V. 1961:Verhandlungen und Attentate

Die erste Verhandlungsrunde auf Mi- reichen, nach New York sind wir gegan- nisterebene zwischen Österreich und gen, um die Autonomie zu erreichen, Italien wurde für den 27. und 28. Jän- und wo gehen wir jetzt hin?“ Seine Taktik ner 1961 in Mailand festgelegt. In meh- war klar: „Wir verlangen die Autonomie, reren Sitzungen in Wien und Innsbruck und wenn die Italiener Nein sagen, fah- bereitete man sich vor. Die entschei- ren wir nach Hause.“ Dem entgegnete dende Frage lautete, mit welchen For- Landeshauptmann Hans Tschiggfrey: derungen man in die Verhandlungen „Mit dem Nachhausegehen, das ist gehen wollte. Am 23. Jänner trafen sich sehr einfach!“ Für die Moderaten gab die Tiroler in Innsbruck. Die Wiener hatte Silvius Magnago –seitDezember 1960 man nicht eingeladen. Folgt man dem auch Südtiroler Landeshauptmann –die Protokoll, so konnten die Vorstellungen Marschroute vor, als er feststellte: „Uns nicht unterschiedlicher sein. Sollte man geht es nicht darum, ob die Provinz Bo- den Italienern mit Maximalforderungen zen jetzt morgen Region heißt, sondern begegnen oder Bereitschaft zum Wei- darum, dass diese Provinz Bozen auch terverhandeln signalisieren? innerhalb einer Region alle Zuständig- keiten hat, die sie braucht.“ Der Nordtiroler Landesrat Aloys Ober- hammer war über diese letzte Möglich- Am Donnerstag, dem 26. Jänner 1961, keit „gelinde gesagt, entsetzt“. Und er traf die österreichische Delegation in wiederholte, was er schon zuvor in Wien Mailand ein, begleitet von neofaschis- gesagt hatte: „Nach Paris sind wir ge- tischen Demonstrationen und einem rie- gangen, um die Selbstbestimmung zu er- sigen Polizeiaufgebot –angeblich zum

Die Proteste der Gegenseite: Zu Beginn der Verhandlungen in Mailand „dekorierte“ die neofaschistische MSI-Jugend ihr Parteilokal mit ihren Forderungen: „SVP raus“ oder „Bozen ist italienisch“

31 Schutz der Delegation. Am Nachmit- tag begab man sich ins österreichische Generalkonsulat, um die Taktik für den nächsten Tag zu besprechen. Bei dieser Besprechung, die drei Stunden dauerte, waren auch Silvius Magnago und Alfons Benedikter dabei. Eine Beteiligung an der Konferenz hatten sie allerdings ab- gelehnt. Kreisky meinte dazu nur: „Erklä- ren kann man das niemandem.“ Wieder zeigten sich Differenzen über Ziele und Vorgangsweise. Alfons Bene- dikter hatte ein 32-Punkte-Programm erstellt –inoffensichtlicher Anlehnung an jenes 32-Punkte-Italienisierungspro- gramm, das Ettore Tolomei 1923 in Bozen verkündet hatte. Magnago hatte weni- ge Tage zuvor dem neuen italienischen Ministerpräsidenten Attilio Piccioni die Südtiroler Position folgendermaßen klar gemacht: „Eine Rückgabe dessen, was Mit einem 32-Punkte-Programm gerüstet uns der Faschismus genommen hat, –inAnspielung auf Ettore Tolomei –, reist kann von uns nicht als besonderes Ge- Alfons Benedikter (im Bild) gemeinsam mit schenk empfunden werden.“ Piccioni Silvius Magnago zu den Verhandlungen war misstrauisch gewesen und hatte nach Mailand. gesagt, die Südtiroler würden die Auto- nomie ja nur als Vorstufe zum Anschluss finden würden, weder im In- noch im an Österreich verlangen. Darauf antwor- Ausland.“ tete Magnago: „Wenn ich auf das aus Kreisky wollte nun in Mailand dieses 32- wäre, würde ich jetzt keine Autonomie Punkte-Programm vorlegen und erklä- verlangen. Es muss Ihnen auch klar sein, ren, was die Minimalforderung sei, näm- Herr Ministerpräsident, dass, wenn wir lich Autonomie für Südtirol –allerdings eine echte Autonomie hätten, allfällige erst in der letzten Phase der Verhand- andere Wünsche nicht das nötige Echo lungen. Man wollte dann übereinkom- men, ein Expertenkomitee einzusetzen, das mit der Prüfung dieser Forderungen befasst und paritätisch zu beschicken wäre. Die Kommission sollte in Wien ta- gen, die nächste Ministerkonferenz dann in Salzburg stattfinden. Dagegen gab es Widerspruch in der Delegation, vor allem vom Nordtiroler Landesrat Oberhammer: „Haben wir ein Interes- se an Expertenverhandlungen, wenn wir sehen, dieses Ziel der Autonomie ist nicht erreichbar?“ Sein Interesse in einem solchen Fall galt vielmehr einem Partisanenkampf um die Selbstbestim- mung. Das sagte er zwar nicht, meinte es aber so. Wie hatte er noch im Sep- tember 1959 gesagt? „Am Ende geben uns die Italiener die Landesautonomie, und dann stehen wir da.“ Für ihn offen- sichtlich eine furchtbare Vorstellung. Außenminister Kreisky lehnte Oberham- mers Taktik für Mailand entschieden ab: 32 Punkte zur Italienisierung Südtirols: Et- „Da können wir zusammenpacken und tore Tolomei stützt seine Assimilierungspoli- nach Hause fahren. […] Wir müssen ein tik in Südtirol auf ein 32-Punkte-Programm, gewisses Maß der Ehrlichkeit an den Tag das er 1923 in Bozen verkündet. legen. […] Das ist nichts anderes als das,

32 Die Lager im Frühsommer 1961

AUTONOMIE SELBSTBESTIMMUNG SÜDTIROL OHNE BOMBEN MIT BOMBEN NORDTIROL SÜDTIROL

Silvius Karl Magnago Mitterdorfer Franz Viktoria Hans Franz Gschnitzer Stadlmayer Dietl Widmann NORDTIROL

Roland Toni Riz Ebner Wolfgang Aloys Eduard Pfaundler Oberhammer Widmoser NORDTIROL WIEN ? WIEN

+der gesamte BAS Hans Bruno Ludwig Peter Fritz Tschiggfrey Kreisky Steiner Brugger Molden

-Infografik: J. Markart/Fotos: „D“

was bei der UNO geschehen ist, nämlich land zu Ende. Bei der SVP rief dies spä- eine Niederlage. Es geht um das Schick- ter nur mehr Kopfschütteln hervor. Für sal von 250.000 Menschen.“ SVP-Generalsekretär Hans Stanek war Kreisky übergab am Ende der Sitzung klar, wie das geschehen konnte: „Offen- nicht das 32-Punkte-Programm, sondern sichtlich standen die ganzen Beteiligten ein zusammenfassendes Kurzdokument in Mailand unter dem Eindruck einer mit den Forderungen Österreichs. Ergeb- ganz besonderen Situation. Es muss sich nislos gingen die Verhandlungen in Mai- geradezu um eine Psychose gehandelt haben.“ Von dem 32-Punkte-Programm war gar nicht gesprochen worden. Zu Mailand und der dort vorgebrachten Forderung nach Autonomie gab es am 7. Februar in einer internen Sitzung in Innsbruck eine heftige Auseinanderset- zung. Hier ging es wieder um die Selbst- bestimmung. Mit Blick auf Mailand mein- te Landesrat Oberhammer dort: „Es ist dies der Schluss einer Phase, um zu sa- gen, nicht einmal das kriegen wir –also Selbstbestimmung. Das war doch so ge- dacht.“ Auch wenn SVP-Sekretär Stanek mit Blick auf die Selbstbestimmung nicht so weit von Oberhammer entfernt war, jetzt konnte er nur antworten: „Die Par- tei akzeptiert das nicht.“ Oberhammer übernahm das Kommando: „Es spielt gar keine Rolle, ob sie es akzeptiert oder nicht, weil sieeswirklich nicht versteht!“ Und die Leiterin des Referats „S“ der Ti- roler Landesregierung, Viktoria Stadl- „Die Autonomie ist nur eine Vorstufe zum mayer, meinte in derselben Sitzung, das Anschluss an Österreich“: Der neue itali- 32-Punkte-Programm „interessiert uns enische Ministerpräsident Attilio Piccioni gar nicht. Wir wollen noch weiter gehen misstraut in Mailand den Südtirolern. und dann das Selbstbestimmungsrecht

33 Am 30. Jänner 1961 kracht es in Waidbruck: Das Reiterstandbild von , der „Aluminium- Duce“, fliegt in die Luft. Die Innsbrucker Heinrich Klier und Kurt Welser bekennen sich zu dem Anschlag.

