, letztendlich weiterhilft. wieder einmal in zweierlei Dingen bestärkt. Erstens. Die AfD sind keine Patrioten. (Beifall bei der FDP) Jetzt kann man sich mal anschauen, wo wir da anfan- (Zurufe von der AfD: Oh!) gen müssen. Es geht tatsächlich auch darum, zu überle- Zweitens. Sie sind politische Klimavergifter. Sie haben gen, wo die CO2-Vermeidung angerechnet werden kann. mit dem Schutz nichts zu tun. Das betrifft nicht nur Wind- und Sonnenenergie. Es gibt auch andere Technologien, die es uns letztendlich ermög- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem lichen, die CO2-Einsparziele zu erreichen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. [AfD]: Welche denn?) Außer Ihnen wissen wir eigentlich alle: Wenn wir das Das heißt: Wenn wir die Mengen reduzieren, dann ist es Klima schützen wollen, dann müssen wir den CO2-Aus- wichtig, mit entsprechenden Marktmechanismen dafür stoß deutlich reduzieren – in Deutschland und weltweit. zu sorgen, dass das Ganze im wettbewerblichen bzw. Dabei dürfen wir auch keine Zeit verlieren. marktwirtschaftlichen Sinne abläuft, um zu verhindern, (Beifall bei der SPD) dass es hier Fehlleitungen gibt. Für uns ist der Klimaschutz eine komplexe Aufga- Wir möchten, dass die CO2-Vermeidung – das ist ja be: Er bezieht sich auf verschiedene Sektoren, auf un- das Ziel, das haben wir immer wieder gesagt; ich glaube, terschiedliche Instrumente, auf mehrere Ebenen. Einen darüber gibt es auch keine Diskussion – am Ende auch Preis für vermeidbaren CO2-Ausstoß zu finden, ist dabei bezahlbar bleibt, am Ende tatsächlich mit wettbewerbli- eine Maßnahme, aber keineswegs die einzige und viel- chen Elementen gestaltet werden kann, sodass alle Betei- leicht nicht einmal die wichtigste. Aber die grundsätzli- ligten an diesem System entsprechend motiviert werden. che Überlegung ist richtig: Der Markt allein ist weitge- Ich will noch deutlich machen, welchen Irrweg wir nicht hend blind gegenüber klimaschädlichen Treibhausgasen. gehen sollten. Wenn wir über den Begriff Steuern reden, Das Prinzip Verantwortung verlangt deshalb Eingriffe in dann muss man der Gesellschaft erklären: Steuern sind das Marktgeschehen – ganz im Sinne einer ökologisch am Ende etwas, was auch die Haushalte betrifft. – Da verantwortlichen sozialen Marktwirtschaft; das, was Sie muss man dann tatsächlich die Haushalte einbeziehen. immer unter „Internalisierung externer Kosten“ diskutie- Die Frage ist: Was macht man dann mit den Steuerein- ren –, also umweltschädlichem CO einen Preis zu geben. nahmen? Wenn ich an die Diskussion denke, im Rahmen 2 der Senkung der Stromkosten die Stromsteuer abzuschaf- (Beifall bei der SPD) 11784 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Bernhard Daldrup (A) Wenn es Geld kostet, Treibhausgase zu produzieren, warten, also den Strom, während wir Energiearten wie (C) achten vielleicht mehr Menschen darauf, solche Emissi- Diesel, Heizöl, Kerosin mit hohem CO2-Ausstoß weniger onen zu vermeiden. Aber machen wir nichts, tragen nicht stark belasten. Um nicht missverstanden zu werden: Ja, die Verursacher die Kosten der Klimaschäden in Milli- wir wollen auch in Zukunft die Produktion regenerativer ardenhöhe, sondern die Allgemeinheit und vor allem die Energieproduktion fördern und ausbauen. Aber trotzdem nachfolgenden Generationen. Das ist die Folge internati- müssen wir Effizienz und Zielgenauigkeit prüfen. onaler Abkommen. Viele ernsthafte Vorschläge weltweit orientieren sich (Beifall bei der SPD) am Modell der Schweiz. Ich will mich dazu nicht äußern. Herr Jung hat darauf zu Recht hingewiesen. Ich bin aber unserer Umweltministerin außerordentlich dankbar, mit welcher Leidenschaft und Hartnäckigkeit Ja, Klimaschutz kostet Geld – unbestritten –, aber kein sie dieses Thema vorantreibt. Wir werden in Kürze vom Klimaschutz kostet sehr viel mehr Geld. Darauf müssen Umweltministerium Vorschläge bekommen. Auch ande- wir achten. re Ministerien haben sich auf den Weg gemacht. Ich glau- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ be, es wäre gut, wenn wir das Thema heute nicht so stark DIE GRÜNEN) zerreden, dass wir uns in unserer eigenen Handlungsfä- higkeit blockieren. Für uns in der SPD ist bei einem solchen Konzept ei- niges besonders wichtig. (Beifall bei der SPD)

Erstens. Wenn es ein solches Konzept geben wird, das Ich will noch einen Satz zur politischen Debatte sagen: Klima zu schützen, dann muss es tatsächlich eine reale Die AfD kann heute nicht die Abschaffung einer Steuer Lenkungswirkung haben. fordern – das tun Sie sonst immer, wenn es um Steuern Zweitens. Es darf kein Instrument zur Finanzierung geht –; denn es gibt sie noch nicht. Deswegen machen staatlicher Aufgaben sein. Wir wollen eher eine Klima- Sie genau das, was Ihr Redner gerade gemacht hat: Ängs- dividende erwirtschaften. Nicht der Staat soll das Geld te schüren, Legenden schüren, altes Muster, Thema erle- erhalten, sondern diejenigen Bürgerinnen und Bürger digt, Glaubwürdigkeit verschenkt. Das ist Ihre Variante. sollen es zurückerhalten, die sich klimagerecht verhalten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Aber andere machen auch keine Bella Figura beim Drittens. Der CO2-Preis muss sozialverträglich sein. Thema CO . Frau Kramp-Karrenbauer ist bekanntlich Er darf Menschen mit kleinen Einkommen – darauf ha- 2 (B) schon jetzt gegen einen CO2-Preis. Sie plädiert stattdes- (D) ben Sie auch hingewiesen – nicht zusätzlich finanziell sen für die Ausweitung des europäischen Emissionshan- belasten, wenn sie zur Arbeit fahren oder ihre Wohnung dels. Die FDP gerade auch. Ich will dazu sagen: Die lan- heizen. ge Bank ist des Teufels liebstes Werkzeug, meine Damen Viertens. Dieses Thema – darauf hat auch die FDP und Herren. hingewiesen; das ist völlig richtig – hat auch eine na- tionale und internationale wirtschaftspolitische Kom- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ponente. Ich bin auch Sprecher für die Bereiche Bauen DIE GRÜNEN) und Wohnen und Stadtentwicklung und will darauf hin- weisen, dass der Bau zu den Sektoren mit dem höchsten Man kann durchaus nach europäischen Lösungen su- chen; aber wer weiß, wie zäh diese Verhandlungen lau- CO2-Ausstoß zählt. Auch darauf wird man achten müs- sen. Einfach nur eine Steuer einführen, ohne auf das Ge- fen, weiß, dass hier über Jahre nichts passieren wird. samtkonzept der Energiebesteuerung zu achten, wollen Deshalb dürfen das keine Alternativen sein. wir nicht. Einfach an der Steuerschraube drehen, machen Ich glaube, wir haben in Deutschland in der Vergan- wir auch nicht. Darauf können Sie sich verlassen. genheit schon relativ oft gezeigt, dass wir zu mutigen Wer heute seine Stromrechnung ansieht, findet darin Entscheidungen in der Energiepolitik fähig sind. Der schon die EEG-Umlage, die KWK-Umlage, die Umlage Ausstieg aus der Atomenergie war so einer, der Abschied nach der Stromnetzentgeltverordnung, die Offshorenetz­ von der Kohleförderung ist es auch. Wir sollten auch jetzt umlage, die Umlage für abschaltbare Lasten und auch die die Kraft zu mutigen Entscheidungen aufbringen, wenn Stromsteuer, also eine ganze Reihe von Abgaben und die es um die Reduzierung klimaschädlicher Treibhausgase Strombesteuerung. Jede dieser Abgaben hat ihre eigene geht. Geschichte, hat ihren Sinn. Das dient dazu, die Energie- wende, die regenerativen Energien zu fördern. Das ist

auch erfolgreich gewesen; ich will es an dieser Stelle Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: eindeutig sagen. Das alles sind auch schon Beiträge zum Herr Kollege, kommen Sie zum Ende. Klimaschutz, aber wir müssen besser werden. (Beifall bei der SPD) Bernhard Daldrup (SPD): Tendenziell haben wir gerade den Energieträger mit Herr Präsident, herzlichen Dank. Ich bin fertig. – Wir zusätzlichen Kosten belastet, von dem wir zur Bekämp- sind den heutigen und künftigen Generationen verpflich- fung des Klimawandels auch den höchsten Beitrag er- tet. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11785

Bernhard Daldrup (A) Herzlichen Dank. Das sind die Herausforderungen, die zunächst erreicht (C) werden müssen. Erst in einem solchen ordnungspoli- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tischen Rahmen kann eine CO -Bepreisung überhaupt DIE GRÜNEN sowie des Abg. Sepp Müller 2 sinnvoll greifen. Dann kann sie korrigieren, kann sie fal- [CDU/CSU]) sche Preissignale eines fehlgesteuerten Marktes, der den Schaden, der durch das CO2 entsteht, überhaupt nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: preislich berücksichtigt, korrigieren. Nächster Redner: der Kollege Jörg Cezanne, Fraktion Die Linke. Falsche Preissignale finden wir überall: Flugreisen sind zum Teil deutlich billiger als Bahnreisen, E-Autos – (Beifall bei der LINKEN) die nicht die Lösung sind, die wir aber trotzdem brauchen werden – wesentlich teurer als Autos mit Verbrennungs- Jörg Cezanne (DIE LINKE): motoren, gesunde Lebensmittel deutlich teurer als indus- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- triell erzeugte oder durch Massentierhaltung produzierte. Wir müssen die Schadenskosten, die durch das CO2 ent- ren! Wenn wir heute über eine CO2-Bepreisung reden, dann lassen Sie uns noch einmal die Herausforderungen stehen, ausgleichen. Das Umweltbundesamt spricht hier in den Blick nehmen. Wir stehen historisch vor einer un- von 180 Euro pro Tonne CO2 – ein hoher Schadenspreis. gekannten doppelten Herausforderung. Wir müssen in Energiearmut ist aber bereits Alltag für Millionen den nächsten 30 Jahren – das ist nicht ganz so lang; ich Menschen: Laut Eurostat gaben 3,7 Prozent der Befrag- habe sie schon zweimal hinter mir – die Produktions- und ten 2016 an, dass sie ihre Wohnung nicht angemessen Lebensweise so verändern, dass die ökologischen Gren- heizen konnten. Das wären fast 3 Millionen Menschen in zen des Planeten eingehalten werden können, und dies Deutschland. Im Jahr 2017 gab es hierzulande 340 000 unter Wahrung des sozialen Zusammenhalts, der Über- Stromsperrungen. Stromlieferanten haben ihren Kunden windung der sozialen Spaltung und dem Erhalt demokra- 4,8 Millionen Mal solche Sperrungen angedroht. Eine tischer Verhältnisse. CO2-Abgabe oder -Bepreisung kann also zwingend nur (Beifall bei der LINKEN) so ausgestaltet werden, dass sie Menschen mit geringe- rem Einkommen nicht nur nicht mehr belastet, sondern Es geht um das Ende der Nutzung jeglicher fossiler Ener- sogar besserstellt. gie, und es geht um die Durchsetzung einer Kreislauf- wirtschaft, in der Rohstoffe nach der Nutzung nicht weg- (Beifall bei der LINKEN)

geworfen, sondern in geschlossenen Kreisläufen weiter Der Witz ist ja: Das geht auch. Man kann die CO2-Be- genutzt werden. preisung so ausgestalten, dass die Einnahmen an die Ver- (B) (D) braucherinnen und Verbraucher zurückgezahlt werden, Ist die CO2-Bepreisung dazu ein sinnvoller Weg? Zu- nächst einmal muss man festhalten: Es geht hier um abso- so wie es in der Schweiz geschieht. Ein solcher Öko- lute Grenzen. Da hilft Preissteuerung allein nicht weiter. bonus würde für mehr als die Hälfte der Menschen in Lassen Sie uns einmal die historischen Herausforderun- Deutschland, insbesondere für die Bezieherinnen und gen anschauen. Wir müssen bis 2050 auf ein Niveau des Bezieher unterer Einkommen, eine deutliche Verbesse- rung bringen. Sie würden im Jahr netto entlastet werden. CO2-Ausstoßes pro Kopf der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger von deutlich unter 2 Tonnen kommen. So könnte es gehen. Die Bedingungen wären berück- (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Also wie Afrika!) sichtigt. Wir sollten ernsthaft darüber reden. Es liegen verschiedenste Vorschläge vor, wie wir die Maßnahme Wir liegen im Moment bei 11 Tonnen. Das wird allein sinnvoll ausgestalten können. mit einem naiven Glauben an Preissteuerung nicht ge- hen. Wir brauchen die großen ordnungspolitischen Ver- Ich danke Ihnen. änderungen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Beifall bei der LINKEN – Annalena Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: GRÜNEN]) Genau!) Vizepräsident : Um es plastisch zu sagen: Wo keine Straßenbahn oder kein Zug fährt, hilft es auch nicht, den Benzinpreis zu Vielen Dank, Herr Kollege Cezanne. – Als nächster erhöhen, weil es für niemanden etwas ändert, außer dass Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der es das Leben schwerer macht. Wir brauchen die Ver- Kollege Oliver Krischer das Wort. kehrswende. Wir brauchen den Ausbau des öffentlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Personennahverkehrs, der Bahn und am besten Preissen- kungen bis hin zum Nulltarif. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man bedenkt, dass vor bald 15 Jahren die Bundes- Wir brauchen klare Ökodesignvorgaben für energie- und kanzlerin, Frau Dr. , gesagt hat, der Kli- ressourcensparende Produkte und deren Wiederverwert- maschutz sei die größte Herausforderung unserer Zeit, barkeit. des 21. Jahrhunderts, und sich dann vor Augen führt, dass (Beifall bei der LINKEN) die sie tragende Regierungsfraktion jetzt erst, nach fast 11786 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Oliver Krischer

(A) 15 Jahren, anfängt, die Debatte über eine CO2-Beprei- machen, wenn man ehrlich ist, nur eins: Sie schieben das (C) sung zu führen, dann ist das, ehrlich gesagt, eine Bank- Thema wieder auf die lange Bank. rotterklärung. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das ist doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Quatsch! – Dr. Martin Neumann [FDP]: Quatsch! Sie suchen sich die Rosinen raus!) Ich glaube, das muss an der Stelle auch mal gesagt wer- Alle Fachleute sind sich einig, dass das erst nach der den. nächsten Reform gehen wird. Dann tun wir wieder jah- In den letzten Tagen haben wir eine Parteivorsitzen- relang nichts. de gehört, die erst ein kategorisches Nein ausgesprochen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hat. Dann gab es den halben Weg rückwärts. Lieber Andi Jung, ich höre dir ja immer gerne zu, und das sind ja Das, was Sie da wollen, ist am Ende weiterhin nichts an- auch schöne Reden; aber eine klare Botschaft, wie denn deres als verkapptes Nichtstun. Es muss aber jetzt gehan- jetzt die Position der Union ist, in welche Richtung da delt werden, weil das Klimaproblem drängt. Das sage ich gearbeitet wird, ob die regierungstragenden Fraktionen in aller Deutlichkeit. für eine vernünftige CO2-Bepreisung sind, habe ich nicht Deshalb brauchen wir einen CO2-Preis über alle Sek- rausgehört. Das ist nicht deutlich geworden. Nur von toren hinweg, den wir selbstverständlich den Menschen Verantwortung zu reden, ist an der Stelle, ehrlich gesagt, zurückgeben müssen. Hier ist schon öfter die Schweiz zu wenig. erwähnt worden. Von ihr kann man sich einiges abku- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cken. Wir haben dazu einen entsprechenden Vorschlag sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gemacht. Ich finde, es ist langsam an der Zeit, dass Sie hier vorangehen, Ihrer Verantwortung als Regierung ge- Das ist für ein Land, das im Klimaschutz nach vorne recht werden und entsprechende Vorschläge machen. Da- kommen muss, zu wenig. rum geht es jetzt, wenn wir beim Klimaschutz vorankom- men wollen. Es ist ja leider nicht so, dass wir an anderer Stelle in den letzten 15 Jahren ein Feuerwerk an Klimaschutz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – maßnahmen erlebt hätten. Dann könnte man ja sagen: Dr. Martin Neumann [FDP]: Nationale Lösun- gen bringen gar nichts!) Gut, der CO2-Preis ist nur eine Maßnahme, die man zum Schluss mal umsetzen kann. – Da ist ja ganz offensicht- Ich sage aber auch: Ein CO2-Preis, den übrigens lich absolute Blankheit. Das ist das Grundproblem, das 3 500 Ökonomen auf dieser Welt, davon 27 Nobelpreis- (B) wir in der Debatte haben: Die Union lehnt als große Frak- träger, fordern, (D) tion jede konkrete Maßnahme, die es zum Klimaschutz gibt, ab, ist immer dagegen, erklärt immer, was sie nicht (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Aus den USA!) will, aber sagt nie, was sie da machen will. ist nur ein Teil der Maßnahmen, die wir beim Klima- schutz brauchen. Ein CO2-Preis ist eine wichtige Maß- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nahme, aber kein Allheilmittel. sowie des Abg. Jörg Cezanne [DIE LINKE] – Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. [SPD]) Ich sage mal ehrlich: Ein CO2-Preis ist dabei wirklich nichts Neues und überhaupt nicht originell. Es gibt etli- Er muss in Fördermaßnahmen und in das Ordnungsrecht che Staaten auf der Welt – die Schweiz, Frankreich, Ka- eingebettet sein, auch um das Ganze sozial abzufedern. nada, Schweden –, die ihn seit Jahren haben. Kucken wir Ich glaube aber, das ist durchaus machbar. mal nach Schweden: Die haben das 1991 eingeführt. Im Ich finde, Deutschland als ein Land, das vor einigen Moment liegt der CO2-Preis dort bei 114 Euro pro Tonne. Jahren – lang, lang ist’s her – mal Klimaschutzvorrei- Die Bepreisung hat dazu geführt, dass die Schweden das, ter war, hat jetzt die Chance, mit der Einführung eines was wir nicht hinkriegen, nämlich den Gebäudesektor CO2-Preises, mit dem Kohleausstieg, mit einer vernünf- CO2-frei zu machen, geschafft haben und hier europäi- tigen, zukunftsgewandten Verkehrswende endlich wieder sche Vorreiter sind. Vorreiter im Klimaschutz zu werden. Das ist dringend notwendig. Das braucht die Welt, das braucht das Kli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ma, das braucht vor allen Dingen aber auch der Indus- Ich finde, jede Bundesregierung müsste sich daran ein triestandort Deutschland, der Klarheit in dieser Frage Beispiel nehmen und entsprechende Maßnahmen ergrei- braucht; denn es sind inzwischen Dutzende Unterneh- fen. men, die einen CO2-Preis fordern.

(Dr. Martin Neumann [FDP]: Herr Krischer, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: das machen die mit Atomenergie!) Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. Ich sage an der Stelle deutlich: Diejenigen wie Sie, Herr Neumann, von der FDP – so habe ich jetzt auch die Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Parteivorsitzende der Union verstanden –, die jetzt sagen, Ich weiß gar nicht mehr, wieso Union und FDP das man solle den europäischen Emissionshandel ausweiten, verhindern. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11787

Oliver Krischer (A) Ich danke Ihnen. er die Energie nutzt. Aber er kann zum Beispiel nicht an (C) der Modernisierung einer Heizung mitwirken. Warum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) soll ein Vermieter Modernisierungsmaßnahmen vorneh- men, von denen er nichts hat? Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Oder denken Sie an einen Pendler, den Sie belasten Als nächster Redner in dieser Debatte hat der Kollege würden, weil er nicht auf öffentliche Verkehrsmittel um- Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. steigen kann. Er würde für seinen Fleiß bestraft. Seine (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Freiherr Leistung würde sich nicht mehr lohnen. Deswegen leh- von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt kommt die nen wir eine CO2-Steuer entschieden und mit Nachdruck Sachpolitik zurück!) ab. (Beifall bei der CDU/CSU) Sebastian Brehm (CDU/CSU): Wir müssen Anreize schaffen und keine neuen Steu- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ern. Wir müssen neue Technologien fördern und mit Kli- Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Kli- maschutz weltweit zum Marktführer werden. Dazu brau- maschutz ist eines der zentralen Themen für die Zukunft chen wir eine intelligente industriepolitische Strategie. unseres Landes und vor allem auch für die Wettbewerbs- Unternehmen, die in Klimaschutz investieren, müssen fähigkeit unserer deutschen Wirtschaft. Deswegen ist es entlastet werden. Dazu gehört zum Beispiel die steuerli- notwendig und wichtig, dass wir hieran mit allergrößter che Forschungsförderung. Dazu gehört zum Beispiel die Sorgfalt arbeiten – aber eben mit Sorgfalt und Intelligenz. Modernisierung der Unternehmensbesteuerung, insbe- Nur mit einer wettbewerbsfähigen deutschen Wirtschaft sondere in Bezug auf thesaurierte Gewinne, damit mehr schaffen und erhalten wir den Wohlstand in unserem Liquidität in den Unternehmen bleibt und mehr in neue Land und damit die Grundlagen für alle anderen politi- Technologien investiert werden kann. schen Felder, ob Kultur, Soziales oder andere Felder. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist nicht richtig, dass nichts passiert ist. Der Anteil der regenerativen Energien ist von 3 Prozent auf 38 Pro- Dazu gehört, dass der Emissionshandel nicht nur für die zent gestiegen. Die Haushalte haben ihren Energiebedarf Sektoren Energie und Industrie gilt, sondern auf die wich- in den letzten Jahrzehnten um 38 Prozent gesenkt, in der tigen Bereiche Verkehr und Wohnen ausgeweitet wird. Industrie ist er um ein Drittel gesenkt worden. Das ist (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- natürlich auch Einfluss der Politik dieser Koalition. Des- NEN]: Jetzt ist der Pendler nicht belastet, oder wegen ist das, was Sie behaupten, nämlich dass nichts wie? Wie wollen Sie das denn erklären?) (B) passiert ist, nicht richtig. (D) Dazu gehört auch eine Senkung der Energie- und Strom- (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer steuer . Wir haben in den letzten Wochen über die Strom- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Emissio- steuer gesprochen. Es waren noch wichtige Hausaufga- nen sind nicht gesunken!) ben zu machen, gerade bei der Aufnahme der Abfall- und Die Diskussion, die derzeit über die mögliche Einfüh- Abwasserwirtschaft. rung einer sogenannten CO2-Steuer geführt wird, geht in (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die völlig falsche Richtung. Es erinnert an die damalige NEN]: Was? Abwasserwirtschaft?) rot-grüne Politik der Einführung der sogenannten Öko- steuer. Da haben Sie von den Grünen ja mitgewirkt. Das Außerdem brauchen wir eine Diskussion über die Ergebnis war ausschließlich eine Verteuerung der Ener- EEG-Umlage. gie und eine Umverteilung der Mehreinnahmen. Um- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in diesem weltpolitisch war diese Ökosteuer ein vollständiger Flop. Jahr bei den anstehenden Entscheidungen falsch abbie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen, dann werden wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft schädigen und dem Grundgedanken des Kli- Deswegen müssen wir einen anderen, neuen Pfad be- maschutzes in keiner Weise helfen. schreiten, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Darü- ber, dass wir sie erreichen wollen, sind wir uns ja völlig (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) einig. Wir wollen den Kohlestoffausstoß immer weiter Deswegen: Lassen Sie uns in Anbetracht dieser Frage- reduzieren; aber wir wollen, dass das nicht ideologisch, stellung richtig abbiegen. Wenn wir es richtig machen, sondern intelligent passiert. Es bringt aus meiner Sicht haben wir die Chance, die deutsche Wirtschaft als Welt- nichts, wenn wir allein eine CO2-Steuer einführen. Das marktführer in diesem Segment weiter zu platzieren, mit wäre wesentlich zu kurz gesprungen und würde zu er- dem Klimaschutz Geld zu verdienen und mit dem Klima- heblich negativen Effekten bei der deutschen Wirtschaft schutz unseren Standort zu stärken. Lassen Sie uns mit und bei den Verbrauchern führen. Das würde nur zu einer mehr Intelligenz statt mit Ideologie an dieses Thema he- erneuten Verteuerung der Produkte führen. rangehen. Lassen Sie uns Leistungs- und Anreizsysteme Ich will an zwei Beispielen festmachen, was im Falle schaffen anstatt neue Belastungen für die Unternehmen einer Steuererhöhung passieren würde: und die Bürgerinnen und Bürger. Herzlichen Dank. Denken Sie an einen Mieter in einem Mehrfamilien- haus. Er wäre der Hauptlastträger einer CO2-Steuer, weil (Beifall bei der CDU/CSU) 11788 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sie werde nicht mehr als eine Kugel Eis kosten – zahlt (C) Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Bevor ich dem eine vierköpfige Familie heute rund 600 Euro pro Jahr nächsten Redner das Wort erteile, habe ich eine sitzungs- mehr für Strom. leitende Bemerkung zu machen. Der Kollege Hans-Pe- Aber es reicht der Regierung bzw. Teilen der Regie- ter Friedrich hat mich gebeten, in seinem Namen eine rung offensichtlich immer noch nicht. Jetzt soll Deutsch- Entscheidung betreffend eines Vorfalls im Hohen Hause land durch die Einführung einer CO2-Steuer die Welt im anlässlich der Rede des Kollegen Dr. Rainer Kraft, AfD, Alleingang retten. Die Umweltministerin will uns allen mitzuteilen. Der Satz, der inkriminiert worden ist, lautet: Ernstes weismachen, dass das Geld an die Bürger zu-

Die Idee einer CO2-Steuer zeigt, wie weit die Abge- rückfließt. Wer soll denn das glauben? Schon in der Ver- ordneten der Union, der FDP und der ganze andere gangenheit wurde die Zustimmung zu einer neuen Steuer unappetitliche Rest sich von diesem Ziel entfernt mit wohlklingenden Versprechungen und dem Hinweis, haben. die Abgabe diene einem guten Zweck und werde nieman- den über Gebühr belasten, erkauft. (Metin Hakverdi [SPD]: Frechheit!) (Beifall bei der AfD) – Das mag sein. – Die Aussage ist nicht nett; aber sie ist jedenfalls nicht rügefähig. Dafür wird kein Ordnungsruf Genauso war es mit der Sektsteuer, die zweckgebun- erteilt. Vor allem will ich darauf hinweisen, dass auch die den zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsmarine Abgeordneten der AfD selbst sich gelegentlich solcher eingeführt wurde. Die kaiserliche Kriegsmarine gibt es verbalen Attacke ausgesetzt sehen. Hierfür wird es also schon seit über 100 Jahren nicht mehr, die Sektsteuer be- keinen Ordnungsruf geben. zahlen wir aber immer noch. Wie Sie daran sehen: Ist eine Steuer erst mal eingeführt, wird sie nie wieder abge- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) schafft und über kurz oder lang zweckentfremdet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner (Beifall bei der AfD) hat das Wort der Kollege Marc Bernhard, AfD-Fraktion. Laut Umweltbundesamt soll die CO2-Steuer bis zu (Beifall bei der AfD) 180 Euro pro Tonne betragen. Das bedeutet für jeden Kopf der Bevölkerung, ob Kleinkind oder Greis, eine Marc Bernhard (AfD): durchschnittliche zusätzliche Belastung von 2 000 Euro Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Lieber Kollege pro Jahr. Brehm, ich habe wohl gehört, dass Sie keine CO2-Steuer (Timon Gremmels [SPD]: Das sind Hor- wollen. rorszenarien, die Sie da an die Wand malen!) (B) (D) (Zurufe von der SPD) Bei der Herstellung aller Güter des täglichen Lebens, ob Ich hoffe wirklich, dass Sie sich damit durchsetzen. Ich nun Brot, Kleidung, Taschentücher, Smartphones oder bin mal gespannt. schlichtweg einfach nur Wasser, wird CO2 erzeugt, übri- gens auch beim Atmen. Mit einer CO2-Steuer würde also (Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks praktisch das Leben an sich besteuert. [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Genau!) Herr Kollege, erlauben Sie mir, dass ich Sie kurz un- terbreche. Der ganze Irrsinn gipfelt dann in der abstrusen Forderung von Klimahysterikern, die uns sogar auffordern, zur an- Sie wissen, dass sitzungsleitende Entscheidungen der geblichen Klimarettung keine Kinder mehr in die Welt Erörterung entzogen sind, Frau Hendricks. Wenn Sie sich zu setzen. daran nicht halten wollen, dann erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zuruf Und wozu all das? Für nichts, rein gar nichts! Denn der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) der Anteil Deutschlands am menschengemachten CO2-Ausstoß beträgt gerade einmal 1,8 Prozent, wäh- – Ja, wenn Sie sich daran nicht halten wollen. Sie haben rend der Anteil Chinas 28 Prozent und der von Indien gerade dazwischengerufen. 8 Prozent beträgt. Zusammen mit allen Schwellen- und Herr Kollege, Sie können Ihre Rede fortsetzen. Entwicklungsländern erzeugen diese Länder also mehr als 60 Prozent der CO2-Emissionen weltweit. Marc Bernhard (AfD): Gemäß dem Pariser Klimaabkommen dürfen die Die Menschen in unserem Land haben noch nie so Schwellen- und Entwicklungsländer, die über 60 Prozent viele Steuern bezahlt wie heute. Die Regierung erfindet des CO2 erzeugen, bis 2030 weiter unbegrenzt, also ohne immer neue Möglichkeiten, um die Menschen zur angeb- Limit, ihren CO2-Ausstoß erhöhen, und genau das tun lichen Rettung der Welt abzukassieren: Energiesteuer, sie auch. Welchen konkreten Effekt auf das Weltklima Stromsteuer, Luftverkehrsteuer, Ökosteuer, EEG-Umla- soll unter diesen Voraussetzungen eine CO2-Steuer in ge; um nur einige wenige zu nennen. Allein für die Ener- Deutschland haben? Sie sagen damit im Prinzip nichts giewende – die Regierung hat uns damals versprochen, anderes, als dass Deutschland im Alleingang das Weltkli- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11789

Marc Bernhard (A) ma retten soll. Glauben Sie denn wirklich, dass es Sinn chere Technologien endlich beschleunigen, gerade bei (C) macht, dass wir die paar Kohlekraftwerke in Deutschland unseren Sorgenkindern, dem Verkehrs- und dem Wärme- abschalten, während weltweit derzeit 1 500 neue Kohle- bereich. Ich möchte aber auch deutlich sagen: Es kommt kraftwerke im Bau sind? entscheidend darauf an, wie wir diesen Umstieg gestal- ten. Eine CO2-Bepreisung muss helfen, das Klima zu (Beifall bei der AfD – Jörg Cezanne [DIE schützen, und sozial gerecht sein. LINKE]: Zehn Länder haben eine CO2-Steu- er!) (Beifall bei der SPD) Die Wahrheit über das Pariser Klimaschutzabkommen Unser System der Entgelte, Abgaben, Umlagen und ist, dass die Europäer über den Tisch gezogen worden Steuern hat seine Lenkungswirkung beim Klimaschutz sind. Es würde sehr viel mehr Sinn machen, vernünftige teilweise verloren. Der Strom ist in den letzten zehn CO2-Abscheidungsanlagen in die Zigtausende Kohle- Jahren teurer geworden, obwohl er von Jahr zu Jahr zu kraftwerke in China und Indien oder anderswo einzubau- einem immer größeren Anteil aus erneuerbaren Energi- en, als bei den Menschen in Deutschland immer mehr en stammt. Demgegenüber kosten Benzin, Diesel, Heiz­ Steuern abzukassieren. öl und Gas so viel wie im Durchschnitt der letzten zehn (Beifall bei der AfD) Jahre. Das ist doch eigentlich absurd und wird zu Recht bemängelt. Selbst wenn wir in Deutschland kein CO2 mehr produ- zieren, alles abschalten, nicht mehr heizen, keinen Strom Deshalb spricht einiges für eine Veränderung der Prei- mehr verbrauchen, uns nicht mehr fortbewegen und, se. In einer Marktwirtschaft können wir Anreize für Inno- nicht zu vergessen, auch das Atmen einstellen, vationen setzen. Es geht jetzt nicht darum, alles einfach teurer zu machen, sondern darum, ein Signal dafür zu ge- (Beifall bei der AfD – Dr. Franziska Brantner ben, dass es sich lohnt, CO2-ärmere Produkte zu kaufen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie und in klimafreundliche Technologien zu investieren. es mal! Probieren Sie es mal!) hätte das überhaupt keinen Einfluss auf das Weltkli- Wir wissen: Klimaschutz kostet Geld. In einer sozi- ma. Es ist völlig egal, wie viel Deutschland von seinem alen Marktwirtschaft müssen wir immer darüber nach- denken, wie wir Anreize setzen können, aber natürlich 1,8-Prozent-Anteil an den CO2-Emissionen einspart – 20, 50 oder 100 Prozent. Egal wie viele Kohlekraftwerke auch darüber, wie wir die Kosten verteilen. Deshalb ist es selbstverständlich, dass wir bei allen Maßnahmen zum wir abschalten und vor allem wie hoch die CO2-Steuer wäre: Wir erreichen damit nichts, rein gar nichts, außer Klimaschutz die Verteilungswirkungen ganz genau im Blick haben. Der Staat darf mit einer CO -Bepreisung (B) eine noch höhere Belastung der Menschen, eine massive 2 (D) Wettbewerbsverzerrung gegenüber Ländern wie China kein zusätzliches Geld einnehmen, sondern er muss das und dadurch die Zerstörung von Millionen von Arbeits- Geld den Bürgerinnen und Bürgern in geeigneter Form plätzen in unserem Land. zurückgeben. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dabei gilt: Eine gesamtwirtschaftliche Aufkommens- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: neutralität bedeutet nicht eine individuelle Belastungs- Als nächste Rednerin hat die Parlamentarische Staats- neutralität. Wir müssen uns fragen: Was passiert mit sekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter das Wort. der Pendlerin auf dem Land, und was passiert mit dem Mieter, der Mieterin in der Stadt? Deswegen arbeiten wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten an einem Konzept, das wirksam das Klima schützt, das der CDU/CSU) gerecht bei den Kosten und am Ende auch praktikabel in der Umsetzung ist, und zwar ziemlich schnell. Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nu- (Beifall bei der SPD) kleare Sicherheit: Belastungen für Menschen, die sich kurzfristig kein Elek- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und troauto leisten können oder, wie wir schon gehört haben, Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie man keinen Einfluss auf die Heizung in ihrer Mietwohnung sieht, ist der Klimaschutz mitten in unserer politischen haben, lassen wir nicht zu. Wir können untere und mittle- Debatte angekommen – und das ist gut so. Dafür, dass re Einkommensgruppen insgesamt nicht stärker belasten. es so ist, bin ich den vielen jungen Menschen, aber auch ihren Eltern, den Wissenschaftlern und den Unterneh- Eines möchte ich betonen: Ein CO2-Preis kann ein merinnen und Unternehmern dankbar; denn sie fordern sinnvoller Baustein einer umfassenden Klimaschutzpoli- ambitionierte Schritte ein. Sie fordern, jetzt zu handeln, tik sein, aber sicherlich nicht das Allheilmittel. anstatt abzuwarten und zu vertrösten. Deswegen wird das Jahr 2019 das Jahr des Klimaschutzes. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dass gerade die Diskussion über eine CO2-Beprei- Das ist nur gemeinsam mit anderen Maßnahmen sinn- sung Fahrt aufnimmt, zeigt mir: Wir brauchen tiefgrei- voll. Denkverbote helfen uns übrigens nicht. Die Klima- fendere Veränderungen als bisher. Eine Bepreisung von schutzziele 2030 ernst zu nehmen, bedeutet, ambitionier- CO2-Emissionen kann den Umstieg auf klimafreundli- te und ganz konkrete Maßnahmen zu beschließen. Man 11790 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter

(A) kann nicht nur sagen, was man alles nicht will, sondern CO2-Ausstoß nur 2 Prozent beträgt, mit nationalen Maß- (C) wir müssen auch sagen, wie es vielleicht gehen könnte. nahmen allein das Weltklima nicht werden retten können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber Deutschland spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Instrumente. Ich will an dieser Stel- Daher ist ein CO2-Preis keine Alternative zu einem Kli- maschutzgesetz. Das Klimaschutzgesetz, wie die Bun- le für den Emissionshandel werben. Der Emissionshan- desumweltministerin es vorgeschlagen hat, gibt den del ist vor 15 Jahren nicht zuletzt auf deutsche Initiative Rahmen vor und macht Verantwortlichkeiten klar. Ein hin in Europa eingeführt worden. Der Emissionshandel gilt in den Sektoren Industrie und Stromerzeugung. Er CO2-Preis kann eine konkrete Maßnahme sein, um die- sen Verantwortlichkeiten gerecht zu werden. funktioniert. Er erfüllt genau das, was er erfüllen soll. Es gibt Mengenvorgaben. Der Emissionshandel ist nämlich Die Debatte darüber, wie wir unsere Klimaschutzzie- ein Instrument zur Mengensteuerung. Er erfüllt das Ziel le 2030 erreichen, führen wir mit allen verantwortlichen der Reduktion, er übererfüllt sogar das degressive Ziel Ressorts im Klimakabinett, und wir haben vereinbart, der Mengenreduktion. noch dieses Jahr klare Beschlüsse zu fassen – dieses Jahr –, und zwar – das ist für uns wichtig – sozial gerecht. (Beifall des Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/ Wenn wir das so umsetzen, dann werden wir – davon bin CSU]) ich überzeugt – auch die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger erhalten. Deshalb ist es richtig, den Emissionshandel nicht nur zu erhalten, sondern auch weiter auszubauen, und zwar Herzlichen Dank. in Europa – darauf komme ich noch zu sprechen –, aber (Beifall bei der SPD) auch weltweit, weil nur ein weltweiter Emissionshandel ein geeignetes Instrument ist. Der Versuch der Europä- ischen Union, den Emissionshandel im europäischen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Flugverkehr einzuführen, indem man das einfach den Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Als nächster anderen diktiert hat, ist missglückt. So wird das nicht Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, funktionieren. Der Emissionshandel ist auf andere Re- CDU/CSU-Fraktion. gionen auszuweiten. In China gibt es heute die Idee und erste Projekte, den Emissionshandel einzuführen. Auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) in den Neuenglandstaaten gibt es Inseln, wo es den Emis- sionshandel gibt. Der Emissionshandel muss verknüpft Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): werden – zwischen Europa und diesen Inseln –, um eine (B) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, bessere Lenkungswirkung zu erreichen. Dann haben wir (D) der Klimaschutz ist eine der großen Herausforderungen, weltweit ein Instrument, das hinsichtlich der CO2-Ver- vor denen wir weltweit stehen; ich glaube, das wurde meidung kosteneffizient und technologieoffen ist. Das ist deutlich. eine Chance. Dieses Instrument müssen wir von Europa aus in die Welt bringen. Das Thema ist ja nicht ganz neu. Schon in den 80er- und 90er-Jahren haben wir uns weltweit mit dem The- (Beifall bei der CDU/CSU) ma beschäftigt. In den 80er- und 90er-Jahren, als das Kyoto-Protokoll verhandelt und verabschiedet wurde, Da kann Deutschland seinen Beitrag leisten. haben die Industriestaaten noch den Großteil der Emis- sionen verursacht. Das hat sich in den letzten 15, 20 Jah- Deutschland kann auch einen Beitrag leisten, indem ren fundamental gewandelt. China beispielsweise, das wir die Technologien voranbringen. Im Übrigen ist es bei noch Ende der 80er-Jahre bei den CO2-Missionen ver- weitem nicht so, dass nichts passiert ist; Herr Krischer, gleichsweise keine Rolle gespielt hat, emittiert heute das wissen Sie genauso gut wie ich. Wir hatten mal allein 30 Prozent. Lange Zeit wurde international darü- 1,3 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen, ber diskutiert, ob diese Staaten jetzt erst einmal so viel emittieren dürfen, wie die Industriestaaten in den letzten (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 100 Jahren emittiert haben, damit das ausgeglichen ist, NEN]: Da hatten wir noch die DDR!) und über anderes mehr. All diese Diskussionen haben wir geführt. Sie sind, Gott sei Dank, alle beendet. Es gibt jetzt sind es noch 800 Millionen Tonnen. Wir haben in jetzt ein weltweites Ziel. Im Pariser Klimaschutzabkom- den letzten Jahren die Energieeffizienz in mehreren Be- men steht, wie wir weltweit, in allen Ländern, damit um- reichen verdoppelt. Das heißt, mit dem gleichen Einsatz gehen sollen. Das ist gut so. Insofern haben wir Ziele. an Energie haben wir das doppelte Sozialprodukt erwirt- schaftet. Wir haben zum Beispiel den Heizölverbrauch Aber zu Recht wird gefragt, auch von vielen meiner in Deutschland in den letzten fünf Jahren um 50 Prozent Vorredner heute: Mit welchen Instrumenten wollen wir reduziert. Unsere Aufgabe kann es also sein, die Techno- das Ziel erreichen? Aus meiner Sicht kommt dabei dem logien voranzubringen. Emissionshandel eine zentrale Rolle zu. Die zweite Fra- ge, über die wir auch national diskutieren, lautet: Was ist Vorhin wurde der ÖPNV angesprochen. Diese Bun- die Rolle Deutschlands? Welche Rolle spielen wir dabei? desregierung will die Digitalisierung des öffentlichen Es wurde klar – das kann einem gefallen oder nicht –, Verkehrs. Wir wollen zum Beispiel in Stuttgart ETCS, dass wir, da der Anteil Deutschlands am weltweiten die europäische Zugsteuerung, einführen. Sie ermöglicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11791

Dr. Joachim Pfeiffer

(A) es, auf der Stammstrecke – ohne Ausbau – 50 Prozent Dieser CO2-Preis ist nicht die eierlegende Wollmich- (C) mehr Verkehr zu führen. sau. Man hat in der aufgeregten Debatte der letzten Tage manchmal den Eindruck: Haben wir eine CO2-Be- (Jörg Cezanne [DIE LINKE]: Kühne Vorher- preisung, wie auch immer sie aussieht, dann wird alles sage!) gut. Damit wären dann alle Spatzen gefangen. – Nein, Wenn dort 50 Prozent mehr Verkehr geführt werden, dann das ist nur ein Baustein von vielen. Er entpflichtet uns ist das ein Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstoßes im nicht von der Einhaltung der Sektorenziele. Auch mit ei- Verkehrsbereich. Diesen Beitrag können wir leisten. ner CO2-Bepreisung brauchen wir noch ein Erneuerba- re-Energien-Gesetz. Wir brauchen auch ein Klimaschutz- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gesetz. Aber die CO2-Bepreisung kann ein Baustein sein. So gibt es viele Beispiele, wie wir es machen sollten. Mein Appell an uns alle ist: Lassen Sie uns jetzt nicht Definitiv nicht richtig und der falsche Ansatz wäre es wegen kleinteiliger Geländegewinne im Europawahl- kampf in der Tagespolitik Instrumente zerreden und aber, nationale CO2-Steuern einzuführen, die die interna- tionalen und europäischen Ansätze konterkarieren. Des- kaputtmachen, die wir später vielleicht noch dringend halb ist unsere Wahl der Emissionshandel. brauchen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das ist mein wirklich großer Appell. Die Angstmacher Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. der AfD versuchen das ja gerade. Manch einer ist ge- neigt, auf diesen Zug aufzuspringen. Das halte ich für Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): absolut schädlich und kontraproduktiv. Es kann ein wich- Ihn wollen wir europäisch ausweiten: auf den Gebäu- tiges Instrument sein, wenn man die CO2-Bepreisung de- und Verkehrssektor. Da muss Deutschland federfüh- schlau gestaltet. rend sein und der Schrittmacher sein. Das ist das richtige (Karsten Hilse [AfD]: Also bitte, SPD und Instrument: für Deutschland, für Europa und für die Welt. schlau?) (Beifall bei der CDU/CSU) Es gibt ja verschiedene Konzepte und verschiedene Beispiele – die Schweiz ist genannt worden; auch Herr Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Edenhofer und sein Institut haben dazu Vorschläge ge- Herzlichen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort macht –, die deutlich machen, dass am Ende des Tages der Kollege Timon Gremmels, SPD-Fraktion. die, die weniger verdienen, sogar die größten Profiteu- (B) re einer Klimadividende sein können, weil sie hinterher (D) (Beifall bei der SPD) mehr im Portemonnaie haben als vorher. (Karsten Hilse [AfD]: Mit der SPD?) Timon Gremmels (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Sie brauchen mir nicht zu glauben. Ich habe heute Mor- ren! Wenn man die Diskussion dieser Aktuellen Stunde gen das „Handelsblatt“ zitiert. Jetzt zitiere ich noch die betrachtet und den Antragsteller außen vor lässt, dann „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“; Sie kennen kann man feststellen: Das ist eine sehr sachliche, eine also jetzt meine Lektüre. Was steht da? „Die CO2-Steuer sehr ausgewogene und eine abwägende Diskussion. Wir schadet den Reichen“. sind uns alle in der Frage einig, dass wir, in welcher Form Es gibt sozial ausgewogene Konzepte für die Men- auch immer, schauen müssen, dass wir dem CO2 auch im schen, die sich das nicht leisten können, also etwa den Verkehrs- und Gebäudebereich sowie in der Landwirt- Pendler bei mir aus dem Wahlkreis, der von Helsa-St.-Ot- schaft ein Preisschild anhängen müssen. In dieser Frage tilien jeden Morgen mit einem älteren Auto bis nach Kas- müssen wir in Richtung eines CO2-Preises gehen. sel zur Arbeit fahren muss und abends zurück, weil er Bei der Union weiß man nicht. Die Antwort hängt sein großes, noch nicht saniertes Haus und seinen Gar- ein bisschen davon ab, ob man Herrn Günther, Herrn ten pflegen muss. Auch diese Menschen müssen wir im Laschet oder Herrn Weber fragt. Das müssen Sie intern Blick haben. Auch da müssen wir kucken, dass sie nicht noch klären. Wir haben gesagt: Wir wollen dieses Thema die Leidtragenden sind, die am Ende des Tages die Zeche nicht auf die lange Bank schieben; das haben auch mei- zahlen. Das ist unsere Verantwortung, dass wir als Sozi- ne Vorredner schon deutlich gemacht. In der Frage eines aldemokraten aufpassen, dass wir die Bürger mitnehmen. europäischen Emissionshandels – ich habe heute Morgen Wir wollen die Bürger als Partner des Klimaschutzes. schon aus dem „Handelsblatt“ zitiert; das will ich nicht Ich glaube, dass die Menschen mittlerweile sehr viel wiederholen – heißt es: Das bedeutet, dieses Thema auf schlauer sind, als das manch einer von den Politikern hier die lange Bank zu schieben. – Das ist ein Vertagen des darstellt. Die Menschen wissen, dass ein Handlungsbe- Projekts auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Das wollen darf da ist. wir nicht. Wir müssen handeln, und zwar dringend. Da gibt es auch andere Möglichkeiten. Ein CO2-Preis kann (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten da eine Teillösung sein, ein Aspekt. der LINKEN) (Beifall des Abg. Dr. Matthias Miersch Sie sehen das nicht nur an dem überhitzten Sommer im [SPD]) letzten Jahr. Sie sehen es auch daran, dass freitags Schü- 11792 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Timon Gremmels (A) lerinnen und Schüler auf die Straße gehen. Ehrlich ge- Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): (C) sagt, angesichts Ihrer Verunglimpfung frage ich: Wie Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und groß muss denn die Angst der AfD sein, Kollegen! In diesem Jahr stellen wir wichtige Weichen für die Klimapolitik. Da gibt es nicht nur ein Instrument. (Widerspruch bei der AfD) Deshalb war es genau der richtige Schritt, dass Bundes- dass Sie eine Greta Thunberg als krank diskreditieren und kanzlerin Angela Merkel ein Klimakabinett eingesetzt in Misskredit bringen, dass Sie Verschwörungstheorien hat und dass die Minister jetzt mit Teamgeist an den er- darüber aufbauen, wie die finanzielle Unterstützung von forderlichen Maßnahmen in allen Sektoren arbeiten. Fridays for Future ist? Ich glaube, die AfD sollte in der Einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klima- Frage der Finanzen ganz ruhig sein. Klären Sie erst mal, ziele wird der Energiesektor leisten. Noch in diesem Jahr woher Ihre Parteispenden kommen. Machen Sie da mal werden wir ein Kohleausstiegsgesetz verabschieden. reinen Tisch, bevor Sie junge, engagierte Menschen, die Gleichzeitig werden wir sicherstellen, dass die Energie- sich für den Klimaschutz starkmachen, diskreditieren! versorgungssicherheit zu bezahlbaren Strompreisen ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten währleistet bleibt. Meine Damen und Herren, es ist eine des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Riesenleistung und auch Herausforderung, dass wir als Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] – Zurufe Industrienation nach dem Ausstieg aus der Kernenergie von der AfD) jetzt den Ausstieg aus der Kohleverstromung gestalten. Das muss an dieser Stelle auch mal gesagt werden. Wir brauchen aktiven Klimaschutz. Ich war bei der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – UN-Klimakonferenz in Kattowitz dabei. Da ist das ziem- Karsten Hilse [AfD]: Das ist keine Leistung! lich deutlich geworden. Sie merken es, wenn Sie mit Das ist Suizid!) Menschen reden, die von den Marshallinseln kommen. Diese sagen: Wir überleben nicht, wenn alle so weiter- Außerdem wollen wir bis 2030 den Anteil erneuerba- machen, weil der Meeresspiegel ansteigt. rer Energien am Strom auf 65 Prozent ausbauen. In allen Sektoren setzen wir auf Technologie, Fortschritt und In- (Lachen bei Abgeordneten der AfD) novation. Dafür sind steuerliche Anreize notwendig. Wir müssen den Umstieg auf Wasserstoff, der mit erneuerba- Wir werden am Ende des Tages absaufen. – Deswegen ren Energien hergestellt wird, auf Power-to-X attraktiver müssen wir handeln. Wir als Bundesrepublik Deutsch- machen. land haben eine Verpflichtung, mit gutem Beispiel vor- anzugehen. (Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Unbezahlbar!) (B) (Beifall bei der SPD) Dafür müssen wir die EEG-Umlage und die Stromsteuer (D) senken. Ich sage noch einmal deutlich: Mit einem klug ge- machten Klimaschutz, mit einer guten Energiepolitik, Im Verkehrsbereich setzen wir auf alle alternativen mit einer dezentralen Energiewende schaffen wir auch Antriebe. Neben der Elektromobilität ist es wichtig, noch Arbeitsplätze. Es ist schon heute so, dass es durch erneu- stärker auf die synthetischen Kraftstoffe zu setzen und erbare Energien sehr viel mehr Arbeitsplätze gibt als bei sie in die Breite zu bringen. Das schaffen wir, wenn wir einer konventionellen Energiepolitik. die Energiesteuer, ehemals Mineralölsteuer, auf diese Kraftstoffe senken. (Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD]) Im Gebäudebereich müssen wir schnellstmöglich all – Hören Sie doch mit Zwischenrufen wie „Hochsubven- diejenigen entlasten, die ihr Haus klimafreundlich sanie- tionierte Arbeitsplätze!“ auf! Wenn wir nicht handeln, ren. Bauminister Seehofer wird diese Maßnahme in das wird das Ganze zehnmal teurer. Ich sage – das soll mein Klimakabinett einbringen. Meine Damen und Herren, Schlusssatz sein –: Wenn wir nichts tun, müssen wir beim wir werden nicht lockerlassen, bis diese Maßnahme end- Effort Sharing richtig viel Geld zahlen: bis zu 60 Milli- lich kommt. arden Euro. Wer wird das wohl am Ende zahlen? Das ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) doch der Steuerzahler. Nichtstun ist am Ende des Tages deutlich teurer, als jetzt gemeinsam zu handeln. Insofern: Für all diese Maßnahmen brauchen wir Geld. Hier ist Für eine sozial gerechte CO2-Bepreisung, dafür steht die der Bundesfinanzminister gefragt. Jetzt muss er zeigen, SPD. wie viel ihm Klimaschutz wirklich wert ist. Neben den Einzelmaßnahmen wird als sektorenübergreifendes Ins- Ich danke Ihnen. trument die CO2-Bepreisung diskutiert. CO2-Bepreisung ist nicht gleich CO -Steuer. (Beifall bei der SPD) 2 (Karsten Hilse [AfD]: Was ist denn da der Unterschied?) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege Gremmels, herzlichen Dank. – Als In der ganzen Diskussion dürfen wir nicht vergessen, nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Anja dass wir den europäischen Emissionshandel bereits als Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion. Bepreisungssystem haben. Das ist ein marktwirtschaft- liches Instrument; denn es wird dort CO2 eingespart, wo (Beifall bei der CDU/CSU) es am kostengünstigsten ist. Die CO2-Reduktion funkti- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11793

Dr. Anja Weisgerber (A) oniert über die Verknappung der Menge. Ja, wir müssen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) den Emissionshandel international exportieren, weil es Vielen Dank, Frau Kollegin Weisgerber. – Als letzter ein Erfolgsprojekt ist. Redner in dieser Debatte hat der Kollege Carsten Träger, SPD-Fraktion, das Wort. Der Emissionshandel deckt heute bereits die Sektoren Energie und Industrie ab. Nun wird darüber diskutiert, (Beifall bei der SPD) was mit den Sektoren Verkehr und Wärme passieren muss. Hier sind wir mitten in der Diskussion und prüfen Carsten Träger (SPD): alle Modelle. Dabei gilt für uns aber Folgendes: Solche Vielen Dank. – Herr Präsident! Kolleginnen und Kol- Schritte müssen zumindest in Abstimmung mit den eu- legen! Herr Kraft von der AfD, heute haben Sie die Mas- ropäischen Partnern angegangen werden. Eine einseitige ke gelüftet und die Fratze des Hasses gezeigt. Belastung für die Bürgerinnen und Bürger lehnen wir ab. Unserer Ansicht nach muss es doch andere Möglichkei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wider- ten geben, als nur an einer Stelle einseitig die Steuern zu spruch bei der AfD) erhöhen, meine Damen und Herren. Ihnen geht das Angstthema Migration aus. Deshalb su- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – chen Sie ein neues Gespenst. Nun schüren Sie die Angst Bernhard Daldrup [SPD]: Genau! Super!) vor angeblichen Steuererhöhungen. Da liegen Sie falsch. (Beifall bei der SPD) Das Thema darf nicht dazu benutzt werden, dass sich der Staat die Taschen vollmacht. Wir sind uns darüber Sie lügen sich in die Tasche nach dem Motto: Wer einig, dass ein solches Instrument nicht die Mobilität un- nicht an den Klimawandel glaubt, muss ihn auch nicht terdrücken darf. Ich denke da insbesondere an die Pend- bekämpfen. – Aber mit dem Glauben ist das so eine Sa- lerinnen und Pendler in den ländlichen Räumen. che. „Glauben“ heißt nicht „wissen“. Das mag in vielen Fällen nicht tragisch sein. In der Politik aber ist Nicht- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wissen dramatisch, weil wir hier in diesem Hohen Haus weitreichende Entscheidungen zu treffen haben, Ent- Wir dürfen auch nicht zulassen, dass der Industriestand- scheidungen, die das Leben von Millionen Menschen ort Deutschland Schaden nimmt und es in der energiein- in Deutschland betreffen und in dieser Frage des Klima- tensiven Industrie zu Arbeitsplatzverlagerungen ins Aus- wandels sogar das Schicksal unseres Planeten. Da ist Ihr land kommt. Meiner Meinung nach hat die FDP darauf Nichtwissen bedrohlich. Es ist lebensbedrohlich für uns keine Antwort. alle hier, für unsere Kinder und Enkel. (B) (Dr. [FDP]: Schon!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) Im Übrigen: Es gibt bereits heute einige Steuern im des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuru- Energiebereich, zum Beispiel die Energiesteuer, die fe von der AfD) Stromsteuer oder die Kfz-Steuer. Die Steuern sind aber Es ist ja nicht so, dass wir es nicht besser wüssten. nicht konsistent und sind nicht konsequent auf CO2 be- 97 Prozent der Wissenschaftler sagen, dass wir vor einem zogen. Wir müssen all diese Steuern einem CO2-Check Klimawandel stehen, der menschengemacht ist und den unterziehen wir bekämpfen müssen. (Beifall der Abg. Dr. Barbara Hendricks (Karsten Hilse [AfD]: Das ist ein Fake! Das [SPD]) stimmt nicht!) und jedenfalls überall dort mit den Steuern runtergehen, Für alle Menschen, die mit offenen Augen durchs Leben gehen, steht längst fest: Der menschengemachte Klima- wo CO2 eingespart wird. Wir fordern, dass endlich auch mal darüber diskutiert wird, wo Steuern und Abgaben wandel findet statt, und wir müssen alle Anstrengungen abgesenkt werden können – Stichworte „Stromsteuer“ bündeln, um ihn zu stoppen oder wenigstens einzudäm- und „EEG-Umlage“ –; denn wir müssen die Bürgerinnen men. und Bürger entlasten, wenn sie CO2 sparen. Das ist die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lösung. Übertragen auf die Fraktionen in diesem Haus hier: Wir werden uns die notwendige Zeit für die Entwick- Alle stimmen dem zu, bis auf Sie von der AfD. Aber Sie lung der Maßnahmen und für kluge Klimaschutzinstru- kandidieren auch für das Europaparlament, das Sie ab- mente nehmen; denn auch wir vonseiten der Union wol- schaffen wollen, und glauben an das Märchen vom bösen len Klimaschutz. Aber wir wollen auch die Akzeptanz Wolf. Alle anderen sind sich immerhin einig: Wir müssen der Menschen; denn ohne die Akzeptanz der Menschen etwas tun. Wir müssen es dringend tun. Also könnte man ist unser großes gemeinsames Projekt, den Klimawandel sagen: Wohlan! Gehen wir es an! Machen wir was! – einzudämmen, nicht zu machen. Das Projekt wird schei- Leider sind wir uns nicht einig, welchen Weg wir gehen tern, wenn wir die Akzeptanz verlieren. wollen, was wir tun wollen. Dabei sagen uns alle Exper- ten – auch der einfache Menschenverstand sagt uns –: Danke schön. Gebt klimaschädlichem Verhalten einen Preis, und dann wird es weniger stattfinden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) (Beifall bei der SPD) 11794 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Carsten Träger (A) Die Wissenschaft fordert einen solchen Preis schon Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- (C) seit Jahren. Unsere europäischen Nachbarn erheben ei- scher Streitkräfte an der Multidimensionalen nen solchen Preis schon seit Jahren, und zwar mit gutem Integrierten Stabilisierungsmission der Ver- Erfolg. Die Schülerinnen und Schüler von Fridays for einten Nationen in Mali (MINUSMA) Future gehen seit Monaten auf die Straße. Auch die deut- Drucksachen 19/8972, 19/9932 sche Wirtschaft fordert die Einführung einer CO2-Be- preisung. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) und Union, sollten Sie doch mal ins Grübeln kommen. gemäß § 96 der Geschäftsordnung Für uns Sozialdemokraten ist klar: Wir wollen das Drucksache 19/10006 machen. Wir wollen CO einen Preis geben. Wir wollen 2 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion klimaschädlichen Stoffen einen Preis geben. Wir wollen Bündnis 90/Die Grünen vor. einen umweltfreundlichen Preis, der eine Lenkungs- wirkung entfaltet. Das bedeutet einen Preis, der Unter- Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- nehmen sowie Verbraucherinnen und Verbraucher dazu mentlich abstimmen. bewegt, sich klimafreundlich zu verhalten. Das gilt für Produkte mit weniger Verpackungsmüll genauso wie für Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für das Heizen, Kühlen und Autofahren. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wir wollen ein sozial gerechtes System, das kleine und mittlere Einkommen nicht belastet. Der Preis wird Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem keine neue Einnahmequelle des Staates sein. Vielmehr Redner das Wort dem Kollegen Christoph Matschie, werden wir die Einnahmen den Bürgerinnen und Bürgern SPD-Fraktion. zurückgeben. (Beifall bei der SPD) (Karsten Hilse [AfD]: Wer es glaubt, wird selig!) Christoph Matschie (SPD): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen einen intelligenten Anreiz, der Rücksicht da- Warum diskutieren wir über den Bundeswehreinsatz in rauf nimmt, dass sich nicht alle Menschen kurzfristig kli- Mali? Mali ist ein Staat in der Sahelregion, der für die mafreundlich verhalten können, zum Beispiel die schon Stabilität der gesamten Region eine enorme Bedeutung angesprochenen Pendler, die aufs Auto angewiesen sind, hat. In Mali gab es vor einigen Jahren heftige bewaff- oder Menschen, die in energetisch schlechten Wohnun- nete Auseinandersetzungen. Es gab danach einen Frie- gen leben, weil sie sich nicht mehr leisten können. Für densvertrag. Die Bundeswehr ist dort im Rahmen einer (B) diese Menschen brauchen wir kluge Regelungen. (D) internationalen Mission tätig, um die Umsetzung dieses Kolleginnen und Kollegen, wenn uns das gelingt, wer- Friedensvertrags zu unterstützen und abzusichern. den die Menschen diesen Weg mitgehen. Die sauberen (Henning Otte [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Technologien werden die schmutzigen verdrängen. So geht intelligenter und nachhaltiger Klimaschutz. Für uns Klar ist in einer solchen Situation: Entwicklung und Frie- ist klar: Eine CO2-Bepreisung alleine macht nicht selig. den kann es nicht geben, wenn staatliche Autorität nicht Aber sie kann und sie wird einen großen Beitrag zur Er- funktioniert, wenn das staatliche Gewaltmonopol nicht reichung der Klimaziele leisten, weil sie Innovationen funktioniert. Genau an dieser Stelle unterstützt die Bun- und Investitionen in saubere Technologien anreizen und desrepublik Deutschland die malische Regierung und die fördern wird. Entwicklung dort im Land; denn ohne Stabilität ist auch keine Entwicklung möglich. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) So wird Deutschland zum Vorbild für andere. Dann wer- den uns andere folgen. So schützen wir das Klima nicht Für uns ist auch klar: Das ist ein Einsatz unter schwie- nur national, sondern auch global. So fördern wir auch rigen politischen Bedingungen. Es ist aber auch ein ge- den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das sollte doch in fahrvoller Einsatz. Ich bin mit dem Kollegen Koob und unser aller Interesse liegen. der Kollegin Tatti zusammen mit dem Bundesaußenmi- nister im Februar dort gewesen. Wir haben fast hautnah Herzlichen Dank. erlebt, wie gefährlich die Situation dort ist. Damals gab (Beifall bei der SPD – Timon Gremmels es einen großen Anschlag auf das Ausbildungscamp. Ne- [SPD]: Bravo!) ben MINUSMA gibt es nämlich auch noch eine Ausbil- dungsmission, über die wir anschließend reden werden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Beides gehört unmittelbar zusammen; denn am Ende geht es darum, dass wir den malischen Staat in die Lage Vielen Dank, Herr Kollege Träger. – Damit schließe versetzen, die Verantwortung wieder selbst in die Hän- ich die Aktuelle Stunde. de zu nehmen. Das internationale Engagement kann nur Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: eine Unterstützung, eine Brücke in die Zukunft sein. – Beratung der Beschlussempfehlung und des Bei unserer Reise ist aber auch deutlich geworden: Es Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- gibt trotz unseres Engagements keine einfache Aufwärts- schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung entwicklung in diesem Land. Zum Teil hat sich die Situa- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11795

Christoph Matschie (A) tion sogar verschlechtert. Im Zentrum Malis gibt es wie- Rüdiger Lucassen (AfD): (C) der verstärkt bewaffnete Auseinandersetzungen, gibt es Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe heftige Anschläge. Vor wenigen Tagen gab es eine Regie- Landsleute auf der Tribüne und draußen am Bildschirm! rungskrise mit einer kompletten Regierungsumbildung. Der Bundestag wird gleich über die Verlängerung des so- Der Verfassungsprozess kommt nur sehr schleppend vo- genannten Stabilisierungseinsatzes in Mali abstimmen, ran. Die vorgesehenen Wahlen sind verschoben worden. und – Achtung, Spoiler – in den Reihen von CDU/CSU All das sind Rückschläge auf dem Weg, den wir gemein- und SPD werden alle Abgeordnete ihre Hände heben sam mit Mali gehen wollen. Wenn man aber jetzt die Fra- ge stellt: „Wäre es dann sinnlos, in eine solche Operation (Dr. Marcus Faber [FDP]: Nein! Die Karte zu gehen, und ist das Engagement, das die Bundeswehr einwerfen!) dort seit 2013 leistet, umsonst?“, dann kann man, glaube und diesen zum Scheitern verurteilten Einsatz der Bun- ich, sagen: Nein, dieser Einsatz ist nicht umsonst. deswehr um ein weiteres Jahr verlängern. ( [DIE LINKE]: Das erzählen Sie (Beifall bei der AfD – Henning Otte [CDU/ jedes Jahr wieder!) CSU]: Ihnen fällt nichts anderes ein!) – Wir erzählen das, weil die Erfahrung dafür spricht. Die Abgeordneten der Regierungsparteien werden das tun, weil sie es seit 1993 immer so taten, jedes einzelne (Jan Korte [DIE LINKE]: Vielleicht mal drü- Mal. Damals, vor 26 Jahren, brachte die Regierung ihren ber nachdenken! Wie in Afghanistan! Von Jahr ersten Antrag für einen Auslandseinsatz in Somalia ein. zu Jahr wieder!) Seitdem stimmte der Bundestag 195‑mal über den Beginn oder die Verlängerung eines Auslandseinsatzes deutscher Es ist ziemlich deutlich, Herr Kollege: Ohne die interna- Streitkräfte ab. Von diesen 195 Anträgen stimmte das tionale Stabilisierung – das erfährt man in vielen Gesprä- deutsche Parlament – Sie werden es bestimmt erraten – chen vor Ort – wäre die Situation viel, viel schwieriger, 195‑mal zu. Verlässlich wie in Nordkorea, meine Damen wenn nicht gar am Rande eines Bürgerkrieges. und Herren! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD) der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Wie in Afghanistan!) Jetzt zu Ihrem Mali-Antrag. Wir haben dort Gespräche mit Vertretern des malischen (Henning Otte [CDU/CSU]: Na, jetzt sind wir Parlaments und mit Organisationen der Zivilgesellschaft ja mal gespannt!) (B) geführt und auch mit denen geredet, die dort Aufbauar- – Ja, hören Sie gut zu! – Die Bundesregierung spricht (D) beit leisten. Sie alle haben uns gesagt: Ein Mindestmaß immer von einer robusten Friedensmission. Was ist für an Sicherheit ist eine wichtige Voraussetzung für den die Bundesregierung „robust“? Kampfeinsatz? Unter Aufbau des Landes. – Deshalb sind wir da. Punkt 3 – Auftrag – heißt es: „aktiver Schutz des Man- dats von MINUSMA durch das Bekämpfen asymmetri- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ursula scher Angriffe“. Klingt robust. Nur kann Militär keine Groden-Kranich [CDU/CSU]) Angriffe bekämpfen. Angriffe finden statt, und Soldaten Ich will an dieser Stelle noch einmal allen Soldatinnen können sie abwehren. Bekämpfen könnte die Bundes- und Soldaten, die dort im Einsatz sind, Danke schön sa- wehr aber feindliche Truppen, irreguläre Kämpfer oder gen. Es ist ein gefahrvoller Einsatz, und trotzdem setzen Terroristen. Das tut sie aber nicht; denn eine Seite weiter sie sich dieser Gefahr aus. Ich habe in einer Reihe von heißt es im Antrag: Gesprächen, die ich mit unseren Soldatinnen und Solda- Die Teilnahme an Operationen zur Terrorismusbe- ten führen konnte, festgestellt, dass sie sich der Situation kämpfung ist weiterhin nicht vom Auftrag erfasst. sehr bewusst sind. Sie sagen sehr klar und deutlich: Wir haben das Gefühl, dass wir hier an der richtigen Stelle Also kein Kampf. Was versteht die Bundesregierung also sind. Wir finden den Einsatz gut. Wir wollen Mali auf unter „robust“? einem guten Weg in die Zukunft unterstützen. – Deshalb Dann heißt es weiter: „Waffen- und Munitionsma- unterstützt die SPD die Verlängerung dieses Mandats. nagement“. Was ist das? Entwaffnet die Bundeswehr Herzlichen Dank. Rebellen? Nein, darf sie nicht. Was versteht die Bundes- regierung also unter „robust“? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der ganze Antrag ist ein Papier zur Verschleierung, der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Das gespickt mit Worthülsen, wo die Soldaten eigentlich war klar!) Klarheit bräuchten. Das ist unredlich, feige und ange- sichts der Tatsache, dass Sie unsere Männer und Frauen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dieser Gefahr aussetzen, zutiefst verantwortungslos. Vielen Dank, Herr Kollege Matschie. – Als nächster (Beifall bei der AfD) Redner hat der Kollege Rüdiger Lucassen, AfD-Fraktion, das Wort. Die Sicherheitslage in Mali verbessert sich nicht; sie verschlechtert sich stetig. Sie sprechen in Ihrem Antrag (Beifall bei der AfD) mal von „fragil“, mal von „angespannt“, an anderer Stel- 11796 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Rüdiger Lucassen (A) le von „unbeständig“. Das Wetter im April ist unbestän- Henning Otte (CDU/CSU): (C) dig, meine Damen und Herren Abgeordnete. Für einen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und militärischen Einsatz mit über 1 000 deutschen Soldaten ist eine so unpräzise Sprache fehl am Platz. Herren! Es geht um einen sehr wichtigen Auftrag für die Sicherheit und Stabilität. Deswegen lassen Sie mich (Beifall bei der AfD) nach der Rede meines Vorredners noch einmal kurz die Kernelemente darstellen. Es geht um die Umsetzung des Ich frage mich auch: Wo ist der Beitrag des General­ Abkommens für Frieden und Aussöhnung; es geht um inspekteurs bei so einem Antrag? General Zorn ist der die Wiederherstellung der staatlichen Autorität; es geht höchste militärische Berater der Bundesregierung. Wa- um die Förderung der nationalen Aussöhnung auf allen rum lässt er eine solche Verschleierung und eine so un- Ebenen; Schutz von Zivilpersonen vor asymmetrischen präzise Auftragserteilung zu? Er ist Vorgesetzter, er hat Bedrohungen; Gewährleistung des Schutzes des Perso- Fürsorgepflicht, und es sind seine Soldaten, die dieses nals der Vereinten Nationen; Förderung und Schutz der Tarnen und Täuschen der Bundesregierung ausbaden Menschenrechte; Schaffung eines sicheren Umfelds für müssen. humanitäre, zivile Entwicklung; Projekte zur Stabilisie- (Beifall bei der AfD) rung; Waffen- und Munitionsmanagement. Es sind nicht nur die schlecht mandatierten Auslands- Meine Damen und Herren, dieser Auftrag in Mali einsätze; das Gesamtbild dieser Regierung in der Sicher- ist eingebettet in ein umfassendes Stabilitäts- und Si- heits- und Militärpolitik ist völlig aus den Fugen geraten. cherheitskonzept. Es geht darum, deutlich zu machen, dass Stabilität in der Sahelzone notwendig ist, weil eine (Dr. Marcus Faber [FDP]: Ihres auch!) Destabilisierung Konsequenzen nicht nur für die Men- Zu Hause, an der Heimatfront, da bricht es zusammen: schen dort hätte, sondern auch für Europa. Deswegen ist Einsatzbereitschaft des Großgeräts – mangelhaft; Perso- es gut, dass es eine G-5-Sahel-Einheit gibt, bestehend nalgewinnung – mangelhaft; Beschaffungswesen – dys- unter anderem aus Mali, dem Tschad, Mauretanien und funktional. Auf der anderen Seite aber Hunderte Milli- Niger. Es geht darum, deutlich zu machen: Hier wird Ver- onen Euro für Projekte wie die „Gorch Fock“ und für antwortung übernommen für eine ganze Region, die für externe Berater, die sich das BMVg zur Beute machen. uns von so besonderer Bedeutung ist.

(Beifall bei der AfD) Ich kann nur sagen, dass der Besuch unserer Bun- Gleich werden also die Abgeordneten von CDU/CSU deskanzlerin Angela Merkel nicht nur ein Zeichen der Anerkennung war, sondern auch einen klaren Überblick (B) und SPD die Hände heben und den Mali-Einsatz verlän- (D) gern, zum 196. Mal. Es ist ihnen egal, dass diese strate- über die Lage gegeben hat. Die Nationen dort brauchen gielose Politik dort scheitert, – neben der Ausbildung auch Ausrüstung, um ihren Beitrag zu leisten, den Deutschland gerne unterstützt. Deswegen will ich noch einmal sagen: Die eindimensionale Sicht, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die eben zum Ausdruck kam, wird der Verantwortung Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege. Deutschlands nicht gerecht. 60 Nationen sind in Mali im Einsatz, auch unterstützt durch EUCAP Sahel Mali und Rüdiger Lucassen (AfD): EUTM Mali, das heißt 13 000 Soldatinnen und Solda- ten, 1 700 Polizeikräfte und 1 200 zivile Mitarbeiter, die – egal, wie desolat die Lage der Bundeswehr im Hei- gemeinsam einen Beitrag dafür leisten, dass Mali und matbetrieb ist, und egal, welche Risiken die Soldaten für damit die gesamte Region stabilisiert wird; denn es geht diesen unsinnigen Einsatz auf sich nehmen. um ein Schlüsselland. Deswegen ist es gut, meine Damen und Herren, dass wir diesem Antrag der Bundesregierung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und dieser Mandatierung zustimmen. Herr Kollege, ein letzter Satz. (Beifall bei der CDU/CSU)

Rüdiger Lucassen (AfD): Die Bundeswehr ist dort aktuell mit 900 Soldatinnen Jawohl. – Eines bewundere ich dann doch an Ihnen, und Soldaten im Einsatz, und das Mandat hat einen Um- liebe Kollegen: dass Sie sich morgens noch im Spiegel fang von bis zu 1 100 Soldatinnen und Soldaten für Ob- anschauen können. jektschutz und Aufklärung. Dort herrschen Sand, Staub und Weite, und unsere Soldatinnen und Soldaten leisten (Beifall bei der AfD – Zurufe von der CDU/ dort einen sehr bedeutenden Beitrag unter gefährlichen CSU: Oh! – Dr. Marcus Faber [FDP]: Weil wir und erschwerten Bedingungen. Aktuell herrschen dort nicht Sie sehen müssen!) 40 Grad Celsius. Nachts sind es bis zu 30 Grad.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich sage noch einmal deutlich, dass wir nicht wie mein Als nächster Redner hat für die CDU/CSU-Fraktion Vorredner die Arbeit der Soldatinnen und Soldaten ins der Kollege Henning Otte das Wort. Lächerliche ziehen, sondern wir sagen herzlichen Dank für die Arbeit. Diese Arbeit ist unverzichtbar für die Si- (Beifall bei der CDU/CSU) cherung und Stabilität, meine Damen und Herren. Des- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11797

Henning Otte (A) wegen unterstützt die CDU/CSU unsere Bundeswehr, wo sind davon überzeugt, dass Mali alle diese 845 Soldaten (C) sie nur kann. auch dringend braucht.

(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Wie eine solche Unterstützung aussieht, will ich Ih- Deshalb werben wir dafür, dieses Mandat heute zu ver- nen sagen. Die Bundeswehr ist dort mit der Heron im längern. Einsatz. Wir wollen die Heron weiterentwickeln, die er- möglicht, ein umfassendes Lagebild auch auf Distanz zu Verantwortung erschöpft sich aber nicht darin, hier bekommen, ohne dass wir unsere Soldaten gefährden. einfach weiterzumachen, sondern Verantwortung heißt Wir wollen, dass der Einsatz der Heron mit der moder- auch, diesen Einsatz noch besser zu machen. Die Bun- nisierten Ausstattung Heron TP weitergeführt wird. Die desregierung muss deshalb bei den Vereinten Nationen Ausbildung dazu läuft, und ich sage zusätzlich auch noch für eine Schwerpunkterweiterung des Mandats werben. einmal ganz deutlich für die Union: Wenn es notwendig ist, dann wollen wir auch, dass man mit der Heron be- Der Fokus des Einsatzes darf nicht nur auf Nordmali waffnet agieren kann, um unsere Soldatinnen und Solda- liegen. Denn besonders fragil ist die Lage derzeit in Zen- ten zu unterstützen. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass tralmali. Die Zahl der bewaffneten Konflikte nimmt dort wir bereit sind, unsere Unterstützung für die Soldaten zur zu. Die Zahl der Anschläge durch improvisierte Spreng- Verfügung zu stellen, wenn es denn sein muss. fallen hat sich hier von 2017 auf 2018 verdreifacht.

(Rüdiger Lucassen [AfD]: Ein weiteres Indiz Die traurige Wahrheit ist auch, dass wir unserer Auf- für den Zustand der Koalition!) gabe, dem Schutz der Zivilbevölkerung, dort nicht voll- Denn am Ende ist eines von unverzichtbarer Bedeutung: ends gerecht werden. Sonst hätte es einen Anschlag der Schutz unserer Truppe, meine Damen und Herren. wie im März mit über 130 Todesopfern nicht gegeben. Das sind wir auch den Familien schuldig. Deshalb brauchen wir eine Schwerpunkterweiterung hin nach Zentralmali, und zwar so schnell wie möglich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der FDP)

Insgesamt geht es darum, dass wir Verantwortung Meine Damen und Herren, diese Schwerpunkterweite- übernehmen: für unser Land, für Deutschland, für die rung sollte aber nicht nur geografisch sein; sie muss auch Bündnisverteidigung, aber auch für die Konfliktbewäl- inhaltlich sein. Unsere Soldatinnen und Soldaten vor Ort tigung und die Stabilisierung dort, wo es notwendig ist. sind sehr gut ausgebildet, und sie leisten hervorragende (B) Mali hat eine Schlüsselfunktion. Mali ist von besonderer Arbeit. Das sollten wir nutzen und diese Fähigkeiten (D) Bedeutung für die Sahelzone. Deswegen geht es darum, auch besser weitergeben. Ausbildung und Weiterbildung dort Stabilität zu erzeugen. Denn nur mit einem stabilen von Soldaten aus verbündeten Staaten sollten wir stärker Mali können wir einen Beitrag leisten, damit Konflikte in den Blick nehmen. nicht zu uns kommen und damit wir Frieden und Frei- heit bewahren können, meine Damen und Herren. Wir Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit Sprengfallen, bitten um Unterstützung und um Zustimmung für dieses sogenannten IED. Sowohl beim Erkennen als auch beim so wichtige Mandat. Entschärfen haben wir hier sehr gute Fähigkeiten. Dieses Wissen sollten wir nach dem Prinzip „Train the Trainer“ Herzlichen Dank. an verbündete Nationen wie Tschad, Guinea oder Bang- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ladesch weitergeben. Denn auch damit tragen wir dazu ordneten der SPD) bei, dass Mali nicht länger der gefährlichste Einsatzort der Bundeswehr bleibt.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der FDP) Vielen Dank, Herr Kollege Otte. – Als nächster Red- ner hat der Kollege Dr. Marcus Faber, FDP-Fraktion, das Da ich gerade von „gefährlich“ spreche, komme ich Wort. direkt zum nächsten Punkt, werte Kollegen von der AfD. Sie lehnen den Einsatz ab. Sie halten ihn nicht nur für (Beifall bei der FDP) kurzsichtig, sondern auch für gefährlich. Das halte ich wiederum für gefährlich; denn wir reden hier von einer Dr. Marcus Faber (FDP): Region, in der Menschen das Land verlassen, weil die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Konflikte außer Kontrolle geraten. Aus Ländern wie Kollegen! Meine Damen und Herren! Deutschland ist Mali kommen die Flüchtlinge, gegen die Sie Tag für Tag erst vor wenigen Wochen für zwei Jahre in den Sicher- wettern. Bevor Sie allerdings Leute dahin zurückschi- heitsrat der Vereinten Nationen eingezogen. Das ist eine cken wollen, wo sie aus Ihrer Sicht hingehören, wäre es Aufgabe mit sehr großer Verantwortung. Heute können aus meiner Sicht schlauer, dafür zu sorgen, dass sie gar wir hier zeigen, dass wir dieser Verantwortung auch ge- nicht erst wegmüssen. recht werden. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das können Wir haben derzeit 845 deutsche Soldaten im UN-Ein- wir aber nicht! Das ist eben der Fehler, den satz MINUSMA in Mali, und wir Freien Demokraten Sie machen!) 11798 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Marcus Faber (A) Wir müssen die Fluchtursachen dort bekämpfen. Wir ethnisch ausgerichteten Miliz handelte, die von Dutzend (C) müssen dort für Frieden und Stabilität sorgen. Uniformierten begleitet wurden. (Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD] verlässt Wir wissen doch, dass in viele solcher Gewaltta- den Plenarsaal – Thomas Hitschler [SPD]: Er- ten auch Soldaten der malischen Armee verstrickt sind. folgreich vertrieben!) Und genau diese Armee soll nun im Rahmen des neuen ­MINUSMA-Mandates auch bei Operationen aktiv unter- – Da können Sie ruhig gehen, Herr Gauland. – Wir Freien stützt werden. Demokraten ducken uns da nicht weg. Wir stehen für die Verlängerung des MINUSMA-Mandates. Die Bundeswehr verhindert keinen Bürgerkrieg in Mali, sondern wird unter dem Dach von MINUSMA (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Teil der militärischen Eskalation. Das ist die Realität, die der CDU/CSU) Herr Maas zur Kenntnis nehmen sollte. Deshalb, Frau von der Leyen: Passen Sie das Mandat bitte an die aktuelle Situation in Mali an! Ich würde mich (Beifall bei der LINKEN) auch freuen, wenn Sie auch Missionen wie im Niger mit Was die Flüchtlinge angeht: Auch da hat sich, anders unseren Spezialkräften in Zukunft mandatieren würden. als die Bundesregierung unterstellt, nichts getan. Die Vielen Dank. Zahl der Binnenflüchtlinge hat sich sogar im letzten Jahr verdreifacht. (Beifall bei der FDP) Doch anstatt den Menschen zu helfen, ist die Bundes- regierung vor allem damit beschäftigt, in der Sahelzone Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Flüchtlinge weiter mit militärischen und polizeilichen Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Faber. – Als nächste Mitteln abzuwehren. Das ist zutiefst inhuman und zy- Rednerin hat die Kollegin Christine Buchholz, Fraktion nisch. Die Linke, das Wort. Der Blauhelmeinsatz bringt übrigens nicht nur keinen (Beifall bei der LINKEN) Frieden. Es gibt eine Zusammenarbeit mit dem soge- nannten Antiterrorkampf der französischen Armee. Diese Christine Buchholz (DIE LINKE): führt im Rahmen der Kampfoperation Barkhane nächtli- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war in che Razzien und gezielte Tötungen durch. den letzten Jahren viermal in Mali – das letzte Mal im Im letzten Jahr deckte die „Welt“ auf, dass die Bun- Februar –, und die Lage hat sich in diesen Jahren im- deswehr mit einer Drohne eine nächtliche Razzia in ei- (B) mer weiter verschlechtert. Der Bundeswehreinsatz und nem Dorf unterstützt hat. Offenbar ist das kein Einzelfall. (D) MINUSMA haben daran nichts geändert. Im Gegenteil: Gestern bestätigte mir der Generalinspekteur im Vertei- Das Land wurde nicht befriedet, sondern zunehmend digungsausschuss, dass diese Art der Unterstützung bis militarisiert. Die bewaffneten Konflikte haben sich vom heute weiterläuft. Norden nach Zentralmali und auch in die Regionen aus- gedehnt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaub- lich!) Ich will an der Stelle ganz deutlich sagen: Die Linke lehnt es ab, wenn im Niger Spezialkräfte der Bundeswehr Ich frage Sie: Wie viele sogenannte Verdächtige sind nigrische Soldaten ausbilden, und das auch noch ohne bei solchen Razzien verschleppt und ermordet worden? Bundestagsmandat. Es kann doch nicht angehen, dass die Bundeswehr wie in Afghanistan nun auch in Mali solche Mordoperationen (Beifall bei der LINKEN) unterstützt. Es ist höchste Zeit: Die Bundeswehr muss raus aus Mali (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte und allen anderen Sahelstaaten. [CDU/CSU]: Mann, Mann, Mann! Gut, dass (Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/ Sie in Deutschland leben!) CSU]: Und die Linksfraktion muss raus aus Die Bundesregierung verfolgt in Mali übrigens keine dem Bundestag!) humanitären Ziele. Das „Handelsblatt“ brachte es jüngst Außenminister Maas behauptete hier vor einem Mo- auf den Punkt: Es gehe in der Sahelzone darum, sich ein nat – Zitat –, ohne MINUSMA gäbe es „Bürgerkrieg und Stück von der amerikanischen Militärmacht zu emanzi- Hunderttausende Flüchtlinge“. Ich weiß, ehrlich gesagt, pieren und – ich zitiere – selbstständig Interessen durch- nicht, was er bei seiner letzten Reise nach Mali gemacht zusetzen. hat. Denn diese Einschätzung hat nichts mit der Realität (Jan Korte [DIE LINKE]: Genau darum geht zu tun. Es gibt doch jetzt Bürgerkrieg und Hunderttau- es!) sende von Flüchtlingen. Genau so ist es. Es geht der Bundesregierung um die ei- Ist es denn kein Bürgerkrieg, wenn wie im März bei gene sogenannte militärische Glaubwürdigkeit, um den einem Massaker in der Ortschaft Ogossagou 157 Men- geostrategischen Interessen des deutschen Kapitals in ei- schen getötet werden? Die Opfer waren Zivilisten, die ner rohstoffreichen Region Einfluss zu verschaffen. Angreifer waren es nicht. Überlebende berichten, dass es sich bei ihnen um rund 100 bewaffnete Männer einer (Henning Otte [CDU/CSU]: Billig!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11799

Christine Buchholz (A) Es geht Ihnen nicht um die malische Bevölkerung. Da Die Ursachen sind sozialer, wirtschaftlicher und poli- (C) können Sie krakeelen, wie Sie wollen. Ich glaube, Sie be- tischer Natur. Sie müssen entsprechend politisch adres- weisen damit nur, dass ich offenbar einen wunden Punkt siert werden: bei Ihnen getroffen habe. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei der LINKEN – Christoph Matschie SES 90/DIE GRÜNEN) [SPD]: Was für ein Unfug! – Henning Otte [CDU/CSU]: Eine billige Rede!) durch verstärkte zivile Krisenprävention, durch erhöh- ten politischen Druck auf alle Akteure im Friedens- und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Aussöhnungsprozess und gerade auch durch die stärkere Frau Kollegin Buchholz, kommen Sie bitte zum Beteiligung der Zivilgesellschaft und von Frauen in die- Schluss. sen Prozessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Christine Buchholz (DIE LINKE): sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Linke sagt: Frieden und Gerechtigkeit können nicht von außen nach Mali gebracht werden. Sie müssen Hier ist vor allen Dingen auch die neue malische Regie- von innen erkämpft werden. Das macht man nicht mit rung gefordert. Ich sage aber auch: In dieser komplizier- der Bundeswehr. Deswegen werden wir auch diesmal das ten Lage muss der Nutzen des Mandates kontinuierlich MINUSMA-Mandat ablehnen. bewertet werden.

Vielen Dank. Hochproblematisch finden wir in diesem Zusammen- (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte hang die immer stärkere Vermischung der UN-Missi- [CDU/CSU]: Überraschung!) on mit der militärischen Aufstandsbekämpfung in den G-5-Sahelstaaten durch deren gemeinsame Eingreiftrup- pe und die französische Operation Barkhane. Ich sage

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: klar: Es ist eine Sache, sich für eine demokratische Ent- Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege wicklung und den Friedensprozess in Mali im UN-Rah- Dr. Frithjof Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen. men zu engagieren, es ist eine andere, sich etwa mit dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diktatorischen Regime von Idriss Déby im Tschad zu ver- bünden und es zu unterstützen. (B) (D) Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Das muss aufhören und darf nicht mit der UN-Mission Grüne haben der Friedensmission MINUSMA bisher heillos vermischt werden. Das gilt übrigens auch für die mit großer Mehrheit zugestimmt und werden es trotz der Ausbildung nigrischer Spezialkräfte ohne Mandat in Ni- komplizierten Lage in Mali diesmal wieder tun. Warum? ger. Ohne MINUSMA hätte es kein Friedensabkommen für den Norden Malis gegeben. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der Mandatsverlängerung im Sicherheitsrat dafür einzu- Für uns ist entscheidend, dass die Mission den Druck setzen, die militärische Unterstützung der G 5 aus dem auf die Schlüsselakteure im Konflikt aufrechterhält, das Mandat für MINUSMA zu streichen. Friedensabkommen von Algier umzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Rücktritt der gesamten malischen Regierung und die Bildung der neuen Regierung Cissé sind Ausdruck Es ist nach wie vor die zentrale Aufgabe der Mission, einer dramatischen politischen Krise im Land. Es gibt dazu beizutragen, die Lage in Mali so zu stabilisieren, dadurch jetzt aber auch die Chance auf einen Neuanfang dass eine politische Lösung der Konflikte überhaupt ge- mit den nötigen Reformen und einer Deeskalation der funden werden kann. Denn es herrscht momentan eine Lage in Zentralmali. Art Stillstand bei der Umsetzung des Friedensabkom- mens, die von mehreren Gruppen gezielt verschleppt Wenn dies nicht gelingt, ist die Gefahr groß, dass die wird. Es ist richtig, das zu kritisieren. Auch das En- politischen Grundlagen für diese wichtige UN-Mission gagement der malischen Regierung und ihr Bemühen weiter erodieren. Die internationale Gemeinschaft ist um politische Reformen sind bisher nicht ausreichend deshalb gerade jetzt gefordert, sich politisch noch stärker gewesen. Und ja, es ist richtig: Die Sicherheitslage hat einzusetzen, dies zu verhindern. sich in einigen Regionen des Landes noch verschlechtert. Dass sich die gewalttätigen Auseinandersetzungen jetzt Danke für die Aufmerksamkeit. auch in Zentralmali ausbreiten und dabei instrumentell ethnische Konflikte geschürt werden, das ist besonders (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beunruhigend. sowie bei Abgeordneten der SPD) 11800 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Diese Probleme beschränken sich aber keineswegs nur (C) Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt. – Als nächster auf Mali. Vielmehr betreffen sie die gesamte Sahelzone. Redner hat das Wort der Kollege Andreas Nick, CDU/ Mit ihrem Besuch hat die Bundeskanzlerin in der ver- CSU-Fraktion. gangenen Woche in den G-5-Staaten Burkina Faso, Mali (Beifall bei der CDU/CSU) und Niger noch einmal die Bedeutung der Region für uns in Deutschland und in Europa sowie den Handlungsbe- darf vor Ort unterstrichen. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Wir müssen unsere Partner im Sahel noch stärker dazu Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit befähigen, selbst Sicherheitsverantwortung zu überneh- sechs Jahren leistet die Bundeswehr einen erheblichen men. Die deutsche und europäische Unterstützung für Beitrag zur Stabilisierung Malis und zum Schutz der Zi- die G-5-Staaten bei der Finanzierung, Ausbildung und vilbevölkerung vor Ort. Zusammen bilden die VN-Missi- Ertüchtigung der „Force Conjointe du G5 Sahel“ ist ein on MINUSMA und die EU-Ausbildungsmission EUTM wichtiger Schritt dazu. mit einer Mandatsobergrenze von 1 450 Einsatzkräften den derzeit größten Auslandseinsatz der Bundeswehr. Al- Ich weise darauf hin: Der Generalsekretär der Verein- len unseren Soldatinnen und Soldaten vor Ort, darunter ten Nationen, Guterres, hat diese Woche erneut auch die auch den Angehörigen des Sanitätsregiments 2 aus Ren- Erteilung eines robusten UN-Mandates nach Kapitel VII nerod in meinem Wahlkreis, gilt unser besonderer Dank. für die „Force Conjointe“ gefordert. Wir bedauern aus- drücklich, dass dies bislang vor allem am Widerstand der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Vereinigten Staaten gescheitert ist. Wir finden die An- SPD und der FDP) führung rein finanzieller Gründe und den Fokus auf die Ich wiederhole hier bewusst, was ich bereits vor an- rein bilaterale Arbeit der USA in dieser Region für nicht derthalb Jahren in einer Debatte zu diesem Mandat ge- leicht nachvollziehbar. sagt habe: Der Einsatz in Mali zählt zu den anspruchs- Denn unsere Sicherheitsinteressen in Europa sind hier vollsten und gefährlichsten, die wir bisher mandatiert unmittelbar berührt. Eines ist klar: Eine Verschärfung der haben. Daraus ergibt sich für uns Parlamentarier eine Krise im Sahel hätte direkte Auswirkungen auch auf die ganz besondere Verantwortung. Ich möchte hierbei auf Sicherheitslage bei uns, sei es in Form verstärkter Migra- zwei Aspekte näher eingehen. tionsbewegungen oder der Ausbreitung der terroristi- Der erste ist operativer Natur. Es ist von zentraler Be- schen Bedrohung aus der Region. deutung, dass unsere Soldatinnen und Soldaten bei einem Der Einsatz der Bundeswehr in Mali schafft Sicherheit (B) solchen Einsatz auf die bestmögliche Ausrüstung zurück- sowohl in Afrika als auch bei uns in Europa und trägt (D) greifen können. Ich will nochmals betonen, dass wir uns dazu bei, die Voraussetzungen für eine in Eigenverant- bei künftigen Beschaffungsvorhaben noch stärker an den wortung umgesetzte politische Lösung in der Region Anforderungen einer Armee im Einsatz orientieren müs- Sahel zu bereiten. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt der sen. Verlängerung des Mandats deshalb zu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Das gilt vielleicht noch dringlicher für die Wartungs- und Instandhaltungsverträge mit privaten Dienstleistern, wie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wir es beim Thema TIGER erlebt haben. Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Nick. – Als nächs- ter Redner hat für die SPD-Fraktion der Kollege Thomas Wenn wir hier in namentlicher Abstimmung unse- Hitschler das Wort. re Soldatinnen und Soldaten für einen solchen Einsatz mandatieren, dann ist es auch unsere Verantwortung, im (Beifall bei der SPD) Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung die hierfür notwendigen Mittel bereitzustellen. Thomas Hitschler (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Soldatinnen und Soldaten sind aktuell Damit komme ich zur strategischen Evaluierung. Im bei MINUSMA in einer Situation, in der sie an ihre Gren- Sinne unseres Grundsatzes der vernetzten Sicherheit zen gehen müssen. Sie leisten ihren Dienst bei Tempera- kann ein militärischer Einsatz stets nur Teil eines um- turen von über 40 Grad Celsius und bei einer Luftfeuch- fassenden Prozesses zur politischen Konfliktlösung und tigkeit zwischen 55 und 75 Prozent. Das verlangt auch zum Aufbau lokaler Sicherheitsstrukturen sein. einem trainierten Soldatenkörper sehr viel ab. Angesichts der anhaltend fragilen Lage in Mali – das Hand aufs Herz: Wahrscheinlich wäre kaum einer ist schon angesprochen worden – hat die militärische von uns in der Lage, unter solchen Umständen gute und Absicherung des Friedensprozesses nicht an Bedeutung konzentrierte Arbeit ableisten zu können. Die Soldatin- verloren. Obwohl durch MINUSMA der Konflikt im nen und Soldaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, er- Norden weitestgehend eingedämmt werden konnte, be- füllen bei diesen extremen Bedingungen ihren Dienst, drohen ethnische Spannungen, islamistische Extremisten den wir hier mandatiert haben. Was wir dabei nie ver- und kriminelle Netzwerke weiterhin die Stabilität des gessen dürfen: MINUSMA ist ein gefährlicher Einsatz; Landes. das haben viele Vorrednerinnen und Vorredner betont. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11801

Thomas Hitschler (A) 195 Angehörige der UN-Friedensmission sind seit ihrem Soldatinnen und Soldaten, die in den Einsatz gehen, ihre (C) Beginn 2013 gefallen, darunter auch zwei Hubschrauber- Schutzwesten bereits in Deutschland bekommen, also piloten der Bundeswehr. Wir denken heute auch an sie, keinen Moment ohne Schutz im Einsatz sind. Das, liebe wenn wir über dieses Mandat abschließend beraten. Kolleginnen und Kollegen, ist wichtig, und darauf müs- sen wir auch künftig pochen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN) Was aber noch nicht in ausreichender Stückzahl vor- Wir reden also über das gefährlichste Einsatzgebiet, in handen ist, sind besondere Teile der Bekleidung wie das wir unsere Truppe zurzeit schicken. Dieser Tragweite beispielsweise die Combatausrüstung oder, wenn im sind wir uns bewusst. Wir haben den allerhöchsten Res- Spätsommer die Regenzeit beginnt, in manchen Berei- pekt vor dem persönlichen Einsatz unserer Soldatinnen chen der Nässeschutz. Hier müssen wir gemeinsam Wege und Soldaten und sind ihnen dankbar für ihren Dienst. finden, dass künftig kein Soldat und keine Soldatin ohne Wir schulden unseren Frauen und Männern aber nicht diese notwendigen Ausrüstungsgegenstände in den Ein- nur Respekt und Dank; wir schulden ihnen auch unseren satz geht. Einsatz für die bestmöglichen Rahmenbedingungen bei diesem Mandat. Wir, Kolleginnen und Kollegen, haben in der Großen Koalition vor wenigen Wochen einen wichtigen Schritt (Beifall bei der SPD) gemacht und 1,3 Milliarden Euro für die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten bewilligt. Das Im vergangenen Jahr, Kolleginnen und Kollegen, war war gut, das ist richtig so, und genau das müssen wir in ich selbst in Mali und habe von dort vier Hausaufgaben Zukunft verstetigen. für uns mitgebracht, die die Truppe mir bei Gesprächen vor Ort aufgegeben hatte. Das waren die Verbesserungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Zuverlässigkeit von Hin- und Rückflügen für Men- der CDU/CSU) schen und Material, der Transport vom und zum Flugha- fen Bamako in geschützten Fahrzeugen, die Fertigstel- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: lung der Unterkünfte und des Standorts Niamey in Niger Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. sowie die Modernisierung der persönlichen Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten. Thomas Hitschler (SPD): Und: Wie mir die Soldatinnen und Soldaten in den Lassen Sie mich zum Schluss feststellen: MINUSMA letzten Tagen berichtet haben, klappt die An- und Ab- ist wichtig für Mali; die Bundeswehr ist wichtig für reise mittlerweile deutlich besser. Die Flüge zwischen (B) MINUSMA. Lassen Sie uns deshalb diesen Einsatz fort- (D) Köln und Bamako sind in der Regel pünktlich. Auch führen! beim Transport vom Flughafen zum Lager hat sich eini- ges verbessert. Die Transporte finden jetzt in geschützten Vielen Dank. Fahrzeugen statt, wie es die Truppe vor Ort in der Ver- gangenheit als sinnvolle Verbesserung gefordert hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Auch bei der Infrastruktur hat sich mittlerweile ein Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hoher Standard etabliert; das ist gut und wichtig. Des- Herzlichen Dank, Herr Kollege Hitschler. – Als letz- halb danke ich auch den zuständigen Stellen im Verteidi- ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat mit dem gungsministerium, liebe Frau von der Leyen. Wir tragen Anspruch auf ungeteilte Aufmerksamkeit der Kollege nämlich gemeinsam Verantwortung für die Männer und Dr . Volker Ullrich das Wort. Frauen im Einsatz. Es ist entscheidend, dass wir diese Verantwortung auch gemeinsam wahrnehmen und nicht (Beifall bei der CDU/CSU) nur darüber sprechen. Es gibt für uns alle aber auch ein paar zentrale Punk- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): te, um die wir uns künftig gemeinsam kümmern müssen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- zum Beispiel die finale Umsetzung der Baumaßnahmen ren! Mit der Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in in Niamey, ein wichtiger Bestandteil für den gesamten Mali übernehmen wir eine besondere Verantwortung. Wir Einsatz. Es ist bedauerlich, dass der Baufortschritt nicht tun das deswegen, weil diese Stabilisierungsmission mit im Zeitplan ist. Grundsätzlich lässt sich aber über die In- über 50 teilnehmenden Nationen und über 11 000 Solda- frastruktur sagen, dass die Soldatinnen und Soldaten sich ten in internationale Verantwortung eingebettet ist. im Einsatz mittlerweile gut geschützt und sicher fühlen. Die Verantwortung ergibt sich aber auch daraus, dass Sie wohnen in klimatisierten und gut geschützten Unter- dieser Einsatz anspruchsvoll und gefährlich ist. Und künften; diese sind mittlerweile die Regel und nicht die doch ist er notwendig und verantwortbar, weil es nicht Ausnahme. nur um das Abkommen von Algier, um die Frage der Aber: Wenn unserer Soldatinnen und Soldaten ins Aussöhnung im Norden von Mali, sondern weil es auch Freie gehen, trifft sie die Hitze wie ein Hammerschlag. darum geht, dass wir klar und deutlich machen, dass wir Und genau da kommt es auf die individuelle persönli- eine Verantwortung für Westafrika und die Sahelzone che Ausstattung an. Ein deutlicher Fortschritt ist auch insgesamt haben. Wir können nicht auf der einen Seite dabei erreicht worden. Wir haben es geschafft, dass die von mehr Verantwortung, die wir übernehmen, und von 11802 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Volker Ullrich (A) der Stabilisierung von staatlichen Strukturen sprechen auftreten würden. Deswegen: Wer von Verantwortung (C) und auf der anderen Seite dann nicht bei diesem wichti- in der westafrikanischen Zone spricht, wer über Verant- gen Einsatz dabei sein. Es geht um die Durchsetzung von wortung im Sahelbereich spricht, der kann diese Mission Menschenrechten, um die Stabilisierung der Zivilgesell- nicht ablehnen. Es geht darum, dass wir mit dieser Mis- schaft und letzten Endes auch darum, Verhältnisse in der sion einen Beitrag leisten, dass diese Region im Interesse Sahelzone zu schaffen, die das Leben der Menschen dort der Menschen, die dort leben, stabiler wird. besser machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich erinnere daran, dass es bereits einmal durch die ordneten der SPD) Destabilisierung in dieser Region zu den Verhältnissen gekommen ist, die wir heute vorfinden. Mali war von Wir werden von den Menschen, gerade auch von der 1992 bis 2012 eine in relativem Maßstab stabile Demo- jungen Generation gefragt werden: Was tut ihr für unsere kratie. Durch die Vorkommnisse in Libyen und durch Freiheit und für Frieden? – Wir wissen, dass Frieden und die Destabilisierung der Region sind diese Konflikte erst Freiheit Sicherheit brauchen. Wir wissen auch, dass Sta- entstanden. Wir müssen alles dafür tun, dass solche Kon- bilität und der Aufbau eines demokratischen Gemeinwe- flikte zukünftig vermieden werden, auch im Interesse der sens geschützt werden müssen. Wenn der Staat dies nicht Menschen. Das ist unsere Verantwortung. selbst kann, dann braucht er Hilfe von außen. Die vielen Blauhelmsoldaten, die in Mali unterwegs sind, sind für (Beifall bei der CDU/CSU) einige Menschen, vielleicht sogar für viele Menschen in Mali ein Zeichen der Hoffnung: dass wir Verantwortung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: übernehmen und sich in dieser Region die Verhältnisse Herr Kollege Dr. Ullrich, kann ich Sie einen klei- zum Besseren wenden. nen Moment unterbrechen? Ich halte auch die Redezeit Deswegen ist es richtig, diesen Einsatz zu befürwor- an. – Ich bitte das Plenum wirklich um Ruhe und würde ten. Unser Dank und unsere Anerkennung gelten allen auch der Regierungsbank raten, Frau Ministerin, dass die Soldatinnen und Soldaten, die sich in diesem Einsatz be- Zwiegespräche eingestellt werden. Das ist nicht üblich, finden. wenn ein Redner hier redet; das meine ich in allem Ernst. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der AfD und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich habe heute Nacht nichts vor; ich habe Nachtdienst. Wir sind jetzt bei 3.15 Uhr; wir können das gerne noch Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (B) ein bisschen länger hinauszögern. Wenn der Redner kei- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ullrich, auch für Ihr (D) ne Ruhe für seine Rede bekommt, werde ich ihn nicht Durchhaltevermögen. – Damit schließe ich die Ausspra- weiterreden lassen. Ich bitte wirklich darum, die Ruhe zu che. bewahren. Das gilt auch für den Kollegen Wadephul und andere, die kleine Schwätzchen halten, auch für Herrn Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Storjohann; alle kommen Sie heute ins Protokoll. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, in allem Ernst: Der rung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- Redner hat die ungeteilte Aufmerksamkeit verdient, und scher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten ich bitte, ihm auch zuzuhören. – Herr Kollege Dr. Ullrich, Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali, Sie haben das Wort. MINUSMA.

