Bemerkungen zum

Planfeststellungsverfahren BAB A 49 - Abschnitt (VKE 20)

Jörg Haafke, Dorfmühle, 34628

Willingshausen, den 11.11.2005 A - Ziele des Vorhabens

Das geplante Vorhaben verfolgt entsprechend der Darstellungen des zugehörigen Erläuterungsberichtes die Ziele (nachfolgend werden die Ziele zur besseren Zu- ordnung in der weiteren Analyse mit Kennziffern versehen): 1.1 Abbau von Kapazitätsengpässen und Minderung der Unfallgefahr auf der A 7 und der A 5 1.2 Entlastung, vornehmlich vom Schwerverkehr, der B 254 und Abbau von Ka- pazitätsengpässen, Minderung der Unfallgefahr und Minderung der Umwelt- belastung auf der B 254 (ebenda S. 6)

Weiterhin werden folgende regionale Ziele angegeben: 2.1 Entlastung des nachgeordneten Straßennetzes vom überregionalen Ver- kehr 2.2 Verbesserung der Erschließung der Region 2.3 Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur 2.4 Sicherstellung angemessener Standortqualitäten 2.5 Verbindung der Wirtschaftsräume und Gießen und der dazwischen- liegenden Mittelzentren 2.6 Erhöhung der Effizienz in der Verkehrsabwicklung und Vermeidung von Zeitverlusten durch Umwegfahrten 2.7 Entlastung der Ortsdurchfahrten

Stellungnahme zu den einzelnen Zielen: Zu 1.1 Eine mögliche Entlastung der A 7 und der A 5 ist nur durch einen Lücken- schluß zwischen dem derzeitigen Ausbauende Neuental bis zur A 5 erreich- bar. Ein solcher Lückenschluß ist jedoch u.a. aufgrund erheblicher, allge- mein bekannter ökologischer Probleme im Bereich des Restabschnittes zwischen Schwalmstadt und A 5 infragegestellt und nicht oder jedenfalls nicht zeitnah zu erwarten. Insoweit löst ein – wenn auch im Idealfall befris- tetes – Ausbauende in Schwalmstadt Folgewirkungen aus, die ihrerseits die Erreichung der weiteren Ziele des Vorhabens infragestellen. Diese Ein- schätzung wird noch dadurch gestärkt, dass die Notwendigkeiten zur Ent- lastung von A 7 und A 5 durch eine Ausweichroute aufgrund der parallel dort stattfindenden bzw. geplanten weiteren Ausbaumaßnahmen entbehr - lich sind bzw. zeitnah werden.

Zu 1.2 Aufgrund der in den Planfeststellungsunterlagen dargelegten Angaben zur Verkehrszählung und zur Prognose der Verkehrsentwicklung ist für den ge- planten Idealfall eines Lückenschlusses zwischen Neuental und A 5 für das Jahr 2015 eine verbleibende Belastung auf der B 254 von 78 % im Ab- schnitt /Efze-Schwalmstadt bzw. von 87 % im Abschnitt - stadt-Alsfeld gegenüber der Prognose für 2015 ohne Bau der VKE 20 zu konstatieren (s. beigefügte Tabelle ). Diese Werte werden kaum der ange- strebten Entlastung der B 254 gerecht und resultieren aus der unzweckmä- ßigen Anordnung der Trasse einschließlich der Anbindung an den Raum (vgl. zu 2.2). Dieser geringfügigen Entlastung steht überdies eine deutlich höhere Belastung insbesondere der B 454 im Bereich der Ortsdurchfahrt von 187 % (nahezu Verdoppelung der Verkehrsbelastung) gegen- über. Im Vergleich zur Verkehrsbelastung 2000 steigt der Verkehr mit 285 % sogar nahezu auf den dreifachen Wert. Bei einer wahrscheinlichen deutlichen Verzögerung bzw. eines nicht auszu- schließenden dauerhaften Endes der A 49 in Höhe Schwalmstadt ergibt sich für die regionalen Verbindungen eine Mehrbelastung zwischen 36 und 53 % (vgl. Tabelle ). Davon sind insbesondere die B 254 und die B 454 im Bereich Schwalmstadt betroffen. Lediglich für die B 3, die allerdings in den o.a. Zielstellungen nicht aus- drücklich erwähnt wird (!), ergibt sich bei Herstellung des Lückenschlusses bis zur A 5 eine Reduzierung der Belastung auf ca. 27 % des heutigen Wer- tes. Eine Teilrealisierung des Abschnitts VKE hat indes keine entlastende Wirkung für die B 3.

