Herausgeber/Editors Heike Belzer,

Verlag der Buchhandlung Walther König inhalt ––– kunst lehren teaching art 39 Kunst lehren. Ein Vorschlag aus Frankfurt –– Daniel Birnbaum

60 Es war Fifty-fifty… Die Studenten und ich –– Interview mit Thomas Bayrle von Daniel Birnbaum

73 Kunstausbildung jenseits der Modelle der Wirtschaft –– Okwui Enwezor

80 Frei sind wir schon. Was wir jetzt brauchen, ist ein besseres Leben –– Jan Verwoert

111 John Baldessari im Gespräch mit Studierenden der Städelschule –– Michael Eddy, Hanna Hildebrand, Sarah Ortmeyer und Jeronimo Voss

126 Kitsch, Zerstörung und Ausbildung –– Interview mit Tobias Rehberger von Mai Abu ElDahab

146 Im Lehrerzimmer –– Isabelle Graw und Michael Krebber im Gespräch

192 Kunstausbildung und Kunstmarkt –– Willem de Rooij und Simon Starling im Gespräch

207 Portikus –– Walter Hollensteiner

232 Kochen als Kunst

234 Die Sozialgeschichte der Kunst: Über „In the Belly of Anarchitect” –– Pamela M. Lee

248 Architektur und Kunst

250 Von Raum und Zeit in der Architekturausbildung –– Johan Bettum und Mark Wigley im Gespräch

275 Institut für Kunstkritik –– Isabelle Graw

284 Skulptur im erweiterten Feld –– Wolfgang Winter

275 Der Künstler als Katalysator –– Hortense Pisano

316 Auf gute Nachbarschaft –– Dietrich Koska

324 Werkstätten, Techniken und Materialien

326 Freunde der Städelschule

329 Professoren/innen –– Vanessa Joan Müller, Niklas Maak und Catherine Wood

331 Ben van Berkel 336 Daniel Birnbaum 339 Ays˛e Erkmen 342 Isabelle Graw 345 Michael Krebber 348 Mark Leckey 353 Christa Näher 356 Tobias Rehberger 359 Willem de Rooij 362 Martha Rosler 366 Simon Starling 370 Wolfgang Tillmans

Fotobeilage von Wolfgang Tillmans Seite 153 – 184 content ––– kunst lehren teaching art 48 Teaching Art. A Proposal from Frankfurt –– Daniel Birnbaum

67 It was Fifty-Fifty. The Students and I –– Interview with Thomas Bayrle by Daniel Birnbaum

77 Art Education Beyond the Business Model –– Okwui Enwezor

96 Free? We Are Already Free. What We Need Now Is a Better Life –– Jan Verwoert

120 John Baldessari Talks to Students of the Städelschule –– Michael Eddy, Hanna Hildebrand, Sarah Ortmeyer and Jeronimo Voss

136 Kitsch, Destruction, and Education –– Interview with Tobias Rehberger by Mai Abu ElDahab

185 In the Teachers’ Lounge –– Isabelle Graw and Michael Krebber in conversation

200 Art Education and the Market –– Simon Starling and Willem de Rooij in conversation

207 Portikus –– Walter Hollensteiner

232 Cooking as Art

242 The Social History of Art: On “In the Belly of Anarchitect” –– Pamela M. Lee

248 Architecture and Art

261 The Space and Time of Architectural Education –– Johan Bettum and Mark Wigley in conversation

281 Institute for Art Criticism –– Isabelle Graw

290 Sculpture in the Expanded Field –– Wolfgang Winter

309 The Artist as Catalyst –– Hortense Pisano.

320 Good Neighbors –– Dietrich Koska

324 Workshops, Techniques, and Materials

327 Friends of the Städelschule

329 Professors –– Vanessa Joan Müller, Niklas Maak, and Catherine Wood

331 Ben van Berkel 336 Daniel Birnbaum 339 Ays˛e Erkmen 342 Isabelle Graw 345 Michael Krebber 348 Mark Leckey 353 Christa Näher 356 Tobias Rehberger 359 Willem de Rooij 362 Martha Rosler 366 Simon Starling 370 Wolfgang Tillmans

Photo insert by Wolfgang Tillmans pages 153 – 184 Die Städelschule im Winter / The Städelschule in winter, 2006

Im Rektorat / In the rector’s office, 2001: Jochen Volz, Daniel Birnbaum, Tobias Rehberger, Isabelle Graw, Ay˛se Erkmen, Ben van Berkel, , Thomas Bayrle

Atelier / Studio, 2007 Institut für Kunstkritik / Institute for Art Criticism, Symposium, 2006

Neubau der Städelschule / Städelschule’s new extension, 2007 Mittagessen vor der Mensa / Lunch in front of the cafeteria, 2007 Peter Cooks Mensa / Peter Cook’s cafeteria, 2007

Grillen / Barbecue, 2007

Sound Workshop mit / with Carl Michael von Hausswolff und / and Mika Vaino, 2005

Wolfgang Tillmans mit Studenten / with students, 2006

Skulptur von / Sculpture by Ben van Berkel, Städelschule 2003

Pamela M. Lee, & Rirkrit Tiravanija, Gordon Matta- Clark – In The Belly of Anarchitect, Portikus 2004 Rundgang 2006

Aula /Auditorium, Rundgang 2006

KunstraumAufnahmeprüfung Tschoperl / von BrittaAdmission und ExamsKlaus Kamptner, 2004 Artspace Tschoperl by Britta and Klaus Kamptner

Academy Remix, Portikus 2005

Kunst lehren. Ein Vorschlag aus Frankfurt _ Daniel Birnbaum

––– 39 ––– Im Sommer des Jahres 2000 erhielt ich Letzten Endes dreht sich alles um die ein- ein Fax aus Frankfurt am Main, in dem ich zelnen Künstler/innen. Es war immer und ist gefragt wurde, ob ich an einer Anstellung auch heute noch unmöglich, die an der Städel- als Rektor der Städelschule und als Direktor schule betriebene Form des Unterrichts auf der Kunsthalle Portikus interessiert sei. Das irgendeine besondere Doktrin zu reduzieren, Fax sah etwas seltsam aus – „aufgrund ernst- denn sie hat sich immer auf die inspirierten hafter technischer Probleme”, erläuterte eine Beiträge einer kleinen Gruppe starker Leh- von Hand geschriebene Notiz ganz unten auf rerpersönlichkeiten konzentriert, von denen der Seite. Schon wenige Wochen danach stell- jede ganz unterschiedliche, manchmal einan- te ich mich der Fakultät und den Studieren- der widersprechende Ansichten über das mit- den vor, und mit einem Mal war ich verant- brachte, was an Kunst (und Architektur) das wortlich für eine Institution, von der ich bis Entscheidende ist – von Thomas Bayrle, Peter dahin nur sehr wenig wusste. Weit mehr als Cook, Ay˛se Erkmen und Hermann Nitsch in andere Institutionen sind Kunsthochschulen der jüngeren Vergangenheit bis zu den heute immer lokal ausgerichtet. Wie groß oder inter- aktiven Ben van Berkel, Isabelle Graw, Micha- national auch immer die Stadt, in der sie sich el Krebber, Mark Leckey, Christa Näher, Tobi- befinden, die Kunstakademie demonstriert as Rehberger, Willem de Rooij, Martha Rosler, stets Eigenschaften, die man andernorts ver- Simon Starling und Wolfgang Tillmans. In geblich sucht, und das ist wahrscheinlich kei- Zusammenarbeit mit ihren Studenten/innen ne Überraschung. Wer, wenn nicht die jungen sind dies die entscheidenden Leute, die den Künstler/innen, die in einer Stadt studieren, Charakter der Hochschule bestimmen. Dabei und die Professoren/innen, die sie unterrich- nehmen sie sich alle Freiheit, und es ist mei- ten, sollten wohl die Kunstsituation an einem ne grundsätzliche Überzeugung, dass diese bestimmten Ort sonst definieren? Freiheit das Allerwichtigste ist. Was sie zu Was also war das Typische an der Städel- bieten haben, sind nicht nur ihre Erfahrungen schule, und welche ihrer ursprünglichen und Kenntnisse, sondern letztlich etwas weit Eigenschaften lohnte es sich wohl weiter zu Wichtigeres: sie bieten sich selbst als Beispiele kultivieren? Einige Charakteristika lagen so- dafür an, was es heute bedeutet, Künstler/in fort auf der Hand: keine andere mir bekann- zu sein. Das ist wahrscheinlich die wesent- te Kunsthochschule nimmt Kochen so ernst lichste Eigenschaft der Städelschule: der ein- und hat neben dem Büro des Verwaltungs- zelne Künstler ist wichtiger als Erziehungs- direktors eine experimentelle Küche. Das programme oder Doktrinen. Eine erfolgreiche erschien mir ungewöhnlich und interessant Kunsthochschule, so hat es John Baldessari genug, um es auch weiterhin zu pflegen. Und oft gefordert, muss wichtige Künstler/innen keine andere Kunsthochschule, von der ich an sich binden. Ein hervorragender Bestand wüsste, hat ein so ehrgeiziges Ausstellungs- an Lehrer/innen macht die Akademie attrak- programm wie das des Portikus. Das waren tiv für interessante Studierende, die sich ge- zunächst einige der Gründe, warum ich die- genseitig unterrichten. Viel mehr als um die se Position reizvoll fand. Zwar kannte ich et- Vermittlung besonderer technischer Fertig- liche hervorragende junge Künstler/innen, keiten (auch wenn deren Kenntnis sehr hilf- die aus dieser Akademie kamen, aber was reich sein kann) geht es um die Teilhabe an ei- ließ sich über die Lehre selbst sagen? Gab ner kollektiven Sphäre spannungsreicher und es ein pädagogisches Programm, vielleicht kritischer Auseinandersetzung. sogar eine bestimmte Lehrphilosophie? Ha- „Ich glaube wirklich nicht, dass man Kunst ben wir jetzt eine? lehren kann.” Das sagt Baldessari in dem Ge-

––– 40 ––– Kunst lehren ––– Daniel Birnbaum spräch, das unsere Studenten/innen in die- Köch/innen, Kurator/innen) durch dieses sem Jahr anlässlich seiner neuen Ausstellung Haus, die zu Vorträgen und Atelierbesuchen im Portikus mit ihm führten. Eine harte Aus- verpflichtet werden, und auch die Künstler/ sage, vor allem, wenn man sie in einem Buch innen, die im Portikus ausstellen, werden al- mit dem Titel „Kunst lehren” abdrucken will. lesamt in den Lehrbetrieb eingebunden. Seit Was also findet denn nun Tag für Tag in ei- 2003 hat das zur Hochschule gehörende Institut ner Hochschule wie unserer eigentlich statt? für Kunstkritik einige der einflussreichsten Schließlich hat Baldessari selbst ein halbes Philosoph/innen und Kunsthistoriker/innen Jahrhundert Kunst unterrichtet, das macht eingeladen (Michael Fried, Giorgio Agamben, seine Darstellung doch wahrscheinlich sehr Yve-Alain Bois und viele mehr). Um alle die- realistisch: „Was ich aber glaube ist, dass es se Aktivitäten zu dokumentieren, bedürfte zu den vielen Vorteilen einer Kunsthochschu- es eines weiteren Buches. Erwähnenswert ist le zählt, dass die Studenten Künstlern begeg- auch, dass einige der Gastprofessoren, die nur nen, anderen ebenfalls tätigen Künstlern. Der für einige Semester in Frankfurt blieben, ei- Erkenntnisgewinn dabei liegt darin, dass sie nen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. sehen, dass Künstler Menschen sind; Kunst Was die neunziger Jahre betrifft, ist Martin ist nicht irgendetwas Esoterisches, das in Bü- Kippenberger zweifellos ein solches Beispiel, chern und Zeitschriften und Museen existiert, und in der jüngeren Vergangenheit haben Rir- sie wird von richtigen Menschen gemacht, krit Tiravanija und Jason Rhoades verdeutli- und manche sind richtige Idioten, manche chen können, dass man Kunst mit Methoden sind sehr klar, manche kriegen kaum einen lehren kann, denen wir zuvor noch nicht be- geraden Satz heraus. Manche produzieren gegnet waren. eine Menge Schrott, manche leisten viel gute Die Städelschule ist eine experimentelle Arbeit. Aber zumindest werden die Studen- Schule, die an der Erforschung der äußersten ten dieser Erfahrung ausgesetzt.” Trotzdem Grenzen dessen interessiert ist, was Kunst leh- bleibt er dabei: „Aber, nein, eigentlich glaube ren bedeuten kann. Die Aktivitäten des Filme- ich nicht, dass man Kunst lehren kann.” An- machers Peter Kubelka in den achtziger und dere Künstler/innen, die Beiträge zu diesem neunziger Jahren, zu denen Musik und Ko- Buch geleistet haben, würden ihm darin viel- chen (und sogar lebende Zirkustiere) gehörten, leicht nicht ganz zustimmen. Offensichtlich haben einen legendären Ruf. Ein jüngeres Bei- kann Kunst lehren ganz Unterschiedliches spiel ist Gasthof (2002), eine einwöchige Veran- bedeuten. staltung, in dessen Verlauf die gesamte Akade- Dies ist ein Buch über die Städelschule von mie zu einer Art Wirtshaus umfunktioniert heute und über einige der Aktivitäten, durch wurde. Hunderte Künstler/innen und Stu- die unsere Studierenden in Berührung mit denten/innen von anderen Hochschulen wur- Kunst und Kunsttheorien kommen, aber auch den zu Atelieraufenthalten und zur Teilnahme mit praktizierenden Künstler/innen aus aller an lebendigen Diskussionen über die Zukunft Welt. Alle, die zu diesem Buch beigetragen ha- der Kunst eingeladen. Mit Projekten wie die- ben, waren der Hochschule entweder als Pro- sem nimmt die Städelschule eine zentrale Stel- fessoren/innen oder als Gäste im Rahmen lung in den anhaltenden Diskussionen über die von Workshops und Seminaren verbunden. Kunsthochschule als eine der seltenen Zonen Zusätzlich zum permanenten Bestand an Leh- ein, in denen Experimentieren trotz des im- renden geht ein beständiger Strom von Gästen mer einflussreicheren Kunstmarkts und sei- (Künstler/innen, Filmemacher/innen, Autor/ ner stetig wachsenden Nachfrage nach leicht innen, Komponist/innen, Architekt/innen, verkäuflichen Waren noch immer möglich ist.

––– 41 ––– Kunst lehren ––– Daniel Birnbaum

Das Verhältnis zum Kunstmarkt wird in ei- nigen Beiträgen in diesem Buch thematisiert. In einer vom Kommerz regierten Kunstwelt wächst der Hunger nach Alternativen jeden Tag. Was soll eine Kunsthochschule letzten Endes sein? Sollte sie sich zur mönchischen Einsiedelei machen, in der die Studenten/ innen vor den bösen Mächten da draußen ge- schützt werden, oder sollte sie den Markt ge- radezu einladen und zu einer Art lebendigem Basar werden? Mir scheint, nichts von beidem wäre gut, und doch hat beides Argumente für sich. Der Druck der Außenwelt wirkt sich sicherlich auch in der Hochschule aus, und wahrscheinlich ist bereits die Vorstellung eines Innen und Außen ein bisschen simpel gedacht. Was „da draußen” passiert, kann aus pädagogischen Sicht interessant sein. Die Studenten/innen werden zwischen mitei- nander unvereinbaren Welten zerrieben, ob sie das nun merken oder nicht. Allem voran sollte man sich daran erinnern, dass die Hoch- schule ein Raum auf Zeit ist, der jungen Künst- ler/innen das theoretische und praktische Rüstzeug an die Hand geben soll, sich in einer sich stetig verändernden Gegenwart selbst zurechtzufinden. Letzten Endes geht es genau um diese Fähigkeit, sich allein zurechtzufin- den. Tatsächlich ist alles andere unwichtig.

––– 42 ––– Martin Kippenbergers Antritts- vorlesung gehalten von Michael Krebber / Martin Kippenberger’s inauguration lecture held by Michael Krebber, Städelschule 1991 Peter Kubelka, Konzert und Bewirtung für Tiere und Menschen / Concert and Dinner for Animals and Humans, Städelschule 1983

Jason Rhoades, Costner Complex (Perfect Process), Portikus 2001

Teaching Art. A Proposal From Frankfurt _ Daniel Birnbaum

––– 48 ––– Teaching Art ––– Daniel Birnbaum

In the summer of 2000 I received a fax from Näher, Mark Leckey, Tobias Rehberger, Wil- Frankfurt am Main inquiring if I would be in- lem de Rooij, Martha Rosler, Simon Starling, terested in the position of Rector of the Städel- and Wolfgang Tillmans today. Together with schule and Director of its gallery, the Porti- their students these key people define what kus. The fax looked a bit strange — “due to se- the school is. Doing that they take plenty of vere technical problems” a hand-written note liberties, and my true belief is that this free- clarified at the bottom of the page. Just a few dom is what is most important. What they of- weeks later I introduced myself to the faculty fer is not only their experience and their skills and the students, and suddenly I was respon- but ultimately something even more signifi- sible for an institute I knew very little about. cant: themselves as examples of what it is to More than most other institutions art schools be an artist today. This is probably the most are always local. No matter how large and in- essential characteristic of the Städelschule: ternational the city, the local art academy will the individual artist is more important than always display features that one cannot find any educational program or doctrine. A suc- in other places, and this is probably quite nat- cessful art school must involve important ural. Who if not the young artists studying in a artists, John Baldessari has often insisted. city and the professors teaching them year af- A great faculty attracts interesting students, ter year should define the local art situation? who teach each other. It’s about participat- So what was typical of the Städelschule, ing in a collective sphere of challenging and and which original features appeared worth- critical exchange, rather than being taught while cultivating? Some characteristics im- specific techniques (even if knowing certain mediately stood out: no other art school I know techniques can be very helpful). of has an experimental kitchen next to the ad- “I don't think art can be taught. I really ministrative director’s office and takes cook- don't,” states Baldessari in the interview our ing as seriously. That seemed peculiar and students made with him earlier this year in interesting enough to cultivate. And no oth- connection with his recent exhibition at the er art school I am aware of has an exhibition Portikus. This is a tough statement to print in program as ambitious as that of the Portikus. a book with the title “Teaching Art.” So what That was one of the reasons I found the posi- is it that is going on day in and day out in a tion interesting in the first place. I did know school like ours? After all Baldessari himself a few great young artists who had come out of has been teaching art for half a century so his the school, but what about the teaching itself? account is probably realistic: “I do think that Was there a pedagogical program, even an ed- one of the advantages of an art school is that ucational philosophy? Do we have one now? the student gets to meet artists, other artists In the end it’s all about individual artists. It that are practicing. The value of that is they was and still is impossible to reduce the teach- see that the artists are humans; art isn't some- ing taking place in the Städelschule to any kind thing esoteric that's in books and magazines of doctrine, because the school has always been and museums, it's done by real people, and centered on the input from a small number of sometimes they're real jerks, and sometimes strong teachers, each with different, some- they're very articulate, sometimes they can't times opposing views on what art (and archi- barely get two words out. Sometimes they do a tecture) is all about—from Thomas Bayrle, lot of garbage, sometimes they do a lot of good Peter Cook, Ay˛se Erkmen, and Hermann work. But at least the students get exposed Nitsch in the recent past, to Ben van Berkel, to that…” And yet he insists, “But, no, I don't Isabelle Graw, Michael Krebber, Christa think you can teach art at all.” Other artists

––– 49 ––– Teaching Art ––– Daniel Birnbaum contributing to this book probably would not as one of the rare zones where experimenta- quite agree. Obviously teaching art can mean tion is still possible in spite of an ever more many different things. controlling art market and its increasing de- This is a book about the Städelschule to- mand for commodities. day and about some of the activities through The relationship to the art market is a sub- which our students get exposed to art and ject touched upon in several of the contribu- to the theories of art as well as to practicing tions to this book. In an art world ruled by artists from around the world. All the con- commerce the hunger for alternatives is get- tributors to this book have been linked to our ting stronger every day. What, in the end, school, either as faculty or as guests for work- should an art school be? Should the school shops and seminars. In addition to the perma- turn itself into a monastery that protects stu- nent faculty there is a constant flow of guests dents from the evil forces outside, or should (artists, filmmakers, writers, composers, ar- it invite the market in and become a kind of chitects, cooks, curators…) coming through lively bazaar? It seems to me that the answer is the school for lectures and studio visits, and neither and both. The pressures of the outside the artists exhibiting in the Portikus all get world no doubt bear within the school too, and involved with the school as well. Since 2003 the the idea of an inside and an outside is probably school’s Institute for Art Criticism has invited too simplistic. What is “out there” can be of in- some of the world’s most influential thinkers terest for pedagogical reasons. Students are and art historians (Michael Fried, Giorgio torn between incompatible worlds, whether Agamben, Yve-Alain Bois and many others). they realize it or not. Most importantly, we To document all of these activities we would should remember that the school is a tempo- need another book. Also worth mentioning is rary space, intended to give young artists the that some of the guest professors who stayed theoretical and practical tools to navigate an in Frankfurt for just a few semesters have ever-changing now themselves. In the end, had lasting impact. No doubt Martin Kippen- that capacity to navigate on one’s own is what berger is an example from the 1990s, and in it’s all about. Really, nothing else matters. more recent years Rirkrit Tiravanija and Ja- son Rhoades made clear that there are ways of teaching art we had not encountered before. The Städelschule is an experimental school in the sense that we are interested in probing the very boundaries of what an education- al institution can be. The filmmaker Peter Kubelka’s activities in the 1980s and 90s in- volving music and food (and even live animals from a circus) are legendary. A more recent ex- ample is Gasthof (2002) a one-week event dur- ing which the whole school was turned into a kind of inn. Hundreds of artists and students from other schools were invited to stay in our studios and to participate in lively discussions about the future of art. Through projects like this, the Städelschule has played a central role in the recent discussions about the art school

––– 50 ––– Martin Kippenberger, Städelschule 1991 Rirkrit Tiravanija (mit Mikrofon / with microphone), Gasthof, Städelschule 2002

Gasthof, Gruppenbild von/ group portrait by Carsten Höller und/and Miriam Bäckström, Städelschule 2002

Plakat/Poster Christian Zickler Plakat/Poster Christian Zickler Plakat/Poster Christian Zickler Plakat/Poster Christa Näher Es war Fifty-fifty... Die Studenten und ich _ Daniel Birnbaum

Interview mit Thomas Bayrle

––– 60 ––– Interview mit Thomas Bayrle ––– Daniel Birnbaum

Daniel Birnbaum: Es gibt Künstler, die un- hängt schon wieder der Nächste dran und terrichten, und es gibt Künstler, die gar nicht zieht wieder einen nach. Ein Prozess, wo dau- unterrichten, und dann gibt es Künstler wie ernd Input ist und dauernd Output, was ei- dich, Thomas, die über Jahrzehnte mit gros- gentlich nie abreißt. sem Erfolg unterrichten und bei denen diese ––––––– Aktivität ein Teil der eigenen Identität wird. Birnbaum: Es gibt die Vorstellung, dass die Ich kenne einige andere Beispiele, vor allem Studierenden an deutschen Kunstakademien aus dem amerikanischen Kontext, aber für oft kleine Kopien ihrer Professoren werden. Deutschland bist du in meinen Augen sicher- Aber bei dir kann man das nicht sagen. Du lich einer der wichtigsten Lehrer. Man hat hast so viele Künstler beeinflusst, die jetzt fast das Gefühl, dass deine Klasse eine Art von deutschlandweit sichtbar sind; aber es gibt Arbeitsmaterial für dich wurde und dass man wohl keine Bayrle–Schule? Aus deiner Klasse sich gegenseitig beeinflusst hat. kommen ja sowohl Maler als auch ausgespro- Thomas Bayrle: Ich habe eigentlich diese chen politische Künstler wie Silke Wagner. Vorstellung, dass die ganze Kunst eine Struktur Bayrle: Das ist auch eine wichtige Sache ist, die eben möglichst viele Charaktere und In- für einen selbst. Das heißt, eine Wiederholung dividuen in ein größeres Gewebe einwebt. Und von einem selbst wäre ja langweilig. Im Ge- von daher ist dies eine relativ flache Sache. genteil, es ist wichtig, dass da ständig neue ––––––– Konstellationen kommen, die einen auch Birnbaum: Flach? selbst in Frage stellen. Erst dadurch wird Un- Bayrle: Eigentlich herrscht Gleichberech- terricht interessant. tigung; dadurch dass es auf derselben Höhe ––––––– ist, wird es nur die verschiedenen Bindungs- Birnbaum: Es ist immer wieder eine cha- qualitäten geben und zu einer besseren oder rakteristische Sache der Städelschule, dass schlechteren Qualität kommen. Das ist eine es Studierende in den Klassen gibt, die erfolg- Vorstellung, die – sagen wir einmal – basisde- reich Kunst machen, die mit den jeweiligen mokratisch einerseits, aber andererseits auch Lehrern wenig zu tun hat. Ich denke jetzt auch technisch ist. Sie hängt damit zusammen, an andere Klassen als deine. So kommen z. B. dass ich nicht an Hierarchien glaube, sondern Kirsten Pieroth und Henrik Olesen, zwei sehr mehr an die Intensität von Bindungsqualitä- konzeptuell arbeitende Künstler, aus der Ma- ten: Wie etwas gemacht wird, wie eine Aus- lereiklasse von Christa Näher. einandersetzung zustande kommt innerhalb Bayrle: Ich war nie der Auffassung, dass es des Kollektivs der Klasse oder aber auch zwi- das Beste ist, was ich mache. Und außerdem schen Lehrer und einzelnen Personen. würde mich das langweilen. Ich mag das Ge- ––––––– genteil von mir. Ich mag einfach, wenn ich ei- Birnbaum: Also, die Studierenden haben nem sage: „Mach’ das!”, und er macht genau das von dir gelernt, aber du hast auch von ihnen Gegenteil. Am Anfang hat mich das zwar et- gelernt? was geschockt, aber nachher fand ich es immer Bayrle: Ja, genau so. Das ist Fifty-fifty. Das ganz toll. Das ist einfach, wie wenn Bälle ange- ist ein Austausch, wie auf einem Verschiebe- stoßen werden und dann passiert etwas, wie bahnhof, wo verschiedene Waggons wieder Billardbälle, die an die Bande gespielt werden anders angehängt werden und neue Züge und gegenüber die Kugel ins Loch hauen … rausfahren. Wie ein Rangieren ist das, wel- ––––––– ches ich übrigens nie gesteuert habe. Es hat Birnbaum: Aus der Klasse von Ay˛se Erk- sich ergeben. Es reißt eigentlich nicht ab, da men kam Michaela Meise, was vielleicht nicht

––– 61 ––– so überrascht, aber Michael S. Riedel aus der extrem wichtig ist, dass gerade die Architek- Klasse von Hermann Nitsch? Obwohl du gar turklasse auch erfolgreich am Rande von eta- nicht malst, kommen ja aus deiner Klasse blierten Feldern operiert, aber nicht in diese wichtige Maler wie z. B. Sergej Jensen. Felder reingeht, sondern vielmehr an diesen Bayrle: Ja, auch Stefan Müller und Tho- Grenzen entlang sondiert. Dadurch kann mas Zipp waren bei mir. Ich glaube, das Inter- man neues Land dazugewinnen anstatt das, essante ist, dass ich immer am Rande der Un- was schon da ist, zu besetzen. Interessant war möglichkeit operiert habe. Das ist, glaube ich, es, wenn Cedric Price über Architektur buch- auch eine wichtige Sache in der Städelschule, stäblich 3-dimensional „geredet hat” … oder dass dort nicht eine Disziplin einfach fortge- so einer wie Tomas Saraceno, der eine fabu- pflanzt wird, sondern aus der Unmöglichkeit lierende Figur ist und seine Ideen aus Archi- heraus, dass eigentlich nichts mehr geht und tektur und Kunst zieht, aber auch aus unmög- trotzdem etwas entsteht. lichen sozialen Zusammenhängen. Er bringt ––––––– quasi alles zusammen, wie eine Art persönli- Birnbaum: Hat das mit den malenden ches Netz, und hat sowohl materiell als auch Bayrle-Studenten zu tun? formal eine Sprache gefunden, wo normaler- Bayrle: Ich habe einfach versucht, Leute weise nichts mehr ist. Das ist überhaupt das zu kriegen, die – obwohl man eigentlich nicht Allerbeste: Wenn nichts mehr da ist, dann mehr malen kann – trotzdem malen, und aus trotzdem noch mal genau hinzugucken. der Negation heraus eine positive Wendung ––––––– machen, also aus einer gewissen Unmöglich- Birnbaum: Andere Beispiele, wo es um die keit heraus. Das ist was ganz anderes, als wenn Verbindung von Architektur und Kunst geht, man so einen dickflüssigen Brei hat, der dann sind Michael Beutler und Sean Snyder. War er immer weitergekocht wird, als könnte so eine auch bei dir? Disziplin weitergepflegt werden. Ich finde es Bayrle: Sean war bei Per Kirkeby, aber de viel besser, man sieht ein, dass es nicht mehr facto saß er bei mir in der Klasse. Er kam, um geht. Und dann geht es überraschenderwei- einen Freund in der Städelschule für ein paar se trotzdem. Das ist typisch bei Thilo Heinz- Stunden zu besuchen, ist aber dann sechs Jah- mann und vor allen Dingen auch bei Sergej re geblieben. Jensen: aus einem Dreck, aus einem Haufen ––––––– von Unmöglichkeiten heraus plötzlich eine Birnbaum: Charakteristisch für deine Möglichkeit zu schaffen. Klasse war auch die extreme Internationali- ––––––– tät. In letzter Zeit habe ich gestaunt, wie viele Birnbaum: Eine Sache, die typisch ist für junge Künstler auf Biennalen sichtbar sind, unsere Schule, sind die Grenzbereiche von Ar- die aus deiner Klasse kommen, aber nichts chitektur und Kunst. Es ist immer schwierig, mehr mit Frankfurt zu tun haben: z. B. Sunah darüber etwas Allgemeines zu sagen, aber oft Choi aus Korea oder Laura Horelli aus Finn- habe ich das Gefühl, dass ein „Misslingen” in land, Tue Greenfort aus Dänemark und Gar- der Architektur plötzlich ganz spannend in dar Eide Einarsson aus Norwegen. der Kunst werden kann. Bayrle: Es war halt so, dass die Leute am Bayrle: Ja, einen Kontakt gab es doch im- Anfang regelrecht bei mir gestrandet sind. mer? Das war auch so angelegt in der Schule, Früher, als die Grenzen zwischen den Dis- und die Verbindung von Kunst und Architek- ziplinen schärfer waren, sind viele, die nir- tur wurde schon durch Günter Bock und spä- gends reingepasst haben, zu mir gegangen. ter durch Peter Cook immer vertreten. Was Es ist natürlich unheimlich fruchtbar, aus

––– 62 ––– Interview mit Thomas Bayrle ––– Daniel Birnbaum anderen Kulturen, aus Amerika – der Donald kel einen kleinen Kreis ausgestanzt, wie eine Baechler war ja schon bei mir –, aus England, Zelle. Indem er jede Probe dann auf einen wei- aber auch aus Asien, Studenten zu haben und ßen DIN-A4-Bogen klebte, hatte er sozusagen diese mit Leuten um die Ecke zu konfrontie- die Genesis der Madam, er hatte die DNA die- ren, aus Hanau oder Offenbach. Das war klar, ser Frau adäquat konserviert … und am näch- hatte aber gar nichts mit irgendeinem modi- sten Tag waren alle Zeitungen weg. Als Leh- schen Internationalismus zu tun, sondern rer musst du es halt eine zeitlang hinnehmen, einfach damit, wie man „Sushi” oder „Hand- dass du es nicht verstehst, was die machen. käse mit Musik” wirklich macht. Weil sie an- Das war für mich auch sehr wichtig, dass ich ders waren und weil sie sonst nirgends dazu- staunen konnte. Es kam lange Zeit vor, dass gehörten, haben kleine Gruppen von Leuten ich nicht verstanden habe, was jemand wie ihre Raster selber gefunden. Ich habe keines zum Beispiel Markus Sixay macht. Er ist ein vorgegeben. – Nur probiert, dass die Arbeits- Riesenkerl, hat immer so eine kleine enge Le- situation „lustig wird” … derjacke angehabt, stand neben seinen Zeich- ––––––– nungen, die ich nicht ganz begriff, und erzähl- Birnbaum: Nur lustig? te von der Gulaschsuppe seiner Mutter … und Bayrle: Das bedeutete, jeder musste arbei- ich dachte, na gut, vielleicht ist dieses Erklä- ten, jeder musste das, was ich nicht kann oder ren wichtiger als die Zeichnungen. Jeden- was ich nicht gebe, selber ersetzen. Das heißt, falls lässt du es eine zeitlang laufen, es heißt es war sozusagen von vornherein eine Art ja nicht, dass es immer so bleiben muss. Aber Labor oder Enterprise bei jedem. Jeder hat der Markus hat sich ja auch damit nicht wohl seine Arbeit als eine Art Forschung begriffen gefühlt. Es ist auch gut, wenn die Studenten und nicht als mechanische Verwirklichung sich nicht so ganz wohl fühlen in ihrer Rolle, von Ideen. Es war auch sehr wichtig, dass ich so wie ich mich damals ja auch nicht so wohl selber meine Schwächen oder Zweifel mitein- gefühlt habe. Es ist eine gewisse gute unange- gebracht habe. Einige haben wahrscheinlich nehme Stimmung immer da gewesen … gedacht, ja wenn der es nicht macht, machen ––––––– wir es selbst. Dadurch sind sie frühzeitig als Birnbaum: Was glaubst du, sind die wich- Kollegen gesehen worden, weil sie genauso tigsten Sachen in einer Kunsthochschule? Wir viel oder wenig wussten wie ich. haben eine gute Mensa, das hast du manchmal ––––––– betont, und wir haben eine kleine Kunsthalle, Birnbaum: Das klingt wie ein nicht hierar- den Portikus, das hast du auch oft als wichtig chisches Unterrichten. erwähnt. Bayrle: Ja, insofern ist es quasi eine Art ge- Bayrle: Das sind zwei sehr wichtige Sa- genseitige Ergänzung. Wenn du es nicht mehr chen. Ja, ich denke doch, dass die Strukturen, weißt, weiß der Student es, und wenn der es obwohl sie heute überall globalisiert werden, nicht mehr weiß, weißt du es. Es ist nicht strikt noch so einen Familiencharakter haben soll- strukturiert, sondern es geht vielmehr um ten. So etwas wie die Mensa spielt als Treff- eine Vielfalt von freien Mustern. Und jeder hat punkt eine große Rolle, aber auch der Porti- ein anderes Muster, das ist auch wichtig. Zum kus. Das heißt, dass es da einfach noch eine Beispiel hat Thilo Heinzmann jahrelang Bild- sehr altmodische, persönliche, fast familien- Zeitungen aufgehängt, und ich habe immer hafte Situation geben muss und gleichzeitig gesagt: „Muss das sein, müssen das immer ein globales System der Information. Dies ist mehr Titten und Schenkel sein!” Und eines ja eigentlich auch durch das Internet und die Tages hat er mit dem Locher aus jedem Schen- Leute garantiert.

––– 63 ––– Birnbaum: Was muss noch dazu kommen? heit oder die ganzen Vernetzungsgeschichten Bayrle: Wichtig ist, dass die Kombinato- usw., nicht nur die Technikbegeisterung. Ei- rik offen ist, dass du dem einen etwas sagst, nerseits bin ich auch „Techno”, aber ander- und dem anderen sagst du das Gegenteil. Du seits auch sehr persönlich. Wie eben in Asien siehst jemanden, der bringt das und das Kapi- immer noch alles mit der Hand gemacht wird, tal mit, und das wird dann weiterentwickelt. wie zum Beispiel Sushi-Stückchen, obwohl Und bei jemand anderem wird dafür genau gerade das alles vollkommen Hi-Tech ist. Es das Gegenteil entwickelt. Nicht zu viel hät- gibt nie nur die eine Sache. Es gibt etwas total scheln, sondern auch mal jemanden im Regen Altmodisches und daneben etwas total Mo- stehen lassen. Ein Student muss selber sehen, dernes, Technologie. Oft wird das hier nicht dass letztendlich er es machen muss. Mar- so gesehen. Da wird dann nur die technische ko Lehanka war der Erste, der angefangen Sache betont und das andere, das Persönliche, hat, mit dem Atari zu arbeiten. Er hat seinen weggelassen. Ich finde, es muss beides gleich- Smalltalk daraus entwickelt. Jetzt ist er halt zeitig geben. in Münster und macht so ein Zwischending ––––––– zwischen allem Möglichen, zwischen Skulp- Birnbaum: Wo siehst du eigentlich die Pro- tur und Smalltalk. bleme eines jungen Künstlers heute? ––––––– Bayrle: Wir sind jetzt in so vielen Ecken Birnbaum: Ich staune manchmal darüber, sozusagen am Ende. Aber das Ende ist ja im- wie früh unsere Studierenden im Kunstbe- mer auch ein Anfang. Ich denke, es war sehr trieb sichtbar werden. Tris Vonna-Michell ist gut in meiner Klasse, dass ich Leute hatte, hier noch Student, aber ist schon überall. Bei die unmöglich Maler sein konnten und ge- Simon Dybbroe Møller, Danh Vo, aber auch nau deshalb Maler geworden sind. Sie haben bei Jeppe Hein war es wohl nicht anders? nicht sofort diesen breiten Pfad von Malerei Bayrle: Es gab immer einige Beispiele. To- ausgetreten, sondern es waren Leute, die ei- bias Rehberger war vielleicht der erste, der gentlich schon total vor dem Scheitern waren quer durch die Medien souverän studiert hat und plötzlich, mit einem Schlag, können sie und ähnlich wie Kippenberger das ganze Sys- trotzdem malen. Im Gegensatz zu Akademi- tem Kunst als mögliches Material für sich en in England oder Amerika bin ich der Mei- begriffen hat. Fast konträr dazu hat Marko nung, dass man nicht schadlos drängen und Lehanka, wesentlich umständlicher, Karl- forcieren kann. Alles Bitten und Betteln und Valentin-hafter, mit seinem Smalltalk Sprach- schlaues Verhalten hilft letztlich nichts. Eine verhältnisse gedrechselt und verdreht und in gute Methode ist wahrscheinlich, hellwach in durchtriebene, skulpturale Formen gebracht. eine Lage hineinzustolpern, in der es möglich ––––––– wird, durch das Dauerkopfweh des täglichen Birnbaum: Lange warst du ja in Asien fast Daseins hindurch in eine produktive Situati- bekannter als hier in Deutschland. Es gab on zu kommen. Das finde ich auch so gut an schon immer viele asiatische Studenten bei Michael Krebber. Ich habe gesehen, dass uns. War eigentlich Haegue Yang auch in dei- man so einen unmöglichen Typen einfach ner Klasse? braucht. Bayrle: Nein, die war bei Georg Herold. ––––––– Ich war schon sehr früh, 1978, in Japan und Birnbaum: Wir haben uns damals sehr habe aus dieser Kultur einiges herausgeholt, viele Gedanken gemacht, aber insofern ist er was von offizieller Seite gar nicht beliebt war. schon ein guter Nachfolger … Zum Beispiel diese ganzen Fragen zur Flach- Bayrle: Auf jeden Fall.

––– 64 ––– Interview mit Thomas Bayrle ––– Daniel Birnbaum

In dem Gespräch erwähnte ehemalige Studenten der Städelschule Stefan Müller, *1971 in Frankfurt/Main, Deutschland, stu- Donald Baechler, *1956 in Hartford, USA, studierte 1978/1979 dierte 1996-2001 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. Sein Werk ist be- Kennzeichnend für seine Malerei ist die Reduktion in der Ma- stimmt durch eine starke, einprägsame Ausdrucksform und terial-, Motiv- und Farbwahl, für die er Farben mittels Edding, technische Vielseitigkeit. Die eingängigen Motive wie Blumen Buntstift und Acryl aufträgt. Malgrund sind unbehandelte Lein- oder Tannenbäume zeigen sich sowohl in seiner Malerei wie wand und Baumwolle, die vor und während des Malens dem Zu- auch in der Plastik. fall des vorhandenen Materials ausgesetzt werden: Malzbierfle- Michael Beutler, *1976 in Oldenburg, Deutschland, studierte cken, Staub oder Kaffee ersetzen die normale Versiegelung. 1997-2003 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. Mit sei- Henrik Olesen, *1967 in Esbjerg, Dänemark, studierte 1995- nen Installationen schafft er eine völlig neue Räumlichkeit, was 1997 an der Städelschule bei Prof. Christa Näher. Er beschäftigt er durch Transformation und Besetzung von Orten erreicht. sich in seinen Collagen, Skulpturen und Installationen mit der Sunah Choi, *1968 Pusan, Südkorea, studierte 1995-2001 an Dispositionierung und Regulierung von geschlechtlichen, kul- der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. Für ihre Filme spürt turellen und politischen Identitäten. sie via Internet-Recherche den mentalen Bildern, den Klischees Kirsten Pieroth, *1970 in Offenbach/Main, Deutschland, nach, untersucht die Identität Asiens und bastelt die Vorstel- studierte 1992-1999 an der Städelschule bei Prof. Christa Näher. lung über einen Kontinent wie ein Puzzle zusammen aus dem In ihrer künstlerischen Arbeit löst sie alltägliche Gegenstände, massenmedialen Gebrauch von einzelnen Text-, Sprach- oder Situationen oder Abläufe aus ihrer ursprünglichen Umgebung Bildfragmenten. heraus und setzt sie in neue Zusammenhänge. Gardar Eide Einarsson, * 1976 in Oslo, Norwegen, studierte Michael S. Riedel, *1972 in Rüsselsheim, Deutschland, stu- 1999-2000 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. In Form dierte 1996-2000 an der Städelschule bei Prof. Hermann Nitsch. von sehr unterschiedlichen Medien wie Zeichnung, Malerei, Neben seinen raumbezogenen Arbeiten ist er in verschiedenen Video oder Skulptur beschäftigt er sich mit den vielfältigen Genres des Textproduzenten zuhause. Darüber hinaus ist er kulturellen und sozialen Kontexten, mit denen wir täglich kon- Mitbetreiber des Kunstraumes „oskar-von-miller-str. 16“ und frontiert werden. Herausgeber des Magazins „Tirala“. Tue Greenfort, *1973 in Holbæk, Dänemark, studierte 2000- Tomas Saraceno, *1973 in San Miguel de Tucumán, Argen- 2003 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. Seine Kunst tinien, studierte 2001-2003 an der Städelschule bei Prof. Ben van positioniert sich in der Tradition der Minimal Art, jedoch lädt Berkel. Als Architekt und Künstler untersucht er in Form von er diese mit ökologischen Fragestellungen auf und kritisiert so Rauminstallationen, Environments und architekturbezogenen mit hintersinnigem Humor und ästhetischem Engagement un- Arbeiten die Möglichkeiten von fliegenden Luft-Behausungen sere aktuelle ökologische Realität. als denkbare Lösung für das Bevölkerungswachstum und das Jeppe Hein, *1974 in Kopenhagen, Dänemark, studierte sich schnell wandelnde Klima. 1999-2001 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. Er be- Markus Sixay, *1974 in Langen, Deutschland, studierte wegt sich mit seinen zumeist für den öffentlichen Raum kon- 1996-2002 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle und Prof. zipierten, interaktiven Arbeiten in einem Spannungsfeld zwi- Ay˛se Erkmen. Er greift bei seinen Zeichnungen, Objekten, Vi- schen Minimal Art und Konzeptkunst. deos und Installationen häufig auf bereits vorhandene alltäg- Thilo Heinzmann, *1969 in Kapstadt, Südafrika, studierte liche Objekte, Abläufe oder Strukturen zu und überführt sie in 1992-1997 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. Seine den Kunstkontext, wo sich das Profane dann unerwartet und Malerei und Zeichnungen, für die er außergewöhnliche Mate- doch ganz selbstverständlich mit kunstgeschichtlichen Bezü- rialien verwendet, sind stets von einer minimalistischen und gen auflädt und zur Reflexion anregt. subtilen Poetik geprägt. Sean Snyder, *1972 in Virginia Beach, USA, studierte 1993-1999 Laura Horelli, *1976 in Helsinki, Finnland, studierte 1997- an der Städelschule bei Prof. Per Kirkeby und Prof. Thomas Bayr- 2002 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. Sie lässt mit le. In seinen Foto-, Video- und Textarbeiten befragt er urbane Räu- ihrer Arbeit die Grenzen zwischen konzeptueller Kunst und So- me und ihre mediale Vermittlung, die er als Zeichen gesellschaft- ziologie verschwimmen. licher, ideologischer und wirtschaftlicher Strukturen begreift. Sergej Jensen, *1973 in Maglegaard, Dänemark, studierte Danh Vo, *1975 in Vietnam, studierte 2002-2005 an der Städel- 1996-2002 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. Er be- schule bei Prof. Tobias Rehberger. Auf dokumentarische Weise schäftigt sich mit Malerei und damit, was diese nach den Fra- baut er in seiner Arbeit mit inszenierten Zeugnissen seines Le- gestellungen der Konzept-Kunst formal noch bedeuten kann. bens eine Art „Selbstbildnis“ auf. Neben die Leinwand treten hier als Bildträger verschiedene Tris Vonna-Michell, *1982 in Rochford, Grossbritannien, Stoffe wie z. B. Jute, Seide oder Couturestoffe. studierte 2005-2007 an der Städelschule bei Prof. Simon Starling. Marko Lehanka, *1961 in Herborn, Deutschland, studierte Seine Performance besteht im Erzählen von Geschichten. Ra- 1985-1990 an der Städelschule bei Prof. Michael Croissant und send schnell entwickelt er aus einer Episode ein ganzes Geflecht Prof. Thomas Bayrle. Marko Lehanka arbeitet interdisziplinär, aus Erzählungen, mit denen er seine Zuhörer in Bann hält. mit unterschiedlichsten Materialien und Methoden, von einzel- Silke Wagner, *1968 in Göppingen, Deutschland, studierte nen Objekten über Installation bis hin zur Kunst im öffentlichen 1995-2001 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. Ihre Ar- Raum. Dabei spielt die Alltagskultur eine entscheidende Rolle. beit dreht sich um politisch-interventionistische Projekte, die Michaela Meise, *1976 in Hanau, Deutschland, studierte sie zuletzt als Dokumentationen präsentiert. 2000-2003 an der Städelschule bei Prof. Ay˛se Erkmen. Sie arbei- Haegue Yang, *1971 in Seoul, Südkorea, studierte 1995-1999 tet in den Medien Rauminstallation, Zeichnung, Malerei und an der Städelschule bei Prof. Georg Herold. Ihre konzeptuelle Performance und arrangiert so einzelne Versatzstücke zu col- Kunst entwickelt sie aus der Beobachtung von Alltag und Spra- lageartigen Raumbildern. che und beleuchtet so die Merkwürdigkeiten des Lebens. Simon Dybbroe Møller, *1976 in Aarhus, Dänemark, stu- Thomas Zipp, *1966 in Heppenheim, Deutschland, studier- dierte 2001-2005 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. te 1992-1998 an der Städelschule bei Prof. Thomas Bayrle. Die Er arbeitet wohlbedacht in einer neokonzeptionellen Tradition Bildprogramme seiner Malerei, welche sich zwischen Histo- und bezieht sich dabei auf die Kunst der sechziger Jahre, deren rischem und Utopischem bewegen, komponiert er oftmals als konzeptionelle Strategien er meist als Installation in ebenso bühnenartige Installation aus Malerei, skulpturalen Objekten, sentimentale wie analytische Narrationen umsetzt. Zeichnungen sowie Collagen.

––– 65 ––– Thomas Bayrle, 2005 It Was Fifty-Fifty... The Students and I _ Daniel Birnbaum

Interview with Thomas Bayrle

––– 67 ––– Daniel Birnbaum: There are artists who Birnbaum: There is the notion that stu- teach, and there are artists who don’t teach at dents at German academies of fine arts often all, and then there are artists like you, Thom- become small copies of their professors. But as, who teach with great success over decades one couldn’t say that in your case. You’ve in- and for whom this activity becomes part of fluenced so many artists who are now visible their identity. I know a few other examples, on the German national level, but there is no especially from the American context, but in school of Bayrle, is there? After all, your class Germany you are, in my view, certainly one has produced both painters and decidedly po- of the most important teachers. There is al- litical artists such as Silke Wagner. most a sense that your class has become a sort Bayrle: That’s also important for a teacher. of material for your work and that there was a That is to say, it would be boring to be repeated. process of mutual influence. To the contrary, it is important that new con- Thomas Bayrle: I really have this notion stellations constantly emerge that also call that art in its entirety is a structure that you into question. That’s what makes teach- weaves as many characters and individuals ing interesting in the first place. as possible into one larger texture. And so it’s ––––––– a relatively flat thing. Birnbaum: It’s always been characteristic ––––––– of the Städelschule that there are students in Birnbaum: Flat? the classes who are successfully making art Bayrle: There really is an equality of that has very little to do with their respective rights; since everything is on the same level teachers. I’m thinking also of classes other there are different qualities of interconnec- than your own now. For example, Kirsten tion, resulting in greater or lesser quality. Pieroth and Henrik Olesen, two artists whose That is a notion that is—let’s say, bottom-up work is very conceptual, come from Christa democratic on the one hand, but on the oth- Näher’s painting class. er hand also technical. It is connected with Bayrle: I never held the view that what I my belief not in hierarchies but rather in am doing is the best. And that would bore me, the intensity of qualities of interconnection: too. I like my own opposite. I just like it when how something is made, how an engagement I tell someone, “Do this,” and they do the ex- comes into being within the collective of the act opposite. In the beginning I was a little class, or then also between a teacher and in- shocked, but then later I always liked it a great dividual students. deal. That’s just like when billiard balls are ––––––– struck and then something happens, like bil- Birnbaum: So the students learned from liard balls played against the banks and then you, but you also learned from them? another ball caroms into a pocket on the other Bayrle: Yes, exactly. It is fifty-fifty. It’s an side of the table … exchange, like on a switchyard, where vari- ––––––– ous cars are newly concatenated in different Birnbaum: Ay˛se Erkmen’s class produced ways and new trains leave the yard. It’s like Michaela Meise, which may not be so very a switching process. There’s really never surprising, but Michael S. Riedel coming from a disconnect, the next student has already Hermann Nitsch’s class? Even though you connected here and is pulling yet another yourself don’t paint at all, important painters one along. A process where there is constant such as Sergej Jensen come from your class. input and constant output, one that is never Bayrle: Yes, and Stefan Müller and Thomas really interrupted. Zipp were also my students. I think the inter-

––– 68 ––– Interview with Thomas Bayrle ––– Daniel Birnbaum esting thing is that I’ve always operated on the is a fabulist and draws his ideas from architec- verge of impossibility. That, I think, is also ture and from art, but also from impossible so- an important aspect about the Städelschule, cial contexts. As it were, he assembles every- that a discipline is there not just continued; thing into something like a personal network, instead, something emerges out of the impos- and he has found a language, both in material sibility, out of the fact that really nothing can and in formal terms, where usually there’s be done anymore. simply nothing left. That is really in general ––––––– the best possible outcome: when there’s noth- Birnbaum: Does that have to do with those ing there, take another close look. students of Bayrle’s who paint? ––––––– Bayrle: I simply tried to get people who Birnbaum: Other examples that are, I painted—even though one really can’t paint think, about the connection of architecture anymore—transforming the negation into a and art are Michael Beutler and Sean Snyder. positive turn, that is, who work out of a certain Was he also your student? impossibility. That’s something completely Bayrle: Sean was Per Kirkeby’s student, different from the situation where you have but de facto he sat in my class. He came to visit a sort of thick mush that you keep cooking as a friend at the Städelschule for a few hours, but though that were the way to maintain and cul- then stayed for six years. tivate a discipline. I think it’s much better to ––––––– admit that it can’t be done anymore. And then Birnbaum: Another characteristic of your it suddenly can be done after all. That’s typical class was its extreme internationality. I’ve re- of Thilo Heinzmann and especially of Sergej cently been astonished by how many young Jensen: creating a sudden possibility out of artists are visible at biennials who come from dirt, out of a pile of impossibilities. your class but no longer have anything to do ––––––– with Frankfurt: for example, Sunah Choi Birnbaum: One thing that is typical of our from Korea or Laura Horelli from Finland, school is the exchange between architecture Tue Greenfort from Denmark or Gardar Eide and art. It is always difficult to make general Einarsson from Norway. statements about this, but I often feel that a Bayrle: What happened was that people “failure” in architecture can suddenly be- in the beginning literally got stranded in my come very exciting in art. class. In the past, when the borders between Bayrle: Yes, there’s always been contact, the disciplines were stricter, many people who hasn’t there? That was part of the school’s didn’t fit in anywhere came to me. Of course, concept, too, and Günther Bock at first and it’s incredibly fruitful to have students from Peter Cook later always emphasized the con- other cultures, from America—Donald nection between art and architecture. What is Baechler, for example, was my student—from extremely important is that the architecture England, from Asia; and to confront them class also operates successfully on the mar- with people from around the corner, from gins of established fields, but doesn’t enter Hanau or Offenbach. That was clear, but it had these fields, instead probing along their bor- to do nothing with some kind of fashionable ders. This way, you can gain a little new land internationalism and everything with the instead of occupying what’s already there. It simple question of how you really make Su- was interesting when Cedric Price “spoke” shi or Hessian “Handkäse mit Musik” (which about architecture literally in three dimen- is not served with musical accompaniment). sions … or someone like Tomas Saraceno, who Because they were different and didn’t belong

––– 69 ––– anywhere else, small groups of people found Markus Sixay. He’s a big guy, and he always their own grids. I didn’t prescribe any one.— wore this small, tight leather jacket, standing Only tried things so that the work situation next to his drawings, which I didn’t quite get, “would be amusing” … and talked about his mother’s goulash soup ––––––– … and I thought, well, perhaps this explain- Birnbaum: Only amusing? ing is more important than the drawings. In Bayrle: That meant that everyone had to any case, you let things go for a while, which work, everyone had to replace what I cannot is not to say that it always has to remain that do or give. That is to say, everyone was in a way way. But Markus didn’t feel entirely well with from the beginning in their own laboratory or this either. And it is, I think, only good if the enterprise. Everyone conceived of their own students don’t feel entirely well in their roles, work as a sort of research and not as a mechan- just as I didn’t feel too well in mine at the time. ical realization of ideas. It was probably also There’s always been a certain good unpleas- important that I myself brought my weakness- ant mood … es or doubts into the discussion. Some proba- ––––––– bly then thought, well, if he isn’t doing it, we’ll Birnbaum: What do you think are the most do it ourselves. This way, they soon came to important things at an academy of fine arts? be regarded as colleagues, because they knew We have a good cafeteria, that’s something just as much or just as little as I did. you’ve sometimes emphasized, and we have ––––––– a small exhibition space, the Portikus, which Birnbaum: That sounds like non-hierar- you’ve also often mentioned as being impor- chical teaching. tant. Bayrle: Yes, to that extent it is a sort of Bayrle: Those are two very important mutual complementation. When you don’t things. Yes, I do think that the structures know any further, the student does, and when should still have that kind of family atmo- he doesn’t know further, you do. There is no sphere, even though they are being globalized strict structure; instead, a variety of free pat- everywhere today. A place like the cafeteria terns is the point. And everyone has their plays a large role as a meeting point, but so own different pattern, and that is important, does the Portikus. Which is to say, there sim- too. For example, Thilo Heinzmann kept put- ply still has to be a very old-fashioned, person- ting up clippings from the Bild newspaper for al, almost familial situation, and at the same years, and I kept saying: “Is this necessary, time a global system of information. does it have to be ever more tits and legs!” One ––––––– day he took a hole punch and he punched a Birnbaum: What else? small circle from every leg, like a cell. By then Bayrle: It’s also important that the combi- pasting every sample to a sheet of white letter natorics are open, that you tell one student one paper, he had, as it were, the Madam’s genesis, thing and another student the opposite. You he had adequately preserved this woman’s see someone bringing this and that capital to DNA … and on the next day, all the newspapers the school, which is then developed further. were gone. As a teacher, you just have to accept And with someone else, the exact opposite is it for a while when you don’t understand what being developed. Not being overly protective, it is they are doing. It was also very important letting someone stand in the rain every once that I had the ability to be astonished. It hap- in a while. A student has to see for himself that pened that I didn’t understand for a long time in the end, he is the one who has to do it. Mar- what someone was doing, as, for instance, with ko Lehanka was the first one to begin working

––– 70 ––– Interview with Thomas Bayrle ––– Daniel Birnbaum on the Atari. He then developed that into his the personal, is left out. I think both have to small talk. And now he’s in Münster and does be there simultaneously. this hybrid thing between all kinds of things, ––––––– between sculpture and small talk. Birnbaum: Where, by the way, do you see ––––––– the problems of today’s young artist? Birnbaum: I sometimes marvel how early Bayrle: In so many corners, as it were, we our students become visible in the art world. have now arrived at an end. But an end is al- Tris Vonna-Michell is still a student here, but ways also a beginning. I think it was very he’s already everywhere. It wasn’t really dif- good that I had people in my class who could ferent with Simon Dybroe Møller or Danh Vo not possibly be painters, and became painters or even with Jeppe Hein, was it? precisely for this reason. They didn’t trample Bayrle: There were always a few examples. down this broad path of painting right away; Tobias Rehberger was perhaps the first to instead, these were people that were really study confidently across all media and, simi- already very close to the point of failure, and lar to Kippenberger, to understand the entire suddenly, overnight, they can nonetheless art system as a possible material for his work. paint. In contradistinction to academies in Almost as a contrary position, Marko Lehan- England or America, I don’t think that one ka, much more intricately, much more Karl- can push and force things without sustaining Valentin-like, whittled and contorted linguis- damage. All pleading and begging and cun- tic relations with his small talk into sly sculp- ning is in the end useless. One good method tural shapes. is probably to stumble, wide awake, into cir- ––––––– cumstances where it becomes possible to pen- Birnbaum: For a long time, you were almost etrate, through the headache of daily life, into better known in Asia than here in Germany. a productive situation. That’s also what I like There have always been many Asian students so much about Michael Krebber. I’ve seen that at our school. By the way, was Haegue Yang such an impossible guy is simply someone also in your class? who is needed. Bayrle: No, she was Georg Herold’s stu- ––––––– dent. I went to Japan very early on, in 1978, Birnbaum: We thought about it for a long and teased some things out of this culture time back then, but with this in mind, he is that weren’t popular at all with official par- definitely a good successor … ties. For instance, this whole complex of ques- Bayrle: Definitely. tions about flatness, or the whole networking story, etc., not just the enthusiasm for tech- nology. Now on the one hand, I’m “techno” myself, but on the other hand I’m also very personal. Just as everything in Asia is still made by hand, like, for instance, pieces of Sushi, even though that is precisely hi-tech through and through. There’s never just one thing. There is something totally old-fash- ioned and something totally modern next to it, a piece of technology. It’s often not seen that way here. And then the technology thing is exclusively emphasized, and the other side,

––– 71 ––– Interview with Thomas Bayrle ––– Daniel Birnbaum

Former Städelschule students mentioned in the conversation Stefan Müller, b. Frankfurt/Main, Germany, 1971, studied Donald Baechler, b. Hartford, Connecticut, USA, 1956, stud- at the Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 1996 to ied at the Städelschule under Prof. Thomas Bayrle in 1978/79. 2001. His paintings are characterized by sparse selections of Characteristics of his work include strong and memorable ex- materials, motifs, and colors; he applies colors using perma- pressive forms and technical versatility. His appealing motifs, nent markers, crayons, and acrylic. He works on untreated such as flowers or fir trees, appear in both his paintings and canvases and cotton textiles, which are exposed before and his sculptures. during the painting process to the accidents of the available Michael Beutler, b. Oldenburg, Germany, 1976, studied at materials: malt beer stains, dust, and coffee supplant ordinary the Städelschule under Professors Thomas Bayrle and Georg varnishes. Herold from 1997 to 2003. The occupation and transformation Henrik Olesen, b. Esbjerg, Denmark, 1967, studied at the of spaces play an important role in his large-scale sculptures Städelschule under Prof. Christa Näher from 1995 to 1997. His and installations. collages, sculptures, and installations analyze the disposition Sunah Choi, b. Pusan, South Korea, 1968, studied at the and regulation of gender, cultural, and political identities. Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 1995 to 2001. For Kirsten Pieroth, b. Offenbach/Main, Germany, 1970, stud- her films, she uses Internet research to trace mental images ied at the Städelschule under Prof. Christa Näher from 1992 to and clichés, investigates the identity of Asia, and cobbles the 1999. In her artistic work, she releases everyday objects, situ- imaginary representation of a continent together like a puzzle ations, and processes from their original environments and from the use of individual textual, linguistic, and imagistic places them in new contexts. fragments in the mass media. Michael S. Riedel, b. Rüsselsheim, Germany, 1972, studied Gardar Eide Einarsson, b. Oslo, Norway, 1976, studied at the at the Städelschule under Prof. Hermann Nitsch from 1996 to Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 1999 to 2000. In a 2000. Besides his spatial works, he is at home in various genres wide range of media such as drawings, paintings, video, and of textual production. In addition, he is a co-operator of the sculpture, he analyzes the variety of cultural and social con- art space “oskar-von-miller-str. 16” and editor of the journal texts we confront every day. “Tirala.” Tue Greenfort, b. Holbæk, Denmark, 1973, studied at the Tomas Saraceno, b. San Miguel de Tucumán, Argentina, Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 2000-2003. While 1973, studied at the Städelschule under Prof. Ben van Berkel his art positions itself in the tradition of minimal art, he charg- from 2001 to 2003. As an architect and artist, he investigates the es it with complex ecological questions, offering a critique of possibility of floating aerial residences as a potential solution our contemporary ecological reality laced with subtle humor to population growth and rapid climate change, in the form of and aesthetic engagement. spatial installations, environments, and architectonic work. Jeppe Hein, b. Copenhagen, Denmark, 1974, studied at the Markus Sixay, b. Langen, Germany, 1974, studied at the Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 1999 to 2001. His Städelschule under Professors Thomas Bayrle and Ay˛se Erk- interactive works, most of which are conceived for public spac- men from 1996 to 2002. In his drawings, objects, videos, and es, move between the poles of minimalism and . installations, he frequently draws on given everyday objects, Thilo Heinzmann, b. Cape Town, South Africa, 1969, stud- processes, and structures, transferring them into the art con- ied at the Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 1992 to text, where the profane, in a way that is unexpected and yet 1997. His paintings and drawings, for which he uses unconven- self-evident, is charged with art-historical references that in- tional materials, are always infused with a subtle and poetic vite reflection. minimalism. Sean Snyder, b. Virginia Beach, USA, 1972, studied at the Laura Horelli, b. Helsinki, Finland, 1976, studied at the Städelschule under Professors Per Kirkeby and Thomas Bayrle Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 1997 to 2002. In from 1993 to 1999. In his photographic, video, and textual works, her work, the lines are blurred between conceptual art and so- he investigates urban spaces and their representation in the ciology. media, which he perceives as indications of social, ideological, Sergej Jensen, b. Maglegaard, Denmark, 1973, studied at the and economic structures. Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 1996 to 2002. He Danh Vo, b. Vietnam, 1975, studied at the Städelschule un- engages painting and the question as to what its formal poten- der Prof. Tobias Rehberger from 2002 to 2005. Using documen- tials of meaning are after the inquiries of conceptual art. Be- tary procedures, his works construct a sort of “self-portrait” sides canvas, he also paints on various textiles such as jute, silk, out of staged documents to his life. and couture garments. Tris Vonna-Michell, b. Rochford, Great Britain, 1982, stud- Marko Lehanka, b. Herborn, Germany, 1961, studied at the ied at the Städelschule under Prof. Simon Starling from 2005 Städelschule under Professors Michael Croissant and Thomas to 2007. He performs as a storyteller. With frantic speed, he de- Bayrle from 1985 to 1990. Marko Lehanka works across the dis- velops a single episode into an entire web of narratives that ciplines, with a wide range of materials and methods, produc- captivate his audience. ing everything from individual objects to installations and art Silke Wagner, b. Göppingen, Germany, 1968, studied at the in public spaces. Everyday culture plays a decisive role in his Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 1995 to 2001. Her work. work revolves around political-interventionist projects, which Michaela Meise, b. Hanau, Germany, 1976, studied at the she finally presents in the form of documentations. Städelschule under Prof. Ay˛se Erkmen from 2000 to 2003. She Haegue Yang, b. Seoul, South Korea, 1971, studied at the works with the media of spatial installation, drawing, paint- Städelschule under Prof. Georg Herold from 1995 to 1999. She ing, and performance, and arranges individual movable pieces develops her conceptual art from observations of everyday life in collage-like spatial images. and language, shedding light on the oddities of life. Simon Dybbroe Møller, b. Aarhus, Denmark, 1976, studied Thomas Zipp, b. Heppenheim, Germany, 1966, studied at at the Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 2001 to the Städelschule under Prof. Thomas Bayrle from 1992 to 1998. 2005. His well-considered works stand in a neo-conceptual tra- The image programs of his paintings, which move between dition, relating back to the art of the sixties, whose conceptual the historical and the utopian, are often theatrical installa- strategies he most frequently transposes into installations that tions composed of paintings, sculptural objects, drawings, and offer equally sentimental and analytical narrations. collages.

––– 72 ––– Kunstausbildung jenseits der Modelle der Wirtschaft _ Okwui Enwezor

––– 73 ––– Die Kunsthochschule war während des gan- sichtigten die Kuratoren die Kunstwahrneh- zen letzten Jahrzehnts ein Faszinosum. Mit mung der Öffentlichkeit umzulenken, indem dieser Faszination ging auch eine beträchtli- sie uns alle „zurück in die Schule“ schicken che Zunahme an Kunstprogrammen einher, wollten. Diese Rückkehr zur Kunstschule sowohl an traditionell unabhängigen Kunst- setzte dazu an, das dialektische Verhältnis hochschulen als auch an Universitäten. Im zwischen Kunst als Unterhaltung und Kunst Jahr 2001 organisierte die als Bildung, als eine Grundlage für ein stär- Ausstellung Public Offerings im ker gesellschaftlich orientiertes und intellek- Museum of Contemporary Art, bei der er den tuelles Engagement abzuschwächen. internationalen Einfluss erkundete, den eine Während wir noch aus verschiedenen Per- Reihe von Kunsthochschulen gemeinsam mit spektiven über den derzeitigen Zustand der den Künstlern ausgeübt haben, die aus ihren Kunsthochschulen nachdenken, fällt mir auf, Ausbildungsprogrammen hervorgingen. In dass keine dieser Erkundungen eine so starke der unnachahmlichen Art, die diesem Typ Wirkung hatte wie der Artikel von Daniel kuratorischen Einsatzes eigen ist, hatte ich Pink, der 2004 unter dem Titel The MFA is the mich in diesem Frühjahr auf ähnliche Weise New MBA in der Harvard Business Review er- für ein hagiographisches Vergehen zu verant- schienen ist. Pinks Ausgangspunkt lag darin, worten, als ich am San Francisco Art Institu- dass die Wertschätzung des MFA (Master of te Work Zones: Three Decades of Contemporary Fine Arts) als professioneller akademischer Art at San Francisco Art Institute kuratierte, Grad im Ansteigen begriffen war, wodurch eine Ausstellung, bei der ein Überblick über ein MFA zu einem wichtigen Bestandteil in die künstlerischen Werdegänge der promi- den Bewerbungsmappen derer wurde, die ei- nentesten Abgänger dieser Kunsthochschule nen jener raren Plätze auf der ökonomischen im Kontext der heutigen Kunstszene gegeben Leiter erlangen wollten, die früher vor allem wurde. Einen ganz anderen Einsatz in der den MBAs (Master of Business Administra- neuen Betriebsamkeit um die Diskussion der tion) vorbehalten blieben. Die plötzliche Auf- Kunsthochschulen eröffnete das im Novem- wertung des MFA aus seinem einstigen Schat- ber 2005 von Daniel Birnbaum, dem Rektor tendasein, als einem der (zumindest in ökono- der Frankfurter Städelschule, organisierte mischem Sinne, der im Kapitalismus Maß al- dreitägige Symposium Academy Remix 1, und ler Dinge ist) nutzloseren fortgeschrittenen es gab noch viele andere, ähnliche Veranstal- Abschlüsse heraus, wurde von einigen ohne tungen. das geringste Zögern akzeptiert, von anderen Das Kinopublikum wurde zuletzt durch mit ungläubigem Staunen quittiert. Von der Terry Zwigoffs Film Art School Confidential ersten Gruppe an erwies sich das Verständ- (2006) verwöhnt, den unterhaltsamen, wenn- nis, dass der MFA dem MBA gleichzusetzen gleich sehr unwahrscheinlichen Ausflug in sei, als Rechtfertigungsmanöver des Ge- Verlockungen und Verheerungen der Kunst- schäftsmodells von stetigem Wachstum der akademie. Auf andere Art spiegelte sich das Immatrikulationszahlen und von Expansion, Thema bei der geplanten Kunsthochschule- was die Kunstausbildung in den Vereinigten als-Ausstellung der drei Kuratoren der un- Staaten antreibt. Für die Vorsichtigeren war glücklicherweise abgebrochenen Manifesta 6 Zynismus das Gebot der Stunde. wider, die im Sommer 2006 auf Zypern hätte Geht man von der heute florierenden Kunst- stattfinden sollen. Statt einfach das gleiche ökonomie aus, so ist unschwer zu erkennen, Ausstellungsmodell zum Einsatz zu bringen wie Pinks Artikel als Beweis für den Erfolg wie die vorangegangenen Ausgaben, beab- der Kunsthochschulen benutzt wurde. Doch

––– 74 ––– Kunstausbildungen jenseits der Modelle der Wirtschaft ––– Okwui Enwezor wird nur selten die finstere Ironie im tiefsten experimenteller, radikaler Praktiken des ein- Innern dieses Artikels angesprochen – und zelnen Künstlers mit den widerstrebenden, die liegt, genauer gesagt, hier: Wenn sich der unvorhersehbaren und asymmetrischen Ver- ökonomische Wert des MFA dem des MBA an- hältnissen, aus denen sich die Welt zusam- gleicht, könnte er das dann nicht auch hin- mensetzt, in der solche Kunst entwickelt und sichtlich seiner Nutzlosigkeit durch das Ex- hergestellt wird. Dem scheint mir in diesem zessive, das beide aufweisen, und dadurch ge- neuen Kontext das Verhältnis zwischen Kunst genseitig nachteilig auf die allgemeine ökono- und Ausbildung als zwei verschiedene Versio- mische Qualität einwirken? Zwar weise ich nen eines Prozesses der Bewusstseinsbildung Pinks Hypothese nicht ganz und gar von mir, gegenüber zu stehen: sich selbst zu entdecken doch wichtiger ist hier das genaue Ausmaß, in und sich selbst zu emanzipieren. Zu beidem dem der MFA mit dem MBA mit ähnlichem gehört eine Bereitschaft zum Risiko, sich bis ökonomischem Wert im Laufe der Zeit gleich- an die Grenzen des Möglichen zu öffnen und zieht. Welche Auswirkungen wird das auf die die Herausforderung einer Arbeit anzuneh- zukünftigen Lehrpläne in der Kunstausbil- men und schemenhafte Formen des Wissens dung haben? Kann es ein MFA mit einem immanent und begreiflich zu machen. Beson- MBA aufnehmen und sich dennoch in philo- ders wichtig ist es, dass das Verhältnis zwi- sophischer Hinsicht vom Modell der Business schen den beiden Seiten ein Weg ist, dem MBA School differenzieren? Welche Art Ausbil- einen Schritt voraus zu bleiben. dung sollte eine Kunsthochschule anbieten: eine geschäftsorientierte, auf Atelierpraxis gegründete Ausbildung oder ein interdiszipli- när angelegtes Programm, das unterschiedli- che Arten des Studierens und der Forschung jenseits einer auf Bilder und Objekte fixierten Produktion anbietet? Wie auch immer das Modell oder sein Ge- lingen zu bewerten ist, die Kernfrage betrifft neue pädagogische und künstlerische Model- le, mit denen sich die Hochschulen auseinan- dersetzen sollten. Den rein ökonomischen Wert außer Acht gelassen, Kunst machen ist eher ein Prozess als ein Produkt, hat mehr mit sozialem und intellektuellem Kapital als mit der Eröffnung neuer Forschungsbereiche zu tun. Eine Kunstausbildung zu erhalten, bedeu- tet also eine Investition in soziales Handeln. In diesem Sinne hat unsere Ansicht über die Kunsthochschule deren neuen Kontext auf der globalen Bühne zu berücksichtigen und nicht einfach das Atelier als einen abgesicher- ten Isolationsraum für kreative Köpfe voraus- zusetzen. Die Aufgabe, die ich vor den Kunsthoch- ––––––– 1) Ein Projekt der Städelschule in Zusammenarbeit mit schulen liegen sehe, besteht in der Versöhnung Missing Identity, Kosovo, und relations, Berlin

––– 75 ––– Okwui Enwezor, Academy Remix, Portikus 2005 Art Education Beyond the Business Model _ Okwui Enwezor

––– 77 ––– The art school has been a subject of fascina- vard Business Review titled The MFA is the tion for the past decade. Along with this fasci- New MBA. Pink’s premise was that the esteem nation there has been an increasing growth of of the MFA as a professional degree was on the art programs within both traditional inde- rise, making an MFA an important compo- pendent art schools and universities. In 2001 nent in the portfolios of those seeking to Paul Schimmel organized Public Offerings, an achieve the rarefied place on the economic lad- exhibition at Los Angeles Museum of Contem- der that was once the exclusive province of porary Art, which explored the influence of MBAs. The sudden elevation of the MFA from several art schools internationally, along with its once crepuscular habitation as one of the the artists who emerged from their courses. In more useless (in the economic sense by which the inimitable fashion of this type of curato- capitalism measures all things) advanced de- rial enterprise, this past spring I was guilty of grees was received by some with alacrity and the same type of hagiographic offence by orga- by others with incredulity. From the first nizing at San Francisco Art Institute Work group the notion of an MFA equalling an MBA Zones: Three Decades of Contemporary Art at proved a vindication of the business model of San Francisco Art Institute, an exhibition that constant enrolment growth and expansion surveyed the artistic careers of the school’s which drives art education in the US. For the most prominent artists on the scene today. more circumspect, cynicism was immediate- Opening another front in the new industry of ly the order of the day. the art school narrative was Academy Remix 1, Given today’s buoyant art economy, it is not a three-day symposium organized in Novem- difficult to see how Pink’s article could be used ber 2005 by Daniel Birnbaum, Rector of the as evidence of the success of the art school. Städelschule in Frankfurt, and there have However, rarely is the dark irony nestled deep been many others. within the article addressed, namely, that if The film-going public has recently been the MFA equals the MBA in economic worth, treated to Hollywood’s entertaining but im- couldn’t it just as easily equal it in uselessness probable spin on the lure and depredations of by dint of the glut of both, therefore lowering the art academy in Terry Zwigoff’s Art school their mutual overall economic quality? While Confidential (2006). Another reflection on the I do not reject Pink’s hypothesis outright, subject was the proposed art-school-as-exhibi- more relevant is the extent to which an MFA tion by the three curators of the unfortunately equals the MBA in comparative economic aborted Manifesta 6, due to have been held in worth over time. What impact will this have Cyprus in the summer of 2006. Rather than on the future curriculum of art education? continue the exhibition model of previous edi- Can an MFA degree compete with the MBA tions, the curators planned to reorient the pub- but still depart philosophically from the busi- lic’s perception of art by taking us all „back to ness school model? What sort of education school“. This return to art school sought to en- should an art school provide: a business-ori- ervate the dialectic between art as entertain- ented, studio-based training or an interdisci- ment and art as education as a ground for a plinary program encompassing more kinds of more socially committed and intellectual en- study and research beyond image- and object- gagement. based production? As we reflect on the state of the art school Whatever the model and its success, the key from various vantage points, it strikes me that question concerns the emerging pedagogical none of these inquiries has had quite the im- and artistic models that schools should be ad- pact of a 2004 article by Daniel Pink in Har- dressing. Irrespective of its strict economic

––– 78 ––– Art Education Beyond the Business Model––– Okwui Enwezor value, making art is about process more than product, about building social and intellectu- al capital and opening up new sites of inquiry. Gaining an art education, then, is an invest- ment in social agency. In this sense our view of the art school today needs to take into ac- count its new context on the global stage at large, not simply the studio as the cosseted iso- lation room of the creative mind. The task I see for art schools lies in recon- ciling the experimental, radical practices of the individual artist with the unruly, unpre- dictable, asymmetrical relations that consti- tute the world in which such art is fashioned and realized. What seems apposite for me in this new context is the relation between art and education as two versions of a process of reaching awareness: self-discovery and self- emancipation. Both involve taking chances, opening oneself up to one’s limits, and being challenged by the labor of making obscure knowledge immanent and palpable. Most im- portantly, understanding the relation be- tween the two is a way to keep one step ahead of the MBA.

––––––– 1) A project of the Städelschule in cooperation with Missing Identity, Kosovo, and relations, Berlin

––– 79 ––– Frei sind wir schon. Was wir jetzt brauchen, ist ein besseres Leben _ Jan Verwoert

Über den möglichen Wert dessen, was an der Akademie passiert

––– 80 ––– Frei sind wir schon ––– Jan Verwoert

1. Über Akademie sprechen und Wertbegriffen hantiert und sich dabei immer nicht über Bildung und die Institution mehr in eine Auseinandersetzung verstrickt, Warum über Akademie sprechen? Die Politik in der verschiedene Ideologien aufeinander sagt, weil es um „den Wert der Bildung” geht. prallen und in der deshalb alles, was gesagt Aber was soll das heißen, Bildung? Wirt- wird, den üblen Beigeschmack einer ideolo- schaftlich gesehen ist Bildung heute eine heis- gischen Äußerung erhält. Vertraut man die- se Ware. Bildung ist Kapital. Kapital muss im sem Unbehagen, dann ist also die Frage: Wie Fluss bleiben. Deshalb gibt es das sogenannte kann man über Akademie und den Wert des- Bologna-Abkommen. Ziel des Abkommens ist sen, was an ihr passiert, reden, ohne ideolo- die Einführung einheitlicher Standards für gisch zu sprechen, dass heißt, ohne sich in ei- die Bewertung von Bildung an Hochschulen ner Debatte zu verlieren, in der am Ende nur in ganz Europa. Das ist ökonomisch zweck- noch Phrasen gedroschen werden? Es geht al- mäßig. Damit Bildung als Ware zirkulieren so darum, andere Worte zu finden, und zwar kann, muss sichergestellt sein, dass ihr Wert solche, mittels derer sich die Belange, Sorgen, überall nach demselben Tarif berechnet wird. Wünsche und Gefühle, die das betreffen, was Studierende bekommen überall die gleichen in der Akademie passiert, so ausdrücken las- Credit Points und Hochschulen und Lehrende sen, dass man auch genau so über sie sprechen werden evaluiert und evaluieren sich gegen- kann, wie man über sie sprechen will, und seitig. Auf diese Weise entsteht ein geschlos- eben nicht so, wie es die ideologische Sprache senes System der Bewertung, eine Ökonomie, des ökonomischen Diskurses über den Wert die ihren eigenen Begriff von Wert produziert der Bildung vorgibt. und reproduziert. Das ist der Wert der Bil- Typisch für die ideologische Rede ist, dass dung im Moment ihrer umfassenden Ökono- sie ihre eigene Berechtigung stets stillschwei- misierung. Lohnt es sich wirklich, in diese gend als selbstverständlich voraussetzt. Der Diskussion um den Wert der Bildung einzu- Versuch, anders als ideologisch zu sprechen, steigen? Auf eine Art scheint das fast unver- muss folglich mit der ausdrücklichen Frage meidbar, denn, so abgedroschen die Formulie- nach der Berechtigung der eigenen Rede be- rung auch klingt, es geht ja offenbar wirklich ginnen. Also nochmal die Ausgangsfrage: Wa- um die „Zukunft der Bildung” und für jeden, rum über Akademie sprechen? Die Institution der irgendwie mit Hochschulen zu tun hat, an der Akademie sagt, weil es um den Erhalt der ihnen lehrt oder studiert, geht es deshalb ganz Akademie als Institution geht (denn wenn existenziell um die eigene Zukunft. Trotzdem sich Bologna durchsetzt, wird die Akademie bleibt ein Unbehagen. Wie soll man denn über durch das System der Credit Points und Mas- den Wert von Bildung sprechen? Wie kann ter und Bachelor-Studiengänge an den büro- man der Tendenz zur ökonomischen Berech- kratischen Apparat der Universitäten ange- nung des Wertes von Bildung widersprechen? schlossen und verliert so ihre relative Autono- Indem man erneut das hohe Lied auf den Wert mie). Sicher, aber warum sollte man die Aka- der Bildung für die Herausbildung mensch- demie selbstverständlich als Institution er- licher Werte anstimmt? Aber was soll das wie- halten? Ist nicht am Ende der einzige Stand- der heißen, menschliche Werte? punkt, von dem aus es sich wirklich zu denken Das Gefühl des Unbehagens ange- lohnt, die utopische Perspektive, dass nur die sichts der Art und Weise, wie die Diskussion Zukunft eine wirklich gute Zukunft wäre, in um die Zukunft und den Wert der Bildung ge- der alle Institutionen überflüssig geworden führt wird, rührt also vielleicht daher, dass sein würden? Warum sollte man sich über- man hier zwangsläufig ständig mit nebulösen haupt als Einzelner für den Erhalt einer Insti-

––– 81 ––– tution einsetzen? Erhalten sich Institutionen des guten Lebens aus lassen sich beide von nicht ohnehin von selbst durch die ihnen eige- Grund auf infrage stellen. Die Daseinsberech- nen (kafkaesken) Mechanismen und Rituale? tigung der Institution und der Ökonomie ist, Und noch etwas: Wer sich für eine Institution für ein besseres Leben zu sorgen. Wenn sie es einsetzt, spricht nicht nur für sie, sondern in nicht tun, verlieren sie diese Berechtigung. der Regel auch in ihrem Namen. Was bedeutet Ein besseres Leben zu fordern, als das, was die es, im Namen einer Institution zu sprechen? bestehenden Verhältnisse zu bieten haben, ist Wer kann das? Haben nicht eigentlich nur die seit jeher der Motor der Revolte. Auf einem von das Mandat, im Namen der Institution zu Irit Rogoff zum Thema Akademie veranstal- sprechen, die eine Institution haben (leiten) teten Symposium erzählte Jimmie Durham, oder sind (verkörpern)? Und richten sich nicht dass zwei jüngere Italiener ihm kürzlich alle, die im Namen der Institution sprechen, sagten: „Frei sind wir schon. Was wir jetzt mit ihrer Rede auch nur an die, die, genauso brauchen, ist ein besseres Leben.” Das war wie sie, eine Institution haben oder sind? sein einziger Kommentar zur Akademie.1 Wenn die Institutionellen also unter sich mit Aber er eröffnet eine grundlegende Perspekti- sich selbst sprechen, was geht das dann den ve: In Empire schreiben Negri und Hardt, dass Rest der Menschheit an? die neue globale Macht- und Wirtschaftsord- Der Versuch, zu vermeiden von dem Wert nung das soziale Leben als Ressource er- dessen, was in der Akademie passiert, ideolo- schließt, weil die Dienstleistungs- und Kultur- gisch zu sprechen, müsste also mit der Ent- industrie genau die Fähigkeiten, die soziales scheidung beginnen, nicht selbstverständlich Leben ausmachen, die Fähigkeit sich mitzutei- im Namen der Institution über diesen Wert zu len und zwischenmenschliche Beziehungen sprechen, sondern im Namen von etwas ande- herzustellen, als Produktivkräfte ausbeutet.2 rem – einer Idee, einer Frage, einer Person, Negri und Hardt formulieren dann marxis- einem Wunsch oder irgendetwas, was nichts tisch, was Durham hedonistisch ausdrückt: mit der Institution zu tun hat. Im Namen von Die Zurückeroberung der Produktionsmittel was (oder wem) lohnt es sich also, über den bedeutet heute die Wiederaneignung der Ge- Wert dessen, was an der Akademie passiert, staltungsfreiheit in Bezug auf das soziale Le- zu sprechen? Bildung kann es nicht sein. Die- ben als gutes Leben. Welchen Wert kann also ser Begriff ist schal und wird von allen er- das, was an der Akademie passiert, für diese denklichen Ideologien beansprucht. Also be- Politik der Aneignung der Gestaltungsfreiheit ginnen wir den Diskurs besser nicht im Zei- in Bezug auf das gute Leben haben? chen der Institution und der Bildung. Aber in An der Akademie stellt sich die Frage des welchem Zeichen und in wessen Namen guten Lebens nachhaltig, weil sie – vielleicht dann? sogar in erster Linie – ein Ort des problema- tischen Zusammenlebens ist. In der Universi- 2. Die Akademie und das gute Leben tät trifft man sich für die Dauer eines Semi- Warum nicht im Namen des guten Lebens nars und geht wieder auseinander. In der Aka- über die Akademie sprechen? Wenn das, was demie muss man es jahrelang miteinander in der Akademie passiert, irgendeinen Wert und nebeneinander in denselben Atelierräu- hat, dann müsste es im Hinblick auf das gute men aushalten und aushalten lernen. Es wäre Leben eine Bedeutung haben und eben nicht sicher auch nicht falsch zu sagen, dass das, nur für die Institution oder die Ökonomie. Das was man an der Akademie lernt, oder viel- gute Leben verweist die Institution und die mehr, das, wodurch man an der Akademie Ökonomie in ihre Grenzen. Vom Standpunkt lernt, genau dieses Einander-Aushalten ist.