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Es liegen hierzu mehrere persönliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung des Herr Präsident, ich möchte darauf hinweisen, dass es Bundestages vor.1) natürlich auch Kritik an diesem Mandat gibt. Diese Kritik müssen wir ernstnehmen und daraus auch entsprechende Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Handlungsaufträge entwickeln. Wir wissen, dass im Au- lung auf Drucksache 19/9932, den Antrag der Bundesre- genblick der Anteil des Eigenschutzes relativ hoch, aber gierung auf Drucksache 19/8972 anzunehmen. unumgänglich ist. Wir wissen, dass es zu Rückschlägen kommt, gerade weil im Bereich Zentralmali die Dschiha- Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na- disten ethnische Konflikte instrumentalisieren, um damit mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- den Staat Mali zu spalten. Wir wissen auch um die innen- führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind politische Instabilität des Landes, welches sich jetzt mit jetzt alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist erkenn- einer neuen Regierung auf den Weg gemacht hat, Stabi- bar der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über die lität zu gestalten. Beschlussempfehlung. Aber die Frage, die wir uns stellen müssen, auch vor Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sei- dem Hintergrund des furchtbaren Massakers vom März ne Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich in Ogossagou, ist, ob denn die Situation verbessert wür- nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstimmung und de, wenn wir und wenn andere Staaten sich zurückziehen bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der würden, oder ob die Situation noch schlimmer werden würde mit all den Problematiken, die für die Menschen 1) Anlage 2 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11803

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung arbeiten Frauen aus ganz unterschiedlichen gesellschaft- (C) wird Ihnen später bekannt gegeben.1) lichen Gruppen zusammen, und sie versuchen, einen Garten für das Leben mitten in der Wüste zu schaffen, Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich jetzt und vor allem schaffen sie Frieden. wirklich wieder hinsetzen; denn wir kommen nun zur Ab- stimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Unter der Beteiligung von 42 ganz unterschiedlichen Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/10009. Ich Frauenorganisationen wird dieser Garten dem Anbau gehe davon aus, dass auch die Mitglieder der AfD-Frak- von Bohnen, Salat, Roter Bete oder auch Tomaten ge- tion mitbekommen haben, worum es jetzt geht. widmet. Was soll ich Ihnen sagen? Wenn Sie auf die- (Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist meist nicht sen Garten schauen, dann – das können Sie hoffentlich so!) nachvollziehen – öffnet sich mein Herz. Die Erzeugnisse werden dann auf dem Markt in Timbuktu angeboten und Noch einmal: Wir kommen jetzt zur Abstimmung über verschaffen den Frauen und ihren Gemeinschaften eine den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Lebensgrundlage. Darauf können sie sehr stolz sein. Wir, Grünen auf Drucksache 19/10009. Wer stimmt für diesen liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten das mit ihnen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- sein. haltungen? – Keine. Dann ist ganz einfach festzustellen, dass dieser Entschließungsantrag gegen die Stimmen der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller der CDU/CSU) anderen Fraktionen des Hauses abgelehnt ist. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Das verpflichtet uns aber auch zu ihrer Unterstützung. Und mehr noch: Wir sollten dieses Projekt schützen, lie- – Beratung der Beschlussempfehlung und des be Kolleginnen und Kollegen; denn in Mali kommt es Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Auf der einen Seite kämpfen die überwiegend noch no- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- madisch lebenden Tuareg, die von der Viehzucht leben, scher Streitkräfte an der Militärmission der auf der anderen Seite mehr oder weniger die sesshaften Europäischen Union als Beitrag zur Ausbil- schwarzafrikanischen Bauern. Das Wiederaufflammen dung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) der bewaffneten Konflikte im Jahre 2012 hat in der Tat viele Menschenleben gekostet. Der massive Konflikt dort Drucksachen 19/8971, 19/9933 zog zunehmend auch radikal-islamistische Gruppen an. Diesen blutigen Konflikt zu befrieden, ist mit ein Grund (B) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) (D) gemäß § 96 der Geschäftsordnung dafür, warum sich Deutschland an diesen militärischen Unterstützungen in Mali beteiligt. Drucksache 19/10007 Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- Zur Präzisierung: Wir haben eben über MINUSMA mentlich abstimmen. gesprochen. Ich will noch mal deutlich machen, was EUTM Mali leisten kann. Es handelt sich um eine Bera- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für tungs- und Trainingsmission, um die G-5-Sahelstaaten zu die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- unterstützen. Dort sind 620 Personen aus 25 Staaten im nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Einsatz. Aus Deutschland werden maximal 350 Solda- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- tinnen und Soldaten gestellt. Ich will auch eine Erfolgs- nerin der Kollegin Dr. Daniela De Ridder, SPD-Fraktion, meldung liefern, weil das in diesen Zeiten für Mali so das Wort notwendig ist: Bisher sind dort 13 000 Angehörige der malischen Streitkräfte ausgebildet worden. Dafür, liebe (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Kolleginnen und Kollegen, gehört den dort stationierten CDU/CSU) Soldatinnen und Soldaten unser tiefer Dank. und bitte, die kleinen Schwätzchen einzustellen und der Rednerin zu lauschen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Ulrich Lechte [FDP]) Dr. Daniela De Ridder (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine lieben Kollegin- Das Beispiel des Friedensgartens zeigt aber auch, dass nen und Kollegen! Wenn ich auf Mali schaue – im Übri- wir nicht nur eine Verpflichtung auf der Grundlage der gen eines der ärmsten Länder dieser Erde –, dann mischt Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sich bei mir immer große Sorge mit viel Hoffnung. Be- haben. Nein, es geht viel weiter. Es geht bei dieser Aus- sonders beeindruckt hat mich das Projekt Friedensgarten bildungsmission nämlich darum, dass wir ein krisenge- in Timbuktu. Bei diesem Projekt handelt es sich um ein beuteltes Land stabilisieren und dass die Menschen in Vorhaben, das insbesondere von der Welthungerhilfe un- Mali mit unserer Unterstützung ein selbstbestimmtes Le- terstützt wird und unter dem Titel „Peace Garden“ läuft. ben führen können. Und ja, wir können das keineswegs Es ist ein Projekt, das vor allem durch Frauen lebt. Hier nur durch militärisches Engagement leisten. Deshalb braucht es hier einen ressortübergreifenden Ansatz. Aber 1) Ergebnis Seite 11805 C auch das militärische Engagement ist ein ganz wesentli- 11804 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Daniela De Ridder (A) cher Ansatz in unseren Leitlinien, die da heißen: Krisen verschlechterte sich die Sicherheitslage in Mali deutlich. (C) verhindern, Konflikte bewältigen und Frieden fördern. Woran liegt das, und welche Schlüsse ziehen wir daraus? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der eigentliche Grund der deutschen Präsenz, der Ich will noch mal deutlich machen, dass es zwei As- Konflikt zwischen den Tuareg und der Regierung von pekte sind, die bei der Verlängerung dieses Mandates Mali, ruht gegenwärtig. Die Wiederwahl Keïtas mit Zu- eine zentrale Rolle spielen. Es geht bei dieser Ausbil- stimmung der nordmalischen Eliten ist ein deutlicher dungsmission nicht nur darum, im Sicherheitsbereich Beweis. Dies ist dem Einsatz und dem Geld der Welt- tätig zu werden. Es geht darüber hinaus auch um eine gemeinschaft zu verdanken. Doch an die Stelle des al- Vermittlung von Grundwerten und Menschenrechten so- ten Konflikts sind zwei neue getreten: der interethnische wie um die Fragen der Demilitarisierung, der Demobili- Konflikt von Milizen gegen bestimmte Volksgruppen sierung und der Wiedereingliederung. Das ist an dieser und ein asymmetrischer Krieg von islamischen Dschiha- Stelle so wichtig. disten gegen die Regierung und ihre Unterstützer. Die Lösung des interethnischen Krieges ist klare Auf- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gabe der Regierung; doch die ist eher Teil des Problems. Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin. Ich erinnere hier nur an das Massaker von Ogossagou im März dieses Jahres. Ich frage Sie: Wo verfolgt die Regie- rung Keïta Kriegsverbrechen? Wo verfolgt sie Übergriffe Dr. Daniela De Ridder (SPD): auf die Zivilbevölkerung? Wo zeigt sich die Bereitschaft Auch in dieser Komplexität müssen wir dies begrei- der Regierung, ihrer Pflicht gegenüber allen Bevölke- fen. Deshalb darf ich Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- rungsgruppen Malis nachzukommen? gen, im Namen der SPD-Fraktion um die Unterstützung für dieses Mandat und vor allem für die Menschen in (Beifall bei der AfD) Mali bitten. Es ist doch eher zu befürchten, dass der interethnische Vielen Dank. Konflikt sowie das Verhalten der Regierung und der Si- cherheitskräfte den Dschihadisten weiter in die Hände (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten spielen. Dadurch kann der vielfach beschworene vernetz- der CDU/CSU und des Abg. Ulrich Lechte te Ansatz kaum Wirkung entfalten. [FDP]) Das alles konterkariert die Bemühungen der Weltge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: meinschaft. Es konterkariert auch die deutschen Bemü- (B) Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält für die hungen. Schlimmer noch: Dschihadisten ist ihr Leben (D) AfD-Fraktion der Kollege Gerold Otten das Wort. ebenso egal wie das ihrer potenziellen Ziele, und zu diesen zählen nun auch deutsche Soldaten der Trainingsmission. (Beifall bei der AfD) Das hat der Anschlag auf das Lager Koulikoro gezeigt. Genau dort, in Koulikoro, werden malische Sicherheits- Gerold Otten (AfD): kräfte weiterhin ausgebildet. Da sind MINUSMA und EUTM Mali nicht voneinander zu trennen. Das ist auch Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! eine Folge der Verschärfung der Sicherheitslage. Ich sehe Die Bundesregierung macht es sich sehr einfach mit den aber keine Reaktion der Bundesregierung, nur weitere beiden Mandaten für Mali. Sie möchte die Zustimmung Floskeln und weiteres Durchwurschteln wie bisher. des Bundestages, auch um unseren Soldaten den Rü- cken zu stärken; denn, so konnte man in der ersten Le- (Beifall bei der AfD) sung hören, man zeige die Bereitschaft Deutschlands zur Übernahme von Verantwortung in der Welt, und dort sei Wenn wir den militanten politischen Islam in Mali schließlich auch die Armee der Europäer am Entstehen. bekämpfen wollen, dann hilft keine Symbolpolitik. Eine kluge politische Führung weiß, wann und mit welchen Meine Damen und Herren, die Regierung spricht hier Mitteln militärisches Engagement sinnvoll ist und wann wie so oft von Friedens- oder Stabilisierungsmissionen, nicht. Die Bundesregierung will aber immer nur irgend- weil sie den eigentlichen Zweck von Streitkräften nicht wie dabei sein. An der Trainingsmission selber wird un- zu verstehen scheint. verändert festgehalten. Sie soll ja auch dazu dienen, so (Widerspruch der Abg. Dr. Daniela De Ridder heißt es, dass die Malis ihre Sicherheit irgendwann selbst [SPD]) in die Hände nehmen können. Das klingt zunächst gut; aber ich frage Sie: Glauben Sie denn wirklich, dass in Unsere Verantwortung gilt aber zuallererst unseren Sol- Schnellkursen ausgebildete malische Soldaten das schaf- daten, die von uns in den Einsatz geschickt werden, fen, woran in der Vergangenheit selbst moderne Armeen (Beifall bei der AfD) gescheitert sind? Kissinger hat mal dazu gesagt: Irregulä- re gewinnen, wenn sie nicht verlieren, aber Reguläre ver- in einen Einsatz, der Gefahren für Leib und Leben be- lieren, wenn sie nicht gewinnen. – Da passen Stimmen inhaltet. Dieses Risiko muss durch das Ziel und auch ins Bild, die bereits jetzt vor einer Afghanistanisierung durch die Wahl der Mittel gerechtfertigt sein. Aber trotz Malis warnen. Es gibt einen schnell fortschreitenden Milliardenbeträgen der Weltgemeinschaft, trotz des ver- Kontrollverlust über weite Teile des Landes und eine sich netzten Ansatzes und trotz des deutschen Engagements ständig verschärfende Sicherheitslage. Daher verbarrika- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11805

Gerold Otten (A) dieren sich die malischen Sicherheitskräfte zunehmend zweifelhafte Banden unterstützt werden, dann sollten wir (C) in ihren Stützpunkten. Alles genau wie in Afghanistan. unsere Ressourcen sparen und sie sinnvoller einsetzen.

Bohrt man aber tiefer, wie wir es mit einer Kleinen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Anfrage getan haben, erfährt man Erstaunliches über Wenn man will, dass Keïta seine Reformversprechen EUTM Mali. Die Bundesregierung weiß nicht, wie vie- endlich einlöst und allen Volksgruppen in Mali Sicher- le malische Soldaten von unseren Soldaten ausgebildet heit garantiert, dann stellen Sie den deutschen Anteil wurden; oder besser die ganze Trainingsmission infrage. Dann werden wir sehen, welchen Wert er unserem Einsatz bei- (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Stimmt misst. Nur so verstärken wir den politischen Druck auf nicht!) ihn. Um das geschehen zu lassen, lehnen wir den Antrag der Bundesregierung ab. es steht eine grob gerundete Zahl von 10 000 hier im Raum. Sie kann auch keine Aussagen über den Aus- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. bildungserfolg treffen. Und wo die Soldaten nach ihrer (Beifall bei der AfD) Ausbildung eingesetzt werden: Fehlanzeige. Aber sie weiß zumindest, dass im Durchschnitt nur zwei von drei

geplanten Lehrgängen durchgeführt werden. Weil man Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sich aber bei den Malis nicht ganz sicher sein kann, gibt Vielen Dank, Herr Kollege Otten. es auch Kurse in humanitärem Völkerrecht und über Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, Menschenrechte. Das beruhigt vielleicht Ihr schlechtes gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schrift- Gewissen, hat aber mit der Lebenswirklichkeit in Mali führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- nichts zu tun. mung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bun- (Beifall bei der AfD – Dr. Daniela De Ridder desregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter [SPD]: Da spricht der Mali-Experte!) deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Inte- grierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Eine Überprüfung des Mandats muss also zu fol- Mali (MINUSMA)“, Drucksachen 19/8972 und 19/9932, gendem Schluss kommen: Wenn das Ausbildungsziel bekannt: abgegebene Stimmen 641. Mit Ja haben ge- der Trainingsmission nicht überprüfbar ist, wenn sogar stimmt 486, mit Nein haben gestimmt 153, Enthaltun- die Gefahr besteht, dass durch unsere Trainingsmission gen 2. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. (B) (D)

Endgültiges Ergebnis Ingo Gädechens Abgegebene Stimmen: 640; Dr . davon Dr. Reinhard Brandl ja: 485 Michael Brand (Fulda) Ansgar Heveling nein: 153 Ursula Groden-Kranich Dr. enthalten: 2 Sebastian Brehm Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Alexander Hoffmann Ralph Brinkhaus Ja Michael Grosse-Brömer Dr. Astrid Grotelüschen Hans-Jürgen Irmer CDU/CSU Markus Grübel Dr. Andreas Jung Michael Donth Norbert Maria Altenkamp Monika Grütters Marie-Luise Dött Philipp Amthor Fritz Güntzler Torbjörn Kartes Hansjörg Durz Thomas Erndl Dr. Stefan Kaufmann Hermann Färber Thomas Bareiß Florian Hahn Jürgen Hardt Matthias Hauer Michael Kießling Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) Dr . Georg Kippels Dr. Dr. Dr . André Berghegger Thorsten Frei Dr. Hans-Peter Friedrich Jens Koeppen (Hof) (Chemnitz) Peter Beyer Mark Helfrich Carsten Körber 11806 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Alexander Krauß Dr . Volker Ullrich Ulrich Freese (C) Dr. Christoph Ploß Arnold Vaatz Dr. Günter Krings Oswin Veith Michael Gerdes Rüdiger Kruse Kerstin Vieregge Michael Kuffer (Kleinsaara) Angelika Glöckner Dr. Roy Kühne Alexander Radwan Timon Gremmels Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Alois Rainer Andreas G. Lämmel Dr. Dr. Johann David Wadephul Michael Groß Nina Warken Uli Grötsch Ulrich Lange Dr. Johannes Röring Albert H. Weiler Rita Hagl-Kehl Dr. Norbert Röttgen (Hamburg) Metin Hakverdi Dr . Anja Weisgerber Dr. Peter Weiß (Emmendingen) Dirk Heidenblut Dr. Andreas Lenz Sabine Weiss (Wesel I) Hubertus Heil (Peine) Dr. Ursula von der Leyen Dr . Wolfgang Schäuble Gabriela Heinrich Marian Wendt Dr. Barbara Hendricks Dr. Dr. Annette Widmann-Mauz Christian Schmidt (Fürth) Bettina Margarethe Gabriele Hiller-Ohm Nikolas Löbel Patrick Schnieder Wiesmann Thomas Hitschler Nadine Schön Klaus-Peter Willsch Dr. Eva Högl Dr. Jan-Marco Luczak Elisabeth Winkelmeier- Daniela Ludwig Dr. Klaus-Peter Schulze Becker Josip Juratovic Dr . Thomas de Maizière (Weil am Emmi Zeulner Dr . Rhein) Johannes Kahrs Dr. (B) Hans-Georg von der Marwitz (D) SPD Stephan Mayer (Altötting) Dr. Dr. Patrick Sensburg Ingrid Arndt-Brauer Elvan Korkmaz Dr. h. c. Hans Michelbach Björn Simon Dr. Mathias Middelberg Christian Lange (Backnang) Nezahat Baradari Dr. Karl Lauterbach Karsten Möring Helge Lindh Dr. Dr . Wolfgang Stefinger Kirsten Lühmann Bärbel Bas Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Lothar Binding (Heidelberg) Christoph Matschie Axel Müller Dr. Matthias Miersch Sepp Müller Dr. Karl-Heinz Brunner Carsten Müller (Rostock) (Braunschweig) Christian Frhr. von Stetten Martin Burkert Stefan Müller (Erlangen) Dr. Lars Castellucci Dr. Andreas Nick Gero Storjohann Bernhard Daldrup Siemtje Möller Dr. Daniela De Ridder Bettina Müller Dr. Detlef Müller (Chemnitz) Dr . Georg Nüßlein Esther Dilcher Michelle Müntefering Michael Stübgen Dr. Rolf Mützenich Florian Oßner Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr . Ulli Nissen Hans-Jürgen Thies Saskia Esken Henning Otte Alexander Throm Sylvia Pantel Dr . Dr. Johannes Fechner Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. Fritz Felgentreu Aydan Özoğuz Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11807

(A) Nicole Bauer Frank Sitta Dr. Irene Mihalic (C) Jens Beeck Dr. Claudia Müller Florian Post Nicola Beer Bettina Stark-Watzinger Beate Müller-Gemmeke Dr. Dr. Marie-Agnes Strack- Ingrid Nestle (Rhein-Neckar) Zimmermann Dr. Konstantin von Notz Sönke Rix Mario Brandenburg (Südpfalz) Friedrich Ostendorff Dr. Dr. Marco Buschmann Linda Teuteberg Filiz Polat Dr. Karlheinz Busen Michael Theurer Tabea Rößner Susann Rüthrich Carl-Julius Cronenberg Stephan Thomae Claudia Roth (Augsburg) Bernd Rützel Britta Katharina Dassler Dr. Manuela Rottmann Sarah Ryglewski Bijan Djir-Sarai Dr . Florian Toncar Manuel Sarrazin Johann Saathoff Dr . Andrew Ullmann Ulle Schauws Axel Schäfer (Bochum) Dr. Marcus Faber Dr. Frithjof Schmidt Dr. Nina Scheer Daniel Föst Johannes Vogel (Olpe) Stefan Schmidt Marianne Schieder Sandra Weeser Dr . Wolfgang Strengmann- Thomas Hacker Kuhn Dr. Torsten Herbst (Aachen) Katja Hessel BÜNDNIS 90/ Jürgen Trittin Dr. Gero Clemens Hocker (Erfurt) DIE GRÜNEN Dr . Julia Verlinden Manuel Höferlin Daniela Wagner Luise Amtsberg Dr. Christoph Hoffmann Beate Walter-Rosenheimer Kerstin Andreae Lisa Badum Annalena Baerbock Olaf In der Beek Fraktionslos (Spandau) Dr. Danyal Bayaz Uwe Kamann Dr. Dr. Franziska Brantner (B) Thomas L. Kemmerich (D) Agnieszka Brugger Nein Rita Schwarzelühr-Sutter Dr . Anna Christmann Dr. SPD Ekin Deligöz Katja Dörner Cansel Kiziltepe Martina Stamm-Fibich Katharina Dröge Dr. Lukas Köhler Sonja Amalie Steffen Harald Ebner René Röspel Matthias Gastel Wolfgang Kubicki Kai Gehring AfD Alexander Graf Lambsdorff Dr. Bernd Baumann Anja Hajduk Ulrich Lechte Marc Bernhard Markus Töns Britta Haßelmann Carsten Träger Dr. Bettina Hoffmann Ute Vogt (Heilbronn) Dr . Anton Hofreiter Stephan Brandner Marja-Liisa Völlers Ottmar von Holtz Jürgen Braun Dirk Vöpel Dr . Jürgen Martens Dieter Janecek Marcus Bühl Gabi Weber Dr. Kirsten Kappert-Gonther Matthias Büttner Alexander Müller Uwe Kekeritz Roman Müller-Böhm Katja Keul Tino Chrupalla Gülistan Yüksel Dr. Martin Neumann Sven-Christian Kindler (Lausitz) Maria Klein-Schmeink Dr. Gottfried Curio Oliver Krischer Siegbert Droese Dr. Jens Zimmermann Christian Kühn (Tübingen) Thomas Ehrhorn Dr. Stefan Ruppert Renate Künast Berengar Elsner von Gronow FDP Dr . h. c. Markus Kurth Dr. Renata Alt Christian Sauter Sven Lehmann Christine Aschenberg- Dr . Wieland Schinnenburg Steffi Lemke Dietmar Friedhoff Dugnus Matthias Seestern-Pauly Dr . Tobias Lindner Dr . 11808 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Hansjörg Müller Heidrun Bluhm Petra Pau (C) Dr. Götz Frömming Volker Münz Michel Brandt Sören Pellmann Dr. Alexander Gauland Sebastian Münzenmaier Christine Buchholz Dr . Axel Gehrke Birke Bull-Bischoff Tobias Pflüger Jan Ralf Nolte Jörg Cezanne Franziska Gminder Sevim Dağdelen Gerold Otten Fabio De Masi Eva-Maria Schreiber Kay Gottschalk Dr. Dr. Petra Sitte Mariana Iris Harder-Kühnel Tobias Matthias Peterka Anke Domscheit-Berg Helin Evrim Sommer Dr. Roland Hartwig Paul Viktor Podolay Klaus Ernst Kersten Steinke Jürgen Pohl Susanne Ferschl Friedrich Straetmanns Dr . Udo Theodor Hemmelgarn Martin Erwin Renner Sylvia Gabelmann Roman Johannes Reusch Alexander Ulrich Lars Herrmann Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Dr. Robby Schlund Dr . André Hahn Andreas Wagner Karsten Hilse Jörg Schneider Heike Hänsel Harald Weinberg Uwe Schulz Matthias Höhn Dr. Bruno Hollnagel Andrej Hunko Hubertus Zdebel Ulla Jelpke Leif-Erik Holm Dr. Dirk Spaniel René Springer Dr . Achim Kessler Fabian Jacobi BÜNDNIS 90/ Dr. Dr . DIE GRÜNEN Jens Kestner Jan Korte Dr . Harald Weyel Canan Bayram Wolfgang Wiehle Erhard Grundl Norbert Kleinwächter Dr . Heiko Wildberg Sylvia Kotting-Uhl Sabine Leidig Dr . Christian Wirth Jörn König Ralph Lenkert (B) Fraktionslos (D) Steffen Kotré Dr. Rainer Kraft Stefan Liebich Marco Bülow DIE LINKE Rüdiger Lucassen Dr. Gesine Lötzsch Dr. Doris Achelwilm Thomas Lutze Enthalten Gökay Akbulut Dr . Birgit Malsack- Cornelia Möhring BÜNDNIS 90/ Winkemann Dr. DIE GRÜNEN Lorenz Gösta Beutin Norbert Müller (Potsdam) Monika Lazar Andreas Mrosek Matthias W. Birkwald Zaklin Nastic Lisa Paus

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, lauschen wir Wahlkreises, der Kurmainz-Kaserne, aus der viele Solda- den Worten der Kollegin Ursula Groden-Kranich, CDU/ tinnen und Soldaten in Auslandseinsätze berufen werden, CSU-Fraktion. geführt, und sie haben mich sehr bewegt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte auch heute die Gelegenheit nutzen und diesen Männern und Frauen danken. (CDU/CSU): Ursula Groden-Kranich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ordneten der SPD und der FDP) Liebe Soldatinnen und Soldaten! Liebe Gäste! Im ver- gangenen Jahr habe ich zum ersten Mal an der Solda- Danke an unsere Soldatinnen und Soldaten für alles, tenwallfahrt nach Lourdes teilgenommen und dort viele was sie in Mali und an allen anderen Auslandsstandor- Gespräche mit Soldatinnen und Soldaten, auch aus ande- ten leisten, für die dortige Bevölkerung und genauso für ren Ländern, geführt, auch darüber, was es bedeutet, in uns alle hier, die wir ein ganz unmittelbares Interesse an Auslandseinsätzen zu dienen: körperlich, psychisch, für einem stabilen Afrika haben. Ich habe den Soldatinnen die Familien, für das Miteinander in der Truppe. Und die- und Soldaten damals versprochen: Ich werde mich bei se Gespräche habe ich auch in einer der Kasernen meines allen Abstimmungen zu Bundeswehrmandaten an diese Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11809

Ursula Groden-Kranich (A) Begegnungen erinnern und, wo immer ich kann, dazu und die Gefährlichkeit von Auslandseinsätzen beklagen. (C) beitragen, dass sie unsere Unterstützung haben, die Un- Das ist verantwortungslos. terstützung des deutschen Parlamentes, das sie in diese schwierigen Missionen schickt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ich habe den Soldatinnen und Soldaten in Lourdes SPD und der FDP) versprochen, an sie zu denken und im Parlament für ihre Sache zu werben. Von daher bitte ich Sie nun herzlich, Bundeskanzlerin Merkel war erst kürzlich in Mali, und dem Antrag auf Fortsetzung von EUTM Mali zuzustim- sie hat noch einmal bestätigt, dass Mali und die Länder men. der Region enorm auf unsere Hilfe angewiesen sind. Wir wollen so weit stabilisieren, dass die Region irgendwann Herzlichen Dank. aus eigener Kraft Sicherheit herstellen und bewahren kann. Dies umso mehr, als völlig klar ist, dass dort – im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Gegensatz zu anderen internationalen Schauplätzen – die ordneten der SPD) Hauptlast bei der EU liegt und auch weiterhin liegen wird. Die USA zeigen hier nicht den Hauch von Interes- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: se, Verantwortung zu übernehmen. Das müssen wir Eu- ropäer in Mali alleine hinkriegen, in einer nicht immer Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner ganz einfachen, aber ganz wichtigen Zusammenarbeit spricht zu uns der Kollege Ulrich Lechte, FDP-Fraktion. ganz intensiv mit unseren französischen Freunden. (Beifall bei der FDP) Worum geht es uns bei EUTM Mali? Was sind dort die Aufgaben unserer Bundeswehr? Im März 2015 wurde in Ulrich Lechte (FDP): Mali das auf vier Jahre ausgelegte Streitkräfteplanungs- gesetz erlassen, und wir haben maßgeblich daran mit- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gewirkt, dieses Gesetz mit Leben zu füllen. Mit EUTM Kollegen! Werte Gäste! Die Entscheidung über die Be- Mali ergänzen wir die Mission MINUSMA, über die wir teiligung an beiden Mali-Missionen war diesmal nicht gerade gesprochen haben. Der Schwerpunkt liegt aber leicht. Bei der Beratung in den Ausschüssen konnten wir jetzt auf der Ausbildung der malischen Streitkräfte, da- zwar über einige Schwierigkeiten sprechen, aber nicht mit sie zukünftig die Kontrolle über ihr Staatsgebiet und alle kritischen Punkte ausräumen. darüber hinaus ausüben können. Die EU unterstützt die gemeinsame Einsatztruppe der G-5-Sahelstaaten, weil Die Sicherheitslage verschlechtert sich. Das gilt jetzt (B) wir nur mit einem regionalen Ansatz bei der Bekämpfung nicht mehr nur für den Norden, sondern, wie schon be- (D) von Terrorismus und grenzüberschreitender Kriminalität richtet, leider auch für Zentralmali. Da ist natürlich weiterkommen können. Zudem ist es ein wichtiges Ziel, die Frage berechtigt, was wir denn mit unserer Ausbil- irreguläre Migration zu begrenzen und den Schleppern in dungsmission seit 2013 erreicht haben. Wir haben circa Afrika keine neue Fluchtroute zu eröffnen. 13 000 Soldaten der malischen Armee ausgebildet – heißt es. Das ist ja schön. Aber was können die denn nun? Wel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und che militärischen Fähigkeiten haben sie? Und wie sieht der SPD) es mit der Achtung der Menschenrechte aus? Denn auch das sind Ausbildungsinhalte, die wir dort unterrichten. Seit 2015 hat es an vielen Stellen Fortschritte gege- Die Bundesregierung konnte diese Fragen nicht zufrie- ben. Klar ist aber, dass die malischen Streitkräfte zum denstellend beantworten. Wir haben keinen Überblick – jetzigen Zeitpunkt noch nicht so weit sind, Operationen und das, obwohl wir den Missionskommandeur stellen. eigenständig zu planen und durchzuführen. Wenn unser bisheriger Einsatz also Sinn machen und nachhaltig wir- Aber wie sollten wir auch einen Überblick haben? ken soll, müssen wir den Einsatz unserer Soldatinnen Nach einem mehrwöchigen Training werden die Absol- und Soldaten verlängern, damit sie weiterhin am Auf- venten ohne internationale Berater in die Unruheprovin- bau von selbstständigen und funktionierenden malischen zen im Zentrum und im Norden des Landes verlegt. Wir Streitkräften mitwirken können. wissen aber nicht genau, wohin. Somit sind auch mögli- che Erfolge unserer Ausbildung nur schwer überprüfbar. Ja, es stimmt – auch Bundeskanzlerin Merkel hat es Aber angesichts der Sicherheitslage kann man vermuten, bei ihrem letzten Aufenthalt wieder bestätigt –: Mali ist dass allein das Training nicht ausreicht. momentan die gefährlichste Mission der Bundeswehr. Gerade deswegen richte ich die dringende Bitte an Sie, Was wäre zu tun? Es hat sich gezeigt, dass die mali- unsere Soldatinnen und Soldaten bestmöglichst auszu- schen Soldaten meist dann erfolgreicher operieren, wenn statten und damit die möglichen Gefahren so kalkulierbar sie durch internationale Kräfte im Feld begleitet und an- und gering wie irgend möglich zu halten. geleitet werden. Das machen zwar die Franzosen, aber wir Was nicht geht: mehr Stabilität in Afrika wollen, nicht. Warum nicht? Die Resolution 2423 des UNO-Si- Fluchtursachen bekämpfen wollen, Teil eines starken cherheitsrats von 2018 sieht ausdrücklich gemeinsame Europas in der Welt sein wollen, aber gleichzeitig immer Operationen mit der Armee von Mali sowie einsatzbe- vor Verteidigungsausgaben zurückschrecken gleitende Unterstützung und Mentoring vor. Diese Reso- lution wird sowohl in unserem MINUSMA-Mandatstext (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) als auch im EUTM-Mandatstext erwähnt. Aber warum 11810 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Ulrich Lechte (A) haben wir diese Möglichkeit aus dem UNO-Mandat nicht Sie mit zwei Fragen konfrontiert werden, nämlich ers- (C) in unsere Bundestagsmandate übernommen? tens: „Warum ist die Bundeswehr eigentlich dort?“, und zweitens: Wie läuft das eigentlich? (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Diese Frage konnte mir die Bundesregierung ebenfalls Zur ersten Frage hat die Bundeskanzlerin sich im letz- nicht zufriedenstellend beantworten. ten Sommer vor Kommandeuren der Bundeswehr geäu- ßert. Sie erklärte – ich zitiere die Pressemeldung –, (Beifall bei der FDP) Eine solche einsatzbegleitende Unterstützung würde üb- „wie die Dinge gehen“. Erst habe es terroristische rigens auch ganz eindeutig ein Mandat des Bundestages Attacken in Frankreich gegeben, dann habe Paris erfordern. Bei dem EUTM-Mandat, wie es jetzt vorliegt, „eine Art Bündnisfall“ ausgerufen und um Hilfe ge- bin ich mir seit kurzem aber nicht mehr so sicher. beten, „und plötzlich sind wir in Afrika“. Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels – gerade Genau so war es. Zwar hat Frankreich sich damals eher war er noch da; er musste wohl zum Telefonieren nach Hilfe im Kampf gegen den IS in Syrien erhofft, und Mali draußen – hat am Dienstag meines Erachtens zu Recht hat auch nichts mit dem Terroranschlag in Paris zu tun – kritisiert, dass die Mission Gazelle im Niger ohne Betei- aber egal. ligung des Bundestags beschlossen wurde. Darauf hat die Regierung geantwortet, dass diese Mission unterhalb der Frank-Walter Steinmeier hat zu Beginn seiner zwei- Mandatsschwelle liege, weil es nur eine Ausbildungs- ten Amtszeit als Außenminister im Jahr 2013 gesagt, es mission sei und eine Verwicklung in Kampfhandlungen ginge nicht länger, dass Frankreich sich nur um Afrika unwahrscheinlich sei. Ja, gilt denn das Gleiche dann kümmert und Deutschland nur um Osteuropa. Allerdings nicht auch für EUTM Mali? Was sind genau die Kriteri- haben die französischen Interessen in Afrika eine kolo- en, ab wann uns die Regierung einen Auslandseinsatz zur niale Geschichte und eine Tradition der militärischen Mandatierung vorlegen muss? Auch das konnte die Bun- Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Ich finde, dazu desregierung im Auswärtigen Ausschuss nicht zufrieden- sollten wir lieber Abstand halten. stellend beantworten. Hier besteht Handlungsbedarf: (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Wie läuft eigentlich der Einsatz? Ich habe mir mal den Wir brauchen eine klare Abgrenzung – übrigens für uns Spaß gemacht, auf der offiziellen Seite von EUTM Mali alle hier im Raum – zwischen zustimmungspflichtigen Mandaten und Missionen auf Geheiß des Verteidigungs- nachzuschauen. Sie können das auch gerne tun. Dort gibt (B) ministeriums. Und unseren Soldaten sind wir Rechtssi- es einen zweiminütigen Film bzw. eher eine Diashow mit (D) cherheit schuldig, meine Damen und Herren. glücklichen malischen und EU-Soldaten, dazu die Slo- gans: „one goal“, „together“ und „to train“, „we are uni- Trotz unserer Bedenken werden die Freien Demokra- ted“. Toll! Das Leben in Mali ist leider kein Werbefilm. ten dem Mandat zustimmen. Wir wollen den Streit zwi- Die Sicherheitslage – wir haben es von vielen Rednern schen Regierung, Wehrbeauftragtem und unserem Parla- gehört – wird schlechter, der Friedensprozess kommt ment nicht auf dem Rücken unserer Soldaten austragen. nicht voran, und wir haben es mit einem ernsten Dilemma Die machen nämlich in Mali und Niger eine hervorragen- zu tun. Zwar kann die Europäische Union und auch die de Arbeit, obwohl sie unter einer so schlechten und un- Bundeswehr die malische Armee ausbilden, wir können informierten Regierung dienen und auch leiden müssen. aber nicht entscheiden, was die malische Armee tut und wie sie es tut. So berichtet die UNO, dass malische Sol- (Beifall bei der FDP) daten auf einem Wochenmarkt in Boulikessi zwölf Men- Dafür bedanke ich mich bei unseren tapferen Soldatinnen schen ohne Verfahren willkürlich getötet haben. Schon und Soldaten. zuvor haben UN-Ermittler über ähnliche Vorkommnisse berichtet: Malische Soldaten hätten Häuser angezündet, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Zivilisten gekidnappt und erschossen, hieß es. Außerdem (Beifall bei der FDP) wird in 44 Fällen von außergerichtlichen Hinrichtungen durch malische Soldaten ermittelt.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wenn die Bundeswehr Soldaten ausbildet, die so han- Herzlichen Dank, Herr Kollege Lechte. – Als nächs- deln, dann trägt auch Deutschland Mitverantwortung für ter Redner hat der Kollege Stefan Liebich, Fraktion Die deren Opfer. Das dürfen wir nicht zulassen. Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wenn die malische Regierung Einsätze für von der Stefan Liebich (DIE LINKE): Bundeswehr ausgebildete Soldaten anordnet und diese Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Einsätze den Friedensprozess eher zurückwerfen als vo- Wenn Sie in den nächsten Wochen in Ihren Wahlkreisen ranbringen, dann können wir als Bundestag zwar nichts zu Hause erklären müssen, dass der größte Auslandsein- dagegen tun, tragen aber doch auch Verantwortung für satz der Bundeswehr 5 000 Kilometer entfernt im west­ Konsequenzen. Genauso ist es geschehen. Dem können afrikanischen Mali stattfindet, dann kann es sein, dass wir doch nicht zustimmen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11811

Stefan Liebich (A) Angela Merkel hat mal gesagt: gierung angesagt, wenn es zu so fürchterlichen Vorfällen (C) kommt wie dem, wo zwölf Zivilisten durch die malische Wir haben die Erfahrung gemacht, dass deutsche Armee auf einem Viehmarkt getötet worden sind. Bei Soldaten in Mali gut sind, aber am allerbesten, wenn solchen schrecklichen Ereignissen muss die Bundesre- sie zur Ausbildung der malischen Soldaten einge- gierung viel entschlossener reagieren. setzt werden … Dabei schwingt so eine Idee mit, nämlich dass man mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) reinen Ausbildungsmissionen irgendwie Verantwortung Sie dürfen hier nicht wegschauen, und Sie müssen da- zeigt, ohne tatsächlich Verantwortung zu übernehmen. raus auch die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Das Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. bedeutet zum Beispiel: Sorgen Sie dafür, dass Ausbil- (Zurufe von der CDU/CSU) dungsinhalte im Bereich der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts noch mehr ausgebaut werden Wenn es schiefgeht, dann stecken wir mittendrin. Das und auch politisch ein größeres Gewicht bekommen. darf so nicht bleiben. Meine Damen und Herren, niemand will, dass sich (Beifall bei der LINKEN) die Angriffe von Islamisten und die Übergriffe auf die Anknüpfend an den Kollegen Lechte, allerdings mit Zivilbevölkerung wiederholen, die wir 2012 beobachten einer anderen Konsequenz, will ich auch noch mal auf mussten. Es ist von zentraler Bedeutung für die Men- das aktuelle Beispiel zu sprechen kommen. Das, was wir schen in Mali, dass es irgendwann Sicherheitskräfte gibt, hier jetzt diskutieren und entscheiden, ist kein exekutiver die sie vor Gewalt und Terror schützen, Sicherheitskräf- Einsatz. Die Soldaten sind nicht berechtigt, Kampfhand- te, die gut ausgebildet wurden und denen die Menschen lungen durchzuführen oder die malische Armee zu be- vertrauen können. Es war von Anfang an klar, dass diese gleiten. Sie dürfen Waffen nur zum Selbstschutz tragen. Mission kein einfaches Unterfangen sein würde. Berech- Trotzdem diskutieren und entscheiden wir hier darüber tigte Kritik darf dann aber eben nicht in besserwisseri- und verleihen ein Mandat für diesen Einsatz. Ich finde scher Schwarzmalerei enden, und es wäre keine kluge den Vorwurf des Wehrbeauftragten des Deutschen Bun- Entscheidung, jetzt in Mali einfach hinzuwerfen. Das destages, dass genau das Gleiche in Niger auch passiert, würde den Menschen dort auch nicht helfen. total berechtigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- sowie bei Abgeordneten der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN) Das Ziel der Mission bleibt ja richtig: verantwor- Die Soldaten sollen dort ausbilden, müssen sich zum tungsbewusste malische Sicherheitskräfte, die einer (B) (D) Selbstschutz bewaffnen, weil die Lage so gefährlich ist, starken politischen Kontrolle unterliegen und in denen und hier im Deutschen Bundestag wird nicht darüber dis- früher verfeindete Gruppen der Gesellschaft gemeinsam kutiert und entschieden. für mehr Sicherheit für die Menschen in Mali sorgen. Deshalb werden wir Grüne dem Mandat heute wieder (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und mit großer Mehrheit zustimmen. Aber lassen Sie mich des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in Richtung der Bundesregierung eines ganz deutlich Ein selbstbewusstes Parlament müsste das Parla- sagen: Das ist keine Selbstverständlichkeit, und das ist mentsbeteiligungsgesetz an dieser Stelle klarstellen und auch nicht in Stein gemeißelt. Eine erfolgreiche Ausbil- nicht, Herr Lechte, die Regierung bitten, anders zu han- dung gibt es nur, wenn es auch umfassende, nachhalti- deln. Wir werden zu diesem Vorstoß Nein sagen und zu ge Reformen des Sicherheitssektors gibt. Dazu gehören dem Mandat insgesamt auch. Verbesserungen bei der Polizei, bei der Justiz und bei der Bekämpfung von Korruption. Der Erfolg dieser Ausbil- (Beifall bei der LINKEN) dungsbemühungen hängt sehr davon ab, ob es endlich Fortschritte im Friedens- und Versöhnungsprozess gibt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das betrifft auch das Mandat, das wir vorher hier beraten Herzlichen Dank, Herr Kollege Liebich. – Als nächs- haben. Da hätte ich mir von der Bundeskanzlerin mehr te Rednerin erhält das Wort die Kollegin Agnieszka Klartext bei ihrer Reise nach Mali gewünscht. Brugger, Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Meine Damen und Herren, wir Grüne haben auch SES 90/DIE GRÜNEN) schon in den vergangenen Mandatsberatungen, sowohl zu MINUSMA als auch zu EUTM, kritisiert, dass Sie Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 2016 die Ausbildung der Eingreiftruppe der G-5-Sahel- NEN): staaten – Niger, Tschad, Burkina Faso, Mauretanien und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aus- Mali – in die Mandate aufgenommen haben. Seit Mo- bildung von Streitkräften ist so viel mehr und muss so naten bilden deutsche Streitkräfte nun zusätzlich, ohne viel mehr sein, als nur militärische Fertigkeiten zu trai- Bundestagsmandat, die nigrischen Spezialeinheiten aus, nieren oder Streitkräfte auszurüsten. Wer ausbildet, der in einer Grenzregion, in der es immer wieder zu dschiha- trägt eine Mitverantwortung dafür, was die Streitkräfte distischen Angriffen kommt. Die Reisewarnungen des mit ihren erworbenen Fähigkeiten im Anschluss tun. Es Auswärtigen Amtes für diesen Teil von Niger sprechen sind sehr klare Reaktionen gegenüber der malischen Re- Bände. 11812 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Agnieszka Brugger (A) Wenn das Risiko besteht, dass die Soldatinnen und eine stabile Sahelzone liegen in unserem deutschen und (C) Soldaten dort in bewaffnete Auseinandersetzungen ver- im europäischen Interesse. wickelt werden – deshalb sind sie ja bewaffnet –, dann wäre es richtig und angemessen, wenn es dafür ein Man- (Beifall bei der CDU/CSU) dat des Deutschen Bundestages gäbe. Wir setzen hier auf einen vernetzten Ansatz. Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN regierung, EU und Vereinte Nationen wollen gemeinsam sowie bei Abgeordneten der LINKEN) mit weiteren internationalen Partnern die Region nach- haltig stärken und zu eigener Sicherheitsverantwortung Da reicht mir auch nicht die Aufforderung der FDP, dass führen. Dabei ist MINUSMA – darüber haben wir vor- das Ministerium das mal klären soll. Ich finde, gerade hin hier debattiert und entschieden – zentral. Dazu ge- wenn wir darüber streiten, gerade wenn einige sagen: „Es hört auch die Ausbildungsmission EUTM Mali. Mit fast ist rechtlich vielleicht nicht eindeutig“, dann muss es bei 200 Soldatinnen und Soldaten sind wir in dieser Mission einer Parlamentsarmee doch heißen: Im Zweifel für das der größte Truppensteller und derzeit auch Inhaber des Parlament, im Zweifel also für ein Mandat. Kommandos. 13 000 Soldaten wurden bisher ausgebil- det. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten hier heraus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ragende Arbeit, und dafür gilt ihnen von hier aus unser sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dank. Meine Damen und Herren, ich will dazu aber auch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) noch mal was Inhaltliches sagen; denn es ist ja bekannt, dass es für die Zukunft Planungen gibt, dass die deut- Diese Mission hat die Europäische Union auf Bitten schen Spezialkräfte gemeinsam mit der Armee Operati- der Regierung in Mali und der anderen G‑5-Sahelstaa- onen durchführen sollen. Wenn es hier zu diesem soge- ten eingerichtet. Hier zeigt die EU auch außenpolitische nannten Partnering mit den Spezialkräften kommt, dann Handlungsfähigkeit. Bei dieser Mission geht es um Aus- wäre das eine gefährliche Rutschbahn weg von Ausbil- bildung, Beratung der malischen Sicherheitskräfte und dungsbemühungen hin zur Aufstandsbekämpfung. Wir der G‑5-Sicherheitskräfte in Mali. Das ist auch im Antrag reden dann eben von offensiver Terrorbekämpfung. Für der Bundesregierung so festgehalten. Auch wenn das eine uns Grüne ist eine solche Mandatsausweitung eine rote große Aufgabe, ein langer Weg ist: Wir sollten uns nicht Linie. Wenn sie überschritten wird, dann werden wir die- entmutigen lassen; denn diese Ausbildungsunterstützung sem Mandat nicht mehr zustimmen können. ist notwendig. Die G‑5-Sahelstaaten, mit die ärmsten Länder der Welt, geben 15 Prozent, teilweise 25 Prozent Vielen Dank. des Inlandsprodukts für Streitkräfte und Sicherheit aus. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was das für die Möglichkeiten an Investitionen in Bil- (D) dung, Infrastruktur, Gesundheit, Soziales bedeutet, muss jedem klar sein. Vor dem Hintergrund einer jungen und Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schnell wachsenden Bevölkerung ist das fatal. Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Thomas Erndl. Ich sage es noch einmal: Ohne Sicherheit gibt es kei- ne Entwicklung. Nur so können Perspektiven für junge (Beifall bei der CDU/CSU) Menschen entstehen. Nur so können wir von einem Kon- tinent der Chancen sprechen, auch wenn es ein weiter Thomas Erndl (CDU/CSU): Weg ist. Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist notwendig, dass die Menschen auch Ver- Liebe Soldatinnen und Soldaten! Die Reise unserer Bun- trauen in die eigenen Sicherheitskräfte haben. Deswegen deskanzlerin in der letzten Woche hat Afrika noch mal sind Schulungen – es wurde angesprochen – in Men- stärker ins Blickfeld gerückt. „Das Wohlergehen Eu- schen- und Völkerrecht nicht umsonst. Das ganze Paket ropas ist mit dem unseres Nachbarn Afrika untrennbar gehört dazu. Natürlich ist es notwendig, dass staatliche verbunden“, steht in den afrikapolitischen Leitlinien der Autorität im ganzen Land hergestellt wird und terroris- Bundesregierung. Von uns erfordert das umfassendes En- tische Rückzugsräume bekämpft werden. Das müssen gagement, zum Beispiel im Rahmen des Marshallplans irgendwann die Sicherheitskräfte vor Ort selber leisten. mit Afrika, den unser Entwicklungsminister Gerd Müller Wir begleiten Mali und die G‑5-Sahelstaaten auf diesem vorgelegt hat. Weg. Deswegen bitte ich um Zustimmung zur Mandats- Sichtbare Fortschritte in der Entwicklung werden aber verlängerung. oft durch islamistischen Terrorismus, organisierte Krimi- Herzlichen Dank. nalität oder ethnische Auseinandersetzungen gefährdet oder zunichtegemacht. Dabei ist klar: Ohne grundlegen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. de Sicherheit gibt es keine Entwicklung, und wir sind Dr. Daniela De Ridder [SPD]) dabei gefordert. Denn der Sahelzone kommt aus europä- ischer Sicht eine besondere Bedeutung zu. Deshalb muss Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: deren Stabilität unser zentrales Anliegen sein. Wir kön- Die Kollegin Siemtje Möller hat das Wort für die nen natürlich den Kopf in den Sand stecken, so wie das SPD-Fraktion. hier von links und rechts gemacht wird. Aber ich glaube nicht, dass das zielführend ist; denn ein stabiles Mali und (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11813

(A) Siemtje Möller (SPD): und der Beginn der Integration ehemaliger Kämpfer in (C) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! die malische Armee sind hier zu nennen. Schaut man sich in der Welt um, muss man sagen: Wir Aber, um es ganz klar zu sagen: Es gibt in Mali leider hier in Deutschland haben großes Glück, in einem so vieles, was uns sorgen muss – allen voran die Sicherheits- stabilen und vergleichsweise sicheren Gemeinwesen zu lage, die in weiten Teilen des Landes fragil ist und sich leben. in manchen Regionen noch verschlechtert hat. Die Grün- (Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann de für die Instabilität in Mali sind vielfältig: Konflikte [SPD]) zwischen verschiedenen Volksgruppen und Ethnien, die Ausbreitung islamistischer Terrorgruppen, das Einsi- Für dieses hohe Maß an Sicherheit reicht es aber nicht ckern von Waffen und Milizen aus Libyen. Aber auch die aus, die Hände in den Schoß zu legen und zuzusehen, grassierende Armut und das hohe Bevölkerungswachs- wenn andernorts Stabilität massiv bedroht ist. Nein, Si- tum sind Faktoren, die die Instabilität fördern. Und es cherheit und Stabilität erfordern auch unser Handeln. kommt hinzu, dass die politische Lage vor Ort schwierig Das gilt auch mit Blick auf unseren Nachbarn Afrika; ist, wie auch der Rücktritt der malischen Regierung vor denn wenn dort Staaten zerfallen, sich Terrorismus und wenigen Wochen wieder gezeigt hat. Konflikte ausbreiten und Menschen zur Flucht gezwun- gen werden, dann spüren wir die Auswirkungen auch Mali ist nun darauf angewiesen, dass die neue Regie- hier bei uns in Europa, in Deutschland. Daher haben wir rung unter Ministerpräsident Cissé die Umsetzung des neben unserer humanitären Verantwortung ein ureigenes Friedensabkommens mit neuer Tatkraft vorantreibt. Und strategisches Interesse an Stabilität und Sicherheit auf Mali hat es aus meiner Sicht verdient, dass die internati- dem afrikanischen Kontinent. onale Gemeinschaft dieses Land auf diesem schwierigen Weg zu Sicherheit und Stabilität weiter begleitet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]) Es ist daher sehr zu begrüßen, dass sich Deutschland mittlerweile verstärkt in Afrika einbringt. Und es ist gut, Die europäische Trainingsmission EUTM Mali ist da- dass die Bundesregierung dabei einen klaren Fokus auf bei ein unverzichtbares Element dieses internationalen die Sahelregion und insbesondere auf Mali legt. Engagements. Für die Verlängerung des Mandats werbe ich deshalb ausdrücklich. Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe, die Mitwirkung Deutschlands an der Mission der Vereinten Vielen Dank. Nationen MINUSMA, an der europäischen Trainings- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) (D) mission und auch an der Polizeiausbildung EUCAP der CDU/CSU) Sahel Mali – Deutschland leistet im Land eine ganze Menge. Und gerade die Beteiligung am EUTM-Einsatz ist so wichtig für die langfristigen Erfolgsaussichten; Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: denn – das haben wir schon gehört – im Rahmen von Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der letzte Redner zu EUTM Mali hilft die Bundeswehr dabei, die malischen diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Peter Beyer, Sicherheitskräfte zu befähigen, irgendwann Schritt für CDU/CSU-Fraktion. Schritt selbst für die Sicherheit und Stabilität im Land (Beifall bei der CDU/CSU) sorgen zu können. (Beifall bei der SPD) Peter Beyer (CDU/CSU): Durch die Ausbildung, Beratung und materielle Unter- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und stützung der gemeinsamen Einsatztruppe der G-5-Sahel- Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gemein- staaten im Rahmen dieser Mission wird auch der grenz- sam mit dem Einsatz in Afghanistan ist EUTM Mali der übergreifende Charakter vieler Sicherheitsbedrohungen personalintensivste und sicherlich auch einer der gefähr- in der Sahelregion adressiert. lichsten Einsätze der Bundeswehr. Das machen wir nicht alleine, sondern dieser Einsatz ruht auf den Schultern von Der EUTM-Einsatz ist damit ein wichtiger Baustein 22 EU-Mitgliedstaaten. Und es zeigt, dass es ein Beleg für nachhaltige Sicherheit in dieser Region. Und er ist – für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union ist, auch das sollte man sich vor den Europawahlen noch ein- gemeinsam auch schwierige Missionen mit militärischen mal vergegenwärtigen – ein starkes Beispiel für gelebte Komponenten zu stemmen. Es wurde in dieser Debat- europäische Kooperation in der Sicherheits- und Vertei- te schon mehrfach angeführt, dass sich die Vereinigten digungspolitik. Staaten von Amerika global mehr und mehr zurückzie- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) hen. Deswegen ist es gut, dass die Europäer diese Erfah- rung machen. Und das ist ja das, was wir uns in Europa wünschen: dass Die Bundeswehr ist dabei Teil des vernetzten Ansat- wir gemeinsam für unsere Sicherheit einstehen. zes der Bundesregierung und des umfassenden interna- Durch das internationale Engagement und die Arbeit tionalen Ansatzes zur Stabilisierung der Region und des in Mali selber konnten dort unbestreitbar Erfolge erzielt afrikanischen Kontinents insgesamt. Der zentrale Auf- werden. Die Verabschiedung des Friedensabkommens, trag ist und bleibt die Ausbildung und die Beratung der die Ausrichtung einer nationalen Versöhnungskonferenz Streitkräfte. Die Bundeswehr leistet damit einen essen- 11814 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Peter Beyer (A) ziellen Beitrag zur Wiederherstellung der militärischen les Ineinandergreifen der verschiedenen Mandate einher- (C) Fähigkeiten Malis. Für ihren ehrenvollen und schwieri- gehen. Und es erfasst auch in die Zukunft gerichtet die gen Einsatz gilt der Dank von uns allen den deutschen Frage, wie wir das Mandat weiterentwickeln und auch in Soldatinnen und Soldaten. Zukunft effektiv gestalten wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Klar ist dabei aber auch, dass Mali ohne funktionie- Herr Kollege. rende Streitkräfte in der Sicherheit akut gefährdet bleibt. EUTM Mali soll die malischen Streitkräfte befähigen, Peter Beyer (CDU/CSU): Malis territoriale Integrität zu gewährleisten und ein si- Herr Präsident, der letzte Satz. – Ich wünsche allen cheres Umfeld zu garantieren. Das Ziel der Mission ist, Soldatinnen und Soldaten, die dort unter schwersten Be- die malischen Soldaten hierbei zu ertüchtigen, selbst dingungen ihren Dienst tun, eine erfolgreiche Mission Verantwortung für die Sicherheit ihres Landes zu über- und eine gesunde und sichere Heimkehr. nehmen. Das geschieht durch Ausbildung der Streitkräf- te, das geschieht durch Beratung des malischen Vertei- Herzlichen Dank. digungsministeriums und auch durch sanitätsdienstliche (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Unterstützung.

Es wurde schon mehrfach in der Debatte gesagt, dass Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: mittlerweile 13 000 malische Soldaten ausgebildet wor- Vielen Dank, Herr Kollege Beyer. – Ich schließe die den sind. Dabei ist immer auch wichtig, dass es Teil der Aussprache. Beratungs- und Ausbildungsmission ist, dass es eine Ver- mittlung von Kenntnissen im humanitären Völkerrecht, Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp­ bei den Menschenrechten und beim Schutz der Zivilbe- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag völkerung gibt. Wir wollen vermehrt zu einer Ausbildung der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung der Ausbilder kommen. Es ist wichtig, die Verantwortung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmission irgendwann komplett an die malische Regierung zu über- der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der tragen. malischen Streitkräfte (EUTM Mali). Deutschland stellt – darauf wurde auch schon hinge- Zu dieser Abstimmung liegen mir mehrere persönli- wiesen – mit Brigadegeneral Peter Mirow derzeit den che Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung des Kommandanten. Das Kommando wird im Juni, also im Deutschen Bundestages vor.1) (B) nächsten Monat, an Österreich übergeben. Aber auch (D) dann wird Österreich weiterhin auf Unterstützungsleis- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- tungen Deutschlands angewiesen sein. lung auf Drucksache 19/9933, den Antrag auf Druck- sache 19/8971 anzunehmen. Wir stimmen über die- Meine Damen und Herren, zu Recht ist EUTM se Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Mali eng verzahnt mit der vorhin debattierten Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen ­MINUSMA-Mission. Es besteht ein gemeinsames Ziel, Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist Mali dauerhaft zu ertüchtigen, selbst für die Sicherheit der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über und Stabilität des Landes zu sorgen und einen der großen die Beschlussempfehlung. Krisenherde Afrikas zu entschärfen. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sei- An dieser Stelle sei eine kurze Anmerkung zu der ne Stimme nicht abgegeben hat? – Dann hat jeder seine Kritik an der Ausbildung von Kampfschwimmern er- Stimme abgegeben. Ich schließe die Abstimmung und laubt. Gestern haben wir im Auswärtigen Ausschuss eine bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Schilderung der Bundesregierung gehört. Für die CDU/ Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen CSU-Bundestagsfraktion waren diese Ausführungen der Abstimmung gebe ich Ihnen später bekannt.2) Bundesregierung schlüssig. Das liegt zuvörderst daran, dass eine Gefahr, dass deutsche Soldatinnen und Solda- Ich bitte, soweit Sie hierbleiben wollen, Platz zu neh- ten in bewaffnete Konflikte in Niger hineingezogen wer- men, andernfalls den Saal zügig zu verlassen; denn wir den, nicht besteht. Deswegen ist eine Mandatierung hier wollen zu Tagesordnungspunkt 10 kommen, und zwar nicht erforderlich. ohne Verzögerung. Wir haben momentan einen Zeitplan, der heute Nacht um 3.15 Uhr endet. Ich bitte also, sich (Beifall bei der CDU/CSU) jetzt kollegialerweise zügig zu entscheiden: hierbleiben Meine Damen und Herren, Islamisten und Rebellen- oder gehen. gruppen sorgen immer noch für hohe Gefahrenpotenziale Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf: in Mali und bedeuten ein permanentes Sicherheitsrisiko, aber nicht nur für Mali, sondern auch für uns. Die Stich- – Beratung der Beschlussempfehlung und des worte heißen: Fluchtursachenbekämpfung und Bekämp- Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- fung des internationalen Terrorismus. Dabei bleibt für schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung uns unverzichtbar, dass im Mittelpunkt die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten stehen muss. Ihnen ge- 1) Anlage 3 bührt die bestmögliche Ausrüstung, es muss ein sinnvol- 2) Ergebnis Seite 11817 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11815

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- sundheit. Und der deutsche Beitrag zu diesem Mandat (C) scher Streitkräfte an der durch die Europäi- besteht aus einem Seefernaufklärer mit dem dazugehöri- sche Union geführten EU NAVFOR Somalia gen Fachpersonal, logistischen Unterstützungselementen Operation Atalanta zur Bekämpfung der Pi- in Dschibuti sowie Personal im eingeschifften Verbands- raterie vor der Küste Somalias stab im Hauptquartier in Spanien. Drucksachen 19/8970, 19/9934 Würden die maritimen Transportwege im Einsatzge- biet von Atalanta wieder unsicherer, dann hätte das di- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) rekte Auswirkungen auf die ohnehin schon dramatische gemäß § 96 der Geschäftsordnung humanitäre sowie fragile politische Lage in vielen Län- Drucksache 19/10008 dern der Region. Wir werden auch darüber später namentlich abstim- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ursula men. Groden-Kranich [CDU/CSU]) Interfraktionell sind für die Aussprache 38 Minuten Deshalb möchte ich auch heute noch mal eines erwähnen, vorgesehen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das auch wenn es nicht Teil dieses Einsatzes ist – ich habe es so beschlossen. auch in meinen letzten Reden immer wieder erwähnt –: Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin ist für Am dringendsten wäre jede Form von Hilfe derzeit im die SPD die Kollegin Aydan Özoğuz. gegenüber von Somalia liegenden Jemen. Leider ist die Lage dort zurzeit so dramatisch, dass Hilfstransporte im (Beifall bei der SPD) Grunde überhaupt gar keine Chance haben, ihr Ziel zu erreichen. Wir werden große politische Anstrengungen Aydan Özoğuz (SPD): brauchen, um den Menschen auch dort endlich helfen zu Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! können. Nach den zwei Mandaten zu Mali entscheiden wir nun Der deutsche Beitrag ist aber auch nicht nur Routine – heute auch über die Beteiligung der Bundeswehr an dem auch das möchte ich noch einmal deutlich sagen –, der EU-Mandat EU NAVFOR Operation Atalanta. Mit die- schlicht Jahr für Jahr fortgesetzt wird. Er verändert sich. sem Mandat werden Transporte des Welternährungspro- So soll das Mandat auch im Rahmen dieser Verlängerung gramms und der AMISOM-Mission der Afrikanischen erneut angepasst werden. Die personelle Obergrenze soll Union geschützt. Natürlich werden aber auch die See- jetzt um ein Drittel auf 400 Soldatinnen und Soldaten leute anderer Schiffe beraten, um sie vor Piraterie und reduziert werden. Damit bleibt Deutschland einer der Geiselnahme zu schützen. (B) Haupttruppensteller und wird seiner Verantwortung auch (D) Die Operation agiert in einem Risikogebiet für Seefah- in diesem Einsatz weiter gerecht. rer. Die Gewässer vor Somalia und den Nachbarländern Lassen Sie uns den Soldatinnen und Soldaten vor Ort waren in 2011 noch Ziel von 176 Angriffen. Wir können den Rücken stärken und diesem Mandat unsere Unter- den Erfolg unmittelbar sehen: Im ganzen Jahr 2018 gab stützung geben. es lediglich zwei Angriffe von Piraten im Einsatzgebiet. Die jüngsten, erfolglosen Angriffe auf zwei Schiffe im (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) April waren die ersten seit Oktober 2018. Wenn man es an über 200 derartigen Vorfällen weltweit misst – die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen, weil nicht Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Kollege Jan jeder versuchte Angriff oder Beschuss gemeldet wird –, Nolte. dann ist das ein richtig erfolgreicher Einsatz. (Beifall bei der AfD) Hier sprechen wir auch von einer erfolgreichen euro- päischen Zusammenarbeit; denn an diesem Mandat be- teiligen sich 19 EU-Länder und zwei Beitrittskandidaten. Jan Ralf Nolte (AfD): Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut, wie uns im- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen mer wieder gemeldet wird. und Herren! Die AfD legt einen strengeren Maßstab an als alle anderen Fraktionen dieses Hauses, wenn es da- Die Schiffe und Aufklärungsflugzeuge der EU ver- rum geht, unsere Bundeswehr in den Auslandseinsatz zu folgen das Ziel, sichere Hilfslieferungen des Welternäh- entsenden. Die Linken lasse ich jetzt mal außen vor; denn rungsprogramms in die Region des Horns von Afrika zu sie legen ja gar keinen Maßstab an. Sie wissen von vorn- gewährleisten. Von 2009 bis 2018 konnten 455 Schiffe herein, dass sie alles ablehnen, was mit der Bundeswehr des Welternährungsprogramms mit 1,8 Millionen Ton- zu tun hat. Es geht nur noch darum, wie weit die Begrün- nen Hilfsgütern sicher in somalische Häfen einlaufen. dung jeweils an den Haaren herbeigezogen werden muss. Ich glaube, es ist jedem klar, wie unglaublich wichtig diese humanitäre Versorgung der Menschen vor Ort ist. (Beifall bei der AfD) Der militärische Einsatz ist auch Teil eines umfassen- Die Bundeswehr ist keine Einsatzarmee; das ist zum deren Ansatzes, der vor allem auf die humanitäre Hilfe Glück mittlerweile Konsens. Wer aber sagt, dass Lan- setzt. Die deutsche Förderung in diesem Bereich kon- des- und Bündnisverteidigung genauso wichtig sei wie zentriert sich dabei auf Ernährungshilfe, Unterkünfte, die Einsätze, der ist immer noch auf dem Holzweg. Die Wasser- und Sanitätsversorgung sowie Hygiene und Ge- originäre Aufgabe der Bundeswehr ist die Verteidigung 11816 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Jan Ralf Nolte (A) Deutschlands, ist die Landes- und Bündnisverteidigung. fung in Afrika angeht. Man kann viel glaubwürdiger an- (C) Auslandseinsätze müssen eine Ausnahme bleiben. dere beim Zerschlagen krimineller Netzwerke beraten, wenn man zuvor gezeigt hat, dass man sein Wissen auch (Beifall bei der AfD) im eigenen Land anwenden kann. Es gibt nicht nur Clans Die AfD macht es sich deswegen nicht leicht, solchen in Somalia, sondern auch in Berlin; bitte auch das nicht Einsätzen zuzustimmen. Sie müssen in einem nationalen vergessen. Interesse stehen, es muss ein klares und zielführendes (Beifall bei der AfD) Konzept vorhanden sein, und das Risiko, dem wir unsere Soldaten aussetzen, muss in einem angemessenen Ver- hältnis zum Nutzen des Einsatzes stehen. Im Gegensatz Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zu den meisten anderen Mandaten erfüllt Atalanta diese Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Voraussetzungen unserer Meinung nach. Kollege Jürgen Hardt. Es ist ohne Frage ein toller Erfolg, dass durch unseren (Beifall bei der CDU/CSU) Einsatz innerhalb der vergangenen fast elf Jahre 1,8 Ton- nen Nahrungsmittel nach Somalia gebracht werden konn- Jürgen Hardt (CDU/CSU): ten. Aber mit Blick auf die Debatte zur ersten Lesung Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die über diesen Einsatz muss ich mich doch wundern, dass Kollegin Özoğuz hat eindrücklich darauf hingewiesen, immer so getan wird, als sei das der einzige Aspekt und wie erfolgreich der Einsatz in Somalia ist. Vor wenigen die einzige Rechtfertigung für diesen Einsatz. Ich habe Jahren haben wir in der Tat fast wöchentlich von Ent- den Eindruck, manch einer hier hielte es für verpönt, zu führungen von Schiffen, von Lösegelderpressungen und sagen: Ja, auch Deutschland hat nationale Interessen. Als von verletzten oder gar getöteten Seeleuten gehört. Das Exportnation ist es in unserem Interesse, dass die Han- gehört Gott sei Dank der Vergangenheit an. Das ist eine delswege zur See frei von Kriminellen sind. große Leistung der europäischen Mission Atalanta, es (Beifall bei der AfD – Markus Grübel [CDU/ ist aber auch ein hervorragendes Beispiel für gutes Zu- CSU]: Der Satz war jetzt richtig! Auch wenn sammenwirken von internationalen Einrichtungen und ich nicht applaudieren kann!) der Reeder bzw. der Schifffahrt, indem man sich darauf verständigt, was klug ist, um vorbeugend gegen Piraterie Es ist natürlich auch unser Anspruch, die Mitarbeiter un- vorzugehen. Die eine oder andere sorglose Handhabung serer Reedereien davor zu schützen, von Piraten entführt dieses Themas an Bord von großen, seegehenden Schif- zu werden. Deswegen sind wir dort. fen gehört sicherlich der Vergangenheit an. In den Ree- Während von 2008 bis 2011 fast täglich Piratenangrif- dereien wird intensiver darüber nachgedacht, wie man (B) fe vor Somalia stattfanden, hat sich das mittlerweile ex- sich vor Piraterie schützen kann. Das Gesamtsystem ist (D) trem reduziert. Es finden nur noch vereinzelte Angriffe ein Schutzsystem, das hervorragend funktioniert. statt; der letzte Angriff ist aber auch erst zwei Wochen Wenn wir den Einsatz aus deutscher Sicht betrachten, her. Der neue Piratenhotspot vor Westafrika zeigt auch, so stellen wir fest, dass wir nicht mehr mit einem deut- dass das Geschäftsmodell der Piraterie als solches für schen Schiff am Einsatz beteiligt sind, sondern mit einem Kriminelle immer noch attraktiv ist. Gerade vor dem Seefernaufklärer. Insgesamt sind gegenwärtig zwei See- Hintergrund der weltweiten Piraterielage kann man klar fernaufklärer – einer aus Deutschland – und zwei Schiffe sagen, dass der Einsatz vor Somalia erfolgreich gewesen mit dem entsprechenden Personal im Einsatz. Die Redu- ist und dass wir ihn auch in der Zukunft brauchen. zierung der Mandatsobergrenze ist sinnvoll und möglich, Die Bundesregierung muss aber jetzt die afrikani- weil voraussichtlich in absehbarer Zeit kein weiteres schen Staaten stärker in die Pflicht nehmen. Somalia deutsches Schiff eingesetzt werden muss. Ein Schiff be- freut sich sicherlich über unser Engagement im Rahmen deutet immer eine Besatzung von plus/minus 250 Mann. von Atalanta, EUCAP Somalia, EUTM Somalia und den Durch die Reduzierung der Mandatsobergrenze sind we- vielen anderen Missionen, die unter anderem den Auf- niger Soldaten im Einsatz, was aber nicht weniger En- bau der Polizei zum Ziel haben. 2017 hat Somalia etwa gagement bedeutet. 200 Millionen Euro Entwicklungshilfe von uns bekom- Ich hatte vor kurzem die Gelegenheit, mit einigen men, ist aber im Gegenzug nicht bereit, uns mit unseren Kolleginnen und Kollegen und dem Staatssekretär Piratenproblemen zu helfen und Pässe auszustellen, da- Silberhorn unsere Kameraden in Dschibuti zu besuchen. mit wir die somalischen Piraten, die noch in Deutschland Mich hat vor allem das Engagement der Soldaten vor sind, endlich nach Somalia zurückschicken können. Ort begeistert und auch die Empathie, die sie für diesen (Beifall bei der AfD) Einsatz und für die Menschen in der Region haben. Die Bundeswehr stellt mit einer Taucherdruckkammer und Nigeria muss es hinbekommen, seine Küstengewässer zu entsprechendem medizinischen Personal eine ganz we- sichern. Solange Nigeria dazu nicht willens oder in der sentliche Schlüsselfähigkeit, die für den gesamten Ein- Lage ist, muss es wenigstens Schiffen gestatten, eigene satz wichtig ist. Seegehende Schiffe müssen in der Lage Sicherheitskräfte an Bord zu haben, die diesen Schutz sein, Taucher einzusetzen. Jeder Taucher weiß, dass es dann gewährleisten. unheimlich wichtig ist, dass man für den Fall, dass ein Wir stimmen dem heute vorliegenden Antrag also zu. Unfall passiert, eine Druckkammer dabei hat. Es ist ein Zum Abschluss noch ein Tipp in Richtung Regierung, die hervorragender Beitrag, durch den wir höchst effizient ja sehr ambitioniert ist, was die Kriminalitätsbekämp- mit relativ kleinem Personaleinsatz, aber doch mit ei- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11817

Jürgen Hardt (A) ner Schlüsselfähigkeit vertreten sind. Als ehemaliger dort lange Zeit ist, reicht die Hotelbar nicht aus, um Ka- (C) schiffstechnischer Taucher weiß ich, wovon ich rede. meradschaftspflege zu betreiben. Ich finde es total wich- tig, dass die Bundeswehr auch darauf ihr Augenmerk legt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und wir sicherstellen, dass sich die Soldaten mit dem ordneten der SPD) versorgen können, was sie brauchen. Wichtig ist vor al- Wenn wir über die Fortsetzung des Mandats im Rah- lem auch, dass das Postwesen funktioniert. Es ist nicht men der EU und vielleicht auch über die Anpassung des Teil der klassischen deutschen Feldpostkette – dafür ist Mandates reden, sollten wir uns der Frage widmen, ob der Einsatz zu klein –, aber es muss natürlich trotzdem das Mandat möglicherweise zukünftig einen noch wirk- funktionieren, und es funktioniert jetzt auch besser, als sameren Beitrag leisten kann, Waffen- und Menschen- das zwischenzeitlich der Fall war. Das sind Themen, die schmuggel in diesem Seegebiet, insbesondere im Golf wir von einem solchen Truppenbesuch mitnehmen, die von Aden, einzuschränken. Ich glaube, dass wir in den die konkrete Arbeit in der Truppe betreffen und die dann nächsten Jahren erleben werden, dass in der Region um umgesetzt werden können. das Horn von Afrika, nicht nur unter dem Aspekt der Pi- Somit wünsche ich im Namen der CDU/CSU-Frakti- raterie, sondern auch unter dem Aspekt des Waffen- und on den Soldatinnen und Soldaten jedes erdenkliche Sol- Menschenschmuggels oder auch des illegalen Übertritts datenglück und jeden erdenklichen Erfolg. Mögen Sie von Kämpfern, der Infiltration in einzelne Staaten, eine alle wieder heil zurückkommen. gefährliche Situation entsteht. Immerhin liegt in diesem Seegebiet der Jemen mit seiner gesamten Küste. Ich for- Herzlichen Dank. dere die Bundesregierung herzlich auf, auch in Brüssel offensiv darüber nachzudenken, wie Atalanta für die Zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kunft vielleicht einen noch größeren Beitrag zur Sicher- heit leisten kann. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Mit Blick auf die 78 Soldatinnen und Soldaten, die Vielen Dank, Kollege Hardt. gegenwärtig in Somalia eingesetzt sind, hat unser Be- such auch die eine oder andere Frage aufgeworfen. Ich Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und bin Thomas Silberhorn sehr dankbar, dass er die Themen Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen sofort aufgegriffen hat. Die Soldaten als kleines Kontin- Abstimmung über die Beschlussempfehlung zum An- gent sind natürlich nicht so ausgestattet, wie das in unse- trag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Beitrags ren großen Feldlagern der Fall ist: mit Marketenderwe- zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) sen und entsprechenden Einrichtungen, wo man in seiner bekannt: abgegebene Stimmen 644. Mit Ja haben ge- (B) Freizeit Kameradschaft pflegen kann. Die Soldaten leben stimmt 489, mit Nein haben gestimmt 153, Enthaltun- (D) in einem Hotel. Das ist ein gutes Hotel, aber wenn man gen 2. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Endgültiges Ergebnis Christoph Bernstiel Thorsten Frei Mark Hauptmann Abgegebene Stimmen: 644; Peter Beyer Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Matthias Heider (Hof) davon Marc Biadacz Mechthild Heil Michael Frieser Thomas Heilmann ja: 489 Steffen Bilger Dr. Reinhard Brandl Hans-Joachim Fuchtel Frank Heinrich (Chemnitz) nein: 153 Michael Brand (Fulda) Ingo Gädechens Mark Helfrich enthalten: 2 Silvia Breher Dr . Thomas Gebhart Rudolf Henke Sebastian Brehm Alois Gerig Michael Hennrich Ja Heike Brehmer Eberhard Gienger Marc Henrichmann Ursula Groden-Kranich CDU/CSU Ralph Brinkhaus Ansgar Heveling Dr. Carsten Brodesser Hermann Gröhe Dr. Heribert Hirte Dr. Michael von Abercron Gitta Connemann Klaus-Dieter Gröhler Christian Hirte Stephan Albani Astrid Damerow Michael Grosse-Brömer Alexander Hoffmann Norbert Maria Altenkamp Alexander Dobrindt Astrid Grotelüschen Philipp Amthor Michael Donth Markus Grübel Erich Irlstorfer Artur Auernhammer Marie-Luise Dött Manfred Grund Hans-Jürgen Irmer Peter Aumer Hansjörg Durz Oliver Grundmann Thomas Jarzombek Thomas Bareiß Thomas Erndl Monika Grütters Andreas Jung Norbert Barthle Hermann Färber Fritz Güntzler Ingmar Jung Maik Beermann Uwe Feiler Olav Gutting Alois Karl Veronika Bellmann Enak Ferlemann Christian Haase Sybille Benning Axel E. Fischer (Karlsruhe- Florian Hahn Torbjörn Kartes Dr . André Berghegger Land) Jürgen Hardt Volker Kauder Melanie Bernstein Dr. Maria Flachsbarth Matthias Hauer Dr. Stefan Kaufmann 11818 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Ronja Kemmer Michaela Noll Stephan Stracke Esther Dilcher (C) Roderich Kiesewetter Dr . Georg Nüßlein Max Straubinger Sabine Dittmar Michael Kießling Wilfried Oellers Karin Strenz Dr . Wiebke Esdar Dr . Georg Kippels Florian Oßner Michael Stübgen Saskia Esken Volkmar Klein Josef Oster Dr . Hermann-Josef Tebroke Yasmin Fahimi Axel Knoerig Henning Otte Hans-Jürgen Thies Dr. Johannes Fechner Jens Koeppen Sylvia Pantel Alexander Throm Dr. Fritz Felgentreu Markus Koob Martin Patzelt Dr . Dietlind Tiemann Dr. Edgar Franke Carsten Körber Dr. Joachim Pfeiffer Antje Tillmann Ulrich Freese Alexander Krauß Stephan Pilsinger Markus Uhl Dagmar Freitag Gunther Krichbaum Dr. Christoph Ploß Dr . Volker Ullrich Sigmar Gabriel Dr. Günter Krings Eckhard Pols Arnold Vaatz Michael Gerdes Rüdiger Kruse Thomas Rachel Oswin Veith Martin Gerster Michael Kuffer Kerstin Radomski Kerstin Vieregge Angelika Glöckner Dr. Roy Kühne Alexander Radwan Volkmar Vogel (Kleinsaara) Timon Gremmels Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Alois Rainer Christoph de Vries Michael Groß Andreas G. Lämmel Dr. Peter Ramsauer Kees de Vries Uli Grötsch Katharina Landgraf Eckhardt Rehberg Dr. Johann David Wadephul Bettina Hagedorn Ulrich Lange Lothar Riebsamen Nina Warken Rita Hagl-Kehl Dr. Silke Launert Johannes Röring Kai Wegner Metin Hakverdi Jens Lehmann Dr. Norbert Röttgen Albert H. Weiler Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Paul Lehrieder Stefan Rouenhoff Marcus Weinberg (Hamburg) Gabriela Heinrich Dr. Katja Leikert Erwin Rüddel Dr . Anja Weisgerber Wolfgang Hellmich Dr. Andreas Lenz Albert Rupprecht Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Ursula von der Leyen Stefan Sauer Dr. Barbara Hendricks Sabine Weiss (Wesel I) Antje Lezius Dr . Wolfgang Schäuble Gustav Herzog Ingo Wellenreuther Andrea Lindholz Jana Schimke Gabriele Hiller-Ohm Marian Wendt Dr. Carsten Linnemann Tankred Schipanski Thomas Hitschler Kai Whittaker (B) Patricia Lips Dr. Claudia Schmidtke Dr. Eva Högl (D) Annette Widmann-Mauz Nikolas Löbel Christian Schmidt (Fürth) Frank Junge Bettina Margarethe Josip Juratovic Bernhard Loos Patrick Schnieder Wiesmann Thomas Jurk Dr. Jan-Marco Luczak Nadine Schön Klaus-Peter Willsch Oliver Kaczmarek Daniela Ludwig Felix Schreiner Elisabeth Winkelmeier- Karin Maag Dr. Klaus-Peter Schulze Becker Johannes Kahrs Dr . Thomas de Maizière Uwe Schummer Emmi Zeulner Elisabeth Kaiser Dr . Astrid Mannes Armin Schuster (Weil am Paul Ziemiak Ralf Kapschack Rhein) Matern von Marschall Dr. Matthias Zimmer Arno Klare Hans-Georg von der Marwitz Torsten Schweiger Lars Klingbeil Detlef Seif Dr. Bärbel Kofler Andreas Mattfeldt SPD Stephan Mayer (Altötting) Johannes Selle Daniela Kolbe Dr. Michael Meister Reinhold Sendker Niels Annen Elvan Korkmaz Jan Metzler Dr. Patrick Sensburg Ingrid Arndt-Brauer Christine Lambrecht Dr. h. c. Hans Michelbach Thomas Silberhorn Heike Baehrens Christian Lange (Backnang) Dr. Mathias Middelberg Björn Simon Nezahat Baradari Dr. Karl Lauterbach Dietrich Monstadt Tino Sorge Doris Barnett Helge Lindh Karsten Möring Jens Spahn Dr. Matthias Bartke Kirsten Lühmann Marlene Mortler Katrin Staffler Bärbel Bas Katja Mast Elisabeth Motschmann Dr . Wolfgang Stefinger Lothar Binding (Heidelberg) Christoph Matschie Dr. Gerd Müller Albert Stegemann Leni Breymaier Hilde Mattheis Axel Müller Andreas Steier Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Matthias Miersch Sepp Müller Sebastian Steineke Katrin Budde Klaus Mindrup Carsten Müller Johannes Steiniger Martin Burkert Susanne Mittag (Braunschweig) Peter Stein (Rostock) Dr. Lars Castellucci Falko Mohrs Stefan Müller (Erlangen) Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Claudia Moll Dr. Andreas Nick Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Siemtje Möller Petra Nicolaisen Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby Bettina Müller Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11819

(A) Detlef Müller (Chemnitz) Gülistan Yüksel Roman Müller-Böhm Sven-Christian Kindler (C) Michelle Müntefering Dagmar Ziegler Frank Müller-Rosentritt Maria Klein-Schmeink Dr. Rolf Mützenich Stefan Zierke Dr. Martin Neumann Oliver Krischer Andrea Nahles Dr. Jens Zimmermann (Lausitz) Christian Kühn (Tübingen) Ulli Nissen Hagen Reinhold Renate Künast Thomas Oppermann FDP Bernd Reuther Markus Kurth Dr. Stefan Ruppert Josephine Ortleb Grigorios Aggelidis Sven Lehmann Dr . h. c. Thomas Sattelberger Mahmut Özdemir (Duisburg) Renata Alt Steffi Lemke Christian Sauter Aydan Özoğuz Christine Aschenberg- Dr . Tobias Lindner Christian Petry Dugnus Dr . Wieland Schinnenburg Dr. Irene Mihalic Detlev Pilger Nicole Bauer Matthias Seestern-Pauly Claudia Müller Sabine Poschmann Jens Beeck Frank Sitta Beate Müller-Gemmeke Florian Post Nicola Beer Dr. Hermann Otto Solms Ingrid Nestle Martin Rabanus Dr. Jens Brandenburg Bettina Stark-Watzinger Dr. Konstantin von Notz Andreas Rimkus (Rhein-Neckar) Dr. Marie-Agnes Strack- Omid Nouripour Sönke Rix Mario Brandenburg Zimmermann Friedrich Ostendorff Dennis Rohde (Südpfalz) Benjamin Strasser Filiz Polat Dr. Martin Rosemann Dr. Marco Buschmann Katja Suding Tabea Rößner René Röspel Karlheinz Busen Linda Teuteberg Claudia Roth (Augsburg) Dr. Ernst Dieter Rossmann Carl-Julius Cronenberg Michael Theurer Dr. Manuela Rottmann Susann Rüthrich Britta Katharina Dassler Stephan Thomae Manuel Sarrazin Bernd Rützel Bijan Djir-Sarai Manfred Todtenhausen Ulle Schauws Sarah Ryglewski Hartmut Ebbing Dr . Florian Toncar Dr. Frithjof Schmidt Johann Saathoff Dr. Marcus Faber Dr . Andrew Ullmann Stefan Schmidt Axel Schäfer (Bochum) Daniel Föst Gerald Ullrich Margit Stumpp Dr. Nina Scheer Otto Fricke Johannes Vogel (Olpe) Markus Tressel Marianne Schieder Thomas Hacker Sandra Weeser Jürgen Trittin Udo Schiefner Markus Herbrand Nicole Westig Dr . Julia Verlinden (B) Dr. Nils Schmid Torsten Herbst Katharina Willkomm Daniela Wagner (D) Uwe Schmidt Katja Hessel Beate Walter-Rosenheimer Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Gero Clemens Hocker BÜNDNIS 90/ Gerhard Zickenheiner DIE GRÜNEN Carsten Schneider (Erfurt) Manuel Höferlin Johannes Schraps Dr. Christoph Hoffmann Luise Amtsberg Fraktionslos Michael Schrodi Reinhard Houben Kerstin Andreae Uwe Kamann Ursula Schulte Ulla Ihnen Lisa Badum Swen Schulz (Spandau) Olaf In der Beek Annalena Baerbock Nein Frank Schwabe Gyde Jensen Margarete Bause Stefan Schwartze Dr. Christian Jung Dr. Danyal Bayaz SPD Andreas Schwarz Thomas L. Kemmerich Dr. Franziska Brantner Ulrike Bahr Rita Schwarzelühr-Sutter Karsten Klein Agnieszka Brugger Cansel Kiziltepe Rainer Spiering Dr. Marcel Klinge Dr . Anna Christmann Svenja Stadler Daniela Kluckert Ekin Deligöz AfD Martina Stamm-Fibich Pascal Kober Katja Dörner Sonja Amalie Steffen Dr. Lukas Köhler Katharina Dröge Dr. Bernd Baumann Mathias Stein Carina Konrad Harald Ebner Marc Bernhard Kerstin Tack Wolfgang Kubicki Matthias Gastel Andreas Bleck Claudia Tausend Konstantin Kuhle Kai Gehring Peter Boehringer Michael Thews Alexander Graf Lambsdorff Anja Hajduk Stephan Brandner Markus Töns Ulrich Lechte Britta Haßelmann Jürgen Braun Carsten Träger Christian Lindner Dr. Bettina Hoffmann Marcus Bühl Ute Vogt Michael Georg Link Dr . Anton Hofreiter Matthias Büttner Marja-Liisa Völlers (Heilbronn) Ottmar von Holtz Petr Bystron Dirk Vöpel Till Mansmann Dieter Janecek Tino Chrupalla Gabi Weber Dr . Jürgen Martens Dr. Kirsten Kappert-Gonther Joana Cotar Bernd Westphal Christoph Meyer Uwe Kekeritz Dr. Gottfried Curio Dirk Wiese Alexander Müller Katja Keul Siegbert Droese 11820 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Thomas Ehrhorn Dr . Birgit Malsack- Dr. Dietmar Bartsch Zaklin Nastic (C) Berengar Elsner von Gronow Winkemann Lorenz Gösta Beutin Petra Pau Dr. Michael Espendiller Corinna Miazga Matthias W. Birkwald Sören Pellmann Peter Felser Andreas Mrosek Heidrun Bluhm Victor Perli Dietmar Friedhoff Hansjörg Müller Michel Brandt Tobias Pflüger Dr . Anton Friesen Volker Münz Christine Buchholz Martina Renner Markus Frohnmaier Sebastian Münzenmaier Birke Bull-Bischoff Bernd Riexinger Dr. Götz Frömming Christoph Neumann Jörg Cezanne Eva-Maria Schreiber Dr. Alexander Gauland Jan Ralf Nolte Sevim Dağdelen Dr. Petra Sitte Dr . Axel Gehrke Ulrich Oehme Fabio De Masi Helin Evrim Sommer Albrecht Glaser Gerold Otten Dr. Diether Dehm Kersten Steinke Franziska Gminder Frank Pasemann Anke Domscheit-Berg Friedrich Straetmanns Wilhelm von Gottberg Tobias Matthias Peterka Klaus Ernst Dr . Kirsten Tackmann Kay Gottschalk Paul Viktor Podolay Susanne Ferschl Jessica Tatti Brigitte Freihold Mariana Iris Harder-Kühnel Jürgen Pohl Alexander Ulrich Sylvia Gabelmann Dr. Roland Hartwig Martin Reichardt Kathrin Vogler Nicole Gohlke Jochen Haug Martin Erwin Renner Andreas Wagner Dr. Gregor Gysi Martin Hebner Roman Johannes Reusch Harald Weinberg Dr . André Hahn Udo Theodor Hemmelgarn Ulrike Schielke-Ziesing Katrin Werner Heike Hänsel Waldemar Herdt Dr. Robby Schlund Hubertus Zdebel Matthias Höhn Lars Herrmann Jörg Schneider Pia Zimmermann Andrej Hunko Martin Hess Uwe Schulz Ulla Jelpke Karsten Hilse Martin Sichert BÜNDNIS 90/ Kerstin Kassner DIE GRÜNEN Martin Hohmann Detlev Spangenberg Dr . Achim Kessler Dr. Dirk Spaniel Canan Bayram Dr. Bruno Hollnagel Katja Kipping René Springer Erhard Grundl Johannes Huber Jan Korte Beatrix von Storch Sylvia Kotting-Uhl Fabian Jacobi Jutta Krellmann Dr . Alice Weidel (B) Dr. Marc Jongen Caren Lay (D) Dr . Harald Weyel Fraktionslos Jens Kestner Sabine Leidig Wolfgang Wiehle Stefan Keuter Ralph Lenkert Marco Bülow Dr . Heiko Wildberg Norbert Kleinwächter Michael Leutert Mario Mieruch Dr . Christian Wirth Enrico Komning Stefan Liebich Uwe Witt Jörn König Dr. Gesine Lötzsch Enthalten Steffen Kotré Thomas Lutze DIE LINKE Dr. Rainer Kraft Pascal Meiser BÜNDNIS 90/ Rüdiger Lucassen Doris Achelwilm Cornelia Möhring DIE GRÜNEN Dr. Lothar Maier Gökay Akbulut Niema Movassat Monika Lazar Jens Maier Simone Barrientos Norbert Müller (Potsdam) Lisa Paus

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Ich erteile als nächstem Redner das Wort dem Kolle- Die Operation Atalanta schützt den Seeverkehr am gen Christian Sauter, FDP-Fraktion. Horn von Afrika und sichert den Schiffen des Welter- nährungsprogramms und der AMISOM freie Fahrt. Im (Beifall bei der FDP) März 2019 wurden allein 1,48 Millionen Menschen mit dringend benötigter Nahrung erreicht; für Somalia ist das Christian Sauter (FDP): ein enorm wichtiger Beitrag. Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ingo gen! Der Einsatz der Bundeswehr an der von der Europä- Gädechens [CDU/CSU]) ischen Union geführten Mission EU NAVFOR Somalia, Operation Atalanta, ist grundsätzlich sinnvoll, um es zu Nötig ist das, weil dort immer noch Piraten ihr Unwesen Beginn klar zu sagen. Mein Kollege Olaf in der Beek hat treiben; die Pirateriefälle der vergangenen Wochen haben bereits in der ersten Lesung auf Aspekte der Entwick- es gezeigt. Ich stimme zu, Pirateriebekämpfung ist auch lungshilfe und den vernetzten Ansatz in der Region hin- Symptombekämpfung. Das spricht aber nicht gegen ein gewiesen. Ich möchte daran anknüpfen. Engagement, nicht gegen die Fortsetzung der Operation Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11821

Christian Sauter (A) Atalanta. Im Gegenteil: Es wäre absurd, diesen Einsatz Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (C) mit dieser Begründung zu beenden. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Deutschland hat zudem großes Interesse an einem funkti- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: onierenden Welthandel. Daher liegt die Pirateriebekämp- Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin fung in unser aller Interesse, auch im Interesse der Euro- Heike Hänsel. päischen Union. (Beifall bei der LINKEN – Markus Grübel Atalanta ist eine herausfordernde Operation, weil sie [CDU/CSU]: Die findet doch bestimmt ein eine internationale Kooperation von verschiedensten Haar in der Suppe, die Kollegin!) Ländern voraussetzt. Zu betonen ist an dieser Stelle, dass der seit 2012 tendenziell zu verzeichnende Rückgang der Heike Hänsel (DIE LINKE): Piraterie auch ein Erfolg der Reeder ist. Sie investieren – Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kollegin- Kollegen haben es angesprochen – in Selbstschutz an nen! Lassen Sie mich vorab in diesen geschichtsträchti- Bord, somit in einen verbesserten Schutz. Aber ohne den gen Tagen des 8. und 9. Mai – der 8. Mai, Tag der Be- Beitrag der Operation Atalanta, also auch ohne den deut- freiung von Krieg und Faschismus, und 9. Mai, Tag des schen Beitrag, wären diese ineinandergreifenden Fakto- Sieges über den deutschen Faschismus – hier meine Em- ren nicht wirkungsvoll. Abschreckung durch Präsenz ist pörung zum Ausdruck bringen: Ich finde es ungeheuer- die wesentliche Komponente, und Abschreckung leistet lich, dass die NATO ausgerechnet an diesem Tag, heute, auch dieser Einsatz. mit einer Großübung beginnt, in der sie einen russischen Deutschland ist an der Operation Atalanta mit einem Überfall auf ein NATO-Mitgliedsland simuliert. im Wesentlichen logistischen Element in Dschibuti be- (Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Eine Schande!) teiligt. Zudem umfasst unser Beitrag derzeit den See- fernaufklärer P-3C Orion. Insgesamt 78 Soldatinnen und Wie geschichtsvergessen muss man dafür eigentlich Soldaten leisten dort ihren Dienst. sein? Lassen Sie mich dennoch Kritik äußern. Der Je- (Beifall bei der LINKEN – Jan Korte [DIE men-Krieg und die saudische Seeblockade haben die LINKE]: Pfui!) Lage in der Region eher destabilisiert. Die staatlichen Ich finde, es wäre angemessen, den Tag der Befreiung Strukturen in Somalia sind schwach ausgeprägt. Vielfach von Krieg und Faschismus, den 8. Mai, endlich gebüh- wird von einem Failed State gesprochen. Das Mandat rend zu würdigen und ihn als gesetzlichen Feiertag hier (B) geht zu wenig auf diese geänderte Lage ein. Was wir einzuführen. (D) brauchen, ist eine Evaluation des Einsatzes. (Beifall bei der LINKEN) Der zweite Kritikpunkt betrifft die materielle Einsatz- bereitschaft des eingesetzten Systems. Gerade bei dem in Das wäre richtig. Das würde auch den Auftrag verdeut- der Operation Atalanta eingesetzten P-3C Orion ist die lichen, für eine friedliche Außenpolitik zu streiten und grundsätzliche Problematik erkennbar. Der Ende 2018, nicht die Bundeswehr in alle Welt zu schicken. zu Beginn des Wintermonsuns, zurückgekehrte „Jester“ (Peter Beyer [CDU/CSU]: Zum Thema, bit- leistete über 280 Flugstunden im Mandatsgebiet. Das ist te!) hervorragend. Aber: Es ist wesentlich für Atalanta, dass es gelingt, überhaupt Systeme für diesen Einsatz abzu- Wir sollen ja alleine heute drei Auslandsmandate verlän- stellen. Der Bericht zur Einsatzbereitschaft 2017 zeig- gern. te auf, dass im Schnitt nur zwei Systeme einsatzbereit (Peter Beyer [CDU/CSU]: Sehr gut!) waren, und das trotz des immensen Aufwandes, der ge- leistet werden muss, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, Mit ihrem Antrag auf Verlängerung des Atalanta-Man- was auch im aktuellen Bericht des Bundesrechnungshofs dates, den die Bundesregierung hier vorlegt, versucht sie, deutlich wurde. der Öffentlichkeit weiszumachen, es ginge bei diesem Bundeswehreinsatz im Indischen Ozean vor der Küste Meine sehr geehrten Damen und Herren, bemerkens- Somalias um die militärische Bekämpfung von Piraten, wert ist, dass Deutschland unter diesen Bedingungen sei- um das Welternährungsprogramm zu schützen. ne Verpflichtungen einhalten kann. Das zeigt, dass wir stolz auf unsere Soldaten sein können. Sie leisten einen (Markus Grübel [CDU/CSU]: Richtig!) hervorragenden Dienst, trotz dieser Rahmenbedingun- Erstens. Wenn man in die Datenbank des Internationa- gen. len Maritimen Büros schaut, dann sieht man, dass welt- (Beifall bei der FDP) weit in der letzten Zeit überhaupt keine Überfälle von Piraten in dieser Region aufgezeichnet wurden. Deshalb ein großer Dank an alle, die an der Operation beteiligt waren und aktuell beteiligt sind. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Überlegen Sie einmal, warum das so ist!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion wird diesem Einsatz zustimmen. Wir halten die Operation Es gab überhaupt nur zwei Versuche. Stattdessen finden Atalanta für ein gutes und erfolgreiches Mandat. Freie die meisten Überfälle vor der westafrikanischen Küste Seefahrt ist ein hohes Gut. und im indonesischen Archipel statt. Nach Ihrer Logik 11822 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Heike Hänsel (A) müssten Sie bald die Bundeswehr überall stationieren, Es geht auch um Finanzströme in der Europäischen Uni- (C) um Piraterie zu bekämpfen. on. Die Geldwäsche – dabei geht es um europäische Ban- ken – ist endlich aktiv zu bekämpfen. Zweitens wäre es deutlich besser, diese 40 Millionen Euro, die Sie jetzt ausgeben wollen, direkt dem Welter- Die Bundeswehrsoldaten als Weltpolizisten einzuset- nährungsprogramm zu geben. zen, ist keine Lösung für diese Probleme. Das Grund- (Beifall bei der LINKEN) gesetz muss wieder der Maßstab für die Außen- und Si- cherheitspolitik werden. Das ist auch Auftrag des 8. Mai. Das Welternährungsprogramm hat nämlich erst 25 Pro- zent des Jahresbedarfs der Menschen in Somalia für die- Danke schön. ses Jahr finanziell abgesichert. (Beifall bei der LINKEN) Sie schicken die Bundeswehr in den Indischen Oze- an nicht für das Welternährungsprogramm, sondern um Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: geopolitisch Präsenz zu zeigen; denn in dieser Region Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege verlaufen die wichtigsten Haupthandelsrouten zwischen Dr . Tobias Lindner. Europa, der Arabischen Halbinsel und Asien. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Christian Sauter [FDP]: Genau!) Seit wann ist es Auftrag der Bundeswehr, Handelswege Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): in aller Welt zu schützen? Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe (Beifall bei der LINKEN) Frau Kollegin Hänsel, Sie werden gleich an meiner Rede merken, dass auch aus Sicht von uns Grünen an diesem Das hat mit dem grundgesetzlich verankerten Verteidi- Mandat nicht alles richtig ist, dass auch wir an einigen gungsauftrag der Bundeswehr überhaupt nichts mehr zu Stellen Bedenken haben. Wenn Sie sich aber an dieses tun. Nein, dieser Einsatz ist grundgesetzwidrig, und wir Pult stellen und darüber reden, was vor den Augen von wollen, dass er endlich beendet wird. Bundeswehrsoldaten auf Bundeswehrschiffen am Horn (Beifall bei der LINKEN) von Afrika passiere, dass Deutschland geopolitischen Einfluss in dieser Region haben wolle, dann trauen Sie Ich finde es besonders zynisch, dass Sie sagen, Sie unserer Truppe noch viel mehr zu als der Rest dieses wollen die Menschen in Somalia humanitär versorgen, Hauses. Wir sind dort mit einem Seefernaufklärer unter- während in Sichtweite der Bundeswehrschiffe, vor der wegs. Nach Ihren Ausführungen muss dieses Flugzeug Küste des Jemen, eine der grausamsten Hungerblocka- schon sehr mächtig sein. (B) den durch Saudi-Arabien stattfindet; im Jemen ist die (D) größte humanitäre Katastrophe weltweit zu verzeichnen. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Es wäre angebracht, dagegen endlich etwas zu tun und SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) Saudi-Arabien nicht länger mit Waffen zu beliefern. Kommen wir zum Mandat selbst. Meine Damen und (Beifall bei der LINKEN) Herren, auch im jetzt elften Jahr ist dieses Mandat leider noch notwendig, wenn man sich die Lage in der Region Der Einsatz dauert jetzt schon elf Jahre. Das muss man anschaut, wenn man sich klarmacht, wie viele Menschen sich mal vorstellen! Wollen Sie den Einsatz ebenso wie gerade in Somalia auf Nahrungsmittel angewiesen sind. die Einsätze in Afghanistan und Mali auf Unendlichkeit Allein im Jahr 2019 sind es mehr als 1 Million Kinder. ausrichten? Wo bleiben Ihre politischen Anstrengungen, Angesichts der Sicherheitslage in dieser Region ist es um die Ursachen der Piraterie zu bekämpfen? Wo bleibt richtig, dass die Vereinten Nationen die Schiffe des Welt- Ihre politische Initiative zur Lösung des Konflikts, des ernährungsprogramms schützen. Es ist richtig, sie bei Bürgerkriegs in Somalia? ihrem Auftrag, die Menschen in Somalia mit Nahrungs- (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE mitteln zu versorgen, zu unterstützen, liebe Kolleginnen LINKE]) und Kollegen. Wo bleiben die konkreten Maßnahmen, um gegen legale (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und illegale große Fischfangflotten in der Region Soma- sowie des Abg. Josip Juratovic [SPD]) lia aktiv vorzugehen? In dieser Situation will ich ganz ehrlich sagen, weil (Beifall bei der LINKEN) in der Debatte im Zusammenhang mit dem Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms immer mit- Diese entziehen den Fischern nach wie vor die Lebens- schwingt, es gehe auch um See- und Handelswege allge- grundlage. Das sind altbekannte Zusammenhänge. Dage- mein: Es gibt keinen Grund, warum man, wenn man die gen wird viel zu wenig gemacht. Schiffe des Welternährungsprogramms schützt, dann der Wir wissen, dass die Drahtzieher der Piraterie nicht in Besatzung eines kommerziellen Frachters, wenn dieser Mogadischu sitzen, sondern in den westlichen Metropo- in Not gerät, den Schutz verweigern soll. len, in London, in den großen Hauptstädten. Wo bleiben Dieses Mandat hat natürlich auch seine Schwachstel- Ihre Initiativen, um diese Kriminellen – das ist organi- len. Eine Schwachstelle ist – das haben auch Vorredner in sierte Kriminalität – endlich dingfest zu machen? diesem Haus schon gesagt –: Wir reden hier natürlich nur (Beifall bei der LINKEN) über Symptombekämpfung. Wir bekämpfen das Symp- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11823

