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LITERATURWISSENSCHAFT

Prosa der : und

Katarína Zechelová Zechelová Prosa der Wiener Moderne: Arthur ProsaZechelová Wiener der Schnitzler und Stefan Zweig

Frank & Timme

Verlag für wissenschaftliche Literatur Katarína Zechelová Prosa der Wiener Moderne: Arthur Schnitzler und Stefan Zweig Literaturwissenschaft, Band 66 Katarína Zechelová

Prosa der Wiener Moderne: Arthur Schnitzler und Stefan Zweig

Verlag für wissenschaftliche Literatur Umschlagabbildung: Wien 1, Herrengasse 14ff., Blick gegen die Stirnfront des „Café Central“. Ledermann, Postkartenverlag, um 1900. ÖNB/Wien.

ISBN 978-3-7329-0299-6 ISBN (E-Book) 978-3-7329-9647-6 ISSN 1860-1952

© Frank & Timme GmbH Verlag für wissenschaftliche Literatur Berlin 2017. Alle Rechte vorbehalten.

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Herstellung durch Frank & Timme GmbH, Wittelsbacherstraße 27a, 10707 Berlin. Printed in Germany. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. www.frank-timme.de Inhalt

Vorwort ...... 7

Einleitung ...... 9

1. Methodologische Ausgangspunkte ...... 17

2. Das Geheimnis und seine Formen in der Prosa der Wiener Moderne ...... 27

2.1. Das Geheimnis in den Prosawerken von Arthur Schnitzler ...... 34 2.2. Das Geheimnis in den Prosawerken von Stefan Zweig ...... 44 2.3. Vergleich und Zusammenfassung ...... 50 3. Introspektion als Ausdruck der Einsamkeit ...... 55

3.1. Die Einsamkeit in den Prosawerken von Arthur Schnitzler ...... 59 3.2. Die Einsamkeit in den Prosawerken von Stefan Zweig ...... 73 3.3. Vergleich und Zusammenfassung ...... 80 4. Erinnerung, Gedächtnis und der Prozess des Erinnerns als Abbildungen der Einstellung zur Vergangenheit ...... 85

4.1. Erinnerung, Gedächtnis und der Prozess des Erinnerns in den Prosawerken von Arthur Schnitzler ...... 92 4.2. Erinnerung, Gedächtnis und der Prozess des Erinnerns in den Prosawerken von Stefan Zweig ...... 104 4.3. Vergleich und Zusammenfassung ...... 110 5. Wirklichkeits- und Weltwahrnehmung als Spiegelungen der Autorenpoetik ...... 113

5.1. Existenz in einer festen Wirklichkeit und Existenz „als ob“ ...... 120 5.2. Das Fremde als Weg zur (Selbst-)Reflexion ...... 129 5.3. Zwischen Moderne und Postmoderne (?) ...... 141 Zusammenfassung ...... 161

Bibliographie ...... 167

Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 5

Vorwort

Das Thema der vorliegenden Arbeit – die Wiener Moderne – mag für manche vielleicht schon erschöpfend behandelt sein und Autoren wie Arthur Schnitzler und Stefan Zweig unvergleichbar. Die Literaturwissenschaft und Literaturanaly- se wären aber nur halb so interessant und spannend, wenn dies tatsächlich so wäre und wenn sie nicht immer wieder dazu fähig wären, eine neue, weitere, andere Perspektive aufzunehmen. Literarische Texte an sich stellen eine unend- liche Quelle und einen unschätzbaren Schatz der Menschenkultur dar.

Arthur Schnitzler und Stefan Zweig waren zwei hervorragende österreichische Autoren. Bei Arthur Schnitzler kann man die Mehrdeutigkeit und Fantasie sei- ner Erzählungen und Novellen genießen, weswegen er für viele Literaturwissen- schaftler interpretatorisch interessanter als Stefan Zweig ist. Bei ihm verdecken sein spannendes Leben und sein spannender Tod oft sein Schaffen, das aber nicht weniger interessant ist.