––– 82 ––– Frei sind wir schon ––– Jan Verwoert

Kunst machen lernen heißt dann vor allem, Glück abzuhängen scheint. Und wie viel Ein- die Fähigkeit zu erwerben, unter anderen zigartige können unter einem Dach zusam- Leuten zu leben, die auch Kunst machen oder menleben, ohne dass der Raum zu eng wird? etwas mit Kunst zu tun haben. Ob man wirk- Man kann sich noch so oft sagen oder sagen lich Kunst machen will, entscheidet sich lassen, dass die Idee der einzigartigen Bega- schließlich dadurch, ob man mit der Zeit das bung auf einem jahrhundertealten Künstler- Gefühl gewinnt, dass man diesen anderen mythos beruht, der abgeschafft gehört. Es Leuten etwas sagen und zeigen will (im posi- hilft nichts, denn die Erfahrung der Konkur- tiven Sinne, wie man denen, die man schätzt renz ist real und schmerzhaft. Und auch wenn oder liebt, etwas sagen und zeigen will, aber der Mythos vom Genie heute hohl klingt, auch im aggressiven Sinne, in dem man de- bleibt doch die reale Erfahrung des eigenen nen, mit deren Haltung man über Kreuz liegt, Potenzials als etwas Singulärem, und diese sagt: „Euch werd’ ich’s zeigen!”) oder nicht. Erfahrung verlangt danach, ausgedrückt und Die Frage des guten Lebens stellt sich also in- anerkannt zu werden. Der Mythos verklärt sofern an der Akademie, als man sich dort da- diese Erfahrung. Die bloße Absage an diese rüber klar werden muss, ob ein gutes Leben in Verklärung ist aber für sich genommen nicht der Kunst – und das heißt ein andauerndes Zu- genug, denn sie beantwortet nicht die Frage, sammenleben mit diesen anderen in der wie man denn anders und besser mit der Er- Kunst – für einen möglich wäre, oder ob ein fahrung der Singularität des eigenen Poten- besseres Leben nicht doch eher anderswo mit zials und der Tatsache, dass alle anderen diese und bei anderen Leuten zu finden ist (was ja Erfahrung der Singularität auch machen, sehr gut so sein kann). umgehen und leben könnte. Problematisch ist die Form des Zu- Dieses Problem stellt sich aber nicht sammenlebens an der Akademie schon allein nur in der Kunst. Es ist vielmehr das Grund- deshalb, weil die klassische Vorstellung vom problem der modernen individualistischen guten Leben in der Kunst die Vorstellung von Kultur überhaupt. Die romantische Idee, dass der triumphalen Karriere des genialen Ein- die Entdeckung und Verwirklichung der eige- zelgängers ist und die Frage nach der Form nen Potenziale die Voraussetzung für ein der Koexistenz mit anderen gar nicht erst be- gutes Leben darstellt, ist heute eine allgemei- rücksichtigt. Das Ritual der Aufnahme in die ne gesellschaftliche Norm. Deshalb quält Akademie scheint eben diese Vorstellung vom quer durch alle gesellschaftlichen Schichten Glück der eigenen Einzigartigkeit zunächst die Leute die Frage nach dem richtigen Um- zu bestätigen. Schließlich erfahre ich die Auf- gang mit dem Gefühl ihrer potenziellen Ein- nahme beglückt als Beglaubigung meiner zigartigkeit. Was soll ich tun, wenn ich ahne, ganz besonderen Begabung. Umso schwie- dass in mir etwas Besonderes steckt? Das ist riger wird es daraufhin, damit zurecht zu die Leitfrage der individualistischen Kultur. kommen, dass ich in der Akademie nun von In ihr drückt sich derselbe Zweifel aus, der das meinesgleichen umgeben bin und die ver- Genie von Haus aus immer schon umgetrie- meintlich besondere Begabung mit einem Mal ben hat, der Zweifel des Messias in der Wüste: doch nichts Besonderes mehr darstellt, weil Bin ich es? Bin ich es wirklich? Die größten sie hier offiziell jeder besitzt. Wie soll ich jetzt Kassenschlager in Literatur, Fernsehen und mit diesen anderen auskommen, wenn sie alle Kino kolportieren seit Jahren genau dieses das sein wollen, was ich selbst sein will? Alle Motiv der Unsicherheit des Begabten, der suchen nach genau der Anerkennung ihrer fühlt, dass er potenziell, und das heißt mögli- Einzigartigkeit, von deren Erhalt auch mein cherweise schon, aber möglicherweise eben

––– 83 ––– auch nicht, der Auserwählte ist und der darü- angehören. Diese Verleugnung der gesell- ber hinaus nicht weiß, was er tun soll, um sei- schaftlichen Dimension der Singularität wird ner potenziellen Berufung gerecht zu werden. in der allgemeinen Konkurrenz selbst zum ge- Das ist das Thema von Harry Potter und XY sellschaftlichen Prinzip. Das macht die Ver- sucht den Superstar genauso wie von Film- leugnung zu einer doppelten. Wir erkennen so epen wie Spiderman, Star Wars, X-Men oder weder an, dass wir alle denselben Traum träu- Die Matrix. Die Auswahl des Auserwählten men, noch, dass wir uns alle auf dieselbe Wei- vollzieht sich hier stets im Zeichen von bru- se das Eingeständnis vorenthalten, dass es taler Konkurrenz oder heroischer Gewalt. derselbe Traum ist. Wir verleugnen selbst Wenn er die aushält, ist sein Status beglaubigt. noch, dass wir alle an demselben System der Er ist es wirklich. Verleugnung teilhaben und mitwirken. Wür- Sich nur darüber lustig zu machen, den wir uns gemeinsam eingestehen, dass wir wäre zu einfach. Denn über das verunsichern- alle dasselbe Spielchen spielen, könnten wir de Gefühl der eigenen potenziellen Singulari- es uns auch gemeinsam zugestehen, es anders tät wird sich kaum jemand glaubhaft erheben zu spielen. und hinwegsetzen können. Das Gefühl der po- Die zentrale Frage ist deshalb, ob die Aka- tenziellen Singularität ist paradoxerweise ge- demie ein Ort sein kann, an dem sich das von nau die Erfahrung, die wir heute alle irgend- allen geteilte Gefühl der eigenen potenziellen wie teilen und die deshalb vielleicht die gesell- Singularität auf eine entschieden andere Wei- schaftliche Erfahrung schlechthin ausmacht. se ausdrücken kann, als die vorherrschende Der Punkt, wo die Sache unerträglich wird Ideologie es zulässt. Warum gerade die Aka- und die Suche nach anderen Lösungen not- demie? Zunächst einfach deshalb, weil die wendig macht, ist aber dann erreicht, wenn Akademie der Ort ist, wo die Tatsache, dass sich herausstellt, dass unsere Gesellschaft wir alle denselben Traum von unserer Singu- Konkurrenz, zwanghaften Geltungsdrang larität träumen, so offensichtlich zutage tritt und damit letztlich soziale Gewalt als die ein- und allgegenwärtig spürbar ist, dass es wirk- zige Form anerkennt, in der sich Singularität lich idiotisch wäre, diese Tatsache beharrlich noch Geltung verschaffen kann. Und das ist zu verleugnen. Die Akademie ist ein Kristal- ekelhaft. Nicht zuletzt deswegen, weil das Sys- lisationspunkt für die in der gesamten Gesell- tem der Konkurrenz das soziale Potenzial der schaft verbreitete Unsicherheit im Umgang Erfahrung von Singularität gleich auf dop- mit der Erfahrung, dass ich und alle anderen pelte Weise verleugnet. Das soziale Potenzial uns gleich singulär fühlen. Das Gute an der dieser Erfahrung liegt darin, dass wir sie alle Akademie ist, dass es hier Mittel und Wege irgendwie machen und dass deshalb eine Ge- gibt, mit dieser Unsicherheit umzugehen und meinschaft derjenigen, die das Gefühl verbin- alternative Formen des Umgangs mit diesem det, singulär zu sein, durchaus vorstellbar geteilten Gefühl auszuprobieren. Die Zeit da- wäre. Genau diese allgemeine Dimension und für ist schließlich da. Die Akademie ist viel- gesellschaftlich verbindende Qualität des ge- leicht überhaupt einer der wenigen verbliebe- teilten Gefühls der Singularität wird aber nen gesellschaftlichen Räume, wo überhaupt durch das System der Konkurrenz verleug- Zeit dafür da ist, sich mit der Frage auseinan- net, weil dieses System aus jedem, der sich der zu setzen: Was hat mein Traum mit dem ähnlich singulär fühlt wie ich selbst, einen der anderen zu tun? In welchem Verhältnis Gegner macht, mit dem ich nichts gemein ha- steht mein Wunsch nach der Anerkennung ben will, obwohl und gerade weil wir poten- meiner potenziellen Singularität zu dem ziell derselben Gemeinschaft von Singulären Wunsch nach derselben Anerkennung, den

––– 84 ––– Frei sind wir schon ––– Jan Verwoert die Leute um mich herum hegen? Inwiefern immer weiter erweitern, sind zum Beispiel lässt sich dieses Verhältnis als gesellschaft- kein schlechter Garant für die längerfristige liches Verhältnis und als Grundlage mög- Behauptung anderer Formen des Umgangs licher sozialer Beziehungen begreifen? Wie miteinander. Sie garantieren natürlich keine könnten diese Beziehungen dann aussehen? materielle Autarkie, aber sie gewährleisten Außerhalb von symbolisch als Ausbildungs- zumindest eine relative innere Autonomie, stätten geschützten Räumen bleibt oft wenig insofern sie das Gefühl am Leben halten, Zeit für solche Fragen, weil sich alle bereits dass der Wert der eigenen Arbeit nicht von wie selbstverständlich in der Rolle des Kon- der momentanen Gunst des Marktes ab- kurrenten begegnen, die der Markt ihnen auf- hängt, sondern sich unabhängig davon durch zwingt. die andauernde Auseinandersetzung mit Natürlich wirkt der Konkurrenzdruck des diesen, und der Wertschätzung durch diese, Marktes bis in die Akademie hinein (und Teil anderen begründen lässt. Das wäre so ein des Bologna-Prozesses ist es, diesen Druck zu Entwurf eines guten Lebens, der aus dem Zu- verstärken). Der entscheidende Unterschied sammenleben an der Akademie hervorgehen liegt aber doch darin, dass der Markt in der kann und der zugleich im Sinne von Durham Akademie vor allem in den Köpfen existiert oder Negri und Hardt einen Weg darstellt, als Vorstellung vom Leben danach oder als sich die Bedingungen der eigenen sozialen Fantasie vom Galeristen, der als Erwähler der Existenz nicht von den bestehenden Verhält- Auserwählten auf dem Rundgang erscheint. nissen aufdiktieren zu lassen, sondern sich In gewisser Weise ist der Kunstmarkt auch nie die Mittel und Möglichkeiten, diese Bedin- etwas anderes als das: eine kollektive Fanta- gungen selbst zu gestalten, gemeinschaftlich sie in den Köpfen der Leute, die den Marktwert anzueignen. der Kunst dadurch erzeugen, dass sie an den Das gute Leben in Verbindung zu bringen Wert des Marktes glauben und in diesen Wert mit einer Politik der Freundschaft muss wie- investieren. Natürlich entsteht so Kapital, derum nicht bedeuten, dass Formen des Zu- und Geld braucht jeder zum Leben. Die Frage sammenlebens, die sich als Alternative zur ist nur, ob man dem Markt den Gefallen tun Konkurrenz an der Akademie entwickeln will, an seinen Wert zu glauben, oder ob die könnten, zwangsläufig harmonisch sind. Einsicht, dass dieser Wert in erster Linie ima- Überhaupt geht es hier nicht darum, eine all- ginär ist, einen nicht eher dazu bringen sollte, gemeine Moral des Umgangs miteinander eine innere Distanz zum Markt einzunehmen einzufordern. Was eine solche Moral, sei es und den Wert der Kunst anders zu imaginie- das Programm sozialdemokratischer Kor- ren als in den Kategorien der Konkurrenz, die rektheit oder der Smalltalk-Codex unverbind- der Markt vorgibt. An der Akademie ist hier- licher Nettigkeit, immer irgendwie unbefrie- zu die Gelegenheit. Weil hier die Fantasie des digend macht, ist ihre Pauschalität. Man Marktes noch nicht gänzlich institutionell lernt, pauschal mit jeder Person so wie mit je- verankert ist und das ökonomische Realitäts- der anderen auch auf halbwegs gesittete Art prinzip noch nicht vollkommen greift, kann zu verkehren. Eine Anerkennung des singu- die Akademie ein Ort zur Entwicklung ande- lären Potenzials der anderen beinhaltet diese rer Realitätsprinzipien und Fantasien sein. Form des Umgangs aber gerade nicht. Man Deren Verwirklichung muss nicht auf die vermeidet diese Anerkennung vielmehr ge- Schutzzone der Akademie beschränkt blei- zielt. Deshalb kann sich potenzielle Singula- ben. Die Zirkel von Freunden, die sich an Aka- rität in gesitteter Umgebung auch oft nur demien formieren und sich später potenziell durch die genauso pauschale Verletzung des

––– 85 ––– allgemeinen Protokolls (zum Beispiel durch wird so zum Medium der Provokation und Ar- planloses Randalieren im Suff) Geltung ver- tikulation von Singularität. Da die Pose nur schaffen. Eine Umgangsform, in der Singula- in dem Moment, wo ich sie vor Anderen ein- rität angemessene Anerkennung finden könn- nehme, ihre relative Gültigkeit hat und also te, müsste also eine sein, in der sie nicht bloß im Prinzip immer wieder neu aus der gege- toleriert, sondern gezielt provoziert würde. benen Si-tuation heraus entwickelt werden Die gezielte Provokation ist vielleicht über- muss (denn die routinierte Pose ist eine wenig haupt eines der besten Mittel, um andere dazu überzeugende Pose), wird das Posieren im Ide- zu bringen, ihre Potenziale zu aktualisieren, alfall zu einer Praxis der ständigen Improvi- indem man sie aus der Reserve lockt. Im Ideal- sation in Reaktion auf andere. Die Boheme wä- fall bietet diese Form der Provokation, unter re also eine Kultur der wechselseitigen Provo- Freunden genauso wie im Seminar- oder Ate- kation von momentanen Verkörperungsver- liergespräch, den anderen genau die Bühne, suchen von Singularität. die sie brauchen, um ihre Singularität zur In Bezug auf das gute Leben unterscheidet Darstellung zu bringen. Anstelle einer pau- sich die gute von der schlechten Boheme dabei schalen Moral wäre das Prinzip, das ein gutes vielleicht gerade dadurch, dass es in der guten Zusammenleben anerkannter Singularitäten mit Humor zugeht und die Pose wirklich als an der Akademie begründen könnte, also das Mittel des sozialen Austauschs gepflegt und praktische Ethos einer provokativen Gemein- gefeiert wird, während in der schlechten jeder schaft. seine eigene Pose bierernst als einzig authen- Von provokativen Gemeinschaften kann tische gegen die der anderen durchzusetzen man wiederum kaum sprechen, ohne vom Er- versucht. Dieser Humor, in dem ein intuitives be der Boheme zu reden. Die Idee der Boheme Wissen darum mitschwingt, wie ich mittels ist vielleicht eines der einflussreichsten Mo- meiner Posen anderen eine Bühne verschaffe, delle für das Ethos der provokativen Gemein- um sich auf ebenso singuläre Weise zu präsen- schaft. Sicherlich ist diese Idee, genauso wie tieren, ist vielleicht das Prinzip einer urbanen die Idee vom Genie, Teil eines Künstlermy- Haltung überhaupt. In der Stadt lernt man, thos, der in die Jahre gekommen ist und sicht- sich leben zu lassen und Raum zu geben. Ter- lich bröckelt (weil sich auch die neuen Bürger- ritoriales Verhalten wirkt demgegenüber lichen heute gekonnt als Boheme inszenieren, stets zutiefst provinziell. Eine weitere Erfah- um die Banalität ihres besitzständigen Le- rung, die das Feiern der Pose zum Ausdruck bensentwurfs zu überspielen). Nichtsdesto- bringt, ist das intuitive Wissen um den eksta- trotz drückt sich in dieser Idee weiterhin eine tischen Charakter jeder Verkörperung von Erfahrung aus, die ihre Bedeutung für die Singularität. Wortwörtlich heißt Ekstase Frage des guten Lebens in der Kunst nicht ver- „Herausstellen”. Und die Pose funktioniert ja loren hat. Zum einen ist das der Sinn für die genau dadurch, dass jemand eine Behauptung Theatralität der sozialen Umgangsformen, in den Raum stellt und es sich angesichts die- die Singularität zum Vorschein treten lassen. ser Provokation herausstellt, worum es in die- Ich meine damit das intuitive Verständnis da- ser sozialen Siuation gehen könnte. In der gu- für, wie ich eine Pose einnehme, um meine po- ten Pose exponiert sich nicht nur ein Ego, son- tenzielle Singularität zu vermitteln und im dern auch der Geist des Moments, die Stim- selben Zuge andere dazu zu provozieren, ih- mung des Abends genauso wie die Philosophie rerseits Posen einzunehmen, um meiner Be- derjenigen, die da zusammenkommen. Der hauptung das Potenzial ihrer Singularität schlechten Pose fehlt dieses soziale Gespür. entgegenzusetzen. Die bohemistische Pose Sie bleibt auf stumpfe Art selbstbezogen.

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Die gute unterscheidet sich von der schlech- Das Besondere an der Akademie ist also, ten Boheme weiter dadurch, wie sie die Eksta- dass hier die gemeinschaftliche Tragweite sen der Singularität zu feiern versteht. Gute der Frage des guten Lebens in ihrer Proble- Feiern sind erfahrungsgemäß die, in denen matik erfahrbar wird: alle erheben hier für sich alle im Raum irgendwie exponieren, aber sich einen ungeteilten Anspruch auf die An- so, dass sie mit jeder Pose eine Plattform für erkennung ihrer Singularität und müssen alle anderen schaffen und der ganze Abend ge- deshalb ständig schmerzhaft erleben, dass tragen ist von einem gewissen überschwäng- ihr Anspruch durch die Ansprüche der An- lichen Humor der improvisierten Selbstdar- deren infrage gestellt wird. Das Problem des stellung. In solchen Situationen erscheint die Zusammenlebens von singulären Charakte- Koexistenz in der Akademie für Momente ren tritt somit an der Akademie so offen zu- problemlos möglich, weil sich alle gegenseitig tage, dass es unmöglich ist, die Augen vor zugleich die ungebrochene Intensität ihres ihm auf dieselbe Weise zu verschließen, wie Wunsches, singulär zu sein, und seine Absur- es die Kultur der individualistischen Gesell- dität vor Augen führen. Diese Art von Karne- schaft im Allgemeinen tut. Die Situation an val feiert die Einsicht, dass alle Teilneh- der Akademie lässt einem kaum eine andere menden in ihren Wünschen vollkommen Wahl. Man muss mit diesem Problem umge- gleich banal sind, und lässt durch das Feiern hen. Im schlimmsten Fall geschieht das auf dieser Einsicht zugleich den Wunsch aller in dem gesellschaftlich vorgegebenen Weg der Erfüllung gehen, weil für den Abend alle Po- Konkurrenz und Auslese, der strategischen sen und Masken singulär sind. Schlechten Verbrüderung oder unverbindlichen Nettig- Feiern fehlt dieser Zug ins Karnevaleske. Hier keit. Im besten Fall finden sich dagegen We- werden sich zwar auch alle gleich, aber nur ge, den Konflikt, der sich aus den ungeteilten weil alle gleich viel trinken und sich so kollek- Ansprüchen aller ergibt, so auszutragen, tiv in einen Zustand versetzen, in dem die Ge- dass sich Singularität im provokativen Aus- genwart der anderen nur dadurch erträglich tausch zwischen Charakteren herausstellen wird, dass niemand in diesem Zustand mehr kann, statt in Konkurrenz und Bündelei in der Lage ist, etwas zu sagen, was einen Un- marktgerecht zugeschnitten und sozial ge- terschied zwischen den Anwesenden geltend fesselt zu werden. Das ist dann eine Frage der macht. Männerbünde, die traditionell auf sol- Praxis und des Ethos oder, was im Prinzip chen Feiern geschlossen werden, sind dem- dasselbe ist, des Humors dieser Praxis. Die entsprechend in der Regel Stillhalteabkom- eigene Arbeit wie das eigene Auftreten und men, in denen sich alle Beteilig-ten auf eine die öffentlichen Posen können dann Medium künstlerische Linie und eine Art des Auftre- eines sozialen Austauschs sein, der Singula- tens einigen, die sie gemeinsam als singulär rität provoziert. Humor bedeutet dabei die behaupten. Solange niemand von dieser Linie praktische Fähigkeit, den Widerspruch abweicht, können sich alle sicher fühlen, weil auszuhalten und auzutragen, dass ein unge- sie nicht befürchten müssen, dass jemand aus teilter Anspruch auf Singularität nur da- ihrem näheren Umfeld ihr Selbstverständnis durch Anerkennung finden kann, dass man infrage stellen und Zweifel provozieren wür- ihn teilt. Die praktische Unfähigkeit, dies zu de. Vor den Provokationen anderer Kunst und tun, drückt sich in Paranoia aus. In Hinsicht Ideen schirmt sie die Gruppe ohnehin ab. Das auf das gute Leben in der Kunst ist die ent- gewährt Schutz, aber um den Preis, dass sich scheidende Wahl also eigentlich die zwischen alle gegenseitig kurz halten. Und das kann Humor und Paranoia (vor der man nicht nur kein gutes Leben sein. an der Akademie ständig steht). Sie sollte

––– 87 ––– nicht schwer fallen, wenn man das gute Le- Man kann mit ihm handeln wie mit Informa- ben als Ziel im Auge behält. tionen. Weil man Informationen austauschen kann, sind sie letztlich auch austauschbar. 3. Der Generationenvertrag an der Akademie Das Besondere an künstlerischem Wissen Das Zusammenleben ist an der Akademie scheint aber zu sein, dass es nicht in diesem auch eine Frage der Generationen: Die Akade- Sinne austauschbar ist. Dieses Wissen ist in mie ist ein Raum, in der Charaktere aus un- der Erfahrung begründet, die man dadurch terschiedlichen Generationen und unter- macht, dass man sich über eine Zeit hinweg schiedliche Charaktere aus einer Generation auf eigene Weise mit Problemen der Kunst zusammenkommen und zusammen auskom- auseinandersetzt. Deshalb sollte man ohne- men müssen. Traditionell versteht man den hin in der Kunst vielleicht besser von Erfah- Vertrag, der dabei zwischen den Generati- rung sprechen als von Wissen. Erfahrung ist onen gilt, als die eindeutige Abmachung, dass untrennbar mit einer Person verbunden, die die Jüngeren von den Älteren lernen, und sie macht. Erfahrungen bleiben an Singulari- zwar dadurch, dass die Älteren ihr Wissen an täten gebunden. Erfahrung ist vielleicht über- die Jüngeren weitergeben. Innerhalb der Ge- haupt der Begriff, der die Idee des Potenzials neration, glaubt man, regelt sich alles Weitere von Singularität am ehesten begreifbar durch Leistungsvergleich. Auf diesem Ver- macht. Unser Potenzial von Singularität läge ständnis des Generationenvertrags baut zu- dann in der Kunst in den Erfahrungen, die gleich auch die Vorstellung von der Quantifi- wir gemacht haben und noch machen können. zierbarkeit der Bildung auf, für die der Bolo- Natürlich kann man auch über Erfahrung in gna-Prozess steht. Wenn Akademie wirklich Besitzkategorien reden: Meine Erfahrung. so funktionieren würde, dass es ein klar be- Deine Erfahrung. Der Experte zum Beispiel stimmbares Wissen gäbe, das die einen hätten ist Besitzer seiner Erfahrung. Expertise ist und die anderen dann bekämen, um es so Erfahrung als exklusiver Besitz. Von Exper- schnell wie möglich anzuwenden (dafür gibt ten erwirbt man deshalb Informationen. Aber es Punkte), dann wäre das Studium wirklich von ihnen erfährt man selten etwas, das einen nur eine Angelegenheit von Angebot und in Bezug auf die Fragen, die einen in der Ar- Nachfrage. Aber dieses Wissen gibt es so in der beit und im Leben beschäftigen, wirklich wei- Kunst nicht. Das heißt nicht, dass es kein Wis- terbringen würde. Das geschieht nur dann, sen in der Kunst gäbe. Allein die Vorstellung, wenn ich erfahre, was etwas bedeutet oder dass dieses Wissen im Besitz einer Generation vielmehr, dass etwas überhaupt etwas bedeu- sei und dann in den Besitz der nächsten Gene- tet oder (was vielleicht dasselbe ist) dass etwas ration übergehe, ist hochgradig fragwürdig. möglich ist und dass ich etwas tun kann, was So zu denken heißt, die Prinzipien des Kapita- ich vorher nicht als Möglichkeit in Erwägung lismus bereits so weit verinnerlicht zu haben, gezogen oder schlechterdings für unmöglich dass man das, was gesellschaftlich von Wert gehalten habe. sein könnte, bereits nur noch in Kategorien Die Erfahrung, die ich an der Akademie von Besitz wahrnimmt. Wie könnte man den mache, ist ja im Prinzip die, dass ich um den Generationenvertrag an der Akademie an- Wert und die Bedeutung der Intuitionen und ders als im Zeichen des Kapitals auslegen? Ideen, die ich mitbringe, nicht wirklich etwas Ein entscheidender Schritt weg von den Ka- weiß, bevor ich ihren Wert und ihre Bedeu- tegorien des Kapitals wäre, Wissen nicht mehr tung dadurch erfahre, dass ich sie an der Aka- als Gegenstand aufzufassen. Ein Wissensge- demie im Austausch mit anderen formuliere. genstand ist immer schon halb eine Ware. Das heißt, der Wert dessen, was dann, wenn es

––– 88 ––– Frei sind wir schon ––– Jan Verwoert formuliert ist, so wirkt, als ob es Wissen sei, durch auf eine andere Ebene hebe. Nicht sel- kommt überhaupt erst durch diesen Aus- ten geschieht das ja genau deswegen, weil je- tausch zustande. Wenn ich an einer Akademie mand anderes etwas über meine Arbeit sagt, lehre, heißt das: Ich begreife überhaupt erst, was einem Unbehagen Ausdruck verleiht, das dass ich eine gewisse Erfahrung habe und auf ich selbst insgeheim schon länger verspürt der Grundlage dieser Erfahrung anderen po- habe (das Gefühl, sich an einem bestimmten tenziell etwas Bedeutungsvolles oder irgend- Punkt im Kreis zu drehen) und das im besten wie Hilfreiches über Kunst sagen kann, wenn Fall möglich macht, genau das zu verwerfen, im Seminar oder Ateliergespräch jemand auf was die weitere Entwicklung der Arbeit bis das, was ich sage, reagiert, sei es mit Worten jetzt verhindert hat (oft genug drehe ich mich oder dadurch, dass sich in der Folge in dessen ja genau an dem Punkt im Kreis, wo ich ver- Arbeit etwas ergibt oder löst, was sich sonst bissen oder verzweifelt an bestimmten Din- vielleicht nicht ergeben oder gelöst hätte. Ge- gen festhalte, und zwar genau deshalb, weil rade im Ateliergespräch bin ich als Lehrender ich schon selbst nicht mehr an sie glaube, mir nur dann glaubwürdig, wenn ich es schaffe, das aber noch nicht eingestehen kann). Ein mich zu erklären und nicht nur irgendeinen provokativer Kommentar kann dann wirken Gegenstand. Das heißt: meine Kritik wirkt wie ein befreiender Witz, der es mir plötzlich nur dann stichhaltig und hilfreich, wenn ich erlaubt, über meinen eigenen Schatten zu jemandem die Prämissen und Kriterien mei- springen. ner Kritik plausibel machen kann. In der Re- Es ist auffällig, dass alles, was hier aus der gel werden auch mir diese Prämissen erst Perspektive des Studierenden geschrieben dann klar, wenn ich dazu aufgefordert bin, ist, genau so Erfahrungen des Lehrenden be- mich zu erklären. Oft genug erfahre ich in die- schreiben könnte und umgekehrt. Das lässt sem Moment aber auch, dass meine Erfahrung darauf schließen, dass die Erfahrung, die an begrenzt ist, weil meine Kritik nicht greift, der Akademie vermittelt wird, eben nicht bloß oder dass ich die Prämissen meines Stand- ein Wissen ist, das die ältere Generation be- punkts überdenken muss, weil ich in dem Mo- sitzt und weitergibt, sondern dass diese Erfah- ment, wo ich sie vor anderen (und in Reaktion rung (und das Wissen, was sich aus ihr ablei- auf deren Arbeiten oder Fragen) erkläre, mer- ten lässt) überhaupt erst dadurch zustande ke, dass sie nicht mehr glaubhaft wirken. kommt, dass sich verschiedene Charaktere Umgekehrt mache ich als Studierender Er- und Generationen in der Akademie zueinan- fahrungen ja genau dadurch, dass ich mich der in ein Verhältnis setzen (müssen). Erfah- von anderen Personen, Arbeiten oder Erleb- rung und Wissen wären dann nicht als Besitz nissen dazu provozieren lasse, in meiner Ar- und Kapital, sondern in erster Linie als sozi- beit Entscheidungen zu treffen, die ich wahr- ales Verhältnis aufzufassen. Durch die Provo- scheinlich sonst so nicht getroffen hätte und kation von aufschlussreichen Verhältnissen die möglicherweise dazu führen, dass ich Erfahrungen zu produzieren, wäre dann der nochmal anders ansetze, um etwas, das mir Auftrag der Akademie. Der Vertrag zwischen wichtig ist, neu zu formulieren, und zwar so, den Generationen würde an der Akademie un- dass es die neuen Erlebnisse mit einbezieht ter vollkommen anderen Vorzeichen abge- oder die Person, die mich provoziert, über- schlossen. Er würde nicht länger auf der trü- zeugt oder sogar Lügen straft. Es können aber gerischen Vorstellung aufbauen, dass es hier auch Entscheidungen sein, die bedeuten, dass einen Transfer zu regeln gäbe, in dem Wissen ich in Bereichen, wo ich meiner Sache sicher als fertiges Produkt die Besitzer wechselte, war, plötzlich Dinge umstoße und alles da- sondern stattdessen auf der Einsicht beruhen,

––– 89 ––– dass das Verhältnis zwischen den Generati- Auch hier steht man eigentlich wieder vor onen selbst die Produktionsbedingung und der Wahl zwischen Humor und Paranoia. Pa- das Produktionsmittel für die Erzeugung der ranoia führt bei den Schnellen zur Atemlosig- Erfahrung ist, die sich an der Akademie ver- keit und bei den Langsamen zum Stillstand. mittelt. Dieser neue Vertrag wäre dann kein Mit Humor lässt sich dagegen ein Zusammen- Abkommen über die Zirkulation eines Pro- leben vorstellen, das einem Orchester ohne dukts. Er wäre eine offene Abmachung über Taktmeister gliche, in dem jeder sein eigenes die Form einer gemeinsamen Produktion von Timing hat, sich aber dennoch ein Zusammen- singulären Erfahrungen. spiel ergibt, weil jeder irgendwann auf jeden Mit seiner neuen Form ändert sich der zeit- anderen reagiert. Kodwo Eshun und Anjalika liche Horizont des Generationenvertrags von Sagar haben in diesem Sinn auf die Bedeu- Grund auf. Er beschränkt sich nicht länger tung der Fluxus-Experimente von Cornelius nur auf den symbolischen Moment des Trans- Cardews Scratch-Orchestra in den sechziger fers eines Kapitals (den kurzen Moment, wo Jahren hingewiesen.3 Hier kamen Musiker das Wissen über den Ladentisch geht). Er be- und Performer aus allen Bereichen zusam- zieht sich vielmehr auf die gesamte Zeit, die die men, um für die Dauer eines Konzertes in verschiedenen Generationen und Charaktere einem Raum Handlungen aufzuführen, die an der Akademie miteinander verbringen. durch keine eindeutige Partitur vorgegeben Über diese Zeit einen Vertrag abzuschließen, waren (und auch nicht notwendig mit der Pro- ist nicht einfach. Denn an der Akademie ver- duktion von Tönen zu tun haben mussten), die läuft die Zeit nicht nach einem klar vorgege- aber dennoch durch die gemeinsame Einlas- benen Takt. Im Prinzip lebt jede Generation sung auf den Zeitraum des Konzerts so etwas und jeder Charakter für sich in seiner eigenen wie eine asynchrone Synchronizität oder syn- Zeit. Das ist bereits innerhalb einer Generati- chrone Asynchronizität herstellten. Als Mo- on zu spüren. Manche experimentieren viel dell für eine Einlassung auf das Zusammen- und kommen schnell zu Ergebnissen. Für an- leben an der Akademie scheint dieses Orche- dere ergibt sich lange gar nichts, und es dauert sterkonzept ausgesprochen brauchbar. vielleicht Jahre, bis sich für sie etwas löst. Die Bedeutung dieser Asynchronizität für Viele arbeiten ständig und fühlen sich trotz- das Zusammenleben an der Akademie wird dem unbefriedigt. Andere machen vielleicht umso deutlicher spürbar, wenn man sich dem nur alle paar Monate einmal eine Arbeit und Unterschied der Generationen zuwendet. Die bringen dabei mit einer Geste alles auf den Praxis der Lehrenden speist sich ja in der Re- Punkt, was sich jemand anders in Monaten gel aus einer besonderen Erfahrung, die mit hätte mühevoll erarbeiten müssen. Die Zeit dem Geist eines bestimmten historischen Mo- verläuft somit für jeden mit unterschiedlicher ments in der Kunst verbunden ist: zum Bei- Geschwindigkeit. Das aushalten zu lernen, ist spiel die Erfahrung der Performance- und mindestens genauso schwierig wie der Um- Konzeptkunst der frühen siebziger Jahre oder gang mit dem Anspruch der anderen auf die die Erfahrung der Wilden Malerei der achtzi- Anerkennung ihrer Einzigartigkeit. Wie kann ger Jahre oder die Erfahrung der neokonzep- ich damit leben, dass die Person, die neben mir tuellen Institutionskritik der frühen neun- arbeitet, in ihrer Arbeit rapide Fortschritte ziger Jahre und so weiter. Mit jeder dieser Er- macht, während ich selbst im Moment festste- fahrungen verbindet sich ein anderer Kunst- cke? Komme ich damit klar, dass jemand an- begriff. Wenn die Akademie jüngere Lehrende deres nie etwas tut, wenn er sich dann aber ein- aufnimmt, dringt zudem die Dynamik der mal rührt, den Vogel sofort abschießt? Jetztzeit mit in den Betrieb ein. Eine dritte zeit-

––– 90 ––– Frei sind wir schon ––– Jan Verwoert liche Ebene ist dabei immer bereits durch die ideoologische Penetranz, die gerade diejeni- Studierenden gegeben. Denn ihre Kunst ist die gen auszeichnet, die auf Teufel komm raus die der Zukunft. So existieren verschiedene Ver- Zeit um die gerade vergangenen zehn Jahre zu- gangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte in rückdrehen wollen. Die Penetranz der gerade der Akademie auf engem Raum zusammen. noch Gegenwärtigen ist dabei aber fast von Im besten Fall macht genau diese gleichzeitige derselben Qualität wie die Arroganz der Zu- Präsenz unterschiedlicher zeitlicher Erfah- künftigen. Akademien, die so bruchlos an die rungshorizonte von Kunst den Reichtum einer internationale Zirkulation des Ausstellungs- Akademie aus. Im schlechtesten Fall dagegen betriebs angeschlossen sind, dass sich in ih- führt diese Asynchronizität zu Machtkämp- nen keine Reservoirs von unzeitgemäßer Pra- fen zwischen den Generationen und Charakte- xis und unnützer Vergangenheitserfahrung ren um die Führungsposition an der Akademie. mehr bilden, werden meist auf unangenehm- Man kann sich leicht eine ganze Reihe von ste Weise zum reinen Karrieresprungbrett. Horrorszenarien für den Ausgang dieser Mitgenommen wird von der Akademie hier in Machtkämpfe ausmalen: Gewinnen die ewig der Regel nur noch so viel, wie im Moment des Gestrigen, versetzen sie die Akademie in eine Absprungs in die Zukunft von Nutzen sein Art künstliches oder künstlerisches Koma, in könnte. Und das sind in der Regel keine Erfah- dem die Infragestellung der Kunstbegriffe rungen, sondern Kontakte und Passwörter für und Künstlerrollen dieser Generation da- den eilfertigen Einstieg ins Vernetzungsspiel. durch unterbunden wird, dass der gesamte Be- Akademie kann nur da stattfinden, wo trieb in der Zeit eingefroren wird (zum Bei- ihre innere Asynchronizität zur Entfaltung spiel, weil alle ehrfurchtsvoll auf den großen kommt. Wenn der provokative Austausch zwi- Patriarchen blicken und in Gegenwart seiner schen verschiedenen Generationen und Cha- Eminenz regungslos verharren). Gewinnen rakteren die Bedingung dafür ist, dass die die Vertreter der Gegenwart, dann wirkt der Akademie künstlerische Erfahrung produ- Akademiebetrieb in der Regel zunächst fort- zieren kann, dann müssen die Punkte, an de- schrittlich emanzipiert. Das Risiko, dass auch nen die Provokationen stattfinden können, er- die Zeitgenossen nur ihre Erfahrung zur Dok- halten und nach Möglichkeit noch multipli- trin erheben und die Studierenden auf diese ziert werden. Die Qualität einer Akademie Doktrin einschwören, ist dabei nicht minder wäre dann daran zu bemessen, wie viel rela- groß. Wenn sich dann in der Kunst der zukünf- tive Unzeitgemäßheit sie in ihrem Inneren tigen Abgänger der Kunstbegriff der gerade aushalten kann. Aushalten ist dabei fast wört- noch gegenwärtigen reproduziert, ist die Er- lich zu verstehen. Denn oft genug ergibt sich fahrung, dass diese Gegenwart just vergangen eine provokative Asynchronizität in der Aka- ist und das Jetzt haarscharf verpasst wurde, demie gerade dadurch, dass sie Charaktere umso schmerzhafter für die, die in der Gegen- weiterhin finanziell aushält und beschäftigt, wart, die ihre Zukunft hätte sein können, nicht deren Kompetenzen, vom Standpunkt aktu- mehr ankommen, weil sie auf die Glaubenssät- eller künstlerischer Entwicklungen betrach- ze der jüngsten Vergangenheit eingeschworen tet, so unzeitgemäß wirken, dass ihre Existenz sind. Dabei geht es weniger um die Gefahr des an der Akademie nicht mehr gerechtfertigt er- Misserfolgs (denn die Strukturen, die die scheint. Leiter von Druckwerkstätten sind ein Kunst der jüngsten Vergangenheit geschaffen klassisches Beispiel. Wenn nur noch selten ein hat, sichern in der Regel auch noch die Karri- paar Studierende ihre Kompetenz beanspru- eren mancher Nachzügler, um sich selbst zu chen, kann das in gegenwartsorientierten reproduzieren), sondern vielmehr um die Schulen leicht zur Entscheidung führen, die

––– 91 ––– Werkstatt zu schließen. Was auf diese Weise könnte als so, wie es eben gerade ist. Die Aka- unwiderruflich verloren geht, ist der Sinn für demie ist sicher nicht der einzige Ort, an dem das Potenzial von Latenzen. Fertigkeiten und sich Potenziale dadurch bilden können, dass Erfahrungen, die aktuell nicht abgerufen wer- man zwischen den Zeiten hin und her wech- den, verlieren ihren Wert nicht deswegen, weil selt (jeder künstlerische und intellektuelle ihr Wert nicht in den aktuell etablierten Kate- Arbeitsplatz sollte so ein Ort sein), aber sie ist gorien bemessen werden kann. Die Kritik und ein Ort, wo man die Praxis dieses Zeitenwech- Korrektur dieser aktuellen Kategorien ist in selns lernen kann, weil es in ihr meist mehr Zukunft vielmehr überhaupt nur durch die als nur eine Zeit gibt. neue Aktivierung oder neue Interpretation Vielleicht ließe sich das, was üblicherweise der Erfahrung möglich, die gegenwärtig als als Kompetenz verstanden wird, ganz allge- reine Latenz (in irgend einem Keller) existiert. mein als das Potenzial gewisser unausge- (Wie lange hat niemand mehr Aristoteles ge- schöpfter oder sogar unausschöpflicher Laten- lesen außer ein paar versprengten Intellektu- zen neu begreifen. In ihrem Beitrag zur er- ellen im Nahen Osten, bevor die Bombe dann wähnten Konferenz in Antwerpen machte neu explodiert ist und die Renaissance hervor- Mary Kelly in diesem Sinne deutlich, dass die gebracht hat?) Die Akademie sollte dafür offen Erfahrung, die für sie als Vertreterin einer Ge- sein, dass niemand sagen kann, auf welche neration von Konzeptkünstlern der sechziger Vergangenheit Kunst sich in Zukunft bezieht, Jahre weiterhin der Ausgangspunkt ihrer und dementsprechend Latenzen als solche be- Praxis als Künstlerin und Lehrende darstellt, stehen lassen. die Erfahrung ist, immer noch nicht klar sa- Der Versuch, die Akademie, wie Irit Rogoff gen zu können, was die Ereignisse des Mai 68 fordert, zu einem Ort der Potenzialität zu ma- genau bedeuten.5 Die Erfahrung, die sie an die chen 4, könnte genau von dieser Einsicht in Akademie mitbringt, ist also im Prinzip die die Asynchronizität und Latenz künstle- Erfahrung eines Ereignisses mit einschnei- rischer Erfahrung ausgehen. Potenzialität er- dender Wirkung, aber weiterhin ungeklärter schöpft sich dort, wo alle nur noch mit dersel- Bedeutung. Man könnte auch sagen, es ist die ben Geschwindigkeit arbeiten. Das ist im Aus- Erfahrung einer offenen Frage und die Erfah- stellungsbetrieb deutlich zu erfahren. Je hö- rung einer Latenz, insofern das einschnei- her die Taktfrequenz ist, der alle in ihrer dende Ereignis, dessen Geist jemand wie sie an Arbeit folgen, um so eher führt das zu einer einer Akademie vermitteln kann, in seiner Be- Situation, wo alle nur noch gerade so, fristge- deutung eben immer latent ungeklärt bleibt recht und just in time, das abliefern, was sie und gerade dadurch weitere Klärungsversu- unmittelbar von ihren Potenzialen abrufen che in der Generation, die es erlebt hat, genau- können. Man spielt dann solange sein Reper- so wie in allen nachfolgenden Generationen toire, bis nichts mehr kommt. Denn wenn man provozieren kann. Die Erfahrung einer Gene- dem Rhythmus des ständigen Zwangs zur Ak- ration in diesem Sinne als Latenz wahrzuneh- tualität und zur Aktualisierung aller Fähig- men, beinhaltet zugleich eine Absage an die keiten folgt, regenerieren sich die Potenziale Einstellung derjenigen, die das, was sie für die nicht, aus denen man schöpft. Das tun sie nur, Erfahrung ihrer Generation halten, behan- wenn man für Momente aus der Zeit heraus- deln wie ihr einziges Kapital und gegen die In- fällt und einen anderen Ort bezieht, von dem terpretationsversuche der folgenden Generatio- aus das, was hier und jetzt den Takt angibt, als nen verteidigen wie einen unteilbaren Besitz. etwas erfahren werden kann, was Wider- In der Fortsetzung der Konferenz in Eind- spruch provoziert und auch anders sein hoven argumentierte die feministische Theo-

––– 92 ––– Frei sind wir schon ––– Jan Verwoert retikerin Rosi Braidotti, dass an dieser Geste der Akademie wesentlich betrifft, ist das Pro- des Festhaltens am Kapital der eigenen Erfah- blem der Verschuldung. Bei einem Symposi- rung zur Zeit nicht der Generationenvertrag um zum Thema Akademie, das Frances Stark scheitere, und zwar nicht nur an Bildungsein- und Stuart Bailey an der USC in Los Angeles richtungen, sondern auch in der Gesellschaft veranstalteten6, machten zum Beispiel eine im Allgemeinen. Sie wies darauf hin, dass die Reihe der teilnehmenden Studierenden klar, Erfahrung, die unsere Gesellschaft derzeit als dass ein zentrales Anliegen für sie die Sorge Wert begreift, die Erfahrung der einschnei- um die Schulden sei, die sie im Zuge des Studi- denden Ereignisse der Jugend ist. Weil dies die ums zu machen gezwungen sind, und dass sie einzig verfügbare Rechtfertigungsgrundlage deshalb von dem Studium innerlich eine ge- für die Behauptung der eigenen Erfahrung als wisse Garantie dafür erwarten, dass sie sich Erfahrung von Wert ist, erheben auch die äl- nach dessen Abschluss als Künstler werden fi- teren Generationen unablässig Anspruch auf nanzieren können (auch wenn sie wissen, dass das vermeintliche Vorrecht der Jugend, im es eine solche Garantie nicht gibt). Für Ameri- Herzen des Ereignisses zu leben. Das Ergebnis ka mag dies bezeichnend sein. Aber letztlich ist eine Gesellschaft, die nicht altern kann und kommt man nicht nur in Ländern, wo hohe den nachrückenden Generationen den Raum Studiengebühren die Norm sind, als Studie- nicht wirklich geben mag, der dadurch zustan- render kaum darum herum, Schulden zu ma- de kommen könnte, dass die vorhergehende chen, wenn nicht im Studium, dann spätes- Generationen ihren Anspruch auf die Legiti- tens in den Jahren unmittelbar danach, wenn mation durch die Jetztzeit aufgibt. Ob das Zu- man eine eigene Praxis auf die Beine zu stellen rücktreten der älteren Generation die Ant- versucht. Selbst wenn der eine oder andere da- wort auf dieses Problem ist, oder ob dies nicht bei ein Stipendium oder andere Unterstützung auch nur einer Kapitulation vor der Ideologie bekommt, quält doch die meisten das Gefühl, des Jetztzeit-Rhythmus als einzig gültiger nach Ende des Studiums eine offene Rechnung Taktfrequenz gleichkommt, sei dahingestellt. begleichen zu müssen. Schulden haben es an Ein alternativer Generationenvertrag, der an sich, dass sie sich nicht auf die finanzielle Di- der Akademie modellhaft für die gesellschaft- mension beschränken. Wer Schulden auf- liche Situation geschlossen werden könnte, nimmt oder Unterstützung annimmt, ver- wäre vielleicht eher einer, der der Asynchro- pflichtet sich dabei unweigerlich symbolisch nizität des Zusammenlebens der Generati- der Institution oder Person, bei der er sich ver- onen dadurch Rechnung trägt, dass er diesem schuldet. Es ist in diesem Sinne bezeichnend, Zusammenleben keinen einheitlichen Takt dass in einem Land mit privaten Hochschulen vorgibt. Das wäre ein Vertrag, der nicht denje- und Studiengebühren (wie den USA) die pri- nigen pauschal bevorteilt, der schnell genug vate Verschuldung zu einer Karriere auf dem ist, sich die Jetztzeit anzueignen, sondern der Markt verpflichtet. In einem Land mit öffent- vielmehr die Latenzen, die sich aus der Unfä- lichen Hochschulen und breiter staatlicher higkeit aller Generationen ergeben, das Jetzt Unterstützung (wie zum Beispiel Schweden) je gänzlich für sich zu beanspruchen (denn der ist es genauso wenig ein Zufall, dass sich Aka- Einfluss der anderen ist nie ganz zu leugnen), demieabgänger dem Gemeinwesen verpflich- als ein Potenzial von Wert anerkennt. tet fühlen und sozial engagierte Kunst dem- entsprechend hoch im Kurs steht. 4. Zum Schluss: Die Schulden Diese symbolische Schuld betrifft aber Ein Thema, das nicht unerwähnt bleiben nicht nur die Studierenden, sondern ebenso kann, weil es die Frage des guten Lebens an auch die Lehrenden. Wenn ich als Lehrender

––– 93 ––– die Studierenden darin unterstütze, an ihre mag sich der Protegist zwar vielleicht eine Kunst zu glauben, formuliere ich damit Weile in seiner eingebildeten Großzügigkeit zwangsläufig immer auch das Versprechen, sonnen, letztlich bereinigt sich das Verhältnis dass ein gutes Leben mit dieser Kunstpraxis zum Protegé dabei jedoch ganz und gar nicht, nach der Akademie möglich sein sollte. Gera- weil dieser nun umso tiefer dem Gönner ge- de wenn ich versuche, als Lehrender für den genüber in einer Schuld steht, die er so schnell Wert einer komplexen Praxis einzutreten, die nicht wird begleichen können. sich nicht affirmativ zu den vorherrschenden Die Situation derart aussichtslos darzu- Bedingungen auf dem Markt verhält, tue ich stellen, bedeutet aber im Prinzip, bereits den das irgendwo auch stets mit dem leichten Un- paranoiden Standpunkt gewählt zu haben, behagen, dass ich niemandem eine Existenz von dem aus sich Zwänge immer als unabän- garantieren kann, die unabhängig von die- derlich darstellen. Behält man sich vor, das sem Markt Bestand hätte. Dieses Gefühl be- Problem der Verschuldung mit einem gewis- schleicht einen besonders bei Graduierungs- sen Humor anzugehen (und Humor bedeutet feiern, wenn man spürt, dass alles, was man hier, mit Dingen, die man erstmal nicht än- vielleicht vermittelt hat, nur dann seine letzte dern kann, dennoch frei umzugehen), dann Berechtigung erhalten würde, wenn man gelangt man vielleicht zu einer anderen Be- jetzt in der Lage dazu wäre, den Abgängern wertung dieser Schuld. Wenn sich also her- die Garantie auf ein besseres Leben zu geben, ausstellt, dass man nach der Akademie so die sie mit Fug und Recht erwarten können. oder so in der Schuld von jemandem steht und Weil das nicht geht, bleibt man als Lehrender diese Schuld nie vollständig begleichen kann, den Studierenden immer etwas schuldig. dann wäre zu überlegen, ob es nicht vielmehr Wie soll man mit dieser Verschuldung um- überhaupt in der Natur künstlerischer und in- gehen? Die nächstliegende Reaktion ist der tellektueller Praxis liegt, irgendjemand stets Versuch, die Schuld umgehend zu begleichen. etwas schuldig zu bleiben. Würde irgendwer In der Kunst zeigt sich das in dem Bestreben, noch Kunst machen oder eine Idee formulie- sofort nach Ende des Studiums (am besten ren, wenn er nicht das Gefühl hätte, er sei das noch bei der Abschlussausstellung) ein Pro- sich selbst und denen, an die sich die Arbeit dukt auf den Markt werfen zu können, mit richtet, schuldig? In gewisser Weise ließe sich dem man bei einer Galerie landet – oder ein so das Gefühl, sich und anderen immer etwas Projekt zu starten, das allen Anforderungen schuldig zu bleiben, positiv (und nicht bloß des Gemeinwesens mustergültig entspricht. protestantisch) als eine Antriebskraft verste- Lehrende schwingen sich in diesem Moment hen, ohne die kaum etwas entstehen würde. unter Umständen zu Protegisten auf, um ihre Für den Umgang mit finanziellen Schulden symbolische Schuld dadurch zu begleichen, ist dieser Vorschlag nicht besonders hilfreich. dass sie ihren Einfluss zugunsten ihrer Pro- Hier hilft vermutlich nur, immer zu wieder- tegés einzusetzen versuchen. In allen diesen holen, dass Kunst ihren Preis haben soll und Fällen ist es jedoch unwahrscheinlich, dass Autoren/innen besser bezahlt werden müs- das übereilte Handeln zum angestrebten Er- sen. Für den Umgang mit der symbolischen folg führt. Wer sich allzu eilfertig auf die be- Schuld, die das Leben nach der Akademie im- stehenden Ökonomien der Galerien und Pro- mer irgendwie mitbestimmt, ist er aber viel- jektkultur einlässt, riskiert dabei, sich nun- leicht von Bedeutung. Die Antwort auf die wiederum in die Schuld derjenigen zu bege- Frage „Wem schulde ich etwas?” entscheidet ben, die ihm Eintritt zu diesen Ökonomien dann nämlich über die Richtung, die ich mei- verschaffen. Was das Protegieren angeht, ner Praxis gebe. Wenn die Antwort auf diese

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Frage „dem Markt und der Institution” ist, dann steuere ich geradewegs auf eine symbo- lische Abhängigkeit von diesen Instanzen zu. Mir scheint die für ein gutes Leben geeig- netere Antwort zu sein: „Mir selbst, meinen Freunden, der Kunst und allen, die das betref- fen könnte, was ich tue.” Auch wenn ich mich dann auf das Feld des Marktes und der Insti- tutionen begebe, tue ich es letztlich mit einer anderen Einstellung. Das Aufzeigen der Mög- lichkeit eines befreienden Umgangs mit dem Gefühl, dass wir uns in der Kunst alle etwas schuldig bleiben, wäre somit vielleicht eine Verabschiedungsgeste, mit der eine Akade- mie dem Auftrag gerecht werden könnte, die Produktionsmittel für die Gestaltung eines guten Lebens zurückzugewinnen.

––––––– 1) Das Symposium fand am 14. September 2006 im Rahmen des Ausstellungsprojekts A.C.A.D.E.M.Y. am Museum van Hedendaagse Kunst in Antwerpen statt und wurde am 15. Sep- tember am Van AbbeMuseum in Eindhoven fortgesetzt. 2) Michael Hardt & Antonio Negri: Empire. Harvard Univer- sity Press, Cambridge, Massachusetts und London, England, 2000. Das Argument bezüglich der Konzentration der postmo- dernen Form des Kapitalismus („Empire”) auf die Ausbeutung des Lebens durchzieht das gesamte Buch und wird bereits auf dessen ersten Seiten ausformuliert, zum Beispiel: „In the post- modernization of the global economy, the creation of wealth tends even more toward what we will call biopolitical production of life itself (…)” (Ebend., S. xiii) oder „(..) the rule of Empire ope- rates on all registers of the social order extending down to the depths of the social world. Empire not only manages a territory and a population but also creates the very world it inhabits. It not only regulates human interactions but also seeks to directly rule over human nature. The object of its rule is social life in its entirety, and thus Empire presents the paradigmatic form of biopower.” (Ebend., S. xv). 3) Siehe hierzu den Beitrag von Anjalika Sagar und Kodwo Eshun zu der Roundtable-Diskussion in Bojan Sarcevic: To what extent should an artist understand the implications of his or her findings? Snoeck Verlag, Köln 2006, S. 27f. 4) Irit Rogoff: Academy as Potentiality. In A.C.A.D.E.M.Y, Revolver Verlag, FaM Frankfurt a.M. 2006, S.13-20. 5) Angaben zum Symposium siehe Fussnote 1. 6) Dieses Symposium fand am 27. Januar 2007 an der Roski School of Fine Arts, USC, Los Angeles statt.

––– 95 ––– Free? We Are Already Free. What We Need Now is a Better Life _ Jan Verwoert

On the possible value of what happens at the academy

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1. Speaking about the academy and ideologies clash and anything that is said will not about education and the institution come to smack of ideology. If one trusts this Why speak about the academy? The political discomfort, the question then is: how can one system says, because “the value of education” speak about the academy and about the value is at stake. But what is that, education? From of what happens at the academy without speak- an economic perspective, education is today a ing ideologically, that is to say, without getting hot commodity. Education is capital. Capital lost in a debate that consists, in the end, of pure must keep circulating. Hence the so-called Bo- cant? The task is, then, to find different words, logna accords. The accords aim to introduce and words that permit an articulation of inter- unified standards for evaluating the educa- ests, concerns, wishes, and feelings regarding tion at institutions of higher education all over what happens at the academy in precisely the Europe. There is an economic purpose to this: way one wishes to speak about them, and not in order for education as a commodity to cir- in the way predetermined by the ideological culate, measures must be taken to ensure that language of the economic discourse about the its value is calculated everywhere according value of education. to the same pay scale. Students everywhere It is characteristic of ideological speech receive the same credit points, and schools that it always tacitly presupposes that its own and teachers are evaluated and evaluate each legitimacy is self-evident. Consequently, the other. A closed system of evaluation results, attempt to speak non-ideologically must begin an economy that produces and reproduces its with an explicit inquiry into the legitimacy of own concept of value. This is the value of edu- one’s own speech. Hence, once more, the ini- cation at the moment of its comprehensive sub- tial question: why speak about the academy? jection to economic terms. Is it really worth The institution of the academy says: because getting into this discussion over the value of the future existence of the academy as an insti- education? In one way, doing so seems almost tution is at stake (because if Bologna prevails, inevitable, for, hackneyed as the phrase may the academy will be annexed, by virtue of the sound, the “future of education” is evidently system of credit points and Master and Bach- really at issue, and so the individual future of elor degrees, to the bureaucratic apparatus of anyone who has to do in any way with institu- the universities, losing its relative autonomy). tions of higher education, who teaches or stud- Certainly, but why is it a self-evident goal that ies at them, is quite existentially at stake. And the academy continues to exist? Is not, in the yet a sense of discomfort remains. How is one end, the utopian perspective according to to speak about the value of education? How can which the only really good future would be one one object to the tendency to calculate the val- in which all institutions will have become su- ue of education in economic terms? By inton- perfluous, the only standpoint from which to ing once more the lofty song of the value of develop truly fruitful ideas? Why should an education for the formation of human values? individual at all advocate the continued exis- But then again, what is that—human values? tence of an institution? Do not institutions en- So the sense of discomfort about the way in sure their own continued existence anyway, which the discussion over the future and the by power of their own (Kafkaesque) mecha- value of education is conducted is perhaps a nisms and rituals? And something else: who- consequence of the fact that one will here in- ever takes a stand for an institution speaks not evitably and incessantly operate with nebu- only for it but in general also in its name. What lous notions of value, and get further and fur- does it mean to speak in the name of an insti- ther entangled in a debate in which different tution? Who can do that? Do not only those

––– 97 ––– who have (direct) or are (embody) an institu- the academy.1 But it opens up a fundamental tion really have the mandate to speak in its perspective: Negri and Hardt write in Empire name? And do not all those who speak in the that the new global order of power and eco- name of an institution direct their speech ex- nomic relations taps into social life because clusively to those who, again, just like they the service and culture industries exploit pre- themselves, have or are an institution? And if cisely those abilities that constitute social the institutionals thus speak among each oth- life—the abilities to communicate and to es- er, what is it to the rest of humanity? tablish interpersonal relations—as produc- The attempt to avoid speaking ideological- tive forces.2 Negri and Hardt go on to put in ly of the value of what happens at the academy Marxist terms what Durham expresses in would therefore have to begin with the deci- those of hedonism: reconquering the means of sion not to speak of this value in the name of the production means today to reappropriate the institution as though that were self-evident, but freedom to shape the social life as a good life. instead to speak in the name of something Which value, then, can what happens at the else—an idea, a question, a person, a desire, or academy have for this politics of appropriat- anything that has nothing to do with the insti- ing the freedom of design with respect to the tution. So in whose name (in the name of what good life? or whom) is it worth speaking about the value The question of the good life arises in a sus- of what happens at the academy? It couldn’t be tained way at the academy because the latter education: the term is stale, and claimed by is—and perhaps, is primarily—a place of ideologies of all stripes. So we had better not problematic communal life. At the university, begin the discourse in the sign of the institu- you meet people for the duration of a seminar, tion and of education. But in whose sign, then, and then you part ways. At the academy, you and in whose name? have to endure, and learn to endure, being to- gether and next to one another in the same 2. The academy and the good life studio spaces for years. Nor would it be wrong, Why not speak about the academy in the name surely, to say that what is learnt at the acade- of the good life? If what happens at the acade- my, or rather, that through which one learns my is of any value, it would have to be of sig- at the academy, is precisely this mutual en- nificance with respect to the good life, and pre- durance. To learn to make art, then, means cisely not only for the institution or the econ- primarily to acquire the ability to live among omy. The good life fends off encroachments by other people who also make art or have to do the institution and by the economy. Both can with art. Whether you really want to make art be fundamentally questioned from the van- is in the end decisively a matter of whether tage point of the good life. The raison d’˘tre of you get the sense, over time, that you want to the institution and the economy is that they tell and show these other people something provide for a better life. If they don’t, they lose (in the positive sense, comparable to the way this legitimacy. Demanding a better life than you want to tell and show the people you hon- what the present social conditions have to of- or or love something, but also in the aggres- fer has always been the motor of revolt. At a sive sense, comparable to the way you tell symposium on the subject of the academy re- those with whose positions you strongly dis- cently held by Irit Rogoff, Jimmie Durham re- agree: “I’ll show you!”) or not. The question of called that two Italians had recently told him: the good life, then, arises at the academy in- “Free? We are already free. What we need now sofar as you have to come to a realization is a better life.” That was his only comment on there whether a good life in art—and that

––– 98 ––– Free? We are Already Free ––– Jan Verwoert means, a life continually shared with these Yet this problem arises not only in art. others in art—is possible for you, or whether Rather, it is the fundamental problem of mod- you might not in the end be more likely to find ern individualist culture as such. The roman- a good life with and around other people tic notion that the discovery and realization (which is, after all, entirely possible). of one’s own potentials is the precondition of This form of a communal life at the acade- a good life has become a general social norm. my is problematic for at least one fundamen- That is why the question as to the right way to tal reason: the classical idea of the good life in engage the feeling of their own potential art is that of the triumphant career of the uniqueness plagues people across all social highly gifted loner; it doesn’t even consider strata. What ought I to do if I have a vague the question as to the form of his or her coex- sense that I have something very special in- istence with others. The ritual of my accep- side me? That is the guiding question of indi- tance into the academy at first seems to con- vidualist culture. The same doubt is ex- firm this idea of the bliss of my uniqueness. pressed in it that has always haunted the ge- After all, I experience my acceptance as a de- nius, the doubt of the messiah in the wilder- lightful corroboration of my very particular ness: am I he? Am I really he? The biggest gift. This makes it only the more difficult to literary, TV, and movie blockbusters have cope with the fact that I am now, at the acad- been hawking precisely this motif for years, emy, surrounded by people just like me, and the motif of the insecurity of the gifted one what I supposed was my particular gift is sud- who senses that he is potentially—and that denly no longer anything special, since every- means also, but then potentially not—the cho- one here officially has it. How am I to get along sen one, and who furthermore does not know with these others if they all want to be what I what he ought to do in order to do justice to his myself want to be? They all seek precisely the potential calling. That is the theme of Harry recognition of their uniqueness on whose Potter and American Idol as much as of epic preservation my happiness, too, seems to de- movies such as Spiderman, Star Wars, X-Men, pend. And how many unique people can live or the Matrix. The selection of the chosen one together under one roof before they run out of always proceeds here under the sign of brutal space? You can tell yourself, or be told, as of- competition or of heroic violence. If he en- ten as you like that the idea of the unique gift dures the latter, his status is confirmed. He is is based on a centuries-old myth about the art- truly the one. ist that ought to be abolished. It’s no use, for Yet merely making fun of this situation the experience of competition is real, and it is would be too simple. For hardly anyone will painful. And even if the myth of genius today be able to simply ignore the unsettling sense rings hollow, the real experience remains of of his or her own potential singularity. This one’s own potential as something singular, sense is today, paradoxically enough, the one and this experience urges to be expressed and experience we all share in one way or another, acknowledged. The myth transfigures this and hence perhaps represents the primary so- experience; but merely rejecting this trans- cial experience. Yet the point where the mat- figuration is not by itself enough, for it pro- ter becomes unbearable, making a quest for vides no answer to the question how else and other solutions a necessity, is reached when it better to deal, and to live, with the experience turns out that our society acknowledges com- of the singularity of one’s own potential—and petition, a compulsive craving for recogni- with the fact that all others also have this ex- tion, and hence, in the end, social violence as perience. the only form left for singularity to achieve

––– 99 ––– validation. And that is disgusting; not least gular. The good thing about the academy is because the system of competition denies the that it has ways and means of engaging this social potential of the experience of singular- uncertainty and trying out alternative forms ity, and denies it doubly. The social potential of dealing with this shared sense. After all, we of this experience lies in the fact that we all have the time. Indeed, the academy is perhaps have it, in one way or another, and that a com- one of the few remaining social spaces where munity of those who are joined by the sense one has the time at all to engage the question: that they are unique is thus entirely conceiv- what does my dream have to do with that of able. Yet the system of competition denies pre- the others? How does my desire for recogni- cisely this universal dimension and the so- tion of my potential singularity relate to the cially connective quality of the shared sense same desire, for the same recognition, felt by of uniqueness, as it renders anyone who sens- those around me? To what extent can this re- es himself to be unique in a way similar to lation be conceived as a social relation, and as mine an adversary with whom I wish to have a basis for possible social interrelations? And nothing in common, although, and precisely what, then, might these interrelations look because, we are potential members of the like? Outside of the spaces symbolically pro- same community of unique ones. This denial tected as sites of education, little time is often of the social dimension of singularity is itself left for such questions, as everyone already elevated into a social principle in universal encounters everyone else, as a matter of competition, rendering it a double denial. We course, in the role of the competitor the mar- thus acknowledge neither that we all dream ket imposes upon them. the same dream nor that we all withhold from Of course, the pressure of market competi- ourselves, and in the same way, the confes- tion extends into the academy (and it is part sion that it is the same dream. We even deny of the Bologna process to increase this pres- the fact that we all participate in and contrib- sure). Still, the decisive difference resides in ute to the same system of denial. If we were to the fact that the market exists, inside the confess collectively that we are all playing the academy, primarily in the heads, as an imag- same little game, we might also collectively ination of life afterwards or as the fantasy of grant ourselves permission to play a different the gallery owner who appears during the ex- one. hibition of the graduating students’ work as The central question, therefore, is whether the chooser of the chosen. In a certain way, the the academy can be a place where the univer- art market is even never anything but that: a sally shared sense of one’s own potential sin- collective fantasy in the heads of people who gularity can find an expression significantly engender the market value of art by believing different from the one permitted by the pre- in the value of the market and investing in dominant ideology. But why the academy of this value. Of course, this creates capital, and all places? Primarily simply because the everyone needs money to live on. The ques- academy is the place where the fact that we all tion, however, is whether one should do the dream the same dream of our singularity be- market the favor of believing in its value; or comes so perfectly evident, and is so univer- whether the insight that this value is first and sally tangible, that it would be truly idiotic to foremost imaginary should not be a motiva- persist in its denial. The academy is a site of tion to establish an inner distance from the crystallization for the insecurity pervading market and to imagine the value of art in cat- an entire society in dealing with the experi- egories different from those of the competi- ence that I and everyone else feel equally sin- tion the market imposes. The academy offers

––– 100 ––– Free? We are Already Free ––– Jan Verwoert the opportunity to do so. Since the fantasy of the singular potential of others. Rather, it the market is here not yet entirely rooted in aims to avoid offering such recognition. That the institution, and since the economic real- is why potential singularity in a civilized en- ity principle is here not yet entirely in control, vironment can often assert itself only through the academy can be a place to develop other the equally unspecific violation of the general reality principles and other fantasies. protocol (for instance, in an aimless drunken The realization of these fantasies need not rampage). A form of engagement in which sin- remain constrained to the sanctuary of the gularity would meet with adequate recogni- academy. For instance, the circles of friends tion would thus have to be one in which it is that form at academies and later potentially not merely tolerated but purposefully pro- expand further and further are not the worst voked. The well-aimed provocation is per- surety for a long-term assertion of other forms haps in general one of the best ways to get oth- of mutual engagement. Of course, they cannot ers to actualize their potentials by teasing guarantee material self-sufficiency, but at them out of their reserve. Ideally, this form of least they provide one with a certain inner au- provocation—among friends as much as in a tonomy to the extent that they keep the feeling seminar or during a studio conversation—of- alive that the value of one’s own work does not fers others exactly the stage they need to man- depend on the moment’s favor of the market ifest their singularity. Instead of an unspecif- but is capable of being founded on an ongoing ic ethic, then, the practical ethos of a provoca- engagement with—and the appreciation of— tive community would be the principle that these others, irrespective of the market. This might ground a good communal life of recog- would be one conception of a good life that can nized singularities at the academy. result from communal life at the academy and Now, it is difficult to speak of provocative that simultaneously represents a way, in Dur- communities without talking about the heri- ham’s or Negri and Hardt’s sense, of refusing tage of the Bohe`me. The idea of Bohemianism to let the powers that be dictate the conditions is perhaps one of the most influential models of one’s own social existence; and of collective- for the ethos of the provocative community. ly appropriating instead the means and pos- Certainly, this idea—just like that of the ge- sibilities to shape these conditions for one- nius—is part of a myth of the artist that is no self. longer the freshest and visibly crumbles (be- Associating the good life with a politics of cause today's new bourgeois, too, skillfully friendship, however, need not imply that the stage themselves as Bohemians in order to forms of communal life that might develop at cover up the banality of their own lifestyle, the academy as an alternative to competition focused on possessions). Nonetheless, the are necessarily harmonious. More generally, idea continues to express an experience that the point here is not to demand a general eth- has not lost its significance for the question of ic of mutual engagement. What makes any the good life in art. This is, for one, the sense such ethic—be it the program of Social-Demo- for the theatricality of those forms of social in- cratic correctness or the small-talk code of tercourse that permit singularity to manifest noncommittal niceness—somehow dissatis- itself. What I mean is the intuitive under- fying is its lack of specificity. You learn to en- standing of how I strike a pose in order to com- gage unspecifically any person in reasonably municate my potential singularity and, by civilized social intercourse as you would any the same token, provoke others to strike poses other person. Yet this form of engagement in turn in order to confront my assertion with does precisely not contain any recognition of the potential of their singularity. The Bohe-

––– 101 ––– mianist pose thus becomes a medium for the the ecstasies of singularity. Experience has it provocation and articulation of singularity. that good parties are those where everyone Since the pose attains its relative validity on- exposes himself in space in one way or anoth- ly at the moment when I strike it in front of er, but in such a fashion that each pose creates others, since it must therefore be redevel- a platform for everyone else, and the entire oped, at least in principle, out of each given evening is borne along on a certain exuberant situation (for a pose routinely struck is hard- humor of improvised self-presentation. In ly a convincing pose), striking poses becomes, such situations, coexistence at the academy in the ideal case, a practice of ongoing impro- appears, for moments, easily feasible, because visation in reaction to others. The Bohe`me, everyone demonstrates to everyone else si- then, would be a culture of mutual provoca- multaneously the relentless intensity of their tions between fleeting attempts at embodying desire to be singular and its absurdity. This singularity. sort of carnival celebrates the insight that all With respect to the good life, the good participants are equally banal in their wishes Bohe`me differs from the bad one perhaps pre- and at the same time, by celebrating this in- cisely in that the good one involves humor, sight, makes everyone’s wish come true, be- and the pose is truly cultivated and celebrated cause all poses and masks are singular for the as a means of social exchange, while in the space of one evening. Bad parties lack this bad one everyone attempts to assert his own carnivalesque streak. Here, too, all become pose, with great seriousness, as the only au- equals, but only because all drink in equal thentic one against those of the others. This amounts and thus collectively enter a state in humor, which implies an intuitive awareness which the presence of the others is made tol- of how I use my poses to set up a stage on which erable only by the fact that no one, in this others can present themselves in an equally state, retains the ability to say something that singular fashion, is perhaps the principle of would assert a difference between those in an urbane attitude in general. A city teaches presence. Consequently, fraternal orders, you to let others live and to afford them space. which are traditionally formed at such par- Territorial behavior, by contrast, always ties, are usually ceasefire agreements in seems deeply provincial. Another experience which all parties agree on one artistic line expressed in the celebration of the pose is an and one style of self-presentation, whose sin- intuitive knowledge of the ecstatic character gularity they will collectively claim. As long of any embodiment of singularity. Ec-stasis as no one deviates from this line, everyone literally means ‘putting out of place.’ And in- can feel safe, free from fear that someone from deed, the function of the pose resides precise- their inner circle might question their con- ly in someone’s putting a claim on the table, a ception of themselves, provoking doubt. In provocation that puts out for anyone to see any case, the group insulates them against what might be at stake in this social situation. the provocations that the art and ideas of oth- In the good pose, it is not merely an ego that is ers might present. The price to pay for such exposed but equally the spirit of the moment; protection is that everyone keeps everyone the mood of the evening as much as the phi- else down. And that cannot possibly be a good losophy of those who have congregated. The life. bad social pose lacks this social intuition. It The academy is peculiar, then, in that the is arrested in obtuse self-reference. social import of the question of the good life The good Bohe`me thus differs from the bad can here be experienced in its problematic as- one further in that it knows how to celebrate pects: here, everyone stakes an undiminished

––– 102 ––– Free? We are Already Free ––– Jan Verwoert claim that their singularity be recognized, where characters from different generations, and so everyone constantly makes the painful and different characters from the same gen- experience that their claim is put in question eration, come together and have to get along by the claims of the others. The problem of a with each other. Traditionally, the contract communal life of singular characters thus be- that obtains between the generations is un- comes so starkly evident at the academy that derstood as an unambiguous agreement that closing one’s eyes to it, in the general fashion the younger will learn from the older genera- of the culture of an individualistic society, be- tion as the older one passes its knowledge on comes impossible. The situation at the acad- to the younger one. Within a generation, it is emy leaves hardly any choice. You are com- believed, comparative assessment of perfor- pelled to engage the issue. In the worst-case mance takes care of everything else. This un- scenario, such engagement proceeds along derstanding of the inter-generational con- the path prescribed by society, that of compe- tract is simultaneously the basis for the no- tition and selection, of strategic fraterniza- tion of the quantifiability of education repre- tion or noncommittal pleasantries. In the sented by the Bologna process. If the academy best-case scenario, by contrast, ways are truly functioned in a manner where there is found to engage in the conflict that results a clearly definable knowledge had by one par- from the undivided claims of everyone in ty and then received by another, which then such a way that singularity can emerge in the applies it as soon as possible (something re- provocative exchange between characters in- warded with points), higher education would stead of being pared for the market and social- really be a matter merely of supply and de- ly shackled by competition and fraterniza- mand. Yet knowledge of this kind does not ex- tion. That is then a question of practice and of ist in art. That is not to say that there is no the ethos or, and that is fundamentally the knowledge in art. But the notion is highly du- same thing, the humor of this practice. One’s bitable that this knowledge is held by one gen- own work as much as one’s own public appear- eration and then passes into ownership by the ance, including public poses, can then be the next generation. To think in this fashion media of a social exchange that provokes sin- means to have interiorized the principles of gularity. Humor, in this context, is the practi- capitalism to a degree where anything that cal ability to tolerate and enact the contradic- might be of social value is already perceived tion inherent in the fact that an undivided exclusively in categories of possession. How claim to singularity can find recognition only might one interpret the inter-generational in being shared, and hence divided up. The contract at the academy in terms other than practical inability to do so is expressed in par- those governed by capitalism? anoid states. With respect to the good life in One decisive step away from the categories art, the decisive choice, then, is really one be- of capital would be to stop conceiving of knowl- tween humor and paranoia. (It is a choice we edge as an object. An object of knowledge is constantly face, and not only at the academy.) always already halfway a commodity. It can It shouldn’t be a hard choice if you keep an eye be traded, like information. Because infor- on the aim: the good life. mation can be exchanged, it is, in the end, also interchangeable. Yet it seems to be the pecu- 3. The inter-generational contract liarity of artistic knowledge that it is not in at the academy this sense interchangeable. This knowledge Communal life at the academy is also a mat- is founded in experience, experience that is ter of the generations: the academy is a space gained by engaging the problems of art over a

––– 103 ––– period of time and in one’s particular way. sation, someone reacts to what I say, be it ver- Perhaps it would be therefore altogether pref- bally or in the form of something consequent- erable to speak of ‘experience’ in art instead ly emerging or being resolved in his work that of knowledge. Experience is inseparably might otherwise not have emerged or been re- bound up with the person that gains it. Expe- solved. Especially in the studio conversation, riences remain tied up with singularities. Ex- I am credible as a teacher only when I succeed perience is perhaps in general the concept in explaining myself, and not just some object. that serves best to render the potential of sin- That is to say, my criticism will appear cogent gularity tangible. Our potential of singulari- and helpful only when I can render the prem- ty, then, would reside, in art, in the experi- ises and criteria of my criticism plausible to ences we have gained and in those we may yet someone. I, too, usually realize what these gain. Of course, one can speak of experiences, premises are only when I am asked to explain too, in categories of possession: my experi- myself. Often enough, however, I also have the ence; your experience. The expert, for in- experience at this moment that my experi- stance, is the owner of his experience. Exper- ence is limited, as my criticism doesn’t hit the tise is experience as exclusive possession. mark, or that I have to rethink the premises That is why one acquires information from ex- of my stance, because I realize at the moment perts. But one rarely gains an experience from when I explain them in front of others (and in or with them that would truly further one’s reaction to their work or their questions) that engagement of the questions one is concerned they no longer appear credible. with in work and in life. That happens only Conversely, as a student I gain experience when I experience the meaning of something, precisely by permitting myself to be provoked or rather, when I experience the fact that by other persons, works, or experiences into something means something at all, or (and making decisions that I would probably not this is perhaps the same thing) when I experi- otherwise have made in the same way, and ence that something is possible and that I can which may lead me into beginning in yet an- do something that I had not previously consid- other way in order to rephrase something ered as a possibility, or had considered alto- that is important to me, and rephrase it in gether impossible. such a fashion that it incorporates the new ex- After all, the experience I gain at the acad- periences, or convinces the person who pro- emy is in principle the one of not truly know- vokes me, or even proves him wrong. Yet these ing the value and meaning of the intuitions may also be decisions that entail that I sud- and ideas I bring to it until I experience their denly upend things in areas where I felt sure value and their meaning by expressing them, of myself, and consequently raise everything at the academy, in mutual exchange with oth- to a new level. This happens not infrequently ers. That is to say, the value of that which, once precisely because someone else says some- it has been expressed, appears as though it thing about my work, expressing a discom- were knowledge, really comes into existence fort that I myself have been secretly feeling for only in this exchange. When I teach at an a while (the sense of moving in circles at a cer- academy, that means that I understand that I tain point) and that, in the best of cases, per- have a certain experience, on the basis of mits me to discard exactly that which has un- which I am potentially able to tell others some- til now prevented the further development of thing of meaning, something that is in some my work (often enough, after all, I move in way helpful, about art, only at the moment circles at the exact point where I obstinately when, in a seminar or during a studio conver- and desperately hold on to certain things pre-

––– 104 ––– Free? We are Already Free ––– Jan Verwoert cisely because even I myself have stopped be- ters spend together at the academy. Conclud- lieving in them, without being as yet able to ing a contract whose scope is this extended confess this fact to myself). A provocative re- period of time is not easy. For time, at the acad- mark can then have the effect of a liberating emy, does not pass according to a clearly de- joke that suddenly allows me to break the fined rhythm. In principle, each generation deadlock. and each character live for themselves and in Conspicuously, everything that has been their own time. This can be felt even within noted here from the perspective of the student one generation. Many experiment a great deal would equally well describe the teacher’s ex- and quickly arrive at results. For others, noth- perience, and vice versa. This leads me to con- ing works out for a long time, and it may take clude that the experience that is communicat- years until something is resolved for them. ed at the academy is indeed not a mere knowl- Many work incessantly and nonetheless feel edge that the older generation has and then dissatisfied. Other may produce only one passes on; but that this experience (and such work every few months, succinctly putting in knowledge as can be derived from it) instead a single gesture what someone else might comes into being only by virtue of the fact that have acquired only in laborious months. different characters and generations (cannot Time, then, passes for everyone at a different but) relate to each other at the academy. Expe- speed. Learning to endure that is at least as rience and knowledge, then, ought to be un- difficult as dealing with others’ claim that I derstood not as possessions and capital, but recognize their singularity. How am I to live primarily as social relations. And the mis- with the fact that the person working next to sion of the academy would be to produce expe- me is making rapid progress in his work riences by provoking illuminating relations. while I myself am stuck for the moment? Can The inter-generational contract at the acade- I deal with the fact that someone else never my would be concluded under entirely differ- does anything, but when he moves, he imme- ent auspices. It would no longer be based on diately takes the cake? the deceptive notion that there is here a trans- Here, again, the choice is really one be- fer in need of regulation, a transfer in which tween humor and paranoia. Paranoia propels knowledge, as a finishedproduct , moves from the quick ones into breathless work, and one owner to another; it would be based in- brings the slow ones to a standstill. Humor, by stead on the insight that the relation between contrast, makes a communal life conceivable the generations is itself the condition and the that would resemble an orchestra without a means of production of the experience that conductor, one in which everyone has their communicates itself at the academy. This new own timing and yet a concerted play emerges contract, then, would be not an agreement re- because everyone sooner or later reacts to ev- garding the circulation of a product, but an eryone else. In this context, Kodwo Eshun and open agreement on the form of a communal Anjalika Sagar have pointed out the impor- production of singular experiences. tant Fluxus experiments of Cornelius With its new form, the temporal horizon of Cardew’s Scratch Orchestra in the 60s,3 which the inter-generational contract changes fun- united musicians and performers from all ar- damentally. Its scope is no longer limited to eas in order to stage, for the duration of a con- the symbolic moment of capital transfer (the cert, actions in space that were not prescribed brief moment where knowledge crosses the by any unambiguous full score (nor necessar- sales counter). Instead, it refers to the entire ily involved the production of sounds) and yet time that different generations and charac- produced, through a collective immersion in-

––– 105 ––– to the concert’s time-space, something like an present win, operations at the academy will asynchronous synchronicity or a synchro- usually at first appear progressive and eman- nous asynchronicity. This conception of an cipated. Still, the risk is no less great that the orchestra seems exceptionally useful as a contemporaries will now elevate their experi- model for an immersion in communal life at ence into a doctrine, pledging the students to the academy. this doctrine. If, moreover, the art of the fu- The importance of such asynchronicity for ture graduates then reproduces the concep- communal life at the academy becomes the tions of those who are barely still contempo- more distinctly tangible when one turns to rary, the experience that this present has just the differences between the generations. Af- passed and the now has been missed by a ter all, the teachers’ practice is usually nour- hair’s breadth is the more painful for those ished by a particular experience that is bound who no longer arrive in the present that might up with the spirit of a specific historical mo- have been their future because they have ment in art: for instance, the experience of been pledged to the credos of the recent past. early 70s performance and conceptual art, or The problem is here less a risk of failure (for the experience of the 80s’ Junge Wilde, or the the structures created by the art of the recent experience of early 90s neo-conceptual insti- past generally also ensure the career of many tutional critique, and so on. Each of these ex- a latecomer in order to reproduce themselves) periences is associated with a different con- but rather the ideological obstinacy especial- ception of art. When younger teachers join ly characteristic of those who would, at what- the academy, the dynamics of the present also ever cost, turn back the clock by the ten years enters into its operations. And a third tempo- that have just passed. Yet the obstinacy of ral layer is always already given with the stu- those who are barely still contemporary is al- dents. For their art is that of the future. Dif- most equal in quality to the arrogance of ferent pasts, presents, and futures thus coex- those to whom the future belongs. Academies ist in a very crowded space at the academy. In that are so seamlessly integrated with the in- the best-case scenario, this very simultane- ternational circulation of the exhibition busi- ous presence of diverse temporal horizons of ness that they have stopped forming reser- artistic experience constitutes the richness of voirs of untimely practices and useless past an academy. In the worst-case scenario, by experiences usually become, in the most un- contrast, this asynchronicity leads to a pow- pleasant fashion, pure career springboards. er-struggle between the generations and be- Here, graduates generally take with them on- tween characters for the leadership at the ly as much as might be useful at the moment academy. of their launch into the future. And that tends It is easy to imagine a whole number of hor- to include not experiences but connections ror scenarios for the outcome of such power- and passwords for an industrious entry into struggles: if those who live in the past win, the networking game. they put the academy in a sort of artificial or An academy can happen only where its in- artistic coma in which the questioning of this ner asynchronicity is allowed to develop. If generation’s conceptions of art and of the art- the provocative exchange between genera- ist’s role is prevented by freezing the entire tions and characters is the precondition for operation in time (for instance, because ev- an academy to produce artistic experience, eryone stares reverently at the great patri- then the points where such provocation may arch, remaining motionless in the presence take place must be maintained and, if possi- of his Eminence). If the representatives of the ble, even multiplied. The quality of an acade-

––– 106 ––– Free? We are Already Free ––– Jan Verwoert my would then have to be measured by how immediately call upon. You then play your much relative inner untimeliness it can sus- repertoire up and down until you dry up. For tain. And sustenance must here be under- if you follow the rhythm imposed by the una- stood in an almost literal sense. For often bating compulsion to be current and to actu- enough, provocative asynchronicity at the alize all abilities, the potentials on which you academy is the result of its continued finan- draw do not regenerate. They do so only if you cial sustenance and employment of charac- drop out of time for moments, repairing to a ters whose competences appear, from the van- different place whence that which determines tage point of current artistic developments, so the pulse of the here and now can be experi- untimely that their existence at the academy enced as something that provokes contradic- seems no longer justified. The directors of tion, something that might be different from printing workshops are a classical example. what it happens to be right now. The academy When it has become a rare occurrence that a is certainly not the only place where poten- few students draw on their competences, tials can form as you move back and forth be- schools that are focused on the present can tween times (any artistic and intellectual easily be led to decide to close the workshop. workplace ought to be such a place), but it is a What is irrevocably lost in this way is the place where you can learn the practice of such sense for the potential inherent in latencies. moving between the times, because there ex- Skills and experiences that are not at present ists in it, in most cases, more than one time. being drawn on do not lose their value merely That which is usually understood to be because their value cannot be measured in ‘competence’ might perhaps be reconceived today’s established categories. Instead, a fu- quite generally as the potential of certain un- ture critique and correction of these current exhausted, or even inexhaustible, latencies. categories will even be possible only by virtue In her contribution to the abovementioned of the activation or reinterpretation of the ex- conference in Antwerp, Mary Kelly pointed perience that presently exists as pure latency out in this sense that the experience of still be- (in some basement). (For how long was it again ing unable to say quite clearly what the events that no one read Aristotle anymore except for of May ’68 exactly meant was the experience a few scattered intellectuals in the Middle that for her, as a representative of a generation East before the bomb exploded, giving rise to of conceptual artists from the 60s, continued the Renaissance?) The academy ought to be to be the point of departure of her practice as open to the fact that no one can tell to which an artist and a teacher.5 The experience she past art will refer in the future, and hence to brings to the academy is thus fundamentally permit latencies to continue to exist as such. that of an event of decisive importance but as The attempt to make the academy, as Irit yet unclarified meaning. You might also say Rogoff demands, a place of potentiality4 might that it is the experience of an open question begin precisely with this insight into the and that of a latency to the extent that the de- asynchronicity and latency of artistic experi- cisive event, the spirit of which someone like ence. Potentiality is exhausted where every- her can communicate at an academy, remains one has come to work at the same speed. This forever latently unclear, which precisely en- can be clearly seen in the exhibition business. ables it to provoke ever new attempts at clari- The faster the pulse everyone obeys in their fication both among the generation that expe- work, the sooner a situation will result in rienced it and among all the generations that which everyone barely—just in time—deliv- follow. To perceive the experience of a genera- ers whatever part of their potentials they can tion as a latency in this sense implies at the

––– 107 ––– same time a rejection of the attitude of those 4. And finally debt who treat what they believe to be the experi- One subject that must not be passed over in ence of their generation as their only capital, silence, because it is of essential importance defending it against the following genera- to the question of the good life at the academy, tions’ attempts at interpretation like an indi- is the problem of debt. During a symposium visible possession. on the subject of the academy organized by During the continuation of the conference, Frances Stark and Stuart Bailey at USC in in Eindhoven, the feminist theorist Rosi Los Angeles,6 a number of student partici- Braidotti argued that this gesture of holding pants thus stated that the debt they were on to the capital of one’s own experience was forced to go into for their studies were a cen- currently bringing the inter-generational tral cause of concern for them, and that they contract to grief, and not only at institutions therefore tacitly expected a certain guaran- of education but in society in general. She tee that their studies would enable them to pointed out that the experience of the decisive make a living as artists after graduating (even events of adolescence is currently the one ex- though they knew that there was no such perience our society sees as valuable. Because guarantee). This situation may be typical of this is the only available basis for an attempt the . But in the end, students in to legitimize the claim that one’s own experi- countries where high tuitions are not custom- ence is valuable, the older generations also in- ary are equally almost compelled to take out cessantly lay claim to the right, allegedly the debt, if not during their studies, then at the prerogative of youth, to live in the heart of the latest during the years immediately after event. A society results that cannot age and is graduation, when they attempt to establish very hesitant to afford rising new generations their own practice. Even if one or the other the space that might result from the preceding may receive a fellowship or other support, generations’ conceding their claim to legiti- most are plagued by the sense that there will mization by the now. Whether the abdication be a bill to pay after their studies. Debt has a of the older generations is the solution to this way of not being limited to the financial di- problem, or whether this, too, is tantamount mension. Someone who goes into debt or ac- to a surrender before the ideology that pres- cepts a stipend inevitably incurs a symbolic ents the rhythm of the now as the only valid obligation toward the institution or person pulse, is another matter. An alternative inter- who offers the credit. It is indicative in this generational contract that might be concluded context that in a country, such as the US, that at the academy as a model for the social situa- has private universities and tuitions, private tion at large might instead rather be one that debt obliges one to seek a career in the market. takes the asynchronicity of a communal life Nor is it incidental that academy graduates in among the generations into account by not a country such as Sweden with public univer- prescribing a unified pulse for this communi- sities and broad systems of public support feel ty. It is a contract that would not advantage, obliged to the community, and socially en- without regard for specific circumstances, gaged art enjoys a correspondingly high repu- those who are quick enough to appropriate the tation. now; but instead recognize the latencies that Yet such symbolic debt concerns not only result from the inability of any generation to students, but equally their teachers. If, as a lay claim at any time to the now (for the influ- teacher, I encourage my students to believe in ence of others can never be entirely denied) as their art, I inevitably also make the promise a valuable potential. that a good life supported by their art practice

––– 108 ––– Free? We are Already Free ––– Jan Verwoert ought to be possible after the academy. Espe- Yet painting the situation in such hopeless cially when I attempt, in my role as a teacher, colors fundamentally means already having to defend the value of a complex practice that chosen the paranoid vantage point, from does not take an affirmative stance toward which compulsions always appear to be ines- predominant market conditions, I do so in capable. If we reserve the right to address the some way also with the constant mild discom- problem of indebtedness with a certain hu- fort that I cannot guarantee anyone an exis- mor (and humor means here to engage freely tence that would be sustainable independent- with matters even though one cannot, for the ly of this market. This sense creeps over me time being, change them), we may perhaps ar- especially during graduation ceremonies, rive at a different assessment of this debt. If it when I feel that everything I may have com- turns out, then, that the academy will leave municated would be ultimately justified only anyone indebted in one way or another to if I were now able to offer the graduates a guar- someone, and that this debt will never be en- antee, which they have every right to expect, tirely settled, we would have to consider that there will be a better life. Because that whether it is not in fact part of the nature of cannot be, a teacher always retains a certain artistic and intellectual practices to remain debt toward his students. indebted to someone for something. Would How is one to deal with this indebtedness? anyone still make art or express an idea if we The reaction that suggests itself most imme- didn’t have the sense that we owe it to our- diately is the attempt to settle this debt on the selves and to those to whom the work is ad- spot. The symptom of this attempt in art is the dressed? In a certain way (and not only ac- effort to be able to push a product onto the cording to a Protestant work ethic), we might market immediately after graduation (if pos- thus interpret the sense that we remain for- sible even during the graduate exhibition) ever indebted to ourselves and to others posi- that will secure a spot with a gallery or the tively, as a motivating power without which launch of a project that conforms to the de- hardly anything would be made. mands of the community down to the last de- This proposal is hardly very helpful in tail. At this moment, teachers sometimes ap- dealing with financial obligations. The only point themselves as protectors, seeking to set- thing that probably helps in this regard is the tle their symbolic debt by using their influ- insistent repetition that art ought to have its ence in favor of their protégés. Yet it is price, and its authors need to be paid better. unlikely in all these cases that such precipi- Yet it may be of significance with respect to tate action leads to the desired success. Those the way we deal with the symbolic debt that, who, with all too great haste, immerse them- in one way or another, is always a determin- selves in the existing economies of the gallery ing factor of life after the academy. For my an- scene and of the project culture only risk in- swer to the question “To whom am I indebt- curring debt toward those who secure their ed?” then decides the direction my practice access into these economies. In the case of will take. If my answer to this question is “To protégé sponsorship, the protector may for a the market and to the institution,” I am head- while bask in his imaginary generosity, ed straight toward a symbolic dependence on which will yet in the end altogether fail to these powers. It seems to me that the answer clear the air between him and the protégé, as more congenial to a good life is “To myself, to the latter only slides deeper into a debt toward my friends, to art, and to all whom what I do his benefactor that he will be unable to settle may concern.” Even if I then enter the field of anytime soon. the market and of the institutions, I do it, in

––– 109 ––– Free? We are Already Free ––– Jan Verwoert the end, with a different attitude. Pointing out the possibility of a liberating engagement of the sense that we all remain indebted to each other in art would thus perhaps be a farewell gesture with which an academy might live up to its mission to regain the means of produc- tion that allow us to shape a good life.