Dr. Tobias Lindner (A) tom Piraterie. Aber wenn wir wollen, dass Piraterie am Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): (C) Horn von Afrika und anderswo auf diesem Planeten der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na- Vergangenheit angehört, dann müssen wir die Ursachen türlich sind nicht Zahl und Dauer solcher Einsätze das bekämpfen. Dazu gehört natürlich eine bessere politische Entscheidende. Aber manchmal braucht es die Dauer, um Lage am Horn von Afrika als die, die wir jetzt haben. nachhaltig zu sein. Fast bin ich versucht, aus den zusam- Dazu gehört es, gegen Staatszerfall zu kämpfen. Dazu mengewürfelten Argumenten oder Nichtargumenten, die gehört es aber natürlich auch, mehr für Ernährung, mehr wir heute von der Linken gehört haben, den Erfolg dieser für humanitäre Hilfe und mehr für das Welternährungs- Mission abzuleiten. programm der Vereinten Nationen zu tun, meine Damen und Herren. Es ist eine Tatsache, lieber Herr Kollege Lindner: Der Erfolg fängt mit dem Wirken an Land an. Als jemand, der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damals mit dabei war, mitzuentscheiden, dass wir diese sowie des Abg. Josip Juratovic [SPD]) Komponente, die von anderen NATO-Staaten gefordert Eine der Ursachen, dass es zu Angriffen auf die Schif- worden war, nutzen, kann ich sagen: Jawohl, das Wirken fe kommt, ist nämlich auch, dass dieses Welternährungs- an Land ist wichtig, damit die Piratenschiffe gar nicht programm an vielen Stellen unterfinanziert ist und anders erst ins Wasser kommen. Das hat sich anscheinend be- als in der Vergangenheit auf kleinere Schiffe, die leich- währt. ter anzugreifen sind, setzen muss. Also ist es auch eine (Beifall bei der CDU/CSU) Vorsorge gegen Piraterie, mehr für humanitäre Hilfe und mehr für das World Food Programme zu tun. Deswegen ist die Androhung eines Einsatzes, das Be- wusstsein der Gefahr für die, die Piraterie betreiben wol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN len, das Wichtige. sowie des Abg. Josip Juratovic [SPD]) (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Der zweite Punkt, der wie in den Vorjahren auch bei der Mehrheit meiner Fraktion dazu führen wird, dass sie Der zweite Punkt ist in der Tat die illegale Fischerei; sich, auch wenn sie dieses Mandat im Kern richtig findet, eine katastrophale Entwicklung für die ökonomische heute enthalten muss, ist die Landoption, die in diesem Situation, nicht nur in Somalia, sondern auch vor der Mandat seit wenigen Jahren enthalten ist, also die Mög- Westküste Afrikas. Wir haben die Verpflichtung, etwas lichkeit, gegebenenfalls an Land zu wirken. für eine ordnungsgemäße Fischerei zu tun, nicht nur we- (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) gen der Frage der Überfischung, sondern auch wegen des Wegfalls der Ernährungsmöglichkeiten beispielsweise Abgesehen von der Tatsache, dass man auf diese Option für Somalia. Das ist ja auch gemacht worden. (B) (D) überhaupt erst einmal zurückgegriffen hat – ich persön- lich halte sie für unnötig und sage: man kann sie aus dem Der dort fliegende Seefernaufklärer, der P-3C Orion, Mandat auch rausnehmen –, bringt sie nicht nur wenig stellt so manches fest, was er an die Thunfischkommissi- Nutzen, sondern birgt eben auch ein hohes Risiko, wenn on für den Indischen Ozean melden kann. Es geht nicht es zu einem solchen Einsatz kommt. Deswegen würden darum, Thunfische zu zählen, sondern darum, dass dieser wir als Grüne den Fokus auf Aufklärung am Horn von Aufklärer Menschen mit ihren Schiffen und Trawlern in Afrika und auf Schiffe legen, um gegebenenfalls einen den Gewässern sieht, die da gar nicht hingehören und die Pirateneinsatz zu unterbinden. Aber lassen Sie diese un- aus diesen Fischgründen illegal Fische holen. Natürlich sägliche Landoption raus, wenn Sie ermöglichen wollen, war das auch einer der ausschlaggebenden Punkte für die dass dieses Mandat in diesem Haus von einer breiten Entwicklung dieses Piraterieunwesens. Deswegen muss Mehrheit getragen wird. man auch hier sagen: Es hat sich anscheinend gut be- währt, was hier mit Atalanta geleistet worden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in den kommenden Jahren daran arbeiten, Nun wollen wir versuchen, dass es auch zu einer straf- dass dieses Mandat kein Perpetuum mobile wird. Ich will rechtlichen Verfolgung kommt. Das ist bisher noch nicht noch erleben, hier an diesem Pult zu stehen und sagen zu ganz gelungen. Der Generalsekretär der Vereinten Na- können: Wir haben die Ursachen von Piraterie und von tionen hat im Jahr 2010 sieben Punkte vorgestellt und Armut und Hunger am Horn von Afrika eingedämmt, gefragt: Wie gehen wir mit denen um, die Piraterie be- und wir brauchen dieses Mandat nicht mehr. – Arbeiten treiben? Vor dem Landgericht Hamburg lief einmal ein wir gemeinsam daran. solches Strafverfahren, der sogenannte „Taipan“-Pro- zess. So hieß das deutsche Schiff. Aber es kann nicht Herzlichen Dank. sein, dass wir die Piraten aus Somalia nach Deutschland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN transportieren, um hier ihre Taten strafrechtlich zu ahn- sowie bei Abgeordneten der SPD) den und sie dann möglicherweise auf Dauer im Land zu haben. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Abg. Christian Sauter [FDP]) Christian Schmidt. Nein, die internationale Gemeinschaft, die Vereinten (Beifall bei der CDU/CSU) Nationen – das will ich schon ansprechen – brauchen 11824 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Christian Schmidt (Fürth) (A) dafür ein Konzept, sei es ein internationaler Strafge- Piraten ein jemenitisches Segelschiff und nahmen dessen (C) richtshof für Straftaten im Bereich der Piraterie, sei es Besatzung gefangen. Zwei Tage später nutzten sie die- eine Vereinbarung mit den nationalen Gerichtshöfen und ses gekaperte Schiff, um sich dem unter südkoreanischer Strafgerichten in der Region, sei es eine regionale Struk- Flagge fahrenden Fischereiboot „Adria“ auf verdächtige tur in Zusammenarbeit mit den dort ansässigen Ländern. Art und Weise zu nähern. Die Besatzung der „Adria“ ver- Das ist eine Aufgabe, die wir nicht deswegen aufgeben suchte, auszuweichen, und erhöhte die Geschwindigkeit. dürfen, weil es im Augenblick aufgrund der vielen po- Ein spanisches Fischerboot, das sich in der Nähe befand, sitiven Entwicklungen durch die Atalanta-Mission ruhig eilte zur Hilfe. Nachdem beide Boote von den Piraten ist, sondern wir müssen weiter daran arbeiten, eine gute beschossen wurden, konnten die Sicherheitskräfte an Struktur aufzubauen, damit solche Taten strafrechtlich Bord den Angriff jedoch erfolgreich abwehren. Das Pira- geahndet werden. tenschiff konnte einen Tag später durch den Einsatz von „Jester“, dem deutschen Seefernaufklärer, ausgemacht Piraterie ist und bleibt eines der größten Übel der werden. Die Besatzung der spanischen Fregatte „Navar- Menschheit. Wir brauchen die Ernährung der Bevölke- ra“ konnte die 23 Geiseln des entführten Segelschiffs rung. Wir brauchen aber auch freie Handelswege. Frau unverletzt befreien, nahm die fünf mutmaßlichen Piraten Kollegin Hänsel, ist es denn gar so schlimm, wenn die fest und brachte sie auf die Seychellen. Dort wurden sie Handelswege für zivile Schiffe und für die Schiffe des den Behörden übergeben. Welternährungsprogramms gesichert sind? Erst Ende März, zum Ende des Wintermonsuns, war (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ist das Aufgabe der deutsche Seefernaufklärer mit seiner Crew unter der Bundeswehr?) dem neuen Kontingentführer Korvettenkapitän Michael Ich meine, nicht. Langhof nach Dschibuti zurückgekehrt. Unsere acht Sol- datinnen und 70 Soldaten, die aktuell im Rahmen von (Beifall des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU]) Atalanta in Dschibuti und im Hauptquartier in Rota stati- Ich meine, das ist gut und richtig. oniert sind, haben hier erneut einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Piraterie geleistet. Vielen Dank dafür! Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Kommen Sie nach Ihrem Einsatz gesund nach Hause! Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Beispiel Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Dirk zeigt, dass die Operation Atalanta nach wie vor notwen- Vöpel. dig ist. Die Bedrohung wird zwar wirksam unterdrückt, (B) (D) ist aber keinesfalls beseitigt worden. Die Gefahr eines er- (Beifall bei der SPD) neuten Aufflammens der Piraterie ist nicht gebannt. Der Einsatz am Horn von Afrika ist zwingend notwendig, um Dirk Vöpel (SPD): humanitäre Hilfslieferungen zu schützen und die Region Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit weiter zu stabilisieren. 2008 beteiligt sich unsere Bundeswehr nun ununterbro- chen am Antipiraterieeinsatz EU NAVFOR Somalia, Die sozialdemokratische Fraktion wird der Mandats- Operation Atalanta, am Horn von Afrika. Nach mehr als verlängerung zustimmen. einem Jahrzehnt kann sich der Erfolg dieser Mission se- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. hen lassen. Die Zahl der von Piraten angegriffenen Schif- fe ist von 176 im Jahre 2011 auf zwei Angriffe in 2018 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kontinuierlich gesunken. In den letzten zehn Jahren wur- der CDU/CSU) den 136 Piratenboote aufgebracht und 166 mutmaßliche Piraten den Strafverfolgungsbehörden übergeben, 145 Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wurden anschließend verurteilt. Vielen Dank. – Der letzte Redner zu diesem Tages- Die Lieferungen der für die Region dringend benötig- ordnungspunkt: der Kollege Markus Grübel, CDU/ ten Hilfsgüter, die zu 90 Prozent auf dem Seewege erfol- CSU-Fraktion. gen, wurden seitdem zu 100 Prozent sichergestellt. Kon- (Beifall bei der CDU/CSU) kret waren dies – wir haben es mehrfach gehört – über 450 Schiffsladungen des Welternährungsprogramms und Markus Grübel (CDU/CSU): knapp 140 der AMISOM mit insgesamt 1,8 Millionen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor Tonnen Hilfsgütern. Ob diese unverzichtbare humanitäre zehn Jahren stand ich hier am Rednerpult und habe zu Hilfe ihr Ziel ohne den Schutz der Soldatinnen und Sol- Atalanta geredet. Damals war die Piraterie am Horn von daten erreicht hätte, ist fraglich. Afrika auf dem Höhepunkt. Heute können wir sagen: Doch auch wenn die Piraterie vor der Küste Somali- Atalanta ist und war sehr erfolgreich. Die Piraterie vor as seit 2008 stark eingedämmt wurde, zeigen die letzten der Küste Somalias ist stark zurückgegangen und nähert Monate, dass diese Gefahr weiterhin vorhanden ist. Erst sich asymptotisch der Nulllinie. Alle Schiffe des Welt- vor wenigen Tagen, am Morgen des 23. Aprils, reagier- ernährungsprogramms und der Mission AMISOM ha- te Atalanta erfolgreich auf einen Piraterievorfall. Vier ben ihre Häfen sicher erreicht. Es geht um 1,8 Millionen Tage zuvor, am 19. April, erbeuteten fünf mutmaßliche Tonnen Hilfsgüter für 6 Millionen Menschen. Allein das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11825

Markus Grübel (A) müsste Die Linke überzeugen und sie veranlassen, dem in dieser Region der Welt die Dinge zum Guten ändern. (C) Mandat zuzustimmen. Ich fasse zusammen: Alle Fakten sprechen für Atalan- ta, die überwältigende Mehrheit des Hauses hoffentlich (Beifall bei der CDU/CSU) auch. Die Mission Atalanta ist aber nach wie vor erforder- Vielen Dank. lich, trotz der großen Erfolge. Erst im letzten Monat gab es wieder zwei Vorfälle, Frau Hänsel; Herr Vöpel hat das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gerade ausgeführt. Eine spanische Fregatte, ein deutscher ordneten der SPD) Seefernaufklärer und Sicherheitsteams der angegriffenen Boote haben die Angriffe erfolgreich abgewehrt. Der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Schutz der Seeverbindung für humanitäre Hilfe und frei- Vielen Dank, Kollege Grübel. – Ich schließe die Aus- en Handel in der Welt ist also weiter erforderlich. sprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Der Handel zwischen Europa, Afrika und Asien ist Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp­ von größter Bedeutung, und die Bedeutung nimmt zu. fehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Ein fairer Welthandel löst die Armutsprobleme in vielen Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung be- Ländern der Welt. Ein fairer Welthandel führt auch zu waffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europä- mehr Stabilität und mehr Sicherheit. Durch fairen Handel ische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation geht es allen besser. Dazu brauchen wir sichere Seewege. Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste So- 90 Prozent des Handels zwischen Europa, Asien und Afri- malias. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp­ ka gehen über den Golf von Aden. Über 20 000 Schiffe fehlung auf Drucksache 19/9934, den Antrag der Bun- fahren jährlich in das gefährliche Seegebiet. Durch den desregierung auf Drucksache 19/8970 anzunehmen. Wir Beitrag unserer deutschen Marine und unserer europäi- stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. schen Partner schützen wir dieses Seegebiet. Der Schutz der Handelswege liegt im Interesse aller Länder der Welt. Auch zu dieser Abstimmung liegen mehrere Erklä- Es ist kein Zufall, dass auch russische und chinesische rungen nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Schiffe immer wieder in diesem Seegebiet vertreten sind. Bundestags vor.1) Dass wir Deutsche als Exportnation ein berechtigtes Inte- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die resse an freien Handelswegen haben, ist kein Geheimnis vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an und auch nichts, was zu kritisieren ist. den Urnen besetzt? – Ich eröffne die Abstimmung über (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Beschlussempfehlung. der SPD) (B) Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine (D) Das stand im Weißbuch 2006. Das hat unser Bundesprä- Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. sident Horst Köhler 2010 völlig richtig gesagt, und das Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- steht im Weißbuch 2016. Ich zitiere: führerinnen und Schriftführer, auszuzählen. Das Ergeb- nis wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Auftrag der Bundeswehr ist es, ... gemeinsam mit Partnern und Verbündeten zur Abwehr sicherheits- Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf: politischer Bedrohungen für unsere offene Gesell- Beratung des Antrags der Abgeordneten Siegbert schaft und unsere freien und sicheren Welthandels- Droese, Dr. Harald Weyel, Lars Herrmann, wei- und Versorgungswege beizutragen … terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Piraterie ist ein brutales, organisiertes Verbrechen, Privilegierte Partnerschaft statt Vollmitglied- genauso wie Drogenhandel, Menschenhandel, illegaler schaft – EU-Erweiterungspläne für den West- Waffenhandel und Schutzgelderpressung. Das mit Pi- balkan überdenken raterie erbeutete Geld fließt wieder in dunkle Kanäle, in Bestechung und wieder in organisiertes Verbrechen. Drucksache 19/9968 Dieses Geschäftsmodell zu unterbinden oder wenigs- Überweisungsvorschlag: tens unwirtschaftlich zu machen, ist unsere Pflicht. Herr Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Kollege Tobias Lindner, die Landoption macht die Pi- Auswärtiger Ausschuss raterie unwirtschaftlicher. Allein dass die Europäer das Interfraktionell sind 38 Minuten vereinbart. – Dazu Mandat geändert haben, hat schon Wirkung gezeigt. Wir gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. müssen gar nicht mehr dorthin, weil es bereits Wirkung zeigt. Ihre Argumente sind also keine ausschlaggebenden Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster Gründe, die Mandatsverlängerung abzulehnen. Redner der Kollege Siegbert Droese für die AfD-Frak- tion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Atalanta ist ein Beitrag zur Stabilisierung der Regi- on. Dazu gehören auch die Missionen EUCAP Somalia, Herr Kollege, einen Moment bitte. – Liebe Kollegin- EUTM Somalia und AMISOM. Die Operation ist erfolg- nen und Kollegen, wir sind jetzt beim nächsten Tages- reich, und unser Engagement konnten wir schon spürbar reduzieren. Der Annäherungsprozess zwischen Äthiopi- 1) Anlage 4 en und Eritrea gibt zur Hoffnung Anlass, dass sich auch 2) Ergebnis Seite 11828 C 11826 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) ordnungspunkt. Ich bitte Sie, entweder Platz zu nehmen Die EU schafft es ja nicht einmal, das Problem zwischen (C) oder den Saal zu verlassen, damit wir zügig weiterma- Serbien und dem Kosovo zu lösen. Fünf Länder der EU, chen können. – Herr Kollege. darunter Spanien, einer unserer engsten Partner, haben den Kosovo nicht als Staat anerkannt. Das wird bei Spa- Siegbert Droese (AfD): nien wegen der Katalonien-Frage sicherlich auch so blei- ben. Man jubelt über die Namensänderung von Mazedo- Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte nien in Nordmazedonien. Dies sei das größte Hindernis, Kollegen! Meine Damen und Herren! Gerade fand hier so die EU, für einen EU-Beitritt gewesen. Und was ist in Berlin ein sogenannter kleiner Westbalkan-Gipfel un- mit Korruption, organisierter Kriminalität, Rechtsunsi- ter Leitung von Merkel und Macron, aber ohne wichtige cherheit, fehlender Infrastruktur, fehlender Kaufkraft, Balkanstaaten wie unsere Partner in Rumänien und Bul- fehlenden Absatzmärkten? Das alles sind, wie wir von garien, ohne Österreich, ohne Italien, ohne Ungarn statt. der AfD finden, sehr wichtige Parameter. Ein Beitritt (Peter Beyer [CDU/CSU]: Was sollen die dieser Länder hat kaum einen ökonomischen Mehrwert denn da? – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Die für die Europäische Union, der ansonsten immer so stark sind doch schon EU-Mitglieder!) beschworen wird. Es fehlt dem Westbalkan an allen Vo- raussetzungen für eine Vollmitgliedschaft. Der Jugosla- Wie nicht anders zu erwarten, war das Ergebnis nahe wien-Krieg ist noch lange nicht bewältigt; das dauert aus null: Symbolpolitik, außer Spesen fast nichts gewesen. der Sicht von Experten noch Generationen. In der Wirt- (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Wie bei der schaft existieren ganz andere Strukturen und Mentalitä- AfD!) ten, die man nicht bis 2025 oder 2030 an die EU-Stan- dards wird anpassen können. Nutzen für die EU und Nutzen für den Balkan: keiner. Dann argumentiert die EU noch mit geostrategischen (Beifall bei der AfD) Gründen: Die Russen seien auf dem Balkan kurz vor dem Die laufende Debatte zum Westbalkan zeigt drei Din- Einmarsch, und die Chinesen bauen Autobahnen und Hä- ge: Erstens. Die EU lernt nicht aus ihren Fehlern. Zwei- fen, als gäbe es gar keinen Welthandel. Deshalb müssten tens. Es gelten Doppelstandards in der EU bei der Bewer- die Länder auch alle möglichst schnell in die NATO. Lei- tung von Ländern. Und drittens – für uns sehr wichtig –: der hat die Volksabstimmung in Nordmazedonien etwas Die Menschen in der EU werden wie immer nicht ge- ganz anderes ergeben. Dort war das Ergebnis, dass das fragt. Quorum nicht erreicht wurde und sich keine Mehrheit für die Aufnahme in die EU oder in die NATO aussprach. Die EU hat auch Sorgen mit anderen Ländern des Bal- Egal – Frau Mogherini und Herr Juncker jubeln trotz- (B) kans, akut mit Rumänien, zum Teil mit Bulgarien. Trotz dem. (D) CVM sind dort erhebliche Rückschritte bei der Rechts- staatlichkeit an der Tagesordnung. Allein diese Probleme Meine Damen und Herren, die EU muss sich gerade in müssten die EU davon abhalten, sich auf neue Abenteuer der Westbalkan-Frage auf ihre Wurzeln als Wirtschafts- mit neuen Problemmitgliedern einzulassen. Aber weit gemeinschaft besinnen und sich endlich wieder von öko- gefehlt! nomischem Sachverstand leiten lassen. Die AfD-Fraktion (Beifall bei der AfD) sagt daher Ja zur privilegierten Partnerschaft des West- balkans, aber auch klar Nein zu einer Vollmitgliedschaft. Am erschreckendsten ist jedoch etwas anderes: Der Fak- tor „ökonomischer Nutzen für die EU“ spielt auf den (Beifall bei der AfD) zahnlosen Konferenzen fast nie eine Rolle. Wenn die EU sich vor allem als Wirtschaftsgemeinschaft verstün- Die EU sollte den Menschen auf dem Westbalkan rei- de, dann würde sie gar nicht auf den absurden Gedanken nen Wein einschenken. Der Westbalkan ist weder öko- kommen, Länder wie Albanien oder Nordmazedonien als nomisch noch rechtsstaatlich reif für einen Beitritt. Wer Vollmitglieder in die EU aufzunehmen, vom Problemge- von einer Beitrittsperspektive, beginnend 2025, fabuliert, biet Kosovo ganz zu schweigen. verweigert sich – so ist unsere Meinung – schlichtweg den Realitäten dort vor Ort oder hat, wie es bei Juncker Was, meine Damen und Herren, spricht aus ökonomi- wohl öfter der Fall ist, vernebelte Sinne, so nehmen wir schen Gründen dagegen, den Ländern des Westbalkans an. zunächst eine privilegierte Partnerschaft anzubieten? Das wäre fair, das wäre sinnvoll. Aber wie argumentiert Die AfD-Fraktion ist der klaren Überzeugung: Die EU die EU bezüglich der Beitrittskandidaten? Die EU sagt: muss zunächst einige wichtige Probleme lösen – Brexit, Wenn die sechs Balkanländer nicht in die EU kommen, Frankreich-Krise, Streit mit den osteuropäischen Part- gibt es einen Massenexodus der Jugend in Richtung nern, EU. – Da frage ich mich: Lesen die EU-Funktionäre in Brüssel eigentlich hin und wieder ihre eigenen Sach- (Peter Beyer [CDU/CSU]: Die Rechtspopu- standsberichte? Dann wüssten sie, dass dieser Exodus listen wieder aus den Parlamenten entfernen!) längst stattfindet. Euro-Krise, Griechenland-Krise, Transferunion, um nur Für die AfD-Bundestagsfraktion ist der gesamte West- einige zu nennen –; balkan auf lange Sicht als EU-Raum nicht geeignet. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Rechtspopulis- (Beifall bei der AfD) mus in Europa!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11827

Siegbert Droese (A) sonst lösen wir die EU. Die nächsten 15 bis 20 Jahre ist So weit zu den deutschen Interessen, die wir in dieser (C) ein Beitritt des Westbalkans illusorisch und weder im Frage haben. Interesse der EU noch im Interesse Deutschlands. Die (Beifall bei der CDU/CSU) Interessen Deutschlands stehen für meine Fraktion, die AfD-Fraktion, immer an erster Stelle. Schauen Sie sich die Entwicklung in der Europäischen Union an! Alle – ich wiederhole: alle – Länder haben von Vielen Dank. dem europäischen Binnenmarkt profitiert. Überall haben (Beifall bei der AfD) sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessert. Natürlich haben wir auch ein großes Interesse an Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Stabilität. Die Europäische Union trägt maßgeblich zur Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Stabilisierung innerhalb der Mitgliedsländer und auch Kollege Florian Hahn. zwischen ihnen bei. Beispiele hierfür sind Südtirol und Nordirland. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Befrie- (Beifall bei der CDU/CSU) dung auf dem Balkan im Schutz der Europäischen Union vorangetrieben werden kann. Florian Hahn (CDU/CSU): Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auch andere Länder große Interessen mit dem westlichen Wir müssen heute einmal mehr über einen Antrag der Balkan verbinden, und das nicht unbedingt zugunsten AfD-Fraktion diskutieren. Es ist ja auch das gute Recht unserer Interessen. Kein anderer Akteur kann aber ein so der AfD-Fraktion wie jeder anderen Fraktion, entspre- attraktives Angebot machen wie die Europäische Union, chende Anträge zu stellen. Aber nachdem wir in dieser und das sollten wir entsprechend nutzen. Legislatur jetzt bereits über ein Jahr hier miteinander dis- kutieren, uns austauschen und die Argumente abwägen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und kann man eigentlich schon erwarten, dass solche Anträge der SPD und des Abg. Thomas Hacker [FDP]) auch Hand und Fuß haben. Schließlich geht es auch um das Thema Migration. Schon in den vergangenen Debatten mussten wir im- Die Länder des westlichen Balkans brauchen eine euro- mer wieder mal auf handwerkliche Fehler in Ihren An- päische Perspektive. Sehen die Menschen in ihrem Land trägen hinweisen. Auch in dem uns vorliegenden Antrag, keine Zukunft in Europa, machen sie sich auf den Weg Kolleginnen und Kollegen der AfD-Fraktion, haben Sie nach Europa, und das gilt vor allem für die jungen. Wesentliches übersehen. Sie schreiben wortwörtlich: Meine Damen und Herren, die Aufnahme von Beitritts- verhandlungen bedeutet noch lange keinen Beitritt. Das (B) Dennoch möchte die Europäische Kommission (D) im Jahre 2019 offiziell die Beitrittsverhandlungen ist ein Prozess, der sich so lange hinzieht, bis alle Bedin- eröffnen, voraussichtlich zunächst mit Albanien, gungen, die sogenannten Kopenhagener Kriterien, erfüllt Montenegro und/oder Nord-Mazedonien. sind. Das kann dauern, vielleicht zehn Jahre, vielleicht auch länger. Und da darf es keine Rabatte geben. Da- Ich möchte nur darauf hinweisen: Die Europäische Kom- rauf zu achten, ist auch unsere Aufgabe im Deutschen mission führt längst Beitrittsgespräche mit Montenegro, Bundestag, und das tun wir. Schauen Sie sich die Bedin- und dies schon seit 2012. gungen an, die wir zum Beispiel an eine Aufnahme von (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Beitrittsverhandlungen mit Serbien geknüpft haben. Der Deutsche Bundestag war das einzige Parlament in der Gehen Sie also nicht so schlampig mit den Dingen um, Europäischen Union, das solche konkreten Vorgaben ge- sondern beschäftigen Sie sich mal ganz genau damit. macht hat. Wir gehen nicht blauäugig an die Sache heran. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Mit europäischen und bilateralen Initiativen versuchen der SPD und der Abg. Thomas Hacker [FDP] wir, eine positive Entwicklung zu fördern. Im konkreten und Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Fall von Albanien und Nordmazedonien sollten wir zur GRÜNEN] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Kenntnis nehmen, dass zahlreiche Reformanstrengungen DIE GRÜNEN]: Das kann man ja nicht wis- mit bemerkenswertem Engagement und messbarem Er- sen!) folg durchgeführt wurden und werden. Nordmazedonien hat eine entscheidende Hürde genommen, indem es den Ich kann nur sagen: Uns in der CDU/CSU-Bundes- Namensstreit beendet hat. Es ist aber weiter viel zu tun. tagsfraktion sind dieses Thema und die ganze Region Und Albanien kämpft mit großen Anstrengungen, um der Westbalkan sehr wichtig. Aus europäischer Sicht können Korruption im Lande Herr zu werden, den Drogenanbau in wir es uns nicht erlauben, diese Region stiefmütterlich zu den Griff zu bekommen und den Justizapparat zu säubern. behandeln, so wie Sie es vorschlagen. Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt hinwei- Es geht auf dem westlichen Balkan um ganz zen- sen: Den stärksten Hebel und die härtesten Druckmit- trale Interessen. Es geht um den EU-Binnenmarkt, der tel gegenüber den Ländern haben wir in der Phase von wie ein großes Konjunkturprogramm wirkt. Er sorgt für Beitrittsverhandlungen. Sie sind eine große Chance für Wettbewerb und Wachstum. So wurde die Europäische die betroffenen Länder und für uns als Europäische Ge- Union zum größten Wirtschaftsraum der Welt, noch vor meinschaft. den USA und China. Die Europäische Union ist auch der größte Handelspartner der Welt. Deutschland profitiert Klar ist: Der westliche Balkan gehört zu Europa. Wir als Exportnation von dieser Vernetzung ganz besonders. müssen den Ländern dort helfen, Anschluss an europäi- 11828 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Florian Hahn (A) sche Standards zu finden. Sie brauchen eine Perspektive. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Ich würde mich freuen, wenn wir sie ihnen gemeinsam Vielen Dank, Kollege Hahn. – Liebe Kolleginnen und geben könnten. Klar ist aber auch: Liefern müssen die Kollegen, ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen Länder im Beitrittsprozess selbst. Sie haben es selbst in und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli- der Hand, ob der Traum von einer Mitgliedschaft in der chen Abstimmung über die Fortsetzung der Beteiligung Europäischen Union Realität werden kann oder nicht. der deutschen Streitkräfte an der Somalia Operation Herzlichen Dank. Atalanta bekannt: abgegebene Stimmen 644. Mit Ja ha- ben gestimmt 527, mit Nein haben gestimmt 82, Enthal- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- tungen 35. Damit ist die Beschlussempfehlung des Aus- wie des Abg. Thomas Hacker [FDP]) wärtigen Ausschusses angenommen.

Endgültiges Ergebnis Axel E. Fischer (Karlsruhe- Ingmar Jung Stephan Mayer (Altötting) Land) Abgegebene Stimmen: 644; Alois Karl Dr. Michael Meister Dr. Maria Flachsbarth davon Anja Karliczek Jan Metzler Thorsten Frei ja: 527 Torbjörn Kartes Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Hans-Peter Friedrich nein: 82 Volker Kauder Dr. Mathias Middelberg (Hof) enthalten: 35 Dr. Stefan Kaufmann Dietrich Monstadt Michael Frieser Ronja Kemmer Karsten Möring Hans-Joachim Fuchtel Roderich Kiesewetter Marlene Mortler Ja Ingo Gädechens Michael Kießling Elisabeth Motschmann Dr . Thomas Gebhart CDU/CSU Dr . Georg Kippels Dr. Gerd Müller Alois Gerig Volkmar Klein Axel Müller Dr. Michael von Abercron Eberhard Gienger Axel Knoerig Sepp Müller Stephan Albani Ursula Groden-Kranich Jens Koeppen Carsten Müller Norbert Maria Altenkamp Hermann Gröhe Markus Koob (Braunschweig) Philipp Amthor Klaus-Dieter Gröhler Carsten Körber Stefan Müller (Erlangen) Artur Auernhammer Michael Grosse-Brömer Alexander Krauß Dr. Andreas Nick Peter Aumer Astrid Grotelüschen Gunther Krichbaum Petra Nicolaisen Thomas Bareiß (B) Markus Grübel Dr. Günter Krings Michaela Noll (D) Norbert Barthle Manfred Grund Rüdiger Kruse Dr . Georg Nüßlein Maik Beermann Oliver Grundmann Michael Kuffer Wilfried Oellers Veronika Bellmann Monika Grütters Dr. Roy Kühne Florian Oßner Sybille Benning Fritz Güntzler Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Josef Oster Dr . André Berghegger Olav Gutting Andreas G. Lämmel Henning Otte Melanie Bernstein Christian Haase Katharina Landgraf Sylvia Pantel Christoph Bernstiel Florian Hahn Ulrich Lange Martin Patzelt Peter Beyer Jürgen Hardt Dr. Silke Launert Dr. Joachim Pfeiffer Marc Biadacz Matthias Hauer Jens Lehmann Stephan Pilsinger Steffen Bilger Mark Hauptmann Paul Lehrieder Dr. Christoph Ploß Dr. Reinhard Brandl Dr. Matthias Heider Dr. Katja Leikert Eckhard Pols Michael Brand (Fulda) Mechthild Heil Dr. Andreas Lenz Thomas Rachel Silvia Breher Thomas Heilmann Dr. Ursula von der Leyen Kerstin Radomski Sebastian Brehm Frank Heinrich (Chemnitz) Antje Lezius Alexander Radwan Heike Brehmer Mark Helfrich Andrea Lindholz Alois Rainer Ralph Brinkhaus Rudolf Henke Dr. Carsten Linnemann Dr. Peter Ramsauer Dr. Carsten Brodesser Michael Hennrich Patricia Lips Eckhardt Rehberg Gitta Connemann Marc Henrichmann Nikolas Löbel Lothar Riebsamen Astrid Damerow Ansgar Heveling Bernhard Loos Johannes Röring Alexander Dobrindt Dr. Heribert Hirte Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Norbert Röttgen Michael Donth Christian Hirte Daniela Ludwig Stefan Rouenhoff Marie-Luise Dött Alexander Hoffmann Karin Maag Erwin Rüddel Hansjörg Durz Karl Holmeier Dr . Thomas de Maizière Albert Rupprecht Thomas Erndl Erich Irlstorfer Dr . Astrid Mannes Stefan Sauer Hermann Färber Hans-Jürgen Irmer Matern von Marschall Dr . Wolfgang Schäuble Uwe Feiler Thomas Jarzombek Hans-Georg von der Marwitz Jana Schimke Enak Ferlemann Andreas Jung Andreas Mattfeldt Tankred Schipanski Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11829

(A) Dr. Claudia Schmidtke Annette Widmann-Mauz Thomas Hitschler Dr. Nils Schmid (C) Christian Schmidt (Fürth) Bettina Margarethe Dr. Eva Högl Uwe Schmidt Patrick Schnieder Wiesmann Frank Junge Ulla Schmidt (Aachen) Nadine Schön Klaus-Peter Willsch Josip Juratovic Carsten Schneider (Erfurt) Felix Schreiner Elisabeth Winkelmeier- Thomas Jurk Johannes Schraps Dr. Klaus-Peter Schulze Becker Oliver Kaczmarek Michael Schrodi Uwe Schummer Emmi Zeulner Johannes Kahrs Ursula Schulte Armin Schuster (Weil am Paul Ziemiak Elisabeth Kaiser Martin Schulz Rhein) Dr. Matthias Zimmer Ralf Kapschack Swen Schulz (Spandau) Torsten Schweiger Lars Klingbeil Frank Schwabe Detlef Seif SPD Dr. Bärbel Kofler Stefan Schwartze Johannes Selle Niels Annen Daniela Kolbe Andreas Schwarz Reinhold Sendker Ingrid Arndt-Brauer Elvan Korkmaz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Patrick Sensburg Heike Baehrens Rainer Spiering Thomas Silberhorn Ulrike Bahr Christine Lambrecht Svenja Stadler Björn Simon Nezahat Baradari Christian Lange (Backnang) Martina Stamm-Fibich Tino Sorge Doris Barnett Dr. Karl Lauterbach Sonja Amalie Steffen Jens Spahn Dr. Matthias Bartke Helge Lindh Mathias Stein Katrin Staffler Kirsten Lühmann Bärbel Bas Kerstin Tack Dr . Wolfgang Stefinger Katja Mast Lothar Binding (Heidelberg) Claudia Tausend Albert Stegemann Christoph Matschie Leni Breymaier Michael Thews Andreas Steier Dr. Matthias Miersch Dr. Karl-Heinz Brunner Markus Töns Sebastian Steineke Klaus Mindrup Katrin Budde Carsten Träger Johannes Steiniger Susanne Mittag Martin Burkert Ute Vogt Peter Stein (Rostock) Falko Mohrs Dr. Lars Castellucci Marja-Liisa Völlers Christian Frhr. von Stetten Claudia Moll Bernhard Daldrup Dirk Vöpel Dieter Stier Siemtje Möller Dr. Daniela De Ridder Gabi Weber Gero Storjohann Bettina Müller Dr. Karamba Diaby Bernd Westphal (B) Stephan Stracke Detlef Müller (Chemnitz) (D) Esther Dilcher Dirk Wiese Max Straubinger Michelle Müntefering Sabine Dittmar Gülistan Yüksel Karin Strenz Dr. Rolf Mützenich Dr . Wiebke Esdar Dagmar Ziegler Michael Stübgen Andrea Nahles Saskia Esken Stefan Zierke Dr . Hermann-Josef Tebroke Ulli Nissen Yasmin Fahimi Dr. Jens Zimmermann Hans-Jürgen Thies Thomas Oppermann Dr. Johannes Fechner Alexander Throm Josephine Ortleb AfD Dr . Dietlind Tiemann Dr. Fritz Felgentreu Mahmut Özdemir (Duisburg) Antje Tillmann Dr. Edgar Franke Aydan Özoğuz Dr. Bernd Baumann Markus Uhl Ulrich Freese Christian Petry Marc Bernhard Dr . Volker Ullrich Dagmar Freitag Detlev Pilger Andreas Bleck Arnold Vaatz Sigmar Gabriel Sabine Poschmann Peter Boehringer Oswin Veith Michael Gerdes Florian Post Stephan Brandner Kerstin Vieregge Martin Gerster Jürgen Braun Volkmar Vogel (Kleinsaara) Angelika Glöckner Martin Rabanus Marcus Bühl Christoph de Vries Timon Gremmels Andreas Rimkus Petr Bystron Kees de Vries Michael Groß Sönke Rix Tino Chrupalla Dr. Johann David Wadephul Uli Grötsch Dennis Rohde Dr. Gottfried Curio Nina Warken Bettina Hagedorn Dr. Martin Rosemann Siegbert Droese Kai Wegner Rita Hagl-Kehl Dr. Ernst Dieter Rossmann Thomas Ehrhorn Albert H. Weiler Metin Hakverdi Susann Rüthrich Berengar Elsner von Gronow Marcus Weinberg (Hamburg) Sebastian Hartmann Bernd Rützel Dr. Michael Espendiller Dr . Anja Weisgerber Dirk Heidenblut Sarah Ryglewski Peter Felser Peter Weiß (Emmendingen) Gabriela Heinrich Johann Saathoff Dietmar Friedhoff Sabine Weiss (Wesel I) Wolfgang Hellmich Axel Schäfer (Bochum) Dr . Anton Friesen Ingo Wellenreuther Dr. Barbara Hendricks Dr. Nina Scheer Markus Frohnmaier Marian Wendt Gustav Herzog Marianne Schieder Dr. Götz Frömming Kai Whittaker Gabriele Hiller-Ohm Udo Schiefner Dr. Alexander Gauland 11830 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Dr . Axel Gehrke FDP Christian Sauter AfD (C) Frank Schäffler Albrecht Glaser Renata Alt Matthias Büttner Wilhelm von Gottberg Dr . Wieland Schinnenburg Christine Aschenberg- Franziska Gminder Kay Gottschalk Matthias Seestern-Pauly Dugnus Karsten Hilse Mariana Iris Harder-Kühnel Nicole Bauer Frank Sitta Hansjörg Müller Dr. Roland Hartwig Jens Beeck Dr. Hermann Otto Solms Frank Pasemann Jochen Haug Nicola Beer Bettina Stark-Watzinger Jürgen Pohl Martin Hebner Dr. Jens Brandenburg Dr. Marie-Agnes Strack- Dr. Robby Schlund Udo Theodor Hemmelgarn (Rhein-Neckar) Zimmermann Waldemar Herdt Mario Brandenburg Benjamin Strasser Lars Herrmann (Südpfalz) Katja Suding DIE LINKE Martin Hess Dr. Marco Buschmann Linda Teuteberg Doris Achelwilm Michael Theurer Martin Hohmann Karlheinz Busen Simone Barrientos Carl-Julius Cronenberg Stephan Thomae Dr. Bruno Hollnagel Dr. Dietmar Bartsch Britta Katharina Dassler Manfred Todtenhausen Fabian Jacobi Lorenz Gösta Beutin Bijan Djir-Sarai Dr . Florian Toncar Dr. Marc Jongen Matthias W. Birkwald Hartmut Ebbing Dr . Andrew Ullmann Jens Kestner Heidrun Bluhm Dr. Marcus Faber Gerald Ullrich Stefan Keuter Michel Brandt Norbert Kleinwächter Daniel Föst Johannes Vogel (Olpe) Christine Buchholz Enrico Komning Otto Fricke Sandra Weeser Nicole Westig Birke Bull-Bischoff Jörn König Thomas Hacker Markus Herbrand Katharina Willkomm Jörg Cezanne Steffen Kotré Torsten Herbst Sevim Dağdelen Dr. Rainer Kraft Katja Hessel BÜNDNIS 90/ Fabio De Masi Rüdiger Lucassen Dr. Gero Clemens Hocker DIE GRÜNEN Dr. Diether Dehm Dr. Lothar Maier Manuel Höferlin Anke Domscheit-Berg Jens Maier Kerstin Andreae Dr. Christoph Hoffmann Dr . Birgit Malsack- Annalena Baerbock Klaus Ernst Winkemann Reinhard Houben Dr. Danyal Bayaz Susanne Ferschl (B) (D) Corinna Miazga Ulla Ihnen Dr . Anna Christmann Brigitte Freihold Olaf In der Beek Andreas Mrosek Ekin Deligöz Sylvia Gabelmann Gyde Jensen Volker Münz Kai Gehring Nicole Gohlke Dr. Christian Jung Sebastian Münzenmaier Dr. Bettina Hoffmann Dr. Gregor Gysi Thomas L. Kemmerich Christoph Neumann Ottmar von Holtz Dr . André Hahn Karsten Klein Jan Ralf Nolte Dieter Janecek Heike Hänsel Dr. Marcel Klinge Oliver Krischer Ulrich Oehme Matthias Höhn Daniela Kluckert Gerold Otten Dr . Tobias Lindner Pascal Kober Andrej Hunko Tobias Matthias Peterka Ingrid Nestle Dr. Lukas Köhler Ulla Jelpke Paul Viktor Podolay Omid Nouripour Carina Konrad Kerstin Kassner Martin Reichardt Friedrich Ostendorff Konstantin Kuhle Dr . Achim Kessler Martin Erwin Renner Tabea Rößner Alexander Graf Lambsdorff Katja Kipping Roman Johannes Reusch Manuel Sarrazin Ulrich Lechte Jan Korte Ulrike Schielke-Ziesing Stefan Schmidt Christian Lindner Jutta Krellmann Jörg Schneider Markus Tressel Michael Georg Link Caren Lay Uwe Schulz Daniela Wagner (Heilbronn) Sabine Leidig Martin Sichert Till Mansmann Fraktionslos Ralph Lenkert Detlev Spangenberg Dr . Jürgen Martens Michael Leutert Dr. Dirk Spaniel Christoph Meyer Uwe Kamann Stefan Liebich René Springer Alexander Müller Mario Mieruch Dr. Gesine Lötzsch Beatrix von Storch Roman Müller-Böhm Thomas Lutze Dr . Alice Weidel Frank Müller-Rosentritt Nein Pascal Meiser Dr . Harald Weyel Dr. Martin Neumann Wolfgang Wiehle (Lausitz) SPD Cornelia Möhring Dr . Heiko Wildberg Hagen Reinhold Cansel Kiziltepe Niema Movassat Dr . Christian Wirth Bernd Reuther Hilde Mattheis Norbert Müller (Potsdam) Uwe Witt Dr. Stefan Ruppert René Röspel Zaklin Nastic Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11831

(A) Petra Pau BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/ Maria Klein-Schmeink (C) Sören Pellmann DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Renate Künast Victor Perli Canan Bayram Luise Amtsberg Markus Kurth Tobias Pflüger Stefan Gelbhaar Lisa Badum Sven Lehmann Martina Renner Erhard Grundl Margarete Bause Steffi Lemke Bernd Riexinger Sylvia Kotting-Uhl Dr. Franziska Brantner Dr. Irene Mihalic Eva-Maria Schreiber Christian Kühn (Tübingen) Dr. Petra Sitte Agnieszka Brugger Claudia Müller Monika Lazar Helin Evrim Sommer Katja Dörner Dr. Konstantin von Notz Beate Müller-Gemmeke Kersten Steinke Katharina Dröge Filiz Polat Lisa Paus Friedrich Straetmanns Dr . Wolfgang Strengmann- Harald Ebner Claudia Roth (Augsburg) Dr . Kirsten Tackmann Kuhn Matthias Gastel Dr. Manuela Rottmann Jessica Tatti Anja Hajduk Ulle Schauws Alexander Ulrich Fraktionslos Britta Haßelmann Dr. Frithjof Schmidt Kathrin Vogler Marco Bülow Dr . Anton Hofreiter Margit Stumpp Andreas Wagner Dr. Kirsten Kappert-Gonther Jürgen Trittin Harald Weinberg Enthalten Katrin Werner Uwe Kekeritz Dr . Julia Verlinden Hubertus Zdebel AfD Katja Keul Beate Walter-Rosenheimer Pia Zimmermann Johannes Huber Sven-Christian Kindler Gerhard Zickenheiner Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle- Bewertung des Stands der Reformen in jedem einzelnen gen Thomas Hacker für die FDP-Fraktion. Land kommen, und zwar schon Ende Mai. Deswegen be- weist die AfD mit ihrem Antrag nur eines: Es geht heute (B) (Beifall bei der FDP) um rein taktische Spielchen, aber eben nicht um die Zu- (D) kunft Europas. Thomas Hacker (FDP): (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Kollegen! SES 90/DIE GRÜNEN) Europa hat seinen Preis, Europa hat aber auch sei- nen Wert. Vor den Europawahlen wollen Sie mit den Rezepten des letzten Jahrhunderts Ressentiments schüren. Sie wollen Diese Aussage des leider viel zu früh verstorbenen Guido Menschen und Länder spalten und trennen und den jun- Westerwelle fasst gut zusammen, was wir bei Diskussi- gen Menschen damit die gemeinsame europäische Zu- onen über die Europäische Union oft vergessen. Ja, es kunft verbauen. Es geht Ihnen doch nicht um Europa und läuft nicht alles gut innerhalb unserer Europäischen Uni- Frieden; es geht Ihnen nicht um Wohlstand und Sicher- on, aber der Preis des Scheiterns wäre um ein Vielfaches heit. Sie legen die Axt des Hasses an all das, wofür wir höher. Der Frieden, die Stabilität, die Sicherheit und, ja, Demokraten stehen. auch die wirtschaftliche Stärke haben einen unfassbaren Wert. Daher sage ich wie viele von Ihnen voller Inbrunst (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und Überzeugung: Ja, ich bin ein glühender Europäer. der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das sieht man daran, wie Sie mit der russischen Ein- der CDU/CSU) flussnahme in der Region umgehen. Sie spielen sie he- runter, verharmlosen sie und verleugnen die Realität. Diesen Wert haben viele Länder erkannt, und genau Herr Droese, wer schreibt Ihnen denn all diesen Unsinn deswegen wollen sie Mitglied der EU werden, so auch auf? Ist es der Kreml direkt, oder machen Sie das nur die Länder des Westbalkans – zu Recht. 2018 hat die Eu- gegen Spenden? ropäische Kommission die Perspektive für diese Länder erneut bekräftigt. Wir haben aus früheren Erweiterungen (Corinna Miazga [AfD]: Jetzt ist aber Feier- gelernt: Es darf keine Aufweichung der Kopenhagener abend!) Kriterien mehr geben. Das ist uns heute allen klar. Die EU lernt eben doch. Wären Sie aufrechte Demokraten, könnten Sie niemals die Augen vor der gezielten Desinformation durch Russ- Die nächsten umfassenden Fortschrittsberichte der land verschließen. Sie würden die Bestechungen durch Kommission als wichtigste Grundlage für eine objektive russische Diplomaten anprangern und den Anstand ha- 11832 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Thomas Hacker (A) ben, den Ländern des Westbalkans den Respekt entge- Nezahat Baradari (SPD): (C) genzubringen, den souveräne Staaten verdienen. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Der westliche Balkan befindet sich (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der direkt vor unserer Haustür: Die Flugzeit von SPD) am Main nach Tirana beträgt zwei Stunden und fünf Mi- Jedes Land hat es doch verdient, dass seine Anstren- nuten – exakt genauso lange wie von Berlin nach Rom. gungen und Entwicklungen für sich betrachtet werden, Die Menschen in der Region sind Europäer im Herzen die Fortschritte und Erfolge, die mit großen Mühen Europas, umgeben von EU-Mitgliedstaaten. in jungen Demokratien erkämpft werden. Es ist doch Seit rund 18 Jahren schweigen die Waffen in allen ein gutes Zeichen, dass in Montenegro schon heute je- Ländern des Westbalkans, es herrscht Frieden. Die fried- der mit dem Euro zahlen kann, obwohl das Land noch liche Lösung des Namensstreits zwischen Griechenland nicht Mitglied der EU ist. Es sind gute Zeichen, dass in und Mazedonien zeigte, dass mit großem politischem Mazedonien mit dem Sprachgesetz die Versöhnung der Mut und großer Entschlossenheit ein schmerzlicher Volksgruppen und Minderheiten vorangebracht wird, Kompromiss für beide Länder möglich war, ohne kriege- dass Freundschaftsverträge mit Nachbarn geschlossen rische Auseinandersetzungen. werden und dass der Namensstreit zwischen Nordma- zedonien und Griechenland beigelegt wurde. Und es ist (Beifall bei der SPD) ein gutes Zeichen, dass dieser Reformprozess durch die Eine klare EU-Beitrittsperspektive sorgte für Versöh- Wahlen am letzten Sonntag noch einmal bestätigt wurde nung und Ausgleich. und durch die Bevölkerung weitergetragen wird. Eine ernstgemeinte Annäherung der Länder des west- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der lichen Balkans an die EU ist aus vielerlei Gründen auch SPD) in unserem eigenen Interesse. Es ist auch ein gutes Zeichen, dass die Überprüfung der (Beifall bei der SPD) Richter in Albanien vorangeht, diese Überprüfung eben Erstens. Ein Braindrain in der gesamten Region, also kein zahnloser Tiger ist. Bisher konnten über 100 Über- eine Abwanderung von gut qualifizierten Menschen, prüfungen abgeschlossen werden, und im Verfassungs- muss verhindert werden; denn dies würde zu erheblichen gericht gibt es jetzt viele offene Stellen. Wir müssen den demografischen Problemen vor Ort führen und zu einer Reformwillen ernst nehmen, die Fortschrittsberichte zunehmenden Migration nach Deutschland. kritisch und objektiv hinterfragen und den Ländern eine klare Perspektive innerhalb der europäischen Familie (Beifall bei der SPD) (B) (D) bieten. Zweitens. Nur mit klaren EU-Regeln lassen sich der (Zuruf von der AfD: Armenien!) Drogenschmuggel und der Menschenhandel in der Re- gion effektiv bekämpfen und eindämmen. Durch die Liebe Kolleginnen und Kollegen, die große Mehrheit Kooperation mit Frontex in Nordmazedonien wurden in diesem Haus kämpft für ein offenes und einiges Euro- rund 16 000 illegale Grenzübertritte nach Westeuropa pa, nicht nur heute, am Europatag, und nicht nur bis zur verhindert. Ebenso hat die verstärkte Sicherheitszusam- Europawahl am 26. Mai. menarbeit mit Italien dazu geführt, dass die Menge des beschlagnahmten Cannabis innerhalb eines Jahres um (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten 81 Prozent abnahm. der SPD) Drittens. Unsere technischen Innovationen und das Wir kämpfen für ein Europa der Toleranz und des Mitei- deutsche Know-how können dazu beitragen, die vielfäl- nanders, für ein Europa der Bürgerrechte und des Rechts- tigen Herausforderungen in dem Bereich Umwelt- und staats, für ein Europa, das zusammenwächst und Chan- Klimaschutz sowie bei der Abfallentsorgung und der In- cen schafft. Wir kämpfen für ein Europa der Freiheit. frastruktur zu lösen sowie Absatzmärkte in der Region Dafür lohnt es sich zu kämpfen – jeden Tag. für die Wirtschaft zu erweitern. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Viertens. Die Stabilisierung und Anbindung des west- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lichen Balkans an die EU ist in unserem eigenen geo- der CDU/CSU und der SPD) und sicherheitspolitischen Interesse. Die EU konkurriert hier mit Russland, China und den Golfstaaten. Wollen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wir dabei die Verlierer sein? Nein, nur durch eine starke EU-Außenpolitik können wir die Entstehung eines poli- Vielen Dank, Herr Kollege Hacker. tischen Vakuums verhindern und den Stabilitätsraum EU Jetzt rufe ich zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bun- ausdehnen. destag die Kollegin Nezahat Baradari auf. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Fünftens. Eine Infragestellung der EU-Beitrittsper­ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- spektive würde den Nationalisten vor Ort Aufwind geben geordneten der FDP) und weitere Reformfortschritte ausbremsen sowie erneut Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11833

Nezahat Baradari (A) auf dem Balkan die Lunte an das Pulverfass legen. Eine privilegierte Partnerschaft verspricht, um sie geostrate- (C) wie auch immer geartete Partnerschaft zweiter Klas- gisch einzubinden, aber nicht im Mindesten an einer Ent- se wird die Länder des westlichen Balkans langfristig wicklung in diesen Ländern interessiert ist. nicht motivieren, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu stabilisieren sowie Korruption zu be- (Beifall bei der LINKEN) kämpfen. Die von der EU gemachten Zusagen für den Es ist in diesem Zusammenhang besonders beschämend, Beginn von Aufnahmegesprächen – ich betone hier: Ge- dass es jetzt chinesische Firmen sind, die im Rahmen des sprächen – müssen eingehalten werden; denn bei dieser Seidenstraßenprojekts auf einen Ausbau der Infrastruk- Entscheidung geht es eindeutig auch um die politische tur setzen, während die Europäische Union es bislang Glaubwürdigkeit der EU auf dem gesamten Westbalkan. sträflich versäumt hat, Verkehrsprojekte auch zum Nut- zen der Region zu fördern. Es war kein Thema, dass man (Beifall bei Abgeordneten der SPD) vor 100 Jahren schneller mit der Bahn von Belgrad nach Also: Die Aufnahme von Beitrittsgesprächen ist ein Thessaloniki oder eben nach Istanbul reisen konnte, als Prozess ohne Automatismus – das möchte ich hier ganz es heute der Fall ist. klar betonen –, geknüpft an klare Konditionen und mit Es ist zudem eine Tatsache, dass, wenn die EU ihr hoher Kontrolldichte. Es darf weder Erleichterungen eigenes Recht ernst nimmt, man bestimmten Ländern noch Abkürzungen geben. selbstverständlich keine EU-Mitgliedschaft ermöglichen Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Angebot für kann. Ein Land wie Montenegro ist im internationalen eine weitere Annäherung der Länder des Westbalkans an Vergleich, was die Pressefreiheit angeht, auf Platz 104, die EU muss ernst gemeint sein. Die Hand, die die EU (Florian Hahn [CDU/CSU]: Was ist denn mit den Balkanstaaten gereicht hat, muss ausgestreckt blei- Russland?) ben und darf keine Faust sein. Albanien bei der Korruption auf Platz 99, noch hinter der (Beifall bei der SPD) Türkei Erdogans. Das kann man doch nicht irgendwie Diese ausgestreckte Hand müssen unsere Partnerinnen schönreden! und Partner aber auch greifen. Ehrlich, glaubhaft und (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der verlässlich muss der weitere gemeinsame Weg der An- CDU/CSU: Was ist mit Russland?) bindung an die EU gegangen werden. Europäer müssen sich die Hände reichen. Deshalb verstehe ich auch den Jubel der EU-Kommissi- on nicht, dass sich hier rechtsstaatlich alles zum Besse- Vielen Dank. ren wenden würde. Das deckt sich jedenfalls nicht mit (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) den Beobachtungen von Transparency International oder (D) auch den Reportern ohne Grenzen. Ich finde es kreuz- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gefährlich, dass man hier aus geostrategischen Gründen Hoffnungen weckt, die man dann am Ende wieder ent- Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin täuscht. Sevim Dağdelen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) In diesem Zusammenhang ist es frappierend, wie nahe Sevim Dağdelen (DIE LINKE): die AfD in ihrem Antrag zum Westbalkan dem Ansatz der Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Latein- Bundesregierung oder auch der EU-Kommission folgt. amerika ist in seiner Geschichte nur allzu oft als Hin- Statt der Eröffnung einer Beitrittsperspektive für die terhof der USA betrachtet worden. Militärische Inter- Balkanstaaten soll es um eine privilegierte Partnerschaft ventionen und ein rein geostrategischer Umgang prägten gehen. Ihre Begründung finde ich ziemlich interessant: jahrzehntelang das Bild. Sie schreiben, dass die Begründung der Europäischen Kommission, die Länder des Westbalkans müssten aus (Florian Hahn [CDU/CSU]: Freies Venezue- geostrategischen Gründen aufgenommen werden, nicht la!) trägt, weil der geostrategischen Vereinnahmung der Re- gion bereits mit dem Beitritt zur NATO Genüge getan Diese Art der Hinterhofpolitik, die eine eigenständige würde. Entwicklung nicht oder kaum zulässt, wurde zu Recht gerade auch hier in Europa parteiübergreifend stets kri- (Heiterkeit des Abg. Metin Hakverdi [SPD]) tisiert. Ich fände es verheerend, wenn die Hinterhofpolitik Wenn wir uns aber den Umgang der Europäischen der EU auf dem Balkan – egal mit welchen Mitteln – Union mit dem Balkan anschauen, so gewinnt man den fortgesetzt würde. Eindruck, dass es auch hier eine europäische Hinterhof- politik gibt, (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Die Ergebnisse sind nämlich auch bei der Politik der NATO verheerend. Ich darf in diesem Zusammenhang eine Politik, die an einer eigenständigen Entwicklung an den 20. Jahrestag des Überfalls auf Jugoslawien erin- dieser Länder nicht interessiert ist. Es ist doch ein Drama, nern; ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg der NATO, dass man diesen Ländern den EU-Beitritt oder auch eine unter dessen Folgen – der verschossenen Uranmunition – 11834 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Sevim Dağdelen (A) die serbische Bevölkerung noch heute leidet, nämlich mit schauen, die die EU-Perspektive haben wollen, ja, die (C) sehr hohen Krebsraten. Warum, so frage ich, hat die Bun- Hoffnung haben, dass die Länder in ihrer Region früher desregierung sich nicht wenigstens bemüht, sich an der oder später etwas mehr so sind wie Deutschland und die Beseitigung dieser anhaltenden Kriegsschäden auf dem deswegen die Fahrtrichtung EU haben wollen, die Hoff- Balkan zu beteiligen? nung auf Veränderung vor Ort nehmen. (Beifall bei der LINKEN) (Corinna Miazga [AfD]: Die wollen bestimmt Stattdessen setzen Sie gerade gegenüber Serbien Ihre nicht so sein wie Deutschland! Niemand will Hinterhofpolitik fort, indem Sie – gegen europäisches so sein wie Deutschland!) Recht – Serbien die völkerrechtswidrige Anerkennung Wie Kollege Hahn gerade gesagt hat: Damit sind Sie für des Kosovos als Voraussetzung für einen EU-Beitritts- die Menschen aus der Region die potenzielle Fluchtur- prozess aufzwingen. Das ist inakzeptabel, sache. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Sie wissen auch, dass fünf Mitgliedstaaten der EU bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Kosovo nicht anerkannt haben Lachen bei der AfD) (Peter Beyer [CDU/CSU]: Das ist eine Schan- Ihr Antrag ist zudem ein Anschlag auf die vitalen Si- de für die EU! Die sollten Kosovo anerken- cherheitsinteressen unserer engen Partner: Ungarn, Ös- nen, und zwar morgen! – Florian Hahn [CDU/ terreich, Italien, Kroatien, Slowenien und aller anderen CSU]: Wollen Sie, dass Serbien in die EU Staaten der Europäischen Union. Aber ich habe bewusst kommt, oder nicht?) eine Auswahl von Staaten genannt, von denen Sie immer behaupten, sie wären die besten Freunde der rechtsna- und Kosovo auch kein Land der Vereinten Nationen ist. tionalen Regierungen. Warum ist Herr Salvini für den Ich finde, wir brauchen eine Wende in der europäi- Beitritt dieser Länder? Warum ist Herr Orban für die schen Balkanpolitik. Statt um einen Hinterhof muss es Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und um einen gleichberechtigten Dialog und gleichberechtig- Nordmazedonien? Warum ist Kroatien explizit gegen Ih- te Partnerschaften gehen. Mit einer Politik der Erpres- ren Antrag, der Region die EU-Perspektive wegzuneh- sung oder der Einspannung in eine Konfrontationspolitik men? Weil die genau wissen, was ihre Sicherheitsinte- gegen Russland wird man den Balkan weiter zu einem ressen sind. Feld der Auseinandersetzung zwischen Großmächten machen. Damit muss Schluss sein! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) und bei der SPD) (D) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Petr Bystron [AfD] – Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie sind eine rechtsnationale Partei, die nicht im Interesse Sie haben null Plan!) Deutschlands handelt. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und den Regionen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Der Kollege Manuel Sarrazin spricht für Bündnis 90/ bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Grüne. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Manuel, das war fast zu viel für sie!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich warne davor: Unterschätzen Sie nicht die Unge- Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): duld der Gesellschaften vor Ort. Die Erweiterung ist die Voraussetzung für die noch nicht erfolgte Aussöhnung Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- und für den Frieden in der Region. Ohne die Perspekti- legen! Die AfD ist eine Partei, die in ihrem Programm ve auf eine Vollmitgliedschaft werden wir nicht nur die vom Dexit, also letztlich vom Austritt Deutschlands aus Grenzen, die diese Region heute noch trägt, nicht über- der EU, fabuliert. Aber vorher wollen Sie noch anderen winden können, wir werden den Nationalismus nicht Staaten den Beitritt versagen. Den logischen Wider- überwinden können, sondern wir werden auch die po- spruch müssten eigentlich sogar Sie erkennen. litischen Folgen der Kriege in dieser Region, die noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nicht abschließend geregelt sind, nicht lösen können. Die bei der CDU/CSU und der SPD) EU-Perspektive ist die Voraussetzung für die Überwin- dung der Folgen der Balkankriege. Ohne diese Perspekti- Dann ist da auch die Frage: Haben Sie sich mal über- ve besteht die Gefahr, dass die Region destabilisiert wird, legt, ob ein Erfolg Ihrer Politik nicht letztlich die Ursache ja, dass die Region vielleicht auch wieder in Krieg und dafür sein könnte, Migrationsbewegungen nach Deutsch- Zerstörung zurückfällt. land auszulösen? (Lachen bei Abgeordneten der AfD – Norbert Die EU-Perspektive ist unser einziges wirksames Mit- Kleinwächter [AfD]: Wie lange waren wir tel, die positiven Veränderungen, die wir alle gemeinsam denn schon an der Regierung, Herr Sarrazin?) wollen, auch durchzusetzen, und sie ist das wichtigste Moment für eine extern besetzte, aber für die Gesell- Sie wollen den Menschen in unserer unmittelbaren Nach- schaften intrinsische Motivation, Reformen anzugehen. barschaft, die mit Stolz und Respekt auf Deutschland Ohne die EU-Perspektive werden die Gesellschaften vor Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11835

Manuel Sarrazin (A) Ort nicht in der Lage sein, die schwierigen und schmerz- alles nicht so gemeint. – Das ist nicht unsere Vorstellung (C) haften Reformen, die nötig sind, anzugehen. von Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der ordneten der SPD) CDU/CSU) Für uns ist wichtig: Bei aller Euphorie und bei al- Ich sage es ganz bewusst an das ganze Haus: Die Er- len positiven Stimmungen zu Europa steht die CDU/ weiterung von 2004 war sehr erfolgreich. Wenn wir uns CSU-Bundestagsfraktion vor allem auch für Realismus anschauen, wo Polen 2004 stand und wo es jetzt steht, in dieser Debatte. dann stellen wir fest: Ohne die EU-Erweiterung wäre (Lachen bei Abgeordneten der AfD) alles schlechter in Polen. Aber vergessen wir nicht: 2002/2003 gab es einen Moment, in dem wir aufgrund Wir stehen für ein Europa, das seine Grenzen kennt. von Zögern und Zaudern fast versagt hätten, die Be- reitschaft der polnischen Gesellschaft zu unterstützten, (Lachen bei der AfD) durch weitere Reformen in Richtung EU zu gehen, Zu einer Europäischen Union, die ihre Grenzen kennt, Das heißt, die Glaubwürdigkeit der EU steht und fällt gehört es, dass wir sagen: Wir wollen zum Beispiel in der damit, dass die Möglichkeit besteht, tatsächlich Schritte Erweiterungsdebatte keine Vollmitgliedschaft der Türkei. in Richtung Europa zu machen. Der Lackmustest dafür Wir haben uns – das ist für uns ein wichtiger Grundsatz – wird die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Al- zu den Balkanstaaten bekannt. Das ist unsere Agenda, banien und Mazedonien in diesem Jahr sein. auch wenn Sie uns anderes unterstellen wollen. Für uns gilt: Vertiefung vor Erweiterung. Das ist für uns der ent- Danke sehr. scheidende Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei der CDU/CSU) bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- geordneten der FDP) Wir haben uns in unserem Europawahlprogramm dazu bekannt, dass wir eine EU-Erweiterung in den nächsten fünf Jahren nicht als realistisch empfinden. Wir arbeiten Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: für Vertiefung statt Erweiterung. Gleichzeitig müssen Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege wir aber auch sehen – das ist in der Debatte heute schon Philipp Amthor. angeklungen –, dass wir die strategische Bedeutung des Weltbalkans natürlich nicht vergessen; denn sie ist stark. (B) (Beifall bei der CDU/CSU) Es liegt im deutschen Interesse und es liegt im europäi- (D) schen Interesse, dass wir den Westbalkan teilhaben lassen Philipp Amthor (CDU/CSU): an unserer Integration in Bezug auf die Wirtschaftskraft Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sowie an unserer Integration in Bezug auf funktionieren- Selbst am heutigen Europatag schafft es die AfD nicht, de Rechtsstaatlichkeit und dass wir diese Region nicht in über den eigenen Schatten zu springen, und selbst am eine Abhängigkeit gegenüber Russland bringen. heutigen Europatag schaffen Sie es hier nicht, mit einer halben Silbe einmal etwas Positives über diese Europäi- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sche Union und ihre Errungenschaften zu sagen. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der AfD-Fraktion? ordneten der FDP – [CDU/CSU]: Unglaublich!) Philipp Amthor (CDU/CSU): Wir betreiben das Gegenteil. Herr Droese, bitte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frieden, Freiheit, (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! – Britta Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, das sind die Errun- Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: genschaften der Europäischen Union. Das sind vor allem Der wusste doch noch nicht mal, wer da Mit- Errungenschaften, die stark sind, weil wir sie gemeinsam glied ist!) mit anderen Staaten angehen. Dafür können wir heute an diesem Europatag ein Zeichen setzen. Siegbert Droese (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kollege Amthor, vielen Dank für die Gestattung der ordneten der SPD und der FDP) Frage. – Ich habe gerade meinen Ohren nicht getraut. Wir hatten vor wenigen Wochen im Hohen Hause eine In Europa ist nicht alles perfekt; aber es ist doch Türkei-Debatte. Dort sagten Sie, Sie möchten nicht, dass eine Erfolgsgeschichte. Das wollen Sie nicht sehen. Sie die Türkei die Vollmitgliedschaft erreicht. Das war der schwadronieren stattdessen hier und andernorts, im Par- Sinn unseres Antrages. Wir werden darüber noch disku- lament und im Europawahlkampf, über den Ausstieg tieren. Aber ich hatte, ehrlich gesagt, ein völlig anderes Deutschlands aus der Europäischen Union. Sie treten als Bild von der Union. Können Sie mir das erklären? Jetzt AfD bei einer Europawahl an, um das Europaparlament entsteht nämlich für die Bevölkerung und uns hier im abzuschaffen, und dann sagen Sie: Das haben wir doch Hohen Hause der Eindruck, dass die Union nicht für ei- 11836 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Siegbert Droese (A) nen Beitritt der Türkei stimmen würde. Das klang jetzt Und noch besser – ich zitiere weiter –: (C) ein bisschen anders. Insgesamt war sich die Delegation einig, dass Koso- Danke. vo Unterstützung verdient, um so früh wie möglich Mitglied der EU werden zu können. Philipp Amthor (CDU/CSU): (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- Herr Droese, nach Ihrer Wortmeldung entstünde der wie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und Eindruck, die AfD würde hier vernünftige Anträge vorle- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gen. Das ist nicht der Fall. Entweder wissen Sie nicht, was Sie da unterschrieben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- haben, oder Sie haben kein Gewicht in Ihrer Fraktion. ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Beides tut mir leid für Sie. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir lehnen Ihren Antrag ab. Ich weiß ja nicht, was Sie bei der Debatte gemacht ha- Herzlichen Dank. ben. Vielleicht haben Sie den guten Argumenten unserer Redner nicht zugehört, die damals dargestellt haben, wa- rum wir das ablehnen. Dass die CDU/CSU-Bundestags- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: fraktion gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Der nächste Redner ist der Kollege Metin Hakverdi, Europäischen Union ist, können Sie in unserem Wahlpro- SPD-Fraktion. gramm nachlesen; da steht auch noch viel anderes drin. (Beifall bei der SPD) Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre! Tut Ihnen sicher gut! – Herzlichen Dank dafür. Metin Hakverdi (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Kollegen! NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Peter Beyer [CDU/CSU]: Gesunde Gesichts- Aber ich war da angekommen, dass wir mit Blick auf farbe, Herr Brandner!) den Westbalkan schon auch die geostrategische Bedeu- tung sehen müssen; die ist wichtig für Deutschland. Die – Man muss lesen, was man unterschreibt, auch auf Rei- Aufnahme von Gesprächen zu einer Erweiterung bedeu- sen. tet ja nicht, dass sie dann auch kommt. Es gibt für uns (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) keinen Rabatt auf die Beitrittskriterien. Wir erwarten NEN]: Vielleicht war das auf Englisch!) (D) stabile Institutionen, einen besseren Kampf gegen Kor- ruption, Rechtsstaatlichkeit, ein Bekenntnis zur Markt- Natürlich ist es legitim, die Frage nach den Grenzen wirtschaft und eine Übernahme des EU-Acquis in den der EU-Erweiterung aufzuwerfen. Diese Frage müssen Regeln. Das sind für uns die Kriterien. wir uns in der Vergangenheit, in der Gegenwart und auch in der Zukunft stellen. Aber darum geht es der AfD – das Aber ich will der AfD dann doch noch etwas Positives haben wir heute gemerkt – in Wahrheit nicht. Der AfD sagen: geht es heute darum, dieses Haus als Bühne für ihren Anti-Europa-Wahlkampf zu nutzen, und das ist nicht in (Zuruf von der AfD: Was?) Ordnung. Herr Brandner, Sie bekommen von mir ja wirklich selten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lob. Aber als Vorsitzender des Rechtsausschusses – ich war ganz erstaunt – haben Sie im November 2018 eine Unter welchen Bedingungen soll ein Beitritt zur Eu- Delegationsreise nach Albanien und Kosovo gemacht. ropäischen Union möglich sein? Eine wichtige und sehr ernste Frage. Grundlage sind nach wie vor die Kopenha- (Stephan Brandner [AfD]: Was Sie alles wis- gener Kriterien, wie sie sich in Artikel 2 und Artikel 49 sen!) des EU-Vertrags wiederfinden. Sie kennen sie alle: Wah- – Hören Sie gut zu! – Bei dieser Reise haben Sie dann als rung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Wettbe- Vorsitzender des Rechtsausschusses – ich lese Ihnen das werbsfähigkeit, die Bereitschaft, sich die EU-eigenen einmal vor – folgende Abschlusserklärung unterschrie- Verpflichtungen und Ziele zu eigen zu machen. Jeder – ben – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: jeder! – europäische Staat kann, wenn er diese Kriterien, diese Werte erfüllt, die Mitgliedschaft beantragen. So Albanien ist ein Land in der Mitte Europas, dessen steht es in Artikel 49. berechtigte Erwartung und Hoffnung, bald Beitritts- verhandlungen mit der EU zu führen, wir überall zu Es wäre töricht und den Zielen des Friedens, des spüren bekommen haben. Wohlstands und der Sicherheit absolut abträglich, hätte man hier einzelne Regionen ausgeschlossen. Hätten die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Gründer der EU wie die AfD gedacht und sich an Res- ordneten der SPD und des Abg. Grigorios sentiments orientiert, die sich übrigens im Laufe der Zeit Aggelidis [FDP] – Britta Haßelmann [BÜND- immer wieder verändern, hätten sie andere Voraussetzun- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Der weiß doch nicht, gen wie Religion, Herkunft, Kultur, Sprache verwendet, was er vorgestern gesagt hat!) dann wäre dieses wunderbare Europa mit seinen 28 Mit- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11837

Metin Hakverdi (A) gliedstaaten nie zustande gekommen. Hätten die Gründer die Beitrittsperspektive von Anfang an ausschließen. (C) der Europäischen Union wie die AfD gedacht, einzelne Beides liegt in unserem nationalen Interesse. Regionen Europas von Anfang an auszuschließen, dann bestünde die EU heute wahrscheinlich aus sechs Mit- Ich danke Ihnen. gliedstaaten und hätte niemals die Ausstrahlungs- und (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Florian Transformationskraft entfaltet, die heute ganz Europa Hahn [CDU/CSU]) friedlicher, sicherer und wirtschaftlich erfolgreicher macht. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Letzter Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kol- der CDU/CSU) lege Peter Beyer. Das ist – das ist hier schon mehrfach gesagt worden, aber (Beifall bei der CDU/CSU) ich unterstreiche es – auch im deutschen, nationalen In- teresse. Selbst dem stolzen Vereinigten Königreich fällt es ungemein schwer, aus diesem Erfolgsprojekt auszu- Peter Beyer (CDU/CSU): steigen. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich Trotzdem: Bei den Voraussetzungen zu einem Beitritt am Anfang klarzustellen: Wir stehen zur EU-Perspektive darf es keinen Rabatt geben. Auch das ist hier schon der Westbalkanstaaten. gesagt worden. Übrigens: Der Beitritt eines neuen Mit- gliedstaates steht aktuell gar nicht an, auch nicht in 2025. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir brauchen Zeit und müssen uns anstrengen, die In- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ stitutionen der Europäischen Union fit zu machen. Wir DIE GRÜNEN) müssen die Entscheidungsstrukturen in der Europäischen Da sind wir verlässlicher Partner für all diejenigen, die an Union verbessern. Die Europäische Union muss auch mit die Tür der Europäischen Union klopfen. Richtig ist da- vielen Mitgliedstaaten noch handlungsfähig bleiben. Wir bei natürlich auch, dass wir die Augen vor den Realitäten müssen weiterhin die Mechanismen zur Achtung unse- nicht verschließen. Es kann keinen Automatismus geben rer Werte in den Mitgliedstaaten verbessern. Mitglieder beim Beitritt zur EU. Es kann auch nicht im Vorhinein ein müssen vor allem nach einem Beitritt die gemeinsa- gesetztes Datum für eine Vollmitgliedschaft geben. Und men Werte achten und fördern und nicht nur vor einem auch die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ist schon Beitritt. aus guten Gründen an sehr strikte Kriterien geknüpft. Es (B) (Beifall bei der SPD) gilt, diese Kriterien nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. (D) Bevor wir in diesen Bereichen unsere Hausaufgaben Gut 20 Jahre nach dem Ende der Zerfallskriege in Ju- nicht gemacht haben, können wir kein neues Mitglied in goslawien hat die Region eine beachtliche Leistung vor- die Europäische Union aufnehmen. zuweisen. Die verschiedenen Ethnien und Religionen in der Region haben gelernt, friedlich zu koexistieren, und Das bedeutet aber nicht, dass keine Beitrittsverhand- das innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeit. Nun lungen geführt werden sollen. Wir sollten die Zeit innerer gilt es, die Unsitten der Kriegszeiten zu überwinden, den Reformen unbedingt nutzen, um Reformen bei Anwärter- Ballast der Geschichte abzuwerfen und mit großem Ernst staaten zu forcieren. Beitrittsverhandlungen führen nicht und mit Bemühen den Weg in die europäische Staatenge- automatisch zum Beitritt. Das muss allen Anwärtern klar meinschaft zu beschreiten – nach dem Motto: Wer beitre- sein. Das muss aber auch hier im Haus allen klar sein, da- ten will, muss auch beitragen. mit wir nicht ängstlich mit diesem Instrument umgehen. Daher müssen wir auch immer wieder die Herausfor- (Beifall bei der SPD) derungen auf dem Weg in die EU benennen. Das sind die Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns Erreichung von Rechtsstaatlichkeit, von demokratischen mit der Weiterentwicklung der EU und mit der klaren Be- Strukturen, es muss eine Entpolitisierung der Verwaltung stimmung unserer eigenen Interessen auch nicht zu viel stattfinden, es muss ein effizientes und transparentes Jus- Zeit lassen. Die Welt da draußen wartet nicht auf uns. tizwesen aufgebaut werden, und zuallervorderst steht die Wenn Sie im Westbalkan unterwegs sind – ich weiß, dass Bekämpfung von Korruption und organisierter Krimina- viele Kollegen regelmäßig in der Region sind –, sehen lität. Das alles sind zentrale Punkte, mit denen die Re- Sie, dass andere, außereuropäische Mächte versuchen, gierungen der Länder des Westbalkans tagtäglich zu tun dort Fuß zu fassen. Deshalb ist die vollständige Inte- haben, die sie tagtäglich angehen müssen und – das ist gration des Westbalkans im vitalen Sicherheitsinteresse eine Forderung – auch wirklich umsetzen müssen. Das der Europäischen Union. Wir sollten unsere Kraft darauf können wir nicht für sie tun. Das ist ihre eigene Verant- verwenden, diese Region nach den Schrecken der Kriege wortung; da sind sie selbst gefordert, meine Damen und nachhaltig zu transformieren. Herren. Daher geht es jetzt darum, dass wir in der EU unse- Der EU-Annäherungsprozess ist dabei das mit Ab- re Hausaufgaben machen und uns reformieren. Auf dem stand am besten geeignete Instrument, den Staaten des Westbalkan geht es darum, die notwendigen Reformen westlichen Balkans kritisch, konstruktiv und auch letzt- einzuleiten. Beides ist richtig. Weder gibt es einen Frei- lich erfolgreich beiseitezustehen, damit die rechtsstaatli- fahrtschein für eine EU-Mitgliedschaft, noch dürfen wir chen und demokratischen Strukturen aufgebaut werden 11838 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Peter Beyer (A) können. Wir tun das, wir stehen an der Seite dieser Staa- Wir werden über die Beschlussempfehlung später na- (C) ten, und wir fühlen uns dazu verpflichtet. mentlich abstimmen. Das Ganze geschieht nicht aus purem Altruismus. Vor Interfraktionell sind 38 Minuten vereinbart. – Es gibt der Türe des europäischen Hauses haben wir ein eige- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. nes Interesse an stabilen und friedlichen Verhältnissen; Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist der denn – das wurde in der Debatte schon eingeführt – ein Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion. Aufbrechen von Konflikten – ja, auch von bewaffneten Konflikten – ist durchaus eine reale Gefahr in den mul- (Beifall bei der SPD) tiethnischen und multireligiösen Gemengelagen, mit denen wir es dort zu tun haben. Auch KFOR hat immer Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): noch eine Berechtigung, und zwar auch noch auf unab- sehbare Zeit, meine Damen und Herren. Wir haben also Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! ein eigenes Interesse daran, uns der Region so zuzuwen- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine Vor- den, dass jeder einzelne Staat EU-fit wird und eine ehrli- bemerkung: Wir haben in Deutschland, glaube ich, eine che Aufnahmeperspektive in die Europäische Union hat. einmalige Unternehmenslandschaft. Wir haben hervorra- gende Konzerne, hervorragende Familienunternehmen, Ich habe eine weitere Besorgnis. Das ist der wachsen- eine hervorragende Handwerkerlandschaft, wir haben de Einfluss dritter Akteure: Die Staaten sind zuallererst hervorragende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Russland, China, die Emirate und auch die Türkei. Näh- die das Bruttoinlandsprodukt erarbeiten und die auch me man den Menschen, meine Damen und Herren, die Vermögen schaffen. EU-Perspektive, wäre das nicht bloß eine grobe Enttäu- schung der Erwartungen der größtenteils jungen Men- Wer auf eine Konzernseite geht, sieht, dass dort eine schen in der Region. Nein, es wäre vor allem auch ein hohe Transparenz angekündigt wird. Dort stehen Sätze Verrat an uns selbst, an unseren eigenen Interessen. wie: „Sie bekommen einen exklusiven Einblick in un- seren global agierenden Konzern“ – Transparenzgewinn Daher ist der Antrag der AfD nur allzu durchschaubar. ist ein Wort, das ganz oft vorkommt –, „Sie können die Wir haben ja bekanntlich Informationen über ihre Russ- Geschäfte etwas genauer kennenlernen“. Und: „Wir wol- land-Nähe und die Unterstützung durch Russland. Es ist len“ – ganz anständig – „viel an das Gemeinwesen zu- durchschaubar, dass Sie Putin frei Haus das Argument rückgeben“. Sie finden wirklich ganz tolle Ankündigun- liefern sollen, dass die EU kein verlässlicher Partner ist gen, und die glauben wir den Konzernen auch. Sie haben und dass sie sich eben nicht an gegebene Versprechen allen Grund, öffentlich mit ihren Informationen umzuge- hält, sodass letztlich nur der Kreml eine veritable Zu- hen. Deshalb ist es auch gut, dass es diesen Antrag gibt; (B) kunftsperspektive für die Staaten des westlichen Balkans denn der Antrag unterstützt genau diese Transparenz, (D) zur Verfügung stellt. diese Offenheit. Er formuliert: Der Antrag ist falsch, er betrügt die Menschen, er Würden Konzerne Kennzahlen wie Umsatz, Ge- betrügt unsere eigenen deutschen Interessen und zeugt winn und Steuern für jedes Land einzeln ausweisen, darüber hinaus von gröbster Unkenntnis der Realitäten ließe sich Gewinnverkürzung besser erkennen. in der Region des Westbalkans insgesamt. Daher ist er Das ist die große Hoffnung. abzulehnen. Nun ist es so, dass wir das BEPS-Projekt, also das Ich danke Ihnen. Bemühen, die Gewinnverlagerung einzudämmen, auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- OECD-Ebene ja schon beschlossen haben. Es gibt völ- ordneten der SPD und der FDP) kerrechtliche Verträge, auf deren Basis ein automatischer Informationsaustausch zwischen den Ländern stattfin- det, allerdings zwischen den Steuerverwaltungen. Dabei

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: geht es um Gewinne, Anzahl der Arbeitnehmer; ungefähr Ich schließe die Aussprache. 20 Kennzahlen werden schon zwischen den Finanzver- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf waltungen ausgetauscht. Drucksache 19/9968 an die in der Tagesordnung aufge- Die Europäische Kommission hat nun eine Novelle führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- vorgelegt und den Vorschlag gemacht, die Rechnungsle- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos- gungsvorschriften so zu verändern, dass man diese Kenn- sen. zahlen auch öffentlich bekannt macht. An dieser Stelle Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 11: gibt es einen Streit, eine Diskussion, auch zwischen den Koalitionsfraktionen. Die CDU/CSU sagt: Keinesfalls Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- öffentlich. Wir sagen – das steht sogar in unserem Euro- richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu paprogramm –: Wir möchten es gerne öffentlich machen. dem Antrag der Abgeordneten Fabio De Masi, Jörg Cezanne, Klaus Ernst, weiterer Abgeordne- (Beifall bei der SPD) ter und der Fraktion DIE LINKE Das Problem ist nun: Dieser Vorschlag der Kommis- Konzerntransparenz gegen Steuerflucht sion hängt im sogenannten Trilog. Die Kommission ist dafür, das Europäische Parlament ist dafür; aber im Rat Drucksachen 19/7906, 19/8388 gibt es Verklemmungen, weil einzelne Länder dagegen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11839

Lothar Binding (Heidelberg) (A) sind. Deutschland kann nicht zustimmen, weil Deutsch- Nein, sie stehen am Pranger, weil sie kriminell waren, (C) land von unserer Regierung vertreten wird und die Re- weil sie betrogen haben, weil sie Dinge getan haben, die gierungskoalition sich nicht einig ist. Das ist ein gewis- sie nicht tun durften; aber sie stehen nicht wegen der ses Problem. Bereitstellung öffentlicher Informationen am Pranger. Insofern sieht man, dass es gut ist, damit vorsichtig um- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie sind Teil zugehen. der Regierung!) Um vielleicht noch einer Fehlinterpretation vorzubeu- – Sie verwechseln etwas. Parlament ist nicht gleich Re- gen: Die Zahlen, die in diesem Austausch genannt wer- gierung; deshalb bin ich auch kein Teil der Regierung. den, dienen gar nicht der Besteuerung. Der Besteuerung Aber das können Sie noch dazulernen. dienen die nationalen Gewinnermittlungsvorschriften, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der und die Veröffentlichung der Daten lässt keinen Rück- LINKEN) schluss auf die Besteuerung zu. Auch da gibt es Fehlin- terpretationen, vor denen ich warnen möchte. Ich glaube, Es gibt aber gute Argumente dagegen, das öffentlich übertriebene Befürchtungen, übertriebene Hoffnungen zu machen. Es könnte benutzt werden, um jemanden an führen in die Irre. Die Lehren, die wir in den vergange- den Pranger zu stellen. nen Jahren daraus gezogen haben, sind die Basis für die- sen Antrag. Er ist gerechtfertigt, und wir würden ihn auch (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Genau!) unterstützen. Jetzt frage ich aber, ob das An-den-Pranger-Stellen nicht (Beifall bei der SPD und der LINKEN) auch auf jeder Konzernpressekonferenz und auf jeder Hauptversammlung funktioniert; denn dort wird doch immer öffentlich erklärt, was der Konzern alles transpa- Vizepräsident Thomas Oppermann: rent machen will. Da gibt es natürlich auch die Möglich- Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete keit, jemanden an den Pranger zu stellen. Es gibt even- Jörn König für die AfD. tuell weniger Länder, die mitmachen. Das ist völlig klar. (Beifall bei der AfD) Allerdings: Wer jetzt schon nicht mitmachen will, der verschweigt den anderen Steuerverwaltungen das, was er nicht sagen will. Auch das gilt jetzt schon. Jörn König (AfD): Was ich besonders schlimm finde – das stimmt –: Es Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle- könnte auch falsche Interpretationen von korrekten Zah- gen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen und an den Fern- (B) len geben. Auch das ist ein großes Problem. Allerdings sehbildschirmen! Herr Binding, vielen Dank erst mal, (D) muss man sagen, dass das auch heute schon nicht ver- dass Sie noch mal so deutlich und transparent gemacht meidbar ist. Es ist im Moment ein politisches Problem. haben, dass die EU im Grunde zu keinen Entscheidun- Ich denke, dass die Hoffnung besteht, dass dann, wenn gen kommt und nicht handlungsfähig ist, obwohl sie sich man von hohen Gewinnen und niedrigen Steuern liest, eigentlich schon seit Jahrzehnten mit diesem Thema be- der Verdacht aufkommt: Da kann es sich eigentlich nur schäftigt. Das wurde wieder sehr deutlich. um Steuerhinterziehung handeln; da kann etwas nicht (Pascal Meiser [DIE LINKE]: Die Bundesre- stimmen. – Diese Interpretation, glaube ich, müssen wir gierung kommt zu keiner Entscheidung!) ein bisschen genauer verfolgen; denn natürlich können Konzernverluste oder Rückstellungsverpflichtungen – Auch richtig. dazu führen, dass ein Konzern hohe Gewinne gemacht Der Antrag der Linken befasst sich damit, dass mul- hat und trotzdem wenig Steuern bezahlt. tinationale Konzerne Gewinne über Ländergrenzen ver- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Aber nicht schieben und ihre Steuerlast drücken. Ja, auch die AfD ist dauerhaft!) dafür, Steuerflucht zu bekämpfen. Auch wir fordern: Die Konzerne müssen dort ihre Gewinne versteuern, wo sie Bei dieser Fehlinterpretation muss man aufpassen, erwirtschaftet werden. Aber bitte tun Sie doch nicht so, dass man nicht plötzlich Leute an den Pranger stellt, die als sei dieses Problem typisch für die deutsche Wirtschaft es nicht verdient haben. Darauf gilt es zu achten; das und gerade den Mittelstand. wollen wir machen. Allerdings darf man das auch nicht überhöhen. Wir haben bei den Banken sehr gute Erfah- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist ein rungen gemacht. Bei den Banken gibt es das öffentliche Problem der Konzerne! Was hat das bitte mit Country-by-Country Reporting, also den Austausch der Mittelstand zu tun?) Daten, schon länger. Und bei den Banken ist kein Pro- Die Steuereinnahmen sind in den letzten 22 Jahren auf blem entstanden. das Doppelte gestiegen. Auch der Mittelstand in Europa (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ist inzwischen multinational. Die Einnahmen sind nicht LINKEN) das Problem in Deutschland. Die Ausgaben sind das grö- ßere Problem, und vor allen Dingen ist die Steuerver- Oder kann jemand feststellen, dass die Banken deshalb schwendung ohne jede Strafe und ohne jede Konsequenz an den Pranger gestellt worden wären? das größte Problem. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der AfD) 11840 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Jörn König (A) Mehr Konzerntransparenz würden wir uns in der Tat Hier im Bundestag fordern Sie Transparenz gegenüber (C) wünschen, zum Beispiel bei der Zahlung von Sponsoren- der Zivilgesellschaft, auf Parteitagen fordern Sie bereits geldern an die alten Parteien, wodurch dem Staat Mil- die Enteignung von Konzernen. lionen von Steuern verloren gehen. Beispielsweise hat (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja!) der größte Tabakkonzern der Welt, Philip Morris, Hun- derttausende von Euro an Sponsorengeldern an CDU, Wollen Sie mittels der geforderten Transparenz genau die CSU, SPD und FDP gezahlt. Dies wurde in den Rechen- Informationen sammeln, die Sie brauchen, um zu wissen, schaftsberichten nicht als Zahlung von Philip Morris wo sich eine Enteignung der Wirtschaft zuerst lohnt? ausgewiesen, sondern nur als Sammelposten. So wurden das Sommerfest der CDU Sachsen und das Jubiläum der Aber nicht nur Linke träumen von Konzernenteignun- SPD-Zeitschrift „Berliner Republik“ gesponsert. Also, gen, auch führende SPD-Politiker wie Kevin Kühnert an jeder Marlboro-Zigarette, die Sie rauchen, partizipie- schreien nach Enteignung. ren die alten Parteien, und dem Staat gehen Millionen an (Lachen bei der SPD) Steuerzahlungen verloren. SPD und Linke sind für den deutschen Mittelstand schon Das Thema „Steuerschlupflöcher für Großkonzerne lange nicht mehr wählbar. wie Amazon“ steht seit Jahrzehnten auf der Tagesord- (Beifall bei der AfD) nung. Passiert ist nichts! Da können Sie mal sehen, wie handlungsunfähig diese hochgelobte EU ist. Die heutige Selbst für Arbeiter sind SPD und Linke unwählbar ge- EU ist einfach unfähig. worden. Zuerst haben in Mecklenburg-Vorpommern bei der Landtagswahl 2016 mehr Arbeiter AfD statt SPD ge- (Beifall bei der AfD) wählt. Ischias-Juncker und seine Großmacht Luxemburg ziehen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) andere Länder über den Tisch und nennen das dann Part- nerschaft. Ihre Forderung nach länderspezifischen Be- Nun hat es auch der Betriebsratsvorsitzende von BMW triebsauswertungen multinationaler Konzerne ist letzt- gemerkt. Er sagte wörtlich: endlich ein Eingeständnis, dass nationale Lösungen der Für Arbeiter deutscher Unternehmen ist diese SPD richtige Weg sind, um multinationale Konzerne dort zu nicht mehr wählbar. besteuern, wo der Umsatz gemacht wird. Da können wir als AfD nur sagen: Recht hat er. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sind Sie für die Panama Papers?) (Beifall bei der AfD) (B) (D) Das hat sogar die EU erkannt und hat dann auch eine län- Um auf den Antrag zurückzukommen: Die AfD lehnt derbezogene Berichterstattung von multinationalen Kon- ihn ab; denn Klassenkampf ist der falsche Weg, um Steu- zernen gegenüber den Finanzbehörden beschlossen – erflucht zu bekämpfen. aber natürlich ohne jede Sanktionsmöglichkeit. Niemand (Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!) muss sich daran halten. Wieder ist Handlungsunfähigkeit die Folge. Die heutige EU ist einfach unfähig. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Frau Merkel we- gen ihrer Messertoten als Kanzlerin zurücktreten sollte. (Beifall bei der AfD) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Leider geht der Antrag der Linken in eine andere (Beifall bei der AfD – Peter Beyer [CDU/ Richtung. Er schürt Vorurteile, spaltet die Gesellschaft CSU]: Schämen Sie sich! Schämen Sie sich! und die Wirtschaft. Unanständig! – Metin Hakverdi [SPD]: Su- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Lachen perpeinlich!) bei der LINKEN) Vizepräsident Thomas Oppermann: So fordern Sie nicht nur eine Berichtspflicht gegenüber Nächster Redner in der Debatte ist der Abgeordnete den Finanzbehörden, sondern Sie fordern auch Transpa- Fritz Güntzler von der Fraktion der CDU/CSU. renz gegenüber der Zivilgesellschaft. Das ist grober Un- fug. „Zivilgesellschaft“ ist ein Unwort; denn es gibt nur (Beifall bei der CDU/CSU – Sepp Müller eine Gesellschaft, und die ist nicht unterteilt in Militär- [CDU/CSU]: Endlich wieder zum Antrag! – und Zivilgesellschaft. Das Wort „Zivilgesellschaft“ ist Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Endlich Sach- nur eine Täuschung für linke Lobbyorganisationen und verstand!) NGOs. (Beifall bei der AfD – Lachen bei der LIN- Fritz Güntzler (CDU/CSU): KEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt Der Antrag schafft ein Klima der Wirtschaftsfeind- zur Sache zurück, Herr Kollege Dehm. Das wäre schon lichkeit und des Klassenkampfes. mal ganz gut. (Ulli Nissen [SPD]: Ist schon wieder Karne- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und val, oder was?) der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11841