verlangen.“ Man werde Italien Vorschlä- „Referat S“ ge machen, die es dann ablehnen wür- de, und dann das Selbstbestimmungs- DasDas „ReferatReferat S“ – 19931993 iinn „AbteilungAbteilung SüdtiSüdti- rol, Europaregion und Außenbeziehungen“ recht fordern. Für sie war klar: „So wie umbenannt –entstand aus der Landesstelle es in Südtirol ausschaut, wird es Ende für Südtirol, die in den 1940er-Jahren Eduard März bei der [SVP-]Landesversammlung Reut-Nicolussi bei der Nordtiroler Landesre- bestimmt zum Selbstbestimmungsrecht gierung aufbaute. Ab Mitte der 1950er-Jahre kommen.“ ist das „Referat S“ eng mit dem Namen von Viktoria Stadlmayer verbunden, die 1957 mit In jenen Tagen verschärften sich die dessen Leitung betraut wurde. Ihr Nachfol- Spannungen zwischen Österreich und ger, Robert Gismann, nannte als Aufgaben Italien außerordentlich. In Südtirol wur- des Referates bzw. der Abteilung „Südtirol- den als Reaktion auf die Verhandlungen Angelegenheiten und Angelegenheiten der in Mailand zwei Anschläge verübt. Am Europaregion“. Dies sei nicht näher definiert, 30. Jänner 1961 sprengten die Innsbru- um „keine Fesseln aufzuerlegen, da sich die cker Heinrich Klier und Kurt Welser, die Aufgaben je nach politischer Situation än- der Nordtiroler BAS-Gruppe angehörten, dern“, so Gismann. So prägte Stadlmayer maßgeblich die Nordtiroler und Österrei- den „Aluminium-Duce“,jenes 1938 in chische Südtirolpolitik. Sie war als Expertin Waidbruck errichtete Reiterstandbild, bei allen Verhandlungen dabei, war Mitglied das eindeutig die Züge Mussolinis auf- der Delegation vor der UNO und Beraterin wies und ursprünglich die Inschrift „al der Nordtiroler Landeshauptleute und Ös- genio del fascismo“ getragen hatte; terreichischen Außenminister. Nachdem die die Inschrift war 1945 in „al genio del großen politischen Entscheidungen in den lavoro italiano“ umgewandelt worden. 1970er-Jahren gefallen waren, bemühte sich Die Sprengung war bei einem Treffen Stadlmayer im „Referat S“ um den Aufbau und die Pflege von Kontakten zwischen den beschlossen worden, an dem auch der Tiroler Landesteilen und die kulturelle Aufbau- Nordtiroler Landesrat Aloys Oberham- arbeit in Südtirol. Auch die Förderung der Süd- mer teilgenommen hatte. In ganz Süd- tiroler Studenten waren ihr stets ein Anliegen. tirol wurde gleichzeitig ein Flugblatt mit Auf Stadlmayer folgte 1986 Robert Gismann folgendem Text –und großem TimKreis und 2007 Andreas Greiter. (als Symbol für die Einheit Tirols) –inUm- lauf gebracht:

34 Aufruf in ganz Südtirol über Flugblätter: „Unsere Geduld ist zu Ende. Wir fordern die Selbstbestimmung.“

Am 1. Februar 1961 wurde in Glen bei Sprengstoffanschlag schwer beschä- Montan die Fassade des ehemaligen digt. Josef Fontana hatte den Anschlag –und seither leer stehenden –Wohn- durchgeführt. Tolomeis Haus wurde da- hauses des verstorbenen faschistischen mals als Nationaldenkmal gehütet. Senators und ersten Repräsentanten Die Italiener demonstrierten ihre Macht. der italienischen Nationalisierungspolitik Es gab zahlreiche Verhaftungen und in Südtirol, Ettore Tolomei, durch einen Hausdurchsuchungen, u. a. auch bei

Sprengungen mit Nordtiroler Unterstützung: Zwei Exponenten des Nordtiroler BAS be- kannten sich zur Sprengung des „Alu-Duce“ in Waidbruck, nämlich Heinrich Klier (Bild links) und Kurt Welser (Bild rechts).

35 der SVP-Zentrale, der Villa Brigl. Italien versuchte, im Zusammenhang mit die- sen beiden Anschlägen in der interna- tionalen Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als ob es sich dabei um bar- barische Attentate gegen italienische Kulturdenkmäler und Gedenkstätten gehandelt habe. In Rom protestierten Studenten vor der österreichischen Bot- schaft gegen die Anschläge, in Bozen trugen Schüler, die für Demonstrationen schulfrei bekommen hatten, Transpa- rente mit Galgen- und Morddrohungen gegen Magnago mit, ohne dass die Po- lizei eingriff. Die Anschläge auf den „Aluminium-Du- ce“ und das Haus von Tolomei waren der Beginn einer ganzen Serie von At- tentaten, die zu einer weiteren Verschär- fung der Beziehungen zwischen Rom und Wien und der Lage in Südtirol führten. Am 4. Februar wurde eine Eisenbahn- weiche in der Nähe des Bahnhofs von Auer gewaltsam beschädigt. In dersel- ben Nacht wurden in Meran-Untermais 11 Gusseisen von der automatischen Weiche der Eisenbahnanlagen entfernt. In der Nacht zum 8. Februar wurden in Bozen Flugblätter mit folgendem Text verbreitet: „TIROLER! Wir haben zu handeln begonnen. Die 1. Februar 1961: Nur zwei Tage nach der Explosion in Flugzettel und der Aluminium-Duce Waidbruck ein weiterer symbolträchtiger Anschlag: Das von Waidbruck waren eine erste als Nationaldenkmal gehütete ehemalige Haus des Warnung. Aber: inzwischen verstorbenen „Totengräbers Südtirols“, Ettore Wir kämpfen nicht aus Hass, sondern Tolomei, in Glen bei Montan wird schwer beschädigt. für die Freiheit! Der Sabotageakt gegen die Bahn- linie in Auer hätte das Leben Un- schuldiger kosten können. Daher verurteilen wir ihn schärfstens. Diese verbrecherische Art der Kampffüh- rung überlassen wir den Faschisten, an deren Händen genug Blut klebt. Wir aber wollen die unseren sauber halten!“

Unterzeichnet war das Flugblatt mit einem großen Tineinem Kreis und dem Kürzel FLS, das für „Freiheitslegion Südti- rol“ stand. Am 26. und 27. März 1961 –Italien feierte in jenen Tagen und Wochen das 100-jäh- rige Jubiläum seiner Einigung –führte der BAS zwei Anschläge durch. Zwei im Roh- bau stehende Volkswohnbauten, die Wieder Gegenproteste von italienischer Seite: Auch die für italienische Zuwanderer vorgesehen Jugend zieht es in Bozen auf die Straße, um die Südtiroler waren, wurden durch Sprengladungen daran zu erinnern, wassie Italien zu verdanken hätten. schwerstens beschädigt. In Meran hatte dies Jörg Pircher, in Bozen Josef Fonta-

36 na besorgt. Am 7. April ging es weiter. In der Nähe einer Arbeitersiedlung der Trentiner Elektrizitätsgesellschaft in Bo- zen brachte Luis Amplatz eine 5-Kilo- gramm-Rohrbombe zur Explosion. Zahl- reiche Fensterscheiben gingen zu Bruch; die italienischen Bewohner kamen mit dem Schrecken davon. Am nächsten Tag wurden in der Nähe dieser Häuser Flugblätter gefunden mit dem hand- geschriebenen Text: „Das nächste Mal gehen die Häuser in die Luft. Wir wollen nicht ins Ausland gehen wegen euch. Geht dorthin, wo ihr her seid. Wir haben es satt!“ Straßensperren und Hausdurch- suchungen der Carabinieri blieben er- folglos. Neun Tage später kam es beim näch- sten Anschlag fast zu einer Katastrophe. Am Morgen des 16. April explodierte ein Zeitzündersprengkörper in der im Dorf- Italien feiert 100 Jahre seiner Einigung –und in Südtirol zentrum von Tramin gelegenen „Bar kracht es fast täglich: „Nur“ Sachschaden fordert die Ferrari“. Die Explosion riss die Tür, den Bombe, die im März 1961 zwei im Rohbau stehende Türstock und mehrere Fensterstöcke aus Volkswohnbauten in der Bozner Reschenstraße zerstört. der Mauer; in der Bar ging die gesamte Einrichtung zu Bruch. Die Pächterfamilie Ferrari und eine weitere italienische Fa- milie im Obergeschoss der Bar hatten Glück und wurden nicht verletzt. Italiens Innenminister Mario Scelba sprach von einer neuen „verbreche- rischen Handlung“ und ordnete die Er- richtung eines Kommissariats der Quä- stur in Tramin an. Um diese Verordnung unverzüglich ausführen zu können, wur- de die Beschlagnahme des Gasthauses „Zum Löwen“ verfügt; dort sollten die Ämter eingerichtet und die Polizeiab- teilung untergebracht werden. Die Be- schlagnahme wurde am 17. April 1961 Schwerwiegender hätten die Folgen des Anschlages durchgeführt, am 18. April nahm das auf die „Bar Ferrari“ in Tramin sein können: Zwei Familien Kommissariat die Tätigkeit auf; gleich- im Obergeschoss der Bar haben Glück und werden nur zeitig wurde ein italienischer Kindergar- leicht verletzt. ten eingerichtet. Nach einem Gespräch mit Scelba berichtete Botschafter Lö- wenthal nach Wien: „Wenn die Atten- tate weitergehen, dann wird er durch- greifen und die richtigen Maßnahmen ergreifen.“ Tramin sei nur eine Warnung. Am 21. April 1961 folgte der nächste An- schlag. An der Rückfront der Kaserne der Finanzwache in Schlanders explodierte eine 3-Kilogramm-Sprengladung. Durch die Explosion wurde ein mannsgroßes Loch in die Außenmauer gerissen und die Einrichtung des dahinterliegenden Speisesaales völlig zerstört. Mehrere Fen- sterstöcke wurden aus der Mauer geris- sen und das Dach des Hauses schwer Sie ziehen die Fäden der Anschlagserie im Frühjahr 1961 beschädigt. Die Finanzsoldaten, die im (von links): Sepp Mitterhofer, Jörg Pircher, Oswald Kofler ersten Stock des Hauses geschlafen hat- und Josef Fontana.