––––––– 1) The symposium was held on September 14, 2006, on the occasion of the exhibition project A.C.A.D.E.M.Y. at the Museum van Hedendaagse Kunst, Antwerp, and continued on September 15 at the Van Abbemuseum, Eindhoven. 2) Michael Hardt & Antonio Negri: Empire. Harvard University Press, Cambridge, Mass. and London 2000. The argument regarding the focus of capitalism’s post-modern form (“Empire”) on the exploitation of life pervades the en- tire book, and is clearly stated in the first pages; for instance: “In the postmodernization of the global economy, the creation of wealth tends even more toward what we will call biopoliti- cal production of life itself (…)” (ibid., p. xiii); or “(…) the rule of Empire operates on all registers of the social order extending down to the depths of the social world. Empire not only manages a territory and a population but also creates the very world it inhabits. It not only regulates human interactions but also seeks to directly rule over human nature. The object of its rule is social life in its entirety, and thus Empire presents the paradigmatic form of biopower” (ibid., p. xv). 3) Compare Anjalika Sagar and Kodwo Eshun’s contribution to the roundtable discussion in Bojan Sarcevic: To what extent should an artist understand the implications of his or her findings? Snoeck, Cologne 2006, pp. 27-8. 4) Irit Rogoff: Academy as Potentiality. In A.C.A.D.E.M.Y, Revolver, Frankfurt/Main 2006, pp. 13-20. 5) See fn. 1 for information on this symposium. 6) The symposium was held at the Roski School of Fine Arts, USC, Los Angeles on January 27, 2007.

––– 110 ––– John Baldessari im Gespräch mit Studierenden _ Michael Eddy, Hanna Hildebrand, der Städelschule Sarah Ortmeyer und Jeronimo Voss

Gespräch

––– 111 ––– Michael Eddy: Beginnen wir unser Gespräch Voss: Bevor wir uns darüber unterhalten, doch mit zwei speziellen Ereignissen ihrer was heutzutage „langweilige Kunst” bedeu- Karriere: zum einem mit Ihrem Cremation tet, sollten wir uns vielleicht sinnvollerweise Project aus dem Jahr 1970, bei dem Sie Ihre erst mit der heutigen Position von Künstlern sämtlichen bis dahin geschaffenen Gemälde und Kunststudenten beschäftigen. Die Kunst- verbrannten, als dieser gesamte Werkkom- ausbildungssysteme in den Vereinigten Staa- plex also in gewisser Weise beseitigt wur- ten scheinen im Unterschied zu den europä- de; zum anderen im Jahre 1973, als Sie eine ischen viel akademischer, standardisierter, Lehrposition am Nova Scotia College of Art kommerzieller zu sein. So ist zum Beispiel für and Design in Halifax inne hatten und Ihre die meisten Kunstakademien in Deutschland Studierenden die Worte „I will not make any die allgemeine Einführung des Bachelor-/ more boring art” an die Galeriewände schrei- Master-Systems ebenso wenig relevant wie ben ließen. die Einführung von Studiengebühren. Diese Jeronimo Voss: Ist es richtig, dass die- Konzepte sind für die künstlerische Ausbil- ser Satz einerseits mit der Art des Text- und dung nicht geeignet. Welche Erfahrungen ha- Sprachgebrauchs in der damaligen Concep- ben Sie mit diesen akademischen Strukturen tual Art zu tun hatte … und auch mit Studiengebühren gemacht, wel- John Baldessari: Ich glaube ich sagte zur che Auswirkungen, welchen Einfluss haben damaligen Zeit, dass die Sprache für mich viel sie Ihrer Ansicht nach auf die Entwicklung zu akademisch sei, hatte aber kein Problem junger Künstler/innen? damit. Baldessari: Zunächst einmal hatte ich, ––––––– nach Verlassen der Hochschule eine Be- Voss: … und auf der anderen Seite hatte er schäftigung als Lehrer an einer staatlichen auch mit Ihrem Entschluss zu tun, mit der Ma- Schule und machte diese Arbeit eine Weile. lerei aufzuhören? Hielten Sie damals Malerei Durch eine glückliche Fügung und weil ich für langweilig? zur rechten Zeit am rechten Ort lebte, bat Baldessari: Ich habe früher einmal gesagt, man mich, an der University of zu sie sei für mich wirklich langweilig geworden, lehren, was mich erst einmal aus dem öffent- aber wenn ich jetzt zurückblicke und mir das lichen Schulsystem herausbrachte. Von da im weltweiten Zusammenhang anschaue, aus ging ich zu einer privaten Kunstschule, würde ich sagen, dass sie damals sehr vielen dem California Institute of the Arts, das zu Künstlern langweilig waren. Ich glaube, es einer wirklich wichtigen Ausbildungsstät- war der letzte Atemzug (zu sagen, sie lag in te in den Vereinigten Staaten wurde. Dann den letzten Zügen wäre ein bisschen zu drama- hörte ich für eine Weile mit dem Lehren auf, tisch) der Form, der vorherrschenden Form inzwischen bin ich Fakultätsmitglied an der des Abstrakten Expressionismus. Das war ja UCLA1, habe aber bereits seit drei Jahren schon durch eine zweite, dritte und vierte Ge- Forschungs- und Freisemester. Worauf ich neration gegangen. Es wurde also ein bisschen hinaus will: Ich habe Studierende nahezu ermüdend. Vielleicht sollte man sagen, es hat jeden Alters in jeder erdenklichen Situation sich erschöpft. Einer wie Jasper Johns hat sich ausgebildet. Einmal habe ich sogar jugendli- des Abstrakten Expressionismus bedient, aber che Straftäter unterrichtet. Ich glaube also, auf eine sehr rationale Weise, oder auch Rau- dass ich die Lehrsituation recht gut kennen- schenberg, der damit allerdings nicht ganz so lernen konnte. Wenn man nun Hochschulen rational umging. Man konnte erkennen, dass in den Vereinigten Staaten und in Europa sich die Dinge verlangsamten. vergleicht: Ja, ich denke, die Frage der Studi-

––– 112 ––– Gespräch mit John Baldessari ––– Studierende engebühren ist eine ganz entscheidende. Die was auch immer. Vieles lässt sich ändern, al- einzige öffentliche Hochschule in Los An- les, was Sie gesagt haben, trifft zu. geles ist die UCLA. Das kann man sich also ––––––– leisten, aber wenn man nicht US-Bürger ist, Voss: Gibt es Aussicht auf Veränderung dann kostet es immer noch einiges, nicht die im US-amerikanischen Kunsthochschulsys- Welt, aber an den anderen Kunsthochschu- tem? len liegen die Gebühren irgendwo zwischen Baldessari: Ich glaube nicht. Vor allem 30.000 und 40.000 Dollar im Jahr. Das kann nicht im Universitätssystem, wissen Sie, in sich nicht jeder leisten. Ich gehe also davon einem Kunstbereich innerhalb des Universi- aus, dass auf diese Weise eine Menge talen- tätssystems zu sein, ist ohnehin sehr ungut. tierter Leute ausgeschlossen werden. Ich Als Physiker oder Biologe können Sie sich an finde die Idee der kostenfreien Ausbildung der Universität zuhause fühlen. Für einen fantastisch; ja, dem würde ich meine Stim- Künstler ist die Universität kein Zuhause. me geben. Ich halte es auch für gut, keine Ich erinnere mich an eine Beförderungs- Abschlussgrade mehr zu verleihen. Bei Cal- kommission an der University of California Arts 2 versuchen wir, uns als die neue Kunst- San Diego, an der ich im Rahmen meiner hochschule zu etablieren, aber wir hatten von Lehrverpflichtung teilnahm. Ich weiß noch, Anfang an einen Nichtgraduierten- und Gra- dass einer aus der Fakultät für Physik sagte, duiertenstudiengang. Letzten Endes müs- „Warum haben wir nicht einen Paul Klee sen diese Unterschiede aufgehoben werden. eingestellt?” Dann mußte ich ihm höflich Ich hatte mal ein Graduiertenseminar, in erklären, dass Paul Klee bereits tot ist. „Was dem sich die Studierenden beschwerten: ist dann mit de Kooning?” Ich musste ihn „Warum können nicht auch Nichtgraduierte daran erinnern, dass de Kooning mehr Geld mitmachen?”, woraufhin ich es einfach für verdient, wenn er nur ein einziges Gemälde beide Gruppen geöffnet habe. Es gibt keinen verkauft als ihm die Universität für ein gan- wirklichen Unterschied; das ist falsch. Eine zes Jahr zahlen könnte. Aber so denkt man gute Sache bei uns war das „beschleunigte an den Universitäten, man glaubt, wenn je- Abschlussverfahren”. Wenn wir also der mand gut ist, dann kommt er natürlich auch Meinung waren, dass jemand schon nach an die Universität. Wir alle wissen, dass das zwei Jahren weit genug für den Abschluss für den Kunstbereich nicht zutrifft. Jetzt war, sagten wir: „Du kannst gehen”. Oft habe ich ein bisschen den Faden verloren… wollten die Betreffenden dann gar nicht ge- Ich glaube, es würde einer neuen Hochschule hen. Mittlerweile gibt es strengere Lehrplä- bedürfen, damit so etwas passieren kann. ne. Anfangs gab es keine Lehrpläne, man ––––––– konnte noch nicht einmal Seminare belegen, Voss: Wie wird unter solchen Bedingungen, man konnte einfach nur da sein, was es den hinsichtlich der Entwicklung der Kunststu- Lehrern schwer machte. Denn manchmal denten die Qualität beeinflusst; glauben Sie, mochten die Studenten einen Lehrer nicht dass Künstler dadurch gezwungen sind, eine und dann kam keiner zu den Seminaren, was bestimmte Art Kunst zu machen? uns dazu zwang, uns von diesen zu trennen. Baldessari: Es gab da nach dem Zweiten Es kam zu einer Art Beliebtheitswettbewerb; Weltkrieg eine Zeit in der Kunstgeschichte das war das Übelste. Doch zumindest hatten der Vereinigten Staaten, als die so genannte da die Studierenden ihr Schicksal selbst in „GI Bill” den Kriegsveteranen ein Recht auf der Hand; sie hatten die Möglichkeit, sich für freie Ausbildung zubilligte. Also gingen sie das zu entscheiden, was sie wollten oder für an die Hochschulen, und das brachte eine

––– 113 ––– beträchtliche Menge von Künstlern hervor. Eddy: Sie erwähnten gerade, es seien viele Doch als sie einmal raus waren, kamen sie Europäer und Leute von außerhalb Kaliforni- nicht etwa wieder zurück, um zu lehren, sie ens zu diesem Studienprogramm gekommen, wurden einfach Künstler. Dann plötzlich und ich fand interessant, dass Sie sich in einem passierte etwas: Ich glaube irgendwie, dass Interview gemeinsam mit Ihrem ehemaligen da die Kunst gefällig wurde. Das Image eines Studenten Matt Mullican beide erinnern, dass abstrakten Expressionisten sah so ähn- Sie kaum Kontakt zu der so genannten „loka- lich aus wie Jackson Pollock, ohne Hemd, len” Kunstszene von Los Angeles hatten. Ich mit einem Pinsel in der einen und mit einer finde, diese Beziehung zwischen Lokalem und Flasche Jack Daniels in der anderen Hand. Internationalem könnte spannend sein. Aber Und dann taucht mit einem Mal das neue auch als Sie in National City anfingen, hat- Künstlerimage auf, sagen wir als Beispiel ten Sie in gewisser Weise Berührungspunkte Jasper Johns im Smoking mit einem Marti- mit der internationalen „Kunstwelt” durch ni in der Hand. Was ist da passiert? Klar ist, Kunstzeitschriften. Ich frage mich, ob Sie et- dass etwas passiert ist. Und ich glaube, dass was zu dieser Dynamik oder sogar der Prio- Kunst gesellschaftsfähig wurde. Ich hat- rität des Internationalen vor dem Lokalen te einen sehr stark besetzten Studiengang sagen können. Das scheint mir etwas zu sein, von Künstlern aus Europa und den USA und dass Sie schon sehr früh in Ihrem Werdegang anderen Orten, die CalArts besuchten. Ei- entwickelt haben: diese Vorstellung von einer nige von ihnen wollten nicht hinkommen. Kunstwelt. Wie können wir davon etwas über Sie sagten: „Nein, ich will an keine Kunst- die Medien mitbekommen? hochschule”. Also musste ich mit diesen Baldessari: Naja, ich denke, das ist jetzt Studenten tatsächlich Treffen in einer Bar viel einfacher. Damals habe ich jede Kunst- arrangieren, denn sie wollten partout nicht zeitschrift abonniert, die ich in die Hände in die Hochschule gehen, so sehr waren sie bekam. In gewissem Maße war ich wirklich dagegen. Ich glaube nicht, dass Kunst gelehrt Autodidakt, jedenfalls post-universitär. Bis werden kann. Das glaube ich wirklich nicht. zu meinem vierunddreißigsten Lebensjahr Was ich aber glaube ist, dass es zu den vielen bin ich keinem wirklichen Künstler begegnet. Vorteilen einer Kunsthochschule zählt, dass Meine Lehrer waren tatsächlich zu allererst die Studenten Künstlern begegnen, anderen Lehrer, und dann das, was man „Sonntagsma- ebenfalls tätigen Künstlern. Der Erkenntnis- ler” nennt. Dann schrieb ich mich für einen gewinn dabei liegt darin, dass sie sehen, dass Sommerkurs an der UCLA ein, den ein da- Künstler Menschen sind; Kunst ist nicht ir- mals in Los Angeles sehr prominenter Künst- gendetwas Esoterisches, das in Büchern und ler veranstaltete. Und der hat mir dann die Zeitschriften und Museen existiert, sie wird magischen Worte gesagt: „Du solltest Künst- von wirklichen Menschen gemacht, und ler werden.” Das hatte mir vorher nie irgend- manche sind richtige Idioten, manche arti- wer gesagt. Ich sagte, „Oh, okay”. Vorher war kulieren sich klar, manche kriegen kaum das nur etwas, was ich einfach tat; mein Brot einen geraden Satz heraus. Manche produ- würde ich durch Lehrtätigkeit verdienen. zieren eine Menge Schrott, manche leisten Aber er hat gesagt, „du solltest Künstler wer- viel gute Arbeit. Aber zumindest werden die den”, und das war alles, was ich hören wollte. Studenten dieser Erfahrung ausgesetzt; ich Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass nehme an, das ist eine Art Mentorensystem. Studenten mit wirklichen Künstlern in Kon- Nein, eigentlich glaube ich nicht, dass man takt kommen sollten. Ich denke, wegen des Kunst lehren kann. Internets und der Reisemöglichkeiten und so

––– 114 ––– Gespräch mit John Baldessari ––– Studierende weiter ist es kein Problem mehr, internatio- schlussausstellung oder so ähnlich, jeden- nal zu sein. Wir haben alle Zugang zu den glei- falls zeigten die Studenten den Fakultätsan- chen Informationen. Was ich mir so mühselig gehörigen alle ihre Arbeiten, man konnte da aus Zeitschriften zusammenklauben musste, herumlaufen und mit ihnen ins Gespräch dass können Sie ganz leicht über das Internet kommen. Und dann kamen mehr und mehr erfahren. Kunsthändler zu diesen Ereignissen. Selbst- ––––––– verständlich ist es für die Studenten interes- Hanna Hildebrand: Was ist nun Ihre Mei- santer, mit Kunsthändlern zu sprechen als nung zum heutigen Verhältnis zwischen mit dem Fakultätsmitglied. Dann mußten Hochschule und Markt, Ausstellungen, Ga- wir irgendwann einen eigenen Tag für Kunst- leristen (innerhalb dieser internationalen händler einrichten – so sehr spitzte sich das Kunstwelt)? zu. Inzwischen halten sich Studenten schon Baldessari: Diesen Virus werden wir wahr- für gescheitert, wenn sie nicht unmittelbar scheinlich nicht wieder los. Ich hab Glück ge- nach der Ausbildung einen Galeristen und habt; als ich mit Kunst anfing, gehörte Geld eine Ausstellung bekommen; das ist wirk- überhaupt noch nicht zum Gesamtbild. lich eine traurige Entwicklung. Denn man ––––––– kann ja sehen, wie das Gehirn da arbeitet, Eddy: Es gab also wirklich keine Probleme, sie haben Angst: „Ich greife gleich hier zu, die als Sie gesagt haben, „Meine Studenten sind Chance bekomme ich nie wieder.” Oder man keine Studenten, das sind Künstler”? ergreift die Chance eben nicht, und vielleicht Baldessari: Nein. Aber ich kann Ihnen ge- passiert es dann doch noch einmal oder auch nau sagen, wann diese Geldfrage aufgetaucht nicht, oder was auch immer. Aber es gibt heu- ist. Ich hatte fast wöchentlich einen Künstler te nur sehr wenige Galerien, die für den Le- da. Ich meine, ich hätte einmal pro Lehrab- bensunterhalt ihrer Künstler sorgen. Anders schnitt einen Kritiker oder vielleicht auch ausgedrückt, das alte Galerienmodell in den einmal einen Kunsthändler eingeladen, da- USA sah immer vor, dass die älteren Künst- mit die Studenten sie sich anhören konnten. ler sich verkaufen und dass das die Galerie Einmal habe ich die New Yorker Galeristin am Leben erhalten würde. Dadurch war die Paula Cooper zu einem Vortrag eingeladen. Möglichkeit gegeben, auch jüngere Künstler Und sie war hinterher richtig wütend, weil auszustellen, die sich nicht verkauften. Das sie über ihre Künstler hatte reden wollen und gibt es nicht mehr. Wer seine Sachen nicht alle Studenten nur wissen wollten, zu welchen verkauft, ist weg vom Fenster. Preisen sie sie verkaufte. ––––––– ––––––– Hildebrand: Sie sind also der Meinung, Eddy: Wann war das? dass dieser Sturm auf die Galerien einen Ein- John Baldessari: Das muss in den frühen fluss… Achtzigern gewesen sein. Da habe ich mir Baldessari: …auf die heute produzierte dann gedacht, hm, das ist ja interessant. Kunst hat. Aber ja! Und dann hörte man immer mehr und mehr ––––––– davon. Ich glaube, Studenten haben es heu- Hildebrand: Und auch auf die konzeptuelle te wirklich schwer, weil es so sehr um das Werkauffassung? Geld geht. An der UCLA hatten wir etwas Baldessari: Ja, ich glaube schon. Selbst Ähnliches wie das, was Sie hier gerade ver- wenn man einen Willensakt vollzieht, man anstalten (den Rundgang der Städelschule). weiß einfach nicht, wie viel daran unbewusst Bei uns hieß das „Offene Ateliers” oder Ab- ist. Wenn man erwachsen wird, versucht man

––– 115 ––– seinen Eltern zu gefallen, und dann sagt man, Denn diesmal kommt Geld aus anderen Län- „Okay, ich mache die Art Kunst, die ihr wollt.” dern dazu, aus China, den arabischen Emi- Auch wenn man es im Grunde nicht will. Und raten, Russland und so weiter, das war vorher wenn man dann sieht, dass die Kunst, die aus- nicht der Fall. gestellt wird, in der Mehrzahl der Fälle Male- ––––––– rei ist, naja, dann wird man eben malen. Sarah Ortmeyer: Glauben Sie, dass sich die ––––––– Veränderung zwischen Künstlern und Kunst- Hildebrand: Aber vielleicht könnte ja diese markt auch auf die Kunstproduzenten und Art schizophrener Galeristen-Situation, die- ihre Produktion auswirkt? Sie haben einmal ser sehr rasche Trendwechsel und die zuneh- gesagt, zwischem Künstler und Kunstwerk mende Kommerzialisierung in gewisser Wei- gebe es keine Verbindung; ihr Beispiel war se auch der Produktion auf die Sprünge helfen, Richard Serra – etwas in Bewegung bringen und anregen? Baldessari: Wir sind nicht gerade gute John Baldessari: Ich denke, das eigentliche Freunde. Problem, von dem wir alle wissen, dass das ––––––– eine Täuschung ist, ist die Gleichsetzung von Ortmeyer: Aber Sie schätzen sein Werk. Qualität und Preis. An diese irreführende John Baldessari: Oh ja, sehr sogar. Gleichsetzung wird immer stärker geglaubt: ––––––– Wenn der Künstler/die Künstlerin X soundso- Ortmeyer: Und heute, wo es doch heißt, Le- viel Dollars bekommt, dann muss er oder sie ben und Werk eines Künstlers seien näher an- wirklich gut sein. Das stimmt einfach nicht. einander als je zuvor, glauben Sie nicht, dass Es geht eigentlich nur um das, was sich ver- der Lebensstil, die Freunde und all diese Se- kauft. Ich weiß nicht, ob die Kunst, die sich kundärfaktoren Teil des Werkes sind? verkauft, auch wirklich gut ist. Man findet John Baldessari: Das kann man wohl so Vertreter beider Argumentationsrichtungen: oder so sehen. Im Idealfall sollte es nur um die Die einen sagen, der Markt ist der Richter, die Kunst gehen. Das heißt nun nicht, dass nicht anderen sagen das Gegenteil. Kürzlich habe auch irgendein alter Pädophiler großartige ich diese Geschichte gehört, ich weiß nicht, Kunst machen könnte; das wäre ja möglich. ob das wirklich jemand gesagt hat, es klingt Das könnte man auch als einen Trugschluss jedenfalls unglaublich. Ein Sammler, danach bezeichnen; andererseits glaube ich aber gefragt, ob er denn eigentlich jemals ins Muse- auch, dass man sein Werk ist. Wie könnte es um gehe, hat gesagt: „Nein, da gibt es ja nichts wohl Teil von einem sein… ? Da haben wir es zu kaufen.” Sie verstehen, was ich sagen will: offenbar mit einem Paradox zu tun. So weit ist es gekommen. ––––––– ––––––– Eddy: Aber da gibt es noch etwas an der Hildebrand: Sehen Sie denn irgendeinen heutigen Prominenzbesessenheit, von der Ausweg? manche glauben, dass es wirklich die Sicht- Baldessari: Ich habe zwei Kunstblasen plat- weise auf ein Kunstwerk beeinflusst – man zen sehen: in den siebziger Jahren und in den schaut auf den Namen und den Kontext be- neunziger Jahren, da geschah das Gleiche, es vor man sich überhaupt das eigentliche gab eine Explosion, oder wie es in Finanzkrei- Werk anschaut. sen heißt, eine „Marktkorrektur”. Nun sagen Baldessari: Genau da liegt dann wieder einige Leute, deren Urteil ich wirklich respek- eine Gefahr. Ich meine, man wird auf diese tiere, wir könnten es mit einem Paradigmen- Weise zum Produkt. Wie wenn einer sagt, wechsel zu tun haben, es könnte weitergehen. „Einen Picasso, ich muss unbedingt einen

––– 116 ––– Gespräch mit John Baldessari ––– Studierende

Picasso haben. Egal was für einen, aber es Ortmeyer: Das ist aber schwierig, denn muss ein Picasso sein”. Es gibt da die be- manchmal macht einem etwas Spaß, für das rühmte Geschichte aus der Blütezeit des kein anderer Verständnis hat. Abstrakten Expressionismus. Die damals Baldessari: Das ist schon okay, aber muss führende Galerie, die Sidney Janis Gallery, bei einem selbst anfangen. Wenn man sich bekam anscheinend einen Anruf von ir- Gedanken über die Reaktion eines anderen gendeinem Sammler, der sagte, er wolle zwei macht, dann haben wir es mit einer Frage der de Koonings und einen Mark Rothko und ei- guten Manieren zu tun. Man versucht jeman- nen Jackson Pollock. Die Leute in der Galerie dem zu gefallen. Wenn man aber selbst Spaß waren natürlich hocherfreut und fragten, daran hat, dann ist es wahrscheinlich, dass es „Gut, und wann wollen Sie bei uns vorbei- anderen auch so gehen wird. Wenn man sich kommen?” Darauf der Sammler, „Hmm, um den Markt und den Galeristen und die El- ich muss doch nicht, oder…?” – „Sollen wir tern und die Lehrer und sein Umfeld Gedan- Ihnen denn ein paar Dias mit Abbildungen ken macht, dann geht das nicht. schicken?” – „Nein, das müssen Sie nicht.” ––––––– – „Aber wollen Sie denn die Werke nicht an- Eddy: Aber als Sie Ihre Gemälde ver- schauen?” Darauf soll der Sammler gesagt brannten, ging es da nicht auch um Malerei haben, „Wenn ich Aktien kaufe, dann gehe als solche und nicht auch um die Beseitigung ich ja auch nicht erst die Fabrik anschauen.” überflüssig gewordener Konventionen? Gibt Soweit ist es nun gekommen. Man kauft le- es heute Kunst, die weg gehört, damit man ei- diglich den Namen. nen neuen Anfang machen kann? ––––––– Baldessari: Interessante Frage… Da wür- Voss: Es ist also eigentlich keine neue Si- de ich nicht für die Allgemeinheit sprechen tuation, dass der Künstler ein Teil seines wollen. Das muss jeder selbst wissen. Werkes wird… Baldessari: Naja, ich weiß nicht, ob er das als Person oder nur als ein Label wird; man muss den Künstler nicht einmal persönlich treffen. Noch vor Jahren war ich so gegen den Markt, dass mein Leitspruch war: „Ihr könnt die Kunst kaufen, aber den Künstler kriegt ihr nicht”. Das heißt aber nicht, dass ich mit irgendjemandem essen gehe oder mich mit ihm unterhalte. So wird das jetzt immer mehr, es läuft über die Wiedererkennbarkeit des Na- mens. ––––––– Voss: Letzte Frage: Was ist Ihrer Meinung (Dieses Gespräch fand am 7. Februar 2007 um 11 Uhr in der nach heute langweilige Kunst? Welche Art Bibliothek der Städelschule statt.) ––––––– Kunst sollte heute verbrannt werden? 1) University of California, Los Angeles John Baldessari: Ich glaube wirklich, das 2) Abkürzung für das California Institute of the Arts, das 1961 in Los Angeles gegründet wurde. ist Sache der Künstler. Ich habe den Studenten 3) John Baldessari: „(Ein) guter Freund von mir, Lawrence Weiner, schimpfte eines Tages mit mir. Er sagte: „John, das ist immer gesagt, wenn sie keinen Spaß an ihrer alles deine Schuld, du hast sie Künstler genannt. (…) Sie waren Arbeit haben, auch andere den nicht haben keine Studenten.“ John Baldessari: A Different Kind of Order (Arbeiten 1962-1984), Köln: Verlag der Buchhandlung Walther werden. König, 2005, S. 58-59.

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Daniel Birnbaum und / and John Baldessari, Frankfurt/Main 2007 John Baldessari Talks to Students of the _ Michael Eddy, Hanna Hildebrand, Städelschule Sarah Ortmeyer, and Jeronimo Voss

Conversation

––– 120 ––– Interview with John Baldessari ––– Students

Michael Eddy: Let’s begin the interview at two BA/MA1 system as well as tuition fees are not points in particular in your career: one, your relevant for most important art academies; it Cremation Project from 1970, when all of your is argued that these concepts are not adequate accumulated paintings were burned, when for artistic education. What is your experi- that body of work was cleared in some way; ence with these academic structures and also and the other in 1973 when you were in the po- tuition fees, what kind of effect or influence do sition of a teacher at the Nova Scotia college of you think they have on the development of art Art and Design in Halifax and you had your students? students writing on the gallery wall: "I will not Baldessari: Well, first of all, when I left make any more boring art." school, as I mentioned, I had a job teaching in Jeronimo Voss: Is it right to say that this public school, did that for a while. Then from sentence was on the one hand related to the a stroke of luck, living in the right place at the way conceptual art at the time was using text right time I was asked to teach in the Univer- and language… sity of California, which got me out of the pub- John Baldessari: At the time I think I was lic school system. And from there I went on to saying something about the way language, us- a private art school, California Institute of the ing it, was too academic—for me—I had no Arts, which became a very seminal school in quarrel with them doing it. the US. And then I stopped teaching for a while, ––––––– and now I am on the faculty of UCLA but have Voss: …and on the other hand was it also been on sabbatical for about three years now. connected to your finishing with painting? So What I am trying to point out is that I have at that time would you have seen painting as taught almost every age in every kind of situ- boring? ation. I even taught juvenile delinquents at one Baldessari: I said earlier that it was really point. So I think I know the situation of teach- getting boring for me, but in retrospect now, ing pretty well. Comparing US schools to Eu- looking throughout the world, I think a lot of ropean schools: yes, I think the tuition issue is artists of that period were getting bored. I a crucial one. The only public school in Los think it was the last gasp (dying gasp is maybe Angeles is UCLA. So that's affordable, but if too dramatic) of the form, the prevalent form you're a non-citizen it still costs, not greatly, of abstract expressionism. It had been through but in the other art schools it's something be- a second, third and fourth generation. It was tween thirty or forty thousand dollars a year. getting a little bit tiring. Exhausted is maybe Not everybody can pay that, so I think that it the word to use. Somebody like Jasper Johns keeps out a lot of talented people. So I think the used abstract expressionism but in a very ce- idea of having a free education is fantastic; rebral way; or Rauschenberg, but not quite so yes, that would be my vote. I think the idea of cerebral. You could see things were slowing not having degrees is very good too. At down. CalArts 2 we try to be the new art school, but ––––––– even from the start we had an undergraduate Voss: So before we talk about what “Boring program and a graduate program. Eventually Art” means today, it might make sense to re- those differences got to be erased. I had a grad- flect on today's situation of art students. Art uate seminar and the students complained so education systems in the US in comparison to much, they said, “why can't undergraduate those in most of Europe seem to be much more students be in on it too?,” so I just opened it up standardized and commodified. For example to undergraduates and to graduates. There's in Germany the general introduction of the really no difference between them; it's just a

––– 121 ––– false situation. One good thing we had was Voss: What is the influence on quality un- called an accelerated graduation, so if we der these conditions, in the sense of the devel- thought a person after two years should grad- opment of art students; do you think that it forc- uate we said, “you can leave.” A lot of times es artists to produce a certain work of art? they didn't want to leave. But now I think Baldessari: There was a certain point in the things are more rigid, you have curriculums. history of art in the US after World War II When we started, there was no curriculum, known as the 'GI Bill' which allowed veterans you could not even take any courses at all, you free education. So they went to school, which could just be there; which made it hard on in- produced a whole body of artists. But once they structors, because sometimes students were out they didn't go back and teach again, wouldn't like an instructor, nobody would they just became artists. Then at a certain come to their classes and we would have to get point something happened: I think somehow rid of them. So it became a kind of popularity that art became polite. The visual image of an contest; that was the worst thing. But at least abstract expressionist would be somebody like the students could be the captains of their own Jackson Pollock, with his shirt off and a brush destinies, they could choose what they want- in one hand and a bottle of Jack Daniels in the ed, or whatever. A lot of things could be other. And then all of a sudden you have the changed and all the things you said are cor- new image of an artist, let's say Jasper Johns rect. in a tuxedo with a Martini. Now what hap- ––––––– pened? Something happened there. And I Voss: Is there any prospect for change with- think art got respectable. I had a very strong in the US art school system? program of artists visiting CalArts from Eu- Baldessari: I don't think so. Especially in rope and the US and so on. Several of them the university system, you know, when you wouldn't come. They said: 'No, I don't want to have an art department in the university sys- go to an art school.' So I actually had to arrange tem it's very uneasy anyway. If you're, say, a for them to meet with the students in a bar be- physicist or a biologist the university is your cause they just would not go to the school, they home. For an artist the university is not your were that much against it. I don't think art can home. I remember being on a committee at the be taught. I really don't. But I do think that one University of California San Diego when I was of the advantages of an art school is that the teaching there to advance somebody to anoth- student gets to meet artists, other artists that er teaching level. And I remember somebody are practicing. The value of that is that they see from the physics department saying 'Why that artists are humans; art isn't something didn't we hire a Paul Klee?' And then I would esoteric that's in books and magazines and mu- have to politely tell him that Paul Klee was seums, it's done by real people, and sometimes dead. And 'Well how about de Kooning?' I they're real jerks, and sometimes they're very would have to remind him that de Kooning articulate, sometimes they can't barely get two could make more money selling one painting words out. Sometimes they do a lot of garbage, than the university could pay him for a whole sometimes they do a lot of good work. But at year. But that's the way the university thinks, least the students get exposed to that, and it's a that if anybody is good they're going to be at kind of mentoring system, I suppose. But, no, I the university, which we know is wrong when don't think you can teach art at all. it comes to the arts. Now I've lost track of the ––––––– question… I think it has to be a new school for Eddy: You mentioned a lot of Europeans that to happen. and people from outside of California who

––– 122 ––– Interview with John Baldessari ––– Students were coming to this program, and I was inter- Eddy: So there wasn't really a tension when ested that in an interview with your former you said: “my students are not students, they student Matt Mullican you both recall having are artists” 3? had little contact with the so-called 'local' L.A. Baldessari: No. But I can tell you, I remem- art community, and I find that this relation- ber exactly when it happened, this idea of mon- ship between local and international could be ey. I think I had an artist almost once a week interesting. But also when you were starting there. I think once a term I would invite either out in National City you were getting expo- a critic or maybe it would be an art dealer, just sure to some kind of international idea of 'art so the students could hear. At one point I in- world' through magazines. I am wondering if vited the New York dealer Paula Cooper to you could say something about this dynamic, come and speak. And she was really angry af- or even priority, of international over local, terwards because she wanted to talk about her which seems to be something that you devel- artists and all the students wanted to hear was oped quite early in your career: this idea of an how much money her artists were selling for. art world. How can we be aware of that through ––––––– media? Eddy: When was that? Baldessari: Well, I think now that it's a lot Baldessari: That would have been in the easier. Back then every art magazine I could early eighties. And then I thought, well, this is find I would subscribe to. I was really in some interesting. And that's where you began to ways self-taught, post-university. I didn't meet hear about it more and more and more. And a real artist until I was thirty-four. The teach- now I think it's really a difficult job for a stu- ers I had were really teachers first, and then dent because money is so much there. At UCLA what we call 'Sunday painters'. Then I took a we would have something similar to what summer course at UCLA with a very promi- you're having now (the Städelschule’s Rund- nent artist in Los Angeles at the time, and he gang), we would call it open studios, or gradu- said the magic words: 'You should be an artist.' ate review or something like that, where the Nobody ever told me that. I said 'oh, okay'. Be- students would have all their work out for fac- fore that it was just something I thought I did ulty and you could go around and talk to them. and I would support myself teaching. He said And more and more we would have art dealers 'you should be an artist' and that's all I needed come in. And of course the student is more in- to hear. That's why I feel so strongly that stu- terested in talking to the art dealer than to the dents should be around real artists. I don't faculty member. So then we would have to have think being international is an issue any- a special day just for art dealers to come – it was more, because of the Internet and travel and really that bad. Now students think they're a everything. We all have the same informa- failure if they don't have a dealer and an exhi- tion. What I had to do so laboriously with mag- bition right out of school, and it's really sad. azines you can do on the Internet so easily. Because on one hand, you can see how the ––––––– brain works, they're afraid: 'I will take this Hanna Hildebrand: So within this interna- chance, I'm never gonna get it again.' Or you tional art world what do you think about to- don't take it, and maybe it won't happen again, day’s relation between school and market, ex- and maybe it will, or whatever. But very few hibitions, gallerists? galleries in the US now are nurturing. In other Baldessari: It's a virus that I don't think is words, the old model of galleries in the US used going to leave us. I was lucky; when I got into to be that the older artist would sell, that would art money wasn't part of the equation at all. keep the gallery going, and allow the gallery to

––– 123 ––– show younger artists who couldn't sell. It Baldessari: Well, I've seen two art bubbles: doesn't happen anymore. If you don't sell, in the seventies and in the nineties, when the you're gone. same thing happened, there was a burst, or ––––––– what they say in financial circles, a 'correction Hildebrand: So do you think this rush for of the market'. Now, some people whose judg- galleries is influencing… ment I really respect are saying it might be a Baldessari: …the art that's being made. paradigm shift, it might continue. Because Yes, absolutely. this time there's money coming in from other ––––––– countries, like China, the Emirates, Russia, Hildebrand: And also the conceptual ap- and so on, that wasn't there before. proach toward the work? ––––––– Baldessari: Well, I think so. Even if you Sarah Ortmeyer: Do you think the chang- make an act of will you don't know how much ing relationship between artists and the art is unconscious. You grow up trying to please market also changed the relationship between your parents, you say 'Okay, I'm gonna do the art producers and their production? You said art that you want'. Even if you say that you're once that there is no connection between the not. And so if you see that the art that's being artist and the artwork; your example was exhibited is mostly painting, you're pretty Richard Serra - much going to do painting. Baldessari: We're not the best of friends. ––––––– ––––––– Hildebrand: But maybe this kind of schizo- Ortmeyer: But you like his work. phrenic situation of galleries, this very fast Baldessari: I do, very much. change of trends as well as growing commer- ––––––– cialization, could also in a way be helping pro- Ortmeyer: And today when some say that duction, could push and stimulate some- an artist's life and work are closer than ever, thing? do you think that lifestyle, friends, all of this Baldessari: I think the real problem now— secondary information is not part of the art- and we all know it's a fallacy—is that quality ist's work? is equated with the price. It's about this false Baldessari: I can go back and forth on that. equation getting to be more and more believed: Ideally, it should just be the art. It doesn't mean that if artist X gets X number of dollars then any old pedophile couldn't make great art; it he or she must be a really good artist. It's just could happen. So I guess we would have to say not true. It's pretty much what sells. I don't that's a fallacy, too; but on the other hand I know if something that sells makes it good. think you are your work, too. I mean how You have people who argue both ways, that the could it not be part of you… So it's a paradox. marketplace is the judge on the one hand, and ––––––– on the other hand saying no, the marketplace Eddy: But there is something else about to- is not the judge. Just a couple of weeks ago I day's celebrity obsession, that some people be- came across this story, I don't know if some- lieve really affects how you look at a work; you body actually said it, but it sounds fantastic. A look at the name—if it's secondary at all, if it's collector who was asked if he ever went to mu- external- you look at the name and the context seums said 'no, there's nothing for sale there'. before you even look at the work. So you see what I mean: it's that bad. Baldessari: Oh, exactly, and again that's a ––––––– danger. I mean, you get to be a product. Just Hildebrand: Do you see any way out? like, “a Picasso, I have to have a Picasso. It

––– 124 ––– Interview with John Baldessari ––– Students doesn't matter, just give me a Picasso.” There's enjoy it too. If you're worried about the mar- a famous story from the heyday of abstract ex- ketplace and your dealer and parents and your pressionism. The major gallery then, (Sidney) teachers and your peers, you can't do that. Janis Gallery, apparently got a phone call ––––––– from some collector and he said he wanted two Eddy: But at the time when you burned de Koonings, and one Mark Rothko, and a your paintings, wasn’t it also about painting, Jackson Pollock. And they were very excited, not just for yourself, but clearing away obso- of course, and they said “well, when would you lete conventions? Today is there some kind of like to come in?” And he said, “well, I don’t art that needs to be cleared away so we can have to…” And they said, “can we send you start again? some transparencies?” And he said, “No you Baldessari: That's an interesting point… don't have to.” And they said, “Don't you want Well, I wouldn't want to speak for the populace. to see the work?” And he said, “When I buy It has to be with oneself. stocks I don't have to go to see the factory.” So it's getting like that, really. You just buy a name. ––––––– Voss: So it's not really a new situation, that the artist as a person is so much a part of the work… Baldessari: Well, I don't know if it is as a person, or just as a label; you don't even have to meet the artist. I was so anti-market years ago; one of my mantras was 'You can buy the art but you don't buy the artist'. It doesn't mean that I have dinner with you or even ever talk to you. It's getting more like that now, with name recognition. ––––––– Voss: The final question: what is boring art today? Which kind of art is worth being burnt today? Baldessari: I really think it rests with the artist to decide. I have always told students if you are not enjoying what you are doing, no- body else is going to enjoy it. ––––––– Ortmeyer: But that's difficult because (This interview took place at 11.00 am in the Städelschule library Wednesday, February 7th, 2007.) sometimes you can enjoy something and no- ––––––– 1) Bachelor and Master degrees are being introduced in Ger- body else can. many since 1999 as part of the Bologna process to standardize Baldessari: That's okay, but it has to start European university education. 2) California Institute of the Arts, established in 1961 in Los with you. If you're worrying about somebody Angeles. 3) John Baldessari: “(A) good friend of mine, Lawrence else then it's about good manners, you're try- Weiner, chided me one day.” He said, “John it‘s all your fault, ing to please somebody. But if you're enjoying you called them artists. (…) They weren‘t students.” John Baldes- sari: A Different Kind of Order (Arbeiten 1962-1984) (Köln: Verlag it, then chances are other people are going to der Buchhandlung Walther König, 2005) p. 58-59

––– 125 ––– Kitsch, Zerstörung und Ausbildung _ Mai Abu ElDahab

Interview mit Tobias Rehberger

––– 126 ––– Interview mit Tobias Rehberger ––– Mai Abu EIDahab

Mai Abu ElDahab: Worüber sprachen wir ge- vom Künstlerdasein, vom Wesen einer Kunst- rade? hochschule und von dem, was sie dort lernen Tobias Rehberger: Wir haben über die können. „Lernen” wird so zu einem sehr Kunsthochschule diskutiert. Florian Waldvo- wichtigen Begriff, an den sie sich erst gewöh- gel hat mich gebeten, etwas über meine Vor- nen müssen. Das erste, was man ihnen zeigen stellung einer idealen Hochschule zu schrei- muss, sind die Dinge, die ihnen die Hochschu- ben. Ich dachte, das würde mir leicht fallen, le bieten kann, und natürlich auch, was sie ih- weil ich eine ganz klare Vorstellung meines nen nicht bieten kann oder sollte. Zuerst muss Denkens und Arbeitens mit den Studenten der man also ihre Vorstellung von dem zerstören, Städelschule habe. In Wirklichkeit ist es ziem- was eine Kunsthochschule ist. lich kompliziert, weil das, was ich mit meinen ––––––– Studenten tue, keiner vorgeplanten Bahn ElDahab: Hast du den Prozess dieser Zer- folgt; ich mache sehr viele verschiedene Dinge störung denn für dich weiterentwickelt? mit ihnen, ohne eine eindeutige pädagogische Rehberger: Nach dieser Zerstörung muss Richtung zu haben. Weißt du, das ist bei den man sie für gewöhnlich auch wieder aufbau- einzelnen Studenten ganz unterschiedlich. en, jedenfalls versuche ich das. Ich zerstöre ––––––– sehr viel, aber das sind nur die Klischees über ElDahab: Richtig. das Künstlerleben, die Kunst, die Kunsthoch- Rehberger: Mit dem einen Studenten muss schule. Gleichzeitig muss man ihnen auch ich so reden, mit dem anderen wieder anders. helfen, mit diesen Vorstellungen umzugehen. Einige meiner Methoden haben sich, aber nur Es ist ja nicht so als ob man nur auf sie ein- in gewissem Maße, als produktiver als die an- hämmerte und sie dann mit den Folgen al- deren erwiesen. Ich könnte mich niemals für lein zurückließe, denn es ist immer noch eine ein bestimmtes Modell entscheiden, wie man Schule, und die ist auch ein Schutzbereich. Ich gute Künstler ausbildet. Letzten Endes ent- versuche ihnen auch klar zu machen, dass sie scheiden es die Studenten selbst, wie man ein sich auf diesen Schutz für einige Jahre ver- guter Künstler wird, denn an der Hochschule lassen können. Sie können im Bett bleiben, geht es um die Herausbildung von etwas, das kein Problem. Das ist ihre Verantwortung. noch gar nicht existiert, das die Studenten Aber wenn sie sich auf mich einlassen wol- selbst entdecken müssen. len, dann müssen sie auch akzeptieren, dass ––––––– ich einiges zerstören muss und mit meiner ElDahab: Jetzt, da du das schon eine ganze Meinung nicht hinterm Berg halte. Das ist in Weile praktizierst, glaubst du, gewisse Vorge- gewisser Weise ein ziemlich heikler Prozess, hensweisen mit unterschiedlichen Leuten in ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass man sie unterschiedliche Richtungen gefunden zu ha- mag und dass man sie ernst nimmt. Man muss ben, einen Ausgangspunkt etwa für die Schaf- ihnen auch richtig zusetzen, aber hier geht es fung einer bestimmten Atmosphäre? auch darum, wie ernst man sie nimmt. Wenn Rehberger: Ich habe die Erfahrung ge- man einfach nur sagt, „Vergiss es, … das ist macht, dass man als erstes, wenn Studenten Mist”, das funktioniert nicht. Letztlich muss ganz am Anfang sind, ihre Erwartungen man ihnen zu verstehen geben, dass sie das zerstören muss, diesen ganzen Kitsch, mit selbst herausfinden müssen. Sie haben nur dem sie in die Kunsthochschule kommen. Sie eine begrenzte Zeit, die ihnen von Ich-weiß- sagen „Ich hab’s geschafft, ich weiß schon, nicht-wem gegeben ist, aber in der Zeit müs- was ich tue”, in Wirklichkeit haben sie aber sen sie herausbekommen, wofür sie sich wirk- meistens eine sehr klischeehafte Vorstellung lich interessieren. Es ist deshalb sehr wichtig,

––– 127 ––– dass die Studierenden zumindest am Anfang University. Das könnte für ihn der richtige irgendwie ihre vorherige Ausbildungserfah- Weg sein, um den Kitsch zu zerstören, wie du rung und die Vorstellung ablegen, dass sie be- es formuliert hast. Gibt es für dich auch so et- stimmte Sachen tun müssen. Denn sie müssen was? nicht bestimmte Sachen tun. Sie müssen tun, Rehberger: Darüber habe ich noch nicht was sie für wichtig erachten, und nicht das, so viel nachgedacht. Ich habe immer beim was man ihnen als wichtig anzuerkennen bei- einzelnen Studenten angesetzt. Einige müs- gebracht hat. Ich sage immer: „Ihr müsst mich sen mit anderen Mitteln zerstört werden als überraschen. Ihr müsst über das hinausgehen, andere. Ich denke auch gerne über das nach, was ich euch sage. Sonst erreicht ihr nur mein was jemand braucht. Ich fände es irgendwie Niveau und das ist nicht so interessant, denn ein bisschen unangebracht, immer den glei- da seid ihr ja schon.” Wenn es einmal gelingt, chen Hammer zu verwenden, aber das ist den Kitsch loszuwerden, den man mit sich he- wahrscheinlich eine Frage des Charakters. rumschleppt, dann kommt man fast automa- Ich glaube nicht, dass ich jemandem ein Buch tisch am richtigen Ort an. Das könnte super- geben würde; es geht nichts über die persön- langweilig sein, aber zumindest ist es etwas liche Auseinandersetzung. Es gibt so viele anderes, und es gehört einem selbst. verschiedene Arten des Umgangs, aber dann ––––––– gibt es auch so viele Arten, der eigenen Er- ElDahab: Als ich jung war, habe ich ge- kenntnis, den Gegebenheiten aus dem Weg zu malt, und ich wusste dabei immer, dass ich gehen. Wenn man jemandem gegenübersteht das Gleiche malte, was andere Leute malten. und ihm ins Gesicht schaut und ihm dann Irgendwann steigt man über eine Mauer, und erklärt, warum etwas Mist ist, dann hat das da fängt man an, etwas Eigenes zu tun, und gleich eine ganz andere Wirkung. das kann wirklich schwierig sein. ––––––– Rehberger: Ja, das ist das Schwerste über- ElDahab: Ich habe mich gefragt, wie es haupt. Das hat eine Menge mit Aufrichtigkeit wäre, jemandem in der Wüste ein Bild von sich selbst gegenüber zu tun, und das meine Malewitsch zu zeigen, oder etwas Vergleich- ich nicht in irgendeiner unterhaltsamen Art; bares. es ist ganz schön schwierig, aufrichtig zu sein. Rehberger: Ich denke, das könnte sehr gut Nicht dass die Studierenden keine Bezugsgrö- funktionieren, aber es würde auch schon wie- ßen haben sollten; sie sollten das durchaus ha- der zu stark eine bestimmte Richtung vorge- ben; und das ist eine weitere Sache, die sie ler- ben, so etwas wie eine Lösung. Wenn ich jetzt nen müssen. Manche Studierenden denken, so darüber nachdenke, vielleicht wäre das in der Kunsthochschule seien sie aus der Welt etwas, was die Studenten wollen: „Ich lese losgelöst. Obwohl man sich in gewisser Weise jetzt dieses Buch und verstehe es auch jetzt. davon wegbewegen muss, sollte man nicht den Und welches Buch gibst du mir als nächstes, Kontakt mit dem bestehenden System verlie- damit aus mir ein Künstler wird?” Ich habe ren. das Gefühl, die meisten sind sehr geschockt, ––––––– wenn ich ihnen sage: „Ihr seid jetzt zwar in ElDahab: Gibst du den Studierenden am der Hochschule, aber ihr solltet wissen, dass Anfang bestimmte Lektüreempfehlungen? es hier nichts zu lernen gibt, das ist euch Walid Raad von der Atlas Group etwa lehrt doch klar?” Dann machen sie normalerweise an der Cooper Union. Zu Beginn gibt er seinen große Augen und verstehen nicht, warum sie Studenten immer Howard Singermans Buch in einer Schule sind, in der sie nichts lernen Art Subjects: Making Artists in the American können.

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ElDahab: Wie bist du damals auf die Stä- Keine Ahnung. Üblicherweise hat man es mit delschule gekommen? 250 bis 500 Mappen zu tun und daraus werden Rehberger: Ich habe mich in Düsseldorf dann zwischen 50 und 15 Leute ausgewählt beworben, denn ich hatte gehört, das sei die und zu einem Vorstellungstermin eingeladen. berühmteste Akademie mit Joseph Beuys Das ist heute auch noch so. Einiges ist ziem- und so weiter. Damals lehrte er dort schon lich dumm, zum Beispiel gab es einen Test, bei nicht mehr, aber es war doch eine berühmte dem der Bewerber eine Arbeit aus dem Steg- Akademie, es war die größte, und es ist immer reif machen sollte. Ich glaube, so wollte man noch die größte und bekannteste Kunsthoch- sicher gehen, dass dieser Bewerber die Map- schule. Sie war die erste Akademie in Deutsch- pe wirklich selbst gemacht hatte. Wir haben land, das wusste ich. Ich wusste auch von der das schon ein bisschen verändert und denken HdK (Hochschule der Künste) in Berlin. Also darüber nach, das ganze System umzubauen, bewarb ich mich für diese beiden Schulen. aber das Vorstellungsgespräch ist mit Sicher- Aber beim Skilaufen in Frankreich traf ich heit das Wichtigste. ein Mädchen, das aus Frankfurt kam. Also ––––––– zog ich hierher und erkundigte mich bei der ElDahab: Bei wem hattest du denn dein Stadtverwaltung, ob sie denn hier in Frank- Vorstellungsgespräch? Erinnerst du dich furt eine Kunsthochschule hätten. Dann habe noch daran? ich mich beworben und wurde auch genom- Rehberger: Ich weiß noch, dass Thomas men. Das war reines Glück, denn damals be- Bayrle mit im Komitee saß. Damals war das fand sich die Städelschule gerade in einer um- Verfahren noch etwas anders, denn es gab zur fassenden Umwandlungsphase. Als ich dort gleichen Zeit zwei Komitees, also mussten ei- hinkam, kam gerade auch Kasper König, und nige vor diesem und andere vor jenem Komi- mit ihm viele andere neue Lehrer. Davor, glau- tee reden. Jetzt, da ich weiß, wer im anderen be ich, war das eine der furchtbarsten Kunst- Komitee saß, bin ich fast sicher, dass ich von hochschulen, die man sich vorstellen kann. denen nicht angenommen worden wäre. Ich hatte also einfach das Glück, dass gerade ––––––– alle diese Leute dort hinkamen und die ganze ElDahab: Warst du denn überrascht über Sache etwas geöffnet haben, aber eigentlich deine Zulassung? war mein Grund diese Liebesbeziehung. Rehberger: Nein, ich war vollkommen si- ––––––– cher, dass ich reinkommen würde (lacht). Mei- ElDahab: Wie läuft dieses System? Wie ne Haltung war damals „Ich gehe da hin und wird man angenommen? mache alles anders”. Wie anders, da hatte ich Rehberger: Es gibt verschiedene Möglich- noch keine Ahnung, ich dachte nur „Ich bin keiten, in die Hochschule aufgenommen zu so anders”, denn in meinem Dorf war ich das werden, aber die wichtigste besteht aus dem tatsächlich, also musste ich auch anders als Einreichen einer Mappe. Die schauen sich sonst alle anderen sein. dann alle Lehrer zusammen mit fünf Stu- ––––––– denten an. ElDahab: Und war es ein Schock für dich, ––––––– als du herausfandest, dass du gar nicht anders ElDahab: Ist diese Mappe jetzt noch irgend- warst? wo in einem Archiv? Rehberger: Nein, ich war tatsächlich ganz Rehberger: Meine Mappe? Oh nein, die anders. kriegt man zurück (lacht). Ich glaube, die ist ––––––– noch irgendwo bei meinen Eltern im Keller… ElDahab: Tatsächlich?

––– 129 ––– Rehberger: Ja, denn irgendwie hatte ich ElDahab: Und hat er damals auch schon diese Vorstellung, zumindest eine vage, dass Gruppenaktivitäten organisiert? es um den Konflikt gehen muss, zu etwas ganz Rehberger: Ja, vor allem Gruppensachen. anderem zu kommen, als alles, was andere je Wir hatten einmal in der Woche eine Klassen- gemacht haben. Irgendwie habe ich diesen besprechung, bei der wir einfach Dinge mit- Konflikt tatsächlich herbeigesehnt. einander diskutiert haben. In erster Linie die ––––––– Arbeiten von Leuten aus der Klasse, aber auch ElDahab: Gab es einen Moment, in dem du anderes. Ich muss sagen, ich unterrichte heu- dir gesagt hast, „Oh, jetzt fühle ich mich hier te ein bisschen wie er, aber natürlich nicht ge- zuhause”, oder war das immer Konfliktbehaf- nau so. Ich finde Diskussionen im Klassenrah- tet? men immer sehr produktiv. Das bringt auch Rehberger: Nein, es war beides zugleich. denjenigen etwas, die es vorziehen, einfach ––––––– zuzuhören. Ich veranstalte auch diese Klas- ElDahab: Und dann, nach dem ersten Jahr, senkritiken. Wenn jemand darauf besteht, hast du dich für einen Lehrer entschieden? eine Einzelkritik zu bekommen, dann mache Rehberger: Genau. Ich hatte Thomas Bayr- ich das auch, aber nicht so oft. Meistens ver- le als Lehrer in der Grundklasse, aber da das suche ich die Leute davon zu überzeugen, ihre in diesem Jahr zum letzten Mal stattfand, be- Arbeit vor allen anderen vorzuführen, damit kam er bald seine eigene Klasse und ich bin eine offene Diskussion stattfinden kann. dann einfach bei ihm geblieben. ––––––– ––––––– ElDahab: Hast du den Eindruck, dass viele ElDahab: Wie kamst du auf Thomas andere Studenten die Arbeit mit Bayrle als Bayrle? schwierig empfunden haben? Rehberger: Damals dachte ich, er sei der In- Rehberger: Viele fanden das schwierig, teressanteste. Ich bin dann eigentlich meine denn er sagte ihnen nicht genau, was sie zu tun ganzen fünf Jahre an der Hochschule bei ihm hatten. Manchmal hat er einen Gegenstand geblieben. Für mich war er der interessantes- gesehen, der wie ein Teller aussah, und dann te Lehrer. Gerhard Richter war zwei Jahre redete er von der Autobahn oder etwas Ähn- lang da. Er ist bestimmt ein fantastischer lichem. Man musste sich wirklich klar darü- Künstler, aber ich hatte bei ihm nie das Ge- ber sein, wie man auf seine Art zu reden rea- fühl, er sei ein fantastischer Lehrer. Thomas gieren wollte. Es gab einige, die das frustriert Bayrle war immer so wach, er war immer hat und die deswegen die Klasse verließen. Er für viele Dinge offen. Es gab Leute in seiner war nicht die Art Lehrer, der einem sagt, „Das Klasse, die Texte schrieben, Leute, die mit solltest du aber ein bisschen mehr so und so dem Computer auf eine in den achtziger Jah- machen”, und damit hat sich’s dann. Darum ren sehr unübliche Weise umgingen. Es gab ist es ihm nie gegangen. Es ging nie darum, bei ihm Maler, es gab Bildhauer, es gab alles, einen Katalog mit bestimmten Qualitätsvor- und er war sehr offen, und auch ungenau. Ge- stellungen zu haben. Er hat immer versucht, nau und ungenau zugleich; manchmal war er diese Vorstellungen zu begründen, hat aber wirklich sehr schwer zu verstehen. Wenn er zugleich danach gefragt, ob sie wertvoll sind spricht, gebraucht er viele Metaphern, und so und worin genau dieser Wert besteht. Einigen war die Interpretation dessen, was er sagte, mag das zu sanft gewesen sein. Wie er niemals, immer eine Herausforderung. Man musste „Das ist aus genau dem und dem Grund gut”, das mit der eigenen Interpretation wieder oder „Mach das so, dann wird das gut” sagen hinbiegen. würde, würde er auch niemals sagen: „Das ist

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Mist”. Und dann hat er wieder über die Auto- Rehberger: Wenn man überlebt, dann ist bahn gesprochen. Ich schätze, für viele Leute man gut dran. Ich könnte dir ein paar Bei- war das frustrierend, aber für andere wiede- spiele nennen, wo es sich einfach vollkommen rum war es extrem konstruktiv. destruktiv auswirkte. Viele Studenten haben ––––––– einfach seine Denkweise übernommen, und ElDahab: Wenn ich das richtig verstanden klar, das konnte man natürlich ein- oder zwei- habe, dann hat er ein Jahr ausgesetzt, und mal schaffen, aber man kann einfach nicht dann hat Kippenberger übernommen? Kippenberger sein. Natürlich nicht. Andere Rehberger: An der Hochschule gibt es das Denkweisen als seine eigene ließ er nicht zu. System, dass sich die Studenten selbst Gast- Er sagte nie: „Ich könnte so sein, oder auch an- professoren aussuchen können. Er hatte ein ders.” Bei ihm war es immer „so” und nicht Freisemester; jedes siebte Semester konnte anders. In diesem Sinn glich es ein bisschen man sich als Forschungssemester frei neh- einer Sekte. Manchmal sagte er Sachen wie: men. Zur gleichen Zeit haben wir gemeinsam „Du solltest deine Freundin verlassen, denn mit der ganzen Hochschule Kippenberger du bist ein Künstler und solltest keine haben”, und Ludger Gerdes eingeladen, einen Künst- oder irgendetwas anderes, das mit deinem ler aus München, der sehr viel mit Theorie Privatleben zu tun hatte. Dann bestand er wei- gearbeitet hat. Gerdes veranstaltete Semi- ter darauf und war persönlich eingeschnappt, nare und sprach über Baudrillard und sol- wenn man sich nicht so verhielt. Ich muss sa- che Sachen. Kippenberger hat Bayrles Klasse gen, ich bin immer irgendwie akzeptiert gewe- nicht übernommen, er machte seine eigene sen, aber ich war auch in gewisser Weise das auf. Beim ersten Treffen kamen 25 Leute, schwarze Schaf in der Familie. Ich glaube, das dann beim zweiten waren’s nur noch 15 und hat sich in seinen letzten Lebensjahren verän- schließlich blieb es bei 11 oder 12 Studenten. dert, als er nicht mehr den Lehrberuf ausübte. Kippenbergers Lehrmethode war wieder Er war nach Frankfurt gezogen, hier ganz in eine ganz andere. Er schmiss nur dauernd die Nähe. Nach seinem Lehrerjob ging er mit alles auf den Müll und sagte einem, wie däm- der gleichen Gruppe weg und machte weiter, lich man sei. Es war sehr schwierig, er hatte denn es war nie nur Lehre. Es ging nicht um diese ungeheure Präsenz. So wie er sein Le- die Institution. Auch deswegen, weil es ihm ben lebte, hatte man den Eindruck, er wollte sehr schwer fiel allein zu sein, denn wenn auf keinen Fall irgendeinem anderen Vorbild man allein ist, denke ich, ist man sich selbst neben sich eine Chance geben. Das ähnelte ausgesetzt. Er war total paranoid vor Selbst- sehr einer Sekte. Für viele war das extrem zweifeln. Die ließ er nicht zu, nicht bei sich und kontraproduktiv, denn es war dort schwierig, nicht bei anderen. Er musste immer Leute um mit seinem eigenen Kopf zu denken. Ich habe sich herum haben. mich oft dabei ertappt, wie ich dachte: „Wa- ––––––– rum denke ich eigentlich so? Denn genau so ElDahab: Klingt leicht traumatisch. würde Martin auch denken.” Es war extrem Rehberger: Ja, es war in gewisser Weise schwierig, ihn davon abzuhalten, in dein traumatisch, ich habe viel von ihm gelernt, Selbstbild einzudringen, denn er ließ nicht und es war extrem interessant. Als Student zu, dass man Dinge auf eine Weise dachte, die wurde man von ihm durch interessante Be- sich von seiner unterschied. gegnungen sehr unterstützt. So traf man zum ––––––– Beispiel während des Studiums Museums- ElDahab: Wie ist heute, im Nachhinein, leiter oder Galeristen. Er schleifte uns nur deine Einstellung zu diesem Druck? so durch die Welt der Eröffnungen und wir

––– 131 ––– trafen eine Menge Künstler und Freunde von ElDahab: Man braucht wohl immer bei- ihm, saßen einfach gemeinsam beim Essen des. und unterhielten uns mit ihnen. Für mich war Rehberger: Stimmt. Mit Kippenberger das außerordentlich gut. etwa ging es weit mehr um ihn selbst als um ––––––– uns. Er hat uns benutzt, und wir wollten auch ElDahab: Hat er es genossen, diese Prote- benutzt werden, denn wir erwarteten uns et- gés zu haben? was davon. Und das haben wir auch bekom- Rehberger: Absolut. Er hat immer, auf fast men. Für einige war es produktiv, für andere paradoxe Weise, über die Schule gewettert. Er gar nicht. Es war väterlich, das aber auf sehr sagte immer, was für ein Unsinn eine Kunst- konservative Weise. Er war der Vater, und den hochschule doch sei. Aber als wir dann etwa Vater stellt man nicht in Frage. Es war kom- mit ihm nach New York fuhren, dann war er plex. Ich kann nicht behaupten, er hätte sich ungeheuer stolz, fast wie ein Kind, wenn er nicht um uns gekümmert. Er hat uns eine seine Studenten vorzeigen konnte, und sich Menge ermöglicht. Wir sind nach Wien zu sei- selbst als Professor. Es war schon ein ziem- ner Ausstellung gefahren, und wenn jemand licher Widerspruch. Er ist gestorben, als er nicht das erforderliche Geld zum Mitfahren gerade selbst aufgehört hatte, Student zu hatte, dann half er ihm aus, nicht weil er unbe- sein und im Begriff war, ein Künstler zu wer- dingt wollte, dass der mitkommt, er wollte ein- den. Es gibt vieles, das ich gerne mit ihm be- fach, dass alle dabei waren. Das war für ihn in sprochen hätte. Schon kurz nachdem ich die gewisser Weise auch eine Ego-Frage. Kunsthochschule verlassen hatte, merkte ich, ––––––– dass sich an unserem Verhältnis etwas wan- ElDahab: Wie lange warst du nach deinem delte, denn plötzlich behandelte er einen als Studium und vor dem Beginn deiner Lehrtä- Künstler und nicht mehr als Studenten. tigkeit aus der Städelschule weg? ––––––– Rehberger: Ungefähr zehn Jahre… neun ElDahab: War das denn eine gute Gruppe? Jahre. Hat die Chemie gestimmt? Oft stellt sich ja ––––––– heraus, dass soviel von einem Augenblick ab- ElDahab: Eine lange Zeit. War es spannend hängt, wenn man die richtigen Professoren, für dich, an deinen Studienort zurückzukom- Fakultätsmitglieder und Mitstudenten hat, men? so eine Chemie, die einfach funktioniert. So Rehberger: Es war seltsam, denn ich hatte etwas kann man nicht orchestrieren, es kann auch Angebote von anderen Hochschulen und nur von sich aus geschehen. War das bei dir so? fragte mich, „Soll ich oder soll ich nicht?” Man Rehberger: Die Chemie zwischen den Klas- hatte mich ein paar Mal gefragt, ob ich hier sen und zwischen den einzelnen Leuten, mit lehren möchte, aber ich hatte kein gutes Ge- denen ich studiert habe… diese Leute waren fühl dabei, denn hier waren zu viele meiner schon ziemlich gut; wir waren fast jeden Tag Freunde; einige von ihnen studierten noch zusammen. Die meiste Zeit war es interessant da. Als mich dann Daniel Birnbaum fragte, und aufregend. Wir haben lustiges Zeug und geschah das zum richtigen Zeitpunkt, denn dummes Zeug angestellt, Dinge, die sich an- da dachte ich gerade selbst daran, eine Stelle dere Studenten nie erlaubt hätten. Wir nah- als Lehrer zu übernehmen. Dass mir das Spaß men uns auch eine gewisse Arroganz heraus. machte, hatte ich bei einer Gastprofessur in Es war eindeutig eine tolle Zeit, aber da gab es München und einigen kleineren oder größe- eben auch noch diese andere Seite, die schwie- ren Workshops festgestellt. Als Daniel mich rige Seite. fragte, hat das einfach gut gepasst. Wenn ich

––– 132 ––– Interview mit Tobias Rehberger ––– Mai Abu EIDahab unterrichten will, dann ist es am sinnvollsten, muss ich noch mal sagen, damit fahren wir wenn ich es hier in Frankfurt mache. Es gefiel sehr gut. mir, dass es gleich um die Ecke war und ich ––––––– mal eben im Schlafanzug rübergehen kann. ElDahab: Wie viel Zeit musst du an der Das war reizvoll, aber zugleich hatte ich auch Hochschule verbringen? meine Zweifel, weil ich mich wie jemand fühl- Rehberger: Du meinst, sozusagen vertrags- te, der mit der Schule verheiratet ist. Aber gemäß? Für mich ist das anders als für andere nach einer Weile erkannte ich, dass das kein Lehrer, denn ich lebe in Frankfurt. Ich habe Problem war. Ich bin zwar dort einbezogen, mehr oder weniger regelmäßig alle zwei Wo- aber ich muss nicht jeden Tag darüber nach- chen eine Klassenbesprechung. Manchmal denken. Ich glaube, ich komme ganz gut da- findet sie auch wöchentlich statt. Zu anderen mit klar. Ich habe immer noch ausreichend Zeiten liegen auch schon mal drei Wochen da- Distanz, und die Lehrtätigkeit beeinträch- zwischen. Es ist also nicht ganz regelmäßig. tigt meine künstlerische Arbeit gar nicht. ––––––– Ich muss sagen, die Arbeit mit den Studenten ElDahab: Da du in Frankfurt lebst, hast du macht mir richtig Spaß, was hauptsächlich wahrscheinlich auch ein engeres Verhältnis daran liegt, dass ich wirklich interessante zu deinen Studenten. Studenten habe. Außerdem gefiel mir die Art, Rehberger: Stimmt. Man lehrt nicht im- wie Daniel die Sache anging. mer nur im Klassenraum. Plötzlich trifft man ––––––– vier Studenten in einer Bar und fängt an, mit- ElDahab: Sind damals viele andere Leute einander zu reden, und dieses Reden gehört wie du dazugekommen? auch zur Lehre. Manchmal kommen Leute Rehberger: Daniel war der Erste, und dann auch in mein Atelier. Nicht, dass ich immer kamen, glaube ich, Michael Krebber, Isabel- für sie verfügbar wäre, aber es ist jedenfalls le Graw und ich, dann Wolfgang Tillmans, leichter für sie, als mit Lehrern, die woanders dann Simon Starling und schließlich Mark leben. Manchmal sehen wir uns gemeinsam Leckey. Ein Großteil der Veränderungen ge- ein Fußballspiel an, nicht mit der ganzen schah sozusagen automatisch, weil befris- Klasse, aber vielleicht mit drei oder vier Stu- tete Verträge ausliefen. Einige der Lehrer denten. Mir gefällt diese Familienstruktur. hatten das Pensionsalter erreicht und Da- Das macht es ihnen leichter einzusehen, dass niel begann damit, eine neue Generation her- man sie nicht hart rannimmt, weil man sich einzuholen, und natürlich auch eine andere wie ein Arschloch aufführen will oder weil sie Haltung. Ich denke, das war einer der Gründe einem egal sind. Das ist sehr angenehm. für ihn, diese Stelle anzutreten; er erkannte, ––––––– dass er die Möglichkeit hatte, die Hochschu- ElDahab: Und gibt es irgendetwas absolut le noch einmal neu und in veränderter Form Furchtbares an der Hochschule? aufzubauen. Er war vorher Kunstkritiker und Rehberger: Etwas Furchtbares? Wir haben Philosoph, kuratierte einige Ausstellungen nicht genug Geld! und leitete eine Institution. Kasper hatte vor- ––––––– her schon in Kanada an einer Universität ge- ElDahab: Oder vielleicht etwas, das du als arbeitet. Er war auch Kurator. Ich glaube, wir schwierig empfindest? wollten nach der sehr positiven Erfahrung Rehberger: Ich verstehe, was du meinst, mit Kasper, dass nicht ein Künstler Direktor aber das ist nicht einfach… Ich habe da nie der Städelschule wird, sondern jemand, der viel drüber nachgedacht. Vielleicht kannst damit extrem viel zu tun hat. Ich glaube, das du mir etwas nennen, was du aufgrund deines

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Wissens schwierig oder vielleicht auch nega- tiv an der Hochschule findest. ––––––– ElDahab: Ich glaube, jedenfalls als Außen- stehende, sie könnte möglicherweise ein et- was veraltetes Lehrer-Schüler-Verhältnis per- petuieren. Findest du das zutreffend? Rehberger: Ah ja, ich sehe, was du meinst, aber ich habe nicht den Eindruck, dass das im Allgemeinen so zutrifft. In einigen Klassen ist es vielleicht ein bisschen problematisch. Wenn man es mit einer Akademie wie Düs- seldorf vergleicht, die im Prinzip das gleiche Lehrer-Schüler-Verhältnis mit einem Profes- sor einsetzt, der wirklich der Meister ist, oder der Gott eigentlich. Wir haben zwar auch dieses System, aber ich denke nicht, dass wir das dann auch als Endergebnis präsentieren. Dazu kommt auch noch, dass die Städelschule so klein ist. Jeder Student kennt jeden ande- ren Studenten, und sie tauschen sich dauernd darüber aus, was in den Klassen der anderen läuft und wie es da ist, und „warum sagt unser Lehrer immer das und das?” und „warum kri- tisiert dein Lehrer nie etwas?”, und so weiter. Die allgemeine Stimmung in der Hochschule hat ganz und gar nichts mit diesem Meister- klassending zu tun.