Fritz Güntzler (A) Ich habe versucht, dem Kollegen König zu folgen; Schritt, den wir bei der Berichterstattung durch diesen (C) vielleicht war das ja schon der erste Fehler. Ich habe bis Informationsaustausch vollzogen haben. jetzt noch nicht verstanden, was die AfD eigentlich will. Sie suggerieren mit Ihrem Antrag – Lothar Binding (Beifall des Abg. Pascal Meiser [DIE hat das auch ein wenig getan –, dass man durch ein öf- LINKE] – Michael Grosse-Brömer [CDU/ fentliches Country-by-Country Reporting eine höhere CSU]: Dumme Sprüche!) Wirkung gegen aggressive Steuerplanungen erreichen Ich habe bis jetzt nur verstanden, was sie nicht will. Wir kann. Ich verweise aber gerne auf die Studie des Zen- sind uns auf sehr breitem Raum einig, dass es unfairen trums für Europäische Wirtschaftsforschung, des ZEW, Steuerwettbewerb und Steuergestaltung gibt. Wir sind also nicht irgendeines Instituts, das 2017, nachdem es uns vielleicht nicht darüber einig, in welchem Umfang es sich die Banken und den Rohstoffsektor, in dem wir das gibt; aber wir sind uns einig, dass wir etwas dagegen ein öffentliches Country-by-Country Reporting haben, machen wollen. angekuckt hat, schon erklärt hat: „Country-by-Country Reporting, Zwang zur Transparenz hilft kaum gegen ag- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und gressive Steuerplanung.“ der Abg. Sarah Ryglewski [SPD]) Von daher sollten wir uns die Frage stellen, welche Darum hat die Bundesregierung in der letzten Legisla- wirklich guten Instrumente es eigentlich gibt, mit de- turperiode unter Bundesminister Wolfgang Schäuble ja nen wir etwas erreichen können, und wir sollten diesen auch den BEPS-Prozess mit eingeleitet; Lothar Binding Weg nicht weitergehen. Zu den Instrumenten komme ich hat darauf Bezug genommen. Ein Punkt der 15 Aktions- gleich. punkte ist der Aktionspunkt 13, bei dem es um das Coun- try-by-Country Reporting, also um die Berichterstattung Aber ich möchte in der verbliebenen Zeit auch noch der Unternehmen, geht. Eine Veröffentlichung der Infor- mal kurz auf die Dinge eingehen, die unseres Erachtens mationen war im BEPS-Projekt damals nicht vorgese- beim öffentlichen Country-by-Country Reporting proble- hen. Wir sollten weiter daran arbeiten und diskutieren, matisch sind. Letztendlich hat Lothar Binding sie eigent- wie wir sukzessive zu Lösungen kommen. lich schon alle genannt. Ich fand seine Schlussfolgerung Wenn ich den Antrag der Linken lese, dann stört mich dann ein bisschen überraschend. Die Probleme hast du schon der erste Satz; denn dort muss ich lesen: sehr schön dargestellt, Lothar. Das größte Problem sind die Fehlinterpretationen von Zahlen; denn dabei geht es Multinationale Konzerne verschieben Gewinne um handelsbilanzielle Zahlen. Es sind keine Zahlen der über Ländergrenzen und drücken ihre Steuerlast. steuerlichen Gewinnermittlung. (B) So allgemein formuliert ist dieser Satz falsch. Ich Wir haben außerdem das Problem, dass wir zwar Län- (D) finde diesen Generalverdacht gegenüber den Unterneh- derzahlen, aber keine standardisierten Regeln für die Er- merinnen und Unternehmern in unserem Land eigentlich mittlung von Unternehmensgewinnen in allen Ländern auch unverschämt. zur Bewertung von Unternehmensaktiva haben. Das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und heißt, wir vergleichen da unter Umständen Äpfel mit der FDP) Birnen. Auch Lothar Binding hat darauf hingewiesen, dass man nicht einfach den Steueraufwand nehmen und Natürlich gibt es Unternehmen, die das tun; aber allen durch den Gewinn teilen kann, um eine Steuerquote zu Unternehmen, die international tätig sind, das per se zu ermitteln. unterstellen, halte ich nicht für richtig, und das sollten wir auch nicht tun, meine Damen und Herren. (Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und DIE GRÜNEN]) der FDP) Diesen Irrsinn haben ja schon die Grünen im Europäi- Nach allen Gutachten, die vorliegen, zeigen die Zah- schen Parlament gemacht, Frau Paus. Herr Giegold hat len – Durchschnittszahlen sind ja immer was Besonde- ja so eine tolle Studie vorgelegt, die ihm dann links und res –, dass die Steuerquote multinational tätiger Unter- rechts um die Ohren gehauen wurde, weil sie völlig nehmen in Deutschland 2 bis 3 Prozent höher ist als die falsch war. Steuerquote rein nationaler Unternehmen. Sie zahlen Ich zitiere gerne wieder das ZEW, das von „gravie- also im Durchschnitt sogar mehr Steuern als nur natio- renden methodischen Mängeln“ spricht. Das ist nämlich nal tätige Unternehmen. Das nehmen Sie in Zukunft bitte genau das Problem, wenn man die Zahlen einfach nimmt, auch mal zur Kenntnis. dividiert und zu einem Ergebnis kommt. Man muss die Und nun zur Frage, ob wir ein öffentliches Coun- Zahlen auch interpretieren können. Wir haben eben viele try-by-Country Reporting brauchen. Wir haben dies in steuerfreie Gewinne; Dividenden sind in vielen Ländern § 138a der Abgabenordnung als Berichterstattung zwi- steuerfrei gestellt. Es gibt auch nichtabziehbare Betriebs- schen den Finanzverwaltungen geregelt. Das halten wir ausgaben. Wir haben viele Probleme, sodass die Zahlen auch nach wie vor für richtig, weil die Finanzverwal- nicht einfach vergleichbar sind und die Gefahr besteht, tungen dafür zuständig sind, die richtigen Steuern in der dass es zu völlig falschen Aussagen kommt und damit richtigen Höhe zu erheben. Damit sind die Unterneh- die Prangerwirkung, die man hier auch schon angespro- men zu nahezu 100 Prozent transparent gegenüber den chen hat, entsteht. Diese Gefahr ist meines Erachtens Finanzverwaltungen. Das ist, glaube ich, ein wichtiger sehr groß. 11842 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Fritz Güntzler (A) Wir haben die Gefahr von Doppelbesteuerung. Wir Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) haben das Problem, dass es für Drittstaaten einen Anreiz Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist gibt, sich an dem Informationsaustausch nicht zu beteili- die Abgeordnete Katja Hessel für die Fraktion der FDP. gen, weil sie an die Daten kommen würden, ohne sich zu beteiligen. Das war bis jetzt auch immer die Aussage des (Beifall bei der FDP) Bundesfinanzministeriums. Ich hatte gedacht, so wäre das auch noch unter dem jetzigen Minister. Ich gehe erst Katja Hessel (FDP): mal davon aus, dass die Bundesregierung da mit einer Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Stimme spricht. ist sicherlich keine Frage in diesem Haus: Aggressive Steuervermeidung und Steuerhinterziehung müssen be- Wir haben außerdem das Problem, dass Geschäftsin- kämpft werden. Dieser Aussage würde sicherlich jeder teressen der Unternehmen verletzt werden können, da, hier im Plenum zustimmen. Wir wollen faire Wettbe- wenn sie eine reine Betriebsgesellschaft sind, natürlich werbsbedingungen, um sicherzustellen, dass die Ehrli- Margen offengelegt werden müssten, was im Wettbe- chen nicht die Dummen sind, und wir wollen natürlich werb, wenn Sie mit Lieferanten in Verhandlungen sind, auch dafür sorgen, dass die deutschen mittelständischen zu Problemen führt. Unternehmen im Steuerwettbewerb keine Nachteile ha- Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn wir das ben. Problem der aggressiven Steuerplanung und Steuerver- (Beifall bei der FDP) lagerung lösen wollen, müssen wir an die Wurzel des Problems herangehen. Das ist der Steuerwettbewerb. Die Steuerhinterziehung und Steuervermeidung zu bekämp- Frage ist, welche Antworten wir auf die Fragen zum in- fen und gleichzeitig für einen fairen Steuerwettbewerb zu ternationalen Steuerwettbewerb geben. Man könnte na- sorgen, dafür treten wir als Freie Demokraten ein. türlich auch unsere Steuersätze senken, damit die Steuer- Der Antrag hier ist dafür aber leider völlig ungeeignet. spreizung nicht so groß ist. (Beifall bei der FDP – Lisa Paus [BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Unsinn!) Das wäre ein Weg. Er ist nicht dazu geeignet, die aggressive Steuervermei- dung oder Steuerhinterziehung wirkungsvoll zu bekämp- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das fen. Es gehe darum, mehr Transparenz zu schaffen, steht wäre ein Irrweg!) darin. „Transparenz“ klingt natürlich immer gut. Aber um was geht es denn? Es geht darum, Unternehmen an (B) Vielleicht ist das nicht der alleinige Weg. Natürlich ist das (D) Race-to-the-Bottom-Prinzip – wo ist das Ende des Unter- den Pranger zu stellen. Wir wollen Transparenz; da kön- bietungswettlaufs? – bekannt; das ist ja klar. Es könnte nen wir uns dem Kollegen Güntzler voll und ganz an- aber erst mal ein Weg sein, Anreize zu minimieren. schließen. Wir wollen eine Transparenz gegenüber den Finanzbehörden. Wir brauchen Transparenz aber sicher- Der zweite Punkt, über den wir wirklich debattieren lich nicht, um Unternehmen an den Pranger zu stellen. sollten, ist die globale effektive Mindestbesteuerung (Beifall des Abg. Dr. Thomas de Maizière von Unternehmensgewinnen. Dazu haben wir einen [CDU/CSU]) OECD-Prozess aufgelegt, bei dem wir zu einer Moder- nisierung der Hinzurechnungsbesteuerung kommen. Das Wir hatten zu vielen Anträgen zum Thema „Paradise heißt, wenn Tochtergesellschaften unter einem gewissen Papers/Panama Papers“ bereits vor über einem Jahr eine Niveau Steuern zahlen, werden die Gewinne dem Mut- Anhörung im Finanzausschuss. Dort wurde uns von den terkonzern zugerechnet und zu einer höheren Besteue- Experten gesagt: Das Problem ist – das ist auch bei der rung hochgeschleust. Das ist ein Vorschlag, den die Bun- SPD angekommen –, dass die Daten, die veröffentlicht desregierung, den der Bundesfinanzminister verfolgen wurden, ohne eine Interpretation nicht aussagefähig sind. und den sie im Rahmen der Ratspräsidentschaft 2020 – Genau das ist doch das Problem. Wir würden mit einem so habe ich es vernommen – auch auf die europäische öffentlichen Country-by-Country Reporting einen Al- Ebene bringen wollen. leingang in der EU machen. Das schwächt den Standort, und gerade dies können wir uns momentan nicht leisten, Ich glaube, das sind Dinge, über die wir streiten soll- Frau Paus. Wir können es uns nicht leisten, unseren Wirt- ten, zu denen wir gemeinsam mit der ersten Säule, bei schaftsstandort zu schwächen. der es um die Verteilung von Besteuerungsgrundlagen bei der OECD geht, etwas entwickeln sollten. Damit er- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten reichen wir viel mehr als mit so einer Scheinlösung, die der CDU/CSU – Grigorios Aggelidis [FDP]: nichts bringen wird. Von daher lehnen wir diesen Antrag Die Abgeordneten der Grünen schon! Die ab. Ich hoffe, wir müssen nicht allzu oft über diesen An- kriegen eh schon ihr Geld, egal ob die Wirt- trag diskutieren, sondern können über Maßnahmen, die schaft läuft!) wirklich erfolgreich und zielgerichtet sind, beraten. Genau das ist das Problem. Wir haben doch jetzt ei- Herzlichen Dank. nen Austausch der Daten zwischen den Finanzbehörden. Der funktioniert noch nicht richtig; da sind wir uns ei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nig. Diesen Datenaustausch gilt es doch zu verbessern ordneten der FDP) und international auszuweiten. Wenn wir ein öffentliches Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11843

Katja Hessel (A) Country-by-Country Reporting machen, dann werden zahlten Steuern, ihre Umsätze oder die Anzahl der Be- (C) wir genau dies nicht tun; dann haben wir nämlich keinen schäftigten sind. Anreiz mehr für Drittstaaten, sich an diesem Austausch zu beteiligen, weil diese Staaten die Daten auch von an- (Beifall bei der LINKEN) derer Seite kriegen. Sind die Gewinne in einem Land hoch, aber die Steu- (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: So ist es!) ern dauerhaft niedrig oder existiert in einem Land nur ein Anrufbeantworter oder ein Briefkasten, aber es werden Wir haben als Bundestag auch eine Verantwortung ge- dort viele Gewinne verbucht, ist dies ein starkes Indiz, genüber unseren Unternehmen, nämlich die, dass wir mit dass Gewinne über Ländergrenzen verschoben werden. den Daten, die sie uns melden, verantwortlich umgehen. Heimische Unternehmen veröffentlichen übrigens die- Es gibt in Deutschland eine Art Steuergeheimnis. Dies se Kennzahlen in ihren Jahresabschlüssen. Von daher gilt es doch auch zu halten. möchte ich die FDP daran erinnern, dass zu Wettbewerb (Beifall bei der FDP) vollständige Information und Transparenz gehören. Wenn es darum geht, liebe Kollegen, Steuervermei- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!) dung zu bekämpfen, dann geht es doch in allererster Li- Und weil Sie unseren Antrag hier als populistisch be- nie auch um die Frage: Was machen wir mit den Umsatz- zeichnet haben, will ich Sie nur darauf hinweisen – Sie steuerkarussellen? Wie kommen wir hier in der EU, wo können ja mal Ihren Kollegen Theurer, der Mitglied des Steuern in Milliardenhöhe hinterzogen werden, zu einem Europäischen Parlaments war, fragen –, dass die FDP Regelwerk für einen internationalen Austausch? Hier sich im Europäischen Parlament mehrheitlich für ein öf- geht es um richtige Steuerausfälle. fentliches Country-by-Country Reporting ausgesprochen (Beifall bei der FDP) hat. Bei dem Antrag der Linken geht es um reinen Populis- (Beifall bei der LINKEN) mus, und deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. Dasselbe könnte ich übrigens in Richtung der Union sa- (Beifall bei der FDP) gen. Da gibt es den Kollegen Werner Langen. Unterhal- ten Sie sich mal mit ihm oder mit von der Vizepräsident Thomas Oppermann: CSU. Bei den Sozialdemokraten ist das ohnehin klar. Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Wer ist aber noch für den Vorschlag der Linken für die Die Linke der Abgeordnete Fabio De Masi. öffentliche Berichtspflicht? Es ist der Pate der Steueroase (B) Luxemburg und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude (D) (Beifall bei der LINKEN) Juncker. Es sind Italien, Frankreich und selbst die Steu- eroase Niederlande. Wer blockiert? Malta, Luxemburg Fabio De Masi (DIE LINKE): und, ja, auch der deutsche Finanzminister Olaf Scholz. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Apple-Konzern zahlte 2014 einen Steuersatz von (Zuruf von der LINKEN: Pfui!) 0,005 Prozent auf seine Gewinne in der EU. Für alle, die Meine Damen und Herren, wer meint, die europäische etwas schwach im Kopfrechnen sind: Das sind 50 Euro Idee zu retten, indem die EU niemals in die Lage versetzt Steuern für jede Million Gewinn. wird, ihren Job zu machen und so für Steuergerechtigkeit (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaub- zu sorgen, der sollte aufhören, im Wahlkampf für Steuer- lich!) gerechtigkeit zu plakatieren. Welcher Taxifahrer, welcher Handwerker, welche Kran- (Beifall bei der LINKEN) kenschwester verdient mehr als 1 Million Euro? Sie alle Mir sind die Gegenargumente alle bekannt. Ich habe zahlen aber mehr als 50 Euro Steuern, und deswegen will sie mit Fritz Güntzler ja diese Woche schon auf dem Fuß- Die Linke die Enteignung der Taxifahrer, der Kranken- ballplatz besprochen. schwestern und der Handwerker bei den Steuern in die- sem Land stoppen. (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Da bist du übri- (Beifall bei der LINKEN) gens besser! – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Die US-Konzerne sagen immer, auch Richtung EU: Sie überzeugen mich dennoch nicht. Fasst uns nicht an; denn wenn wir unsere Gewinne zu- (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: rück in die USA bringen, werden wir dort besteuert. – Linker Verteidiger!) Die „New York Times“ veröffentlichte die Zahlen für 2018: Amazon machte Gewinne von 11 Milliarden Euro Kollege Güntzler sagt, die Öffentlichkeit könnte diese und bekam von der US-Regierung 129 Millionen Euro Zahlen falsch interpretieren. Aber ist die deutsche Bevöl- zurück. Es gibt einen einfachen Vorschlag, um Licht in kerung denn so viel dümmer als die Franzosen oder die diesen steuerpolitischen Darkroom zu bringen und die Italiener, die dafür sind? Ihre Regierungen unterstützen großen Konzerne zu etwas Striptease zu zwingen, näm- den Vorschlag eines öffentlichen Country-by-Country lich dass internationale Konzerne für jedes Land in der Reporting, und es war der SPD-Finanzminister aus Nord- EU öffentlich machen, wie hoch ihre Gewinne, ihre be- rhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, der die GroKo 11844 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Fabio De Masi (A) aufgefordert hat, endlich mehr Mut zu zeigen und heute meinsame europäische Bemessungsgrundlage für Unter- (C) dem Antrag der Linken zuzustimmen. nehmen. Deshalb wollen wir Grüne europäische Min- deststeuersätze. (Beifall bei der LINKEN – Metin Hakverdi [SPD]: Nein, das hat er nicht gemeint!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jahrelang, seit 1977, gab es eine Verpflichtung in Ich weiß: Der rechten Hälfte dieses Parlamentes sind eu- der EU zum Austausch von Steuerinformationen zwi- ropäische Mindeststeuersätze ein Dorn im Auge. FDP, schen Finanzbehörden. Das Ergebnis war – wir konnten AfD und Union lehnen das ab. Sie singen unverdrossen es bei den Luxemburg Leaks besichtigen –: Eine Krähe weiter das neoliberale Lied von den heilsamen Wirkun- hackt der anderen kein Auge aus. Es gibt einen Grund, gen des nationalen Steuerwettbewerbs. So weit, so be- warum Sie hier nicht zustimmen: Sie haben Angst vor kannt. den Strafzöllen von Donald Trump. Aber ich sage Ihnen: Aber warum Sie dann hier heute mit fast noch größerer Meinen Sie wirklich, Donald Trump wird Deutschland Vehemenz dagegen sind, dass Unternehmen ihre Jahres- verschonen, weil wir die US-Konzerne nicht anfassen? ergebnisse nach Nationalstaaten untergliedert veröffent- Nein, Maßnahmen gegen Steuerflucht, das ist die einzige lichen, damit mehr Transparenz in den Steuerwettbewerb Sprache, die Donald Trump versteht. kommt – das ist der einzige Inhalt dieses Antrages –, das (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) können Sie keinem wirklich erklären. Wer die europäische Idee retten will, der muss dafür sor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen, dass die EU liefert. Stimmen Sie daher unserem An- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) trag zu. Ihre Blockade ist weder im nationalen Interesse – ich Vielen Dank. habe dargelegt, dass tatsächlich Chancen bestehen, dass die Einnahmen um 30 Prozent steigen –, noch ist sie im (Beifall bei der LINKEN) Interesse eines gut funktionierenden Wettbewerbs.

Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Lisa Paus von Bündnis 90/Die Grünen. Ludwig Erhard und Friedrich von Hayek würden sich im Grabe umdrehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Die würden Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sich im Grabe umdrehen, wenn Sie sie zitie- (B) ren!) (D) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Konzerne zahlen selten volle Steuern in der Europäischen Union. Wenn man wie Sie Steuerwettbewerb will, sollte man be- Das hat eine Studie im Auftrag der Grünen Anfang des denken: Es gibt gerade dann optimale Ergebnisse, wenn Jahres offenbart. Zwar liegt der durchschnittliche ge- alle über die gleichen Informationen über die relevanten setzliche Steuersatz in der Europäischen Union für Un- nationalen steuerlichen Rahmenbedingungen verfügen. ternehmen bei gut 23 Prozent; aber tatsächlich zahlen Wir haben dann einen fairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen nur 15 Prozent Steuern. Dadurch entgehen großen Konzernen mit großen Steuerabteilungen und den Staaten jährlich geschätzt zwischen 50 und 190 Mil- dem exportorientierten Mittelstand mit normaler Steu- liarden Euro, und der größte Verlierer dabei ist Deutsch- erabteilung. Wenn wir diesen Antrag beschließen, dann land. Die Einnahmen aus Unternehmensteuern könnten bekommen wir fairen Wettbewerb, nicht umgekehrt. in Deutschland um ein ganzes Drittel höher liegen, als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie es derzeit sind. und bei der LINKEN) Wie kann das sein? Der Steuerwettbewerb zwischen Das, was Sie machen, ist fadenscheinig, ist hohl und den Nationalstaaten findet eben nicht nur über Steuer- ist vorgeschoben. Die Wahrheit ist: Sie schützen weiter- sätze, also darüber, wie hoch die Steuer ist, statt, son- hin die Steuertrickser, weil Sie nicht wollen, dass dau- dern auch darüber, was wie besteuert wird. So wird erhaft und nicht nur einmal durch eine grüne Studie be- zum Beispiel so manches Eigenkapital, dessen Erträge kannt wird, wie wenig Steuern nicht nur Konzerne wie in Deutschland mit 25 Prozent zu besteuern sind, wenn Google und Amazon, es die Grenze nach Luxemburg überschreitet, plötzlich zu Fremdkapital und damit zu einer Ausgabe, und damit (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das ist wird es vom zu versteuernden Gewinn abgezogen. Wir falsch!) finden: Nicht das Unternehmen mit den schlechtesten sondern inzwischen auch deutsche Konzerne – Autokon- Produkten, aber der aggressivsten Steuervermeidungs- zerne, Chemiekonzerne und andere – zahlen. Das ungute abteilung sollte im Wettbewerb erfolgreich sein, sondern rechte Bündnis aus Politik und Großkonzernen gegen fai- das Unternehmen mit den besten Produkten, meine Da- re Marktwirtschaft und Steuergerechtigkeit, das müssen men und Herren. wir aufbrechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deshalb wollen wir gemeinsame Regeln, was wie und bei der LINKEN – Sebastian Brehm besteuert wird in der Europäischen Union, also eine ge- [CDU/CSU]: Na! Langsam! Langsam!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11845

Lisa Paus (A) Aber was macht Olaf Scholz? Was macht die SPD? nanzamt packt jetzt aus. – Aber dem ist nicht so. Die jähr- (C) Scholz macht den Steigbügelhalter dieses unguten Bünd- liche Veröffentlichung eines Jahresabschlusses ist gang nisses. Er macht genau das Gleiche, was und gäbe in diesem Land, nicht mehr und nicht weniger. und die SPD beim Uploadfilter und beim Artikel 13 ge- macht haben. Die SPD sagt: Ja, ja, ja. Die Minister han- (Beifall bei der SPD und der LINKEN – deln: Nein, nein, nein. Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Im Handels- recht, nicht im Steuerrecht!) Heute ist die letzte Gelegenheit. Alles ist fertig. Die EU-Kommission hat ein Gesetz vorgelegt; das Europä- Herr Güntzler, Ihr Vorschlag, durch Steuersenkungen, ische Parlament hat fraktionsübergreifend zugestimmt. durch Steuerwettbewerb die Steuerumgehung einzugren- zen, (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Falsch!) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Guter Deswegen fordere ich Sie ein letztes Mal auf: Überwin- Vorschlag!) den wir diese Blockade der Bundesregierung! Schaffen wir heute mit der Zustimmung zum Antrag mehr Trans- ist ja wohl der totale Irrweg. Sie sollten wissen: Es ist parenz und Steuergerechtigkeit in der Europäischen Uni- keine Zeit für Steuergeschenke. on! (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Am absurdesten ist jedoch folgendes Argument, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Öffentlichkeit könne die Vizepräsident Thomas Oppermann: Information gar nicht erst verstehen, und deswegen kön- Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion ne man sie auch gleich geheim halten. Ganz ehrlich: Das der SPD die Kollegin Cansel Kiziltepe. ist nichts als Hohn gegenüber den Menschen, die sich tagtäglich für mehr Steuergerechtigkeit in diesem Land (Beifall bei der SPD) einsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Cansel Kiziltepe (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lei- Wer so denkt, hätte auch die Bibel verbrannt, als sie noch der müssen wir nicht nur feststellen, dass immer mehr auf Latein war. Großkonzerne unglaubliche Kreativität beim Finden von Steuerschlupflöchern beweisen, nein, sie sind auch (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (B) äußerst kreativ, wenn es darum geht, Argumente gegen Dem Antrag der Linken können wir leider dennoch (D) mehr Steuertransparenz zu erfinden. Deswegen möchte nicht zustimmen. Liebe Kollegen, das hat einen ganz ich heute mit ein paar Scheinargumenten zum Thema banalen Grund: Die Kolleginnen und Kollegen aus der „public Country-by-Country Reporting“ aufräumen. Union wollen es einfach nicht. Eine Koalition ist wie Für diejenigen, die nicht wissen, was sich hinter diesem eine Beziehung: Manche Ansichten der Partnerin oder Wort verbirgt: Es geht um die Offenlegung der Umsätze, des Partners sind einfach nicht nachzuvollziehen. Aber Gewinne und Steuerzahlungen je Land. Das wollen wir die Hoffnung stirbt zuletzt, und vielleicht wachen auch auch als SPD. die Unionskollegen eines Tages auf und erkennen: (Beifall bei der SPD – Sepp Müller [CDU/ CSU]: Dann fangen Sie doch mal mit Ihren (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Zeitungen an!) bleibt ja nicht für immer! Machen Sie sich keine Sorgen!) Frau Hessel, Sie haben nicht nur in der Plenardebat- te im Februar dieses Jahres, sondern auch heute die Be- Deutschland braucht mehr Steuertransparenz. Mehr hauptung aufgestellt, EU-Unternehmen seien durch mehr Transparenz ist der Weg zu mehr Steuergerechtigkeit in Transparenz schlechtergestellt als ihre Konkurrenten aus diesem Land. Davon brauchen wir definitiv mehr. Das China. wollen wir als SPD. (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Na klar!) Vielen Dank. Ich sage Ihnen: Das stimmt nicht. Werfen Sie doch ein- (Beifall bei der SPD) fach mal einen Blick in die EU-Richtlinie! Die Richtli- nie soll nämlich für alle in der EU tätigen Unternehmen

gelten. Nach diesen Kriterien sind das 90 Prozent aller Vizepräsident Thomas Oppermann: multinationalen Konzerne. Vielen Dank. – Bevor ich den letzten Redner in der Debatte aufrufe, möchte ich die Kollegen, die jetzt zur Aber machen Sie sich keine Sorgen! Es gibt hier im namentlichen Abstimmung kommen, bitten, Platz zu Haus manche Kollegen am rechten Rand des Saales, nehmen und die Gespräche einzustellen, damit der letz- die grundsätzlich nichts gegen die Steuerumgehung tun te Redner auch noch vernehmbar ist. Das ist Sebastian wollen. Aber manche Ihrer Kollegen wissen nicht, was Brehm für die Fraktion der CDU/CSU. im deutschen Steuerrecht steht. Die befürchten nämlich, die Offenlegung von Steuerkennzahlen wäre ein Verstoß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gegen das Steuergeheimnis, frei nach dem Motto: Das Fi- ordneten der FDP) 11846 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Sebastian Brehm (CDU/CSU): Beitrag für unser Land. Deswegen sollte die Politik auch (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und hier ein verlässlicher Partner sein. Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wür- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den wir dem Antrag der Fraktion Die Linke heute zustim- ordneten der FDP) men, so würden wir die Axt an die Wurzel der deutschen Wirtschaft und damit die Axt an unseren Wohlstand le- Es muss doch unser Ziel sein, die international tätigen gen. Unternehmen und damit übrigens auch den deutschen Mittelstand, der mit den internationalen Unternehmen als (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Zulieferer eng verbunden ist, zu unterstützen und wettbe- neten der FDP – Zurufe von der SPD: Oah!) werbsfähig zu halten. Sie fordern eine umfassende öffentliche länderspezifi- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Genau! Die sche Berichterstattungspflicht von multinationalen Kon- haben ein Interesse daran! Die werden näm- zernen und damit einen Bericht über alle wichtigen Kon- lich benachteiligt!) zernkennzahlen wie Umsatz, Gewinn und Steuern für jedes Land einzeln. Wie schaffen wir das? Das schaffen wir, indem wir endlich wettbewerbsfähige Besteuerungsgrundlagen in (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Ihre Fraktion Deutschland schaffen. Das schaffen wir mit einer Moder- im Europaparlament auch!) nisierung der deutschen Unternehmensbesteuerung, die drei Leitprinzipien hat, die ich gerne vorstellen würde. Bei dem sogenannten BEPS-Projekt, also dem interna- tional abgestimmten Vorgehen gegen schädlichen Steu- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) erwettbewerb und gegen aggressive Steuergestaltungen international tätiger Unternehmen, sieht der Aktions- Gerade aufgrund der Steuerreformen in den angren- punkt 13 ein Country-by-Country Reporting, also eine zenden Ländern – nicht nur in Europa, sondern auch in Berichterstattung, vor, aber nicht öffentlich. Das ist der den USA – kommt es hier zu Wettbewerbsverzerrungen. wesentliche Unterschied in der gesamten Diskussion, die Deswegen brauchen wir eine Modernisierung der deut- wir heute führen. schen Unternehmensbesteuerung. Wir brauchen drei wichtige Punkte. Würde man die steuerlichen Zahlen veröffentlichen – Frau Kollegin Kiziltepe, es werden die handelsrechtli- Erstens. Wir brauchen eine Wettbewerbsfähigkeit im chen Zahlen veröffentlicht, nicht die steuerrechtlichen internationalen Vergleich, indem wir die Steuerbelastun- Zahlen –, so würde man das Ziel nicht erreichen und man gen für thesaurierte Gewinne, also für Gewinne, die im (B) würde bei vielen Ländern die Bereitschaft, dass sie auch Unternehmen verbleiben, die für Investitionen herange- (D) intern reporten, verlieren. Deswegen brauchen wir einen zogen werden, zum Beispiel für neue Technologien, re- Country-by-Country Report, aber einen internen. Wenn duzieren. Wir brauchen hier eine Reduzierung der Steu- wir das so machen würden, wie Sie es vorschlagen, dann ersätze. führt das zu einer Schwächung unserer Unternehmen (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die sind und zu einem hohen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit schon reduziert genug!) der deutschen Wirtschaft. Drittstaaten würden deutsche Konzernzahlen auswerten und sie im Wettbewerb gegen Teilweise zahlen Personenunternehmen in Deutschland die deutschen Unternehmen einsetzen. Das kann doch über 45 Prozent und im benachbarten Ausland 15 Pro- nicht unser Ziel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. zent. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Cansel Kiziltepe [SPD]: Das ist falsch!) ordneten der FDP) Das kann nicht richtig sein. Das führt dazu, dass Unter- Zudem besteht auch die ernsthafte Gefahr von Fehlinter- nehmen aus Deutschland abwandern. Deswegen brau- pretationen. Der Kollege Güntzler hat schon ausführlich chen wir hier eine Senkung der Steuersätze für thesau- darauf hingewiesen. rierte Gewinne. Mit Ihrer Forderung würde man zunächst auch das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- oberste Prinzip des Steuergeheimnisses zum Schaden der ordneten der FDP) eigenen Wirtschaft aufgeben. Wie schaffen wir das? Wir schaffen das zum Beispiel (Cansel Kiziltepe [SPD]: Das ist falsch!) durch die vollständige Abschaffung des Solidaritätszu- schlags. Da haben wir noch etwas miteinander zu tun. Das ist mit uns als CDU/CSU-Fraktion nicht machbar. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der FDP – Lothar Binding [Heidel- berg] [SPD]: Sie finanzieren eine Steuersen- Anstatt unsere deutsche Wirtschaft zu diskreditieren – kung durch eine Steuersenkung! Das ist eine wie in Ihrem Antrag; den Text muss man sich wirklich Arithmetik!) mal durchlesen – oder gar Enteignungen für die deutsche Wirtschaft zu fordern wie Frau Kiziltepe oder Herr Küh- Wir schaffen es mit einer Reform der Gewerbesteuer und nert, stehen wir hinter den Unternehmerinnen und Un- einer Option für die Unternehmen, auch nach Körper- ternehmern in Deutschland. Sie leisten einen wichtigen schaftsteuerrecht zu versteuern. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11847

Sebastian Brehm (A) Zweitens – das ist ein wichtiger Punkt, der in Ihrem Sie schaden mit Ihrem Antrag der deutschen Wirtschaft, (C) Antrag völlig negiert wird –: Wir brauchen Bürokratie- Sie schaden mit Ihrem Antrag auch dem Mittelstand. entlastungen für unsere Wirtschaft und keine weiteren (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Sie schaden Bürokratiebelastungen für die deutsche Wirtschaft. der CDU! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sie schaden der CDU!) ordneten der FDP) Damit schaden Sie auch den Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmern in unserem Land. Verstehen Sie mich nicht falsch: Transparenz ist richtig, Transparenz ist notwendig und wichtig. (Cansel Kiziltepe [SPD]: Sie schaden unse- rem Land!) (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidel- Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. berg] [SPD]) Herzlichen Dank. Aber es muss im richtigen Maß sein und mit den richti- gen Mitteln erreicht werden. Anstatt zum Beispiel einer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungsmodelle ordneten der FDP – Sepp Müller [CDU/CSU]: das Wort zu reden, sollten wir lieber zeitnahe Betriebs- Guter Mann!) prüfungen durchführen. Das schafft Transparenz, das schafft Rechtssicherheit für den Staat und schafft auch Vizepräsident Thomas Oppermann: Rechtssicherheit für die deutschen Unternehmen. Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Es geht um die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Übrigens, wenn wir schon mal die Chance haben, Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kon- eine Bürokratieentlastung zu erreichen, indem wir zum zerntransparenz gegen Steuerflucht“. Der Ausschuss Beispiel ein neues Steuergesetz – Stichwort: Grundsteu- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- er – bürokratiearm gestalten, dann sollten wir das auch sache 19/8388, den Antrag der Fraktion Die Linke auf machen, anstatt weitere Bürokratiebelastungen zu verur- Drucksache 19/7906 abzulehnen. sachen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bit- (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der te die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgese- (D) SPD und der FDP) henen Plätze einzunehmen. – Ist das überall der Fall? – Dann eröffne ich die Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir brau- chen drittens optimierte Strukturen. Es gibt schon Min- Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das die Stimm- destbesteuerungssätze im Außensteuerrecht, und zwar in karte noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Höhe von 25 Prozent. Wir brauchen eine Anpassung an Jetzt schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift- die normale Besteuerung in Deutschland; denn die Steu- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir werden ersätze im Außensteuerrecht sind wesentlich zu hoch und dann später das Ergebnis der Abstimmung bekannt ge- führen zu unfairen Belastungen deutscher Unternehmen ben.1) im Ausland. Wir brauchen auch weiterhin eine Senkung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: der Zinssätze und alles andere auch, Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (Cansel Kiziltepe [SPD]: Alles absenken, al- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entfris- les! – Metin Hakverdi [SPD]: Sind Sie mit Ih- tung des Integrationsgesetzes rer Liste mit Rezepten von vorgestern fertig?) Drucksachen 19/8692, 19/9764 etwa notwendige Rückstellungen im Bereich von For- Überweisungsvorschlag: schung und Entwicklung. Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Wir brauchen also eine Modernisierung der Unterneh- Ausschuss für Arbeit und Soziales mensbesteuerung in Deutschland. Dieses Thema müssen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für wir miteinander besprechen; denn wenn wir Deutsch- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich lands Wettbewerbsfähigkeit erhalten wollen, dann müs- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. sen wir unsere deutschen Unternehmen unterstützen und verhindern, dass ausländische Unternehmen mehr Ich eröffne die Aussprache erst, wenn alle, die jetzt Informationen erhalten, mit denen sie unsere deutschen hier nur noch Privatgespräche führen wollen, das stop- Unternehmen kaputtmachen können, liebe Kolleginnen pen, und die, die noch keinen Platz gefunden haben, und Kollegen. sich hinsetzen, und die, die den Saal verlassen wollen, gegangen sind. – Wollen Sie bitte dort die Stehdiskus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) 1) Ergebnis Seite 11849 A 11848 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) sionsgruppen auflösen und sich entscheiden, ob Sie an Personen, die einer sozialversicherungspflichtigen Be- (C) der Plenardebatte teilnehmen wollen oder draußen vor schäftigung mit einer Wochenarbeitszeit von mindestens der Tür Ihre privaten Gespräche fortsetzen wollen. – Die 15 Stunden nachgehen. Abgesehen davon gibt es eine Kollegen von der AfD, bitte! Härtefallklausel. Aus unserer Sicht ist die Wohnsitzauf- lage ein wichtiges und zentrales Integrationsinstrument. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat als Ich halte es für wichtig, dass der Gesetzgebungsprozess Erster der Staatssekretär Stephan Mayer für die Bundes- zügig vorangetrieben wird, um zu verhindern, dass es am regierung. 6. August dieses Jahres zu einem Auslaufen der Rege- (Beifall bei der CDU/CSU) lung zur Wohnsitzauflage kommt. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, er- Stephan Mayer, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- gänzend zu der Entfristung der Regelung zur Wohnsitz- nister des Innern, für Bau und Heimat: auflage haben wir in den Gesetzentwurf aufgenommen, Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- dass die Bedeutung und die Rechtfertigung der Wohn- nen! Sehr geehrte Kollegen! Ich danke dem Deutschen sitzauflage innerhalb von drei Jahren wissenschaftlich Bundestag, dass heute die erste Lesung des Gesetzes evaluiert werden. zur Entfristung des Integrationsgesetzes stattfindet. Das Bundeskabinett hat bereits am 27. Februar diesen Ge- Ein weiterer Punkt ist – das ist insbesondere im Sinne setzentwurf gebilligt. derer, die sich ehrenamtlich gemeinnützig für Flüchtlin- ge einsetzen –, dass die Haftungsbeschränkung, die mit Wenn man sich dieses Gesetz ansieht, dann könnte Einführung des Integrationsgesetzes ins Werk gesetzt man aufgrund der Länge meinen, es wäre ein unwich- wurde, und zwar dergestalt, dass der Verpflichtungsgeber tiges Gesetz – es ist zugegebenermaßen im Vergleich zu maximal über einen Zeitraum von drei Jahren für die Le- den allermeisten anderen Gesetzen ein sehr kurzes Ge- benshaltungskosten des Asylbewerbers oder Flüchtlings setz –; aber die Schlussfolgerung wäre falsch, weil es ein aufkommen muss, fortgesetzt wird. Andernfalls würde sehr wichtiges Gesetz ist. Es geht um die Entfristung der auch diese Regelung im Sinne der Verpflichtungsgeber, Regelung zur Wohnsitzauflage des § 12a Aufenthaltsge- was die Begrenzung der Haftung anbelangt, auslaufen. setz. Man kann mit Fug und Recht behaupten: Diese Re- Deshalb ist es wichtig, dass der vorliegende Gesetzent- gelung hat sich bewährt. wurf den Deutschen Bundestag, aber auch den Bundesrat möglichst innerhalb der nächsten Wochen passiert. § 12a des Aufenthaltsgesetzes ist mit dem gesamten Integrationsgesetz am 31. Juli 2016 verkündet worden. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, In- Wenn es jetzt nicht zu der Entfristung der Regelung zur tegration ist eine der epochalen Herausforderungen un- (B) Wohnsitzauflage käme, würde sie am 6. August dieses serer Zeit. Wir tun als Bundesregierung sehr viel dafür, (D) Jahres auslaufen. Man kann klar sagen: Das Instrument insbesondere die Personen, die eine Bleibeperspektive der Wohnsitzauflage hat sich als zentrales und wichtiges haben, die als Asylbewerber, als Flüchtlinge oder als Integrationsinstrument bewährt. subsidiär Schutzberechtigte anerkannt sind, in unsere Gesellschaft zu integrieren. Aber wir dürfen die Gesell- Um was geht es, meine sehr verehrten Kolleginnen schaft nicht überfordern. Wir sind der Meinung: Wenn es und Kollegen? Es geht darum, dass bei anerkannten zu einem Auslaufen der Regelung zur Wohnsitzauflage Asylbewerbern, Flüchtlingen oder auch subsidiär schutz- käme, dann bestünde konkret die Gefahr, dass sich Paral- berechtigten Personen die Möglichkeit besteht, den Auf- lelgesellschaften bilden und dass ein überproportionaler enthalt in einem Bundesland für einen Zeitraum von drei Zuzug, insbesondere in die Großstädte, in Ballungszen- Jahren festzulegen. Diese Wohnsitzauflage hat überhaupt tren erfolgt. Das ist persönlich durchaus nachvollziehbar, nichts mit Diskriminierung zu tun. Es geht vielmehr da- weil man natürlich dazu tendiert, dorthin zu ziehen, wo rum, dass man im Sinne der zu integrierenden Personen sich Familienangehörige und Freunde bereits aufhalten, alles dafür tut, dass sie möglichst gute Bedingungen vor- aber das ist nicht unbedingt im Sinne einer erfolgreichen finden, was die Versorgung mit angemessenem Wohn- und zielgerichteten Integration. Wir wollen der Gefahr raum, die Aneignung von deutschen Sprachkenntnissen der Zunahme von Segregationstendenzen deutlich entge- und eine Perspektive für Beschäftigung anbelangt. genwirken und haben deshalb den vorliegenden Gesetz- Der Bundesrat hat mit seiner am 12. April beschlos- entwurf eingebracht. senen Stellungnahme klar zum Ausdruck gebracht, dass Ich bitte um eine seriöse, intensive, aber auch zügige er eine Entfristung der Wohnsitzauflage wünscht. Es Befassung mit diesem aus unserer Sicht sehr wichtigen gibt auch sehr viele Bundesländer, die die Möglichkeit Gesetzgebungsvorhaben im Deutschen Bundestag. nutzen, bei der Verteilung innerhalb des Bundeslandes, bei der Binnenverteilung, von der Wohnsitzauflage Ge- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. brauch zu machen. Insofern darf ich Ihnen namens der Bundesregierung wärmstens ans Herz legen, die Rege- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) lung zur Wohnsitzauflage zu entfristen. Vizepräsident Thomas Oppermann: Die Wohnsitzauflage kann angeordnet werden, aber Vielen Dank. sie muss nicht angeordnet werden. Die Bundesländer können von der Möglichkeit der Anordnung der Wohn- Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er- sitzauflage Gebrauch machen, sie müssen es aber nicht. mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Das ist mir wichtig zu betonen: Sie gilt nicht für die die Beschlussempfehlung zu dem Antrag „Konzerntrans- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11849

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) parenz gegen Steuerflucht“ der Fraktion Die Linke liegt mit Nein haben gestimmt 120, Enthaltung 1. Damit ist (C) bereits vor. Es haben sich 613 Kollegen und Kolleginnen die Beschlussempfehlung angenommen und der Antrag an der Abstimmung beteiligt. Mit Ja haben gestimmt 492, abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Ingo Gädechens Michael Kuffer Thomas Rachel Abgegebene Stimmen: 613; Dr . Thomas Gebhart Dr. Roy Kühne Kerstin Radomski Alois Gerig Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Alexander Radwan davon Eberhard Gienger Andreas G. Lämmel Alois Rainer ja: 492 Ursula Groden-Kranich Katharina Landgraf Dr. Peter Ramsauer nein: 120 Hermann Gröhe Ulrich Lange Eckhardt Rehberg enthalten: 1 Klaus-Dieter Gröhler Dr. Silke Launert Lothar Riebsamen Michael Grosse-Brömer Jens Lehmann Johannes Röring Ja Astrid Grotelüschen Paul Lehrieder Stefan Rouenhoff Markus Grübel Dr. Katja Leikert Erwin Rüddel CDU/CSU Manfred Grund Dr. Andreas Lenz Albert Rupprecht Dr. Michael von Abercron Fritz Güntzler Antje Lezius Stefan Sauer Stephan Albani Olav Gutting Andrea Lindholz Dr . Wolfgang Schäuble Norbert Maria Altenkamp Christian Haase Dr. Carsten Linnemann Philipp Amthor Florian Hahn Patricia Lips Jana Schimke Artur Auernhammer Jürgen Hardt Nikolas Löbel Tankred Schipanski Peter Aumer Matthias Hauer Bernhard Loos Dr. Claudia Schmidtke Thomas Bareiß Mark Hauptmann Dr. Jan-Marco Luczak Christian Schmidt (Fürth) Norbert Barthle Dr. Matthias Heider Daniela Ludwig Patrick Schnieder Maik Beermann Mechthild Heil Karin Maag Nadine Schön Veronika Bellmann Thomas Heilmann Dr . Thomas de Maizière Felix Schreiner Sybille Benning Frank Heinrich (Chemnitz) Dr . Astrid Mannes Dr. Klaus-Peter Schulze Dr . André Berghegger Mark Helfrich Matern von Marschall Uwe Schummer Melanie Bernstein Rudolf Henke Hans-Georg von der Marwitz Armin Schuster (Weil am (B) Christoph Bernstiel Michael Hennrich Andreas Mattfeldt Rhein) (D) Peter Beyer Marc Henrichmann Stephan Mayer (Altötting) Torsten Schweiger Marc Biadacz Ansgar Heveling Dr. Michael Meister Detlef Seif Steffen Bilger Dr. Heribert Hirte Jan Metzler Johannes Selle Dr. Reinhard Brandl Christian Hirte Dr. h. c. Hans Michelbach Reinhold Sendker Michael Brand (Fulda) Alexander Hoffmann Dr. Mathias Middelberg Dr. Patrick Sensburg Dr. Karl Holmeier Dietrich Monstadt Thomas Silberhorn Silvia Breher Dr. Karsten Möring Björn Simon Sebastian Brehm Erich Irlstorfer Marlene Mortler Tino Sorge Heike Brehmer Thomas Jarzombek Elisabeth Motschmann Katrin Staffler Ralph Brinkhaus Andreas Jung Dr. Gerd Müller Dr . Wolfgang Stefinger Dr. Carsten Brodesser Ingmar Jung Sepp Müller Albert Stegemann Gitta Connemann Alois Karl Carsten Müller Andreas Steier Astrid Damerow Torbjörn Kartes (Braunschweig) Sebastian Steineke Alexander Dobrindt Volker Kauder Stefan Müller (Erlangen) Johannes Steiniger Michael Donth Dr. Stefan Kaufmann Dr. Andreas Nick Peter Stein (Rostock) Marie-Luise Dött Ronja Kemmer Petra Nicolaisen Christian Frhr. von Stetten Hansjörg Durz Roderich Kiesewetter Michaela Noll Dieter Stier Thomas Erndl Michael Kießling Dr . Georg Nüßlein Gero Storjohann Hermann Färber Dr . Georg Kippels Wilfried Oellers Stephan Stracke Uwe Feiler Volkmar Klein Florian Oßner Max Straubinger Enak Ferlemann Axel Knoerig Josef Oster Karin Strenz Axel E. Fischer (Karlsruhe- Jens Koeppen Henning Otte Michael Stübgen Land) Markus Koob Sylvia Pantel Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr. Maria Flachsbarth Carsten Körber Martin Patzelt Hans-Jürgen Thies Thorsten Frei Alexander Krauß Dr. Joachim Pfeiffer Alexander Throm Dr. Hans-Peter Friedrich Gunther Krichbaum Stephan Pilsinger Dr . Dietlind Tiemann (Hof) Dr. Günter Krings Dr. Christoph Ploß Antje Tillmann Michael Frieser Rüdiger Kruse Eckhard Pols Markus Uhl 11850 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Dr . Volker Ullrich Uli Grötsch Bernd Rützel Dr . Anton Friesen (C) Arnold Vaatz Bettina Hagedorn Sarah Ryglewski Markus Frohnmaier Oswin Veith Rita Hagl-Kehl Johann Saathoff Dr. Götz Frömming Kerstin Vieregge Metin Hakverdi Axel Schäfer (Bochum) Dr. Alexander Gauland Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sebastian Hartmann Dr. Nina Scheer Dr . Axel Gehrke Christoph de Vries Dirk Heidenblut Marianne Schieder Albrecht Glaser Dr. Johann David Wadephul Gabriela Heinrich Udo Schiefner Franziska Gminder Nina Warken Wolfgang Hellmich Dr. Nils Schmid Wilhelm von Gottberg Albert H. Weiler Gustav Herzog Uwe Schmidt Kay Gottschalk Marcus Weinberg (Hamburg) Gabriele Hiller-Ohm Ulla Schmidt (Aachen) Mariana Iris Harder-Kühnel Dr . Anja Weisgerber Thomas Hitschler Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Roland Hartwig Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Eva Högl Johannes Schraps Jochen Haug Sabine Weiss (Wesel I) Frank Junge Michael Schrodi Martin Hebner Ingo Wellenreuther Josip Juratovic Ursula Schulte Waldemar Herdt Marian Wendt Thomas Jurk Swen Schulz (Spandau) Lars Herrmann Kai Whittaker Oliver Kaczmarek Frank Schwabe Martin Hess Annette Widmann-Mauz Johannes Kahrs Stefan Schwartze Karsten Hilse Bettina Margarethe Elisabeth Kaiser Andreas Schwarz Dr. Bruno Hollnagel Wiesmann Ralf Kapschack Rita Schwarzelühr-Sutter Johannes Huber Klaus-Peter Willsch Cansel Kiziltepe Rainer Spiering Fabian Jacobi Elisabeth Winkelmeier- Dr. Bärbel Kofler Svenja Stadler Dr. Marc Jongen Becker Daniela Kolbe Martina Stamm-Fibich Jens Kestner Emmi Zeulner Elvan Korkmaz Sonja Amalie Steffen Stefan Keuter Paul Ziemiak Anette Kramme Mathias Stein Norbert Kleinwächter Dr. Matthias Zimmer Christine Lambrecht Kerstin Tack Enrico Komning Christian Lange (Backnang) Claudia Tausend Jörn König SPD Dr. Karl Lauterbach Michael Thews Dr. Rainer Kraft Niels Annen Helge Lindh Markus Töns Rüdiger Lucassen Ingrid Arndt-Brauer Kirsten Lühmann Carsten Träger Dr. Lothar Maier (B) Heike Baehrens Katja Mast Ute Vogt Jens Maier (D) Ulrike Bahr Christoph Matschie Marja-Liisa Völlers Dr . Birgit Malsack- Winkemann Nezahat Baradari Hilde Mattheis Dirk Vöpel Corinna Miazga Doris Barnett Klaus Mindrup Gabi Weber Andreas Mrosek Dr. Matthias Bartke Susanne Mittag Bernd Westphal Hansjörg Müller Bärbel Bas Falko Mohrs Dirk Wiese Volker Münz Lothar Binding (Heidelberg) Claudia Moll Gülistan Yüksel Siemtje Möller Sebastian Münzenmaier Leni Breymaier Dagmar Ziegler Bettina Müller Christoph Neumann Dr. Karl-Heinz Brunner Stefan Zierke Detlef Müller (Chemnitz) Jan Ralf Nolte Katrin Budde Dr. Jens Zimmermann Martin Burkert Dr. Rolf Mützenich Ulrich Oehme Dr. Lars Castellucci Ulli Nissen Gerold Otten AfD Bernhard Daldrup Thomas Oppermann Tobias Matthias Peterka Dr. Daniela De Ridder Josephine Ortleb Dr. Bernd Baumann Paul Viktor Podolay Dr. Karamba Diaby Mahmut Özdemir (Duisburg) Marc Bernhard Jürgen Pohl Esther Dilcher Aydan Özoğuz Andreas Bleck Martin Reichardt Sabine Dittmar Christian Petry Peter Boehringer Roman Johannes Reusch Dr . Wiebke Esdar Detlev Pilger Stephan Brandner Ulrike Schielke-Ziesing Yasmin Fahimi Sabine Poschmann Jürgen Braun Dr. Robby Schlund Dr. Johannes Fechner Florian Post Marcus Bühl Jörg Schneider Dr. Edgar Franke Florian Pronold Matthias Büttner Uwe Schulz Ulrich Freese Martin Rabanus Petr Bystron Martin Sichert Dagmar Freitag Andreas Rimkus Tino Chrupalla Detlev Spangenberg Michael Gerdes Sönke Rix Siegbert Droese Dr. Dirk Spaniel Martin Gerster Dennis Rohde Thomas Ehrhorn René Springer Angelika Glöckner Dr. Martin Rosemann Berengar Elsner von Gronow Beatrix von Storch Timon Gremmels René Röspel Dr. Michael Espendiller Dr . Alice Weidel Kerstin Griese Dr. Ernst Dieter Rossmann Peter Felser Dr . Harald Weyel Michael Groß Susann Rüthrich Dietmar Friedhoff Wolfgang Wiehle Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11851

(A) Dr . Heiko Wildberg Christian Sauter Heike Hänsel Kai Gehring (C) Dr . Christian Wirth Frank Schäffler Matthias Höhn Stefan Gelbhaar Uwe Witt Dr . Wieland Schinnenburg Andrej Hunko Erhard Grundl Matthias Seestern-Pauly Ulla Jelpke Anja Hajduk FDP Frank Sitta Kerstin Kassner Britta Haßelmann Dr. Hermann Otto Solms Grigorios Aggelidis Dr . Achim Kessler Dr. Bettina Hoffmann Bettina Stark-Watzinger Renata Alt Katja Kipping Dr . Anton Hofreiter Dr. Marie-Agnes Strack- Christine Aschenberg- Jan Korte Ottmar von Holtz Zimmermann Dugnus Jutta Krellmann Dieter Janecek Benjamin Strasser Nicole Bauer Caren Lay Dr. Kirsten Kappert-Gonther Katja Suding Jens Beeck Sabine Leidig Uwe Kekeritz Linda Teuteberg Nicola Beer Ralph Lenkert Katja Keul Michael Theurer Dr. Jens Brandenburg Michael Leutert Sven-Christian Kindler (Rhein-Neckar) Stephan Thomae Stefan Liebich Maria Klein-Schmeink Mario Brandenburg Manfred Todtenhausen Dr. Gesine Lötzsch Sylvia Kotting-Uhl (Südpfalz) Dr . Florian Toncar Thomas Lutze Oliver Krischer Dr. Marco Buschmann Dr . Andrew Ullmann Pascal Meiser Christian Kühn (Tübingen) Karlheinz Busen Gerald Ullrich Cornelia Möhring Renate Künast Carl-Julius Cronenberg Johannes Vogel (Olpe) Niema Movassat Markus Kurth Sandra Weeser Britta Katharina Dassler Norbert Müller (Potsdam) Monika Lazar Nicole Westig Bijan Djir-Sarai Zaklin Nastic Sven Lehmann Katharina Willkomm Hartmut Ebbing Petra Pau Steffi Lemke Dr. Marcus Faber Sören Pellmann Dr . Tobias Lindner Fraktionslos Daniel Föst Tobias Pflüger Dr. Irene Mihalic Thomas Hacker Uwe Kamann Martina Renner Claudia Müller Markus Herbrand Bernd Riexinger Beate Müller-Gemmeke Torsten Herbst Nein Eva-Maria Schreiber Ingrid Nestle Katja Hessel Dr. Petra Sitte Dr. Konstantin von Notz Manuel Höferlin AfD Helin Evrim Sommer Omid Nouripour (B) Dr. Christoph Hoffmann (D) Udo Theodor Hemmelgarn Kersten Steinke Friedrich Ostendorff Reinhard Houben Martin Hohmann Friedrich Straetmanns Lisa Paus Ulla Ihnen Dr . Kirsten Tackmann Filiz Polat Olaf In der Beek DIE LINKE Jessica Tatti Claudia Roth (Augsburg) Gyde Jensen Alexander Ulrich Dr. Manuela Rottmann Dr. Christian Jung Doris Achelwilm Kathrin Vogler Manuel Sarrazin Thomas L. Kemmerich Gökay Akbulut Andreas Wagner Ulle Schauws Karsten Klein Simone Barrientos Harald Weinberg Dr. Frithjof Schmidt Dr. Marcel Klinge Dr. Dietmar Bartsch Katrin Werner Stefan Schmidt Daniela Kluckert Lorenz Gösta Beutin Hubertus Zdebel Dr . Wolfgang Strengmann- Pascal Kober Matthias W. Birkwald Kuhn Dr. Lukas Köhler Heidrun Bluhm BÜNDNIS 90/ Margit Stumpp Carina Konrad Michel Brandt DIE GRÜNEN Markus Tressel Ulrich Lechte Christine Buchholz Dr . Julia Verlinden Kerstin Andreae Till Mansmann Birke Bull-Bischoff Daniela Wagner Lisa Badum Dr . Jürgen Martens Jörg Cezanne Beate Walter-Rosenheimer Annalena Baerbock Christoph Meyer Sevim Dağdelen Gerhard Zickenheiner Alexander Müller Fabio De Masi Margarete Bause Dr. Danyal Bayaz Roman Müller-Böhm Dr. Diether Dehm Fraktionslos Frank Müller-Rosentritt Anke Domscheit-Berg Canan Bayram Marco Bülow Dr. Martin Neumann Klaus Ernst Agnieszka Brugger (Lausitz) Susanne Ferschl Dr . Anna Christmann Hagen Reinhold Brigitte Freihold Katja Dörner Enthalten Bernd Reuther Sylvia Gabelmann Katharina Dröge Dr. Stefan Ruppert Nicole Gohlke Harald Ebner Fraktionslos Dr . h. c. Thomas Sattelberger Dr . André Hahn Matthias Gastel Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. 11852 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Wir machen weiter in der Debatte. Nächster Redner ist den Flüchtlingsbürgen. Klar ist und bleibt: Verträge sind (C) der Kollege Dr. Christian Wirth für die AfD. zu halten, pacta sunt servanda. Wer bürgt, muss zahlen.

(Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD)

Dr. Christian Wirth (AfD): Nur weil sich der Traum vom eigenen Gutmenschentum am Ende unangenehm auf dem eigenen Bankkonto nie- Herr Präsident! Werte Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär Mayer, es kommt in unserer Fraktion sel- derschlägt anstatt in den Steuergeldern der arbeitenden ten dazu, dass man einen Gesetzentwurf der Bundesre- Bevölkerung, ist das kein Grund, Forderungen ganz oder gierung zum Thema „Migration und Integration“ auf den teilweise auszusetzen oder zu beschränken. Genauso we- Tisch bekommt und nicht entsetzt den Kopf schüttelt. Es nig kann sich die Bundesregierung aus ihrer Verantwor- ist mir also eine Freude, Ihnen heute mitzuteilen, dass es tung für den eingebrockten Ärger herausstehlen, indem durchaus Positives in dieser Drucksache gibt. Wir sind sie zwischendurch einfach die Spielregeln ändert und selbstverständlich für eine Entfristung der Wohnsitzre- Bürgen länger und mehr zahlen lässt, als vereinbart war. gelung für international Schutzberechtigte. Allerdings Wer wirklich getäuscht wurde, der verdient eine entspre- darf eine solche Einschränkung der Freizügigkeit natür- chende Entlastung. lich nicht ohne Grund eingeführt werden. Sie ist ja kein Selbstzweck, sondern soll vielmehr der Integration die- Eindeutig ist natürlich eine Sache: Am Ende muss nen, und das scheint sie in der Tat zu tun. weiterhin die Heimkehr stehen, sobald die Umstände im Heimatland dies erlauben, was inzwischen bei vielen Die Residenzpflicht für Asylbewerber ist ein wich- klassischen Herkunftsländern der Fall ist, zum Beispiel tiges, wenn auch bei weitem nicht allmächtiges Mittel, im Irak, wo sich der irakische Außenminister Al-Hakim um der Bildung von Parallelgesellschaften entgegenzu- und der deutsche Außenminister Maas schon vor einem wirken. Gerade diese Parallelgesellschaften sind es, die halben Jahr einig waren, dass es sich nicht mehr um ein jede noch so edle Integrationsmaßnahme hinfällig ma- Kriegsgebiet handelt, die Sicherheitslage gut sei und die chen. Was bringt ein Deutschkurs, ein Integrationskurs irakische Regierung die in Deutschland aufgenommenen oder Ähnliches, wenn tagtäglich am Ende des Kurses die Iraker zur Rückkehr aufruft. Ich hätte nie gedacht, dass Rückkehr in ein nach Deutschland verpflanztes Stück Herkunftsland stattfindet? ich dies einmal sage, aber: Hören Sie auf , zumindest diesmal! Wenn nicht nur unsere ach so solidarischen EU-Staa- ten, sondern auch unsere Bundesregierung es tolerieren (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (B) und fördern, dass jeder Migrant sein Ziel Deutschland AfD) (D) erreicht, kann man wenigstens in Deutschland ein klein wenig Ordnung im Asylchaos einfordern. Denn wir reden hier von etwa 270 000 Irakern, die sich auf Kosten der Steuerzahler in Deutschland aufhalten. (Beifall bei der AfD) Asyl ist keine Dauerkarte, Asyl ist Schutz auf Zeit, und Denn es geht hier schließlich nicht um Gastarbeiter, drin- unter diesen Vorzeichen sollten die Integrationsmaßnah- gend benötigte Arbeitsmigranten oder Touristen, sondern men verstanden werden, die durch die Wohnsitzregelung um Menschen, die vor Krieg und Verfolgung in ein si- cheres Land geflohen sind und aus diesem sicheren Land unterstützt werden sollen. Sie wollen die Länder und dann meist zu den sozialen Fleischtöpfen Deutschlands Kommunen nicht überfordern, indem sie die Freizügig- weiterziehen. Aber selbst da, wo wir es mit wirklich keit einschränken und alle Maßnahmen deutlich planba- Schutzbedürftigen zu tun haben, kann als Gegenleistung rer machen. Das ist löblich. Wir warten geduldig darauf, durchaus erwartet werden, dass die Freizügigkeit zur ef- dass sich die Bundesregierung bewusst wird, wie sehr fizienten Bereitstellung der Hilfe vorübergehend einge- sie die Länder und Kommunen, aber auch die einzelnen schränkt wird. Bürger täglich noch überfordert. Mit ihrer Verweigerung, funktionsfähige Grenzkontrollen bei fehlenden EU-Au- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) ßengrenzkontrollen durchzuführen, und mit ihrem Ver- Die Wohnsitzregelung auslaufen zu lassen, wäre such, mit Resettlement-Programmen und mit lächerlich eine Katastrophe für Kommunen und Länder, die Pla- niedrigen Abschiebezahlen Furore zu machen, wird der nungssicherheit bei den Asylkosten und den Integrati- vorliegende Gesetzentwurf bestenfalls oberflächliche onsmaßnahmen brauchen. Außerdem ist die Regelung Reparatur bleiben. ein Segen für die Kommunen und Regionen, die schon jetzt mit Parallelgesellschaften und ethnischen Enklaven Die beste Integrationsmaßnahme für Schutzbedürftige zu kämpfen haben; siehe nur Berlin und viele Städte in ist und bleibt die konsequente Abweisung und Abschie- Nordrhein-Westfalen. Die bereits existenten Phänome- bung all derer, die sich einen Dreck um die Gesetze und ne sollten uns übrigens auch mahnen, dass das Problem um die Gesellschaft scheren, in die sie integriert werden nach der Erteilung eines entsprechenden Aufenthaltssta- sollen. tus nicht vorüber ist. Vielen Dank. Teilweise sinnvoll ist auch die Weiterführung der Haf- tungsbeschränkung bei den Verpflichtungsgebern, also (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11853

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: lässig, wenn sie der Integration dienen. Das hat der Euro- (C) Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin päische Gerichtshof so entschieden. Gabriela Heinrich für die Fraktion der SPD. Als SPD-Bundestagsfraktion hätten wir uns deshalb (Beifall bei der SPD) ein bisschen mehr Engagement des Innenministeriums beim Thema Evaluation gewünscht. Gabriela Heinrich (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir Wir müssen wissen, ob die integrationspolitischen Zie- das Integrationsgesetz wie vereinbart entfristen. Kon- le erreicht werden. Deswegen sieht der jetzt vorliegen- kret geht es dabei im Wesentlichen um zwei Punkte: Wir de Gesetzentwurf eine Überprüfung innerhalb von drei wollen die Wohnsitzregelung für anerkannte Flüchtlinge Jahren vor. Für uns als SPD ist entscheidend: Wir wollen verlängern, und wir kümmern uns um die Sicherheit von eine funktionierende Integrationspolitik, und die ent- Flüchtlingsbürgen im Hinblick auf die Haftung. scheidet sich vor Ort. Dazu gehören Sprachkurse, Wer- tevermittlung, Kenntnisse über Land und Leute, Kontak- (Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/ te zu Deutschen und nicht zuletzt Arbeit und Teilhabe. DIE GRÜNEN]) Wenn das mit einer strukturierten Verteilung – genau das Ich möchte zum Anfang eines deutlich klarstellen, ist die Wohnsitzauflage – besser gelingen kann, dann ist weil es oft verwechselt wird: Die Wohnsitzregelung ist sie unsere Unterstützung wert. etwas anderes als die Residenzpflicht. Die Wohnsitzre- Vielen Dank. gelung bedeutet keine Einschränkung beim Reisen. Sie legt fest, in welchem Ort ein anerkannter Flüchtling sei- (Beifall bei der SPD) nen Wohnsitz haben muss, und sie gilt für diejenigen, die Sozialleistungen beziehen. Sie endet spätestens nach drei Vizepräsident Thomas Oppermann: Jahren oder auch schon dann, wenn ein Flüchtling eine Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Arbeit, eine Ausbildung oder ein Studium aufnimmt. Na- Dr. Agnes-Marie Strack-Zimmermann für die FDP. türlich kann man dafür umziehen. Und es muss selbst- verständlich eine Härtefallregelung für Frauen geben, die (Beifall bei der FDP) von familiärer Gewalt bedroht sind. Eingeführt wurde die Wohnsitzregelung 2016, weil Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): damals in kurzer Zeit viele Flüchtlinge kamen. Dabei hat Herr Präsident, es ist wunderbar: Sie sind der Einzige, (B) sich gezeigt – das ist menschlich absolut nachvollziehbar; der es immer wieder schafft, meinen Namen umzudre- (D) Sie haben es schon gesagt –, dass die meisten Flüchtlin- hen; aber das macht nichts. Das ist eine Herausforderung; ge dort wohnen möchten, wo sie Verwandte oder Freun- ich weiß das seit 61 Jahren. de haben, und sie meist die Stadt dem Land vorziehen. (Heiterkeit bei der FDP, der CDU/CSU, der Der Zuzug von Flüchtlingen war und ist insofern eine SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ besondere Herausforderung für die Städte. Mittlerweile DIE GRÜNEN) kommen nicht mehr so viele Flüchtlinge zu uns. Trotz- dem denken wir, dass eine Verteilung weiter sinnvoll Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kommen bleibt. Das ist der Grund dafür, dass sich die Mehrheit wir jetzt zu dem wichtigen Thema, zum vorliegenden der Länder und alle kommunalen Spitzenverbände für Gesetzentwurf zur Wohnsitzregelung. Ich gestehe, ich die Entfristung der Wohnsitzregelung ausgesprochen bin keine Juristin; aber ich komme aus der Kommunalpo- haben. Entfristung bedeutet hier: Die Wohnsitzregelung litik, und deswegen erlaube ich mir, ein paar Sätze dazu soll bleiben. zu sagen. Die Bundesländer werden weiter eigenverantwortlich Wir sehen die in dem vorliegenden Gesetzentwurf entscheiden, ob und wie sie die Regelung nutzen wol- vorgesehene Entfristung der Wohnsitzregelung kritisch. len. Eine generelle Wohnsitzauflage gibt es zum Beispiel Die Wohnsitzregelung ist eingeführt worden, um sicher- im grün regierten Baden-Württemberg, in Hessen und in zustellen, dass integrationspolitische Maßnahmen für Bayern. Andere Länder nutzen die Möglichkeit, nur für Länder und Kommunen planbar sind und auch tatsäch- bestimmte Städte eine Zuzugssperre einzuführen, zum lich erfolgen können. Das hat sich im Großen und Gan- Beispiel Niedersachsen und Brandenburg. Diese Flexibi- zen bewährt. Um diese Regelung wirklich bewerten zu lität ermöglicht es, die Wohnsitzregelung bedarfsgerecht können, wollte die Bundesregierung uns innerhalb von anzuwenden; und das ist sinnvoll. drei Jahren – die sind jetzt vorbei; 2016 eingeführt, wir haben 2019 – eine wissenschaftliche Evaluation vorle- (Beifall bei der SPD) gen, inwieweit die Wohnsitzregelung eine nachhaltige Die Wohnsitzregelung muss zurückhaltend eingesetzt Integration fördert; denn darum geht es uns. Aber es ist werden – auch darüber haben wir schon gesprochen –, wie immer bei Integrationsangelegenheiten: Viel heiße und sie muss die bestmögliche Integration zum Ziel Luft; wirksame Taten suchen die Kommunen häufig ver- haben. Ja, sie ist ein Eingriff in die Freizügigkeit. Ein gebens. Und wo ist die Studie? Dieses Vorgehen nervt. solcher Eingriff darf immer nur mit Augenmaß erfolgen, Ich finde es auch unverantwortlich. Schon am nächsten und das auch nur dann, wenn es gute Gründe dafür gibt. Montag – das geht jetzt wirklich zackig; das kennen wir Wohnsitzauflagen für Migranten sind dann rechtlich zu- beim Innenministerium normalerweise nicht – soll eine 11854 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) Anhörung stattfinden. Das ist schon allein deshalb inte- Für manche Großstädte wäre das hilfreich. Wir warten (C) ressant, weil diese Anhörung angesetzt wurde, bevor uns ab, was da kommt. der Gesetzentwurf überhaupt erreicht hat. Ich sage es noch einmal: Das jetzt mit dieser Ge- (Beifall bei der FDP) schwindigkeit zu machen, halten wir für falsch. Wir sollten über die Entfristung nachdenken – das Gesetz ist Es ist uns völlig schleierhaft, warum eine Regelung ent- nicht schlecht –, es jetzt aber hopplahopp zu entfristen, fristet werden soll, deren Effektivität noch nicht erwiesen halten wir für einen Fehler. ist und bei der völlig unklar ist, ob eine Kontrolle – also ob die Leute, die einen Wohnsitz zugewiesen bekommen (Beifall bei der FDP) haben, auch wirklich dort bleiben – überhaupt stattfindet. Wir beobachten durchaus eine Konzentration in Groß- Vizepräsident Thomas Oppermann: städten und Ballungszentren. Vielen Dank. – Als Nächstes spricht die Kollegin Ulla (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jelpke für die Fraktion Die Linke. „Konzentration“ von Menschen!) (Beifall bei der LINKEN) Das wirft natürlich die Frage auf, ob diese Regelung – nur darum geht es ja – auch praktisch durchgesetzt wird Ulla Jelpke (DIE LINKE): und ob die Regierung an dieser Stelle wirklich genau hin- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die guckt. Kollegin Strack-Zimmermann hier vorgetragen hat, muss (Beifall bei der FDP) man unterstützen. Ich finde es wirklich wichtig, dass so ein Gesetz evaluiert wird. Zuvor haben Herr Mayer und Herr Staatssekretär, Sie sagten, Sie tun viel. Ich kann Frau Heinrich ziemlich bagatellisiert, was diese Rege- Ihnen nur sagen: Ich glaube, es würde helfen – auch lung für die Betroffenen heißt. Eine Wohnsitzauflage be- wenn das Thema heute nicht mehr diese Brisanz hat wie deutet nämlich Zwang. Man muss dorthin gehen, wohin 2015/16 –, wenn Sie mal aus Berlin in diese Ballungs- man zugeteilt wird. Das bedeutet oft, dass man in ländli- zentren fahren und sich vor Ort anschauen würden, was che Gebiete bzw. Städte gehen muss, dort noch zu tun ist. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Ganz schlimm! (Beifall bei der FDP) Da leben nur die ganzen Unterprivilegierten! Jetzt soll es ganz rasch gehen. Ja, wir können die Rege- Das ist diese Großstadtarroganz, die dieses lung verlängern; sie zu entfristen sehen wir aber – ich Land spaltet!) sagte es schon – äußerst kritisch. (B) in denen man kein soziales Umfeld hat. – Marian, hör zu! (D) Meine Damen und Herren, wir halten das ursprüng- (Marian Wendt [CDU/CSU]: Ja, ich höre zu! liche Anliegen des Gesetzes – ich sage es noch ein- Deshalb rege ich mich ja auf!) mal: 2015/16 waren angespannte Zeiten, gerade für die Kommunen – für ausgesprochen richtig. Die Wohnsitz- Möglicherweise wird man von der Familie getrennt. Das regelung sollte eine faire Lastenverteilung innerhalb ist schon ein enormer Einschnitt. Da hier von einem Inte- des Bundesgebietes gewährleisten und – Sie sagten es grationsgesetz die Rede ist, fragt man sich doch: Wo sind zu Recht – eine besonders starke Konzentration in den denn die wirklichen Integrationsangebote? Wie stärkt Ballungsgebieten verhindern und auch soziale Konflikte man wirklich das soziale Umfeld? verhindern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- An der Stelle möchte ich noch einmal hervorheben: NIS 90/DIE GRÜNEN) Ohne das Engagement der Kommunen – in den Ämtern Ganz nebenbei möchte ich hier erwähnen: Nach der wurde improvisiert, was für deutsche Amtsstuben unge- Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Qualifika- wöhnlich ist – und das Engagement der vielen Ehrenamt- tionsrichtlinie haben anerkannte Flüchtlinge ein Recht lichen wäre das nicht gegangen. Trotz der am Anfang auf Freizügigkeit. Sie dürfen ihren Wohnort in der Regel kaum vorhandenen Unterstützung durch die Bundesre- frei auswählen. Es gibt natürlich Einschränkungen dieses gierung – die hat das Problem ja ignoriert – ist eine Su- Rechts. Die sind aber nur unter engen Voraussetzungen perarbeit vor Ort geleistet worden. An dieser Stelle muss mit dem Ziel einer besseren Integration zulässig, wie der man es noch einmal betonen: Ohne die vielen Ehrenamt- Europäische Gerichtshof klargestellt hat. Es müsste ein- lichen wären die Kommunen schlichtweg abgesoffen. mal evaluiert werden, ob das tatsächlich so gehandhabt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- wurde. ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Wohnsitzauflagen erschweren oftmals die Integrati- GRÜNEN) on in den Arbeitsmarkt. Das kann man beispielsweise Meine Damen und Herren, ein Gesetz, das nicht einer wissenschaftlichen Studie entnehmen. Diese zeigt, durchgesetzt werden kann, muss man besser machen dass die Hälfte der Menschen die Arbeit, die sie in ih- oder abschaffen. Insofern wäre eine Evaluation wirklich rer Umgebung gefunden haben, vor allen Dingen durch sehr hilfreich gewesen. Es ist übrigens auch zu fragen, ob persönliche und soziale Kontakte bekommen haben. Das es nicht sinnvoll wäre, dass Städte den einen oder ande- kennen wir auch aus unserer persönlichen Erfahrung. ren Flüchtling in Nachbarregionen ziehen lassen können, Wer mit Migrantinnen und Migranten und Flüchtlingen dorthin, wo Raum ist. Das ist momentan nicht möglich. zusammenarbeitet, weiß, dass es häufig Freunde oder Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11855

Ulla Jelpke (A) Familienangehörige sind, die diese Menschen vermitteln. Ich danke Ihnen. (C) Diese Kontakte haben diese Menschen durch eine Wohn- sitzauflage oft nicht. Das ist eindeutig belegt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Übrigens ist auch die Wohnungssuche ein Problem. Nehmen wir als Beispiel einmal das noble Viertel im Vizepräsident Thomas Oppermann: Landkreis Starnberg in Bayern. Dort sind die anerkann- Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion ten Flüchtlinge gezwungen, in sogenannten Container- Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Filiz Polat. wohnanlagen zu wohnen. Sie sind damit auch unter Kon- trolle. Sie sind also – das kann man sagen – lagerähnlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) untergebracht. Ich möchte wirklich einmal wissen, was es mit Integration zu tun hat, wenn Menschen nicht so Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): leben können, wie sie wollen. Sie werden eher entmutigt. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Es ist für sie diskriminierend. Besuchen Sie ruhig einmal ren! Wir sind im Moment mit einem Aufgebot an Gesetz- so ein Lager. Ich habe es mehrfach gemacht. Man kann entwürfen im Migrationsrecht konfrontiert, mit dem die sehen, wie frustriert die Leute dort sind. Bundesregierung ihre Strategie der Abschreckung und Desintegration vorantreibt, und die SPD macht das leider (Hansjörg Müller [AfD]: Unsere Obdachlo- mit. sen haben nicht einmal einen Container!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wohnsitzauflagen sind außerdem ein Hindernis für SES 90/DIE GRÜNEN) einen effektiven Gewaltschutz. Das finde ich einen be- sonderen Skandal. Zu Recht wirft Pro Asyl gemeinsam mit den Flücht- lingsräten der Bundesländer in einem offenen Brief, der (Beifall der Abg. Ulle Schauws [BÜND- vorgestern an die Abgeordneten der SPD-Fraktion ver- NIS 90/DIE GRÜNEN]) schickt wurde, die Frage auf – ich zitiere, Herr Präsi- dent –: Wenn Frauen von Gewalt betroffen sind und in ein Frau- enhaus außerhalb des ihnen zugewiesenen Ortes gehen Wir fragen uns, inwieweit die Bundesregierung müssen, ist das nach dem Gesetz eine Ordnungswidrig- noch für Menschenwürde und den Schutz von Men- keit. Das ist wirklich ein Skandal. schenrechten einsteht ... (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Alle Gesetze bewegen sich an den Grenzen der Grund- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN) prinzipien des deutschen Rechtsstaates oder überschrei- (D) ten diese. Beim hier debattierten Integrationsgesetz – das Das Gesetz enthält zwar eine Härtefallregelung. Doch möchte ich einmal betonen, weil das hier kaum Erwäh- bisherige Erfahrungen zeigen, dass diese in der behördli- nung gefunden hat – sprechen wir über die Einschrän- chen Praxis keinen hinreichenden Schutz garantiert. Wir kung der Freizügigkeit von bereits anerkannten Geflüch- kennen aus den Beratungsstellen mehrere Fälle, bei de- teten, meine Damen und Herren. nen die Frauen in lebensbedrohlichen Verhältnissen woh- (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: So ist es!) nen. Die betroffenen Beraterinnen und Berater schätzen die Situation so ein, dass die Aufhebung der Wohnsitz- Da Sie das zu vergessen scheinen und auch die SPD verpflichtung oft nicht genehmigt wird. Das muss sich sich nicht mehr an die harten Verhandlungen von 2016 ändern, meine Damen und Herren. Das hätte man im erinnert: Wir sprechen hier von Artikel 26 der Genfer Rahmen eines solchen Gesetzes evaluieren können. Flüchtlingskonvention sowie Artikel 33 der EU-Quali- fikationsrichtlinie. Das, was Sie hier heute vorgetragen (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle haben, ist wirklich eine Farce. Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Bärbel Bas [SPD]: Das machen wir auch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zum Schluss möchte ich noch etwas zu den Kosten Es ist die Rechtsprechung – Frau Jelpke hat es gesagt – sagen, die den Flüchtlingshelfern und -helferinnen nach sowohl des Bundesverwaltungsgerichtes als auch die des wie vor aufgebürdet werden. Europäischen Gerichthofes. Ein Eingriff in diese Freizü- gigkeit kann, Herr Wendt, eben nicht zur Steuerung von Vizepräsident Thomas Oppermann: Sozialtransferleistungsempfängern erfolgen, sondern ein Eingriff ist nach europäischer Rechtsprechung nur dann Sie müssen zum Schluss kommen, Frau Kollegin. rechtskonform, wenn die Wohnsitzregelung für Asylbe- rechtigte ein geeignetes und erforderliches Mittel ist – da Ulla Jelpke (DIE LINKE): waren die Juristinnen und Juristen am Werk –, um die Verbesserung der Integrationsbedingungen tatsächlich zu Ich komme zu meinem letzten Satz. – Wir sind der fördern. Den Beweis, ob dies so ist, meine Damen und Meinung: Das ist eine staatliche Aufgabe, keine Aufgabe Herren, bleibt die Bundesregierung aber schuldig. für Personen, die humanitäre Hilfe leisten. Deswegen ist diese Dauer viel zu lange: Drei Jahre kann kaum jemand In den Antworten auf die Kleinen Anfragen meiner den Lebensunterhalt eines Menschen finanzieren. Fraktion sagt die Bundesregierung selbst, dass nach wie 11856 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Filiz Polat (A) vor kaum Erkenntnisse zu den Wirkungen vorliegen. Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) Deshalb ist es fatal, dass wir heute – Frau Strack- Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Alexander Throm für die Fraktion der CDU/ (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann CSU. [FDP]: Zimmermann! – Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Zimmermann hat es gesagt – das Gesetz entfristen – vie- Alexander Throm (CDU/CSU): len Dank –, ohne die bereits verankerte Evaluierung vor- genommen zu haben. Meine Damen und Herren, ich will Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und es noch einmal betonen: Das war eine Forderung, die von Kollegen! Wir haben in der Tat einen ganzen Strauß von Ihnen selbst, liebe SPD, hineinverhandelt wurde, um die- Gesetzen zur Migrationssteuerung auf der Tagesordnung. sen schweren Eingriff zu begründen. Wir müssen das Migrationsgeschehen auch innerhalb von Deutschland steuern und dabei gleichzeitig die Chancen Eine weitere Begründung in der damaligen Gesetzes- von anerkannten Schutzbedürftigen fördern. Die Wohn- beratung zur Einführung der Wohnsitzregelung ist eben- sitzauflage – das haben die letzten drei Jahre in der Pra- falls entfallen. Die verstärkte Zuwanderung 2015/16 war xis gezeigt – ist dafür ein geeignetes Instrument. Deshalb eine der Hauptbegründungen. Die Krönung des Ganzen – wollen wir sie den Ländern und Kommunen, die das wol- meine Kolleginnen und Kollegen haben es gesagt – ist len, dauerhaft zur Verfügung stellen und verhindern, dass allerdings, dass Sie unter Missachtung der parlamentari- die Frist für diese Regelung Mitte dieses Jahres ausläuft. schen Gepflogenheiten bereits gestern eine Anhörung im Um was geht es? Es geht darum, dass wir beispiels- Ausschuss beschlossen haben, bevor wir hier und heute weise das knappe Gut Wohnraum, so gut es geht, den über die Einbringung beraten können. Das ist wirklich Schutzberechtigten entsprechend zur Verfügung stellen, unparlamentarisch. dass wir für Kindergartenplätze, für Schulplätze und für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) angemessene Integrationsleistungen durch Integrations- kurse und Sprachkurse sorgen. Als überzeugte Europäerinnen und Europäer werden Es ist doch eigentlich nicht bestreitbar, dass eine ge- wir als Grüne weiterhin das Recht auf Freizügigkeit ver- wisse Ballung von bestimmten Gruppen in einer Gemein- teidigen. Es ist wichtig, glaube ich, das vor der Europa- de oder in einer Stadt zu sozialen Problemen führt und wahl zu betonen. Dies gilt gleichermaßen für Geflüchtete dass wir diesen Problemen begegnen müssen. Deswegen mit einem rechtmäßigen Aufenthaltstitel. wollen wir, dass gerade Städte, große, aber auch mittel- große Städte, nicht überfordert werden. Das nützt in der (B) Die Kollegin Jelpke hat es gesagt – das haben uns auch (D) Tat niemandem, am wenigsten den Flüchtlingen selbst. die Beratungsstellen und die Frauenhäuser geschrieben, auch der Deutsche Juristinnenbund hat das in einer Stel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lungnahme deutlich gemacht –: Die Wohnsitzregelung ist darüber hinaus ein großes Hindernis für insbesondere Ja, es geht auch darum, der Segregation entgegen- von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt be- zuwirken. Das heißt, dass sich Menschen gleicher Her- troffene Frauen. Da sind die Regelungen, so schreiben kunft und gleicher Sozialisation in einer Gemeinde oder sie, sogar gefährdend, da sie eine erhebliche Hürde für einer Stadt niederlassen. Es ist sicherlich verständlich, einen schnellen und effektiven Gewaltschutz darstellen. dass man Gleichgesinnte sucht. Aber wir haben auch Deswegen gehört dieser Passus gestrichen. Darauf hat hier in den letzten Jahren und Jahrzehnten Erfahrungen der Bundesrat Sie auch hingewiesen, Herr Mayer. gemacht, dass es eher integrationshemmend als integra- tionsfördernd ist. Insofern ist das ein nachvollziehbares (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Argument für die Wohnsitzregelung. Ich kann ehrlich gesagt nicht erkennen, dass das, was Ich komme zum Schluss. Die Zuzugsperre, über die wir machen, unzumutbar für die Betroffenen ist. Wir be- kaum jemand geredet hat, die sogenannte kommunale weisen als Deutschland jeden Tag unsere Humanität. Wer Obergrenze, ist aus unserer Sicht zutiefst diskriminie- an Leib und Leben gefährdet war, wird doch Verständnis rend und der falsche Ansatz. Ich habe alle Städte mit dafür aufbringen, dass er zeitweise – bei aller Fürsorge, Zuzugssperre besucht. Hier sind nicht die Geflüchteten die wir ansonsten für ihn und seine Familie haben – in das Problem, meine Damen und Herren, sondern die feh- der Wohnsitznahme beschränkt wird. Das halte ich für lende finanzielle Unterstützung in der Infrastruktur durch einen durchaus zulässigen Eingriff. den Bund. Mit den aktuellen Kürzungsplänen gerade an dieser Stelle stellt der Finanzminister diesen Kommunen (Beifall bei der CDU/CSU) ein Bein, statt – das fordern wir von der Bundesregie- rung – sich endlich dauerhaft und strukturell an den Inte- Gerade wenn wir auf die Flächenländer Nordrhein-West- grationskosten zu beteiligen. Meine Damen und Herren, falen, Bayern und Baden-Württemberg schauen, stellen Migration ist nicht das Problem, sondern die uns regie- wir fest: Hier ist es erforderlich, diese Regelung anzu- rende Zweckgemeinschaft. wenden. Wir haben hier auf der einen Seite große Bal- lungszentren und auf der anderen Seite ländliche Ge- Vielen Dank. genden. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann aus Baden-Württemberg hat – zugegebenermaßen in einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) anderen Zusammenhang – gesagt, dass man gewisse Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11857

Alexander Throm (A) Gruppen trennen und einige von ihnen in die Pampa Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (C) schicken müsse; Sie erinnern sich bestimmt. Zwar gibt es [FDP]) nirgendwo in Deutschland eine Pampa. Aber in diese ver- meintliche Pampa können wir diese Gruppen nur dann Weil Sie sich sichtlich darüber gefreut haben, dass Asyl schicken, wenn wir eine Wohnsitzregelung haben. Herr Schutz auf Zeit ist und die Leute dann wieder gehen Kretschmann hat sich also vehement und durchaus mit sollen, will ich sagen: Ich bin froh, dass Abgeordneten- kräftiger Rhetorik für eine Fortgeltung dieser Regelung mandate auf Zeit vergeben werden. Ich freue mich, wenn eingesetzt. auch Sie dieses Parlament irgendwann verlassen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Lars Herrmann [AfD]: Die SPD! 9 Prozent!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Ihre Vorsitzende Frau Baerbock hat dann dazu gesagt, sie Zur Wohnsitzauflage möchte ich für die SPD-Frakti- hätte das anders formuliert – das hätte ich auch gemacht; on klar sagen: Wir treten für die Freiheit und nicht für da gebe ich ihr recht –, aber die Grünen hätten immer ge- ihre Einschränkung ein. Dass wir die Freiheitsrechte der sagt, dass es für Asylsuchende eine dezentrale Unterbrin- betreffenden Menschen einschränken müssen, fällt uns gung geben müsse; das sei die beste Prävention. Auch deshalb nicht leicht. Wir treten für die Freiheit von vie- da gebe ich ihr recht. In diesem Zusammenhang kann len ein, nicht von wenigen, für die Freiheit von Not, für eine dezentrale Unterbringung von Schutzberechtigten die Freiheit von Furcht. So hat das Willy Brandt gesagt. nur durch die Wohnsitzregelung erfolgen. Ich habe Hoff- Wenn wir also Eingriffe vornehmen, dann muss es dafür nung, dass bei den Grünen ein gewisses Umdenken ein- schon gute Gründe geben. Der zentrale, wichtige Grund setzt, zumal wir bei diesem Gesetz Erfahrungen aus den ist: Wenn wir das nicht getan hätten, wenn wir nicht ge- letzten Jahren berücksichtigen. Wir gestalten es durchaus steuert und geordnet hätten, dann wären noch viel größe- flexibler und werden den Bedürfnissen der Betroffenen re Eingriffe in die Freiheit nötig geworden, dann hätten eher gerecht, beispielsweise bei besonderen Familien- wir die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft unserer Be- konstellationen oder bei der Trennung von Täter und Op- völkerung aufs Spiel gesetzt. Das durften wir nicht tun. fer im Fall von häuslicher Gewalt. Heute können wir sagen: Steuerung und Ordnung sind uns gelungen. Auch mit der in Rede stehenden Regelung Ja, Frau Kollegin Polat, es ist ein knappes Verfahren; haben wir die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft unserer da gebe ich Ihnen recht. Es muss der Ausnahmefall sein, Bevölkerung erhalten können. Deswegen war das eine dass wir das auf diese Weise parlamentarisch einbringen. sinnvolle Regelung. Aber es ist ein überschaubarer Sachverhalt. Deswegen glaube ich, dass es für alle im Haus ausnahmsweise zu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) mutbar ist, dieses Verfahren nun so beginnen zu lassen. der CDU/CSU) (D) Herzlichen Dank fürs Zuhören. Wenn ich mir ein Asylsystem wünschen dürfte, dann würde darin keine Wohnsitzauflage vorkommen. Dann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- würden wir vor Ort demokratisch entscheiden, wie viele ordneten der SPD) Menschen wir aufnehmen wollen.

Vizepräsident Thomas Oppermann: (Zuruf von der AfD: Bei dem, was Sie sich wünschen, würde in Deutschland keiner mehr Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der ruhig schlafen können!) Kollege Dr. Lars Castellucci für die SPD. (Beifall bei der SPD) Wir würden schauen, welche Sprachen die Betreffenden schon sprechen und welche Qualifikationen sie mitbrin- gen. Wir würden schauen, wo sie schon jemanden ken- Dr. Lars Castellucci (SPD): nen, wo sie gut ankommen und wo sie geschützt sind. Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Aber Politik ist kein Wunschkonzert, und auch das Leben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen ist kein Wunschkonzert. Wir müssen uns um die Realitä- und Herren! Bevor ich etwas zur Wohnsitzauflage sage, ten kümmern, deswegen müssen auch solche Regelungen möchte ich zuerst ein paar Worte über die Flüchtlings- sein, wie wir sie getroffen haben. bürgen verlieren. – Ist Herr Wirth nicht mehr anwesend? Als ich in der Erstaufnahmeeinrichtung in Mannheim (Lars Herrmann [AfD]: Auf Toilette!) war, habe ich Folgendes erlebt: Nachts kamen die Son- Da Herr Wirth gesagt hat, dass die Bürgen im Fall des derzüge. Dann wurde mittels Bussen verteilt. Decken, Falles auf ihren Kosten sitzen bleiben sollten, möchte Essen und Trinken wurden bereitgestellt, Plätze zugewie- ich der Ordnung halber darauf hinweisen, dass es gut ist, sen. Am nächsten Morgen war die Hälfte der Menschen, dass hier ein Kompromiss gefunden wurde und dass nie- die in der Nacht angekommen waren, weg. Jetzt erklären mand auf ewig eine Bürgschaft eingehen soll. Wer hilfs- uns Linke und Grüne einmal bitte, wie wir in einer sol- bereit ist und sich um die Elendsten kümmert, darf den chen Situation Ordnung schaffen sollen, wie geklärt wer- von Ihnen verwendeten Begriff „Gutmensch“ als einen den soll, wo die Unterkünfte sind, und wie wir für Inte- Ehrentitel für sich in Anspruch nehmen. gration sorgen können. Das ist aus meiner Sicht so nicht möglich. Deswegen sind Steuerung und Ordnung nötig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Man kann diesen Eingriff in die Freiheitsrechte durchaus des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der rechtfertigen. Solange jemand von uns unterstützt wird 11858 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Lars Castellucci (A) und Hilfe bezieht, können wir auch die Spielregeln auf- doch die Frage, ob dieses System funktioniert. Sie wer- (C) stellen, nach denen das geschieht. den also ständig mit der Frage konfrontiert sein, wie das zu schaffen ist. Wir müssen daran arbeiten, damit wir für (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Verlässlichkeit und Planbarkeit sorgen. Dafür braucht es in diesem Fall auch einmal solche Instrumente. Vizepräsident Thomas Oppermann: Herr Castellucci, gestatten Sie eine Zwischenfrage der (Beifall bei der SPD) Kollegin Schauws? Nun steht die Entfristung des Integrationsgesetzes auf der Agenda. Das hört sich so an, als ob wir noch nicht Dr. Lars Castellucci (SPD): fertig wären. Ich bin tatsächlich gefragt worden, als die Ja, bitte sehr. Geflüchteten kamen: Herr Castellucci, wie lange wird es dauern, bis alle integriert sind? – Die Wahrheit ist: Inte- gration ist eine Daueraufgabe jeder Gesellschaft. Dazu Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): braucht es keine Geflüchteten und keine Migration; denn Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulas- Integration bedeutet, dass es einen gesellschaftlichen Zu- sen. – Sie haben gerade darüber gesprochen, dass Sie für sammenhalt gibt, dass das Zusammenleben funktioniert die Freiheit eintreten und dass Sie sich auch wünschen, und dass niemand verloren geht. Das ist eine Gemein- das anders zu regeln. Aber ich frage Sie jetzt: Wir ste- schaftsaufgabe, an der wir uns weiter abarbeiten müssen. hen am Anfang dieses Verfahrens und der Beratungen. Dabei können wir uns von dem vielen inspirieren lassen, Sie haben gerade sehr deutlich von meiner Kollegin Filiz was in diesem Land auch gelingt. Polat und auch von Ulla Jelpke gehört, dass die Wohn- sitzauflage eine so hohe Hürde für die Frauen, die in den Zum Schluss – etwas abgewandelt – Ernst Bloch: Je Unterkünften von häuslicher Gewalt betroffen sind, dar- mehr wir in das Gelingen verliebt sind statt in das Schei- stellt, dass sie die Schutzeinrichtungen, die normalerwei- tern, umso eher wird es uns auch gelingen. se Frauen bei häuslicher Gewalt aufsuchen können, nicht nutzen können. Aufgrund der Wohnsitzauflage und der Vielen Dank. bürokratischen Hürden wird es wahrscheinlich nie dazu (Beifall bei der SPD) kommen, dass eine Frau, die in einer Unterkunft von Gewalt – insbesondere von sexualisierter – betroffen ist, den Schutz erhält, den normalerweise jede Frau haben Vizepräsident Thomas Oppermann: müsste. Ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Chance se- Vielen Dank. – Letzte Rednerin in der Debatte ist die (B) hen, dass Ihre Fraktion im Laufe des Verfahrens mit da- Kollegin Nina Warken für die Fraktion CDU/CSU. (D) rauf hinwirkt, dass der entsprechende Passus gestrichen wird, wie es der Bundesrat empfohlen hat? Das haben (Beifall bei der CDU/CSU) wir Grüne die ganze Zeit schon bei den AnKER-Zentren gefordert. Es kann nicht sein, dass eine Frau wegen Be- drohung und sexualisierter Gewalt, die ihr angetan wird, Nina Warken (CDU/CSU): eine Ordnungswidrigkeit oder sogar eine Straftat begeht. Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- Ich bitte um Ihre Antwort. legen! Wenn der Gesetzgeber ein neues Gesetz auf den Weg bringt, dann tut er oft gut daran, wenn er sagt: Die- Dr. Lars Castellucci (SPD): ses Gesetz und seine Wirkungen schauen wir uns in ein paar Jahren noch einmal an. Wir gehen mit Bedacht vor, Vielen Dank für diese Frage. – Auf solche vulnerablen wir finden eine Regelung, die wir für ausgewogen und Gruppen müssen wir an jedem Ort, an dem sie sich in verhältnismäßig halten, und dann sehen wir in drei Jah- Deutschland befinden, achten. Bei dieser Aufgabe läuft ren, ob die Regelung funktioniert hat und ob sie sich als bislang nicht alles perfekt; das ist uns bewusst. Ich sig- angemessen und zweckmäßig erwiesen hat oder eben nalisiere Ihnen gerne Gesprächsbereitschaft im Hinblick nicht. auf das, was Sie vorgetragen haben. Da die Evaluation angesprochen wurde: Wir müssen zuerst entfristen, damit Die Bundesregierung und dieses Haus, meine Damen diese Regelung weiterläuft und damit dann eine sinnvolle und Herren, sahen sich vor rund drei Jahren einer der Evaluation stattfinden kann. In dieser Evaluation werden größten Herausforderungen für unser Land gegenüber, wir auch den Schutz besonders bedürftiger Gruppen un- weil Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Welt tersuchen lassen. So haben wir uns das vorgenommen. ihre Heimat verlassen haben, um nach Europa und nach (Beifall bei der SPD) Deutschland zu kommen. Wir haben hierauf – es wurde schon angesprochen – mit verschiedenen Maßnahmen Ich will Ihrer Fraktion noch einmal sagen: Linke und reagiert, sowohl auf europäischer Ebene als auch hier Grüne haben ihre Vorlagen bei Gesine Schwan entlehnt. bei uns in Deutschland. Unsere Städte und Gemeinden, Bestimmte Kommunen, die aufnehmen wollen, sollen das unsere Landkreise, die Länder, unsere Behörden und die tun können und dafür besonders unterstützt werden. Das Bevölkerung haben erhebliche Anstrengungen unterneh- ist mir im Grunde sehr sympathisch. Wenn die Menschen men müssen. Und wir können heute sagen – ob dies hier den Kommunen zugewiesen sind und zusätzliche Gelder nun jeder hören will oder nicht –: Unser Land hat die He- fließen, aber die Menschen dann eine Woche später nicht rausforderungen, hat diesen Kraftakt erfolgreich gemeis- mehr dort sind, weil sie weitergezogen sind, stellt sich tert, und darauf darf dieses Land, dürfen die Menschen in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11859

Nina Warken (A) diesem Land, gerade wegen der großen Anstrengungen, Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass wir im Ge- (C) auch stolz sein. setzentwurf eine Evaluierung der Wohnsitzregelung in- nerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und vorsehen. der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es uns Es ist deswegen, meine Damen und Herren, konse- nicht leicht gemacht, diesen Gesetzentwurf in das parla- quent und richtig, wenn wir die Geltung bestimmter Re- mentarische Verfahren einzubringen. Doch die Gründe, gelungen verlängern, weil sie sich als Erfolg erwiesen die ich genannt habe, sprechen für eine Entfristung. haben. Regelungen, die wir und insbesondere die Länder und Kommunen brauchen, um die anstehenden Aufgaben Abschließend möchte ich ausdrücklich noch einmal erfüllen zu können. Ziel einer dieser Regelungen war und sagen: Wir wollen die Betroffenen nicht gängeln, son- ist es, die Integration von anerkannten Schutzberechtig- dern wir wollen ihnen eine angemessene Integration in ten zu fördern und integrationshemmenden Tendenzen unsere Gesellschaft ermöglichen. Ich denke, was sich als entgegenzuwirken. gut und praktisch bewährt hat, sollte man auch beibehal- ten. Daher bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wissen entwurf. schon, dass die von uns geplante Entfristung zum Teil kritisiert wird, nicht nur hier im Haus, sondern auch von Vielen Dank. verschiedenen Organisationen und Verbänden. Und uns ist auch bewusst, dass Wohnsitzauflagen für die Betrof- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- fenen eine Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit ordneten der SPD) darstellen. Dennoch halten wir es für geboten und ge- rechtfertigt, die im Integrationsgesetz getroffene Rege- Vizepräsident Thomas Oppermann: lung beizubehalten. Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir wollen mit der Wohnsitzauflage und den damit verbundenen Maßnahmen die Integration der anerkann- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- ten Schutzberechtigten fördern und voranbringen. Denn wurfs auf den Drucksachen 19/8692 und 19/9764 an die nur, wenn die Behörden wissen, wo sich die Betroffenen in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- aufhalten – das wurde auch schon gesagt –, können ih- schlagen. – Andere Vorschläge gibt es nicht. Dann ist die nen Angebote und Hilfestellung unterbreitet werden. Die Überweisung so beschlossen. Wohnsitzauflage dient dem Schutz und der Unterstützung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: (B) der anerkannten Schutzberechtigten. Und Wohnsitzaufla- (D) gen tragen gerade dazu bei, die Rahmenbedingungen für Beratung des Antrags der Abgeordneten Tobias erfolgreiche Integration zu verbessern. Planbarkeit der Matthias Peterka, Roman Johannes Reusch, Jens Integrationsangebote und Vermeidung von Segregation Maier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion sind wichtige Ziele, die wir mit der Regelung verfolgen. der AfD Und deshalb teilen wir auch nicht die Meinung derje- EU-Urheberrechtsrichtlinie – Upload-Filter nigen, die behaupten, dass Wohnsitzauflagen die Woh- verhindern, Freiheit der Meinungsäußerung nungssuche, das familiäre Zusammenleben, die Bindung gewährleisten zur Community sowie die Integration in den Arbeits- markt erschweren würden. Denn vor allem die aus der Drucksache 19/9969 Verwaltungspraxis gewonnene Erfahrung hat uns darin Überweisungsvorschlag: bestärkt, an der Wohnsitzauflage, für die sich im Übrigen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) nicht nur eine große Mehrheit der Länder, sondern auch Ausschuss Digitale Agenda alle kommunalen Spitzenverbände ausgesprochen haben, Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aus- weiter festzuhalten. Das, meine Damen und Herren, ist sprache 38 Minuten vorgesehen. – Kein Widerspruch für mich auch das Ausschlaggebende, wenn ich sehe, dazu. Dann ist so beschlossen. dass die Praxis vor Ort an einer solchen Regelung gerne festhalten würde. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster Redner der Kollege Tobias Matthias Peterka für die AfD. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Gerade die Regelungen, nach denen die zuständigen Ausländerbehörden Schutzberechtigten einen bestimm- ten Wohnort zuweisen können, sowie die „Zuzugssper- Tobias Matthias Peterka (AfD): ren“, nach denen Schutzberechtigte verpflichtet werden Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- können, den Wohnort nicht an einem bestimmten Ort im ren! Liebe Internetgemeinde! Nun ist es passiert, und kei- betreffenden Bundesland zu nehmen, sind ausdrücklich ner wundert sich: Die Urheberrechtsrichtlinie für den di- begrüßt worden. Die Länder und die kommunalen Spit- gitalen Binnenmarkt ist mit Artikel 17, dem Uploadfilter, zenverbände weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie mit durch alle Gremien der EU – mit dem vollen Programm: diesen durch den Bund eröffneten Regelungsmöglichkei- Lobby-Hearings, diffusen Deals sowie sogar angeblich ten Integrationsmaßnahmen bisher gezielt steuern konn- falsch gedrückten Knöpfen bei der Parlamentsabstim- ten und weiterhin auch so verfahren möchten. mung. 11860 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Tobias Matthias Peterka (A) Es ist hier erstens unstreitig, dass die Mühlen des Tri- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): (C) logs einmal ganz offensichtlich auf dem falschen Fuß Danke, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zu- erwischt wurden. Innerhalb von zwei Jahren hatte man lassen. Es gehört ja in Ihrer Fraktion zu den Ausnahmeer- alles so schön festgeklopft, und dann gibt es plötzlich scheinungen, dass mal jemand den Mumm hat, sich eine Massenproteste gegen die Beschränkung der Meinungs- Frage stellen zu lassen. freiheit. Allein in München sind fast 50 000 Menschen auf die Straße gegangen. (Martin Hebner [AfD]: Nein! Stimmt doch gar nicht!) (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wer war nicht da? Die AfD!) Meine Frage ist auch ganz schnell formuliert. Wie konnte das passieren, allemal so knapp vor EU-Wah- Sie haben das Ganze jetzt ein bisschen wirr, mit all- len? gemeinen, oberflächlichen Zwischenbemerkungen von oben beurteilt. Ich hätte von Ihnen gern eine Aussage: Zweitens ist auch unstreitig und für jeden recherchier- Ist Ihnen das aktuelle Urheberrecht bekannt? Davon gehe bar, dass den deutschen Verhandlungsführern erst dann ich aus; Sie sind ja Jurist. Ich hätte von Ihnen gern anhand so langsam aufging, was sie da durchgewunken haben, von zwei, drei Beispielen erklärt bekommen, wie Sie die nämlich das weitgehende Zurückdrängen von kommen- Einhaltung des Urheberrechts auf YouTube sicherstellen tierenden Meinungen auf Content-Plattformen. Das lag wollen, wenn Sie zugeben: Selbstverständlich ist es so, weitgehend daran, dass diese Plattformen gar nicht kon- dass jeder YouTuber geschützte Inhalte hochlädt. – Des- sumiert wurden und man sie nur vom Hörensagen oder wegen meine Frage: Wie schützen Sie das Urheberrecht, von der Zuarbeit kannte. Und nein, es zählt hier nicht, das im Übrigen schon vor der Richtlinie in Deutschland wenn ich ab und zu meinen letzten Wahlspot auf ­YouTube gegolten hat, wenn Sie ganz selbstverständlich sagen, anschaue oder eine verpasste Talkshow. dass ein YouTuber geschützte Inhalte hochlädt? (Zurufe von der CDU/CSU) Denn glauben Sie mir: Kaum jemand unter 30 weiß in- Tobias Matthias Peterka (AfD): zwischen noch, wo seine TV-Kanäle auf der Fernbedie- Vielen Dank für diese Zwischenfrage. Dazu kommen nung liegen; denn er hat vielleicht gar kein TV-Gerät noch Ausführungen. Es ist dringend notwendig, dass hier mehr. Man schaut dort ausschließlich YouTube, Twitch auf ein Fair-Use-Prinzip geschwenkt wird. Es wurde von oder sonstige Streaming-Plattformen. der Union auch schon angedeutet, dass man hiermit lieb­ äugelt – unter dem bisherigen Urheberrecht. Damit steht drittens fest, dass die ganze Richtlinie an (B) einem Grundproblem gekrankt hat und weiterhin krankt: (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Von Ih- (D) der Regelung von digitalen Lebenswirklichkeiten durch nen! – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Im An- Leute, die sich noch sämtliche E-Mails ausdrucken und trag steht nichts!) sogar stolz darauf sind, nur fünfmal am Tag auf ihr Han- dy zu schauen. – In der Protokollerklärung steht das. Meine Damen und Herren, YouTuber benutzen natür- (Ingmar Jung [CDU/CSU]: Was haben Sie lich geschütztes Material, und zwar in der Regel auch denn vor? Was ist Ihr Vorschlag?) nicht durch das Zitatrecht und sonstige Schranken ge- schütztes, nämlich dauernd und in jedem Bezug. Jedoch Ich werde jetzt fortfahren und komme noch zum Fair- ist dies nicht zum Nachteil ihrer Konkurrenten bzw. an- Use-Prinzip: Es ist notwendig, dass das in der heutigen derer Content-Schöpfer, solange diese sich an die Situ- digitalen Lebenswelt eingeführt wird. Das hat dann in ation auf YouTube anpassen, nämlich Aufmerksamkeit diesem Sinn auch nichts mehr mit dem alten Urheber- durch Teilen, Multiplikation durch Fair Use. Die Akteure recht zu tun; denn ich habe es schon ausgeführt: Es ist im Web 2.0 tun das schon lange wie der Fisch im Was- nicht zum Nachteil derjenigen, die kopiert werden; es ist ser . Aufregen tun sich hier nur Pressekonzerne, Medien- nicht zum Nachteil, wenn meine Videos geteilt werden. verbände usw. Diese schreien Zeter und Mordio, „Skan- (Zurufe von der CDU/CSU) dal!“. Content-Management endet plötzlich nicht mehr, wenn ich den Sendeplatz um 20.15 Uhr erreicht habe. Das ist ein neues Rechtsgebiet. Man geht einen neuen Weg, bzw. ich bin dafür, dass das getan wird, wie ich (Beifall bei der AfD) Ihnen gleich auch noch sagen werde. – Danke für die Frage. Vizepräsident Thomas Oppermann: Wie gesagt – jetzt komme ich dazu –: Ähnlich qua- Herr Kollege Peterka, gestatten Sie eine Zwischenfra- lifiziert – es tut mir leid – sind die Beschwichtigungen ge des Kollegen Hoffmann? der Koalition in der Protokollerklärung Deutschlands. Hier werden nämlich die ernsthaften Bedenken der Öf- Tobias Matthias Peterka (AfD): fentlichkeit plötzlich angenommen, und vorsorglich wird Ja, gerne, wenn die Zeit angehalten wird. auch behauptet, man wollte die Uploadfilter in Europa von Anfang an gemeinsam verhindern. Ich höre das La- chen aus Paris bis hierher. Vizepräsident Thomas Oppermann: Ja. (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11861

Tobias Matthias Peterka (A) Plötzlich wird vollkommen überzogen das Zitatrecht als ihren allermeisten Anträgen: Erst müssen wir bis ultimo (C) Lösung angepriesen. Es werden befreiende Erklärungen warten, dass der Antrag überhaupt vorgelegt wird. Da des Uploaders angedacht – er soll irgendwelche Häkchen könnte man denken: Oh, die AfD befasst sich so intensiv setzen –, und es wird von kurzen Ausschnitten fabuliert, mit dem Thema, dass es etwas länger dauert. die angeblich schon immer zulässig waren. All das hat (Martin Hebner [AfD]: Haben Sie abge- keine rechtliche Grundlage in der Richtlinie. Wenn kein schrieben!) Lizenzvertrag, dann Maßnahmen nach Stand der Tech- nik, das heißt Uploadfilter. Und diese Filter erkennen Aber dann liegt der Text vor einem, und man schlägt die nicht mal zulässige Zitate. Aus die Maus! Hände über dem Kopf zusammen vor lauter verfassungs- rechtlichem Flachwurzlertum. Im Übrigen ist eine Art globale Zwangslizenz, die von der Union angedacht wird, auch nicht möglich; denn Ar- (Heiterkeit bei der SPD) tikel 5 der 2001er-Urheberrechtsrichtlinie gilt fort, und Sicherlich ist es auch deswegen so, dass sich von den sie blockiert zusammen mit der EU-Rechtsprechung die Vertretern der AfD-Fraktion im Rechtsausschuss bis auf Ausweitung von Verwertungsgesellschaften, was dafür den Redner offensichtlich keiner ins Plenum getraut hat. notwendig wäre. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Ja, das ist in- Nun wurde, meine Damen und Herren, dem erzürnten teressant!) Wahlvolk, das man bei den unter 30-Jährigen vermutet, versprochen, dass man bei einem Scheitern dieser tollen Dabei macht dieser Antrag ganz groß auf. Es wird Ideen die Richtlinie ganz neu aushandelt, also auf den nichts Geringeres als die Lüth-Entscheidung des Bun- Anfang und damit zu den Mühlsteinen in Brüssel zu- desverfassungsgerichts allem vorangestellt. Ja, meine rückkommt. Wir erinnern die Regierung hiermit an die- sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die Lüth-Ent- ses vage Versprechen. Ein Tipp für ganz Mutige: Andere scheidung aus den frühen Jahren der Bundesrepublik ist Mitgliedstaaten sind in Bezug auf den Wortlaut sehr kre- eine der Leitentscheidungen des Bundesverfassungsge- ativ beim Umsetzen von Richtlinien in nationale Gesetze. richts. Und so soll die Erwähnung des Lüth-Urteils zu Beginn des AfD-Antrags wohl auch vornehmlich dazu Wenn Sie schon ein Fair-Use-Prinzip andeuten und dienen, die Bedeutungsschwere des Anliegens zu unter- herbeifabulieren – lesen Sie es nach –, dann gehen Sie mauern. Doch: Hätte die AfD mal nicht nur oberflächlich das hier doch mal konkret an. Zeit wird’s nämlich für ein ein knappes Zitat aus dem Lüth-Urteil – wahrscheinlich modernes Urheberrecht. via Wikipedia – genommen, sondern sich insgesamt mit Abschließend: Dieser Fall ist auch ein Paradebeispiel der Entscheidung beschäftigt! Denn das Lüth-Urteil für weltfremde Ergebnisse, die aus dem EU-Trilog kom- gibt wirklich wesentliche Hinweise zur Bedeutung und (B) (D) men. Daher regen wir unabhängig von der Subsidiarität Reichweite der Meinungsfreiheit. Es wird definiert, was eine möglichst formelle Endabrechnung für den Nutzen „allgemeine Gesetze“, die Schranken für die Meinungs- des einzelnen Bürgers an – für moderne Lebenswelt zum freiheit darstellen, sind, und es wird die Wechselwir- Beispiel der einzelnen Bürger. Und nein, das wird bisher kungslehre konstituiert. nicht ausreichend getan. Kompromisse aus der Blase des Nichts von diesen wesentlichen Punkten findet sich Trilogs werden, wie man hier sieht, nicht mehr angefasst, aber im Antrag der AfD wieder. Vielmehr schließt an den weil sie schon so schön lange im Ofen waren. Erst müs- Hinweis auf das Lüth-Urteil der Satz an: sen 50 000 Menschen in München auf die Straße gehen – übrigens egal, welche politische Einstellung sie haben. Der hohe Stellenwert der Meinungsäußerungsfrei- heit kommt darin zum Ausdruck, dass Meinungsäu- (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- ßerungen nicht vor ihrer Verbreitung auf ihre Ver- NIS 90/DIE GRÜNEN) einbarkeit mit dem geltenden Recht geprüft werden Hier wäre es mal an der Zeit, mit einem neuen Ansatz müssen … und einer neuen Bewertung dieses EU-Wirrwarrs voran- Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist aber zugehen. Wie gesagt: Zeit wird’s. nichts anderes als verfassungsrechtliche Camouflage! Über das Urheberrecht können wir uns gerne noch bi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der lateral unterhalten. SPD und der FDP) Vielen Dank. Denn Sie verschweigen, dass sich das naturgemäß nur (Beifall bei der AfD) auf Artikel 5 Absatz 1 Satz 3 des Grundgesetzes bezieht, also auf das Zensurverbot. Damit hat aber weder das Lüth-Urteil zu tun, noch hat es Relevanz für die Urhe- Vizepräsident Thomas Oppermann: berrechtsrichtlinie. Denn es ist bis heute nach wie vor Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der klar herrschende Auffassung, dass sich das Zensurverbot Kollege Ansgar Heveling für die Fraktion CDU/CSU. ausschließlich an den Staat richtet und die Funktion einer (Beifall bei der CDU/CSU) Schranken-Schranke hat. Aber darum geht es hier ja ge- rade nicht; es geht nicht um staatliche Vorzensur. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Wenn es aber nicht um Zensur geht: Worum geht es Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dann? Es geht um ganz normale Grundrechtsabwägun- dem aktuellen Antrag der AfD-Fraktion ist es wie mit gen. Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes ermög- 11862 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Ansgar Heveling (A) licht rechtmäßige Beschränkungen der Meinungsfreiheit, Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) sofern sie durch „allgemeine Gesetze“ erfolgen. Lassen Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege wir hierzu das Lüth-Urteil sprechen: Manuel Höferlin für die Fraktion der FDP.

