THAILAND

Teile des abgestürzten „Lauda-Air“-Flugzeugs; Bergetrupps und Polizisten an der Absturzstelle in Suphan Buri. Absturz im Dschungel

Vor 30 Jahren ereignete sich mit dem Absturz einer „Lauda-Air“-Maschine in Thailand das schlimmste Flugunglück der österreichischen Luftfahrt. Die Polizei war vor große Herausforderungen gestellt.

ot-weiß-rot schimmern die Reste Weltmeisters Lauda war erst seit fragte der Kurier in seinem Aufmacher einer Flugzeug-Heckflosse zwi- eineinhalb Jahren in Betrieb. Die Ma- vom 28. Mai 1991. In Österreich wur- Rschen Bambusstämmen hervor. schine war zuerst in Hongkong gewe- de ein Strafverfahren gegen unbekann- „Ort des abgestürzten Flugzeugs“ steht sen und hatte beim Zwischenstopp in te Täter eröffnet, verbunden mit ersten auf einem Holzschild, „Lauda Airlines Bangkok 88 weitere Passagiere aufge- Schritten zur Entsendung von Antiter- Absturzstelle“ auf einer Informations- nommen, bevor sie Richtung Wien ab- ror-Fahndern, Kriminaltechnikern und tafel daneben. Bilder zeigen Helfer vor hob. An Bord befanden sich mehrheit- weiteren Spezialisten. einem Flugzeugwrack. Bis heute erin- lich Österreicherinnen und Österrei- Den Bergungstrupps in Thailand bo- nern Schilder und Flugzeugtrümmer cher; die übrigen Fluggäste stammten ten sich „Bilder des Grauens und der daran, dass in diesem bewaldeten Ge- überwiegend aus Hongkong, Thailand, totalen Verzweiflung“, wie Medien be- biet bei Suphan Buri, etwa drei Auto- der Schweiz und Deutschland. Unter richteten. Trümmer, Gepäckstücke und stunden nordwestlich der thailändi- den Passagieren befanden sich auch der Leichen waren weit verstreut, die sai- schen Hauptstadt Bangkok, vor 30 Jah- Gouverneur der thailändischen Provinz sonale Regenzeit und große Hitze er- ren ein Flugzeug der österreichischen Chiang Mai, ein hoher thailändischer schwerten die Arbeiten. Die zuständi- Fluglinie abstürzte. Polizeioffizier und der UN-Drogenbe- gen Behörden in Österreich, dem Hei- Am 26. Mai 1991 gegen 23.17 Uhr auftragte Donald McIntosh. McIntosh matstaat der Luftlinie, und in den USA, Ortszeit verschwand die Boeing 767- war seit zweieinhalb Jahren für die dem Herstellerstaat der Maschine, wa- 300ER mit dem Namen „Mozart“ vom Vereinten Nationen in Bangkok statio- ren umgehend verständigt worden und Radar der Flugaufsicht, nachdem sie niert und arbeitete mit der Polizei ge- entsandten erste Vertreter. Auch Air- etwa eine Viertelstunde zuvor in Bang- gen den Suchtgifthandel im „Goldenen line-Inhaber flog nach kok gestartet war. An Bord der Ma- Dreieck“ zwischen Thailand, Laos und Thailand und besuchte am 28. Mai schine befanden sich 213 Passagiere Burma. Die Provinz Chiang Mai galt 1991 den Absturzort im Dschungel. Er-

ANGKOK und zehn Besatzungsmitglieder. Die als „Heroin-Zentrum“. mittler des U.S.-amerikanischen Natio- B Boeing hatte bereits die Reiseflughöhe nal Transportation Safety Board und

OLIZEI erreicht, wurde plötzlich in der Luft Anschlagsverdacht. Dass eine rela- weiterer U.S.-Behörden, österreichi- , P zerrissen und schlug im unwegsamen tiv neue Verkehrsmaschine – besetzt sche Ermittler und Experten, darunter COM . Dschungelgelände des Nationalparks mit hochrangigen Vertretern der Dro- auch Vertreter der obersten Zivilluft- Phu Thoei auf. Niemand an Bord über- genbekämpfung – so kurz nach dem fahrtbehörde im Verkehrsministerium, PICTUREDESK

/ lebte den Absturz. Das Flugunglück ist Start in Flammen aufgehen konnte, Vertreter der Lauda Air und des Boe- FP