––– 134 ––– Tobias Rehberger, 2007 Kitsch, Destruction, and Education _ Mai Abu ElDahab

Interview with Tobias Rehberger

––– 136 ––– Interview with Tobias Rehberger ––– Mai Abu ElDahab

Mai Abu ElDahab: What were we saying? begin by destroying their idea of what the art Tobias Rehberger: We were discussing school is. the idea of the art school. Florian Waldvo- ––––––– gel asked me to write about what could be ElDahab: Have you evolved the process of the ideal school. I thought that that should this destruction? be easy because I have a strong idea of what Rehberger: Usually after you destroy this, I think and what I’m doing with my students you have to remake them, or that’s what I at Städelschule. But it’s actually quite compli- try to do. I destroy a lot of things, but only cated because I’m not doing something fixed what I find to be cliché ideas about artists’ with my students; I’m doing many different lives, about art, about art school. At the same things with them without having a clear ped- time you have to help them to feel comfort- agogical focus. You see, with each student it’s able with these same ideas. It’s not as if you completely different. just hammer at them and leave them to deal ––––––– with the results themselves, because this is ElDahab: Right. still a school and it’s a protective area. I also Rehberger: To one student I have to speak try to help them to understand that they can this way, and to another student I have to depend upon this protection for a couple of speak another way. I have approaches which years. They can stay in bed if they like; no are more productive than others, but only to problem. It’s their responsibility. However, if a certain extent. I would never decide that a they choose to deal with me, they also have to particular model would produce a good art- accept that I need to destroy certain things, ist. In the end, the students decide for them- and that I will give my opinions. It’s quite a selves how to be good artists because a school delicate process, in a way, to make them feel is about forming something that doesn’t exist that you like them and that you take them se- yet, something which the students themselves riously. You have to be really hard on them have to discover. also, but this is also about how seriously you ––––––– take them. If you just say, “Fuck off… this is ElDahab: Do you think that, since you’ve shit” then it doesn’t work. In the end you have been doing this for a while, you’ve found cer- to make them understand that they have to tain ways to move in different directions with find out for themselves. They have a limited different people, like a good starting point to time that is given by, I don’t know whom, to foster a certain atmosphere? find out what it is that they’re really interest- Rehberger: In my experience, the first ed in. So it’s very important that the students thing you have to do with students who are just begin by at least shedding their pre-educa- beginning is destroy their expectations, this tion somehow, and the idea that they have to kitsch they enter art school with. They’re com- do certain things. They don’t have to do cer- ing in, saying, “I’ve made it, I know what I’m tain things. They have to do what they really doing” when most of what they know is a very think is important and not what they have cliché idea about being an artist and what an been educated to think is important. I’m al- art school is and what they’re going to learn. ways saying, “You have to surprise me. You So “learn” becomes a very important word have to go beyond what I am telling you. Oth- for them to get used to. The first things you erwise you can only reach my level and that’s have to teach beginning students is what the not very interesting because you’re already school can offer them, as well as what it can’t there.” If you’re able to get rid of the kitsch offer and what it shouldn’t offer. You have to you’re carrying around, then you almost

––– 137 ––– automatically arrive at the place. It could be to them why something is shit, this just has a super boring but at least it’s something else, very different impact. and it’s your own. ––––––– ––––––– ElDahab: I was wondering about, say, show- ElDahab: When I was young I would paint, ing a person in the desert a Malevich painting and I always knew that I was painting what or something like this. other people were painting. At some point Rehberger: I think it would work very well, you cross over a wall to where you begin do- but it would give too much direction, like a so- ing something which is yours, which can be lution. Now that I think about it, maybe that really difficult. would be something that students would want: Rehberger: Yes, that’s the hardest. It has a “Now I read this book and now I understand. lot to do with being honest with yourself, and What is the next book you’re giving me to make I don’t mean it in an entertaining way; it’s me an artist?” I have the feeling that most peo- quite difficult to be honest. It’s not that the stu- ple are very shocked when I tell them, “Now dents shouldn’t have references; they should you’re in the school, but you should know that have references, which is another thing they you can’t learn anything here, you’re aware have to learn. Many students think that in of that.” Then usually their eyes get big and art school they’re detached from the world. they don’t understand why they’re in a school Though you do have to move away from it in where they can’t learn anything. a certain sense, you shouldn’t lose touch with ––––––– the existing system. ElDahab: How did you pick Städelschule ––––––– originally as a student? ElDahab: Are there any texts that you rec- Rehberger: I was applying to Düsseldorf ommend for students when they begin? For because I had learned that it was the most fa- example, Walid Raad from the Atlas Group mous school with Josef Beuys and blah, blah, teaches at Cooper Union. He always begins by blah. He wasn’t teaching there anymore, but it giving his students Howard Singerman’s book was a famous school, it was the biggest, and it’s Art Subjects: Making Artists in the American still the biggest art school and the most well- University. I think for him this can be a way of known. It was the first art academy in Germa- destroying the kitsch, as you say. Do you have ny, I knew about that. I also knew about HDK anything similar to this? (Hochschule der Künste) in Berlin. So I was Rehberger: I’ve never thought about it applying for these two schools. But I happened much. I have always begun with the individ- to meet a girl while skiing in France who was ual student. Some need to be destroyed by dif- from Frankfurt. So I moved here and called ferent means than others. I also like to think the city office to ask if they have an art school about what somebody needs. I would find it a here in Frankfurt. Then I applied and they bit inappropriate to be always using the same took me. It was pure luck because at that mo- hammer, somehow, though it’s probably just ment Städelschule was completely changing. a question of character. I don’t think I would When I arrived, Kasper König also arrived, give a book to everybody; there’s nothing like and a lot of other new teachers arrived. I think the personal discussion. There are so many that before this it was one of the most horrible ways to approach anything, but there are schools you could imagine. So I was just lucky also so many ways to escape understanding that all these people arrived and were kind of for oneself what is there. I think if you stand opening up the whole thing, but I did it basi- there and look at somebody’s face and explain cally because of a love affair.

––– 138 ––– Interview with Tobias Rehberger ––– Mai Abu ElDahab

ElDahab: What’s the system? How were ElDahab: Were you shocked to find you you accepted? weren’t so different? Rehberger: There are a couple of ways to be Rehberger: No, I was quite different. accepted to the school but the main way is by ––––––– handing in a portfolio. Then all the teachers ElDahab: Really? look at the portfolio along with five students. Rehberger: Yeah, because somehow I had ––––––– this idea, at least a very vague idea, that it has ElDahab: Is this portfolio in a file some- to be about conflict, about developing some- where now? thing very different from anything anyone Rehberger: My portfolio? Oh no, you get it else did. I was very much really longing for back. (Laughter) I think my parents still have this conflict, somehow. it somewhere in a cellar… I don’t know. There ––––––– are usually somewhere between 250 and 500 ElDahab: Was there a moment when you re- portfolios and then you choose between 50 and alized, “Oh, I’m at home now,” or was it always 15 people to invite for an interview. They still something of a conflict? go through this. I think parts are quite stupid, Rehberger: No, it was both at the same time. like there was a test in which the applicant cre- ––––––– ated work on the spot, which I think had to do ElDahab: And then after the first year you with wanting to check whether somebody re- chose a teacher? ally made the portfolio himself. We’ve changed Rehberger: Right. I had Thomas Bayrle as it a little bit already and we’re thinking about a teacher for my foundation course, but since changing the whole system but the interview that was the last year for the foundation to ex- is certainly the most important part. ist, he got his own class and I just stayed on ––––––– with him. ElDahab: Who interviewed you? Do you re- ––––––– member? ElDahab: How did you pick Thomas Bayrle? Rehberger: I remember that Thomas Bayrle Rehberger: At the time I thought he was was on the committee. At that time the system the most interesting. I stayed with him for ba- was still a little different because they had two sically all five years that I was in the school. committees at the same time, so some people For me he was the most interesting teacher. had to talk to this committee and some people Gerhard Richter was there for two years. He’s to the other. Now that I know who was in the certainly a fantastic artist but I never had the other committee and who they are, I’m almost feeling that he was a fantastic teacher. Thomas certain that I wouldn’t have been accepted had Bayrle was always so awake; he was always I met with the other committee. so open to a lot of things. He had people in the ––––––– class who wrote texts, he had people who dealt ElDahab: Were you surprised when you with the computer in a way which was very got in? uncommon in the late ’80s. He had painters, Rehberger: No, I was totally sure that I he had sculptors, he had everything, and he would get in. (Laughs) My attitude was that, was quite open, and also vague. Precise and “I’m gonna go there and change everything.” vague at the same time; he could be very hard I had no idea what it was, I just thought that, to understand. When he speaks he’s very met- “I’m so different,” because I was so different aphoric, so it was always a challenge to inter- in my village, I must be different from every- pret what he was talking about. You had to fix one else, too. it with your own interpretation.

––– 139 ––– ElDahab: And was he already doing group Rehberger: The school has a system of guest things then? professors which the students can select them- Rehberger: Yes, group things mostly. We selves. He had a free semester; every seventh had a class meeting once a week where we just semester you take one sabbatical. At the same discussed things. Mostly people’s work but time, as the whole school, we invited Kippen- then other things as well. I have to say, I’m now berger and Ludger Gerdes, an artist from Mu- teaching like him a little bit, but not exactly nich who was very theoretical. Gerdes would like him of course. I find it’s always very pro- have his seminars and talk about Baudrillard ductive to have open discussions in front of the and all that kind of stuff. Kippenberger wasn’t class. It’s also very helpful for the people who taking over Bayrle’s class, he created his own prefer to just listen. I’m also doing these class class. At the first meeting there were 25 people, critiques. If somebody insists upon having an then at the second there were 15, and in the end individual critique I do that too, though not as there were 11 or 12 students, and then it stayed often. Most of the time I’m trying to convince like that. Kippenberger’s way of teaching was people to present their work in front of every- again completely different. He would just con- one so it can be an open discussion. stantly trash everything and tell you how stu- ––––––– pid you were. It was very difficult; he had this ElDahab: Do you think many other stu- very strong presence. In the way he lived his dents found it difficult to work with Bayrle? life it was almost as if he wouldn’t allow any Rehberger: A lot of people found it difficult possibility for another role model to survive because he wasn’t telling them specifically next to him. It was very much like a sect. This what to do. He would see an object that looked was extremely counter-productive for a lot of like a plate and talk about the autobahn or people because it was hard to think with your something. You really had to understand own head. I would catch myself often wonder- the way you wanted to relate to his way of ing, “Why am I thinking like this? Because speaking. There were people who were frus- that’s exactly how Martin would think about trated and left the class. He was not the kind it.” It was extremely difficult to keep him from of teacher who said, “You should make this a overlapping with your own identity because little bit more like that” and that’s fine. It was he wouldn’t allow you to think about things in never about that. It was never about having a a way that was different from his own. catalogue of qualities. He was always trying ––––––– to find reasons for qualities but at the same ElDahab: How do you feel about this pres- time asking if they were valuable and in what sure now, in retrospect? sense they were valuable. Some people might Rehberger: If you survive, it’s good. I could have found it too soft. Just as he would never give a couple examples of when it was just to- say, “This is good because of exactly this” or tally destructive. Many students just adopted “You should also do this and then it’s good,” he his way of thinking, and of course you could do would also never say, “This is shit.” He would that maybe once or twice, but you can’t just be also talk about the autobahn again. I think Kippenberger. Of course not. He wouldn’t ac- this was frustrating for a lot of people, but for cept anything other than his own way of think- others it was extremely constructive. ing. He would never say, “It could be like this, ––––––– but it could also be like that.” It was always ElDahab: If I understand correctly, he left “like this,” nothing else. That’s how it was a for a year and then Martin Kippenberger took little bit like a sect. He would tell you some- over. thing like, “You should leave your girlfriend

––– 140 ––– Interview with Tobias Rehberger ––– Mai Abu ElDahab because you’re an artist and you shouldn’t to talk to him about. Even shortly after I left have one,” or something really related to your art school I already felt that the relationship personal life. Then he would insist upon that had changed a bit because he would suddenly and be personally insulted if you didn’t do it. consider you to be an artist and not a student I have to say I was always kind of accepted but anymore. I was always also in a way the black sheep of ––––––– the family. I think it changed in the last couple ElDahab: Was it a good group of people? Did years of his life when he wasn’t teaching as a you have a good chemistry? A lot of the time job. He had moved to Frankfurt, just around you find that so much depends upon a moment the corner from here. When his teaching job when you have the right teachers or faculty was finished, he would just hang out with the and the right students; a chemistry that just same group and go on because it was never just works. You can’t orchestrate that, it can just teaching. It was not about the institution. Also happen. Did you have that? because he was someone for whom it was very Rehberger: The chemistry in between the hard to be alone because when you’re alone, I classes, with the people I was with... these peo- guess, you have to face yourself. He was totally ple were quite good, we hung out almost every paranoid about self-doubt. He wouldn’t allow day. It was interesting and it was exciting most that; not from himself and not from other peo- of the time. We did funny things and stupid ple. He always had to have people around him. things which other students wouldn’t have al- ––––––– lowed themselves. We also allowed ourselves a ElDahab: Sounds slightly traumatic. certain amount of arrogance. It was definitely Rehberger: Yeah, it was traumatic to a cer- a great time but it had this other side to it, a tain extent. I learned a lot from him and it was difficult side. extremely interesting. He was encouraging ––––––– you as a student with encounters which were ElDahab: I think it always needs both. very interesting. For example, as a student Rehberger: Right. Like with Kippenberger, you were meeting museum directors or gal- in a way, it was much more about himself than lerists. He was just dragging us through the it was about us. He used us and we wanted to world for these openings and we would meet a be used because we thought we could get some- lot of artists and friends of his and just sit at a thing out it. And we got something out of it. For dinner table with them and talk to them. It was some people it was productive and for others extremely good for me. it was not. It was paternal but in a very con- ––––––– servative way. He was the father and you don’t ElDahab: Did he thrive on having these question the father. It was complex. I can’t say protégés? that he didn’t take care of us. He made a lot of Rehberger: Totally. He was always, almost things possible for us. We would go to Vien- paradoxically, raving about school. He was al- na for his show, and if somebody didn’t have ways saying what a stupid thing it is to have money to come along he would help him out an art school, but then when we would go to – not because he wanted this guy to go, he just New York with him he would be super proud, wanted everybody there. It was also kind of an almost childishly proud, to present his stu- ego thing for him in a way. dents, and himself as the professor. It was kind ––––––– of a paradox. He died when I had just stopped ElDahab: How much time did you spend being a student and was starting to be an art- away from Städelschule between when you ist. There are a lot of things I would have liked were a student and when you began teaching?

––– 141 ––– Rehberger: About ten years… nine years. of the reason he took the job, because he saw ––––––– that he could rebuild the school in a slightly ElDahab: That’s a long time. Were you ex- different way. He was an art critic and philoso- cited to return to the place where you studied? pher, and he was also curating shows a bit and Rehberger: It was funny because I had of- was running an institution before. Kasper fers from other schools and I was thinking, had been working in a university before, in “Should I do it or not?” I was asked a couple of Canada. He was also a curator. I think after times to teach here but I didn’t feel well about the experience with Kasper, which was very it because there were too many of my friends; positive, we wanted the rector of the school some of whom were still in the school. Then not to be an artist, but to be somebody who is when Daniel Birnbaum asked me to do it, it extremely related to it. I think it’s very good was the right time because I had been con- again, I have to say. sidering taking a teaching job anyway. I re- ––––––– alized that I enjoyed it from having done a ElDahab: How much time do you have to be guest professorship in Munich and a couple at the school? other smaller and bigger workshop things. Rehberger: You mean in the contract, so to When Daniel asked me, it was so convenient. speak? For me it’s different than it is for other If I wanted to teach, it made the most sense teachers because I live in Frankfurt. I have a to do it here in Frankfurt. I liked that it was more or less regular class meeting every two just around the corner so I can go in my pa- weeks. Sometimes I do it every week. Some- jamas. It was exciting, yes, but I was also a times there will be three weeks in between. little bit doubtful, feeling a bit like someone It’s not completely regular. who’s married to the school. But then after a ––––––– while, I realized that it wasn’t a problem. I’m ElDahab: So, being in Frankfurt, you prob- involved, but it’s not something I think about ably have a more intimate relationship with every day. I think I can handle it quite well. your students. I still have enough distance and it doesn’t Rehberger: That’s true. You don’t always disturb my work at all. I have to say that I re- teach in the classroom. Suddenly you meet ally enjoy working with the students, which four students in a bar and you start talking, is mostly because the students I have are re- and talking is also teaching. Then sometimes ally interesting. I also liked the way Daniel people come to my studio. It’s not that I’m al- wanted to run things. ways available for them, but it’s easier than it ––––––– is for teachers who live in other places. Some- ElDahab: Did many other people come in at times I go with them to see a football match, this time, like you? not with the whole class, but maybe three or Rehberger: Daniel was the first, and then four students. I like this family structure. It I think Michael Krebber, Isabelle Graw, and makes it easier for them to understand that if myself, then Wolfgang Tillmans, and then Si- you’re very hard on them it’s not because you mon Starling, and then Mark Leckey. There want to be an asshole or that you don’t care. was a great deal of change happening automat- It’s quite nice. ically because contracts were running out. ––––––– Some of the teachers were getting old enough ElDahab: So is there anything totally hor- to go on a pension and Daniel just started to rible about the school? bring in a new generation, and of course a bit of Rehberger: Something horrible about the a different attitude. I guess this was also part school? We don’t have enough money!

––– 142 ––– Interview with Tobias Rehberger ––– Mai Abu ElDahab

ElDahab: Or maybe something you find dif- ficult. Rehberger: I understand, but it’s hard… I never thought much about it. Tell me some- thing which you think is difficult, or possibly negative about the school, just from what you know about it. ––––––– ElDahab: I think, as an outsider, that it could perpetuate the rather dated Master-Pu- pil system a bit. Do you think this is the case? Rehberger: Yeah, I can see what you mean, but I don’t have the feeling that it’s so true in general. It might be a little problematic in some classes. If I compare it to a school like Düsseldorf, which has basically the same sys- tem of Master-Pupil with one professor who is really the master, or the god, we do have that system but I don’t think that this is what we’re really presenting in the end. It’s also just that the Städelschule is so small. Every student knows every other student and they always talk to each other about what’s happening in each other’s classes and how it is, and “why does your teacher always say this?” and “why is your teacher never criticizing?” and so on. The general atmosphere in the school is total- ly not about this “Master” thing.

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Monsters of Rokoko, Michael Krebber mit Studenten / with students, Städelschule 2005 Im Lehrerzimmer _ Isabelle Graw und Michael Krebber

Gespräch

––– 146 ––– Gespräch ––– Isabelle Graw und Michael Krebber

Isabelle Graw: Der Plan war, dass wir uns ge- ben, um es dann vorzutragen. Als Klassen- genseitig zu unseren jeweiligen Lehrmetho- leiter kann ich nur zum Mittagessen in die den befragen würden. Dazu wäre zunächst Städelschule fahren. Bei mir kommt das jetzt einmal festzustellen, dass wir beide instituti- nicht so flüssig raus. onalisiert sind, da wir jeweils eine Professur ––––––– an der Städelschule innehaben. Du bist Leiter Graw: Kein Problem; wir bedienen uns un- einer Klasse, ich glaube für Malerei... terschiedlicher Rhetoriken, das ist klar. Also, Michael Krebber: So heißt das offiziell. du fährst zum Mittagessen hin? ––––––– Krebber: Ich fahre praktisch zum Mitta- Graw: Genau. Und ich bin Professorin gessen hin. Du hast eben das Thema Freund- für Kunsttheorie und Kunstgeschichte. Das schaft angesprochen. Wenn man mich kari- heißt: Qua Institution wurde uns ein Platz zu- kieren würde, wäre ich natürlich der Freund. gewiesen, dem ein gewisses Maß an Autorität Ich hätte diese fürchterliche Rolle. zugeschrieben wird. Mit der Position des Pro- ––––––– fessors oder der Professorin identifiziert zu Graw: Das heißt, dass die Leute, die in dei- sein, ist gleichbedeutend mit Status. Nun hat ner Klasse sind, zum Teil deine Freunde wä- man die Möglichkeit, diesen Status zu verin- ren. Oder dass du der Freund deiner Klasse nerlichen, sich vollständig mit ihm zu identi- bist? fizieren, ihn für absolut gerechtfertigt zu hal- Krebber: Das klingt jetzt alles so fies, aber ten, seine Autorität auszuspielen, da man der ich habe ja auch von "dieser schrecklichen Meinung ist, man hätte den Studierenden et- Rolle" gesprochen. Freundschaft trifft es aber was beizubringen. Auf der anderen Seite gibt auch nicht ganz, denn das ließe den Generati- es die Möglichkeit, diesen Status zu negieren, onswechsel unberücksichtigt. Erschwerend eben nicht an ihn zu glauben, sich nicht mit kommen Probleme dazu, die ich folgender- der im Professorentitel aufgehobenen Autori- maßen beschreiben möchte: Wer Kohle hat tät voll und ganz zu identifizieren, um statt- und wer nicht und wer von zweien von der dessen das Motto auszugeben, dass man mit sichereren Seite her spricht. Wenn jedoch die den Studierenden befreundet sei. Ich selbst Ebene gemeint ist, wo ich in der Schule etwas habe eine Art Mittelweg eingeschlagen. So mitzuteilen versuche, dann geht dies meines wie ich die Implikationen der Rolle Professor Erachtens nur über diese Freundschafts- ernst nehme, Verantwortung für meine Lehr- schiene; ein Funke muss überspringen. verpflichtungen übernehme und die institu- ––––––– tionellen Hierarchien berücksichtige, glaube Graw: Aber was sind das für Freund- ich nicht daran, dass ich etwa über eine na- schaften, wenn wir die Tatsache berücksich- türlich gegebene Autorität verfügen würde. tigen, dass die Studierenden zu dir, speziell im Mir ist bewusst, dass es meine Position in Rahmen des Meisterklassensystems, formal dieser Institution ist, die mir diese Autorität in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen? verleiht. Auch deshalb glaube ich nicht an das Das kann man doch nicht leugnen? Was ist das Freundschafts-Modell, das institutionelle Hie- für eine Freundschaft, die von diesem insti- rarchien negiert. tutionell organisierten Verhältnis überlagert Krebber: Zunächst einmal befinden wir bleibt? Während man Freunde gewöhnlich uns in völlig verschiedenen Situationen: Du als gleichberechtigtes Gegenüber in außerin- bist Theorielehrerin und ich bin Klassenlei- stitutionellen Zusammenhängen wie Kneipe, ter. Ich muss keine Vorlesungen halten und Club etc. trifft, hättest du die Leute in deiner ich muss nicht zuhause etwas vorbereitet ha- Klasse doch niemals kennen gelernt, wenn du

––– 147 ––– nicht qua Institution zu ihrem Leiter berufen dessen Notwendigkeit aber immer wieder zur worden wärst? Debatte steht. Manchmal bin ich mit Wider- Krebber: Frankfurt kommt der Kneipe stand konfrontiert, den ich zum Teil berech- schon sehr nah. Weil die Städelschule eine so tigt finde, zum Teil aber auch ignorant. kleine Schule ist. Dadurch, dass sie so klein Krebber: Ja, das ist leider deine Rolle, da ist, ist jeder Lehrer, jede Lehrerin, selbst da- kann man nichts machen. Weil du eine Theo- für verantwortlich, mit wem sie oder er es zu rielehrerin bist. Es wäre nur möglich, das als tun hat. In einer großen Schule gibt es immer angenehmer zu empfinden, wenn man es von Ausschüsse, die bestimmen, ob jemand in die seinem Unterhaltungswert her betrachten Schule aufgenommen wird oder nicht. Da hat würde. Was gestern z. B. auf der Ratssitzung man dann unter Umständen mit Menschen zu an Widerstand der Student/innen zu sehen tun, die man vorher noch gar nicht gesehen war, fand ich auch sehr lustig. Das hatte einen hat. Man arbeitet praktisch in einer Situation Riesenunterhaltungswert. Ich würde das ei- wie im Einwohnermeldeamt, und muss sich gentlich nur von dieser Seite her betrachten. folglich auch mit Kreativität beschäftigen. Ich gehe hingegen von einer anderen Seite an ––––––– die Problematik heran, da für mich die Frage Graw: Habe ich dich richtig verstanden, nach der Existenzberechtigung im Vorder- dass du dir durch die Aufnahmeprüfung qua- grund steht. Und die sehe ich bei mir gar nicht. si aussuchen kannst, mit wem du zusammen Dass ich ein Lehrer wäre, der etwas mitzutei- arbeitest? Und deshalb kommt es dem Prinzip len hat. Ich glaube auch nicht, dass viele der Freundschaft nahe, weil man sich auch seine anderen Lehrer/innen das anders sehen. Es Freund/innen aussucht? gibt zwar welche, die an die Lehrerrolle glau- Krebber: Gott sei dank kann man sich an ben, bestimmt auch welche, die im Guten da- der Städelschule auch gegenseitig aussuchen. ran glauben, aber eigentlich glaube ich, dass ––––––– die meisten Zweifel an dieser Existenzberech- Graw: Was meinst du damit? tigung hegen. Krebber: Ich werde ja auch gefragt. Ich fra- ––––––– ge nicht nur, ich werde auch gefragt. Graw: Nicht daran zu glauben, dass man ––––––– andere etwa erziehen könnte oder ihnen et- Graw: Unsere Situation ist an diesem was mitzugeben habe, ist eine Sache. Was ist Punkt wirklich sehr unterschiedlich. Da ich jedoch mit dem institutionellen Effekt, der keine Klasse habe, variieren meine Kontakte dazu führt, dass man sich vielleicht doch auf je nachdem, welches Thema ich anbiete. Meis- Dauer in der Rolle des Lehrenden einrichtet, tens sind zu Beginn viele Leute da, sobald Re- so dass man sich Autorität anmaßt und diese ferate anstehen, bricht der Zulauf ein wenig ab Rolle annimmt, wie eine zweite Natur? Das be- und am Ende bleibt eine Kerngruppe der wirk- obachte ich oft... lich an theoretischen Texten Interessierten. Krebber: Das tun ganz viele. Aber ich glau- Einerseits bin ich der Meinung, dass man als be noch nicht einmal an den Künstlerberuf, Künstler oder Kulturproduzent im weitesten ich glaube nicht daran, dass das ein Beruf ist. Sinne nicht genug wissen kann. Andererseits Es fällt mir schwer, meine Sätze auf die Reihe glaube ich nicht, dass man als Künstler unbe- zu kriegen. dingt bestimmte theoretische Texte gelesen ––––––– haben oder einem akademischen Standard Graw: Ich verstehe alles. genügen muss. Deshalb mache ich ein Ange- Krebber: Ich verstehe es auch. (Beide la- bot, das ich selbst zwar für notwendig halte, chen.) Es gibt tatsächlich Leute, die an die

––– 148 ––– Gespräch ––– Isabelle Graw und Michael Krebber ganze Sache wie an einen Beruf herangehen dass das, was sie machen, Kunst ist. Auch an und dies völlig selbstverständlich tun. Aber der Legitimation dieses Kunst-Machens ha- zum Beruf wird es für mich eher in der Hin- ben sie keinen Zweifel. Der Rahmen, der es ih- sicht, als man an dieser Schule ja jemandem nen erlaubt, selbstverständlich von dem Wert gegenüber verantwortlich ist. Wer bezahlt die der Kunst und deren Berechtigung auszuge- Schule? Warum gibt es die Schule? An diesen hen, ist die Akademie. Stellen wird es kompliziert, und wenn man Krebber: Die Akademie erlaubt dies zum sich diesem Außen gegenüber rechtfertigen großen Teil. muss, kann es richtig heikel werden. Denn ––––––– hier stoßen Gruppen, Menschen oder auch Graw: Bei allen Differenzen haben wir viel- Vorstellungen aufeinander, die überhaupt leicht doch eines gemein, dass wir nämlich an nichts voneinander wissen. Das ist aber auch diesem Punkt auf unterschiedliche Weise die interessant. Gewissheiten aufbrechen. Ich versuche je- ––––––– denfalls, selbstverständliche Annahmen wie Graw: Denkst du an Situationen wie die, wo die, dass alles an der Akademie Produzierte man mit einem lokalen Politiker oder einem Kunst und der Rede wert und legitim sei, ein Mitglied des Fördervereins reden muss und bisschen ins Wanken zu bringen. sich automatisch erklärt, wenn nicht sogar Krebber: Ich bringe diese Gewissheiten rechtfertigt? nicht nur ein bisschen ins Wanken, sondern Krebber: Zum Beispiel. Aber es könnte mache sie am liebsten sofort kaputt. Das ge- auch eine Situation in einer Galerie sein, es lingt mir manchmal nicht. Manchmal be- kann auch eine Aufnahmeprüfung sein, es haupte ich Dinge zu schnell, die ich dann re- kann die beiläufigste Gelegenheit sein. lativieren muss. Ich habe schon erlebt, dass ––––––– sich Leute, die ganz neu an die Akademie und Graw: Und wie hältst du in solchen Mo- gerade aus der Schule kamen, gegen mich ge- menten deine Skepsis, was die Künstleridenti- wehrt haben. Aber auch schön gewehrt ha- tät betrifft, aufrecht? Wie begründest du sie? ben. Krebber: Der Künstlerberuf ist gar nicht ––––––– das Schlimme, viel schlimmer wird es bei Graw: Wie vermittelst du deine grundsätz- dem Versuch zu definieren, was Kunst ist. liche Skepsis gegenüber dem Wertesystem und Dann gibt es sofort wieder die Situation wie den Glaubensinhalten des Kunstbetriebs? beim Einwohnermeldeamt. Denn dann macht Krebber: Ähnlich wie ich jetzt gerade rede. natürlich jeder Kunst. Die Vorstellungen kön- Ich kann eigentlich gar nicht reden. Ich muss nen hier sehr weit auseinander gehen. Jetzt irgendwann einen Fehler machen, etwa ver- kann ich eigentlich nur noch Witze machen, gessen, in welcher Situation ich mich befinde. denn niemand weiß, was Kunst ist. Bezie- Dann gibt es Schwierigkeiten. Oder ich ver- hungsweise jeder weiß etwas anderes davon, suche, irgendetwas nicht zu vergessen. Dann und ich bin einer von denen, die etwas an- sage ich einen Satz nicht ganz zu Ende, dann deres davon wissen. Und diese ganzen Vor- kommt schon der nächste Gedanke und dann stellungen treffen aufeinander. beginne ich zu balancieren und habe etwa ––––––– fünf Baustellen parallel. Ich springe dann Graw: Kunst ist ja ein evaluativer Begriff, von Baustelle zu Baustelle und fange irgend- ihm ist eine Wertedimension bereits einge- wann zu schreien an. Aus reiner Verzweif- schrieben. Mich irritiert immer, wie selbst- lung, irgendwas nicht zusammen zu kriegen verständlich Student/innen davon ausgehen, oder etwas zu verpassen. Das Ganze passiert

––– 149 ––– so, weil ich denke, in diesem Moment so große Graw: Ist es denn faktisch so, dass an die- Verantwortung zu tragen, dass, wenn ich jetzt sen Tisch auch zahlreiche andere kommen? irgendwas vergesse, dies ganz schreckliche Krebber: Nein, eher ganz bestimmte ande- Auswirkungen haben könnte. (Lacht) re. Und das hat wieder mit Freundschaften in ––––––– der Schule zu tun. Ich werde noch oft auf das Graw: Das mit der Verantwortung finde ich Bild der Kneipe zurückkommen. Du hast ja in auch belastend. Gerade in Einzelgesprächen Texte zur Kunst den Artikel über die Ausstel- kommt es mir oft so vor, als sei ich jetzt für lung Make Your Own Life in Philadelphia und ganze Lebensentscheidungen verantwort- über das Köln der 90er Jahre geschrieben und lich. Von meinem Kommentar hängt unter dafür das Wort Überwachungsstaat benutzt. anderem auch ab, welche Richtung die Person Das trifft auch meine Situation an der Schu- in ihrer Arbeit einschlagen wird. Einzelge- le. So empfinde ich es jedenfalls. Jetzt möchte spräche kommen ja der psychoanalytischen ich aber doch noch etwas Schönes über mich Sitzung sehr nahe. Ich habe dabei die Beobach- sagen: Dass ich ein wirklicher Lehrer bin, ich tung gemacht, dass sich Geschlechterstereo- stehe da genau so zur Disposition wie andere. typen immer wieder reproduzieren. Während Ob es wirklich so ist, weiß ich nicht, aber so die jungen Männer oft extrem selbstbewusst kommt es mir vor. auftreten und über jeden Zweifel erhaben zu ––––––– sein scheinen, präsentieren sich die jungen Graw: Ich erinnere mich an eine Diskus- Frauen viel unsicherer. Dann geht es darum, sion, als du angefangen hast. Es hieß: „Der die Frauen zu unterstützen und aufzubauen Michael guckt sich gar keine Arbeiten an, der und den Männern ihre Gewissheiten zu rau- weigert sich sogar Klassenbesprechungen zu ben. machen“. Ich fand das zwiespältig. Denn oft Krebber: Das kann sein, aber es gibt domi- ist es ja tatsächlich unmöglich, etwas zu einer nante Frauentypen, und so etwas erlebe ich künstlerischen Arbeit zu sagen, deren Rah- seltener, was vielleicht auch an unseren un- menbedingungen man nicht kennt. Ich flüch- terschiedlichen Rollen liegt. Ich habe ja tat- te mich dann immer in Empfehlungen, welche sächlich mit einer Klasse zu tun. Auch andere Kataloge man sich angucken könnte, welche dürfen kommen und sie kommen auch. Die Bücher lesen, mit denen die Arbeit etwas zu Klasse als räumlich und sozial umrissenes tun hat, ohne dass sich die Betreffenden darü- Ganzes gibt es eigentlich gar nicht. Die Klasse ber bewusst sind. Aber in einer Klasse sollte ist vielmehr der Tisch, an dem man gerade in es doch gerade darum gehen, diese Kommuni- der Mensa sitzt und isst. Und an diesen Tisch kation mit all ihren Schwierigkeiten zuzulas- setzen sich auch andere. Von daher handelt es sen. Deshalb fand ich deine Weigerung auch sich nicht nur um die Klasse. Dennoch bin ich schwierig. mit meinem Angebot nicht für die ganze Schu- Krebber: Was ich damals meinte, war eher le zuständig. Ich würde das gerne sein, das im Sinne von Selbstschutz gemeint. Als Leh- sage ich nebenbei, ich hätte nichts dagegen, rer in Deutschland bin ich nicht dazu ver- beispielsweise auch in die Klasse von Willem pflichtet, mir von jedem/er Studenten/in die (de Rooij) gehen zu können, aber ich sage das Arbeiten anzugucken. Diese Dienstleistung nicht ganz so laut, eher halblaut. Um mich ein muss ich zwar an gewissen Stellen erbringen, bisschen zu schützen. Um nicht in die Rolle etwa bei der Mappenberatung, die es natürlich desjenigen reinzukommen, der für die ganze geben muss. Auch in der Aufnahmeprüfung Schule zuständig ist und das dann auch noch muss ich mir Mappen angucken, bin sogar repräsentieren muss. dazu verpflichtet. Aber innerhalb der Schule

––– 150 ––– Gespräch ––– Isabelle Graw und Michael Krebber muss ich mir nicht von jedem die Sachen angu- steht, und manchmal entsteht sie, dann pas- cken, und als ich neu an der Schule war, habe siert das eben. ich mich auch ein bisschen schützen müssen. ––––––– Damals war die Situation so, dass jeden Tag Graw: Aber fragen dich die Student/innen mehrere zu mir kamen, um mich zu fragen, nicht, warum du eine bestimmte Platte von ob ich mir irgendwas angucken würde. Das Tony Conrads, einen bestimmten Film von habe ich zuerst immer gemacht und so auch Jack Smith oder einen bestimmten Text von das Ganze und die Leute kennen gelernt. Diedrich Diederichsen eigentlich gut findest? ––––––– Krebber: Doch, das kommt vor. Aber wenn Graw: Aber irgendwann war es genug? ich zehn Mal etwas in mein Fach getan habe Krebber: Ich habe irgendwann einmal ge- und dazu in der Email einen Kommentar ge- sagt, dass ich es nicht machen wollte. Das wur- schrieben habe, dann sehe ich mich nicht de dann zitiert. zehn Mal mit einer Frage konfrontiert. Ich bin ––––––– ja gut bekannt. Es handelt sich nicht einfach Graw: Und wie hälst du es jetzt? um eine Lehrer-Schüler-Situation. Ich finde Krebber: Jetzt passieren solche Anfragen es auch ganz fantastisch, dass ich die sozusa- gar nicht mehr. Ich bin schließlich nicht mehr gen weggemacht habe. neu an der Schule und deshalb gewisserma- ––––––– ßen langweilig geworden. Warum genau so Graw: Könnte man nicht umgekehrt sagen, viele jetzt gar keine Arbeitsbesprechung wol- dass gerade das Kultivieren von Skepsis und len, weiß ich auch nicht. Vielleicht eilt mir der das Unterminieren der eigenen Autorität die Ruf desjenigen voraus, der das grundsätzlich meta-autoritäre Geste par excellence ist? nicht macht? Ich weiß es nicht. Es könnte mei- Krebber: Das kann ich nachvollziehen. nethalben auch wieder öfter passieren. Nur, wenn ich anfangen würde zu sagen, so ––––––– muss man es machen, dann würde es nie- Graw: Da hättest du gar nichts dagegen? mand machen. Krebber: Nein. ––––––– ––––––– Graw: Worauf ich hinaus will, ist Fol- Graw: Ich bin ja in deinem Email-Verteiler gendes: Gerade dadurch, dass du die traditio- und weiß, dass du jenseits des Angebots, in nelle Lehrerrolle eben nicht bewohnst, könn- der Mensa zu sitzen, noch jede Menge Emp- test du Effekte erzeugen, die gar nicht so weit fehlungen aussprichst für Ausstellungen, von dem entfernt sind, was beispielsweise in Kataloge, Artikel, Platten etc. An dieser Stel- der Lüpertz-Klasse passiert. Wo es Lüpertz le ähneln sich unsere Jobprofile. Nur würde explizit darauf anlegt, Epigonen zu züchten, ich mich nicht damit begnügen, eine Vorliebe könnte auch deine Verweigerungshaltung, weiterzugeben. Ich würde meine Gutheißung überspitzt formuliert, zu demselben Ergebnis auch argumentativ untermauern müssen. führen. Wie geht es mit deinen Empfehlungen weiter? Krebber: Bloß kann ich das nicht erken- Wird das von dir Gutgeheißene gemeinsam nen. Diese Frage ist mir schon oft gestellt wor- angeguckt und kritisch diskutiert? den. Die Fangfrage: Wie findest du es, wenn Krebber: Das kann ich dir eigentlich jemand dich nachmacht? Dann antworte ich, nicht sagen. Das ist genau wie bei Freunden, dass ich es gewöhnlich nicht erkenne, wenn das wird nicht weiter diskutiert. Ich bin bei mich jemand nachmacht. Denn was genau ist Freunden nicht derjenige, der die Führung damit gemeint? Ist damit ein Kunstwerk ge- einer Diskussion hat. Aber wenn sie denn ent- meint, das so und so aussieht, oder ein Sprach-

––– 151 ––– Gespräch ––– Isabelle Graw und Michael Krebber verhalten, irgendwelche körperlichen Bewe- Graw: Und was ist bei dir am Mensa-Tisch gungen... Psychologie halt? Wenn das Bild so so anders? aussähe, dann fände ich das ja gut. Das weißt Krebber: Ich finde nicht, dass ich so gute du ja und das weiß jeder, dass Nachmachen für Witze mache. Ich finde das nicht so interes- mich nicht sein muss, aber sein kann. sant. ––––––– ––––––– Graw: Hast du mit deinem künstlerischen Graw: Bedeutet dies, dass die Student/in- Verfahren nicht demonstriert, dass man nen bei euren Treffen in der Mensa schon mal durch diese Phase des Nachmachens hin- das Zepter in die Hand nehmen? durch muss, dass am Nachmachen grundsätz- Krebber: Ich würde es nicht als Treffen lich kein Weg vorbeigeht? bezeichnen. Ich gehe da hin und freue mich, Krebber: Meinetwegen gerne. Nur ist mir wenn ich Student/innen treffe. Ich wäre zwar das Nachmachen am Ende zu unwichtig. Es enttäuscht, wenn ich einen Tag mal völlig un- ist nicht so, dass ich das als Lehrprogramm beliebt wäre und keiner mit mir an meinem empfehle. Ich empfehle wirklich gar nichts Tisch säße. als Lehrprogramm. Aber wenn so etwas pas- ––––––– sieren würde, wäre das auch in Ordnung. Es Graw: Sitzen am Tisch denn genauso viele ist eigentlich erst einmal grundsätzlich alles junge Frauen wie junge Männer? Oder sind es in Ordnung. Wenn jemand ein Kunstwerk junge Männer, die hier nicht nur zahlenmäßig macht, dann ist das Kunstwerk immer gut. dominieren? Aber wenn jemand ein zweites, drittes, viertes Krebber: Nein, sie dominieren nicht. Aber macht, dann wird es schwierig und beim zehn- dieser Tisch wird auch nicht von mir ins Le- ten Mal ist man erst im Schlamassel drin. ben gerufen. Es handelt sich wirklich nur um Aber am Anfang ist erstmal alles gut. das In-die-Mensa-Gehen. Und in der Mensa ––––––– gibt es ja sechs oder acht Tische, mehr gibt es Graw: Diese Bemerkung setzt mich jetzt da nicht, und ich setze mich einfach irgendwo schon in Erstaunen. Ich habe dich als je- dazu. An den Tisch, wo ich die meisten kenne. manden kennen gelernt, der ganz dezidiert ––––––– bestimmte Dinge herausgreift und andere Graw: Aber du kündigst deine Mensa-Be- kategorisch ablehnt. Dahinter steckt ja ein suche per Email an. Die Student/innen wis- schon irgendwie zu beschreibendes System sen doch, dass du kommst. von ästhetischen Präferenzen. Krebber: Du meinst, dass sie deshalb extra Krebber: Bei mir ist aber nicht so viel zu kommen? Das glaube ich nicht. Ich glaube, holen. Bei mir wäre höchstens auf der Ebe- sie sind sowieso da. In jeder Schule gibt es be- ne von Techniken etwas zu holen; wie man stimmte Cliquen und Sandkisten, bestimmte noch mal so schielen kann und da etwas ver- Ecken, und entsprechend setzen sich diese Ti- schieben kann, so dass man immer woanders sche zusammen. Das ist so wie in jedem Lo- steht. So etwas kann man bei mir sehen. Aber kal, wie überall in Gesellschaften. das kann man bei anderen auch sehen. Ich bin nicht so ein Unterhalter, dass bei mir in dieser Hinsicht viel zu holen wäre. Markus Lüpertz geht ja mit Leuten ins Lokal rein und unterhält das ganze Lokal. Ob einem das ge- fällt oder nicht. Sigmar Polke hat das früher auch gemacht.

––– 152 ––– In the Teachers’ Lounge _ Isabelle Graw and Michael Krebber

Conversation

––– 185 ––– Isabelle Graw: The plan was that we would Krebber: I effectively go there for lunch. interview each other about our respective You’ve just brought up the subject of friend teaching methodologies. We should establish ship. If someone were to caricature me, I’d obvi- at first that we have both become part of the ously be the friend. I’d be in this terrible role. institution, as each one of us holds a professor- ––––––– ship at the Städelschule. You are responsible Graw: That means the people in your class for a class, for painting, I believe ... would be your friends? Or that you are your Michael Krebber: That’s the official title. class’s friend? ––––––– Krebber: That all sounds so nasty now, but Graw: Right. And I am a professor for the I did call it “this terrible role.” But friendship theory and history of art. That is to say: we isn’t quite right, either, because that would were institutionally assigned places that car- disregard entirely the generation gap. And ry a certain amount of authority. To be iden- then problems aggravate the situation that I tified with a professorial position ipso facto would describe in the following way: who’s got means status. Now, one has the option of in- cash and who doesn’t, and which one of the two teriorizing this status, of identifying entirely is speaking from the safer side of things. But with it, of considering it absolutely justified, if we’re talking about the level where I try to of exerting one’s authority, believing that one communicate something at the school, then has something to teach to one’s students. On I think that works only via this friendship the other hand, one has the option of negating channel; there’s got to be a spark. this status, of precisely not believing in it, of ––––––– not identifying wholesale with the authority Graw: But what kind of friendship is that, if contained in the title of professor, and of is- we bear the fact in mind that the students, es- suing instead the general directive that one pecially given the master class system, stand to is friends with one’s students. I myself have you in a formal relation of dependency? That’s chosen a sort of middle path. Just as I take the undeniable, isn’t it? What kind of friendship is implications of the role of professor seriously, that, with this persistent institutionally orga- take on the responsibility of my teaching ob- nized relation superimposed on it? Whereas ligations, and bear the institutional hierar- one usually meets friends as equal partners chies in mind, I do not believe that I hold some in extra-institutional contexts such as bars, kind of naturally given authority. I am fully clubs, etc., you would never have met the peo- aware that it is my position in this institution ple in your class if the institution hadn’t ap- that lends me this authority. That is also why pointed you to be their professor, would you? I don’t believe in the friendship model, which Krebber: Frankfurt comes pretty close to negates institutional hierarchies. being a bar. Because the Städelschule is such Krebber: First of all, we are in very different a small school. Since it is so small, every teach- situations. You teach theory; I am directing a er is personally responsible for whom they class. I don’t have to give lectures, and I don’t are dealing with. At a large school, there are need to have prepared something at home that always committees that determine whether I then present in class. As a professor, I could someone will be admitted or not. Then you just come to the Städelschule for lunch. I can’t may have to do with people you’ve never met quite put it very eloquently right now. before. You effectively work in a situation ––––––– comparable to the civil registry office, and Graw: No problem, we employ different rhet- part of your responsibility is to concern your- orics, that’s obvious. So, you go there for lunch? self with creativity.

––– 186 ––– Conversation ––– Isabelle Graw and Michael Krebber

Graw: Do I understand you correctly: with And I don’t think that many of the other teach- the entrance exams you can in effect select ers see that differently. There are some who with whom you will work? And that’s why it believe in the role of the teacher, and certainly comes pretty close to the friendship princi- also some who believe in it in good faith, but I ple, because one selects, among others, one’s think that most really have doubts about this friends? raison d’e^tre. Krebber: Thank God people can also select ––––––– each other at the Städelschule. Graw: Not believing that one might be able ––––––– to educate others, or that one might have some- Graw: What do you mean by that? thing to give them to take away with them, is Krebber: I’m being asked, too. I don’t just one thing. But what about the institutional ef- ask, I’m also being asked. fect that perhaps leads one, over the course of ––––––– time, to settle into the role of teacher, and to ar- Graw: Our situations at this point really rogate authority and to accept this role, like a are very different. Since I don’t have a class, second nature? That’s something I frequently my contacts vary depending on the subject I observe ... teach. In most cases, there will be many people Krebber: Many people do that. But I don’t in the beginning; as soon as it comes to student even believe in the profession of the artist, I presentations, attendance goes down a bit; and don’t believe that it is a profession. I’m hav- in the end I’m left with a core group of people ing a hard time getting my sentences strung who are really interested in theoretical texts. together. On the one hand, I believe that as an artist or ––––––– cultural producer in the widest sense, you can Graw: You’re making perfect sense to me. never know enough. On the other hand, I don’t Krebber: To myself, too. (Both laugh.) think that an artist need have read certain There are in fact people who approach the theoretical texts or meet some academic stan- whole thing like a profession, and do so as a dard. That’s why I am making an offer that I perfect matter of course. But for me it becomes think is necessary, but the necessity of which, a profession rather in the sense that one is, af- then again, is always up for debate. Sometimes ter all, responsible to someone at this school. I meet with resistance that I find partly justi- Who pays for the school? Why does the school fied, but then also partly just ignorant. exist? Those are the points where it gets com- Krebber: Yes, unfortunately, that’s your plicated, and once you have to justify yourself role, there’s nothing you can do about that. before this outside, that can be a really deli- Because you teach theory. You might just find cate business. Because groups and people col- it more pleasant by focusing on its entertain- lide there, and ideas, too, that know nothing of ment value. I thought, for instance, that the each other. But that’s also interesting. student resistance you could observe yester- ––––––– day during the council meeting was also very Graw: You’re thinking of situations such as funny. That had a huge entertainment value. having to talk to a local politician or a donor, I would really regard it only from that side. where one automatically offers explanations, But I approach the whole problem from a dif- even justifications of what one does? ferent side, since the question of the raison Krebber: For example. But it might be a sit- d’˘tre stands in the forefront for me. And in uation in a gallery as well, it might be an en- my case I don’t really see it: that I would be a trance exam, it might be the most casual oc- teacher who has something to communicate. casion.

––– 187 ––– Graw: And how do you maintain at such Graw: How do you communicate your fun- moments your skepticism regarding your damental skepticism regarding the value-sys- identity as an artist? How do you justify tem and the beliefs of the art world? it? Krebber: By saying things similar to what Krebber: The profession of the artist isn’t I’m saying now. I really can’t speak at all. At really the sore point, it gets much worse when some point I inevitably make a mistake, for you attempt to define art. Then you’re right example, I forget what situation I’m in. Then back in the civil registry office situation. Be- it gets difficult. Or I try not to forget some- cause everyone, of course, is then making thing. Then I don’t finish a sentence, and the art. Ideas can be very far apart on this. So next thought is already coming on, and I start now the only thing I can do, really, is to make to balance and have about five construction jokes, for no one knows what art is. Or, to be sites active at the same time. I jump from one precise, everyone knows something differ- construction site to the next, and at some point ent about it, and I am one of those who know I start shouting. Out of pure desperation that I something different about it. And all these might not be able to get something sorted out, ideas collide. or miss something. The whole thing happens ––––––– in this way because I think at that moment that Graw: Art is an evaluative term, a dimen- I bear such great responsibility that, if I forget sion of value is inscribed in it from the outset. something now, the consequences might be al- I’m always irritated by how students take it as together terrible. (Laughs.) a perfect matter of course that what they make ––––––– is art. Nor do they have any doubts regarding Graw: I also experience the responsibility the legitimacy of making this art. The acad- thing as a burden. Especially in conversations emy is the framework that permits them to ac- with individual students, I often feel like I’m cept the value of art and its justification as an being made responsible for decisions affect- unquestioned basis. ing an entire life. Among other things, the di- Krebber: The academy permits that to a rection someone’s work will take depends on large extent. my comments. Conversations with individu- ––––––– als very much resemble psychoanalysis. And Graw: Whatever our differences may be, I’ve noticed that gender stereotypes continue we may still have one thing in common: that to reproduce themselves. Whereas the young is, we pry the certainties at this point open, in men often exude extreme confidence and seem different ways. I, in any case, attempt to under- exempt from all self-doubt, the young women mine unquestioned assumptions a little, such present themselves as much more insecure. as the notion that everything produced at the The aim is then to support the women, to raise academy is art and worth talking about and their confidence, and to deprive the men of legitimate. their certainties. Krebber: I don’t just undermine these cer- Krebber: That may well be, but there are tainties a little, I prefer shattering them to also types of dominant women, and I experi- pieces right away. Sometimes I don’t succeed ence this kind of thing less often, which may in doing so. Sometimes I make claims too fast also be because of our different roles. I actual- that I then have to qualify. I’ve had people who ly am involved with a class. Others can come, had just arrived at the academy, fresh out of too, and they do come. The class, as a spatially high school, fight me. And fight me in a nice and socially defined entity, doesn’t really ex- way, as it were. ist. The class is rather the table where we hap-

––– 188 ––– Conversation ––– Isabelle Graw and Michael Krebber pen to sit and eat at the cafeteria. And others Germany, I am not obliged to look at every stu- sit down at this table as well. So to that extent dent’s work. That is a service I have to perform it’s not just about the class. Still, in what I offer at specific moments, for example during port- I am not in charge of the entire school. I would folio counseling, something that has to hap- like to, I say that by the bye, I wouldn’t mind be- pen, of course. During the entrance exams, ing able to walk into Willem’s (de Rooij) class, too, I have to look at portfolios; I’m even con- for instance, but I don’t quite say that out loud, tractually obliged to do so. But at the school, rather as an aside. To protect myself a little. I don’t have to look at everyone’s work, and To avoid assuming the role of the one who’s in when I was new to the school, I also had to pro- charge of the entire school, and then on top of tect myself a little. The situation at the time that has to represent it. was such that multiple people came to me ev- ––––––– ery day to ask whether I would look at this or Graw: But is it in reality the case that many that. At first I always did, and so I got to know others come to this table? the whole thing and the people. Krebber: No, it’s rather very specific others. ––––––– And that has to do in turn with friendships at Graw: But there came a time when it was the school. I’ll return often to the image of the enough? bar. You wrote that article for Texte zur Kunst Krebber: At some point I said that I didn’t about the show Make Your Own Life in Phila- want to do it. And then I was quoted saying delphia and about life in nineties’ Cologne, and that. used the term surveillance state for the latter. ––––––– It’s apposite also to my situation at the school. Graw: And what’s your position now? At least that’s how it feels to me. But now I Krebber: This kind of request isn’t made would like to say something nice about myself, at all anymore. After all, I’m no longer new too: that I am a real teacher, I am as much up for at the school, and have become boring, as it debate as others. Whether it really is so I don’t were. Why exactly it is that there are so many know; but that’s how it seems to me. now who don’t want to talk about their work ––––––– in progress at all I don’t know either. Perhaps I Graw: I remember a debate when you start- have a reputation for not offering that on prin- ed here. Some said, “Michael doesn’t look at ciple? I don’t know. As far as I’m concerned, it any work at all, he even refuses to conduct could even happen more often now. class discussions.” I felt ambivalent about that. ––––––– For it is in fact often impossible to say some- Graw: You wouldn’t mind at all? thing about artistic work when you are not fa- Krebber: No. miliar with the conditions and circumstances ––––––– of its genesis. In such situations, I always take Graw: I’m on your email list and so I know refuge in recommendations, which catalogs that beyond offering your students to sit in to look at, which books to read that relate to the the cafeteria with you, you make many rec- work, even though the person in question may ommendations, regarding exhibitions, cata- not be aware of that. But in a class, oughtn’t logs, articles, records, etc. As far as that is the point to be to let this communication hap- concerned, our professional profiles are simi- pen, with all its difficulties? That’s why I also lar. Yet I wouldn’t be satisfied with just com- thought your refusal was problematic. municating a preference. I would also feel Krebber: My point at the time had more compelled to substantiate my approval of to do with protecting myself. As a teacher in something with arguments. What happens

––– 189 ––– with your recommendations? Do people go to- or a linguistic behavior, bodily movements gether to see what you’ve expressed approval of some kind… that is, psychology? If that of and then discuss it critically? were the picture, I would even like that. You Krebber: I couldn’t really say. That’s exact- know, and everyone knows, that imitation is ly like with friends, it’s not discussed any fur- for me something that doesn’t have to hap- ther. Among friends I’m not the one to assume pen, but can happen. the leadership in a discussion. But when the ––––––– discussion does arise, and sometimes it does, Graw: Didn’t you demonstrate with your then that’s what happens. artistic procedures that one has to go through ––––––– this phase of imitation, that there is funda- Graw: But don’t your students ask you why mentally no alternative to imitation? it is that you like a specific album by Tony Krebber: If you want to put it like that, yes. Conrads, a film by Jack Smith, or a text by Only in the end, imitation isn’t important Diedrich Diederichsen? enough for me. It’s not like I recommend that Krebber: Yes, that happens. But I don’t en- as part of my pedagogical program. There is counter a question ten times out of ten when really no pedagogical program of recommen- I’ve put something in my box and comment- dations. But if it were to happen, that would ed about it in an email. I’m well known, after be ok. As a matter of fact, everything is pri- all. It’s not a simple teacher-student situation. marily and fundamentally ok. When someone And I think it’s really terrific that I, so to makes a work of art, the work of art is always speak, undid this situation. good. But when someone makes a second, ––––––– third, fourth work of art, it gets difficult, and Graw: One might say that cultivating skep- when you get to the tenth, that’s when you’re ticism and undermining one’s own authority in deep trouble. But in the beginning, every- is the exemplary meta-authoritarian gesture, thing is primarily good. mightn’t one? ––––––– Krebber: I can see how one might. But, if I Graw: Now what you’re saying does aston- began by saying: that’s how it needs to be done, ish me. I’ve come to know you as someone who then no one would do it. selects very specific things with determina- ––––––– tion and categorically rejects others. There’s Graw: What I’m getting at is this: precisely a system there of aesthetic preferences that by not inhabiting the traditional teacher role, are in some way describable. you might be creating effects that are not too Krebber: But there’s not much you’ll get far from what is happening, for example, in from me by way of such a system. At best, Lüpertz’s class. Whereas Lüpertz explicitly there’s something on the level of technique; aims to raise a class of epigones, your attitude how you can always look askance from here of refusal might, to put it strongly, have in the and displace something there so that you al- end the same result. ways stand somewhere else. That’s what you Krebber: But I can’t see that. I’ve been can see in me. But you can see the same thing asked this question many times. The trick in others. I’m not the kind of entertainer from question: what do you think of someone who whom you’ll get much in that way. Markus imitates you? Then I answer that I usually Lüpertz goes to a restaurant with people and don’t recognize it when someone imitates entertains the entire restaurant. Whether me. For what exactly does that mean? Does it people like it or not. Sigmar Polke also used mean a work of art that looks such and such, to do that.

––– 190 ––– Conversation ––– Isabelle Graw and Michael Krebber

Graw: And what’s so different about your cafeteria table? Krebber: I don’t think that my jokes are that good. I don’t think it’s that interesting. ––––––– Graw: Does that mean that during your meetings at the cafeteria, the students might sometimes take charge? Krebber: I wouldn’t call them meetings. I go there and if I’m lucky, I meet students. Al- though I would be disappointed if I were one day completely unpopular and no one would sit at my table. ––––––– Graw: Are there as many young women at your table as young men? Or is it the young men who are dominant, numerically and oth- erwise? Krebber: No, they’re not dominant. But it’s not I who call this table into being. It’s really only about going to the cafeteria. And there are six or maybe eight tables at the cafeteria, no more, and I simply sit down somewhere. At the table where I know the most people. ––––––– Graw: But you announce your visits to the cafeteria in advance via email. Your students do know you’re coming. Krebber: You think they come specifically because of that? I don’t think so. I think they’re there anyway. There are certain cliques and sandboxes at every school, certain niches, and that’s how these seating arrangements come about. That’s the same as in any restaurant, in any company.

––– 191 ––– Kunstausbildung und Kunstmarkt _ Simon Starling und Willem de Rooij

Gespräch

––– 192 ––– Gespräch ––– Simon Starling und Willem de Rooij

Willem de Rooij: Seit einigen Jahren bin ich dass ich dem bewusst aus dem Weg gegan- nun schon Tutor bei den Amsterdamer Ate- gen wäre, es kam damals einfach nicht dazu, liers, einer Institution, die eine ganz beson- und ich bemühte mich auch nicht darum. Die dere Mischung aus Postgraduiertenbildung frühe Phase meiner Laufbahn habe ich im und einer Artist-in-residence-Einrichtung Kontext von Künstlerräumen und öffentlich darstellt. Die Ateliers haben einen bewusst finanzierten Ausstellungsinstitutionen ge- abgeschlossenen Charakter. Die Teilnehmer staltet. Das hat mich dazu gebracht, in meiner werden nicht dazu angeregt, während ihres Eigenschaft als Lehrer junge Künstler dazu Aufenthaltes viel Zeit auf die Präsentation zu ermutigen, etwas aus diesem Raum in ihre ihrer Arbeiten außerhalb der Institution zu eigenen Karrieren hineinwirken zu lassen verwenden, das Haus ist ausschließlich für und sich Kenntnisse über das Ausstellungs- ausdrücklich Geladene bestimmt. machen außerhalb der kommerziellen Sphä- Die Städelschule, an der du und ich Klas- re zu verschaffen. sen leiten, hat eine offenere Struktur. Der Dass junge Künstler für ihr Werk einen kri- jährliche Rundgang ist ein außerordentlich tischen Kontext ermitteln können, bevor es in beliebtes Ereignis, das sich an ein ganz un- die unaufhörlich weiterwuchernden Kunst- spezifisches Publikum richtet, aber auch an marktkreisläufe eingesogen wird, das scheint Galeristen, Kuratoren und die Presse. Die mir von besonderer Bedeutung zu sein. Das ist Studierenden sammeln so schon früh in ihrer aber heute gar nicht so leicht, es sieht so aus, künstlerischen Entwicklung Erfahrungen als stünden die Galeristen immer früher vor mit den marktbezogenen Dynamiken ihres der Tür. Das Kräfteverhältnis hat sich sicher- beruflichenUmfelds. lich verschoben, die kommerzielle Galeriewelt Welcher Abstand zwischen Kunststuden- vereinnahmt oder gestaltet gar die Aktivitäten ten und Markt erscheint dir angemessen? Hilft der Institutionen; da wird immer weniger un- es den Studenten, ihre Arbeiten außerhalb des terschieden. Das in Deutschland übliche Pro- akademischen Kontexts auszustellen? fessorensystem, in dem wir beide tätig sind, ––––––– neigt zur Förderung von Studierenden durch Simon Starling: Meine Haltung in dieser ihre Professoren. Galeristen werden, wie du Frage gründet sich stark auf meine persön- schon sagtest, zu Ausstellungen der Studie- lichen Erfahrungen, aber dazu muss ich nun renden eingeladen und bekommen ganz be- auch sagen, dass diese Erfahrungen inzwi- stimmte Arbeiten gezeigt. Bei so etwas werde schen fünfzehn Jahre zurückliegen, und in ich sehr misstrauisch. Aus meiner Sicht geht diesem Zeitraum hat sich die Kunstwelt ra- es mehr darum, den Studierenden möglichst dikal verändert. Nach meinem Abschluss im viele Gelegenheiten zum Ausstellungsmachen Jahr 1992 hatte ich fast acht Jahre keinerlei zu eröffnen; wenn man versucht, jeden Kon- Beziehungen zu kommerziellen Galerien oder text, jede Situation aus einer kritischen Warte zum Kunstmarkt, und wenn ich auf die Ent- zu benennen. Das hat dazu geführt, dass die wicklung meines Werks in jenen frühen Jah- Klasse auf der Frankfurter Kunstmesse die ren zurückblicke, dann bin ich wirklich dank- Installation Art Parking geschaffen hat. Und bar für diese Zeit, die ich weitgehend unbehel- vor kurzem wurde versucht, die Ateliers mit ligt von Marktdingen verbringen konnte. Es dem Messegebäude in Offenbach über ein vier wäre sicher ein ganz anderer Künstler aus Kilometer langes Fiberglaskabel zu verbin- mir geworden, wenn ich aus der Kunstausbil- den, das danach dazu verwendet wurde, ein dung heraus schnurstracks in die Arme einer Video mit der Dokumentation der Kabellege- kommerziellen Galerie gelaufen wäre. Nicht, versuche zu übertragen.

––– 193 ––– De Rooij: Ich stimme dir zu; wie es ist, au- vierte Künstler ernsthaft in der Entwicklung ßerhalb des Ateliers Arbeiten zu zeigen, das ihres Werks beeinträchtigt werden, dass eine ist für die Studierenden eine wichtige Erfah- einzige halbinteressante Idee allzu leicht zu rung. Ich bin der Meinung, dass eine Arbeit einem Jahrzehnt reiner Wiederholungspro- erst mit ihrer Präsentation fertig gestellt ist, duktionen führen kann. Natürlich gehen und deshalb erachte ich den Schwerpunkt auch von den Institutionen ähnliche Druck- auf Ausstellungspraktiken für einen ganz wirkungen aus. Letzten Endes dreht sich al- wesentlichen Bestandteil des Curriculums les darum, dass man mit den richtigen Leuten jeder Art von Kunsthochschule. In welchem zusammenarbeitet, und wenn man zwanzig Stadium der Ausbildung diese Konfrontation ist, dann fällt es einem oft schwer zu erken- allerdings stattfinden sollte, da bin ich mir nen, wessen Interessen sich wirklich auf sein nicht so sicher. Wenn Künstler allzu früh in Wohl richten. Meiner Ansicht nach sollte die ihrer Entwicklung in den Ausstellungsbe- Zusammenarbeit mit einer Galerie von bei- trieb kommen, kann es auf der Sender- wie den Seiten als langfristiges Projekt angelegt auf der Empfänger-Seite der Leitung gleicher- sein, und ich kann Galeristen mein Misstrau- maßen zu Verwirrung kommen. Mit welchen en nicht ersparen, wenn sie sich veranlasst Konsequenzen soll man rechnen, wenn die sehen, mit Künstlern zusammenzuarbeiten, Arbeit eines 20-Jährigen (weil sie in ein und deren Werk noch einen langen Entwicklungs- demselben Kontext gezeigt wird) mit densel- prozess vor sich hat. ben Kriterien bewertet wird wie die eines 45- Damit komme ich auch auf deine Frage Jährigen oder gar eines 65-Jährigen? zurück, wann denn der rechte Moment wäre, In deiner Response scheinst du klar zwi- um sich mit dem Ausstellungsmachen zu kon- schen denjenigen Anforderungen zu unter- frontieren. Aus verschiedenen Gründen sollte scheiden, die aus der kommerziellen Ecke auf man damit ganz früh beginnen, und meistens junge Künstler einwirken, und denen, die mit geschieht das ja auch auf ganz natürliche Wei- dem Ausstellen in nichtkommerziellen Kon- se, wenn man anfängt, sich die Ausstellungen texten einhergehen. Ich frage mich, ob man anderer Künstler anzuschauen, und ich wür- diese Anforderungen wirklich so klar unter- de Studierende immer ermutigen, sich den scheiden kann. Wie siehst du das? jeweiligen Rahmen eines Werks zu vergegen- ––––––– wärtigen, ganz gleich in welchem Kontext sie Starling: Ich gehöre nicht zu denjenigen, ihm begegnen. Die Hoffnung ist dabei, dass für die kommerzielle Galerien von vornhe- sie, wenn sie erst einmal ihre eigenen Arbei- rein das Böse sind. Ich arbeite wirklich sehr ten ausstellen, dies dann von der stärksten Po- gern mit dem kommerziellen Sektor, das sition aus tun können. Eine der großen Neu- bringt oft eine große Unterstützungsstruktur erungen in Frankfurt war der Portikus, der und viele Möglichkeiten zur Umsetzung ehr- im Laufe der Jahre Studierenden Zugang zu geiziger neuer Projekte mit sich. Tatsächlich den verschiedensten Arten des Ausstellungs- ist es oft viel ehrlicher, wenn man mit einer machens verschafft und ihnen so ein Gefühl Galerie ein neues Projekt startet, als wenn ihrer Möglichkeiten vermittelt hat, auch man das mit einer Institution macht. Gale- wenn dies nur in den ziemlich bescheidenen rien entwickeln sich mehr und mehr zu pro- Raumverhältnissen des White Cube möglich aktiven Faktoren auf der Produktionsebene, war. Ausstellungen zu machen war immer und das beeinflusst auch ihre Funktionswei- wesentlicher Bestandteil des Funktionierens se. Trotzdem steht das Gefühl ganz real da, der Schule. Ich nehme mal an, dass das auch dass zu früh in den Galerienbetrieb invol- in den Ateliers in Amsterdam von Bedeutung

––– 194 ––– Gespräch ––– Simon Starling und Willem de Rooij ist? Mir scheint, der dortige Lehrkörper ver- karriereorientiertes Programm gefahren fügt über einige der raffiniertesten Ausstel- wird; künstlerischer Erfolg bemisst sich da lungsmacher, eine klosterähnlich ablaufende oft aufgrund der richtigen Zeilen im Lebens- Ausbildung würde dementsprechend als Wi- lauf. Vielen Studierenden gefällt dieses Sys- derspruch erscheinen. tem, und sie nutzen die Mischung aus öffent- ––––––– licher Aufmerksamkeit und institutioneller De Rooij: Bevor ich deine Frage beantworte, Sicherheit, um ihre Präsentationsformen auf möchte ich zuerst ein wenig über meine eige- den entscheidenden Punkt hin zu entwickeln nen Erfahrungen als Kunststudent erzählen. und um sich ein öffentliches Erscheinungs- Ich habe in den frühen Neunzigern an der Ger- bild zu schaffen. Doch kommen in diesem rit Rietveld Akademie in Amsterdam studiert. System noch unsichere Studierende oft zu Die Ausbildung dauerte damals fünf Jahre. übertrieben professionellen Präsentationen, Der Lehrplan war vorsichtig ausgedrückt obwohl es sich eigentlich um unfertige Arbei- sehr begrenzt, die Einsicht, dass Fünfjahres- ten handelt. Sie bedienen dann die Industrie verträge der Lebendigkeit einer Fakultät zu- mit Arbeiten, die zwar wie Kunst aussehen, gute kommen, hatte sich noch nicht durchge- denen es aber noch an materialmäßiger und setzt. Die meisten Tutoren hatten Verträge auf konzeptueller Tiefe mangelt. Lebenszeit, und als ich dort hinkam, hatten Die Ateliers, zu denen ich später dann als viele schon deutlich ihr Verfallsdatum über- Advisor gekommen bin, versuchen die Stu- schritten. Zudem waren die Löhne so niedrig, dierenden davon abzubringen, sich während dass es sich als unmöglich erwies, Tutoren he- ihres Studienaufenthalts dort auf öffentliches ranzuholen, die ansonsten über lukrativere Auftreten einzulassen. Das Institut wird von Einkommensquellen verfügten oder die Künstlern geleitet und (fast) ausschließlich nicht in unmittelbarer Umgebung der Schule Künstler werden zu Atelierbesuchen bei den wohnten. Letztlich sorgte das im besten Fall Studierenden eingeladen. Das führt zu eini- für eine mit Leidenschaft arbeitende Lehrer- gen Problemen. Wie du schon sagtest, ist das schaft, aber auf der Höhe der internationalen Ausstellen ein Teil der künstlerischen Pro- (manchmal nicht einmal der nationalen) Ent- duktion, und eine Arbeit ist nicht fertig, solan- wicklungen war man damit nicht. Soweit mir ge ihre schlussendliche Kontextualisierung bekannt ist, hat sich diese Situation eigentlich noch nicht ganz durchdacht ist. Die Studie- bis heute nicht verändert. renden in den Ateliers sind manchmal etwas Glücklicherweise verfügt Amsterdam über ungeschickt bei der öffentlichen Präsentati- zwei hervorragende Einrichtungen zur Aus- on von Arbeiten, die sie nach zwei Jahren in- bildung von Postgraduierten: die Ateliers und tensiver Ausbildung hergestellt haben, und die Rijksakademie. Diese Institutionen sind das finde ich höchst problematisch. Doch die finanziell unabhängig vom holländischen Abwesenheit von kuratorischem oder kom- Bildungsministerium, also hat man mehr merziellem Druck während ihrer Arbeits- Spielräume. Ich bin in den späten Neunzigern zeit wirkt sich positiv auf ihre Konzentration für zwei Jahre an der Rijksakademie gewe- beim Arbeiten aus. In den Ateliers haben die sen. Ihre Offenen Ateliers finden eine Menge Studierenden wirklich Zeit zum Produzieren internationaler Beachtung und ein weites und zur Reflexion ihrer Arbeit, im Verlauf Spektrum von Kritikern, Kuratoren, Künst- meiner Zeit an der Rijksakademie habe ich da- lern und Kunsthändlern statten dem Institut gegen zwar viele Leute kennen gelernt, doch das ganze Jahr über Besuche ab. Man könnte alles was ich letztlich produziert habe, waren sagen, dass an dieser Institution ein deutlich Lebensläufe und Dokumentations-Tapes.

––– 195 ––– Jedenfalls arbeiten sowohl die Rijksaka- ren eigentlich für den Zugangsschlüssel zum demie als auch die Ateliers mit schon etwas Kunstmarkt bezahlt. Interessant fand ich älteren Studierenden. Am Rietveld oder am auch die Tatsache, dass in einem neueren Städel sind einige Studierende noch so jung Katalog zu einer Werkretrospektive von und unerfahren, dass sich der Aufbau von John Baldessari ein umfängliches Interview Beziehungen zur Kunstwelt meiner Ansicht einzig und allein seiner Lehrtätigkeit ge- nach eher als verwirrend denn als hilfreich widmet war. Das hat mir sehr gefallen, und erweist. In den ersten Phasen der künstle- ich mag Baldessaris Ansatz sehr, aber das rischen Entwicklung ist es oft schwierig, mit Interview scheint ebenfalls Teil desselben der emotionalen Distanz von der Arbeit um- Trends zu sein. Und wie du schon sagtest, hat zugehen, aber die ist für eine professionelle die Manifesta das Vorbild der Sommerkurse Interaktion unbedingt notwendig. der Städelschule nach Zypern übertragen; In letzter Zeit haben sich einige Ausstel- es scheint allerdings, als wären sie dabei lungen mit dem Thema der Kunsterziehung ein bisschen weiter gegangen als den dor- auseinandergesetzt, darunter auch die Ma- tigen Politikern genehm ist. Und schließlich nifesta 6. Wie kommt es aus deiner Sicht zu scheint es auch so, als sei das seltsame Ma- diesem kuratorischen Interesse und was sind nifesta-Projekt zum Stillstand gekommen. deiner Ansicht nach mögliche Konsequenzen Aber vielleicht ist das auch alles nur eine für Studierende und Betrachter? simple Fortschreibung der Plattform-Kultur, ––––––– die sich in den vergangenen Jahren so weit Starling: Ich gebe dir vollkommen Recht, verbreitet und formalisiert hat. Dabei könnte wenn du sagst, dass sich auf diesem Gebiet ge- die Kunstinstitution als ein passendes Vor- rade eine ganze Menge ereignet. Ich schätze, bild erscheinen, eine Ersatzplattform, wenn das könnte in Europa mit dieser Langzeitdis- man so will. kussion über das Wesen der Kunsterziehung Als ich Ende der achtziger Jahre in Eng- im Allgemeinen und deren Verhältnis zu land mit meinem Studium anfing, stand die anderen Formen etwa universitärer Ausbil- Berufspraxis innerhalb der Kunstschulen dung zu tun haben; das professorale System kaum je zur Debatte, es waren Orte, an denen steht da gegen das amerikanische Modular- man eine kreative Disziplin erlernte und dar- system, aber das sollten wir vielleicht ein an- über hinaus noch ein bisschen Theorie und deres Mal diskutieren. Geschichte. Es gab sogar die unausgespro- Die Mail über die in der New Yorker Da- chene Auffassung, dass wahrscheinlich nur vid Zwirner Gallery geplante MFA-Ausstel- ein paar von denen, die den Abschluss ma- lung (siehe Seite 206), die du mir weiterge- chen, letztlich Künstler werden würden; das leitet hast, fand ich sehr interessant. Wie hat sich radikal verändert, die inzwischen es scheint, will die Galerienwelt sich nicht professionelle Praxis ist an den meisten Schu- nur die Institutionen einverleiben, sondern len ein Lernerfolg. Die Zeiten, in denen Kunst- auch das Ausbildungswesen. Zuletzt war erziehung etwas für werdende Rockstars ich dann doch von einem Kommentar eines war, sind vorbei. Heute steht etwas mehr auf meiner Studierenden überrascht, eines dem Spiel, in manchen Fällen ist es sogar sehr Austauschstudenten aus New York, der mir viel. Gerade habe ich noch als Außengutach- sagte, es entspreche allgemeinem Einverneh- ter an der St. Martins School in London gas- men, dass man an den New Yorker Schulen als tiert, und da fiel mir sofort auf, wie viele der Undergraduate oder als Angehöriger eines Leute dort Büros als ihre Abschlussausstel- Masterstudienganges seine Studiengebüh- lung präsentierten; die Kunsterziehung wird

––– 196 ––– Gespräch ––– Simon Starling und Willem de Rooij immer modularisierter und bürokratischer, auch die Grundlage eines guten Logo-Designs und es scheint, dass die Studierenden darauf aus. Aber eine erfolgreiche künstlerische Ar- auch entsprechend reagieren. beit leitet ihre inneren Qualitäten aus einer ––––––– ganz anderen formellen Ökonomie ab als ein De Rooij: Ich weiß, was du meinst! Logo, und deswegen wird es auch für gewöhn- Ich finde die kuratorische Eingemeindung lich von nicht so vielen verstanden wie ein der Kunsterziehung sehr problematisch. Si- gutes Logo. Wir können zweierlei tun, wenn cherlich stehen bei fast jeder Kunstschule der wir dafür sorgen wollen, dass Nuancen und Welt Verbesserungen an. Doch wenn Kura- Details weiter Teil unseres Kunstverständ- toren Strukturen einrichten, in denen Künst- nisses bleiben: Einmal können wir die riesige ler zur Produktion einer Kunst erzogen wer- Menge Menschen, die wir zurzeit nur unter- den, die diese Kuratoren dann gerne ausstel- halten wollen, zu einem Verständnis für die len, dann scheint mir das eine sehr schwierige schon erwähnten Feinheiten zu erziehen ver- professionelle Grätsche für alle Beteiligten. suchen. Zum anderen können wir aber auch Für einen Studierenden hieße das, dass sei- den Versuch machen, andere (möglicherwei- ne Ausbildung zum Lohn dafür wird, dass er se bescheidenere) finanzielle Mittel aufzutrei- zeigt, was der Kurator/Lehrer von ihm will, ben, die dazu ausreichen, unsere Arbeit mit und dass es, wenn er lernt und produziert, was einem kleineren, motivierteren Publikum zu der Kurator/Lehrer will, für ihn dazu führt, teilen. Ein Publikum, das man nicht erst zur dass er ausgestellt wird. Ich glaube nicht, dass Neugier erziehen muss. Kunststudierende oder Künstler beigebracht bekommen sollen, sich bestehenden kurato- rischen, kommerziellen oder ausbildungsbe- zogenen Strukturen anzupassen. Ebenso we- nig glaube ich, dass man sie dazu verpflichten, von ihnen erwarten oder sie gar dazu auffor- dern sollte, sich an der Einrichtung dieser Strukturen zu beteiligen, indem sie an Foren, Diskussionen und Plattformen teilnehmen. Ich habe das Gefühl, Künstler sollten unab- hängig sein, sie sollte die Freiheit haben, das zu schaffen was sie schaffen wollen, und das System der Verwaltung und der Bürokra- tie, das seinem Wesen nach die Welt der Ku- ratoren und Kunsthändler konstituiert, hat dementsprechend zu reagieren. Vielleicht ist das Thema Ausbildung ge- rade so in Mode, weil die Ausstellungen, von privaten wie von öffentlichen Sponsoren, ge- zwungen werden, sich auf ein immer stärker wachsendes Publikum einzustellen. Wenn Kunst (wie eigentlich alles andere auch) zu viele Betrachter zu berücksichtigen hat, dann führt das natürlich zu Einbußen in den De- tails und Nuancen. Dieses Phänomen macht

––– 197 –––

Simon Starling und /and Burkhard Riemschneider, Portikus 2006 Art Education and the Market _ Simon Starling and Willem de Rooij

Conversation

––– 200 ––– Conversation ––– Simon Starling and Willem de Rooij

Willem de Rooij: For a number of years now paramount that young artists find a critical I've been a tutor at the Ateliers in Amsterdam, context for their work before it gets sucked an institute that offers a peculiar mix of a post- into the ever-proliferating art fair circuit. But grad education and a residency-situation. The its not so easy these days, it seems like the gal- Ateliers has a deliberately closed character. lerists come knocking earlier and earlier. The Participants are not encouraged to spend balance of power has certainly shifted and much time showing their work outside of the the commercial gallery world increasingly institute during their stay, and the building subsumes or even orchestrates the activities is open only to those who are specifically in- of the institutions; there’s less and less of a vited. distinction. In Germany, the Professor system The Städelschule, where you and I both that we both work in tends towards the pro- teach, has a more open structure. The yearly motion of students by their professors. As you Rundgang is an extremely popular event with say gallerists are invited to student shows and the general public but also with gallerists, cu- shown particular works. That’s something rators and press. Students become aware of I’m very wary of. For me it’s more a question the market-related dynamics of their profes- of opening up as many possible approaches to sional Umfeld in an early stage of their artistic exhibition making for the students, trying to development. address each context or situation from a criti- How long or short do you feel the lines be- cal position. This has led to the class creating tween art student and market should be? Is it "Art Parking" at the Frankfurt Art Fair and beneficial for students to exhibit their work then more recently trying to connect the stu- outside the academic context? dios to the fair building in Offenbach with four ––––––– kilometers of fiber optic cable which was then Simon Starling: My take on this question is used to transmit a video documenting the at- very much grounded in personal experience tempted installation of the cable. but having said that it’s experience that’s fif- ––––––– teen years old now and without a doubt the De Rooij: I agree with you, it’s important for art world has changed radically in that time. students to experience what it is like to show Having graduated art school in 1992 I had no their work outside the studio. I think a work dealings with commercial galleries or the art is not finished until it is presented and I con- market for almost eight years, and looking sider a focus on exhibition practice a vital part back on the way my work developed in those of any art school’s curriculum. I’m not sure early years I am extremely grateful for that in what stage of an education this confronta- time largely outside of the market. I know I tion should take place though. Much confu- would be a very different artist if I had walked sion might arise on both the sending and the straight from art school into the arms of a com- receiving end of the line when artists enter mercial gallery. It wasn’t that I was avoiding it the exhibition circuit at a premature stage in but it just didn’t happen and I didn’t go looking their development. for it. I formed my early carrier in the context What are the consequences if the work of of artist run spaces and public galleries. As a 20 year old is measured by the same criteria a result of this my instinct as a teacher is to (because it is shown in the same context) as encourage young artists to build something the work of lets say a 45 year old, or a 65 year of this space into their own careers and to de- old? velop an understanding of exhibition making In your response you seem to make a clear without the commercial world. It seems to me distinction between the demands posed on

––– 201 ––– Willem de Rooij, Städelschule 2007

Willem de Rooij, Städelschule 2007 Conversation ––– Simon Starling and Willem de Rooij young artists by commercial contexts, and access to exhibition-making of all kinds and the demands resulting from exhibiting in to start to get a sense of the possibilities, even non-commercial contexts. I wonder if these within a fairly modest white cube. Exhibi- demands are so clearly separated. How do you tion-making has always been an integral part see this? of the way the school functions. Surely at the ––––––– Ateliers in Amsterdam this is a major concern Starling: I’m not someone who thinks of too? The teaching staff there seems to be some commercial galleries as being inherently of the most sophisticated exhibition makers evil. I really enjoy working with the commer- around, a monastic education would seem cial sector; it often brings with it a great sup- contradictory. port structure and many possibilities for real- ––––––– izing ambitious new projects. In fact it’s often De Rooij: Let me tell you a bit about my ex- much more straightforward to make a new periences as an art student before I answer project with a gallery than it is with an insti- your question. I studied at the Gerrit Riet- tution. Galleries are increasingly proactive veld Academy in Amsterdam in the early in the area of production and that’s changing 90’s. At the time this course took 5-years. the way they function. Nevertheless there is The curriculum was limited to say the least a real sense in which, if young artists get in- and the notion that 5 year contracts benefit volved with galleries too soon, it can seriously the vitality of a faculty had not dawned. Most impact on the way that artists’ work devel- tutors had a contract for life, and when I ar- ops, that one, half-interesting idea can easily rived many had long outlived their own expi- become a decade of repetitive production. Of ration date. Besides that, the salaries were so course there are similar pressures from in- low that it proved impossible to attract tutors stitutions as well. It's all about working with that had more lucrative sources of income, the right people in the end and when you’re 20 or who didn't live in the direct vicinity of the years old its often difficult to tell who has your school. Result was a staff that was in the best best interests at heart. To me working with a cases passionate about teaching, but was gallery should be a long-term project on both not up to date with international (and some- sides and I can’t help but mistrust gallerists times not even national) developments. As who feel compelled to work with artists when far as I know, this situation has not changed their ideas about their work have still so far to date. to evolve. Luckily enough Amsterdam has two excel- It goes back to your point about when is the lent institutions for postgrad education: The right moment to confront exhibition-making. Ateliers and the Rijksakademie. These insti- In many ways this should happen from the tutions are not financially dependent on the very beginning and generally does in a very Dutch ministry of education, so there’s more natural way when looking at exhibitions by space to maneuver. I attended the Rijksakad- other artists, I would always encourage stu- emie for two years in the late 90’s. Their Open dents to take onboard the framing of work Studios attract a lot of international attention, within whatever context it may appear. In and there’s a broad range of critics, curators, that way the hope is that when they do come to artists and dealers who visit the institute all exhibit themselves, they can do that from the year through. One could say the institute runs strongest possible position. One of the great a distinctly career-oriented program, and ar- innovations in Frankfurt has been Portikus tistic success is often measured on the basis of which over the years has allowed students’ CV-related data. Many students thrive in this

––– 203 ––– system and use the mix of public attention and Starling: Yes, you’re absolutely right, there institutional safety to sharpen their presenta- does seem to be a rash of things going on in that tion methods and develop a public persona. area. I suppose in Europe it may be related to But in this system insecure students often this on-going discussion about the nature of come to overly professional presentations of art education in general and its relationship what are basically unfinished pieces. They’ll to other forms of university education, the cater to the industry with pieces that look like professorial system v. the American modular art, but lack material and conceptual depth. system, but perhaps that’s a discussion for an- The Ateliers, where I joined as an advisor other day. later, discourages students to engage in pub- I was very interested to read the mail you lic ventures during their stay. The institute forwarded me regarding the MFA exhibition is run by artists, and (almost) only artists that will take place at David Zwirner Gallery are invited to visit the students in their stu- in New York (see page 206). It seems that not dios. This model provokes some problems. As only does the gallery world want to consume you mentioned, exhibiting is part of artistic the institutions but also education too. I was production, and a piece is not finished if its recently surprised by a comment made by one final contextualization has not been thought of my students, an exchange student from New through. Ateliers students are sometimes York, who said that it is generally understood somewhat unsophisticated in presenting that what you’re paying for as an undergradu- their work in public after two years of intense ate or master’s student in the New York schools training, and I find this deeply problematic. is access to the market. I was also interested But the absence of curatorial and commer- to find that in a recent retrospective catalog cial stress during their work-period proves on the work of John Baldessari they had pub- very beneficial for their focus on the work. lished an extensive interview solely about his At the Ateliers students can actually take the teaching activities. I enjoyed this very much time to produce—and reflect on their work, and loved Baldessari’s approach but that in- whereas during my stay at the Rijks I met terview seems to be part of the same trend. many people, but all I produced were CV’s And as you say Manifesta has taken the model and documentation-tapes. of the Städelschule summer school to Cyprus, In any case, both Rijksakademie and Ate- although it seems that they may have pushed liers work with students that are a bit older. a little bit further than the local politics care But at Rietveld, or Städel, some students are to stretch. Finally it seems as if the strange so young and inexperienced that establishing Manifesta bandwagon might have ground to a relationships with the art world, to my opin- halt. Perhaps though all of this is simply a con- ion, can often be more confusing then ben- tinuation of the platform-culture of produc- eficial. In the earliest stages of artistic devel- tion that has become so endemic and formal- opment it is often hard to take the emotional ized in recent years. The art institution could distance from the work that is needed for pro- be seen as convenient model in that respect—a fessional interaction. surrogate platform if you like. A number of exhibitions have been focus- When I started studying in the late 80’s in ing on the subject of art education lately, Mani- Britain there was very little talk of the profes- festa 6 amongst them. What do you think is the sional practice within art schools, they were reason for this curatorial interest, and what places to learn a creative discipline and a little do you feel might be the consequences for stu- related theory and history. There was even an dents and viewers? implicit understanding that probably only a

––– 204 ––– Conversation ––– Simon Starling and Willem de Rooij handful of graduates would end up as artists, cater to many viewers, details and nuances that’s changed radically and now professional naturally get lost. It is in this phenomenon practice is a learning outcome for most schools. that the basics of good logo-design are laying. Gone are the days when art education was re- But a successful art piece derives its inherent ally for nurturing rock stars. The stakes are qualities from another formal economy than higher now, in some cases very high. I just a logo, and therefore is usually understood came back from being the external examiner by less viewers than a good logo. There are of Central St. Martins School in London where two things we can do if we want nuances and I was immediately struck by how many peo- details to remain part of our understanding ple had presented offices as their final degree of art. We can try to educate the large crowd show – art education is becoming increasingly we're currently aiming to entertain to be able modularized and bureaucratized and it seems to read the subtleties mentioned above. But we the students respond accordingly. could also set out to find other (possibly more ––––––– modest) means of finance, so that we can share De Rooij: I know what you mean! our work with smaller, more motivated audi- I find the curatorial embrace of art educa- ences. Audiences one does not have to teach tion very problematic. I'm sure education is how to be curious. up for improvement in most every art school in the world. But for curators to found a struc- ture in which artists are taught to produce the art these curators might want to show, to me seems like a very difficult professional stretch for all parties involved. For a student, the im- plication of a similar system would be that being educated becomes the award for show- ing what the curator/teacher wants, and that learning/producing what the teacher/curator wants results in being exhibited. I don't think art students, and artists, should be taught to adapt to existing curatorial, commercial, or educational structures. I also don't think they should be obliged or expected, or even invited, to help shape these structures by participat- ing in fora, discussions, and platforms. I feel artists should be independent and free to cre- ate what they want to create, and that the ad- ministrative and bureaucratic system that by its nature and through necessity constitutes the world of curators and dealers, must react accordingly. Maybe education is so fashionable at the moment because exhibitions are forced—by both private and public sponsors—to accom- modate increasingly large audiences. When art (or anything else, for that matter) has to

––– 205 ––– 06/20/06

A DELICATE ARRANGEMENT by Dan Cameron An exhibition of the 2006 School of Visual Arts MFA Graduates AT DAVID ZWIRNER GALLERY 525 W. 19th Street, New York, NY ***************FOUR DAYS ONLY*************** Wednesday through Saturday June 21- June 24, 2006 OPENING RECEPTION: Wednesday June 21, 2006 6-9pm http://www.svagraduate.com

Refreshments provided by BIERKRAFT of Brooklyn

Conceived of by the School of Visual Art MFA Class of 2006 and curated by Dan Cameron, A Delicate Arrangement will be on view at the David Zwirner Gallery in Chelsea for four days only, June 21-25, 2006.