In der vorliegenden Arbeit werden beide Autoren und ihre Prosawerke mittels zahlreicher und schöpferischer Mittel der Komparatistik miteinander verglichen, und zwar nicht nur, um das Unterschiedliche und Gemeinsame zu betonen, son- dern auch, um die Interpretation und Analyse ihres Schaffens zu vertiefen und gründlicher darzustellen. Dies ist dadurch möglich, dass sich die Komparation auf die Methode der Kontextualisierung von literarischen Texten stützt. Die vor- liegende Arbeit bringt in diesem Zusammenhang theoretische und methodologi- sche Ausgangspunkte slowakischer Literaturwissenschaftler und Komparatisten mit der österreichischen Literatur in Verbindung, was eine weitere Quelle und Möglichkeit der Komparatistik ist. Die Dissertation entstand in Jahren 2011 bis 2015 und wurde ursprünglich als Abschlussarbeit am Institut für Weltliteratur der Slowakischen Akademie der Wissenschaften für den slowakischen Kontext geschrieben, in dem die gegenwärtige heimische Literaturforschung, was die beiden Autoren sowie die Epoche der Wiener Moderne angeht, weniger umfang- reich ist als z. B. im deutschsprachigen Raum. Die Untersuchung sollte also ur- sprünglich das Thema für die slowakische Literaturforschung aktualisieren. Die

Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 7 deutsche Ausgabe der Studie soll wiederum die slowakische Perspektive in die- sem Bereich vermitteln.

Dafür, dass ich die Welt der Literatur, der Literaturwissenschaft sowie der Komparatistik entdecken konnte, danke ich aus ganzem Herzen meiner Betreue- rin, Frau Prof. PhDr. Mária Bátorová, DrSc., deren Geduld und vor allem deren Anregungen mein Doktorstudium begleitet und bei der Erstellung der Arbeit geholfen haben. Weiter danke ich dem Verlag Frank & Timme für die Gelegen- heit, meine Dissertation herauszugeben, und meiner Familie und meinen Freun- den für die liebevolle Unterstützung.

8 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur Einleitung

Der Begriff Wiener Moderne umfasst die Veränderungen, Tendenzen, Ziele, Orientierungen, Entdeckungen, Krisen, neuen Stimmungen und Ansichten, die in den Künsten zu Zeiten der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aufkamen. Die Formen und der Wandel dieses gewaltigen Prozesses wurden von kleineren oder auch größeren Einflüssen aus der politischen, gesellschaftlichen, philoso- phischen, sozialen und kulturellen Sphäre begleitet. Das Ergebnis dieses wech- selhaften Gemenges war die Geburt einer äußerst empfindlichen und schöpferi- schen Generation, in der jeder Autor und Künstler auf eigene Art den Schaffensprozess zu bewältigen versuchte, wie in seinem Essay Die Décadence (1891) beschreibt:

„Sie sind keine Schule, sie folgen keinem gemeinsamen Gesetz; sie schließen sich nicht zu- sammen und vertragen sich nicht, jeder hat seine eigene Weise, von welcher der andere nichts wissen will. Sie sind nur eine Generation. Das Neue an dieser Generation macht die Déca- dence aus. Es erscheint an jedem in einer besonderen Form, aber von der alten wird es immer gleich seltsam und unheimlich empfunden.“1

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Transformation der Poetik in der Prosa der Wiener Moderne zu untersuchen, wobei das Hauptaugenmerk auf die Analyse der Kompositions- und Erzählweise sowie auf die unterschiedli- chen Ausdrucksmittel der Prosawerke von Arthur Schnitzler (15.05.1862– 21.10.1931) und Stefan Zweig (28.11.1891–23.02.1942) und deren nachfolgen- de Vergleiche gelegt wird. Die Auswahl gerade dieser beiden Autoren wurde einerseits durch ihren Altersunterschied motiviert, der als ein Faktor zur De- monstration von deutlichen Abweichungen in der Poetik dienen soll. In der Se- kundärliteratur wird Arthur Schnitzler üblicherweise als Mitglied der Gründer- generation der Epoche der Wiener Moderne angegeben.2 Stefan Zweig ist ein Repräsentant der jüngeren Generation von Autoren, die zu dieser Epoche zäh-