/A das bis heute schwerste der österrei- nährte rasch Gerüchte, dass es sich bei ing-Konzerns waren vor Ort, um die chischen – und auch der thailändischen der Ursache der Katastrophe nicht um Untersuchungsarbeit, die federführend – Luftfahrt. ein technisches Gebrechen gehandelt bei den thailändischen Behörden lag,

HAIYANUWONG Die Nachricht versetzte Österreich haben könnte: „Lauda-Jet explodiert! zu begleiten. Bald entkräfteten erste C in Schock: Thailand galt als zuneh- War es Bomben-Attentat?“ titelte die Spuren den Verdacht eines Bombenan- mend beliebte Urlaubsdestination, die Kronen Zeitung in ihrer Morgenausga- schlags oder eines Raketenabschusses, ONGSAK

: P abgestürzte Maschine der Fluglinie des be am 27. Mai 1991. „Sprengte Dro- sondern deuteten auf eine Triebwerks- OTOS

F ehemaligen österreichischen Formel-1- gen-Mafia den Jet der Lauda-air?“ explosion hin.

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IDKO. Im Bundesministerium für In- neres wurden nach der Absturznach- richt Vorbereitungen für die Entsen- dung einer Expertengruppe getroffen, die vor allem die österreichischen Op- fer identifizieren sollte. „Mit einer sol- chen Zahl an Toten nach einem Un- glücksfall hatten wir in Österreich kei- ne Erfahrung“, sagt Oberst Franz Köss- ler. Seit 2006 ist der ehemalige operati- ve Leiter des früheren Büros für Erken- nungsdienst, Kriminaltechnik und Fahndung der Polizei Wien im Ruhe- stand, 1991 war er unter den ersten BMI-Beamten, die nach Bangkok flo- gen. Auch Kriminaltechnik-Spezialist Josef Urban, heute Kontrollinspektor bei der Kulturgutfahndung im Bundes- kriminalamt, wurde nach Bangkok ent- sandt. Er war 1991 in der Gruppe II/D Sichtung von Opfern: Einsatzkräfte vor der Prosektur in Bangkok. (Kriminalpolizei) der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit tätig und KO-Team gehörten neben Polizeibe- wie möglich arbeiten“, schildert Ge- hatte berufliche Vorerfahrung bei der diensteten und Gerichtsmedizinern richtsmediziner Reiter. Alle Toten, die Tatortgruppe in Niederösterreich. auch Zahnmediziner. „Die deutschen „europäisch aussahen“, wurden der Innenminister Franz Löschnak er- Kollegen sind mit einer komplett auf Identifizierungskommission überge- suchte das deutsche Bundeskriminal- die Situation in Bangkok ausgerichte- ben. „Die übrigen Leichen wurden von amt in Wiesbaden um Unterstützung. ten Ausrüstung angereist und sofort den Thailändern identifiziert“, sagt Dieses verfügte seit 1972 über eine ei- nach einem genauen Plan vorgegangen. Reiter. gene „Identifizierungskommission“ Diese Professionalität war sehr beein- (IDKO). Die IDKO hatte bis 1991 be- druckend“, bemerkt Reiter. An der Absturzstelle im Dschungel reits elf Einsätze absolviert und Lei- waren vielen Toten Schmuck wie Ket- chen nach größeren Katastrophen iden- Gerichtsmedizin. Nach der Ankunft ten oder Ringe und Uhren abgenom- tifiziert. Da beim Lauda-Air-Absturz in Bangkok bezogen die Spezialisten men worden. Zeitungsberichte spra- sechs Passagiere aus Deutschland ka- Quartier in einem großen Hotel, das in chen von regelrechten „Plünderungen“, men, bestand für die IDKO auch ein Gehweite zum Gerichtsmedizinischen hinter denen aber vielfach nicht Einhei- formeller Anknüpfungspunkt. 