The title of the exhibition, A Delicate Arrangement, refers to the treacherous path of MFA graduates entering the high-stakes commercial gallery world. It also points, with a degree of literalness, to the unusual circum- stances surrounding the show’s genesis.

The idea for an exhibition of the entire graduating class grew out of the students’ desire to mount a group exhibition at the completion of their full two years in the MFA program. Due to time and space limitations of SVA’s exhibition space, thesis exhibitions are often scheduled shortly after the 3rd semester of study, so many students felt that these shows, while excellent, did not always represent the full development of their work.

Dan Cameron, professor of the group’s final seminar in Critical Theory, came on board after being asked by the entire class to work with them in assembling and hanging the show. After a two-month search for an empty storefront space or nonprofit venue, he encouraged the students to approach several commercial spaces to ask if such an exhibition would be possible.

While many gallery names were tossed around, from small Brooklyn spaces to up-and-coming galleries, a student walked in to David Zwirner Gallery and asked if they would be willing to make their space available. To the surprise of Dan Cameron and everyone in the MFA Department at SVA, the David Zwirner Gallery said “Yes” and agreed to host the exhibition at no cost to the students.

But the question must be asked, at a time when other MFA programs are erecting walls to protect their stu- dents from the pressures of the market and P.S.1’s Greater New York show is characterized as having an air of pedophilia, is it presumptuous of these students to show in one of the city’s elite art galleries? Perhaps, but when people ask how this show ended up at one of the most prestigious galleries in New York, the stu- dents simply say, “We asked.”

Students from the SVA Class of 2006 have recently exhibited at P.S.1, M.Y. Art Prospects, High Desert Test Sites 05, Longwood Arts Project, and will be included in upcoming exhibitions at Caren Golden Fine Art, Nicole Klagsbrun Gallery, James Cohan Gallery and others.

ARTISTS EXHIBITING: Negar Ahkami, Jill Alexander, Jeffrey Beebe, Steven Bindernagel, Brent Birnbaum, Matthew Bradley, Shannon Brunette, Bradley Castellanos, Tim Clifford, Dan Drossman, Nicole Fernandez, Sean Christopher Fogle, Moo Kwon Han, Allison Hester, Gavin Kenyon, Christine Sun Kim, Tae Yeun Kim, Evonne Krawiec, Adam Krueger, Hyejin Kwon, Dylan Mortimer, Alla Nemchenok, Ted O’Sullivan, Sangbin Park, Pete Petrine, Ted Riederer, Ricky Sears, Josh Shaddock, Rita Sobral Campos, Ricardo Valentim, Jae K. Youn

For information or images, please contact Shannon Brunette at 718.541.0285 or email: [email protected]

Or see: http://www.svagraduate.com

The SVA MFA class of 2006 would like to thank the David Zwirner Gallery for donating their space; Dan Ca- meron for all his work; the SVA MFA Fine Arts Department for their support and Bierkraft for their donation. email to a friend contact subscribe Artforum 350 Seventh Ave, 19th Floor, New York, New York 10001

––– 206 ––– Portikus _ Walter Hollensteiner

––– 207 ––– Der 1987 gegründete Portikus ist die an die wie John Baldessari, Henrik Olesen und Judith Städelschule angegliederte Kunsthalle. Geleitet Hopf; nach Gilbert & George kam Simon Starling wird sie in enger Zusammenarbeit mit einem Ku- (der in Frankfurt blieb und einer der beliebtesten rator/einer Kuratorin (der/die diese Position üb- Professoren der Städelschule wurde)… Blickt licherweise für ungefähr drei Jahre innehat) 1 man auf die beiden Jahrzehnte zurück, in denen vom Rektor der Hochschule und dient als Aus- es Ausstellungen im Portikus gab, dann scheint stellungsort, an dem Künstler/innen neue, oft- es so, als habe nahezu jeder bedeutende zeitge- mals ortsspezifische Arbeiten präsentieren. nössische Künstler dort ausgestellt, von Gerhard Manchmal entstehen diese im Dialog mit den Richter und Isa Genzken bis zu Maurizio Cat- Studierenden der Akademie. In den vergangenen telan und Paul Chan. Die Liste liest sich wie ein Jahren kam es zu einer ganzen Reihe kollektiver Kanon. Tatsächlich erscheint es interessanter, Produktionen, die von Künstlern verschiedener darüber nachzudenken, wer da noch fehlt. Wel- Generationen initiiert wurden: von Rirkrit Tira- cher wichtige Künstler hatte noch keine Ausstel- vanija und Jason Rhoades bis hin zu Yoko Ono, lung im Portikus? deren haiku-artige „Instruction Pieces” im Jahr Architektonisch ist der Portikus eine Art Pa- 2005 Ausgangspunkt einer von Studierenden in rasit. Zuerst lag die Kunsthalle hinter der im Szene gesetzten Ausstellung waren. Viele wichti- Zweiten Weltkrieg zerstörten neoklassizistischen ge Künstler wie etwa Tobias Rehberger und Gre- Fassade der Frankfurter Stadtbibliothek. Dann gor Schneider hatten zu einem sehr frühen Zeit- wurden die Ausstellungen für ein paar Jahre in punkt in ihrer Karriere Ausstellungen im Porti- einem in Zusammenarbeit mit Tobias Rehberger kus. In den zwanzig Jahren seines Bestehens und entworfenen flexiblen Raum in einem weiteren mit ungefähr einhundertfünfzig Ausstellungen rekonstruierten historischen Gebäude in der In- hat er sich als eine der führenden Ausstellungs- nenstadt veranstaltet. Seit dem Frühjahr 2006 be- orte für experimentelle Kunst weltweit etabliert. findet sich der Portikus in einem von Christoph Die an der Städelschule lehrenden Künstler ha- Mäckler entworfenen Neubau auf der Maininsel ben ihre eigene Kunst gezeigt oder Ausstellungen an der Alten Brücke. Niemand würde wohl ein organisiert, wie zuletzt Michael Krebber und Laboratorium für experimentelle Kunst an einer Wolfgang Tillmans, die beide Gruppenausstel- derart prominenten Adresse, in gewisser Weise lungen mit den Werken internationaler Künstler- der zentralsten und historisch wichtigsten der kollegen kuratiert haben. In gewisser Weise, so Stadt, erwarten (man darf nicht vergessen, dass Daniel Birnbaum, der den Portikus nach dem Ab- bereits die Gebrüder Grimm eine Geschichte schied von Gründungsdirektor Kasper König im über diese Brücke, ihren Architekten und den Jahr 2001 übernahm, ist dieser Raum keine tradi- Teufel schrieben!). In diesem Sinne haben wir es tionelle Kunsthalle, sondern eine experimentelle auch weiterhin mit einer parasitären Einrich- Bühne, auf der sich zahllose verschiedene Aus- tung zu tun. Das große Glasdach, in dem seit der stellungsszenarien verwirklichen lassen: „Von der Eröffnung wechselnde Lichtinstallationen von stillen Kathedrale zum lebendigen Bazar, vom ele- Olafur Eliasson gezeigt werden, lässt den Porti- ganten Filmtheater zur Bäckerei, von der ru- kus von der Stadtseite aus betrachtet als „Leucht- higen Bibliothek zum überschäumenden Club…” turm“ erscheinen. Er ist ein Kraftwerk für zeitge- Nicht nur in Deutschland ist der Portikus ein- nössische Kunst, und manchmal tauchen in den zigartig. Keine andere europäische Kunsthoch- Bäumen der Insel verblüffende Dinge auf: eine schule verfügt über eine Ausstellungshalle mit von gestaltete schwebende einem ähnlich ambitionierten internationalen Frau oder ein in der Dunkelheit aufscheinender Programm. Sie erfüllt mindestens zweierlei Leuchtballon von Tomas Saraceno. Funktionen: Die Studierenden können dort wich- „Eine Galerie wird nach Gesetzen errichtet, tige Künstler kennen-lernen und Erfahrungen die so streng sind wie diejenigen, die für eine mit- mit der Inszenierung von Ausstellungen sam- telalterliche Kirche galten. Die äußere Welt darf meln. Und die breitere Frankfurter Öffentlich- nicht hereingelassen werden, deswegen werden keit kann einen Blick von dem erhaschen, was in Fenster normalerweise verdunkelt. Die Wände der zeitgenössischen Kunst vor sich geht. Die Er- sind weiß getüncht. Die Decke wird zur Licht- öffnungen sind Ereignisse, die sich über die quelle.” 2 Dies ist Brian O’Dohertys Beschreibung Kunstszene hinaus größter Beliebtheit erfreuen. einer klassischen White-Cube-Situation. Der Por- Die Mischung der Generationen ist außerge- tikus kann diese Art Raum zur Verfügung stel- wöhnlich. So kamen etwa nach einem Pionier len, wenn ein Künstler ihn braucht. Von außen

––– 208 ––– Portikus ––– Walter Hollensteiner hat das Gebäude mittelalterlichen Charakter, im iel Birnbaum, who took over the Portikus in 2001 Inneren weist es die denkbar reduzierteste Struk- after founding director Kasper König had left: tur auf. Benötigen die ausgestellten Werke eine “From the serene cathedral to the lively bazaar, andere räumliche Umgebung, dann müssen nur from the elegant cinema to the baker’s shop, from ein paar sehr einfache Einbauten zum Einsatz ge- the tranquil library to the bustling club...“ bracht werden; diese verändern die Wahrneh- The Portikus is unique, not only in Germany. mungsweise dann allerdings grundlegend. Eine No other European art academy has an exhibi- auf Höhe der Balustrade eingezogene Textilbe- tion hall with such an ambitious international spannung schafft letztlich die White-Cube-Situa- program. It has at least two functions: students tion. Der Portikus, sagt Birnbaum, „ist eine Low- get to know important artists and learn what it is tech-Maschine”. Man kann ihn in Minuten und to stage an exhibition. And the general audience ohne viel Aufwand verändern. Im Vordergrund in Frankfurt gets a glimpse of what is going on in stehen Experiment und Produktion. Die Stadt contemporary art. The openings are immensely Frankfurt verfügt über eine große Anzahl tradi- popular events attracting large audiences far be- tioneller Museen. Der Portikus ist anders: Sein yond the usual art scene. ungewöhnlicher Ort und der leicht veränder- The mix of generations is unusual. After a pio- bare Ausstellungsraum sind Auslöser vieler aus- neer like John Baldessari came Henrik Olesen and sergewöhnlicher Projekte. Fortsetzung folgt… Judith Hopf; after Gilbert & George came Simon Starling (who stayed in Frankfurt and became one 1) Im August 2007 übernahm Melanie Ohnemus die Stelle of Städelschule’s most popular professors)...If one der Kuratorin als Nachfolgerin von Nikola Dietrich. 2) Brian O‘Doherty, In der weißen Zelle / Inside the White looks back at two decades of Portikus exhibitions, Cube, übers. von Ellen und Wolfgang Kemp, hrsg. von Wolfgang it seems like almost every contemporary artist Kemp, mit einem Nachwort von Markus Brüderlin, Berlin 1996, worth mentioning had a show there, from Gerhard S. 10 Richter and Isa Genzken to Maurizio Cattelan and Paul Chan. The list reads like a kind of canon. In fact, it seems more interesting to think about who is missing. Which important artist did not have a Founded in 1987, the Portikus is an exhibition show at the Portikus yet? space annexed to the Städelschule. Run by the Rec- Architecturally the Portikus is a kind of para- tor of the school in close collaboration with a cura- site. First it was situated behind the neo-classical tor (who normally stays for about three years) 1, it fa˜ade of Frankfurt’s city library, which was de- is a venue in which artists exhibit new work, often stroyed in World War II. Then, for just a few site-specific projects. Sometimes they are pro- years, the exhibitions took place inside a flexible duced in dialog with the students of the academy. space designed in cooperation with Tobias Reh- In recent years there has been a large number of berger in another reconstructed historical build- collective productions initiated by artists of differ- ing downtown. Since the spring of 2006, the Porti- ent generations: from Rirkrit Tiravanija and kus is located in a new building at the “Mainin- Jason Rhoades to Yoko Ono, whose haiku-like sel“ (isle in the Main river) next to the Alte “Instruction Pieces“ were the starting-point for a Brücke, designed by Christoph Mäckler. Nobody show staged by students in 2005. Many important would expect a laboratory for experimental art at artists, such as Tobias Rehberger and Gregor such a prominent address, in a way the most cen- Schneider, realized shows at the Portikus very ear- tral and historically important in the entire city ly in their careers. During its twenty years of exis- (don’t forget: the Grimm Brothers wrote a story tence and around one hundred an fifty exhibitions, about this bridge, its architect and the devil!). In it has established itself as one of the leading ex- that sense the operation remains parasitic. The perimental art venues worldwide. At times, the large glass roof, which has been displaying artists who teach at the Städelschule show their changing light installations by Olafur Eliasson own art or organize shows, most recently this was since the inauguration, makes the Portikus, the case with Michael Krebber and Wolfgang Till- when looking at it from the city, seem like a light- mans who both curated group shows with works house. It’s like a power plant for contemporary by international colleagues. In a sense the space is art, and sometimes surprising things appear: in not a traditional exhibition space but a kind of ex- the trees of the island a hovering lady designed perimental stage on which innumerable different by Maurizio Cattelan, or a luminous balloon by exhibition scenarios can materialize, claims Dan- Tomas Saraceno shining in the dark.

––– 209 ––– “A gallery is constructed along laws as rigor- ous as those for building a medieval church. The outside world must not come in, so windows are usually sealed off. Walls are painted white. The ceiling becomes the only source of light.“(2) This is Brian O’Doherty’s description of the classical white cube situation. The Portikus can provide this kind of space if an artist requires it. From the outside the building looks medieval, from the inside it’s the most basic of structures. If the works on display need a spatial backdrop of an- other kind, all that is required is that a few very basic devices are activated; they completely shift the perception of the exhibition hall. A textile ceiling installed on the height of the balustrade creates in the end the white-cube situation. The Portikus, claims Birnbaum, “is a low-tech ma- chine.“ One can change it in minutes and without much ado. It stresses experimentation and pro- duction. The city of Frankfurt has many tradi- tional museums. The Portikus is different: the unusual site and the adaptable exhibition space triggers unusual projects. To be continued …

1) In August 2007 Melanie Ohnemus took over the position as curator after Nikola Dietrich. 2) Brian O‘Doherty, Inside the White Cube (Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press, 1999), 14

––– 210 ––– Olafur Eliasson, Light Lab 9, Portikus 2007 Portikus 2006

John Baldessari, Eden: Adam and Eve (with Ear and Nose) plus Serpent, Portikus 2007

Sammlung Rausch /Rausch Collection, Portikus 2007

Henrik Olesen und / and Judith Hopf, Türen, Portikus 2007

Bonnie Camplin und /and Paulina Olowska, Salty Water/What of Salty Water, Portikus 2007

Jason Rhoades, Costner Complex (Perfect Process), Portikus 2001

Yoko Ono, Dream Universe, Portikus 2005

Rirkrit Tiravanija, Untitled (Demo Station No. 1), Portikus 2001

Paul Chan, Portikus 2006

Gilbert & George, Nine Dark Pictures, Portikus 2002

Kochen als Kunst

Ausgangspunkt des Kochens an der Städelschule The inception of cooking at the Städelschule war 1978 die Berufung von Peter Kubelka als Pro- dates to 1978, when Peter Kubelka was appointed fessor der Klasse für Film und Kochen [als Kunst- professor of the Class for Film and Cooking as an gattung]. Kubelka, „ …Koch, vergleichender The- Artistic Genre. Kubelka, “… a cook, comparative oretiker, scharfsinniger Beobachter, Kulturan- theorist, astute observer, cultural anthropologist, thropologe, Sammler, Künstler, Mitbegründer der collector, artist, co-founder of the Anthology Anthology Film Archives in New York, Filmema- Film Archives, New York, filmmaker, avant-gard- cher, Avantgardist, Musiker, Reisender und sub- ist, musician, traveler, and subtle theorist of eat- tiler Theoretiker des Essens, hat das praktische ing, elevated practical thinking about cooking to Denken für das Kochen auf ein philosophisches a philosophical level, and offered vexing proof Niveau gehoben und auf Kulturen vergleichende through a comparison of cultures that cooking is Weise den irritierenden Nachweis erbracht, dass an art.” 1 Besides his work as a teacher, the annu- Kochen Kunst ist.” 1 Bühne seiner Kunst war ne- al Gasthaus (Tavern), which enjoyed immense ben seiner Lehrtätigkeit das alljährlich stattfin- popularity, served as a stage for his art. dende Gasthaus, welches sich größter Beliebtheit After Peter Kubelka was given emeritus sta- erfreute. tus, the tradition of cooking was carried on in a Nachdem Peter Kubelka emeritierte wurde die variety of forms; thus, in 2002, in the framework Tradition des Kochens in verschiedenster Form of a weeklong international symposium entitled weitergeführt. So 2002 im Rahmen eines interna- Gasthof (Inn), during which artists from different tionalen einwöchigen Symposiums mit dem Titel country would present regional specialties to Gasthof, bei dem jeden Abend Künstler aus einem hundreds of guests every evening; or in numer- anderen Land ihre regionalen Spezialitäten für ous workshops such as those held by Ono Faller, hunderte von Gästen präsentierten. Oder in zahl- Henrik Plenge Jacobsen, Jason Rhoades, Hocine reichen Workshops, wie die von Ono Faller, Hen- Bouhlou, and most recently Klaus Trebes, who rik Plenge Jacobsen, Jason Rhoades, Hocine Bouh- revived the tradition of hospitality at the Städel- lou und zuletzt Klaus Trebes, welcher im Früh- schule in the spring of 2007 with the second “Din- jahr 2007 mit dem 2. „Dinner for Art” die Tradi- ner for Art.” tion der Gastlichkeit an der Städelschule wieder In 2001, Rirkrit Tiravanija created a sort of aufleben ließ. cooking platform at the Portikus, where two art 2001 wurde in der Kunsthalle Portikus von Rir- world celebrities would by turns compete in a krit Tiravanija eine Art Kochplattform geschaffen, cooking duel. The 2004 exhibition about Gordon bei der abwechselnd jeweils zwei Persönlichkeiten Matta-Clark by Rirkrit Tiravanija, Pierre Huyghe, der Kunstwelt im Kochduell gegeneinander antra- and Pamela M. Lee was based on a bread work- ten. Die Ausstellung zu Gordon Matta-Clark, 2004, shop for students at the Städelschule directed by von Rirkrit Tiravanija, Pierre Huyghe und Pamela Hocine Bouhlou, emphasizing once more the tra- M. Lee basierte auf einem Brot-Workshop mit Stu- dition of close associations between art, cooking, dierenden der Städelschule unter der Leitung von and architecture at Frankfurt’s school of fine Hocine Bouhlou, was somit die Tradition einer arts. engen Verbindung von Kunst, Kochen und Archi- tektur an der Frankfurter Hochschule für Bilden- de Künste nochmals betonte.

––––––– 1) Peter Kubelka: Kochen, die älteste Bildende Kunst. Essbare Niederschrift der Weltanschauung. Ein Gespräch von Heinz- Norbert Jocks. In: Kunstforum International, Bd. 159, S. 93.

––– 232 ––– Cooking as Art

––– 233 ––– Die Sozialgeschichte der Kunst: Über „In the Belly of Anarchitect” _ Pamela M. Lee

––– 234 ––– In the Belly of Anarchitect ––– Pamela M. Lee

Ich beginne mit einem Geständnis. Der Ti- über die Untrennbarkeit der Arbeit von ihrem tel dieses Essays, „Die Sozialgeschichte der sozialen Horizont. Kunst”, führt gewissermaßen auf eine falsche Wie sähe also eine solche Sozialgeschichte Fährte, als handele es sich hier um eine wis- der Kunst oder Kritik tatsächlich aus? senschaftliche Betrachtung des von Pierre Welche Gestalt würde sie im Portikus an- Huyghe und Rirkrit Tiravanija im Portikus nehmen? Einige Erinnerungen werfen ein realisierten Projekts In the Belly of Anarchi- Licht auf die Implikationen dieses Projekts, tect.1 Ein Kunstgeschichtler läge nicht falsch, das in erfolgreichen Momenten weit über die würde er das Folgende als eine methodolo- Mauern des Portikus hinausreichte. gische Übung betrachten. Schließlich de- ––––––– monstriert die Sozialgeschichte der Kunst auf Vor ein paar Jahren bekam ich per Email generelle Weise, wie Kunstwerke ein größeres eine Einladung, in der ich gefragt wurde, ob soziales Feld verinnerlichen – ob durch öko- ich Interesse hätte, zusammen mit Tiravani- nomische Themen der Kunstförderung, ide- ja und Huyghe an einem Projekt im Portikus ologische Anforderungen an die Politik oder zu arbeiten, einem Projekt, das vorgeblich das Repräsentationen von Differenz in den um- Erbe von Gordon Matta-Clark aufgreift. (Die kämpften Feldern von Klasse, Rasse und Ge- Bedeutung der adverbialen Einschränkung schlecht. Eine derart allgemein verstandene wird gleich klar werden.) Selbstverständlich Sozialgeschichte der Kunst gilt als einer der hatte ich Interesse. Rirkrit kannte ich bereits wichtigsten Ansätze im Kunststudium und seit einiger Zeit und hatte seine Arbeit immer die Beschäftigung damit nimmt einen Löwen- bewundert. Ebenso respektierte ich die Kunst anteil der Zeit in dieser Disziplin ein. Huyghes aus der Entfernung. Beide Künstler, Solche geschichtswissenschaftlichen Über- die gut befreundet sind, setzten sich schon ver- legungen interessieren mich allerdings hier schiedentlich mit Matta-Clarks Werk in ihrer weniger. Da ich peripher an dem Werk von jeweiligen Praxis auseinander. Tiravanijas Tiravanja und Huyghe beteiligt bin und des- Performances hatten mit dem Kochen und halb eine spezielle Perspektive darauf habe, Servieren von thailändischen Mahlzeiten in ist meine Haltung zum Sozialen in der Kunst Museen und Galerien zu tun und zeugten von weit weniger abgehoben als dies der Titel nahe einer tiefen Kenntnis der kulinarischen Ex- legt – man könnte sie sogar als ausgesprochen perimente Matta-Clarks, die zwei Jahrzehnte profan bezeichnen. Es geht mir vielmehr um zurücklagen. Huyghes Film Light Conical die Geselligkeit bei der Arbeit In the Belly of Intersect war ein expliziter Dialog mit Matta- Anarchitect, um die – zeitlich kontingente und Clarks Conical Intersect, dem spiralförmigen immer prekäre – Welt des Sozialen, die ein Gebäude-Cut, der 1975 in der Nähe des zukünf- notwendiger Aspekt ihrer Produktion war. tigen Centre Georges Pompidou realisiert Ohne zu behaupten, diese Welt sei lediglich wurde. Mit anderen Worten verinnerlichten ein Nebenprodukt solcher Prozesse und ohne beide Künstler etwas von Matta-Clarks Gene- mich am Klatsch über die Kunstwelt zu betei- alogie, wobei sie deren Anwendbarkeit für die ligen, lautet meine These, dass die soziale Welt jüngere Kunst implizit in Frage stellten. Ihr das eigentliche Fundament des Kunstwerks Portikus-Projekt sollte diese beiden scheinbar ist. Der Ausgangspunkt von Huyghes und Ti- widersprüchlichen Positionen aufgreifen, als ravanijas Projekt – Gordon Matta-Clark, der wollten sie fragen: Worin besteht die soziale für seine Architektur-Cuttings bekannte, ka- Dimension der Arbeit während sie in der Zeit talytische Künstler der frühen Kunstszene stattfindet und sich notwendigerweise in der im SoHo der siebziger Jahre – sagt uns etwas Geschichte und im Raum verändert.

––– 235 ––– Ein Plan wurde ausgeheckt, an dem Jochen die kulinarische Dimension in Matta-Clarks Volz, der Kurator des Portikus, Francesca Arbeit und dessen erweitertem Begriff einer Grassi, die rechte Hand in Tiravanijas Atelier, „Anarchitektur”, sowie auf die „Gruppe” An- Hocine Bouhlou, der Chefkoch der Frankfur- architecture, deren Mitglied er war. Etwa zu ter Städelschule, und Daniel Birnbaum, der derselben Zeit gegründet als Food eröffnete, Rektor der Kunsthochschule beteiligt waren ; bestand Anarchitecture in lockeren Treffen eine Gruppenarbeit also.Huyghe und Tirava- einiger Freunde, die versuchten eine Praxis, nija sollten ein ortsbezogenes Projekt realisie- eine Sensibilität oder eine Denkweise, die ren, das in einer allgemeinen Beziehung zu über die eigentliche Architektur hinausging, Matta-Clarks Gebäude-Cuts stand, wie etwa zu realisieren. Splitting (sein berüchtigter Schnitt durch ein Die Beschreibung des Projekts suggeriert leerstehendes Haus in Englewood, New Jer- zweifellos eine Art Hommage – eine gutmü- sey, im Jahre 1973) und Food, ein von Künst- tige Performance kunsthistorischer Proveni- lern betriebenes Restaurant, das er 1971 zu- enz. Doch die Konzeption und die Ausführung sammen mit Caroline Gooden, Tina Girouard, der Arbeit gingen weit über die sklavische Suzanne Harris und Rachel Lew eröffnete. Die Reproduktion von Matta-Clarks Kunst und ursprüngliche Idee, die sich hinterher jedoch deren historisch spezifischen Implikationen als undurchführbar herausstellte, bestand hinaus. Man könnte sogar sagen, Huyghe und darin, ein improvisiertes Gebäude aus Pfeffer- Tiravanija verstanden Matta-Clarks kurz- kuchen innerhalb des Raumes zu errichten. lebigen Projekte so gut, dass sie die konzep- Ein flaches, mediterranes Brot diente schließ- tuelle Unmöglichkeit einer irgendwie gear- lich als Ersatz – als essbares Mauerwerk. Brot- teten, unvermittelten ästhetischen Überset- stücke so groß wie Pflastersteine oder Ziegel zung aus der Vergangenheit erkannten: Beide wurden an Maschendraht entlang der Wand Künstler hatten ein gutes Gespür für das, was befestigt. Bei der Eröffnung durchschnitten in Kunstwerken zeitlich kontingent ist, und die Künstler das Brot mit einer „Kettensäge” waren sich bewusst, dass die Wiederholung (in Wirklichkeit war es ein elektrischer Brot- einer künstlerischen Geste zu einem späteren schneider) und luden die Gäste dazu ein, sich Zeitpunkt einen Akt der Differenz und nicht ihren Weg „durch die Wand” zu essen, hinein der Gleichheit darstellt. Vielleicht mehr noch in einen Raum, in dem anschließend Filme als alle anderen Faktoren gewährleisteten die von Matta-Clark projiziert wurden. Im Laufe sozialen Beziehungen, die in dem Prozess die- der Woche hielt ich zwei Vorträge über Matta- ser künstlerischen „Übertragung” entstan- Clark und Food, um einen historischen Kon- den, ein quantitativ verändertes Feld für die text für die Vorgänge zu liefern. Zwei Graffiti- Produktion und Rezeption des Projekts. künstler wurden eingeladen, den Innenraum Man betrachte zum Beispiel die Beziehung des Portikus mit „Tags” zu versehen, als Ver- zwischen der Wirtsinstitution und der Städel- neigung vor Matta-Clarks Faszination von ur- schule auf der anderen Seite des Mains, die baner Semiotik. Und ein riesiger Schichtku- durch die Beteiligung der Studenten im Porti- chen, mit Zucker überzogen und so dekoriert, kus aufrechterhalten wird, und ferner wie die dass er dem suburbanen Prototype aus Split- Städelschule ihre eigene spezielle Sozialge- ting ähnelte, wurde ∫ la Matta-Clark zerteilt schichte auf den von Huyghe, Tiravanija und und mit erhaltenen „Dachgesimse” – wie die Matta-Clark gedeckten Tisch brachte, orga- Four Corners des Künstlers – den Zuschauern nisiert um die Küche und die Rituale des Ko- serviert. Der Titel der Veranstaltung (In the chens und Essens. 1980 unter der Leitung von Belly of Anarchitect) bezog sich ostentativ auf Peter Kubelka gebaut, war die große Küche,

––– 236 ––– In the Belly of Anarchitect ––– Pamela M. Lee die das Erdgeschoss der Akademie einnimmt, (inoperativer)” Gemeinschaften). Die Frage als Labor für die Studenten gedacht – als „Ate- wie ein Kunstwerk aus dieser Konstellation lier” für Koch-, Kunst- und Architekturexpe- unwesentlicher sozialer Kräfte entsteht, war rimente. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, das zentrale Thema meines Vortrags über das dass deren Formation historisch getrennt, ja Food Restaurant. Unter dem Titel „Das Rohe sogar unabhängig war von Matta-Clarks ku- und das Gebackene” behandelte ich die speku- linarischer Ästhetik, die Welten entfernt im lative Dimension von Food für die Gegenwart: Süden Manhattans in den siebziger Jahren Was können wir von Matta-Clarks Beispiel vorangetrieben wurde. Für das Portikus- übernehmen? Damals sagte ich: Projekt übernahm Bouhlou die Leitung einer Der Pioniergeist von Künstlern in den spä- heterogenen Gruppe von Studenten, die das ten sechziger und frühen siebziger Jahren – Brot backte, mit dem die Wände für Tirava- die Konstruktion oder der Bau einer neuen nijas und Huyghes Projekt errichtet wurden, künstlerischen Gemeinschaft in einem Vier- ebenso bereiteten die Studenten zahlreiche tel, das die Industrie größtenteils verlassen Dips zum Brot für die Eröffnung zu. Im Lau- hatte – fand sein architektonisches Gegen- fe der Woche zeigten die Bewegungen und stück am Ort von Food und den unfertigen, der Austausch zwischen den jetzigen und den ungeschulten Kunsträumen wie etwa „112 früheren Studenten der Städelschule, dass Greene Street”, der gerade mal einen Block die Konstruktion der Arbeit und, damit ver- entfernt war, Räume bei deren Konstrukti- bunden, das Spektrum der Erwartungen und on Matta-Clark eine wichtige Rolle spielte. … Erfahrungen weit über die gewonnene Kennt- Die Tatsache, dass Food – und Matta-Clarks nis über die Singularität künstlerischer Au- Arbeit im Allgemeinen – der Stoff ist, aus dem torenschaft hinausgingen. Im Portikus selbst die Mythologie der Kunstwelt besteht, könnte mühte sich ein Team junger Künstler auf beide außerhalb der Gegenwart platzieren, unermüdliche Weise, die Installation richtig sie sozusagen unserer aktuellen Situation als hinzukriegen. Künstler, Kritiker, Kuratoren und Kunstge- Diese sozialen Variablen öffnen sich hin schichtler unzugänglich erscheinen lassen. zu einem größeren künstlerischen Netzwerk, Welches Recht haben wir heute, im Jahre 2004, das nicht auf die historische Figur Matta- uns dieses Projekt als eine Art historisches Clarks reduziert werden kann, das jedoch Quellmaterial anzueignen, oder zu glauben, von dessen konzeptuellem Beitrag geprägt ist, dass wir den Geist jenes Unternehmens ein- nämlich von der Einsicht, dass eine Gemein- fangen könnten? schaft, die ein Kunstwerk produziert, zwar Meine kurze Antwort drehte sich um die immer sozial und gesellig, an sich aber unwe- Gesten des Kochens, Essens und Trinkens, sentlich ist. Wenn ich das Wort unwesentlich die fundamentalen Tätigkeiten des sozialen verwende, um diese sozialen Operationen zu Rituals. Ich bezeichnete Food als eine Art beschreiben, so meine ich nicht unerheblich Mythos der Kunstwelt und verwendete „Das oder irrelevant, sondern unbestimmt. (In Rohe und das Gekochte” von Claude Lévi- meinem Buch über Matta-Clark bezeichnete Strauss (ein Buch das Matta-Clark besaß), um ich diesen „unwesentlichen” sozialen Hori- diese Phänomene zu analysieren: zont auch als „arbeitslos (workless)” in An- Als erster Band der vierteiligen Serie My- lehnung an die Rhetorik Georges Batailles thologica, beginnt „Das Rohe und das Ge- und anderer Theoretiker nach ihm, wie Mau- kochte” mit etwas, das Lévi-Strauss einen rice Blanchot und Jean-Luc Nancy, bezüglich Schlüsselmythos der Bororo nennt. Er handelt „ungültiger/sich außer Betrieb befindlicher von Inzest und dem Thema eines verschwen-

––– 237 ––– derischen Sohnes. Doch statt diesen Mythos ren sozialen Dimensionen als organisierende isoliert zu betrachten, ging es Lévi-Strauss Prinzipien seiner Klassifikationen dienten: darum, ihn als Teil eines Mythen-„Systems” Man beachte beispielsweise, dass der Titel zu verstehen – als eine Art menschliche Spra- eines anderen Bandes der „Mythologica”-Se- che, die übergeordneten Sprach- und Kommu- rie „Der Ursprung der Tischsitten” hieß. Für nikationsregeln, wie sie in der strukturalen unsere Zwecke stellen einige der Kategorien, Linguistik Ferdinand de Saussures darge- die der Anthropologe in „Das Rohe und das legt wurden, unterworfen sind. In der Tat Gekochte” verwendete Sätze oder Vorschlä- begnügte sich Lévi-Strauss nicht damit, My- ge dar, mit deren Hilfe wir uns Food und dem then als „bloßes” Geschichtenerzählen zu in- Werk Matta-Clarks auf allgemeinere Weise terpretieren, als Geplauder von „Wilden”, die nähern können. Wir werden die Idee unter- von der natürlichen Welt wenig verstanden. suchen, dass die Struktur des Kochens und Der Mythos ist stattdessen selbst eine Form Essens Berührungspunkte besitzt mit Mat- von Sprache und daher entscheidend für un- ta-Clarks spezieller Art Kunst, mittels Archi- ser Verständnis des Sozialen. Das Erkennen tektur herzustellen. Wir werden folglich Food der konstitutiven Eigenschaften, die allen und verwandte Arbeiten als Vorschläge zur Mythen gemein sind – Lévi-Strauss nannte sie Geselligkeit von Kunstwerken betrachten: „Mytheme” –, sowie deren Transformationen die fließenden, sich ständig verschiebenden würden mit der Zeit einen systematischeren Gemeinschaften, die sich um diese bilden. und integrierten Ansatz bei dem Studium der Diese historischen (und sogar anthropolo- Kultur und Gesellschaft ermöglichen. Wie gischen) Ansprüche an Matta-Clarks Arbeit Lévi-Strauss im ersten Ansatz schreibt: „Das wurden auf humorvolle Weise widergespie- Ziel des Buches ist es aufzuzeigen, auf welche gelt in den sozialen Zusammenkünften, die Weise empirische Kategorien, wie roh und ge- während der Woche, in der Tiravanijas und kocht, frisch und faul, feucht und verbrannt Huyghes Installation zu sehen war, stattfan- usw., die nur durch die ethnographische Beo- den. So verbrachte zum Beispiel eine ziemlich bachtung präzise definierbar sind, auf welche große Gruppe mehr als nur ein paar Stunden Weise diese Kategorien dennoch als begriff- bei Frankfurter Bier und Speisen auf einem liches Werkzeug dienen können, mit dessen heruntergekommenen Boot, das am Main Hilfe sich abstrakte Begriffe herausarbeiten im Dock lag. Da die Ausstellungseröffnung und zu Sätzen zusammenfügen lassen.” mit der Fußballeuropameisterschaft 2004 zu- Sicherlich geht es in „Das Rohe und das sammenfiel, übertrug ein uraltes Fernsehge- Gekochte” weniger ums Essen als um die ei- rät pausenlos Fußballspiele. Essen, Trinken genartigen sozialen Beziehungen, die durch und Fußball dienten als unmittelbare Anzie- den Gegensatz und die Weitergabe solcher hungspunkte für Geselligkeit, (wie nicht an- Kategorien im südamerikanischen Mythos ders zu erwarten aufgrund solch heißer The- entstehen: Die Tropen des „Rohen” und des men wie britische Hooligans, Zinedine Zidane „Gekochten” oder „Gebratenen” sind zum und ein Moderator, dessen brauner Anzug so Beispiel Zeichen für den Ursprung und die An- langweilig war wie seine Vortragsweise), aber eignung des Feuers und die damit einherge- die Gespräche drehten sich auch immer wie- henden Formen der Geselligkeit. Und obwohl der um Kunst, Ästhetik, Galerien, Museen Lévi-Strauss’ Forschungen über den Mythos und Künstler. Im Verlauf der Woche – bei Bier, weit über Lebensmittel und das Essen an sich Kaffee, asiatischem Essen, beim Frühstück hinausgingen, ist es kein Zufall, dass die Ak- und bei anderen Mahlzeiten – reichten die Ge- tivitäten des Kochens und Speisens sowie de- spräche von Adorno über einen Hund, der die

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Sieger der Fußballspiele voraussagte, bis zu richt und frühere Projekte im Portikus und an Tiravanijas Arbeit in Thailand und Huyghes der Städelschule offensichtlich einen großen Gedanken zu Zeit und Nicht-Ort. Nicht gerade Eindruck hinterließen. Über das laute Tohu- die Themen des frühen SoHo und nicht ganz wabohu des geselligen Essens und Trinkens die der Anarchitecture-Gruppe, doch sie bein- (es gab Kalb, Kartoffeln, Gemüse, Bier und halteten sehr viele Spekulationen über Kunst. Wein) wies Tiravanija darauf hin, dass die Diese Spekulationen unterstrichen etwas von improvisierte Küche auf unheimliche Weise der Offenheit des Projekts und den Möglich- den Kocharrangements, die er selbst in Mu- keiten, die es in Gang setzte, und – nicht we- seen, Galerien und anderen Orten benutzte, niger wichtig – etwas, das über das Projekt ähnelte. Er sagte dies mit einem Lächeln. hinausging. Und die Mahlzeit selbst? Nun, sie war köst- Derartige Diskussionen projizierten auf lich. effektive Weise Tiravanijas und Huyghes Arbeit nach außen, auf einen sozialen Hori- zont, der weitaus größer und profaner ist als der architektonische Raum des Portikus, der diesen Horizont nur wörtlich beinhaltete. Die Gespräche zeigten, dass das Projekt nicht nur ortspezifisch war, sondern über den Ort hi- nauswies; es ging ebenso um die soziale Welt, auf der die Arbeit basierte, wie um das, was die Arbeit angeblich reflektieren könnte. Mei- ner Meinung nach bestand die anarchitekto- nische Dimension von „In the Belly of Anar- chitect” und seines Erfolgs in der verspäteten Begegnung mit Matta-Clarks eigenen sozialen Experimenten. Diese gemeinschaftliche (weil kulinarische) Sensibilität wurde in der Tat nach der Ausstellungseröffnung durch eine Geste, die die eigentümliche Zeitlichkeit von Matta-Clarks Lektionen für die Gegenwart hervorhob, bestätigt. Nachdem das Brot geba- cken war, die Wände gebaut und anschließend zerschnitten wurden, begab sich eine Schar von Leuten zu einer nächtlichen Zusammen- kunft, die eine Gruppe junger Frankfurter Künstler organisiert hatte. Es schien, als ver- anstaltete diese Gruppe regelmäßig Festes- sen für die örtliche Kunstgemeinde in einem rohen Raum, der speziell für diesen Zweck in Beschlag genommen wurde. Sicherlich er- innerten diese Aktionen an die historischen ––––––– 1) Ich muss noch ein zweites Geständnis machen: Diese Versuche Matta-Clarks, doch evozierten sie von mir frei verwendete Idee stammt von meinem Freund, dem auch einen eher zeitgenössischen Prüfstein Kunsthistoriker Richard Meyer, der sie einmal im Anschluss an einen Vortrag, den ich über Andy Warhol hielt, äußerte. Danke in der Arbeit von Tiravanija, dessen Unter- Richard.

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Pamela M. Lee, Pierre Huyghe & Rirkrit Tiravanija, Gordon Matta-Clark – In the Belly of Anarchitect, Portikus 2004 The Social History of Art: On ”In the Belly of Anarchitect” _ Pamela M. Lee

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I begin with a confession. The title of this essay well beyond the walls of Portikus itself. ”The Social History of Art” is a false adver- A couple of years ago, I received the e-mail tisement of sorts: a seemingly academic take with an invitation: would I be interested in on a project staged by Pierre Huyghe and Rir- working on a project with Tiravanija and krit Tirivanja at Portikus entitled In the Belly Huyghe at Portikus, one that ostensibly took of Anarchitect.1 An art historian would not be up the legacy of Gordon Matta-Clark? (The wrong to think the following was an exercise meaning of the adverbial qualifier will be- in methodology. ”Social art history” after all, come clear shortly.) Of course I would. I had broadly demonstrates the ways in which works known Rirkrit for some time and I had always of art internalize a larger social field—whether admired his work. I also had great respect for economic issues of patronage; or ideological Huyghe’s art at a distance. Both artists (them- claims on politics; or representations of dif- selves good friends) had variously confronted ference in the contested forms of class, race, Matta-Clark’s oeuvre in their respective prac- and gender. Social art history, understood in tices. Tiravanija’s performances involving these general terms, is regarded as one of the cooking and serving Thai food in museums most important approaches to the study of art. and galleries, evince a deep awareness of Mat- Its scholarship occupies the lion’s share of the ta-Clark’s own culinary experiments made discipline. some two decades earlier. Huyghe’s filmLight Here, however, I have little interest in such Conical Intersect was in explicit dialogue with historiographic reflections. From my offside Matta-Clark’s Conical Intersect, the spiraling participation in, and perspective on, Tira-vi- building cut produced near the future site of nija and Huyghe’s work, my attitude towards the Centre Georges Pompidou in 1975. Both the ”social” in art is far less rarefied than what artists, in other words, had simultaneously my title implies. In fact, you could call it reso- internalized something of Matta-Clark’s ge- lutely mundane. My stake here, rather, is in nealogy as well as implicitly challenged its the sociability of ”In the Belly of Anarchitect”: viability for more recent art. Their Portikus the social world—a temporally contingent project would call upon these two seemingly and ever precarious world—that was a neces- contradictory positions, as if to ask: what is sary aspect of its production. Far from sugge- the social dimension of this work as it takes sting that this world was merely a by-product place in time and by necessity changes in hi- of such processes—and far from indulging in story and space. little more than art world gossip—I want to pro- A plan was hatched, facilitated by Jochen pose that this social world is the very ground of Volz, curator at Portikus; Francesca Gras- the work of art. That the point of departure for si, right-hand woman of Tiravanija’s studio; Huyghe and Tiravanija’s project was Gordon Houcine Bouhlou, head chef of Frankfurt’s Matta-Clark—a catalytic figure in the early Städelschule; and Birnbaum in his capacity SoHo art community of the 1970s, best known as Rector of the art academy. This would be, in for his architectural cuttings—tells us some- short, a group effort. Huyghe and Tiravanija thing about the indivisibility between their would produce a site-based project that bore work and its social horizon. a generalized relationship to Matta-Clark’s So, then, what would such a ”social art hi- building cuts, such as Splitting (his infamous story” or ”criticism” actually look like? What cleaving of a disused home in Englewood, New form would it take at Portikus? A few recoll- Jersey in 1973) and Food, the artist-run re- ections shed light on the implications of this staurant he co-founded in 1971 with Caroline project which, at its most successful, traveled Gooden, Tina Girouard, Suzanne Harris and

––– 243 ––– Rachel Lew. The initial idea was to construct of any unmediated aesthetic translation from a makeshift edifice out of gingerbread within the past: both artists are well attuned of what the space, a proposal that would prove unfea- is temporally contingent in works of art, ack- sible. A flat, Mediterranean-style bread would nowledging that the repetition of an artistic be substituted, serving as an ersatz—and gesture over time constitutes an act of dif- edible— masonry wall . In turn, pieces of the ference, not sameness. Perhaps more than any bread, resembling massive paving stones or other factor, the social relations that obtained bricks, would be secured to a chicken wire ar- in the process of this artistic ”transmission” mature stretched across a wall. During the ope- guaranteed a quantitatively changed field for ning, the artists would cut through the bread the project’s production and reception. with a ”chainsaw” (in reality, an electric bread Consider, for instance, the relationship bet- cutter) and guests would be invited to eat their ween the host institution and the Städelschule way ”through the walls” to an enclosed space across the Main, a legacy sustained by student in which films by Matta-Clark would subse- involvement at the Portikus. And consider fur- quently be projected. At some point during the ther how the Städelschule brought its own pe- week, I would give two lectures on Matta-Clark culiar social history to the table set by Huyghe, and Food to provide historical context for the Tiravanija, and Matta-Clark, one organized proceedings. Two graffiti artists were invited around the kitchen and the rituals of cooking to tag the inner space of Portikus in a nod to and eating. Constructed in 1980 under the di- Matta-Clark’s own fascination with urban se- rection of Peter Kubelka, the large kitchen oc- miotics . And an enormous sheet cake, frosted cupying the ground floor of the academy was and decorated to resemble the suburban pro- intended as a laboratory for the students—a totype in Splitting, would be bisected a la Mat- ”studio” for experiments in cooking, archi- ta-Clark and then served to onlookers with its tecture and art. It is important to note that its ”eaves” preserved like the artist’s Four Cor- formation was historically removed from— ners. The title of the event itself (”In the Belly indeed, independent of—Matta-Clark’s own of Anarchitect”) made pointed reference to the culinary aesthetic advanced a world away in culinary dimensions of Matta-Clark’s work as the lower Manhattan of the 1970s. For the Por- well as his larger notion of ”anarchitecture” tikus project, Bouhlou would oversee a diverse and the Anarchitecture ”group” of which he group of students baking the bread used to was a part. Formed around the same time that build the walls of Tiravanija’s and Huyghe’s Food opened, the Anarchitecture group was a project, as well as the preparation of the many casual meeting of friends who attempted to re- dips accompanying the bread at the opening. alize a practice, sensibility or mode of thought Over the course of the week , the movements that stood in excess of architecture proper. and exchanges between students and former There’s little doubt that the description of students of the Stadeschule suggested that the the project suggests an homage of a type—a construction of the work, and by extension, the good-natured performance of art historical range of expectations and experiences brought pedigree—but conceiving of and making the to it, well exceeded the received wisdom on the work extended well beyond slavish repro- singularity of artistic authorship. At the Porti- ductions of Matta-Clark’s art and its histori- kus itself, an impressive team of young artists cally specific implications. You could say, in labored tirelessly to get the installation right. fact, that Huyghe and Tiravanija understood These social variables open onto a larger Matta-Clark’s short-lived projects so well that artistic network irreducible to the historical they recognized the conceptual impossibility figure of Matta-Clark but that are neverthe-

––– 244 ––– In the Belly of Anarchitect ––– Pamela M. Lee less stamped by his conceptual contribution: the Cooked (a book owned by Matta-Clark) to the sense that a community involved in the parse this phenomenon: production of a work of art is always social and As the first volume of the four-part series socializing but is itself inessential.Now when Mythologiques, The Raw and the Cooked be- I use this word ”inessential” to describe the- gins with what Lévi-Strauss calls a ”key myth” se social operations, I do not mean negligible of the Bororo involving incest and a prodigal or irrelevant, but indeterminate. (In my book son theme. Rather than considering this myth on Matta-Clark, I have also referred to this in isolation, however, Lévi-Strauss’s project ”inessential” social horizon as ”workless,” was to understand it as part of a myth ”sys- borrowing the rhetoric of Georges Bataille tem”—as a kind of human speech subject to and thinkers such as Maurice Blanchot and the greater rules of language and communica- Jean-Luc Nancy after him on ”inoperative” tion elaborated in the structural linguistics of communities.) The question as to how a work Ferdinand de Saussure. Indeed Lévi-Strauss of art emerges out of this constellation of in- was not content to read myth as ”mere” sto- essential social forces was, in fact, the princi- rytelling, the confabulations of ”primitives” ple issue animating the lecture I gave on the who could little understand the natural world. restaurant Food. The talk, entitled ”The Raw Myth, rather, is a form of language itself and and the Baked” wondered about the specula- thus pivotal to our understanding of the social. tive dimension of Food for the present: what Discerning the constituent features shared by do we stand to inherit from Matta-Clark’s all kinds of myth—”mythemes” is what Lévis- example? As I stated: Strauss called them—and their transforma- The pioneer spirit of artists living in the tion over time would enable a more system- area in the late sixties and early seventies— atic, more integrated approach to the study of that sense of constructing or building toward culture and society. As Lévi-Strauss writes in a new artistic community in a neighborhood the opening paragraph, ”The aim of this book largely abandoned by industry—found its ar- is to show how empirical categories—such as chitectural complement at the site of Food and the categories of the raw and the cooked, the the unfinished, untutored art spaces such as fresh and the decayed, the moistened and the 112 Greene Street less than a block away, spaces burned, etc.—can nonetheless be used as con- in which Matta-Clark had an important role ceptual tools with which to elaborate abstract in constructing. That Food—and the work of ideas and combine them in the form of propo- Matta-Clark, by extension—is the stuff of art sitions.” world mythology would seem to place both To be sure, The Raw and the Cooked is less outside the present, render them inaccessible, about food than it is about the peculiar social so to speak, to our current situation as artists, relations that obtain through the opposition critics, curators and art historians. What and transmission of such categories in South right do we have, in 2004, to appropriate this American myth: the tropes of the ”raw” and project as a kind of historical source material; the ”cooked” or ”roasted,” for example, stand or imagine that we could recapture the spirit as signs for the acquisition and origin of fire of that enterprise? and the forms of sociability that come with The short answer revolved around the ges- them. And even though Lévi-Strauss’s re- tures of cooking, eating, and drinking, activi- search on myth extended well beyond the ties at the foundation of social ritual. Calling scope of food and eating as such, it is hardly Food a kind of myth of the art world, I made accidental that the activities of cooking, eating use of Claude Lévi-Strauss’s The Raw and and their social dimensions served as organiz-

––– 245 ––– In the Belly of Anarchitect ––– Pamela M. Lee ing principles for his classifications: note, for ness and sense of possibility set into motion by instance, that another volume in the series the project and, just as important, something Mythologiques was entitled The Origin of beyond it. Table Manners. For our purposes, some of the Discussions of this nature effectively exter- categories the anthropologist draws upon in nalized Tiravanija and Huyghe’s work to a so- The Raw and the Cooked—raw, cooked, fresh, cial horizon much larger and more mundane decayed, burned—are propositions or propos- than the architectural space of Portikus that als through which we can approach the work of only literally contained it. Those conversations Food and Matta-Clark more generally. We will revealed that the project was as much off-site explore the idea that the structure of cooking as site-specific, as much about the social world and eating is contiguous with Matta-Clark’s subtending the work as that which it might al- peculiar mode of art making with architec- legedly reflect. To my mind, this was the anar- ture. By extension, we will consider Food, and chitectural dimension of In the Belly of Anarchi- related work, a proposal on the sociability of tect and its success as a belated encounter with works of art: the fluid and ever-shifting com- Matta-Clark’s own social experiments. Indeed munities organized around them. this communal (because culinary) sensibility These historical (even anthropological) was ultimately confirmedafter the opening of claims made for Matta-Clark’s work were the show with a gesture that highlighted the pe- humorously mirrored in the social engage- culiar timeliness of Matta-Clark’s lessons for ments that took place the week of Tiravanija the present. For it was then—after the bread had and Huyghe’s installation. More than a few been baked, the walls assembled and cut—that hours, for instance, were spent with a sizeable a crowd found its way to a late-night gathering crew over Frankfurter beer and cuisine on a hosted by a group of young Frankfurt artists. dilapidated boat docked on the Main. Since They were, so it seems, in the habit of regularly the opening of the exhibition coincided with cooking feasts for the local art community in European Soccer Cup 2004, a television dating a raw and ungentrified space claimed for that from God-knows-when showed endless rounds very purpose. Certainly these acts recalled the of football. Food, drink, and soccer served as historical efforts of Matta-Clark, but they also the immediate focal points for socializing (and evoked a more contemporary touchstone in the how could they not, with such hot-button topics work of Tiravanija, whose teaching and earlier on offer as British hooligans, Zinedine Zidane projects at Portikus and the Städelschule had and a sportscaster wearing a drab brown suit made an obvious impression. At one point over as monotonous as his delivery?) but the con- the raucous noise and din of eating and drink- versation turned repeatedly to art, aesthetics, ing (veal, potatoes, greens, beer, wine), Tira- art criticism, galleries, museums and artists. vanija pointed out that the makeshift kitchen And over the week—over beer, coffee, dubious bore an uncanny resemblance to the cooking Asian food, breakfast and other assorted food- arrangements he himself had used in muse- stuffs—exchanges ranged easily from Adorno ums and galleries and other spaces. He pointed to a dog predicting the winner of the football this out with a smile. matches to Tiravanija’s work in Thailand to As for the meal itself? Well, it was delicious. Huyghe’s thoughts on time and the non-site. Not quite the stuff of early SoHo and not quite ––––––– the Anarchitecture group; but quite a lot of 1) The second confession I have to make is that I borrow this speculation on the subject of art. That specu- notion liberally from my friend the art historian Richard Meyer, who once responded to a reading I gave on Andy Warhol in these lation underscored something about the open- terms. Thanks Richard.

––– 246 ––– Pamela M. Lee, Portikus 2004 Architektur und Kunst

Im Testament des 1816 verstorbenen Stifters des The testament of the founder of the Städel’sches Städel’schen Kunstinstitutes Johann Friedrich Kulturinstitut, Johann Friedrich Städel, who Städel findet sich die Forderung verankert, im died in 1816, firmly stipulates that an architec- Rahmen des Instituts eine Architekturklasse ein- ture class be created within the framework of the zurichten. So wurde 1824 mit dem Karlsruher institute. Thus, in 1824, Heinrich Hübsch from Heinrich Hübsch einer der wichtigsten Baumei- Karlsruhe, one of the most important architects ster des 19. Jahrhunderts als erster Lehrer der of the 19th century, was appointed the first teach- Architekturklasse berufen. Ihm folgten zahlrei- er of the architecture class. Among his succes- che bedeutende Architekturgrößen. Hierzu zäh- sors were many architects of great renown, in- len im 19. Jahrhundert Friedrich Maximilian cluding, in the 19th century, Friedrich Maximili- Hessemer, Oskar Sommer und Wilhelm Manchot an Hessemer, Oskar Sommer, and Wilhelm Man- (beide Schüler von Gottfried Semper), in den chot (the latter two students of Semper’s); in the zwanziger Jahren Ernst May und Ferdinand Kra- twenties, Ernst May and Ferdinand Kramer; and mer, ab 1954 Johannes Krahn sowie anschließend since 1954, Johannes Krahn, followed by Carlfried Carlfried Mutschler (der bei Egon Eiermann stu- Mutschler (who had been a student under Egon diert hatte). Unter Günter Bock, der 1970 als Pro- Eiermann). Under the leadership of Günter fessor an die Städelschule kam, wurde die Archi- Bock, who joined the Städelschule as a professor tekturklasse zum postgraduierten Studiengang in 1970, the architecture class was restructured umstrukturiert. as a postgraduate program. Durch entsprechende Symposien und Beru- Through symposia and felicitous appoint- fungen, wie die von Sir Peter Cook und dem Spa- ments such as those of Sir Peter Cook and the nier Enric Miralles, gewann die Architekturklas- Spanish architect Enric Miralles, the architec- se zusehends an internationalem Ansehen. Darü- ture class rapidly gained international renown. ber hinaus sind seit etlichen Jahren der Städel- Moreover, the Städelschule has maintained close schule als Architekturtheoretiker Mark Wigley relations for many years with architectural theo- sowie Beatrice Columina und Sanford Kwinter rists Mark Wigley, Beatrice Columina, and San- verbunden. ford Kwinter. Seit 2001 leitet Ben van Berkel, Mitbegründer Since 2001, Ben van Berkel, co-founder of the des niederländischen UNStudios, gemeinsam mit Dutch architectural practice UNStudio, and Jo- dem Norweger Johan Bettum die Architektur- han Bettum from Norway have been co-directing klasse, die seit Oktober 2006 den postgraduierten the architecture class, which has offered a post- Masterstudiengang „Advanced Architectural De- graduate Master’s program in “Advanced Archi- sign“ (AAD) anbietet. Bettum ist verantwortlich tectural Design” (AAD) since October 2006. Bettum für akademische Inhalte, Forschung und Lehre is responsible for the academic content, research der Architekturklasse. Eine verstärkte Präsenz and teaching activities in the Architecture Class. der Architekturklasse im Stadtkontext wird durch The architecture class has been increasingly visi- Kooperationen mit dem Deutschen Architektur- ble in the urban context of Frankfurt through ex- museum in Frankfurt/Main in Form von Aus- hibition and lecture series organized in coopera- stellungs- und Vortragsreihen sichtbar. tion with the Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt/Main.

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––– 249 ––– Von Raum und Zeit in der Architektur- ausbildung _ Johan Bettum und Mark Wigley

Gespräch

––– 250 ––– Gespräch ––– Johan Bettum und Mark Wigley

Johan Bettum: Was sind heute drängende An- die hin wir die Hochschule ausrichten, lassen liegen für die Architekturausbildung? sich bestimmen. Und wenn man sich die Stä- Mark Wigley: Es gibt viele Architektur- delschule anschaut, dann werden alle diese hochschulen in der Welt. Von diesen verstehen Fragen auf sehr interessante Weise angegan- sich nur vier oder fünf oder sechs wirklich als gen. Im Wesentlichen besteht die Idee darin, experimentelle Labors für die Zukunft dieser eine neue Art der Intelligenz zu kultivieren, Disziplin, und die Städelschule war lange und um mit neuen Fragen fertig zu werden. ist noch immer eine davon. Seit Peter Cook, Die Städelschule hat wirklich eine wun- Enric Miralles und jetzt in den Jahren von dir derbare Geschichte, denn sie war immer eine und Ben hat sie diesen besonderen Ruf. Hochschule, die Studenten in die Lage ver- Was bedeutet es also, eine experimentelle setzt hat, sich mit ganz neuen Fragen auf eine Hochschule zu sein? Wenn man es nicht ist, neuartige Weise auseinanderzusetzen. Kä- dann zielt man auf die Vermittlung des Archi- men Studenten aus einer Hochschule wie der tektenberufs ab, wie er zurzeit oder vor fünf Städelschule und machten dann Städelschul- Jahren, oder aber, bei wirklich langweiligen Architektur, was für eine Enttäuschung wäre Hochschulen, wie er vor zehn Jahren definiert das! Und ich glaube, es ist wohl klar, dass aus wurde. Und je weiter zurück in der Zeit man den Studenten, die aus der Peter-Cook-Zeit seine Schule ansiedelt, desto selbstgewisser stammen, keinesfalls „Peter Cookies” wur- können die Lehrer dort werden und kann den; ebenso wenig wie Studenten aus der Zeit diese Schule Antworten auf die bekannten von Enric Miralles als kleine „Mirallisten” Fragen liefern. Je näher man der Gegenwart oder von Ben van Berkel als „Berkeliten” exi- kommt, desto mehr begegnet man Fragen, stieren. auf die man keine Antworten weiß, und wenn Während der Ausbildungszeit wird das Ar- man dann noch seine Hochschule auf die Zu- beiten oft sehr, sehr stark vom Lehrer beein- kunft des Berufs hin ausrichtet, dann hat man flusst, denn es gibt auch das Prinzip derMeis- es mit nahezu allen Fragen zu tun. terklasse. Aber hier wirken dreierlei Kräfte. Über ganz gesicherte Antworten verfügt Eine davon ist die Notwendigkeit, eine neue kein Lehrer, und so funktioniert die ganze Art von Architekten zu kultivieren, die of- Hochschule als eine Art Gemeinschaftspro- fen für neue Fragestellungen sind und daher jekt, als ein Forschungslabor, in dem versucht Lehrer erfordern, die keine Antworten ha- wird, eine Vorstellung vom Architekten der ben, dafür aber die Fähigkeit, Fragen auf den Zukunft zu entwickeln. Also geht es nicht nur Punkt zu bringen und mit den Studenten zu um die Gestaltung einer neuen Architektur- arbeiten. Ihr (in der Städelschule) habt diese form. Eine experimentelle Architekturhoch- Tradition, und zwar in einer Mischung mit schule versucht vielmehr die Entwicklung der Meisterklassen-Tradition. Wo die Meister- eines neuen Typs des Architektenberufs. klassen-Tradition die Tradition des Meisters Ganz präzise kann man die dringenden ist, demjenigen, der alles weiß, nicht wahr? Anliegen eigentlich nie bestimmen. Wir kön- Somit kann man theoretisch mit dem großen nen lediglich die Fragestellungen erkennen, Architekten arbeiten, und man sollte alle Ant- die wichtig erscheinen und in der Zukunft worten von diesem Architekten bekommen. noch an Bedeutung gewinnen können. Fragen Was man tatsächlich bekommt, sind dagegen wie Materialkunde, Herstellungsverfahren, alle Fragen. Information im Allgemeinen, Ökologie, En- Wenn man sich die gegenwärtig von der ergiefluss, und Flussbewegungen im Allge- Hochschule geleistete Arbeit anschaut, so er- meinen. Diese Art allgemeinerer Fragen, auf weckt sie ein wenig den Eindruck, als stünde

––– 251 ––– sie im Zusammenhang mit deiner und Bens onelles oder akademisches Ziel in sich auf. Arbeit. Sieht man sich die an der Hochschule Das käme der Entwicklung einer gewissen in der Zeit von Enric Miralles geleistete Ar- Sensibilität für den Druck der Technologie, beit an, ja, da gab es eine gewisse Qualität für neuartige Entwurfsverfahren, ja sogar der Arbeiten, die an diejenige von Enric erin- der Neupositionierung des Architekten in nerte, und das war ganz sicher in den Jahren Entwicklungs- und Fertigstellungsprozessen von Peter Cook genauso. Doch in jedem einzel- nahe, während er ja zuvor schon seit langem nen Fall sind Peter Cook, Enric Miralles und als zunehmend marginale Gestalt beschrie- du und Ben genau deshalb stark, weil ihr dies ben worden ist. nie erzwingen wolltet. Das kommt eher von Wigley: Was die Architekten weltweit den Studenten. Die Studenten ahmen nach. eint und was sie als Spezies absolut einzigar- Was ich interessant finde, ist diese Art der tig macht, ganz gleich ob es sich nun um den Wechselwirkung. langweiligsten oder den spannendsten von Die dritte Variable, und die ist sehr, sehr ihnen handelt, ist die Ansicht, dass mit nur wichtig: Die Hochschule ist wirklich sehr relativ geringfügigen Veränderungen an klein … der gebauten Umwelt das Leben ein besseres ––––––– wäre. Ich glaube, dass tatsächlich jeder Ar- Bettum: Ganz anders als im Fall deiner chitekt glaubt, das Leben könne besser sein Universität, der Columbia University! und, dass er davon überzeugt ist, die gebaute Wigley: Es ist tatsächlich ganz anders als Umwelt könne dazu beitragen. Gut möglich, an der Columbia University. Das ist eine groß- dass die Architektur das letzte Gebiet ist, auf artige Stärke der Städelschule. Dazu gehört, dem es diesen Optimismus noch gibt, und es dass ihr eine Art besondere Hausatmosphä- mag sein, dass das ein naiver Optimismus ist, re nutzen könnt, und ich glaube, das ist auch doch die Architekturwelt ist in der Tat immer das große Erfolgsgeheimnis der Städelschule. davon ausgegangen, die Welt sei verbesserbar, Die Architektur ist in einem Haus mit einer wenn wir die Dinge nur ein wenig anders an- kleinen Anzahl von Leuten situiert, es gibt packten. nahezu keine Geheimnisse. Es gibt da diese Aber es wäre ein bisschen dümmlich, wenn unglaubliche Dynamik, die in einer großen wir uns bezüglich dieser Vorstellung, das Le- Hochschule einfach nicht zu haben ist. Und ben sei besser, wenn wir die Dinge anders an- dann gibt es noch die Situation, dass ihr in ei- gingen, ganz und gar einig wären, und, dass ner Kunstakademie neben Malern, Bildhau- dies keine Veränderungen in unserem eige- ern, Filmemachern und Fotografen arbeitet. nen Berufsbild hervorriefe. Also sollten wir, Das ist wirklich außergewöhnlich. anders gesagt, dieselbe Einstellung, die wir ––––––– der gebauten Umwelt gegenüber haben, auch Bettum: Mir kam es immer wie eine privi- auf unseren Berufsstand übertragen: dass er legierte Situation vor, obwohl im Alltag kaum etwas Schönes ist und, dass er aber auch noch zu bestimmen ist, worin eigentlich genau der verbesserbar ist. Und wenn es da eine Band- Austausch besteht. Du hast schon einiges an- breite zwischen langweiligen und interes- gesprochen. Misst du der experimentellen Sei- santen Architekten gibt, dann sind es die in- te die größte Bedeutung unter den Faktoren teressanten, die immer wieder mit einer neu- zu, die in der heutigen Situation an Architek- en Form für die Architektur hervorzutreten turakademien kultiviert werden sollten? Du versuchen. Das ist ein experimentelles Ver- sprachst von der Schaffung einer neuen Art fahren, denn wir wissen ja nicht, ob das eine von Architekten. Das fasse ich als instituti- neue Leitform werden wird. Der langweilige

––– 252 ––– Gespräch ––– Johan Bettum und Mark Wigley

Architekt kümmert sich keinen Deut um In- Bedeutung von Hochtechnologie nachdenken novation; der langweilige Architekt handelt zu können. lediglich im Rahmen bekannter Vorgaben. Ich glaube, es gibt ein Bedürfnis, Ausbil- Bei Schulen ist es das Gleiche. Es gibt lang- dung, sehr strenge Übungen, und einschrän- weilige Schulen, die sich nicht wirklich um kende Bedingungen experimentell anzuge- einen Wandel des Standards bemühen, und hen. Das bedeutet, dass die Hochschule ihren es gibt auch experimentelle Schulen. Aber Studenten eben nicht nahe legt, in eine Mil- wenn nun alle Schulen experimentell wären, lion verschiedene Richtungen gleichzeitig dann würde das für mich eine verkehrte Welt loszulaufen. Denn das Experimentelle geht bedeuten. Es wäre total langweilig, wenn je- eigentlich aus Einschränkung hervor. Und der Mensch ein Künstler wäre. Es wäre sogar ich finde, die Städelschule ist in dieser Hin- noch schlimmer, wenn jede Schule langweilig sicht ein gutes Modell. Die ersten Übungen wäre. und Studienprogramme, die Materiallabors, Es muss einen ökologischen Ausgleich zwi- bei all dem geht es sehr streng und einschrän- schen solchen Veränderungen, die an den ex- kend zu. Die Abschlussworkshops versuchen perimentellen Schulen vor sich gehen, und je- dann, ein wenig offener zu sein, aber die Öff- ner Reproduktion oder Replikation geben, die nung erfolgt doch immer noch auf ein von al- an den normalen Schulen passiert. Es handelt len geteiltes Programm hin. Es ist eine sehr sich also um eine Art darwinistischen Wett- gute Hochschule. streit. ––––––– Wenn sich eine Hochschule hinter ein be- Bettum: Du bist über Miralles an die Stä- stimmtes Programm stellt, sei es nun ein for- delschule gekommen, das war in den Achtzi- males, ein materielles, technologisches oder gern, nicht wahr? politisches, so sagt uns das noch nicht, ob sich Wigley: Enric war ein guter Freund und deren Ansatz später als langweilig oder als ex- ein wunderbarer Lehrer und Architekt, und perimentell erweisen wird. Man kann das auf er hat immer gesagt, es wäre schön, wenn ich eine ganz neue Art und Weise angehen. Wir einmal Workshops an der Schule machen kön- wissen, dass die intelligenten Architekten der ne, insbesondere über Theorie. Dann wurde Zukunft ein anderes Verhältnis zu Technolo- das plötzlich möglich, und das hat mich wirk- gie werden haben müssen, nicht nur, dass sie lich gefreut. Es freute mich, weil die Städel- einen anderen Gebrauch von der Technologie schule eine einzigartige, eine wirklich einzig- machen werden, sie werden Technologie auf artige pädagogische Struktur aufweist. Hier ganz neue Weise denken müssen. Und einer kann man ganz anders über Architektur spre- der besten Wege, um die Menschen dazu zu chen; für mich war es in diesem Sinne eine bringen, dass sie anders über Technologie Ausbildung, da ich hier auf andere Weise leh- denken, besteht darin, ihnen einen nahezu ge- ren und andere Fragen stellen konnte. Diese wöhnlichen Auftrag zu geben und sie dann zu Art an der Städelschule zu lehren war meiner einer anderen Denkweise aufzufordern. Die damaligen Denkweise viel näher; was ich in Architektur ist in technologischer Hinsicht den USA tat, war dagegen viel etablierter. ein sehr einfaches Gebiet …, und dennoch Lektürekurse sind etablierter; die Semi- müssen wir vielleicht mehr als jeder andere narform kann ein bisschen experimenteller Bereich über Technologie nachdenken. An- sein. Da weiß man die Hälfte dessen, was man ders gesagt: wie setzen einfache Technolo- sagt, und die Studenten sollen mit einem an gien ein, um so spekulativ über das Verhält- der anderen Hälfte arbeiten. Ein Workshop nis der Menschheit zur Technologie, über die ist eine noch experimentellere Form, es gibt

––– 253 ––– mehr Fragen, und die gehen auch schon mal liche Variationen erkennen. Die Universität in die Randbereiche. Das Modell des vier- ist sehr einengend. Es gibt da eine ganz klare oder fünftägigen Workshops zur intensiven Struktur; die Universitäten gehen auf das 11. Auseinandersetzung mit einem spezifischen Jahrhundert zurück, und deshalb ist die Uni- Thema sagt mir sehr zu. Das hat mir großes versität eben weil sie so einengend scheint, ein Vergnügen bereitet, und zu dem Zeitpunkt, fantastisches Experimentierfeld. als Enric starb, hatte ich mich bereits in die Also kann ich deine Frage nur mit einem Schule verliebt und fühlte mich ihr sehr ver- entschiedenen „Ja” beantworten! Und es bunden, also willigte ich ein zu bleiben und scheint mir auch sehr wichtig, für die Vermitt- weiter zu arbeiten, die Schule in ihrem Wachs- lung von Architektur ganz neue Lehrpläne zu tum zu unterstützen. entwerfen. An der Columbia University gibt Aber ich denke auch, dass ich meine ande- es eine lange Tradition beim Ausarbeiten neu- ren beruflichen Tätigkeiten aufgrund mei- er Lehrmethoden, die dann später an andere ner Arbeit an der Städelschule besser mache. Schulen weitergegeben werden. Wir schaffen Die Städelschule lässt mich immer wieder ständig neue Lehrtechniken, einige davon er- auf neue Art und Weise denken, selbst dann, langen dann Bedeutung für Hochschulen in wenn meine Besuche zurzeit sehr selten und der ganzen Welt. Das ist die ganz besondere sehr kurz ausfallen. Ich habe eine Vorstellung Führungsrolle der Columbia University. Ich davon, wie es zu Peter Cooks Zeiten gewesen würde sagen, dass die Anzahl jener Schulen, ist, Peter war noch immer sehr präsent, als die sich voll und ganz dem Experimentellen ich dazu kam, und dann habe ich natürlich verschrieben haben, in diesem Moment der eine genaue Vorstellung von der Zeit mit En- Geschichte wahrscheinlich so gering ist wie ric. Peter hat nach Enrics Tod noch eine Zeit- schon lange nicht mehr, und das ist natürlich lang weiter gemacht, und es war wirklich eine nicht zu begrüßen. Doch zugleich setzen die- Freude für mich zu sehen, wie du und Ben die se Schulen, die sich mit Experimenten befas- Schule in eine neue Richtung geführt habt. sen, sich dafür wirklich voll und ganz ein. In Das ist auch eine gute Eigenschaft einer Meis- früheren Zeiten war die Columbia University terklasse: dass sich mit jeder Gruppe von im Studiobereich sehr experimentell, dafür Lehrmeistern eine ganz neue Richtung ab- waren die anderen Kurse und Programme zeichnet. In diesem Sinne ist diese Form auch sehr zurückgenommen. Jetzt hat sich das Ex- experimentell zu nennen. perimentelle auch auf die Bereiche Geschich- ––––––– te und Theorie, Technologie, Berufstätigkeit, Bettum: Zurzeit leitest du diese Lokomoti- Materialkunde und Repräsentation ausge- ve von einer Akademieinstitution in Sachen weitet. Diese Felder sind ausgesprochen expe- Architektur, und das eine ist das Experimen- rimentell; sie haben jetzt den gleichen Status telle der Lehrmethoden beim Umgang mit den wie Studios. Doch auch andere Studienpro- Studenten, aber glaubst du, dass man mit der gramme, wie Denkmalpflege und Planung, Akademie selbst experimentieren kann? Immobilienentwicklung und Städtebau, die Wigley: …oh ja! Ja, ja, ja! Wenn das Expe- üblicherweise im Vergleich zur Architektur rimentelle aus der Einschränkung hervor- als nicht-experimentell galten, sind inzwi- geht, wenn Einschränkung und Experiment schen langsam aber sicher sehr experimentell zusammengehören, wie bei einer wissen- geworden. schaftlichen Vorliebe, und ein Experiment ––––––– dann vorliegt, wenn gewisse Bedingungen Bettum: Auf dem Weg zu unserem Tref- genau festgelegt sind, dann kann man mög- fen hier dachte ich über die Entwicklung mir

––– 254 ––– Gespräch ––– Johan Bettum und Mark Wigley bekannter Hochschulen, Architekturakade- blemen ins Auge zu schauen und dann eine mien und Studienprogrammen nach, und ich einzigartige Form zu finden, mit der man dachte, man könne vielleicht sagen, dass sich Variabeln, die einfach nicht zusammenge- die Architekturausbildung als Reaktion auf hören, sozusagen friedlich vereinen kann: gewisse Krisen entwickelt hat: die Franzö- Verkehr, Gefühle, Psychologie, Materialien, sische Revolution, die École Polytechnique, Raum, Zeit, Energie … das ist endlos, nicht die Meisterklasse. Und ich denke, man kann wahr? Selbst beim allersimpelsten architek- auch das Bauhaus im Verhältnis zu einer be- tonischen Entwurf gibt es fünfzig oder sech- stimmten Art von Krise sehen: derjenigen der zig Variabeln, und diese Variabeln existieren Industrialisierung, des Hervortretens der Mo- durchaus nicht alle im selben Universum; sie derne aus den früheren Stilstreitigkeiten … sind nicht miteinander in Einklang zu brin- Glaubst du, dass man etwas benennen könnte, gen. Es gibt nur eine einzige Art Experten, die dass heute diesem Krisenverständnis ent- all diese Variabeln zu absorbieren vermag, spricht oder auf es antwortet, und ist das wo- und das sind die Architekten. Wir haben eben möglich der Grund, warum du zum Experi- diese Art synthetischer Intelligenz, die über- ment aufrufst? Und ist nicht andererseits die lebensnotwendig ist, und das nicht nur für die Krise auch außerhalb des Architekturfeldes Architekten, sondern für die ganze Mensch- als eine Art soziokulturelle Bedingtheit zu heit. Doch das wird nur dann von Bedeutung verorten? sein, wenn es uns gelingt, die Bandbreite der Wigley: Ich gehe tatsächlich davon aus, von uns synthetisierten Dinge und die Tech- dass die ganze Spezies der Architektur in Ge- niken dieser Synthese zu vergrößern. Wenn fahr ist. Ich glaube, dass die sehr, sehr grund- wir also nicht eine ziemlich grundlegende legenden Veränderungen in der weltweiten Evolution in unserem Berufsbild absolvie- Verbreitung von Technologien, Ideen und ren, dann wird dieser Beruf mehr und mehr Konflikten eine neue Art von Kenntnissen redundant. Ich denke also, es gibt tatsächlich erforderlich machen. Das Gefühl, das ich zu eine Art Krise. Beginn des 21. Jahrhunderts habe, gleicht aus Der Umgang mit der Krise funktioniert so, meiner Warte sehr stark den Gefühlen in den wie auch die Natur mit Krisen umgeht. Man sechziger Jahren, als ein Großteil des Archi- macht viele Versuche und Mutationen durch, tekturbetriebs die bestehenden politischen ohne zu wissen, welche davon zum Erfolg füh- und technologischen Strukturen als unan- ren werden. Die Art Experiment, die man an nehmbar empfand, und einen dringenden der Städelschule durchführen kann, ist eine Bedarf nach neuen Materialien, neuen ökolo- ganz andere als diejenige, die an der Columbia gischen Prinzipien, neuen Prinzipien der Ent- University möglich ist, und die Möglichkeiten scheidungsfindung spürte. Dieses starke Ge- dort unterscheiden sich wiederum von denen fühl war wirklich da. Ich glaube, wir erleben in Berlage, an der Architectural Associati- zurzeit einen ganz ähnlichen Augenblick, zu on oder in Wien. Aber kann es sein, dass ich dem einerseits die tradierten Kenntnisse des damit schon alle experimentell arbeitenden Architekten unerhört wertvoll sind. Denn Hochschulen aufgezählt habe? was ist eigentlich ein Architekt? Ein Archi- Die Rede ist also von nur fünf oder sechs tekt ist jemand, der viele, viele Dinge zusam- Hochschulen, einige davon sind wie die Co- menbringen kann, die eigentlich nicht zusam- lumbia University groß genug, um viele Ex- mengehören. Das ist eigentlich alles, was wir perimente zur gleichen Zeit durchzuführen; als Architekten tun. Wir besitzen einfach die andere sind sehr klein, wie die Städelschule, Fähigkeit, außerordentlich komplexen Pro- was den Vorteil bietet, dass alle zusammen an

––– 255 ––– Mark Wigley, Frankfurt/Main 2007 einem einzigen Experiment arbeiten; Hoch- einem Fünfjahreszyklus gleichkommt. Das schulen wie Berlage haben die Möglichkeit, sind ganz andere zeitliche Bedingungen. so etwas wie Kettenexperimente durchzufüh- Gäbe es ein zweijähriges Lehrprogramm für ren, indem sie jeden Monat einen neuen Leh- bildende Kunst, dann könnte es zu unglaub- rer hinzuziehen, sie können eine Reihe sehr lichen Austauschvorgängen kommen. intensiver, jeweils mehrere Tage dauernde Ich glaube, einer der wichtigsten Innovati- Arbeitsphasen organisieren. Wieder andere, onsbereiche liegt in der Änderung des Bezugs- wie die Architectural Association, arbeiten punktes. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass mit dem Unit-System, das für die Studenten ihr mit euren Studenten einmal für einen Ma- einen Arbeitsprozess von mindestens einem terialkunde-Workshop nach Skandinavien Jahr bedeutet, aber da die Units immer län- gefahren seid, und dieser Kurs hat wie lange ger als ein Jahr dauern, erstreckt sich die gedauert? Zwei Wochen? tatsächliche Forschung über einen Zeitraum ––––––– von fünf oder sechs Jahren. Und das möchte Bettum: Ja, ich glaube, es waren zwei Wo- ich wirklich besonders hervorheben: Ich bin chen … der Auffassung, dass ein ganz wesentliches Wigley: Zwei Wochen. Und in diesen zwei Element jedes Lehrplans, ich meine damit Wochen habt ihr mehr geschafft als in den einen zentralen Aspekt der schulischen Ar- drei Monaten einer regulären Studio-Phase, chitektur, die Zeit ist. Alles dreht sich nur um einfach weil der zeitliche Rahmen anders ab- den Zeitfaktor. So wie einem ein Workshop gesteckt war. Also ich glaube, der Zeitrahmen von vier oder fünf Tagen erlaubt, Dinge um- ist wirklich ganz entscheidend. Die Frage, die zusetzen, die man in einem zwölfwöchigen wir uns zu stellen haben, ist: Was könnte es Kurs nicht schafft, ermöglicht einem ein für Hochschulen an neuen Zeitformen, neuen sechswöchiger Kurs ganz andere Dinge als Arbeitsrhythmen geben? Es geht nicht so sehr ein zwölfwöchiger. Und ein einjähriger Kurs um neue Themen oder Fächer. Tatsächlich bin erlaubt einem Dinge, die man in keiner der ich mit (Marshall) McLuhan der Ansicht, dass zuvor erwähnten Kursformen bewältigt. Ein das Medium wichtiger ist als die Botschaft. Forschungsprojekt, das sich über einen Zeit- Wenn man so will, dann ist die Städelschule raum von fünf Jahren erstreckt, ermöglicht eine Art von Medium … aufgrund ihrer Grös- einen ganz anderen Arbeitsrhythmus. Ein se, aufgrund ihrer Meisterklassenstruktur, … halbstündiger Vortrag wirkt anders als ein diese ganze Struktur, die sie hat, ihre Veror- dreistündiges Seminar oder drei Vorträge tung in einer Kunstakademie mit einer lan- hintereinander, und so weiter. gen Tradition. Das ist eine Maschine, und die- Ich glaube also, es macht einen wesent- se Maschine ist zu einer bestimmten Denk- lichen Unterschied zwischen den Hochschu- weise fähig. len aus, welchen Zeitrahmen sie ihren Stu- ––––––– denten anbieten. Und jede Hochschule bietet Bettum: Du praktizierst so etwas gerade an andere zeitliche Organisationsformen. Ich der Columbia University. Experimentierst du denke, eines der Probleme der Städelschule dort mit dem Zeitfaktor? lag immer darin, dass der Zeitrahmen für die Wigley: Ja, ich experimentiere ständig mit Studenten in den Bereichen Fotografie, Film, der Zeit. Zum Beispiel hat letzte Woche Ale- Malerei und so weiter ein so ganz anderer ist jandro Zaera (Polo) eine Reihe von drei jeweils als derjenige im Bereich Architektur. Die zweistündigen Vorträgen organisiert, und Architekten haben einen Zweijahreszyklus, nach jedem Vortrag gab es eine Dreiviertel- während das Studium der bildenden Kunst stunde Zeit, um Fragen zu stellen. Im Grunde

––– 258 ––– Gespräch ––– Johan Bettum und Mark Wigley springt dabei, anstelle der üblichen Verfah- es ja noch die Jurysitzung, bei der die Ein- rensweise, der Gastarchitekt aus dem Flug- zelstudenten ihre Arbeit vor sieben oder acht zeug. Liefert seinen Vortrag ab und geht wie- Jurymitgliedern präsentieren. Obwohl die der. Man geht mit ein und derselben Person im Arbeit also den Status eines Einzelprojekts Laufe von drei Tagen alle neuen Denkmodel- mit einem Einzelnamen erreicht hat, wird le durch. Da passiert etwas ganz anderes. Ich es dort wieder in eine kollektive Umgebung habe jetzt eine Menge Leute, die zu sechswö- eingespeist, diesmal eine Umgebung, die aus chigen Kursen kommen; Mark Cousin kommt Lehrern besteht. Ich finde, das ist doch eine für sechs Wochen, dann Philipp Ursprung. fantastische Sache. Und das ist dann wieder ein anderer Rhyth- Architektur ist immer eine wesentlich mus. Einige der Kurse, die wir jetzt veranstal- kollektive Produktion, und doch weisen wir ten, dauern ein ganzes Jahr an … jedem Projekt nur einen Namen zu. Und das ––––––– geschieht in einem Maße, dass etwa bei einer Bettum: Ich denke zurzeit über Designleh- Kooperativen-Partnerschaft einer der Namen re nach. Wir unterrichten noch immer Ein- stets weggelassen wird, während der andere zelstudenten im Gestalten, im Gegensatz zu als Signatur darunter stehen bleibt. Ich denke dem Verfahren, Studenten das Arbeiten und zum Beispiel, wer immer in einem Architek- Funktionieren in einem kollektiven Zusam- turbüro arbeitet, sieht sich in Teamwork menhang zu lehren, wo verschiedenartige eingebunden, und es ist richtig, wir haben Intelligenzen und vielfältige Ressourcen zur tatsächlich keine Form gruppenförmig orga- Verfügung stehen. Du sagst, dass der Archi- nisierten Lehrens innerhalb der Hochschule, tekt viele verschiedenartige Wissensformen aber dann finden sich die Studenten später in sich vereint, und ich habe nun den Ein- bei der Teamarbeit wieder. Auch der Büro- druck, als seien wir da mit unserer Lehre leiter kann nur sehr wenig Zeit im Büro und noch nicht so ganz auf der Höhe …? mit dem Team verbringen. Der Meisterarchi- Wigley: Ich denke, das ist eine sehr wich- tekt, oder die Meisterarchitektin läuft also im tige Frage. Zunächst einmal bin ich voller Büro herum, sieht sich alles an und reagiert Bewunderung für die traditionellen Studio- auf die Arbeit all der verschiedenen Gruppen, Lehrmethoden. Ich glaube tatsächlich, dass wie ein Schachmeister, der mehrere Partien sich andere Bereiche immer mehr auf diese simultan spielt. Doch meistens ist der Meis- Form besinnen werden. Obwohl jeder ein- terarchitekt noch nicht einmal im Büro, son- zelne Student letztlich sein Projekt abliefert dern ganz woanders. und präsentiert, ist es doch ein kollektiver In den Hochschulen geschieht genau das Produktionsprozess, denn viele Impulse für Gleiche. Der Meister kommt aus einer ande- das Projekt kommen von den anderen Mit- ren Welt in die Hochschule hinein und ver- gliedern der studentischen Gruppe oder vom lässt sie dann wieder. Ein Meisterarchitekt, Lehrer. Mit anderen Worten: Das Studio stellt der ein Büro leiten will, muss also ein Experte eine bestimmte Intelligenzform dar, bei der in der Überwachung paralleler Abläufe sein. die Studenten augenscheinlich ihre Projekte Sie brauchen viele Aufträge, viele Teams, bearbeiten, doch natürlich wird das Projekt viele Dinge gleichzeitig in ihren Köpfen, und auch von der Gruppe oder von den Diskus- sie springen andauernd von einer Sache zur sionen in der Gruppe beeinflusst. Das Studio anderen. Diese Fähigkeit, mit Sicherheit ein ist also ein gutes Modell für kollektives Arbei- Schlüssel zu beruflichem Erfolg, vermitteln ten, das dann einem einzelnen Namen, einer wir nun nicht, aber wir verlangen von den einzelnen Signatur weicht. Doch dann gibt Studenten, sich auf die andere Seite zu stellen,

––– 259 ––– Gespräch ––– Johan Bettum und Mark Wigley auf die Seite derer, die als Gruppe handeln paralleler Arbeitstechniken zu entwickeln, und darauf warten, dass der Gastlehrer zu wodurch wir unseren Studenten helfen, Ge- ihnen kommt. schicklichkeit zu erwerben und nicht nur als Nun denke ich, dass es einige Möglich- Team zu arbeiten, sondern auch ein Team an- keiten für das Curriculum gibt, mit denen zuführen. wir das ändern können. Anders ausgedrückt Und vielleicht müssen wir diesen Ansatz lautet die Frage: Wie wir es bewerkstelligen ausarbeiten, bei dem einer aus der Gruppe können, parallele Arbeitsprozesse in die Ar- zum Beispiel für einen Moment herausgezo- chitekturausbildung einfließen zu lassen? gen wird und die Gruppe führen muss. Ich Studenten verfügen da natürlich über einzig- denke, wir sollten mit dieser Art Fertigkeit artige Vorbedingungen, denn sie sind daran spielen. Doch die Grundlage, ja das Rohma- gewöhnt, Informationen aus MySpace oder terial der Architektenausbildung, die Studio- aus ihren iPods zu beziehen. Sie sind gewöhnt, kultur, ist ein unerhört wirkungsvoller Ak- riesige Mengen an Information aus verschie- tivposten. Und natürlich sind das Innenleben denen Kanälen, und beim Hin- und Hersprin- einer Hochschule und das Innenleben eines gen zwischen den Kanälen, aufzunehmen. Büros letztlich nicht so verschieden. Der ei- Doch das muss erst noch Eingang in unsere gentliche Unterschied liegt beim Zeitfaktor. Curriculums-Struktur finden. Eine der Ar- Im Architekturbüro hat man weniger Zeit. ten, mit der wir das erreichen können: die alte Man hat etwa drei Wochen vom Anfang bis Idee, Design sei das kollektive, kollaborative, zum Ende eines Projekts. An der Hochschule forschungsorientierte Feld. Geschichte, The- hat man dafür drei Monate. Der Ort, an dem orie, Berufspraxis und so fort, das sind die wir also mehr Zeit haben, das ist die Hoch- technischen Kurse, die für die Designkurse schule, auch wenn manche Studenten das an- eine Grundressource bieten, und die gehen ders empfinden mögen. dann am Nachmittag weiter. Der Morgen ist Und, noch einmal, es geht bei all dem in er- also einigermaßen klar, es ist der Nachmit- ster Linie um die Zeit. Wir müssen unseren tag, der riskant ist. Behandeln wir all diese Studenten dabei helfen, eine neue Stufe der Kurse – Berufspraxis, Technologie, Repräsen- Verfeinerung im Umgang mit der Zeit zu ent- tation, Geschichte und Theorie – ebenfalls wickeln, und wenn sie die erreicht haben, als Versuchslabors, dann bedeutet das für die dann können sie auch einen ähnlichen Um- Studenten, dass sie noch viel mehr in den Par- gang mit dem Raum für sich aufbauen. allelverarbeitungsmodus gehen müssen, weil alle Kurse im Lehrprogramm mit dieser Art von Intensität arbeiten. Jetzt ist es in der Hochschule schon soweit, dass die Material-Workshops mit den Studio- Workshops und die wiederum mit den Theo- rie-Workshops verwechselt werden. Natür- lich ist auch die Art und Weise, wie wir die Geschichts- und Theorieworkshops aufziehen so, dass wir sie wie Studios behandeln; wir ar- beiten kurzfristig kollaborativ an einem be- stimmten Programm. Ich glaube, einer der wichtigsten Zukunftsaspekte für die Archi- tektenausbildung wird es sein, die Fertigkeit

––– 260 ––– The Space and Time of Architectural Education _ Johan Bettum and Mark Wigley

Conversation

––– 261 ––– Johan Bettum: What is the urgency of archi- Mainly the idea is to cultivate a new kind of tectural education today? intelligence and a new kind of capacity to deal Mark Wigley: There are many schools with new questions. of architecture in the world. And of those The Städelschule has really a wonderful schools, only four or five or six really define history, because it has always been a school themselves completely in terms of being a that helps the students to be in the position kind of experimental laboratory for the fu- to face entirely new questions in entirely new ture of the discipline, and the Städelschule is ways. It would be a real disappointment if stu- and has long been one of those. In the years of dents would come out of a school like Städel- Peter Cook, the years of Enric Miralles and schule doing a kind of Städelschule architec- now the years of you and Ben, it had this repu- ture. And I think it’s clear that students, who tation. came out of Peter Cook’s years, are really not So what does it mean to be an experimental „Peter Cookies”; people who came out of En- school? If you are not, you are trying to aim at ric Miralles’ are not little „Mirallesites”; and the architectural profession as it’s currently „Berkelites” don’t exist either. defined or was defined five years ago; or if you During the time of the training, the work is are really boring, schools as they were defined often very, very closely inspired by the teacher ten years ago. And the further back in time because you also have the principle of the Mas- you aim your school, the more confident your ter Class. But you have three forces at work. teachers can be and the more the school deliv- One is the need to cultivate a new kind of ar- ers answers to known questions. The closer chitect that is open to new questions and thus you are to the present, the more questions requires teachers who are without answers arise for which you don’t have answers, and but just have a capacity to sharpen the ques- if you start to aim your school towards the fu- tions and work with the students. You have ture of the profession, as in the Städelschule, that tradition, and you have that mixed with you will have almost all questions. the Master Class tradition, where the Master No teacher can have certain answers, and Class tradition is the tradition of the master, what happens is that the whole school operates the person who knows everything, right? So, as a kind of collaboration, as a kind of research in theory, you can work with the great archi- laboratory, which tries to imagine what could tect, and you should receive all the answers be the architect of the future. So more than from this architect. But in fact, you receive all just designing a new kind of architecture, an the questions. experimental school tries to design a new kind If you look at the work done by the school of architect. now, it has a little bit a look of work related to We can never be precise about what is the your own work and to Ben’s. When you look at urgent demand. We can only identify ques- the work done by the school during the time of tions that seem important and that would Enric Miralles, yes, there was a certain qual- grow in the future. Questions like material, ity of the work that resembled Enric’s, and, technology, fabrication, information in gen- certainly, in the years of Peter Cook the same. eral, ecology, energy flow, flow in a general But in each and every case, Peter Cook, Enric sense. We can identify these sort of general Miralles and you and Ben are strong precise- questions that we aim the school towards. And ly because you never encouraged this. This certainly, if you look at the Städelschule, you comes more from the students. The students are addressing all of these questions in a very imitate. So I think what’s interesting is that interesting way. sort of double action.