Die … Meinungsäußerung ist als solche, d. h. in (Beifall bei der FDP) ihrer rein geistigen Wirkung, frei; wenn aber durch sie ein gesetzlich geschütztes Rechtsgut eines ande- Manuel Höferlin (FDP): ren beeinträchtigt wird, dessen Schutz gegenüber Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- der Meinungsfreiheit den Vorrang verdient, so wird gen! Vorab – vielleicht sollte man das erklärend vorweg- dieser Eingriff nicht dadurch erlaubt, daß er mittels schicken –: Ich beziehe mich mit meiner Rede explizit einer Meinungsäußerung begangen wird. Es wird auf den Antrag der AfD und nicht auf die Rede der AfD. deshalb eine „Güterabwägung“ erforderlich: Das (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Hatte auch Recht zur Meinungsäußerung muß zurücktreten, nichts miteinander zu tun!) wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungs- – Genau: Das hat nicht unbedingt was miteinander zu freiheit verletzt würden. tun. Als Netzpolitiker bin ich ja – ich habe es schon an Der Gesetzgeber muss also erstens beachten, dass er anderer Stelle erwähnt – hier einiges gewohnt. Ich bin nicht gezielt eine Regelung schafft, die auf die Beschrän- auch daran gewohnt, dass Debatten manchmal erst dann kung der Meinungsfreiheit orientiert ist. Sonst wäre es geführt werden, wenn es eigentlich zu spät ist. Die Kol- kein „allgemeines Gesetz“. Dem entspricht die Urheber- legen von der sogenannten Alternative setzen heute noch rechtsrichtlinie aber; denn es geht darum, anderen verfas- einen drauf. sungsrechtlich geschützten Rechtsgütern – zum Beispiel dem geistigen Eigentum aus Artikel 2 Absatz 1 und aus Deswegen für Sie noch einmal, liebe Kolleginnen und Artikel 14 Grundgesetz – Geltung zu verschaffen. Kollegen von Rechtsaußen: Der richtige Kampf gegen Uploadfilter war schon; er ist vorbei. Deswegen haben Dann müssen sich aber entsprechende Regelungen im Sie jetzt erst mal was verpasst. Rahmen der Wechselwirkungslehre in der Wechselbezie- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der hung zwischen kollidierendem Recht und Meinungsfrei- LINKEN) heit bewegen. Auch hierauf wird der Gesetzgeber zwin- gend zu achten haben. Das gilt aber schon jetzt, unter Um Sie auf den neuen Stand zu bringen: Der Kampf dem geltenden Urheberrecht. begann schon 2016, nicht erst jetzt, und er fand seinen (B) Höhepunkt im März dieses Jahres. Da sind wir Freien (D) Dementsprechend wollen wir alle Möglichkeiten nut- Demokraten in einem Bündnis mit anderen Parteien und zen, die nationale Umsetzung der Urheberrechtsrichtli- Organisationen mit 10 000 Menschen auf die Straße ge- nie so auszugestalten, dass Uploadfilter verzichtbar sind. gangen. Sie habe ich da nicht gesehen. Die Richtlinie selbst dürfte dazu in genügendem Maße (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die wären gar Anknüpfungspunkte bieten. Sie ist in ihrer Struktur auf nicht zugelassen worden!) komplexe Abwägungen ausgerichtet. Das muss der na- tionale Gesetzgeber nachvollziehen, und ich bin zuver- Von daher kommt Ihr Antrag nicht nur viel zu spät, son- sichtlich, dass das gelingen wird. dern er ist auch viel zu knapp und nicht umfassend genug. Ihre Forderungen entsprechen im Übrigen genau dem, (Beifall bei der CDU/CSU) was die Bundesregierung in ihrer Protokollerklärung zu der Richtlinie festgehalten hat. Vergessen wir eines nicht: Zunächst einmal geht es darum, dass die Richtlinie zu Lizenzvereinbarungen füh- (Saskia Esken [SPD]: Genau! Die schicken ren soll. Das fällt bei der AfD schon mal ganz unter den Ihnen auch die Protokollerklärung!) Tisch. Dann stellen sich die Fragen nach der Beeinträch- Fragen Sie doch einfach mal die Kollegen da drüben! Sie tigung der Meinungsfreiheit überhaupt nicht. Und zwei- schicken Ihnen wahrscheinlich die Protokollerklärung tens geht es dann aber um Fragen der Haftung und damit auch zu. Das zeigt aber auch, dass Sie mit Ihrem Antrag eben um verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositio- überhaupt nicht an der Sache interessiert sind. nen Dritter, namentlich der Urheber. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das in Einklang zu bringen, dafür steht uns dank der der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und Lüth-Entscheidung die Wechselwirkungslehre zur Verfü- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gung. Ich bin mir sicher, dass es gelingen wird, das bei Denn wer es beim Thema Uploadfilter ernst meint, der Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie in das deut- schreibt nun wirklich nicht bei der GroKo ab. Denn wer sche Urheberrecht auch tatsächlich so zu machen. den Kampf gegen Uploadfilter ernst meint, der wird auch sehen, dass die GroKo beim Thema Uploadfilter Glaub- Vielen Dank. würdigkeit verloren hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Abg. Tobias Matthias Peterka [AfD] meldet ordneten der SPD) sich zu einer Zwischenfrage) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11863

Manuel Höferlin (A) Die GroKo hat im Europäischen Parlament seit 2017 tale Unkenntnis bei dem Thema und ist genauso aus der (C) mit Herrn Voss in vorderster Reihe immer wieder in jeder Zeit gefallen wie Rechtspopulisten. Verhandlungsrunde für die Uploadfilter gekämpft und (Lars Herrmann [AfD]: Da geht noch was!) sie auch durchgedrückt. Gleichzeitig schreiben dieselben Parteien hier in Berlin 2018 in ihrem Koalitionsvertrag – Herzlichen Dank. ich zitiere –: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz der SPD und der LINKEN) von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu Vizepräsident Thomas Oppermann: „filtern“, lehnen wir als unverhältnismäßig ab. Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der SPD ist der Kollege Florian Post. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja! Sehr gut!) (Beifall bei der SPD) Ungeachtet dieser Formulierung hat die SPD-Justiz- ministerin Barley im Februar dieses Jahres an der Re- form in Brüssel samt Uploadfiltern mitgearbeitet und Florian Post (SPD): dem auch zugestimmt, nur um direkt nach der Abstim- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und mung zu erklären, sie halte Uploadfilter für falsch. Kollegen! Wie wichtig der AfD dieses Thema ist, sieht man schon daran, dass der Vorsitzende des Rechtsaus- (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Tja!) schusses, Herr Brandner, Mitglied der AfD, dieser Debat- te mal wieder fernbleibt. Trotzdem weist die gleiche Ministerin dann einen Monat später bei einer weiteren Abstimmung im Ministerrat an, (Norbert Kleinwächter [AfD]: Wir haben be- erneut für die Reform samt den Uploadfiltern zu stim- antragt, dass es keine parallelen Termine gibt!) men, um im Anschluss daran zu erklären, dass sie öffent- Ich glaube, auch das spricht Bände und sollte in diesem lich bedauert, dass die Reform eine Mehrheit gefunden Zusammenhang gleich zu Beginn dieser Debatte mal er- habe. wähnt werden. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Das kann nur (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die SPD!) der FDP – Lars Herrmann [AfD]: Termine! Das ist ein Arbeitsparlament!) Auch die Bundeskanzlerin bekennt sich hier im Bun- destag in der Fragestunde zu dem Vorhaben samt den – Ja, wo ist er denn? Ist er hier, oder ist er nicht da? (B) (D) Uploadfiltern. Trotzdem lässt sie bei der Zustimmung in Dass die Debatte über Uploadfilter sehr emotional ge- Brüssel eine Protokollerklärung beifügen, dass man das, führt wird, ist gut und richtig. Sie wurde auch bei uns was man gerade beschlossen hat, doch nicht ganz richtig innerhalb der Partei sehr emotional und sehr ausgiebig findet, und die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner geführt. Ich finde aber, dass wir hier den falschen Titel stimmt dann schlussendlich der Reform mit den Upload- wählen. Es geht zunächst mal um die Umsetzung einer filtern zu. Richtlinie. Es bleibt zu Beginn natürlich auch festzustel- Deswegen sollten Sie, wenn Sie wirklich gegen len, dass unser derzeit geltendes Urheberrecht veraltet ist Uploadfilter wären, vielleicht nicht der Protokollerklä- und einer Anpassung bedarf. Es geht hier um die Abwä- rung der GroKo mit Ihrem Antrag zustimmen. gung von Interessen: Rechte von Urhebern zu schützen, aber auch die Meinungs- und Informationsfreiheit nicht (Beifall bei der FDP) einzuschränken. Es geht also um Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Auf europäischer Ebene wurde ebenfalls Wer so ein falsches Spiel treibt wie die GroKo, muss circa zweieinhalb Jahre diskutiert, und auch innerhalb sich am Ende auch nicht wundern, wenn Hashtags wie der europäischen Parteienfamilien wurde sehr intensiv #niemehrCDU oder #niemehrspd in den sozialen Medi- diskutiert. Das zeigt nur, dass wir uns alle die Debatte en trenden. Zu dem Thema höre ich aber von der soge- um dieses Thema nicht einfach machen. nannten Alternative nichts. Ich höre auch nichts von den unrühmlichen Errungenschaften, die die Urheberrechts- Allerdings muss man auch betonen, dass freies Inter- reform sonst noch teilweise mit sich bringt: das Leis- net nicht mit Kostenfreiheit zu verwechseln ist. Es geht tungsschutzrecht, das hier nicht funktioniert, die unzu- uns ausdrücklich darum, dass wir Geschäftsmodelle, die reichenden Ausnahmen von Filterpflichten für Start-ups sich ausschließlich darauf gründen, durch Uploads von und den innovativen Mittelstand. Das zeigt mir: Sie sind urheberrechtlich geschützten Inhalten Geld zu verdienen, wieder einmal nicht an der Sache interessiert, sondern einschränken wollen. Wir als SPD machen kein Geheim- Sie versuchen, jetzt hier auf einer Empörungswelle noch nis daraus, dass wir Uploadfilter ablehnen. Daher haben nachzureiten. Das werden Sie nicht schaffen, meine Da- auch die SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament men und Herren. gegen Uploadfilter gestimmt. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Nur nicht die Die Haltung von uns Freien Demokraten ist klar: Wir Ministerin!) stehen klar gegen Uploadfilter. Wir werden das auch wei- terhin tun. Und Ihren Antrag lehnen wir ab; denn er ist Allerdings – das gehört halt auch zur Demokratie – fachlich schlecht, unglaubwürdig, belegt Ihre fundamen- hatten wir für diese Position keine Mehrheit. Deswegen 11864 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Florian Post (A) geht es jetzt umso mehr darum, wie die Umsetzung die- Lassen Sie mich das einfach mal an ein paar Beispielen (C) ser Richtlinie im Detail aussieht. Daher hat die Justizmi- belegen. nisterin, Katarina Barley, richtig gehandelt, als sie ihre Zustimmung zur Richtlinie mit einer Protokollerklärung Erstens. Abgearbeitet wurde vor allem die Wunschlis- verknüpft hat, in der sie – ich habe es gerade schon er- te der Verlage, so das Leistungsschutzrecht für Presse- wähnt – auch ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass verlage und die Verlagsbeteiligung. Zu beidem gibt es in es um die Verhinderung von Geschäftsmodellen geht, Deutschland bereits höchst fragwürdige Erfahrungen. In die sich ausschließlich darauf gründen, mit den Uploads Deutschland hat es eben keine besseren Vergütungen für urheberrechtlich geschützter Inhalte Geld zu verdienen, Autoren bzw. Journalisten und Journalistinnen nach Ein- und dass es natürlich auch darum geht, unzulässiges Lö- führung des Leistungsschutzrechtes gegeben. Und gegen schen von vornherein gar nicht erst möglich zu machen. die Verlagsbeteiligung hat wohlgemerkt ein Urheber ge- Das kann beispielsweise dadurch passieren, dass Perso- klagt, und er hat recht bekommen. nen, die Uploads vornehmen, gleich darauf hinweisen, dass sie keine urheberrechtlich geschützten Inhalte hoch- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) laden. Wichtig ist für uns auch – darum geht es uns eben- falls –, dass Plattformen oder Dienste wie Wikipedia, Nunmehr wird sie wieder möglich, muss aber erneut – Blogs, Foren, Messenger-Dienste, Verkaufsportale oder nicht auf EU-Ebene, sondern in Deutschland – verhan- auch Cloud-Dienste davon nicht betroffen sind und keine delt werden, und der Ausgang ist völlig offen. Einschränkungen erfahren. Zweitens. Auch im Urhebervertragsrecht sind die Letztendlich wird zu Artikel 17 Absatz 10 in der Pro- Rechte der Kreativen gegenüber den Verwertern nicht tokollerklärung festgehalten, dass die Bundesregierung gestärkt worden. Vielmehr sind auf Druck der Verlags- davon ausgeht, dass der Dialog der Kommission mit lobby gute Ansätze, die mal drin waren, rausgestrichen allen Interessengruppen genutzt wird, um Leitlinien zur worden. Einige glauben nun, mit der Reform seien sie Anwendung des Artikels 17 zu entwickeln, und dass die Gewinner. Sie werden vermutlich ziemlich ernüch- letztlich eine faire Vergütung für die Rechteinhaber, für tert feststellen, dass sie immer noch nicht vor einem Aus- die Kreativen, erfolgt und nicht unzulässigerweise Nut- verkauf ihrer Rechte durch Total-Buy-out-Verträge ge- zerrechte verletzt werden. schützt sind. Ihre neuen Informationsrechte bringen eben keine hinreichenden Kenntnisse darüber, was eigentlich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mit ihren Werken passiert bzw. wie sie genutzt werden. Einschränkungen der Meinungsfreiheit – auch darauf Also können sie auf dieser Basis kaum weitere Forderun- können Sie sich verlassen – wird die SPD nicht zulas- gen für bessere Vergütungen begründen. (B) sen. Wir werden das mit Entschiedenheit zu verhindern (D) wissen. Drittens. Viel wurde von kollektiven Lizenzen und neuen Schranken geredet. Kreative sollten an den Ein- In diesem Sinne wollen wir auch die weitere Debatte nahmen der Plattformen beteiligt werden. Aber: Die auf einer sachlichen Ebene weiterführen und das Ganze Richtlinie sieht das so gar nicht vor, und alle Versuche, zu einem konstruktiven Ergebnis führen. die entsprechenden Regelungen hineinzuschreiben, sind Danke für die Aufmerksamkeit. abgewehrt worden. Nichts in der Richtlinie erleichtert Lizenzvereinbarungen – schon gar keine europaweiten. (Beifall bei der SPD) Nichts in der Richtlinie erlaubt neue Schranken, die an der Stelle solcher Lizenzvereinbarungen stehen könnten. Vizepräsident Thomas Oppermann: Nichts in der Richtlinie führt dazu, dass Kreative gerech- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin ter an den Erlösen aus solchen Vereinbarungen beteiligt Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. werden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Und schließlich viertens. Die Richtlinie orientiert sich Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über ausschließlich an klassischen Geschäftsmodellen zwi- Uploadfilter und die Gefahren für Demokratie und Mei- schen den Kreativen und den Verwertern. Es geht gar nungsfreiheit haben wir hier schon mehrfach und mit nicht um eine direkte Vergütung von Kreativen, sondern großer Leidenschaft diskutiert. Was aber eigentlich fehlt, stattdessen um mehr Geld für Verlage und Verwertungs- ist eine Debatte hier in diesem Hause darüber, was die gesellschaften. Das ist doch das eigentliche Ziel gewe- Reform den Kreativen, den Urhebern und Urheberinnen sen. Was diese dann gnädigerweise weitergeben, ist völ- tatsächlich bringen könnte. Ihre Interessen waren sozusa- lig offen und muss wieder hart verhandelt werden. Wer gen immer die Fahne, hinter der diese Reform vertreten hier also darüber hinaus alternative, netzbasierte Publika- worden ist. tionen vorzieht, geht erst recht leer aus. Und zudem muss er sich dann noch mit den Uploadfiltern herumschlagen. Wird denn nun auch alles gerechter für die Urhebe- rinnen und Urheber oder nicht? Nach meiner Einschät- Fazit: Uploadfilter zu verhindern oder einzuschrän- zung mitnichten. Die Interessen der Kreativen sind zwi- ken, ist eine Aufgabe, die es zu erfüllen gilt. Eine andere schen den verschiedenen Verwertungsinteressen genauso Aufgabe ist es, Kreativen sowie Urheberinnen und Urhe- zerrieben worden wie die der Nutzerinnen und Nutzer. bern bessere Vergütungen zu sichern. Das bleibt nach wie Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11865

Dr. Petra Sitte (A) vor, auch nach der EU-Copyright-Reform, im Wesentli- heit, das bedeutet auch einen Eingriff in die Rundfunk- (C) chen eine Aufgabe auf nationaler Ebene. freiheit, und das darf nicht sein! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, demzufolge sind wir, auch Sie schreiben in Ihrem Antrag, die EU sei „den wah- sechs Jahre nach Beginn dieser Verhandlungen, von ei- ren Auswirkungen im Alltag“ der Bürgerinnen und Bür- ner echten Urheberrechtsreform für die Kreativen, für die ger „entwachsen“. Wenn eines sicher ist, dann das, dass Nutzenden, für eine moderne und gerechte Informations- Sie in die Auseinandersetzung über die wahren Probleme gesellschaft genauso weit entfernt wie vor diesen sechs nie hineingewachsen sind. Wo ist denn beispielsweise Ihr Jahren. Konzept, wie der Klimakrise begegnet werden soll? Sie (Beifall bei der LINKEN) verweigern sich doch gerade der konstruktiven Ausei- nandersetzung. Vizepräsidentin Petra Pau: Und darin liegt auch der wahre Grund Ihres Antrags. Das Wort hat die Kollegin Tabea Rößner für die Frak- Ihnen geht es nicht um eine sachliche Debatte zum Ur- tion Bündnis 90/Die Grünen. heberrecht im digitalen Zeitalter. Die Interessen der Kulturschaffenden kommen in Ihrem Antrag überhaupt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht vor. Dabei ist doch ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen der Nutzerinnen und Nutzer und Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Kulturschaffenden im digitalen Raum so zentral und Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich wichtig. die Plenarplanung gesehen habe, dachte ich erst, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) AfD-Fraktion habe den TOP nur als Platzhalter aufge- setzt. Ihnen geht es nur um eines, nämlich ums EU-Bashing. Der Versuch, unter dem Deckmantel eines Sachthemas (Manuel Höferlin [FDP]: Ich auch! Stimmt!) Ihre Antieuropapropaganda zu betreiben, ist mehr als of- Aber Sie wollen tatsächlich noch einmal über die Urhe- fensichtlich. berrechtsrichtlinie reden, obwohl wir das ja in den ver- gangenen Wochen schon mehrmals getan und unsere Po- Woher kommt sonst die Dringlichkeit dieses Antrags? sition auch ausgiebig ausgetauscht haben. Die Urheberrechtsrichtlinie ist beschlossen. Die Mit- gliedstaaten müssen sie innerhalb von zwei Jahren um- (Lars Herrmann [AfD]: Ja!) setzen. Etwas inhaltlich Neues, geschweige denn etwas (B) Nun, Sie sind bei Ihrer Themensetzung nicht gerade für Überraschendes oder eine Lösung tragen Sie nicht dazu (D) Kreativität bekannt. bei. Die Europawahl steht an, und da wollen Sie auch mit diesem Antrag Ihren europafeindlichen Wahlkampf in (Lars Herrmann [AfD]: Nein!) den Bundestag tragen. Sie kreiden der EU den Schlinger- kurs der Bundesregierung bei diesem Thema an. Damit Der Antrag kann in drei Sätzen zusammengefasst wer- heulen Sie aber den falschen Mond an. Beschweren Sie den. Erstens spielen Sie sich als Garant der Meinungs- sich also bei den Verantwortlichen: bei Katarina Barley, freiheit auf. Zweitens betreiben Sie unwürdiges Euro- Julia Klöckner und Angela Merkel. pa-Bashing. (Lars Herrmann [AfD]: Nein!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP) Und drittens übernehmen Sie die fadenscheinige Selbst- verpflichtung der Bundesregierung. Alles in allem: nichts Ihre Forderung, Uploadfilter auszuschließen und sonst Neues, nichts Konstruktives, nichts, was uns in der De- die EU-Richtlinie nachzuverhandeln, ist auch nicht neu. batte weiterbringt. So ähnlich steht es bereits in der Protokollerklärung der Bundesregierung, nur ist die deutlich differenzierter und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erwähnt immerhin die Interessen der Kulturschaffenden. sowie des Abg. Manuel Höferlin [FDP]) Sie aber käuen nur wieder, was andere vor Ihnen schon Da kann man nur sagen: Wer Blau wählt, bekommt halt besser gesagt haben. Die kostbare Plenumszeit sollte bes- nur heiße, verpestete Luft. ser für sachliche Arbeit genutzt werden. (Lachen des Abg. Lars Herrmann [AfD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lars Herrmann [AfD]: Ja, klar!) Dass Sie sich als Garant der Meinungsfreiheit sehen, ist schon bemerkenswert. Da muss man schon mehr ma- Zusammenfassend können wir sagen: viel Papier, kei- chen, als Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu zi- ne Inhalte. Seien Sie doch wenigstens dann so ehrlich tieren. Meinungsfreiheit muss gelebt werden. Es bedeu- wie die Partei Die PARTEI, die auf ihre Plakate schreibt, tet, die Meinung anderer zuzulassen. Es bedeutet auch dass sie Inhalte überwinden will. Meinungsvielfalt. Aber bei jeder Gegenrede schreien Sie Vielen Dank. auf, und einige Funktionsträger von Ihnen versuchen so- gar, auf die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rundfunks einzuwirken, wie das jetzt auch in Österreich Lars Herrmann [AfD]: Das war ja ein Feuer- zu beobachten ist. Das ist alles andere als Meinungsfrei- werk!) 11866 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Genau das ist mit dem gemeint, was beschlossen wurde. (C) Meinungsfreiheit wollen wir doch nicht verlieren. Wer Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für will das denn? Kein Mensch will das. die CDU/CSU-Fraktion. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber deren (Beifall bei der CDU/CSU) Interessen sind da nicht drin!) – Die sind sehr wohl darin. Es geht um einen fairen Aus- Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): gleich zwischen beiden Seiten. Aber Sie reden immer nur über das Netz, und ich rede über die Künstler. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute Abend den Blick gern noch einmal auf (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie sollten diejenigen richten, um die es geht. Das sind nämlich die meine Rede noch mal nachlesen!) Kreativen, die Künstlerinnen und Künstler, die Sie nie sehen oder denen Sie offenbar nicht begegnen. Aber als – Ja, ich habe genau zugehört. Sprecherin für Kultur und Medien bin ich deren Anwäl- (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das bezweifle tin. Das möchte ich hier zum Ausdruck bringen. ich!) Es geht mir um die Werke unserer Komponisten, die Diese Künstler prägen übrigens das geistige Klima in un- Bücher unserer Schriftsteller, die Filme unserer Produ- serem Land. Deshalb müssen wir sie gut behandeln. zenten und Regisseure und auch um die Artikel unserer Die angeblichen Verteidiger der Meinungsfreiheit im Journalisten. Geistiges Eigentum – das müsste eigentlich Netz machen sich einen zu schlanken Fuß. Zur Frage, Konsens sein; das hoffe ich jedenfalls – ist genauso zu wie die Urheber zu ihren Erlösen oder zu ihrem Broter- schützen wie das materielle Eigentum. werb kommen, habe ich aus der Netzgemeinde bislang herzlich wenig gehört. Das, was ich in Diskussionen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dazu gehört habe, war ziemlich schlimm. Wir hören im- der CDU/CSU) mer nur, was alles nicht geht. Wir können uns doch nicht darüber beschweren, dass die Machen wir uns doch nichts vor: Es wird doch schon Chinesen unsere Patente stehlen und plagiieren, wenn gefiltert. Ich selbst bin die größte Verteidigerin der Mei- wir selbst unsere Künstler und Kreativen ihres geistigen nungsfreiheit. Aber diese Freiheit ist doch bereits einge- Eigentums berauben. schränkt, weil es viele Dinge gibt, die schon jetzt – Gott sei Dank – rausgefiltert werden, wie Kinderpornografie Die Union steht ganz klar an der Seite der Kreativen. und vieles andere. (B) Und die Union ist gleichzeitig die einzige politische (D) Kraft, die einen fundierten Vorschlag zur nationalen Um- Vizepräsidentin Petra Pau: setzung ohne Uploadfilter gemacht hat. Kollegin Motschmann, setzen Sie bitte den Schluss- (Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Thomae punkt. [FDP]: Nein, nein! – Matthias Hauer [CDU/ CSU]: Ganz genau!) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin, und ver- Wir wollen die Uploadfilter nicht. Wir wollen andere suche, den Rest meiner Rede in wenige Sätze zu fassen, Wege gehen, und es gibt auch andere Wege; die haben wir aufgezeigt. (Heiterkeit der Abg. Steffi Lemke [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Internet obwohl das nicht so leicht ist. (Lars Herrmann [AfD]: Das Internet ist Neu- Ich verstehe nicht, warum man allein ein Augenmerk land!) auf das Geschäft von Google, Facebook und Co legt und warum man die Interessen der Künstler und der Kreati- nimmt vielen Kreativen die Möglichkeiten, zu verdienen, ven nicht sehen will. und nimmt ihnen mehr, als es ihnen bietet. Das wird über kurz oder lang dazu führen, dass wir die Armut bei vielen Künstlern noch vergrößern. Ich will das nicht; Sie wollen Vizepräsidentin Petra Pau: das vielleicht. Dann haben wir am Ende weniger Künst- Sie können selbstverständlich weiterreden, aber das ler, aber immer mehr Überlebenskünstler. Ich möchte, tun Sie jetzt auf Kosten der Redezeit Ihres Kollegen. dass die Kreativen wirklich mit ihren Werken, mit ihrer geistigen Arbeit verdienen. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Nein, das will ich doch nicht. Die kulturelle und die geistige Verarmung könnten voranschreiten, wenn wir das Urheberrecht nicht auf die (Lachen bei der AfD und der FDP) neue digitale Welt einstellen. Ich höre auf und freue mich auf die nächsten Reden. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann hätten Ich bin sehr zufrieden mit dem – das sage ich auch im Sie es doch gemacht!) Namen meiner Fraktion –, was wir in der EU beschlossen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11867

Elisabeth Motschmann (A) haben. Ich bin sicher, dass wir jetzt zu einer guten Umset- Netzkultur, die so ein Uploadfilter niemals erkennen (C) zung im Land kommen. kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Für die Fairness gegenüber Kulturschaffenden, Krea- tiven und Urhebern, um die es heute schon so oft gegan- Vizepräsidentin Petra Pau: gen ist, gibt es beim Kopierer mit Geräteabgabe und Pau- Für die SPD-Fraktion hat nun Saskia Esken das Wort. schalvergütung gute Lösungen, die hier zwar auch zur Debatte standen, die sich am Ende aber nicht durchsetzen (Beifall bei der SPD) konnten. Das ist schade. Was bleibt, ist Schadensbegrenzung. Die Union hat Saskia Esken (SPD): einen Vorschlag erarbeitet, der den Schaden in der na- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tionalen Umsetzung begrenzen will. Wir glauben, dass Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Ich hatte einen Traum es nicht funktionieren wird. Wir halten aber auch sonst und träumte von Uploadfiltern. nicht viel von diesem Vorschlag, weil es eine nationale (Zurufe: Oh! – Manuel Höferlin [FDP]: So Umsetzung ist. Wir wollen kein Netz der nationalen Net- haben schon manche denkwürdige Reden be- ze. Wir wollen den digitalen Binnenmarkt Europa stär- gonnen! – Heiterkeit bei der FDP) ken und nicht zerklüften. Ich bin in einem Copy-Shop, (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Wollen Sie sie nicht national umsetzen, oder wie wollen Sie (Norbert Kleinwächter [AfD]: Kopieren Sie es machen?) das?) Wir wollen, dass im vereinten Europa und insbesondere um mein Flugblatt für einen Infostand zu vervielfältigen. im digitalen Europa einheitliches Recht gilt und dass die- Ich lege also mein kreatives Schneide- und Klebewerk ses Recht einheitlich umgesetzt wird. auf den Kopierer, tippe ein: „200 Kopien“, und drücke auf Start. Der Kopierer scannt das Original. Ich warte da- Außerdem wollen wir uns gar nicht ausmalen, wie der rauf, dass der Papiertransport endlich losgeht – und dann enge Freund der Kollegen von der AfD, Viktor Orban, passiert gar nichts. die Anordnung von Uploadfiltern gegen Meinungsfrei- heit und Pressefreiheit einsetzen könnte. (Lars Herrmann [AfD]: Das war der Kopierer (Zuruf von der AfD: Wie in der EU!) im Kaufland!) Insofern sage ich zum Antrag der AfD nur so viel: Mit Ich will schon zum Counter gehen und mich beklagen, da Freunden von diesem und anderen Autokraten, die De- (B) kommt eine Fehlermeldung: „Error 17 – Copy denied“. (D) mokratie und Freiheitsrechte mit Füßen treten, debattiere Wie jetzt, Kopie abgelehnt? Der Mitarbeiter erklärt mir ich nicht über Meinungsfreiheit. Mit Leuten, die Melde- ganz zerknirscht, in meinem Original sei wohl ein urhe- portale für unliebsame Pädagogen betreiben und schwar- berrechtlich geschützter Inhalt erkannt worden, für den ze Listen von AfD-kritischen Journalisten führen, debat- der Gerätehersteller leider keine Lizenzvereinbarung hat. tiere ich nicht über Meinungsfreiheit. Nein, er kann jetzt auch nicht erkennen, was an meinem Bastelwerk tatsächlich geschützt sein soll, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Vielleicht das SPD-Logo!) Was bleibt, ist also, wie gesagt, Schadensbegrenzung, aber bitte auf europäischer Ebene. Die Regierung hat in aber da könne man nichts machen. ihrer Protokollerklärung zum Beschluss der Richtlinie Verrückte Geschichte? Ich glaube, mein Traum hat klargemacht: Wir wollen den Artikel 17 ohne Upload- mir die Sache mit den Uploadfiltern für die analoge Welt filter umsetzen, aber in ganz Europa. – Möglicherweise erklärt. Was beim Kopierer völlig absurd klingt, soll im müssen wir dazu – und zwar noch innerhalb der Umset- Netz Wirklichkeit werden: Artikel 17 der EU-Urheber- zungsfrist – auch den rechtlichen Weg für Pauschallizen- rechtsrichtlinie verpflichtet digitale Plattformen nicht zen ebnen. Wenn alle Stricke reißen, dann wollen wir zu- nur zur Vereinbarung von Lizenzen mit allen Urhebern mindest klare Regeln dafür haben, wie Nutzer sich gegen dieser Welt – das sind doch ein paar mehr, als man sich die Ablehnung eines Uploads wehren können. das ausmalen mag –, sondern macht sie auch für die So oder so bin ich der Überzeugung – anders als an- Uploads ihrer Nutzer haftbar. Die Plattformen können dere hier im Haus –: Unser Kampf für ein zeitgemäßes, dieser Haftung nur entgehen, wenn sie Maßnahmen er- faires, Freiheitsrechte wahrendes und kreativitätsfreund- greifen, um nichtlizenzierte Uploads zu verhindern. Das liches Urheberrecht im Netz ist mit der Umsetzung dieser ist ohne Uploadfilter, so die einhellige Meinung, kaum Richtlinie noch lange nicht beendet. zu machen. Vielen Dank. In der Sache geht es nicht nur um den wichtigen Aus- gleich zwischen Urheberrecht und Meinungsfreiheit, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- sondern vor allem geht es um das, was wir immer for- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – dern: dass Menschen im Netz nicht nur als Nutzer, als Manuel Höferlin [FDP]: Die Justizministerin Verbraucher agieren, sondern auch als Gestalter. Es geht hat aber schon eine Zwischenniederlage erlit- um die Kreativität des Netzes, es geht um Netzkultur – ten!) 11868 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Das Wort hat der Abgeordnete Uwe Kamann. Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Matthias Hauer das Wort. (Stephan Brandner [AfD]: Den kennen wir – nicht mehr! – Manuel Höferlin [FDP], an den (Beifall bei der CDU/CSU) Abg. Stephan Brandner [AfD] gewandt: Das kommt alles ins Protokoll!) Matthias Hauer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Uwe Kamann (fraktionslos): Herren! Musiker, Autoren und andere Urheber angemes- Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kollegen! Werte Be- sen zu vergüten, sie an den Einnahmen der großen Inter- sucher! Liebe Kollegen von der AfD! netplattformen zu beteiligen, die Rechte der Kreativen zu stärken – über diese Ziele sind sich hier alle weitgehend (Lars Herrmann [AfD]: Ja, Uwe!) einig. An der Frage, wie man diese Ziele erreicht, schei- Wenn ein Mitarbeiter aus meiner Firma zu mir kommt den sich dann die Geister. Das Ganze hat sich an Arti- und Kritik übt, höre ich mir die sehr gerne an. Aber wenn kel 13 und Artikel 17 sicherlich entzündet. Ich persönlich er keine konstruktiven Lösungsvorschläge hat, dann habe mich von Anfang an gegen diesen Artikel 13 aus- schicke ich ihn wieder zurück, weil er seine Hausauf- gesprochen. Und natürlich war auch ich enttäuscht über gaben nicht gemacht hat. Das Gleiche müsste man mit die Zustimmung des Europäischen Parlaments, über die Ihnen und Ihrem Antrag machen. mehrheitliche Zustimmung von EVP, Liberalen und So- zialdemokraten und über die Zustimmung von SPD-Mi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- nisterin Katarina Barley im Ministerrat. wie bei Abgeordneten der SPD) Über hunderttausend Menschen sind gegen Artikel 13 Ja, Meinungsfreiheit ist unverzichtbar. Ich habe aber auf die Straße gegangen, sogar weit mehr haben die On- kein Anrecht darauf, dass jeder meine Meinung weiter- linepetition unterzeichnet. Es gab sehr viele kritische verbreiten muss. Stimmen, und die haben wir ernst zu nehmen. Und mein (Karsten Hilse [AfD]: Gehörst du jetzt zur Eindruck war: Es sind gerade die jungen Leute, die sich FDP?) in dieser Debatte besonders gut auskennen. Während sich die einen Politiker – das haben wir auch in der heu- Keiner kommt auf die Idee, von der Tagesschau zu ver- tigen Debatte wieder gemerkt – darauf konzentrieren, die langen, dass Jan Hofer seine Meinung abends im TV vor- europäische Entscheidung zu betrauern und nach hinten lesen soll, und, wenn er das nicht macht, den Untergang zu schauen, haben wir als CDU/CSU die gegensätzlichen der freien Welt zu beschwören. Warum sollte das in der (B) Positionen intensiv diskutiert und diese Sorgen aufge- (D) digitalen Welt anders sein? Liebe Kollegen, es gibt kei- nommen. Wir schauen nach vorne. nen Rechtsanspruch auf Veröffentlichung. Auf Initiative unseres Generalsekretärs haben wir ge- Portale wie YouTube stehen nun in der Haftung, wenn meinsam mit den Digitalpolitikern, den Rechtspolitikern Urheberrechtsverletzungen bei ihnen stattfinden. Proble- einen Kompromiss für die nationale Umsetzung erarbei- matisch sind dabei vor allem die Automatismen. Es geht tet. Vieles davon findet sich auch in der gerade schon oft bei Datenmassen aber leider nun mal nicht ohne techni- angesprochenen Protokollerklärung der Bundesregierung sche Hilfsmittel, und das sind die verhassten Uploadfilter. wieder. Unser Vorschlag ist ein guter Kompromiss, um Sie, liebe GroKo, können an der Umsetzung schrauben, Uploadfilter überflüssig zu machen, gleichzeitig Inter- wie Sie wollen. Am Ende werden technische Hilfsmittel netplattformen in die Pflicht zu nehmen, die bislang hohe eingesetzt. Das müssen die Unternehmen so machen; das Gewinne mit dem geistigen Eigentum anderer erzielen. nennt man Risikovorsorge. Oder Sie entbinden die Un- ternehmen von ihrer Haftung. Zur Wahrheit gehört aber (Beifall bei der CDU/CSU) auch: Solange die Filter technisch ungenügend ausgereift Und wer einen besseren Vorschlag hat, der möge ihn auf sind, werden zwangsläufig manche Dinge zu Unrecht den Tisch legen, spätestens – da haben Sie ja noch ein nicht hochgeladen. Aber das ist ein Problem, das tech- bisschen Zeit – im Gesetzgebungsverfahren. nisch zu lösen ist und keine bewusste Zensur. Wie funktioniert das CDU-Modell? Es gilt der Grund- Noch etwas, werte Kollegen von der AfD: Machen Sie satz „Bezahlen statt blocken“. Damit können erst einmal sich doch bitte vorher Gedanken, wie eine konkrete Lö- alle Inhalte hochgeladen werden. Unterhalb einer zeitli- sung für ein konkretes Problem aussehen könnte. Immer chen Grenze sind Uploads in jedem Fall gebührenfrei. nur zu kritisieren, ohne angemessene Lösungsvorschläge Oberhalb der Grenze muss die Plattform für urheber- zu machen, hat mit konstruktiver Sachpolitik für unsere rechtlich geschützte Inhalte Lizenzen erwerben. Die Bürger jedenfalls nichts zu tun. Urheber kennzeichnen ihre Werke mit einem digitalen Danke schön. Fingerabdruck, womit jeder Urheber die Möglichkeit hat, eine Vergütung oder Löschung zu verlangen oder auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und seine Ansprüche zu verzichten. Im Übrigen soll eine Pau- der SPD – Lars Herrmann [AfD]: Das hast du schallizenz gelten. in der Fraktion nicht gemacht! – Gegenruf des Abg. Manuel Höferlin [FDP]: Ihr habt doch Das alles bewegt sich auch im Rahmen unseres na- bei den Altparteien abgeschrieben, wie ihr sa- tionalen Umsetzungsspielraums. Das Ausschöpfen eines gen würdet!) solchen Spielraums ist eben kein Verstoß gegen Europa- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11869

Matthias Hauer (A) recht. Wir sollten mit Hochdruck an der nationalen Um- ­Kappert-Gonther, Kordula Schulz-Asche, (C) setzung arbeiten, damit das deutsche Gesetz zum Vorbild weiterer Abgeordneter und der Fraktion werden kann, EU-weit gegen Uploadfilter und Over- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN blocking konsequent vorzugehen. Als CDU/CSU ma- chen wir uns für eine faire Vergütung für Urheber stark, Reform der Psychotherapeutenausbil- für ein freies Internet mit unzensierten Kommunikations- dung zukunftsfest ausgestalten und Fi- wegen, für Rechtssicherheit auch im Netz und für starke nanzierung der ambulanten Weiterbil- Nutzerrechte. Daran sollten wir im Deutschen Bundestag dung sichern gemeinsam arbeiten. Drucksache 19/9272 Vielen Dank. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) (Beifall bei der CDU/CSU) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Vizepräsidentin Petra Pau: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Ich schließe die Aussprache. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Drucksache 19/9969 an die in der Tagesordnung aufge- Ich bitte, die nötigen Umgruppierungen in den Frak- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- tionen zügig vorzunehmen und wieder Platz zu nehmen. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Es wäre schön, wenn sich die Kollegen der FDP-Frakti- so beschlossen. on entschließen könnten, ob sie weiter teilnehmen wollen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis d auf: oder nicht. a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (Stephan Thomae [FDP]: Es sind Unionskol- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- legen! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der zes zur Reform der Psychotherapeuten- FDP) ausbildung Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla- Drucksache 19/9770 mentarische Staatssekretärin Sabine Weiss. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ausschuss für Gesundheit (f) ordneten der SPD) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (B) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- (D) abschätzung Sabine Weiss, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten minister für Gesundheit: Dr. Axel Gehrke, Paul Viktor Podolay, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Dr. Robby Schlund, weiterer Abgeordneter Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stellen und der Fraktion der AfD wir die Ausbildung in der nichtärztlichen Psychothera- pie auf eine neue Grundlage. Zugleich verbessern wir Patientenschutz in der Psychotherapeu- die psychotherapeutische Versorgung. Vorgesehen sind tenausbildung sicherstellen ein dreijähriges Bachelor- und ein zweijähriges Mas- Drucksache 19/9970 terstudium. Dieses fünfjährige Studium findet an Uni- versitäten statt, die mit ihren bewährten Strukturen den Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Systemwechsel am besten gewährleisten. Das Studium Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz wird mit einer staatlichen Prüfung abgeschlossen. Sie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- wird Voraussetzung für die Erteilung der Approbation. abschätzung Die Prüfung wird sich selbstverständlich auf die Feststel- c) Beratung des Antrags der Abgeordne- lung der zur Ausübung des Berufes erforderlichen Hand- ten Sylvia Gabelmann, Susanne Ferschl, lungskompetenzen konzentrieren. Mit der Approbation Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordne- werden das Führen der Berufsbezeichnung und die Aus- ter und der Fraktion DIE LINKE übung der heilkundlichen Psychotherapie erlaubt. Die Berufsbezeichnung „Psychotherapeutin“ und „Psycho- Prekäre Bedingungen in der Psychothe- therapeut“ führen wir dabei neu ein. rapeutenausbildung sofort beenden und Verfahrensvielfalt im Studium gewähr- Der neue Studiengang soll dann zum Wintersemes- leisten ter 2020 erstmals angeboten werden. Inhaltlich ist das Studium breit angelegt; das wird vor allem die Approba- Drucksache 19/9912 tionsordnung zeigen, die wir noch entwickeln. In ihr wird Überweisungsvorschlag: es verpflichtende Vorgaben für eine Ausbildung in allen Ausschuss für Gesundheit (f) wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Verfahren geben. Dabei wird auf Anteile praktischer Ar- abschätzung beit geachtet. Theorie und Praxis werden von Anfang an d) Beratung des Antrags der Abgeordne- miteinander vernetzt. Wie bisher bleibt die wissenschaft- ten Maria Klein-Schmeink, Dr. Kirsten liche Anerkennung psychotherapeutischer Verfahren im 11870 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Parl. Staatssekretärin Sabine Weiss (A) Berufsrecht Aufgabe des Wissenschaftlichen Beirats Bleiben wir doch gleich mal bei dem Handwerkszeug, (C) Psychotherapie. zum Beispiel dem Gespräch. Haben Sie sich jemals Gedanken gemacht, meine Damen und Herren, wie ein Nach dem Studium ist dann für die Phasen der Weiter- Gespräch zwischen zwei Menschen abläuft? Ich werde bildung zu entscheiden, ob die berufliche Zukunft in der Ihnen ein kurzes Beispiel geben. Stellen Sie sich vor: Es Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder Erwach- treffen sich zwei Kinder. Der Vater des einen Kindes ist senen liegen soll und welches therapeutische Verfahren Pfarrer; der Vater des anderen Kindes ist Tischler. Sie vertieft wird: Verhaltenstherapie, Psychoanalyse oder ein stehen vor einem Tisch, und die Sonne scheint. Da sagt anderes anerkanntes Verfahren. Diese Weiterbildung ist das Kind, dessen Vater Pfarrer ist: Die Sonne scheint auf wichtig; denn den Zugang zur Versorgung erhalten nur den Tisch. – Das Tischlerkind wiederum sagt: Da ist ein Fachpsychotherapeutinnen und Fachpsychotherapeuten. Tisch, auf den die Sonne scheint. – Wissen Sie, was der Ich möchte noch kurz weitere Beispiele für Verbesse- Unterschied ist? Der Unterschied ist, dass die Bewertung rungen durch das Gesetz nennen. So können zukünftige des Gesprächs bei den Kindern völlig unterschiedlich ist. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten während Jetzt stellt sich die Frage, wie das erst bei unterschied- der Weiterbildung in einem Angestelltenverhältnis in der lichem Sprachniveau aussehen soll, wenn bei einem sol- Versorgung tätig sein. Außerdem räumen wir Psychothe- chen Gespräch schon große Differenzen bestehen. Meine rapeutinnen und Psychotherapeuten, entsprechend ihren Damen und Herren, daran sehen Sie, dass es gar nicht so erworbenen Kompetenzen, mit Ergotherapie und psychi­ einfach ist, in dieser Mischung aus nonverbaler und ver- atrischer Krankenpflege neue Verordnungsbefugnisse baler Kommunikation komplexe Krankheitsbilder wie ein. Und wir beauftragen den Gemeinsamen Bundesaus- Psychosen und psychische Störungen zu erkennen. schuss, eine berufsgruppenübergreifende koordinierte Zusammenarbeit der Psychotherapeutinnen und Psycho- In einem Ihrer Gesetzentwürfe zum TSVG – Herr therapeuten mit anderen Leistungserbringern zu regeln, Spahn ist leider nicht da – wurde aufgrund der langen damit Patientinnen und Patienten schnell die für sie rich- Wartezeiten schon einmal der Vorschlag gemacht, eine tige Behandlung erhalten. gestufte und gesteuerte Versorgung bei Psychotherapeu- ten einzuführen. Dagegen sprachen sich der Bundesrat Die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie circa 200 000 Unterzeichner einer Petition aus. leisten einen wichtigen Beitrag zu unserer Gesundheits- versorgung. Ich denke, mit diesem Gesetz schaffen wir Jetzt wird erneut zum Schlag ausgeholt. Beim Psy- für sie eine eigenständige und fundierte universitäre Aus- chotherapeutenausbildungsreformgesetz und dem The- bildung. Damit wird ihre Qualifikation noch besser und ma „koordinierte und strukturierte Versorgung“ kommen ihr Beruf noch attraktiver. Das ist für Therapeutinnen und Sie, Herr Spahn – er ist leider nicht da –, durch die Hin- (B) Therapeuten und Patienten gleichermaßen gut. tertür. Nicht nur das: Sie kommen auch wieder mit Re- (D) formen zulasten der Patienten. Der Spitzenverband ZNS (Beifall bei der CDU/CSU) lehnte den Gesetzentwurf mit folgenden Worten ab – ich Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist ein weiteres zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: wichtiges Gesetz für eine sichere Versorgung. Politik soll Es werden mit dem Reformansatz keine Probleme Dinge verbessern, die verbessert werden können. Hier gelöst, sondern neue geschaffen. können wir etwas verbessern und bitten Sie deshalb um zügige und konstruktive Beratungen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psy- chotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde ver- Herzlichen Dank. langt eine komplette Neuausrichtung des Gesetzent- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wurfs, und auch die Bundesärztekammer spricht von vielen ungeklärten Fragen. Das Ziel, die Attraktivität der Ausbildung zum Psychotherapeuten zu steigern, wird mit Vizepräsidentin Petra Pau: dem Gesetzentwurf leider nicht erreicht, meine Damen Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Robby Schlund für und Herren. die AfD-Fraktion. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Der eigentliche Grund für die Reform des Ausbil- Dr. Robby Schlund (AfD): dungsprozesses ist der Bologna-Prozess, also die euro- päische Nivellierung, und zwar auf dem kleinsten ge- Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Der Erkenntnispro- meinsamen Niveau. Nicht nur das: Der Praxisanteil ist zess in der Psychologie ist ein fließender und setzt ein viel zu gering. Der Bundesrat führt dazu aus – ich zitiere hochkomplexes und integratives Verständnis der Funk- mit Erlaubnis der Präsidentin –: Im weiteren Gesetzge- tion, Dynamik und Struktur der Seele voraus. In diesem bungsverfahren sei zu prüfen, wie ein ausreichend großer Erkenntnisprozess sind zusätzlich noch vergangene, ge- Praxisanteil in der direkten Versorgung von Patientinnen genwärtige und visionale Ebenen verwoben. „Der Psy- und Patienten vor der Erteilung der Approbation gewähr- chologe muss Mechaniker sein – vor, während und nach leistet werden kann. dem Gespräch“, sagte Walter Fürst einmal. Glauben Sie, dass Sie mit der Verkürzung der praktischen Ausbildung Wir fordern deshalb erstens die Erweiterung des Voll- genau dieser oben erwähnten Komplexität, Integrativität zeitstudiums um mindestens ein praktisches Semester, und dem psychotherapeutischen Handwerkszeug gerecht zweitens eine schriftliche länderübergreifende einheitli- werden können? Ich glaube das eher nicht. che Prüfung, in der auch Facharztkenntnisse überprüft Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11871

Dr. Robby Schlund (A) werden, drittens eine verpflichtende Sprachprüfung für Frage; es ist noch nicht das endgültige Produkt –, aber (C) nicht deutschsprachige Bewerber auf dem Sprachniveau ich nehme für uns in Anspruch, dass wir uns bei der Ent- von mindestens C2, und viertens fordern wir als Anwalt wicklung eines Gesetzentwurfs selten so intensiv mit den der Patienten vor allen Dingen eines, meine Damen und Betroffenen und den Fachleuten, ja sogar mit den Auszu- Herren: mehr Patientensicherheit. bildenden abgestimmt haben. Vielen Dank. Ich komme zu dem zweiten Teil unserer Reform, näm- lich zur eigentlichen Ausbildung. Derzeit besteht ein un- (Beifall bei der AfD) haltbarer Zustand. Derjenige, der das Studium hinter sich hat, aber noch nicht approbiert ist, geht danach in eine Vizepräsidentin Petra Pau: Ausbildung, während der er, wenn er überhaupt eine Ver- Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach für die gütung bekommt, im Prinzip wie ein Praktikant vergütet SPD-Fraktion. wird. Er kann nicht arbeiten, obwohl er eigentlich schon Versorgungsaufträge übernimmt. Das ist sowohl für die (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin Patienten als auch für die Auszubildenden eine unhalt- Maag [CDU/CSU]) bare Situation. Daher verändern wir das. Die Approbation erfolgt Dr. Karl Lauterbach (SPD): nach dem Studium, und dann folgt wie in der Zahnme- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und dizin und in der Medizin eine klassische Weiterbildung, Herren! Zunächst einmal: Dieses Gesetz, das wir heute während der man unter Anleitung am Patienten arbeiten einbringen, ist dringend notwendig; denn die Art und kann. Darauf bereitet dieses praxisorientierte Studium Weise, wie wir Psychotherapeuten ausbilden, ist im Prin- vor. Das ist eine ganz andere Qualität. Das ist genau das, zip seit 1998 so gut wie nicht mehr verändert worden. was die Patienten sehen wollen. Das ist genau das, was Seitdem hat sich die Lage aber massiv verändert. Die auch für diejenigen würdig ist, die dieses Studium abge- Methoden, mit denen heute Psychotherapie betrieben schlossen haben. Nach fünf Jahren Studium mit Praxis­ wird, sind vielfältiger und besser geworden, sind ausei- anteilen, die in das Studium integriert sind, ist man in nandergegangen und haben sich weiterentwickelt. Vieles der Lage, eine Weiterbildung zu machen, während der wird wissenschaftlich sehr viel besser verstanden, als man unter Anleitung auch Patienten behandelt. So wird das früher der Fall war. Die Forschung hat Fortschritte daraus ein richtig gutes, bezahltes, einheitliches Konzept gemacht. Wir haben mittlerweile auch gelernt, dass in von Studium und Weiterbildung. diesem Studium am besten gelernt werden kann, wenn man praktische Anteile und Theorie kombiniert und kein Wir werden die Finanzierung regeln. Wir werden die Zeiten regeln. Wir werden die Übergänge regeln. Wir (B) Praxissemester in das Studium integriert, sondern am (D) Patienten unterrichtet wird. Auch in das Medizinstudium werden auch dafür sorgen, dass diejenigen, die sozusa- integrieren wir das immer stärker. gen noch in der Übergangsphase, also in der Ausbildung und noch nicht in der Weiterbildung, sind, nicht durch Insgesamt gibt es eine faszinierende Entwicklung in das Netz fallen. der Psychologie und in der Psychotherapie. Die Belange entwickeln sich dort aber auseinander, weil die Psycho- Wir werden auch das Steuerungsgesetz, das eben zur logie zum Teil ganz neue Bereiche abdeckt, die in der Sprache kam, einbringen. Darauf kann ich jetzt nicht ein- Psychotherapie keinen Platz haben und umgekehrt. Man gehen; das wird mein Kollege machen. Wir wollen das, kann das Psychologiestudium und das Psychotherapie- was Herr Spahn vorhatte, nicht. Wir wollen keine Steu- studium in den ersten Studienjahren gut kombinieren. In erung im Sinne einer Delegation oder Facharztprüfung. späteren Studienjahren müssen sich die Disziplinen aber Wir wollen vielmehr, dass die Steuerung aus dem System auseinanderentwickeln; denn dazu gehören ganz unter- kommt. Sie muss von den Fachleuten, von den Psycho- schiedliche, ich sage einmal, Leidenschaften, Kenntnisse therapeuten selbst, geleistet werden. Dazu werden wir im und auch Fähigkeiten, die man entwickeln muss. Verbund mit den Betroffenen eine gute Lösung finden. Dem wird der moderne Ansatz, den wir hier entwi- Vielen Dank. ckelt haben, gerecht. Wir haben daran Jahre gearbeitet – (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) übrigens mit den Verbänden zusammen. Wir haben ein Studium selten so stark reformiert wie dieses, und zwar in Kooperation mit den betroffenen Verbänden, mit dem Vizepräsidentin Petra Pau: Fakultätentag Psychologie, mit den Psychologenverbän- Für die FDP-Fraktion spricht nun Dr. Wieland den, mit den Psychotherapeutenkammern, den nieder- ­Schinnenburg. gelassenen Psychologinnen und Psychologen und den (Beifall bei der FDP) Fachvertretern. Es ist über die Jahre hinweg gereift und besonders gut vorbereitet und findet derzeit auch sehr viel positive Resonanz. Dr. Wieland Schinnenburg (FDP): Herr Präsidentin! Meine Damen und Herren! Keine (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Frage: Hier liegt ein vernünftiger Ansatz vor. CDU/CSU) (Zuruf der Abg. Sylvia Gabelmann [DIE Wir werden ja zu Recht zumindest für die Einbeziehung LINKE]) aller Betroffenen gelobt. Wir haben Jahre daran gearbei- tet. Ich kann Kritik daher zwar verstehen – das ist keine – Entschuldigung! Das fängt schon schlecht an. 11872 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Wieland Schinnenburg (A) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Es liegt ein guter An- Psychotherapie ausgebildet worden, oder ist er in Hu- (C) satz vor. Es ist richtig, dass man analog zur Humanmedi- manmedizin ausgebildet worden? Deshalb wollen wir, zin zunächst eine spezifische anspruchsvolle Ausbildung dass die einen den Titel „Psychologischer Psychothera- zum Psychotherapeuten macht, dann approbiert wird und peut“ führen und die anderen den Titel „Ärztlicher Psy- anschließend in einer Weiterbildung die Sache vertieft. chotherapeut“. Das ist ein Grundgebot der Transparenz. Auch dieses wird mit diesem Gesetz verletzt. Es gibt aber ganz erheblichen Nachbesserungsbedarf, oder – um es in der Fachsprache zu sagen –: Das Psycho- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Kirsten therapeutenausbildungsreformgesetz muss noch mal auf Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Couch. NEN]) Lassen Sie mich das an sieben Punkten näher erläu- Sechster Punkt. Ein ganz wesentliches Problem des tern. derzeitigen Systems ist doch, dass die Psychotherapeu- ten in Ausbildung, freundlich formuliert, in einer finan- Der erste und wichtigste Punkt ist: Minister Spahn ziell ungünstigen Lage sind. Man könnte es auch ganz will, dass wir hier die Katze im Sack kaufen. Wir er- anders formulieren. An diesem Punkt tut der Minister fahren nichts Näheres über die Studieninhalte, und wir nichts. Es muss doch wenigstens möglich sein, dass das erfahren auch nicht, was in der Approbationsprüfung ab- Schulgeld, also die Bezahlung für die theoretische Aus- geprüft werden soll. Das heißt, Sie wissen eigentlich gar bildung nach der Approbation oder nach dem Studium, nicht genau, was am Ende passieren soll. nicht von den Studenten oder von den Auszubildenden (Dr. Roy Kühne [CDU/CSU]: Steht aber im selber getragen werden muss. Dazu finden wir im Gesetz Gesetz!) ebenfalls nichts. Das entscheidende Problem wird nicht angegangen. Dies, meine Damen und Herren, ist nicht akzeptabel. (Beifall bei der FDP) Zweiter Punkt. Es gibt einen viel zu geringen Praxis- anteil. Wenn wir schon die Parallele zur Humanmedizin Siebter Punkt. Die halbseidene Lösung wird nicht ziehen, dann muss ich sagen: Die Humanmediziner müs- etwa in Kürze greifen, sondern, wenn man es genau sen ein praktisches Jahr absolvieren. Man kann darüber nimmt, erst in zehn Jahren. Noch in diesem Jahr und streiten, ob man ein praktisches Jahr braucht oder ob ein auch noch im nächsten Jahr werden Menschen ihre Aus- Praxissemester reicht. Das brauchen wir auf jeden Fall. bildung nach dem alten System beginnen und in genau Kurz gesagt: Man kann Psychotherapie nicht nur aus Bü- dem Schlamassel stecken, in dem die Auszubildenden chern lernen, man muss auch am Menschen, am prakti- seit Jahren stecken. Was wir hier sehen, ist keine Lösung, schen Fall lernen, wie es denn geht. Dies belegt nicht nur sondern die Aufschiebung einer Lösung. Auch das, mei- (B) (D) das Beispiel der Kinder von Pfarrern und Zimmerleuten, ne Damen und Herren, reicht nicht aus. sondern das gilt bei allen Menschen. Deshalb wollen wir ein Praxissemester. Sie merken: Auf der Couch ist noch viel zu tun. Wir als Freie Demokraten, als Serviceopposition, sind gerne Der dritte Punkt: die Prüfungen. Die Approbations- bereit, zu helfen. Lassen Sie uns aus einem guten Ansatz prüfung, wie sie bisher vorgesehen ist, ist einfach unzu- ein gutes Gesetz machen. reichend. Wir fordern wie die Bundesärztekammer eine dritte Prüfung, eine schriftliche Prüfung, die sicherstellt, Vielen Dank, meine Damen und Herren. dass derjenige, der die Prüfung bestanden hat, am Ende (Beifall bei der FDP) auch in der Lage ist, selbstständig psychisch kranke Menschen zu behandeln. Das ist aus meiner Sicht derzeit Vizepräsidentin Petra Pau: nicht sichergestellt. Das Wort hat die Kollegin Sylvia Gabelmann für die Vierter Punkt. Minister Spahn zeigt ein weiteres Mal, Fraktion Die Linke. wie wenig er von der Expertise von Fachleuten hält. Es gibt einen Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie, (Beifall bei der LINKEN) gebildet von Bundespsychotherapeutenkammer und Bundesärztekammer. Diesen Beirat gibt es; das ist gut. Sylvia Gabelmann (DIE LINKE): Aber im Gesetzentwurf steht nur, dass sich die Behörde Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie- bei der Anerkennung eines Verfahrens im Zweifelsfall in be Besucherinnen und Besucher! Dieser Entwurf eines irgendeiner Weise darauf stützen kann. Das, meine Da- Gesetzes zur Reform der Psychotherapeutenausbildung men und Herren, ist zu wenig. Fachleute sollen sagen, kommt mindestens fünf Jahre zu spät. Immerhin hatte die was gebraucht wird, und nicht Minister Spahn in seinem Große Koalition schon 2013 eine Reform angekündigt. Ministerbüro. Den Preis für diese Untätigkeit – es wurde eben auch schon erwähnt – zahlen die Psychotherapeutinnen und (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Kirsten -therapeuten in Ausbildung, die Jahr für Jahr unter prekä- Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren, untragbaren Bedingungen arbeiten, mit geringer oder NEN]) gar keiner Bezahlung, häufig ohne soziale Absicherung. Fünfter Punkt. Wir fordern überall Transparenz. Die- Umso unverständlicher ist es, dass es im Gesetzentwurf se Transparenz wird mit diesem Gesetz nicht hergestellt. keine Übergangsregelung für die 20 000 Psychologinnen Es gibt den einheitlichen Begriff des Psychotherapeuten, und Psychologen gibt, die in den nächsten Jahren noch und Sie wissen als Patient nicht: Ist dieser Mensch in die alte Ausbildung durchlaufen werden. Es ist doch ein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11873

Sylvia Gabelmann (A) fach nur zynisch, zu sagen, die Menschen hätten ja vor- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) her gewusst, was auf sie zukommt, und sie unter diesen Das Wort hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink für Bedingungen weiterarbeiten zu lassen. die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Linke fordert sofort umzusetzende Übergangslö- sungen für die Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ausbildung, um endlich die ausbeuterischen Bedingun- NEN): gen zu beenden. Werte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Eigentlich ist das Thema weitaus dramatischer und (Beifall bei der LINKEN) schwerwiegender, als die etwas müde Debatte im Mo- Nicht nur die Übergangsregelungen fehlen bei diesem ment vermuten lässt. Das mal vorweg. Gesetz, sondern auch ein Konzept für die Finanzierung (Stephan Brandner [AfD]: Dann bringen Sie der Weiterbildung. Es ist völlig unklar, wie im ambulan- mal ein bisschen Pep rein!) ten Teil der Weiterbildung Ausbildungs- und Supervisi- onsstunden honoriert werden sollen. Die Vorschläge, die Wir müssen nämlich feststellen, dass wir dringenden Re- auf dem Tisch liegen, wie etwa ein Fonds analog dem formbedarf bei der Psychotherapeutenausbildung haben. Förderfonds für ärztliche Weiterbildung, werden bewusst (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ignoriert. Die Linke bringt einen eigenen Antrag in diese Lesung ein, in dem wir fordern, endlich Übergangsrege- Dieser Reformbedarf ist nicht neu. Er fällt auch nicht lungen und ein Konzept zur Finanzierung der Weiterbil- vom Himmel, sondern er ist schon lange bekannt. Die dung vorzulegen. Nicht nur Übergangsregelungen und Ergebnisse des Gutachtens, das die erste Große Koalition Weiterbildungsfinanzierung sucht man vergeblich in die- auf den Weg gebracht hat, wurden im April 2009 vorge- sem Gesetz, sondern auch einen Entwurf für eine Appro- stellt. Das heißt: Heute, zehn Jahre später, können wir bationsordnung. Das heißt: Herr Spahn hat ein unfertiges froh sein, dass jetzt endlich ein Gesetzentwurf vorliegt, Gesetz abgeliefert. der Verbesserungen verspricht. Das ist erst mal gut. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]) Aber nach einem so langen Vorlauf ist ja die Frage: Wer- Auch ohne die Approbationsordnung ist schon jetzt den die zentralen Probleme denn überhaupt gelöst? Und abzusehen, dass dieser Gesetzentwurf die gravierende da muss man sagen: Dieser Gesetzentwurf springt erheb- Einseitigkeit im jetzigen Psychologiestudium fortschrei- lich zu kurz. (B) ben wird. 59 der 60 Lehrstühle für Klinische Psychologie (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) an staatlichen Universitäten sind mit Verhaltensthera- peuten besetzt. Das heißt, den Studierenden ist es nicht Meine Damen und Herren von SPD und Union, Sie möglich, zwischen verschiedenen Psychotherapiever- haben noch einiges zu tun, um die zentralen Probleme fahren eine fachkundig begründete Wahl zu treffen. Wir wirklich zu lösen. Eines der zentralen Probleme ist na- wollen daher ein Angebot verschiedener Verfahren, und türlich, dass die Ausbildungssituation der PiAs, also der wir wollen, dass alle Lehrenden die Fachkunde für ihr ei- Psychotherapeuten in Ausbildung, dermaßen prekär ist, genes Verfahren nachweisen können. Nur so können sich dass man sagen muss: Diese Ausbildung ist so etwas wie die Studierenden frei zwischen den wissenschaftlich an- ein Hobby, das ich mir erlaube und das dazu führt, dass erkannten Verfahren entscheiden, und nur so kann auch ich entweder von den Unterhaltsleistungen meiner Fami- die Verfahrensvielfalt in der Versorgung der Patientinnen lie oder meines Lebenspartners oder meiner Lebenspart- und Patienten gesichert werden. Es braucht wieder ein nerin abhängig bin, aber in keiner Weise von den Ent- stärkeres gesellschaftskritisches Verständnis von Psy- gelten leben kann, obwohl ich 38 Stunden pro Woche in chologie und Psychotherapie. Psychische Probleme sind der praktischen Tätigkeit, in der Versorgung verbringe auch ein Spiegel von gesellschaftlichen und sozialen Ent- und zusätzlich die Ausbildung absolvieren muss und zu- wicklungen. Die angehenden Psychotherapeutinnen und sätzlich Supervisionsstunden nehmen muss und Ähnli- -therapeuten sollten im Studium befähigt werden, über ches. Die allermeisten schließen diese Phase mit 20 000, die individualisierte Sicht hinaus einen übergreifenden 30 000 oder 40 000 Euro Schulden ab, und das für einen soziologischen Blick einzunehmen. Beruf, für den ich erst ein Psychologiestudium absolviert habe und der gleichzeitig für die Patientenversorgung (Beifall bei der LINKEN) eine zentrale Stellung innehat. Das, meine Damen und Das kommt mir in Ihrem Gesetzentwurf leider viel zu Herren, kann kein zukunftsfähiges Konzept sein. Da kurz. Legen Sie also endlich Übergangsregelungen, ein muss was passieren. Konzept für die Finanzierung des ambulanten Teils der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weiterbildung und eine Approbationsordnung vor, und stellen Sie sicher, dass alle wissenschaftlich anerkannten Heute Morgen titelte die „Tagesschau“: Ist die Zeit Verfahren und auch in der Wissenschaft diskutierte Neu- der Hungerlöhne vorbei? – Ich muss leider sagen: Mit erungen in das Studium Eingang finden. diesem Gesetzentwurf ist das nicht geregelt. Sie haben zwar für die praktische Tätigkeit in der stationären Ver- Vielen Dank. sorgung eine Regelung geschaffen. Das führt auch dazu, (Beifall bei der LINKEN) dass der Praktikantenstatus für diese lange Zeit endlich 11874 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Maria Klein-Schmeink (A) ein Ende hat und wir zu einem Angestelltenstatus kom- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) men können. Das ist das eine. Aber für die ambulante Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Emmi Zeulner Weiterbildung haben Sie keinerlei Lösung. Dort drohen das Wort. weiterhin Schulgeld und andere Belastungen. Das, meine Damen und Herren, kann so nicht bleiben. Da müssen (Beifall bei der CDU/CSU) Sie nachsteuern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Emmi Zeulner (CDU/CSU): Zweiter Punkt. Wir werden parallel Psychotherapeu- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und ten in Ausbildung nach der alten Regelung haben und Kolleginnen! Wir als Parlamentarier kennen das: Es solche, die ab 2020 ins Studium gehen sollen und dann kommt ein Referentenentwurf aus einem Ministerium, künftig Psychotherapeuten in Weiterbildung werden. und in der Regel dauert es nur wenige Stunden, bis es Diese beiden Rechtszustände laufen parallel. Das heißt, Änderungsvorschläge von allen Seiten hagelt. Deshalb – in den Psychiatrien werden wir Menschen haben, die für gerade habe ich mich manchmal wie im falschen Film ihre Tätigkeit bezahlt werden, und andere, die ein Prakti- gefühlt – ist die Reform der Psychotherapeutenausbil- kumsgehalt oder eine Praktikumsentschädigung bekom- dung etwas Besonderes; denn hier bleibt die große Welle men der Änderungswünsche vonseiten der Fachebene aus, da das Gesetz aus dem Gesundheitsministerium die Proble- (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Es gibt eine me nachhaltig löst. Der Tenor war durchweg positiv. Auf Übergangslösung!) dem Deutschen Psychotherapeutentag im März 2019 wurde der Gesetzentwurf einhellig begrüßt. Auch das ist oder die gar, wie es heute für 19 Prozent der Fall ist, nur einmal ein schöner Beginn eines Gesetzgebungsverfah- eine sozialversicherungspflichtig nicht abgedeckte Tätig- rens. keit als Praktikant haben. (Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Sagen Sie (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das lösen wir!) mal: Kriegen Sie keine Post mehr zu Hause?) So kann das nicht weitergehen. Mit der Novellierung stellen wir die Ausbildung auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) völlig neue Füße und passen das veraltete Berufsrecht an die gestiegenen und neuen Herausforderungen an, mit Weiteres: Eine Vielzahl derjenigen, die das Feld der dem Ziel, die Versorgung psychisch kranker Menschen Kinder- und Jugendpsychotherapie abdecken, werden wirklich zu verbessern und die Ausbildung für junge (B) heute an den Fachhochschulen ausgebildet, sind hervor- Menschen auch wieder attraktiver zu machen. (D) ragende Praktiker. Sie haben nicht sichergestellt, dass diese Fachhochschulen weiterhin in die Ausbildung ein- Bereits zum Wintersemester 2020 schaffen wir einen bezogen sind. Das schließen Sie aus, indem Sie sich aus- eigenständigen zweistufigen Studiengang. So schließt an schließlich auf die Universitäten konzentrieren. ein dreijähriges Bachelorstudium ein zweijähriges Mas- terstudium an. Mit bestandener staatlicher Prüfung wird (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das sind nur dann die Approbation erteilt. Danach folgt die anschlie- zwei Stück!) ßende Weiterbildung in der Praxis. Es ist also anders, als Auch das ist nicht tragfähig. die AfD in ihrem Antrag darstellt, dass das Studium kei- ne ausreichende Praxis im Sinne des Patientenschutzes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beinhalte. Im Gegenteil: Wir sehen die Weiterbildung sowie der Abg. Sylvia Gabelmann [DIE mit einer gezielten Begleitung als sehr gute praktische LINKE]) Ausbildung an. Das Gleiche würde ich dem Kollegen der FDP sagen. Aber leider haben Sie keinen Antrag einge- Ich warte darauf, dass Sie auch da eine vernünftige Lö- reicht. sung vorlegen. In dieser Zeit können die sogenannten Psychothera- Vizepräsidentin Petra Pau: peuten in Weiterbildung, die PiWs, bereits in der ver- tragsärztlichen Versorgung im ambulanten und stationä- Kollegin Klein-Schmeink, achten Sie bitte auf die Re- ren Bereich angestellt werden. Dies ist vergleichbar mit dezeit. der Anstellung eines Assistenzarztes. Das wurde bereits gesagt. Auch können die erbrachten Leistungen der PiWs Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- über die GKV abgerechnet werden. Damit lösen wir ein NEN): Kernproblem; denn ja – da haben viele recht –, vorher Wir haben keinerlei Übergangslösung. Auch da wer- wurden die Therapeuten in Ausbildung wie Praktikanten den Sie nachsteuern müssen. Von daher fordere ich von gesehen und auch so bezahlt. Es ist aber nicht attraktiv Ihnen: Überprüfen Sie den Gesetzentwurf insgesamt. Ar- und für uns auch nicht hinnehmbar, nach fünf Jahren Stu- beiten Sie nach. Sorgen Sie dafür, dass wir eine tragfä- dium mit beispielsweise 450 Euro monatlich und Zehn- hige Lösung bekommen, und dann können wir schauen, tausenden Euro Schulden aufgrund der Ausbildungskos- wie wir weitermachen. ten nicht einmal den eigenen Lebensunterhalt decken zu können. Und genau da setzt das Gesetz an. Wir setzen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) damit bundeseinheitliche Qualifikationsstandards auf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11875

Emmi Zeulner (A) Masterniveau und legen die Grundlage für ein geregeltes machen. Wir haben in diesem Jahr – wenn ich „wir“ sage, (C) Einkommen. meine ich vor allen Dingen natürlich die Verbände der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten – zu Recht (Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Wo sind 20 Jahre Psychotherapeutengesetz gefeiert. „Zu Recht“ die denn?) sage ich deshalb, weil vor 20 Jahren ein neuer Heilbe- Neben allen Punkten, in denen große Einigkeit be- ruf auf den Weg gebracht wurde, auf den man stolz sein steht, sind mir vor allem drei Punkte bei der Ausbildung kann und in dem wir Fachkräfte haben, die wir dringend ein großes Anliegen. brauchen. Ich sage aber auch, dass wir dringend schauen müssen, wie wir die Ausbildung dieser Fachkräfte ver- Erstens müssen wir uns überlegen, ob wir bei der Wei- bessern und verändern können, und zwar aus ganz vielen terbildung finanzielle Strukturen wie bei der ambulanten Gründen. Einige hat der Kollege Lauterbach angespro- Weiterbildung der Hausärzte schaffen. chen. Natürlich hat das auch etwas mit der Frage der Stu- Zweitens gilt es, die bisherigen Ausbildungsstätten dienreform zu tun. auch ab 2025 in die neue Weiterbildungsstruktur zu in- Ich will nicht auf alle Details im Gesetz eingehen, ich tegrieren. will aus meiner Warte sagen: Es ist wichtig, dass das Ge- Und drittens müssen wir uns noch einmal die Forde- setz vorliegt. Es ist durchaus ein gutes Gesetz, das vor- rungen der PiAs, also der Psychotherapeuten in Ausbil- liegt, aber auch gute Gesetzentwürfe sind durchaus noch dung, anschauen. Eine Übergangszeit von zwölf Jahren, verbesserungsbedürftig. in denen keine vergleichbare Vergütung wie bei den (Beifall bei Abgeordneten der SPD) PiWs stattfindet, ist den jungen Leuten schwer erklärbar. Zwölf Jahre sind mir einfach zu lange. Insofern, Herr Kollege Schinnenburg – Stichwort „Ser- viceopposition“ –, sind wir dabei. Wenn Sie auch dabei Neben der Ausbildung an sich umfasst das Gesetz sind, ist das kein Problem. Mir wurde gerade gesagt, es auch zusätzliche Punkte im Rahmen der psychothera- gibt sogar einen Antrag, an dem wir uns bedienen kön- peutischen Versorgung bzw. beim Zugang zu einer sol- nen. Da schauen wir einmal im weiteren Prozess. chen, die in den letzten Monaten zu großen Diskussionen geführt haben. Ich glaube, viele Missverständnisse sind Eines jedoch sage ich ganz deutlich, auch für die SPD: aus der Befürchtung heraus entstanden, dass die Politik Ein ganz zentrales Problem wird bisher tatsächlich wenig zurück zum Delegationsprinzip möchte und ein anderer bis gar nicht angegangen. Das zentrale Problem ist die als die Therapeuten selbst über den Zugang zur Thera- Finanzierungsfrage, vor allem die Finanzierungsfrage im pie bestimmt. Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Das Bereich der Weiterbildung, auch und gerade der ambu- lanten Weiterbildung, in der auch Fragen wie Kosten der (B) wollen wir nicht. Es wird kein Delegationsverfahren (D) durch die Hintertür geben, und wir wollen auch keine Supervision und Ähnliches eine Rolle spielen. minutenweise Vorgabe für die Behandlung der Patien- Ein weiterer Punkt ist auch für uns ganz wichtig. Zum ten; denn der Zugang für psychisch Kranke muss weiter einen, glaube ich, muss man sicherstellen, dass es nach niedrigschwellig bleiben, und die Therapiefreiheit muss Möglichkeit überhaupt nicht zu zwölf Jahren Übergangs- erhalten bleiben. zeit kommt. Das kann man dadurch erreichen, dass man (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. zum Beispiel diejenigen, die jetzt einen Bachelorstudien- Dirk Heidenblut [SPD] – Harald Weinberg gang beginnen, in die Lage versetzt, aus dem Bachelor- [DIE LINKE]: Hört! Hört!) studiengang wechseln zu können. Wir müssen den jun- gen Menschen gar nicht zumuten, wenn sie zum Beispiel Dreh- und Angelpunkt bleibt für mich im Gesamten in diesem Jahr mit ihrem Studium anfangen, dass sie das Netzwerk. Viele Therapeuten haben immer wieder dann möglicherweise noch die alte Ausbildung komplett angesprochen, dass es an den Schnittstellen tatsächlich absolvieren müssen. Warum soll es nicht Möglichkeiten hapert. Deshalb sollten wir auch im Sinne einer guten geben? Warum sollen wir nicht Brücken bauen? Ich habe Netzwerkarbeit die Einführung einer Vergütungsziffer mich bei mir vor Ort bei der Ruhr-Uni informiert. Das für Koordinationsleistungen prüfen. In diesem Sinne ist – das darf ich übrigens als RUBi mit Stolz sagen – freue ich mich auf die weitere Beratung. zurzeit eine der Universitäten mit dem besten Angebot Vielen herzlichen Dank. für die Psychotherapeutenausbildung. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andrew Ullmann [FDP])

Vizepräsidentin Petra Pau: Dort wurde mir klipp und klar und unmissverständlich Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dirk gesagt: Es gibt eigentlich kein Problem damit, diejeni- Heidenblut das Wort. gen, die in den Bachelorstudiengang gehen, in das neue System zu überführen. – Damit hätten wir schon viel Zeit (Beifall bei der SPD sowie des Abg. gespart und viele Probleme gelöst. Dr . Georg Kippels [CDU/CSU]) Aber ganz klar ist: Wir können die PIAs nicht so lassen, wie sie zurzeit sind. Natürlich müssen da Über- Dirk Heidenblut (SPD): gangsregelungen her; denn das ist doch überhaupt nicht Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zumutbar . Das war doch auch ein Grund, warum wir die- Ja, es ist ohne Zweifel an der Zeit, dass wir dieses Gesetz ses Gesetz angegangen sind. Wir wollten den Menschen 11876 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dirk Heidenblut (A) die Möglichkeit geben, diese hochkomplexe Ausbildung suggeriert, dass es relativ einfach ist, ein Berufsbild zu (C) anständig bezahlt zu bekommen, statt noch Geld mitbrin- kreieren, es mit mehr oder minder wohlgesetzten Wor- gen zu müssen. ten zu beschreiben und einen Ausbildungsgang zu ent- wickeln, der eine gewisse Zeitphase in Anspruch nimmt, (Beifall bei der SPD) sich vielleicht in verschiedene praktische und akademi- Deshalb werden wir uns selbstverständlich dafür einset- sche Stufen aufteilt, auf die am Ende mehr oder minder zen, dass an der Stelle deutlich nachgebessert wird. absehbar eine Berufsausbildung folgt, die im konkreten Fall die Grundlage dafür legen soll, Menschen in beson- Wir werden auch über die Frage, wie viel Praktikums- deren Lebenslagen versorgen zu können. Aber ich glau- zeit nötig ist, sicherlich noch diskutieren. Die Punkte be, die Wortbeiträge haben klar gezeigt, dass in diesem Hochschulen, Fachhochschulen und Universitäten sind Gesetzgebungsprozess sehr viele unterschiedliche Facet- angesprochen worden. Da freue ich mich auf die weite- ten miteinander vereint werden müssen und das Verfah- ren Diskussionen. ren weit mehr zum Gegenstand hat, als einfach nur einen Mein stellvertretender Fraktionsvorsitzender hat mir Ausbildungsweg zeitlich und im Hinblick auf einige Be- noch mitgegeben – das hatte ich gar nicht vorgesehen –, grifflichkeiten zu ordnen. auch noch etwas zum zweiten Teil des Gesetzentwurfs zu Im Rahmen meiner Fachgespräche, die ich im Vorfeld sagen. Ich will versuchen, das in der Kürze der Zeit noch geführt habe, ist mir zunächst mal im Zusammenhang hinzukriegen. mit den Legaldefinitionen sehr deutlich geworden, wie Zunächst einmal finde ich gut, dass wir uns auch in schwierig es ist, sehr unterschiedliche Auffassungen, die diesem Gesetzentwurf mit der Versorgung beschäftigen. in den verschiedenen Verfahren zum Ausdruck kommen, Ich glaube, das, was der Minister hier hineingepackt hat, miteinander zu vereinen, also auf der einen Seite eine ist deutlich besser als das, was damals im TSVG stand. qualitativ gesicherte Versorgung der Patienten im Rah- Das ist auch aus Experten- und Expertinnengesprächen men der Berufsausübung sicherzustellen, auf der ande- erwachsen. Aus meiner persönlichen Sicht ist das aber ren Seite aber in ausreichendem Maße eine Öffnung für immer noch nicht das, was wir am Ende werden haben Wissenschaft und Forschung zu gewährleisten und zu- müssen; denn es geht uns um bestimmte Personengrup- gleich eine Abgrenzung vorzunehmen, damit im Rahmen pen, die nicht gut versorgt sind. Da brauchen wir – die der normalen Therapie keine Versuche, Experimente und Kollegin hat es angesprochen – eine gezielte Vernetzung weiteren Untersuchungen durchgeführt werden. und Koordination. Da stellt sich mir aber schon die Fra- ge, ob die Psychotherapie-Richtlinie an der Stelle über- Bei der Vereinbarung von wissenschaftlicher Kom- haupt die richtige Richtlinie ist. Darüber muss man noch petenz mit der Notwendigkeit, bestimmte Ausbildungs- (B) mal nachdenken. Aus meiner Sicht braucht es da eine ei- schritte und praktische Erfahrungen vorzusehen, liegt (D) gene Richtlinie, die genau diese Fragen regelt. Aber alles die Herausforderung im Grunde genommen darin, aus- Weitere werden wir jetzt besprechen. gehend von einer bestimmten Berufsauffassung und Be- rufsausübung, die sich in einer Zeitspanne von 20 Jah- Hier leuchtet schon die Lampe. Ich komme also zum ren herausgebildet haben, jetzt in eine vollkommen neue Schluss und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Phase überzugehen. Frau Gabelmann, Sie haben es ja (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eben beschrieben: In der Zwischenzeit haben sich ver- der CDU/CSU) schiedene Schwerpunkte herausgebildet. Eine Vielzahl der Lehrstühle beschäftigt sich etwa mit der Verhaltens- therapie. Das ist natürlich ein Umstand, der nicht ohne Vizepräsidentin Petra Pau: Weiteres mit einem Gesetzestext vom Tisch gefegt wer- Letzter Redner in dieser Debatte ist Dr. Georg Kippels den kann. Es bedarf, was die Zusammenführung in einem für die CDU/CSU-Fraktion. neuen Konstrukt anbelangt, einer sehr intensiven Über- zeugungsarbeit gegenüber Wissenschaft und Lehre. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin sehr gespannt, wie wir auf Grundlage der Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Erkenntnisse, Kritikpunkte, Anregungen, aber auch Be- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kol- funde aus der Praxis in den nächsten Tagen und Wochen leginnen und Kollegen! Entgegen der Bewertung, die ein neues Berufsbild generieren. Unser Anspruch muss Frau Kollegin Klein-Schmeink eben vorgenommen hat, es sein, für Patienten auf der einen Seite Qualität und dass das hier eine schläfrige Diskussion sei, habe ich ei- auf der anderen Seite Sicherheit zu garantieren. Dieser gentlich viel mehr den Eindruck, dass wir in einer sehr Systemwechsel ist mit Sicherheit nichts, was durch Um- intensiven und streitigen fachlich-sachlichen Auseinan- legen eines Schalters binnen weniger Monate umgesetzt dersetzung sind. Wir beschäftigen uns hier in der Tat mit werden könnte. Übergangsfristen bedarf es bei solchen einer für die gesundheitliche Versorgung sehr wichtigen grundlegenden Fragestellungen immer. Sie müssen na- Thematik. türlich so ausgestaltet sein, dass sich das System quali- tätsgesichert auf die Veränderungen einstellen kann. Wenn auf den allgemeinen Grundsatz zurückgegriffen werden darf, dass kein Gesetz aus dem Bundestag he­ Ich freue mich auf die Anhörung, die bereits in der rausgeht, wie es eingebracht worden ist, so trifft das mit nächsten Sitzungswoche stattfindet. Die anschließenden Sicherheit auf die vorliegende Problemstellung zu. Der Diskussionen werden mit Sicherheit alles andere als ein- Begriff „Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz“ schläfernd sein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11877