37 16.1. 1961 ten, kamen mit dem Schrecken davon. andere Maßnahme, nämlich der von Auf Einladung des Zwei Tage später, am 23. April, wurde der Democrazia Cristiana im römischen stellvertretenden italienischen in Marling ein Anschlag auf eine unterir- Senat eingebrachte Gesetzentwurf „zur Ministerpräsidenten disch verlaufende Rohrleitung des Mon- Ausbürgerung italienischer Staatsbürger, Attilio Piccioni sind tecatini-Werkes durchgeführt. Ein Rohr die sich der Republik gegenüber untreu Silvius Magna- go und Alfons wurde vollständig weggerissen, zwei an- verhalten“. Benedikter zu Ge- dere schwer beschädigt. Problematisch Schon vor der nächsten Verhandlungs- sprächen in Rom. an diesem Anschlag war, dass in diesen Auf das italienische runde – Klagenfurt am 24. und 25. Mai Angebot („wesent- Rohren ursprünglich Wasserstoff geleitet 1961 – zeichnete sich aber eine Entwick- liche Zugeständ- worden war. Acht Monate vor dem An- lung ab, die später realisiert werden nisse“) gehen sie schlag war die entsprechende Anlage nicht ein, weil dies sollte. Scelba meinte nämlich gegen- „als Kompromiss- stillgelegt worden, und die Rohre waren über Botschafter Löwenthal am 10. Mai, bereitschaft hätte deshalb leer. Die Frage war, ob die At- er habe erst kürzlich den Südtiroler Par- aufgefasst werden tentäter –Jörg Pircher, Walter Gruber lamentariern gesagt, er sei bereit, sich können“. und Franz Höfler –davon gewusst hat- 27./28.1.1961 mit ihnen zusammenzusetzen: „In sol- ten. Ergebnislose chen internen Verhandlungen könnte Verhandlungen Wenig später gab es auch Aktionen in die italienische Regierung wesentlich Kreisky-Segni in Mai- Österreich. In der Nacht vom 24. zum weiter gehen als in den bilateralen mit land. Heftige Aus- 25. April 1961 wurden die Scheiben des einandersetzungen Österreich.“ Gegenüber dem Botschaf- innerhalb der Haupteinganges des italienischen Kul- ter wiederholte er in aller Form diesen österreichischen turinstituts und italienischen Konsulats in Delegation. Vorschlag und bat ihn, diesen der Regie- Wien mit folgenden Aufschriften verse- rung in Wien nahe zulegen. 30.1. 1961 hen: Heinrich Klier und An Bundeskanzler Alfons Gorbach Kurt Welser spren- gen den 1938 in „ES LEBE DAS FREIE SÜDTIROL! wurde dann eine Mitteilung des italie- Waidbruck errich- HEUTE TINTE, MORGEN BOMBEN! nischen Ministerpräsidenten Amintore teten „Aluminium- FREIHEIT FÜR SÜDTIROL!“ Fanfani weitergegeben. Dieser erklärte, Duce“. dass eine De-jure-Autonomie für Südtirol Durchsuchung der SVP-Zentrale. Auf den Schaufensterscheiben des und damit eine Auflösung der Region im 1.2. 1961 Stadtbüros des Lloyd Triestino in Wien Parlament durchzubringen aussichtslos Josef Fontana ver- stand in großen Buchstaben: „SELBST- sei. Aber er als Regierungschef sei be- übt einen Anschlag reit, „der Provinz alle möglichen Zustän- auf das leerste- BESTIMMUNG FÜR UNSER SÜDTIROL“ und hende Wohnhaus „TIROL IST DEUTSCH“. Tolomeis in Glen Ähnliche Aufschriften waren auf den bei Montan. Schaufensterscheiben des Wiener Ali- 2.2. 1961 Mario Scelba Neofaschistische talia-Büros zu sehen. Dort hieß es „SÜD- Demonstrationen in TIROL IST DEUTSCH. ITALIENER RAUS AUS Italien. SÜDTIROL“. Nur einmal Ministerprä- 22.2. 1961 sident (Februar 1954 bis Und auf dem Haupttor der italienischen Juli 1955), war der ita- Friedl Volgger hält Botschaft in Wien konnte man lesen einen Vortrag in lienische Christdemokrat Bonn, der zu einer „Südtirol bleibt Deutsch“. Mario Scelba dennoch weiteren Belastung Es ist anzunehmen, dass all diese Akti- eine prägende Figur des des deutsch-italie- onen auch etwas mit der Verlautbarung italienischen Staates. 1901 nischen Verhält- geboren gehörte er zu nisses führt. des italienischen Innenministeriums vom den Gründungsmitgliedern der christdemo- 6.3. 1961 22. April zu tun hatten, in der unter Be- kratischen Bewegung in Italien. Besonders Waffenlager des rufung auf ein Gesetz vom Februar 1948 BAS (Pfaundler) in den Südtiroler Schützen das Tragen ihrer bekannt wurde er in seiner Funktion als In- Innsbruck ausge- nenminister. Dreimal –von Februar 1947 bis hoben. Trachten verboten worden war. Juli 1953, von Februar 1954 bis Juli 1955 und März/April 1961 Innenminister Mario Scelba fuhr damals von Juli 1960 bis Februar 1962 –bekleidete Anschläge in einen harten Kurs. Nach den Attentaten er damit das Amt des höchsten Sicherheits- Südtirol. gab es zahlreiche Verhaftungen: Karl kommandanten in Italien. Scelba galt als 3.4. 1961 Thaler, Anton Gostner, Josef Fontana, unnachgiebig und streng, ein Innenminister, Franz Gschnitzer Anton Tappeiner und Ignaz Bauer wur- der mit harter Hand besonders auch gegen wird als Staatsse- den am 20. Mai verhaftet; gegen den politische Gegner vorgehen ließ. Innerhalb kretär im Außenamt der Christdemokraten war Scelba gegen die abgelöst und durch Vorsitzenden des Bergisel-Bundes und Ludwig Steiner Direktor des Landesarchivs in Innsbruck, Öffnung der Partei Richtung Sozialdemokratie ersetzt. SVP-Gene- und lehnte auch ein Regierungsamt im Kabi- ralsekretär Hans Eduard Widmoser, wurde ein Haftbefehl nett Aldo Moro ab. 1969 entsandten ihn die Stanek schreibt ausgestellt. Am 30. April 1961 wurde Vik- Christdemokarten dann ins Europäische Par- an Bruno Kreisky: toria Stadlmayer verhaftet, als sie am lament nach Brüssel. Mario Scelba verstarb „Der Austausch hat uns nicht glücklich Brenner nach Italien einreisen wollte. am 29. Oktober 1991. gemacht.“ Am gefährlichsten schien allerdings eine