89 Opfer Institut lag. „Wir waren nie an der Ab- mische, sondern von den Sicherheits- stammten aus Österreich. sturzstelle im Dschungel, unsere Auf- behörden beauftragte Bergungsfirmen Am 29. Mai 1991 startete eine Lau- gabe war es, die angelieferten Toten zu gestanden sein sollen. „Dadurch ist ein da-Air-Maschine von Wien nach Bang- identifizieren“, erklärt Josef Urban. hilfreiches Element für die Identifizie- kok. Unter den Fluggästen waren zahl- Schaulustige, Hinterbliebene und Me- rung weggefallen“, weiß Christian Rei- reiche Angehörige von Absturzopfern, dienvertreter standen vor dem Gebäu- ter. In den österreichischen Zeitungen die ein Angebot der Lauda Air ange- de, als das deutsch-österreichische erschienen erste Listen mit Porträts und nommen hatten, zur Identifizierung Team beim Institut eintraf. Die ange- den vollen Namen von Unglücksopfern nach Thailand zu fliegen. Auch die 31 lieferten Leichen lagen in Bergungssä- – aus heutiger datenschutzrechtlicher Mitglieder der deutschen IDKO, die in cken im Hof oder unter Vordächern, Perspektive undenkbar. am Main zugestiegen waren, ohne Kühlung. „Die Situation war ka- Eine Sichtung der Passagierlisten befanden sich an Bord, dazu kamen tastrophal“, betont Franz Kössler. Das zeigte, dass diese zum Teil unbrauch- Mitglieder der Einsatzgruppe zur Be- deutsch-österreichische Team war mit bar waren. Die Schreibweise von Na- kämpfung des Terrorismus (EBT) im bis zu 35 Grad Hitze, 90 Prozent Luft- men stimmte nicht, Personen, die den BMI, Franz Kössler und Josef Urban feuchtigkeit und mehreren Regengüs- Flug nicht angetreten hatten, waren sowie der Gerichtsmediziner Dr. Chris- sen pro Tag konfrontiert. „Der Lei- trotzdem noch vermerkt und zu vielen, tian Reiter. Dieser war noch wenige chengeruch war unbeschreiblich und die erst in Bangkok zugestiegen waren, Stunden zuvor im Seziersaal des Wie- der Zustand der Körper machte eine gab es vorerst nur lückenhafte Informa- ner Gerichtsmedizinischen Instituts ge- Identifizierung zum Teil äußerst tionen. „Wir haben vor allem mit hän- standen, als ihn eine Anforderung des schwierig.“ Ursprünglich wäre dem dischen Aufstellungen gearbeitet, ein zuständigen Staatsanwalts erreichte. Er Team nur ein kleiner, ungelüfteter Computer stand nur im Hotelbüro und sollte vor allem die Untersuchung des Raum zur Verfügung gestanden, der wäre ständig besetzt gewesen“, er- Piloten und des Co-Piloten überneh- schließlich konnte vorerst ein Tisch im zählt Franz Kössler. Die österrei- ANGKOK