1 Zit. nach: Wunberg (Hg.) 1981: 225. 2 Schnitzler gehörte zum engem Kreis der Gesellschaft, die sich am Stammtisch von Her- mann Bahr regelmäßig im Café Griensteidl traf. Mehr siehe unter: ebd.: 18; Lorenz 1998: 25.

Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 9 len.3 In der Arbeit wird die Auswahl von analysierten Prosawerken auf den Zeit- raum 1901–1931 begrenzt, der die Schnittmenge der Schaffensperioden beider Autoren darstellt. 1901 erschienen die erste Buchausgabe der Novelle Leutnant Gustl4 von Arthur Schnitzler und die erste Ausgabe der Sammlung Silberne Sai- ten von Stefan Zweig. 1931 ist das Todesjahr von Arthur Schnitzler, weshalb in der Arbeit die Werke von Stefan Zweig, die diese Zeitgrenze überschreiten, au- ßer Acht gelassen werden.5 Da als Ziel der Arbeit eine Demonstration der Po- etiktransformation in der Prosa der Wiener Moderne definiert wurde, berück- sichtigt die Werkauswahl bei beiden Autoren nur diesen Teil ihres Schaffens. In den Mittelpunkt werden dabei die kürzeren Prosaformen gelegt – Erzählungen und Novellen. Beide Autoren schrieben zwar auch Romane, deren Anzahl ist aber zu gering, um mit ihnen legitime und relevante Ergebnisse erzielen zu kön- nen, was die Stoff- und Motivauswahl sowie die poetologischen Vorgehenswei- sen betrifft. Arthur Schnitzler veröffentlichte zwei Romane – Der Weg ins Freie (1908) und . Chronik eines Frauenlebens (1928). Stefan Zweig veröf- fentlichte nur einen einzigen Roman – Ungeduld des Herzens (1939). Einen be- sonderen Teil seines Schaffens bilden die Monografien und die biografischen Romane über berühmte Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte, in denen er sich vor allem auf die psychologische Beschreibung von Charakteren kon- zentrierte. Als Beispiele sind Drei Meister: Balzac – Dickens – Dostojewski (1920), Romain Rolland. Der Mann und das Werk (1921), Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters (1932) und Balzac. Roman seines Lebens (1942, posthum) zu nennen. Da bei Arthur Schnitzler ähnliche Werke nicht zu

3 Catherine Sauvat bezeichnet ihn in ihrem Buch Stefan Zweig und Wien (2000) als einen „Nachwuchsschriftsteller“, der in die damalige Wiener Schriftstellersozietät nicht reinge- passt hätte. Zweig habe zwar ab und zu das Café Central oder Café Griensteidl besucht, wo sich diese Autoren getroffen haben, er habe aber lieber und öfter die Gesellschaft jun- ger Studenten gesucht, die er im Café Beethoven genießen konnte. Zweig hatte zwar laut Sauvat vor der älteren Schriftstellergeneration Respekt, fände aber ihrerseits als junger gut situierter Autor nie echte Anerkennung. Dies sei auch einer der Gründe, warum seine Be- ziehung zu Wien, seiner Heimatstadt, so ambivalent gewesen sei. Obwohl Zweig u. a. mit Arthur Schnitzler und Korrespondenz pflegte, müsse man über eine gewisse Distanz zwischen ihm und der älteren Generation sprechen. Siehe dazu: Sau- vat 2000: 37, 51, 52, 145, 146. 4 Die Novelle wurde zum ersten Mal schon im Dezember 1900 in der Weihnachtsausgabe der Neuen Freien Presse veröffentlicht. 5 Das Schaffen von Stefan Zweig reicht bis zum Jahr 1942, als er Selbstmord begang. Arthur Schnitzler veröffentlichte sein erstes Gedicht Liebeslied der Ballerine schon 1880 in der Zeitschrift Der freie Landbote.