38 digkeiten zu geben, die von der Region Ludwig Steiner 22.4. 1961 auf die Provinz übertragen werden kön- Innenminister Mario Scelba verbietet nen und die im Interesse der Provinz lie- Ludwig Steiner wurde am 14. den Südtiroler gen“. In Klagenfurt solle über den Inhalt April 1922 in Innsbruck gebo- Schützen das Tra- genihrer „Uniform“. der Autonomie gesprochen werden, ren. Der Volkswirt und Jurist ist 30.4. 1961 also über eine De-facto-Autonomie. wie kaum ein anderer öster- Viktoria Stadlmayer Sollte kein Ergebnis zustande kommen, reichischer Politiker mit Südti- wirdamBrenner sollten die beiden Regierungschefs (Fan- rol vertraut. Gegen Ende des verhaftet. fani und Gorbach) versuchen, auf einen Zweiten Weltkrieges schloss 24./25.5. 1961 gemeinsamen Nenner zu kommen. Und sich Steiner der Widerstands- Verhandlungen in Gorbach wurde noch etwas übermit- bewegung gegen den Nationalsozialismus des Klagenfurt. Kreisky späteren Außenministers Karl Gruber an. Da- ist„irgendwie telt: Wien müsse sich ganz klar von ge- optimistisch“. Man nach war er Sekretär des Nordtiroler Landes- wissen Methoden und Persönlichkeiten einigt sich auf hauptmannes, des Innsbrucker Bürgermeisters Fortsetzung der distanzieren, sowohl in Wien als auch in und schließlich Botschaftssekretär in Paris. Karl Verhandlungen; Innsbruck. Ohne Legalität und Loyalität Gruber holte ihn nach Wien zurück, wo er zu- vorher sollen Exper- könne man nicht verhandeln. nächst sein Sekretär im Außenamt (1952-1953), tendas Problem untersuchen. Die Scharfmacher nördlich und südlich später Kabinettschef von Bundeskanzler Julius 10.6. 1961 Raab (1953-1958) wurde. Danach wechselte des Brenners erwarteten sich nicht viel Viktoria Stadlmayer von Klagenfurt, im Gegenteil. Nach den er als Diplomat nach Sofia und kehrte 1961 als wirdaus der Haft Verhandlungen in Klagenfurt, so hieß es Staatssekretär ins Außenministerium zurück. Als entlassen. in einer Besprechung in Innsbruck mit Berater der ÖVP-Regierungen setzte er sich 11./12.6. 1961 beim Thema Südtirol stets für Verhandlungen „Feuernacht“. Dut- Hans Stanek, Aloys Oberhammer und mit Italien ein. Nach weiteren Jahren im diplo- zende Anschläge Eduard Widmoser, dem Obmann des matischen Dienst in Zypern und Griechenland innerhalbweniger Bergisel-Bundes, sollte wieder eine Lan- zog Steiner 1979 als ÖVP-Abgeordneter in den Stunden. desversammlung angekündigt werden, österreichischen Nationalrat ein, dem er bis 12.6. 1961 1990 angehörte. Dort war er außenpolitischer DieSVP-Landes- „die dann, wenn die Voraussetzungen leitung verurteilt zutreffen, schon in Richtung S.B.R. Sprecher der ÖVP. die Attentate „auf [Selbstbestimmungsrecht] deutlich wer- das schärfste“. DieBischöfe von den müsste“. und Trient In Klagenfurt hatte der neue Staatssekre- enttäuscht vom Ergebnis von Klagenfurt. reagieren fast am schärfsten: „Schwe- tär im Außenministerium und Nachfolger Zurück in Bozen, äußerten sie sich in der Franz Gschnitzers, Ludwig Steiner, den re Verbrechen ... , Sitzung der SVP-Leitung am 29. Mai 1961 ganz und gar un- Eindruck, „als ob in merito verhandelt „pessimistisch in Bezug auf die Verhand- christliche, niedrige Gesinnung dieser werden könnte“. Außenminister Bruno lungen in Zürich. So wie es heute aussieht, Kreisky war „irgendwie optimistisch“ und Attentäter“. ist zu befürchten, dass in Zürich die Frage 13.-17.6. 1961 betonte in einer Bewertung der Ver- Südtirol weiter vertagt wird und der UNO- Österreichisch-ita- handlungsrunden, dass dort „eine Auflo- Termin verloren gehen könnte“. Auch für lienische Exper- ckerung eingetreten“ sei. Abgebrochen tengespräche in SVP-Sekretär Hans Stanek war Klagenfurt Zürich. wurde jedenfalls nichts; im Gegenteil: „alles eher als befriedigend[…]. Die Ver- Man einigte sich auf eine Fortsetzung 19.6. 1961 handlungen durften nicht scheitern, und Außerordentliche der Verhandlungen in Zürich, die von Ex- die sogenannten Extremisten wurden Landesversamm- perten vorbereitet werden sollten. lung der SVP in ausgeschaltet, nämlich die Mitglieder Bozen. Einigen gefiel diese Entwicklung über- der Tiroler Regierungsdelegation“. haupt nicht. Nordtirols Landesrat Ober- 19.6. 1961 In derselben Sitzung berichtete SVP-Se- Zwei junge Südtiro- hammer meinte, er habe bei den Worten lerwerden von ita- des italienischen Außenministers Segni nator Karl Tinzl von einer Unterredung mit lienischen Soldaten und des Staatssekretärs Carlo Russo das Innenminister Scelba, der erneut festge- erschossen. Gefühl gehabt, einem „humoristischen stellt hatte, „dass es besser wäre, wenn 22.6. 1961 wir in Zukunft direkt mit Rom verhandeln Südtirolbespre- Vortrag“ beizuwohnen. Und deren Über- chung in Wien legung, dass die Südtiroler direkt mit den würden. Auf diesen Vorschlag konnten unter dem Vorsitz Italienern verhandeln sollten, bezeich- wir natürlich nicht eingehen, da wir Ös- vonBundeskanzler Alfons Gorbach. nete er gar als „Zumutung“. Für den SVP- terreich nicht vorgreifen können im jet- zigen Zeitpunkt“, so Tinzl. 24.6. 1961 Landtagsabgeordneten Hans Dietl wa- Scheitern der ren die Angebote der Italiener „gelinde Am 5. Juni 1961 fand eine Sitzung des Verhandlungen gesagt, beleidigend“. Er bat Kreisky drin- SVP-Ausschusses statt. Sie machte die in Zürich. Kreisky stellt intern fest, gend, keinen Expertenverhandlungen unterschiedlichen Positionen der zwei manhabe „das zuzustimmen. Kreisky aber ließ sich nicht Richtungen in der Parteispitze mehr als gesteckte Ziel beirren und einigte sich mit den Italie- deutlich: auf der einen Seite Hans Dietl, erreicht“. nern auf eine weitere Gesprächsrunde Peter Brugger, Hans Stanek und der SVP- 10./11.7. 1961 Vier Anschläge au- in Zürich. So wie Oberhammer waren Ortsobmann von Bozen/Gries, Josef ßerhalbder Provinz auch Dietl und Landesrat Peter Brugger Mair-Jenner, auf der anderen Seite Sil- Bozen.

39 12.7. 1961 vius Magnago, Parlamentarier Karl Mit- lich zu befürchten, dass in Zürich ebenso Die italienische terdorfer, Landesrat Anton Zelger und kein Abbruch der Verhandlungen erfol- Regierung beschließt die andere. Die Gruppe um Dietl wollte um gen wird.“ Wiedereinführung beinahe jeden Preis einen Abbruch der Peter Brugger ortete eine „andere At- des Visumzwanges Verhandlungen, um der Welt, insbeson- mosphäre in Wien. Vielleichtnicht zuletzt für österreichische Staatsbürger. Erste dere der UNO, deutlich zu machen, dass deswegen, weil man sich in Wien jetzt italienische Protest- die Verhandlungen mit Italien geschei- eher zur EWG [Europäische Wirtschafts- note in Wien. tert waren. Gleichzeitig wollten sie auf gemeinschaft] als zur EFTA [Europäische 13.7. 1961 einer noch einzuberufenden Landesver- Freihandelsassoziation] hingezogen Roland Riz schlägt Einsetzung einer sammlung die Forderung nach Selbst- fühlt. Die Frage Südtirols ist daher zwi- Parlamentskommis- bestimmung durchbringen und damit schen Österreich und Italien oft ein recht sion vor. dann entsprechend der in der UNO- ungünstiger Störenfried“. 16.7. 1961 Resolution vorgesehenen Möglichkeiten Der Meraner Bezirksobmann Hans Eschg- Zweite italienische Note. erneut vor das Weltforum gehen. Mit fäller stieß nach: „Österreich vertritt un- 16.7. 1961 Klagenfurt schien diese Taktik gefährdet, sere Forderungen nicht mehr so wie frü- Der Generalse- wie Hans Dietl deutlich machte: „Wir her. Die schlimmsten Befürchtungen sind kretär der SVP, haben einen gewaltigen Rückschritt berechtigt, dass man nämlich die Südti- Hans Stanek, wird verzeichnen müssen hinsichtlich des Vor- verhaftet. rolfrage versanden lassen will[…]. Unter 18.7. 1961 gehens von Seiten Österreichs. In Wien diesen Umständen müssen wir uns klar Sitzung im italie- wurde klar und präzise gesagt, dass der sein, dass wir auf keine halben Sachen nischen Außenmini- Abbruch der Verhandlungen unbedingt eingehen dürfen, denn später können sterium. Es geht um kommen wird, folglich soll über das, was wir nicht wieder mit denselben Forde- die Frage, wie man auf die Anschläge nach dem Abbruch geschehen soll, ge- rungen kommen.“ politisch/ juristisch sprochen werden“, erklärte der Land- Magnago hielt dagegen: „Die heutige reagieren soll, und tagsabgeordnete. „Wie wir in Klagenfurt vor allem darum, pessimistische Stimmung ist unberech- den Internationalen ankamen, war sofort alles anders. Von tigt, da Österreich unsere Forderungen Gerichtshof in Den einem Abbruch war keine Rede […]. In weiterhin unterstützt.“ Der Grieser Haag oder den UNO-Sicherheitsrat Anbetracht dieser ganzen Lage ist ernst- Ortsobmann Mair-Jenner hatte den Ein- anzurufen, um „die Verantwortung der österreichischen Regierung für die Attentate nachzu- EWGund EFTA weisen“. 18.7. 1961 Seit dem Ende des Zwei- Abkommen schlossen sich Österreichs ten Weltkrieges gab es in Großbritannien, Schweden, Bundesregierung beschließt, die Europa Bestrebungen, die Norwegen, Dänemark, Südtirolfrage erneut wirtschaftliche und auch Österreich, die Schweiz vor die UNO zu politische Zusammenarbeit und Portugal zu einer Zoll- bringen. der Länder auszubauen. Eu- union zusammen. Ihnen 21.7./7.8. 1961 ropa sollte demnach immer schlössen sich Island (1961) Nach Berichten mehr zusammenwachsen. und Finnland (1986) an. über Folterungen Mit der Unterzeichnung der Liechtenstein, das als Teil Südtiroler Häftlinge fordern Magnago Römischen Verträge 1957 des Schweizer Zollgebiets und der SVP- gründeten Belgien, die bereits in die EFTA einbe- Ausschuss eine Niederlande, Luxemburg, zogen war, erwarb 1991 parlamentarische Frankreich, Italien und die die Vollmitgliedschaft. Seit Untersuchungskom- Bundesrepublik Deutsch- 1977 sind alle Zölle zwischen mission. land die Europäische Wirt- EFTA- und EG-Staaten be- 22.7. 1961 schaftsgemeinschaft EWG. seitigt. Seit 1972 besteht Die „Neue Zürcher Diese sah eine Erleichterung eine enge Verbindung zwi- Zeitung“ bringt österreichische Po- der wirtschaftlichen Bezie- schen der EFTA und der EG. litiker, u.a. Kreisky, hungen und eine größere Mit dem Übertritt zur EWG/ in Zusammenhang Personenbeweglichkeit zwi- EG/EU verließen Großbritan- mit den Attentaten. schen den Ländern vor. Im Europäische Gemeinschaft. nien und Dänemark (1973) 24.7. 1961 Laufe der Jahrzehnte traten im- 1997 wurde diese dann mit dem und dann Schweden, Finnland Die Südtiroler mer mehr europäische Länder Vertrag von Lissabon zur Euro- und Österreich (1995) die EFTA. Parlamentarier dem Bündnis bei. Auch die Auf- päischen Union. Zwischen den verbliebenen bei Innenminister Die Europäische Freihandelszo- Scelba. Er macht gabenstellung erfuhr eine starke EFTA-Staaten und der EU be- das Angebot, Erweiterung und blieb nicht ne EFTA (European Free Trade stehen eigene Abkommen. Im eine parlamenta- mehr nur rein wirtschaftlicher Association) wurde als Gegen- Unterschied zur EU behalten die rische Kommission Art. Der Vertrag von Maastricht gewicht zur EWG im Jahre 1960 EFTA-Staaten ihre volle handels- einzurichten, die machte 1993 aus der EWG die gegründet. Im Stockholmer politische Selbstständigkeit. die Südtirolfrage untersuchen soll.

