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Allein unter Schafen

WANDERN AUF DEM durch Irlands Midlands

Das gelbe rucksacktragende Wandermännchen auf den Wegweisern ist mein ständiger Begleiter. Und mein einziger. Ansonsten treffe ich auf der Wanderung durch das Tal des Suck, eines Nebenflusses des Shannon, mitten im ländlichen Irland, weit und breit fast kei-

cyan ne Menschenseele. Nur Schafe natürlich, Kühe und Pferde. Und die erlebt, wer in Irlands Midlands wandern geht, haut- nah. Wenn eine Stute in vollem

magenta Galopp auf einen zukommt, ist das vielleicht nicht jedermanns Sache. Doch mir fällt rechtzei- tig der Pferdeflüsterer ein, und so bleibe ich stehen, um dem Tier die Kontaktaufnahme zu yellow überlassen. Das funktioniert er- staunlich gut und bereichert die Wanderung mit einer für den Städter besonders eindrucks- vollen, quasi tiertherapeuti- black schen Erfahrung.

Der Suck Valley Way gehört zu den Irish Waymarked Ways, den markierten Wanderwegen. Oft- mals querfeldein und von ei- nem Zauntritt zum nächsten, findet man auf diesen Wanderungen den Weg auch ohne Wanderführer. Andere Waymarked Ways wie der im Südwesten, der in Connemara oder der durch die gleichnamigen Berge südlich von Du- blin sind bekannter. Stolz verweist ein Link von der Irischen Tourismuszentrale auf diese insgesamt 3000 Kilometer ausgeschil- derter Wanderwege. Erfahrene Wanderer fragen jedoch sofort nach

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einer anderen Zahl, die in der Attraktion schlechthin. Ein Pint nach Roscommon gekommen. Raster über die wilde Moor- Werbung nicht auftaucht: dem nach dem anderen landet vor Anschließend ist er in diesem landschaft. Besonders sorgfälti- Anteil an Straßenkilometern, mir auf dem Tresen. Jeder will vom Tourismus weitestgehend ge Ausschilderungen lotsen den insbesondere so stark befahre- wissen, wie ich in Gottes Na- verschonten ländlichen Teil Ir- Wanderer auf die Dämme. ner Landstraßen wie dem Ring men auf die Idee gekommen lands hängengeblieben. Er ist Überall, wo der Boden bei Re- of Kerry. Infolge des großen An- bin, ins Tal des Suck zu kom- für die Vermarktung des Wan- gen etwas feuchter werden drangs dürfen Reisebusse im men. Den Wanderweg, ja den derwegs verantwortlich, den könnte, bewahren einen Holz- Sommer dort nur in eine Rich- kennen wir. Ob sie ihn denn vor etwas mehr als zehn Jah- brücken zusätzlich vor dem tung fahren. Dennoch sind der auch schon mal gegangen sind? ren eine ländliche Kooperative Naßwerden. Von den Damm- Wanderweg und die berühmte Sicher nicht, wozu haben wir angelegt hat. Jimmy Barlow, wegen hat man eine grandiose Landstraße streckenweise iden- denn Autos? Einen einzigen der zusammen mit seiner Frau Weitsicht auf das Moor und das tisch. Das gilt auch für den Einheimischen treffe ich im und acht Kindern auf seiner gesamte Flußtal. Akkurate quer über das übrigen auf dem Wanderweg, einsam gelegenen Farm Gäste Schnittkanten, an denen die gleichnamige Kalksteinplateau wie er auf einer der Trittleitern aufnimmt, war einer der Initia- Feuchtigkeit in der Sonne fun- südlich von Galway. Da es hier ein Nickerchen hält. „Are you toren des Rundweges. Er konn- kelt, und genau abgezirkelte auch zu den Cliffs of Moher walking?“ frage ich erfreut. Er te auch andere Bauern über- Torfquader verraten den Ein- geht, die keine Busreise ausläßt, schreckt auf: „No, I am local.“ zeugen, ihr Land den Wande- satz von Maschinen. Anschlie- wird es auf den schmalen Stra- In Ballygar lacht das ganze Pub rern zu öffnen. So führt der Weg ßend wird der Torf von Hand ßen schnell zu eng. über die Geschichte. Immerhin über Holzbrücken und Stiegen gestapelt, damit er trocknen finden die organisierten Wan- auf gemähte, abgegraste oder kann. Hier wird für den Eigen- dertage im Frühjahr und dichtbewachsene Weide- bedarf gestochen. Am Abend Herbst, an denen Martin (s. u.) flächen. hängt dann der so typische Ge- für Unterhaltung und Rück- ruch brennenden Torfs in der Luft, der sich mit Erinnerungen transport sorgt, auch unter den Diesen Juni war der Boden hart cyan Einheimischen Anklang. Bis und extrem uneben gewesen. an ebenso wärmende Kamin- das Überwuchern der Wege das Es hatte wochenlang nicht rich- gespräche verbindet. Wandern unmöglich macht, tig geregnet, und so haben die wird es auf jeden Fall noch eine klumpigen Hufe der Kuhherden ganze Weile dauern. dauerhafte Spuren hinterlas- magenta sen. Aber es kann auch richtig Ausgangspunkt der 100 Kilo- feucht und matschig sein. So meter langen Wanderung ist gesehen habe ich also Glück, das kleine Örtchen , auch wenn es auf dasselbe her- das von Dublin (relativ) be- ausläuft und der Wanderer an- quem in zwei Zug- oder drei gehalten ist, stets auf die dich- yellow Autostunden erreichbar ist. ten langen Grasbüschel zu tre- Hier liegt der nördlichste Punkt ten. Fünf Kilometer pro Stunde des Rundweges, den man nun schafft man damit nicht, aber westlich oder östlich des Flus- dafür später, wenn der Weg