Dr. Georg Kippels (A) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ten Gegenstandswert ist. Die andere Anlage beschreibt (C) aber ganz kleinteilig die einzelnen Gebührentatbestände. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Da muss man sich schon manchmal ganz schön reinfuch- Dirk Heidenblut [SPD]) sen. – Frau Kollegin Keul, Sie runzeln gerade die Stirn. Wenn man ein gebührenrechtliches Seminar gemacht Vizepräsidentin Petra Pau: hat, weiß man, in welche Fahrwasser man bei der Ab- Ich schließe die Aussprache. rechnung geraten kann. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: auf den Drucksachen 19/9770, 19/9970, 19/9912 und Man weiß dann, ob man erhöhen muss!) 19/9272 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- Das ist nicht ganz so einfach. schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- Dieses Gesetz und auch die Änderungen bedürfen der schlossen. Zustimmung der Länder. Das ergibt sich aus unserem Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Grundgesetz. Nach Artikel 104a Absatz 4 Grundgesetz sind Zustimmungsgesetze solche, die in bestimmter Wei- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- se Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben. richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum erwähne ich cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der das? Ich erwähne es, weil der Koalition bei den Debatten Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Stephan im Ausschuss immer wieder vorgeworfen wird, wir wür- Thomae, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und den die Länder nur vorschieben. der Fraktion der FDP (Dr . Jürgen Martens [FDP]: Das tun Sie ja Rechtsanwaltsgebühren zukunftssicher ge- auch!) stalten Aber das tun wir keineswegs. Sie müssen tatsächlich zu- Drucksachen 19/8266, 19/10002 stimmen. Da nützt es wenig, wenn wir vorpreschen und Gesetze verabschieden und der Bundesrat letztendlich Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sagt: Nee, ohne uns! Das machen wir nicht mit. – Dann die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- hätten wir uns die Arbeit umsonst gemacht. Also ist es nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. effektiver, die Länder von vornherein mit ins Boot zu Sobald alle Kolleginnen und Kollegen ihren Platz ein- nehmen. genommen haben, können wir mit der Aussprache begin- (Roman Müller-Böhm [FDP]: Wer regiert (B) nen. (D) denn in den Ländern?) Das Wort hat die Kollegin Esther Dilcher für die SPD-Fraktion. Bereits im letzten Jahr wurde der Forderungskatalog von BRAK und DAV an die Länder geleitet mit der Bitte (Beifall bei der SPD sowie des Abg. um Stellungnahme. Dort findet jedoch noch eine Evalua- Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) tion der letzten Gebührenerhöhung statt, die auch Ge- genstand der Justizministerkonferenz im Juni 2019 sein Esther Dilcher (SPD): soll. Wir werden das Ergebnis abwarten, um uns mit den Ländern ins Einvernehmen zu setzen. Schönen guten Abend! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Warum stellt die FDP den vorliegenden Antrag? Ich FDP, mit dem wir uns beschäftigen, hat einen vielver- vermute, weil Klappern zum Handwerk gehört. Dabei sprechenden Titel: „Rechtsanwaltsgebühren zukunfts- läuft das Verfahren bereits im Ministerium. Wir beschäf- sicher gestalten“. Produktive und konstruktive Gestal- tigen uns auch im Ausschuss damit. Die FDP stellt zwar tungsvorschläge suchen wir auf den zwei DIN-A4-Seiten den Antrag, aber das Ziel wird damit verfehlt. Ich würde jedoch vergeblich, sieht man einmal von der Forderung sagen: Setzen, sechs! Ich versichere an dieser Stelle, dass nach einer pauschalen Indexierung ab. Gestalten bedeu- wir uns als Koalition und natürlich auch das Ministerium tet jedoch weitaus mehr, und die Forderung nach einer sich mit den äußerst fundierten und sehr pragmatischen Anpassung der Anwaltsgebühren an die allgemeine Ta- Forderungen der Gebührenrechtler bei den Standesver- riflohnentwicklung wird dem doch sehr umfangreichen tretungen der Anwaltschaft auseinandersetzen werden. und sehr differenzierenden Gebührensystem des RVG in keinster Weise gerecht. Eine pauschale Erhöhung würde auch nicht zu einer angemessenen Bezahlung der Kolleginnen und Kollegen Liebe Kolleginnen und Kollegen, das RVG selbst be- führen. Das haben Studien ergeben, die zum Beispiel steht aus 62 Paragrafen und zwei Anlagen. 62 Paragrafen das Soldan Institut durchgeführt hat. So verdienen So- sind erst mal nicht viel; aber die zwei Anlagen haben es zialrechtler zum Beispiel erheblich weniger als Gesell- in sich. schaftsrechtler, nur weil sie den Tätigkeitsschwerpunkt (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sozialrecht haben. Wenn wir uns eingehend damit be- Aber da kann doch die FDP nichts für!) schäftigen und die Anpassungen individuell vornehmen, können wir auf die Unterschiede bei den Einkommen Die eine enthält eine kleine Tabelle, in der steht, wie hoch der Anwälte Einfluss nehmen. Das können wir mit einer die jeweilige Rechtsanwaltsgebühr bei einem bestimm- allgemeinen Indexierung und Pauschalierung nicht errei- 11878 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Esther Dilcher (A) chen; denn dann würden genau die Anwälte abgehängt, auf Deutschland ausdehnen und damit das Mandatsge- (C) die jenen Zugang zum Recht gewähren, die ihn sich nicht heimnis Schritt für Schritt aushöhlen, um uns Rechtsan- leisten können, sondern über Prozesskostenhilfe, Verfah- wälten, den Steuerberatern und den Wirtschaftsprüfern renskostenhilfe oder Beratungshilfe Zugang zum Recht das Leben schwer zu machen. suchen müssen. Als wäre das nicht genug, wurden uns Anwälten mit Wir lehnen daher den vorliegende Antrag der FDP ab dem sogenannten besonderen elektronischen Anwalts- und werden mit den Ländern über eine Reform des RVG postfach, abgekürzt beA, weitere Schwierigkeiten berei- verhandeln und zeigen, wie Gestalten tatsächlich funk- tet. Das beA ist unpraktisch, unsicher und teuer. Gleich- tioniert. wohl halten viele Anwälte das Anwaltspostfach für etwas Besonderes, nämlich für etwas besonders Schlechtes. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Nun der seit langem fehlende Blick auf die Anpas- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sung der Vergütung. Wie dringend das ist, zeigen uns, der CDU/CSU) wenn man sie saldiert, die Teuerungsraten in den letzten Jahren, die zu steigenden Kosten geführt haben. Bereits Vizepräsidentin Petra Pau: vor über einem Jahr, im April 2018 – Frau Dilcher hat Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Brandner für es erwähnt –, hat die Bundesrechtsanwaltskammer in die AfD-Fraktion. Verbindung mit dem Deutschen Anwaltverein der Justiz- ministerin ein ausgefeiltes Konzept zur Anpassung bzw. (Beifall bei der AfD) Erhöhung der Vergütung vorgelegt, was nach über sechs Jahren Nullrunden natürlich nicht unangemessen war. Stephan Brandner (AfD): Der Bundesregierung freilich war das zunächst egal. Sie Meine Damen und Herren, mir wurde zugetragen, ich hat das Ansinnen erst ignoriert, und dann wurde es sechs wäre gerade vom Kollegen Post vermisst worden. Jetzt Monate später – zwischenzeitlich ist nichts passiert – bin ich wieder da. Wo ist der Kollege Post? ohne Fristsetzung an die Länder gesandt. Das war nichts anderes als eine Aufforderung zur Nichtbehandlung, und (Heiterkeit bei der AfD) so halten es die Länder bis heute. Denn bis heute liegen So kann das gehen. Er ist geflüchtet. nicht alle Stellungnahmen der Länder vor. Beispielswei- se ein grüner Justizsenator aus Hamburg – Frau Keul, hö- (Esther Dilcher [SPD]: Er redet nicht zu die- ren Sie genau zu –, also ein Senator aus Ihrer Partei, ver- sem Punkt!) weigert immer noch jegliche Zuarbeit. Ich bin gespannt, wie Sie das gleich rechtfertigen wollen. (B) Meine Damen und Herren, was sich am heutigen (D) Abend wie Lobbypolitik für Rechtsanwälte anhört, ist Meine Damen und Herren, die AfD sagt klipp und klar, keine. Wir reden heute über die Notwendigkeit, die seit dass eine Gebührenerhöhung für Rechtsanwälte dringlich etwa sechs Jahren nicht erhöhten Gebühren für Rechts- ist und kurzfristig erfolgen muss. Neben einer linearen anwälte angemessen zu erhöhen, und zwar nicht die Erhöhung ist auch eine strukturelle Änderung vonnöten. Gebühren für Großverdiener unter Rechtsanwälten, die Denken Sie zum Beispiel an die Terminsgebühr, die an- hohe Stundensätze abrechnen können, sondern die für gepasst werden muss. Denken Sie zum Beispiel auch an die Kollegen, die auf Grundlage des RVG, des Rechts- die Erhöhung von Rahmengebühren im Sozialrecht. Und anwaltsvergütungsgesetzes, liquidieren müssen. Diese weil wir das Problem als dringend erkannt haben und uns Kollegen sind es, die als Organe der Rechtspflege der sehr an einem funktionierenden Rechtsstaat gelegen ist, breiten Masse unserer Bürger den Zugang zum Recht erst haben wir dieses Problem als Erste angepackt. Meine ermöglichen. Es geht also um nichts weniger als um die Zusage vom Parlamentarischen Abend bei der Bundes- Sicherstellung der Versorgung mit Rechtsanwaltsdienst- rechtsanwaltskammer am 17. Januar hatten wir eingehal- leistungen in der Fläche unserer Republik. ten und das Thema Ende Januar auf die Tagesordnung des Rechtsausschusses gesetzt. Wir Rechtsanwälte sind eine der Säulen des Rechts- staats. Ohne eine tüchtige Anwaltschaft, die auskömm- Sechs Wochen später wurde die FDP wach und dach- lich finanziert ist, ist es dem Bürger schwer bis unmög- te: Mensch, das ist ja ein nettes Thema. Da pinseln wir lich, seine Rechte wahrzunehmen oder durchzusetzen. Es auch einen Antrag zusammen. – So kam es dann zu dem sollte daher der Politik ein wichtiges Anliegen sein, für peinlichen, erschreckend kurzen und blumigen Antrag, die Rechtsanwälte gute strukturelle und finanzielle Rah- Herr Martens, mit dem Sie die Vorlage eines „konkreten menbedingungen zu schaffen. Doch die Große Koalition Konzeptes“ von der Bundesregierung verlangen. Ich bin kocht da eher auf Sparflamme, Frau Dilcher, und es hat schon froh, dass Sie kein unkonkretes Konzept von der zumindest den Anschein, als würden uns Rechtsanwäl- Bundesregierung verlangen. Man sieht also: Auch hier ten bei der Berufsausübung mehr und mehr Steine in den springt die FDP auf einen fahrenden Zug. Wären Sie, Weg gelegt; denn es häufen sich die Angriffe gegen unse- meine Damen und Herren von der FDP, ein Huhn, wür- ren, meinen Berufsstand. Nehmen Sie beispielsweise die den Sie gackern, wenn ein anderes Huhn ein Ei legt. Steuertransparenzrichtlinie der EU, womit nicht nur eine (Beifall bei der AfD) Abschreckung erfolgt, sondern unser gesamter Berufs- stand nahezu kriminalisiert wird. Die Finanzminister der Eine Fraktion, die sich als Regierung im Wartestand Länder wollen, wenn man das aufmerksam verfolgt, die betrachtet, teilweise – ich habe es heute Morgen er- Spitzeldienste, die die Anwälte offenbar zu leisten haben, wähnt – ein Wurmfortsatz der Regierung ist und wohl Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11879

Stephan Brandner (A) noch Zugriff auf Mitarbeiter des Justizministeriums hat – Anwälte können aber nicht allein von hehren Zielen, (C) in ihrer Freizeit selbstverständlich –, muss viel besser nicht allein von honorigen Worten, die wir hier in Debat- und viel mehr liefern. Wir von der AfD werden das in ten des Deutschen Bundestages führen, und auch nicht Kürze tun; denn für uns geht Gründlichkeit vor Schnel- allein von Luft und Liebe leben, sondern sie müssen wirt- ligkeit. schaften. (Lachen bei der CDU/CSU, der SPD und der (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist das!) Der war gut! Der war echt gut! Ohne rot zu werden!) Sie müssen sich und ihre Familien ernähren. Sie müssen ihren Kanzleibetrieb aufrechterhalten. Wenn man sich Solch schlampige, auf bloße Effekte ausgerichtete Arbeit einmal anschaut, was in den letzten Jahren so passiert wie die, die die FDP heute hier abgeliefert hat, ist pein- ist, wird man feststellen: Die Gehälter für die Mitarbeiter lich. Das hilft weder dem Rechtsstaat noch den Rechtsan- sind gestiegen, die Kosten für Strom, für Versicherungen wälten. Rechtsanwälte, der Rechtsstaat und dieser Bun- und für Software sind gestiegen. Und was mit den Mieten destag haben bessere Arbeit verdient, meine Damen und in den letzten Jahren passiert ist, darüber lesen wir jeden Herren von der FDP, als diese Schlamperei, die Sie uns Tag zur Genüge in der Zeitung. Deswegen ist es Zeit für hier unterbreitet haben. eine Anpassung der Gebühren. Die letzte Gebührenan- (Beifall bei der AfD) passung ist im Jahre 2013 erfolgt. Das ist jetzt fast sechs Jahre her. Wir wollen eine fundierte und auch hochqua- Allerdings ist zuzugeben: Der Antrag nützt zwar lifizierte Rechtsberatung, und das spiegelt sich natürlich nichts, aber er schadet auch nicht. auch in den Gebühren wider. Sie muss letztlich durch (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) diese gesichert werden. Deswegen ist diese Gebührenan- passung so notwendig. Deshalb werden wir uns enthalten und den Rechtsanwäl- ten damit signalisieren, dass wir sie durchaus unterstüt- Ein Punkt ist mir an dieser Stelle sehr wichtig: Es geht zen. Wir hoffen, dass die Bundesregierung dann auch uns nicht allein um die Rechtsanwälte, die ihren Rechts- langsam – – rat in den großen Städten, in den Ballungsgebieten, in den Metropolen anbieten, wo es aufgrund der Mandate Vizepräsidentin Petra Pau: vielfach möglich ist, nach Stundensätzen abzurechnen, Herr Brandner, kommen Sie bitte zum Schluss. sondern es geht uns vor allen Dingen darum, dass der Rechtsstaat auch in der Fläche funktioniert. Auch in den (B) eher strukturschwachen Regionen und in den ländlichen (D) Stephan Brandner (AfD): Gebieten müssen Anwälte vor Ort sein. Auch dort muss Ich falte schon zusammen. die Rechtsberatung sichergestellt werden. Die Kosten- steigerungen, die natürlich auch in diesen Regionen statt- Vizepräsidentin Petra Pau: gefunden haben, haben aber dazu geführt, dass es dort Das ersetzt nicht den Schlusspunkt. wirklich sehr schwer geworden ist, als Anwalt wirtschaft- lich zu arbeiten, da die Gebührensätze nicht angepasst worden sind. Das müssen wir im Blick behalten, um die Stephan Brandner (AfD): Rechtsberatung auch in der Fläche sicherzustellen. Wir hoffen, dass die Bundesregierung tätig wird. Wir sind guten Mutes, dass, wenn der Europawahlkampf zu Es war daher gut, dass der DAV und die BRAK ge- Ende ist und wir eine neue Hausspitze im Justizministeri- meinsam schon im Jahr 2018 einen Forderungskatalog um haben, dieses Thema endlich angegangen wird. vorgelegt haben, diesen an das BMJV weitergereicht und Vielen Dank. gesagt haben: Hier muss etwas passieren. – Dieser For- derungskatalog ist vom BMJV – das muss man ehrlicher- (Beifall bei der AfD) weise sagen – ein bisschen dilatorisch behandelt worden. Er ist den Ländern zur Stellungnahme geschickt worden. Vizepräsidentin Petra Pau: Man hat aber keine Frist gesetzt, Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Jan-Marco (Stephan Brandner [AfD]: Sage ich doch!) Luczak das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) was natürlich zur Folge hatte, dass die Länder sich ziem- lich viel Zeit mit ihren Stellungnahmen gelassen haben. Bis Anfang des Jahres haben nur einige wenige Länder Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): überhaupt Stellung zu diesem Forderungskatalog bezo- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen gen. Nachdem ein bisschen Druck auf den Kessel gege- und Kollegen! Ein starker Rechtsstaat braucht starke ben wurde, haben mittlerweile fast alle Länder ihre Stel- Rechtsanwälte. Gerade in der Rechtspflege sind Anwälte lungnahme abgegeben, bis auf ein Land; Frau Keul, die der Garant für den Zugang zum Recht, und der Zugang aus Hamburg kommt, spricht ja gleich noch. Sie kann da zum Recht wiederum ist für das Funktionieren und auch ja vielleicht noch ein bisschen Druck machen. für die Akzeptanz unseres Rechtsstaates eine unabding- bare Voraussetzung. Deswegen ist es richtig, dass in der (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verfassung der Zugang zum Recht garantiert ist. Nein!) 11880 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Jan-Marco Luczak (A) Fast alle Länder haben ihre Stellungnahme jetzt also ab- aussehen werden. Deswegen glaube ich, dass wir die (C) gegeben. Länder bei einer solchen Forderung nicht ins Boot be- kommen. Wir haben das Thema im Rechtsausschuss aufgerufen. Man konnte feststellen: Alle Fraktionen sind sich in der Ein weiterer Punkt, der gegen eine Indexierung Sache einig, sind sich einig, dass hier etwas geschehen spricht: Es ist dann nicht mehr möglich, Gewichtungen muss. vorzunehmen. In den letzten Jahren waren bestimmte Rechtsgebiete besonders nachgefragt. Tatsächliche Ent- (Dr . Jürgen Martens [FDP]: Ja! Dann macht wicklungen haben dazu geführt, dass die Gebühren nicht doch was! Macht!) mehr auskömmlich sind. Wenn man eine pauschale In- Das heißt, das Ob steht, glaube ich, gar nicht mehr in dexierung vornimmt, werden – das kann man vorausse- Rede. Wir reden jetzt nur noch über das Was und Wie. hen – strukturelle Änderungen wahrscheinlich gar nicht mehr vorgenommen. Um uns diesen Spielraum, diese (Dr . Jürgen Martens [FDP]: Die entscheiden- Flexibilität zu erhalten, sollten wir, glaube ich, sehr ge- de Frage ist, wann!) nau hinschauen und fragen, ob die Indexierung hier rich- Herr Kollege Martens, bevor Sie an dieser Stelle froh- tig ist. locken, sage ich: Man muss sich Ihren Antrag genauer Dazu, wie es in der Vergangenheit gelaufen ist, will anschauen. ich aber sagen: Die Zeiträume zwischen den Gebüh- (Stephan Brandner [AfD]: Damit ist man renanpassungen waren, glaube ich, zu lang. Seit der letz- schnell fertig! Lieblos runtergepinselt!) ten Anpassung sind, wie gesagt, sechs Jahre vergangen. Auch die Rechtsanwälte haben natürlich ein Stück weit Wir sind uns im Ziel einig: Wir wollen die Gebühren Anspruch auf Rechtssicherheit und Investitionssicher- anheben. Aber Sie haben es sich mit Ihrem Antrag doch heit. Deshalb sollten wir uns eine Art Selbstverpflichtung ein bisschen zu einfach gemacht. Sie fordern nämlich nur auferlegen bzw. ein gemeinsames Verständnis zugrunde eine lineare Anpassung – dafür sind auch wir; das sage legen, dass wir uns einmal in der Legislaturperiode, also ich noch einmal –, doch zu strukturellen Reformen haben alle vier Jahre, die Gebühren anschauen und dann auch Sie nichts ausgeführt. BRAK und DAV haben in ihrem zu einer entsprechenden Anpassung kommen. Forderungskatalog ja auch strukturelle Reformen vorge- schlagen. Die muss man natürlich, wenn man das seriös Ich komme zum Schluss. Wir müssen die Länder in machen will, auch in den Blick nehmen. die Verantwortung nehmen. Das ist ganz wichtig. Wir sind uns, glaube ich, einig. Wir haben mit den Ländern (Stephan Brandner [AfD]: Seriös ist das Ge- einen Pakt für den Rechtsstaat abgeschlossen. In diesem (B) genteil von FDP!) Rahmen haben wir viele Dinge in den Bereichen Poli- (D) Wir können ja nicht einfach sagen: Wir machen jetzt eine zei und Justiz gemacht. Die Anwälte gehören dazu. Auch lineare Anpassung, und danach gucken wir uns mögli- sie sind Teil dieses Rechtsstaates, und zwar ein wesent- che strukturelle Änderungen an. – Das gehört natürlich licher Teil. Deswegen gehört die Anpassung der Rechts- zusammen. Und wenn man das in einem Antrag nicht zu- anwaltsgebühren als letzter Baustein zum Pakt für den sammen anpackt, dann bleibt der Antrag Stückwerk. Zu Rechtsstaat dazu. den strukturellen Änderungen findet sich aber nichts in Ich freue mich auf die Debatte. Ich glaube, es herrscht Ihrem Antrag. Das ist schwierig. große Einigkeit. Die letzten Details werden wir hoffent- Der zweite Punkt, den man sich in der Tat kritisch lich sehr schnell miteinander regeln. anschauen muss, ist die von Ihnen vorgeschlagene In- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dexierung. Das klingt erst einmal gut. Man muss sich die Das hoffen wir!) Details aber sehr genau anschauen. Es gibt noch viele andere Berufsgruppen, die nach einer Gebührenordnung Vielen Dank. arbeiten, die ihre Honorare nicht frei bestimmen können. (Beifall bei der CDU/CSU) (Stephan Brandner [AfD]: Die Abgeordneten beispielsweise!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die fragen dann natürlich berechtigterweise: Was ist ei- Für die FDP-Fraktion spricht nun Dr. Jürgen Martens. gentlich mit meinen Gebühren? Müssen die nicht auch (Beifall bei der FDP) indexiert werden? Auch das muss man im Blick behalten.

Als Argument für eine Indexierung wird immer ange- Dr. Jürgen Martens (FDP): bracht, dann müsste sich der Gesetzgeber nicht ständig Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und damit befassen, und auch die Länder wären dann nicht Herren! Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegen- ständig mit im Boot. Das klingt natürlich erst einmal ein- den Antrag greift die FDP das Thema der Vergütung von leuchtend. Dieses Argument lässt aber außen vor, dass Rechtsanwälten auf. Die Notwendigkeit zur Anpassung wir, wenn wir eine solche Indexierung machen wollten, der Vergütungsordnung, die lineare Anpassung, wird hier dafür mit den Ländern ins Gespräch kommen müssten. allgemein auch nicht in Zweifel gezogen. Die Länder werden – da muss man realistisch sein – na- türlich keinen Blankoscheck ausfüllen. Die Länder wis- Die letzte Anpassung – im Jahr 2013 – wurde übrigens sen ja gar nicht, wie die Steigerungsraten in der Zukunft auch von liberalen Justizministern im Bund und in den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11881

Dr. Jürgen Martens (A) Ländern mit verantwortet; daran sei hier einmal erinnert. war offensichtlich der aufgeschriebene Text zu Ende. (C) Die Große Koalition hat sich bisher nicht an dieses The- Dann kam wieder nur jene billige Polemik, die wir von ma getraut, jedenfalls nicht mit sichtbaren Ergebnissen. Ihnen so übersattsam gewohnt sind. (Beifall bei der FDP) (Stephan Brandner [AfD]: Bei so einem Schrottantrag erwarten Sie doch nicht eine Davor fand die letzte lineare Anpassung der Rechtsan- ernste Auseinandersetzung!) waltsgebührenordnung 1994 statt. 19 Jahre warten, dann mindestens 6 Jahre warten, vielleicht werden es auch 7 Sie haben es angesprochen: Die Frage der Vergütungs- oder 8 Jahre. Die jetzige Bundesjustizministerin jeden- sätze nach dem RVG ist auch eine Frage nach dem Zu- falls wird das Thema garantiert nicht mehr erledigen. Das gang zum Recht, nach der Gewährleistung des Rechts in mutet an, als hätten die GroKo und die Bundesregierung der Fläche. irgendwo einen Stempel, auf dem steht: Wiedervorlage nach Sachbearbeiterwechsel. (Stephan Brandner [AfD]: Genau das habe ich auch gesagt!) (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Das betrifft diejenigen Anwälte, die eben nicht hohe Sie werden verstehen, dass wir eine solche Herangehens- Stundensätze, sondern nach dem RVG abrechnen. Diese weise in diesem Bereich nicht akzeptieren wollen. Anwälte bearbeiten die Masse der Fälle: Scheidungen, Verkehrsunfälle, Streit mit dem Sozialamt, Mietstreitig- Die Berufsvertretungen der Rechtsanwälte – keiten, all diese Dinge, die in der Masse und im täglichen 165 000 Rechtsanwälte in Bundesrechtsanwaltskam- Leben der Bürger entscheidend sind für die Wahrneh- mer und Deutscher Anwaltverein – haben sich schon mung des Rechtsstaates und sein Funktionieren. Deswe- im April 2018 an das BMJV gewandt und unter Vorlage gen glaube ich – das ist an die Große Koalition gerich- eines sehr detaillierten Plans angemahnt, dass allein mit tet –, dass es gefährlich und fahrlässig ist, die Wirkungen Blick auf die allgemeine Teuerungsrate etwas passieren zu unterschätzen, die es hat, wenn man die Existenzsor- muss. Es ist nichts passiert. Die Bundesregierung ver- gen, die finanziellen Ängste derjenigen, die in der Flä- steckt sich hinter den Länderjustizministern. Man weiß che den Zugang zum Recht gewährleisten, nicht wirklich natürlich – das können Sie mir glauben; ich weiß das aus ernst nimmt, meine Damen und Herren. eigener Erfahrung –, dass die Länder sehr, sehr zurück- haltend sind, wenn es um Gebührenanhebungen geht, (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie wa- CDU/CSU) (B) ren ja selber mal Minister und waren auch sehr (D) zurückhaltend!) Wenn wir in unserem Antrag keine konkreten Zahlen benennen, dann geschieht dies nicht aus Schlampigkeit sind sie doch diejenigen, die zahlen, wenn die Kosten für oder Nachlässigkeit Verfahrenskostenhilfe und Prozesskostenhilfe steigen. Ich kenne beiden Seiten der Barrikade. (Stephan Brandner [AfD]: Aus Faulheit!) (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das – auch nicht aus Faulheit –, sondern weil wir ganz ein- Sein bestimmt das Bewusstsein!) fach Spielräume nicht vorzeitig einengen wollen, die die Möglichkeit einer linearen wie auch strukturellen Anpas- Da nützt es nichts, wenn sich beide gleichzeitig weg- sung bieten. ducken, meine Damen und Herren. Das ist die Garantie dafür, dass nichts passiert. Deswegen haben wir diesen (Stephan Brandner [AfD]: Das ist aber eine Antrag hier eingebracht. raffinierte Argumentation!) (Beifall bei der FDP – Stephan Brandner Wenn es dann heißt, das sei jetzt Klientelpolitik zu- [AfD]: Diesen peinlichen, schlampigen An- gunsten der Rechtsanwälte, dann nehme ich das eher als trag meinen Sie?) Kompliment entgegen. Lassen Sie es mich so ausdrü- cken: Diejenigen, die sich von Berufs wegen mit Recht, – Herr Brandner, das mit dem „peinlich“ würde ich gera- mit Gesetz und dem Rechtsstaat befassen, kommen dann de an Ihrer Stelle sehr, sehr vorsichtig handhaben. möglicherweise schneller als andere zu dem Ergebnis, dass dieser Rechtsstaat bei den Freien Demokraten ziem- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lich gut aufgehoben ist. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Warum (Beifall bei der FDP – Stephan Brandner denn?) [AfD]: Der Antrag spricht aber dagegen!) Zu Beginn Ihrer Ausführungen habe ich noch gedacht: Guck mal an, der bringt ja zwei vernünftige Sätze zusam- Vizepräsidentin Petra Pau: men. – Aber dann Das Wort hat der Kollege Friedrich Straetmanns für die Fraktion Die Linke. (Stephan Brandner [AfD]: Sind Sie einge- schlafen, oder was?) (Beifall bei der LINKEN) 11882 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): häufig nicht leisten können. Betroffen sind Menschen, (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- die gezwungen sind, für Hungerlöhne zu arbeiten, und ginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Antrag der vor allem Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen Fraktion der FDP mit dem Titel „Rechtsanwaltsgebühren nach dem SGB II und XII. Das sind Menschen, die unter zukunftssicher gestalten“. Vorab gesagt: Wir unterstützen der mangelhaften Hartz-IV-Gesetzgebung schon genug dieses Anliegen. zu leiden haben. Glauben Sie mir: Das habe ich in meiner Tätigkeit als Sozialrichter oft erleben müssen. (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Zu einer existenziellen Bedrohung zähle ich es aber GRÜNEN) ausdrücklich auch, wenn Menschen um ihr Aufenthalts- recht in Deutschland streiten. Diese Regierung schiebt Noch vor der Sommerpause ein konkretes Konzept zur Menschen in Bürgerkriegsländer wie Afghanistan ab und Reform des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsan- gewährleistet hier keinen adäquaten Rechtsschutz. Das, wältinnen und Rechtsanwälte vorzulegen, ist von der was durch engagierte Anwältinnen und Anwälte unter Bundesregierung nicht zu viel verlangt. hoher Arbeitsbelastung und unzureichender Vergütung (Beifall bei der LINKEN und der FDP) geleistet wird, wird durch Mitglieder dieser Bundesregie- rung auch noch als „Anti-Abschiebe-Industrie“ verun­ Das reformierte RVG muss sowohl die Forderung glimpft. Meine Damen und Herren, das ist eine Sauerei, nach einer strukturellen als auch einer linearen Anpas- um es einmal deutlich zu sagen. sung der Gebühren enthalten. Dabei muss die Tariflohn­ entwicklung berücksichtigt werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der LINKEN – Stephan Brandner ten der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Im- [AfD]: Genau! Prima!) mer dieses Flüchtlingsthema! Mein Gott! Sie können nur Flüchtlinge, oder?) Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte müssen in der Lage sein, wirtschaftlich arbeiten zu können, ohne von Erhöhen Sie besser erst einmal die Gegenstandsstreit- Mandaten mit höherer Gebührenvereinbarung abhängig werte in den Asylverfahren, damit diese überhaupt an- zu sein. gemessen anwaltlich betreut werden können! Oder noch besser: Beenden Sie diese Abschiebepolitik! (Stephan Brandner [AfD]: Genau!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Von daher ist es zu begrüßen, wenn die FDP sich diesen NIS 90/DIE GRÜNEN) Bedürfnissen auch außerhalb großer Wirtschaftskanzlei- (B) en zuwendet. Zum Thema Gegenstandsstreitwerte erlaube ich mir (D) eine weitere Anmerkung. Es gibt auch Rechtsbereiche, in (Beifall bei der LINKEN und der FDP) denen wir durchaus über niedrigere Werte reden sollten. Die laufende Anpassung der Vergütung an die Tarif- Das betrifft ganz besonders massenhafte Abmahnungen lohnentwicklung wäre übrigens auch an anderer Stel- im Bereich des Urheberrechts: ein durchaus profitables le dringend nötig, nicht nur beim Mindestlohn. Gerade Geschäft mit Standardbriefen und vielen unbedarften diese Woche diskutierten wir im Ausschuss für Recht Konsumentinnen und Konsumenten, die der Anwalt- und Verbraucherschutz die Vergütung der Berufsbetreu- schaft in diesem Bereich lukrative Profite bei überschau- erinnen und Berufsbetreuer. Meine Damen und Herren barem Aufwand versprechen. Hier sollten die Schlupf- der Koalitionsfraktionen, hier geht es bei vielen um die löcher geschlossen und eine wirksame Bagatellregelung nackte wirtschaftliche Existenz. Zugleich muss in diesem geschaffen werden, die kostenpflichtige Abmahnungen Land eine adäquate Betreuung gewährleistet werden. unterbindet. Kommen Sie auch hier endlich zu einer sachgerechten (Stephan Brandner [AfD]: Dazu gibt es übri- Lösung. gens nächste Woche einen AfD-Antrag!) (Beifall bei der LINKEN und der FDP – Es bleibt jedoch insgesamt dabei, dass die Forderung Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: der Anwältinnen und Anwälte nach angemessener Ver- Nächste Woche!) gütung berechtigt ist. Insoweit weist der Antrag der FDP Mit den Forderungen im Antrag der FDP ist es aus un- auch deutlich in die richtige Richtung. Wir werden daher serer Sicht noch nicht getan. Meiner Fraktion und mir zustimmen. geht es um die Gewährleistung des grundgesetzlichen Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Anspruchs der Bürgerinnen und Bürger auf Gleichheit im Recht. Dieser Anspruch muss eben auch unabhängig (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie vom Geldbeutel der rechtsuchenden Person gewährleis- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE tet sein. Hier bestehen gravierende Defizite. GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Nehmen wir zum Beispiel die Prozesskostenhilfe. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Katja Diese wird von Menschen benötigt, die mit ihrem kärg- Keul das Wort. lichen Einkommen kaum über die Runden kommen und sich deshalb die Kosten eines Gerichtsverfahrens allzu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11883

(A) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtig ist, dass die Länder die Kosten für die Pro- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zesskostenhilfe tragen müssen, die sich durch die Gebüh- Kollegen! Die Anwaltschaft ist als unabhängiges Organ renordnung ebenfalls erhöht. Aber letztlich ist die Pro- der Rechtspflege eine tragende Säule unseres funktionie- zesskostenhilfe auch zu Recht eine öffentliche Aufgabe, renden Rechtsstaates. Um bundesweit den Zugang zum die nicht allein auf Kosten der Anwaltschaft erbracht Recht zu gewährleisten, sind wir ganz besonders auch werden darf. auf die Einzelanwälte und auf kleinere Kanzleien in der (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Fläche angewiesen. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- (Stephan Brandner [AfD]: Genau das habe ten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Jürgen ich auch gesagt!) Martens [FDP]) In diesen Kanzleien werden in der Regel keine Honorar- Die Prozesskostenhilfegebühren sind nämlich deutlich vereinbarungen getroffen, wie das bei den Großkanzleien niedriger als die normalen Gebühren und nach oben üblich ist, sondern es wird weiterhin nach dem Rechtsan- gedeckelt. Wo gibt es das schon, dass Berufsträger von waltsvergütungsgesetz abgerechnet. Gesetzes wegen verpflichtet werden, für eine geringere Vergütung zu arbeiten, um den Zugang zum Recht für (Stephan Brandner [AfD]: Auch das habe ich Bedürftige sicherzustellen? Die Prozesskostenhilfe ist gesagt!) eine Stärke unseres Rechtsstaates, um die uns viele ande- re Länder beneiden, und sie kostet uns noch nicht einmal Diese staatliche Gebührenordnung ist eine soziale Er- viel. Der staatliche Aufwand für die Prozesskostenhilfe rungenschaft aus der Zeit der Gründung der Sozialversi- in Deutschland beläuft sich gerade einmal auf 5 Euro cherung und sollte sicherstellen, dass die Rechtsangele- pro Einwohner und Jahr. Das sollte uns der Zugang zum genheiten aller Bürger bearbeitet werden, indem für hohe Recht für alle in diesem Rechtsstaat schon wert sein, und Streitwerte höhere Gebühren als für niedrigere Streitwer- das sollte aus dem allgemeinen Steueraufkommen auch te anfallen, unabhängig vom Zeitaufwand. Durch diese zu leisten sein. sogenannte Mischrechnung sollen sowohl arme als auch reiche Rechtsuchende zu ihrem Recht kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Über die Zeit hat dieses System natürlich auch Schwä- Abg . Dr. Jürgen Martens [FDP]) chen entwickelt, da viele Berater von Großmandanten und Unternehmen heute gar nicht mehr nach der Gebüh- Wenn die Menschen nämlich keinen Zugang mehr zu renordnung abrechnen, sondern Stundenhonorare verein- bezahlbarer Rechtsberatung haben, weil immer weniger (B) (D) baren. Das ist für viele Rechtsuchende nicht bezahlbar. Anwaltskanzleien bereit sind, nach der Gebührenord- Die Flucht in die Stundenhonorare belastet außerdem die nung abzurechnen oder Prozesskostenhilfemandate an- Mischrechnung der verbleibenden Anwältinnen und An- zunehmen, dann schaffen wir Probleme, die uns am Ende wälte, die nach wie vor in der Fläche für die Menschen richtig teuer zu stehen kommen. Wir Grüne halten daher zur Verfügung stehen. Sie sind quasi die Hausärzte des eine Erhöhung der gesetzlichen Gebühren ebenfalls für Rechtsstaates. dringend notwendig und stimmen dem FDP-Antrag heu- te zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CSU]) und bei der FDP) Die Gebührenordnung stellt für diese Anwälte immer Allerdings gibt es aus der Anwaltschaft heraus noch noch die Abrechnungsgrundlage dar und garantiert auch einige weitere wichtige Vorschläge zu strukturellen Än- einkommensschwächeren Bürgerinnen und Bürgern den derungen, die unter anderem die Vergütung im Familien- Zugang zum Recht. Damit das auch so bleibt, ist es wich- und Sozialrecht betreffen. Auch mit diesen strukturellen tig, dass sich die dort festgeschriebene Vergütung auch Anpassungen sollten wir uns näher befassen. Wer bereit an den tatsächlichen Kosten orientiert. Das ist sechs Jah- ist, bedürftige Rechtsuchende zu vertreten, soll dadurch re nach der letzten Anpassung nicht mehr der Fall. Nicht nicht zwangsläufig selbst bedürftig werden. nur das elektronische Postfach hat etliche IT-Nachrüstun- gen erforderlich gemacht. Dazu kommen kontinuierlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steigende Kosten für Gehälter, Fortbildungen, Miete und sowie bei Abgeordneten der FDP und der Büroführung. LINKEN – Stephan Brandner [AfD]: Sagen Sie doch mal was zu dem grünen Justizsenator Eine Anpassung der Rechtsanwaltsgebühren ist auch von Hamburg! Warum mauert denn Hamburg nicht zwangsläufig an eine Erhöhung der Gerichtskosten die ganze Zeit?) geknüpft, auch wenn die Ländervertreter das so einfor- dern. Das würde nämlich wieder zusätzliche Hürden für – Im Übrigen gehört Hamburg noch nicht zum ländlichen rechtsuchende Bürgerinnen und Bürger schaffen. Die Niedersachsen, um das ergänzen zu dürfen. Gerichtskosten sind nicht dazu da, die außergerichtlichen Kosten abzudecken, sondern, wie der Name schon sagt, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – die bei Gericht anfallenden Kosten. Anwaltsgebühren Stephan Brandner [AfD]: Warum macht Ham- hingegen sind außergerichtliche Kosten. burg nichts?) 11884 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: sie Steuern zahlen, dass Menschen gutbezahlte Arbeit (C) Die Reden der Kollegin Sonja Amalie Steffen für die finden und dass der Mittelstand das Rückgrat unserer so- SPD-Fraktion zialen Marktwirtschaft bleibt. (Stephan Brandner [AfD]: Das ist aber scha- (Beifall bei der CDU/CSU) de!) Wachstum und Wohlstand erreicht man eben nicht mit und des Kollegen Alexander Hoffmann für die CDU/ Planwirtschaft und Enteignungen, sondern dadurch, dass CSU-Fraktion deutsche Unternehmen neue Märkte erschließen und die besten Produkte entwickeln. Dazu brauchen sie irgend- (Stephan Brandner [AfD]: Ich bin deshalb wann Kapital. Mit dem vorliegenden Gesetz können sich gekommen!) Unternehmen leichter über die Kapitalmärkte und über nehmen wir zu Protokoll.1) Damit schließen wir die Aus- Crowdfunding finanzieren. Bereits im letzten Jahr ha- sprache. ben wir dafür gesorgt, dass Unternehmen erst bei Wert- papieremissionen ab 8 Millionen Euro einen teuren und Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- aufwendigen Prospekt erstellen müssen. Dabei haben wir ses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der den europarechtlichen Spielraum komplett ausgenutzt. Fraktion der FDP mit dem Titel „Rechtsanwaltsgebühren Mit dem vorliegenden Gesetz erleichtern wir KMUs den zukunftssicher gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in Zugang zu den Kapitalmärkten weiter. seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/10002, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/8266 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Das Bundesfinanzministerium hatte schon mit dem lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Gesetzentwurf unsere Forderung aufgenommen, die Aus- Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- nahmeregelung für CRR-Kreditinstitute auf 8 Millionen onsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Euro auszuweiten. Durch die starke Regulierung ist diese Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Erleichterung gerade für kleine Banken und Sparkassen Grünen bei Enthaltung der AfD-Fraktion angenommen. geboten. Das begrüßen wir sehr. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Als Union konnten wir auch bei den Einzelanlage- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- schwellen ein paar Verbesserungen für die Anleger errei- setzes zur weiteren Ausführung der EU-Pro- chen. Bei Bezugsrechtsemissionen und für die meisten spektverordnung und zur Änderung von GmbH & Co. KGs entfallen diese Schwellen komplett. (B) Finanzmarktgesetzen Bei prospektfreien Angeboten heben wir sie leicht an. (D) Drucksachen 19/8005, 19/8617, 19/9079 Nr. 6 Das geht in die richtige Richtung. Aber mehr war mit der SPD leider nicht zu machen. Sie war an dieser Stelle ein Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- bisschen mutlos. Der Bundesrat war schlauer. Er hatte ausschusses (7. Ausschuss) schon im letzten Jahr zu Recht kritisiert, dass damit die Drucksache 19/10000 Entscheidungshoheit der Privatanleger beschränkt wird. Auch einige SPD-geführte Länder hatten diese Weis- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für heit. Wir als Union wollen Anleger informieren, damit die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- sie eigene Anlageentscheidungen treffen können. Die nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. SPD will Anleger bevormunden und ihnen pauschal vor- Sobald die notwendige Aufmerksamkeit hergestellt schreiben, wie viel Geld sie in welche Anlagen investie- ist, können wir auch mit den Beratungen beginnen. ren dürfen. Das ist nicht der Anlegerschutz, wie wir ihn uns vorstellen. Das Wort hat der Kollege Matthias Hauer für die CDU/CSU-Fraktion. Auch durch Crowdfunding wird die Kapitalaufnahme einfacher. Künftig muss erst ab einer Emission im Wert (Beifall bei der CDU/CSU) von 6 Millionen Euro ein aufwendiger Prospekt erstellt werden. Diese Grenze lag vorher bei 2,5 Millionen Euro. Matthias Hauer (CDU/CSU): Gerade für Start-ups wird dadurch die Kapitalaufnahme Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und durch Schwarmfinanzierung erleichtert. Wir verbessern Herren! Wir entscheiden heute über die weitere Ausfüh- zudem den Anlegerschutz. Bei einer Schwarmfinanzie- rung der EU-Prospektverordnung. Wir wollen Unter- rung für Immobilien kann der Anleger nun schon im In- nehmen den Zugang zu den Kapitalmärkten erleichtern. formationsblatt erkennen, wie das Objekt besichert ist: Gerade kleine und mittlere Unternehmen erhalten damit schuldrechtlich oder dinglich. Durch die stärkere Ent- eine größere Vielfalt an Finanzierungsmöglichkeiten. flechtung von Emittent und Crowdfunding-Plattform In Zeiten, in denen einige Politiker ihre linken Träume stärken wir die Intermediärfunktion der Plattform. von Planwirtschaft und Enteignung ausleben wollen, ist Bei einem anderen Punkt hat die SPD ihre eigene es umso wichtiger, zu sagen: Wir als CDU/CSU wollen, Mutlosigkeit sogar noch getoppt: bei der Behandlung dass Unternehmen in Deutschland wachsen können, dass der GmbH-Anteile. Wir alle wissen, dass die weit über- wiegende Zahl der kleinen und mittleren Unternehmen 1) Anlage 5 in Deutschland in der Rechtsform der GmbH organisiert Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11885

Matthias Hauer (A) ist. Dank der Opposition – Entschuldigung –, dank der Recht einfordern will, dass er ein teures Übersetzungs- (C) SPD – manchmal geht es schneller, als man glaubt – büro beauftragen muss, damit er sein Recht durchset- profitieren die GmbHs von der Befreiung von der Pro- zen kann. Bei einer Anlage von 10 000 Euro entstünden spektpflicht überhaupt nicht. Das hätten wir als CDU/ dem Anleger bei der Übersetzung eines durchschnittlich CSU gerne geändert. Immerhin gibt es einen Schritt in 220-seitigen Prospekts – das hat Herr Mattil berechnet – die richtige Richtung. Wir erweitern den Befreiungstat- Kosten in Höhe von 15 000 Euro. Meine Damen und bestand auf Genussrechte, und die Bundesregierung wird Herren, das ist zynisch. Ich bitte Sie, wenn Sie regulie- zu der Frage der GmbHs weiter evaluieren. ren, endlich mit Gewicht in Europa aufzutreten und dort Druck zu machen, dass die entsprechende europäische Abschließend möchte ich mich für die konstruktiven Richtlinie dahin gehend geändert wird. Beratungen über den Gesetzentwurf bedanken bei den Mitarbeitern der Ministerien, bei den Sachverständigen, (Beifall bei der AfD) bei meinem Kollegen Johannes Steiniger sowie bei den Berichterstatterkollegen der anderen Fraktionen. Bei den Zweitens. Das habe ich in meinen Reden immer ge- GmbH-Anteilen ist leider kein großer Wurf gelungen. sagt: Der Anlegerschutz ist komplett hinten runterge- Abgesehen davon konnten wir aber viele Verbesserungen fallen. Sie haben die Anlageschwelle von 10 000 auf mit dem Gesetz durchsetzen, für bessere Finanzierungs- 25 000 Euro festgesetzt. Die BaFin hat weiterhin nur ein möglichkeiten des Mittelstandes und für einen starken formelles Prüfungsrecht. Aber der Hammer ist eigent- Anleger- und Verbraucherschutz. lich – das haben Sie hier verschwiegen, Herr Hauer –: 60 Prozent im Crowdfunding – das sind 220 Millionen Vielen Dank. von 364 Millionen Euro –, das für Start-ups, also für jun- (Beifall bei der CDU/CSU) ge Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen sollen – Sie haben eben vom Mittelstand gesprochen –, bei der Be- schaffung von Venture-Capital und Risk-Capital wichtig Vizepräsidentin Petra Pau: ist, werden mittlerweile für Investments in Immobilien Das Wort hat der Abgeordnete Kay Gottschalk für die genutzt. Es werden schlichtweg Immobilien finanziert. AfD-Fraktion. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Da haben wir (Beifall bei der AfD) doch Anpassungen vorgenommen! Deshalb wird das Informationsblatt erweitert! Sie se- Kay Gottschalk (AfD): hen doch demnächst, ob es besichert ist, schul- Sehr geehrte Präsidentin! Verehrte Kollegen! Herr drechtlich oder dinglich!) Hauer, danke für das Ehezerwürfnis zwischen CDU/ Die Fachleute in der Anhörung haben gesagt, dass An- (B) CSU und SPD, das Sie gerade zelebriert haben. Das (D) lagen, die durch das Crowdfunding finanziert werden, ist sicherlich gute Wahlkampfhilfe für die Europawahl. in minderwertige Immobilien gesteckt werden, in Im- Aber kommen wir zur Zielgeraden, auf der sich dieser mobilien auf dem A-Markt, oder dort, wo Banken, Ver- Gesetzentwurf zur Ausführung der EU-Prospektverord- sicherungen und Sparkassen tätig sind, keine Finanzie- nung befindet. rung finden. So tragen Sie mit diesem Gesetz sogar dazu Ich muss an dieser Stelle noch einmal ausführen, dass bei, dass durch Crowdfunding riskante Investments auf die Diskussion in der Anhörung am 8. April dieses Jah- einem ohnehin überhitzten Immobilienmarkt getätigt res sehr spannend und interessant war. Viele Dinge, die werden. Wo ist denn da bitte schön der Anlegerschutz, wichtig sind und von Fachleuten in der Diskussion ge- und wo sind denn da die Sicherung und der Weg einer nannt wurden, wurden von Ihnen nicht berücksichtigt. gesunden Marktwirtschaft? Das ist an dieser Stelle leider Aber ich muss auch einmal ein Lob aussprechen – das nicht gegeben. ist das erste Mal; ich denke, der Abend ist noch voller Wunder –: Tatsächlich haben SPD und CDU/CSU kurz (Beifall bei der AfD) vor Schluss doch noch erkannt, dass beim Crowdfunding nachgelegt werden muss. Beim Crowdfunding war bis- Vizepräsidentin Petra Pau: her das öffentliche Angebot von Vermögensanlagen un- Herr Gottschalk, kommen Sie bitte zum Schluss. tersagt, wenn ein Emittent auf das Unternehmen, welches Crowdfunding anbietet, einen maßgeblichen Einfluss ausüben kann. Das war gut und richtig so. Nun nehmen Kay Gottschalk (AfD): Sie auch die andere Seite der Medaille – das ist tatsäch- Ich komme zum Ende. lich lobenswert – ins Visier, nämlich den Fall, wenn der Anbieter des Crowdfundings, also der Dienstleistungs- (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Wie viel An- plattform, Einfluss auf den Emittenten ausüben kann. träge haben Sie denn gestellt? Null!) Hierzu wird eine Ergänzung in § 2a Absatz 5 im Vermö- Trotz einiger guter Lichtblicke werden wir diesem gensanlagengesetz vorgenommen. Das ist richtig so. Gesetzentwurf so nicht zustimmen können; denn der An- Kommen wir aber in der Kürze der Zeit zu den Kritik- legerschutz ist hier nur ein blankes Märchen zu später punkten. Erstens. Ich möchte den Anwalt Mattil nicht in Stunde. Gänze zitieren. Aber er hat sehr gut deutlich gemacht: Ein Danke schön. Prospekt darf in Deutschland auch in englischer Sprache emittiert werden. Das bedeutet für denjenigen, der sein (Beifall bei der AfD) 11886 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: aber Entscheidendes wird mit diesem Gesetzentwurf (C) Für die Fraktion Die Linke hat nun Hubertus Zdebel nicht geleistet. Vielmehr erhöhen sich Verlustrisiken für das Wort. Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn zum Beispiel die Prospektbefreiung beim Crowdfunding nun auch auf (Beifall bei der LINKEN) Genussrechte ausgedehnt wird. Als ob es die Pleite von Prokon nie gegeben hätte! Das ist meines Erachtens nicht Hubertus Zdebel (DIE LINKE): hinnehmbar. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der LINKEN) Die Umsetzung der EU-Prospektverordnung in nationa- les Recht geht heute in die zweite Runde. Es ist sicher- Der finanzielle Verbraucherschutz muss nach Auffas- lich ein recht sperriges, aber für den Anlegerschutz sehr sung der Linken noch stärker in die Aufsichtsstrukturen wichtiges Thema, über das wir heute diskutieren. Um es einfließen. Das ist das Kerndilemma, das Sie aber über- gleich zu sagen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haupt nicht angehen. Neben einer Ausweitung des Auf- vertut die Bundesregierung die zweite Chance auf mehr sichts- und Kontrollumfangs der Finanzaufsicht BaFin – finanziellen Verbraucherschutz. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Vizepräsidentin Petra Pau: Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Kollege Zdebel, achten Sie bitte auf die Zeit. NEN]) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Die Hauptkritikpunkte von uns Linken, die wir schon im vergangenen Jahr vorgetragen haben, bleiben nach wie – ich komme zum Schluss – muss unbedingt auch ein vor bestehen. Wir sehen die immer weitere Anhebung der präventives Instrument eingeführt werden. Deswegen Schwellenwerte auf nun 8 Millionen Euro bei Wertpa- fordern wir Linken schon seit längerer Zeit eine obliga- pieren und 6 Millionen Euro im sogenannten Crowdfun- torische Zulassungsprüfung; denn nur mit einem solchen ding-Bereich, also im Bereich der Schwarmfinanzierung, Finanz-TÜV kann wirklich der entscheidende Schritt ge- bis zu deren Höhe Wertpapierherausgaben prospektfrei macht werden, – sind, grundsätzlich sehr kritisch. Wertpapierprospekte sind zwar sehr umfangreich und auch sehr kompliziert – Vizepräsidentin Petra Pau: da stimme ich durchaus dem einen oder anderen zu –, Setzen Sie jetzt bitte den Punkt. aber sie erfüllen für die Verbraucherinnen und Verbrau- cher eine wichtige Funktion als Haftungsgrundlage und Hubertus Zdebel (DIE LINKE): damit als Basis für Schadensersatzansprüche. Das jetzt (B) – um den überschießenden, zu Blasenbildung neigen- (D) vorgesehene dreiseitige Infopapier kann das, was im Pro- den Finanzsektor wieder auf die der Realwirtschaft die- spekt steht, nicht ersetzen. nende Funktion zurückzustutzen. Das ist meines Erach- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tens die Kernaufgabe. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Deswegen sind wir der Auffassung, dass das Recht auf (Beifall bei der LINKEN) Schadensersatzansprüche usw. nicht durch eine allzu großzügige Prospektfreiheit ausgehebelt werden darf, weder für Wertpapiere noch für die sogenannte Schwarm- Vizepräsidentin Petra Pau: finanzierung. Die Reden der Kolleginnen und Kollegen Ryglewski, Schäffler, Stefan Schmidt und Radwan für die SPD, die Auch der gravierende Mangel bei der Sprachenrege- FDP, die Grünen und die Union nehmen wir zu Proto- lung für Prospekte ab einem Herausgabevolumen von koll.1) 8 Millionen Euro bleibt weiter bestehen. Im Schadensfall müssen Geschädigte den Prospekt auf eigene Kosten in (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten die geltende Amtssprache – hier bei uns selbstverständ- der CDU/CSU und der SPD) lich Deutsch – übersetzen lassen, um Schadensersatz- Damit schließe ich die Aussprache. ansprüche geltend machen zu können. Dies ist ein sehr teures Unterfangen: circa 15 000 bis 20 000 Euro, je nach Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Umfang des Prospekts. Das schreckt natürlich sehr vie- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren le der Geschädigten ab, überhaupt vor Gericht zu gehen. Ausführung der EU-Prospektverordnung und zur Än- Wir Linken finden das völlig unakzeptabel. Wir sind der derung von Finanzmarktgesetzen. Der Finanzausschuss Meinung: Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung endlich das Recht auf eine vollständige Übersetzung auf Drucksache 19/10000, den Gesetzentwurf der Bun- des Prospekts durch den Anbieter, auch wenn dafür EU- desregierung auf den Drucksachen 19/8005 und 19/8617 Recht geändert werden müsste. in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte dieje- nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung (Beifall bei der LINKEN) zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt Zusammenfassend lässt sich sagen: Im Kleinen gibt es dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist zwar auch positive Aspekte in diesem Gesetzentwurf wie die Abschaffung des unvollständigen Verkaufsprospekts, 1) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11887

Vizepräsidentin Petra Pau (A) damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koaliti- Ulla Jelpke (DIE LINKE): (C) onsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und ganz Europa haben sich Kommunen zu „Solidarischen der AfD-Fraktion angenommen. Städten“ erklärt und ihre Bereitschaft bekundet, mehr Schutzsuchende aufzunehmen. In Deutschland sind es Dritte Beratung mindestens 51 Kommunen und Städte. Angesichts des und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem inhumanen Trends der EU-Flüchtlingspolitik sehen wir Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer in diesem Netzwerk eine absolut begrüßenswerte Maß- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- nahme. wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und (Beifall bei der LINKEN) der Mehrheit der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der AfD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Tausende Schutzsuchende ertrinken Jahr für Jahr im Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Mittelmeer. Ihr Tod wird von der EU billigend in Kauf genommen, eine staatlich organisierte Seenotrettung gibt Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf es nicht. Private Seenotrettungsschiffe retteten dagegen Drucksache 19/10000 empfiehlt der Ausschuss, eine in den letzten Jahren Hunderten von Flüchtlingen das Le- Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- ben. Wir müssten ihnen dankbar sein; doch stattdessen schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- haben wir die Situation, dass diese Retter von EU-Regie- hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- rungen diffamiert und kriminalisiert werden, men der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Andreas Bleck [AfD]: Das sind Schlepper! – bei Enthaltung der AfD-Fraktion angenommen. Jürgen Braun [AfD]: Schlepper sind das!) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: dass ihre Schiffe beschlagnahmt, ihre Kapitäne und Crews eingesperrt werden. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla (Zuruf von der AfD: Richtig so!) Jelpke, Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zugleich stoppte die EU vor wenigen Wochen die Mis- sion Sophia, in deren Rahmen immerhin 50 000 Men- Solidarische Städte und kommunale Initiati- schen in Seenot das Leben gerettet wurde. Die EU hat ven zur Flüchtlingsaufnahme unterstützen dafür gesorgt, dass es im Mittelmeer jetzt fast gar kei- ne Rettungsschiffe mehr gibt. Das ist einfach nur noch (B) Drucksache 19/8648 schäbig, meine Damen und Herren, vor allen Dingen, (D) Überweisungsvorschlag: wenn man sieht, dass die EU die libysche Küstenwache Ausschuss für Inneres und Heimat (f) unterstützt, die bekanntlich eine kriminelle Bande ist, die Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz private Rettungsschiffe angegriffen hat. Flüchtlinge wer- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe den durch sie in – man muss es so sagen – irreguläre Ge- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- fängnisse gebracht, die selbst deutsche Diplomaten mit munen Konzentrationslagern verglichen haben.

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Vor diesem Hintergrund begrüßen wir, wie gesagt, die Amtsberg, Filiz Polat, Dr. Franziska Brantner, Initiative „Solidarische Städte“ sehr. weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- NIS 90/DIE GRÜNEN ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Regionale und kommunale Flüchtlingsauf- NEN und der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-­ nahme stärken Zimmermann [FDP]) Meine Damen und Herren, als Malta im vergangenen Drucksache 19/9275 Jahr das Flüchtlingsschiff „Lifeline“ nicht in den Hafen Überweisungsvorschlag: einfahren ließ, bot Berlin an, einen Teil der 230 Flücht- Ausschuss für Inneres und Heimat (f) linge unkompliziert aufzunehmen. Ich finde, das ist eine Auswärtiger Ausschuss großartige Geste, und möchte hier auch ausdrücklich Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Danke sagen. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- (Beifall bei der LINKEN) munen Aber den Kommunen und Ländern fehlen einfach die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für rechtlichen Kompetenzen, um Flüchtlinge selbstständig die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- aufzunehmen. nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Zuruf von der AfD: Ja!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. Innenminister Seehofer verweigerte damals die erforder- liche Zustimmung und verlängerte damit das Elend der (Beifall bei der LINKEN) Menschen auf der „Lifeline“. 11888 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Ulla Jelpke (A) Deshalb fordern wir mit unserem Antrag: Eine solche Was jedoch eine neue Qualität hat, ist, dass Sie of- (C) Zustimmung muss künftig zügig und verbindlich erfol- fen kommunizieren und jede sich bietende Möglichkeit gen. unterstützen, die Durchsetzung geltenden Asylrechts zu unterlaufen. Dass Sie sich dabei pauschal auf die Zivil- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gesellschaft berufen, zeugt nicht nur von Ignoranz, son- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dern, vorsichtig ausgedrückt, auch von einem ausbau- Es ist klar, dass wir solidarische Städteunterstützung fähigen Demokratieverständnis. Ich muss Ihnen das so brauchen. Nationale Regierungen, aber auch die EU deutlich sagen. könnten einen Fonds einrichten. Das stellen wir ebenfalls im Antrag dar. Durch Investitionen, Infrastrukturmaß- (Beifall bei der CDU/CSU – Andreas Bleck nahmen würde das wichtige Signal ausgesandt werden, [AfD]: Das ist ja auch gar nicht da bei denen!) dass man der Aufnahme von Flüchtlingen positiv gegen- Wir kennen es zur Genüge, dass sich die Linken über übersteht. Andersdenkende gerne moralisch erheben. Dass Sie aber Unsere Forderungen finden sich im Übrigen auch jenen Menschen, die nicht Ihrer Ansicht sind, die zu den in dem Osterappell zur Seenotrettung wieder, der von Grenzen der Leistungsfähigkeit eine andere Meinung 210 Bundestagsabgeordneten unterzeichnet wurde, und haben als Sie, die Zugehörigkeit zur Zivilgesellschaft in einem offenen Brief, der von 250 Flüchtlings- und gleich gänzlich absprechen, ja, dass Sie deren Existenz Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, schlicht negieren, das, liebe Freunde, ist neu. Es ist ein Kirchen, Gewerkschaften und Jugendverbänden unter- Treiber für genau jene Radikalisierung in Teilen unserer zeichnet wurde. Bevölkerung, die Sie zu Recht beklagen. Wir fordern Sie also auf: Machen wir einen ersten Ich will es Ihnen aber sagen: Sie sollten wissen, dass Schritt, dass Kommunen, die bereit sind, Flüchtlinge auf- die Zivilgesellschaft in unserem Land in der Frage, wel- zunehmen, das auch wirklich selbstständig machen kön- che Aufnahmekapazitäten dieses unser Land hat und sich nen. Dann haben wir schon viel getan, um Menschen, die leisten sollte, tief gespalten ist. aus Seenot gerettet wurden, ein gutes Zuhause zu geben. (Andreas Bleck [AfD]: Das liegt aber an Ihrer Ich danke Ihnen. Partei, nicht an den Linken!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Mit dieser arroganten Diktion (Zuruf von der LINKEN: Was ist daran eine (B) (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: arrogante Diktion? Was für ein Unsinn!) Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Red- ner hat das Wort der Kollege Michael Kuffer, CDU/ setzen Sie die Unterstützung der Bevölkerung – der Zi- CSU-Fraktion. vilbevölkerung, auf die Sie sich berufen – für tatsächlich hilfsbedürftige Menschen vorsätzlich aufs Spiel. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Kuffer (CDU/CSU): Es gibt in unserer Gesellschaft immer noch einen breiten Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wir wis- Konsens darüber, dass wir denjenigen, die wirklich unse- sen ja, wie es die Linken und die Grünen mit der Um- res Schutzes bedürfen, setzung geltenden Rechts halten, besonders dort, wo sie politische Verantwortung tragen. Das betrifft die Fragen (Marian Wendt [CDU/CSU]: Wirklich!) der inneren und der öffentlichen Sicherheit – erst heute durften wir wieder über die Vorschläge zum Umgang mit helfen, solange sie schutzbedürftig sind. Aber ich sage Drogenkriminalität im rot-rot-grün regierten Berlin ver- Ihnen auch: Wir können dieses Versprechen nur einlösen, wundert den Kopf schütteln – wenn wir dafür sorgen, dass die Menschen, die unseren Schutz nicht oder nicht mehr brauchen, unser Land auch (Beifall bei der CDU/CSU – Christoph de zügig wieder verlassen müssen. Vries [CDU/CSU]: Markierte Zonen statt Strafverfolgung!) (Andreas Bleck [AfD]: Da gibt es aber ein ebenso wie die Durchsetzung rechtsstaatlicher Voll- Defizit in der Regierung!) zugsmaßnahmen im Asylbereich. In einer bekannten Samstagabendsendung des deutschen Fernsehens hätte Da sage ich Ihnen Folgendes zu Ihrem Vorschlag mit es dazu wahrscheinlich heißen können: Michael Kuffer den kommunalen Modellen: Es ist auch nach geltendem aus München wettet, dass er unter 16 Bundesländern die Recht völlig unproblematisch möglich, dass sich Kom- grün- und linksregierten Bundesländer allein anhand der munen überdurchschnittlich engagieren, wenn sie sa- Rückführungsstatistiken identifizieren kann. gen: Das können wir leisten. – Das geht darüber, dass innerhalb der Länder die Verteilung auf die Kommunen (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten entsprechend den Leistungsfähigkeitserklärungen der der CDU/CSU und der AfD – Marian Wendt Kommunen vorgenommen werden kann. Dazu müssen [CDU/CSU]: Topp, die Wette gilt!) wir als Bundesgesetzgeber nicht tätig werden. Aber da, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11889

Michael Kuffer (A) wo ich herkomme, sagen wir Folgendes: Liberal samma traliens riesige Seegrenzen viel schwieriger zu schützen (C) scho, aber bläd samma ned – Liberal sind wir schon, aber sind als Europas Grenze im Mittelmeer. nicht blöde. Als die linke Labor-Partei noch in Australien regier- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – te – bis 2013 –, starben 1 200 illegale Bootsmigranten Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: vor den Küsten Australiens. Das Meer spülte zerstückelte Liberal? Sie und liberal?) Leichen von Kindern an. Haie hatten sie in den Gewäs- Über Modelle kommunaler Unterstützung wollen Sie sern zerfressen. Die neue, nun konservative Regierung uns Aufenthaltsrechte unter der Tür durchschieben, die begann 2013 ihr Programm „Souveräne Grenzen“, eine wir als Bundesgesetzgeber nicht gewähren können, weil breite Medienkampagne mit dem Titel „No Way“ und die Frage des Aufenthalts an der Grenze der Kommunen machte in allen Herkunftsländern klar: Illegal Einreisen- nicht halt macht; denn jemand, der die Eintrittskarte für de haben keine Chance, no way. Die Marine unterband das Bundesgebiet bekommt, wird sich über Grenzen von illegales Anlanden, versorgte aber alle Migranten gut und Kommunen und auch über Grenzen von Bundesländern brachte sie in sichere Häfen außerhalb von Australien. hinweg bewegen, und die Aufenthaltsbeendigung endet Dafür dürfen nun aber jedes Jahr 20 000 echte Flücht- immer wieder hier. Hier ist das Problem, das wir lösen linge ins Land. Wer bloß den Schleppern die höchsten müssen. Das verschweigen Sie. Preise zahlt, hat keine Chance mehr. (Beifall bei der CDU/CSU) Ergebnis: Seit drei Jahren gibt es keinen einzigen Toten mehr, auch keine von Haien zerfressenen Kinder. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das ist humane Grenzpolitik ohne links-grünen Eifer und Geifer, aber mit Vernunft, mit Menschlichkeit und politi- Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. schem Weitblick, meine Damen und Herren.

Michael Kuffer (CDU/CSU): (Beifall bei der AfD) Deshalb können wir das nicht mitmachen, können wir diesen Vorschlag nicht mittragen. Die Links-Grünen wollen aus solchen Beispielen aber nichts lernen. Sie fordern mit ihren heutigen Anträgen, Vielen Dank. Salvini in den Rücken zu fallen und der Schleusermafia die Arbeit zu erleichtern. Ihr Clou dabei: Deutsche Städte (Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Binding und Gemeinden sollen diese Migranten jetzt nach eige- [Heidelberg] [SPD]: Man spürt so richtig die nem Willen und direkt bei sich aufnehmen können, das christliche Nächstenliebe!) (B) heißt ohne Kontrolle durch den Bund. (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank, Herr Kollege Kuffer. – Als nächster NEN]: Stand nirgendwo!) Redner hat das Wort der Kollege Dr. Bernd Baumann, AfD-Fraktion. Es entstünde eine Art riesige Rolltreppe, ein endloses Fließband für Migranten aus Orient und Afrika direkt hi- (Beifall bei der AfD) nein ins Herz unserer Städte und Gemeinden. Meine Damen und Herren, ist das nach den Erfahrun- (AfD): Dr. Bernd Baumann gen der letzten Jahre nur naiv? Nein, das ist schon längst Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als in Ita- gemeingefährlich. lien noch die Sozialdemokraten regierten, 2016, starben im Mittelmeer 5 149 Menschen, elendiglich ertrunken, (Beifall bei der AfD) auf das Meer gelockt von kriminellen Schleusern und Menschenhändlern. Seien Sie einmal ehrlich: Wer kommt denn zurzeit in Booten über das Meer? Die größte Gruppe stellen Ma- (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. rokkaner. Flüchtlinge aus Marokko, einem Land, in dem Dr. Lars Castellucci [SPD]) jährlich über 11 Millionen Urlauber aus aller Welt die Jetzt, im ersten Quartal 2019, waren es nur noch 289. Sonne genießen? Für solche Wirtschaftsmigranten wie Dieser Rückgang ist einzig und allein auf die erfolgrei- aus Marokko, die ohne jeden Schutzgrund kommen, er- che Grenzpolitik der neuen Regierung Italiens zurückzu- träumen sich Grüne und Linke jetzt ihr Dauerfließband führen. nach Deutschland. Dabei müssen doch zehn deutsche Durchschnittsverdiener täglich schuften, um mit ihren (Beifall bei der AfD – Marian Wendt [CDU/ Steuern einen einzigen dieser Migranten zu versorgen, CSU]: Das stimmt nicht!) hart arbeitende Krankenschwestern, Busfahrer, einfache Meine Damen und Herren, wir gratulieren Matteo Handwerker. Jeder Patriot muss es doch ablehnen, unsere Salvini zu dieser großartigen und mutigen Leistung. Aber Steuergelder so sinnlos an die ganze Welt zu verschleu- 289 Tote sind immer noch zu viel. dern. Noch erfolgreicher sind die Australier, sie zeigen, wie (Beifall bei der AfD – Alexander Ulrich [DIE man verhindert, dass Migranten im Meer ertrinken und LINKE]: Jeder Patriot würde sich schämen, so Schlepperbanden profitieren. Das gelingt, obwohl Aus- von Ihnen vereinnahmt zu werden!) 11890 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Dr. Bernd Baumann (A) Aber Patriotismus bei den Grünen? Wie sagte noch Wenn Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister – (C) der Obergrüne ? Dass er – wörtlich – Pa- ob die nun von der CDU sind oder von sonst einer Partei; triotismus stets zum Kotzen fand. ich würde mich auch freuen, wenn AfD-Bürgermeister so handelten; wobei ich mir nicht wünsche, dass es sie (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) gibt – sich bereit erklären, um ein Zeichen zu setzen, Er wusste – wörtlich – mit Deutschland nichts anzufan- Geflüchtete aus dem Mittelmeer aufzunehmen, dann ist gen und weiß es bis heute nicht. das ein zutiefst christlicher Akt. Es ist kein Grund, diese Menschen zu denunzieren. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Den Rest lassen Sie jetzt weg!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Andreas Bleck [AfD]: Seit wann Bei dieser Art von Politik, meine Damen und Herren, haben Sie etwas mit dem Christentum zu tun?) merkt man das deutlich. Mit den Deutschen kann er nichts anfangen, mit ihren Steuergeldern schon. Zweitens. Wenn Sie so gern Tote aufrechnen, sollten Sie bei dieser Bilanz diejenigen, die in Afrika auf dem (Beifall bei der AfD) Weg sterben oder die in libyschen Lagern umkommen Viel schlimmer noch: Bei alldem sind die Links-Grü- oder die in den von Ihnen so geschätzten Unrechtsregi- nen nicht allein. men wie Syrien sterben, auch aufrechnen. Wenn Sie uns diese Bilanz präsentieren würden, würde ich mich sehr (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- freuen; denn es wäre ein Akt der Fairness. NEN]: Sie sollten sich schämen!) (Beifall bei der SPD – Jürgen Braun [AfD]: 50 deutsche Städte und Gemeinden unterstützen diesen Beifall! Beifall!) Vorschlag ausdrücklich und erklären sich bereit, immer neue Bootsmigranten aufzunehmen. Zum Dritten glaube ich, es ist kein Grund, auch nicht um diese Uhrzeit, auf diese Weise, in dieser Form zynisch (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Auch Tübin- über diese Situation, die gegenwärtig im Mittelmeer im- gen!) mer noch herrscht, und auch die vielen Toten, von denen Und von wem werden diese Städte überwiegend regiert? wir wissen und doch nicht wissen wollen, zu sprechen. Von CDU und SPD. Die wollen das auch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Beifall FDP) bei Abgeordneten der SPD) Es ist zynisch, das zu tun, um daraus parteipolitischen (B) Egal was die Parteien hier im Bundestag behaupten, Profit zu schlagen, und es ist zutiefst zynisch, wenn (D) in der Praxis unterstützen CDU/CSU und SPD diesen man eine Parteiprogrammatik verfolgt, die sonst nie links-grünen Fanatismus Tag für Tag. Für eine solche be- Menschenrechte so ernst nimmt. Wenn Sie sich einmal scheuerte Politik hat die AfD nur eine Antwort: No Way. mit deutschem Bildungsgut auseinandersetzen würden, könnten Sie Hannah Arendt fragen. Sie definiert Men- (Beifall bei der AfD – Marian Wendt [CDU/ schenrechte als das Recht, Rechte zu haben. CSU]: Das war Englisch! – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das waren Anglizismen, Herr (Beifall der Abg. Kirsten Lühmann [SPD] Baumann! Hier wird doch Deutsch gespro- und Michael Theurer [FDP]) chen, Herr Baumann!) Anders als Sie war ich auf einem solchen Schiff. Ich würde Ihnen das auch empfehlen, ich würde der gesam- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ten AfD-Fraktion einmal drei Wochen auf einem Schiff Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Helge im Mittelmeer mit Bootsflüchtlingen empfehlen. Lindh, SPD-Fraktion. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die armen (Beifall bei der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Flüchtlinge! Bloß nicht!) Der Größte kommt!) Denn dann erkennen Sie, was es bedeutet, sich in einer Situation zu befinden als Mensch ohne das Recht, Rechte Helge Lindh (SPD): zu haben. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Andreas Bleck [AfD]: Mit uns würde das Herr Baumann, ich wollte eigentlich mit etwas Angeneh- gar nicht passieren! – Gegenruf vom BÜND- mem anfangen. Aber ich muss mit Ihnen anfangen. NIS 90/DIE GRÜNEN: So ein Bullshit!) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Ich denke, dass wir alle, ungeachtet wie wir zu diesen Das ist mein Schicksal. Ich frage mich immer – ich habe Anträgen stehen, in dem Gedanken geeint sein sollten, es immer noch nicht begriffen –, warum Sie es tatsäch- dass es nicht weiter sein darf, dass Menschen tagelang, lich in Ihren Programmen und manchen Reden wagen, wochenlang auf Schiffen darauf warten müssen, wieder sich auf das christliche Abendland zu berufen. Menschen zu werden, die ihre Rechte wahrnehmen kön- nen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11891

Helge Lindh (A) Wir können auch nicht hinnehmen – wider besseres Wir müssen sehen, wie wir einen Ad-hoc-Verteilmecha- (C) Wissen hinnehmen –, wie Menschen in libyschen La- nismus bekommen, der ad hoc, das heißt sofort, funkti- gern verrecken, vergewaltigt werden, Misshandlungen oniert und nicht nach Tagen oder Wochen. Im Rahmen erleben oder wie sie im Mittelmeer ertrinken. Ein kleines dessen kann ein Element tatsächlich sein, dass Kommu- Beispiel, das vor einigen Wochen passierte: Wenn nicht nen aufnehmen können. Aber da müssen wir uns erst ei- das Außenministerium, dem ich zu großem Dank ver- nig werden – und das sind wir keineswegs –, pflichtet bin, agiert hätte, wären nicht nur 8 Menschen von einem Boot mit 28 Menschen ertrunken, sondern es (Andreas Bleck [AfD]: Was hat das mit See- wären alle gestorben. Das heißt, es wäre vielleicht einmal notrettung zu tun?) diese Frage – jenseits aller großen Lösungen der Migra- ob jeder, der gerettet wird, tionspolitik – ein Punkt, an dem wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen könnten, um eine Lösung zu finden. (Andreas Bleck [AfD]: Das ist doch keine Das wäre mein Appell. Seenotrettung!) Jetzt komme ich aber zu dem, was ich eigentlich sa- automatisch eine Aufenthaltserlaubnis bekommt oder gen wollte, bevor Herr Baumann nachhaltig meine Laune ob jeder ein Asylverfahren durchlaufen muss. Das sind verdarb. Ich komme gerade von einer Veranstaltung im durchaus andere Ansätze. Forum der Allianz mit dem Titel #myeurope. Da erlebte man Hunderte von Leuten mit großer Begeisterung für Wenn Sie in Ihrem Antrag fordern, dass wir § 23 Ab- dieses Europa. Ich wünschte mir, solche Begeisterung satz 1 Aufenthaltsgesetz in eine Benehmenslösung um- natürlich auch in anderen Stadtteilen zu erleben, in Neu- wandeln, kölln, in meinem Wuppertal-Oberbarmen. Ich wünschte, die auch am Mittelmeer erleben zu können. Ich wünschte (Jürgen Braun [AfD]: Was hat Wupper- mir auch, dass wir alle in Fragen der Migration einmal tal-Oberbarmen mit dem Mittelmeer zu tun?) jenseits von Debatten über Abschiebung und über deren dann hieße das genau solches: dass jeder, der gerettet Weiterentwicklung – so notwendig die in diesem Bereich wird, eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bekommt. sein mögen – und auch ohne immer wieder die nächsten Das ist nicht die Position unserer Fraktion. Gleichwohl Toten beklagen zu müssen, aber auch ohne den anderen lasse ich mir von Ihnen nicht vorwerfen, dass wir uns wieder vorzuwerfen, dass sie entweder viel zu human gegen Seenotrettung aussprechen, keineswegs. Nur sind oder viel zu liberal seien, im Bereich der Migrationspoli- die Wege dahin durchaus unterschiedlich. tik endlich wieder Hoffnung einkehren lassen und mehr Kreativität und mehr Menschlichkeit und zugleich Prag- (Andreas Bleck [AfD]: Und das Rückfahrti- (B) matismus walten lassen. Insofern werte ich Ihre Anträge, cket!) (D) auch wenn ich sie nicht komplett teile, zumindest als ei- nen Anstoß, dass wir gemeinsam diese Hoffnung wagen Aber wir sollten geeint sein, alle, über Fraktionsgrenzen können. hinweg, dass wir diesen Zustand nicht weiter erdulden dürfen. Dafür müssen wir ringen. Ich möchte es nicht (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mehr erleben, dass wir in diesen permanenten Auseinan- Also, das ist ja wohl nichts!) dersetzungen hier immer parteipolitisch überformt im – Wieso? Frau Polat, Sie selber waren mit mir auf dem Modus des Vorwurfs einander deutlich machen, dass wir Mittelmeer und haben sich die Situation angeschaut. eigentlich die Vertreter der wahren Lehre sind. Was nutzt uns allen das? Was nutzt uns das, wenn wir dieses Land (Andreas Bleck [AfD]: Machen Sie konkrete immer mehr in die Spaltung treiben? Wir müssen beides Vorschläge!) gleichzeitig schaffen: Wir müssen diejenigen, die Skepsis Gemeinsam haben wir den Osterappell unterschrieben. haben, die zweifeln, die Angst haben gegenüber Zuwan- Es nützt aber nichts, wenn Sie sich jetzt in Ihren Anträ- derung, ernst nehmen und gleichzeitig diejenigen, die gen auf den Plan von Gesine Schwan, übrigens einer sehr Politik für Geflüchtete machen. Das ist verdammt noch geschätzten und herausragenden Sozialdemokratin, beru- mal unsere politische Aufgabe, das ist unsere Pflicht und fen, der aber als solcher ein Plan für die gesamteuropäi- Schuldigkeit, nicht mehr und nicht weniger. sche Migrationsfrage ist. Der Ansatz, den Sie hier unter- (Beifall bei der SPD) stützen, kann mit der Frage der Seenotrettung verbunden werden, aber er ist nicht der entscheidende Punkt. Es ist nicht hilfreich, zu sagen, wie es im Antrag der (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Linken steht, dass die EU die libysche Küstenwache aufrüsten würde, „damit diese“ die Menschen, die Ge- Wir können doch nicht suggerieren, dass allein davon retteten, in „Folter, Vergewaltigung und Tod … zurück- entscheidend abhängt, ob wir vorankommen. schleppt“. Man achte auf die Worte: „damit“! Wir kön- nen uns einig sein, dass da womöglich Fahrlässigkeit ist (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Nein!) und dass wir das in Kauf genommen haben. Wir brauchen dringender denn je endlich eine zivile, im Idealfall eine öffentliche, eine staatliche Seenotrettung.

Da sind sich viele hier in diesem Raum einig. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege Lindh, kommen Sie bitte zum Schluss. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Die gibt es doch längst! – Zuruf des Abg. Andreas Bleck [AfD]) (Andreas Bleck [AfD]: Ist auch besser so!) 11892 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Helge Lindh (SPD): entscheidet sich, ob Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile (C) Aber es nützt nichts – gerade vor der Europawahl –, sich ausbreiten oder eben Hilfsbereitschaft herrscht. Europa und der EU ins Gesicht zu schlagen, um damit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kooperation zu erreichen. der SPD und der LINKEN) Das ist vorbildlich für ein ganzes Land. Voraussetzung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dafür ist allerdings auch, dass die Städte und Gemein- Herr Kollege Lindh, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie den entsprechend finanziell ausgestattet werden und über haben jetzt noch einen Satz. Jahre hinaus die finanziellen Mittel zuverlässig bekom- men, die sie benötigen, um Flüchtlinge in das Berufsle- ben und in den Alltag zu integrieren. Ohne funktionieren- Helge Lindh (SPD): de Kommunen ist ein Staat nicht zu machen. Nein, wir müssen zusammen einen Weg finden, um Leben zu retten, um Menschen zu unterstützen. Das ist (Beifall bei der FDP) unsere Aufgabe und nicht eigene parteipolitische Ge- Der Bund muss daher seinen Verpflichtungen nach- winnspiele. kommen. Wenn der Bund Aufgaben bestellt, hat er sie gefälligst zu finanzieren. Da reicht keine Anschubfinan- Vielen Dank. zierung und „Dann schauen wir mal“, sondern er muss (Beifall bei der SPD) das Geld bereitstellen. (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE Vizepräsident Wolfgang Kubicki: LINKE]) Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Wir Abgeordnete, vor allen Dingen der Finanzminister, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Fraktion. sollten ihnen da keine Steine in den Weg legen. Es ist be- wiesen, dass Integration Zeit braucht und die Kommunen (Beifall bei der FDP – Philipp Amthor [CDU/ entsprechende Mittel. CSU]: Und der Name fehlerfrei!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Bei den Anträgen, die uns heute vorliegen, haben wir So, Leute, jetzt kommt mal runter, es ist ein ernstes deswegen ein Störgefühl. Ich sage Ihnen auch gerne, wa- Thema. rum. Für den Einsatz derjenigen, die sich organisieren, (B) (D) (Heiterkeit bei der CDU/CSU) um auf privaten Schiffen Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten, haben die Freien Demokraten ausgesprochen gro- – Es ist manchmal schon heftig, zwischen AfD- und ßen Respekt. Bei der privaten Seenotrettung darf man CDU-Herren zu sitzen. allerdings ein Problem nicht ignorieren – und man sollte auch, ich bitte darum, nicht naiv sein –: Die Schlepper (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der spekulieren darauf, dass solche Initiativen unterwegs AfD) sind, und packen im wahrsten Sinne des Wortes regel- Aber gut. recht Flüchtlinge in seeuntaugliche Boote und schicken sie aufs Meer, wenn ein solches Schiff auftaucht, (Andreas Bleck [AfD]: Sie können sich auch (Beifall bei Abgeordneten der AfD) zu den Grünen setzen!) drängen sie zu lebensgefährlichen Überfahrten und Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- riskieren deren Tod. Meine Damen und Herren, diese ren! Fast fünfzig Kommunen in Deutschland sind bereit, Schlepper minimieren dabei ihre eigenen Kosten und das freiwillig mehr Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, als sie Risiko, erwischt zu werden. Das ist Zynismus pur, und nach dem Königsteiner Schlüssel zugewiesen bekommen das ist unerträglich. haben. Das ist ein starkes Signal an uns alle, besonders in Zeiten, in denen in Teilen Europas ein menschenver- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten achtender Wettkampf tobt, nämlich dahin gehend, wer der AfD) die geringste Zahl an Flüchtlingen aufnehmen muss. Wir in diesem Haus diskutieren über viele Themen, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Fluchtursachenbekämpfung, Einwanderungsgesetz, auch Abg. Dr. Lars Castellucci [SPD]) über eine gesamteuropäisch organisierte Seenotrettung. Es ist schlichtweg wahr: Das Aussetzen der Seenotret- Diese Kommunen wollen Kapazitäten nutzen, so wie tung derzeit im Mittelmeer ist ein europäisches Armuts- auch in meiner Heimatstadt Düsseldorf. Hier sind sehr zeugnis. viele Unterkünfte für Flüchtlinge – übrigens ausschließ- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Heike lich mit kommunalen Mitteln – gebaut worden, die heute Hänsel [DIE LINKE]) aufgrund der nachlassenden Zahl nicht mehr komplett belegt sind. Für diese kommunalen Initiativen können Meine Damen und Herren, über ganz unterschiedliche wir nur dankbar sein. Das sollten wir auch. Denn die Lösungen sprechen wir hier. Die Verantwortung für diese Kommunen sind der Grundpfeiler der Demokratie. Dort Frage trägt letztlich die Bundesrepublik, das heißt, recht- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11893

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) lich ist der Bund zuständig, nicht die Kommunen. Die sen auch, dass Geschäft damit gemacht wird. Wir wissen (C) Frage, welche und wie viele Schutzsuchende in den Städ- auch, dass die libysche Küstenwache, die nicht eine fest- ten sind, muss vom Bund geregelt werden. Ich bin aller- stehende Institution ist, sondern ein Zusammenschluss dings der Meinung, dass der Innenminister die Kommu- von Milizen, ihren Anteil dazu beiträgt. Nur, was ist die nen unterstützen sollte, die Flüchtlinge aufnehmen. Die Alternative? Diese Frage müssen wir uns bei dieser De- Länder können das auch tun; das wurde gerade gesagt. batte immer wieder stellen. Es sind Menschen auf dem Eines darf nicht sein: dass das willkürlich geschieht, ge- Mittelmeer. Sie geraten in Seenot. Wir können nicht ein- wissermaßen auf Zuruf. Das können wir so nicht handha- fach wegschauen und sie sterben lassen. ben. Wir würden die Souveränität des Bundes auch nicht unterlaufen wollen. Deswegen können wir diesen Antrag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser Form nicht mittragen. sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- KEN – Andreas Bleck [AfD]: Sie können sie (Beifall bei der FDP – Filiz Polat [BÜND- wieder zurückbeamen!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr, sehr bedauer- Genau deswegen ist es uns wichtig, in diesem Zusam- lich!) menhang darüber zu reden: Was können wir machen? Denn es hört nicht auf. Seit über einem Jahr geht es so, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dass, sobald ein Schiff ein in Seenot geratenes Boot auf- Vielen Dank, Frau Kollegin Strack-Zimmermann. – findet und die Menschen rettet, die unsäglichen Diskussi- Die nächste Rednerin ist die Kollegin Luise Amtsberg, onen bei uns beginnen: Wer nimmt sie auf, was passiert? Bündnis 90/Die Grünen. Dann sind sie tage-, manchmal wochenlang auf offener See, und Europa verhandelt sich zu Tode. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist eine Situation, die wir lösen wollen. Sie ha- Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ben viel dazu gesagt, warum das, was in unserem Antrag steht, nicht geht. Aber dieser Antrag ist ein Versuch, eine Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- Lösung für genau diese Situation zu finden. leginnen und Kollegen! Fast eine Viertelmillion Men- schen sind bei der „Unteilbar“-Demonstration für eine (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- offene Gesellschaft auf die Straße gegangen. Tausende SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Menschen engagieren sich bei der „Seebrücke“, arbeiten Das ist das Einzige, was wir hiermit erreichen möchten: in der solidarischen Flüchtlingshilfe oder unterstützen dass wir darüber eine Debatte führen. Wir können sie die zivile Seenotrettung. gerne anders führen oder weiterführen. Wir sind offen (B) Sie alle wollen, dass Europa Verantwortung über- für andere Vorschläge. Das ist ein Weg, und wir möchten (D) nimmt, Verantwortung für Menschen, die vor dem Er- diesen diskutiert wissen in allem nötigen Respekt gegen- trinken bewahrt werden konnten und in Europa einen über den Menschen, die sich hier engagieren. Asylantrag stellen wollen. Ja, Herr Kuffer, es mag sein, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass es vielleicht nicht die Mehrheit ist – ich persönlich weiß es nicht –; aber ich finde, dass der Ausdruck der Gegen die Praxis, wie sie jetzt gerade stattfindet, regt Zivilgesellschaft gerade in den letzten Monaten Grund sich vermehrt zivilgesellschaftlicher Widerstand, und mit genug ist, dass wir uns mit den Vorschlägen hier im Par- Blick auf die Lage in Libyen – jetzt auch mit den neuen lament befassen. gewaltvollen Eskalationen – ist das sehr nachvollziehbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Immer mehr europäische Kommunen erklären sich zu sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sicheren Häfen und sogenannten Solidarity Cities. Ne- ben den bis jetzt 54 Kommunen in Deutschland – es wer- Ich persönlich und auch meine Fraktion, wir finden, den immer mehr – haben sich auch Städte in Europa zur dieses Engagement ist notwendig. Es ist notwendig, weil humanitären Aufnahme von Geflüchteten bereit erklärt: es die europäischen Mitgliedstaaten in vier Jahren nicht Palermo, Valencia, Athen und Amsterdam zum Beispiel. geschafft haben, eine gemeinsame, staatlich finanzierte und organisierte Seenotrettung auf den Weg zu bringen, Es ist die Zivilgesellschaft, aber auch die lokale Po- weil sie es bis heute nicht vermocht haben, legale, geord- litik, die damit auch der Bundesregierung, deren En- nete und sichere Wege für Menschen in Not zu schaffen. gagement bisher nicht zu einer Lösung geführt hat, einen Die zivilen Seenotretterinnen und Seenotretter – das ist Spiegel vorhält. Es ist die Zivilgesellschaft, aber auch die das Ergebnis des Ganzen – füllen die Lücke, die das ak- lokale Politik, die Angebote macht, um dieses unwürdige tive Nichthandeln der europäischen Mitgliedstaaten hin- Geschacher um die Aufnahme von auf dem Mittelmeer terlässt. Dafür sollten wir dankbar sein. geretteten Flüchtlingen endlich zu beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist das, was die grüne Fraktion mit diesem Antrag zum Ausdruck bringen möchte und auch unterstützt. Wir Hier möchte ich gern meiner Kollegin von der FDP, bekommen Unterstützung aus dem Bundesrat, wo die Frau Strack-Zimmermann, antworten: Es ist nicht falsch, europäische Solidarität und die Änderung des § 23 im was Sie sagen; was auf dem Mittelmeer passiert, hängt Vordergrund stehen. mit der Situation in Libyen zusammen. Wir wissen um die Not der Menschen. Wir wissen auch, dass viele Aber ich gebe Ihnen auch recht: Das ist natürlich nicht Menschen auf die Boote gezwungen werden. Wir wis- das Gesamtpaket der Lösung. Das ist auch klar, und das 11894 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Luise Amtsberg (A) gehört zur Wahrheit dazu. Ein rein nationales Engage- recht, welches wir auch in der vergangenen Legislatur- (C) ment ist zu kurz gegriffen. Es braucht auf europäischer periode noch einmal gemeinsam reformiert haben. Um Ebene ein klares Signal zur Unterstützung der Kommu- dieses gute Recht noch ein Stück weit besser zu machen, nen. Da reicht der bisherige Asyl-, Migrations- und In- haben wir den Gesetzentwurf heute vorgelegt und stellen tegrationsfonds nicht aus. Deshalb haben wir auch das wir ihn zur Abstimmung. in unserem Antrag aufgegriffen. Städte und Kommunen müssen dazu befähigt werden, eigenständig Aufnahme- Warum war das nach dieser Zeit notwendig? Es haben programme auf den Weg zu bringen. Nur so kann aus sich in der Praxis einige Anpassungsmodalitäten zu dem der Bereitschaft der Kommunen, die wir sehr schätzen, schon bestehenden sehr, sehr guten Fahrlehrerrecht erge- tatsächliches Handeln werden. ben, und die wollen wir heute aufgreifen. Danke schön. Lassen Sie mich kurz zurückblicken, weil das aktuelle Fahrlehrerrecht noch nicht ganz so lange in Kraft ist, da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mals aber doch wirklich erhebliche Eingriffe vorgenom- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) men wurden, die auch richtig waren: Wir haben schon damals das Mindestalter auf 21 Jahre Vizepräsident Wolfgang Kubicki: herabgesetzt und den Berufszugang insgesamt deutlich Vielen Dank, Frau Kollegin Amtsberg. attraktiver gestaltet, und wir haben mittlerweile auch so Die Kollegen Alexander Throm und Hans-Jürgen wichtige Dinge wie gesundheitliche Eignungsanforde- ­Irmer, CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Reden zu Proto- rungen eigenständig im Fahrlehrerrecht geregelt. koll gegeben. Damit ist die Aussprache beendet.1) Auch Regelungen dazu, wie pädagogisch qualifiziert Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf ein Fahrlehrer sein muss, sind mittlerweile im Gesetz den Drucksachen 19/8648 und 19/9275 an die in der verankert, und ich denke, das macht auch Sinn. Denn Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. diejenigen, die unseren jungen Menschen das Fahren Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. beibringen sollen und müssen, müssen natürlich selber Dann sind die Überweisungen so beschlossen. wesentlich mehr können, als nur selbst gute Autofahrer zu sein. Sie müssen natürlich Pädagogen sein, und sie Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: müssen jetzt beispielsweise auch Kenntnisse über nach- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- haltige Mobilität haben und wissen, wie Elektromobilität regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- funktioniert, was Fahrassistenzsysteme sind und wie man zes zur Änderung des Fahrlehrergesetzes damit umgeht. (B) (D) Drucksache 19/8751 Auf das sind wir bereits eingegangen, und obwohl das alles eigentlich schon ziemlich genau geregelt war, sehen Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wir uns nun durchaus in der Lage und vor der Notwen- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur digkeit, noch einige Dinge anzupassen und zu optimie- (15. Ausschuss) ren. Insbesondere geht es hier um das Mindestalter, ab Drucksache 19/9863 dem man Fahrlehrer sein darf. In der gesetzlichen Re- gelung hatten wir es auf 21 Jahre festgelegt. Das passen b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Torsten wir jetzt an das an, was so erfolgreich als Pilotversuch Herbst, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer gestartet ist, das begleitete Fahren ab 17, und wir normie- Abgeordneter und der Fraktion der FDP ren jetzt nicht mehr ein konkretes Mindestalter, sondern Verkehrssicherheit durch Reform des Beglei- eine dreijährige Fahrerfahrung als Voraussetzung dafür, teten Fahrens ab 17 Jahren erhöhen den Beruf zu erlernen. Drucksache 19/9921 Wir haben mit der letzten Reform bereits sehr, sehr Überweisungsvorschlag: weitgehende Fortbildungspflichten normiert. Auch das, Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur denke ich, war absolut notwendig. Um für Ausbildungs- fahrlehrer diese Fortbildungspflichten verbindlich zu Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für machen, führen wir jetzt eine amtliche Anerkennung für die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu Ausbildungsfahrlehrer ein. Auch das ist, glaube ich, ein keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. sehr wichtiger Punkt. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nerin das Wort der Kollegin Daniela Ludwig, CDU/ ordneten der SPD) CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Und wie das so ist – auch bei eigentlich schon sehr gu- ten Gesetzentwürfen –: Der Bundesrat hat einige Anmer- kungen dazu gemacht – in vielen Teilen redaktioneller Daniela Ludwig (CDU/CSU): Natur, in vielen Teilen aber auch materieller Natur –, die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir durchaus richtig waren und die wir gerne aufgenommen haben in Deutschland bereits ein sehr gutes Fahrlehrer- haben. Deswegen möchte ich Ihnen, meine lieben Kolle- ginnen und Kollegen, dieses erneut reformierte Fahrleh- 1) Anlage 7 rerrecht unmittelbar ans Herz legen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11895

Daniela Ludwig (A) Liebe FDP, wir haben heute eine Aufgabenteilung auch, dass man sich innerhalb der EU dafür starkmachen (C) vorgenommen. Der Kollege Storjohann hätte gerne noch soll, das Ganze zu regeln. was zu Ihrem Antrag gesagt. In Anbetracht der fortge- schrittenen Zeit haben wir uns dazu entschieden, diese (Michael Theurer [FDP]: Also, wegen dem Rede zu Protokoll zu geben.1) muss man die EU jedenfalls nicht abschaffen!) – Darauf komme ich noch zu sprechen. (Michael Theurer [FDP]: Wir auch!) (Lachen bei der FDP – Michael Theurer Ich möchte sie Ihnen aber dringend ans Herz legen, damit [FDP]: Ich hab‘s geahnt!) es nicht heißt, ich hätte hier nichts dazu gesagt. In Artikel 4 Absätze 4b und 4c ist das Mindestal- Insofern werden wir, glaube ich, den Austausch auch ter für den Erwerb der Führerscheinklassen B und BE hier im Plenum weiter fortsetzen. in den EU-Mitgliedstaaten auf 18 Jahre festgelegt. Die (Michael Theurer [FDP]: Sie begrüßen unse- Mitgliedstaaten können davon in geringem Maße abwei- ren Antrag!) chen; sie können das Mindestalter für die Klassen B und BE auf maximal 17 Jahre senken. Genau das ist mit Ar- In diesem Sinne vielen herzlichen Dank. tikel 4 Absatz 6d dieser Verordnung EU-weit geregelt. (Beifall bei der CDU/CSU) Tja, Kollegen von der FDP, was nun? Sie haben schon die EU angesprochen. Es ist schon interessant, wie weit die EU in die Belange der europäischen Nationalstaaten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: eingreifen kann. Das sollten wir hier national – ohne die Vielen Dank, Frau Kollegin. Sie werden nicht er- EU – regeln können. leben, dass die FDP hierauf reagiert, weil der Kollege Torsten Herbst seine Rede zu Protokoll gegeben hat.2) – (Beifall bei der AfD – Michael Theurer [FDP]: Als nächster Redner hat der Kollege Andreas Mrosek, Es ist vorteilhaft, wenn man mit dem Führer- AfD-Fraktion, das Wort. schein über die Grenze fahren kann!) (Beifall bei der AfD) Kommen wir aber mal zum Stand der Begleitbedin- gungen. Wer darf Begleitperson werden? Mindestalter 30 Jahre, fünf Jahre ununterbrochener Besitz der Führer- Andreas Mrosek (AfD): scheinklasse B und maximal ein Punkt in Flensburg! Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Frau (Kirsten Lühmann [SPD]: Richtig! Gut so!) (B) Ludwig ist schon sehr deutlich auf diese Beschlussemp­ (D) fehlung des Ausschusses eingegangen. Ich hatte im Aus- – Das ist gut so. schuss vorgetragen. So kann ich mich jetzt ganz beruhigt dem Antrag der FDP widmen und etwas dazu sagen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion soll das be- Herr Kollege, Sie müssen jetzt bedauerlicherweise gleitete Fahren ab dem 16. Lebensjahr unter den damit zum Schluss kommen. neu zu regelnden Rahmenbedingungen, auf die ich dann noch separat eingehen werde, ermöglichen. Andreas Mrosek (AfD): (Michael Theurer [FDP]: Aha!) Der größte Blödsinn dabei ist aber die Ein-Punkt-Re- gelung, und das kritisieren Sie in Ihrem Antrag ja auch Es ist kein schlechter Antrag. Er erinnert mich an das zu Recht. Versuchsprojekt AM15, welches als Erfolg betrachtet werden kann. Die Unfallstatistiken in Sachsen-Anhalt zu (Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Die Zeit ist diesem Erfolgsprojekt AM15 zeigen das auch; sie sind um!) durchaus positiv zu bewerten. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir von der AfD können uns auch ein begleitetes Fah- ren ab 16 vorstellen. In der Regel beginnen viele Men- Herr Kollege Mrosek, Sie haben jetzt noch einen Satz. schen mit 16 ihre Berufsausbildung. Sie zeigen, dass (Marianne Schieder [SPD]: Auch der ist zu sie in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen und viel!) dies auch erlernen zu können. Im Übrigen gilt das auch für das Versuchsprojekt AM15. Auch da müssen junge Menschen schon verantwortungsvoll im Straßenverkehr Andreas Mrosek (AfD): handeln. Ein Fahrlehrer darf mit mehreren Punkten in Flens- burg seinen Beruf weiter ausüben; eine Begleitperson Dem Antrag der FDP widerspricht gegenwärtig je- darf nicht mehr als einen Punkt haben. doch die EU-Richtlinie 2006/126/EG, bei der es auch um die Führerscheinerteilung geht. Sie fordern im Antrag ja (Das Mikrofon wird abgeschaltet) Damit kann der Fahrlehrer – – 1) Anlage 8 2) Anlage 8 (Beifall bei der AfD) 11896 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C) Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzo- die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu gen. Sie dürfen sich jetzt auf Ihren Platz begeben. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die Kolleginnen und Kollegen Elvan Korkmaz, Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- SPD-Fraktion, Torsten Herbst, FDP-Fraktion, Thomas ner dem Kollegen Martin Burkert, SPD-Fraktion – der es Lutze, Die Linke, Daniela Wagner, Bündnis 90/Die Grü- kaum erwarten kann –, das Wort. nen, und Gero Storjohann, CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Damit ist die Aus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sprache geschlossen. der CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 18 a. Wir kommen zur Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Martin Burkert (SPD): Gesetzentwurf zur Änderung des Fahrlehrergesetzes. Guten Abend, Herr Präsident! Wenn Sie aufs Tempo Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur drücken, wollen wir das auch tun. – Liebe Kolleginnen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- und Kollegen! Häufigere Zugverbindungen, besserer che 19/9863, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Service, niedrigere Fahrpreise und immer mehr Europä- auf Drucksache 19/8751 in der Ausschussfassung anzu- erinnen und Europäer, die dazu veranlasst werden, den nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Zug zu nutzen: Das steckt hinter der europäischen Richt- der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- linie 2016/2370, die im Rahmen des vierten Eisenbahn- zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Da- pakets verabschiedet wurde. mit ist dieser Gesetzentwurf in der Ausschussfassung in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-, der In diesem Lichte ist also der vorliegende Gesetzent- SPD-, der FDP- und der AfD-Fraktion gegen die Stim- wurf zur Marktöffnung für inländische Schienenperso- men von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke ange- nenverkehrsdienste zu betrachten. Vor Verabschiedung nommen. der EU-Richtlinie im Rahmen des vierten Eisenbahnpa- ketes im Dezember 2016 war diese Marktöffnung nur in Dritte Beratung Großbritannien und Schweden bereits der Fall. Meine und Schlussabstimmung. sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen: Europa ist die Antwort. (Zuruf von der FDP: Dann erheben wir uns mal!) Die Bundesregierung hat sich mit dem Gesetzent- wurf eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Regelung in der (B) – Ich komme jetzt dazu; genau. – Ich bitte diejenigen, Richtlinie „wo immer möglich“ vorgenommen. Ich wür- (D) die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- de sagen: wo immer nötig. Denn die Bestimmungen der ben. – Wer stimmt dagegen? – Dann stelle ich fest, dass zugrunde liegenden EU-Richtlinie sind zu einem großen mit der gleichen Stimmenmehrheit – weil wir keine Ent- Teil schon in den Vorschriften unseres nationalen Regu- haltungen haben – der Gesetzentwurf in dritter Lesung lierungsrechts enthalten, vor allem im Eisenbahnregulie- angenommen worden ist. rungsgesetz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Das ERegG wurde bereits im Hinblick auf die Richt- Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Bravo!) linie erarbeitet und ist gut zwei Monate vor deren Ver- Tagesordnungspunkt 18 b. Interfraktionell wird Über- abschiedung in Kraft getreten. Es regelt den Zugang zur weisung der Vorlage auf Drucksache 19/9921 an den regulierten Infrastruktur und die Nutzungsentgelte und Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur vorge- enthält Regelungen zur Unternehmensorganisation. schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Es ist schon zweieinhalb Jahre her, aber ich möchte noch mal betonen, dass hinsichtlich der ewigen Debatte, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: liebe Grünen, um die Trennung von Netz und Betrieb bei Erste Beratung des von der Bundesregierung den damaligen Verhandlungen über das vierte Eisenbahn- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- paket in Brüssel eine sehr gute Lösung gefunden wurde. setzung der Richtlinie (EU) 2016/2370 vom (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 14. Dezember 2016 zur Änderung der Richt- linie 2012/34/EU bezüglich der Öffnung des Hier von Berlin aus noch mal mein Dank an unsere Marktes für inländische Schienenpersonen- Kolleginnen und Kollegen von der S&D-Fraktion im Eu- verkehrsdienste und der Verwaltung der Ei- ropäischen Parlament. Namentlich darf ich heute einmal senbahninfrastruktur erwähnen, der die Verhandlungen begleitet hat. Vielen Dank, lieber Ismail! Drucksache 19/9738 Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der SPD – Michael Theurer Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) [FDP]: Guter Mann!) Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Ich sage auch deutlich: Wir stehen zum konzernin- ternen einheitlichen Arbeitsmarkt. Wir stehen zum in- 1) Anlage 8 tegrierten Konzern. – Da sage ich auch unserem Koa- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11897

Martin Burkert (A) litionspartner vielen Dank, der das auch immer wieder vielseitiger, kundenorientierter und günstiger gestaltet (C) deutlich macht. werden. Deswegen bleibt es dabei: Europa ist die Ant- wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Michael Donth [CDU/CSU]) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ein Wermutstropfen bleibt: Die sozialdemokratische der CDU/CSU) Fraktion im Europaparlament hatte bis zuletzt versucht, einen verbesserten Schutz der Arbeitnehmerrechte in die Verordnung zur Marktöffnung einzufügen, nämlich die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: verpflichtende Personalübernahme bei Betreiberwech- Vielen Dank, Herr Kollege Burkert. – Als nächs- sel. Dies betrifft viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit- ter Redner hat das Wort der Kollege Wolfgang Wiehle, nehmer – im Übrigen nicht nur bei der Schiene, sondern AfD-Fraktion. vor allem auch beim Bus, wie wir wissen. Bis auf we- (Beifall bei der AfD) nige Ausnahmen für die Direktvergabe müssen seitdem Schienenverkehrsdienstleistungen verpflichtend ausge- schrieben werden. Aufgrund der Initiative der SPD-Bun- Wolfgang Wiehle (AfD): destagsfraktion konnte dem hier in Deutschland mit der Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kol- GWB-Novelle jedoch Gott sei Dank – auch dank der legen! Die AfD unterstützt eine Regulierung im Eisen- Union – rechtzeitig ein Riegel vorgeschoben werden. bahnverkehr, die die Bereitstellung des Schienennetzes vom Bahnbetrieb sauber trennt und den verschiedenen In vielen anderen Ländern gibt es das nicht. Von den Betreibern einen fairen Zugang zum Schienennetz si- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hängt aber die chert. Leistungsfähigkeit des europäischen Schienenverkehrs ab. Wir werden deshalb weiter für die Rechte der Be- Jetzt sollen wir ein Gesetz zu diesem Thema abnicken, schäftigten im Verkehrsbereich eintreten, meine sehr ver- das eine EU-Richtlinie – wir haben es schon gehört – fak- ehrten Damen und Herren. tisch eins zu eins umsetzen soll. (Marianne Schieder [SPD]: Zustimmen! Zu- Den Kern des Gesetzentwurfs bilden die Entflech- stimmung reicht schon! – Gegenruf des Abg. tungsvorgaben und damit einhergehend Änderungen im Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Genau! Wir ERegG. Dabei geht es unter anderem um die finanzielle sind hier ja nicht bei der AfD!) Transparenz und die Bedingungen für eine Dividenden- (B) ausschüttung. Stellt sich eigentlich – vielleicht in einer ruhigen Abend- (D) stunde – mal jemand in der Bundesregierung die Frage, Was die Einnahmenverwendung angeht, so soll es ob das Durchwinken Brüsseler Vorgaben durch die deut- weiterhin möglich sein, dass ein Betreiber der Schie- schen Musterschüler wirklich immer klug ist? nenwege eines vertikal integrierten Konzerns – wie der DB AG – seine Gewinne erst an die Konzernmutter wei- (Beifall bei der AfD – Kirsten Lühmann terleitet und diese die Gewinne sodann als Dividende [SPD]: Also, wir beraten und beschließen! wiederum an den staatlichen Eigentümer zahlt. Wenn Sie das durchwinken wollen, können Sie das tun! Aber das ist keine demokratische Es geht also letztlich darum, den mit der Leistungs- Arbeit!) und Finanzierungsvereinbarung II etablierten und be- Viele Strukturprobleme der Deutschen Bahn löst dieser währten Finanzierungskreislauf Schiene abzusichern. Gesetzentwurf gerade nicht, und andererseits kaut er Vor- Wen das im Detail interessiert, der kann sich einmal an gaben wieder, die für Deutschland völlig irrelevant sind. Herrn Staatssekretär Ferlemann wenden, der das exzel- lent erklären kann. Die Infrastrukturabteilungen der Bahn – allen voran die DB Netz – dienen der Daseinsvorsorge und damit (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Donth zweifellos einer öffentlichen Aufgabe. [CDU/CSU]: Guter Mann!) (Michael Theurer [FDP]: Daran hindert die Bei den geltenden Zugangsregelungen sind keine gro- EU sie aber nicht!) ßen Änderungen vorgesehen. Denn die Marktöffnung Der Bahnbetrieb – Fern-, Regional- und Güterverkehr – für inländische Schienenpersonenverkehre wurde in muss sich dem Wettbewerb stellen. Beides organisato- Deutschland bereits im Großen und Ganzen erreicht; auf risch zu entflechten und damit für mehr Transparenz zu unseren Schienen fährt ja die ganze Welt. Ich würde die sorgen, ist gut und richtig. Aber wir dürfen bei der Trans- Franzosen bitten, dies endlich ebenfalls umzusetzen und parenz nicht auf halbem Wege stehen bleiben. ihren Markt zu öffnen. Nach wie vor werden Abgeordnete dieses Bundestages Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen in den Bahn-Aufsichtsrat entsandt, und sie unterliegen den Gesetzentwurf im Lichte der EU-Richtlinie und des dann nach dem Aktienrecht umfangreichen Geheimhal- vierten Eisenbahnpakets betrachten. Durch die europa- tungsregeln. Nach wie vor gibt es kaum durchschaubare weite Marktöffnung kann das Entstehen neuer Geschäfts- Finanzströme bei der Netzinstandhaltung im Rahmen der modelle gefördert und das Angebot für Bahnreisende sogenannten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarun- 11898 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Wolfgang Wiehle (A) gen. Nach wie vor nimmt die Deutsche Bahn als Gesamt- Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen hat seine (C) konzern immer mehr Schulden auf, agiert aber gleichzei- Schienengüterverkehrsstudie vorgelegt und deutlich ge- tig mit fragwürdigen Unternehmensbeteiligungen in aller macht, mit welchen Maßnahmen sich der Verkehrsanteil Welt. der Schiene im Güterbereich bis zum Jahr 2035 verdop- peln lässt. Notwendig ist demnach der gezielte Ausbau Das alles ist das Gegenteil von Transparenz. Hier des Schienennetzes im Rahmen der Umsetzung des Bun- greift Ihre Politik viel zu kurz. desverkehrswegeplans und durch zusätzliche eher klei- (Beifall bei der AfD) nere Maßnahmen wie Streckenelektrifizierungen und Blockverdichtungen. Gleichzeitig soll die Bundesnetzagentur nach dem Ge- setzentwurf künftig etwas regulieren, was es in Deutsch- Das zweite Topbahnereignis war die Vorstellung der land gar nicht gibt, nämlich Hochgeschwindigkeitszüge, Ergebnisse des Zukunftsbündnisses Schiene mit Forde- die Strecken über 200 Kilometer fahren, ohne zwischen- rungen wie dem Ausbau der Großknoten und Engpass- durch zu halten. korridore sowie der Elektrifizierung und Digitalisierung. (Martin Burkert [SPD]: Echt? Gibt’s so was? – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ist ja Zurück zur EU-Richtlinie 2016/2370. Die Ziffer 3 furchtbar!) könnte dafür stehen, dass die Haushaltsmittel für den Aus- und Neubau der Schienenwege auf 3 Milliarden Das mag es auf den TGV-Strecken in Frankreich geben. Euro erhöht werden müssten. Nur dann lassen sich die Wir fahren in Deutschland eine andere Strategie. Unse- notwendigen Maßnahmen zur Netzerweiterung auch tat- re ICEs bedienen auch mittelgroße Städte und nicht nur sächlich finanzieren. die Metropolen, und das will hoffentlich auch niemand ändern. Die Ziffer 7 hingegen könnte für den Erwägungs- (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Na ja!) grund 7 der EU-Verordnung stehen. Darin geht es um die Anforderungen zur Gewährleistung der Unabhängigkeit Warum übernimmt die Bundesregierung dann aber in ih- des Infrastrukturbetreibers. Unsere grüne grundsätzli- rem Gesetzentwurf diese Brüsseler Vorgabe eins zu eins? che Position ist klar: pro fairem Wettbewerb, pro freiem Netzzugang, pro Trennung von Verkehrs- und Infrastruk- Meine Damen und Herren, Sie sehen: Die Eins-zu- eins-Umsetzung verfehlt das Thema Transparenz in tursparten bei der Deutschen Bahn. Die Koalition aus entscheidenden Punkten und ist in diesem Falle einfach Union und SPD hält aber am integrierten Konzern fest. Unsinn. Ein solcher setzt eine weiterhin komplizierte bürokrati- (B) sche Regulierung voraus. (D) (Beifall bei der AfD) Ein weiterer Punkt, der in nationales Recht umgesetzt werden soll, betrifft die Eisenbahnverkehrsunternehmen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sie sollen Notfallpläne aufstellen. Die Unternehmen Der Kollege Michael Donth, CDU/CSU-Fraktion, der müssen sich abstimmen, um bei größeren Störungen den Kollege Torsten Herbst, FDP-Fraktion und die Kollegin Fahrgästen beim Weiterkommen helfen zu können. Das Sabine Leidig, Die Linke, haben ihre Reden zu Proto- unterstützen wir natürlich. koll gegeben.1) Als nächster Redner hat der Kollege Matthias Gastel, (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Ich komme zur letzten Ziffer der Zahl 2370: Die 0 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – könnte für das stehen, was wir uns in der Bahnpolitik Michael Donth [CDU/CSU]: Man muss die nicht leisten können, nämlich eine Nullrunde drei Minuten nicht ausschöpfen!) (Michael Donth [CDU/CSU]: Am Redner- Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): pult!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- im nächsten Haushalt, be Kollegen! Jetzt, um kurz vor Mitternacht, könnten wir passenderweise auch über Nachtzüge debattieren. Es (Michael Donth [CDU/CSU]: Ach so!) geht aber um die EU-Richtlinie 2016/2370. Für was könnten die Ziffern 2, 3, 7 und 0 stehen? Die damit nicht am Ende der Bundesverkehrswegeplan 2030 Ziffer 2 könnte für das Ziel stehen, die Anzahl der Fahr- zum Bundesverkehrswegeplan 2050 wird. Deswegen ist gäste bei der Bahn bis 2030 zu verdoppeln. Dafür sind es wichtig, es nicht bei dem, was Sie wollen – die Eins- Spielregeln erforderlich, die mithilfe von EU-Richtlinien zu-eins-Umsetzung –, zu belassen, sondern wir als Grüne ausgestaltet werden können. wollen ein „1 : 0“ für die Bahn im Wettbewerb mit dem Auto, mit dem Lkw und mit dem Flugzeug, und wir sind Die Ziffer 2 könnte aber auch für die zwei Topbahner- auch bereit, dafür das entsprechende Geld bereitzustel- eignisse dieser Woche stehen: len.