40 Um eine Lösung im Frühjahr 1961 bemüht: Öster- Enttäuscht von den Verhandlungen von Klagen- reichs Bundeskanzler Alfons Gorbach und Italiens furt im Mai 1961: die SVP-Mandatare HansDietl Ministerpräsident Amintore Fanfani. (linkes Bild) und Hans Eschgfäller (rechtes Bild).

druck, „dass in Paris [1946] Südtirol als gan, die Landesversammlung“, betonte Nutzvieh angeboten wurde, und jetzt soll Widmann. es bei den Verhandlungen als Schlacht- Am Ende der Sitzung wurde einstimmig vieh dienen“. Die Einberufung einer au- –bei einer Stimmenthaltung –beschlos- ßerordentlichen Landesversammlung sen, eine außerordentliche Landesver- unterstütze er „wärmstens“, worauf Ma- sammlung für den 19. Juni einzuberu- gnago wiederholte, dass die sich „nur fen. Das war genau fünf Tage vor der mit dem Thema Landesautonomie be- für Zürich angesetzten Fortsetzung der fassen darf, im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit den Italienern. Ös- Verhandlungen in Zürich“. terreicher sollten nicht eingeladen wer- Mit Blick auf Wien versuchte Landesrat den. Martin Fuchs, der Generalsekretär Anton Zelger zu vermitteln. Möglicher- im österreichischen Außenministerium, weise würde mit der Einberufung einer schrieb in sein Tagebuch, die Südtiro- Landesversammlung eine Brüskierung ler würden „zum Angriff gegen Kreisky“ der Wiener Regierung erfolgen, „die die- rüsten. Sie würden „alles“ tun, „um den sen Entschluss als einen Ausdruck des beschleunigten Abbruch der österrei- Misstrauens auffassen könnte“. Er hielt es chisch-italienischen Verhandlungen und daher für gut, „wenn einige Herren nach in der Folge die Befassung der Vollver- Wien fahren würden, um festzustellen, sammlung der UNO zu erreichen. Sollte ob Wien tatsächlich unsere Forderungen die UNO uns dann abweisen, würden nicht mehr voll unterstützt“. Franz Wid- sie endlich das Selbstbestimmungsrecht mann, damals Mitglied der SVP-Leitung, proklamieren können. Was immer Kreisky der wie Peter Brugger Kontakt zum BAS macht, er ist verwundbar. Entweder man hatte, war dagegen: Wien sei in Klagen- wirft ihm vor, dass er zu hoch gespielt furt von den getroffenen Beschlüssen habe, ohne etwas zu erreichen (Befas- abgewichen. Überdies spiele die Frage sung der UNO) oder aber, dass er leise der EWG und der EFTA eine große Rol- tritt und sich gegen die nationale Würde le. Man versuche nun, auch von Seiten vergehe (z. B. anlässlich der Verhaftung Österreichs, eine Politik zu betreiben, die der Stadlmayer)“. Soweit Martin Fuchs in zur EWG führe. „Da Italien dabei ein ge- seinem Tagebuch. wichtiges Wort mitzuredenhat, ergeben Und dann kam die „Feuernacht“. Der sich daraus auch für uns berechtigte Be- „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) sorgnisse“, erklärte Franz Widmann. führte in der Herz-Jesu-Nacht vom 11. Auch der Wechsel im Außenministeri- auf den 12. Juni 1961 seinen lange vor- um, wo Staatssekretär Franz Gschnitzer bereiteten großen Schlag durch: In Süd- durch Ludwig Steiner abgelöst worden tirol wurden 37 Hochspannungsmasten, war, beweise „eine wirkliche Kursände- zwei Hochdruckleitungen und einige rung in der Südtirolfrage. Wir sind daher Eisenbahnmasten gesprengt. Auf Flug- verpflichtet, eine klare Stellung zu bezie- blättern hieß es: „Wir fordern für Südtirol hen, und zwar durch unser höchstes Or- das Selbstbestimmungsrecht!“

41 40 Anschläge in der „Feuernacht“ vom 11. zum 12. Juni 1961

Gesprengte Strommasten

Gesprengte Rohrleitungen Mühlwald

Kematen Enormen Schaden richtete die Sprengung einer Wasserbrücke Bruneck über den Tanzbach im Sarntal an, das das E-Werk St. Anton speiste. Brixen Olang Marling Meran

Tscherms Vilpian Schlanders

St. Pankraz Völlan Bozen Eppan

An der INDEL-Staumauer 13. 6. in Mühlwald wurde eine Der 67-jährige Straßenarbeiter Kaltern mehrereDutzend Kilo Giovanni Postal aus Grumo bei schwereSprengladung 15. 6. Pfatten S. Michele verlor sein Leben, als mit Zeitzündung um 9.30 Uhr eine Sprengladung gefunden. Der explodierte, die an einem Allee- Sprengsatz konnte eine baum an der Staatsstraße nahe Salurn Stunde vor der geplanten der Provinzgrenze bei Salurn Explosion entschärft angebracht war. werden.

Unter einer Linde bei der Richtung St.-Anton-Brücke wurde ein Sarntal Nylonsäckchen mit einem Dutzend Dynamitkerzen gefunden. Daran hing ein Schloß Zettel mit der Aufschrift St. Georgen Runkelstein Carabinieri. Der Sprengstoff Richtung konnte rechtzeitigentschärft Meran werden. Grumeregggg Moritzing lfer Schwefelbad Ta

St. Justina Zwölfmalgreien Kardaun Bozen Richtung Brenner Sigmundskron Wendlandhof Karneid Kalvarienberg Schloß In der Nacht vom Sigmundskron Herz-Jesu-Sonntag, Haslach Virgl 11. Juni, auf den 12. Juni 1961 wurden in ganz Haselburg Südtirol knapp 40 Anschläge verübt. Der Großteil betraf EISACK ETSCH Strommasten. Allein St. Jakob Girlan im Großraum Bozen Stallerhof wurden 19 davon Marklhof gesprengt (im Bild 2km Richtung l Leifers Kardaun).

-Infografik: J. Markart/Fotos: „D“

42 VI. 1961: Die Feuernacht

1. Der BAS auf dem Weg zur eigenen politischen Führung, der SVP, Feuernacht nicht mehr zutraute. Die erste größe- re Aktion führte der BAS anlässlich der Der „Befreiungssausschuss Südtirol“ Kundgebung in Sigmundskron im No- (BAS), der sich im Laufe der Jahre zu ei- vember 1957 durch. Dort wurde ein von ner Attentatsbewegung entwickelte, Sepp Kerschbaumer geschriebenes und war anfangs keineswegs so angelegt. auf einer Matrizenmaschine vervielfälti- Man wollte die Unterwanderung und gtes Flugblatt verteilt. Darin wurde zum schleichende Italienisierung Südtirols Kampf aufgerufen: „Kämpfen müssen aufhalten, eine Aufgabe, die man der wir für unser Recht. Kämpfen, auf dass

Josef (Sepp) Kerschbaumer

Josef (Sepp) Kerschbaumer desrat Aloys Oberhammer bezeichnet der Sarner wurde am 9. November 1913 SVP-Ortsmann Helmut Kritzinger im Dezember 1959 in Frangart geboren. Er erlebte Kerschbaumer als „brauchbar und wertvoll, und die Faschistenzeit hautnah mit. vor allem will er unbedingt ein Märtyrer werden. 1935/36 war er fast ein Jahr lang Um auf das Südtirolproblem aufmerksam zu ma- in die Nähe von Potenza ver- chen, führte der BAS zahlreiche Anschläge in den bannt worden. 1939 optierte 1960er-Jahren durch. Mit weiteren BAS-Mitgliedern er für Deutschland, wanderte wurde er verhaftet und nach eigenen Aussagen im aber nicht aus. 1944 wurde er in die Deutsche Gefängnis gefoltert. Im ersten Mailänder Südtirol- Wehrmacht eingezogen, konnte aber noch vor Prozess bekannte er sich in imponierender Art und Kriegsende in sein Heimatdorf Frangart zurückkeh- Weise zu seinen Taten und zu seiner Überzeugung ren. Nach dem Krieg engagierte er sich politisch in (aus prozesstaktischen Gründen aber nicht zur der SVP und wurde in Frangart zu einer anerkannten Selbstbestimmung –seinem eigentlichen Ziel. Das Persönlichkeit im „symbolischen Widerstand“ ge- wäre mit lebenslanger Haft bestraft worden). Er gen den Staat. Dieser erschöpfte sich in der Regel wurde zu 15 Jahren und elf Monaten Haft verur- im Hissen der Tiroler Fahne, was damals verboten teilt. Am 7. Dezember 1964 starb Kerschbaumer im war. 1956 gründete er gemeinsam mit dem Brune- Gefängnis in an einem Herzinfarkt. Sein Be- cker Karl Tietscher und dem Grödner Josef Crepaz gräbnis (im Bild) wurde zu einer Demonstration und den Befreiungsausschuss Südtirol (BAS), dessen un- machte deutlich, wie die Südtiroler Bevölkerung zu umstrittene, führende Gestalt Kerschbaumer war. ihm stand. Noch heute wird jährlich am 8. Dezem- In einem vertraulichen Überblick für den Tiroler Lan- ber in Frangart an Kerschbaumers gedacht.