Fazit zu den übergeordneten Zielen des Vorhabens: Die übergeordneten Ziele des Vorhabens werden nicht durch Realisierung des Streckenabschnittes VKE 20 erreicht. Ein eigenständiger Verkehrswert ist nicht gegeben. Im Gegenteil werden Zusatzbelastungen erzeugt. Die erzielten Ver- kehrswirkungen rechtfertigen die mit dem Planvorhaben verbundenen Belastun- gen und Eingriffswirkungen nicht. Dem Bau des betreffenden Streckenabschnittes könnte aus verkehrstechnischen Überlegungen nur dann zugestimmt werden, wenn auch für den Weiterbau bis zur A 5 die entsprechenden rechtlichen Voraus- setzungen vorliegen und eine entsprechende Realisierung nur zu einer eindeutig kurzfristigen Unausgewogenheit hinsichtlich der Belastungen und Eingriffswirkun- gen gegenüber dem Nutzen des Streckenabschnittes VKE führt.

Zu 2.1: Eine Entlastung des nachgeordneten Straßennetzes vom überregio- nalen Verkehr ist mit der alleinigen Realisierung des Streckenabschnittes VKE 20 – wie vorstehend dargelegt – nicht gegeben. Lediglich der Lücken- schluß bis zur A 5 verspricht – nach den mit den Planfeststellungsunterla - gen vorgelegten Zahlen - für die B 3 sowie für die bisherige B 454 zwischen Schwalmstadt und Neustadt sowie für die L 3155 im Bereich der OD Tresya eine verkehrliche Entlastung auf zwischen 27 % und 37 % des Ausgangs- wertes aus dem Jahre 2000. Die mutmaßliche verkehrliche Entlastung für die L 3067 (Allendorf-Schwalmstadt) und die L 3074 (-Neuen- tal) kann darüber hinaus trotz fehlender Angaben in den Planfeststellungs- unterlagen angenommen werden. Allerdings dürften die Netto-Entlastungen bei Ausgangswerten von 3.300 bzw. 2.000 Fahrzeugen/24 Stunden – nicht nur vor dem Hintergrund, dass diese gegenwärtig faktisch ohne Lkw-Ver- kehr bestehen - eher von symbolischen Wirkung sein. Dies wird insbeson- dere für die L 3067 gelten, die ihre innerörtliche Entlastung durch eine par- allel verlaufende mit einem – bei Herstellung des Lückenschlus- ses zur A 5 - Fahrzeugstrom in der Größenordnung von 35.000 Fahrzeu- gen/24 Stunden und dem damit unweigerlich verbundenen Nebenwirkun- gen erkauft. Ergänzend ist an dieser Stelle noch festzuhalten, dass die re- duzierte Belastung der L 3155 im Bereich der OD Treysa aus der geplanten Kappung der bestehenden Verbindung in Richtung resultiert und insoweit nicht ernsthaft in den Vergleich einbezogen werden kann.