B men, mit den deutschen Gerichtsmedi- großen Seziersaal ausverhandelt wer- chische Botschaft in Bangkok bildete zinern zusammenarbeiten und für den. Bereits am ersten Tag wurden 18 beim Krisenmanagement eine wichtige OLIZEI

: P Österreich die behördlichen Todesfall- Opfer obduziert. „Es gab Myriaden Drehscheibe. Die offizielle Berichter- OTO

F bescheinigungen ausstellen. Zum ID- von Fliegen, wir mussten so schnell stattung nach Wien lief aufwendig ab,

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Absturzstelle der „Lauda-Air“-Maschine im Dschungel von Suphan Buri; „Lauda-Air-Friedhof“ im Tha Sadej Sub-Distrikt. Meldungen mussten über die Bot- hatten auch Fotos oder ärztliche Befun- einigen Tagen gelang es, zwei große schaftsinfrastruktur mit Fernschreiben de der Opfer mitgebracht. Im Gebäude Ventilatoren zur Durchlüftung des Se- oder Fax verschickt werden. Auch in- der Gerichtsmedizin in Bangkok hin- ziersaales zu organisieren. In Zusam- ternationale Telefonate liefen primär gen Aufnahmen der gefundenen Toten menarbeit mit der IDKO sichtete Ur- über die Botschaft, sofern sich die aus; auf diese Weise sollte es den Hin- ban die Informationsblätter und Identi- österreichischen Kriminalisten nicht terbliebenen ermöglicht werden, selbst fikationsmaterialien, die entweder di- gelegentlich das deutsche Satellitente- eine Identifizierung vorzunehmen. rekt in Bangkok abgegeben wurden lefon der IDKO ausborgen konnten. „Dieses System war aus unserer Sicht oder per Luftpost eintrafen. „Täglich sehr sonderbar, denn es wurden Fotos sind mit dem Flugzeug aus Österreich Vermisstenbüro. Bei der Arbeitsauf- vom Kopf und vom Körper gemacht, neue Kuverts mit Fingerspuren, Rönt- nahme sah sich das deutsch-österrei- die jeder anschauen konnte, egal in genaufnahmen oder Zahnbildern ange- chische Identifizierungsteam sofort mit welchem Zustand sich die Leiche be- kommen.“ Dabei habe man gesehen, den ersten Anfragen von Angehörigen fand“, erläutert Christian Reiter. „Dass wie wichtig eine hochqualitative Spu- konfrontiert. Die Spezialisten des BMI die Angehörigen sich das ansehen rensicherung im Heimatland sei. Eine und des deutschen Bundeskriminalamts mussten, war eine unglaubliche Belas- Identifikation mittels DNA war damals waren im selben Hotel untergebracht, tung“, sagt Franz Kössler. „Auf vielen noch nicht möglich, Fingerabdrücke wie viele der mit dem gleichen Flieger Bildern hat man einfach nicht mehr kamen in vielen Fällen nicht in Be- angereisten Verwandten und Freunde. viel erkannt, weil keine Kleidung und tracht. Gerichtsmediziner Reiter konnte Täglich kamen weitere Angehörige in kein Schmuck zu sehen war oder die sich zum Teil an noch sichtbaren alten Bangkok an. Um die Botschaften bei Überreste zu entstellt waren.“ Gerade Verletzungen, Tattoos oder Narben ori- der Angehörigenbetreuung zu unter- dieser erschreckende Anblick und die entieren oder ging etwa durch Sichtung stützen, Auskunft über die Arbeit der schwierige Situation habe dazu geführt, der Lungen Hinweisen auf allfällige IDKO zu geben und von den Hinter- dass manche Hinterbliebene einfach Rauchergewohnheiten nach. Auf- bliebenen mitgebrachte Unterlagen zu nicht wahrhaben wollten, dass es sich schlüsse brachten auch die Seriennum- sichten, richtete Oberst Kössler ge- dabei um ihren Angehörigen handelte – mern von Prothesen und Herzschritt- meinsam mit seinem deutschen Pen- oder dass sie umgekehrt auf einem Fo- machern. „Das Zahnmaterial war dant, Oberrat Geide, in der Empfangs- to Details zu sehen glaubten, die fak- schließlich oft die verlässlichste Quel- halle des Hotels eine provisorische tisch nicht verifizierbar waren. Beson- le“, bemerkt Urban. „Vermisstenstelle“ ein. Diese war an- ders angespannt waren jene Momente, fangs für alle Nationen die erste An- in denen Identifizierungen im Hotel auf Polizeiarbeit in Österreich. Während laufstelle. „Eine professionelle Beglei- einem Flip-Chart ausgehängt wurden. die deutschen und österreichischen tung der Angehörigen hat damals ge- Den thailändischen Behörden habe Spezialisten in Bangkok die Identifika- fehlt, an eine räumliche Trennung der es vielfach genügt, wenn sich Zeugen tion der Toten vorantrieben, lief auch Identifizierungsteams von den Hinter- nach dem Studium der ausgehängten in Österreich die Polizeiarbeit auf bliebenen hat ebenfalls niemand ge- Opferfotos zur Identifikation einer Per- Hochtouren. Regierungsrat Christian dacht“, bekennt Kössler. Bei späteren son bekannten und die sterblichen Mader, heute in der Suchtmittelbe- großen Unglücksfällen hätte Österreich Überreste gleich mitnahmen, schildert kämpfung im Bundeskriminalamt tätig, aus den Erfahrungen des Jahres 1991 Reiter. „Wir haben streng nach wissen- war 1991 Referent in der Vermissten- Lehren gezogen. schaftlichen Standards gearbeitet. Es stelle des Wiener Sicherheitsbüros. war enorm wichtig, sehr genau zu sein Dort war auch die Koordinationsstelle Identifikationen. Bei der provisori- und sich nicht unter Druck setzen zu für Katastrophenopfer in Wien ange- EMMERER L schen Vermisstenstelle im Hotel wur- lassen“, ist Kriminalist Josef Urban siedelt. „Aus Wien waren die meisten

ONIKA den auf deutsch- und englischsprachi- überzeugt. Er war bei den meisten Ob- österreichischen Vermissten“, schildert : M gen Formblättern Vermisstenanzeigen duktionen dabei, die unter sehr belas- Mader. Sobald die Namenslisten der OTOS

F entgegengenommen. Viele Angehörige tenden Bedingungen stattfanden. Nach Absturzopfer vorlagen, begannen die

ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 5-6/21 113 kriminalpolizeilichen Ermittlungen. Alle Kriminalbeamtengruppen wurden vom Sicherheitsbüro herangezogen, um mit Angehörigen in Wien Kontakt aufzunehmen und Hinweise zur Identi- fikation zu erheben oder sicherzustel- len. So wurden zum Beispiel Finger- spuren in Wohnungen oder an persönli- chen Gegenständen von Vermissten gesichert, um sie dann in Bangkok mit den aufgefundenen Leichen zu verglei- chen. „Es musste alles sehr schnell ge- hen. Immer wieder haben wir gehört, dass die Leichen durch die Hitze in schlechtem Zustand waren und die Identifizierung mit jedem Tag schwie- riger werden könnte.“ Bei einer gesi- cherten Identifikation ging es nicht nur um die Gewissheit für die Familien, sondern oft auch um die Klärung ver- mögensrechtlicher Fragen. Nur eindeu- tig identifizierte Opfer konnten zudem nach Österreich überstellt werden. Die international standardisierten Identifi- zierungsbögen umfassten 10 bis 15 Seiten. „Das war zum Teil sehr viel In- formation mit intimen und sensiblen Fragen“, erzählt Mader. Das Durchar- beiten mit den Angehörigen sei oft be- wegend gewesen. In Erinnerung ist Mader etwa eine Frau geblieben, die zusammen mit ihrem Kind in seine Dienststelle kam und einen Abguss des Zahnbildes ihres vermissten Mannes mithatte. „Solche Momente haben die Situation im fernen Thailand plötzlich sehr greifbar werden lassen.“ In Wien liefen die Erhebungen bei den Hinterbliebenen über das Sicher- heitsbüro, heute ein Teil des Landes- kriminalamts Wien, in den übrigen Bundesländern bei den Landeskrimi- nalämtern der Gendarmerie. Den zen- tralen Kontaktpunkt bildete die Gruppe II/D – Interpol im Bundesministerium für Inneres.

„Lauda-Air-Friedhof“. Trotz aller Bemühungen über mehrere Wochen und eines zweiten Besuches von ID- KO-Mitgliedern in Thailand Mitte Juli 1991 zur Abklärung noch offener Punkte und der Identifizierung weiterer Leichen, konnten nicht alle Passagiere der „Mozart“ identifiziert werden. Zur Bestattung von deren sterblichen Über- resten ließen Verwandte des beim Ab- sturz verstorbenen Gouverneurs von Chiang Mai einen eigenen Friedhof mit Gedenkstätte errichten. Der Ort im Tha Sadej Sub-Distrikt von Suphan Buri, in deutlicher Fahrdistanz zur Absturzstel-

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le, wird als „Lauda-Air-Friedhof“ be- zeichnet. Neben anonymen Gräbern finden sich dort Steinplatten mit den Namen aller Opfer der Flugkatastro- phe. Nach der Übernahme der Lauda Air durch die trug die Fluglinie von 2004 bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 die Kosten für die Pflege des Friedhofs und finan- zierte für die Angehörigen jener Opfer, die mangels Identifizierung nicht nach Österreich zurückgeholt werden konn- ten, einen jährlichen Flug nach Bang- kok zum Besuch der Gedenkstätte.