43 wir wieder freie Tiroler werden! In einem freien Südtirol!“ Wie dieser Kampf geführt werden sollte, sagt das Schreiben nicht. Silvius Magnago und die Führung der SVP wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, wer hinter diesem Flugblatt stand. Da- mals bestand die Bewegung aus weni- ger als einem halben Dutzend Mitglie- dern. Kerschbaumer betätigte sich als unermüdlicher Briefschreiber. Er wollte die Politiker und die Welt auf die Lage in Südtirol aufmerksam machen –nicht durch Attentate, sondern durch die Ver- „Die Selbstbestimmung für Südtirol“: Sepp Kersch- teilung von Flugblättern und das Aus- baumer bei der SVP-Landesversammlung im Mai 1960. hängen der Tiroler Fahne, „um den Tiro- ler Geist der Südtiroler anzufachen“, wie er meinte. Diese friedliche Linie konnte schon bald nicht mehr eingehalten werden. Neue Männer stießen zum BAS. Zu den be- kanntesten gehörten Georg Klotz, Franz Muther oder Luis Amplatz. Mit deren Eintritt begann eine gewisse Radikalisie- rung des BAS. Klotz sah sich wieder im Krieg und sprach offen von der „Ver- treibung der Italiener“ und vom „be- waffneten Kampf“. Es kam daher zu ersten Meinungsverschiedenheiten mit Kerschbaumer, da dieser von der radi- kalen Gangart des Klotz wenig bis gar nichts hielt. Kerschbaumer wollte als überzeugter Katholik keinen bewaff- neten Kampf, ihm schwebte eine breite Protestbewegung vor, auch Sabota- „Die Autonomie wollen nur mehr Schieber und Speku- gesprengungen, ohne dabei allerdings lanten“: Luis Amplatz bei der SVP-Landesversammlung Menschenleben zu gefährden. im Mai 1960. Ende der fünfziger Jahre stießen mehr und mehr Südtiroler zum BAS. Es waren einfache Leute, hauptsächlich Bauern- burschen, Handwerker, Arbeiter und klei- Luis Amplatz ne Selbstständige. Sie waren unerfahren im illegalen Kampf; was sie vereinte, war Luis Amplatz wurde am die ohnmächtige Wut auf die Italiener. 28. August 1926 in Bozen/ Von den Südtiroler Politikern in der SVP Gries geboren. Er war ei- hielt der BAS im Allgemeinen nicht viel. ner der Schlüsselfiguren des Man beschloss daher, die Sache selbst gewaltsamen Kampfes um in die Hand zu nehmen –entsprechend Selbstbestimmung in den 1950er- und 60er-Jahre, und den Vorstellungen Kerschbaumers. Es einer der führenden Köpfe ging um Aktionen gegen Sachen, nicht des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS). Sein gegen Menschen. So wurde im Novem- Ziel war das Selbstbestimmungsrecht für Süd- ber 1957 –passend zur Veranstaltung in tirol und damit die Rückkehr zu Österreich. Sigmundskron –das Denkmal Tolomeis Für mindestens 140 Sprengungen wurde Am- gesprengt, man führte Anschläge auf platz verantwortlich gemacht. 1964 wurde er ein Haus der INA-Casa in Bozen und im Mailänder Prozess zu 25 Jahren Haft ver- weitere auf Hochspannungsmasten und urteilt –inAbwesenheit, denn der Vater von E-Werksanlagen durch, die jedoch nur vier Kindern war bereits nach Österreich ge- flohen. Bei seiner heimlichen Rückkehr nach zum Teil gelangen. Die Zahl der Anschlä- Südtirol 1964 wurde er von Christian Kerbler ge belief sich bis Ende 1959 auf etwa in der Nacht des 7. September 1964 auf den zwölf, bei denen keine Menschenleben „Brunner Mahdern“ erschossen. zu beklagen waren. Es wurden ferner verschiedene Flugblattaktionen durch-

44 Gegründet wurde der „Befreiungsausschuss Südtirol“ zwar in Südtirol, mit der Zeit gaben immer mehr Nordtiroler den Ton an (von links): Wolfgang Pfaundler, Helmut Heuberger, Eduard Widmoser und Norbert Burger.

geführt, in denen die Italiener aufgefor- Direktor des Tiroler Landesarchivs und dert wurden, Südtirol zu verlassen und geschäftsführender Obmann des Berg- die Unterwanderung einzustellen. Der für isel-Bundes, Eduard Widmoser –genannt die Anschläge notwendige Sprengstoff „Kampfmoser“ –und der Assistent am wurde mit eigenen Mitteln auf verschie- Institut für Wirtschaftswissenschaften der denen Baustellen italienischer Firmen Universität Innsbruck, Norbert Burger, der angekauft. Man besaß einige Ma- später beim Bombenlegen jeweils mit schinengewehre, Maschinenpistolen, Hitler-Gruß salutierte. Handgranaten und Pistolen, durchwegs Einer der prominentesten Mitwissenden Waffen der einstigen Deutschen Wehr- war von Anfang der Tiroler ÖVP-Landes- macht. Ende 1959 hatten sich etwa 250 rat Aloys Oberhammer, der die Grup- Südtiroler im BAS organisiert. Was fehlte, pe finanziell und politisch unterstützte war Geld, um mehr Waffen und Spreng- und dem „Partisanenkampf“ in Südtirol stoff zu kaufen. Und hier setzte eine Entwicklung ein, in der die Intellektuellen aus Nordtirol bzw. Österreich versuchten, das Heft in Partisanenkampf die Hand zu nehmen. Es hatte bereits MitMit „PartisanenkriegPartisanenkrieg“ oderoder „PartisanenPartisanen- 1957 begonnen, als Kerschbaumer die kampf“ bezeichnet man eine Serie oder Ab- Bekanntschaft des Tiroler Journalisten folge von bewaffneten Einsätzen, die von Wolfgang Pfaundler machte. Pfaundler Untergrundkämpfern durchgeführt werden. begeisterte sich schnell für die Vorhaben Partisanen (Ableitung aus dem italienischen des BAS und versprach Hilfe –inerster Li- „partigiano“, was so viel wie „Parteigänger“ nie finanzieller Art –imKampf um Süd- bedeutet) agieren ohne erkennbare Uniform, tirol. In den folgenden Jahren begann tragen ihre Waffen nicht offen und sind somit auch nicht als Soldaten erkennbar. Partisa- er, eine BAS-Gruppe in Nordtirol aufzu- nen kämpfen innerhalb eines bestimmten bauen, die im Frühjahr 1959 stand. Ein Gebietes gegen eine offizielle Gewalt, die in Blick auf die Mitglieder zeigt den gravie- eben diesem Gebiet die Herrschaft ausübt. renden Unterschied zwischen der Inns- Außer den mehr oder weniger erfolgreichen brucker Gruppe und dem Südtiroler BAS. Widerstandskämpfen gegen die Faschisten in Dort Kerschbaumer und die einfachen Italien, die Nationalsozialisten in Deutschland Bauernburschen, hier die sogenannten oder deren Lakaien in Frankreich, bezeichnet Intellektuellen: Pfaundler, dann der Me- man auch die Kampfhandlungen der nord- dienzar und ehemalige Agent des US- irischen IRA oder jene der Basken in Spanien und Frankreich als Partisanenkampf. Die in Geheimdienstes OSS, Fritz Molden aus mehreren europäischen Ländern, darunter Wien, der Journalist und spätere Gene- auch in Italien, tätige Geheimorganisation raldirektor des ORF, Gerd Bacher, wei- Gladio legte während des Kalten Krieges ters Helmut Heuberger, damals Assistent Waffendepots an, um im Falle einer kommu- an der Universität Innsbruck, der Innsbru- nistischen Machtübernahme einen Partisa- cker Kaufmann Kurt Welser, der dama- nenkampf loszubrechen. lige Reiseschriftsteller Heinrich Klier, der

45 einiges abgewinnen konnte. Tatsache war, dass 1959 die ganze Stimmung „Wollen wir eine Chance ha- im Umfeld der 150-Jahr-Feier des Auf- ben, mit unserer Sache durch- standes unter Andreas Hofer gegen die zudringen, dann geht es meiner französische Besatzung im Jahr 1809 innersten Überzeugung nach die Stimmung in Richtung Gewaltaus- übung anheizte. Oberhammer meinte nur mit der Autonomie. Wenn damals ganz offen: „Blut muss fließen.“ wir mit der anderen Frage kom- Fritz Molden war der große „Zampano“, men [Selbstbestimmung], und der das Geld hatte, im Hintergrund die sie möge noch so sehr motiviert Fäden zog und Kontakt zu höchsten und rechtlich begründet sein, Regierungsstellen herstellte. Dem Süd- naturrechtlich usw., werden wir tiroler BAS fehlte es von Anfang an an Geld und Sprengstoff. Für beides sorgte aus unseren besten Freunden die Innsbrucker Gruppe. Aber schon Feinde schaffen. Das kann sich 1959 kam es zu ersten Spannungen zwi- Österreich nicht leisten. Das We- schen den beiden Gruppen. Kersch- sentliche ist hier die Erhaltung baumer misstraute Pfaundler zutiefst. des Volkstums in Südtirol. Dieser hatte immer wieder finanzielle “ und materielle Hilfe versprochen und Außenminister Bruno Kreisky in der Südtirolsitzung sich dabei auf Oberhammer berufen – am 20. Jänner 1961 in Innsbruck aber es geschah wenig bis gar nichts. Dennoch kam, was kommen musste: Wer das Geld besorgte, stellte auch den baumer im Frühjahr 1960 ausbremsen, politischen Führungsanspruch. Und dies suchten Kontakt zu Südtirolern, die aller- waren Pfaundler und Oberhammer. Ge- dings in der Gruppe um Kerschbaumer org Klotz, der anders als Kerschbaumer organisiert waren. Kerschbaumer brach für den bewaffneten Kampf eintrat und daraufhin den Kontakt zu Pfaundler ab. von daher mit Kerschbaumer nicht mehr so viel zu tun hatte, erkannte diesen An- Ein neuer Abschnitt begann nach der spruch Pfaundlers schnell an. Pfaund- außerordentlichen Landesversamm- ler und Oberhammer wollten Kersch- lung der SVP am 7. Mai 1960, auf der es den BAS-Leuten nicht gelungen war, die Forderung nach Selbstbestimmung durchzubringen. Von nun an setzte sich „F.M. [Fritz Molden] fragt mich, innerhalb der Gruppe endgültig die was ich dazu sage, dass die Überzeugung durch, dass nur mehr Ge- walt nützen würde, um nicht, wie Luis Südtiroler im Juni losschlagen Amplatz auf der Landesversammlung wollen. Ich antworte: Man muss erklärte, „wie eine Schafherde in den zwischen Herz und Verstand Abgrund, das heißt in den völkischen unterscheiden. Gefühlsmäßig und sozialen Untergang geführt zu wer- kann ich es verstehen, obwohl den“. Nach der Landesversammlung ich nicht so temperamentvoll kam es daher wieder zu einem Kontakt zwischen Pfaundler und Kerschbaumer. bin wie er (Altersunterschied), Am 13. Juni 1960 fand eine Sitzung der verstandesmäßig halte ich es BAS-Führung in Innsbruck statt, an der für aussichtslos und sinnlos, zu auch Fritz Molden teilnahm. Molden jedem Zeitpunkt. Sie werden es nannte den 20. Juli 1960 als Termin für nicht durchstehen können. Kei- den Beginn des „Freiheitskampfes“. Bis nesfalls sollte die Sache aber in dahin habe die österreichische Regie- dem Augenblick losgehen, wo rung die Südtirolfrage vor der UNO an- hängig gemacht. Die Anschläge sollten der Eindruck entstünde, die Ak- die österreichische Forderung nach tion sei nur begonnen worden, Selbstbestimmung unterstützen und die um aussichtsreiche Verhand- Weltöffentlichkeit auf Südtirol aufmerk- lungen zu sabotieren. sam machen. Kerschbaumer und Am- “ platz versuchten, Molden umzustimmen, Tagebucheintrag von Martin Fuchs, da der BAS noch nicht bereit sei, und Generalsekretär des österreichischen Außenamtes, vom 26. April 1960. frühestens im Herbst losschlagen könne. Molden war damit nicht einverstanden.