Zu 2.2: Eine Verbesserung der Erschließung der Region kann ebenfalls nur dann unterstellt werden, wenn es zu einem Lückenschluß bis zur A 5 kommt. Bei einem Teilausbau wird sich die Erschließung bestenfalls schein- bar verbessern. Real wird es bedingt durch die unglückliche Orientierung des Anschlusspunktes der A 49 auf die Westseite der Stadt Schwalmstadt zu erheblichen Kapazitätsengpässen und Zeitverlusten sowie Belastungen vorhandener Siedlungsbereiche im Raum der Doppelstadt Treysa/Ziegen- hain kommen. Während aktuell die überregionale Erschließung von Treysa/ bedingt durch die Führung der B 254 sowie der nach Osten weiterführende B 454 und auch bedingt durch die vorrangige Ent- wicklung der Schwalmstädter Gewerbegebiete auf die Ostseite von Schwalmstadt orientiert ist, ruft der A 49-Anschluß eine potentielle Verlage- rung hervor, die ohne verkehrliche Alternative innerstädtische Verkehrsach- sen beansprucht. Diese Situation wird noch dadurch verschärft, das die Weiterführung nach Westen über die B 454(alt) über Wiera und Neustadt faktisch keine zusätzliche Belastung verträgt (bedingt durch einspurige und höhenbegrenzte Brückendurchlässe sowie Verkehrsführung durch die Alt- stadt von Neustadt) und der betreffende Verkehr offensichtlich ebenfalls auf die östlich verlaufende B 254 gelenkt werden soll. Die betreffende Konzepti- on dokumentiert sich nachdrücklich in der Dimensionierung und Ausrich- tung der Anbindungsspange vom Anschluß Schwalmstadt in die namenge- bende Stadt. Während die Anbindung nach Westen untergeordnet eingefä- delt, ja nahezu gekappt wird, führt die Hauptachse im Bogen in die Stadt Schwalmstadt hinein. Hier werden selbst bei Beschränkung des Weiterbaus auf den Abschnitt VKE 20 mehr als 50% höhere Verkehrsbelastungen er- wartet – im Vollausbau steigt die Belastung sogar auf 285 %! Schon heute präsentiert sich die hiervon betroffene innerörtliche Hauptverkehrsachse Schwalmstadt als kaum aufnahmefähig für den bestehenden Verkehr. Die unzweckmäßige Anschlussstelle im Westen der Stadt Schwalmstadt und die daraus resultierenden Nebenwirkungen und Zeitverluste werden letzt - endlich auch die potentielle Entlastung der B 254 im nördlichen Abschnitt zwischen Schwalmstadt und Homberg/Efze infrage stellen. Insoweit stellt die geplante Anbindung der Region an die A 49 keine Verbesserung der Er- schließung der Region dar, sondern wird im Bereich der Schwalm im Ge- genteil eine Verschlechterung verursachen, die letztendlich auch eine Ver- schlechterung des örtlichen Quell- und Zielverkehrflusses bewirkt. Zu 2.3 Die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur kann nur als unbelegte Hypothese charakterisiert werden. Weder geben die vorgelegten Planfest- stellungsunterlagen irgendeine Erläuterung zu dieser Behauptung noch ver- mögen die großräumigen wirtschaftsstrukturellen Entwicklungen zu einer entsprechenden Erwartung Hoffnung geben. Unter den gegebenen wirt- schaftspolitischen Bedingungen werden unternehmerische Standortent- scheidungen entweder unter Personalkostenaspekten und daraus zumeist abgeleiteten Verlagerungen in Richtung Osteuropa getroffen oder sie erge- ben sich aus logistischen Gründen für die Abwicklung von Transportverkeh- ren im Nahbereich übergeordneter Verkehrsknoten. Beide Voraussetzun- gen sind in der Region Schwalm nicht gegeben und damit das angestrebte Ziel mit dem Weiterbau der A 49 nicht zu erreichen.

Zu 2.4: Die angestrebte „Sicherstellung angemessener Standortqualitäten“ bleibt in den vorgelegten Planunterlagen ohne jedwede Erläuterung bzw. ohne jedweden Beleg. Vielmehr beschreibt der landschaftspflegerische Be- gleitplan unzweifelhaft eine erhebliche Verschlechterung der Standortquali- täten hinsichtlich der Aspekte Natur und Landschaft sowie Erholung, die noch deutlich über den Bereich der eigentlichen Trasse hinausgeht und eine Eingriffsfläche von ca. 250 ha (entspricht ca. 500 Fußballfelder!) verur- sacht und nach dem Landschaftspflegerischen Begleitplan einen natur - schutzrechtlichen Ausgleich bzw. Ersatz in der Größenordnung von ca. 180 ha erforderlich macht. Ungeachtet der Qualität der geplanten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen kann allein anhand dieser Dimensionen insoweit festgestellt werden, dass der geplante Weiterbau der A 49 dem vorgegebe- nen Ziel in der Summe zuwiderläuft.