1) Anlage 9 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11899

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kinder sind noch unbelastet von den Konflikten der (C) Herzlichen Dank, Herr Kollege Gastel. – Der Kolle- Erwachsenen. Bildung würde deren Selbstbewusstsein ge Florian Oßner, CDU/CSU-Fraktion, hat seine Rede stärken, gäbe den Kindern ein besseres Verständnis von zu Protokoll gegeben.1) – Damit sind wir am Ende der Demokratie und würde somit entscheidend zur Lösung Aussprache. von Konflikten sowie zu mehr Toleranz beitragen. Dafür müssen die Kinder allerdings in einem stabilen Umfeld Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- aufwachsen. Das gibt ihnen Sicherheit und Vertrauen. wurfs auf Drucksache 19/9738 an die in der Tagesord- Der tägliche Gang zur Schule ist hier ein enorm hilfrei- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es cher Teil. dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Um keinen Zweifel offenzulassen: All dies trifft so- wohl auf Jungen wie auf Mädchen zu. Allerdings wissen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: wir auch: Im Kriegs- und Krisenfall sind es besonders die Beratung des Antrags der Abgeordneten Ottmar Mädchen, die benachteiligt sind. Mädchen sind weltweit von Holtz, Uwe Kekeritz, Anja Hajduk, weiterer zweieinhalbmal häufiger vom Schulunterricht ausge- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ schlossen als Jungen. Wo der Zugang zu Bildung knapp DIE GRÜNEN und teuer wird, werden in vielen Ländern als Erstes die Mädchen davon ausgeschlossen. Das Recht von Mädchen auf Bildung und Ge- sundheit in Krisen- und Konfliktgebieten stär- Gehen Mädchen dagegen zur Schule, heiraten sie im ken und die G7-Deklaration zügig und konse- Schnitt dreimal seltener im minderjährigen Alter. Als quent umsetzen Teenager werden sie seltener schwanger, und sie sind besser vor Menschenhandel, Prostitution und Kinderar- Drucksache 19/6439 beit geschützt. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF hat Überweisungsvorschlag: ermittelt, dass mehr Bildungsgerechtigkeit zwischen Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Mädchen und Jungen die Wahrscheinlichkeit von gewalt- lung (f) samen Konflikten um 37 Prozent verringert. Auswärtiger Ausschuss Doch für eine sichere Zukunft braucht es mehr als den Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Schulbesuch. Ein Kind braucht genug zu essen und zu die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu trinken, einen sicheren Schulweg, medizinische Versor- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. gung und hygienische Sanitäranlagen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- (B) Die traumatischen Erfahrungen, insbesondere verur- (D) ner dem Kollegen Ottmar von Holtz, Bündnis 90/Die sacht durch sexualisierte Gewalt, die vor allem Mädchen Grünen, das Wort. in Krisengebieten erleiden, müssen professionell aufge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fangen werden. Anspruch und Wirklichkeit, was die Stär- kung der Rechte von Mädchen insbesondere in Krisenre- gionen angeht, klaffen leider noch weit auseinander, und Ottmar von Holtz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wir in Deutschland sind noch weit weg von dem, was Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Spre- beispielsweise Schweden, Kanada oder die Niederländer cher für zivile Krisenprävention beschäftige ich mich tun. nun schon seit Beginn der Legislatur intensiv mit den Krisenregionen unserer Welt. So war ich beispielsweise Im Entwicklungsausschuss haben wir gehört, dass es mit dem Unterausschuss „Zivile Krisenprävention, Kon- zwar Mittel für den Dachverband International Planned fliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ in Kamerun. Parenthood Federation und den Bevölkerungsfonds Im Norden des Landes treibt Boko Haram ihr Unwesen. UNFPA gibt, aber erstens sind sie zu gering, und zweitens Menschen müssen aus ihren Dörfern fliehen, die Kinder sind diese Mittel von Kürzungen bedroht. Das dürfen wir können nicht in die Schule gehen. Zeitgleich baut sich im nicht zulassen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Südwesten Kameruns ein blutiger Konflikt auf, in dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bewaffnete Milizen Schulen niederbrennen, Schülerin- sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP nen und Schüler entführen, Ausgangssperren verhängen und der LINKEN) und somit den schulischen Alltag komplett lahmlegen. Hinzu kommt: Derzeit werden weniger als 3 Prozent Im Jemen und in Syrien werden immer wieder Schu- der humanitären Hilfe für Bildung ausgegeben. Das be- len bombardiert, obwohl das ein Kriegsverbrechen und deutet, weltweit fehlen rund 8,5 Milliarden Euro. somit streng verboten ist. Herr Staatsminister, mit der von Ihrem Haus angesto- Entführungen von Schülerinnen und Schülern gab es ßenen Resolution 2467 des UN-Sicherheitsrates haben schon in den 70ern. Dies ist einer dieser Dauerbrenner, Sie kürzlich die Aufmerksamkeit auf das große Problem um die sich die Weltgemeinschaft endlich – ich betone der sexuellen Gewalt in bewaffneten Konflikten gelenkt. ausdrücklich: endlich – kümmern muss. Das ist gut und richtig. Folgerichtig wäre es, wenn wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) jetzt ganz besonders bei der Bildung und Gesundheit von Mädchen nachliefern würden. 1) Anlage 9 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11900 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Ottmar von Holtz (A) Bald beschließen wir hier im Bundestag den Haushalt, Gerade aus diesen und vielen anderen Gründen haben (C) und ich appelliere an die Bundesregierung: Planen Sie wir als CDU/CSU-Fraktion mit unserem Koalitionspart- ausreichend Geld dafür ein! ner SPD, hat die Bundesregierung und – vor allem – hat unser Entwicklungsminister Gerd Müller die Mittel für Vielen Dank. die Bildungsmaßnahmen in der Entwicklungszusammen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN arbeit in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt – sowie bei Abgeordneten der SPD) von 409 Millionen Euro im Jahr 2013 auf 970 Millionen Euro im Jahr 2018. Ich finde, man kann, darf und muss auch einmal positiv herausstellen, was hier geleistet wird. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat Ich möchte gar nicht auf alle einzelnen Punkte einge- das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/ hen – auch mit Blick auf die Uhr nicht. Nur so viel: CSU-Fraktion. Für den globalen Fonds im Bereich der Bildungspart- (Beifall bei der CDU/CSU) nerschaften haben wir den Beitrag binnen zwei Jahren auf nun 37 Millionen Euro vervierfacht. Wir unterstützen mit 31 Millionen Euro den Bildungsfonds für Maßnahmen in Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Not- und Krisenregionen und sind damit viertgrößter Ge- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ber . Auch das Thema Gleichberechtigung ist für uns und Kollegen! Bildung ist zentral für ein selbstbestimmtes unsere ganzen Initiativen ein wichtiges Thema. Es gibt Leben, Bildung ist zentral für den Wohlstand einer Na- die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“. Auch tion, und Bildung ist zentral für die Zukunftsperspek- hier sind Kinder und Jugendliche die Hauptzielgruppen – tiven. Das gilt hier bei uns und natürlich auch auf der insbesondere bei der beruflichen und schulischen Quali- ganzen Welt. Bildung ist ein Menschenrecht und eines fikation. Die Zusagen vom G-7-Gipfel im Umfang von der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030, und genau 75 Millionen US-Dollar möchte ich auch nur ganz kurz deshalb ist Bildung ein zentraler Bereich unserer Ent- erwähnen. wicklungspolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, viele (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihrer Forderungen sind bereits in der Umsetzung. Auch Wir haben 2015 eine Bildungsstrategie verabschiedet wir wollen vermeiden, dass eine verlorene Generation und uns dabei an den Bildungszielen der Agenda 2030 heranwächst, auch wir wollen vermeiden, dass mangels orientiert. Das heißt, unser Ansatz ist „Lebenslanges Ler- Perspektiven Radikalisierung entsteht, und auch wir wol- len Mädchen und Frauen schützen und ihnen dieselben (B) nen“. Alle Bildungsbereiche werden gefördert – begin- (D) nend bei der frühkindlichen Bildung bis hin zur Erwach- Chancen wie Jungen und Männern geben. senenbildung. Es geschieht also eine ganze Menge. Wir verweisen Unsere Kernanliegen sind ein chancengerechter Zu- Ihren Antrag in den Ausschuss und beraten ihn gerne. gang zur Bildung und qualitative Angebote. Unser En- Die Themen, die Sie ansprechen, sind aber bereits in der gagement in der Welt ist hier enorm wichtig. Gerade in Umsetzung. Krisen- und Konfliktregionen ist nämlich zu befürchten, Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich dass eine Generation heranwächst, der die elementaren noch über eine persönliche Erfahrung berichten. Bei ei- Bildungsgrundlagen, wie Lesen, Schreiben, Rechnen, ner Reise in den Irak, in das zerstörte Mosul, habe ich fehlen. in hoffnungsfrohe Kinderaugen blicken können, in die Viele Aufnahmeländer schließen Kinder und Jugendli- hoffnungsfrohen Augen von Kindern, die in ihre wieder che von ihren nationalen Bildungssystemen aus. 35 Mil- aufgebaute Schule gehen durften, in die Schule, die wir lionen der weltweit Geflüchteten sind minderjährig. wieder aufgebaut haben. Hinzu kommen noch mal rund 75 Millionen Kinder und Dieses Bild lässt mich nicht los, und dieses Bild prägt. Jugendliche, die aufgrund von Krisen und Katastrophen Ich bin stolz darauf, dass wir diesen und vielen anderen keine Chance haben, eine Schule zu besuchen. Bei Mäd- Kindern mit deutschem Steuergeld helfen. Das ist gut so. chen ist die Wahrscheinlichkeit, keine Schule besuchen Es ist vor allem gut angelegtes Geld – in die Zukunft die- zu können, zweieinhalbmal höher als bei Buben. ser Kinder. Angesichts dieser Zahlen müssen wir uns natürlich Vielen Dank. fragen: Welche Chancen und Perspektiven für ihre Zu- kunft haben diese Kinder und Jugendlichen ohne Bil- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dung? Sind damit Armut, Arbeitslosigkeit, mangeln- ordneten der SPD und der FDP) des Wissen über Hygiene und Gesundheit, ungewollte Schwangerschaften oder gar eine Radikalisierung vorge- zeichnet? Deswegen ist es in unserem Interesse und muss Vizepräsident Wolfgang Kubicki: es in unserem Interesse sein, genau das zu verhindern. Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stefinger. – Als nächs- Wir möchten keine verlorene Generation. ter Redner hat das Wort der Kollege Dietmar Friedhoff, AfD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11901

(A) Dietmar Friedhoff (AfD): gleiche Recht. – In Artikel 26 ist das Recht auf Bildung (C) Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen – aufgeführt. Darin steht: „Jeder Mensch hat das Recht auf alle, die wachgeblieben sind! Es ist ein wichtiges Thema, Bildung.“ Die Bildung ist „unentgeltlich“ – mindestens und es ist schon spät, aber, ich denke, noch früh genug, die Grundschulausbildung. Fach- und Berufsschulunter- um ernsthaft darüber zu sprechen. richt muss allen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Herr von Holtz, das, was Sie sagen, war sachlich rich- In Artikel 29 der UN-Kinderrechtskonvention steht tig, aber ich möchte diesen Antrag einmal ganz anders bezüglich der Bildungsziele unter anderem etwas von beleuchten, und zwar sollte jeder Antrag Ziele verfolgen, der „Gleichberechtigung der Geschlechter“, der „Ach- die machbar und umsetzbar sind, Ziele, die man für sich tung … vor seiner kulturellen Identität, seiner Sprache“, selbst und eben nicht für andere setzt. der „freien Gesellschaft“, der „Charta der Vereinten Na- tionen“ und vieles mehr. Ziele sollten smart und clever sein. „Smart“ bedeutet, dass man Ziele so ausformulieren muss, dass sie erfolg- Viele Länder, die Krisengebiete sind, sind islamisch reich erreicht werden können: „S“ wie „sinnvoll, „M“ geprägt. Diese Länder haben nun eigene Menschenrech- wie „messbar“, „A“ wie „attraktiv“, „R“ wie „realis- te definiert, unter anderem in der Kairoer Erklärung der tisch“ und „T“ wie „terminiert“. Menschenrechte im Islam, dem islamischen Gegenstück zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Dane- Schauen wir uns Ihren Antrag jetzt mal genau unter ben gibt es die Arabische Charta der Menschenrechte. diesem Aspekt und ausschließlich unter dem Aspekt der Bildung an. Nun bekommen wir langsam eine Herausforderung, Die AfD-Fraktion sagt: Jawohl, dieses Ziel ist sinnvoll Herr von Holtz. Die Kairoer Erklärung und die Arabi- und attraktiv; denn gerade in Afrika sind zum Beispiel sche Charta sprechen hauptsächlich von der Beseitigung die Frauen der Schlüssel zum Erfolg. des Analphabetentums als bindende Verpflichtung. Die Kairoer Erklärung geht so weit, dass das Ziel der Bildung Jetzt kommt aber das „M“ wie „machbar“. Wie messe eben auch die Auseinandersetzung mit dem Islam ist, und ich das Erreichen des Zieles, das Sie vorgeben? An dem Artikel 24 und 25 unterstellen diese Erklärung ausdrück- Fordern und Ausgeben von Geldern? Einfach nur an dem lich der Scharia. Die Frauen haben die gleiche Würde, Tun? Oder eben auch an der Qualität und an den Inhalten aber eben nicht die gleichen Rechte. Das bedeutet: Unse- der Bildung? Woran genau wollen Sie Ihren Antrag also re Ziele sind nicht im Einklang mit diesen Zielen. messen lassen? (Beifall bei der AfD) Herr von Holtz, ist Ihr Ziel realistisch? Schauen wir (B) uns die Fakten an: In der G-7-Erklärung von Charlevoix Was ist denn nun unsere Aufgabe? Ist es unsere Auf- (D) steht unter anderem: Wir werden unsere Partner darin gabe, unsere Ziele in Ländern durchzusetzen, die eigene unterstützen, dass Mädchen und Frauen gleichberechtig- Zieldefinitionen haben? Ziele definiert man doch für sich ten Zugang zu mindestens zwölf Jahren Bildung bekom- und nicht für andere. men. – „Zwölf Jahre Zugang zu Bildung“ ist übrigens Und wer ist für die Umsetzung in den Ländern ver- keine Qualitätsbeschreibung. In Deutschland haben im- antwortlich? Das sind die Länder, die diese Dokumente mer mehr Abiturienten massive Probleme in den Berei- unterschreiben. Damit verpflichtet sich doch jede Nation, chen Rechnen und Schreiben. Die Universitäten danken. diese Artikel in seinem Land umzusetzen, also in erster Kleine Randnotiz – Sie haben es gerade erwähnt –: Linie jedes Land für sich. Wir sollten aufhören, künstli- 2016 sprach man von circa 65 Millionen Menschen ohne che Systeme zu erschaffen und diese künstlichen Syste- Zugang zu Bildung durch Vertreibung. Es kommen aber me künstlich zu beatmen. Wir müssen einfach realisti- noch circa 200 Millionen Menschen dazu, die generell sche Ziele setzen. keinen Zugang zu Bildung haben, und im Jahr 2050 wer- Ein super Ziel im humanistischen Sinne wäre es doch, den wir bei unserem Bevölkerungswachstum vermutlich dass es am 31. Dezember 2050 um 23.59 Uhr auf der von circa 1,5 Milliarden Menschen – alleine in Afrika Welt keinen Analphabeten mehr gibt. Alle Menschen werden ungefähr 700 Millionen Binnenvertriebene be- können dann lesen und schreiben. Das sofort umzuset- troffen sein – ohne Zugang zu Bildung sprechen. zen, sollte das Ziel aller Regierungen aller Länder sein. Ist Ihr Ziel also realistisch? Ist es machbar? Sagen wir mal: Nein. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Hat einer eine Vorstellung, was es bedeutet, diese Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. enorme Zahl an Menschen zu unterrichten und in Schu- len zu schicken? In den über 70 Jahren, seitdem es die (AfD): Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gibt, haben Dietmar Friedhoff wir das bei weitem nicht geschafft. Ich komme zum Schluss. – Letztendlich: Auch in Deutschland brauchen wir wieder eine zukunftsfähige Deswegen sollten Ziele auch klar terminiert sein. Bildung, sichere Schulen und Ziele, die wir nicht nur in Also: Bis wann genau soll das erreicht sein? Das fehlt; die Welt rufen, sondern auch selber umsetzen. es ist nebulös. Danke schön. Zitiert werden in Ihrem Antrag auch die UN-Men- schenrechte: Jeder Mensch hat die gleiche Würde und das (Beifall bei der AfD) 11902 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Drittens. Die Ziele und Entscheidungsprozesse insti- (C) Vielen Dank. – Die Kollegin Ute Vogt, SPD-Frakti- tutioneller Anleger, von Vermögensverwaltern und von on, die Kollegin Helin Evrim Sommer, Die Linke, der Stimmrechtsberatern werden transparenter gestaltet und Kollege Olaf in der Beek, FDP-Fraktion, der Kollege sollen sich stärker an den langfristigen Interessen der von Dr. Georg Kippels, CDU/CSU-Fraktion, und die Kolle- ihnen repräsentierten Pensionäre und Versicherungsneh- gin Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion, haben ihre Reden mer ausrichten. 1) zu Protokoll gegeben. Viertens. Wesentliche Geschäfte der Gesellschaft mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nahestehenden Personen – sogenannte Related Party Transactions –, die ein erhöhtes Risiko des Missbrauchs Damit ist die Aussprache geschlossen. aufweisen, werden ungeachtet des schon bestehenden hohen Schutzniveaus unseres Aktienrechts weiteren Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Kontrollmechanismen unterworfen. Drucksache 19/6439 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit Lassen Sie mich wenige Punkte besonders hervorhe- einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die ben: Überweisung so beschlossen. Dass sich der europäische Gesetzgeber mit den Ge- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: schäften mit nahestehenden Personen – mit den Related Party Transactions – befasst, ist zu begrüßen. Freilich Erste Beratung des von der Bundesregierung enthält das deutsche Recht schon vernünftige, ausdiffe- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- renzierte Regelungen zur sachgerechten Behandlung die- setzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie ser Fälle – allen voran unser Konzernrecht. Durch eine (ARUG II) behutsame Umsetzung des Richtlinieninhaltes ist es ge- lungen, diesen Standard im ARUG II zu erhalten und im Drucksache 19/9739 Sinne der Richtlinie fortzuentwickeln. Überweisungsvorschlag: Der Entwurf wendet sich ferner den institutionellen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Anlegern zu, die zwischen der Gesellschaft und den Endbegünstigten stehen. Institutionelle Anleger und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Vermögensverwalter müssen in Zukunft ihre Strategien die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- offenlegen. Institutionelle Anleger arbeiten im Interesse nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. der Pensionäre und Versicherungsnehmer und nicht, um möglichst hohe Gebühren zu erzielen. (B) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem (D) Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Christian Dies wird flankiert durch Maßnahmen zur Verbesse- Lange für die Bundesregierung das Wort. rung des Informationsflusses zwischen der Gesellschaft und in- und ausländischen Anlegern gleichermaßen. Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der rade auch Kleinanlegern wird dadurch die Wahrnehmung CDU/CSU) ihrer Rechte erleichtert. Im Bereich der Vorstandsvergütung gehen wir den Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bun- durch vorangegangene Gesetzesinitiativen eingeschlage- desministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: nen Weg weiter. Die Erstellung eines Vergütungssystems Guten Abend, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen für den Vorstand wird zwingend. Es gibt den Rahmen für und Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf zur Umsetzung die konkrete Vergütung vor. Für die ausbezahlte Vergü- der zweiten Aktionärsrechterichtlinie – kurz: ARUG II – tung wird ein zwingender Vergütungsbericht eingeführt, zieht die Bundesregierung weitere Konsequenzen aus der der auch auf die Entwicklung der Vorstandsvergütung Finanzkrise. Statt kurzfristiger Gewinnoptimierung muss und der durchschnittlichen Belegschaftsvergütung in den der nachhaltige und langfristige Unternehmenserfolg ins letzten Jahren eingehen muss. Die Hauptversammlung Zentrum rücken. Das gilt für das Management der Unter- muss also über das Vergütungssystem abstimmen. nehmen, aber auch für die institutionellen Anleger. Wir schlagen ein beratendes Votum vor. Hierzu stärken wir die Transparenz zwischen Unter- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nehmen und Anlegern und fördern wir die langfristige Mitwirkung der Aktionäre börsennotierter Gesellschaf- Dies führt zu einer Einbindung sowohl der Eigentümer ten durch Maßnahmen in vier Bereichen: als auch der Arbeitnehmer; denn mit dem beratenden Votum obliegt die Letztentscheidung über das Vergü- Erstens. Die Vergütung von Vorstand und Aufsichts- tungssystem weiterhin dem mitbestimmten Aufsichtsrat, rat wird transparenter, und die Hauptversammlung wird in dem sowohl Eigentümer als auch Arbeitnehmer reprä- stärker einbezogen. sentiert sind. Zweitens. Die Kommunikation zwischen der Gesell- Die Vergütungskompetenz des Aufsichtsrats, seine schaft und ihren Anlegern wird verbessert, um echte Ak- Verantwortung und notfalls auch seine Haftung sind also tionärsmitwirkung zu erleichtern. zentrale Elemente der Corporate Governance. Das wol- len wir nicht verwässern. Wir wollen den Aufsichtsrat 1) Anlage 10 nicht aus dieser Verantwortung entlassen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11903

Parl. Staatssekretär Christian Lange (A) Ich bitte Sie deshalb um Unterstützung des Gesetzent- deutsches Gesetz, das in fast jedem zweiten Absatz auf (C) wurfs der Bundesregierung. irgendeine EU-Verordnung verweist, aus der dann Wei- teres zu entnehmen sei, allerdings eine Karikatur. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Unsere grundsätzlichen Vorbehalte können im Rahmen Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. – Als nächster der Arbeit an diesem Gesetzentwurf nicht behoben wer- Redner hat der Kollege Fabian Jacobi, AfD-Fraktion, das den. Bei einem konkreten Punkt wäre das zumindest Wort. theoretisch möglich; da lässt die EU uns an einer Stelle (Beifall bei der AfD) großzügig die Wahl zwischen zwei Alternativen – und dann wählt der Entwurf die aus unserer Sicht falsche. Bei Fabian Jacobi (AfD): der Frage nämlich, ob die Gesellschafter über das vom Aufsichtsrat vorgeschlagene System der Vorstandsver- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ge- gütung letztlich nur palavern oder aber tatsächlich ent- setz zur Umsetzung der Richtlinie EU 2017/828 ändert scheiden können, soll es wieder beim Palavern bleiben. das Aktiengesetz und weitere Gesetze. Was steht darin- Das sehen wir anders. Zumindest über die abstrakten nen? Dort, wo zwischen der Aktiengesellschaft und dem Grundzüge der Vergütungspolitik – und nur um die geht Gesellschafter Mittler stehen wie zum Beispiel Banken, es ja, wenn in dem Entwurf von dem Vergütungssystem die Aktiendepots für ihre Kunden verwalten, soll zum ei- die Rede ist – sollten die Gesellschafter als Eigentümer nen die Gesellschaft einen Anspruch haben, zu erfahren, des Unternehmens auch entscheiden und nicht nur räso- wer ihre eigentlichen Gesellschafter sind, zum anderen nieren können. sollen diese Mittler dafür sorgen, dass Informationen von der Gesellschaft an den Gesellschafter und umgekehrt (Michael Theurer [FDP]: Aber die AfD-Abge- zuverlässig übermittelt werden. ordneten haben auch mitgewirkt an der euro- Weiterhin sollen Geschäfte der Gesellschaft mit na- päischen Gesetzgebung!) hestehenden Personen daraufhin geprüft werden, ob sie Jetzt überweisen wir den Entwurf erst mal an den Aus- den nahestehenden Personen ungerechtfertigte Vorteile schuss, und dann sehen wir dort weiter. verschaffen; diese Geschäfte sollen der Genehmigung durch den Aufsichtsrat bedürfen und zudem veröffent- Vielen Dank. licht werden. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Ottmar Außerdem sollen sich die Gesellschafter einer börsen- (B) von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D) notierten Gesellschaft in der Hauptversammlung mit dem Richtig gruselig!) Vergütungssystem befassen, nach dem der Aufsichtsrat die Vergütung des Vorstands festlegt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das ist alles inhaltlich meist wenig kritikwürdig, in weiten Teilen im Interesse einer verbesserten Ausübung Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin der Gesellschafterrechte auch sinnvoll. Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion. Was uns als AfD-Fraktion übel aufstößt, ist natürlich (Beifall bei der CDU/CSU) der Umstand, dass einmal mehr der Deutsche Bundes- tag sich in der Situation wiederfindet, nicht eigentlich Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): mehr Gesetzgeber zu sein, sondern vielmehr eine Art weisungsabhängige Provinzialverwaltung: Wir schreiben Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einmal mehr im Wesentlichen Texte ab, die uns die impe- Liebe Zuschauer zu später Stunde auf den Rängen! Mit riale Zentrale in Brüssel hat zustellen lassen. der heutigen Debatte starten wir in die Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie des Europäischen Par- (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- laments. Diese Richtlinie ist noch Teil des Aktionsplans ten der SPD und der FDP) „Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Gover- – Danke, danke. nance“, gehört damit noch zu den Schlussfolgerungen, die die Europäische Union aus der Finanzkrise zieht. Die (Marian Wendt [CDU/CSU]: Wo ist denn Grundannahme ist, dass es vor allem die Ausrichtung auf Darth Vader?) kurzfristige Gewinne war, die zu Problemen geführt hat, Anders als alle anderen Fraktionen hier im Hause zu mangelnder Corporate Governance. schätzen wir die Vielfalt der europäischen nationalen Die Richtlinie ist da auch im Hinblick auf die Aktio- Rechtskulturen und sehen in einer zwanghaften Gleich- näre nicht unkritisch, sie wirft auch ihnen vor, dass sie macherei keinen Wert an sich. Nebenbei führt diese Form übermäßige Risikobereitschaft von Managern zu stark der abhängigen Pseudogesetzgebung auch zu einem unterstützt haben, was mit zu dieser Finanzkrise geführt schon formalen Qualitätsverlust: Einstmalen galt es als hat. anzustrebendes Ideal der Gesetzgebung, dass der Bürger die seine Angelegenheiten betreffende Rechtslage voll- Trotzdem sieht die Richtlinie einen wesentlichen An- ständig, verständlich und unmittelbar aus dem einschlä- satzpunkt, um zu Verbesserungen zu kommen, darin, gigen Gesetz entnehmen könne. Daran gemessen ist ein die Aktionäre mehr in die Verantwortung zu nehmen. 11904 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) Die Kommunikation soll besser werden, soll moderner Meine Erwartung ist, dass die Vergütung tendenziell (C) werden, in beide Richtungen: von der Gesellschaft zu sinken wird, wenn die Aktionäre selber darüber entschei- den Aktionären, aber auch von den Aktionären zur Ge- den dürfen. Wir sollten insgesamt oder zumindest für sellschaft, auch dann, wenn Intermediäre dazwischen diesen Fall schauen, ob wir etwas Besseres hinbekom- sind. Es soll mehr Transparenz geben, etwa über die Ge- men, ob wir die Aktionäre an dieser Stelle nicht verbind- schäftsstrategie oder über wirkliche Interessenkonflikte lich entscheiden lassen können. So könnten wir dafür bei Geschäften mit nahestehenden Personen oder Unter- sorgen, dass der Vorstand nur das bekommt, was sowohl nehmen. Ziel ist es, so eine langfristige und nachhaltige der Aufsichtsrat mitsamt der Arbeitnehmerseite als auch Mitwirkung der Aktionäre zu fördern. die Hauptversammlung und die Anteilseigner dort für an- gemessen halten. Ich denke, das ist ein Vorschlag, über Mehr Einmischung, mehr Mitentscheidung der Aktio- den wir einmal sprechen sollten. Ich freue mich darauf. näre, das will nicht nur die Richtlinie, das ist wohl auch das neue Selbstverständnis der Aktionäre, die ihre Unter- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. nehmensleitungen zunehmend auch mit kritischen Fra- gen konfrontieren, die Entlastungen verweigern und, wie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) es im „Handelsblatt“ zutreffend stand, nicht mehr mit „Würstchen mit Kartoffelsalat“ zufriedenzustellen sind. Die Hauptversammlung von Bayer kürzlich oder, ange- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kündigt, die Hauptversammlung der Deutschen Bank, Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin die im Mai noch ansteht, belegen das offenbar. hat das Wort die Kollegin Dr. Manuela Rottmann, Bünd- nis 90/Die Grünen. Dabei geht es den Aktionären zum einen um den wirt- schaftlichen Erfolg, um die Dividende – das ist auch le- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gitim –; aber es werden auch andere Fragen thematisiert sowie des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/ wie etwa die ökologische Nachhaltigkeit, die langfristi- CSU]) ge Unternehmensstrategie. Und auch die Vorstände sind nicht mehr unangreifbar. Hier setzt die Richtlinie an. Ein sehr konkreter Punkt dabei ist die Frage des Say on Pay: Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wer entscheidet in Zukunft über die Vergütung von Vor- NEN): ständen? Hier sollen die Aktionäre größeren Einfluss be- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen kommen. Die Richtlinie gibt uns da Spielraum vom bloß und Herren! Es ist in der Debatte bisher immer auf die beratenden Votum der Hauptversammlung bis hin zur Finanzkrise eingegangen worden; wir würden mit dieser (B) entscheidenden Vorgabe durch die Hauptversammlung. (D) Umsetzung Lehren aus der Finanzkrise ziehen. Ja, die Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wählt hier den Finanzkrise war ein harter Einschnitt. Aber wir stehen Weg, der eigentlich den geringsten Grad an Mitwirkung vor ganz anderen Problemen. Wenn Unternehmen in um- gibt: Die Aktionäre sollen vom Aufsichtsrat nur einen weltschädliche Produkte investieren, in die Abholzung Vergütungsrahmen vorgelegt bekommen. Sie können den dann diskutieren. Wenn sie ihn nicht verabschieden, der Wälder, in die Kohleförderung, dann ist das für das bleibt das allerdings letztendlich ohne Konsequenzen; Überleben der Menschheit eine Bedrohung. Es ist aber aus diesem Vergütungsrahmen folgen keine Rechte und auch für die Unternehmen selbst, ihre Arbeitnehmerin- Pflichten. Wenn der Aufsichtsrat meint, davon abwei- nen und Arbeitnehmer und ihre Anteilseigner ein erhebli- chen zu müssen, dann kann er das tun. ches Risiko, größer, als es die Finanzkrise je war.

Meine Sympathie geht dahin, hier doch zu mehr Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bindlichkeit zu kommen. Wir sollten darüber reden, ob Die schwierige Situation, in der Bayer seit dem Erwerb wir da nicht doch auch Möglichkeiten sehen. von Monsanto ist, zeigt, dass solche Risiken durch deut- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sche Unternehmen immer noch unterschätzt werden. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im DAX gibt es zwar einige Unternehmen mit guten Nachhaltigkeitsbewertungen, aber auch sehr viele – im Denn die Aktionäre sind die Eigentümer. Sie bezahlen die internationalen Vergleich sehr viele – Unternehmen, die Vergütung, sie haben ein ureigenes Interesse daran, dass dabei überhaupt nicht gut abschneiden. Wir alle hier in der Gewinn der Gesellschaft hier nicht unangemessen Deutschland müssen ein Interesse daran haben, dass sich geschmälert wird. Sie möchten natürlich auch ein Stück deutsche Unternehmen stärker am langfristigen Erfolg weit Einfluss nehmen auf die Politik des Vorstands. ausrichten statt an kurzfristigen Renditeerwartungen. Die Nachfrage nach nachhaltigen Investitionsmöglichkeiten Gerade die nichtinstitutionellen Anleger bringen hier steigt international deutlich an. Fast jeder Finanzinvestor auch andere Sichtweisen ein, die Sicht der Kleinanleger, verlangt von Unternehmen mittlerweile konkrete Schrit- vielleicht auch die Sicht der Konsumenten; sie haben ein te in Richtung Nachhaltigkeit, in Richtung soziales und Gespür für soziale Fragen und ökologische Nachhaltig- ökologisches Wirtschaften. keit. Genau das soll doch mehr in die Unternehmenspo- litik einfließen. Diese Aktionäre sollen sich mehr enga- Die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie ist die gieren und einmischen. Wollen wir dann wirklich stehen Chance, in den Vergütungsgrundsätzen auf die Erfüllung bleiben bei: „Gut, dass wir darüber gesprochen haben“? sozialer und ökologischer Kriterien zu verpflichten und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11905

Dr. Manuela Rottmann (A) damit die notwendige Neuausrichtung gerade unserer Mitwirkungsrechte in der Hauptversammlung zu stärken (C) deutschen Unternehmen zu beschleunigen. Aber der Ge- und durch Fragerechte und Klagemöglichkeiten mehr setzentwurf der Bundesregierung schweigt dazu, zu die- direkten Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft zu sem Thema steht darin nichts. ermöglichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt, mit der zweiten Aktionärsrechterichtlinie, wird Mit der Umsetzung der Richtlinie bestünde außerdem dieser Gedanke fortgeschrieben. Es geht um die Frage, die Gelegenheit, insgesamt für mehr Nachvollziehbarkeit wie wir transparenter machen können, wem denn die Ak- in Sachen Vorstandsvergütung zu sorgen. Das ist das, tiengesellschaft gehört, wer die Fonds und die Intermedi- worum sich die Debatte hier gedreht hat. Ich finde, Sie äre sind, die Einfluss auf die Gesellschaft haben. ignorieren auch diese Chance. Sie hoffen weiterhin auf die Wirksamkeit von Selbstverpflichtungen und Corpo- Aber es geht auch um die Frage: Wer entscheidet über rate-Governance-Kodizes. Wir Grüne weisen schon sehr die Vorstandsvergütung? Das ist eine ganz wichtige Fra- lange darauf hin: Unternehmen und Vorstände können ge, weil wir nach wie vor ein gesellschaftliches Ärgernis im Dickicht der freiwilligen Regelungen und der Kodi- haben: Die Vorstandsvergütungen sind gerade bei den zes und der Vielzahl der Regelwerke unterschiedlicher großen DAX-Unternehmen zu hoch, sie sind viel stärker Stimmrechtsverwalter schon heute nur noch schwer er- gestiegen als die Löhne der Arbeitnehmer. Das ist ein Är- kennen, woran sie sich eigentlich halten sollen. Vor allem gernis, und das ist nicht transparent genug. Wenn die Ma- die geltenden Regelungen in Deutschland haben nicht nagementgehälter weiter in die Decke gehen, führt das zu dazu beigetragen, überhöhte Managerbezüge zu begren- abnehmender Akzeptanz in der Bevölkerung. Deswegen zen und die Bezüge am langfristigen Erfolg des Unter- brauchen wir da auch eine Begrenzung. nehmens auszurichten. Liebe Bundesregierung, wann endlich ziehen Sie daraus eine Konsequenz? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie hätten Vorschläge machen können!) Am Ende, finde ich, verhöhnen Sie mit diesem Ent- wurf die Aktionärinnen und Aktionäre. Die Debatte auf Jetzt ist die Frage, wie wir eine solche Begrenzung der Hauptversammlung hat keinerlei verbindliche Wir- erreichen können. Soll die Hauptversammlung dafür zu- kung, es ist ein Gespräch und mehr nicht. Wenn Sie Ak- ständig sein oder nicht? Ich glaube, diese Frage müssen tionärsrechte ernst nehmen wollen, dann muss da etwas wir im parlamentarischen Verfahren noch einmal genau mehr kommen; da stimme ich der Kollegin von der CDU debattieren. Wir trauen den Aktionären durchaus zu, über (B) zu. die Vergütung ganz konkret zu entscheiden. Der Auf- (D) Vielen Dank. sichtsrat kann aber aus seiner Verantwortung nicht ent- lassen werden. Vielleicht brauchen wir auch ein kluges (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zusammenspiel von Aufsichtsrat und Hauptversamm- lung. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass gerade die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: großen Aktiengesellschaften alle mitbestimmt sind und Vielen Dank, Frau Kollegin. wir damit auch die Arbeitnehmervertreter nicht aus der Pflicht lassen dürfen. Ich kann mir auch vorstellen, dass Die Kollegen Dr. Marco Buschmann, FDP-Frakti- die Hauptversammlung eine Obergrenze einzieht und on, Friedrich Straetmanns, Die Linke, und Dr. Johannes man dann drunter bleibt. Jedenfalls glaube ich, dass wir Fechner, SPD-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll durch eine stärkere Verantwortung auch der Kleinaktio- gegeben.1) näre auf der Hauptversammlung letztendlich erreichen, Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Volker dass die Vorstandsvergütung sinkt und damit die Akzep- Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort zu einer ungestör- tanz der großen Aktiengesellschaften wieder steigt. Las- ten Rede. sen Sie uns darüber reden. In diesem Sinne wünsche ich mir gute Beratungen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): ordneten der SPD) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Die Aktiengesellschaft ist eine kluge Rechtsform. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sie ermöglicht Kleinanlegern die Beteiligung an Unter- nehmen ohne persönliches Risiko, in kleiner Stückelung. Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ullrich. – Mit diesen Worten schließe ich die Aussprache. Die Europäische Union hat sich aufgemacht, die Ak- tionärsrechte und damit gerade die Rechte der Kleinak- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- tionäre zu stärken. Vor zehn Jahren, im Jahr 2009, bei wurfs auf Drucksache 19/9739 an die in der Tagesord- der ersten Aktionärsrechterichtlinie, ging es darum, die nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist erkennbar nicht 1) Anlage 11 der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. 11906 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatz- wollen. Deswegen gibt es zwei wichtige Punkte, die in (C) punkt 12 auf: diesem IT-Änderungsstaatsvertrag ergänzt und erneuert werden: 22. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ersten Erstens soll der IT-Planungsrat einen eigenen Unter- IT-Änderungsstaatsvertrag bau erhalten – wir sagen im Haus: einen Arbeitsmuskel Drucksache 19/9737 in Gestalt einer Bund-Länder-Anstalt –, aber verglichen mit vielen anderen Einrichtungen durchaus sehr über- Überweisungsvorschlag: schaubar: 44 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen das Ausschuss für Inneres und Heimat (f) werden. Das Ganze heißt dann Föderale IT-Kooperation Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- oder, wie das vielleicht zum Arbeitsmuskel passt, FIT- schätzung KO. Die FITKO hat sozusagen schon einen Vorläufer: Es Ausschuss Digitale Agenda gibt bereits einen Aufbaustab, den das Land Hessen dan- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO kenswerterweise seit 2017 finanziert. Dieser Aufbaustab ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel FITKO wird dann übergehen in den eigentlichen, neuen Höferlin, Frank Sitta, Mario Brandenburg (Süd- Unterbau. pfalz), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Zweitens haben sich Bund und Länder darauf geei- der FDP nigt, dass der IT-Planungsrat bis 2022 auch ein zusätz- Smart Germany – Bundesministerium für Di- liches Budget in Höhe von 180 Millionen Euro erhält. gitalisierung etablieren Wenn man die Jahreszahl 2022 hört und ein bisschen bewandert ist in IT-Fragen, weiß man: Das ist das Jahr, Drucksache 19/9929 bis zu dem wir, wie das Onlinezugangsgesetz sagt, 575 Überweisungsvorschlag: staatliche Leistungen digitalisiert haben wollen. Genau Ausschuss für Inneres und Heimat (f) dafür soll das Geld auch verwandt werden. Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Die Abstimmung zum Ersten IT-Änderungsstaatsver- Federführung strittig trag – wie könnte es bei diesen Themen anders sein? – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für war durchaus langwierig. Nun haben sich der Bund und die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- die 16 Länder einen erheblichen Zeitdruck gesetzt: Wenn nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröff- der Vertrag nicht bis zum 30. September dieses Jahres ra- ne die Aussprache und erteile unter Verabschiedung der tifiziert ist, werden alle Änderungen hinfällig, wir müss- ten von vorne anfangen; also durchaus ambitioniert. Ein (B) Hälfte der CDU/CSU-Fraktion (D) echter Zeitdruck würde uns vielleicht bei manch anderem (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Also! Mit Neu- Projekt auch mal ganz guttun. zugängen!) (Beifall bei der CDU/CSU) als erstem Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Professor Dr. Günter Krings das Wort. – Ja. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei der Digitalisierung der Verwaltung hat Deutsch- land Nachholbedarf. Die Einrichtung der FITKO ist in Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bun- der föderalen Struktur Deutschlands daher ein wichtiger, desminister des Innern, für Bau und Heimat: effizienter Weg, gemeinsame Vorgaben in enger Abstim- Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, mei- mung von Bund und Ländern zu schaffen und diese dann ne liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss und durch den IT-Planungsrat auch zu verabschieden. Höhepunkt unserer heutigen Debatte sprechen wir nicht Der genannte Zeitplan ist – ich habe es gesagt – am- über einen bloßen Antrag, nicht einmal über ein einfa- bitioniert. Zugleich wollen wir als Bund natürlich bei ches Gesetz, nein, wir sprechen über einen Staatsvertrag. diesem ambitionierten Plan nicht als Letzter die Ziellinie Die Bundesregierung legt Ihnen mit diesem Gesetzent- durchqueren, sondern möglichst früh dabei sein. Wir wol- wurf einen zwischen Bund und Ländern vereinbarten len entschlossen vorangehen. Der daraus resultierenden Staatsvertrag, den Ersten IT-Änderungsstaatsvertrag vor, Eilbedürftigkeit können wir nur Rechnung tragen, wenn also ein Thema, das den Bund und die 16 Bundesländer wir alle einen guten Willen dabei haben und Sie mithel- stark betrifft. Deswegen ist auch die Bundesratsbank – – fen, dass wir dieses Ziel auch zeitgerecht erreichen. nein, doch nicht so gut besetzt. Ich glaube, man wird es dann seitens der Länder sicherlich gerne nachlesen. Zuletzt, bei dieser letzten Debatte am heutigen Sit- Dieser Staatsvertrag schreibt den bekannten IT-Staats- zungstage, darf ich noch allen Mitarbeiterinnen und Mit- vertrag Bund und Länder aus dem Jahr 2010 fort. Mit arbeitern danken, die uns auch zu dieser Stunde noch so diesem Staatsvertrag wurde damals der IT-Planungsrat hervorragend unterstützen: Herzlichen Dank. als oberstes Steuerungsgremium überhaupt erst einge- Vielen Dank. führt. Der IT-Planungsrat hat seither diverse IT-Projekte im Bereich der Verwaltung angestoßen, aber natürlich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- längst nicht alle seine Ziele erreicht. Wir sind bei der Di- wie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. gitalisierung in Deutschland noch nicht da, wo wir sein Martin Hess [AfD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. Mai 2019 11907

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Führungskraft braucht, die öffentlich im schrillen La- (C) Geschickt, Herr Kollege Professor Dr. Krings; herzli- texoutfit auftritt, oder ob man das Ganze nicht besser se- chen Dank für Ihre Ausführungen. – Als nächster Redner riös abbildet, meine Damen und Herren, wird bis dahin hat der Kollege Uwe Schulz, AfD-Fraktion, das Wort. das kleinere Problem sein. (Beifall bei der AfD) Mit diesen Gedanken wünsche ich Ihnen eine gute Nacht. Uwe Schulz (AfD): (Beifall bei der AfD sowie des Abg. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jah- Dr. Andrew Ullmann [FDP]) re 2010 wurde der IT-Planungsrat eingesetzt. Das war ein wichtiger Schritt zur Koordination der IT-Serviceleis- tungen für Bund und Länder, um die digitale Verwaltung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: voranzubringen. Leider wurden die gesetzten Ziele nicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kolleginnen und erreicht. Nun schreiben wir das Jahr 2019, und es stellt Kollegen Saskia Esken, SPD-Fraktion, Manuel Höferlin, sich die Frage, warum erst jetzt, nach neun Jahren, ein FDP-Fraktion, Petra Pau, Die Linke, Dr. Konstantin von Entwurf zur Änderung des IT-Staatsvertrages vorgelegt Notz, Bündnis 90/Die Grünen, und Marian Wendt, CDU/ wird. CSU-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll gege- Während in Deutschland offenbar kein Druck besteht, ben.1) Damit ist die Aussprache geschlossen. dem Bürger vernünftige Onlineportale zu öffnen, haben uns andere Staaten längst abgehängt. Unser Nachbar Tagesordnungspunkt 22. Interfraktionell wird Über- Österreich dient hier als Beispiel: Dort wurde über eine weisung der Vorlage auf Drucksache 19/9737 an die in webbasierte Bürgerplattform ein qualitativ hochwertiges der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- digitales Amt geschaffen. Der Bürger erfährt in Öster- gen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der reich Wertschätzung durch die Politik als Kunde, und er Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. bedankt sich prompt: Die Nutzungszahlen für das Bür- Zusatzpunkt 12. Interfraktionell wird Überweisung gerportal sind hervorragend. Das ist ein Musterbeispiel der Vorlage auf Drucksache 19/9929 an die in der Ta- für Bürgerfreundlichkeit und effizientes Handeln. gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. (Beifall bei der AfD) Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Aus- Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzent- schuss für Inneres und Heimat, die Fraktion der FDP wurf beweist, dass die bestehenden IT-Kooperationen (B) wünscht Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. (D) von Bund, Ländern und Kommunen nicht funktionieren Wir kommen jetzt zu einer Kampfabstimmung. und sich sogar gegenseitig behindern. Abhilfe schaffen soll daher eine Anstalt des öffentlichen Rechts für Fö- Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der derale IT-Kooperation. Aufgabe dieser FITKO ist, den Fraktion der FDP – Federführung beim Ausschuss Digi- IT-Planungsrat vollumfänglich zu unterstützen. tale Agenda – abstimmen. Wer stimmt für diesen Über- Wir wissen, die Mehrzahl der Bürger kommuniziert weisungsvorschlag? vorwiegend mit Kommunen und Landesbehörden. Aus (Michael Theurer [FDP]: Nicht so schlecht! unserer Sicht ist es dringend geboten, gerade diese Ver- Ist die Mehrheit! – Dr. Franziska Brantner waltungsebenen stärker im IT-Planungsrat abzubilden. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir retten Hätte es im Herbst 2015 schon einen innerbehördlichen die FDP!) Informationsaustausch gegeben, wäre denen, die schon länger hier leben, einiges erspart geblieben, meine Da- – Frau Brantner, ich danke Ihnen wirklich ganz herz- men und Herren. lich. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Kei- (Beifall bei der AfD) ner. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit den bei- den Stimmen der Mitglieder der FDP-Fraktion, Auch wenn wir den inflationären Aufbau von An- stalten ablehnen, so unterstützen wir als AfD wegen der (Michael Theurer [FDP]: Die FDP-Fraktion Wichtigkeit der Sache die Einsetzung der FITKO im ge- hat heute drei Mitglieder!) planten Sinne. Wir als größte Oppositionspartei werden den Job machen, den andere in diesem Parlament jahre- der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der Lin- lang versäumt haben, ken gegen die Stimmen von CDU/CSU-, SPD- und AfD-Fraktion abgelehnt. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- wir werden Pensum und Ergebnis dieses neuen Appara- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Feder- tes sehr genau beobachten. führung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer Und noch zur FDP. Ihr Kurzantrag zur Unterstrei- stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt chung der Bedeutung der Digitalisierung liest sich gut. dagegen? – Die AfD-Fraktion muss sich entscheiden. – Die Einrichtung eines Digitalministeriums ist bekannter- Ich kann das auch so identifizieren: Enthaltungen keine. weise auch eine Forderung der AfD-Fraktion. Ob man für die Leitung eines solchen Ministeriums dann eine 1) Anlage 12 11908-11927 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stim- Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- (C) men von CDU/CSU und SPD und einigen Stimmen der ordnung. AfD-Fraktion Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (Heiterkeit) tags auf heute, Freitag, den 10. Mai 2019, 9 Uhr, ein. gegen die Stimmen der anderen Mitglieder der AfD-Frak- Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche noch einen tion und der Restfraktion der FDP, der Fraktion Bünd- angenehmen Abend – oder eine angenehme Nacht. nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenom- men. (Schluss: 0.39 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11929

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Altmaier, Peter CDU/CSU Raabe, Dr. Sascha SPD

Barley, Dr. Katarina SPD Remmers, Ingrid DIE LINKE

Behrens (Börde), Manfred CDU/CSU Rief, Josef CDU/CSU

Bleser, Peter CDU/CSU Roth (Heringen), Michael SPD

Brackmann, Norbert CDU/CSU Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gnodtke, Eckhard CDU/CSU Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Hampel, Armin-Paulus AfD Scheuer, Andreas CDU/CSU Hartmann, Verena AfD Schmidt (Wetzlar), Dagmar SPD Held, Marcus SPD Schulz, Jimmy FDP Helling-Plahr, Katrin FDP Schulz, Martin SPD Heßenkemper, Dr. Heiko AfD (B) Schulz-Asche, Kordula BÜNDNIS 90/ (D) Höchst, Nicole AfD DIE GRÜNEN

Lischka, Burkhard SPD Seitz, Thomas AfD

Luksic, Oliver FDP Steffel, Frank CDU/CSU

Maas, Heiko SPD Tauber, Dr. Peter CDU/CSU

Magnitz, Frank AfD Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE

Magwas, Yvonne* CDU/CSU *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes

Marks, Caren SPD Anlage 2 Mayer (Altötting), Stephan CDU/CSU Erklärung nach § 31 GO Merkel, Dr. Angela CDU/CSU der Abgeordneten Canan Bayram und Erhard Grundl (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu Müntefering, Michelle SPD der namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Neu, Dr. Alexander S. DIE LINKE Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Be- teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Nietan, Dietmar SPD Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungs- mission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) Nord, Thomas DIE LINKE (Tagesordnungspunkt 7) Den Antrag der Bundesregierung, weiterhin Bundes- Petry, Dr. Frauke* fraktionslos wehrsoldaten nach Mali zu entsenden, lehnen wir ab und stimmen heute mit Nein. Post (Minden), Achim SPD Ziel von MINUSMA ist die Umsetzung des Abkom- Protschka, Stephan AfD mens für Frieden und Aussöhnung in Mali, die Förde- 11930 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) rung der nationalen Aussöhnung auf allen Ebenen – zwi- Anlage 3 (C) schen den Ethnien und Landesteilen –, die Entwicklung von Projekten zur Stabilisierung im Norden Malis, die Erklärung nach § 31 GO Wahrnehmung von Beobachtungs- und Beratungsaufga- der Abgeordneten Canan Bayram und Erhard ben und die Wahrnehmung von Schutz- und Unterstüt- Grundl (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zungsaufgaben. Dabei findet die Beteiligung deutscher zu der namentlichen Abstimmung über die Truppen im Rahmen einer Stabilisierungsmission der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus- Vereinten Nationen statt. Die angegebenen Ziele halten schusses zu dem Antrag der Bundesregierung: wir in der bestehenden UN-Mission bei der Lage in Mali Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- für nicht machbar. scher Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbil- Der malischen Regierung ist es bisher nicht gelun- dung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) gen, die notwendigen und geforderten Reformmaßnah- (Tagesordnungspunkt 9) men umzusetzen. Diese Anstrengungen wären aber die Grundlage einer substanziellen Besserung vor Ort und Den Antrag der Bundesregierung, dass weiterhin würden die Bundeswehrmission einbetten in einen er- Bundeswehrsoldaten in Mali an der Ausbildung der ma- folgreichen politischen Prozess. Dies kann aktuell aller- lischen Streitkräfte beteiligt werden, lehnen wir ab und dings nicht beobachtet werden: Die Korruption im Land stimmen heute mit Nein. wird als sehr hoch beschrieben, die Sicherheitslage in Ziel der EU-geführten Ausbildermission in Mali ist einigen Landesteilen wird immer gefährlicher, und die vor allem die Durchführung von militärischer Ausbildung MINUSMA-Mission hat kein hohes Ansehen und Legi- malischer Sicherheitskräfte sowie von Sicherheitskräften timation in der Bevölkerung. Die Umsetzung des Frie- der G‑5-Sahel – Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso, densvertrages wird von der malischen Regierung nicht Tschad –, Beratung des malischen Verteidigungsministe- forciert – ethnische Konflikte nehmen zu und werden riums und der operativen Führungsstäbe der malischen teilweise von der malischen Regierung entweder nicht Streitkräfte sowie die Wahrnehmung von Schutz- und entschärft oder gar genutzt. Unterstützungsaufgaben – auch zur Unterstützung von Personal bei MINUSMA. Mithin wird deutlich, dass politische Konflikte nicht durch militärische Maßnahmen gelöst werden können. Gerade die Ausbildung der G‑5-Sahel-Einsatztrup- Daher liegt es an der Bundesregierung, gerade im zi- pe muss absolut kritisch betrachtet werden. Ein Fokus vilen und politischen Bereich in Mali das Engagement dieser Militäreinheit ist die „Terror- und Schleuser- zu intensivieren statt ihre Verantwortung mit dem mili- (B) bekämpfung“. Ausbildung von Truppen, die zur An- (D) tärischen Beitrag als geleistet anzusehen. Die bisherige titerrorbekämpfung eingesetzt werden, ist durch das Strategie der Bundesregierung ist dementsprechend zum Bundeswehrmandat nicht abgedeckt. Hier findet eine Scheitern verurteilt und sollte beendet werden. schleichende Ausweitung des Einsatzes statt. Besonders negativ ist in diesem Zusammenhang die Beteiligung des Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass zivile und Tschad an der G‑5-Sahel zu nennen – ein Staat mit kata- friedenssichernde Maßnahmen umgesetzt werden müs- strophaler Menschenrechtssituation, massiven Verstößen sen. Hier ist das Potenzial auch für die Unterstützung gegen Presse- und Versammlungsfreiheit und einer kata- der Bundesrepublik Deutschland noch lange nicht aus- strophalen Behandlung von (Binnen-)Geflüchteten. geschöpft. Ein stärkeres Engagement bei der Umsetzung der angestrebten politischen Reformen, die finanzielle Immer noch besteht das Risiko, dass mit deutscher Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure und die Militärhilfe eine gestärkte malische Armee nicht als sta- Auswertung der bisherigen Bemühungen in Mali sowie bilisierendes Element im Entwicklungsprozess sondern der internationalen Unterstützung wären zu leisten. als eigenständiger Akteur auch in zukünftigen drohenden Machtkämpfen agiert. Diese Befürchtung besteht auch MINUSMA gilt für die deutschen Soldaten – neben deshalb, weil die Armee Malis schon einmal bis 2012 Afghanistan – als die gefährlichste aller Missionen, an von deutschen Soldaten monatelang ausgebildet worden der die Bundeswehr beteiligt ist. Dieser Beteiligung kann war, dann aber gegen die damals legitime Regierung ge- nicht zugestimmt werden, weil keine ausreichenden po- putscht hatte. Diese Gefahr besteht immer noch, da die litischen Maßnahmen zur Stabilisierung laufen. Hier politische und wirtschaftliche Lage im Land immer fra- muss die Bundesregierung entschieden nachbessern und giler wird. Diesen Umstand beschreibt auch die Bundes- die notwendigen Schritte zügig und umfassend einleiten. regierung in ihren Anträgen. Ein Weiter-so ist aufgrund Das kann auf verschiedenen Ebenen passieren – finan- dieser politischen Lage nur als grotesk zu bezeichnen. ziell, durch Aktivitäten vor Ort und durch internationale Das Ziel muss eigentlich sein, eine politische Stabi- Unterstützung. lisierung Malis zu erreichen. Dies kann aber nur einher- gehen mit einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen So lange diese Seite der Unterstützung nicht ausrei- Entwicklung, die darauf basiert, dass alle Länderteile in chend abgedeckt ist, ist die Stabilisierungsmission auch einen Entwicklungsprozess eingebunden sind. auf militärischer Seite zum Scheitern verurteilt und dem- entsprechend abzulehnen. Die Entsendung von Bundes- Für die Entwicklung in Mali wären andere Aufgaben wehrsoldaten in diese Region halten wir für nicht verant- primäre Ziele als die militärische Ausbildung einzelner wortbar. von Militär und Polizei. Dazu gehören die Moderation Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11931

(A) und Unterstützung des Versöhnungsprozesses, der Aus- gigkeit der Bevölkerung von Hilfslieferungen deutlich (C) bau der wirtschaftlichen Aufbauhilfe, die Intensivierung verstärkt. Die Zahl der Schiffe, die Hilfsgüter durch den der Korruptionsbekämpfung und massive finanzielle Golf von Aden transportieren, ist gestiegen. Dies bedingt Mittel für Bildung und Ausbildung. Um diese Maßnah- einen höheren Schutzbedarf. Auch im Jahr 2019 kam es men umzusetzen, bedarf es aber keines Bundeswehrein- zu versuchten Piratenangriffen, in Form von verdächti- satzes, sondern einer langfristigen und nachhaltigen Stra- gen Annäherungen und Feuereröffnungen. Wir müssen tegie ziviler Maßnahmen. daher zwischen den schwerwiegenden Bedenken gegen einen möglichen Einsatz an Land und den Bedrohungen Die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in diese Re- durch Piraterie für die humanitäre Versorgung der soma- gion halten wir für nicht verantwortbar. lischen Bevölkerung abwägen. Wir kommen zu dem Schluss, dass wir dem Mandat zustimmen. Wir wollen die Versorgung der Bevölkerung Anlage 4 angesichts der weiterhin sehr ernsten humanitären Lage auf dem Seeweg sicherstellen. Angesichts der bisher sehr Erklärung nach § 31 GO zurückhaltenden Nutzung der Landoption und des wach- der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Kerstin senden Ernsts der humanitären Lage ist unsere Entschei- Andreae, Dr. Danyal Bayaz, Dr. Anna Christmann, dung für eine Zustimmung zu dem Mandat gefallen. Dies Ekin Deligöz, Kai Gehring, Dr. Bettina Hoffmann, ist eine Gewissensentscheidung. Davon unbenommen Ottmar von Holtz, Dieter Janecek, Omid fordern wir mehr Anstrengungen, um die Ursachen die- Nouripour, Tabea Rößner, Stefan Schmidt und ser anhaltenden Krise nachhaltig zu beseitigen. Daniela Wagner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses Anlage 5 zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf- Zu Protokoll gegebene Reden te an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Be- zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- kämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias richts des Ausschusses für Recht und Verbraucher- (Tagesordnungspunkt 10) schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Stephan Thomae, Renata Alt, wei- Seit 2008 beteiligt sich Deutschland an der Mission terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: (B) EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta. Die Mission Rechtsanwaltsgebühren zukunftssicher gestalten (D) hat die Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 15) und am Horn von Afrika zum Ziel, dabei steht der Schutz humanitärer Hilfslieferungen des Welternährungspro- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Den vorliegen- gramms an die somalische Bevölkerung an erster Stelle. den Antrag der FDP haben wir in der Ausschusssitzung Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dem Mandat in dieser Woche diskutiert. Bereits in dieser Ausschuss- lange zugestimmt. Unsere Unterstützung geschah im sitzung, aber auch bei früheren Diskussionen im Aus- Wissen darum, dass diese Mission nur eine Symptombe- schuss ist deutlich geworden, dass wir in der Sache einer kämpfung sein kann, denn die Ursachen für die Piraterie Meinung sind: Die Rechtsanwaltsvergütungen wurden liegt zuvörderst in der andauernden Krise des somali- letztmalig im Jahr 2013 angepasst. Vergegenwärtigt man schen Staats. sich alleine die Reallohnsteigerung in dieser Zeit, so wird Im Jahr 2012 wurde das Mandat um die Möglichkeit deutlich, wie überfällig eine entsprechende Anpassung ergänzt, auch an Land zu operieren. Die Landoption er- ist. möglicht es, in einem 2 Kilometer in das Landesinnere Die Koalitionsfraktionen haben allerdings auch in den reichenden Küstenstreifen zu operieren, und hat den Ausschusssitzungen jeweils konkret deutlich gemacht, Charakter der Mission verändert. Viele Expertinnen und warum uns ein einfacher Beschluss in diesem Haus, so Experten warnten damals davor, dass Operationen an wie es sich FDP und AfD vorstellen, alleine nicht reicht. Land zur Eskalation des Konflikts in Somalia beitragen und die Mission in innersomalische Kämpfe verwickeln Denn wenn man die Sache konstruktiv voranbringen könnten – zum Schaden ihres eigentlichen Ziels. Aus die- möchte, dann geht das nur mit der Zustimmung der Län- sem Grund hat sich die grüne Bundestagsfraktion bei den der . Auch dachten wir, dass wir bei den Betreuervergü- Abstimmungen zu diesem Mandat in den vergangenen tungen die Umsetzung beschleunigen, wenn wir quasi Jahren mit großer Mehrheit enthalten. In den vergange- mit der Brechstange ohne die Länder Beschlüsse dieser nen sieben Jahren hat allerdings Atalanta lediglich ein- Art fassen. Bei der Betreuervergütung hat das dazu ge- mal an Land operiert. Der Nutzen der Landoption muss führt, dass wir im Bundesrat mit 16 : 0 gescheitert sind. also infrage gestellt werden. Das Eskalationsrisiko bei Dies erzeugt bis heute eine Verzögerung, die zu vermei- einem erneuten Einsatz dieser Art besteht weiterhin. den gewesen wäre, hätten wir die Länder eingebunden. Gleichzeitig hat sich die humanitäre und politische Wer also aus diesen Fehlern lernen will und es sach- Lage in Somalia in den vergangenen Jahren verändert. lich ernst mit der Anhebung der Rechtsanwaltsvergütung Aufgrund der anhaltenden Dürren hat sich die Abhän- meint, der ist klug beraten, wenn er die Länder einbindet. 11932 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Das hat das Ministerium mit einer Abfrage im Die Länder haben die Stellungnahme zunächst recht (C) April 2018 gemacht. Natürlich hätte man das forcieren zögerlich abgegeben, aber inzwischen liegen 15 von können und bereits die Abfrage mit einer Fristsetzung 16 Stellungnahmen vor. Die Länder haben uns zugesagt, versehen können. Sei’s drum, mittlerweile haben sich dass sie sich Mitte Juni in der Justizministerkonferenz von 16 Ländern 15 zurückgemeldet. Lediglich Hamburg mit dem Thema umfassend beschäftigen wollen. fehlt, das sei mit Blick auf die Grünen, die dort in Verant- wortung stehen, auch angemerkt. Und nun zurück zu Ihrem Antrag, Kolleginnen und Nun geht es darum, ein Gesamtpaket zu schnüren. Kollegen von der FDP. Sie werden sich vielleicht noch Hier kann unter anderem auch die Frage eine Rolle spie- fragen: Warum sollten wir diese Konferenz abwarten, len, ob nicht auch gleichzeitig eine Anpassung der Sach- statt ein Bundesgesetz zu erlassen? Das erkläre ich Ihnen verständigenvergütung, der Zeugenentschädigung und gern: Das Gesetz wäre ein sogenanntes Zustimmungs- der Gerichtsgebühren stattfinden kann. gesetz, das heißt, die Zustimmung der Länder über den Im Interesse einer solchen Lösung auf lange Sicht Bundesrat ist für das Zustandekommen des Gesetzes sollten wir uns die Zeit nehmen. Daher lehnen wir den zwingend erforderlich. Antrag ab. Der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange hat uns am Mittwoch im Rechtsausschuss an dem Bei- Sonja Amalie Steffen (SPD): Die FDP-Fraktion for- spiel der Berufsbetreuer noch einmal vor Augen geführt, dert mit ihrem Antrag die Bundesregierung auf, ein Kon- was passieren kann, wenn der Bund im Hauruckverfah- zept zur Reform des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes vorzulegen, den Ländern eine Frist zur Stellungnahme zu ren ein Gesetz erlässt, das wegen der auf die Länder zu- setzen und dabei auch über eine Indexierung der Rechts- kommenden Kosten zustimmungspflichtig ist: Die Län- anwaltsvergütung nachzudenken. der haben das Gesetz einstimmig abgelehnt. Und dann ist es bedauerlicherweise in der letzten Legislaturperiode Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige von Ihnen der Diskontinuität zum Opfer gefallen. Das darf uns nicht waren schon bei der letzten Gebührenerhöhung für die noch einmal passieren (übrigens auch nicht in Bezug auf Rechtsanwälte dabei, denn sie ist im Jahr 2013 erfolgt, die Berufsbetreuer). Deshalb ist eine Kooperation mit mit dem sogenannten 2. Kostenrechtsmodernisierungs- den Ländern zwingend erforderlich. gesetz. Es sei vorausgeschickt, dass wir in Deutschland eine Allerdings besteht für die Länder kein wirklicher besondere Situation haben. Das RVG stellt ein gesetz- Grund zur Sorge, denn im Vergleich zu den Gesamtetats (B) (D) liches Tarifsystem dar. Dadurch entsteht Kostentrans- der Länderhaushalte sind die Ausgaben für PKH und parenz, und der Zugang zum Recht wird für jedermann VKH und Beratungshilfe extrem gering. Diese Kosten gesichert. machen nicht einmal 5 Prozent der Haushalte der Jus- Der Deutsche Anwaltverein (DAV) und die Bundes- tizministerien aus. Der Anteil am jeweiligen Gesamtetat rechtsanwaltskammer (BRAK) haben nun einen Forde- der Länder liegt bei unter 0,2 Prozent. Und wenn wir rungskatalog erarbeitet, den sie am 16. April 2018 un- über eine Gebührenerhöhung reden, dann reden wir nur serer Ministerin Katarina Barley übergeben haben. Die über einen Bruchteil davon. Und andererseits: Bei einer Forderungen vom DAV und BRAK sind nicht von der Gebührenanpassung kommt es ja über die Umsatzsteuer Hand zu weisen. Da gibt es sehr vernünftige Ideen, zum auch wieder zu Mehreinnahmen der Länder, sodass die Beispiel die Anhebung der Rahmengebühr im Sozial- zusätzliche Belastung für die Länder noch geringer aus- recht. Derzeit beträgt die PKH-Gebühr für ein komplet- fällt. tes sozialgerichtliches Verfahren mit Widerspruchsver- fahren 916 Euro (brutto!), also circa 750 Euro netto vor Wir sind uns jedenfalls alle einig, dass die Ermögli- Steuer. Und jeder, der Fälle im Sozialrecht kennt, weiß, chung des Zugangs zum Recht für Bürger mit geringem wie betreuungsaufwendig sie sind. Einkommen eine ureigene Aufgabe des Rechtsstaates ist Ebenso wird die Anhebung des Verfahrenswertes in und dafür ausreichende Steuermittel zur Verfügung ge- Kindschaftssachen gefordert. Die Gebühr beträgt im stellt werden müssen. VkH-Verfahren 621 Euro brutto, das sind circa 500 Euro netto. Wenn man nun noch weiß, dass 70 Prozent der Fäl- Eine Erhöhung der Gerichtsgebühren wäre aus Sicht le der kleinen Anwaltskanzleien sich aus Fällen mit ge- der SPD der falsche Weg, weil dies einseitig zulasten der ringem Streitwert rekrutieren, dann kann man verstehen, Rechtssuchenden ginge. dass die Anwälte zu Recht eine Erhöhung fordern. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Jubiko und Das Bundesministerium für Recht und Verbraucher- sollten anschließend in einen konstruktiven Dialog mit schutz hat dieses Bedürfnis übrigens auch gesehen und daher den Vorschlag von BRAK und DAV an die Länder den Ländern treten. Unser Ziel muss es sein, in dieser geschickt. Die Zustimmung der Länder ist nämlich not- Legislaturperiode zu guten Ergebnissen zu gelangen, und wendig, da sie über die Ausgaben für Prozesskostenhilfe zwar nicht nur für die Anwälte, sondern auch für die Be- und Verfahrenskostenhilfe unmittelbar von der Erhöhung rufsbetreuerinnen und -betreuer. Denn gerade auch sie der Anwaltsgebühren betroffen sind. verdienen eine bessere Vergütung. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11933

(A) Anlage 6 Ebenfalls marktgerechter ist der Umstand, dass ent- (C) sprechende Prospekte künftig hauptsächlich die elek- Zu Protokoll gegebene Reden tronische Form haben werden und durch einen von der ESMA (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichts- zur Beratung des von der Bundesregierung ein- behörde) kostenlos zur Verfügung gestellten Online-Zu- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weite- gang mit Suchfunktion Einsicht genommen werden kann. ren Ausführung der EU-Prospektverordnung und zur Änderung von Finanzmarktgesetzen Der dem Deutschen Bundestag dankenswerterweise (Tagesordnungspunkt 16) vom Bundesministerium der Finanzen zur Verfügung gestellte Evaluationsbericht vom 21. März zu den durch das Kleinanlegerschutzgesetz eingeführten Befreiungs- Alexander Radwan (CDU/CSU): Am gestri- gen Mittwoch hat der Finanzausschuss des Deutschen vorschriften in den §§ 2a bis 2c Vermögensanlagegesetz Bundestages das Gesetz zur weiteren Ausführung der sorgte im Bereich des Crowdfundings für einen noch er- EU-Prospektverordnung und zur Änderung von Finanz- heblichen Gesprächsbedarf. marktgesetzen abschließend beraten. Dieser betraf die Änderung der Schwellenwerte, die Änderung der Einzelanlageschwelle oder auch mögliche Ziele der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bun- Befreiungen von Prospektpflichten. destag bei der nun erfolgten Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie sind in erster Linie die Stärkung des Aber auch in diesem Sektor konnten wir für Verbes- Anlegerschutzes, die Vereinfachung des Zugangs zum serungen sorgen, denn die bisherige Grenze bezüglich Kapitalmarkt für Unternehmen und Verbesserungen im der Prospekterstellungspflicht in Höhe von 2,5 Millionen Bereich des Crowdfundings. Es ist uns wichtig, nicht da- Euro konnte auf 6 Millionen Euro angehoben werden. rüber hinaus zu gehen. Dies entspricht einem großen Schritt in Richtung der von der Union geforderten Schwelle bei 8 Millionen Euro. Gerade für KMU (kleine und mittlere Unternehmen) sind die damit eröffneten Möglichkeiten immens wich- Hierdurch kann gerade für Start-ups der so immens tig. Auf diese Weise können sie sich am Markt refinan- (überlebens-)wichtige Bereich der Schwarmfinanzierung zieren und zukunftssicher aufstellen. einfacher genutzt werden und so verhindert werden, dass sich innovative und junge Unternehmen aufgrund ver- Die Anhebung des Schwellenwertes für die Prospekt- meidbarer Komplikationen der legislativen Rahmenge- pflicht von 5 Millionen Euro auf 8 Millionen Euro und bung attraktivere Standorte in anderen Ländern suchen. der damit hergestellte Gleichlauf der Obergrenzen sichert Hinsichtlich einer von der CDU/CSU-Bundestags- den erleichterten Zugang zu Kapital und bewirkt für die (B) fraktion in diesem Kontext sinnvollerweise gewünschten (D) hierzu zählenden Unternehmen, dass die Erstellung eines Erweiterung der Befreiung von der Pflicht der Prospekt­ enorm zeitaufwendigen und vor allem sehr kostspieligen erstellung bei der erstmaligen Veräußerung von GmbH-­ Wertpapierprospektes nunmehr entfällt. Darüber hinaus Anteilen, die durch Crowdfunding finanziert werden wurde gerade dieser sehr positive Effekt durch die Ein- sollen, hätten wir uns ein etwas mutigeres Vorgehen ge- führung eines vereinfachten Prospekts für KMU noch wünscht. Nichtsdestotrotz ist es zu begrüßen, dass dies im verstärkt. Rahmen des nächsten Evaluationsberichts aufgenommen Diese Ausweitung auf bis zu 8 Millionen Euro ist auch sein wird. Denn gerade aufgrund der Tatsache, dass ein aus Stabilitätsgesichtspunkten gut vertretbar, da die in- Großteil der KMU in Deutschland als GmbH firmiert, ist tensive Regulierung der entsprechenden Institute hier für es der Unionsfraktion wichtig, betroffene Unternehmen ein gesundes Fundament gesorgt hat. bestmöglich zu entlasten. Für die Prospekte gilt vielmehr, dass der Umfang der Ebenso zu befürworten ist die Erweiterung der Befrei- für diese erforderlichen Informationen nun exakter defi- ung der Prospektpflicht auf Genussrechte, was weitere niert ist, was nicht nur für den Ersteller, sondern auch für dringend benötigte Spielräume eröffnen kann. den Verwender eine klare Verbesserung darstellt. Kürze- Insgesamt geht also alles in die richtige Richtung – re und transparentere Fassungen sind grundsätzlich sehr einer Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten für zu begrüßen, was ebenfalls für die Prospektzusammen- Unternehmen am Markt, gepaart mit einem intensivier- fassung von maximal sieben Seiten gilt. ten Anleger- und Verbraucherschutz. Ferner werden Erleichterungen für Sekundäremissio- nen und das Prospektbilligungsverfahren geschaffen. Sarah Ryglewski (SPD): Mit dem vorliegenden Ge- setz zur Umsetzung der EU-Prospektverordnung und den Unternehmen, die bereits auf öffentlichen Märkten Änderungen weiterer Gesetze regeln wir die Berichts- vertreten sind und weitere Wertpapiere begeben möch- pflichten der Anbieter von Wertpapieren und unter wel- ten, können hierfür eben jenen vereinfachten Prospekt chen Bedingungen Ausnahmen von diesen Pflichten an- verwenden. Und solche Unternehmen, die dies häufiger gemessen sind. Grundsätzlich muss jedes Unternehmen, tun, können nunmehr ein einheitliches Registrierungs- das das Geld für ein Vorhaben einwerben will, einen formular beanspruchen. Dies bedeutet, dass es eine so- Prospekt erstellen, in dem es dieses Vorhaben darstellt. genannte Rahmenregistrierung geben wird, die es ent- Dieser Prospekt richtet sich an Investoren und klärt sie sprechend der realen Marktanforderungen gestattet, ein über Chancen und Risiken ihres Investments sowie über verkürztes Billigungsverfahren nutzen zu können. die Unternehmenstätigkeit auf. 11934 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Investoren, das können auch Kleinanleger sein. Die- junge Unternehmen an der Gründung und im Wachstum (C) se gilt es besonders zu schützen. Denn für diese Men- hemmen. schen kann schon der Verlust relativ kleiner Summen zu Mit dem vorliegenden Gesetz jedenfalls verbessert die existenziellen Problemen führen. Deswegen gilt es einen Bundesregierung die seit 2015 gut funktionierende Rege- angemessenen Ausgleich zu finden zwischen den Inte- lung und erleichtert es Unternehmen, eine kapitalmarkt- ressen dieser Anleger – und den Unternehmen, die sich basierte Finanzierung unter einem klaren Regelwerk mit am Kapitalmarkt Geld besorgen. Und es ist grundsätzlich klarer Aufsicht zu realisieren, ohne dass es Abstriche begrüßenswert, wenn die Menschen in Deutschland ver- beim Anlegerschutz gibt. Das hilft allen Marktakteuren, mehrt auch in Finanzmärkte investieren. Emittenten, Anbietern und insbesondere den Anlegern. Wegen der dauerhaft niedrigen Zinsen erscheinen die Da es sich bei Crowdinvestment nach wie vor um ei- Renditen in diesem Bereich vielversprechend, vergleicht nen relativ neuen und volatilen Markt handelt, haben wir man sie mit anderen Investitionsmöglichkeiten. Aller- uns darauf verständigt, ihn weiter im Auge zu behalten dings gibt es höhere Renditen nur gegen höheres Risiko, und die jetzigen Regelungen bis Ende 2021 noch einmal und Crowdfunding ist eben eine besonders risikoreiche zu evaluieren. Anlageform. Erst zu Beginn dieser Woche informier- te der zweitgrößte Immobilien-Schwarmfinanzierer in Deutschland seine Anleger über den Insolvenzantrag ei- Frank Schäffler (FDP): Die Freien Demokraten be- ner seiner Projektentwickler. Knapp 1 000 Anleger müs- grüßen grundsätzlich den vorliegenden Gesetzentwurf. sen jetzt um ihr investiertes Kapital von 1,9 Millionen Wir freuen uns vor allem, dass die Bundesregierung end- Euro fürchten. lich unsere Idee umsetzt, den Schwellenwert für die Aus- nahme von der Prospektpflicht für Kreditinstitute, deren Deshalb wollen wir sichergehen, dass nur diejenigen Aktien bereits zum Handel an einem geregelten Markt größere Summen in solche risikoreichen Anlagen inves- zugelassen sind, von 5 Millionen auf 8 Millionen Euro tieren können, die deren Verlust im Zweifelsfall auch anzuheben. Das Ganze hätte man schon im Juni 2018 verkraften können. Was passieren kann, wenn Menschen haben können, wenn man damals dem entsprechenden in für sie ungeeignete Produkte investieren, wissen wir Antrag der FDP zugestimmt hätte. Hier also mein Tipp spätestens seit der Finanzkrise. Die bestehenden Einzel- an die Kollegen von der Union und der SPD, unsere Vor- anlegerschwellen, die die Höhe des Investments begren- schläge nicht immer gleich reflexartig abzulehnen. zen, halten wir daher weiterhin für nötig und sinnvoll. Für Anleger mit einem besonders hohen Einkommen hal- Auch in dem jetzigen Fall wurde leider unser Ent- ten wir es allerdings für vertretbar, sie anzupassen. schließungsantrag von der Großen Koalition abgelehnt, obwohl er eine massive Verbesserung für den Verbrau- (B) Die Investitionsvorhaben der Emittenten finden Anle- cherschutz in Deutschland bedeutet hätte. Die Freien De- (D) ger online auf diversen Plattformen. Um Interessenkon- mokraten haben darin die Bundesregierung gebeten, zu flikte zu vermeiden, dürfen Plattformbetreiber und Emit- prüfen, inwieweit im Zusammenhang mit Rechtsstreitig- tent nicht miteinander verbunden sein. Dies stellen wir keiten bei Prospekten eine Prozessführung vor deutschen jetzt gesetzlich noch deutlicher klar. Gerichten auch in englischer Sprache ermöglicht werden Auch wir als SPD möchten, dass sich Start-up und kann. KMUs am Kapitalmarkt finanzieren können. Denn ob- Infolge der EU-Prospektverordnung sind nämlich wohl wir in Deutschland grundsätzlich eine Banken- künftig bei grenzüberschreitenden Angeboten primär landschaft haben, die auch innovativen Geschäftsideen englischsprachige Prospekte zu erwarten. Da die Pros- offen gegenübersteht, haben es junge Unternehmen öfter pektzusammenfassung auf Deutsch aber vor den jeweili- schwer, das nötige Kapital für ihr Projekt zu bekommen. gen Gerichten nicht für eine erfolgreiche Beweisführung Hier kann Crowdfunding ein Instrument sein. ausreichen wird, wird künftig dem Verbraucher zugemu- Deshalb wird das maximale Volumen prospektfreier tet werden, das Prospekt auf eigene Kosten zu überset- Vermögensanlagen erhöht und es werden weitere Anla- zen, bevor er dagegen gerichtlich vorgehen kann. geformen in die Prospektfreiheit einbezogen. Zusätzlich Eine solche Übersetzung kann allerdings schnell meh- sollen bei der Schwellenwertberechnung künftig keine rere Tausend Euro kosten. Und wird daher nicht selten so abgebrochenen und getilgten Emissionen berücksichtigt kostenintensiv sein, dass der Anleger deswegen auf eine werden. Geltendmachung von Rechtsansprüchen verzichtet. Auf diese Weise wird der Anlegerschutz mit Füßen getreten. Die SPD hat die Bundesregierung außerdem beauf- tragt, die Finanzierungsbedingungen junger und innova- Auf die Problematik wurde auch in der öffentlichen tiver Unternehmen insgesamt zu evaluieren. Damit wol- Anhörung zu dem Gesetzentwurf seitens der Sachver- len wir die Basis für eine am Bedarf der Unternehmen ständigen hingewiesen. Unser Vorschlag, vor englischen und an den Erfordernissen des Anlegerschutzes orien- Kammern zu verhandeln, hätte der nötige Ausweg sein tierte Weiterentwicklung der Offenlegungspflichten bei können. Leider kann sich die Große Koalition nicht dazu Wertpapieremissionen schaffen. durchringen, den Anlegerschutz in Deutschland zu ver- bessern. Denn wir haben in Deutschland eine große Vielfalt an Finanzierungsmöglichkeiten durch einen breit auf- Abgesehen davon begrüßen wir die Intention des Ge- gestellten Bankenmarkt. In der Debatte darf aber nicht setzes, den Kapitalmarkt innerhalb der Europäischen der Eindruck entstehen, die deutsche Gesetzeslage würde Union zu stärken und auf die möglichen Problematiken Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11935

(A) durch den Brexit vorzubereiten. Entsprechend werden und einheitliche Regeln für Finanzprodukte zu schaffen, (C) die Freien Demokraten dem Gesetz zustimmen. nicht genutzt. Daher können wir diesen Gesetzentwurf nur ablehnen. Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der letzten Plenardebatte zur EU-Prospektverordnung haben wir bereits darüber gesprochen, dass es eine aus- Anlage 7 gewogene Lösung für beide Seiten geben muss, sowohl für die Unternehmen als auch für die Anlegerinnen und Zu Protokoll gegebene Reden Anleger. Ich kann mich in dieser Hinsicht nur wiederho- zur Beratung: len: Dieser Gesetzentwurf dient eher den Unternehmen und trägt den Verbraucherschutz allerhöchstens als Fei- a) des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, genblatt. Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Am Dienstag haben wir im Berichterstattergespräch Solidarische Städte und kommunale Initiati- zu hören bekommen, dass die Anlageschwelle für ven zur Flüchtlingsaufnahme unterstützen Kleinanlegerinnen und Kleinanleger nur deshalb auf 25 000 Euro erhöht wurde, weil man sich in der Koaliti- b) des Antrags der Abgeordneten Luise on mal wieder nicht einigen konnte. Jetzt will man mal Amtsberg, Filiz Polat, Dr. Franziska Brantner, schauen, wie das Anlageverhalten so läuft, und will dann weiterer Abgeordneter und der Fraktion noch mal evaluieren. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Regionale und kommunale Flüchtlingsaufnahme stärken Ist das eigentlich ihr Ernst? Hier geht es um Menschen, (Tagesordnungspunkt 17 a und b) die ihr hart erspartes Geld investieren, um damit vorzu- sorgen. Und Sie erhöhen eine Schwelle um das Zweiein- halbfache, um mal zu sehen, wie es läuft? Diese Schwel- Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU): Das einzig Rich- le soll Menschen davor schützen, sich zu verschulden, tige an dem Antrag ist, dass die Kommunisten erkannt und dient nicht als Versuchslabor für die Regierung. haben, dass ohne eine Rechtsänderung Kommunen nicht eigenständig aktiv werden können. Das wäre ja noch Selbst die BaFin hält diese Erhöhung für nicht ver- schöner, wenn man bedenkt, allein rund 425 hessische braucherfreundlich. Letztes Jahr in der ersten Anhörung Bürgermeister und Stadtverordnetenversammlungen zur Prospektverordnung sagte ein Vertreter der BaFin, entscheiden de facto über die Außenpolitik der Bundes- dass es bereits jetzt Regelungen gibt, die es möglich ma- republik Deutschland – bundesweit sprechen wir von chen, mehr als 10 000 Euro zu investieren. Wenden Sie (B) Tausenden von Städten und Gemeinden. Wir hätten eine (D) diese Regeln doch erst einmal an, bevor Sie den Verbrau- Bananenrepublik. Mit verantwortlichem staatlichem cherinnenschutz aufs Spiel setzen! Handeln, mit Berechenbarkeit, mit Seriosität, mit Ver- In der Anhörung wurde von den Experten mehrfach gleichbarkeit, mit Rechtsstaatlichkeit hat dies nichts zu gewarnt, dass es beim Crowd-Investing hohe Ausfallrisi- tun. Deshalb ist dieser Vorschlag völlig inakzeptabel. ken geben kann, gerade wenn es um Genussrechte geht. Sie propagieren „Solidarity Cities“ – danach sollen Und sie haben recht behalten. Kommunen Verantwortung für ihre Bürger übernehmen, Jüngst sind zwei weitere Immobilienprojekte eines unabhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status. Verant- Crowd-Investing-Portals geplatzt, und rund 1 000 Ver- wortung übernehmen zulasten Dritter. Bezahlen wollen braucherinnen und Verbraucher werden nichts von ihren Sie nichts, das sollen Bund und Länder übernehmen. Wie 1,9 Millionen Euro wiedersehen. wäre es denn, wenn die Bürgermeister und Gemeinde- räte, die eine Politik der offenen Grenzen predigen, pri- Anstatt hier regelnd einzugreifen, um solche Fälle zu vat Asylbewerber oder Flüchtlinge aufnehmen würden, vermeiden, werden die Ausnahmen für Genussrechte Verantwortung für sie übernehmen würden, nicht nur für noch erweitert. Sie können doch nicht ernsthaft behaup- ein Jahr oder zwei, sondern so lange, bis sie auf eigenen ten, dass Sie damit Verbraucherschutz stärken wollen. Füßen stehen? Davon ist allerdings nicht die Rede. Nun noch etwas zur Herausgabe eines Prospektes in Oder ich erinnere an das Thema Bürgerasyl: Bürg- einer internationalen Finanzsprache anstatt in Deutsch: schaften wurden unterschrieben. Als die Bürgen dann Wie kann es sein, dass Unternehmen Wertpapiere in Mil- von den Jobcentern zur Kasse gebeten werden sollten, lionenhöhe emittieren, sie aber nicht dazu verpflichtet wollten sie von der großzügigen Bürgschaft nichts mehr werden, eine Übersetzung ins Deutsche anzufertigen? wissen und klagten dagegen, auf dass der Staat diese Hier geht es um die Gleichheit vor dem Gesetz für alle. Kosten übernehmen solle. So weit zum Thema Verant- Dass jemand, der auf sein gutes Recht klagt, mehrere wortung. Verantwortung zulasten Dritter ist keine Ver- Tausend Euro in die Hand nehmen muss, nur damit er antwortung, sondern verantwortungslos. überhaupt vor Gericht gehört wird, entbehrt doch jeder Logik. Zur Philosophie der „Solidarity Cities“ gehört das Prinzip „Don’t ask – don’t tell“ (das heißt „Frage nicht, Auch durch Ihre Verschlimmbesserungen nach der gib keine Antwort“). Mit anderen Worten: In Schulen, letzten Anhörung haben Sie es nicht geschafft, sich für Behörden usw. sollen Fragen nach dem Aufenthaltssta- einen wirksamen Schutz von Verbraucherinnen und Ver- tus verpönt sein. Der Aufenthaltsstatus jedes Einzelnen brauchern starkzumachen. Sie haben die Chance, klare steht nicht zur Disposition. Die Antragsteller gehen sogar 11936 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) noch weiter: Man fordert Widerstand gegen rechtsstaat- Ich bin froh, dass sozialistische, kommunistische oder (C) liche Abschiebungen. Zur Philosophie gehört es also, ideologisch-naive Vertreter von Parteien keine Regie- eine Legalisierung des Illegalen vorzusehen. Sie wol- rungsverantwortung im Bund tragen. Die Auswirkungen len kriminelle Asylbewerber genauso wenig abschieben wären verheerend. Anträge wie die vorgelegten zeigen, wie Menschen ohne Bleibeperspektive, die sich illegal dass Deutschland einen Politikwechsel in diese Richtung in Deutschland aufhalten. Damit bewirken sie einen so- nicht verkraften könnte. genannten „Pull-Faktor“ nach Deutschland. Ausgerech- net das rot-rot-grün regierte Berlin erklärt sich zur „So- Alexander Throm (CDU/CSU): Wir befinden uns in lidarity City“. Berlin erhält 3 Milliarden Euro aus dem einem Dilemma. Unser Ziel ist es, dass Menschen die le- Länderfinanzausgleich, ist unfähig, einen Flughafen zu bensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer gar nicht bauen, zahlt im Jahr 800 Millionen für Asylbewerber erst antreten, dass sie sich nicht von Schleusern verleiten und Flüchtlinge und hält dabei die Behörden an, nieman- lassen. den abzuschieben, weil dies im Koalitionsvertrag steht. 800 Millionen zulasten der Steuerzahler, mit denen man Nun tun sie es aber doch. Und sie geraten in Seenot. Schulen ausbauen könnte, die Kita-Qualität verbessern Und damit müssen wir umgehen. Keiner von uns – da bin könnte, den ÖPNV verbessern könnte oder in Straßen ich mir sicher – wird Menschen sehenden Auges ertrin- investieren könnte. Was hier in Berlin geschieht, ist ken lassen. Und solange keine andere Möglichkeit au- Rechtsbruch zulasten der Berliner Steuerzahler. ßerhalb der EU besteht, müssen die Geretteten in Europa aufgenommen und versorgt werden. Zum Thema Pull-Faktor: Die gleiche Wirkung hat die Arbeit der sogenannten NGOs. Diese betreiben, ob ge- Im Ergebnis sieht es also momentan so aus, dass ein- wollt oder ungewollt, das Geschäft der Schleuser. Diese zelne EU-Länder versuchen, ihrer menschlichen Verant- wissen, sogenannte Seenotrettungsschiffe warten an der wortung gerecht zu werden, andere nicht. Diese Situation 12-Seemeilen-Grenze, teilweise sogar rechtswidrig in- ist einer Staatengemeinschaft, die sich zu den Menschen- nerhalb, um Leute aufzunehmen. Die Schleuser schicken rechten bekennt, unwürdig. deshalb auch bei schlechtem Wetter die Menschen auch Eben deshalb hat sich die Bundesregierung innerhalb auf billigsten Schaluppen, mit billigsten Rettungswesten, der EU aktiv für die Ermöglichung einer Anlandung der die sich vollsaugen, und geben nur so viel Benzin mit, um betroffenen Schiffe eingesetzt. Und sie hat sich dazu be- aus der nationalen 12-Seemeilen-Zone in internationale reit erklärt, Menschen aufzunehmen und die Asylverfah- Gewässer zu kommen. Das heißt, die NGOs vergrößern ren für diese Menschen durchzuführen. den Gewinn der Schleuser, sie erleichtern deren Arbeit, mit der sie pro Schlauchboot bis zu 100 000 Euro verdie- Zugleich unterstützt die Bundesregierung die (B) nen, und empfehlen – partiell zumindest –, anschließend EU-Kommission sowie die jeweiligen Ratspräsident- (D) Ehen mit Flüchtlingen einzugehen. schaften bei den Verhandlungen zu einem gemeinsamen Vorgehen. Und keinesfalls sitzt sie die Sache aus – im Linke, Grüne und andere sogenannte „Gutmenschen“: Gegenteil: Sie treibt den Diskussionsprozess auf europä- Sie alle propagieren offene Grenzen, jeder soll kommen ischer Ebene aktiv und lösungsorientiert voran. Ich be- dürfen. Sie kritisieren die EU wegen ihrer Abschottungs- greife es absolut, dass sich in dieser Situation Menschen, politik. Erklären Sie mir doch einmal, wieso praktisch Organisationen und Städte aktiv einbringen, Vorschläge alle Menschen entweder nach Europa und insbesondere machen, konkrete Angebote machen. Deutschland oder in die USA wollen? Warum wollen sie nicht in die 57 islamischen Staaten dieser Welt? Wa- Die Bereitschaft der Städte und Gemeinden, Men- rum wollen sie nicht in die sozialistischen Staaten dieser schen aus dieser Situation heraus unkompliziert aufzu- Welt, ob Russland, Kuba oder Venezuela? nehmen, zeigt, dass die Städte trotz all der Belastungen, die sie seit Jahren zu tragen haben, ein großes humani- Apropos Venezuela: Ich erinnere an Frau Janine täres Verantwortungsbewusstsein haben. Dass man die ­Wissler, die Vorsitzende der kommunistischen Links- Retter und die Menschen in dieser Situation nicht allein fraktion im Hessischen Landtag, die von Hugo Chávez lässt, ist klar. Die Frage ist also nicht das Ob, sondern das und Venezuela schwärmte. Auf ihrer Homepage konnten Wie. Und hier gehen die Ansichten auseinander. Sie lesen: Die Menschen in Venezuela sind Subjekt des revolutionären Prozesses, in zahlreichen Kommunal- Trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten kann räten, Basisorganisationen und Vereinen wirken sie an langfristig nur eine gemeinsame, EU-weite Lösung Er- dem Aufbau einer neuen Gesellschaft mit. Veränderung folg haben. Denn es geht nicht nur um die mögliche Auf- braucht Bewegung von unten. Parlament und Regierung nahme und Verteilung der Betroffenen, sondern auch um allein können Gesellschaft nicht grundlegend verän- das Ziel, weitere gefährliche Überfahrten zu verhindern. dern. – Die Überschrift zu diesem Zitat war: Was man Und es kann auch nicht sein, dass Deutschland auf Dauer von dem revolutionären Prozess in Venezuela für Hessen überproportional viele Menschen aufnimmt und andere lernen kann? Länder sich nicht beteiligen. Herausgekommen ist eine sozialistische Diktatur. Die Die Aktion Seebrücke, der sich viele Städte ange- Praxis dieses Experiments an einer Gesellschaft können schlossen haben, und die hier debattierten Anträge for- wir in Venezuela bestaunen – insofern finde ich sozialis- dern: Die Gemeinden sollen frei entscheiden dürfen, tische Tagträume von Linken oder Juso-Vorsitzenden im- Geflüchtete aus Seenot aufzunehmen. Es soll dabei also mer brandgefährlich. Theorie und Praxis sind eben nicht keine Mitsprache von Landesregierungen und der Bun- zwei Seiten einer Medaille. desregierung geben. Und die Länder sollen humanitäre Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11937