46 Der große Schlag des BAS: In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1961 werden im ganzen Land 37 Hochspannungsmasten, zwei Hochdruckleitungen und einige Eisenbahnmasten gesprengt.

Der „Freiheitskampf“ begann dennoch versuchten sie beinahe alles, um Kon- nicht am 20. Juli. Wahrscheinlich la- takte des Südtiroler BAS mit der SPÖ zu gen die Gründe in organisatorischen unterbinden. Die meisten BAS-Leute in Schwierigkeiten. Am 25. Juli 1960 fand Südtirol blieben bei Kerschbaumer. Klotz eine weitere BAS-Sitzung in Innsbruck und einige wenige andere Mitglieder statt. Es sollte die letzte gemeinsame traten auf die Seite der Innsbrucker Sitzung in Innsbruck werden, an der die Gruppe über. Südtiroler Gründungsmitglieder des BAS Anfang Dezember 1960 gab es eine teilnahmen. Es kam zum endgültigen weitere Sitzung des österreichischen BAS Bruch. Der entscheidende Grund da- in Innsbruck, an der auch Luis Amplatz für waren Meinungsverschiedenheiten teilnahm. Fritz Molden, Gerd Bacher und über die politische Gangart des BAS, einige andere Österreicher wollten jetzt Differenzen, die schon längst unausge- mit den Anschlägen noch warten, für sprochen zum gegenseitigen Misstrauen den „großen Schlag“ rüsten und bis da- beigetragen hatten. Kerschbaumer war hin möglichst wenig auffallen. Eine ande- ein Mann, der Hilfe in Österreich suchte, re Gruppe um Kurt Welser, Heinrich Klier, ohne Blick auf irgendwelche parteipoli- Eduard Widmoser und Aloys Oberham- tischen Überlegungen. Ihm war es egal, mer wollte ein, zwei Anschläge durch- ob jemand der SPÖ oder der ÖVP ange- führen, die als kleine Generalprobe für hörte. Den Mitgliedern der Innsbrucker den großen Schlag dienen und gleich- Gruppe war dies allerdings keineswegs zeitig einen „Knalleffekt“ für ganz Italien egal. Sie waren überzeugte Parteigän- und Österreich haben sollten. Pfaundler ger der ÖVP, denen es zwar um Südtirol und Klotz zweifelten an der Wirksam- ging, die aber damit auch einen inner- keit von Anschlägen; sie wollten einen politischen Kampf zwischen den beiden offenen Partisanenkampf wie etwa in großen Parteien in Österreich verban- Zypern oder Algerien auslösen. Nach den. Dem SPÖ-Außenminister Bruno dem erfolglosen Ministertreffen wurden Kreisky gönnten sie auf gar keinen Fall Anfang 1961 dann die erwähnten An- einen Erfolg in der Südtirolfrage, und so schläge in Südtirol durchgeführt. Der

47 deutsche Konsul in Innsbruck schrieb damals ans Auswärtige Amt in Bonn: „Der überwiegende Teil des Volkes lehnt jede Gewaltanwendung im Südtirol- Streit ab.“ Das war wohl eine zutreffen- de Analyse. In den folgenden Wochen reifte dann langsam beim BAS der Plan für den großen Schlag für die Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1961.

2. Die Feuernacht – und was dann? Auch 50 Jahre nach den Ereignissen ist die Feuernacht insbesondere in Südti- rol ein sensibles Thema geblieben. Das hängt zum einen mit der damaligen Haltung der offiziellen Politik gegenü- ber den Attentätern zusammen, zum anderen mit dem Leid jener Leute. Sie sind misshandelt und gefoltert worden, Über 10.000 Menschen aus ganz Südtirol kommen zur saßen jahrelang im Gefängnis, erlitten Beerdigung von Anton Gostner nach St. Andrä. menschliche Tragödien und finanzielle Entbehrungen. Politiker und Bevölkerung lehnten ihre Aktionen zunächst ab. Die Stimmung schlug erst um, als die Be- richte über Folterungen und Misshand- lungen bekannt wurden, zwei von ihnen starben –als Opfer der Folterungen, was allerdings offiziell nie bestätigt wurde –, zwei junge Burschen wurden versehent- lich von Italienern erschossen. Von der Politik kam wenig Hilfe. Erst mit dem „Pa- ket“ des Jahres 1969 und dessen erfolg- reicher Umsetzung änderte sich die Sicht der Dinge. Mehr und mehr wurde die Interpretation der Aktivisten von damals und ihrer Sympathisanten akzeptiert. Und die lautete so: I. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Attentätern der Feuernacht und jenen der späteren Jahre. Es waren allesamt Freiheitskämpfer. Alles zu- sammen ein Akt des Widerstandes gegen die verhassten Italiener; end- lich hatte man es ihnen gezeigt; was es während der Faschistenzeit nicht gegeben hatte, wurde jetzt quasi nachgeholt. Damit konnten und kön- nen sich viele identifizieren. II. Die Attentate 1961 haben die Italie- ner in die Knie und zur Einsetzung der Neunzehner-Kommission gezwungen, ohne die es kein „Paket“ und keine Autonomie geben würde. III. Die Qualität der Verhandlungen zwi- schen Österreich und Italien wurde verbessert. Flugblatt des BAS, mit dem nach Franz Höflers Tod im IV. Die Welt wurde auf das Südtirolpro- Jahr 1961 auf die Folterungen hingewiesen wird. blem aufmerksam gemacht. Alles zu- sammen ein großer Erfolg, der durch

48 Die „Dolomiten“ bringen die Folterungen und Misshandlungen der Südtiroler Freiheitskämpfer in den italienischen Gefängnissen an die Öffentlichkeit: „Diese Schande muss getilgt werden“, schreibt Chefredakteur Toni Ebner sen. in seinem Leitartikel.

die Attentate der folgenden Jahre an die Öffentlichkeit gebracht. Erst die abgesichert wurde. „Dolomiten“ haben diese Briefe in ihrer Kurz: Südtirol verdankt seine Autonomie Ausgabe vom 9. Jänner 1962 bekannt den Attentätern von 1961. gemacht. Ein Mythos war geboren, der nicht mehr in Frage gestellt wurde, nachdem in spä- Friedl Volgger schrieb 1986 in seinen „Er- teren Jahren sogar hochrangige Politiker innerungen“, die Feuernacht habe einen ihn bestätigten. So erklärte Silvius Ma- neuen Abschnitt in der Südtirolpolitik ein- gnago im Oktober 1976 auf der SVP-Lan- geleitet, ohne Anschläge hätte sich die desversammlung, „die Anschläge des italienische Regierung nie zur Einsetzung Jahres 1961 stellten einen bedeutenden der Neunzehner-Kommission aufgerafft, Beitrag zur Erreichung einer besseren Au- und weiter: „Sepp Kerschbaumer […] tonomie für Südtirol dar“, die Einsetzung und seine Kameraden haben einen we- der Neunzehner-Kommission sei sicher sentlichen Beitrag zur Erreichung einer unter dem Eindruck der damaligen Er- neuen Autonomie geleistet.“ Ähnlich eignisse erfolgt. 1997 saß er erstmals mit äußerte sich 1997 auch der damalige einem „Freiheitskämpfer“ bei einer öf- Nordtiroler Landeshauptmann Wen- fentlichen Veranstaltung zusammen und delin Weingartner, ähnlich auch Franz meinte zur vielfach kritisierten Haltung Widmann, damals Mitglied der Partei- der SVP-Führung 1961, man habe so ge- leitung der SVP. Nach späterer Aussage handelt, um die Verhandlungsfähigkeit stand er in engem Kontakt mit den BAS- der SVP gegenüber der italienischen Re- Führern in Nord- und Südtirol und wusste gierung aufrecht zu erhalten. Seine mehr auch im Vorhinein über die Feuernacht als merkwürdige Haltung, wie mit den Bescheid; er hatte demnach sogar ei- Briefen der Gefolterten umgegangen nen Decknamen: „Willi“. Er schrieb 1999, werden sollte, wurde nicht erwähnt. Ein die Ereignisse 1961 „gaben, wenn auch Großteil der Folter-Briefe wurde nämlich verpönt und verkannt, einen entschei- auf Initiative Magnagos damals nicht denden Anstoß für ernsthafte Verhand-