10 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur finden sind, wurde dieser Teil von Zweigs Prosaschaffen nicht in den For- schungskreis eingeschlossen.

In der Arbeit werden die Werke des Zeitraumes zwischen 1901 und 1931 analy- siert, obwohl die Epoche der Wiener Moderne in der Sekundärliteratur übli- cherweise enger abgegrenzt wird.6 Das Schaffen beider Autoren endet aber durch keine literaturwissenschaftliche Abgrenzung oder historische Periodisie- rung. Die Arbeit basiert auf einer Charakteristik der Beziehungen zwischen Text, jeweiliger Epoche und ihrer Periodisierung, wie sie die slowakische Lite- raturwissenschaftlerin und Komparatistin Mária Bátorová in ihrer Studie Kon- textualizácia literárneho diela (Kontextualisierung eines literarischen Werkes, 2004) beschreibt. Die Periodisierung von literarischen Richtungen, wie wir sie in ihrer kanonisierten und standardisierten Form kennen, fixiere die einzelnen Richtungen im gewissen Zeithorizont. Jeder Richtung seien dabei gewisse aus- geprägte Merkmale zugeschrieben worden. In diese Struktur reihe man dann die Autoren und ihre Werke ein. Die Zwischenphasen seien als unausgeprägt und kürzer verstanden worden. Die einzelnen Werkanalysen würden aber zeigen, wie eine solche Periodisierung nicht funktioniere und scheitere. Die Merkmale einzelner Richtungen würden in „reiner“ Form derart selten erscheinen, dass

6 Dagmar Lorenz beschreibt in der Einleitung von Wiener Moderne (1998) die Uneinheit- lichkeit der zeitlichen Abgrenzung der Wiener Moderne. Als Beispiele führt sie die Stu- dien von Herbert Zeman an, der diese Epoche durch die Jahre 1870–1920 abgrenze, weiter Rolf-Peter Janz und Klaus Laermann, die in diese Epoche sowohl das Naturalismus als auch den Symbolismus, Impressionismus und Jugendstil einbeziehen würden, oder den Franz Norbert, der den Anfang der Epoche mit der Frühromanik gleichsetze. Siehe dazu Lorenz 1998: 1. Gotthart Wunberg (auf den sich die meisten Forscher berufen, die diese Epoche untersuchen) bezeichnete in seinem Werk Die Wiener Moderne (1981) die Zeit- spanne zwischen 1890–1910 als Epochengrenze. Siehe: Wunberg (Hg.) 1981: 19. Hein- rich Maike gibt in seiner Monografie Erinnerung in der Wiener Moderne (2005) zwar zu, dass die Epoche streng genommen durch Jahre 1890–1910 abzugrenzen sei, das Werk Schnitzlers aber diese Abgrenzung übertrete. Maike spricht vor allem von der Erzählung Fräulein Else (1924), die trotz ihres Entstehungsjahres poetologisch zur Wiener Moderne gehöre. Siehe: Maike 2005: 13. Ivan Cvrkal analysiert die Prosa der Wiener Moderne, wobei er die Epochenabgrenzung zwischen 1889–1902 setzt. Das Jahr 1902 bezeichnet er dabei als Vollendung der ersten Wiener Phase. (1902 erschien der Ein Brief von Hugo von Hofmannsthal.) Siehe: Cvrkal 1995: 6. Mehrere bedeutende Wissenschaftler, die diese Epoche untersuchen, verzichten in ihren Studien und Werken auf eine konkrete Zeitab- grenzung, sprechen aber von Wien um 1900 bzw. von Wien der Jahrhundertwende. Siehe z. B.: C. E. Schorske Wien, Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle (1982); K. Fliedl Arthur Schnitzler (2005); M. Baßler Literarische Moderne (2010); M. Bátorová Bratislava – Wiens Nachbarschaft, Unterbewusstsein, Erotik und Moderne (2005); A. Grusková Dramatika viedenskej moderny (1999) u. a.

Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 11 man laut Bátorová nur gewisse Werke zu diesen zuordnen könne, und zwar als Ausnahmen bzw. als ihre Höhepunkte. Die Werkanalysen würden beweisen, dass die Zwischenphasen oft viel länger als gedacht dauern würden und dass die Entwicklung einzelner Richtungen gerade auf dem Wandel beruhe.7

Das Spektrum an literaturwissenschaftlichen Arbeiten, die die Epoche der Wie- ner Moderne bzw. das Leben und die Werke von Arthur Schnitzler oder Stefan Zweig untersuchen und interpretieren, ist sehr breit. Das Forschungsinteresse für beide Autoren sowie für das Wien der Jahrhundertwende steigt deutlich schon seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ihre Dramen werden häufig neu auf- geführt und inszeniert,8 ihre Werke neu herausgegeben9 oder durch neue Medien aktualisiert.10 Laut Dagmar Lorenz überwiegt in der Forschung dieses Bereiches seit den 80er Jahren die Tendenz, die Beziehungen zwischen literarischen und außerliterarischen Zusammenhängen in den Mittelpunkt zu stellen.11 Laut Matjaž Birk und Thomas Eicher wächst in diesem Zeitraum auch das Interesse am Leben und an den Werken von Stefan Zweig,12 was auch der Sammelband Stefan Zweig heute demonstriert, der 1987 von Mark H. Gelber herausgegeben wurde und in dem ausgewählte Beiträge aus wissenschaftlichen Symposien der 80er Jahre veröffentlicht sind.13 Konstanze Fliedl konstatiert ein „lawinenarti- ges“14 Zunehmen des Interesses an der Forschung zum Leben und Werk von

7 Bátorová 2004: 133 und 134. 8 Das Ballett Ein Reigen (2015) des Choreographen Ashley Page gehört zum aktuellen Re- pertoire des Volkstheaters in Wien; das Drama (2014) des Regisseurs Dieter Giesing wurde 2014–2016 im Wiener Burgtheater aufgeführt; (2015) der Regisseurin Alexandra Liedtke war im Wiener Theater in der Josefstadt zu sehen. Der Roman Ungeduld des Herzens von Stefan Zweig wurde von dem Regisseur Simon McBurney 2016 dramatisiert und in der Schaubühne aufgeführt usw. Siehe dazu das Wie- ner Theaterprogramm: http://www.viennaclassic.com/de/theater-wien/ueberblick.html, (24.2.2016). 9 Z. B.: Zweig, Stefan (2014): Svet včerajška: Spomienky Európana. Bratislava: Premedia; Zweig, Stefan (2015): Magellan – Der Mann und seine Tat. Köln: Anaconda Verlag; Schnitzler, Arthur (2015): Casanovas Heimfahrt. Starnberg: Runkersaith Verlag; Schnitz- ler, Arthur (2015): Leutnant Gustl, Norderstedt: Books on Demand usw. 10 Der Film des Regisseurs Wes Anderson The Grand Budapest Hotel (2014) wurde anhand von Motiven einer unveröffentlichten und unvollendeten Novelle von Stefan Zweig ge- dreht. Anderson hielt sich im Film an die prägnante Poetik von Zweigs Werken, und zwar durch die narratologische Einrahmung der Geschichte. Der Film gewann einen Oscar. 11 Lorenz 1998: 2. 12 Birk und Eicher 2008: 9. 13 Gelber (Hg.) 1987: 7. 14 Fliedl 1997: 41.