Zu 2.5: Eine Verbindung der Wirtschaftsräume Kassel und Gießen und der dazwischenliegenden Mittelzentren kann durch den geplanten Weiterbau der A 49 seit der Abkehr von der Linienführung über Stadtallendorf und nicht mehr erreicht werden. Da die A 49 nunmehr bereits ab Neu- stadt nach Südosten in Richtung auf die A 5 verschwenkt werden soll, bleibt sogar die potentielle Entlastungswirkung für die B 3 zweifelhaft, da es sich hier zum weitaus überwiegenden Teil um Zielverkehre in den Raum Mar- burg handelt.

Zu 2.6: Eine Erhöhung der Effizienz in der Verkehrsabwicklung durch Ver- meidung von Zeitverlusten durch Umwegfahrten wird ganz offensichtlich durch die unzweckmäßige Anordnung der A 49 grundsätzlich nicht erreicht wie aus der Analyse der vorstehenden Aspekte hervorgeht. Im Besonderen wird dieses Ziel auch noch durch ein zumindest für lange Zeiträume wahr- scheinliches vorläufiges Ausbauende in Schwalmstadt verstärkt.

Zu 2.7: Die erwünschte Entlastung von Ortsdurchfahrten wird nur einge- schränkt und vornehmlich für die L 3067 erreicht. Dies gilt insbesondere – wie in den vorstehenden Kapiteln hergeleitet – vor allem bei einer Be- schränkung des Weiterbaus bis zur Anschlussstelle Schwalmstadt. Und selbst bei einem eher unwahrscheinlichen zeitnahen Weiterbau bis zur A 5 wird dies ergänzend bestenfalls für Orte im Verlauf der B 3 erreicht, wobei an die dargestellten Entlastungswirkungen in dem betreffenden Streckenab- schnitt aufgrund der unbestreitbaren Orientierung auf das Mittelzentrum Marburg zudem noch ein deutliches Fragezeichen zu setzen ist. Demge- genüber erfährt insbesondere die Ortsdurchfahrt Treysa eine erhebliche Mehrbelastung, die zudem aufgrund der Kessellage der historischen Stadt kaum durch eine Umgehungslösung gemindert werden kann.

Fazit zu den nachgeordneten Zielen des Vorhabens:

Die in den Planfeststellungsunterlagen angegebenen nachgeordneten, regionalen Ziele des Vorhabens (Erläuterungsbericht S. 6f) werden mit dem geplanten Wei- terbau der A 49 nicht erreicht. Dies gilt sowohl für den Fall des vollständigen Lückenschlusses bis zur A 5 und mehr noch für den nach heutigen Kenntnissen wesentlich wahrscheinlicheren Fall eines auf unabsehbare Zeit verbleibenden Ausbauendes in Höhe Schwalmstadt. Da die Planung offenkundig vorrangig auf das übergeordnete Ziel „Entlastung von A 5 und A 7“ ausgerichtet ist, werden ganz offensichtlich regionale Erfordernisse zur strukturellen Entwicklung des Raumes überlagert. Weil die Planung trotz der inzwischen wohl festgeschriebenen Abweichung von der ursprünglichen Linienfüh- rung über Marburg offenbar versucht, wenigstens noch eine Einbindung von Stadt- allendorf und Neustadt zu gewährleisten, wird eine Linienführung westlich von Schwalmstadt-Treysa heraufbeschworen, die nicht nur faktisch die bestehenden Verkehrsstränge und siedlungsstrukturellen Ansatzpunkte ignoriert, sondern auch eine überaus unzweckmäßige örtliche verkehrliche Einbindung von Schwalmstadt präjudiziert. Daraus resultieren wiederum vermeidbare Beeinträchtigungen und Belastungen von Landschaftsraum und Siedlungsraum. Somit verpuffen die mögli- chen Vorteile eines Autobahnanschlusses für die Schwalm in unnötigen neuen verkehrlichen Erschwernissen. Diese mutmaßlich zu erwartende Entwicklung wirft die grundlegende Frage nach der Vertretbarkeit einer Entscheidung zur ... der un- terschiedlichen und weitestgehend dauerhaften Beeinträchtigungen infolge des Baus und Betriebes der A 49 auf.