––– 262 ––– Conversation ––– Johan Bettum and Mark Wigley

The third variable, very, very important, is timism is naive, but architecture always has that school is really, really small … the thought that if we change things a little bit, ––––––– the world would be better. Bettum: Very different to your Columbia! But it would be a bit silly for us to be entire- Wigley: Very different to Columbia. This ly united around this idea that if we change is a fantastic strength. It means that you can things, life would be better, and that we would have a kind of domesticity, and I think this is not change our own profession. So in other also the great secret of the Städelschule. The words, we should take the same attitude to architecture program is in a house with a the profession that we take to the built envi- small number of people and there are almost ronment, that it’s a beautiful thing but that no secrets. There is this incredible dynamic it could be improved. And if there is a range that you cannot have in a large school. And between boring architects and interesting then, of course, you have the really, really architects, interesting architects are always unique situation of being in an art academy, trying to come up with a new form of architec- alongside painters, sculptors, filmmakers, ture. It’s experimental because we don’t know photographers. This is just extraordinary. if it will become a new dominant form. The ––––––– boring architect doesn’t care about innova- Bettum: It always seemed to me that it’s a tion; the boring architect is operating within privileged situation although, on a daily basis, known standards. it is hard to pinpoint what actually is trans- Schools are the same. You have boring acted. Now, you already touched upon a num- schools that are not really interested in the ber of things. Is it the experimental side that transformation of the standard and you have you think is the most important to cultivate experimental schools. So for me, it would be a within an architectural academic setting to- crazy world in which every school is experi- day? You speak about designing a new kind mental. It would be entirely boring if every- of architect. That I understand as an institu- body were an artist. It would be even worse tional or an academic goal in itself. It would if every school were boring. There has to be be very close to developing a sensibility for an ecological balance between mutations, the pressure of technology, for new types of which go on in the experimental schools, and design procedures, even repositioning the ar- reproduction, replication, which goes on in chitect in development and building process- the regular schools. So it’s a kind of Darwin- es, where it has been argued for a long time ian struggle. that the architect has become more and more When a school commits itself to a certain marginalized. program, a certain formal program or mate- Wigley: What unites architects worldwide rial, technological, political and so on, that and what makes them absolutely unique as a does not yet tell us whether the approach is species, whether it would be the most boring going to be boring or experimental. You can architect or most exciting architect, is the approach these in an entirely new way. We view that with relatively minor adjustments know that the intelligent architects of the fu- to the built environment life would be better. ture will have to have a different relationship I think every architect actually believes that to technology, not just that they use technol- life can be better and believes that the built en- ogy differently; they really will have to think vironment could contribute to that. It might technology in a new way. And one of the best be that architecture is the only field left which ways to get people to think technology in a new has this optimism, and it might be that this op- way is to give them an almost ordinary com-

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Hamit Kaplan, Diplom Projektarbeit / Diploma thesis project: Immigration Arts & Crafts Centre, Bahnhofsviertel, Frankfurt/Main, 2005. mission and call on them to think differently. on the edge. So I like very much the workshop Architecture is a very low technology field …, model of four, five days of intense reflection on but we think about technology perhaps more one narrow subject. I did so with great plea- than any other field. In other words, we use sure and then, when Enric died, I had already low technology to speculate about mankind’s fallen in love with the school, and I felt a lot of relationship to technology, about the meaning care for the school, so I agreed to stay on, to of high technology. keep doing it, to help the school to grow. I think there is a need for training, for very But also I think that I do my other jobs bet- strict exercises and constraints to be experi- ter because I come to the Städelschule. Städel- mental. It means that the school doesn’t say to schule continues to teach me to think in a new its students: “Ok! Let’s just head off in a mil- way, even if I’m now visiting very rarely and lion directions at once.” Actually, experimen- for a very short time. So I have a sense of how tation comes out of constraint. And I think it was like in Peter Cook’s days because Peter Städelschule is a good model. The early exer- was very much still there when I first joined, cises and programs and the material labs and and then I have a good sense of Enric’s days. Pe- so on are very, very rigorous and constrain- ter, of course, continued a little bit longer after ing. And then the final studios try to open up a Enric passed, and it was really a great pleasure bit, but still they open up within the very par- to see the way that you and Ben took the school ticular program that everybody shares. It’s a in a new direction. And that’s also a very good very good school. thing about a Master Class: that with each new ––––––– set of masters, a whole new direction emerges. Bettum: … you got engaged with the Stä- It is also experimental in that sense. delschule through Miralles and that was in ––––––– 1980s …? Bettum: Right now you are directing this Wigley: Enric was a good friend and a locomotive of an academic institution in ar- wonderful teacher and architect, and he was chitecture and one thing is the experimental always saying that it would be nice if I could in the teaching itself or what one does with the spend some time doing workshops in the students, but do you think that one can experi- school, particularly in theory. And suddenly it ment with the academy itself? became possible, and I really loved it. I loved it Wigley: …oh yeah! Yeah, yeah, yeah! If because the Städelschule has a unique, really experimentation comes out of constraints, if unique pedagogical structure. One can speak constraint and experiment belong together, differently about architecture here, so for me it like in a scientific taste, and experiment is was an education in the sense that I could teach when certain conditions are fixed, you can in a different way and raise different ques- observe possible variations. The university is tions. My teaching in the Städelschule was very constraining. It’s a very clear structure; much closer to what I was thinking about at universities go back to the eleventh century, that moment, whereas the teaching that I was so actually, precisely because the university doing in United States was more established. seems so constraining, it’s a fantastic space Lecture courses are more established; the for experimentation. seminar is a little bit more experimental. You So yes! And it seems to me very important know half of what you are saying and you want to come up with entirely new models of the ar- the students to work with you on the second chitectural curriculum. And there is a long half. A workshop is even more experimental; tradition at Columbia of generating new peda- there are more questions and they are more gogical techniques that then migrate to other

––– 266 ––– Conversation ––– Johan Bettum and Mark Wigley schools. We are always generating new tech- globe now require a new level of expertise. niques, some of which become important for The feeling now, I would say, at the beginning schools all around the world. And that’s the of the 21st century, is very, very similar to the particular leadership role of Columbia. I would feelings of the 1960s when quite a large part say, in this moment of history, the number of of the architectural community felt that po- schools dedicated to a hundred percent experi- litical and technological structures were un- mentation is probably the smallest it has been acceptable, that new materials were needed, for a long time, and this is not so good. But at new ecological principles, new principles of the same time, those schools that are dedicat- decision making. There really was that strong ed to experimentation are doing so really full sense. I think we are facing a very similar mo- on. In previous years, Columbia was very ex- ment now when the traditional expertise of perimental in the studio environment, and all the architect is, on one hand, unbelievably the other classes and programs were very re- valuable. I mean, what is an architect? An ar- strained. And now the experimentation is just chitect is somebody who can combine many, as much in history and theory, technology, pro- many things that don’t belong together. That’s fessional practice, material science, and repre- the only thing we do as architects. We are sim- sentation. Those areas are fully experimental; ply able to look extraordinarily complex prob- they are treated now like studios. But also the lems in the eye and come up with the singular programs like historic preservation and plan- form that can sort of happily accommodate ning, real estate development, and urban de- variables that simply don’t belong together: sign that were usually understood to be non- , emotions and psychology, materials, experimental in comparison to architecture, space, time, energy …it never ends, right? have also slowly become very experimental. Even in the simplest architectural design, ––––––– there are fifty or sixty variables and the vari- Bettum: Coming to meet you here, I was ables don’t exist in the same universe; they are thinking about the development of schools, incompatible. There is only one kind of expert architectural academies and programs as I that can absorb all of those and that’s the ar- know them, and I thought that maybe one could chitect. We have this kind of synthetic intelli- say that architectural education has devel- gence, which is crucial to our survival, not just oped in response to certain crises: the French of the architects, but of the human species. But revolution and the École Polytechnique and it will only be useful if we are able to expand the Master Class. And I suppose one could see the range of things that we synthesize and the the Bauhaus in relation to a certain type of techniques with which we do the synthesis. crisis: industrialization, the emergence of the So, unless we make a kind of pretty significant modern versus the earlier battle of styles … Do evolution in the profession, the profession is you think you could identify something that becoming increasingly redundant. So I think responds to or echoes with this notion of a cri- that there is a kind of a crisis there. sis today and is that reflected in your call for The way you deal with the crisis is the same an experiment? And, on the other hand, is not way that nature deals with it. You do many crisis also to be located outside of architecture experiments, mutations; not knowing which as some sort of a social-cultural condition? ones will succeed. The kind of experiment you Wigley: I do think that the architectural can run in the Städelschule is different from species is under threat. I think that the very, the kind of experiment that you can run at Co- very radical shifts in the way that technolo- lumbia, which is different from the kind of ex- gies, ideas, conflicts are circulating in the periment that you can run at the Berlage or at

––– 267 ––– the Architectural Association, which is may- I think one of the major areas of innovation be different to the experiment that you can do is to change the reference point. I remember, in Vienna. But maybe I have already run out for example, you once took your students to of experimental schools? Scandinavia to work in a material workshop So you have only five or six schools, some of that, I can’t remember, was two weeks or some- which, like Columbia, are big enough that we thing? can run many experiments at the same time; ––––––– some of which are very small, like the Städel- Bettum: I think it was two weeks, yeah … schule, which has the advantage of having eve- Wigley: Two weeks. And they produced in rybody working on a single experiment; some, those two weeks more than they produced in like the Berlage, can do sort of serial experi- three months of a regular studio because the ments by having a new master every month, time frame was changed. So I think time frame they can do a series of short charrettes. Oth- is really the key. The question for us is: what ers, like the Architectural Association, work would be new forms of time, new rhythms for on the unit system, which goes at least a year schools? Not so much new subjects. Actually, for the students, but since the unit lasts longer in this sense, I believe with (Marshall) McLu- than a year, the real research is going on for han that the medium is more important that five or six years. And this is one point I really the message. If you like, the Städelschule is a want to make very strongly: I think that a ma- certain type of medium …because of its size, jor curriculum ingredient, I mean, the key as- because of the Master Class, … the whole sort pect of designing the architecture of the school of structure of it, and its location in an art is time. It’s all about time. In the same way that academy with a long tradition. It’s a machine, the workshop for four or five days allows you and that machine can do a certain kind of to do things you cannot do in a twelve-week thinking. class, a six-week class allows you to do things ––––––– that a twelve-week doesn’t. A one-year class Bettum: You are doing this right now at Co- allows you to do something you cannot do in lumbia. You are experimenting with time? any of the aforementioned. A research project, Wigley: Yes, always experimenting with which goes over five years, allows you to do time. So for example, Alejandro Zaera (Polo) another rhythm. A half-an-hour lecture has a made a series of three two-hour lectures last different impact from the three-hour seminar, week, and after each one, about three-quar- from three lectures in a row and so on. ters-of-an-hour of questions. Basically, in- So I think that one of the important dif- stead of the usual, the visiting architect drops ferences between the schools is the different down from an airplane, delivers, leaves; you time frame that they offer their students. And have the same person going through all the each school offers a different package of time latest thinking within the three days. Some- frames. I think one of the problems in the thing completely different happens. Right Städelschule has always been that the time now I have a lot of people who come for six-week frame for the students in photography, film, classes; Mark Cousin comes for six weeks, and and painting and so on is different from the then Philip Ursprung. And that’s again a dif- time frame of the architects. The architects are ferent rhythm. Some classes we have now go on a two-year cycle; the art study is like a five- for whole year … year cycle. These are completely different time Bettum: I am wondering about the teach- frames. If there were a two-year art program, ing of design as such. We are still very much there would be unbelievable exchanges. teaching individual students how to design,

––– 268 ––– Conversation ––– Johan Bettum and Mark Wigley as opposed to teaching the students how to ent teams like somebody playing many chess work and function in a collective, where there games at the same time. But most of the time is a multiple form of intelligence, multiple re- the master architect is not even in the office, is sources available all the time. You said earli- actually elsewhere. er that the architect manages lots of different Inside the schools the same thing happens. types of knowledge, and it seems to me that we The master is coming into the school from are still not quite teaching that? another world and going out again. So for the Wigley: I think it is a very important ques- master architects to run an office, they have tion. First, I’m very much in admiration of to be experts in parallel processing. They the traditional studio teaching. I believe actu- have to have many assignments, many teams, ally that other fields will more and more adopt many things in their head, and they bounce this technique. Even though each student in from one to the other. Now, we don’t teach that the end submits and presents a project, it is a skill, which is surely the key to professional collective production where much of the im- success, but we do ask the students to be on pulse for the project is coming from the other the other side of it, on the side of acting in the members of the student group and from the team and waiting for the visiting master to teacher. In other words, the studio is a form come through. of intelligence, in which students appear to Now, I think that there are certain things produce projects, but of course the project is that we can do with the curriculum to change being shaped also by the group, discussions of that. In other words, how can we start intro- the group. So the studio is a good model for a ducing into architectural education parallel kind of collective operation, which gives way processing techniques? Students, of course, to a singular name, singular signature. But are uniquely equipped to do this because they then you have the jury in which the singular are used to receiving information from their student presents the work to seven or eight MySpace and their i-Pods. They are used to re- jury members. So even though it has reached ceiving vast amounts of information from dif- this point of a singular project with a singular ferent channels and bouncing from channel to name, it is then thrown back into a collective channel. But we have yet to bring that into the environment again, but now an environment curriculum structure. of teachers. I think it’s a fantastic model. And one of the ways that we can do it is Architecture is always a radically collec- through the old idea that design is the collec- tive production and yet we always assign each tive, collaborative, research territory. His- project to just one name. So much so that when tory, theory, professional practice and so on, there is a cooperative partnership, one name are the kind of technical classes that provide is always removed and the other one stays. I basic resources for design, which goes on in think for example, anybody that works in an the afternoon. So the morning is kind of clear; architect’s office finds him- or herself work- the afternoon is risky. If we treat all the class- ing in teams, and it’s true we don’t ever have es – professional practice, technology, repre- a kind of team teaching inside the school, but sentation, and history and theory – as also they find themselves working in teams. But experimental laboratories, the student has also the master of the office has very little to be much more in parallel processing mode time to spend in the office and very little time because all of the different classes in the pro- to spend with your team. So the master archi- gram are operating with this kind of intensi- tect, she or he, walks around the office watch- ty. Now you already start to have that in the ing and reacting to the work of all the differ- Städelschule with the material workshops

––– 269 ––– Conversation ––– Johan Bettum and Mark Wigley becoming confused with the studio, becom- ing confused with the theory workshops. Of course, the way that we run history and theo- ry workshops is we treat them like studios, we work in a collaborative mode for a short peri- od of time on a particular program. So I think that one of the important futures of architec- tural education is to develop parallel process- ing techniques so that we help our students to become skillful at not only being in a team but at leading a team. And perhaps we need to cultivate this ap- proach where somebody in a group, for ex- ample, is for a moment pulled out and has to manage the group. I think we should play with these kinds of skill sets. But the basic, the raw material of architectural education, which is the studio culture, is an unbelievably power- ful asset. And of course, the inside of a school and the inside of an office, they are not so dif- ferent. The real difference is time. In the office you have less time. You have three weeks to get from the beginning to the end of the project. In the school you have three months. So actually the place we have more time is the school, no matter what the students feel. And, again it’s all about time. We need to help our students develop a new sophistica- tion with time, and if they have that, then they can be sophisticated about space.

––– 270 ––– JohannKunstraum Bettum, Tschoperl 2006 von Britta und Klaus Kamptner Artspace Tschoperl by Britta and Klaus Kamptner Ben van Berkel mit Studenten /with Students im /in the Mercedes Benz Museum, Stuttgart, 2006

Institut für Kunstkritik /Institute for Art Criticism, Paolo Virno, Isabelle Graw, Städelschule 2006 Institut für Kunstkritik _ Isabelle Graw

„Darum muss jegliche Theorie der Kunst zugleich Kritik an ihr sein.” *

* Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie

––– 275 ––– Im Sommer 2003 gründeten Daniel Birn- gilt grundsätzlich den unterschiedlichsten baum und Isabelle Graw, beide Professoren Schreibweisen und Kritikertypen: der lite- an der Städelschule Frankfurt, das Institut rarisch-künstlerischen Kunstkritik ebenso für Kunstkritik. Sie sind beide praktizieren- wie der methodisch ambitionierten Kunst- de Kunstkritiker, Isabelle Graw als Heraus- theorie, dem journalistischen Schreiben geberin der Zeitschrift Texte zur Kunst und über Kunst ebenso wie der akademischen Daniel Birnbaum als Redakteur der US-ame- Kunstkritik, die aus dem zunehmenden Inte- rikanischen Kunstzeitschrift Artforum, und resse auch anderer Felder (Kunstgeschichte, von daher prädestiniert für die Auseinander- Ästhetik, Soziologie, Kulturwissenschaften) setzung mit der Praxis der Kunstkritik und an Gegenwartskunst resultiert. ihren disziplinären Bezügen. Dieser Praxis Im Rahmen dieses Instituts haben bislang und ihren theoretischen Vorannahmen ist zahlreiche Veranstaltungen stattgefunden: die Arbeit des Instituts gewidmet. Sie zielt Neben Vorträgen von renommierten Kunst- darauf, zeitdiagnostische Befunde, etwa über historikern und Theoretikern wie Giorgio den Stand der Kunstkritik, mit Fragen nach Agamben, Benjamin Buchloh, Yve-Alain Bois, der jeder Kunstkritik inhärenten Methode Michael Fried und Tom Holert hat das Institut kurzzuschließen. Pointierte Gegenwartsdi- auch mehrere Tagungen veranstaltet. agnostik und kritische Methodenreflexion The Power of Criticism lautete der (spre- gehen dabei, im Idealfall, Hand in Hand. Zen- chende) Titel des ersten Symposiums, das 2004 tral für das Gelingen eines solchen Unterneh- abgehalten wurde. Statt der Kritik wie so oft mens ist die Zusammenarbeit mit anderen Ohnmacht angesichts übermächtiger Markt- Institutionen. Die Bedeutung der Kooperati- mechanismen zu attestieren, sollte dieser Ten- on mit Professor Werner Hamacher und dem denz zur Negativbilanz entgegengewirkt wer- Institut für Allgemeine und Vergleichende den, um einen emphatischen, starken Kritik- Literaturwissenschaft sowie mit Professor begriff zur Diskussion zu stellen. Dabei stand Axel Honneth und dem Institut für Sozialfor- die Frage nach der Relevanz einer mittlerweile schung, beide an der Johann Wolfgang Goe- kanonisierten Modernismuskritik ebenso im the-Universität Frankfurt am Main, sollte an Raum, wie unterschiedliche Kritikbegriffe, dieser Stelle betont werden. etwa das Modell Kulturkritik, kritisch disku- Zunächst einmal ist Kunstkritik auf eigen- tiert wurden. Statt methodische Probleme, tümliche Weise heteronom und autonom zu- etwa die Versöhnung einer eher immanenten gleich. Einerseits nimmt sie koproduktiv an Herangehensweise mit einem gesellschaftsori- der Produktion und Vermarktung von Kunst entierten Ansatz, isoliert zu verhandeln, blie- teil, eine Verstrickung, die in den letzten ben diese stets in eine gesellschaftskritische Jahren noch zugenommen hat. Andererseits Perspektive eingebunden. Sämtliche Einlas- handelt es sich hier um eine Praxis, die ihren sungen kreisten denn auch um die Frage, ob Gegenstand quasi selbst begründet und da- es überhaupt möglich sei, die Werturteile des bei Anspruch auf kritische Distanz erhebt. Marktes anzufechten, wenn man als Kritiker In Anbetracht der Tatsache, dass die Bildung zugleich in diesem eine Rolle spielt. Als Vor- der Kunstkritik zu einem wissenschaftlichen tragende und Respondenten fungierten Ben- Feld immer noch aussteht, sucht das Insti- jamin Buchloh, Martin Saar, Yve-Alain Bois, tut für Kunstkritik diese Lücke zu schlie- Jutta Koether, Helmut Draxler, Vanessa Joan ßen. Denn es hat sich zur Aufgabe gemacht, Müller, Tim Griffin und Niklas Maak. die Praxis und Theorie der Kunstkritik sy- Die nächste Tagung mit dem Titel Unter stematisch zu untersuchen. Sein Interesse Druck setzte bei dem Befund an, dass sich

––– 276 ––– Institut für Kunstkritik ––– Isabelle Graw kulturelle Produzenten externen Zwängen immer unmittelbarer ausgeliefert sehen. Im Rahmen eines Seminars hatte die Lektüre von drei Büchern, Luc Boltanskis und Eve Chiapellos Der neue Geist des Kapitalismus, Paolo Virnos Grammatik der Multitude und W.J.T. Mitchells What Do Pictures Want?, zu der Feststellung geführt, dass diese Autoren in puncto Gegenwartsdiagnose in vielerlei Hinsicht übereinstimmen. Wo Virno Kom- munikation zur „Königin der Produktivkräf- te” erklärt, heben Boltanski/Chiapello die Bedeutung von Information und Kontakten in einer „projektbasierten Polis” hervor. Für Mitchell sind es Bilder, die ein Eigenleben führen und sprechen können – lebende Sym- bole, die zur Herstellung der Bedingungen im „Empire” entscheidend beitragen. Teil- nehmer der Tagung waren neben den Auto- ren der obengenannten Bücher Sabeth Buch- mann, Martin Saar und Sighard Neckel. Für Dezember 2007 ist eine weitere Tagung mit dem Titel Canvases and Careers Today geplant. Sie nimmt den von den Soziologen Harrison und Cynthia White geprägten Be- griff des „dealer-critic system” zum Anlass, um die These aufzustellen, dass dieses mitt- lerweile von einem anderem System abgelöst wurde. Dieses neue System wird als „dealer- collector system” umschrieben. Das Institut hat international renommierte Kunstkri- tiker/innen und Künstler/innen wie Bran- den Joseph, George Baker, Melanie Gilligan, John Kelsey und Johanna Burton eingela- den, um den daraus resultierenden Funkti- onswandel für die Kunstkritik gemeinsam zu erörtern.

––– 277 ––– The Power of Criticism, Daniel Birnbaum, Tim Griffin, Niklas Maak, Yve-Alain Bois, Jutta Koether, Helmut Draxler, Vanessa Joan Müller, Benjamin Buchloh, Isabelle Graw, Martin Saar, Städelschule 2004

Joseph Backstein, Academy Remix, Portikus 2005 Institute for Art Criticism _ Isabelle Graw

“Therefore every theory of art must at the same time be a critique of art.”*

* Theodor W. Adorno, Aesthetic Theory

––– 281 ––– In the summer of 2003, Daniel Birnbaum and cally ambitious art theory; in journalistic Isabelle Graw, both professors at the Städel- writing about art as much as in academic art schule, Frankfurt, founded the Institute for criticism, the latter a result of the increasing Art Criticism. Both are also practicing art critics, interest other fields (art history, aesthetics, Isabelle Graw as the editor of the journal Texte sociology, cultural studies) express in con- zur Kunst; Daniel Birnbaum as a contributing temporary art. editor of the American art magazine Artfo- To date, the Institute has been host to nu- rum, and thus cut out for an engagement with merous events: besides lectures by renowned the practice of art criticism and its relations to art critics and theorists such as Giorgio Agam- other disciplines. It is to this practice and its ben, Benjamin Buchloh, Yve-Alain Bois, Mi- theoretical underpinnings that the work of the chael Fried, and Tom Holert, the Institute has Institute is devoted. It aims to bring an analy- also organized a number of conferences. sis of the present state of affairs, for instance of The Power of Criticism was the (telling) title art criticism, in close contact with an inquiry of the first symposium, held in 2004. Instead into the methodology inherent in any critical of attesting, as is often done, to the powerless- activity. A pointed diagnosis of the present ness of criticism in the face of overbearing and a critical methodological reflection will, market mechanisms, we wanted to counteract at least ideally, work hand in hand. Collabo- this tendency to draw up a negative balance ration with other institutions is an essential by initiating discussion of an emphatic and condition for the success of such an endeavor; strong concept of criticism. This involved the we should therefore stress at this point the im- question of the continued relevance of a now portance of our collaborations with Professor canonical critique of modernism as well as a Werner Hamacher and the Institute for Gen- critical debate of various conceptions of criti- eral and Comparative Literature, and with cism, such as the model of cultural critique. Axel Honneth and the Institute for Social Re- Instead of debating methodological problems, search, both at the Johann Wolfgang Goethe for instance that of reconciling a predomi- University, Frankfurt am Main. nantly immanent approach with a sociologi- To begin with, art criticism is in a pecu- cally oriented conception of criticism, in iso- liar way both heteronomous and autonomous lation, these problems were seen as embedded at the same time. On the one hand, it is a co- in a perspective of social critique. All state- productive participant in the production and ments, then, also revolved around the ques- marketing of art, an entanglement that has tion whether it was possible at all to contest the grown even stronger in recent years. On the market’s value judgments when the critic is at other hand, it is a practice that, as it were, con- the same time involved in this market. Pre- stitutes its own object, maintaining, or so it senters and respondents included Benjamin claims, a critical distance. In light of the fact Buchloh, Martin Saar, Yve-Alain Bois, Jutta that the development of art criticism into an Koether, Helmut Draxler, Vanessa Joan Mül- academic field remains unaccomplished, the ler, Tim Griffin, and Niklas Maak. Institute for Art Criticism seeks to supply this The next conference, entitled Under Pres- gap. For it has made a systematic examination sure, took as its point of departure the observa- of the practice and theory of art criticism its tion that cultural producers find themselves mission. Its curiosity is fundamentally open more and more immediately exposed to exter- to the most diverse kinds of writing and types nal compulsions. In a seminar, the reading of critic: it is interested in literary and artis- and discussion of three books, Luc Boltanski tic criticism of art as much as in methodologi- and Eve Chiapello’s The New Spirit of Capital-

––– 282 ––– Institute for Art Criticism ––– Isabelle Graw ism, Paolo Virno’s A Grammar of the Multitude, and W.J.T. Mitchell’s What Do Pictures Want?, had led to the conclusion that these authors agree in many ways in their diagnoses of the present state of affairs. Where Virno declares communication to be the “queen of productive forces,” Boltanski/Chiapello emphasize the importance of information and personal con- tacts in a “project-based polis.” For Mitchell, it is pictures that lead a life of their own and are able to speak, living symbols that make a deci- sive contribution to the establishment of the conditions of “Empire.” Participants in this conference included Sabeth Buchmann, Mar- tin Saar, and Sighard Neckel and the authors of the three books. Our next conference, entitled Canvases and Careers Today, is scheduled to be held in December 2007. Taking the concept of the “dealer-critic system” coined by sociologists Harrison and Cynthia White as its point of departure, it will advance the hypothesis that this system has in the meantime been sup- planted by another one, one we describe as the “dealer-collector system.” The Institute has invited art critics and artists of international renown, such as Branden Joseph, George Bak- er, Melanie Gilligan, John Kelsey, and Johan- na Burton to join our discussion of the result- ing changes to the function of art criticism.

––– 283 ––– Skulptur im erweiterten Feld _ Wolfgang Winter

Workshop Bildhauerei

––– 284 ––– Skulptur im erweiterten Feld ––– Wolfgang Winter

Während des Bildhauerei-Studiums kann ter Griesinger-Schule für mehrfach behin- sich ein Repertoire an Möglichkeiten heraus- derte Kinder, um so den Schülern dort einen bilden, das auf ureigene Weise eingesetzt Einblick in die Zoologie zu vermitteln. Neben werden kann, ähnlich dem Musiker, der sich der Anfrage und der freundlichen Zusage der intensiv mit seinem Instrument beschäftigt. Künstlerin waren für Fleischmann noch an- Neben methodischen Fragestellungen liegt dere Hürden zu überwinden, da zum Beispiel eine weitere Priorität darin herauszufinden, Tierhaltung an Schulen in der Hessischen was das Arbeitsfeld sein kann: Was bedeutet Gesetzgebung nicht zulässig ist. Oder weil es für Künstler, wenn sie sich an Projekten der Hühnerhabicht, anders als im musealen mit einer konkreten Aufgabenstellung betei- Raum, die Hühner-Idylle empfindlich stören ligen? Wie kann hier die eigene künstlerische könnte. Und wer pflegt dies alles? Wie kann Identität eingesetzt werden, und drohen we- man ein solches Langzeitexperiment dauer- gen äußerer Umstände der Machbarkeit und haft am Leben erhalten? Die Tierfütterung Akzeptanz gefährliche künstlerische Kom- und Pflege des Geheges musste aus prak- promisse? tischen Gründen später von kompetenten Im Rahmen des Workshop Bildhauerei Pro- Nachbarn übernommen werden, um die pä- jekte konnte ich eine Reihe von Aufgabenstel- dagogischen Kräfte der Schule nicht über die lungen anbieten, bei denen Städelschüler/ Maßen zu belasten. innen mit fachlicher Unterstützung, gele- Auch Michael Beutlers Beitrag zum gentlich auch mit außerschulischen finanzi- Projekt Griesinger-Schule White Cube into ellen Mitteln und Sachleistungen ausgestat- Ponderosa thematisiert nicht lediglich die tet, eigene Ideen umsetzen konnten, um so das Herstellung einer Gartenlaube für die Schü- eigene Terrain auszuloten und Praxis-Erfah- ler. Dem Erscheinungsbild der Ponderosa rung zu sammeln. geht die Herstellung einer im Rahmen der Dirk Fleischmann zum Beispiel interes- Kunstpräsentation diskutierten Form des sierte sich für die Aufgabe, ein Kunstwerk White Cube voraus: ein weißer Kubus, der für eine Frankfurter Schule zu entwickeln. hier nach seiner Herstellung vor Ort zerlegt Er fragte die Künstlerin Rosemarie Trockel, und zerschnitten, in die fantasievolle Archi- ob er ihre Pläne für ein Kunst-Hühnerhaus tektur des später rosa gefassten Bauwerkes ins Reale übersetzen dürfe an der Frankfur- zusammengefügt wurde.

Dirk Fleischmann, Ein Hühnerhaus nach den Plänen von Michael Beutler, White Cube into Ponderosa Rosemarie Trockel für die Griesinger-Schule Frankfurt Projekt/Project: Griesinger-Schule Frankfurt Projekt/Project: Griesinger-Schule Frankfurt

––– 285 ––– Kann ein Schwimmbad, gebaut aus zu- ben, das gleichermaßen von den im Osten der sammengeschweißten Überseecontainern, Stadt untergebrachten Sinti- und Roma-Ju- eine künstlerische Dimension erlangen, die gendlichen benutzt wurde wie auch von den über ihren Originalitätsfaktor hinausgeht; sportiven Städelschülern/innen. Natürlich ähnlich dem Hühnerhausprojekt, bei dem kam eine Bar hinzu, ebenfalls selbst gebaut. Fleischmann ein bereits bestehendes Kunst- Und absurderweise wurde auf dem Dach der werk einer etablierten Künstlerin zitiert und Kunstschulen-Dependance eine seriös er- in einen neuen Zusammenhang versetzt? scheinende und weithin sichtbare Leuchtre- Das Schwimmbad wurde von dem in der Stä- klame mit der Aufschrift Hotel installiert. delschule von Studenten gegründeten Phan- Ein anderes Beispiel ist Michael S. Riedels tombüro gebaut. Ratlosigkeit gegenüber der streng konzeptuelle Installation für den Büro- Geschichte der Bildhauerei und ihrer gesell- park Neu-Isenburg. Riedel setzte eine detailge- schaftlichen Relevanz war ein Anlass, und treue Kopie eines Teils der gläsernen Gebäu- so bauten Dirk Paschke und Daniel Milohnic defassade direkt vor das Original, sozusagen ihr Schwimmbad zuerst auf dem Gelände als Proportionsstudie zur Realität und in An- der Daimlerstraße, der Bildhauer-Depen- spielung auf eine Bauverordnung, nach der dance der Städelschule. (Später wurde es als bei öffentlichen Gebäuden drei Prozent der Werksschwimmbad von der Essener Kokerei Objektsumme für ein Kunst-am-Bau-Projekt Zollverein übernommen.) Nach einer harten empfohlen wird. Zeit des Ausprobierens und Überlegens war Im ägyptischen Alexandria fand im Jahr plötzlich alles übersichtlich; ein stattliches 2006 ein auf Aspekte des Öffentlichen bezoge- Schwimmbad wurde mit starker Naht aus ner Workshop in den Räumen von ACAF (Ale- ausgedienten Übersee-Containern zusam- xandria Contemporary Arts Forum) statt, der mengeschweißt. Diese wurden mit einer rie- einzigen experimentellen Kunstinstitution sigen Menge von Wasser gefüllt, welches mit am Ort. Die eingeladenen Städelschul-Stu- Feuerwehrschläuchen über mehrere hundert denten sollten, möglichst im Team, mit ägyp- Meter spektakulär herbeigeschafft werden tischen und libanesischen Studenten aus Ale- musste. Hinzu kamen ein elegantes Sonnen- xandria arbeiten, die neben dem sehr unter- deck, darüber hinaus ein Basketballfeld mit schiedlichen kulturellen Hintergrund auch selbstgebauten, skulptural anmutenden Kör- einem völlig anderen Studiensystem mit stark

Michael S. Riedel, Bausume xxxxxxxx / Bausumme xxxxx Wiebke Bachmann, Blow up Projekt/Project: Kunstprojekt für den Büropark Neu Isenburg, Projekt/Project: Alexworkshop 06 Städelschule Frankfurt / Büropark Neu Isenburg

––– 286 ––– Skulptur im erweiterten Feld ––– Wolfgang Winter akademischem Hintergrund entstammen. Orten, die hier nur exemplarisch erwähnt Alexworkshop 2006: Wer hätte zuvor etwa in werden können, sowie etliche ausgearbeite- Alexandria daran gedacht, dass der gnaden- te, aber (noch) nicht realisierte Konzepte. Bei lose Abgasdunst dort in künstlerische Form aller angestrebten Professionalität der Stä- zu bringen ist? Bis wir in Wiebke Bachmanns delschüler in der Entwicklung, Präsentation Hotelzimmer kamen und sahen, wie sie ener- und Umsetzung der Ideen ist der Charakter gievoll ihr karges Zimmer, aber immerhin dieser Projekte im Allgemeinen experimen- mit Blick auf die achtspurige Corniche und tell angelegt, als ein Spielfeld des Ausprobie- dahinter aufs Meer, in ein Näh-Atelier ver- rens und als Erweiterung des Werkstatt-Lehr- wandelt hatte. Aus einer PVC-PKW-Schutz- angebotes gedacht. Bei der Durchführung der hülle hatte sie eine große Autolunge gebastelt, Projekte entwickelte sich meistens eine kon- die dann wiederum mittels eines Föns, der troverse Diskussion unter den Teilnehmern, später auf dem Balkon der Galerie zur Strasse zum Beispiel weil das vorgegebene Arbeits- hin installiert war, die Auto-Abgase in das In- feld außerhalb der für Kunst vorgesehenen nere der Skulptur blies. und institutionalisierten Orte lokalisiert war Oder Martin Flemmings Installation Rue oder Schritte aus der schützenden Hülle des Pharaons Corner Fouad Street, ein passge- Ateliers getan werden mussten. nauer Sockel für einen in den schmiedeei- sernen Zaun einer alten Alexandriner Villa eingewachsenen und seltsamerweise von der Wurzel her gekappten, also im Zaun wie schwebend verwachsenen Baumstumpf. Der passgenaue Sockel befand sich als Skulptur in den Ausstellungsräumen, schräg an die Wand gelehnt, und verwies so auf die eigentümliche sinnbildhafte Konstellation ein paar Häuser weiter im städtischen Raum von Alexandria. Workshop Bildhauerei Projekte: Bisher entstanden temporär installierte oder per- manent angelegte Projekte an verschiedenen

Martin Flemming, Rue Pharaons Corner Fouad Street Tamara Henderson, Installationsaufbau ACAF Projekt/Project: Alexworkshop 06 Projekt/Project: Alexworkshop 06

––– 287 ––– Daniel Milohnic / Dirk Paschke Schwimmbad, Daimlerstraße, Frankfurt/Main

Sculpture in the Expanded Field _ Wolfgang Winter

Workshop Sculpture

––– 290 ––– Sculpture in the Expanded Field––– Wolfgang Winter

Studying sculpture, an artist can develop a ly positive response, Fleischmann had other repertoire of possibilities that he or she can hurdles to clear, including, for instance, the employ in the most individual ways, similar fact that Hessian law does not permit keeping to the musician who is profoundly engaged animals at schools. Or that the chicken hawk with his instrument. Besides methodological might here, in contradistinction to the muse- questions, another priority is finding out what um space, seriously interfere with the chicken the sphere of one’s work may be: what does it coop idyll. And who would take care of it all? mean for artists when they participate in proj- How can such an extended experiment be kept ects that are designed for a concrete function? alive in the long term? Out of practical consid- How can one deploy one’s own artistic identi- erations, feeding the animals and cleaning ty, and do exterior circumstances regarding the enclosure later had to be entrusted to com- feasibility and acceptance create a threat of petent neighbors so as to avoid unduly tying dangerous artistic compromise? down the school’s pedagogical staff. In the Workshop Sculpture Projects, I was Similarly, Michael Beutler’s contribution able to offer a number of defined projects as to the Griesinger School project, White Cube part of which students at the Städelschule, sup- into Ponderosa, does not merely address the ported by professional assistance and some- construction of a gazebo for the students at times also by outside funds and material ser- the school. The appearance of the Ponderosa vices, were able realize their own ideas, prob- is preceded by an architectural format dis- ing their own territories and gathering practi- cussed in the framework of art presentation, cal experience. the White Cube, which was here, after its con- Dirk Fleischmann, for instance, was in- struction in situ, taken apart, cut into pieces, terested in the project of developing a work of and assembled into the imaginative archi- art for a Frankfurt school. He asked the art- tecture of the new building, which was later ist Rosemarie Trockel for her permission to painted pink. translate her plans for an art henhouse into Can a swimming pool, constructed from reality at Frankfurt’s Griesinger School for overseas shipping containers welded togeth- children with multiple disabilities in order to er, attain an artistic dimension that goes be- offer the children there an insight into zoolo- yond the factor of originality; similar to the gy. Besides the request and the artist’s friend- henhouse project, where Fleischmann quotes

Dirk Fleischmann, Ein Hühnerhaus nach den Plänen von Michael Beutler, White Cube into Ponderosa Rosemarie Trockel für die Griesinger-Schule Frankfurt Projekt/Project: Griesinger-Schule Frankfurt Projekt/Project: Griesinger-Schule Frankfurt

––– 291 ––– an existing work of art by an established art- enburg office park. Riedel placed the faithful ist, transposing it into a new context? The copy of part of a building’s façade directly in Swimming Pool was erected by Phantombüro front of it, as a study, as it were, in the propor- (Phantom Office), an association founded by tion between art and reality, and an allusion to students at the Städelschule. Perplexity be- a building code regulation that recommends fore the history of sculpture and its social rel- that 3 percent of the total value of public con- evance was one motive, and so Dirk Paschke struction projects be spent on a public art pro- and Daniel Milohnic at first built their swim- ject. ming pool on the grounds at Daimlerstraße, at In Alexandria, Egypt, a workshop was held the sculpture branch of the Städelschule. (The in 2006 at the ACAF (Alexandria Contempo- Zollverein coking plant, Essen, later adopted rary Arts Forum), the only local institution it as an employees’ pool.) After a difficult time for experimental art, that focused on aspects of of attempts and considerations, things were the public sphere. Städelschule students were suddenly perfectly clear: a stately swimming invited to work, and if possible, create in team- pool was firmly welded together from disused work, with Egyptian and Lebanese students overseas shipping containers. They were filled from Alexandria who, their different cultural with water that had to be spectacularly trans- background aside, also came from a very dif- ported over a distance of several hundred me- ferent art education system, one with a highly ters using fire-hoses. An elegant sundeck was academic background. Alexworkshop 2006: added, as well as a basketball court with hand- who in Alexandria would previously have made baskets that had a sculptural aura, used imagined that the merciless exhaust fumes equally by the Sinto and Roma youth living in there could be brought into an artistic form? the city’s east and by the athletic students at the Not until we entered Wiebke Bachmann’s ho- Städelschule. A bar, of course, was added, also tel room and saw the energy with which she hand-made. And absurdly enough, a seeming- converted her sparse room—at least it had a ly serious illuminated advertising sign was in- view of the eight-lane Corniche and beyond it, stalled on the branch of an art academy, visible the sea—into a sewing studio. From a PVC pro- far and wide, that spelled Hotel. tective slipcover for cars, she had engineered A different example is Michael S. Riedel’s a large car lung that, using a hairdryer later strictly conceptual installation for the Neu-Is- installed on the gallery’s streetside balcony,

Daniel Milohnic / Dirk Paschke, Schwimmbad Phillip Zaiser, Supermans Legends of the DC Universe Projekt/Project: Daimlerstrasse, Dependance der Städelschule Projekt/Project: Kunstprojekt für den Büropark Neu Isenburg, Städelschule Frankfurt / Büropark Neu Isenburg

––– 292 ––– Sculpture in the Expanded Field ––– Wolfgang Winter blew the exhaust fumes into the sculpture’s was located outside of the spaces intended and interior. institutionalized for art, or because it was nec- Or Martin Flemming’s installation Rue essary to step outside of the protective shell of Pharaons Corner Fouad Street, a custom-tai- the studio. lored pedestal for a tree trunk that had grown into the wrought-iron fence of an old Alexan- drian villa and had, strangely enough, been cut at the root, leaving it as though floating, grown into one with the fence. The custom- tailored pedestal was on view as a sculpture at the exhibition space, leaning against the wall, and thus gestured toward the peculiar emblematic constellation a few houses down the street in Alexandria’s urban space. The Workshop Sculpture Projects has so far resulted in projects in various places, some installed temporarily and some designed to be permanent, of which only a few examples could be mentioned here; as well as numerous concepts that have been developed in detail but not (yet) realized. All efforts toward pro- fessionalization in the development, presen- tation, and realization of ideas notwithstand- ing, these projects are generally designed as experimental in character; the workshop is intended as a playing field for trial and error and an extension of the workshop curriculum. During the realization of most projects, a po- lemical debate developed between the partici- pants, for instance because the specified site

Michael Pfrommer / Mandla Reuter, Godzillas Spuren Att Poomtangon, ohne Titel (Foto/Photo) ex: Wolf's Top Ten Monster List Projekt/Project: Alexworkshop 06

––– 293 ––– Kunstraum /Artspace rraum

Galerie Fruchtig Der Künstler als Katalysator _ Hortense Pisano

Einige temporäre Projekträume initiiert von Städelschülern in Frankfurt (1995 bis 2007)

––– 295 ––– Das Frankfurt der neunziger Jahre schien ab 1995 in der Galerie Fruchtig am Contai- mit seinen leer stehenden Immobilien ein nerbahnhof Ost den Rahmen für interdiszi- idealer Nährboden für zahlreiche Off-Spaces plinäre Kunstaktionen und kommunikative zu sein. Wie Pilze schossen sie in der Stadt aus Treffs; etwa Lesungen, Konzerte und Filma- dem Boden. Doch wäre es falsch, das dichte bende. Im rasanten Turnus von meist nur ei- Netz nicht-kommerzieller Projekträume für ner Woche bauten vorzugsweise Städelschü- Kunst nostalgisch zu verklären. Dass sich ler (unter anderen Nathalie Grenzhaeuser Künstler selbst organisierten, geschah auch und Manfred Peckl) ihre Installationen und aus naheliegenden ökonomischen Gründen. Interventionen in den Off-Space. Im eigenwil- Für Kunststudenten und Absolventen gab es ligen Ambiente des Fruchtig, das bis 1998 in nur wenige Ausstellungsangebote. Aus die- einem ausgedienten Gewürzschuppen resi- ser Lücke an Öffentlichkeit heraus entstan- dierte, verschmolzen Subkultur und Event, den Projekträume, die flexibler auf städtische etwa wenn Andreas Schlaegel koreanische Umstrukturierungen reagieren konnten als Esskultur mit Rock’ n’ Roll verband. Schlae- die Institutionen. gels Darbietung als Elvis-Imitator inmitten Annette Gloser ist in der Frankfurter Off- der aufgebauten Kulisse eines koreanischen Szene eine erfahrene Protagonistin. In der Restaurants mögen sehr bizarr gewirkt ha- texanischen Wüste belebte sie vor wenigen ben, ähnliche interkulturelle Verstrickungen Jahren eine verlassene Cowboystadt wieder. findet man jedoch in jeder Stadt. In Frankfurt richtete sie bereits 1991 in ei- Das Frankfurter Bahnhofsviertel ist solch ner ehemaligen fünfziger Jahre-Tankstelle, ein von vielen Kulturen und Gesellschafts- damals Keimzelle der Gruppe Muttertag, ihr schichten durchzogener Ort. 1999 ließ sich Büro für alle Fragen ein. Glosers Dienstlei- die Künstlergruppe Phantombüro in einer stungsangebot und ironisches Zitieren eines als Ausstellungsraum umfunktionierten Alt- öffentlichen Amtes erinnerten nicht zufällig bauwohnung in der Kaiserstraße nieder. Der an Martin Kippenbergers Büro für Ideenver- urbane Raum Frankfurts mit seinen archi- mittlung (1979 in Berlin gegründet). Denn tektonischen Brüchen, den modernen Hoch- statt um Bildverkäufe ging es auch im Infor- hausbauten und dem mittelalterlichen Alt- mationsbüro Gloser um die Interaktion mit stadtkern, den künstlich angelegten Freizeit- den Besuchern. Große Umbauten bildeten anlagen und funktionalen Durchgangszonen

Galerie Fruchtig Phantombüro

––– 296 ––– Der Künstler als Katalysator ––– Hortense Pisano war Ausgangspunkt ihres künstlerischen to von Nizza Transfer. Im Sommer 2003 brach- Wirkens. Konsequenterweise thematisierten te das von Florian Waldvogel, Beate Ansbach Martin Feldbauer, Zoltan Laszlo, Daniel Mi- und Andreas Wissen kuratierte Projekt auf lohnic, Stefan Müller, Dirk Paschke, Jörg dem Rollfeld und im Vereinshaus buchstäb- Rees, Frank Wiehe und Alexander Wolff nun, lich die Skaterszene ins Rollen. Das Gelän- was sich zwischen Hochhausbanken und Mi- de am Untermainkai wurde zum Jugend- lieu, im Viertel mit der höchsten Dichte an club und Ausstellungsort. An den Wänden Migranten abspielte. Bei Daniel Milohnics des FREC-Vereinshauses hingen die Skate- und Phillip Zaisers Ausstellung Tempel etwa board-Sammlungen von Patrick Bruns und tauchte man in die stillen, separaten Gebets- Donald Campell sowie Konzertflyer, die kein räume einer Moschee und einer Kirche ein, geringerer als Raymond Pettibon entworfen bevor man vor einer liegenden vergoldeten hatte. Das Haus versammelte subkulturelle Buddha-Statue stand. Nicht wenige Besu- Ikonen. Draußen auf der Hauswand verdeut- cher außerhalb der Kunstszene fühlten sich lichten Silke Wagners Neonschrift und eine von den Nachbauten provoziert, wodurch die Wandarbeit von Stefan Wieland, dass sub- Ausstellung die sensible Differenz religiöser kulturelle Codes längst zu signifikanten Zei- Gruppen in Frankfurt sichtbar machte. Nach chen der Gegenwartskunst geworden sind. einem Wasserschaden 2000 war Schluss mit Die „autonome Zone” Nizza Transfer bot der der Experimentierzelle über dem Beate-Uhse- Skaterjugend unter einer Zeltkonstruktion Center. 2001 zur Ausstellung Frankfurter von Tobias Rehberger Köstlichkeiten aus der Kreuz kamen die Mitglieder nochmals zusam- Maghrebinischen Küche und damit ein Kon- men, um die Schirn-Terrasse spielerisch und trastprogramm zur Fastfood-Generation an. visionär in eine Baustelle zu verwandeln. Die spektakuläre Halfpipe auf dem Vereins- „If you want to rock, you’ve got to roll”. Sil- dach erweiterte als Hauptattraktion den neu ke Wagners Neonschriftzug auf der Hausfas- errichteten Skaterparcours. In den drei Mo- sade des Roll- und Eissportclubs (FREC) könn- naten seines Bestehens entwickelte sich Nizza te man wie folgt übersetzten: „Wenn du etwas Transfer zu einem frequentierten Ort über die verändern willst, beweg dich”. Nachts leuch- Skater-Community hinaus. tete die Neonschrift in Pink bis zum anderen Ein nicht weniger experimentelles Ausstel- Mainufer hinüber und signalisierte das Mot- lungsformat stellte Peter Lütjes und Meike

Nizza Transfer rraum

––– 297 ––– Behms rraum dar. Seit Juni 1995 bot ihre hausen verstand sich 2001 als Fortführung Wohnung in der Kiesstraße 37 Städelschülern des damals pausierenden rraums. Statt im und überregionalen Künstlern eine Platt- Wohnraum schufen die Künstler in ihrem form. Die Verlagerung eines öffentlichen gemeinsamen Atelierraum in der Darmstäd- Geschehens in die intime Wohnsphäre sei ter Landstraße eine Plattform für Projekte zum einen motiviert gewesen vom „pragma- explizit außerhalb des Galerienkontexts. Als tischen Gedanken, Kosten zu sparen”, zum Manifesta 4-Teilnehmer entwickelte sich ihr anderen waren die Künstler aufgefordert, rraum02 im Jahr darauf zu einer wichtigen eine Spannung zwischen Kunst und Wohnen Außenstelle der vorwiegend in Institutionen zu erzeugen. Keine Kompromisse wollten präsentierten Ausstellungen der Biennale. Behm/Lütje eingehen, selbst wenn ihr All- Seit 2001 bewirtete Dirk Fleischmann auf tag eingeschränkt wurde. Benötigte Michael Einladung von Martina Cooper und Dagmar Pfrommers traumartige Cartoonserie 2005 Reinhardt die Ausstellungsgäste des luft- die neutral weiße Wand des ausgeräumten raum am Flughafen Frankfurt mit Snacks. In Wohnzimmers als Hintergrund, verlegte Anpassung an die Situation handelte es sich Dirk Fleischmann noch im gleichen Jahr alle bei dem Verkaufsstand um eine Art Catering- Elektrogeräte des Haushaltes ins Wohnzim- Wagen, die Einnahmen flossen darauf in Pro- mer und verschloss die Tür. Ein dickes Bün- jekte des Künstlers. 2002 musste Frankfurts del an Kabeln durchzog chaotisch wabernd kleinste Experimentierzelle ihre zweijährige den rraum. Fleischmanns Ausstellung Black Ausstellungstätigkeit aufgrund von Umbau- Cat nahm das rraum-Konzept, Spannungen arbeiten am Terminal 1, Ebene 0, einstellen. zu erzeugen, wörtlich und katapultierte die Bis dahin hatten oft zwei Städelschüler pa- Organisatoren zurück ins vorelektronische rallel den luftraum in der Größe einer Schau- Zeitalter, was bedeutete, ohne Strom kein fensterauslage bespielt und mit Raum- und Computer noch Fernseher. Seit 2007 führen Lichtinstallationen die Durchgangspassage Kunsthistorikerin Behm und Lütje, Absol- aus ihrer Tristesse geholt. Arbeiten wie Ker- vent der Städelschule, in ihrem neuen Ham- stin Cmelkas und Alina V. Grumillers atmo- burger Domizil den rraum weiter. sphärisch hell erleuchtete Kammer (2000) Peter Lütjes, Christoph Blums, Claus Rich- kalkulierten den Blick des schnell vorbeiei- ters und Haegue Yangs rraum02 in Sachsen- lenden Passanten mit ein. Angelockt durch

Luftraum Luftraum

––– 298 ––– Der Künstler als Katalysator ––– Hortense Pisano den auffallenden Leuchtkasten registrierte Bewohner verschwunden. Ihr Raumkonzept man erst nahe vor der Glasscheibe die neben- entwickelten sie als Peles Empire 2006 in Lon- einander gehängten Filmstreifen, die Bild für don weiter. Und seit Mai 2007 umhüllen 900 Fo- Bild mit der Lupe voyeuristisch entdeckt wer- tokopien das Wohnzimmer im Rudolf-Schind- den wollten. ler-Haus in Los Angeles; die architektonische Aus der Ambiguität, halb Wohnraum und Moderne wird hier zur Fassade einer neoba- halb öffentliches Event zu sein, kreierte das rocken Verkleidung und diese wiederum zum Peles 2005 in der Elbestraße seinen diskreten Hintergrund für weitere Kunstwerke in der Charme. Dicker Rauch hing in der Altbau- Peles Galerie. wohnung von Barbara Wolff, Marc Cohen Fünf Jahre zuvor hatte schon einmal eine und Katharina Stöver. Am Ende des Flurs Gruppe junger Städelschüler die Reprodukti- befand sich eine provisorisch aufgebaute Bar. on und die Nachahmung zum Prinzip ihrer Orientalische Teppiche, antike Möbel und gol- ortsbezogenen Handlungen erklärt. Situati- dene Kerzenlüster verwandelten den angren- onen aus dem Kunst- und Clubbereich wurden zenden Raum in einen Salon. Zugleich holte fragmentarisch zitiert und diese Verdopplung eine Fototapete das herrschaftliche Interieur in einen neuen Kontext geholt. „Das Desinte- eines rumänischen Schlosses ins Zimmer und resse an Originalität, ein Vergnügen am Ver- verlieh diesem einen warmen Glanz. Wie ein schieben und Verdrehen .... und Verlangen exotisches Futteral stülpte sich das fremde nach einem ästhetisch geprägten Aufstand”, Setting über die eigentliche Wohnsituation. beschreiben Dennis Loesch und Michael S. Das Prinzip der Collage aufgreifend, führte Riedel als Motoren der 2000 gegründeten Os- die Inszenierung mehrere Kontexte und Stile kar-von-Miller-Straße 16 im Osthafen. Beson- zusammen. Ein ähnlicher Eklektizismus an ders das Vergnügen am Verdrehen erregte im Architekturstilen prägt das tatsächliche ru- Kunstbetrieb Aufsehen. Zur Gilbert&George- mänische Schloss Peles, das als Namensgeber Ausstellung im Portikus begegnete man den und Vorlage diente. The Princess’s Bedroom Performern vor Ort ein zweites Mal. Die le- hieß in Frankfurt das erste von vier Raum- benden Originale wurden von engagierten Rekonstruktionen. Die wundersame Kulisse, Schauspielern namens Gert & George gedou- vor der Konzerte, Dinner- und Clubabende belt. Das Prinzip der Mimesis war Ausgangs- zelebriert wurden, ist mit dem Auszug der punkt einer regen Veranstaltungsreihe, etwa

Peles Oskar-von-Miller-Straße 16

––– 299 ––– eines Filmabends mit abgefilmten Andy- dierenden und Absolventen der Städelschule Warhol-Filmen, oder Riedel, Loesch und in der Oppenheimerstraße 34 die Raumsitua- Freunde schlüpften in die Rolle der Modband tion eines optimalen White-Cube, wie er vor The Who. Die freitagsküche im Obergeschoss allem von Galerien bevorzugt wird. Der weiß des Hauses, beispielsweise Galerist Michael gestrichene, an der Decke mit Neonröhren Neff und Künstler wie Tobias Rehberger be- versehene kubische Raum wurde seit Febru- reiteten dort feine Menüs zu, erreichte selbst ar 2006 beispielsweise von Maria Loboda, Kultstatus. Inzwischen betreiben Loesch/ Kasper A. Pedersen, Pernille Kapper Wil- Riedel die freitagsküche in Berlin. Die zweite liams, Sean Lynch, Martin Hoener, Kristoffer von Künstlern im Atelierfrankfurt (Hohenst- Frick und Kerstin Cmelka bespielt. auffenstr. 13-25) veranstaltete freitagsküche Das Haus in der Stoltzestrasse 11 ist der ist in Frankfurt nicht mehr wegzudenken. letzte verbliebene Freiraum der einstigen In einer Bornheimer Wohngegend und ab- Hausbesetzerszene Frankfurts; Naneci Yur- seits vom Galerienzentrum der Stadt initiier- dagül wollte die leer stehenden Etagen nicht ten Britta und Klaus Kamptner den Ausstel- einem Modeladen überlassen. „Hier können lungsraum Tschoperl. Wie zuvor im rraum wir direkt auf die Ereignisse der Stadt reagie- wird die Privatsphäre der Städelschüler und ren”. Damit mindestens bis Ende 2007 die Ar- Geschwister zum Schauplatz permanenter beiten von Städelschülern und Absolventen Umwandlungsprozesse. Intendierten die spie- in der Innenstadt gezeigt werden können, lerischen Installationen aus alten Möbeln zur hat Yurdagül den Verein Freunde am Main Auftaktschau im Juli 2006, dass Betrachter gegründet. Die Kunstakademie unterstützt ihre übliche Reserviertheit ablegten, schärf- den Ausstellungsraum, für die Materialko- te Tris Vonna-Michells Dauerperformance sten ist der Kurator zuständig. Städelschüler die Aufmerksamkeit der Zuhörer, indem er Yurdagül begreift die Stoltze 11 als performa- im genau eingehaltenen Schnelldurchlauf tiven Raum. Zurzeit erfindet sich die Stoltze von fünf Minuten seine Erzählung ein wenig 11 mit jeder Ausstellung neu. Nicht nur wird variierte. die Fläche hinter der Fensterfront sukzessive Die Städelschüler und Betreiber von umgebaut. In der ersten Etage bereitet Ste- ritter&staiff, Karl Orton und Hendrik Zim- fan Wielands Bodenarbeit die Plattform für mer, bieten den von ihnen eingeladenen Stu- die im Herbst 2007 eröffnende Gruppenschau

freitagsküche ritter&staiff

––– 300 ––– Der Künstler als Katalysator ––– Hortense Pisano

Gorillas im Nebel mit Arbeiten von unter an- derem Stefan Wieland, Peyman Rahimi, Phil- lip Zaiser, Jacqueline Jurt, Martin Neumaier, Sebastian Stöhrer und Hans Petri . The Hell ist ein Leuchtkasten von 50 x 50 Zentimetern, den Martin Neumaier, Seba- stian Stöhrer und Stefan Wieland im Winter 2004/2005 und 2005/2006 rund 16 Künstlern, darunter Matthias Vatter, Phillip Zaiser und Christian Zickler, zur Verfügung stellten. Nach einer Ausstellung in der Lahnstraße 22 HH dockte der Leuchtkasten in den Winterta- gen 2005/2006 an unterschiedlichen „neural- gischen Punkten” in der Frankfurter Innen- stadt an. Als modernistischer Kubus leuch- tete Olaf Hackels Corinna in einem Baum gegenüber dem ehemaligen Portikus (Lite- raturhaus). Harald Pridgars Leuchtkasten martinasebastianolaf spendete wiederum dem engen Freundeskreis beim Würstelgril- len im Oberforsthaus (nähe Stadion) ausrei- chend Feuer und Licht. Völlig ungebunden von Ortszwängen geht der Leuchtkasten die- sen Winter auf Reisen; von Paris bis Kapstadt will The Hell nachts leuchten.

Stoltze 11 The Hell

––– 301 ––– Tschoperl

Nizza Transfer

Peles The Hell The Artist as Catalyst _ Hortense Pisano

Some temporary project spaces initiated by Städelschule students in Frankfurt (1995-2007)

––– 309 ––– With its unused real estate, the Frankfurt of rant, yet similar intercultural complications the nineties seemed to be an ideal breeding can be found in any city. ground for its numerous Off spaces. They shot The neighborhood around Frankfurt’s cen- up all over town like mushrooms. Yet it would tral station is one such area pervaded by many be wrong to glorify in nostalgic retrospect cultures and strata of society. In 1999, the art- the dense network of non-commercial pro- ists’ group Phantombüro settled in a pre-war ject spaces for art. Self-organization by artists apartment converted into an exhibition space occurred also for obvious economic reasons. on Kaiserstraße. The urban space of Frank- There were only few available options for furt with its architectural ruptures, its mod- students of art and graduates to show their ern high-rises and medieval city center, its work. This lack of a public gave rise to pro- artificial recreational areas and functional ject spaces that were able to react to changes zones of transit, was the point of departure for in urban structure more flexible than the in- their artistic work. Martin Feldbauer, Zoltan stitutions. Laszlo, Daniel Milohnic, Stefan Müller, Dirk Annette Gloser is an experienced protago- Paschke, Jörg Rees, Frank Wiehe, and Alex- nist of Frankfurt’s Off scene. A few years ago, ander Wolff therefore now addressed what she brought a deserted cowboy town in the was going on between bank high-rises and the Texan desert back to life. Already in 1991, she red-light district, in the neighborhood with established her “Office For All Questions”— Frankfurt’s largest migrant population. In then the nucleus of the Mother’s Day group— Daniel Milohnic and Phillip Zaiser’s exhibi- inside a former 50s gas station. Gloser’s offer tion Tempel, for instance, the visitor was im- of services and her ironic citation of a public mersed in the silent separate prayer rooms office were not by accident reminiscent of of a mosque and a church before standing in Martin Kippenberger’s “Office For the Com- front of a reclining gilded statue of Buddha. munication of Ideas” (founded in Berlin in More than a few visitors from outside the art 1979). For Gloser’s information office equally scene felt provoked by the reconstructions; aimed not at painting sales but at interaction the show thus rendered the sensitive differ- with its visitors. From 1995 on, major conver- ences between religious groups in Frankfurt sions at Galerie Fruchtig, located at the east- visible. In 2000, water damage put an end to the ern container terminal, created a framework experimental space above the Beate Uhse Cen- for interdisciplinary art performances and ter, an erotica chain store. In 2001the mem- communicative meetings, such as readings, bers once more came together, for the exhi- concerts, and movie evenings. In rapid rota- bition Frankfurter Kreuz, to transform the tion, in most cases within a single week, art- Schirn’s terrace, playfully and visionarily, ists, preferably students at the Städelschule into a construction site. (including Nathalie Grenzhaeuser and Man- “If you want to rock, you’ve got to roll.” Silke fred Peckl) erected their installations and in- Wagner’s neon-light inscription on the fa˜ade terventions at this Off space. The unique envi- of the Frankfurt Skaters and Ice Skaters Asso- ronment of the Fruchtig, which resided, until ciation (FREC) could be paraphrased: “If you 1998, in a disused spice warehouse, fused sub- want to change something, move.” At night, culture and event, as when, for instance, An- the pink neon light shone as far as the opposite dreas Schlaegel combined Korean culinary bank of the Main, signaling the motto of Niz- culture with Rock’n’Roll. Schlaegel’s perfor- za Transfer. In the summer of 2003, this proj- mances as an Elvis impersonator may seem ect on the skating park and inside the club’s bizarre amid the stage sets of a Korean restau- home, curated by Florian Waldvogel, Beate

––– 310 ––– The Artist as Catalyst ––– Hortense Pisano

Ansbach, and Andreas Wissen, literally got form of event into the intimate sphere of a resi- the skater scene moving. The premises on Un- dence was motivated, on the one hand, by the termainkai became a youth club and an exhi- “pragmatic notion of reducing expenses.” On bition site. The walls of the FREC’s club home the other hand, the artists were asked to cre- were decorated with Patrick Bruns’s and ate a tension between art and living. Behm/ Donald Campbell’s skateboard collections and Lütje would not accept any compromise, even with concert flyers designed by no lesser artist if such intransigence imposed restrictions than Raymond Pettibon. The building hosted on their daily lives. Whereas Michael Pfrom- an assembly of subcultural icons. Outside, on mer’s 2005 dreamy cartoon series required for the fa˜ade, Silke Wagner’s neon inscription its background the neutrally white wall of a and a wall work by Stefan Wieland made clear living room from which all furniture had been that subcultural codes have long become sig- removed, Dirk Fleischmann, during the same nificant markers of contemporary art. The year, moved all of the household’s electric ap- “autonomous zone” Nizza Transfer offered pliances into the living room and locked the the teenage skaters delicious food from the cu- door. A thick bundle of cables crisscrossed linary tradition of the Maghreb under a tent the rraum. Fleischmann’s exhibition Black construction by Tobias Rehberger, a marked Cat took the rraum’s concept of creating ten- contrast for the fast food generation. The spec- sions literally and catapulted the organizers tacular halfpipe on the roof of the clubhouse back into the pre-electronic age—which is to was the main attraction, in addition to the say, without electricity there is neither com- newly created skating course. During the puter nor TV. Since 2007, Behm, an art histo- three months of its existence, Nizza Transfer rian, and Lütje, a graduate of the Städelschule, became a place frequented by many beyond are continuing rraum at their new Hamburg the skating scene. residence. A no less experimental exhibition format Peter Lütje’s, Christoph Blum’s, Claus Rich- was presented by Peter Lütje and Meike Behm’s ter’s, and Haegue Yang’s rraum02 in Frank- rraum. Starting in June 1995, their apartment furt-Sachsenhausen, which opened in 2001, at Kiesstraße 37 offered a platform to Städel- was conceived as a continuation of rraum, schule students and artists from outside the which was temporarily closed at the time. In- Frankfurt area. The transposition of a public stead of the domestic space, the artists used

Andreas Schlaegel, Galerie Fruchtig Nizza Transfer

––– 311 ––– their shared studio space on Darmstädter In 2005, the Peles, on Elbestraße, created Landstraße to create a platform for projects its discreet charm out of the ambiguity of be- located explicitly outside the gallery context. ing half living space and half public event. As a participant in the following year’s Mani- Thick smoke filled the air in Barbara Wolff’s, festa 4, their rraum02 became an important Marc Cohen’s, and Katharina Stöver’s prewar field branch of the biennial’s exhibitions, oth- apartment. A makeshift bar had been set up erwise presented primarily at institutions. at the end of the hallway. Oriental carpets, an- Since 2001, Dirk Fleischmann, at the invi- tique furniture, and golden chandeliers trans- tation of Martina Cooper and Dagmar Rein- formed the adjoining room into a salon. At the hardt, served snacks to the visitors of exhibi- same time, photographic wallpaper brought tions at luftraum, located at the Frankfurt air- the manorial interior of a Romanian castle port. Adapted to the situation, the sales stand into the room, infusing it with a warm glow. was a sort of catering cart; revenues went into Like an exotic coating, the strange setting en- the artist’s projects. In 2002, Frankfurt’s small- veloped the real living situation. Adopting the est experimental space had to discontinue op- principle of collage, this staging fused a num- erations due to renovation work at Terminal 1, ber of contexts and styles. A similarly eclec- level 0. Until then, Städelschule students, often tic architectural style is characteristic of the two in parallel, had staged their exhibitions at real castle of Peles, Romania, which served as luftraum, a space the size of a window display, a model and gave the project space its name. rescuing a transit passage from its drabness The title of the first of four room reconstruc- using spatial and light installations. Works tions in Frankfurt was The Princess’s Bed- such as the brightly-lit atmosphere of Kerstin room. The magical scenery, in front of which Cmelka’s and Alina von Grumiller’s Kammer festive concerts, dinners, and club evenings (2000) took the passenger’s quickly passing were held, disappeared when its residents glance into account. Attracted by the conspic- moved out. Their concept of space was devel- uously illuminated box, he or she discovered oped further in 2006 with Peles Empire, in only upon coming close to the glass pane the London. And since May 2007, 900 photocopies row of suspended strips of film, which offered have enveloped the living room at the Rudolf themselves, image for image, to a voyeuristic Schindler House in Los Angeles—architec- discovery using a magnifying lens. tural modernism here becomes the fa˜ade for

Luftraum Peles

––– 312 ––– The Artist as Catalyst ––– Hortense Pisano a neo-baroque disguise, and the latter, in turn, Tobias Rehberger, among others, prepared the background for additional artwork shown delicious dinners, acquired a cult following. at Peles Galerie. Loesch/Riedel now operate the freitagsküche Five years earlier, another group of young in Berlin. Frankfurt’s art scene is no longer Städelschule students had already declared conceivable without the second freitagskü- reproduction and imitation the principles of che, organized by artists at Atelierfrankfurt their site-specific actions. Situations from the (Hohenstauffenstr. 13-25). contexts of art and clubbing were fragmen- In a residential area in Frankfurt-Born- tarily cited, and this doubling was moved into heim, far away from the city’s central gallery a new context. “A lack of interest in original- area, Britta and Klaus Kamptner have initi- ity, a delight in displacement and distortion, ated the exhibition space Tschoperl. As with ... and the desire for an aesthetically informed rraum before, the private sphere of the Städel- uprising”: these Michael S. Riedel and Den- schule students and siblings has become the nis Loesch describe as the motives behind the site of permanent processes of transforma- Oskar-von-Miller 16, located in the Osthafen tion. If the playful installations composed of area. Their delight in distortion attracted old furniture at the opening exhibition in July special attention in the art world. On the occa- 2006 were intended to invite the viewers to lose sion of the Gilbert & George exhibition at the their habitual reserve, Tris Vonna-Michell’s Portikus, visitors met the performers a sec- permanent performance whetted the listen- ond time late at night, on neighboring Oskar- ers’ attention as he minutely altered his nar- von-Miller-Straße. Hired actors who bore the rative with each speedy repetition, starting names Gert & George doubled the living origi- exactly every five minutes. nals. The principle of mimesis was the point The operators of ritter&staiff and Städel- of departure for a lively event series—for in- schule students Karl Orton and Hendrik stance, a movie evening with bootleg videos of Zimmer offer the students and graduates of Andy Warhol films, or The Who fans Riedel, the Städelschule they invite to Oppenheimer Loesch, and their friends assumed the roles Straße 34 the spatial situation of a perfect of the Mod stars. The freitagsküche (friday White Cube, the preferred setting especially kitchen), located on the building’s upper floor, of galleries. Since February 2006, the cubic where gallery owner Michael Neff and artist space, painted white and lighted by neon

freitagsküche Tris Vonna-Michell, Tschoperl

––– 313 ––– The Artist as Catalyst ––– Hortense Pisano tubes on the ceiling, has hosted exhibitions The Hell is a light box measuring 50 by 50 by, e.g. Maria Loboda, Kasper A. Pedersen, centimeters, which Martin Neumaier, Sebas- Pernille Kapper Williams, Sean Lynch, Mar- tian Stöhrer, and Stefan Wieland made avail- tin Hoener, Kristoffer Frick, and Kerstin able to 16 artists, including Matthias Vatter, Cmelka. Phillip Zaiser, and Christian Zickler, during The building at Stolzestraße 11 is the last the winters of 2004/05 and 2005/06. After an remaining free space held by the former exhibition in the rear building at Lahnstraße Frankfurt squatters’ scene; Naneci Yurdagül 22, the light box docked at various “neuralgic did not want to cede the empty floors to a fash- points” of Frankfurt’s city center during the ion store. “Here, we can react directly to the winter of 2005/06. As a modernist cube, Olaf city’s events.” In order to ensure that works by Hackel’s Corinna glowed in a tree across the Städelschule students and graduates can be street from what is now the Literaturhaus). shown in the inner city at least until the end Harald Pridgar’s light box martinasebas- of 2007, Yurdagül has founded the association tianolaf, by contrast, emitted enough light Freunde am Main (Friends on the Main.) The and fire for a circle of close friends when they academy of fine arts is supporting the exhibi- had a sausage barbecue at the Oberforsthaus tion space; the curator is responsible for ex- (near the stadium). Not bound to any location, penses for materials. Yurdagül, a student at the light box will travel this winter—from the Städelschule, conceives the Stolze 11 as a Paris to Cape Town, The Hell intends to illu- performative space. Right now, the Stolze 11 minate the night. is being reinvented with every exhibition. Not only is the area behind the fa˜ade’s windows being successively converted. On the second floor, Stefan Wieland’s floor work creates the platform for a group exhibition scheduled to open in the fall of 2007, entitled Gorillas in the Mist with works by, among others, Stefan Wieland, Peyman Rahimi, Phillip Zaiser, Jac- queline Jurt, Martin Neumaier, Sebastian Stöhrer and Hans Petri .