(A) Aufnahmeanordnungen nach § 23 Absatz 1 AufenthG Erstens durch eine Novellierung der Fahrerlaub- (C) treffen dürfen. Das heißt, es sollen den Geretteten Auf- nis-Verordnung die Registrierung, das 1-Punkt-Limit enthaltsgenehmigungen unabhängig von Asylgründen sowie das Mindestalter für BF-17-Begleitpersonen zu erteilt werden. streichen und allein einen achtjährigen ununterbrochenen Führerscheinbesitz als Voraussetzung für Begleitpersonen Die Linken möchten hierzu ein politisches Einver- festzuschreiben, zweitens sich auf europäischer Ebene ständnis des BMI. Die Grünen gehen sogar noch weiter: nachhaltig für eine Neufassung der Richtlinie 2006/126/ § 23 Absatz 1 AufenthG soll umgeschrieben werden, das EG einzusetzen, sodass zukünftig der Erwerb der Füh- BMI soll gar nicht mehr zustimmen müssen. rerscheinklassen B und BE bereits ab 16 Jahren grund- Beide Ansätze haben eines gemein: Es sollen Allein- sätzlich ermöglicht wird, drittens den Ländern nach einer gänge ermöglicht werden. Alleingänge von Kommunen entsprechenden Änderung der EU-Richtlinie zu ermög- und Alleingänge einzelner Bundesländer. lichen, Modellprojekte zu realisieren und wissenschaft- lich zu begleiten, viertens bei positiver Evaluation das Aber die Aufnahme von Menschen aus humanitären Straßenverkehrsgesetz entsprechend zu ändern, um das Gründen ist eine staatliche Angelegenheit, keine kom- Begleitete Fahren mit 16 Jahren dauerhaft gesetzlich zu munale. Die Entscheidung über eine Aufnahme hat auch verankern. Auswirkungen auf Bundesbehörden, beispielsweise im Hinblick auf die notwendigen Sicherheitsüberprüfungen. Es ist in der Tat – wie in Ihrem Antrag angesprochen – so, dass es sich beim BF ab 17 um ein Erfolgsmodell Und die Kosten, das Asylverfahren, die Sozialleistun- handelt. gen – das alles sind staatliche Aufgaben. Daran müssen wir festhalten. Denn gut gemeint ist bekanntlich nicht Das Begleitete Fahren ab 17 war ursprünglich ein immer gut gemacht. Modellversuch des Landes Niedersachsen, welcher am Und deshalb heißt es in § 23 Absatz 1 Satz 3 auch, 30. April 2004 startete. Das Ergebnis des niedersäch- dass es zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit der Zu- sischen Modellversuchs ergab, dass die Teilnehmer stimmung des Bundesministeriums des Innern bedarf. 28,5 Prozent weniger Unfälle verursachten und 22,7 Pro- Diese Einheitlichkeit staatlichen Handelns darf man zent weniger Verkehrsverstöße begingen als andere Fahr- nicht einfach aufgeben, nur weil es einem politisch ge- anfänger. Im Bundestag wurde am 17. Juni 2005 ein Ge- legen kommt. setzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Vorschriften eingebracht, die den Weg für Dass das BMI zustimmen muss, soll in erster Linie eine bundeseinheitliche Regelung Begleitetes Fahren ab verhindern, dass Anordnungen einzelner Länder die In- 17 frei machte. Der Bundesrat stimmte dem Gesetzent- teressen anderer Länder beeinträchtigen. Das hat einen (B) wurf in seiner Sitzung vom 8. Juli 2005 zu. Rechtsgrund- (D) ganz einfachen Grund: Es gilt grundsätzlich Freizügig- lage war der neu geschaffenen § 6e Straßenverkehrsge- keit innerhalb des Bundesgebietes. Und es ist irgendwie setz (StVG) und § 48a Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). auch logisch. Es stand jedoch jedem Bundesland frei, ob es die Vor- Ich bin zuversichtlich, dass sich hier ein guter Weg schriften anwenden und den dort wohnhaften Bewerbern finden lässt, der die Menschen nicht im Stich lässt und das Begleitete Fahren ermöglichen wollte. Die Regelung den Willen der Bürger und Gemeinden berücksichtigt. war zunächst bis zum Ablauf des 1. August 2010 befris- Das eine schließt das andere nicht aus. tet. Am 17. Juni 2010 stimmten wir hier im Bundestag der Regelung zu, dass das Begleitete Fahren in das Dau- errecht übernommen wird

Anlage 8 Seit dem 1. Januar 2011 ist das Begleitete Fahren Teil des Dauerrechts. Schon damals habe ich mich aktiv für Zu Protokoll gegebene Reden diese Umsetzung eingesetzt. zur Beratung: Die Verkehrsministerkonferenz begrüßte im a) des von der Bundesregierung eingebrachten April 2018 die Bereitschaft der Bundesregierung, die Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des EU-Kommission von der Notwendigkeit eines Modell- Fahrlehrergesetzes vorhabens des BF 16 in Deutschland zu überzeugen, und forderte die Bundesregierung auf, gegenüber der b) des Antrags der Abgeordneten Torsten Herbst, EU-Kommission weiterhin auf die Schaffung einer ent- Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer sprechenden Ermächtigungsgrundlage zur Erprobung Abgeordneter und der Fraktion der FDP: des BF 16 hinzuwirken, um einzelnen Bundesländern die Verkehrssicherheit durch Reform des Beglei- Durchführung eines solchen Modellversuchs zu ermögli- teten Fahrens ab 17 Jahren erhöhen chen. Dieses wurde im EU-Führerschein-Ausschuss im (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Herbst 2018 durch die Bundesregierung auch so umge- setzt und vertreten. Für eine endgültige Entscheidung ist Gero Storjohann (CDU/CSU): Wir diskutieren heu- aber eine positive Mitwirkung der anderen Mitgliedstaa- te über den Antrag der FDP-Fraktion ,,Verkehrssicherheit ten notwendig. Mit einer Entscheidung ist hier erst nach durch Reform des Begleiteten Fahrens ab 17 erhöhen’’. der Europawahl zu rechnen. Die Bundesregierung wird in diesem zu vier Maßnah- Die Punkte zwei bis vier Ihres Antrages sind somit men aufgefordert: schon längst durch die Bundesregierung umgesetzt. 11938 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Ihre erste Forderung halte ich nicht für eine Förderung also, dass auch dieses Mal ein breiter Konsens hinter (C) der Verkehrssicherheit. Der Wegfall der Registrierung diesem Gesetz steht. würde bedeuten, dass ein Fahrer immer schnell einsprin- gen kann und sich nicht aktiv mit der Rolle und der Ver- Ein solch breiter Konsens wurde übrigens auch schon antwortung des Beifahrers auseinandersetzten muss. Der 2017 gefunden. Damals erzielten die Regierungsparteien weitere Wegfall des 1-Punkte-Limits würde dazu führen, in enger Kooperation mit den Fachverbänden insgesamt dass die Begleitperson Ihre Vorbildfunktion verlieren eine gute Übereinkunft, auch wenn die SPD damals den würde und man dem Fahranfänger signalisieren wür- einen oder anderen Punkt gerne noch mit aufgenommen de, dass ein positives Verhalten im Straßenverkehr egal hätte, etwa die Kontrolle von Freiberuflern auf Einhal- sei. Den Wegfall des Mindestalters von 30 Jahren kann tung der 495-Minuten-Regel. ich ebenfalls nicht als Erhöhung der Verkehrssicherheit Die Kritik, die hier und heute vereinzelt von der Op- nachvollziehen, denn ein achtjähriger Führerscheinbesitz position – Grüne und Linke – kommt und auch schon im würde so dann nur ein Mindestalter von 25 Jahren des Ausschuss vorgebracht wurde, zielt indes gar nicht auf Begleitfahrers nach sich ziehen. den uns vorliegenden Gesetzentwurf, sondern in ihrem Kern auf jene Novellierung aus 2017. Ich will aber gar Da die Dauer der EU-Gesetzgebungsverfahren unklar nicht die Debatten von damals noch einmal eröffnen, ist, halte ich es für effizienter, den BF17 noch stärker auch weil wir uns da im Prinzip einig waren. Ich will zu bewerben, wie es das Ministerium für Verkehr mit Sie nur daran erinnern, dass auch Ihre beiden Fraktionen Fördermitteln an DVW und DVR auch schon lange tut. damals keine nennenswerten Einwände gegen die No- Denn in der Praxis schafft es nur ungefähr ein Viertel der vellierung hatten, sondern die Überarbeitung hingegen Jugendlichen, die maximale Begleitzeit von zwölf Mona- begrüßten. ten auszunutzen. Der Großteil der Jugendlichen wird also deutlich später fertig und weist noch deutlich kürzere Der nun heute zur Diskussion stehende Gesetzentwurf Begleitzeiten auf; einigen gelingt die anvisierte Teilnah- zielt auch darauf – eigentlich ganz in Ihrem Sinne –, die me am BF17 gar nicht mehr. Im Durchschnitt beginnen Anforderungen an Ausbildungsfahrlehrer noch einmal sie ihre Fahrschulausbildung erst 1,8 Monate vor dem etwas zu erhöhen, indem wir über die bloße Teilnahme 17. Geburtstag und benötigen 6,8 Monate für die Ausbil- an einem Einweisungslehrgang hinaus eine staatliche dung. Mit der somit nicht vollständigen Ausnutzung der Anerkennung des Ausbildungsfahrlehrers einführen. maximalen Begleitzeit wird damit ein wichtiger – denk- bar weiterer – Sicherheitsgewinn verschenkt. Was ich Ihnen gerne zugestehen möchte – aber da re- den wir überhaupt nicht über den vorliegenden Gesetz- Ich persönlich halte auch die Einführung von Feed- entwurf –, ist, dass wir künftig ein geschärftes Auge auf (B) back-Fahren für sinnvoll. Durch die Feedback-Fahrten die Entwicklungen in der Fahrzeugtechnologie werfen (D) lernen junge Fahrer, das eigene sowie das Fahrverhalten und entsprechend auch die Rolle des Fahrlehrwesens re- anderer zu reflektieren und gefährliche Verkehrssituati- flektieren müssen. Sicherlich werden sich hier die An- onen besser einzuschätzen. Fehlverhalten nach erfolg- forderungen unter dem Stichwort „Autonomes Fahren“ reicher Führerscheinprüfung kann so korrigiert werden. auch verändern und in der Tendenz erweitern. Österreich und Finnland haben das Konzept sehr erfolg- reich eingeführt. Dort gibt es in der Zielgruppe bis zu Eine fortschreitende Technisierung – nicht nur der 30 Prozent weniger tödliche Unfälle. Fahrzeuge, sondern auch der Verkehrsinfrastruktur – be- deutet nicht nur Entlastung. Ein angemessener Umgang Der Antrag ist folglich abzulehnen, da er keine neuen erfordert mehr Kompetenzen. Das wird – wie überhaupt Initiativen für die Verkehrssicherheit bietet und zeitlich das Bildungswesen – auch die Fahrlehrerausbildung be- veraltet ist. treffen. Wenn der Fahrzeugführer zum Krisenmanager wird, dann reden wir bezüglich der Sicherheit im Stra- ßenverkehr über strukturelle Veränderungen. Ich er- (SPD): Wir reden heute über etwas, Elvan Korkmaz kenne, dass wir da in der Hauptsache übereinstimmen, das bereits 2012 seinen Anfang genommen hat. Damals und freue mich, wenn wir dann, wenn es an die wirklich hatte die Verkehrsministerkonferenz dazu aufgefordert, wichtigen Fragen geht, konstruktiv zusammenarbeiten das seit 1969 nicht mehr nennenswert novellierte Ge- können. setz an die Anforderungen der Gegenwart anzupassen. Die letzte Bundesregierung hat sich diesem Vorhaben Mein Verständnis von Sicherheit heute kann ich am schließlich angenommen. Das Fahrlehrergesetz wur- Antrag der FDP-Fraktion, den wir hier mitdiskutieren, de Ende 2017 grundlegend novelliert, und die Novelle zeigen; denn da steckt die Verkehrssicherheit schon im trat zum 1. Januar 2018 in Kraft. Ziel war es damals, die Titel. Nach meinem Verständnis von Sicherheit ist das Ausbildung von Fahrlehreranwärtern zu verbessern und begleitete Fahren ab 17 ein voller Erfolg. Warum also somit im Sinne der Verkehrssicherheit zu handeln. nicht auch ab 16? Ja, gut, regionalbegrenzte Testversuche sollten dem vorausgehen, und die Bundesregierung wird Heute debattieren wir einen Gesetzesentwurf in zwei- sich auch auf europäischer Ebene dafür einsetzen, das ter Lesung, der an dieser umfassenden Novellierung zu ermöglichen; denn einige Bundesländer stehen auch vornehmlich redaktionelle Änderungen und nur wenige schon in den Startlöchern. inhaltliche Korrekturen, vor allem systematischer Natur, vornimmt. Der unterdessen eingebrachte Änderungsan- Ob es Ihnen aber tatsächlich um die Verkehrssicher- trag zu diesem Gesetzesentwurf basiert in der Hauptsa- heit geht? Da werde ich schon wieder mal nicht schlau che auf den Anmerkungen des Bundesrates. Sie sehen aus Ihrem Antrag; denn gleichzeitig wollen Sie ja das Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11939

(A) Punktelimit und das Mindestalter für die Begleitpersonen kehrsminister der Länder als auch Staatssekretär Stefan (C) der Minderjährigen streichen. Ich mache es kurz: Ich hal- Zierke haben sich kürzlich entsprechend geäußert. te den Standard, den sie hier vorschlagen, für zu niedrig. Vor allem das bisher geltende 1-Punkte-Limit für Be- Wir lehnen Ihren Antrag ab, weil er etwas fordert, das gleitpersonen ist mehr als überflüssig. Denn man darf bereits in Arbeit ist, und Standards senken will, obwohl zwar mit mehr als einem Punkt in Flensburg als Fahrleh- die Teilnahme am Straßenverkehr – das habe ich schon rer tätig sein, einen Gefahrguttransporter oder ein Flug- gesagt – künftig eher anspruchsvoller wird. zeug steuern, aber nicht einen Jugendlichen am Steuer begleiten. Stattdessen sorgt die aktuelle Regelung für Torsten Herbst (FDP): Wir diskutieren heute über Hunderttausende aufwendige Verwaltungsvorgänge. Wir ein Gesetz, das nach nur zwei Jahren Gültigkeit schon finden: Das muss nicht sein. wieder geändert werden muss. Effektives und überzeu- gendes Regierungshandeln sieht anders aus – erst recht Lassen Sie uns also Hürden beim Begleiteten Fahren angesichts der Tatsache, dass der Evaluierungszeitraum senken und den Umfang ausweiten – für mehr individu- des Ursprungsgesetzes erst in der vergangenen Woche elle Mobilität und eine höhere Verkehrssicherheit. abgelaufen ist. Vor diesem Hintergrund sind die hand- werklichen Fähigkeiten dieser Regierung ernsthaft zu Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Bundesregierung hinterfragen. möchte das erst vor zwei Jahren umfassend neu geregel- te Fahrlehrergesetz in einigen kleinen, aber aus unserer Die jetzt vorgeschlagenen Änderungen im Fahrlehrer- Sicht entscheidenden Detailfragen ändern. gesetz halten wir in der Summe dennoch für sinnvoll und richtig. Wir werden dem Entwurf daher zustimmen. Wie So sollen zum Beispiel die Anforderungen an Ausbil- bei vielen Gesetzen der Regierung ist aber nicht allein dungsfahrlehrer erheblich gesenkt werden, was auf un- spannend, was im Gesetz steht – spannend ist vor allem, seren entschiedenen Widerspruch stößt. Fahrlehrer, die was nicht im Gesetz steht. neue Fahrlehrer ausbilden wollen, müssen bisher eine dreijährige Tätigkeit als Fahrlehrer nachweisen. Künftig Die Fahrlehrer- und Fahrschülerausbildung ist mit ei- soll es ausreichen, selbst seit drei Jahren einen BE-Füh- ner Reihe neuer Herausforderungen konfrontiert, die eine rerschein zu besitzen und ein fünftägiges Einweisungsse- Antwort des Gesetzgebers erfordern. minar zu besuchen. Wir sind uns sicher einig: An erster Stelle muss das Aber wie soll man denn erfolgreich als Ausbilder für Ziel einer höheren Verkehrssicherheit stehen. Und hier Fahrlehrer arbeiten, wenn man selbst nie als Fahrlehrer ist aus unserer Sicht eine Gesetzesänderung beim „Be- gearbeitet hat? Fahrlehrer leben von Erfahrung. Wir kön- gleiteten Fahren ab 17” überfällig. Wir fordern die Bun- (B) nen diese Änderung nicht nachvollziehen und lehnen sie (D) desregierung daher auf, nicht nur das Fahrlehrergesetz zu daher ab. ändern, sondern auch die Fahrerlaubnis-Verordnung zu modernisieren. Auch dass künftig Aufbauseminare und Verkehrspä- dagogikkurse erteilen darf, wer die entsprechende Fort- Denn unter den Verkehrssicherheitsexperten ist un- bildung lediglich besucht hat, finden wir nicht nachvoll- strittig: Das schrittweise Heranführen Jugendlicher an ziehbar . An dieser Stelle die Prüfung entfallen zu lassen, das selbstständige Autofahren schafft einen wichtigen wäre ungefähr so, jeden Schüler das Abitur bestehen zu Beitrag zur Verkehrssicherheit. Es bedeutet außerdem lassen, wenn er nur im Unterricht anwesend war. die Übernahme von Eigenverantwortung und ermöglicht mehr individuelle Mobilität. Denn nicht jeder hat eine U- Zum Antrag der FDP: Sie greifen einige interessante oder S-Bahn-Station vor der Tür. Punkte auf. Das Missverhältnis beim 1-Punkt-Limit für Belgleitpersonen im Vergleich zu anderen Punktelimits Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Seit der ist mindestens diskutabel. Einführung im Jahr 2011 hat das „Begleitete Fahren mit 17” die Verkehrssicherheit von Fahranfängern verbes- Beim Führerschein ab 16 Jahren haben Sie meine sert. Laut der Bundesanstalt für Straßenwesen sind Ju- Unterstützung. Es ist schwer nachzuvollziehen, weshalb gendliche mit einer Teilnahme am begleiteten Fahren im Jugendliche bereits mit 16 ein Motorrad führen dürfen, ersten Jahr des Alleinfahrens rund 20 Prozent seltener an jedoch kein Auto, obwohl, zumindest was die Eigenge- Verkehrsunfällen beteiligt. Das ist ein echter Sicherheits- fährdung angeht, das Motorrad eindeutig das gefährli- gewinn für alle Beteiligten. chere Verkehrsmittel ist. Für uns ist dies ein guter Grund, das erfolgreiche Mo- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die dell auszubauen und gleichzeitig bürokratische Hürden Daniela Wagner Bundesregierung plant unter dem Vorwand, lediglich für Begleitpersonen und Kommunen zu beseitigen. Die EU-Richtlinien zur Datensicherheit umzusetzen, gleich Verfügbarkeit von geeigneten Begleitpersonen ist der weite Teile des Fahrlehrergesetzes mit zu verändern, Schlüssel dazu, dass das begleitete Fahren funktioniert. und das, obwohl das bislang geltende Gesetz gerade erst Nach unserer Auffassung sollte der achtjährige ununter- zum 1. Januar 2018 novelliert wurde. Dabei behauptet brochene Führerscheinbesitz dafür ausreichen. die Bundesregierung, dass die Novelle die Anforderun- Lassen Sie uns gemeinsam auf EU-Ebene dafür kämp- gen an die Fahrlehrerausbildung erhöhen wird. Die Ver- fen, dass auch 16-jährige Jugendliche in Zukunft am be- längerung einer Weiterbildung, ohne eine erfolgreiche gleiteten Fahren teilnehmen dürfen. Dieser Meinung ist Teilnahme zu prüfen, ist keine echte Verbesserung. Wir im Übrigen nicht nur unsere Fraktion. Sowohl die Ver- halten das für falsch. Es soll also ausreichen, bloß an- 11940 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) wesend zu sein – ganz ohne in Betracht zu ziehen, ob Michael Donth (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden (C) das Gelehrte überhaupt verstanden wurde. Dasselbe gilt Gesetzentwurf setzen wir die EU-Richtlinie 2016/2370 übrigens nun für mehrere verpflichtende Seminare. An um, die Teil des vierten Eisenbahnpakets ist. Die Richt- sechs verschiedenen Stellen in der Neufassung wird nun linie enthält vorrangig Regelungen zur Marktöffnung im von der Prüfung des erfolgreichen Bestehens von ver- Schienenpersonenverkehr, zur Unabhängigkeit von Be- pflichtenden Lehrgängen abgesehen. Das soll einen an- treibern von Schienenwegen und zur finanziellen Trans- geblich unnötigen bürokratischen Aufwand verhindern, parenz. wie es in der Begründung zum Gesetzentwurf heißt. Wir Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf nehmen aber sind davon überzeugt, dass eine bloße Teilnahme wir die Änderungen im Eisenbahnregulierungsgesetz nicht ausreicht. Es wird zu einer merklichen Reduzierung und im Allgemeinen Eisenbahngesetz vor, die notwen- der Qualität der Fahrlehrerausbildung führen. dig sind, um die Richtlinie vollständig in deutsches Wenn die Qualität der Fahrlehrerausbildung abnimmt, Recht umzusetzen. Ein Großteil ihrer Regelungen ist bei wird auch die Lehre der Fahrschulen schlechter. Es ist uns schon lange umgesetzt, wie beispielsweise die zur unbegreiflich, wieso die Bundesregierung eine schlechte- Marktöffnung. re Ausbildung in den Fahrschulen in Kauf nimmt – auch Dagegen machen es die ausführlichen Neuregelun- und gerade im Hinblick auf „Vision Zero“, also das Ziel, gen und Erweiterungen der Richtlinie in den Bereichen Unfälle stark zu reduzieren. Der ohnehin immer komple- „Unabhängigkeit von Infrastrukturbetreibern“ und „Fi- xer und dichter werdende Straßenverkehr bedarf drin- nanzielle Transparenz“ notwendig, unsere bisherigen gend einer besseren Lehre in den Fahrschulen. Statt die Rechtsvorschriften komplett neu zu strukturieren. Der Anforderungen an angehende Fahrlehrende zu senken, Gesetzentwurf übernimmt jetzt die Struktur aus der sollte man viel eher die Anforderungen erhöhen. Was die EU-Richtlinie. Fahrschülerinnen und Fahrschüler in den Fahrschulen lernen, wird sich in ihrer Fahrweise unmittelbar wieder- Auch der Begriff „vertikal integriertes Unternehmen“, finden. Damit betrifft es alle Verkehrsteilnehmerinnen was bei uns in Deutschland insbesondere die Deutsche und -teilnehmer. Bahn AG betrifft, wird aus der Richtlinie übernommen. Für diese Unternehmen sind besondere Regelungen zur Des Weiteren wird dieser Gesetzentwurf nicht den Unabhängigkeit des Infrastrukturbereichs von den ande- Studien gerecht, die zeigen, dass immer mehr Fahrschü- ren Unternehmensbereichen vorgesehen, also von Schie- lerinnen und -schüler nicht mehr die Fahrprüfung beste- ne und Betrieb. hen. Mittlerweile fällt jede bzw. jeder Dritte durch die Prüfung. Dabei sind erstaunlicherweise die Unterschiede Die anderen Bereiche dürfen keinen bestimmen- in den Bundesländern gewaltig. In manchen Bundeslän- den Einfluss auf die Entscheidungen des Betreibers der (B) dern fielen über 40 Prozent durch die theoretische Prü- Schienenwege in Bezug auf die wesentlichen Funktionen (D) fung. In Hessen dagegen sind es nur 23 Prozent. Man ausüben, und die Unparteilichkeit der handelnden Perso- kann davon ausgehen, dass die Durchfallquoten mit den nen muss gesichert sein. Entsprechend sind Doppelman- date von Vorstandsmitgliedern des Konzerns mit gleich- geplanten Änderungen noch schlechter werden. Experten zeitiger Wahrnehmung von wesentlichen Funktionen bei gehen davon aus, dass eine der Ursachen eine nicht mehr dem Infrastrukturbetreiber verboten. Außerdem müssen angemessene Schulung ist. Fahrlehrerinnen und Fahr- unternehmensinterne Regelungen aufgestellt werden, die lehrer sollten über mehr pädagogische und didaktische bei dem Infrastrukturbetreiber die Unparteilichkeit des Fähigkeiten verfügen. Das alles ist viel mehr als nur ein Vorstandes und der obersten Führungskräfte sicherstel- harmloser Bürokratierückbau. Vielmehr handelt es sich len. Diese Regelungen müssen auch veröffentlicht wer- um einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel mit weitrei- den, damit wir da Transparenz haben. chenden Folgen. Mit dem Eisenbahnregulierungsgesetz aus der vergan- Zudem sollen die jährlichen Kosten der Fahrschulen genen Wahlperiode haben wir schon einen großen Schritt für Nachweis- und Anzeigepflichten um 402 000 Euro zur Marktöffnung und zu einem diskriminierungsfreien steigen. Diese immensen Kosten werden sich auf die Zugang auf dem deutschen Schienennetz gemacht. Mit Preise der Fahrschulen auswirken. Der Führerschein der Evaluierung des Gesetzes werden wir in dieser Le- muss aber ein – auch – finanziell für alle Bürgerinnen gislaturperiode prüfen, an welchen Stellen wir eventuell und Bürger erreichbares Ziel sein und bleiben. noch etwas nachjustieren müssen. Die neuen Regelungen aus der Richtlinie setzen den damit eingeschlagenen Weg in Richtung mehr Wettbewerb auf der Schiene fort, was Anlage 9 wir sehr begrüßen; denn Wettbewerb belebt bekanntlich das Geschäft. Er fördert Innovationen und die Bemühun- Zu Protokoll gegebene Reden gen, die Qualität zu verbessern, was wiederum den Kun- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- den zugutekommt. brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung Wir von CDU, CSU und SPD haben die Eins-zu-eins- der Richtlinie (EU) 2016/2370 vom 14. Dezember Umsetzung von EU-Vorgaben im Koalitionsvertrag an 2016 zur Änderung der Richtlinie 2012/34/EU mehreren Stellen als Ziel definiert, um Unternehmen bezüglich der Öffnung des Marktes für inländi- Rechtssicherheit zu geben und Bürokratie und langwie- sche Schienenpersonenverkehrsdienste und der rige Verfahren zu vermeiden. Deshalb unterstützen wir Verwaltung der Eisenbahninfrastruktur die weitgehende Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinie (Tagesordnungspunkt 19) durch den vorliegenden Gesetzentwurf. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11941

(A) Florian Oßner (CDU/CSU): Wenn die Anzahl der Um die Ziele des Koalitionsvertrages zu erreichen, (C) Debatten zum Thema Bahn in den vergangenen Wochen treiben wir auch die Digitalisierung der Schiene aktiv einen Rückschluss zulässt, dann diesen: Die Schiene be- voran. Dazu gehört unter anderem die Ausrüstung mit wegt sich. Sie sind auch ein Beweis dafür, dass die sich dem Zugsicherungs- und Leitsicherungssystem ETCS, ständig wiederholenden Vorwürfe der Opposition, die wodurch es möglich sein wird, dass Züge schneller hin- Große Koalition engagiere sich zu wenig für den Schie- tereinander fahren können nenverkehr, nicht haltbar sind und an der Problematik völlig vorbeigehen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, aber die entscheidenden Weichen sind bereits gestellt. Ich bin Auch der Schienengipfel am vergangenen Dienstag zuversichtlich, dass wir unsere Ziele zur Stärkung des im Verkehrsministerium war ein eindeutiger Beleg für Schienenverkehrs erfolgreich umsetzen werden. Zudem die hohe Bedeutung, den wir dem Verkehrsträger Schie- freue mich auf die inhaltliche Debatte im Ausschuss. ne einräumen. An dieser Stelle mein ausdrücklicher Dank an unseren Bundesminister Andreas Scheuer sowie den Schienenbeauftragten der Bundesregierung, Enak Torsten Herbst (FDP): Mit dem vorliegenden Ge- Ferlemann, für diesen gelungenen Aufschlag! setzentwurf der Bundesregierung soll eine EU-Richtlinie des 4. Eisenbahnpakets in nationales Recht überführt Im Ausschuss haben wir diese Woche darüber hinaus werden. unseren gemeinsamen Antrag mit dem Titel „Der Schiene höchste Priorität einräumen“ vorgestellt. Ich denke, kla- Das ist höchste Zeit. Denn die schwarz-rote Bundes- rer kann man nicht formulieren, welch hohen Stellenwert regierung hat sich mal wieder so viel Zeit mit der Um- der Schienenverkehr in der Großen Koalition genießt. setzung gelassen, dass die Europäische Kommission in- zwischen mit einem Vertragsverletzungsverfahren droht. Aber nun zum Kern der heutigen Debatte: Mit dem Ich frage mich langsam ernsthaft, warum die Bundesre- vorliegenden Gesetzesentwurf setzen wir die Richtli- gierung die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales nie 2016/2370, welche Teil der politischen Säule des Recht so häufig nicht rechtzeitig hinbekommt. vierten Eisenbahnpaketes ist, ins nationale Recht um. Kurz zusammengefasst sieht der Gesetzesentwurf Ände- Als das 4. Eisenbahnpaket im Jahr 2013 von der rungen im Eisenbahnregulierungsgesetz – ERegG – so- Kommission vorgeschlagen wurde, ging es um ein gro- wie im Allgemeinen Eisenbahngesetz – AEG – vor. Die ßes Ziel: Die Trennung von Netz und den Betrieb sollte Schwerpunkte liegen in den Bereichen „Marktöffnung“, überall in Europa echten Wettbewerb auf der Schiene „Unabhängigkeit des Betreibers der Schienenwege“ so- ermöglichen. Wir Freie Demokraten unterstützen dieses wie „Finanzielle Transparenz“. Ziel ausdrücklich. (B) (D) Mit diesen Änderungen werden wir nicht nur das be- Übrig geblieben ist davon leider kaum etwas. In Sa- stehende Eisenbahnrecht weiter verbessern, sondern sor- chen Transparenz, Wettbewerb und Fairness im Schienen- gen wir auch für mehr Leistungsfähigkeit auf der Schiene. verkehr sind die finalen Ergebnisse mager. Insbesondere Sie werden uns helfen, den Weg zu einem liberalisierten durch intensive Interventionen dieser Bundesregierung Eisenbahnmarkt in Europa weiter zu ebnen – mit trans- und anderer nationaler Regierungen in Brüssel bleibt mit parenten Regeln und hohen Sicherheitsstandards, die der vorliegenden Richtlinie nahezu alles beim Alten. mit fairem Wettbewerb für Fortschritt und Innovationen beim Personenverkehr sorgen. Wir als CDU/CSU sind Zwar müssen Finanzströme und personelle Verbin- überzeugt davon, dass auch im Eisenbahnsektor ein bes- dungen von Netz- und Betriebssparten nun besser ge- seres Angebot zu mehr Zufriedenheit bei den Kunden trennt werden – aber von einer echten Trennung sind wir führen wird. weiter Lichtjahre entfernt. Etablierte Eisenbahnunternehmen müssten effizienter Die Leidtragenden dieser kurzsichtigen Politik sind werden, um mit den neuen Marktteilnehmern konkurrie- die Millionen Bahnkunden in Deutschland. Ihnen blei- ren zu können. Ein besseres Dienstleistungsangebot hilft ben dadurch ein besseres Angebot und niedrigere Preise den Eisenbahnunternehmen, wettbewerbsfähiger gegen- verwehrt. über anderen Verkehrsträgern zu werden. Wir begrüßen es als CDU/CSU ausdrücklich, dass der Wie es besser geht, machen uns einige unserer euro- Schienenverkehr in Europa immer weiter vereinheitlicht päischen Nachbarn vor. Seit 2011 der Markt in Italien wird; denn der Zugverkehr ist dann besonders effizient, für Wettbewerber geöffnet wurde, hat sich die Nachfrage wenn er über lange Strecken geht, insbesondere was den im Fernverkehr verdoppelt. Die Preise sind seitdem um Hochgeschwindigkeitsverkehr angeht, aber auch im Gü- 40 Prozent gefallen. Wettbewerb mit einem klaren Nut- terverkehr. zen für den Bahnkunden gibt es unter anderem auch in der Tschechischen Republik und in Großbritannien. Ich Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verstän- kann jedem von Ihnen nur empfehlen, sich das einmal digt, dass wir bis 2030 die Zahl der Fahrgäste verdoppeln selbst anzuschauen. und mehr Güter auf die Schiene holen. Zentraler Punkt hierfür ist die Umsetzung des Projektes Deutschlandtakt. Wettbewerb belebt das Geschäft. Diese Erkenntnis Das bedeutet, dass deutschlandweit attraktive Taktzeiten scheint in allen Lebensbereichen angekommen zu sein, mit gut abgestimmten und schnellen Umsteigemöglich- nur nicht im deutschen Bahnfernverkehr. Sorgen wir da- keiten im Nah- und Fernverkehr eingerichtet werden. für, dass sich das endlich ändert. 11942 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Sabine Leidig (DIE LINKE): Wir sind der Meinung, Anlage 10 (C) dass Eisenbahnunternehmen in Europa zusammenar- beiten müssen und gesellschaftliche Aufgaben haben: Zu Protokoll gegebene Reden Bahnanbindung von Kommunen und Betrieben, Nacht- zur Beratung des Antrags der Abgeordne- zugverbindungen als Alternative zum Flugverkehr, Elek- ten Ottmar von Holtz, Uwe Kekeritz, Anja trifizierung und regenerative Energieversorgung zum Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Beispiel. Das gilt vor allem für die Staatsbahnen. on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Recht von Wir sagen: Die Liberalisierung im Bahnbereich ist der Mädchen auf Bildung und Gesundheit in Kri- grundsätzlich falsche Weg. Die Bahn wird davon nicht sen- und Konfliktgebieten stärken und die G7-De- besser – im Gegenteil. Europa hat Bahnverbindungen klaration zügig und konsequent umsetzen verloren. Das grenzüberschreitende Nachtzugnetz zum (Tagesordnungspunkt 20) Beispiel ist heute viel kleiner und schlechter als vor 20 Jahren. Dabei ist die Nachfrage da, und nach Ihrer Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Das Recht von Theorie sollte der „Eisenbahnmarkt“ für entsprechende Mädchen auf Bildung und der Zugang zu Gesundheits- Angebote sorgen; tut er aber nicht. Nicht nur weil der diensten ist ein wichtiges Thema. Die Förderung von Flugverkehr mit Milliarden subventioniert wird, sondern Frauen in den unterschiedlichsten Bereichen – und das auch weil sich die Staatsbahnen der Nachbarländer als schließt Mädchen ein – ist zentraler Bestandteil der Konkurrenten gegenseitig ausbremsen. deutschen Entwicklungspolitik. Hierzu zählt auch, den Zugang zu Angeboten der Familienplanung zu ermögli- In der Zeitschrift „Mobil“, die im ICE ausliegt, gibt es chen. Die Auswirkungen der durch US-Präsident Donald in diesem Monat den Themenschwerpunkt Europa und Trump wiedereingeführten Global Gag Rule in diesem eine Doppelseite unter der Überschrift „Interrail“. Da Zusammenhang halten wir für gravierend und ein grund- kann man lesen, wie toll es ist, den Kontinent per Bahn legend falsches Signal. zu bereisen. Aber: Wer bei der Deutschen Bahn AG ein Meine Beurteilung ist, dass Minister Müller erkannt Ticket von Berlin bis Barcelona buchen will, kann das hat, dass Investitionen in Mädchen und Frauen, auf- nicht online tun, steht Stunden am Serviceschalter und grund der vielfältigen positiven Auswirkungen, zu den zahlt über 400 Euro – einfach. kosteneffizientesten Entwicklungsmaßnahmen gehören. Das ist das traurige Ergebnis der neoliberalen Politik, Deutschland gehört deshalb zu den fünf größten Gebern mit der Sie alles dem Markt unterwerfen wollen – obwohl im Bereich der reproduktiven Gesundheit und Familien- wir längst wissen, dass privatwirtschaftliche Gewinnori- planung. Rund 100 Millionen Euro stehen jährlich dafür entierung Gift ist für öffentliche Dienste. Das heilen Sie in unserem Bundeshaushalt und kommen Mädchen und (B) auch nicht mit dem x-ten Eisenbahnwettbewerbsregulie- Frauen zugute. (D) rungsgesetz. So hat beispielsweise auch die KfW ihre Zusagen Mit dem vorliegenden Entwurf will die Bundesre- für Entwicklungs- und Schwellenländer im Auftrag der gierung nun das Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG) Bundesregierung 2018 weiter gesteigert: 128 Millionen Menschen profitieren von den Neuzusagen in Bereichen und das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) europakon- wie reproduktive Gesundheit, Gesundheitsinfrastruktur form ändern. Das Ministerium hat die Sache zwei Jah- und Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Knapp die re schleifen lassen, und jetzt wollen Sie das Gesetz mit Hälfte dieser Zusagen zielt auf die unmittelbare Verbes- Hochdruck durchpeitschen. Das lehnen wir ab. Es gibt serung der Gesundheit von Müttern und Kindern ab. Diskussionsbedarf. Die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Dr. Maria Abgesehen davon begrüßen wir, dass die Verpflich- Flachsbarth, ist seit diesem Jahr sogenannter „She-De- tung zur Aufstellung von Notfallplänen vorgesehen ist, cides-Champion“ – das heißt, eine Botschafterin für das die zwischen den Eisenbahnverkehrsunternehmen abge- Engagement im Bereich Frauengesundheit und Familien- stimmt werden sollen. planung – und zeigt damit, welche Bedeutung das Thema Wichtiger noch wären Vertrauen und Kooperation hat. zwischen den Eisenbahnverkehrsunternehmen. Die dür- Der heutigen Debatte liegt ein Antrag der Fraktion fen nicht auf den betriebswirtschaftlichen Gewinn ausge- Bündnis 90/Die Grünen zugrunde, der sich insbesondere richtet sein, sondern am bestmöglichen Bahnsystem. Ei- auf Krisen und Konfliktregionen fokussiert. Gewalt und senbahn funktioniert am besten als Netzwerk und nicht, Unterdrückung von Mädchen und Frauen im Fluchtkon- wenn die eine Staatsbahn der anderen Marktanteile ab- text ist leider kein Randphänomen und findet teilweise nehmen will. Wir setzen uns für eine ganz grundsätzlich systematisch statt. Insbesondere wenn staatliche Struk- andere Bahnpolitik in Europa ein: für eine Investitionsof- turen fehlen, sind Willkür keine Grenzen gesetzt. Hier fensive unter der Überschrift „Eisenbahn statt Autobahn“ gilt es, von außen so gut wie möglich zu helfen. Opfer und für die „United Railways of Europe“ als Dach, unter sexueller Gewalt fragen nach Gerechtigkeit, einer wirt- dem die Deutsche Bahn, die ÖBB, die SNCF und alle an- schaftlichen Perspektive, Sicherheit sowie Unterstützung deren zusammenarbeiten und gemeinsam dem Flug- und psychologischer und ärztlicher Art. Straßenverkehr Marktanteile abjagen. Wir wollen wieder Deshalb hat das BMZ im November 2017 einen ein gutes europaweites Netz von Zügen – bei Tage und 5-Punkte-Plan „Keine Gewalt gegen Frauen“ verabschie- als Nachtzüge – schaffen. Nur so kann die Bahn auch auf det. Seither wird in allen Regierungsverhandlungen mit langen Strecken wieder zur klimagerechten Reisealterna- Partnerländern die Situation von Frauen und Mädchen tive werden. explizit angesprochen. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11943

(A) Deutschland nimmt außerdem seine zweijährige Mit- Lebensgefährlich sind aber auch Geburten für viel zu (C) gliedschaft als nichtständiges Mitglied im UN-Sicher- junge Mädchen, deren körperliche Voraussetzungen noch heitsrat zum Anlass, mehr Engagement für die Gleich- nicht ausreichend entwickelt sind. Nicht umsonst ist ein berechtigung der Geschlechter zu fordern, und hat dabei Heiratsalter über 18 Jahren auch deshalb dringend gebo- vor allem den Schutz von Frauen vor sexualisierter Ge- ten, weil frühe Schwangerschaften die Gesundheit junger walt im Kontext von Konflikt- und Krisensituationen in Frauen massiv einschränken. den Blick genommen. Ich verweise hier auf die deutsche UN-Resolution zu sexueller Gewalt in Konflikten, die Die reproduktiven Rechte von Frauen und Mädchen mit 13 Ja-Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen werden schon zu Friedenszeiten häufig nicht ernst ge- wurde. Auch wenn es von verschiedenen Seiten Kritik nommen – umso mehr werden Frauen und Mädchen zu gibt, hat Deutschland damit ein wichtiges Signal auf den ersten Opfern in Konfliktsituationen –, auch im Hin- die internationale Agenda gebracht: Es darf nicht mehr blick auf sexuelle Übergriffe. Bei Friedensverhandlun- Straflosigkeit gelten, wenn es zu Fällen sexueller Gewalt gen und beim Versuch, Kriegsverbrechen aufzuarbeiten, in Konflikten gekommen ist. Heute ist das leider noch wird Gewalt gegen Frauen nicht ausreichend aufgearbei- die Regel. tet – auch und gerade weil Frauen viel zu selten an Ver- handlungen teilnehmen. Die eingangs von mir erwähnte „reproduktive Gesund- heit“ ist in der verabschiedeten Resolution kein Bestand- Grundlegend ist eine Sache: Ob wir über Bildung, teil geblieben. Das ist aus deutscher Sicht zu bedauern! über Entwicklungspolitik, über Menschenrechte, über Auch die Forderungen nach einem festen internationalen Gesundheit, über Friedensverhandlungen und ganz Mechanismus zur Verfolgung sexueller Gewalttäter so- grundsätzlich auch über unsere Außenpolitik reden: Wir wie nach Einsetzung einer formellen UN-Arbeitsgruppe müssen Frauen und Mädchen immer mitdenken. Und um wäre ein wichtiges Signal gewesen. Ich appelliere aber an Frauen und Mädchen zu unterstützen, müssen auch die die Pragmatiker unter uns, das Positive im Erreichten zu Perspektiven der Jungen und Männer mitgedacht und sehen und für weitere Verbesserungen zu kämpfen. Die einbezogen werden. Das klingt vielleicht kompliziert, internationale Gemengelage ist nun einmal, wie sie ist. ist aber durchaus ein überzeugender Ansatz für alle, die Wir hoffen auch darauf, dass sich die Position der USA in Gleichstellung voranbringen wollen – übrigens auch bei Zukunft wieder ändern wird. Die Kritik aus den Opposi- uns. tionsreihen kommt deshalb auch aus der bequemen Ecke Vieles, was in dem Antrag gefordert wird, machen wir der Beobachter, die nicht am Verhandlungstisch mit den bereits. Wir müssen uns mit unserem Engagement auch USA, China oder Russland sitzen müssen. nicht verstecken. Es gibt das Gleichberechtigungskon- Auch außerhalb des Fluchtkontextes ist die mangeln- zept des BMZ, den zweiten Gender-Aktionsplan 2016– 2020, und nicht zuletzt haben wir den Aktionsplan zur (B) de Gleichberechtigung der Geschlechter eine der größten (D) Herausforderungen weltweit: Diskriminierung aufgrund Umsetzung der Resolution 1325 zu Frauen, Frieden, Si- des Geschlechts begrenzt alle Menschen in ihren Mög- cherheit 2017–2020 beschlossen. Der könnte allerdings lichkeiten und hemmt die Entwicklung eines Landes. Die noch ein bisschen mehr Beachtung finden. Bundesregierung und die Regierungsfraktionen im Deut- Und wir haben außenpolitisch ein Statement gesetzt. schen Bundestag haben dies erkannt und arbeiten konti- Unser Außenminister Heiko Maas hat im Zuge des Vor- nuierlich an der nachhaltigen Verbesserung der Situation sitzes im UN-Sicherheitsrat das Thema Frauen, Frieden von Mädchen und Frauen weltweit. und Sicherheit auf die Tagesordnung gebracht, und das Den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen leh- war – unterstützt von prominenten Frauenrechtlerinnen – nen wir ab, da wir uns in vielen Bereichen bereits auf ein starkes Signal. Deutschland hat sich damit glasklar einem guten Weg befinden oder diesen eingeschlagen auf der Seite der Frauenrechte positioniert und wirbt haben. weltweit dafür, die beschlossene Resolution 2467 zur Beendigung sexueller Gewalt in Konflikten umzusetzen. Gabriela Heinrich (SPD): Wir reden heute – leider Trotzdem: Es ist noch deutlich mehr zu tun. Und wieder erst zu später Stunde – über ein Thema, das viel deshalb sind wir als Abgeordnete auch auf parlamenta- zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Eigentlich müssten rischer Ebene aktiv geworden: Initiiert von meiner Kol- wir viel mehr über Frauen und Mädchen sprechen. Denn legin Daniela de Ridder haben wir einen Arbeitskreis ge- weltweit ist es um deren Rechte nicht gut bestellt. Und gründet, der sich fraktionsübergreifend um die Belange die Rechte von Mädchen und Frauen werden – wie im von Mädchen und Frauen kümmert. Denn beim Thema Antrag richtig formuliert – in schwierigen Situationen Mädchen- und Frauenrechte müssen wir an einem Strang als Erstes beschnitten und in und nach Konflikten weit ziehen, und zwar über Parteigrenzen und Politikbereiche hinten angestellt. hinweg. Die Frauenfrage ist und war noch nie ein Neben- widerspruch. Grundsätzlich gilt: Fehlt es an Bildung, dann können Mädchen auch nichts über ihre Rechte erfahren. Sie blei- ben in ökonomischer und sozialer Abhängigkeit, werden Ute Vogt (SPD): „Bildung ist die mächtigste Waffe, nicht aufgeklärt und können ihre Lebensplanung nicht um die Welt zu verändern“, so hat es Nelson Mandela selbst entscheiden. Ohne Aufklärung keine Verhütung. treffend formuliert. Und ich will anfügen: Wer bei der Werden sie ungeplant und vielleicht auch ungewollt Bildung von Mädchen ansetzt, gibt nicht allein einem schwanger, begeben sich viele Frauen in Hände von einzelnen Menschen eine Chance, sondern löst in der Re- Nicht-Medizinern, die unprofessionelle Abtreibungen gel damit viele weitere Bildungserfolge in den Familien vornehmen; das ist lebensgefährlich. aus. 11944 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Deshalb freue ich mich über den Antrag, der die an. Bereits im letzten Haushalt wurden die Mittel ver- (C) Mädchenbildung im schwierigsten Umfeld in den Mit- doppelt. Auf Initiative der SPD wird auch im Haushalts- telpunkt und damit bei uns auch im Bundestag zur Dis- jahr 2019 die Summe für den Fonds ein weiteres Mal kussion stellt. Dass der Antrag die Aufmerksamkeit zu verdoppelt, auf nunmehr 37 Millionen Euro. Die Globale einem anderen Zeitpunkt als jetzt nachts um 1.30 Uhr Bildungspartnerschaft kommt allen Kindern gleicherma- verdient hätte, brauche ich den jetzt noch Anwesenden ßen zugute. Durch sie konnten in Entwicklungsländern nicht zu sagen. bis 2018 bereits 72 Millionen Kinder mehr als 2002 in die Schule gehen. Und in Bezug auf das heutige Thema Schauen wir in den Jemen ins Jahr 2012. Viele Schu- ist dabei wichtig, zu erwähnen, dass in gut 60 Prozent len im Jemen sind wegen der gewaltvollen Konflikte im aller teilnehmenden Länder in den Grundschulen damit Land zerstört. 1,5 Millionen Kinder müssen innerhalb Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden konnte. Der des Landes fliehen. Die Einschulungsquote lag 2012 bei Fonds berücksichtigt also auch die besonderen Belange 82 Prozent, davon brachen 15 Prozent der Schülerinnen von Mädchen im Schulalter. und Schüler die Schule bereits im ersten Jahr ab. Dabei sind die Mädchen besonders gefährdet, da sie meist früh Trotz dieser positiven Entwicklungen bleiben natür- verheiratet werden. Seit 2013 fördert die Bundesregie- lich viele Aufgaben. Allein nur mehr Geld zur Verfügung rung deshalb im Jemen mit einem Gesamtvolumen von zu stellen, hilft nicht. Es braucht auch Menschen und Or- 14 Millionen Euro die Verbesserung der Bildungsquali- ganisationen, die mit dem Geld sinnvoll arbeiten. Sprich, tät. Lehrkräfte werden ausgebildet, und – was in diesem es muss auch hilfreich ausgegeben werden können. fragilen Gebiet besonders wichtig ist – sie werden auch auf die besonderen Konfliktsituationen vorbereitet. Da- Die Initiativen der Bundesregierung sind im Übrigen rüber hinaus gibt es mehr als 3 100 Schulsozialkräfte, nicht allein für die Bildung der Mädchen und jungen die für psychosoziale Hilfe ausgebildet werden, um mit Frauen von großer Bedeutung. Eine gesamte Gesell- den Traumata der Kinder umgehen zu können. Zusätzlich schaft, ein Staat profitiert von gut ausgebildeten Mäd- werden in bislang 85 Schulen mehr als 500 sogenannte chen und Frauen. „Recreational Kits“ für die spielerische Bewältigung von Traumata zur Verfügung gestellt. Rund 95 000 Schülerin- Wenn auf Krisen der Frieden folgt, gilt es, die Heimat nen und Schüler, davon 56 Prozent Mädchen, profitieren wieder aufzubauen und weiteren Krisen vorzubeugen. von diesen Qualitätsverbesserungen. In 107 Pilotschulen Dann heißt es zwar auch anpacken wie bei den Program- gibt es aktive Väter- und Mütterräte, die bei der Planung men „Cash for Work“, aber damit ist es nicht getan. Diese und Umsetzung der Schulentwicklungspläne unterstüt- Länder brauchen dann Menschen, die kompromissbereit zend mitwirken und dafür sorgen, dass der Schulprozess sind, die in schwierigen Lebenslagen gute Lösungsansät- (B) aufrechterhalten bleibt. ze ausarbeiten, die überlegt und demokratisch an politi- (D) sche Diskurse herantreten und deren Strategie ohne Waf- Ganz bewusst fördern wir Bildungsprojekte gerade fengewalt auskommt. in fragilen Regionen. Denn es gibt viele Regionen, in denen Kinder und Jugendliche und besonders die Mäd- Ich finde, die Stärkung von Mädchen und Frauen ist chen dringend Unterstützung brauchen. Weltweit ist bei ein zentraler Schlüssel für gelingende Entwicklung eines 75 Millionen Kindern der Schulbesuch bedroht oder wird Staates. Es lohnt sich, dieses Thema weiter zu beleuch- sogar ganz verhindert, zum einen durch Kriege, Bürger- ten. In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Dis- kriege, Terror und Gewalt, aber zunehmend ebenso durch kussion im Ausschuss. Naturkatastrophen wie aktuell den Zyklon Idai in Malawi und Mosambik. Olaf in der Beek (FDP): Erst einmal möchte ich der Viele Kinder, gerade Mädchen, müssen zudem, auch Fraktion der Grünen recht herzlich für den vorliegenden ohne Krisen- oder Kriegszeiten, einen gefährlichen Antrag danken. Auch zu so einer späten Stunde wie heu- Schulweg auf sich nehmen. Sie sind auf ihren zum Teil te ist das ein guter Vorstoß, um mehr Licht ins Dunkel sehr langen Wegen von Gewalt und Misshandlung be- der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu bringen. droht und werden oft in maroden Schulgebäuden unter- Denn wenn wir ehrlich sind, sind wir uns alle – wohl richtet. Deshalb ist der „Education Cannot Wait“-Fonds bis auf die AfD – einig: Grundbildung und medizinische wichtig. Die Bundesregierung fördert ihn bereits mit Grundversorgung sind Grundvoraussetzungen für ein 31 Millionen Euro. Natürlich geht auch hier immer noch Leben in Würde und Selbstbestimmtheit. mehr . Aber wir sollten unser Engagement an dieser Stelle auch nicht kleinreden; denn es kann sich auch im interna- Bildung und Gesundheit sind eben nicht nur zwei tionalen Vergleich sehen lassen, und wir tragen mit unse- Worte, die schwarz auf weiß gedruckt zu den Menschen- rer Unterstützung dazu bei, dass UNICEF auch weiterhin rechten zählen. Bildung und Gesundheit sind der Schlüs- die Kinder im Jemen, Südsudan, Tschad, in Syrien und sel im Kampf für weltweiten Frieden und Wohlstand. vielen anderen Regionen unterstützen kann. Worüber wir uns hier in diesem Haus meistens nicht Eine weitere Initiative will ich herausstellen, nämlich ganz so einig sind, ist der Weg, wie wir diese Menschen- unser Engagement für die frühe Bildung von Kindern im rechte mit Leben füllen. Schwarz-Rot setzt vorrangig auf Rahmen der Globalen Bildungspartnerschaft. Deutsch- bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Wir hingegen land hat diese mitbegründet, und wir haben seit 2008 machen uns dafür stark, gerade in den Bereichen Grund- gut 67 Millionen Euro in diesen Fonds investiert. Und bildung und Gesundheitsversorgung gemeinsam, inter- die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, steigen spürbar national mit unseren Partnern zu handeln. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11945

(A) Den 75 Millionen Kindern auf der Welt, die überhaupt Helin Evrim Sommer (DIE LINKE): „One child, one (C) keinen Zugang zu Bildung haben, nützt allein das Ange- teacher, one pen and one book … can change the world.“ bot von Berufsausbildungen nichts. Grundbildung ist Le- Das haben wir von der pakistanischen Friedensnobel- bensgrundlage. Ohne Grundbildung, also Lesen, Schrei- preisträgerin Malala gelernt. ben und Rechnen, ist keine sinnvolle Berufsausbildung Bildung gehört nicht nur zu Menschlichkeit und Men- möglich. schenrecht. Sie stärkt auch Volkswirtschaften und be- Ähnlich sieht es beim Zugang zu Gesundheitsver- kämpft Fluchtursachen. Der Antrag der Grünen ist also sorgung aus. Wir wissen, dass wir das globale Bevölke- nicht irgendeine linke Position. Er entspricht dem gesun- rungswachstum nur verlangsamen können, wenn wir ge- den Menschenverstand. Insofern bin ich sicher, dass auch meinsam mit unseren internationalen Partnern handeln. die Damen und Herren der sonst so zögerlichen Großen Koalition sich diesem Antrag anschließen können. Schon heute haben mehr als 200 Millionen – ja: Mil- lionen! – Mädchen und Frauen keinen Zugang zu Ver- Unabhängig davon habe ich noch zwei Fragen. Ers- hütungsmitteln. Gleichzeitig droht sich die Bevölkerung tens: Sind wir sicher, dass die lokalen Schulpläne Mäd- allein in Afrika bis 2050 zu verdoppeln. chen fördern? Oder finden sich dort Inhalte, die Mädchen explizit benachteiligen? Zum Beispiel, wenn sie allein Der Schlüssel ist die Förderung von Mädchen und auf die Rolle als Mutter vorbereiten? Oder wenn sie sug- Frauen. Wir stehen hier vor einer Menschheitsaufgabe. gerieren, dass eine Frau weniger wert ist als ein Mann? Das können wir nicht allein lösen. Dafür müssen wir uns stärker international engagieren. Ich formuliere es vorsichtig: Die deutsche Entwick- lungszusammenarbeit sollte sich nicht gemeinmachen So weit zum Konsens mit Ihnen, liebe Kolleginnen mit einem Curriculum, das unserem Bemühen um ein und Kollegen von den Grünen. Dennoch greift Ihr An- Empowerment der Mädchen entgegenläuft. Stattdessen trag zu kurz. brauchen wir: Mathematik, Naturwissenschaften, In- Ja, Bildung und Gesundheit sind elementar wich- formatik und Englisch. Nach dem Einmaleins können tig, gerade auch in Krisen und Konflikten. Und einige Fragen geklärt werden wie: Was ist Verhütung, was ist der von Ihnen im Antrag genannten Forderungen sind eine Impfung? Wie baut man eine Brücke, wie hält man sogar schon erfüllt: Die Bundesregierung ist der „She Trinkwasser sauber? ­Decides“-Initiative beigetreten. Die finanziellen Mittel Dieses Wissen gibt es an den Universitäten von Jakar- für IPPF, UNFPA und GPE sind gestiegen. Die Bundes- ta, Addis Abeba und Nairobi. Wie können wir also dieses regierung nutzt ihren Sitz im UN-Sicherheitsrat, um die Wissen aus dem Kopf des Professors, der Professorin Rechte von Frauen zu stärken. Und die Initiative „Educa- kindgerecht zugänglich machen? (B) tion Cannot Wait“ bekommt ebenfalls – wenn auch nach (D) einigem Zögern – Geld. Das bringt mich zu meiner zweiten Frage: Was be- deutet Digitalisierung für das Thema, das uns heute hier Es hat sich also auch bei der Bundesregierung etwas beschäftigt? getan, zwar aus unserer Sicht zu wenig und zu langsam, aber es hat sich etwas getan. Diese Haushaltsansätze Letztes Jahr habe ich Flüchtlingslager in Bangladesch müssen wir sichern und weiter ausbauen; da können Sie und Jordanien besucht. Und ich habe es gesehen: Selbst schon jetzt mit unseren Anträgen rechnen. unter menschenunwürdigen Umständen organisieren sich Flüchtlinge alte Handys und zumindest ab und zu Wir dürfen aber nicht außer Acht lassen, dass Men- Zugang zum Internet. Was „online“ ist, müssen wir ihnen schen in Krisen- und Konfliktregionen, aber auch die ganz bestimmt nicht erklären. Menschen in den ärmsten Ländern der Welt nicht nur Bil- dung und Gesundheit brauchen. Die Menschen brauchen Das muss der Ausgangspunkt unserer Überlegungen auch Versorgung mit Nahrungsmitteln und den Aufbau sein. von Infrastruktur. Das findet in Ihrem Antrag aber gar Man wirft uns Linken gern vor, wir würden denken, nicht statt. wir hätten auf alles sofort die richtige Antwort. Aber für Wenn wir die Ärmsten der Armen insgesamt nicht im mich ist wichtiger, richtig zu fragen: Wie können wir Stich lassen wollen, dann brauchen wir nicht nur mehr Lerninhalte zur Verfügung stellen – sogar unabhängig Geld für einzelne Sektoren, sondern insgesamt mehr davon, ob das Mädchen einen Schulplatz hat oder nicht? Geld für die Least Developed Countries. Wie wäre es denn, wenn wir mit einer afrikanischen Gerade deshalb setzen wir Freien Demokraten uns da- Universität ein Programm online stellen, mit dem Grund- für ein, dass Deutschland endlich seine internationalen schulkinder in 20 afrikanischen Sprachen den Dreisatz Verpflichtungen ernst nimmt. Wir müssen dafür sorgen, lernen? Mit einer freundlichen Online-Tutorin und der dass Deutschland spätestens 2030 0,2 Prozent seiner Möglichkeit, mit Online-Prüfungen Credits für den Wirtschaftsleistung für die Ärmsten der Armen zur Ver- Schulabschluss in der Cloud zu sammeln. Diese Cloud fügung stellt. Nehmen wir uns Luxemburg und Schwe- kann kein Panzer und kein Warlord zerstören – nicht mal den als Beispiel, die das schon übererfüllen. eine Drohne. Auch wir haben uns international dazu verpflichtet. Wie können wir uns dafür einsetzen, dass diese Cre- Auch wir müssen uns daran halten. Das wäre ein ganz- dits international anerkannt werden? Zum Beispiel, wenn heitlicher und nachhaltiger Ansatz, und für diesen wer- das Mädchen in einem anderen Land eine weiterführende ben wir. Schule oder Universität besuchen will – oder muss. 11946 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Das mag für viele wie Zukunftsmusik klingen. Aber einfacher werden, ihre Aktionäre zu identifizieren und (C) die Zukunft kann verdammt schnell Gegenwart werden. mit ihnen in Kontakt zu treten. Minderheitsaktionäre Schon heute wissen Mädchen auf der ganzen Welt, wie werden stärker geschützt. Zukünftig muss der Aufsichts- Beyoncé tanzt. Bald wissen die Mädchen der deutsch-so- rat zustimmen, wenn Gegenstände des Unternehmens im malischen Online-Grundschule, wie man rechnet. Wert von mehr als 2,5 Prozent des Unternehmenswertes veräußert werden. Das schützt Minderheitsaktionäre da- Ja, Malala: Ein Mädchen und ein Handy können die vor, dass etwa Tochterunternehmen ausgeplündert wer- Welt verändern. Danke schön. den, also Unternehmenswerte auf andere Gesellschaften in einem Konzern übertragen werden und damit der Wert des ausgeplünderten Unternehmens deutlich sinkt. Dane- Anlage 11 ben gibt es die zukünftige Verpflichtung, dass die Akti- onäre über die Anlagestrategie von institutionellen An- Zu Protokoll gegebene Reden legern, Vermögensverwaltern oder Stimmrechtsberatern zur Beratung des von der Bundesregierung einge- informiert werden müssen. Auch das ist eine wesentliche brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung Verbesserung für die Aktionäre. der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) Insofern begrüßen wir den Gesetzentwurf, und wir (Tagesordnungspunkt 21) danken dem Justizministerium für dessen Erstellung.

Dr. Johannes Fechner (SPD): Studien zeigen, dass Eine aus unserer Sicht nicht notwendige Änderung immer mehr Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die im Gesetzentwurf will ich aber auch ansprechen: Als soziale Marktwirtschaft verlieren, und das hat auch damit Reaktion auf die Finanzkrise hat der frühere Gesetzge- zu tun, dass wir im Wirtschaftsrecht zu wenig Transpa- ber geregelt, dass die Vergütungsstruktur eines börsen- renz haben. Ein Ziel dieses Gesetzentwurfs ist deshalb, notierten Unternehmens auf die nachhaltige Unterneh- durch klare Regelungen im Aktiengesetz mehr Transpa- mensentwicklung auszurichten ist. Dieses Kriterium der renz für die Anleger, für die Aktionäre, aber auch für die Nachhaltigkeit zu streichen, halten wir für falsch. Es Öffentlichkeit zu schaffen. Deshalb ist es gut, dass wir ist aktueller denn je, dass Unternehmen eine nachhal- mit diesem Gesetzentwurf nun in die parlamentarischen tige Firmenstrategie auch bei der Vergütung verfolgen, Beratungen starten und damit für mehr Transparenz im und deshalb wollen wir uns am englischen Wortlaut der Aktienrecht sorgen. Richtlinie orientieren und den Begriff der Nachhaltigkeit beibehalten. Wir begrüßen, dass der Gesetzentwurf der Bundes- (B) regierung dem Aufsichtsrat weiterhin die Zuständigkeit (D) für die Festsetzung und Entwicklung eines Vergütungs- Dr. Marco Buschmann (FDP): Eine innovative systems für Vorstände belässt. Zukünftig muss aber der Volkswirtschaft braucht ein modernes Aktienrecht. So Aufsichtsrat ein Vergütungssystem für die Vorstandsmit- wie es Sammelstellen für Fremdkapital – von der Spar- glieder der Hauptversammlung zur Billigung vorlegen, kasse bis zur Crowdfunding-Plattform – gibt, so benö- und die Hauptversammlung muss alle vier Jahre über das tigen wir auch Sammelstellen für Eigenkapital. Genau Vergütungssystem abstimmen. Es ist also ein Votum der das ermöglicht insbesondere die börsennotierte Aktien- Hauptversammlung einzuholen, das aber nur beratenden gesellschaft einem größeren Publikum. Daher ist es auch Charakter hat und für den Aufsichtsrat nicht bindend ist. richtig, dass sich der Gesetzgeber in einer Zeit des tech- nologischen Wandels und der gesellschaftlichen Verän- Der Transparenz dient auch, dass Vorstand und Auf- derungen regelmäßig mit der Verbesserung des Aktien- sichtsrat jährlich einen Vergütungsbericht für jeden Vor- rechts befasst. stand und jedes Aufsichtsratsmitglied veröffentlichen müssen. Das ist gut so; denn bisher konnte die Hauptver- Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung sammlung mit Dreiviertelmehrheit beschließen, dass die zeichnet aber nicht das Bild des mutigen und proaktiven Offenlegung entfällt. Erneuerers, sondern er trägt die Handschrift eines getrie- In diesem Bericht ist auch darzustellen, wie sich die benen Autors. Zwischen den Zeilen ist der Druck einer Vergütung der Arbeitnehmer im Betrieb entwickelt hat. Umsetzungsfrist zu lesen, die in Kürze ausläuft, und Dadurch wird für die Öffentlichkeit erkennbar, in wel- in den Zeilen steht gerade einmal das Nötigste, um die chem Verhältnis die Belegschaftslöhne zur Vorstandsver- Zweite Aktionärsrechterichtlinie – ARUG II – der Euro- gütung stehen. Wegen der Vertragsfreiheit können wir päischen Union umzusetzen. Wir hätten uns hier einen zwar nicht gesetzlich eine Relation der Vorstandsgehälter mutigeren Ansatz gewünscht. zum Durchschnittseinkommen der Belegschaft herstel- len, aber durch die neue Offenlegungspflicht entsteht Dafür möchte ich Ihnen ein Beispiel nennen: Die sozi- ein erheblicher Druck, dass die Vorstandsgehälter in ei- ale Marktwirtschaft lebt vom Zusammenhang zwischen nem angemessenen Verhältnis zu den Mitarbeiterlöhnen Verantwortung, Haftung und Anreiz. Die Verantwortung stehen. Im Übrigen ist die Arbeitnehmerseite bei dieser für Entscheidungen muss klar zugewiesen sein. Wer sie Lösung auch stärker beteiligt. Auch das halten wir für trägt, soll auch die Folgen tragen, also haften oder be- sinnvoll. lohnt werden. Wer große Verantwortung trägt, soll mit- hin auch ein großes Haftungsrisiko tragen und soll um- Der Gesetzentwurf enthält aber auch weitere wichtige gekehrt auch stärker belohnt werden als jemand, dessen Aspekte: Zum Beispiel wird es für Aktiengesellschaften Verantwortung und Haftungsrisiko geringer sind. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11947

(A) In der öffentlichen Debatte gibt es freilich ein zuneh- Gründen die langfristige Planung der Unternehmen im (C) mendes Unbehagen darüber, ob dieser Zusammenhang Auge haben müssen, nämlich die Beschäftigten, im Hin- bei der Vergütung von AG-Vorständen noch gewahrt ist. blick auf die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze. Wir müssen Darüber entscheidet der Aufsichtsrat. In der Tat kann dringend die Mitbestimmungsrechte in Unternehmen man die Frage stellen, ob nicht in dichten Netzwerken ausbauen und die Aufsichtsräte dahingehend zusammen- von Aufsichtsräten, die zum Teil selbst aktive Vorstände setzen. Nicht kurzfristige Kursentwicklungen dürfen im in anderen Gesellschaften sind, Mechanismen in Gang Vordergrund stehen, sondern ein an sozialen und ökolo- gesetzt werden, die den Zusammenhang von Verantwor- gischen Faktoren ausgerichtetes Wirtschaften. Die Inte- tung, Haftung und Anreiz lockern. ressen der Beschäftigten dürfen nicht denen des Manage- ments untergeordnet werden, dessen Mitglieder sich das Eines ist freilich unbestritten: Die größte Verantwor- ohnehin hohe Gehalt mit Boni aufbessern können, und tung tragen am Ende immer die Eigentümer der Gesell- auch nicht denen der Aktionärinnen und Aktionäre, die – schaft, also die Aktionäre; denn sie haften im Zweifel mit völlig verständlich – auf ihre Dividende schielen. dem Totalverlust ihres eingesetzten Kapitals, mit dem sie ihren Anteil an der Gesellschaft erworben haben. Daher Ausweislich einer Studie des Wirtschafts- und So- finden wir es gut, dass die umzusetzende Richtlinie den zialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans- Einfluss der Hauptversammlung auf die Vergütungspoli- Böckler-­Stiftung ist die Differenz zwischen den Durch- tik stärken möchte. Wir meinen aber, dass dieses Votum schnittslöhnen und den Vorstandsvergütungen massiv nicht nur unverbindlichen Charakter haben sollte, wie es gewachsen. Die Vorstände verdienen inzwischen das Richtlinie und der vorliegende Gesetzentwurf vorsehen. 73-Fache des Durchschnittsverdienstes der Beschäftig- Es sollte auch verbindlich sein. ten. Das ist gegenüber der vorherigen Dekade in etwa eine Verdopplung. Damit solche Auswüchse vermieden Das wäre ein mutiger Schritt, um die streitige Debatte werden, braucht die Belegschaft erheblich mehr Einfluss um Vorstandsvergütungen ein Stück weit zu befrieden. auf Konzernentscheidungen. Die immer weiter auseinan- Es wäre ein Beitrag, um Haftung, Verantwortung und derklaffende Gehaltsschere ist auch Ausdruck von Wert- Anreizmechanismen zusammenzuführen. Es wäre mit- bzw. Geringschätzung der Mitarbeiterinnen und Mitar- hin ein Beitrag für ein modernes Aktienrecht mit breiter beiter und gefährdet den sozialen Frieden. gesellschaftlicher Akzeptanz. Die Bundesregierung schreibt in ihrem Gesetzent- Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): Zur Beratung wurf, dass die Realisierung eines akzeptablen Gehalts- liegt uns heute das Gesetz zur Umsetzung der zweiten gefüges durch die Vertretung der Belegschaft im Auf- Aktionärsrechterichtlinie vor, das eine Umsetzung der sichtsrat sichergestellt werden würde. Dass dies nicht (B) Richtlinie 2017/828 des Europäischen Parlaments und der Fall ist, zeigt das Beispiel der Deutschen Post AG. (D) des Europäischen Rates darstellt. Insbesondere befasst Der Vorstandsvorsitzende verdient hier sage und schreibe sich der Gesetzentwurf mit den Transparenzpflichten der das 232-Fache des Durchschnittsarbeiters. Wollen wir als Aktiengesellschaften und mit der Frage der Vergütung Gesellschaft wirklich das Gefühl vermitteln, dass die Ar- der Vorstände. beit einer oder eines Beschäftigten bei der Post 232-mal weniger wert ist als die eines Managers oder einer Mana- Die Verbesserung von Transparenzkriterien begrüßen gerin? Solche Zustände sind nicht hinnehmbar. Wenn wir wir ausdrücklich, doch für alles andere fehlt der Regie- allen Ernstes unterstellen, dass ein Jahr im Leben eines rung der Mut. Eine wirkliche Ausweitung der Rechte von Managers so produktiv sei, wie fünf Lebensarbeitszeiten Aktionärinnen und Aktionären unterlassen Sie damit ge- einer Durchschnittsarbeiterin oder eines Durchschnitts- nauso wie die Beseitigung anderer Missstände, auf die arbeiters, leisten wir der Spaltung der Gesellschaft aktiv ich später noch zu sprechen komme. Vorschub. Hier muss endlich was geschehen – und dieser Antrag leistet dazu keinen Beitrag. Der Gesetzentwurf beinhaltet einige Kompetenzer- weiterungen für die Aktionärinnen und Aktionäre auf der Jahreshauptversammlung, die aber letztlich keinerlei Wirkung entfalten können. Bei der Vergütung etwa wird Anlage 12 ihnen nun zugebilligt, dass sie ihre Meinung kundtun dürfen – tatsächlich an der Höhe der Vergütung mitwir- Zu Protokoll gegebene Reden ken dürfen sie aber nicht. Welche Wirkung solche Pseu- dobefugnisse entfalten, haben wir auf der Aktionärsver- zur Beratung: sammlung der Bayer AG gesehen. Die Versammlung - des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- sprach dem Vorstand mehrheitlich ihr Misstrauen aus und wurfs eines Gesetzes zum Ersten IT-Änderungs- entlastete ihn nicht. Doch was passierte? Genau – nichts! staatsvertrag Um das ganz klar zu sagen: Uns geht es nicht um eine - des Antrags der Abgeordneten Manuel Höferlin, Stärkung der Aktionärsversammlung, wir möchten ledig- Frank Sitta, Mario Brandenburg (Südpfalz), wei- lich darauf hinweisen, dass nicht einmal die angeblichen terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Profiteure des Gesetzes, die Aktionärinnen und Aktionä- Smart Germany – Bundesministerium für Digita- re, allzu viel zu erwarten haben. lisierung etablieren Was die Regierung aber seit Jahren versäumt, ist die (Tagesordnungspunkt 22 und Zusatztagesord- Stärkung der Mitsprache derer, die aus existenziellen nungspunkt 12) 11948 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Marian Wendt (CDU/CSU): Digitalisierung in Im Land der Dichter und Denker, der Start-ups und In- (C) Deutschland und speziell die Einführung von E-Govern­ novationscampi können wir uns nicht erlauben, beim ment-Komponenten in den öffentlichen Verwaltungen E-Govern­ment noch weiter hinter unsere Freunde zum von Bund, Ländern und Kommune sind zur Mammut- Beispiel aus Österreich zurückzufallen. aufgabe der öffentlichen Hand mutiert. Seit 2010 haben wir, mit der Gründung des IT-Planungsrates, uns immer Saskia Esken (SPD): Die Modernisierung und Digi- hohe Ziele für die Modernisierung der öffentlichen Ver- talisierung der öffentlichen Verwaltung und ihrer Dienst- waltungen gesetzt. Trotzdem kommen wir nicht so recht leistungen ist ein wichtiges Anliegen, das in Deutschland vom Fleck. viel zu lange verschlafen wurde. Viel zu wenige Service- Die Evaluierung des E-Government-Gesetzes zeigt leistungen der Verwaltung werden in Deutschland bis- sehr deutlich, dass wir im Bereich der Digitalisierung lang digital angeboten, und obendrein sind diese wenigen von Verwaltungsleistungen auf die Strafbank gehören. Angebote den Bürgerinnen und Bürger nicht bekannt. Zwar haben wir die beabsichtigten Impulswirkungen un- Viel zu wenig wird in Werbung für die Leistungen inves- serer gesetzlichen Initiativen erreicht. Eine nachhaltige tiert, und auch die Information und Schulung der Mitar- Wirkung wurde aber verfehlt. beiter und Mitarbeiterinnen in der Verwaltung lassen zu wünschen übrig. Es muss endlich zur Regel werden, dass Aber die Bundesregierung hat dies erkannt, und alle Digitalisierungsprojekte Budgetansätze für Marketing Beteiligten – Bund, Länder, Gemeinden und wir Parla- und Schulung enthalten. mentarier – arbeiten Schritt für Schritt an der zunehmen Digitalisierung von Verwaltungsverfahren. Nach den Dazu kommt, dass die digitalen Services kaum am großen Vorhaben wie dem E-Government-Gesetz und Nutzererlebnis orientiert sind. Design Thinking spielt dem Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Ver- noch eine viel zu geringe Rolle. Auch ergibt sich aus der waltungsleistungen gehen wir mit dem hier vorliegenden Nutzung des digitalen Zugangs kaum ein Mehrwert für Entwurf eines Gesetzes zum Ersten IT-Änderungsstaats- den Nutzer. Der digitale Zugang müsste schon beque- vertrages zusammen einen nächsten Schritt in die digitale mer oder schneller oder wenigstens kostengünstiger sein. Zukunft der Verwaltung. Als zentrale Stelle gewährleistet Sonst kann ich ja auch gleich aufs Amt gehen. die FITKO die Koordinierung und Steuerung von IT-Vor- So weit, so schlecht die Analyse des Ist-Zustands! haben von Bund, Ländern und Gemeinden. Die Defizite Dies müssen auch die zahlreichen Studien immer wieder des IT-Planungsrates, die sich in der Vergangenheit ge- konstatieren. zeigt haben, werden mit dieser unterstützenden Stelle beseitigt. Somit verfügt der IT-Planungsrat zum ersten Mit dem Onlinezugangsgesetz haben sich Bund und Mal über ein Kompetenzzentrum zur Bündelung von Länder am Ende der vergangenen Legislatur vorgenom- (B) personellen und finanziellen Ressourcen im Bereich des men, in einer sehr ambitionierten Zeitvorgabe alle rele- (D) E-Governments. vanten Leistungen der öffentlichen Verwaltung digital anzubieten. Jetzt wird in Digitallaboren gemeinsam mit Doch nicht nur organisatorisch gehen wir mit dem potenziellen Nutzerinnen und Nutzer entwickelt, wie so vorliegenden Gesetzentwurf den nächsten Schritt. Bund, eine Anwendung aussehen muss, damit sie auch genutzt Länder und Gemeinden verpflichten sich auch, die Di- wird. gitalisierungsprojekte mit einem Budget in Höhe von bis zu 180 Millionen Euro voranzutreiben – Geld, wel- Bis 2022 sollen die Serviceleistungen der öffentlichen ches unsere Verwaltungen zur Digitalisierung dringend Verwaltung aller Ebenen in einem Portalverbund digi- benötigen, und Geld, das schlussendlich unseren Bürge- tal zur Verfügung gestellt werden, so nahtlos, dass der rinnen und Bürgern zugutekommt. Denn mit modernen, Nutzer nicht mehr wissen muss und vielleicht gar nicht schlanken Verwaltungen, elektronischen Verfahren und merkt, ob es sich um eine Leistung von Bund, Land oder auch elektronischen Bezahlverfahren können wir uns in Kommune handelt. Zukunft den einen oder anderen Gang aufs Amt sparen. Weit über 500 Serviceleistungen sollen mit der Um- Die Akzeptanz bei den Nutzern von Verwaltungsleis- setzung des Onlinezugangsgesetzes in einem gemeinsa- tungen erreichen wir aber nicht mit Leuchtturmprojekten men Projekt ins digitale Zeitalter überführt werden – zu- und der Errichtung einer gemeinsamen föderalen IT-Ko- nächst mit einem digitalen Zugang. Doch dabei soll es operation. Akzeptanz erreichen wir nur, wenn wir auch natürlich nicht bleiben. die Bedenken und Vorbehalte der Bevölkerung gegen- Wir wollen – „endlich“, möchte man sagen – eine mo- über dem E-Government ernst nehmen – und dies heißt derne, effiziente und durchgängig digitale Verwaltungs- zuerst, Datenschutz und Datensicherheit von Antragsda- arbeit, und zwar über die Grenzen der Ressorts und der ten, elektronischen Akten und Bescheiden zu gewährleis- Ebenen der öffentlichen Verwaltung hinweg. Um diese ten. Zusammenarbeit zu organisieren, wurde schon im Jahr Nach Abschluss dieser Förderperiode müssen wir 2010 der IT-Planungsrat als oberstes Steuerungsgremium 2022 spitz abrechnen, wie viele Dienstleistungen von in Fragen der IT-Zusammenarbeit geschaffen und auch Bund, Ländern und Kommunen elektronisch abgearbei- im Grundgesetz verankert. Längst haben wir erkannt, tet werden können. dass diesem Steuerungsgremium die notwendige Durch- schlagskraft bisher fehlt. Unser Ziel ist es nach wie vor, dass am Ende der Le- gislaturperiode die 100 wichtigsten Verwaltungsleistun- Der IT-Planungsrat gibt die strategische Ausrichtung gen bundesweit einheitlich online angeboten werden. der IT-Zusammenarbeit vor, doch braucht er eine agile Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11949

(A) operative Organisation, die die Vorhaben koordiniert und und Ländern. Meine Hoffnungen in den IT-Planungsrat (C) deren Umsetzung konsequent vorantreibt. Mit dem vor- waren damals groß. Ich zitiere aus meiner damaligen liegenden Gesetzentwurf werden wir mit der FITKO, der Rede: Föderalen IT-Koordination, eine von Bund und Ländern gemeinsam getragene Anstalt des öffentlichen Rechts Wir lösen das Nebeneinander zahlreicher IT-Gre- einrichten und diese mit 40 Mitarbeitern ausstatten. mien in Bund und Ländern ein Stück weit auf, schaffen effiziente, einfache und transparente Ent- Zudem verpflichten sich Bund und Länder, dem scheidungsstrukturen und fordern die Kooperation IT-Planungsrat für die Jahre 2020 bis 2022 ein Digitali- zwischen Bund und Ländern wie auch der Länder sierungsbudget in Höhe von bis zu 180 Millionen Euro untereinander. bereitzustellen. Auch diese Verpflichtung wurde im Die Idee vor neun Jahren war also, die Digitalisierung Rahmen der Beratungen zur „Neuregelung des bundes- von staatlicher Seite effizienter und effektiver zu gestal- rechtlichen Finanzausgleichsystems ab dem Jahr 2020“ ten, Barrieren abzubauen und Synergien zu heben sowie vereinbart, die dem OZG den Weg geebnet hat. Mit die- Kosten zu sparen und die Geschwindigkeit zu erhöhen. sem Digitalisierungsbudget sollen Projekte und Produkte Meine Hoffnungen wurden leider bitter enttäuscht. Wenn für die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen unter- Sie wissen wollen, warum, dann müssen Sie nur den vor- stützt werden, die auf allen föderalen Ebenen zum Ein- liegenden Antrag betrachten. satz kommen. Leider hat der IT-Planungsrat in den letzten neun Jah- Wir sind überzeugt: Mit der operativen Stärkung des ren die Erwartungen, die in ihn gesetzt wurden, nicht IT-Planungsrats durch die Einrichtung und Ausstattung erfüllen können. Das ist nicht nur für Netzpolitiker wie der FITKO und das Digitalisierungsbudget wird die Ko- mich sehr bedauerlich, das ist vielmehr auch ein echter ordination der Verwaltungsdigitalisierung wesentlich vo- Hemmschuh für die Digitalisierung in Deutschland und rangebracht. einer der Gründe, warum wir hier so weit hinterherhin- ken. Die FDP-Fraktion nutzt den Anlass des IT-Änderungs- staatsvertrags, um ihre Idee eines Digitalministeriums Deswegen: Lassen Sie uns nicht länger, wie durch den aufzuwärmen. Ich habe schon oft gesagt und muss es lei- vorliegenden Antrag beabsichtigt, an gescheiterten Mo- der heute wieder sagen: So ein Digitalministerium wäre dellen herumdoktern! Lösen wir uns vor der Vorstellung, in den 80er-Jahren, als die Digitalisierung noch ein eini- dass man einen nachweislich gescheiterten Weg mit noch germaßen neues Phänomen war, eine richtig hippe Idee mehr Mitteln und noch mehr Energie irgendwie doch gewesen. In den 80er-Jahren hatten sich das Ministerium noch ans Ziel bringen kann! Das wird so nämlich nicht (B) des Inneren, das Ministerium für Arbeit und Soziales und passieren. Haben Sie gemeinsam mit uns Freien Demo- (D) das Gesundheitsministerium noch keine Digitale Agenda kraten den Mut, auf eine neue Herausforderung mit einer gegeben, keine Strukturen dafür gebildet und kein Fach- neuen und innovativen – vielleicht manchmal auch einer personal dafür gebunden. disruptiven – Lösung zu antworten! Heute liegt die Aufgabe der Modernisierung und Di- Aus diesem Grund haben wir Freie Demokraten dem gitalisierung der öffentlichen Verwaltung klar in der Zu- vorliegenden Gesetzentwurf einen solchen Vorschlag ständigkeit des Innenministeriums, und zwar sowohl im beigefügt; denn alle Versuche der letzten zehn Jahre, Bund als auch in den Ländern. Gemeinsam setzen die die Digitalisierung in Deutschland endlich stringent und Innenministerien von Bund und Ländern das Onlinezu- effektiv zu organisieren, sind gescheitert. Im Gegenteil gangsgesetz um. wurden gerade in den letzten Jahren durch eine unüber- schaubare Zahl von Kommissionen, Arbeitsgruppen und Jetzt frage ich mich: Will die FDP diese Aufgabe Beiräten die Zuständigkeiten gänzlich verwischt, und die und die dafür neu eingerichteten 44 Stellen oder nur das Verwirrung wurde immer größer. Die Organisation der Controlling dafür in ein Digitalministerium überführen? digitalen Transformation von Politik und Staat wurde im- Sollten Sie jemals die Chance erhalten, das umzusetzen, mer chaotischer. Wenn wir ehrlich sind, fand sie kaum wünsche ich heute schon viel Spaß bei den Verhandlun- statt. Das Prinzip „Mehr hilft mehr“ hat sich also nach- gen darüber und bei der Reorganisation der Ressorts. weislich nicht bewährt. Deshalb lassen Sie uns etwas an- Viel mehr werden Sie im Lauf der Legislatur dann aber deres versuchen! auch nicht bewerkstelligen. Unser Vorschlag ist und bleibt ein Ministerium für Di- Ich freue mich jedenfalls auf die fachliche Beratung gitalisierung und Innovation; denn wir Freie Demokra- des vorliegenden IT-Änderungsstaatsvertrags – im fe- ten sind davon überzeugt: Nur mit einem eigenständigen derführenden Innenausschuss ebenso wie im wie immer Ministerium, das die gesamte digitale Transformation kritisch mitberatenden Digitalausschuss. ressortübergreifend koordiniert und dabei die Kernpro- jekte federführend verantwortet, können wir den immer größer werdenden Rückstand in Sachen Digitalisierung Manuel Höferlin (FDP): Vor ziemlich genau neun aufholen und Deutschland zu einem digitalen Vorreiter Jahren habe ich meine allererste Rede hier im Deutschen machen. Bundestag gehalten. Gegenstand war das Gesetz zum Vertrag über die Errichtung des IT-Planungsrats und über Das bedeutet aber nicht, wie unserem Konzept im- die Grundlagen der Zusammenarbeit beim Einsatz der mer wieder vorgeworfen wird, dass man die Kompetenz Informationstechnologie in den Verwaltungen von Bund aus den Fachministerien abziehen würde. Im Gegenteil: 11950 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Auch in Zukunft wird sich jedes Ministerium in seinem Über all diese Dinge wird in den parlamentarischen (C) Fachbereich mit dem Thema auseinandersetzen und aus- Beratungen zu sprechen sein. Die Linke wird sich daran einandersetzen müssen. Alles andere wäre auch wirklich- gern beteiligen. keitsfremd. Mit einem Digitalministerium soll jedoch endlich eine Instanz etabliert werden, die einerseits die fundamentalen Kernprojekte der digitalen Transformati- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- on federführend verantwortet und andererseits die Fach- NEN): Uns liegt hier heute der Vorschlag für die Ände- vorhaben der Ministerien gemeinsam mit diesen in einer rung des IT-Staatsvertrages vor, der die Einführung der Gesamtstrategie koordiniert. Auf diese Weise könnte FITKO als Anstalt des öffentlichen Rechts vorsieht. endlich sichergestellt werden, dass ähnliche Projekte ver- Angesichts der Tatsache, dass Deutschland im Bereich schiedener Ministerien eben nicht parallel und getrennt E-Government seit Jahren im europäischen und inter- voneinander entwickelt werden und jeder sein eigenes nationalen Bereich hinterherhinkt und mittlerweile weit Süppchen kocht, wie das heute leider immer noch der abgeschlagen ist, die Bundesregierung und das federfüh- Fall ist. rende Bundesinnenministerium die vielfältigen Chancen für die Erhöhung der Transparenz und Nachvollziehbar- Der vorliegende Gesetzentwurf ist deshalb nicht die keit staatlichen Handels, für die Schaffung neuer Be- Lösung, obwohl er grundsätzlich zu begrüßen ist. Er teiligungsmöglichkeiten an demokratischen Prozessen, kann allenfalls ein kleines Teilstück zur Bewältigung der für die Erhöhung der Legitimität politischen Handels großen Herausforderung der digitalen Transformation und für mehr Bürgernahe trotz vielfacher Forderungen sein. Wenn wir diese Herausforderung meistern wollen, noch immer sehenden Auges vergeben und zahlreiche dann müssen wir das aber konsequenter tun als bisher – IT-Großprojekte der vergangenen Jahre – man denke nur am besten mit einem Digitalministerium. an die De-Mail oder den nPerso – phänomenal gefloppt sind, erscheint eine Stärkung der Bund-Länder-Koordi- Petra Pau (DIE LINKE): Worum geht es heute? Mit nation im Bereich des E-Government aus unserer Sicht der Änderung des IT-Staatsvertrags soll eine „Anstalt sinnvoll und richtig. Eine solche stärkere Kooperation, des öffentlichen Rechts für Föderale IT-Kooperation in beispielsweise über den IT-Planungsrat, haben wir als gemeinsamer Trägerschaft aller Länder und des Bundes“ grüne Bundestagsfraktion in den vergangenen Jahren (FITKO) eingerichtet werden, die den nationalen IT-Pla- gegenüber der Bundesregierung immer wieder angeregt, nungsrat als Bund-Länder-Gremium unterstützt. Dieser und wir haben entsprechende parlamentarische Initiati- soll zukünftig zugleich als ihr Verwaltungsrat fungieren. ven hierzu im Bundestag vorgelegt – den letzten am An- Damit sollen die Voraussetzungen verbessert werden, fang dieser Legislaturperiode. dass Digitalisierungsprojekte gerade mit Blick auf die (B) (D) Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Onlinezugangs- In zentralen Bereichen des E-Government, beispiels- gesetz zügiger als bislang umgesetzt werden. weise bei der Weiterentwicklung der Informationsfrei- heitsgesetzgebung und der Vorlage von Open Data und Dem stimmen wir im Grundsatz zu, da es sich um die Transparenzgesetzen, haben die Länder dem Bund die einzige Möglichkeit handelt, bei Wahrung der föderalen einstige Führungsrolle in den vergangenen Jahren längst Zuständigkeiten und Strukturen hier endlich zügiger vo­ abgerungen. Sie sind es, die die Bundesregierung trei- ranzukommen. Allerdings sind zwei wesentliche Defizite ben und aufzeigen, was an mehr Bürgernähe und Inno- anzumerken: vationen möglich wäre, wenn man diese für die digitale Zunächst zum Verfahrensrechtlichen: Hier sind keine Gesellschaft zentralen Themen mit der notwendigen Ent- Regelungen getroffen, wie die parlamentarische Kontrol- schlossenheit anpacken würde. le sichergestellt werden kann. Die FITKO wird ihren Sitz Das bisherige Agieren der letzten Großen Koalitio- in Hessen haben. Das Bundesland Hessen räumt mit dem Staatsvertrag den anderen Bundesländern das Recht ein, nen ist mit den jetzigen, im Kontext der geplanten Ein- Maßnahmen der Rechtsaufsicht ergreifen zu lassen. Es richtung der FITKO erneut zu vernehmenden, extrem fehlt aber zum Beispiel eine Regelung, die ausschließt, hochtrabenden Zielen, wie dem, dass Deutschlands Ver- dass parlamentarische Anfragen mit Verweis auf die Zu- waltung zu einem Spitzenreiter im Bereich der Digitali- ständigkeit anderer Länder oder föderaler Ebenen nicht sierung werden soll, kaum in Einklang zu bringen. Sie beantwortet werden. erinnern mich – entschuldigen Sie meine klaren Worte an dieser Stelle – ein Stück weit an das bisher nicht im Ge- Das zweite Defizit betrifft die inhaltliche Seite. Mit ringsten mit politischem Leben gefüllte Versprechen aus dem IT-Staatsvertrag hätte die Chance bestanden, dass der Digitalen Agenda der Bundesregierung, Deutschland Bund und Länder sich auf allen Ebenen zur Einführung zum „Verschlüsselungsland Nummer eins auf der Welt“ von Open-Source-Software verpflichten und die durch machen zu wollen. Dazu fällt mir nur ein: Machen ist den Wegfall von Lizenzen freigewordenen Mittel nutzen, krasser als wollen. um selbst an der Entwicklung dieser Software mitzuwir- ken. So bleibt die extreme Abhängigkeit von wenigen Ob es um die Weiterentwicklung bestehender Infor- großen Softwareanbietern im Bereich der öffentlichen mationsfreiheitsrechte, die Vorlage eines echten Open Verwaltung erhalten. Das Ziel der „digitalen Souveräni- Data-Gesetzes auf Bundesebene, die im Koalitionsver- tät“, das unter anderem mit der Cyber-Sicherheitsstrate- trag versprochene Einrichtung eines gemeinsamen, ein- gie der Bundesregierung formuliert wurde, rückt somit heitlichen Bürgerportals, die internationale Zusammen- in weite Ferne. arbeit, beispielsweise im Rahmen der Open Government Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019 11951

(A) Partnership, oder die Vorlage eines neuen, zweiten Akti- gierung agiert. Die Frage, ob und gegebenenfalls welches (C) onsplans geht: Der Bund hat nach jahrelanger Untätigkeit IFG bezüglich der FITKO als gemeinsame Einrichtung mittlerweile einen extrem hohen Nachholbedarf. von Bund und Ländern gilt, ist jedoch nicht banal und sollte schnellstmöglich beantwortet werden. Sonst be- Auch und gerade vor dem Hintergrund, dass mit der steht die Gefahr, dass Transparenz geschwächt und vor- Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes – OZG – bis zum handenes Know-how der Zivilgesellschaft – gerade dort, Jahr 2022 eine wahre Mammutaufgabe mit einem höchst wo es nötig wäre – droht, verlorenzugehen. ambitionierten Zeitplan vor uns liegt, die Bund und Län- der gleichermaßen fordert, sind Strukturen für eine sol- Zweitens. Nach meinem Stand plant der Bund auch che, verbesserte Bund-Länder-Kooperation im Grunde weiterhin keine Konsolidierung seiner IT-Dienstleister, lange überfällig. und er hält an dem bestehenden Flickenteppich in dem Gerade im Bereich des E-Government, wo es unsin- Bereich fest. Dieser Zustand führt automatisch zu gro- nig, teuer und bürgerfern ist, das Rad ständig neu zu er- ßen Reibungsverlusten, Mehrausgaben und nicht aufei- finden und individuelle, nicht aufeinander abgestimmte nander abgestimmten Lösungen. Anders als die Länder Insellösungen zu erarbeiten, ist es von zentraler Bedeu- und Kommunen, die hier längst Synergien nutzen und tung, gemeinsame Standards, Plattformen und Identitäts- Kosten sparen, sehe ich aufseiten des Bundes kein wirk- managementsysteme zu implementieren – auch, um die liches Konzept, diesem Umstand zu begegnen. Stattdes- öffentlichen Haushalte zu schonen. sen herrscht aufgrund des Ressortprinzips und einer auch weiterhin absolut mangelhaften Koordinierung aller di- Die FITKO als gemeinsame Einrichtung von Bund gitalpolitischen Belange aufseiten der Bundesregierung und Ländern als Unterbau des IT-Planungsrates ist daher noch immer ein echtes IT-Organisationschaos im Bund. grundsätzlich eine gute Idee, die wir unterstützen; denn bislang gibt es dort aus unserer Warte keine ausreichen- Das bewusste Festhalten an diesem anhaltenden Cha- den Strukturen, die den skizzierten großen Herausforde- os ist auch insofern absolut unverständlich, als dass auch rungen, die vor uns liegen, tatsächlich gerecht werden. auf diesen Umstand, der längst als Bremsklotz für das Vielmehr werden bis heute für jedes einzelne Projekt Vorankommen bei praktisch jedwedem digitalpolitischen einzelne Verwaltungsvereinbarungen geschlossen, etwa Vorhaben wirkt, seit Jahren vonseiten des Parlaments GovData, was Synergien unnötig erschwert und Kosten hingewiesen wird. in die Höhe treibt. Auch die Projektsteuerung und das Controlling von Fortschritten sind so überaus aufwendig, Ich erinnere an dieser Stelle beispielsweise an die – sodass zu befürchten steht, dass ambitionierte Zeitpläne wohlgemerkt – einstimmig im Deutschen Bundestag bereits aus heutiger Perspektive kaum zu halten sind. verabschiedeten Handlungsempfehlungen der Enquete-­ (B) Hier eine Einrichtung zu schaffen, die gemeinsamer Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ und die (D) Dienstleister und Koordinierungsstelle ist, ist daher drin- von meiner und zahlreichen anderen Fraktion hierzu in gend nötig. den vergangenen Jahren immer und immer wieder ge- Vor dem Hintergrund, dass das durch eine Bund-Län- machten sehr konkreten parlamentarischen Vorschlägen der-Arbeitsgruppe erarbeitete Umsetzungskonzept für zur Behebung dieses zentralen digitalpolitischen Web- die Ausgestaltung der FITKO durch den IT-Planungsrat fehlers aufseiten der Bundesregierung. Ohne dieses Pro- und die Chefin und Chefs der Staats- und Senatskanzlei- blem endlich anzugehen – dafür muss man wahrlich kein en der Länder bereits im September 2017 bestätigt sowie Prophet sein –, werden die Pläne im Bereich E-Govern- durch die Finanzministerkonferenz im November 2017 ment kaum in dem vorgebenden Zeitrahmen zu realisie- zur Kenntnis genommen wurde, ist viel Zeit verstrichen. ren sein. Zugleich sehen wir eine ganze Reihe von Punkten, an de- nen aus unserer Sicht durchaus noch ein nicht unerhebli- Drittens. Zur Begründung der Notwendigkeit der cher Verbesserungsbedarf besteht: heute vorliegenden Änderung wird angeführt, dass die FITKO bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes – Erstens. Der Bund hatte sich aus dem Vorhaben der OZG – helfen kann. Das sehen wir, wie bereits dargelegt, Länder zuerst zurückgezogen und ist dann später doch grundsätzlich auch so. Die Gründung der AöR FITKO wieder eingestiegen. Daher soll die Einrichtung nun als soll zum 1. Januar 2020 erfolgen. Wie wir alle wissen, ist hessische Landesbehörde errichtet werden. Das bestätigt der Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte leergefegt. Ich erin- nicht nur das Bild einer Bundesregierung, die in diesem nere an dieser Stelle an die verschiedenen zurückliegen- wichtigen Feld nicht nur selbst höchst unambitioniert ist, den und noch laufenden Projekte, bei denen wir immer sondern die es darüber hinaus auch viel zu sehr scheut, wieder ganz extreme Schwierigkeiten hatten und haben, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und zumindest geeignetes Personal auf dem hochumkämpften Markt für eine, wenn schon keine als Vorbild, tatsächlich koordi- gute IT-Fachkräfte zu finden. Ich frage mich, warum man nierende Rolle einzunehmen. offenbar davon ausgeht, dass sich dies hier anders dar- Aus Sicht dieses Hohen Hauses – zumindest meiner stellen soll, und woher man die Zuversicht nimmt, dass Fraktion – ist dies nicht nur aus dem genannten Grund die entsprechenden Stellen tatsächlich besetzt werden bedauerlich. Es wirft zudem auch Fragen zur parlamen- können, zumal – ich hatte es bereits erwähnt – der Zeit- tarischen Kontrolle, zu Fragerechten und zur Haushalts- plan für die Umsetzung des OZG extrem ambitioniert ist kontrolle auf. Diese Fragen stellen sich auch für die und die Umsetzung ja längst läuft. Hier, fürchte ich, wird Zivilgesellschaft, die gerade im Bereich E-Government es echter weiterer Anstrengungen bedürfen, entsprechen- immer wieder als Treiber einer lethargischen Bundesre- des Personal zu finden. 11952-11965 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 98 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9 Mai 2019

(A) Viertens. Eine Einbindung von Wirtschaft und Zivil- Fünftens. Auch vermissen meine Fraktion und ich (C) gesellschaft ist nach unserem Stand bislang ebenfalls eine Strategie, die die großen Chancen freier und offe- nicht vorgesehen. Vor dem Hintergrund der skizzierten ner Standards und Formate endlich angemessen berück- Problemlagen ist dies absolut unverständlich. So wird sichtigt. Obwohl von uns in etlichen parlamentarischen man kaum umhinkommen, hier nachzubessern. Vor dem Initiativen angemahnt und von der Bundesregierung seit vielen Jahren versprochen, bleibt auch dieses Potenzial Hintergrund, dass die Bereitschaft, sich konstruktiv ein- bislang weitgehend ungenutzt. Das ist aus vielerlei Grün- zubringen, durchaus sehr hoch ist und gerade die Frage den – auch und vor allem aus Kostengründen – überhaupt bezüglich gewählter Standards und Formate einer echten nicht nachvollziehbar. Der Grundsatz „Public Money, Debatte bedarf, würden wir eine solche Einbeziehung Public Code“ muss auch und gerade hier gelten. Dafür dringend empfehlen. machen wir uns weiter stark.

(B) (D)

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