12 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur Arthur Schnitzler schon seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. In den 70er Jahren richtete sich die Forschung laut Fliedl auf den soziologischen, in den 80er Jahren auf den jüdischen Aspekt seiner Werke.15 In späteren Jahren wird Schnitzler laut ihr „neu gelesen“16 und u. a.17 auch im Zeichen der Postmoderne untersucht. Jacques Le Rider veröffentlichte 1987 den Sammelband Verabschie- dung der (Post)Moderne? und 1990 das Werk Das Ende der Illusion. Zur Kritik der Moderne. Das Wien um 1900 stellt laut Le Rider „das Paradox einer Post- moderne ohne Moderne“18 dar. Die Autoren der Wiener Moderne würden sich derart von der Berliner Moderne abzusondern versuchen, dass sie antimodern seien. An die Diskussion über Postmodernität der Wiener Moderne knüpft mit seiner Monografie Unser postmodernes Fin de Siècle (2004) auch Oliver Neun an, der den Dramenzyklus von Arthur Schnitzler in den Mittelpunkt sei- ner Untersuchung stellt. Im letzten Kapitel der vorliegenden Studie werden die Ergebnisse von Neun mit Prosawerken von Schnitzler verglichen. Das Ziel der Analyse von postmodernen Aspekten in Schnitzlers Prosa soll es nicht sein, die Diskussion bezüglich der Grenzen zwischen Moderne und Postmoderne endgül- tig zu lösen, so wie sie von François Lyotard, Wolfgang Welsch, Jürgen Haber- mas u. a. konturiert wurde, sondern dank dieses Diskurses tiefer in den Abgrund von Schnitzlers Poetik zu blicken. Die Kontextualisierung seiner Werke in Rich- tung ihrer postmodernen Merkmale soll die Möglichkeit eröffnen, diese in einen

15 Ebd.: 41 und 49. 16 Fliedl 2005: 72. 17 Überwiegende Tendenzen in der Schnitzler- und Zweigforschung der letzten zehn Jahre sind Vielfältigkeit und Diversität. Man kann nur schwer von einer Orientierung auf gewis- se Gebiete oder Themen sprechen. Das Interesse der Forscher wird sowohl durch das Le- ben beider Autoren – z. B. U. Weinzierl Stefan Zweigs brennendes Geheimnis (2015); O. Matuschek Stefan Zweig: Drei Leben – Eine Biographie (2008); S. Michel Unterwegs mit Stefan Zweig (2008); E.-J. Harriet Die unvollendete Geliebte: Olga Wassinix & Arthur Schnitzler (2015); K. Fülle Arthur Schnitzler als Psychologe? (2014) – als auch durch ver- schiedene Aspekte ihrer Werke geweckt: Judentum, Frauenbild, Liebe, Untreue, Tod usw. Z. B. A. Tacke Schnitzlers „Fräulein Else“ und die Nackte Wahrheit (2015); G. K. Schneider Grenzüberschreitungen: Energie Wunder und Gesetze: Das Okkulte als Welt- anschauung und seine Manifestation im Werk Arthur Schnitzlers (2014); I. Rakusa Auto- biographisches Schreiben als Bildungsroman (2014); M. Gelber Stefan Zweig, Judentum und Zionismus (2014); M. Birk und T. Eicher (Hg.) Stefan Zweig und das Dämonische (2008) usw. 18 Siehe das Interview mit Jacques Le Rider. Zugänglich unter: http://www.mip.at/attachments/383 (13.4.2017).

Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 13 gründlicheren Vergleich mit den Werken von Stefan Zweig bzw. von anderen Autoren der Wiener Moderne zu bringen.

Die Studie bezieht sich auch auf Ergebnisse der heimischen (slowakischen) For- schung. Sie knüpft vor allem an die Studien von Mária Bátorová an, die sich dem Phänomen der Moderne aus mehreren Perspektiven näherte und die Werke von Arthur Schnitzler und Stefan Zweig mit dem Kontext der slowakischen Moderne verglich.19 In der vorliegenden Arbeit wird des Weiteren an die Stu- dien von Anna Grusková angeknüpft, die die Dramatik der Wiener Moderne und deren Rezeption in der Slowakei untersuchte.20 Zudem werden auch die Über- sichtsstudien von Ivan Cvrkal in Betracht gezogen.21