Stoltze 11 The Hell

––– 314 ––– Plakat/Poster Peyman Rahimi Auf gute Nachbarschaft _ Dietrich Koska

Städelschule und Städel Museum

––– 316 ––– Auf gute Nachbarschaft ––– Dietrich Koska

Mittagspause in der Mensa der Städel- desweit einzige kommunale Kunsthochschu- schule. Bei herrlichem Frühlingswetter sit- le. Alle anderen deutschen Kunsthochschulen zen Mitarbeiter des Städel Museums bunt ge- werden von den jeweiligen Bundesländern ge- mischt mit Angehörigen der Städelschule bei tragen. Die Städelschule wird ausschließlich der Suppe. Ein Student sucht den Kontakt zu von der Stadt Frankfurt am Main finanziert, Privatdozent Dr. Jochen Sander, Kustos für mit einem jährlichen Zuschuss von Euro 3,8 Gemälde Italien und südliche Niederlande bis Mio. zum Gesamtetat von Euro 4,07 Mio. im 1800 am Museum, und hat eine spezielle Fra- Jahre 2007. Diese Alleinstellung bringt eine ge zum Grenzgebiet zwischen Religion und große Freiheit mit sich, welche im Falle der Kunstgeschichte. Es entspinnt sich eine ange- Landeszugehörigkeit vermutlich mit dem regte Diskussion, beide gehen inspiriert (und Argument der Gleichbehandlung aller Hoch- gesättigt) wieder an die Arbeit. schulen eines Landes verwehrt bliebe. Die Es sind solche kleinen Begegnungen, wel- Hochschule zählt aktuell 153 Studierende aus che viel über Vergangenheit, Gegenwart und 35 Ländern, die von 12 Professorinnen und Zukunft zweier bedeutender Kunsteinrich- Professoren aus 6 Ländern unterrichtet wer- tungen erzählen. Mit großer Freude hätte den. Diese Kennzahlen sagen bereits viel über dies sicherlich der Stifter beider Institutio- Realität und Atmosphäre an der Hochschule nen, Johann Friedrich Städel, zur Kenntnis aus. genommen. Auf sein Testament geht der Stif- Naturgemäß haben Museum und Hoch- tungsbrief vom 15. März 1815 zurück, in dem schule verschiedene Programmaufträge, die es unter § 2 heißt: „Zugleich“, also neben der Zielgruppen sind unterschiedlich, die Wahr- Errichtung des Städel Museums, „verord- nehmung der Arbeit in den jeweiligen Öffent- ne ich, dass Kinder unbemittelter dahier lichkeiten ebenso. Beiden gemein ist jedoch verbürgter Eltern ohne Unterschied des Ge- ihre Verortung in der kommunalen Kultur- schlechts und der Religion, welche sich den landschaft, ohne sich jedoch auf diese zu be- Künsten und Bauprofessionen widmen wol- schränken; wie es sich für gute Leuchttürme len, zur Erlernung der Anfangsgründe des gehört. Unverzichtbar und zugleich fest ver- Zeichnens durch geschickte Lehrer (...) in der ankert in der Frankfurter Stadtgesellschaft historischen- und Landschaftsmalerey, im ist der Freundesverein Städelschule Portikus Kupferstechen (...), ganz besonders aber in der e.V. Er begleitet ganz im Sinne des Stifters Baukunst, und denen in das Kunstfach ein- durch bürgerschaftliches Engagement die Ar- schlagenden Wissenschaften unentgeltlich beit der Städelschule und ermöglicht vieles, unterrichtet werden.“ was sonst nicht zu finanzieren wäre. Zudem Dieser kulturpolitischen Auftragsgrund- werden durch den unermüdlichen Einsatz lage fühlt sich die Städelschule bis heute ver- seiner Mitglieder auch Türen geöffnet, die der pflichtet. Sie umreißt das Programm unserer Hochschule sonst verschlossen blieben. Hochschule bereits sehr deutlich, nur dass es Neben dem Städel Museum sind auch die heute freilich nicht mehr um das Erlernen der weiteren Einrichtungen der Frankfurter „Anfangsgründe“ geht. Beide Institutionen, Kunstlandschaft für das spezielle Klima an Museum und Hochschule, blicken auf eine an- der Städelschule entscheidend. Wichtige Im- derenorts ausführlich dargelegte 1 Geschichte pulse gibt im Besonderen die enge Verbin- zurück, die zum Teil gemeinsam verlief, zum dung der Hochschule mit dem Museum für Teil parallel, zum Teil auch unterbrochen Moderne Kunst, dem Frankfurter Kunstver- wurde. Heute ist die Staatliche Hochschule ein und der Kunsthalle Schirn, sowohl für für Bildende Künste, Städelschule, die bun- Studierende, als auch für Lehrende. Untrüg-

––– 317 ––– William Kendridge, Vorlesung im / lecture in the Städelmuseum 2005 Auf gute Nachbarschaft ––– Dietrich Koska liches Zeichen dafür ist die hohe Präsenz von auch intensive Begegnungen mit (noch) stu- Städelschülern/innen bei Ausstellungseröff- dierenden Künstlern/innen zu erleben. Ne- nungen. Denn bekanntlich lassen sich Studie- ben der Nachhaltigkeit der in der Ausstellung rende zu nichts zwingen, sie wählen „the place gezeigten Werke bleibt so das Gefühl, viel- to be“ nach eigenem Gusto aus. leicht etwas nachhaltig bei den Studierenden Die Zusammenarbeit zwischen Städel Mu- zurückgelassen zu haben. seum und Städelschule ist erfreulich wenig Als letztes „Farewell“ der Institution Hoch- institutionell festgelegt, von den unterschied- schule an die Studierenden ist die Absolven- lichen Rollen als Vermieter und Mieter, das tenausstellung gedacht. Seit dem Jahre 2003 Gebäude der Städelschule gehört dem Städel- ermöglicht das Städel Museum den Absol- schen Kunstinstitut, einmal abgesehen. Bei- venten der Städelschule, ihre Arbeiten im de Einrichtungen haben ihre eigene Verwal- Museum zu zeigen, und somit bereits das alt- tung, ihre eigenen Förderer, ihren eigenen ehrwürdige Städel Museum in ihre Ausstel- Rhythmus. Gleichwohl ergeben sich aus der lungsliste eintragen zu können. So wird ne- Eigenständigkeit immer wieder gemeinsame ben dem alljährlichen „Rundgang“ der Hoch- Projekte und Bezugspunkte, die erahnen las- schule auch die Absolventenausstellung als sen, auf welche Möglichkeiten im Bedarfsfall Leistungsschau öffentlich wahrgenommen. noch zurückgegriffen werden könnte. Bei- Und letztlich gilt es noch jene ehemaligen spiele für solch schöne, kleine und sinnstif- Studenten/innen zu erwähnen, die an bei- tende Projekte sind etwa die Max Beckmann- de Institutionen zurückkehren. Zu einem Stiftungsprofessur und die Absolventenaus- „Heimatabend“ der besonderen Art geriet stellung. die Ausstellungseröffnung im Städel Muse- Es ist für beide Institutionen eine große Be- um zu Arbeiten bis alles geklärt ist – Bilder reicherung, mit William Kentridge im Jahre 1984/85 des ehemaligen Städelschulprofes- 2005 und Luc Tuymans 2007 renommierte sors Martin Kippenberger, der seinerzeit von Künstler als Gastprofessoren an die Städel- dem Studentenvertreter Tobias Rehberger zu schule und für eine Ausstellung im Städel Mu- einer Gastprofessur eingeladen wurde. Die seum gewonnen zu haben. Die von William Antrittsvorlesung wurde damals durch den Kentridge als erstem Max Beckmann-Stif- Kippenberger-Assistenten und jetzigen Stä- tungsprofessor präsentierte Abschlussaus- delschulprofessor Michael Krebber gehalten. stellung What will Come (Has Already Come) Zugleich mit dem Neuzugang eines Kippen- erzählte eindrucksvoll von seiner Beschäfti- berger-Werkes in die Sammlung des Muse- gung mit der Sammlung des Städel Museums ums wurde an diesem Abend auch der Erwerb und von seinen Begegnungen mit den Studie- der Arbeit Patria o Muerte des jetzigen Pro- renden der Städelschule. In besonderer Wei- rektors der Städelschule, Professor Tobias se wird so auch die Verpflichtung gegenüber Rehberger, gefeiert, naturgemäß in der Men- der kommunalen Öffentlichkeit eingelöst, die sa der Städelschule. Arbeit an der Hochschule zu präsentieren. Ähnlich funktioniert auch das Prinzip Porti- kus: Für jeden und vor allem für den bereits im üblichen Ausstellungsbetrieb erfahrenen Künstler, ist es besonders reizvoll, ergänzend ––––––– 1) vgl.: Verein Freunde der Städelschule e.V. (Hrsg.): Städel- zu der sehr speziellen Ausstellungserfahrung schule Frankfurt/Main – Aus der Geschichte einer deutschen im Portikus an der Hochschule in Form von Kunsthochschule, Frankfurt/Main 1982; Hubert Salden (Hrsg.): Die Städelschule Frankfurt/Main von 1817 bis 1995, Vorträgen, Workshops oder Studiobesuchen Frankfurt/Main 1995

––– 319 ––– Good neighbors _ Dietrich Koska

Städelschule and Städelmuseum

––– 320 ––– Good Neighbors ––– Dietrich Koska

Lunch break at the Städelschule’s student tributing to the total budget of Euro 4.07M in cafeteria. In magnificent spring weather, em- 2007. This unique situation entails great free- ployees of the Städel Museum and members of dom which would probably be lost if it were a the Städelschule sit in various groups, eating state institution based on the argument that soup. A student chats up Dr. Jochen Sander, all institutions of higher education in a state the museum’s curator for Painting Italy and be treated equally. The academy currently has Southern Netherlands before 1800, with a par- 153 students from 35 countries, who are taught ticular question regarding the gray area be- by twelve professors from six countries. These tween religion and art history. A lively dis- numbers already say a great deal about the re- cussion ensues, and both return to their work alities and the atmosphere at the academy. inspired (and sated). The museum and the academy naturally Small encounters such as this one have have different programmatic aims, their tar- much to tell about the past, present, and future get audiences are different, as is the percep- of two important institutions of art. Johann tion of their work among their respective au- Friedrich Städel, the benefactor who founded diences. Both have in common, however, that both institutions, would surely have regis- they have a firm place in the municipal cultur- tered it with great pleasure. The endowment al landscape, although as good beacons, they do letter of March 15, 1815, which originated in not limit their effects to the city. Indispensable his testament, reads under § 2: “At the same is the Städelschule Portikus e.V. [Society of time”, that is, with the creation of the Städel the Friends of the Städelschule and the Por- Museum, “I decree that children of indigent tikus], firmly rooted in Frankfurt’s society. parents who are of good local reputation, with- Very much in agreement with the founder’s out respect to their sex or religion, who wish ideas, the society accompanies the Städel- to devote themselves to the arts and architec- schule’s work with civic engagement, ren- tural professions, be taught history and land- dering much possible that would otherwise scape painting, etching (…), and especially simply be unaffordable. At the same time, architecture and the sciences adjoining to the the indefatigable work of its members opens artistic profession by skilled teachers in order doors that would otherwise remain closed to to learn the fundamentals of design.” the school. The Städelschule continues to honor this Besides the Städel Museum, the other in- cultural-political mandate to this day, and it stitutions of Frankfurt’s artistic landscape already quite clearly delineates the program are of equally decisive importance for the of our academy; except for the fact that the particular climate at the Städelschule. Impor- focus is today no longer on learning the “fun- tant impulses for both students and teachers damentals.” Both institutions look back on result from the school’s relations with the Mu- histories that have been presented in detail seum of Modern Art, the Kunstverein, and the elsewhere 1, histories that were sometimes Kunsthalle Schirn, as is evident from the one shared history, sometimes ran in parallel, great numbers of Städelschule students at ex- and sometimes were interrupted. Today, the hibition openings. For as is well known, stu- public Academy for Fine Arts, Städelschule, dents will not be coerced, choosing “the place is Germany’s only municipal art academy. All to be” according to their own gusto. other German art academies are supported by Cooperation between the Städel Museum the respective states; only the Städelschule is and the Städelschule is pleasantly little in- funded exclusively by the city of Frankfurt am stitutionally determined, aside from their Main, with an annual grant of Euro 3.8M con- respective roles as landlord and tenant,

––– 321 ––– Good Neighbors ––– Dietrich Koska the Städelschule’s building is owned by the the graduating class exhibition is seen by Städelsches Kulturinstitut. Both institu- the public as another demonstration of the tions have their own administrations, their school’s achievements. own sponsors, their own rhythms. Nonethe- And then, of course, we should mention also less, their autonomy time and again leads to those former students who return to both in- shared projects and points of reference that stitutions. It was a special sort of “home- suggest the possibilities one might resort to, coming” when the exhibition Arbeiten bis should the need arise. Examples for such neat, alles geklärt ist—Bilder 1984/85 (Work till all small, and meaningful projects are the Max questions have been answered—Paintings Beckmann professorship and the graduating 1984/85) opened, showing works by Martin class exhibition. Kippenberger, formerly a professor at the Both institutions greatly profited from Städelschule. Back in the day, Kippenberger bringing renowned artists William Kentridge had been invited for a visiting professorship in 2005 and Luc Tuymans in 2007 to the Städel- by then student representative Tobias Rehber- schule as visiting professors and engaging ger. The inaugural lecture had been delivered them for an exhibition at the Städel Museum. by Michael Krebber, then Kippenberger’s as- The concluding exhibition presented by Wil- sistant and now a professor at the Städelschu- liam Kentridge, the first Max Beckmann pro- le. Together with the new acquisition of a work fessor, entitled What will Come (Has Already by Kippenberger, the museum and the school Come) presented a striking narrative of his celebrated on this evening also the acquisi- engagement with the Städel Museum’s collec- tion of the work Patria o Muerte by Tobias tions and his encounters with students at the Rehberger, currently the Städelschule’s pro- Städelschule. The academy thus also found a rector—of course at the Städelschule’s cafete- special way to honor its obligation to present ria. its work to the municipal public. The Portikus in principle functions in a similar way: any artist, and especially one with experience in the traditional exhibition business, will find it especially stimulating when the special ex- perience of showing at the Portikus is comple- mented by intensive encounters with artists who are (still) students in the forms of addi- tional lectures, workshops, or studio visits. In addition to the impact of the exhibition, a feeling also remains that one may have left a lasting impression on the students. The graduating class exhibition is intend- ed as a “last farewell” from the academic insti- tution to its graduating students. Since 2003, the Städel Museum has made it possible for the graduates of the Städelschule to show their work at the museum, which enables them to ––––––– 1) vgl.: Verein Freunde der Städelschule e.V. (Hrsg.): Stä- add the time-honored Städel Museum to their delschule Frankfurt/Main – Aus der Geschichte einer deut- lists of exhibitions early in their careers. Be- schen Kunsthochschule, Frankfurt/Main 1982; Hubert Salden (Hrsg.): Die Städelschule Frankfurt/Main von 1817 bis 1995, sides the annual Rundgang at the academy, Frankfurt/Main 1995

––– 322 ––– Absolventenausstellung im / Graduates exhibition in the Städelmuseum 2006 Werkstätten, Techniken und Materialien

Heute, im digitalen Zeitalter, erscheinen Foto- In today‘s digital era, photography and film grafie und Film vielen überholt. Doch wenn Tech- seem outmoded to many. But when technologies nologien veralten, werden sie zuweilen für Künst- grow old they sometimes become attractive to ler auf neue Weise attraktiv. Das Obsolete übt of- artists in a new way. There is obviously an artis- fensichtlich eine künstlerische Anziehungskraft tic appeal to that which has become obsolete. aus. Thierry de Duves bedeutender Aufsatz When Thierry de Duve‘s significant essayWhen Form Form Has Become Attitude – and Beyond (1994) Has Become Attitude—and Beyond (1994) explores untersucht die Kunsthochschule der Gegenwart the contemporary art school as a successor to the jenseits des Bauhaus-Modells, das die Betonung Bauhaus model, which emphasized creativity eher auf Kreativität denn Talent legte (was für rather than talent (which was typical of the older das ältere Modell der „Akademie” typisch war), “academic“ model), the qualities inherent to a eher auf die dem Medium eigenen Qualitäten medium rather than artistic techniques, and in- denn künstlerische Techniken und eher auf Er- vention rather than imitation. What happens to- findungskraft denn Nachahmung. Was geschieht day, when the modernistic Bauhaus model has nun, da das modernistische Modell des Bauhaus played out its role? Do questions of technique an Bedeutung verloren hat? Gewinnen Fragen perhaps gain a new importance? der Technik vielleicht aufs Neue an Relevanz? At the Städelschule, no one believes in a re- An der Städelschule glaubt niemand an eine turn to the old academy, but the classical issues Rückkehr zur alten Akademie, aber die klas- of technique are taken seriously by devoted in- sischen Fragen der Technik werden ernst genom- structors such as Nino Pezzella and Reinhard men. Engagierte Lehrer wie Nino Pezzella und Kohler, who teach drawing and painting tech- Reinhard Kohler unterrichten in den Techniken nique, by Bernhard Schreiner, who teaches film des Zeichnens und Malens, Bernhard Schreiner and video editing, as well as Dana Zeisberger and lehrt Film- und Videoschnitt, Dana Zeisberger Harald Pridgar, who give courses in computer im- und Harald Pridgar geben Computerkurse für aging programs. In addition to studios and work- Grafikprogramme. Neben Ateliers und Werkstät- shops for wood, photography, film, cooking, print- ten für Holzbearbeitung, Fotografie, Film, Kochen, ing, and etching techniques (taught by, among Drucken und Radieren (unterrichtet u.a. von Se- others, Sebastian Stöhrer, Jacqueline Jurt and bastian Stöhrer, Jacqueline Jurt und Anja Cooy- Anja Cooymans), the Städelschule has recently mans) hat die Städelschule jüngst ein Tonstudio installed a sound studio for electro-acoustic ex- für experimentelle Elektroakustik eingerichtet. perimentation. Perhaps an emphasis on tech- Vielleicht weist die Betonung auf Techniken und niques and material research can show a way in- auf die Erforschung des Materials einen Weg nicht to the future and not only into the past. Explora- nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zu- tion into the possibilities of textiles, old and new, kunft. Eine Erkundung der Möglichkeiten, wel- has played a key role in our recent architecture che die Arbeit mit traditionellen und neuen Tex- discussions, and there is no doubt that new mate- tilien bietet, hat in den Diskussionen über Archi- rials are revolutionizing our understanding of tektur in jüngerer Zeit eine Schlüsselrolle gespie- the built world. lt, und es besteht kein Zweifel, dass neue Mate- rialien unser Verständnis der gebauten Welt revolutionieren.

––– 324 ––– Workshops, Techniques, and Materials

––– 325 ––– Freunde der Städelschule

_ Städelschule Portikus e.V. und Stiftung Städelschule für junge Künstler

Städelschule Portikus e.V. ist der gemeinsame und bietet seinen Mitgliedern die Möglichkeit, Förderverein der Städelschule und der zugehöri- das Leben an der Hochschule und die Arbeit des gen Kunsthalle Portikus. Er ging Ende 2005 aus Portikus von innen kennen zu lernen und zu er- der Fusion des bereits 1973 gegründeten Vereins leben, wie künstlerisches Schaffen sich heute so- Freunde der Städelschule e.V. mit dem 2002 ins Le- wohl im Entstehen als auch im professionellen ben gerufenen Portikus e.V. hervor, um gemein- Ausstellungsbetrieb realisiert. sam noch stärker zum Wohle der beiden Einrich- Des Weiteren führte vor einigen Jahren die tungen agieren zu können. Als originäre Aufgabe Verschärfung der öffentlichen Haushaltslage zur betrachtet der Verein die Unterstützung des Aus- Gründung der Stiftung Städelschule für junge bildungsbetriebs an der Städelschule und die För- Künstler. Diese bietet Mäzenen und Sponsoren derung von Ausstellungen im Portikus. Er unter- die langfristige Möglichkeit, durch Erhöhung des stützt die beiden Institutionen durch das persön- Stiftungskapitals oder durch direkte Hilfe Studie- liche Engagement der Mitglieder und durch An- rende der Städelschule, und somit die Kunst und bahnung von Beziehungen zur Wirtschaft, zu Kultur von morgen, in ihrer Ausbildung und bei weiteren Persönlichkeiten aus der Frankfurter künstlerischen Projekten zu unterstützen. Die Bürgerschaft, zu anderen kulturellen Institutio- Stiftung wendet sich mit ihrem Anliegen vor allem nen sowie zur Politik. Liquide Mittel führt der an die Wirtschaft und an private Gönner. Sie ver- Verein der Städelschule und dem Portikus durch gibt Stipendien, fördert Kunstprojekte und unter- Gewinnung und Pflege von Sponsoren sowie durch stützt die Hochschule, ergänzend zur Arbeit des gezielten Einsatz der eigenen finanziellen Ressour- Städelschule Portikus e.V., bei der Anschaffung cen zu. Dazu gehört beispielsweise die Bezu- von Werkmitteln sowie bei der Finanzierung von schussung von Ausstellungskatalogen und sons- Gastvorlesungen und -vorträgen. tigen Publikationen. So leistete der Verein einen entscheidenden Beitrag zur Finanzierung des vorliegenden Buches. Hinzu kommen das Enga- gement für ausgewählte studentische Gruppen- projekte, die alljährliche Organisation der Rund- gangpreise sowie die Vergabe des Absolventen- preises, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Städelschule Portikus e.V. steht allen kunst- interessierten Bürgerinnen und Bürgern offen

––– 326 ––– Friends of the Städelschule

_ Städelschule Portikus e.V. und Stiftung Städelschule für junge Künstler

Städelschule Portikus e.V. is the association of members an opportunity to familiarize them- friends of the Städelschule and its affiliated exhi- selves with life at the academy and the work of bition space, the Kunsthalle Portikus. It was the Portikus, and to experience how artistic pro- formed in late 2005, when the association Freunde duction is realized today, both in the act of cre- der Städelschule e.V., founded in 1973, merged with ation and in the professional exhibition business. Portikus e.V., created in 2002, in order to have even In addition, tighter public budgets a few years greater leverage in benefiting the two institutions. ago led to the creation of the Stiftung Städel- The association regards as its primary mission schule für junge Künstler. This foundation offers the support of education programs at the Städel- patrons and sponsors the opportunity to lend schule and exhibitions at the Portikus. It sup- lasting support to students at the Städelschule ports these two institutions through the personal during their education and in their artistic proj- involvement of its members and by establishing ects, and thus to promote tomorrow’s art and cul- contacts with businesses, other civic leaders in ture, by raising capital for the foundation or Frankfurt, other cultural institutions, and politi- through direct support. The foundation solicits cal circles. The association also supports the Stä- contributions primarily from businesses and pri- delschule and the Portikus with cash donations, vate donors. It awards stipends, lends assistance which it raises by establishing and maintaining to art projects, and supports the academy, in addi- relations with sponsors, and with targeted contri- tion to the work of Städelschule Portikus e.V., in butions from its own financial resources. For in- the acquisition of supplies and with funding for stance, it subsidizes the production of exhibition visiting professorships and guest lectures. catalogues and other publications; thus, the asso- ciation made a decisive financial contribution to make the present book possible. In addition, it of- fers support for selected student group projects, organizes the annual prizes awarded during the exhibition of student work, and awards the grad- uate prize, to give only a few examples. Städelschule Portikus e.V. is open to all citizens who take an interest in the arts, and offers its

––– 327 –––

Professoren/innen Professors

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Ben van Berkel _ Niklas Maak

Architektur/Architecture

––– 331 ––– Ben van Berkel gehört mit Sicherheit zu den neu- ter generierte Chimäre aus einem Menschen-, en Stars der europäischen Architektur. Sein Büro einem Schlangen- und einem Löwenkopf ist. Das UNStudio, das er gemeinsam mit seiner Frau, der besondere am Manimal ist, dass es nicht, wie die Kunsthistorikerin Caroline Bos, in Amsterdam guten alten Wolpertinger, zusammengeschraubt betreibt, wurde früh mit einer spektakulären ein- ist, sondern dass es seine Wurzeln verleugnet; die armigen Brücke in Rotterdam bekannt; aber jetzt, Formen fließen in der Computeranimation zu ei- wo das Team in Seoul ein Kaufhaus mit einem me- ner unteilbaren neuen Identität zusammen – und dial aufgerüsteten Paillettenkleid als Fassade ge- das ist es, was van Berkel daran als Denkmodell baut hat; wo Ben van Berkel das Mercedes-Benz für das Entwerfen von Objekten interessiert: Din- Museum in Stuttgart in eine revolutionäre techno- ge so zu verschmelzen, dass sie gewachsen ausse- barocke Dreifach-Betonspirale gesteckt hat, die im hen, ohne dass man die Voraussetzungen und Ab- Juni 2006 eröffnet wurde; wo van Berkel für New läufe dieses Wachsens erkennt. Orleans eine Mediathek entwarf, die Gärten und Van Berkels Entwurfspraxis verweigert auch Straßen in den Himmel reißt, als rase ein soeben die letzte Klassifikation der antiken Metaphysik, eingeschlagener Blitz wieder aus dem Boden he- die Dualität von Natürlichkeit und Künstlichkeit. raus: Jetzt wird UNStudio geradezu frenetisch ge- Wenn die antike Ontologie die Frage nach der na- feiert. Ihr Museum gehöre „zum Großartigsten, türlichen oder künstlichen Herkunft eines Objekts was in jüngster Zeit gebaut worden ist”, und kün- immer für eine entscheidbare Frage halten muss- de „von einer neuen Epoche”, heißt es in Artikeln te, führt das Manimal eine neue Kategorie ein, ei- über das Paar. Was ist das für eine Epoche? Und nen surrealen Zwitter, der den pathetischen Ge- was für eine Architektur? Van Berkel, geboren gensatz von Natur und Kunst als Denkfigur aufzu- 1957 in Utrecht, arbeitete früher als Grafiker, ent- lösen versucht. Ben van Berkel ist an Hybriden in- warf Cover für Fernsehmagazine und Plakate, und teressiert, nicht an Collagen. Was bedeutet das für dann lernte er den Archigram-Architekten Peter die Architektur? Was aus dem Tiermenschenkopf, Cook kennen, der aufblasbare und wandernde der alle Grenzen leugnet, für die Architektur folgt, Städte erfunden hatte, warf alles über den Haufen zeigte das Möbius-Haus, das Ben van Berkel für ei- und ging nach London, um Architektur zu studie- nen wohlhabenden Verleger entwarf. Das Haus ist ren. Mit Mitte zwanzig hatte er eine erfolgreiche ein paradoxes Objekt, ein unheimliches Heim und Karriere als Grafiker hinter sich und war zweimal ein Angriff auf das, was man Wohnen nennt. Es geschieden; schon damals war er mit allem schnel- ist ein Haus, wie man es im Traum sieht: Die Wän- ler als andere. de kippen und lösen sich auf, taumeln vorbei an Van Berkel hat drei Geschwister, ein Bruder ist plötzlich aufbrechenden Gängen. Benannt ist es Schauspieler, ein anderer Schlagzeuger, die Schwe- nach dem von Ferdinand August Möbius 1840 er- ster Malerin, und auch Ben van Berkel geht, was fundenen Streifen, dessen Ende, um 180 Grad ge- wenige wissen, oft in sein Atelier und malt expres- dreht, an den Anfang geklebt wird; heraus kommt sive Bilder, die an abstrakte Kalligraphie erinnern. eine Endlosschleife, bei der es kein Oben und kein Um die Hand und das Auge zu trainieren. Der Unten gibt, keine Innen- und keine Außenseite. Computer verführt, sagt er, viele Architekten: Was passiert, wenn man die Wände eines norma- Viele Entwürfe würden austauschbar und kunst- len Wohnhauses an diesem Band entlangstrudeln gewerblich, digitales Beaux-Arts. Der Computer- lässt, das kein Innen und Außen kennt? Das war futurist als Skeptiker. das Experiment. Ein Haus, das draußen und drin- Van Berkel lernte bei Zaha Hadid, machte 1987 nen durcheinanderdreht. Manchmal dominiert seinen Abschluss und baute die Brücke, die ihn rauer Beton, als sei man in einer Unterführung, berühmt machte, und zwar nicht nur deswegen, manchmal erzeugt glattes dunkles Holz die behag- weil es noch nie einem Amsterdamer Architekten liche Atmosphäre einer Segelbootkajüte. Es gibt gelungen war, in Rotterdam ein derart prominen- enge Schluchten, Betonfelsvorsprünge, Lichtun- tes Wahrzeichen bauen zu dürfen, sondern vor gen: Das Haus spielt Natur. Manchmal glaubt man, allem, weil die Konstruktion atemberaubend war; draußen im Park zu sitzen und auf das Haus zu manche nannten sie auch „monströs”, was für van schauen, so dünn und transparent ist die Glashül- Berkel eher ein Ritterschlag war, denn er empfin- le, die den Garten vom Kamineck trennt, wo schrä- det eine tiefe, architekturtheoretisch begründete ge Wände und Betonsitze vorbeitreiben wie Trüm- Liebe zu Monstern. In seinem dreibändigen Grund- mer einer fröhlich zerfallenen Wohnkultur. lagenwerk Move zeigt er das Bild eines Monsters, Design ist für UNStudio eine manische Lust das er „Manimal” nennt und das eine im Compu- auf alle Formen von synthetischer Grenzauflö-

––– 332 ––– portraitsBen ––– vanRehberger Berkel sung. Da gibt es, in dem Buch Move, ein Koordina- Die Entwicklung eines Objekts – hier des Autos – tensystem, auf der X-Achse sind Frauen aus Ita- wird nicht linear als Geschichte der stetigen, bruch- lien, Afrika, Vietnam und aus dem Nahen Osten freien Optimierung eines Ursprungsvehikels dar- angeordnet, auf der Y-Achse Männer aus den glei- gestellt, sondern als ein verzweigtes Spiel, in dem chen Ländern. Im Computer werden nun die Ge- Zufälle, Fehler und ständige Kreuzungen eine große sichter beider Achsen überlagert, der Afrikaner Rolle spielten: Gezeigt wird in den Kammern und mit der Chinesin, der Italiener mit der Afrikane- auf Plateaus die ganze Bandbreite von Fahrzeu- rin, und so fort. Was entsteht, sind seltsam schöne gen, die aus dem Typus des ersten Motorwagens fremde Mischwesen, die ihre unheimliche Aus- entstanden, inklusive bizarrer Formenauswüchse strahlung auch daher beziehen, dass sie nicht und Irrwege wie die „Haifischflossen”. Geschichte Mann und nicht Frau, sondern präzise aus beiden wird dank der Architektur anders erzählt und er- Anteilen zusammengepixelte, androgyne Zwitter- fahrbar. wesen sind, Hermaphroditen des Computerzeital- Van Berkels Museum ist das Werk eines neuen ters. Und die Häuser von UNStudio sind nichts an- Computer-Barock, und das Gegenteil dessen, was deres, manches sieht aus, als sei es irgendwo in ei- in ihm gezeigt wird: Ein Mercedes bringt, mit Le- ner architektonischen Petrischale gewachsen und dersitzen und Holzintarsien, das Versprechen nicht entworfen worden. Auch das Mercedes-Benz wohnzimmerhafter Gemütlichkeit auf die Auto- Museum ist auf den ersten Blick unheimlich. Die bahn. Ben van Berkels Museum versucht umge- Außenhaut verweigert, auf dem Foto betrachtet, kehrt, das Statische zu beschleunigen: Das Haus jede Auskunft über seine Größe: Ist das Ding jetzt schwillt und windet sich, als habe es einen Turbo- dreißig oder hundert Meter hoch? Keine Stock- motor verschluckt, die Decke mutiert nahtlos zu werke sind erkennbar. Architektur ist da nicht De- Wänden, läuft in den Fußboden ein, lässt die Gren- kor der immergleichen Kiste, nicht die Trennung zen zwischen Wand, Boden und Decke so energisch von innen und außen durch eine Membran na- verschwimmen, als wolle sie beweisen, dass Achi- mens Fassade, sondern ein Raumexperiment. tektur doch lebendig ist. Man betritt den Bau wie eine technoide Grotte, Dieses hybridisierende Formspiel, die unent- schaut in einen fünfzig Meter hohen leeren Kern, wirrbare „Créolité” der Formen ist auch der Grund- nimmt einen Fahrstuhl nach ganz oben, wo die stein einer anderen Idee des Entwerfens, die Ben Ausstellung der Fahrzeuge mit den ersten Wagen van Berkel als unermüdlicher, trotz Jetlags und aus den 1880er Jahren beginnt; dann wandert man Terminstress immer erstaunlich gut gelaunter über eine dreifach verschränkte Spiralkonstrukti- Lehrer an der Frankfurter Städelschule zu einem on hinab über Plateaus, die sich zu Decken und entwurfstheoretischen Konzept, vor allem aber zu Böden wölben, durch die Geschichte des Konzerns einer neuen experimentellen Entwurfspraxis aus- nach unten. baut. Es ist auch Ben van Berkel und seinem Kolle- Zwei Erzählungen werden hier einander ge- gen, dem aus Norwegen stammenden Architektur- genübergestellt, zwei Raumerfahrungen treten in theoretiker Johan Bettum, zu verdanken, dass sich diesem Manifestbau gegeneinander an: die des die kleine Architekturklasse der Schule zu einer Fahrstuhls und die der Spirale. Der Fahrstuhl ist international renommierten Adresse entwickelt gewissermaßen das Äquivalent des Flugzeugs; er hat; bei den gemeinsam organisierten Tagungen transportiert seinen Benutzer auf dem kürzest und Workshops versammelte sich mit Beatriz Co- möglichen Weg ans Ziel, und von diesem Weg sieht lomina, Stanford Kwinter und Mark Wigley die in- dieser nicht viel. Die Hochbauten des 20. Jahrhun- ternationale Elite der Architekturtheorie. Das derts wurden um Fahrstühle herum errichtet. Sie Spannende ist aber vor allem, dass van Berkel und waren gestapelte, horizontal organisierte, in Eta- Bettum etwas gelingt, woran viele größere Schulen gen unterteilte Einheiten. Dieser bipolare Code bisher scheiterten: nicht unbedingt gegen, aber aus des Hochbaus wird jetzt von Architekten wie Ben diesem amerikanischen Theoriemainstream her- van Berkel und Rem Koolhaas geknackt, die das aus einen eigenen Diskurs über architektonische Hochhaus mit Spiralbauten ablösen, die keine Eta- Form und Entwurf zu entwickeln, der stärker an gen, sondern nur noch Ebenen und Rampen, Sei- europäische Denktraditionen anknüpft und auf tenarme und Verschränkungen kennen. dem Weg ist, im immer noch jämmerlich theorie- Doch im Falle des Mercedes Museums wird mit schwachen Deutschland ein neues architektur- der Abkehr von der gradlinigen Erzählung und theoretisches Kraftzentrum zu etablieren. dem überschaubaren Raumkontinuum auch einem neuen Evolutionsmodell Raum gegeben. Ben van Berkel ist seit 2001 Professor an der Städelschule.

––– 333 ––– Ben van Berkel is surely among the new stars of the manimal is that, unlike, the good old jack- European architecture. His office, UNStudio, alope, its parts are not screwed together, it denies which he operates in Amsterdam together with its roots; in the computer-generated animation, his wife, the art historian Caroline Bos, gained the forms flow into each other to form a new iden- early notoriety with a spectacular single-pylon tity, and that is what makes it interesting to van bridge in Rotterdam; but now that the team has Berkel as an intellectual model for the design of built a department store with a media-enhanced objects: to fuse objects such that they look as sequined-dress fa˜ade in Seoul; now that Ben van though they had grown, without rendering the Berkel has put the Mercedes-Benz Museum in preconditions and processes of this growth dis- Stuttgart, which opened in June, 2006, inside a cernible. revolutionary techno-baroque concrete triple spi- Van Berkel’s design practice rejects even the ral; now that van Berkel has designed, for New last classification of classical metaphysics, the Orleans, a mediatheque that jerks gardens and duality of the natural and the artificial. Whereas streets into the sky as though a lightning, just classical ontology was compelled to believe that having struck, were tearing back out of the the question whether an object was of natural or ground: now UNStudio is celebrated almost fre- artificial provenance was always decidable, the netically. Their museum is among “the greatest manimal introduces a new category, a surreal hy- things built in recent years” and announces “a brid that seeks to dissolve the pathos-laden oppo- new era,” articles about the couple declare. What sition of nature and art as an intellectual trope. sort of era is that? And what sort of architecture? Ben van Berkel is interested in hybrids, not in Van Berkel, born in Utrecht in 1957, previously collages. What does that mean for architecture? worked as a graphic designer, designing covers The Möbius House, which Berkel built for a for TV magazines and posters, before meeting Ar- wealthy publisher, demonstrates the consequenc- chigram architect Peter Cook, who had invented es for architecture of the human-animal head inflatable and wandering cities, throwing every- that denies all borders. The building is a paradox thing out the window, and going to London to object, an unhomely home and an attack on what study architecture. In his mid-twenties, he had al- is called living in a space. It is a house of the kind ready abandoned a successful career as a graphic seen in dreams: the walls tilt and dissolve, stum- designer and had been divorced twice; even then, ble past corridors that suddenly break open. It is he was faster than others. named after the band invented by Ferdinand Au- Van Berkel has three siblings, one brother is gust Möbius in 1840, whose end, rotated by 180 de- an actor, another one a drummer, his sister, a grees, is attached to the beginning; the result is painter, and Ben van Berkel also (few people an endless loop that has neither up nor down, nei- know this) frequently goes to his study and cre- ther inside nor outside. What happens when you ates expressive paintings reminiscent of abstract let the walls of an ordinary residential building calligraphy. To train his hand and his eye. The eddy along this band, which knows neither inside computer, he says, seduces many architects: nor outside? That was the experiment. A house many designs become exchangeable and arts- that rotates outside and inside into each other. In and-craftsy, digital Beaux Arts. The computer fu- some places raw concrete dominates, as though turist as a skeptic. one were in an underpass; in some places pol- Van Berkel studied with Zaha Hadid, graduat- ished dark wood creates the comfortable atmo- ed in 1987, and built the bridge that made him fa- sphere of a yacht cabin. There are narrow gorges, mous, and not just because no architect from Am- concrete promontories, clearings: the house play- sterdam had ever succeeded in gaining permis- acts nature. Sometimes you believe you are sit- sion to build such a prominent landmark in Rot- ting outdoors, in the park, looking at the house, terdam, but most importantly because the that’s how thin and transparent the glass mantle construction was breathtaking; some called it is that separates the garden from the fireplace “monstrous,” too, which van Berkel feels is actu- corner, where tilted walls and concrete seats drift ally an accolade, for he feels a deep love, founded past like the debris of residential interior design in architectural theory, for monsters. In his three- happily disintegrating. volume foundational work Move, he shows the Design, for UNStudio, is a manic pleasure tak- image of a monster he calls “manimal,” a com- en in all forms of synthetic dissolution of bor- puter-generated chimera composed of a human, a ders. There is, in Move, a system of coordinates, snake’s, and a lion’s head. What is special about with women from Italy, Africa, Vietnam, and the

––– 334 ––– portraits Ben ––– vanRehberger Berkel

„EndeMiddle November East placed diesen on the Jahres X axis, sollen and men für die from präsent.chambers Seine and plateausEnvironments exhibit beispielsweise the full spectrum Ausstellungthe same countries #76 verschiedene on the Y axis. Veränderungen Now, the faces spielenof vehicles mit thatRaum, arose Mobiliar, from the mit type Zeichensyste of the first- infrom und both um axes,den Portikus that of the vorgenommen African man werden. and that menmotor und car, Design, including mit bizarremodernistischen design outgrowths Entwür- Imof the Rahmen Chinese dieses women, Vorhabens that of möchten the Italian wir man Sie fenand und aberrations neueren suchProduktgestaltungen. as the “shark fin.” Soziale The ar - umand Ihre that Vorschlägeof the African bitten.“ woman, Mit etc.,diesem are Schrei superim- - wiechitecture interaktive permits Aspekte a different sind bei narration der Anordnung and ex- benposed wandte in the sich computer. Tobias The Rehberger results 1997are strangely an die derperience Gegenstände of history. ebenso wichtig wie das zufäl- Besucherbeautiful hybrids,der beiden whose vorangegangenen uncanny aura Porti draws- al- ligeVan Aufeinandertreffen Berkel’s museum konträrer is the work Dinge of a oder new kus-Ausstellungen.so on the fact that they Tatsächlich are neither fanden man diversenor wom - dascomputer einkalkulierte baroque, Missverständnis. and the opposite ofWährend what is ander but eingereichten androgynous Veränderungsvorschläge fusions precisely pixellated in dasshown Produktdesign inside it: with die its „Nützlichkeit“ leather seats andvon woodGe- togetherBezug auf from die Architekturboth components, und Inneneinrichtung hermaphrodites brauchsgegenständenpaneling, a Mercedes brings um einen the promiseideellen Mehrof liv-- ofBerücksichtigung: the digital age. And der theWunsch buildings nach bySitzmög UNStudio- werting-room-like ergänzt, fragtcomfort Tobias to the Rehberger highway. nach Ben vander arelichkeiten none different; resultierte some in verschiebbaren look as though they Hockern had EntfremdungBerkel’s museum, der Dinge by contrast, von ihrem seeks Gebrauch to accelerate im grownmit eigenständiger somewhere in skulpturaler an architectural Qualität, Petri vor dish der Reichwhat is der static: Kunst. the Was house passiert, bulges wenn and contorts afrikanische as andTreppe not desbeen Portikus designed. wurde The eineMercedes-Benz Rampe für RollMuse- - Handwerkerthough it had moderne choked on Möbelklassiker a turbo engine, anhand the ceil - um,stuhlfahrer too, is uncanny installiert at firstund die glance. Bitte, Theder Bodenexterior voning mutatesZeichnungen seamlessly nachbauen? into walls, Ist in runs einer into Kiste the skin,möge seennicht in vollkommen a photograph, lautlos refuses sein, any führte informa zur - tatsächlichfloor, blurs einthe Maseratiborders betweenuntergebracht, walls, floors,wenn der and tiontemporären about its Installation size: is this eines thing Holzbodens. thirty or a hun- Künstlerceilings with dies greatbehauptet? energy, as though it wanted to dredTobias meters Rehbergers tall? There kalkulierte are no discernibleGratwanderung floors. Überraschungsmomenteprove that architecture is bestimmen alive after all. seine Architecturezwischen Kunst is not und a Design decoration produziert of the ever-unObjekte,- AuftritteThis hybridizing bei Ausstellungs-Großereignissen. play of forms, the inextrica Auf- changingdie scheinbar box, von not Nutzenthe separation sind, im of Gegensatz inside and derble “Créolité”Expo 2000 inof Hannover forms, is also hat Rehbergerthe cornerstone einen of outsidezum reinen by means Produktdesign of a membrane jedoch called ein Interesse fa˜ade, japanischena different idea Garten of designing, präsentiert, which der Benmitten van im butan jenen a spatial sozialen experiment. Konstrukten You enter und kommunikathe space like- SommerBerkel, an täglich indefatigable mit Schneekanonen teacher at Frankfurt’s beschossen ativen technoid Kooperationen grotto, look zeigen, into the die inside Subjektivitäten of a hollow wurde.Städelschule Sein Beitrag who is, für despite die Venedig jetlag and Biennale a crowded 1997 corein präfabrizierte fifty meters Mustertall, take lenken an elevator und über to the Formen very bestandagenda, alwaysin der Gestaltung in an astonishingly von Unterwäsche good mood, für top,und whereFunktionen the exhibition entscheiden. of vehicles Die Signatur begins des with dasdevelops weibliche into aAufsichtspersonal. design-theoretical concept and es- theSozialen first stehtcars from in seinen the 1880s; skulpturalen then you Objekten walk down Früherpecially hat into er a selbst new experimental bei Thomas Bayrle design und practice. Mar- throughund Installationen a triply interlaced neben jenen spiral ästhetischen construction, tinWe Kippenbergeralso have to thank an der Ben Städelschule van Berkel, studiert. with his acrossEntscheidungen, plateaus that die bend klassische to form Vorstellungen ceilings and MittlerweileNorwegian-born ist er colleague, Professor the für architecture Bildhauerei theo- floors,künstlerischer and down Praxis through evozieren. the history Doch ofauch the diesecom- undrist JohanProrektor Bettum, der Schule. and others, Er hat for das developing Interims -the pany.unterläuft Rehberger mit Kalkül. Sein Atelier gebäudeschool’s smalldes Portikus architecture am Weckmarkt class into anals internaWhite - im FrankfurterTwo narratives Rotlichtviertel are contrasted ist here,ein Produk two expe- - Cube-Containertionally renowned gestaltet, address; der for sich the einerseitsconferences als riencestions- und of Organisationsbüro,space compete in this das manifesto seine inter build- - improvisierteand workshops Zwischenlösung the two jointly organized, zu erkennen the gab, in- ing:nationalen that of Ausstellungsaktivitätenthe elevator and that of the organisiert spiral. andererseitsternational architecture jedoch die Bedingungen theory elite congregated institutio- Theund dieelevator, Produktion as it were, der Werkeis the equivalent überwacht, of deren the nellenin Frankfurt, Ausstellens represented garantierte e.g. by und Beatriz das Organisie Colomi-- airplane;Herstellung it transports wiederum itsanderen, user to spezialisierten his destination renna, Stanfordder Ausstellung Kwinter, über and ein Mark von Wigley. außen wieYet theinnen alongHände the übereignet shortest wird.possible Tradierte path, and Vorstellungen he does not einsehbaresmost exciting Büro thing gleich is that mit van zum Berkel Exponat and erklärBet- - seekünstlerischerAutorschaft much of this path. The tallwerden buildings dabei ofebenso the te.tum 2003 succeed erhielt in er doing den Karl-Ströher-Preis something at which für bigger seine 20inth Frage century gestellt were wie constructed das Verhältnis around von elevators. Idee und „zwischenschools have Funktionalität so far failed: inund developing, Nutzlosigkeit not nec- Ausführung.They were stacked, Rehberger horizontally koordiniert organized primär units die oszillierendenessarily against Modelle, the American Bilder undtheory Skulpturen“. main- verschiedenedivided into floors. Prozesse This der bi-polar Kunstwerdung code of the einer high- Mitstream Tobias but Rehbergerfrom out of lebt it, their aber ownnicht discourse nur die on Idee,rise is baut now aber being auch cracked Unschärferelationen by architects such ein, as die konstantearchitectural Befragung form and nach design dem drawing Funktionieren more eindimensionaleBen van Berkel and Lesarten Rem Koolhaas, des Werkes who verhin supplant- vonheavily Kunst on undEuropean Kunstbetrieb intellectual fort. traditions;Auch die traditi it is - dernthe high-rise und Eindeutigkeiten with spiral buildings vermeiden. that Dass no longer alles onellemoving Fußballbegeisterung toward the establishment, der Städelschule, in Germany, die a inknow irgendeiner floors but Form only schon planes vorhanden and ramps, ist, lateral gehört Erkenntnis,country that dass still gutessuffers Essen from die theoretical Kommunikation asthe- zubranches den Prämissen and entanglements. seiner gestalterischen Tätig- fördertnia, of aund new man center als internationalof architecture-theoretical renommierter keit,Yet die in die the Idee case des of Entwerfensthe Mercedes von Museum, dem Zweck the Künstlerforces. seine Weltoffenheit selbst in Frankfurt befreit.turn away from linear narrative and an easily sehr gut ausleben kann, verbinden sich mit sei- Obcomprehensible es sich um nachgebaute spatial continuum Designikonen makes oder possi - Benner van Person. Berkel is a professor at the Städelschule since 2001. prestigegeladeneble a new evolutionary Objekte model. der Warenwelt The development handelt, umof an global object, vernetze here, of Kommunikationssysteme the car, is represented not in oderlinear scheinbar fashion, asfunktionslose the steady and Module, uninterrupted die Reflek - tionoptimization der eigenen of an Position original als vehicle, Künstler but und as Akteura rami- innerhalbfied play in eines which ausdifferenzierten accidents, mistakes, Betriebssy and con-- stemstinual istcross-breeding in allen Werken played Rehbergers a large role: irgendwo the

––– 335 ––– Daniel Birnbaum _ Vanessa Joan Müller

Kunstvermittlung und Philosophie/ Curatorial Practice and Philosophy

––– 336 ––– Daniel Birnbaum

Dass das Lehren von Kunst nicht allein mit der Ver- soren vollzogen und das internationale Profil mit mittlung von Kunst zu tun hat, ist eine der Prämissen der Berufung von Künstlerinnen und Künstlern an der Städelschule, seit Daniel Birnbaum im Jahr wie Michael Krebber, Wolfgang Tillmans, Simon 2001 zu ihrem Rektor berufen wurde. In seinen Semi- Starling, Mark Leckey, Willem de Rooij und Mar- naren liest und diskutiert er mit Studenten Texte von tha Rosler gestärkt. Auch die Ausstellungen im Friedrich Nietzsche, Ludwig Wittgenstein, Michel Portikus, dessen Direktor Birnbaum ist, versam- Foucault, oder Giorgio Agamben. Aber meln international Bekanntes wie viel verspre- auch auf Projektebene stehen die Zeichen auf Inter- chende neue Positionen. Die Liste ist lang und ab- disziplinarität und Wissensvermittlung über die Kunst wechslungsreich: etablierte Größen wie Gilbert & geschichte und -theorie hinaus. Während der Mani- George stehen neben jungen Künstlern, experimen- festa 4 in Frankfurt verwandelte Birnbaum mit Jo- telle Projekte wie die mehrwöchige von Rirkrit Ti- chen Volz und Dirk Fleischmann die Städelschule in ravanija ins Leben gerufene Veranstaltungsreihe ein internationales Camp für Kunststudenten aus mit Kochwettbewerben, Vorträgen und Live-Musik ganz Europa, das den Begriff der Gastfreundschaft neben klassischen White-Cube-Präsentationen. aus unterschiedlichen Perspektiven, von der ganz Dass der alte Portikus hinter der historischen Fas- pragmatischen bis zur philosophischen, beleuchtete. sade bald nach Birnbaums Antritt der Rekonstruk- Gemeinsam mit Isabelle Graw gründete er das Insti- tion der Bibliothek weichen musste, hat dem Kon- tut für Kunstkritik, das das Schreiben über Kunst aus zept eines an die Städelschule angeschlossenen seiner Randexistenz in den Feuilletons herausholen Ausstellungsraumes nicht geschadet. Gerade die und zu einer zentralen Säule im Verhältnis von Kunst- Interimszeit am Weckmarkt in einem wesentlich produktion und Kunstvermittlung erheben will. kleineren Raum war intensiv und von innovativen Dieses breite, theoretisch fundierte Interesse Projekten geprägt. Der Neubeginn auf der Mainin- liegt sicherlich daran, dass Birnbaum selbst auf sel markiert einen weiteren Schritt in der Erfolgs- vielen Gebieten unterwegs war, bevor er nach geschichte dieser wandlungsfähigen Institution, Frankfurt kam. Eigentlich ist er ein kosmopoli- die stets mehr war als nur ein Ausstellungsraum. tischer Intellektueller alter Schule, der Philoso- Und doch hat man den Eindruck, dass das Leh- phie, Kunstgeschichte und Vergleichende Litera- ren und Verwalten, das Strukturieren und Vernet- turwissenschaften in Stockholm, Berlin und an zen für einen umtriebigen Menschen wie Daniel der Columbia University in New York studiert, als Birnbaum noch nicht genug Arbeit ist. Seit 1998 ist Übersetzer Romane von Thomas Bernhard sowie er Redaktionsmitglied der renommierten amerika- Schriften von Wittgenstein, Novalis und Heidegger nischen Kunstzeitschrift Artforum und schreibt re- ins Schwedische übertragen, als Kunstkritiker für gelmäßig Essays und Artikel. Als Ko-Kurator hat er Zeitschriften wie Frieze, Parkett und Artforum ge- an der Yokohama Triennale 2001 mitgewirkt, an arbeitet und 1997 seine Dissertation über die Phä- der Venedig Biennale 2003 und an der ersten Mos- nomenologie Edmund Husserls veröffentlicht hat. kau Biennale, die 2005 stattfand. Junge Absolventen Mit der Zeit wurde das Verhältnis von Theorie und der Städelschule waren meist dabei, wie auch sonst Praxis intensiver und die bildende Kunst trat an die Förderung jener Künstlerinnen und Künstler, die erste Stelle. Von 1996 bis 1998 arbeitete Birn- die in Frankfurt Kunst studiert haben, auf unkom- baum als Dozent für Kunsttheorie am University plizierte Weise zu Birnbaums Mission zu gehören College of Art, Craft and Design in Stockholm, an- scheint. Die Kunstzeitschrift Monopol hat ihn des- schließend wurde er Direktor des internationalen halb zum wichtigsten Kurator des Jahres 2007 ge- Atelierprogramms IASPIS, ebenfalls in Stock- wählt. Das bringt zusätzliche Aufmerksamkeit; tat- holm. Hier traf die aktuelle künstlerische Praxis sächlich ist Birnbaum aber kein Anhänger der auf produktive Weise auf die diskursive Reflexion These, dass der Kurator mittlerweile dem Künstler über Kunst als eines der zentralen Denkmodelle den Rang abgelaufen hat. Er versteht sich ganz unserer Zeit. IASPIS war und ist ein Ort, an dem klassisch als Vermittler und Ermöglicher, der das sich die projektbezogene Arbeit an neuen Werken Format Ausstellung der gegenwärtigen künstle- und das Nachdenken über zeitgenössische Kunst rischen Produktion anpasst und möglichst gute an sich auf genuine Weise begegnen. Rahmenbedingungen schafft. Dass auch die Rah- Auch die Städelschule, trotz ihrer überschau- menbedingungen der Städelschule ein wichtiges baren Größe zurzeit eine der attraktivsten Kunst- Element im globalen Kunstbetrieb markieren, ver- akademien, wurde unter Birnbaum zu einem An- steht sich für ihn deshalb ganz von selbst. ziehungspunkt für Studierende aus aller Welt. Er Daniel Birnbaum ist seit 2001 Professor und Rektor hat einen Generationswechsel unter den Profes- an der Städelschule.

––– 337 ––– Daniel Birnbaum

That teaching art involves more than merely the international profile by attracting artists such as communication of art has been one of the premis- Michael Krebber, Wolfgang Tillmans, Simon Star- es at the Städelschule since Daniel Birnbaum was ling, Mark Leckey, Willem de Rooij, and Martha appointed its rector in 2001. In his seminars, he Rosler. Exhibitions at the Portikus, where Birn- and his students read and discuss writings by baum is director, equally bring recognized inter- Friedrich Nietzsche, Ludwig Wittgenstein, Michel national artists and promising new positions to- Foucault, Gilles Deleuze, or Giorgio Agamben. gether. The list is long and varied: established in- And at the project level, too, all signs point toward fluential artists such as Gilbert & George appear interdisciplinary work and the mediation of next to young artists, experimental projects such knowledge beyond the history and theory of art. as the multi-week event series including cooking During Frankfurt’s Manifesta 4, Birnbaum con- competitions, lectures, and live music initiated by verted the Städelschule into a camping ground for Rirkrit Tiravanija next to classical presentations art students from all over Europe where light was in the white cube. That the old Portikus behind its shed on the concept of hospitality from diverse historical fa˜ade had to give way to the recon- angles, ranging from the very pragmatic to the struction of the library at the site soon after Birn- philosophical. With Isabelle Graw, he is founder baum took office has done no harm to the concept of the Institute for Art Criticism, which aims to of an exhibition space affiliated with the Städel- lead writing about art out of its marginalized ex- schule. Especially the interim period, when the istence in the culture pages and elevate it to the Portikus opened in a much smaller space on status of a central pillar of the interrelation be- Weckmarkt, was intense and characterized by in- tween artistic production and the communication novative projects. The fresh start on the Main Is- of art. land marks another stride in the success story of This broad and theoretically founded range of this versatile institution, which has always been interests is certainly a consequence of the fact more than just an exhibition space. that Birnbaum himself was a traveler in many And yet one gets the impression that, many- fields before coming to Frankfurt. He really is an versed as Daniel Birnbaum is, teaching and ad- old-school cosmopolitan intellectual; he studied ministrative duties, creating structures and net- philosophy, art history, and comparative litera- works are not yet enough work for him. He has ture in Stockholm, Berlin, and at Columbia Uni- been a member of the editorial board of the re- versity, New York, translated novels by Thomas nowned American art journal Artforum since Bernhard as well as writings by Wittgenstein, No- 1998, and regularly writes essays and articles. He valis, and Heidegger into Swedish, worked as an was involved as a co-curator in the 2001 Yokohama art critic for magazines such as Frieze, Parkett, triennial, the 2003 Venice biennial, and the first and Artforum, and in 1997 published his disserta- Moscow biennial, held in 2005. In most cases, tion on Edmund Husserl’s phenomenology. Over young Städelschule graduates were among the time, the relation between theory and practice artists whose work was shown, as in general the grew closer, and the visual arts moved to the fore- promotion of artists who have studied in Frank- ground. Between 1996 and 1998, Birnbaum taught furt seems to be an unproblematic part of Birn- art theory at University College of Art, Craft and baum’s mission. For this reason, the art magazine Design in Stockholm, whereupon he became di- Monopol elected him the most important curator rector IASPIS, also in Stockholm, an internation- of 2007. That brings additional attention, and yet al studio program that fostered productive en- Birnbaum is in fact not an adherent of the notion counters between contemporary artistic practice that the curator has by now pushed the artist out and discursive reflection upon art as one of the of the limelight. He understands himself, in quite central intellectual models of our time. IASPIS classical terms, as a mediator, someone who was and continues to be a place where work on makes things possible, who adapts the format of projects of new artwork genuinely meets the con- the exhibition to the contemporary artistic pro- templation of contemporary art as such. duction and creates the best possible framework Despite its modest size, the Städelschule under for its products. It thus goes without saying for Birnbaum’s leadership has similarly come to him that the framework of the Städelschule also draw students from all over the world, and is to- constitutes an important element in the interna- day one of the most attractive academies of art. tional art world.

Birnbaum has implemented a policy of appoint- Daniel Birnbaum is a professor at and the rector ing younger faculty and heightened the school’s of the städelschule since 2001.

––– 338 ––– Ayse¸ Erkmen _ Vanessa Joan Müller

Freie Bildende Kunst/Fine Art

––– 339 ––– Shipped Ships nannte sich Ay˛se Erkmens Projekt, men auf der Suche nach dem einzig möglichen Tobiasdas sie im Sommer 2001 in Frankfurt realisierte. Weg, dem dringlichsten Weg, den Dingen jene Drei Fährschiffe mitsamt Personal aus Venedig, Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie in Istanbul und dem japanischen Shingu ließ sie einer bestimmten Situation benötigen. Rehbergernach Frankfurt transportieren, wo diese für sechs Vor der dauerhaften Existenz_ by Vanessa eines Kunstwerks Joan Müller Wochen einen regelmäßigen Fährverkehr auf dem hingegen hat sie regelrecht Angst. „Selbst wenn Fluss etablierten. Die kontingente Grenze zwi- das Kunstwerk dauerhaft existiert, gibt es Verän- schenMalerei/Painting Kunst und Alltag wurde von Shipped Ships derungen durch die Jahreszeiten, die das Moment souverän überschritten – Erkmens "Dienstlei- seiner permanenten Präsenz zurücknehmen.“ stungskunst" offerierte nicht nur eine veränderte Auch die explizit künstlerische Qualität eines Sicht auf die Stadt, die sich selten vom Wasser Kunstwerks ist für Erkmen sekundär – „Meist be- aus betrachten lässt, sondern auch eine neue Form vorzuge ich es, wenn es gar nicht als Kunstwerk öffentlichen Nahverkehrs. Zwischen den Stadt- erkannt und für etwas anderes gehalten wird. Was teilen ergaben sich Verbindungslinien, frühere mich wirklich interessiert, ist die fließende Grenze Anlegestellen wurden reaktiviert. Die Fährschiffe zwischen dem Kunst-Sein und dem Nicht-Kunst- funktionierten vor allem jedoch als kulturell dis- Sein.“ Solche transitorischen oder undefinierten tinkte Objekte, die Einblicke in fremde Alltagsor- Situationen, bei denen man nie sicher sein kann, ganisationen gaben. ob es sich um Kunst handelt oder etwas unbestimmt Dass man die Fährschiffe unabhängig von ih- anderes, machen ihre Werke nicht unbedingt leicht rer funktionalen Einbindung in das Schifffahrts- zugänglich. Andererseits ist man mit ihnen an Or- wesen auch als Skulpturen betrachten konnte, ten konfrontiert, wo man mit der Präsenz von Kunst entspricht Erkmens Begriff bildhauerischer Ein- nicht unbedingt rechnet und in der Begegnung griffe in die Wirklichkeit, die nicht nur Wahrneh- mit einer subtil verschobenen Wirklichkeit neue mung modifizieren, sondern neue Handlungsmo- Erkenntnisse gewinnt. Tatsächlich sind Erkmens delle offerieren und historische Prozesse in bild- Arbeiten meist temporäre Eingriffe in die Wirk- mächtigen Objekten verlebendigen. Sie versucht lichkeit. Sie positionieren sich für eine bestimmte bei jedem Projekt, den Ort zu betrachten, seine Be- Zeit an einem bestimmten Ort, ohne sichtbare dingungen zu erkunden und das Wichtigste zu fin- Spuren zu hinterlassen, verorten sich präzise im den, das aus der Perspektive des Außenstehenden Raum, reflektieren ihr lokales und historisches dort gebraucht wird. Der logistische Aufwand des Potenzial und eröffnen die zeitweise Möglichkeit Projektes um die selbst auf Schiffen nach Frank- der Veränderung. Die beiden Tiger, denen Ay˛se furt transportierten Fähren war zudem Teil von Erkmen in der Essener Kokerei Zollverein im Erkmens Strategie, sich von den Zwängen des Rahmen ihres Projektes Ketty und Assam ein tem- Pragmatismus zu befreien und das der Wirklich- poräres Gehege gebaut hat, sind längst wieder zu- keit eingeschriebene Potenzial künstlerischer Be- hause, die Fährschiffe von Shipped Ships in ihren trachtungsweise temporär aufscheinen zu lassen. Heimathäfen. Dieses Verhältnis von Reise und Ein Schiff, das ein anderes Schiff benötigt, um den Rückkehr ist ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit, so Ozean zu überqueren, wirkt dysfunktional und wie sie selbst sich zwischen den Orten bewegt und skulptural zugleich. „Ich finde es sehr spannend, in Istanbul ebenso wie in Berlin lebt. dass die Schiffe reisen konnten und dass sie Rei- Ay˛se Erkmen hat von 2000 bis 2006 an der Stä- sende an Bord größerer Schiffe waren. Dass sie delschule unterrichtet, neue Formen der Bildhau- andere Länder gesehen haben,“ erzählte Ay˛se erei jenseits statischer Objektproduktion etabliert Erkmen einmal in einem Interview. Allein der und ihr Atelier W 12 in einen Ausstellungsraum Transport der Schiffe bildete das Motto dieses für ihre Studentinnen und Studenten umfunktio- Werks. Die Passagierschiffe selbst behielten ihre niert. Anlässlich der 7. Istanbul Biennale ist sie Funktion, ihre Besatzung und Bedeutung. Nur mit ihnen in ihre Heimatstadt gefahren und hat der Ort veränderte sich. für sie in der Technischen Universität ein eigenes, Diese Art des ebenso aufwendigen wie spek- das kulturelle Terrain erkundendes Ausstellungs- takulären Transports erinnert an ihre wohl be- projekt konzipiert – Teil der Biennale und doch kannteste Arbeit, als sie im Rahmen der Skulp- autonom, für ein paar Wochen sichtbar und dann tur.Projekte in Münster 1997 Skulpturen aus dem wieder verschwunden, grenzüberschreitend und Depot des Westfälischen Landesmuseums im Hub- kosmopolitisch wie ihre eigene Kunst. schrauber über den Dom hinweg auf das Dach Ay˛se Erkmen war von 2000 bis 2006 Professorin des Museums befördern ließ. Auch hier war Erk- an der Städelschule.

––– 340 ––– Ay˛se Erkmen

Shipped Ships was the title of the project Ay˛se work of art endures, there are changes with the Erkmen realized in Frankfurt in the summer of seasons that diminish its momentum of perma- 2001. She had three ferries and their crews nent presence.” Likewise, the explicitly artistic shipped from Venice, Istanbul, and Shingu (Ja- quality of a work of art is of secondary impor- pan) to Frankfurt, where they established for a tance to Erkmen—“in most cases, I prefer that it period of six weeks a scheduled service on the not be recognized as a work of art at all, and be river. Shipped Ships confidently overstepped the perceived as something else. What I am really in- contingent border between art and the every- terested in is the fluid border between being-art day—Erkmen’s “service art” offered not only an and not-being-art.” Such transitory or indetermi- altered view of the city, which one rarely sees nate situations, where one can never be sure from the water, but also a new form of public whether it is art or some undefined other, do not transportation. Connections emerged between necessarily make her works easily accessible. On different neighborhoods, former landings were the other hand, one is confronted with them at reactivated. Yet the ferries functioned above all sites where one does not necessarily expect art, as culturally distinct objects that offered glimps- and gains new insights in the encounter with a es into foreign organizations of the everyday. subtly displaced reality. In fact, Erkmen’s works That one could also regard ferries, indepen- are in most cases temporary interventions into dent of their functional integration into the world reality. They position themselves, for a certain of shipping, as sculptures is a consequence of Erk- amount of time, at a certain site, without leaving men’s notion of sculptural interventions into real- visible traces, assuming a precise location in ity, interventions that not only modify perception space, reflecting its local and historical potential, but also offer new models of action and bring his- and opening up a fleeting possibility of change. torical processes to life in imagistically powerful The two tigers for which Ay˛se Erkmen built, as objects. In every project, she attempts to examine part of her project Ketty und Assam, a temporary the site, to explore its conditions, and to find the enclosure at the Zollverein coking plant in Essen, most important thing that is, from the outsider’s have long returned home, the ferries of Shipped perspective, needed there. The logistical complexi- Ships are back in their home ports. This relation ty of the project involving the ferries, shipped to between traveling and returning is one impor- Frankfurt in turn on other ships, was moreover tant aspect of her work, just as she herself trav- part of Erkmen’s strategy of breaking through the els between places, living in Istanbul as well as compulsions of pragmatism and letting the poten- Berlin. tial of an artistic regard, inscribed into reality, Ay˛se Erkmen taught at the Städelschule be- emerge for a brief time. A ship that requires an- tween 2000 and 2006, establishing new forms of other ship to cross the ocean appears dysfunction- sculpture beyond the production of static objects, al and sculptural at the same time. “I find it very and transforming her studio W 12 into an exhibi- exciting that the ships could travel, and that they tion space for her students. For the 7th Istanbul Bi- were travelers on board of bigger ships. That they ennial, they joined her on a trip to her home- saw different countries,” Ay˛se Erkmen once said town, where she conceived a special exhibition during an interview. The transportation of the project for them at the Technical University, ex- ships alone formed this work’s motto. The passen- ploring the cultural terrain—a part of the Bien- ger ships themselves retained their function, their nial and yet autonomous, on view for a few weeks crew, their meaning. Only the site changed. only, then to disappear, traversing borders and This kind of transportation, as expensive as it cosmopolitan like her own art. is spectacular, is reminiscent of her probably best-known work, a part of the 1997 Münster Ay˛se Erkmen was a professor at the Städelschule Skulptur.Projekte, during which she had sculp- from 2000 until 2006. tures from the Westfälisches Landesmuseum’s storage taken by helicopter across the cathedral and onto the museum’s roof. Here, too, Erkmen was seeking the only possible way, the most ur- gent way to secure that attention to things which they require in a certain situation. By contrast, she is positively afraid of the per- manent existence of a work of art. “Even if the

––– 341 ––– Isabelle Graw _ Vanessa Joan Müller

Kunstgeschichte und Kunstheorie/Art History and Art Theory

––– 342 ––– Isabelle Graw

Mit Isabelle Graws Professur hat die Kunsttheorie Drei Semester lang hat sie mit Studentinnen einen festen Platz im Seminarprogramm der Städel- und Studenten Adornos Ästhetische Theorie gele- schule erhalten. Nicht nur das Lesen und Diskutie- sen und in einem Lektüre-Seminar seine komple- ren wichtiger Texte, auch das Betrachten von Kunst xen Aussagen zu Ästhetik und Kultur auf ihre als Bestandteil eines ausdifferenzierten Gefüges Tauglichkeit hinsichtlich zeitgenössischer Kunst- oft widerstreitender Kräfte gehört hierzu. Markt- produktion befragt. Das Eintauchen in die kompli- mechanismen, die Anforderung unserer ökono- zierte Sprachwelt Adornos einerseits und die Wei- misch geprägten Gegenwart an Künstler, sich gerung des Textes andererseits, sich auf konkrete selbst zu optimieren, aber auch ihr Gestaltungs- Beispiele anwenden zu lassen, machen gemein- spielraum als soziale Akteure hat Graw wieder- same Lektüren wie diese zwar nicht einfach, auf holt in ihren Seminaren und Vorlesungen thema- jeden Fall aber produktiv im Sinne der Auseinan- tisiert. Selbst aus dem Bereich Kunstkritik kom- dersetzung mit Theorie und der Fragwürdigkeit mend, hat sie das Verhältnis von Kunst und Kritik ihrer Applizierbarkeit. Adorno und die künstle- dahingehend forciert, dass es kein Außen gibt, das rische Praxis: Hier bestehen für Graw mögliche den Fokus auf die Kunst richtet, sondern die Stand- Anknüpfungspunkte an die konkrete Gegenwart. ortbestimmung selbst Teil der Betrachtung ist. Gesellschaft ragt in die Kunst hinein, ökono- Schon früh hat Isabelle Graw für Magazine wie misches Rentabilitätsdenken vermag hingegen Wolkenkratzer Art Journal und Artforum ge- nur wenig über Kunst oder die künstlerische Aus- schrieben, bis sie dann 1990 gemeinsam mit Stefan bildung auszusagen. Gesellschaft wiederum tritt Germer die Zeitschrift Texte zur Kunst gründete, bei Adorno über das künstlerische Material in die deren Herausgeberin und Redakteurin sie seither Kunst hinein. So entsteht eine Produktionsästhe- ist und deren Thesen zu Theorie und Praxis im- tik, die in gezielter Versuchsanordnung die Hinga- mer wieder für Diskussion sorgen. An der Städel- be an das Material erprobt. schule hat sie im Sommer 2003 zusammen mit Da- Ihre Dissertation hat Isabelle Graw den Er- niel Birnbaum das Institut für Kunstkritik einge- folgsstrategien von Künstlerinnen des 20. und 21. richtet, das sich mit der Praxis der Kunstkritik Jahrhunderts in einer noch immer männlich do- und ihren disziplinären Bezügen auseinandersetzt. minierten Kunstwelt gewidmet. Auch sonst geht Vorträge von Kunsthistorikern, Kritikern und es ihr immer wieder um künstlerische Strategien, schreibenden Künstlern wie W.J.T. Mitchell, Paolo die widerständig und effizient zugleich sind. Kon- Virno und Jutta Koether und Diskussionen mit Ben- sequent stand denn auch die Figur Bartleby aus jamin Buchloh, Yve-Alain Bois und Helmut Drax- der gleichnamigen Erzählung von Herman Mel- ler haben den internationalen philosophischen ville mit ihrer kategorischen Verweigerung ge- und kunsthistorischen Diskurs nach Frankfurt genüber den Anforderungen der Gesellschaft im geholt. Programmatisch unter Adornos Diktum Zentrum eines Seminars, das den berühmten Satz „Darum muss jegliche Theorie der Kunst zugleich von Bartleby „Ich möchte lieber nicht“ in den Kon- Kritik an ihr sein“ gestellt, versucht das Institut text künstlerischer Produktion rückte. Überle- dem Begriff der Kritik aus der Perspektive aktuel- gungen zu klassischen Positionen so genannter ler Kunstproduktion neue Facetten abzugewinnen. „marktreflexiver Kunst“, die sich ihrer Rolle in Auch Isabelle Graws eigene Vorlesungen und einem vom Kunstmarkt dominierten Betriebs- Seminare widmen sich Themen, die man nicht un- system bewusst ist, prägten eine Vorlesungsreihe. bedingt auf dem Lehrplan einer Kunstakademie Die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozi- vermutet, die aber zeigen, wie eng das zeitgenössi- alforschung veranstaltete Konferenz Under Pres- sche Kunstschaffen mit anderen soziologischen und sure im Sommer 2007 widmete sich schließlich dem politischen Feldern verklammert ist: die Geschich- prekären Status des Künstler-Seins und mögli- te des Automatismus, das Verhältnis von Kunst, chen Flucht- und Ausstiegsszenarien. Bei Isabelle Markt und Mode oder das politische Potenzial zeit- Graw ist das Studieren von Kunst selbst zentraler genössischer Kunst. Dass künstlerische Praxis nicht Gegenstand einer Lehre, die Denkanstöße vermit- nur auf externe Resonanz stößt, sondern ihrerseits teln und das Bewusstsein für die – zukünftige – einen theoretischen Horizont entfaltet, gehört eben- Rolle als Künstler/in zu schärfen sucht. Viel Theo- falls zu den Prämissen von Graws vermittelnder rie, aber auch viel Inspiration, und das nicht nur Praxis, die das Sprechen der Studierenden über die für die Städelschule: Beliebt sind ihre Veranstal- eigenen Werke oder das Verfassen kunstkritischer tungen auch bei Nicht-Studenten. Texte ganz selbstverständlich umfasst. Sogar für Ex- perimente mit „écriture automatique“ ist hier Platz. Isabelle Graw ist seit 2001 Professorin an der Städelschule.

––– 343 ––– Isabelle Graw

With Isabelle Graw’s appointment as professor, For three semesters, she and the students in art theory has been given a permanent place in her reading class read Adorno’s Aesthetic Theory Städelschule’s curriculum. This includes not on- and analyzed his complex statements on aesthet- ly readings and discussions of important texts ics and culture with respect to their suitability to but also the contemplation of art as a component the contemporary production of art. The immer- in a highly differentiated ensemble of often con- sion in Adorno’s complicated linguistic universe flicting forces. In her seminars and lectures, on the one hand, and the text’s refusal to be ap- Graw has repeatedly addressed market mecha- plied to concrete examples on the other, make nisms, the way today’s predominant economic reading and discussing his work not easy but cer- considerations demand of artists to optimize tainly productive for an engagement with theory themselves, but also the leeway for creation they and with the question of its applicability. Adorno enjoy as social actors. Graw, who has long been and artistic practice: the question offers, to an art critic, has pushed the relation between art Graw’s mind, possible points of departure for an and art criticism toward the recognition that examination of concrete aspects of the present. there is no outside position that would focus on Society obtrudes into art, whereas the economic art; rather, the identification of one’s vantage thinking of profitability has little to say about art point is itself part of the observation. or about the education of artists. Society, in turn, Isabelle Graw began early on to write for ma- enters art, in Adorno, through the artist’s materi- gazines such as Wolkenkratzer Art Journal and als. An aesthetic of production emerges that Artforum before founding in 1990, together with tests, in a focused experimental arrangement, its Stefan Germer, the journal Texte zur Kunst, devotion to the materials. whose publisher and editor she has since been; Isabelle Graw’s dissertation addressed strate- the journal’s theses have frequently spawned live- gies of success in women artists of the 20th and ly debate. In the summer of 2003, she and Daniel 21st centuries, who work in an art world that con- Birnbaum created the Institute for Art Criticism tinues to be dominated by men. More generally, at the Städelschule, which examines the practice she is always interested in artistic strategies that of art criticism and its relations with other disci- are resistant and effective at the same time. It plines. Lectures by art historians, critics, and art- was only consistent, then, that the character of ists who write, such as W.J.T. Mitchell, Paolo Vir- Bartleby from Herman Melville’s eponymous no, and Jutta Koether, and debates with Benjamin short story, with his categorical refusal to meet Buchloh, Yve-Alain Bois, and Helmut Draxler society’s demands, stood at the center of a semi- have brought the international philosophical and nar that placed Bartleby’s famous sentence, “I art-historical discourse to Frankfurt. According would prefer not to,” in the context of artistic to its programmatic motto, Adorno’s dictum that production. Considerations upon classical posi- “every theory of art must at the same time be the tions of so-called “market-reflexive art,” art that critique of art,” the institute attempts to discover is conscious of its role in an operational system new facets of the concept of art criticism from dominated by the art market, were the subject of the perspective of contemporary artistic produc- a lecture series. Finally, the conference Under tion. Pressure, held in the summer of 2007 in coopera- Isabelle Graw’s own lectures and seminars sim- tion with the Institute for Social Research, was ilarly address subjects that one might not expect to devoted to the precarious status of being an artist find in the curriculum of an art academy; subjects and to possible scenarios of escape or dropping that show, however, how closely the contemporary out. With Isabelle Graw, studying art is itself a production of art is entwined with other social central object of an education that wants to pro- and political fields: the history of automatism, the vide food for thought and heighten students’ con- interrelations of art, market, and fashion, or the sciousness of their—future—role as artists. A political potential of contemporary art. That artis- great deal of theory, but also a great deal of inspi- tic practice not only creates external resonance ration, and not only for the Städelschule: her but unfolds a theoretical horizon of its own is an- classes are also popular among non-students. other premise of Graw’s mediating practice, which includes, as a matter of course, that the stu- Isabelle Graw is a professor at the Städelschule since 2001. dents speak about their own works and write es- says in art criticism. There is even space for exper- imentation with “écriture automatique.”