ses beginnen kann. Martin, ein durch Wälder führt. Darunter black sommersprossiger Engländer die etwas traurig anzuschauen- mit irischen Wurzeln, begrüßt den, inzwischen landesweit ge- Im Tal des Suck ist nicht nur der den Wanderer am kleinen stoppten Fichtenforste oder ver- Verkehr langsamer. Vom Celtic Bahnhof und bringt ihn zu sei- wunschene Mischwälder, in Tiger keine Spur. Dagegen ist ner Pension, einem ländlichen denen Birken, Kiefern und alte am Suck noch einiges von dem B&B, das neben Bett und aus- Eichenbäume kreuz und quer guten alten Irland zu finden, giebigem gebratenen Frühstück durcheinander wuchern, moos- das Böll mit seinem Irischen mit Speck und Würstchen auch bedeckt bis zum Geäst. Tagebuch in unsere sehnsüch- für die Marschverpflegung, das tigen Herzen eingepflanzt hat. Abendessen und den Gepäck- Im Tal des Suck begegnet der So bin ich als einzige Fremde transport zur nächsten Unter- Wanderer natürlich auch dem im kleinen Städtchen Ballygar kunft sorgt. Martin war einst Torfabbau. Die Entwässerungs- einen ganzen Abend lang die zur Hochzeit eines Freundes kanäle legen ein geometrisches Torf

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Pro Tag kann man sich je nach ziert, die ansonsten im ganzen Bedarf und Zeit Strecken von 10 Haus verteilt sind. Während des bis 20 km vornehmen. Noch Essens plaudern wir über Yoga sind die Unterkünfte nicht so und Wellness, als gäbe es rund- dicht gesät, daß man ganz ohne herum den Großstadtstress, von Transportmittel auskommt. dem ich mich hier erhole. Da- Abends holen einen die Wirts- bei herrscht auf der Farm der leute ab und bringen einen Barlows, abgesehen von dem morgens wieder an den Aus- abends mit einer verläßlichen gangspunkt zurück. Da der Wanderweg von Kilometer 0 bis 100 durchnumeriert ist, klap- pen die Verabredungen pro- blemlos. Dabei hilft auch der Wanderführer der Co-op, der übersichtliche Karten und In- formationen zur reichen Flora und Fauna enthält. Mündliche Informationen gibt gerne auch Martin, der sich ohnehin rüh- rend um die Besucher sorgt und regelmäßig bei den Wirtsleuten nach deren Wohlergehen fragt.

cyan Wer kaltes Wasser nicht scheut, kann sich durch ein Bad im Fluß erfrischen und schon ein- mal Kontakt mit den Regen- bogenforellen oder Hechten

magenta aufnehmen, die abends auf Wunsch im B&B serviert wer- den. Natürlich kann man die Fische auch selbst angeln ge- hen. Marie Barlow vom gleich- namigen B&B kredenzt dazu yellow Salat mit Kräutern aus eigenem Anbau. Sie hat im übrigen auch das weitläufige Haus entwor- fen, denn im ersten Beruf war die Farmersfrau und Mutter black Architektin. Entsprechend in- teressiert sie alles, was mit vi- sueller Gestaltung und Kunst zu tun hat. Morgens steht sie Regelmäßigkeit verstummen- manchmal um 5 Uhr früh auf, den Kindergeschrei, eine solche um vor ihrem arbeitsreichen Ruhe, dass man den Schafen Alltag noch ein paar ruhige Mi- beim Ausrupfen des Grases zu- nuten auf dem Wanderweg zu hören kann. Der Blick vom Bett verbringen. Wenn sie dabei auf das Tal des Suck ist so über- skurril geformte Zweige findet, wältigend, dass ich vor lauter gruppiert sie diese zu avantgar- Ergriffenheit kaum einschlafen distischen Installationen auf will. dem Kaminsims, den auch ei- nes ihrer abstrakten Gemälde