In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, dass eine Variantenprüfung „Stär- kung des vorhandenen regionalen Verkehrsnetzes“ überhaupt nicht betrachtet wurde, obwohl aus dementsprechenden Maßnahmen insbesondere eine Realisie- rung der untergeordneten Ziele zu erwarten ist, aber auch für die übergeordneten Ziele durchaus eine bedeutende Relevanz besteht. So würde z.B. eine zweispurig ausgebaute Querspange zwischen (B 3) und (B 254) mit ei- nem nur ca. 15 km langen Streckenabschnitt unter Einbindung des bestehenden Ausbauendes in Neuental und ohne unmittelbare Beeinträchtigung von Siedlungs- bereichen eine wesentliche Verbesserung bewirken. Es würde aufgrund des be- reits bestehenden Ausbaustandes der B 254 nicht nur eine fast durchgehende Entlastung der bestehenden Ortsdurchfahrten an der B 254 (vor allem nördlich Frielendorf) erreicht, sondern auch eine Anbindung von Schwalmstadt entspre- chend der bisherigen verkehrsstrukturellen Situation von Schwalmstadt bewirkt. Auch für den nördlichen Abschnitt der B 3 zwischen Kerstenhausen und Jesberg würde eine unmittelbare Entlastung vom Durchgangsverkehr erreicht werden kön- nen. In Verbindung mit dem Bau einer Umgehung für Jesberg könnte eine derarti- ge Variante daneben noch eine weitere Gefahren- und Belastungsstelle an der B 3 beseitigen. Die L 3067 (Neuental – Schwalmstadt) wäre ebenfalls spürbar zu ent- lasten und zugleich könnten die immensen Belastungen des Landschaftsraumes durch die geplante Autobahn vermieden und die örtlichen Standortpotentiale und – qualitäten erhalten werden.

Zu den dargelegten Zielen ist abschließend festzustellen, dass jene nicht oder bestenfalls nur eingeschränkt durch Realisierung des Abschnitts VKE 20 erreicht werden und in einigen Aspekten sogar konterkariert werden. Insoweit ist zu kon- statieren, dass nicht nur eine fehlerhafte Abschnittsbildung erfolgt ist, sondern ei- nerseits Wirkungen des Vorhabens nicht beschrieben respektive erkannt worden sind und andererseits die Abwägung hinsichtlich des naturschutzrechtlichen Ver- meidungsgebotes nicht sachgerecht erfolgt ist respektive der vorgesehene Um- fang an Eingriffen in den Naturhaushalt gerechtfertigt ist.

B - Würdigung der Standortqualitäten

Die Würdigung der bestehenden Standortqualitäten im Bereich der geplanten Au- tobahntrasse erfolgt in den Planfeststellungsunterlagen im wesentlichen durch die den Unterlagen beigefügte Landschaftspflegerische Begleitplanung (LBP). Die LBP führt aus, dass durch den Bau und den Betrieb des A 49-Abschnittes Neuen- tal-Schwalmstadt - 46,91 ha Fläche unmittelbar für die Trasse neu versiegelt werden, - 61,41 ha Fläche mittelbar für die Durchführung der Bauarbeiten bean- sprucht werden, - 2,45 ha Fläche mittelbar zu beiden Seiten der Trasse als Korridor zusätzlich zu den Trassenböschungen und –arbeitsstreifen von erhöhter Schadstoff- belastung betroffen, - insgesamt 253,7 ha Fläche mithin in der Gesamtsumme von dem Bauvor- haben durch anlagebedingte, baubedingte und betriebsbedingte Konflikte betroffen sind.

Im Zusammenhang mit der Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsrege- lung kommt die LBP zu der Schlussfolgerung, dass zur Kompensation der mit der Anlage, dem Bau und dem Betrieb verbundenen Eingriffswirkungen weitere 190,34 ha Fläche für die Durchführung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen bereitzustellen sind.

Grundlagenerfassung und -bewertung Die ökologische Bewertung der bestehenden Ausgangssituation erfolgte auf der Grundlage einer Biotoptypen-Nutzungskartierung, diverser vorhandener Fachgut- achten zu Fauna und Flora und durch „mindestens drei Begehungen“ von über 300 ausgewählten Lebensräumen im Kontext der UVS über den Streckenabschnitt zwischen Neuental und Anschluß an die A 5 (LBP, S. 31). Darüber hinaus wurden für die relevanten FFH-Arten und –Lebensraumtypen weitere spezielle Gutachten erstellt.