––– 344 ––– portraits ––– Rehberger Michael Krebber _ Vanessa Joan Müller

Malerei/Painting

––– 345 ––– Im Oktober 1990 verlas Michael Krebber als An- diskutiert werden kann. Auch sonst werden Din- trittsrede für Martin Kippenberger in der Städel- ge aproppriiert, in einen anderen Kontext ge- schule ein Interview, das Diedrich Diederichsen rückt oder klassisch zitiert. Vieles sieht auf pro- mit ihm geführt hatte. Seit 2004 ist er selbst Pro- duktiv-irritierende Weise unvollendet aus, wobei fessor für Malerei. Für seine Studenten hat er ein die Kategorie der Finalität für Krebber jedoch Fach eingerichtet, in dem er verschiedenste Din- per se keine Rolle zu spielen scheint. Das tenden- ge offeriert – CDs, Rezensionen aus Kunstzeit- zielle Scheitern – am historischen Bezugsrahmen, schriften, Kataloge und Bücher. Es ist eine stetig am Imperativ der Innovation – ist seinen Bildfin- sich verändernde und erneuernde Material- dungen vielmehr ohne zwingend negative Konno- sammlung, die jenen intellektuellen Horizont tation eingeschrieben. Subtile Gesten, alle mög- markiert, der auch Krebbers eigene Malerei und liche Arten von Ausfransungen oder minimale ihre impliziten Referenzen bestimmt. Dieses Akzentuierungen von bereits Bestehendem len- „Miscellany” verbreitet ein Wissen, das sich ken den Blick auf Möglichkeiten malerischer überraschenden Konstellationen verdankt und Komposition im weitesten Sinne. Dass dieses Horizonte eröffnet, die scheinbar wenig mit Ma- nichts Zögerliches hat, sondern zu verstehen gibt, lerei zu tun haben und dann doch, gerade weil sie worum es hier denn eigentlich geht, zählt zu den diese als Medium ignorieren, wieder dort anset- interessanten Paradoxien seiner gleichermaßen zen, wo die Diskussion über die Relevanz von Ma- formalen wie figurativen Malerei. lerei erneut beginnt. Michael Krebber hat das Konzeptuell angelegt, bedient sich Krebbers einmal als „Abarbeiten an Vorbildern” bezeich- Kunst überdies nicht ausschließlich malerischer net, wobei diese Vorbilder von Alfred Hitchcock Mittel, sondern schöpft aus einem größeren Bild- über Jacques Tati bis zu Charles Ives reichen, die reservoir – Postkarten, Einladungskarten, selbst dann wieder mit Balthus und Jean Fautrier kurz- bedruckte Bettwäsche bilden visuelle Resonanz- geschlossen werden können. Bezüge zu Popmu- körper, auf die er mit subtilen Gesten reagiert. sik und Mode zählen ebenso dazu wie ein fast Der Präsentationsmodus dieser Werke bleibt je- schon dandyhaftes Faible für Idiosynkrasien. doch stets im weitesten Sinne dem des Tafelbil- Das Verstehenwollen, worum es geht in der Male- des verpflichtet. Manchmal zeigt Michael Kreb- rei, endet hier nicht in der kunsthistorischen Ge- ber auch lediglich vorgefundene Fotografien aus nealogie, sondern greift auf, was als potenzielle seinem Archiv, die dann in ihrer Präsentation „Interessantheitssphäre” auftaucht – zufällig, und Kontextualisierung im Ausstellungsraum oder, vielleicht noch wichtiger, vermittelt über auf die Funktionsweise von Bildern verweisen. ein ausdifferenziertes System tatsächlicher oder In der Städelschule steht seine minimalisti- möglicher Dialoge. Und auch wenn Michael Kreb- sche Malerei für eine theoretisch wie kunsthisto- ber unter dem Titel „... (curated by Michael Kreb- risch informierte Praxis, die ihr Medium in ak- ber)” eine Ausstellung im Portikus konzipiert, tuelle Diskurse einbindet, ohne die lange Ge- handelt es sich zum einen um das Versammeln schichte seiner Genese auszublenden. Das Sich- von Positionen, die er für wichtig erachtet, ande- Abarbeiten an Bestehendem wird zur gebrochen rerseits aber auch um die Verweigerung einer hedonistischen Geste, die um das Raffinement Namensliste, die vorschnelle Rückschlüsse er- von Differenz und Wiederholung weiß. Insofern laubt. Vom ironischen Spiel mit der gängigen gilt als Motto auch hier der schöne Titel eines „Der Künstler als Kurator”-Attitüde ganz abge- Buches, in dem auch Michael Krebber über seine sehen. Affinität zum produktiven Scheitern berichtet: Michael Krebbers eigene Malerei ist eine im- Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wieder- plizite Befragung der Geschichte der Malerei, ih- holen. rer formalen Parameter, ihres Pendels zwischen Abbild und Abstraktion. Diese Reflexion des Me- Michael Krebber ist seit 2004 Professor an der Städelschule. diums ist jedoch von keinem avantgardistischen Überwindungswillen geprägt, sondern weiß um die immanente Wiederholung, die jede Geste im- pliziert. Die Rhetorik der Hängung spielt deshalb eine wichtige Rolle, ebenso das Verhältnis von Bild und Rahmen, Rahmen und Wand. Die Titel seiner Werke sind nicht erläuterndes Supple- ment, sondern eröffnen Ebenen, auf denen neu

––– 346 ––– Michael Krebber

In October, 1990, Michael Krebber read, in per- looks incomplete in a productively irritating way, forming Martin Kippenberger’s inaugural ad- although the category of finality does not seem to dress at the Städelschule, an interview the latter play any role in general for Krebber. The tendency had given to Diedrich Diederichsen. Since 2004, toward failure—toward coming to grief against he has been a professor of painting himself. He the historical frame of reference, against the im- has set up a shelf for his students where he offers perative of innovation—is instead inscribed into them all sorts of things—CDs, reviews from art his compositions without necessarily carrying journals, catalogs, and books. The result is an ev- negative connotations. Subtle gestures, all sorts er-changing and regenerating collection of mate- of frayed margins, or minimal accents placed on rials that marks the intellectual horizon that de- preexisting materials direct the viewer’s atten- fines also Krebber’s own painting and its implicit tion to the possibilities of pictorial composition references. This miscellany disseminates a in the widest possible sense. It is one of the inter- knowledge that is owing to surprising constella- esting paradoxes of Krebber’s equally formal and tions and opens horizons which seem to have lit- figurative painting that this practice is in no way tle to do with painting; but, precisely because unassertive but rather gives to understand what they ignore the latter as medium, engage again at is truly at issue here. the point where the debate over the relevance of Conceptual in its approach, Krebber’s art does painting begins anew. Michael Krebber has once moreover not limit itself exclusively to painterly called this “laboring with the predecessors,” the means, but rather draws on a larger repertoire of latter ranging from Alfred Hitchcock to Jacques imagery—postcards, invitations, even printed Tati and Charles Ives, who can then be short-cir- bedsheets form bodies of visual resonance to cuited with Balthus and Jean Fautrier. This in- which he reacts with subtle gestures. The mode cludes references to pop music and fashion as of presentation of these works, however, remains well as an almost dandyish soft spot for the idio- obliged in a wide sense to that of the panel. Some- syncratic. The desire to understand what paint- times, Krebber also shows merely found photo- ing is about does here not come to a rest in art- graphs from his archives, whose presentation historical genealogy, but instead seizes on what and contextualization in the exhibition space emerges as a sphere of potential interest—by ac- then points toward the ways paintings function. cident or, perhaps even more importantly, by me- At the Städelschule, his minimalist painting diation through a differentiated system of actual represents a both theoretically and art-historical- or possible dialogues. Similarly, when Michael ly informed practice that embeds its medium in Krebber designs an exhibition at the Portikus un- current discourses without being blind to the der the title “… (curated by Michael Krebber),” long history of its genesis. The act of laboring his concept is, on the one hand, an assembly of with what is already there becomes a fractured the positions he thinks are important, but also, hedonistic gesture, one conscious of the refine- on the other hand, a refusal to offer a list of ment of difference and repetition. The fine title names that would permit premature conclusions; of a book in which Michael Krebber, among oth- not to mention the ironic play with the current ers, tells of his affinity with productive failure attitude of “the artist as curator.” can also serve, then, as a motto for the present Michael Krebber’s own painting is an implicit context: If nothing else works, repeat the repe- interrogation of the history of painting, of its tition. formal parameters, its oscillations between rep- resentational image and abstraction. This reflec- Michael Krebber is a professor at the Städelschule since 2004. tion upon the medium, however, is not propelled by an avantgardistic will to overcome it; it takes place in full awareness of the immanent repeti- tion implied by any gesture. Hence, the rhetoric of the hanging plays an important role, and so do the interrelations between painting and frame, between frame and wall. The titles of his works are not explanatory supplements but instead open new levels of possible discussion. Things are being appropriated, placed in new contexts, or classically quoted in other ways, too. Much

––– 347 ––– Mark Leckey _ Vanessa Joan Müller

Film/Film

––– 348 ––– Mark Leckey

Mark Leckey gräbt sich auf der Suche nach be- strakten Fortschreitens in der Zeit und fügt dem reits existierenden Bildern und Klängen durch Fortgang der Erzählung subjektive Qualitäten die Oberfläche der wahrnehmbaren Welt, die für hinzu, durch die er sich entfaltet und den ver- ihn Momente der Indentifikation oder des Begeh- schiedenen, im Kopf einer Person ausgeführten rens bedeuten. Indem er sie nach Harlekin-Art Momenten gleicht, manchmal eher verschwom- zusammenstückelt, stellt Leckey in den Medien men, andere Male dagegen mit scharf umrisse- Video, Skulptur und Performance so etwas wie ner Klarheit. vierdimensionale Collagen her. Obwohl es sich Parade wurde zur Gänze in einem künstlichen bei ihnen allen in gewisser Weise um Selbstpor- Atelierraum in Szene gesetzt. Durch die schicht- träts handelt, erhaschen diese Einzelwerke die weise Anordnung von Film, fotografischen oder reale Präsenz des Künstlers allenfalls bruchstück- performten Bildoberflächen vor einem schwar- haft – seine Stimme vielleicht, sein Bild oder sein zen Hintergrund wird jedes einzelne Element mit Lebensumfeld. symbolischem Gewicht und Intentionalität aus- Leckeys Umgang mit seinem Medium ist iden- gestattet. Die sich wandelnde Wiederholungs- tisch mit dem, was er darstellt. Sein Subjekt ist so schleifen-Struktur des Films ergibt im Zusam- sehr eingelassen in die Oberfläche der bewegten menspiel mit den mehr oder weniger durchge- Bilder, dass Beobachtungswahrheit und manipu- henden Eindrücken von Schwenks im Innern lierte Fiktion unmöglich auseinander zu halten eines abgeschlossenen Raums ein Gefühl von sind. Der Künstler tritt in die frenetischen, kan- Platzangst. Es gibt den flüchtigen Blick auf ein tigen Bewegungen des tanzenden Jungen in Fi- gelblich-weißes Tageslicht, das in der Dunkelheit orucci ein und beschleunigt die Sequenzschleife, des Films als eine Art „Tagesanbruch” erschei- um sein Subjekt in manische Besessenheit von nen könnte, doch ist bei dieser Kreisstruktur der Musik zu treiben; bei Parade legt er die kos- kaum an „zyklische” Natürlichkeit zu denken. metische Behandlung seines eigenen Gesichts in Bei Parade geht es eher um die Täuschung des zwei Schichten mit Makeup und digitalen Photo- Sehens. Der Zyklus seines Subjekts bleibt frucht- shop-Techniken an und kopiert die vier Wände los, er beschreibt den fortwährenden Übergang seines Zimmers in das Bild hinein, um so den ar- von der Einverleibung von Bildern in eine inne- chitektonischen Raum auf eine einzige visuelle re, subjektive Sichtweise zur äußeren Darstel- Fläche zu reduzieren. Die empirische Leichtig- lung des Bildes und umgekehrt. keit des Mediums Video nimmt Leckey bewusst Ein unnatürlicher Mechanismus treibt diesen zurück, indem er stattdessen fantastisches Poten- halluzinatorischen Kreislauf in Gang. Auf hal- tial erforscht: er verschleiert das Dokumentari- ber Distanz im Loop bleibt das Kameraauge an sche mit billigen Disco- und Horroreffekten – einem hell strahlenden Schaufenster hängen. Trockeneis oder Stroboskoplicht – und zerrt die Nach dem Durchgang durch die Hieroglyphe des Zeitschiene in gegenläufiger Richtung zur Bewe- schwarzgoldenen Ladenschildes (man liest “Elle: gung des Mediums, indem er die Beteiligten dazu Exclusive Designs for Men”), zeigt Leckey sich anweist, unbewegte Posen einzunehmen, als selbst, wie er einen Schuh aus der Auslage hoch- stünden sie für altmodische Fotografien mit lan- hält und mit offenbar fetischister Geste dessen ger Belichtungszeit Modell. glänzende Oberfläche reibt. Zu einem früheren Mit diesen Mitteln nimmt Leckey auseinan- Zeitpunkt in dieser Arbeit sieht man eine Nah- der, was Gilles Deleuze als homogenisierende Wir- aufnahme der matten Textur von Leckeys gegel- kung des Bewegungsbildes beschrieb, durch das ten Haaren in einen scharfen Kontrast zu den “Jeden-Moment-Dinge” zur zusammenhängen- glatten Gesichtern von Werbemodels gestellt. In den Reihe verbunden werden, indem sie einfach dieser Sequenz wirkt das eigene Fleisch des durch Zeitmomente in gleichmäßigen Abständen Künstlers neben dem tiefen Glanz gegerbter Tier- eingespeist werden, und zudem zerlegt er Walter haut sehr verletzlich und wirklich. Als beschwör- Benjamins Begriff des demokratischen Bilds in te das Reiben des Schuhs – das spürbare Erschau- der Fotografie, das unfreiwillig ein “optisches ern der beiden Oberflächen aneinander – einen Unbewusstes” offen legt. Der Form und dem In- Flaschengeist herauf, der Leckeys physische Per- halt nach favorisiert Parade eine altmodische son zu einem widerspruchsfreien Fantasiebild Vorstellung des Unbewussten, die mit Träumen umformt. Wie die Frauen bei Baudelaire, die sich und Visionen zusammenhängt. Wie bei Fiorucci, durch das Reispuder und das Kajal „Marmorsta- zerstört Leckeys komplexe Materialverquickung tuen” angleichen, ähnelt er nun einer Schaufens- jedes Gefühl eines äußeren, rationalen oder ab- terpuppe mit perfekter gelblich gebräunter Haut,

––– 349 ––– bleich rosafarbenen Lippen und geweißten, in man sieht, die Spiegelung auf der Oberfläche eines Konturstift gerahmten Augen. gewölbten Gegenstandes ist: die verspiegelte Aus- Das Begehren des Künstlers, das Bild zugleich senhaut von Jeff Koons’ silbernem Bunny aus zu schaffen und in ihm zu leben, verweist auf die seiner Celebration Serie und ein verkürzter Aus- Schwierigkeit, den traditionellen Geltungsbe- zug aus Made in ‘Eaven. Die Tonspur ist aus Stan- reich der Kunst von jenem zu trennen, in dem sie ley Kubricks A Clockwork Orange gesampelt: “Oh zum Vehikel der herrschenden Ideologie wird. Seligkeit. Seligkeit und Himmel. Oh ja, es war Nach Guy Debord ist das Bild unauflöslich mit Fleisch gewordene Pracht und Prächtigkeit. Wie den Definitionsmerkmalen des kapitalistischen ein Vogel aus dem allerseltensten himmlischen „Spektakels” und seiner beständigen, trugbild- Metallgeflecht, silbriger Wein, der durch ein Raum- haften Unverfügbarkeit verknüpft. Mit der ge- schiff rollt. Schwerkraft ist da nur noch ein Un- heimnisvollen und düsteren Atmosphäre dieser sinn…”. In einem Absturz nach dem pompösen, Arbeit schreibt Leckey eine Neufassung des Nar- an Regency erinnernden Vorspann endet der rativs kapitalistischer Logik, indem er es durch Trailer mit dem Ekel erregenden Bild der ge- die Ermöglichungsfantasie des Magischen er- zeichneten Figuren aus dem Unterhaltungsblatt setzt. Parade fantasiert und manifestiert zugleich Viz, den Drunken Bakers. Einer der Bäcker (Le- die Fähigkeit des Künstlers, die Innenraumfrei- ckey selbst spricht ihn) flüstert uns vertraulich heit des Bildes für sich in Besitz zu nehmen. zu: “Ich dachte, ich hätte was gesehen…”. Doch lässt Leckey in der Mitte der Arbeit eine Wie bei Leckeys früherem Werk Parade (2004) Einstellung auftauchen, in der man ihn durch ei- entstehen aus den als Schleife montierten fünf nen höhlenartigen Kircheninnenraum gehen Minuten ein beschleunigter Kreislauf des Sehens sieht. Eine künstlich angepasste Tonspur mit von und der Täuschung, durch den jene Kombination einem Steinboden widerhallenden Fußschritten aus Praxisnähe und Ehrgeiz aufgerufen wird, um gibt der Szenerie zusätzliche räumliche Tiefen- die es beim Kunstmachen geht: das Kaninchen wirkung. Der leere Raum und die Klangverzöge- steht so für eine Ebene der physischen, fast im- rung erzwingen Aufmerksamkeit aus einem an- materiellen Vollkommenheit, die sich den Bäckern deren Register und veranlassen einen zu einer ständig aufs Neue entzieht. Leckey verwendet die Einschätzung dazu, was es bedeutet, wenn sich kürzere Arbeit auch um unterschiedlichste Ein- das Individuum um der Erkennbarkeit willen der schübe von Bildmaterial aus Zeitschriften hinein- Befindlichkeit des unbelebten Bildes anzuglei- zubringen, als handle es sich um Readymade-Er- chen hat. Durch das Aufgehen im Spektakel und satzgegenstände für einen Denkprozess in seiner durch die Bildwerdung verwirklicht das Künst- mit Popkultur beladenen Einbildung. In diesen lersubjekt die Fantasievorstellung einer trans- Filmen ist Leckeys eigenes Selbstbild abwesend. zendenten Abstraktion, wird dabei jedoch für Doch bedient er sich bereits existierender Kultur- sich selbst unverfügbar. Dieses Szenario macht gegenstände, um an ihnen eine Subjektitvität als das Künstlersubjekt auf extreme Weise sichtbar, Künstler zu erproben, was zu einer wechselseiti- doch belässt sie innerliche Subjektivität in einer gen Verwandlung führt, bei der er ihnen und sie nicht wahrnehmbaren Dimension. Parade er- ihm innewohnen. weist sich als eine Abfolge verführerischer und Bei Made in ‘Eaven zeigt Leckey, dass die ma- schöner Bilder, doch ist seine Kernaussage die kellose Oberfläche von Koons’ Skulptur durch ih- eines Klageliedes. re eigene, spiegelbildliche Vollkommenheit ver- Durch ihre gemeinsame Installation im Porti- flüssigt wird. Sie spiegelt ihre Umgebung so klar kus schufen Leckeys Videoarbeiten Made in und deutlich wider, dass sie das Lebensumfeld ’Eaven (2004) und Drunken Bakers (2005) ein un- des Künstlers (den Leckey in früheren Werken wirkliches, asymmetrisches Diptychon zur Be- als Stellvertreter seiner selbst eingesetzt hat) ge- deutung des Produzierens von Kunst. Der rasend radezu in sich einsaugt, so weitgehend, dass der schnelle „Trailer” Gorgeousness and Gorgeosity Kamin und die symmetrischen Erker sich als er- (2005) zieht die Betrachter in ihre halluzinatori- satzweise Züge in das leere Bunny-Gesicht hin- sche Doppelkammer. Er beginnt mit einer Ein- einverwandeln. Der Atelierraum wiederum wird stellung, in der man die Atelierwohnung des durch die Vergrößerungslinse der glänzenden Künstlers sieht, die man bereits aus früheren Ar- Oberfläche verzerrt und scheint bis zum Äußers- beiten kennt. Doch sieht man das Zimmer hier ten angeschwollen, durch die Begegnung mit der umgedreht, verformt und verzerrt. Wenn die Ka- berühmten Skulptur wie aufgeblasen. In klarem mera sich zurückzieht, wird sichtbar, dass, was Gegensatz zu der verfeinerten Computertechno-

––– 350 ––– Mark Leckey logie, die zur Herstellung dieser Arbeit nötig war, stant-whatevers” into a coherent sequence sim- gehören zur Welt der Drunken Bakers ganz ein- ply by feeding them through evenly paced mo- fache Einstellungen, die den gefundenen, schlicht ments of time, and undoes Walter Benjamin’s mit Feder und Tinte gezeichneten Comic zeigen. conception of the democratic capture of the pho- Vergammelt und überfließend vor Backmischung tograph which involuntarily reveals an ‘optical und Erbrochenem, verbleibt diese Welt durch das unconscious’. In form and content, Parade favors permanente Vergießen von Wein dauerhaft in ih- an old fashioned idea of unconsciousness to do rem noch rohen Zustand. Aufnahmen von Leckeys with dreams and visions. As in Fiorucci Leckey’s Stimme klingen hinter den flachen Bildern wie complex weaving of material disrupts any sense mit echter Tiefe und Pathos gesprochen, wodurch of an external, rational or abstract progression sich seine eigene künstlerische Praxis dem sisy- of time, infusing the narrative progression with phosgleichen Eifer der Bäcker angleicht, die im- subjective qualities so that it unfolds to resemble mer wieder jede Episode mit großen Plänen für different moments played out, at times hazily and neue – und zum Scheitern verurteilte – Produkti- at other times with piercing clarity, in someone’s onen beginnen. head. Parade is staged entirely inside an artificial Mark Leckey ist seit 2005 Professor an der Städelschule. studio space. Built from layer upon layer of film, photographic or performed image surface against a black backdrop, each element is placed with symbolic weight and intention. The film’s mutat- Mark Leckey mines the surface of the perceptible ing looped structure, combined with its more or world for pre-existing images and sounds, which less continuous impression of panning around in- for him represent moments of identification or side an enclosed space, gives it a claustrophobic desire. Stitching them together, harlequin-like, quality. There is a passing glimpse of yellow- Leckey makes what might be described as four-di- white daylight which might appear as a kind of mensional collages, in the media of video, sculp- ‘daybreak’ from the film’s darkness, but this cir- ture or live performance. Though they are all, in cular structure does not connote ‘cyclical’ natu- a sense, self-portraits, these individual works on- ralness. Rather, Parade deals with delusional vi- ly ever capture fragments of the artist’s actual sion. Its subject’s cycle is a fruitless one which de- presence—perhaps his voice, his image or his liv- scribes the continuous transition from the con- ing space. sumption of images to internal subjective vision Leckey’s treatment of his medium is identical to external presentation of image and back again. with what he represents. His subject is embedded It is an unnatural mechanism which propels in the moving image surface to such an extent that this hallucinatory cycle. Mid-way through the it is impossible to unpick observed truth from ma- loop, the camera eye rests on a gleaming shop nipulated fiction. The artist intervenes in the fre- window. Passing through the hieroglyph of the netic, angular movement of a dancing boy in Fi- black and gold shop sign (reading “Elle: Exclu- orucci, speeding up the loop to push his subject to sive Designs for Men”) Leckey presents himself maniacal possession by the music; in Parade, he holding a shoe from the display, fetishistically double-layers the cosmetic treatment of his own rubbing its lustrous surface. Earlier in the piece face using make-up and digital photoshop tech- a close-up of the matted texture of Leckey’s niques, and cuts and pastes the four walls of his gelled hair is contrasted sharply with the smooth room in order to flatten architectural space onto a faces of model girls billboard perfection. Similar- single visual plane. The empirical facility of the ly, in this passage, the artist’s own flesh appears video medium is deliberately undone as Leckey vulnerable and real next to the deep gloss of mines its fantastical potential instead: obfuscating treated animal skin. It is as though rubbing the documentation with cheap disco and horror ef- shoe—the palpable frisson of the two surfaces— fects—dry ice or strobe lighting—and dragging conjures a genie in the lamp which transmutes time against the momentum of the medium by di- Leckey’s physical self into seamless, fantasy im- recting participants to strike still poses as though age. Like Baudelaire’s women who in their rice they are standing for long-exposure photographs. powder and kohl resemble ‘marble statuary’, he In these ways, Leckey pulls apart what Gilles now resembles a mannequin with perfect tawny Deleuze has described as the homogenizing effect skin, pale pink lips and white-whited, eyeliner- of the movement-image which connects “any-in- rimmed eyes.

––– 351 ––– Mark Leckey

The artist’s desire to both create and inhabit ends with an abject image of the Viz magazine the image points to the difficulty of separating characters, the Drunken Bakers. One of the Bak- the traditional domain of art from the vehicle of ers (spoken by Leckey himself) confides in a whis- dominant ideology. According to Guy Debord, the per, “I thought I saw something…”. image is inextricably bound up with the defining Like Leckey’s earlier work, Parade (2004) the characteristic of the capitalist ‘spectacle’ and its looped five minute generates an accelerated cycle perpetual, mirage-like unobtainability. In the of vision and delusion that speaks of the combi- mysterious and brooding atmosphere of this nation of practicality and aspiration at stake in piece, Leckey rewrites the narrative of capitalist making art: the bunny embodying a level of phys- logic, replacing it with the enabling fantasy of ical, almost immaterial, perfection that, for the magic. Parade both fantasizes and manifests the Bakers, is perpetually out of reach. Leckey also artist’s ability to possess the interiorlessness of uses the shorter piece to insert disjunctive flash- the image. es of image material cut from magazines, as though But in the heart of the piece, Leckey inserts a they are readymade surrogates for a thought pro- shot of himself walking around what appears to cess in his pop-culture-clogged imagination. In be a cavernous church space. An artificially these films Leckey’s own self-image is absent. But matched soundtrack of footsteps echoing on a in both works he takes pre-existing cultural arti- stone floor adds an impression of spatial depth to facts and tests his subjectivity as an artist against the scene. The empty space and the sound delay them, effecting a two-way transformation in which force awareness of an alternative dimension, he inhabits them, and they inhabit him. prompting consideration of what it means if, in In Made in ‘Eaven Leckey shows the pristine order to be recognized, the individual must aspire surface of Koons’s sculpture to be liquefied by its to the condition of the inanimate image. In merg- own mirrored perfection. It reflects the surround- ing with the spectacle and becoming image, the ing environment so lucidly that it sucks in the artist-subject achieves the fantasy of transcen- artist’s living space (used by Leckey in previous dent abstraction, whilst inevitably becoming un- works as a stand-in for his own presence) to the obtainable to himself. This scenario makes the extent that the room’s fireplace and symmetrical artist-subject ultra-visible, but leaves internal bays metamorphose into substitute features for subjectivity to lurk in an imperceptible dimen- the bunny’s blank face. The studio space, in turn, sion. Parade shows itself as a succession of se- is warped by the looking-glass lens of the shiny ductive and beautiful images, but at its core, it is surface and appears engorged to bursting point, a lament. as though inflated by its encounter with the fa- Installed together at Portikus, Leckey’s video mous sculpture. In contrast to the sophisticated works Made in ’Eaven (2004) and Drunken Bakers computer technology used to make this piece the (2005) created a surreal, asymmetric diptych on world of the Drunken Bakers comprises straight the theme of what it means to make art. Drawing shots of the found cartoon rendered in rudimen- the viewer in to their hallucinatory double cham- tary pen and ink. Rotten and fluid with cake mix- ber is the fast-fire ‘trailer’Gorgeousness and Gor- ture and vomit, this world is kept in its uncooked geosity (2005) which opens with a shot of the art- state by the continuous pouring of wine. Record- ist’s studio flat, familiar from previous works. ings of Leckey’s voice resonate with real depth Here, though, the room is seen in reverse, bulging and pathos behind the flat images, equating his and distorted. As the camera pans back it be- own artistic practice with the Sisyphean endeav- comes apparent that the image is a reflection cap- our of the bakers who begin each episode with tured in the surface of a curved object: the mir- grand plans for new productions which perpetu- rored shell of Jeff Koons’s silver bunny, from his ally fail. Celebration series, and an abbreviated extract from Made in ‘Eaven. The soundtrack is sampled Mark Leckey is a professor at the Städelschule since 2005. from Stanley Kubrick’s A Clockwork Orange: “Oh Bliss. Bliss and Heaven. Oh yes, it was Gorgeous- ness and Gorgeoisity made flesh. It was like a bird of rarest spun heaven metal, or like silvery wine flowing in a spaceship. Gravity all nonsense now…”. Crashing down from the high pomp of its Regency-inspired opening titles, the trailer

––– 352 ––– Christa Näher _ Vanessa Joan Müller

Malerei/Painting

––– 353 ––– Christa Näher ist seit 1987 Professorin für Male- ge Zeit hat sie Pferde gemalt, dunkle Landschaf- rei an der Städelschule. Ihre geradezu zeitentho- ten oder leere Räume. Das menschliche Antlitz bene Bildsprache übersetzt vergangene Ideen- trat erst über die Begegnung mit barocken Kas- welten in die Gegenwart und führt die nie abge- traten in ihre Bildwelten ein, die in ihrer male- schlossene Suche nach dem Wesen des Maleri- rischen wie zeichnerischen Interpretation zu schen fort. In dem schnelllebigen Kunstbetrieb Kunstfiguren werden, die auch die Produktion wirkt das manchmal wie aus einer anderen Zeit. von Kunst selbst reflektieren. Der Tendenz der Malerei zum Modischen hat Nä- Dass Kunst und Leben durchaus Verbindun- her sich stets widersetzt, um konsequent die Visi- gen eingehen dürfen, und sei es nur für einen in- on einer Kunst, die epochenübergreifend denkt, szenierten Augenblick, wird vor allem in Christa zu erforschen. Dass ihre Werke auch in Ausstel- Nähers auf den Ort ausgerichteten Ausstellun- lungen wie der Documenta 1982 gezeigt wurden, gen sinnfällig, die einzelne Werke zu atmosphä- gerät dabei manchmal in Vergessenheit, obschon rischen Raumbildern zusammenfügen. In einer sie ihrer Zeit gerade in der Abwendung vom Zeit- Umgebung wie Schloss Assenheim mit seinen geistigen immer ein wenig voraus zu sein scheint. um 1790 entstandenen klassizistischen Räumen, In Lindau am Bodensee geboren, hat Christa in der Näher im Frühjahr 2006 eine Ausstellung Näher in den siebziger Jahren in Berlin Malerei gestaltete, entwickelten ihre Gemälde, Zeich- studiert. Bereits in dieser Zeit der Neuen Wilden nungen und Objekte eine Aura, die scheinbar mit ihren expressiven Großstadtfantasien schlug Vergangenes, aus einer anderen Epoche Stam- sie jedoch andere Töne an und setzte auf das Mys- mendes, gegenwärtig werden ließ. Im rosa Fest- tische, das Zeitlose, das die Gegenwart transzen- saal des Schlosses hatte Näher aus alten Kos- diert. Noch immer schöpfen Nähers Innenwelten tümen und neuen Kreationen ein epochenüber- aus subjektiven Erinnerungen und kollektiven greifendes Hochzeitsbild inszeniert, einen ande- Spuren eines Gedächtnisses, das auch dunkle Sei- ren Raum des Schlosses verwandelte sie in eine ten kennt. Malen, sagt Christa Näher, bedeutet „Sala di Cavalli” mit großformatigen Pferdebil- Erinnern und hat mit der Sehnsucht nach Ver- dern, auf denen prachtvolle Rösser in eleganter söhnung zu tun. Ihre Arbeit gilt dem unendlichen Bewegung zu sehen waren. Der Betrachter wird Gedächtnis, wo auch immer dieses sie hinführt. in Konstellationen wie diesen zum Teilhaber ei- Eine Reise, die keine ist lautet denn auch der Titel ner Reise in die Vergangenheit, die manches wie des Künstlerbuches, das Näher 2001 anlässlich ih- ein irritieren-des Déja-vu erscheinen lässt, gera- rer Einzelausstellung im Frankfurter Kunstverein de auch, weil die meisten Bilder schon existiert realisiert hat. Die konkrete Gegenwart ersetzt sie haben, bevor Näher das Schloss überhaupt kann- durch Zeitreisen in die Vergangenheit, um diese te. Ihre seit zehn Jahren dauernde Beschäftigung lebendig werden zu lassen. Das ist nicht einfach mit dem Barock ist denn auch nicht einfach nur eine Frage der Inspiration, sondern der Bestim- eine Quelle der Inspiration. Christa Näher ist mit mung – „die Bilder wollen mich, nicht umge- ihrer Kunst stets auf einer Fährte, die sich nicht kehrt.” in Werken erschöpft. Es ist ein tiefer reichender Christa Nähers Bilder und Zeichnungen um- Prozess, der das Innerste erschüttern kann, be- kreisen nahe und ferne Orte, das Jetzt und die vor dieses wieder Halt findet in wahlverwandten Vergangenheit, in denen Blumen und Totenschä- Bild- und Erkenntniswelten. Das Barock ist letzt- del sich zu Bildern einer ästhetischen Existenz lich nur eine Wegstrecke in dieser Suche, die jenseits der Zeit verbinden oder barocke Figuren ruhelos, aber alles andere als ziellos ist. und Todesengel auf assyrische Motive treffen. Auch ihr Film Nachgesang, der das Schloss in ih- Christa Näher ist seit 1987 Professorin an der Städelschule. rem Heimatort Wolfegg im Allgäu in den vier Jahreszeiten und eine Begegnung mit dem ster- benden Fürsten zeigt, stellt über einfache wie fas- zinierende Bilder eine Verbindung zur Vergan- genheit und Historie her, die ihrerseits nicht auf- zulösende Restmengen hinterlässt, die sich inter- pretativer Aneignung widersetzen. Vor allem Nähers Affinität zum Barock als Epoche des Zere- moniellen und des gesteigerten Ausdrucks hat sich ihrer Kunst nachhaltig eingeschrieben. Lan-

––– 354 ––– Christa Näher

Christa Näher has been professor of painting at tered her image-worlds only through the encoun- the Städelschule since 1987. Her virtually time- ter with baroque castrati, who in her pictorial less pictorial language translates worlds of ideas and graphical interpretation become artificial from the past into the present, and continues the figures that also reflect the production of art -it ever-unfinished search for the essence of the self. painterly. In the fast-paced art world, that some- That art and life may very well enter into rela- times seems as though from a different time. tions, and be it only for one staged moment, be- Näher has always resisted painting’s tendency to- comes sensually evident especially in Christa ward the fashionable, and instead consistently in- Näher’s site-specific exhibitions, which compose vestigated the vision of an art that thinks across individual works into atmospheric space-images. the eras. It is thus sometimes forgotten that her In an environment like the castle at Assenheim, work was also shown at exhibitions such as the with its classicist rooms created around 1790, 1982 Documenta, even though she seems to be al- where Näher designed a show in the spring of ways a little ahead of her time precisely by virtue 2006, her paintings, drawings, and objects devel- of her turning away from all that is zeitgeist. oped an aura that lent presence to what seemed to Born in Lindau on Lake Constance, Christa be past, to be from a different epoch. In the cas- Näher studied painting in Berlin during the tle’s pink ballroom, Näher had staged a wedding- 1970s. Yet even in those days of the Neue Wilde image across the epochs from old dresses and with their expressive urban fantasies, she struck new creations, whereas another room in the cas- a different note, focusing on the mystical, the tle was turned into a “Sala di Cavalli” with large- timeless that transcends the present. To this day, scale paintings showing magnificent horses in el- Näher’s inner worlds draw on subjective memo- egant motion. In constellations of this kind, the ries and collective traces of a remembrance that viewer becomes a participant in a trip into the knows dark sides as well. Painting, Christa past that makes some things appear as confusing Näher says, means remembering and has to do déja-vus, especially since most of the paintings with the yearning for reconciliation. Her work existed before Näher even knew the castle. Her concerns itself with infinite memory, wherever it engagement of the baroque over the course of may lead her. Eine Reise, die keine ist [A Trip That now ten years, then, is not just a source of inspi- Isn’t One] is thus also the title of the artist’s book ration. In her art, Christa Näher is always pursu- that Näher realized in 2001, on the occasion of ing the track of something that is not exhausted her solo exhibition at the Frankfurter Kunstver- by works. It is a process that reaches deeper, and ein. She supplants the concrete present with may unsettle her innermost before the latter time-travels into the past in order to bring the lat- finds new footing in pictorial and cognitive ter to life. That is a question not merely of inspi- worlds for which Näher feels elective affinities. ration but of vocation—“the paintings want me, The baroque, in the end, is only one leg in a not the other way around.” search that is restless but by no means aimless. Christa Näher’s paintings and drawings circle around places near and far, the now and the past, Christa Näher is a professor at the Städelschule since 1987. where flowers and skulls are joined in images of an aesthetic existence beyond time, or baroque figures and angels of death meet Assyrian motifs. Similarly, her filmNachgesang [After-Song], which shows the castle in her small hometown, Wolfegg in the Allgäu region, during the four sea- sons, as well as an encounter with the castle’s dy- ing lord, establishes, in images that are as simple as they are fascinating, a connection with the his- torical past which, in turn, leaves irresolvable remnants that resist interpretive appropriation. Näher’s affinity for the baroque, as the epoch of the ceremonial and of heightened expression, has left an especially lasting mark on her art. She painted horses for a long time, dark landscapes and empty spaces. The human countenance en-

––– 355 ––– Tobias Rehberger _ Vanessa Joan Müller

Bildhauerei/Sculpture

––– 356 ––– Tobias Rehberger

„Ende November diesen Jahres sollen für die irgendwo präsent. Seine Environments beispiels- Ausstellung #76 verschiedene Veränderungen in weise spielen mit Raum, Mobiliar, mit Zeichen- und um den Portikus vorgenommen werden. Im systemen und Design, mit modernistischen Ent- Rahmen dieses Vorhabens möchten wir Sie um würfen und neueren Produktgestaltungen. So- Ihre Vorschläge bitten.” Mit diesem Schreiben ziale wie interaktive Aspekte sind bei der Anord- wandte sich Tobias Rehberger 1997 an die Besu- nung der Gegenstände ebenso wichtig wie das cher der beiden vorangegangenen Portikus-Aus- zufällige Aufeinandertreffen konträrer Dinge stellungen. Tatsächlich fanden diverse der einge- oder das einkalkulierte Missverständnis. Wäh- reichten Veränderungsvorschläge in Bezug auf rend das Produktdesign die „Nützlichkeit” von die Architektur und Inneneinrichtung Berück- Gebrauchsgegenständen um einen ideellen sichtigung: Der Wunsch nach Sitzmöglichkeiten Mehrwert ergänzt, fragt Tobias Rehberger nach resultierte in verschiebbaren Hockern mit eigen- der Entfremdung der Dinge von ihrem Gebrauch ständiger skulpturaler Qualität, vor der Treppe im Reich der Kunst. Was passiert, wenn afrika- des Portikus wurde eine Rampe für Rollstuhlfah- nische Handwerker moderne Möbelklassiker an- rer installiert und die Bitte, der Boden möge hand von Zeichnungen nachbauen? Ist in einer nicht vollkommen lautlos sein, führte zur tempo- Kiste tatsächlich ein Maserati untergebracht, rären Installation eines Holzbodens. wenn der Künstler dies behauptet? Tobias Rehbergers kalkulierte Gratwande- Überraschungsmomente bestimmen seine rung zwischen Kunst und Design produziert Ob- Auftritte bei Ausstellungs-Großereignissen. Auf jekte, die scheinbar von Nutzen sind, im Gegen- der Expo 2000 in Hannover hat Rehberger einen satz zum reinen Produktdesign jedoch ein Inte- japanischen Garten präsentiert, der mitten im resse an jenen sozialen Konstrukten und kommu- Sommer täglich mit Schneekanonen beschossen nikativen Kooperationen zeigen, die Subjektivi- wurde. Sein Beitrag für die Venedig Biennale täten in präfabrizierte Muster lenken und über 1997 bestand in der Gestaltung von Unterwäsche Formen und Funktionen entscheiden. Die Signa- für das weibliche Aufsichtspersonal. tur des Sozialen steht in seinen skulpturalen Ob- Früher hat er selbst bei Thomas Bayrle und jekten und Installationen neben jenen ästheti- Martin Kippenberger an der Städelschule studiert. schen Entscheidungen, die klassische Vorstel- Mittlerweile ist er Professor für Bildhauerei und lungen künstlerischer Praxis evozieren. Doch Prorektor der Schule. Er hat das Interimsgebäu- auch diese unterläuft Rehberger mit Kalkül. Sein de des Portikus am Weckmarkt als White-Cube- Atelier im Frankfurter Rotlichtviertel ist ein Pro- Container gestaltet, der sich einerseits als impro- duktions- und Organisationsbüro, das seine in- visierte Zwischenlösung zu erkennen gab, ande- ternationalen Ausstellungsaktivitäten organi- rerseits jedoch die Bedingungen institutionellen siert und die Produktion der Werke überwacht, Ausstellens garantierte und das Organisieren der deren Herstellung wiederum anderen, speziali- Ausstellung über ein von außen wie innen ein- sierten Händen übereignet wird. Tradierte Vor- sehbares Büro gleich mit zum Exponat erklärte. stellungen künstlerischer Autorenschaft werden 2003 erhielt er den Karl-Ströher-Preis für seine dabei ebenso in Frage gestellt wie das Verhältnis „zwischen Funktionalität und Nutzlosigkeit os- von Idee und Ausführung. Rehberger koordiniert zillierenden Modelle, Bilder und Skulpturen”. Mit primär die verschiedenen Prozesse der Kunst- Tobias Rehberger lebt aber nicht nur die konstan- werdung einer Idee, baut aber auch Unschärfere- te Befragung nach dem Funktionieren von Kunst lationen ein, die eindimensionale Lesarten des und Kunstbetrieb fort. Auch die traditionelle Wer-kes verhindern und Eindeutigkeiten vermei- Fußballbegeisterung der Städelschule, die Er- den. Dass alles in irgendeiner Form schon vor- kenntnis, dass gutes Essen die Kommunikation handen ist, gehört zu den Prämissen seiner ge- fördert und man als international renommierter stalterischen Tätigkeit, die die Idee des Entwer- Künstler seine Weltoffenheit selbst in Frankfurt fens von dem Zweck befreit. sehr gut ausleben kann, verbinden sich mit sei- Ob es sich um nachgebaute Designikonen ner Person. oder prestigegeladene Objekte der Warenwelt handelt, um global vernetzte Kommunikations- Tobias Rehberger ist seit 2001 Professor an der Städelschule. systeme oder scheinbar funktionslose Module, die Reflektion der eigenen Position als Künstler und Akteur innerhalb eines ausdifferenzierten Betriebssystems ist in allen Werken Rehbergers

––– 357 ––– Tobias Rehberger

“For exhibition #76, various changes are sched- active aspects are as important to the placement uled to be made in and around the Portikus in of his objects as the incidental collision of con- late November of this year. In the context of this traries or a calculated misunderstanding. Where- project, we would like to ask you for any sugges- as product design supplements the “usefulness” tions you might have.” Tobias Rehberger ad- of commodities with an ideal surplus value, Tobi- dressed these lines in 1997 to the visitors of the as Rehberger’s question concerns how things are two preceding shows at the Portikus. Indeed, var- alienated from their use in the realm of art. What ious submissions regarding the architecture and happens when African craftsmen rebuild classics interior decoration met with consideration: the of modern furniture design based on drawings? desire for seating options resulted in movable Does one box indeed contain a Maserati, as the stools that had a sculptural quality in their own artist claims it does? right, a wheelchair ramp was installed in front of Moments of surprise are characteristic of his the stairs to the Portikus, and the request that the appearances at large-scale exhibition events. floor not be entirely silent led to the temporary During the Hanover Expo 2000, Rehberger pre- installation of a wooden floor. sented a Japanese Garden that was targeted with Tobias Rehberger’s calculated tightrope walk snow guns every day, in the middle of summer. between art and design produces objects that His contribution to the Venice Biennial of 1997 seem to have a use value and yet, in contradis- consisted in the design of underwear for the fe- tinction to product design pure and simple, male museum attendants. evince an interest in those social constructs and He was a student at the Städelschule himself, acts of communicative cooperation that channel under Thomas Bayrle and Martin Kippenberger. subjectivities into prefabricated patterns and de- He is now a professor of sculpture at the school termine forms and functions. The signature of and its prorector. He designed the interim build- the social is in his sculptural objects and installa- ing of the Portikus on Weckmarkt as a White tions joined with the kind of aesthetic decisions Cube container that was recognizable, on the one that evoke classical notions of artistic practice. hand, as a temporary solution, but on the other Yet Rehberger undermines the latter, too, in a cal- hand secured the conditions required for institu- culated way. His studio, located in downtown tional exhibitions and, by virtue of an office open Frankfurt, is a production and office, organizing to the view from both the inside and the outside, his international exhibition activities and super- simply declared the organization of an exhibi- vising the production site of the works, the man- tion another exhibit. ufacturing of which is in turn entrusted to other, In 2003, he was awarded the Karl Ströher prize specialized hands. Traditional notions of artistic for his “models, paintings, and sculptures, which authorship are thus called into question, as is the oscillate between functionality and uselessness.” relation between idea and execution. Rehberger Yet Tobias Rehberger’s work not only continues primarily coordinates the various processes by the insistent inquiry into the way art and the art which an idea becomes art, but also integrates world work. Also associated with his name are uncertainty principles that prevent a one-dimen- the school’s traditional enthusiasm for soccer, sional reading of the work and help maintain am- and the recognition that good food facilitates biguities. That everything is already available in communication and that an internationally re- some form is one of the premises of his design nowned artist can live his cosmopolitanism to the activity, which liberates the idea of conceiving fullest even in Frankfurt. from purposiveness. Be it reconstructions of design icons or high- Tobias Rehberger is a professor at the Städelschule since 2001. prestige objects from the world of commodities, be it globally networked systems of communica- tion or seemingly functionless modules: the re- flection on his own position as an artist and actor within a highly differentiated system of opera- tions is present somewhere in any one of Reh- berger’s works. His environments, for instance, play with space and furniture, with systems of signs and designs, with modernist conceptions and more recent product design. Social and inter-

––– 358 ––– Willem de Rooij _ Vanessa Joan Müller

Freie Bildende Kunst/Fine Art

––– 359 ––– Blumensträuße als Zusammenstellung ideologisch 2006 ist Willem de Rooij im Rahmen eines DAAD- aufgeladener Farbkonstellationen. Eine Abfolge Stipendiums nach Berlin gezogen und hat im von Dias, die verschiedene Abstufungen der Far- Sommersemester des gleichen Jahres als Nach- be Orange mit ihren konnotativen Implikationen folger von Wolfgang Tillmans seine Lehrtätigkeit wiedergeben. Schwarzweiße Reproduktionen an der Städelschule aufgenommen. kaukasischer Teppiche in Originalgröße. Fast sta- Neben der kontinuierlichen Beschäftigung tische Kameraeinstellungen, die sich auf einen mit der Sprache des Kinos steht für de Rooij vor Slum in Jakarta bei Sonnenaufgang richten, auf allem die Auseinandersetzung mit unserer zu- einen Eisberg bei Grönland oder eine zur Mo- nehmend visuell geprägten Kultur, aber auch das schee umgewandelte Kirche in Amsterdam. Ein Nachvollziehen der Hintergründe prominenter Spielfilm und Familiendrama vor artifizieller -Ku medialer Bilder. Seine Arbeit Index: Riots, Pro- lisse, dessen Dialoge Zitate von Politikern verar- test, Mourning, and Commemoration (as represent- beiten. Willem de Rooij hat gemeinsam mit dem ed in newspapers, January 2000 – July 2002) bei- im Februar 2006 verstorbenen Jeroen de Rijke spielsweise versammelt Bilder aus Zeitungen, die Filme gedreht, Fotografien produziert und Kon- Menschenansammlungen zwischen Trauer, Pro- texte geschaffen, die ihre visuellen Investigationen test und Gedenken zeigen. Es sind Pressefotos, in in einem Rahmen präsentieren, der weit über for- denen Emotionen öffentlichen Ausdruck finden. mal-ästhetische Korrespondenzen hinausgehend Der Grund der verschiedenen Formen der Erre- die gesellschaftlichen wie politischen Bezugssys- gung ist durch die Ausblendung der zu den Foto- teme der globalen Bildproduktion einfließen lässt. grafien gehörenden Artikel jedoch unkenntlich Die koloniale Vergangenheit der Niederlande gemacht. Dadurch wird die tendenzielle Ähnlich- spielt dabei ebenso eine Rolle wie die subtile ras- keit der Ausdrucksformen, unabhängig von ih- sistische Ausgrenzungspolitik des Westens und rem jeweiligen politischen oder kulturellen Kon- die allgemeine Kulturalisierung der Lebenswel- text, sichtbar und der Blick auf die Problematik ten. Jedem Werk gingen intensive Recherchen vo- der Repräsentation von künstlerischen und me- raus, die Verbindungslinien zwischen verschie- dialen Bildern, kulturgeschichtlichen Artefakten denen Bildregimes knüpften und Repräsentations- und gesellschaftspolitischen Formen gelenkt. systeme des Hollywoodfilms, der Pressefotografie Letztlich intensivieren hier die auf eine Hand- oder auch des kommerziellen Fernsehens studier- lung oder ein Objekt konzentrierten und redu- ten. Die Arbeiten von de Rijke/de Rooij sind ent- zierten Pressefotos vor allem den Zweifel am sprechend kluge Ausdifferenzierungen des präzi- „Bild” und initiieren einen Diskurs über unsere sen Blicks darauf, wie wir Bilder betrachten, sie kulturell geprägten Lesarten von Erscheinungen dechiffrieren, ihre Visualität begreifen. Gerade und darüber, wie wir Bilder benutzen und wie ihr intensives, gleichwohl nie totales Eintauchen diese uns beeinflussen. in das Bildrepertoire der Gegenwart und seine Auch das Schreiben von Texten unter anderem kunsthistorischen wie politischen und gesell- über andere Künstler oder bestimmte Werke ist schaftlichen Referenzsysteme produzierte Werke für de Rooij Teil seiner künstlerischen Praxis und von irritierender Schönheit, die in ihrer präzisen Auseinandersetzung damit, wie formale Entschei- Komposition ihre komplexe Verwobenheit mit dungen und Bildkompositionen in ihrer kulturel- unterschiedlichen visuellen Strategien offenba- len Prägung zwangsläufig auch eine im weitesten ren. Auch der Präsentationsmodus der Filme von Sinne politische Dimension aufweisen. Seine de- de Rijke/de Rooij ist konzeptuell auf das Nach- taillierte Analyse von Velázquez’ Gemälde Las denken über die Konstruktion des Bildes und die lanzas etwa kommt zu dem Schluss, dass es bei Zeit, die dieses braucht, angelegt. Auf diese Weise dieser Darstellung der Übergabe der Stadtschlüs- tritt im Spannungsverhältnis von visueller Sub- sel von Breda durch den holländischen General- jektivität und objektiver Rahmung das Verhältnis gouverneur Justinus van Nassau an den spani- von Betrachtung und Verarbeitung von Bildern schen General Ambrosio de Spinola weniger um intensiv hervor. Sieg und Niederlage geht als um eine Ökonomie International bekannt wurden Jeroen de der Form, sowohl auf malerischer wie auch sozi- Rijke und Willem de Rooij durch ihre Teilnahme aler Ebene. Jedes Detail fügt sich in ein Raster, an der Manifesta 2 und durch Einzelausstel- das Emotionen allein durch das Verhältnis von lungen in London, Zürich und Nizza. Mit ihrem Ordnung und subtiler Auflösung visualisiert. letzten Film Mandarin Ducks vertraten sie die Niederlande auf der Venedig-Biennale 2005. Willem de Rooij ist seit 2006 Professor an der Städelschule.

––– 360 ––– Willem de Rooij

Flower bouquets as compositions of ideologically For de Rooij, the continual engagement with charged color constellations. A sequence of slides the language of the cinema is complemented that represent different hues of the color orange most importantly by an examination of our in- with their connotative implications. Black-and- creasingly visual culture, but also by a recon- white reproductions of Caucasian carpets in the struction of the stories behind high-visibility me- original size. Almost static film shots, the camera dia imagery. His work Index: Riots, Protest, directed at a slum in Jakarta during sunrise, at Mourning, and Commemoration (as represented in an iceberg near Greenland, or at a church con- newspapers, January 2000 – July 2002), for in- verted into a mosque in Amsterdam. A feature stance, collects newspaper images showing gath- film, a family drama before artificial sceneries, ering crowds between grief, rage, and remem- its dialoges adaptations of quotations from politi- brance. They are press photographs in which cians. Together with Jeroen de Rijke, who died in emotions find public expression. Yet by masking February, 2006, Willem de Rooij made movies, the articles that went with the photographs, the produced photographs, and created contexts that causes behind the different forms of commotion present their visual investigations in a frame are disguised. This renders visible how forms of that, far exceeding formal-aesthetic correspon- expression tend to be similar irrespective of the dences, incorporates influences from the social specific political or cultural context, drawing the and political systems of reference of the global viewer’s attention to the problems of representa- production of images. The colonial past of the tion in artistic and media imagery, cultural-his- Netherlands plays a role, as do the West’s subtle torical artifacts, and socio-political forms. In the racist politics of exclusion and the general cul- end, the press photographs here concentrated turalization of life-worlds. Intensive research and reduced to a single act or object primarily preceded every work, establishing lines of con- nourish doubts regarding the “image,” and initi- nection between various image regimes and ex- ate a discourse about the cultural conditioning of amining the representational systems of Holly- how we read phenomena, and about our use of wood film, press photography, or again commer- images and how they influence us. cial television. The works of de Rijke/de Rooij For de Rooij, writing texts about, among other are thus astute differentiations of a precise look subjects, other artists and specific works is equal- at how we regard images, decipher them, concep- ly part of his artistic practice and of his engage- tualize their visuality. Precisely by delving deep- ment of the ways in which formal decisions and ly, though never to the point of immersion, into the compositions of images, in their culturally the image repertoire of the present and its art- determined shape, inevitably also evince a di- historical as well as political and social systems mension that is political in the widest sense. His of reference, they produced works of irritating detailed analysis of Velázquez’s painting Las lan- beauty, whose precise compositions reveal their zas, for instance, comes to the conclusion that complex affiliations with various visual strate- this representation of the Dutch governor gener- gies. The mode of presentation of de Rijke/de al Justinus van Nassau surrendering the keys to Rooij’s films is also conceptually designed to per- the city of Breda to the Spanish general Ambro- mit a meditation upon the construction of the im- sio de Spinola is less about victory and defeat age, and to allow the time this requires. The in- than about an economy of form, on both a picto- terrelation between the observation and the pro- rial and a social level. Every detail forms part of cessing of images thus emerges starkly in the a pattern that visualizes emotions purely in the tension between visual subjectivity and objective interplay of order and subtle dissolution. framing. Jeroen de Rijke and Willem de Rooij earned Willem de Rooij is a professor at the Städelschule since 2006. international renown with their participation at Manifesta 2 and with solo exhibitions in London, Zurich, and Nice. With their last film,Mandarin Ducks, they represented the Netherlands at the 2005 Venice Biennial. In 2006, Willem de Rooij moved to Berlin on a DAAD fellowship, and in the summer of the same year he began teaching at the Städelschule, as Wolfgang Tillmans’s suc- cessor.

––– 361 ––– Martha Rosler _ Vanessa Joan Müller

Freie Bildende Kunst/Fine Art

––– 362 ––– Martha Rosler

Martha Rosler steht für eine engagierte Kunst ten starken gesellschaftlichen Normierungen und eine Reflexion der Mittel, mit denen die ge- und politisch motivierten Repressionen unterlie- sellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit gen, ist die eine Quintessenz ihres insistierenden auf den Prüfstand gestellt werden kann. Sie stellt Blicks auf den amerikanischen Alltag. Dass sie unbequeme Fragen, die deutlich machen, dass eine Zone Veränderbarkeit darstellen, die andere. die Sprecherposition eine weibliche ist, dass sie Bereits frühe Arbeiten wie die zwischen 1967 politisch denkt und dass sie mit aufklärerischem und 1972 entstandene Serie fotografischer Monta- Impetus für Veränderungen und die Motivation gen Bringing the War Home: House Beautiful, stel- anderer kämpft. len die US-amerikanische Expansionspolitik in An der Städelschule ist Martha Rosler relativ Vietnam in ein widersprüchliches Verhältnis neu, in Frankfurt jedoch keine Unbekannte. Die zum amerikanischen Lebensstil dieser Zeit. In vom Museum für Moderne Kunst organisierte augenscheinlicher „Retro“-Ästhetik hat sie 2004 Ausstellung In the Place of the Public war 1998 diese Technik wieder aufgegriffen, um die aktu- dort und am Frankfurter Flughafen zu sehen. ellen Gräuel im Irak anzusprechen. Roslers Mon- Diese umfangreiche Fotoarbeit zeigt internatio- tagen verzahnen die beiden antagonistischen nale Flughäfen, in denen sich der physische Raum Sphären kompositorisch so, dass Innen- und Au- in einen sozialen Raum voller Kontroll- und Ka- ßenwelt, trautes Heim und Kriegsschauplatz nalisierungssysteme verwandelt. Im Frankfurter fließend ineinander überzugehen scheinen. Kunstverein machte im Sommer 2006 ihre Biblio- Themen wie Rassismus, Geschlechterdiffe- thek mit ihren gesammelten Büchern der letzten renz und die Rolle der Frau spielen ebenfalls eine vierzig Jahre Station. Diese fast 10.000 Bücher um- wichtige Rolle in ihrem Werk, über das sie zu ei- fassende Bibliothek ist Archiv und Ideensamm- ner Generationen übergreifend einflussreichen lung zugleich und liefert nicht nur den theore- Figur im Feld interventionistischer Praxis ge- tischen Hintergrund von Roslers künstlerischer worden ist. In Foto-Text-Kombinationen, Video- Arbeit. Die Bücher zu Kunstgeschichte und -theo- arbeiten und Installationen setzt sich Rosler nach rie, zu politischer Theorie wie Science Fiction, wie vor mit Krieg und Medien, Architektur und ergänzt durch Fotoalben, Plakate, Postkarten ihren machtpolitischen Verankerungen, mit glo- und Zeitungsausschnitte, markieren auch das balen Transportströmen und Behausung und Ob- Themenfeld, das sie konkret bearbeitet. Metho- dachlosigkeit im wörtlichen wie metaphorischen dik und Bildsprache entstehen überdies in enger Sinne auseinander. Ihre rekurrent gefassten The- Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Theo- men sind dabei auf konkrete Situationen bezogen, rien in Philosophie und Soziologie. Als kritische betrachten diese gleichwohl als exemplarische Auseinandersetzung mit visuellen wie textuellen Fallstudien. Formen von Repräsentation spielt der Text dabei Umfangreiche Recherchen sowie ein ausge- eine ebenso wichtige Rolle wie das fotografische prägtes Interesse an der Gestaltung und Zugäng- oder filmische Bild. Seit den sechziger Jahren ver- lichkeit des öffentlichen Raumes haben beispiels- fasst Rosler deshalb auch eigene belletristische weise zu kuratorischen Projekten wie If you lived und theoretische Texte begleitend zu ihren oft here... über New York und urbane Lebensbedin- seriell angelegten Werken. gungen in Zeiten zunehmender Gentrifizierung Als eine der politisch engagiertesten Künstle- und Schwindel erregender Mieten geführt. rinnen ihrer Generation unterzieht Martha Ros- Auch Roslers seit Mitte der achtziger Jahre ler ihre unmittelbare Umgebung und soziale Um- entstehende Fotografien verstehen sich als Studi- welt einer kritischen Reflexion und hat eine eige- en alltäglicher Bewegungen im städtischen Raum ne Form kontextorientierter Kunst geprägt, in mit seinen immer stärkeren Segregierungen, so- der sich dokumentarische Ansätze mit einer Kri- zialen Ausschlüssen und globalisierten „non- tik an medialen Repräsentationsmustern verbin- places”. Fotografien von durch architektonische den. So collagiert und kontexualisiert sie vorge- oder urbanistische Eingriffe eingeschränkten fundene Bilder zu Tableaus, die sich als kritischer Bewegungsmöglichkeiten finden sich neben fast Kommentar zu gesellschaftlichen wie weltpoli- tagebuchartigen Beobachtungen, in denen die tischen Ereignissen verstehen. Oft finden Roslers Passagen durch urbane Landschaften zum „Pro- medial ganz unterschiedlich umgesetzte Werke tagonisten“ werden. ihren Ausgangspunkt in profanen Alltagshand- Dass auch diese aufgeladen sind mit Möglich- lungen wie Wohnen, Einkaufen oder Zeitungle- keiten philosophischer Betrachtung und aus the- sen. Dass auch diese allgegenwärtigen Tätigkei- oretischer Perspektive informierter Analyse, wur-

––– 363 ––– de nicht zuletzt in den zahlreichen Veranstaltun- As one of her generation’s most politically gen, die die Präsentation der Martha Rosler Li- committed artists, Martha Rosler subjects her brary im Kunstverein begleitet haben, klar. Das immediate surroundings and social environment Potenzial der diskursiven Einbindung ihrer Kunst to critical reflection and has created her own durch Vorträge, Lesegruppen und Workshops form of context-oriented art, in which documen- verwandelten die Bibliothek in ein lebendiges tary approaches are fused with a critique of pat- Archiv, das Impulse für die Auseinandersetzung terns of media representation. For instance, she mit den Utopien der Vergangenheit, für die Ana- collages and contextualizes found imagery into lyse der Gegenwart und die politische Verfassung tableaus that stand as critical comments on so- der Welt als solcher zu geben in der Lage ist. cial as well as global political events. Rosler’s works, which she realizes in a great variety of Martha Rosler ist seit 2006 Professorin an der Städelschule. media, often begin with banal everyday acts such as domestic life, shopping, or reading the paper. That even such ubiquitous acts are subject to strong social normalization and politically moti- vated forms of repression is one quintessential pole of her insistent gaze on American everyday Martha Rosler stands for a committed art, and for life; that they represent a zone of potential for a reflection on the artistic means with which the change, the other. social construction of reality can be subjected to Early works, such as the series of photograph- examination. She asks inconvenient questions ic montages Bringing the War Home: House Beau- that make it clear that the position of the speaker tiful from 1967-1972, place the American policy of is a female one, that she thinks politically, and aggression in Vietnam in a contradictory rela- that she fights for changes with an impetus to en- tionship with contemporary American life; in lighten and to motivate others. seemingly “retro” fashion, in 2004 she revisited Martha Rosler is relatively new to the Städel- the technique to address the present outrage, in schule but not an unknown figure in Frankfurt. Iraq. Rosler’s montages compositionally dovetail Martha Rosler’s show In the Place of the Public the two seemingly antagonistic spheres such that organized and sponsored by the Museum für interior and exterior world, sweet home and war Moderne Kunst in 1998 was on view there and at theater, seem to blend into each other. the Frankfurt Airport. Its extensive body of pho- Subjects such as racism, gender differences, tographic work depicts international airports, and the role of women also feature importantly where physical space is transformed into a social in her work, which has made her an influential space replete with systems to control and chan- public figure beyond her own generation in the nel people. The library of the books she collected field of interventionist practice. In combinations over the past forty years was hosted by the Frank- of photography and text, in video works and in- furter Kunstverein in the summer of 2006. This stallations, Rosler continues to engage war and library, encompassing almost 10,000 books, is the media, architecture and its inscriptions of both an archive and a collection of ideas, provid- power politics, global flows of transportation, ing a theoretical background to Rosler’s artistic housing and homelessness both literally and in a work and more. The books on the history and the- metaphorical sense. Her thematic subjects, con- ory of art, on political theory as well as science ceived recurrently, are related to concrete situa- fiction, complemented by photo albums, posters, tions, which, at the same time, they present as ex- postcards, and newspaper clippings, also mark emplary case studies. the thematic field in which her concrete work Extensive research and a pronounced interest moves. Her methodology and her formal lan- in the organization and accessibility of public guage, moreover, emerge in close interaction space led, for instance, to curatorial projects such with contemporary theoretical developments in as If You Lived Here…, on New York and other ur- philosophy and sociology. As a critical engage- ban living conditions in times of increasing gen- ment with visual as well as textual forms of rep- trification and spiraling rents. resentation, text plays as large a role in this work Rosler’s photographs, which she has made as photographic and filmic images do. Rosler has since the mid-1980s, are equally understood as thus also been writing, since the 1960s, literary studies on everyday movements in urban space, and theoretical texts to accompany her works, with its ever-growing segregations, social exclu- which often evince a serial structure.

––– 364 ––– Martha Rosler sions, and globalized “non-places.” Photographs of limitations imposed on movement by architec- tonic or urbanistic intervention are juxtaposed with almost diary-like observations, in which passages through urban landscapes become the “protagonists.” That the latter are equally charged with possi- bilities for philosophical consideration and anal- ysis informed by theoretical perspectives became clear not least during the many events that ac- companied the presentation of the Martha Rosler Library at the Kunstverein. The potentials of a discursive integration of her art by virtue of pre- sentations, reading groups, and workshops trans- formed the library into a living archive, which can spur impulses for an engagement with the utopias of the past and an analysis of the present and of the political constructedness of the world as such.

Martha Rosler is a professor at the Städelschule since 2006.

––– 365 ––– Simon Starling _ Vanessa Joan Müller

Freie Bildende Kunst/Fine Art

––– 366 ––– Simon Starling

Die Reise von einem Ort an einen anderen mar- ist die Wüste doch das jüngste Öksystem der Na- kiert nicht nur eine räumliche Bewegung, son- tur und der Kaktus das ökonomischste Gewächs dern versetzt das Subjekt in ein kulturelles Um- der Pflanzenwelt. Den Verbrennungsmotor hinge- feld, in dem die Dinge eine semantische Verschie- gen charakterisiert seine enorme Ineffizienz – bung erfahren. Simon Starling reist oft und viel, nur etwa dreißig Prozent der erbrannten Rohstof- wobei die Veränderung der Dinge, die er trans- fe werden in nutzbare Energie umgewandelt, der portiert, oder die Bedeutung der Fahrzeuge, die Rest wird als Wärme freigesetzt. In Starlings er benutzt, wichtiger scheinen als die zurückge- Kakteenhaus fand der Kaktus indessen gerade legte Wegstrecke an sich. Der Prozess, wenn ein im energieverschwendenden Automotor seinen Objekt oder eine Substanz sich in etwas anderes lebensrettenden Widerpart. verwandeln, bildet insofern den Kern seiner kon- Auch in anderen Werken ist das Auto weniger zeptuell angelegten, gleichwohl narrativ struktu- Vehikel als Symbol. 2002 ist Simon Starling mit rierten Arbeiten. Indem er die komplexen, mit- einem 1974 in Turin produzierten roten Fiat 126 einander verbundenen physischen und kulturel- nach Polen gefahren und hat dort die roten Tü- len Widersprüche eines Objektes, eines Gebrauchs- ren, die Motorhaube und die Kofferraumtür des gegenstandes oder Designobjektes kartografiert, Autos gegen weiße Bauteile ausgetauscht. In Tu- bringt er die gescheiterten Ideale des Modernis- rin wurde der Fiat seit den siebziger Jahren ge- mus zur Sichtbarkeit oder perspektiviert die Vor- baut, später verlagerte der Konzern die Herstel- stellung des Exotischen neu. So hat Starling offen- lung nach Polen. In den dreißig Jahren bis zur sichtlich improvisierte Kopien von Eames-Stüh- Einstellung der Produktion des Fiats 126 blieb len und Lampen des dänischen Designer Poul das Design fast unverändert. Das rote Auto mit Henningsen als Signal gegen „die entfremdende den weißen Türen ähnlich der polnischen Fahne Wirkung der Massenfabrikation” gefertigt. Das wurde dadurch selbst zum Hybrid zweier Länder: Konzept des Prototypen findet sich häufig in sei- in Italien entworfen, nach Polen exportiert. Am nem Werk, denn es folgt der Vorstellung, „Objek- Ende stellte Starling das originale Auto in seiner te in eine Art unschuldigen Zustand zurückzu- Turiner Galerie aus und hängte es wie ein Ge- führen, indem man ein bestehendes Objekt nimmt mälde, wie eine dreidimensionale Flagge an die und es neu erdenkt, als ob es das erste Mal wäre”. Wand. Auch Starlings Ausstellung Kakteenhaus im Shedboatshed, die Arbeit, mit der der 1967 im Portikus (2002) stellte ein Objekt in einen Kon- englischen Epsom geborene Starling den renom- text, der zum Resonanzraum unterschiedlicher, mierten gewann, ist ebenfalls eine gleichwohl aufeinander verweisender Referenzen Geschichte des Reisens und der Verwandlung. wurde. Starling zeigte einen großen Kaktus, den Am Anfang stand ein Holzschuppen am Rhein, er aus der andalusischen Tabernas-Wüste, der der zu einem Boot wurde und sich dann wieder in einzigen wirklichen Wüste Europas, in seinem einen Schuppen verwandelte. Ursprünglich in roten Volvo 240 nach Frankfurt transportiert hat- der Nähe von Basel stehend, hat Starling den te. In Frankfurt wurde der Motor des Autos aus- Schuppen ab- und in ein Boot umgebaut, dieses gebaut, um in Verbindung mit einem 30 Meter den Fluss hinabfahren lassen bis zum Museum langen Kühlsystem die Temperatur des Ausstel- für Gegenwartskunst, wo aus ihm wieder ein lungsraumes auf Gewächshausniveau aufzuhei- Holzschuppen gebaut wurde. Zeit und Arbeit, die zen. Der funktionslos gewordene rote Kombi für die Realisierung des so genannten Weidlings, parkte währenddessen auf einem Plateau hinter der schweizerischen Version der Gondel, nötig dem Portikus. Der hoch gewachsene Kaktus war waren, verflüchtigten sich im Bild der aus ihrem jedoch nicht nur in Frankfurt ein Exot. Früher strukturellen Winterschlaf zeitweise erweckten diente der cereus cactus als Requisit in einem der Hütte. Das entschwundene Boot wiederum lebt Western von Sergio Leone, die in der Tabernas- imaginär in den Schnitten, Löchern und Split- Wüste als preiswerter Kulisse eines europä- tern, die den Schuppen fortan markieren, weiter. ischen Wilden Westens gedreht wurden. Die Kak- Den Dingen ist die Geschichte ihres Gebrauchs teen brachte Leone dorthin, damit die Wüste imprägniert, die ihres Designs und des Horizonts amerikanischer aussah. Diese doppelte „Deplat- ihres Entstehens. In Starlings Installationen und zierung” des Wüstengewächses wurde in der La- Projekten fächert sich diese Kulturgeschichte borsituation des Portikus nicht nur als räum- scheinbar alltäglicher Dinge in verschiedene liche Entfremdung vom ursprünglichen Ort Richtungen auf, bis Beziehungen zwischen dem sichtbar, sondern auch als paradoxe Ökonomie, ganz Nahen und dem sehr weit Entfernten sicht-

––– 367 ––– bar werden. Seine installativen Werke sind Resul- to Frankfurt from the Andalusian Tabernas des- tate intensiver Recherchen über das Wesen der ert, Europe’s only real desert, in his red Volvo Dinge, die kontextuelle Verschiebung, die sie an 240. In Frankfurt, the engine was removed from dem Ort ihrer Ausstellung unterlaufen und die the car, and used in connection with a 30-meter kunsthistorischen Referenzsysteme, in die sich cooling system to heat the exhibition space to the diese Verschiebungsprozesse einbinden lassen. temperature of a greenhouse. Meanwhile, the red Es sind Angriffe auf die Unterscheidung von De- station wagon, deprived of its function, was signobjekt und anonymem Gebrauchsgegen- parked on a plateau in the back of the Portikus. stand, Verdrehungen des Verhältnisses von nah The tall cactus, however, was exotic not only in und fern, Sinn und Zweck. Im Rahmen von Star- Frankfurt. In the past, cereus cactus served as lings Professur für „Freie Bildende Kunst” liefert prop in one of Sergio Leone’s westerns shot in dieses immer wieder überraschende Bezugssys- the Tabernas desert, as the inexpensive back- tem zwischen scheinbar vertrauten Objekten und ground of a European wild west. Leone brought ihrer ideologischen wie pragmatischen Entfrem- the cacti there so that the desert would look more dung den Ausgangspunkt zahlreicher Erkundun- American. This double “displacement” of the gen dessen, was das Kunstwerk vom Reich der ge- desert plant became visible in the laboratory set- wöhnlichen Dinge trennt. ting of the Portikus not only as a spatial displace- ment but also as a paradoxical economy, as the Simon Starling ist seit 2003 Professor an der Städelschule. desert is nature’s recent ecosystem, and the cac- tus the entire flora’s most economical plant. The internal combustion engine, by contrast, is char- acterized by its enormous inefficiency—only about thirty percent of the burnt resources are converted into usable energy, the remainder is re- The journey from one place to another marks not leased as heat. In Starling’s Kakteenhaus, howev- only a spatial movement, but displaces the sub- er, the cactus met its life-saving counterpart pre- ject into a cultural context where things experi- cisely in the wasteful car engine. ence a semantic shift. Simon Starling travels fre- In other works, too, the car is less a vehicle quently and widely, and the changes to the things than a symbol. In 2002, Simon Starling drove a he transports or the significations of the means red Fiat 126, manufactured in Turin in 1974, to of transportation he uses appear more important Poland, where he exchanged the red doors, bon- than the distance covered as such. The process by net, and boot lid with white parts. This Fiat had which an object or substance is transmuted into been made in Turin since the 1970s; later, the something else thus forms the core of his concep- company moved its production to Poland. During tually designed and yet narratively structured the thirty years until production of the Fiat 126 works. By mapping the complex and interrelated was discontinued, the design remained almost physical and cultural contradictions of an object, unchanged. The red car with its white doors, be it an article of daily use or a design object, he reminiscent of the Polish flag, thus became itself renders the failed ideals of modernism visible, or a hybrid from two countries: designed in Italy, ex- opens new perspectives on the idea of the exotic. ported to Poland. In the end, Starling displayed For instance, Starling made obviously impro- the original car in his Turin gallery and mounted vised copies of Eames chairs and Danish design- it on the wall like a painting, like a three-dimen- er Poul Henningsen’s lamps as a signal against sional flag. “the alienating effect of mass production.” The Shedboatshed, the work with which Starling, concept of the prototype is frequently encoun- born in Epsom, England, in 1967, won the respect- tered in his work, for it pursues the idea of “lead- ed Turner Prize, is also a story of travel and ing objects back into a kind of state of innocence transformation. In the beginning, there was a by taking an existing object and reconceiving it wooden boatshed on the Rhine, which became a as though for the first time.” boat, and then once more a boatshed. Starling dis- Starling’s show Kakteenhaus at the Portikus assembled the shed, originally located near Ba- (2002) also placed an object in a context that be- sel, and converted it into a boat, which he navi- came a space of resonance for various, though gated down the river to the Museum für Gegen- mutually referential, significations. Starling wartskunst, where it was reassembled as a wood- showed a large cactus, which he had transported en boatshed. The time and labor required for the

––– 368 ––– Simon Starling realization of the so-called Weidling, the Swiss version of the gondola, evaporated in the image of the cabin temporarily awakened from its structural hibernation. The boat, on the other hand, now disappeared, has a continued imagi- nary existence in the cuts, scars and holes that now mark the shed. The history of the use of things is engrained in them, the history of their design and the hori- zon of its emergence. In Starling’s installations and projects, this cultural history of seemingly quotidian objects is unfolded in various directions until interrelations become visible between the very close and the very remote. His installation works are the results of intensive research into the essence of things, the contextual displace- ment they experience at the site of their exhibi- tion, and the art-historical systems of reference into which these processes of displacement can be integrated. They are attacks against the dis- tinction of design object and anonymous article of daily use, distortions of the relationship of near and far, of meaning and purpose. In the frame- work of Starling’s professorship for “Fine Art”, this referential system, always surprising, be- tween seemingly familiar objects and their ideo- logical and pragmatic alienation offers points of departure for numerous expeditions into what separates a work of art from the world of com- monplace things.

Simon Starling is a professor at the Städelschule since 2003.

––– 369 ––– Wolfgang Tillmans _ Vanessa Joan Müller

Freie Bildende Kunst/Fine Art

––– 370 ––– Wolfgang Tillmans

Er sei der Porträtist seiner Generation, wird von lichkeitsstereotypen in der offen homosexuellen Wolfgang Tillmans gern behauptet. Die Fotogra- Rezeption. Als subjektiver Porträtist der Gegen- fien, mit denen er über Veröffentlichungen in Zeit- wart im weitesten Sinne sieht er sich durchaus schriften wie i-D oder Spex, aber auch durch Aus- als politischer Künstler, der seiner Vorstellung stellungen in Galerien bekannt geworden ist, zei- von der Welt Ausdruck verleiht und Dingen, die gen tatsächlich oft Menschen aus seinem privaten selbstverständlich sein sollen, es aber nicht im- Umfeld. Die Markierungen dieser scheinbar bei- mer sind, zur Sichtbarkeit verhilft. läufig aufgenommenen, gleichwohl präzise ins Im Jahr 2000 erhielt er als erster nicht-briti- Licht gesetzten Fotografien verweisen jedoch auf scher Künstler den renommierten Turner Prize etwas anderes. Die subtile Differenz, die Men- und ist spätestens seitdem eine internationale schen und Umgebungen auszeichnet, ist eine, die Größe mit zahlreichen Einzelausstellungen in eher die Standardisierung des Blicks als die Ab- den Museen der Welt. Viele seiner zeitgenössi- weichungen innerhalb des Sujets fokussiert. Tat- schen Stillleben, Momentaufnahmen, Porträts sächlich interessiert sich Tillmans für Momente wirken noch immer wie subtile Sexualisierungen des Alltäglichen, die bestimmte Codes verletzen des Alltags, auch wenn diese Konnotation subjek- und Konventionen außer Kraft setzen. Kleidung tive Ansicht ist. Jüngere Arbeiten hingegen zei- und Posen sind in seinen Fotografien deshalb we- gen eine konsequente Hinwendung zur Abstrak- niger Zeichen der selbst gewählten Zugehörigkeit tion, bei der großformatige Fotoarbeiten ganz zu einer bestimmten sozialen Gruppe als Aus- ohne Wirklichkeitsbezug auskommen. Hier ma- druck einer individuellen Stilisierung, die sich nipuliert Wolfgang Tillmans Licht und Chemika- solcher einschränkenden Festlegung entzieht. lien, die er direkt auf das Fotopapier einwirken Wenn Dinge plötzlich Assoziationen freiset- lässt. Die monochromen Kompositionen oder le- zen, die dort eigentlich nicht hingehören, wird bendigen Farbfeldstrukturen, die so entstehen, das scheinbar Zufällige intentional. Tillmans’ erinnern an psychedelische Effekte, bewahren je- Aufnahmen aus der Londoner U-Bahn zum Bei- doch ihr hermetisches Eigenleben und ihre asso- spiel zeigen intime Blicke in die Achselhöhlen ziativen Referenzen. Neben anderen Abzügen fremder Menschen, die man auch real in der En- platziert, deuten sie eine Abstraktion an, die auch ge der Rush Hour sehen kann, als Überschreitung die realistische Fotografie zum metaphorischen einer unartikulierten Schwelle zum Privaten hin. Spiel der Formen werden lässt. Selbst zusammengerollte Socken oder die Falten- Wolfgang Tillmans’ Stil war für viele andere würfe von Kleidungsstücken entwickeln, stillle- Fotografen prägend. Sein unprätentiöser, unpri- benhaft inszeniert, ein textiles Eigenleben und vilegierter Blick auf private wie öffentliche Situ- narratives Potenzial, das profane Zusammenhän- ationen zeugt nach wie vor von einer großen Of- ge durchbricht. fenheit und auch gewissen Zufälligkeit. Man kann Noch immer zeigt Tillmans seine Fotografien sich diesen Blick zu eigen machen, und doch ist sowohl in Zeitschriften veröffentlicht als auch in er als visuelles System geprägt von einer subjek- Galerien und Museen. Manchmal tauchen Arbei- tiven Sicht, die sich nicht kopieren lässt. Till- ten aus beiden Bereichen auch gleichberechtigt mans’ Studenten arbeiten denn auch nicht epigo- auf – ungerahmte, direkt an der Wand befestigte nal, wie die Ausstellung Gut ist, was gefällt im Fotografien treffen in layoutartigem Arrange- Frankfurter Museum für Moderne Kunst 2005 ment auf Seiten aus Zeitschriften mit reprodu- mit neuen Arbeiten von ihm und Werken dieser zierten Bildern. Porträts von Kate Moss, der Studenten zeigte. Der Umgang mit der jüngeren Schauspielerin Irm Hermann, von Künstlern Künstlergeneration und die Kunstvermittlung und Musikern stehen dann neben unbekannte- scheinen ihn zu inspirieren: Seinem Atelier in ren Akteuren der britischen Clubszene, Besu- London hat Tillmans den kleinen Ausstellungs- chern des evangelischen Kirchentages, der Gay raum Between Bridges angegliedert, der seit Früh- Pride Parade, der Love Parade oder großforma- jahr 2006 Positionen bildender Kunst der letzten tigen abstrakten Bildkompositionen. Tillmans Jahrzehnte zeigt, die im aktuellen Kunstbetrieb hat die Concorde bei ihrem Start vom Londoner wenig Raum finden. Flughafen Heathrow als Ikone des Glaubens an den unbegrenzten Fortschritt porträtiert, aber Wolfgang Tillmans ist seit 2003 Professor an der Städelschule. auch Bildstrecken für eine britische Obdachlo- senzeitung entwickelt. Seine vorgefundenen Bil- der von Soldaten verunsichern tradierte Männ-

––– 371 ––– Portrait ––– Wolfgang Tillmans

Wolfgang Tillmans, it is often said, is the portrait- In 2000, he was the first non-British artist to ist of his generation. The photographs that built receive the renowned Turner Prize; at least since his reputation, published in magazines such as then, he has been an international name, with i-D or Spex, but also shown in galleries, indeed of- numerous solo exhibitions at museums world- ten show people from his private acquaintance. wide. Many of his contemporary still lifes, snap- But these photographs, which appear to be casu- shots, portraits still appear to be subtle sexualiza- ally shot and are yet illuminated with precision, tions of everyday life, although this connotation bear marks that indicate something else. The sub- is a matter of personal perspective. More recent tle difference that distinguishes people and their works, by contrast, evince a consistent turn to- surroundings is one that focuses the standardiza- ward abstraction, in large-format photographic tions of the gaze more than the deviations within works that do away with all reference to reality. the subject. In fact, Tillmans is interested in ev- In these works, Wolfgang Tillmans manipulates eryday moments that breach certain codes and light and chemicals he applies directly to the pho- suspend conventions. Clothes and poses are thus tographic paper. The resulting monochromatic in his photographs less signs of self-determined compositions or animated color-field structures affiliation with a certain social group than ex- are reminiscent of psychedelic effects but pre- pressions of an individual stylization that defies serve their hermetic inner lives and associative such limiting determination. references. Placed next to other photographic When things suddenly unleash associations prints, they adumbrate an abstraction that ren- that don’t properly belong there, the seemingly ders even realistic photography a metaphorical accidental becomes intentional. Tillmans’s pho- play of forms. tographs from the London Underground, for in- Wolfgang Tillmans’s style has influenced stance, show intimate glances into the armpits of many other photographers. His unpretentious strangers, such as one might see in reality during and unprivileged look at private as well as public the rush-hour squeeze, as transgressions of an situations continues to speak of great openness, unarticulated threshold toward the private. Even even of a certain arbitrariness. One can make rolled-up socks or the way clothes fall in folds, this viewpoint one’s own, and yet as a visual sys- once staged as though in a still life, develop a tex- tem, it is characterized by a subjective regard tile life of their own, a narrative potential that that cannot be copied. Tillmans’s students are disrupts the contexts of the ordinary. thus not his epigones in their work, as the 2005 Tillmans continues to publish his photo- exhibition of works by Tillmans and his stu- graphs in magazines in addition to showing them dents’ art at the Frankfurt Museum for Modern in galleries and museums. Sometimes, works Art, entitled Gut ist, was gefällt, demonstrated. from both domains appear side by side as peers— Interacting with a younger generation of artists unframed photographs, pinned directly to the and teaching art seem to inspire him: Tillmans wall, meet pages from magazines with reproduc- has added the small exhibition space Between tions of images in layout-like arrangements. Por- Bridges to his London studio, where since 2006, traits of Kate Moss and actress Irm Hermann, of he shows artists who otherwhise find little space artists and musicians thus stand next to lesser- in the contemporaray art world. known actors of the British club scene, visitors of the German Protestant Church Day, the Gay Wolfgang Tillmans is a professor at the Städelschule since 2003. Pride Parade, the Love Parade, or to large-format abstract pictorial compositions. Tillmans photo- graphed the Concorde, taking off from London’s Heathrow airport, as an icon of the belief in lim- itless progress, but also developed series of imag- es for a British street newspaper. His found imag- es of soldiers, in their openly homosexual recep- tion, destabilize stereotypes of masculinity. As a subjective portraitist of the present in the widest sense, he very much sees himself as a political artist, one who gives expression to his view of the world and renders things visible that ought to be self-evident but aren’t always.

––– 372 –––

Beiträge von /Contributions by

–– Thomas Bayrle –– Vanessa Joan Müller ist Künstler und war von 1975 bis 2004 Professor an der Städel- ist Direktorin des Kunstvereins für die Rheinlande und schule / is an artist and was a professor at the Städelschule Westfalen in Düsseldorf / is director of the Kunstverein für between 1975 and 2004 die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf

–– Heike Belzer –– Sarah Ortmeyer ist Leiterin der Bibliothek der Städelschule / is the librarian ist Studentin der Klasse Simon Starling an der Städelschule / of the Städelschule is a student in Simon Starling’s class at the Städelschule

–– Johan Bettum –– Hortense Pisano ist Gastprofessor und Programmleiter der Architekturklasse ist freie Kunstkritikerin und Redakteurin für Journal Frank- der Städelschule / is a guest professor and program director furt / is a freelance art critic and editor for Journal Frankfurt of the architecture class at the Städelschule –– Tobias Rehberger –– Daniel Birnbaum ist Künstler und Professor an der Städelschule / is an artist ist Rektor der Städelschule und Direktor des Portikus / and professor at the Städelschule is rector of the Städelschule and director of the Portikus –– Willem de Rooij –– Michael Eddy ist Künstler und Professor an der Städelschule / is an artist ist Student der Klasse Simon Starling an der Städelschule / and professor at the Städelschule is a student in Simon Starling’s class at the Städelschule –– Simon Starling –– Mai Abu ElDahab ist Künstler und Professor an der Städelschule / is an artist ist freie Kuratorin / is a freelance curator and professor at the Städelschule

–– Okwui Enwezor –– Wolfgang Tillmans ist Senior Vice President am San Francisco Art Institute und ist Künstler und Professor an der Städelschule / is an artist war künstlerischer Leiter der documenta 11 / is Senior Vice and professor at the Städelschule President at the San Francisco Art Institute. He was the artistic director of documenta 11 –– Jan Verwoert ist freier Kunstkritiker und Mitglied der Redaktion bei frieze / –– Isabelle Graw is an art critic and contributing editor of frieze ist Kunstkritikerin, Herausgeberin von Texte zur Kunst und Professorin an der Städelschule / is an art critic, publisher –– Jeronimo Voss of Texte zur Kunst, and a professor at the Städelschule ist Student der Klasse Tobias Rehberger an der Städelschule / is a student in Tobias Rehberger’s class at the Städelschule –– Hanna Hildebrand ist Studentin der Klasse Tobias Rehberger an der Städel- –– Mark Wigley schule / is a student in Tobias Rehberger’s class at the ist Architekturkritiker, Gastprofessor der Architekturklasse Städelschule der Städelschule und Dekan der Graduate School of Architec- ture, Planning and Preservation an der Columbia Universität, –– Walter Hollensteiner New York / is an architecture critic, guest professor of the ist freier Kunstkritiker / is a freelance art critic architecture class at the Städelschule and Dean of the Graduate School of Architecture, Planning and Preservation at Columbia –– Dietrich Koska University, New York ist Verwaltungsdirektor der Städelschule / is the administrative director of the Städelschule –– Wolfgang Winter ist Künstler und Dozent für Bildhauerei an der Städelschule / –– Michael Krebber is an artist and lecturer in sculpture at the Städelschule ist Künstler und Professor an der Städelschule / is an artist and professor at the Städelschule –– Catherine Wood ist Kuratorin an der Tate Modern, London / is a curator at –– Pamela M. Lee Tate Modern, London ist freie Kunstkritikerin und Professorin für Kunstgeschichte an der Stanford University / is an art critic and associate professor of art history at Stanford University

–– Niklas Maak ist Kunst- und Architekturhistoriker sowie Redakteur des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung / is an art and architecture historian and an editor at the Frankfurter Allgemeine Zeitung

––– 375 ––– Impressum /Colophon

kunst lehren teaching art Bildnachweise / Photo Credits (Seiten / Pages) Städelschule Frankfurt / Main Nina Flauaus 336 / Maren Flößer 318 / Wolfgang Günzel 26, 28, 46, 207, 211, 212, 214, 216, 218, 220, 222, 224, 226, 228, 230, 240, 244, Herausgeber / Editors 304 / Anja Jahn 271 /Jonas Leihener 8, 12, 14, 16, 17, 18, 20, 22, 24, Heike Belzer und / and Daniel Birnbaum 30, 32, 34, 36, 52, 66, 118, 135, 144, 196, 202, 233, 274, 342, 345, 348, für die / on behalf of the Staatliche Hochschule für Bildende 353, 356, 359, 366, 370 / Achim Lengerer 10 / Harald Schröder 302 / Künste, Städelschule, Dürerstraße 10, D-60596 Frankfurt/Main Ragunath Vasudevan 256 . www.staedelschule.de © VG Bild-Kunst, Bonn 2007, für / for Olafur Eliasson, John Übersetzungen / Translations Baldessari, Henrik Olesen / Judith Hopf, Paulina Olowska / Deutsch–Englisch / German into English: Bonnie Camplin, Paul Chan, Gilbert & Georges Gerrit Jackson Englisch–Deutsch / English into German: Die Herausgeber haben sich bemüht, alle Bild- und Textrechtin- Clemens Krümmel haber ausfindig zu machen. Sollte dies an einer Stelle übersehen worden sein, bitten die Herausgeber um Mitteilung. Berechtigte Lektorat / Text Editing Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Regina Binder, Michael Eddy, Karin Sust Vereinbarungen abgegolten. / The editors have made every effort to identify all holders of copyrights to images and texts. In Gestaltung und Satz / Graphic Design and Typesetting the event of an inadvertent failure to do so, the editors ask that Harald Pridgar, Frankfurt / Main you contact them. Legitimate claims will of course be settled within the limits established by customary compensation ag- Druck / Print reements. Offizin Andersen Nexö, Leipzig

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© 2007 Künstler / Artists, Institutionen / Institutions, Fotografen Mit freundlicher Unterstützung von / with generous support from / Photographers, Autoren / authors und / and Verlag der Buch- handlung Walther König, Köln © VG Bild-Kunst, Bonn 2007 Städelschule Portikus e.V. Quellennachweise / References: Willem de Rooij, Simon Starling: Free Space and Free Market © Metropolis M. Georg und Franziska Speyer'sche Hochschulstiftung Schools of Thought / Okwui Enwezor © frieze Rehberger on Kitsch, Destruction and Education © Manifesta Foundation.

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