Einen Ausgangspunkt beim Vergleich der Poetiken von Arthur Schnitzler und Stefan Zweig bildet in der Arbeit die Analyse des literarischen Textes. Das al- lererste Forschungsobjekt ist die Primärliteratur selbst. In ihr wird das gesucht, was die beiden Autoren verbindet, was ihren gegenseitigen Vergleich überhaupt möglich macht. Gerade der gemeinsame Kontext ihres Lebens und Schaffens steht als Hintergrund, Voraussetzung und Bedingung hinter ähnlichen grundle- genden und sich wiederholenden Motiven und Themen, die in ihren Werken er- scheinen und sie verbinden. Die ausgewählten Motive sind markant, relevant und wiederholen sich im Schaffen beider Autoren. Es sind Motive des Geheim- nisses, der Einsamkeit und der Erinnerung, die für Moderne selbst charakteris- tisch sind. Sie sind eng aneinandergebunden, bedingen sich gegenseitig und hängen voneinander ab. Wenn man das eine untersucht, muss man unweigerlich auch die anderen Aspekte im Hintergrund reflektieren. Aus diesen Gründen ist es in dieser Arbeit notwendig, manche Zusammenhänge an mehreren Stellen zu erwähnen. Gleichzeitig ist es eine Begründung, warum der gesellschaftspoliti- sche, historische, soziale und kulturelle Kontext nicht einheitlich am Anfang angeführt ist, sondern in der gesamten Arbeit nach Relevanz verstreut wird.

19 M. Bátorová Slovenská literárna moderna v spektre svetovej moderny (Jozef Cíger Hronský) (2011); M. Bátorová Bratislava – Wiens Nachbarschaft, Unterbewusstsein, Ero- tik und Moderne (2005); M. Bátorová Jozef Cíger Hronský und die Moderne (2004) u. a. 20 A. Grusková Dramatika Viedenskej moderny (1999); A. Grusková Milý pornograf (1999). 21 In der ursprünglichen slowakischen Fassung der Studie wird der Kontext der slowakischen Rezeption auch durch Anwendung slowakischer und tschechischer Übersetzungen von Primärliteratur reflektiert und demonstriert.

14 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur Als Erstes wird das Geheimnismotiv untersucht. Für seine Analyse wird als ge- meinsamer Kontext von Werken beider Autoren der philosophische Hintergrund der Wiener Moderne als Epoche in Betracht gezogen. In weiteren Teilen der Studie wird die Verarbeitung des Einsamkeitsmotivs verglichen, wobei an die politisch-soziologischen Zusammenhänge angeknüpft wird. Die Einsamkeit des Individuums inmitten der Masse und der äußeren Wirklichkeit mündet in eine Introspektion und in Orientierung auf die eigene Vergangenheit, auf das Ge- dächtnis und auf die Erinnerung, was als ein Versuch zur Stabilisation und Defi- nition des eigenen Ichs verstanden wird. Einen gemeinsamen Ausgangspunkt für die Analyse des Erinnerungsmotivs bilden die Psychologie (Psychoanalyse) und die kulturologisch orientierte Literaturwissenschaft (Problematik des Gedächt- nisses in der Literatur). Jeder Vergleich, der aus gemeinsamen symptomatischen Kategorien entsteht, führt zu einer Analyse der unterschiedlichen Verarbeitungs- formen. Unterschiede, die auf diese Weise auftauchen, führen die Struktur der Arbeit zurück zum Geheimnis, das hier als eine Abbildung des Autorensubjektes und dessen Einstellung zur Wirklichkeit verstanden wird. Als Grundlage der on- tologisch-psychologischen Zusammenhänge und ihrer soziologischen Aus- gangspunkte wird die Kategorie des Fremden für den Vergleich gewählt. Durch diese inneren Linien geführt, mündet dieser Vergleich in eine Analyse konkreter narratologischer Kategorien, die die Ziele und Ergebnisse der Forschung bestä- tigen und unterstützen sowie die wesentlichsten Merkmale der Poetiktransfor- mation in den Prosawerken beider Autoren ans Licht bringen soll.