Als Absturzursache wurde nach mo- natelangen Ermittlungen ein defektes hydraulisches Ventil benannt, nach dem lange gesucht worden war. Durch dieses Ventil wurde im linken Trieb- werk die „Schubumkehr“ aktiviert, die Gebäude des Gerichtsmedizinischen Instituts in Bangkok: Einsatzfahrzeuge, Särge. normalerweise bei einer Landung zum Abbremsen der Maschine eingesetzt Oberst Franz Kössler. Es sei gerade von Leichen in fachgerechter Weise wird. Die beiden Triebwerke arbeiteten auch für Polizeibedienstete wichtig, durchzuführen („post mortem Arbeit“), dadurch plötzlich in entgegengesetzter nach derartig einschneidenden Erleb- und andererseits entsprechende Daten Richtung und das Flugzeug war nicht nissen Wege zu finden, mit den scho- und Informationen zu vermissten Per- mehr steuerbar. Das schadhafte Trieb- ckierenden Eindrücken umzugehen und sonen einzuholen („ante mortem Ar- werk fing Feuer, im rasanten Sinkflug bei Bedarf auch Hilfe in Anspruch zu beit“). Ergänzt wird dieser Pool durch brach das Flugzeug auseinander. Der nehmen. Die Zusammenarbeit mit der eine Technikgruppe, die für den Auf- Voicerecorder konnte später ausgewer- deutschen IDKO loben alle österrei- bau einer entsprechenden technischen tet werden, der Flugschreiber war hin- chischen Beteiligten. „Die Kollegialität Infrastruktur zuständig ist. Zur Identifi- gegen zerstört. Beim Abhören des und Hilfsbereitschaft war außerge- zierung von Opfern auf Grundlage von Stimmenrekorders ließ sich erkennen, wöhnlich. Wir konnten uns auf einan- Fingerabdrücken und DNA-Analysen dass Pilot und Co-Pilot fieberhaft ver- der verlassen“, resümiert Josef Urban. wird der DVI-Expertenpool vom Zen- sucht hatten, die Kontrolle über die „Mich hat fasziniert, wie schnell Men- tralen Erkennungsdienst des Bundes- Maschine zu behalten. Gerichtsmedizi- schen aus ganz unterschiedlichen Fach- kriminalamtes unterstützt. DNA ist in- ner Reiter untersuchte die Leichen des bereichen ein reibungsloses Team ge- zwischen zu einer tragenden Säule der amerikanischen Piloten und des öster- bildet haben – die Zahnräder haben in Identifikationsarbeit geworden. Ge- reichischen Co-Piloten: „Es war wich- einander gegriffen“, sagt Christian Rei- richts- und Zahnmediziner sowie Ex- tig herausfinden, ob sie vielleicht aus ter. Er war 2004 erneut als Gerichtsme- perten der vier DNA-Kooperationsin- gesundheitlichen Gründen die Herr- diziner in Thailand, um österreichische stitute des BMI sind ebenfalls Teil des schaft über das Flugzeug verloren hat- Opfer nach der Tsunami-Katastrophe DVI-Expertenpools. Für die zentrale ten.“ Umso betroffener habe es ihn in Südostasien zu identifizieren und Steuerung und Koordinierung aller Er- später gemacht, als er die letzten Dialo- wirkte davor beim Aufbau der heutigen mittlungsarbeiten und zur Wahrneh- ge der beiden Piloten in den Voicere- Strukturen der behördlichen Disaster mung der internationalen Belange (ins- corder-Aufnahmen gehört habe. Die Victim Identification (DVI) in Öster- besondere mit Interpol, dem europäi- Untersuchungen ergaben, dass sie kei- reich mit. schen Netzwerk forensischer Institute ne Chance gehabt hatten, die Katastro- ENFSI und dem DVI-Netzwerk der phe zu verhindern. Der U.S.-Flugzeug- DVI . „Seit dem Absturz der EU) ist das Büro 6.3 des Bundeskrimi- hersteller Boeing adaptierte in der Fol- Lauda Air hat sich in Österreich sehr nalamtes zuständig. In regelmäßigen ge die Konstruktion der Schubumkehr viel geändert“, sagt Mag. Gerhard Abständen werden Schulungen, Tagun- in seinen Maschinen. Die Hinterbliebe- Ranftl, Leiter des Büros 6.3 (Tatort) im gen und auch Übungen unter simulier- nen erhielten vom Konzern Entschädi- Bundeskriminalamt in Wien. Öster- ten Realbedingungen abgehalten. „Die gungszahlungen. reich besitzt inzwischen einen eigen- Aufarbeitung eines Flugzeugabsturzes ständigen DVI-Expertenpool, der in ist mit Blick auf die Identifizierung der Die Erinnerungen an die Katastrophe vielerlei Hinsicht an die IDKO des Absturzopfer auch heute noch in jedem sind auch nach 30 Jahren noch vieler- deutschen Bundeskriminalamts erin- Land der Welt eine Herausforderung orts lebendig, nicht nur bei den Hinter- nert. Im Expertenpool sind Spezialisten für die zuständigen Behörden“, betont bliebenen, sondern auch bei den dama- der Assistenzbereiche 7 (Tatort) und 1 Gerhard Ranftl. „Man kann nur versu- ligen Ermittlern. „Ich habe einige Zeit (Fahndung) der neun Landeskriminal- chen, sich auf diesen, hoffentlich nie PRIVAT

: gebraucht, alles zu verarbeiten und vie- ämter organisiert, um einerseits die Si- eintretenden, Fall so gut wie möglich OTO

F les im Leben hinterfragt“, bekennt cherung von Spuren und die Bergung vorzubereiten.“ Gregor Wenda

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