Die Erfassung von Fauna und Flora und die Bewertung der jeweiligen Vorkommen erscheint nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen wenig systematisch und zielorientiert. Sie gründen zudem offenbar mehr auf allgemeine Studien zu den einzelnen Lebensräumen, denn auf eine aussagekräftige örtliche Erfassung. So sind etwa „die Biotoptypen des Planungsraumes mit ihrer typischen Tier- und Pflanzenwelt“ (Kap. 4.5.1, S. 32ff) nahezu durchgängig mit allgemeingültigen Auf- listungen der spezifischen Pflanzenarten und Brutvögel beschrieben, während Aussagen zu eher jeweils kennzeichnenden Arten unkonkret bleiben oder sich in Hinweisen auf Potenziale beschränken. Die benannten Vorkommen bleiben wei- terhin ohne jedwede Einschätzung des jeweiligen Status eines Vorkommens hin- sichtlich Ausprägung und Häufigkeit.

Die vorgenommenen Grundlagenerhebungen und die daraus hergeleiteten Be- standsbewertungen stellen keine hinreichende Grundlage für eine sachgerechte Bewertung der entstehenden Eingriffswirkungen hinsichtlich Biotopstruktur und der Bestandsentwicklung und Flora und Fauna dar. Insbesondere wird eine Prognose der zu erwartenden Entwicklungen der von der Autobahn betroffenen Artenbestän- de vermisst. Ermittlung des Kompensationsbedarfs Die Ermittlung von Ausgleich und Ersatz erfolgt mit der LBP (Kap. 5.4.5, S. 108ff) unter Verwendung einfacher Kompensationsfaktoren mit Werten zwischen 0,5 und 3,0. Mit diesen Faktoren wird unter Verwendung der Flächenbilanz für die jeweili- gen Eingriffstypen der Kompensationsbedarf ermittelt und schließlich durch Sum- mation auf 178,4 ha beziffert. Die vorgenommene Ermittlung von Ausgleich und Ersatz trägt mit diesem verein- fachten Verfahren nicht den Anforderungen des hessischen Naturschutzrechtes Rechnung. Insbesondere findet die seit 1995 in Hessen rechtskräftige Ausgleichs- abgabenverordnung (AAV; seit September 2005 abgelöst durch die Kompensati- onsverordnung (KV)) keine Anwendung. Weil keine Gegenüberstellung mit Zuord- nung von Biotopwertpunkten von Vorher- und Nachher-Situationen erfolgt, resul- tiert daraus einerseits nicht nur ein weitaus unzureichender Umfang des Kompen- sationsbedarfs, sondern vor allem auch eine Unterbewertung der vorhandenen Landschafts- bzw. Biotopsituationen im Bereich der vorgesehenen Kompensati- onsflächen. Die betreffenden Darstellungen der LBP schließen bedingt durch die zusammenfassenden Angaben eine entsprechende Nachvollziehbarkeit im Übri- gen aus. Eine überschlägige Gegenprüfung nach Maßgabe der AAV für den Flächenum- fang mit dauerhaftem Verlust von Biotoptypen läßt einen Ausgleichsbedarf von knapp 32.000.000 Wertpunkten errechnen. Dabei besteht auf den inanspruchge- nommenen ca. 142,55 ha ein durchschnittlicher Biotopwert von 22,4 (vgl. Tabelle ). Bei dem in vergleichbaren Eingriffsfällen üblichen Rückgriff auf Ackerflächen zur Organisation von Ausgleichsmaßnahmen ergibt sich für die typischen Ausgleichs- biotoptypen folgender alternativer Bedarf an Ausgleichsflächen (nach AAV) von entweder ca. 400 ha für Naturnahe Grünlandeinsaat ca. 178 ha für Neuangelegte Streuobstwiesen ca. 178 ha für Buchenwaldaufforstungen. Unter Rückgriff auf die seit September 2005 rechtskräftige Kompensationsverord- nung (KV) und dort geänderten Biotopwertzahlen ergibt sich folgender Ausgleichs- bedarf auf (nunmehr höherbewertetem Ackerland) von entweder ca. 640 ha für Naturnahe Grünlandeinsaat ca. 457 ha für Neuangelegte Streuobstwiesen ca. 188 ha für Buchenwaldaufforstungen.