Der Begriff Poetik wird in der Arbeit nicht nur im Sinne einzelner Erzählkatego- rien verwendet, sondern, ausgehend von Begriffsdefinitionen, die in zeitgenössi- schen (slowakischen und tschechischen) literaturwissenschaftlichen Wörter- und Handbüchern angegeben sind, auch breiter verstanden:

1. als „individueller Charakter des literarischen Werkes aus Gesichtspunkten schöpferischer Vorgehensweisen, Themen, ästhetischer und philosophi- scher Orientierung oder Meinung des Autors bzw. der Richtung“22 2. als „ein Komplex, ein System markanter Mittel, die in einem literarischen bzw. dichterischen Werk oder in einer Sammlung dichterischer Werke or- ganisiert werden“23

22 Valček 2006: 265. (Übersetzt von K. Z.)

Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 15 3. als „Poetik des Autors; der Begriff bezeichnet alle einheitlichen Autoren- reflexionen, die ihre eigene poetische Vorgehensweise betreffen. Das zentrale Thema ist die → Poiesis → von Texten bzw. ihrer Struktur und → von ihren Entstehungsbedingungen“24

23 Štraus 2001: 225. (Übersetzt von K. Z.) 24 Nünning, Trávníček, Holý (Hg.) 2006: 606. (Übersetzt von K. Z.)

16 © Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 1. Methodologische Ausgangspunkte

Im Sammelband Texte zur Theorie der Autorschaft (2000) stellen sich seine Au- toren Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko die Frage, inwieweit die Kategorie des Autors bei der Interpretation literarischer Texte relevant ist. Sie unterscheiden drei Grundansätze in der Forschung – le- ser-, text- und autororientierte Ansätze25 – und unterziehen alle drei einer gründ- lichen Kritik. Durch Einbeziehung des Autors in die Interpretation eines literari- schen Textes müsse man nicht unbedingt in einen „naiven Biographismus“26 verfallen. Angesichts des stereotypischen Gegenpols im Sinne von poststruktu- ralistischen und hermeneutischen Stellungnahmen erachten die Autoren diejeni- gen Ansätze für sinnvoll, die den Autor z. B. durch „historische Fixierung des Textes oder die Auswahl aus potentiell unendlich vielen Kontexten für die In- terpretation literarischer Texte“27 berücksichtigen.

Die vorliegende Arbeit geht von diesen Prämissen aus, wobei der Autor und das Werk bzw. der Text in den Forschungsmittelpunkt gestellt werden.28 Beide Ka- tegorien werden dabei nicht streng voneinander getrennt. Weder der Autor noch der Text werden hier als isoliert verstanden. Jede Werkanalyse wird anhand ei- nes gewissen Kontextes durchgeführt und durch die Perspektive des Autors be- trachtet, wobei sowohl dessen Kontext und seine individuelle Poetik als auch der Epochenkontext, in dem das Werk entstand, miteinbezogen werden. Durch den Autor tritt wiederum das Werk in den jeweiligen Kontext ein, ergänzt ihn und schafft ihn mit. Der Autor wird demnach als ein Vermittler zwischen Text und Kontext angesehen.

Die Beziehungen zwischen Autor und Text gehören zu den Grundthemen der Studie Stopy „autobiografie“ vo fikcii (Die Spuren „der Autobiografie“ in der Fiktion, 2011) von Mária Bátorová. Die slowakische Literaturwissenschaftlerin

25 Siehe: Jannidis (Hg.) 2000: 10. 26 Ebd.: 25. 27 Ebd. 28 Die Einbeziehung der Rezeption bzw. des Lesers würde den Umfang der Arbeit wesent- lich überschreiten, deswegen wird darauf verzichtet. Dieser Themenkomplex bedürfte be- sonderer und eigenständiger Aufmerksamkeit.

Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 17