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Ita Farrells Bed and Breakfast gehört ebenfalls zu einer Farm, liegt aber direkt an der Straße. Doch meine Befürchtungen, ich könnte hier durch Verkehrs- lärm gestört werden, erweisen sich als überflüssig. Die weni- gen Autos, die von und nach Ballygar fahren, lassen sich problemlos in meine Träume einbauen. Ita Farrell ist eben- falls vielfache Mutter und hat bereits Enkel, von denen sie auf mein Nachfragen hin anfangs zögernd, doch dann mit zuneh- mender Lebendigkeit erzählt. Als wir beim gemeinsamen Frühstück – mein erstes, ihr zweites – schließlich zu ihrer eigenen Jugend vorstoßen und sie die Schwierigkeiten der Eheanbahnung in Irlands ein- samen Landregionen im prä-

technologischen Zeitalter be- cyan schreibt, kommen mir vor La- chen und Rührung die Tränen. So herzlich spricht die Witwe von ihrem Mann, daß ich wünschte, von dieser lebens- Keltischer La Tène-Stein bei magenta langen Liebe etwas in meine Welt voller Beziehungskräche, Scheidungen und Alleiner- Der etwas betuchtere Gast gekauft und komplett saniert. zieherinnen mitnehmen zu kommt im House, Einem Innenarchitekten haben können. Als hätte sie es gehört, einem Herrenhaus aus dem 18. wir Paisleymuster und italieni- überreicht mir Ita zum Ab- Jahrhundert, auf seine Kosten. sche Mosaikkacheln zu verdan- yellow schied eine gesegnete Matrix- Ein junger Dubliner Heizungs- ken, die auch ästhetisch ein Medaille, deren Wirkung sich, unternehmer in Jeans und „Schöner Wohnen“ garantieren. wie sie mir versichert, zum Turnschuhen hat dieses reprä- Was wie bei den Barlows direkt Glück nur auf Wunsch einstellt. sentative Herrenhaus als Ruine aus dem Bauerngarten kommt,

heißt hier trendbewußt „orga- black nisch gewachsen“ und duftet ebenso verlockend. Außer dem Shuttleservice zum Wanderweg bietet Castlecoote House neben Tennis, Angeln, Golf auch das urenglische Krocket an. Grund und Boden sind so weitläufig, daß sich kleine Wanderungen am Suck unternehmen lassen, samt pittoresker Insel und alter Mauern, die an Gemälde der Castlecoote House deutschen Romantiker erin- nern.

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Andere historische Stätten sind Restaurants: kostenlos zu besichtigen. Etwa Bridge House, die Ballinakill Abtei aus dem Athleague; frühchristlichen 5. Jahrhundert Riverside Café, bei Glinsk oder der viel ältere, Athleague; keltische La Tène-Stein, ein mit Gleeson’s, spiralförmigem Ornament ver- Roscommon, zierter Monolith, dessen kulti- im Café köstliche sche Funktion inmitten eines Backwaren; Feldes bei Athleague rätselhaft Wineport Lodge, bleibt. Wenn die Abendsonne Glasson, nahe die ringsumliegende Fluß- Athlone, nur per landschaft vergoldet, stellt sich Auto erreichbar, die Andacht jedoch von selbst zwischen Suck ein. Valley und Dublin, ein wundervoll gelegenes Gästehaus und Restaurant mit einem 2-Gänge value dinner für 30,- Euro (www.wineport.ie); B&B 25,- Euro,

cyan Lunchpaket, Dinner und Shuttle 35,- Euro p. p.; Paket- Athleague Visitor Centre preis für 7 Tage, 6 Nächte mit Buchungsservice,

magenta Guidebooklet und Betreuung Von der Industrialisierung vor Ort: ca. 484,- Euro zeugt die stillgelegte Mühle in Athleague, auf die man vom Co- Unterkünfte: op-eigenen Riverside Café Farrell’s Farm Guest House, blickt. Ballygar (00353-90-6624669), yellow Hier hängt der sorgfältig gear- Barlow’s Farm, Glinsk beitete Quilt von Helga Mullins, (00353-90-6621926), deren Lebensweg von Essen Castlecoote House nach Roscommon Thema eines (www.castlecootehouse.com); anderen ij-Artikels sein wird. 80 Euro B&B p.p., black Vor dem Riverside Café stehen Dinner 40 Euro. ein paar Picknickbänke. Den Gleeson’s, Roscommon köstlichen selbstgebackenen (www.gleesonstownhouse.com); apple pie und den Ausblick auf 50 Euro B&B p.p. eine der zahlreichen alten, be- wachsenen Natursteinbrücken Info: wird man so schnell nicht ver- Suck Valley Co-op gessen. Im Co-op-Café stellt (www.suckvalley.com, Tel. Martin auch Fotos der bislang 00353-906663602, Martin), nur vereinzelten Wanderer aus. dort auch Infos zu Angeln, Noch bin ich die einzige Deut- Wanderwegen sche. (www.walkireland.ie)

Regine Reinhardt Quilt von Helga Mullins

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