Damit bewegt sich der mit der LBP vorgesehene Kompensationsumfang von 190,34 ha schon bei einer ersten Einschätzung ganz offensichtlich deutlich unter- halb des erforderlichen Umfanges. Diese Feststellung erhärtet sich insbesondere mit Hinweis darauf, dass - in der überschlägigen Kalkulation mit den 142,5 ha Flächen-Totalverlust nur 56 % der betroffene Gesamtfläche von 253,7 ha einbezogen sind, - Funktionsverluste durch Lebensraumzerschneidung keine Berücksichti- gung fanden und - ein Großteil der vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen zudem auf höher- wertigen Biotoptypen vorgesehen ist und insoweit der Ausgleichswert je Flächeneinheit deutlich geringer zu bemessen ist.

Danach bleibt festzustellen, daß der vorgesehene Kompensationsumfang weit un- ter dem nach AAV (bzw. KV) erforderlichen Ausgleichsbedarf liegt.

Die Abweichung von der geltenden hessischen Naturschutzpraxis und –rechtslage stellt darüber hinaus zudem eine Ungleichbehandlung mit anderen Eingriffsverur - sachern dar und macht letztlich auch die mit der Einführung der Kompensations- verordnung nunmehr geregelte, aber zuvor auch bereits praktizierte, Anwendung von Ökokonten aus mangelnder Kompatibilität unmöglich. Damit werden letztlich auch andere Möglichkeiten der Gewährleistung von Kompensationsanforderungen etwa durch entsprechende Vorleistungen von umliegenden Gemeinden ausge- schlossen.

Genehmigungsfähigkeit von geplanten Anschüttungen Im Zusammenhang mit den geplanten Erdbewegungen zum Bau der Trasse der A 49 im Abschnitt VKE 20 entsteht ein Massenüberschuss in der Größenordnung von ca. 1.900.000 m³ Erdreich (s. LBP, S. 79). Davon sollen ca. 1.680.000 m³ in Böschungen, Dammlagen sowie trassennahe Geländemodellierungen eingebaut werden, während ca. 330.000 m³ zur Rekultivierung des Braunkohle-Tagebaus in Neuental-Zimmersrode vorgesehen sind. Nach dem gültigen Hessischen Natur- schutzgesetz sind Aufschüttungen ab einer Grundfläche von 200 m² oder einem Rauminhalt von mehr als 100 m³ als Eingriff in Natur und Landschaft einzustufen und bedürfen einer naturschutzrechtlichen Genehmigung (§ 8) – eine grundsätzli- che Zulässigkeit ist dabei nur bei der Auffüllung von Ackerland gegeben, soweit diese zu einer Verbesserung der Bodenverhältnisse führt. Anschüttungen auf Grünland und anderen Biotoptypen sind nach der herrschenden Naturschutz- rechtslage grundsätzlich nicht genehmigungsfähig. Darüber hinaus sind Aufschüt- tungen im Außenbereich ab einer Grundfläche von 300 m² und einer Höhe bis 2 m gemäß Hessischer Bauordnung (§ 63, Nr. 8a) baugenehmigungsbedürftig. Die vorliegenden Planfeststellungsunterlagen erfüllen die aus den vorgenannten Rechtsgrundlagen resultierenden Anforderungen nicht. Daher ist in keiner Weise nachvollziehbar, ob die geplanten Geländemodellierungen bzw. Bodenauffüllun - gen den Zielen des Naturschutzes Rechnung tragen. Der hier praktizierte Ver- such, die betreffenden Sachverhalte zu pauschalisieren führt die üblicherweise an- gewandte Naturschutzpraxis ad absurdum und ruft eine in keiner Weise gerecht- fertigte Ungleichbehandlung gegenüber „normalen“ Antragstellern für jedwede Bo- denauffüllung hervor.