49 27.7. 1961 Silvius Magnago „Mit dem Einbringen unserer „Man habe aber erfahren, und Peter Brugger zu Beratungen über Resolution [in der UNO, dass in allen Staaten der Ter- dieses Angebot ohne Erwähnung des Gruber- ror dem österreichischen An- bei Bruno Kreisky und Kurt Waldheim De-Gasperi-Abkommens] sehen und der Südtirol-Frage in Zürich. Kreisky haben wir unsere Schiffe ungeheuren Schaden zugefügt spricht sich für Annahme aus. verbrannt.“ habe.“ August/ September 1961 Aloys Oberhammer zum österreichischen Vorgehen Bruno Kreisky auf der Südtirolbesprechung vor der UNO am 14. Oktober 1960. am 5. September 1961 in Innsbruck. Deutsch-italie- nisches Verhältnis wegen Südtirol schwer belastet. 7.8. 1961 lungen mit den Südtirolern“. Und dann eigener Aussage aus dem Jahr 1992 war Der SVP-Ausschuss ganz rigoros: „Wer heute noch die Be- Sepp Kerschbaumer im Februar 1961 bei beschließt einstim- hauptung aufstellen möchte, dass die ihr in Innsbruck und wollte eine mora- mig –und ohne Abstimmung –die Anschläge der Südtirolfrage politischen lische Unterstützung für Anschläge, die Annahme von Scel- Schaden gebracht hätten, der verkennt alleine Demonstrationscharakter haben bas Angebot. wider aller gegenteiliger Beweise ent- sollten. Da habe sie gesagt: „Das bringt 10.8. 1961 weder völlig die Probleme oder aber nichts, lasst die Finger davon. Man wird Oberhammer legt er spricht in unehrlicher Absicht.“ (Wid- euch verhaften. Und was dann? Wenn seine Mandate als Obmann der Tiroler mann, Südtirol, S. 563) Die Frage, was mit aber 10.000 hinter den Aktionen stehen Volkspartei und als den Terroranschlägen ab 1962, als ge- und gewaltfrei auf ihre Anliegen auf- Landesrat nieder. zielt auf Menschen geschossen und ge- merksam machen, dann hat das eine Ein Interview vom Juli wird ihm zum mordet wurde, bezweckt werden sollte, ganz andere Wirkung.“ (S. Baumgartner/ Verhängnis. wurde dabei von Widmann gar nicht Mayr/Mumelter, Feuernacht S. 99). 31.8. 1961 erst gestellt. Für ihn gingen die Atten- Und was dann? Das war in der Tat die Peter Brugger, tate lediglich in einer „nicht mehr durch- entscheidende Frage. Friedl Volgger und schaubaren Eskalation“ weiter. Wäre die Seit Ende der neunziger Jahre –nach Karl Mitterdorfer Frage gestellt worden, hätte die Antwort zu Gesprächen in Jahren einer erfolgreichen Autonomie – Innsbruck über Hilfe eindeutig sein müssen: Sie haben der Sa- ist ein interessanter Interpretationswech- für die Südtiroler che Südtirol geschadet. sel der Feuernacht festzustellen: Dem- Häftlinge und de- ren Angehörige. Und was ist nun mit den Attentaten der nach wollten die Feuernacht-Attentäter 1.9. 1961 Feuernacht? Nach Viktoria Stadlmayers gar keine Autonomie, sondern von An- fang an die Selbstbestimmung.Genau Konstituierende Sitzung der sog. dies wird jetzt von den Rechtsparteien in Neunzehner-Kom- Bruno Kreisky Südtirol politisch instrumentalisiert. Aber: mission (Scelba- Was sich so schön anhört, war gar nicht Kommission). Bruno Kreisky ist eine prä- so schön. Vieles war anders, wie im Fol- 4.9. 1961 gende Leitfigur der öster- genden gezeigt wird. Zunächst zu Au- Schwere Ausei- nandersetzung reichischen Politik und der ßenminister Bruno Kreisky. zwischen Außenmi- Sozialdemokratie. nister Bruno Kreisky Am 22. Jänner 1911 in Wien und Staatssekretär geboren, floh der aus einer 3. Bruno Kreisky Ludwig Steiner. jüdischen Familie stammen- und die Attentate 21.9. 1961 de Kreisky nach Schweden, Österreichs Antrag wo er mit Unterbrechungen bis 1951 blieb. Am späten Abend des 12. Juni 1961 – wird vom UNO- Zunächst war er als Berater des SPÖ-Bundes- Montag –rief Österreichs Außenmini- Lenkungsausschuss präsidenten Theodor Körner tätig bis er 1953 ster Bruno Kreisky aus Deutschland, wo einstimmig und ohne Diskussion auf Staatssekretär im Bundeskanzleramt wurde. er Vermögensverhandlungen geführt die Tagesordnung Und es auch bis 1959 blieb. Schließlich wur- hatte, Generalsekretär Martin Fuchs der UNO-Vollver- de er Nationalratsabgeordneter und war in dessen Wohnung an und, so dessen sammlung gesetzt. von 1959 bis 1966 –also in der Feuernacht – Tagebucheintrag, „beklagt sich, dass 21./22.9. 1961 Außenminister. Als solcher legte er 1964 mit auch wir ihn über die Anschläge in Süd- Kreisky trifft in New seinem italienischen Amtskollegen Giuseppe York zweimal mit Saragat die Grundlage für das Südtirol-Paket. tirol nicht informiert hätten. Ich erwidere, Segni zusammen. 1966 musste die SPÖ in die Opposition, Kreisky dass auch wir nur durch Zeitungsmel- Es geht darum, die wurde 1967 Parteiobmann. Von 1970 bis 1983 dungen informiert seien. Er verurteilt die- Südtirolfrage von der Tagesordnung war Kreisky Bundeskanzler, zunächst unter se Anschläge schärfstens und ersucht der Generalver- Duldung der FPÖ, ab 1971 alleine mit abso- mich bei SPÖ-Minister Karl Waldbrunner sammlung abzuset- luter Mehrheit. Am 29. Juli 1990 verstarb Bruno und Bundeskanzler Alfons Gorbach zu zen bzw. sie auf die Kreisky. nächstjährige zu erwirken, dass der Ministerrat morgen verschieben. sich sehr entschieden von dieser neuen

50 30.9. 1961 Die Gruppe „Auf- bau“ innerhalb der SVP tritt an die Öffentlichkeit. Sie kritisiert den „steigenden Einfluss einiger unbe- dachter extremer Elemente“ der SVP; Gefahr einer Spal- tung der Partei. Hat Österreichs Außenminister Bruno Kreisky die Freiheitskämpfer in Südtirol ermutigt, 1.10. 1961 Anschlag auf das es „einmal bumsen“ zu lassen? Luis Amplatz hat dies zumindest in seinem Testament Andreas-Hofer- geschrieben, das die Tageszeitung „Neues Österreich“ 1965 in großer Aufmachung Denkmal auf dem veröffentlicht. Bergisel bei Inns- bruck. 14.10. 1961 Terrorwelle distanziert“. Am nächsten dung eine helfende Rolle gespielt hät- Deutsche Befürch- tungen wegen Morgen richtete Fuchs Gorbach den ten“. Wir wissen inzwischen, dass dies möglicher Erwäh- Wunsch Kreiskys aus. Die Bundesregie- eine Intrige im Bundeskanzleramt gewe- nung des „Panger- rung übersandte Kurt Waldheim, der zu sen war, Fragen blieben dennoch –trotz manismus“ in der bevorstehenden dieser Zeit österreichischer UN-Delega- heftiger Dementis. UNO-Debatte. tionsleiter war, dann den Entwurf einer Anfang 1965 wurde Kreisky erneut mit 5.11. 1961 entsprechenden Erklärung. Diese hatte den Attentätern des Jahres 1961 in Ver- Bilaterales Treffen folgenden Wortlaut: auf höchster Ebene bindung gebracht. Luis Amplatz war am in Rom (Minister- „Im Zusammenhang mit den Mel- 7. September 1964 ermordet worden. präsident Fanfani, dungen über eine Serie von Sprengstoff- Wenig später kursierte ein Testament von Außenminister anschlägen in Südtirol hat der Ministerrat Segni, Innenminister ihm im Lande, an dessen Echtheit nicht Scelba, Bundes- festgestellt, dass die Bundesregierung zu zweifeln war. Amplatz behauptete kanzler Gorbach Anschläge und Gewaltakte, wo und darin, eine Reihe von Südtirolern, die na- und Außenminister Kreisky). von welcher Seite immer sie verübt wer- mentlich aufgeführt waren, hätten mit den mögen, als Mittel des politischen 8.11. 1961 maßgeblichen österreichischen Politi- Bruno Kreisky Kampfes schärfstens verurteilt. Die Bun- kern und Funktionären die Frage der Ge- spricht in Innsbruck desregierung hat neuerlich der Überzeu- waltanwendung in Südtirol besprochen mit Parteigenossen gung Ausdruck gegeben, dass sich die über „Aufgabe und von diesen Hilfe und Rückende- der sozialistischen Südtiroler Probleme entsprechend der ckung zugesagt bekommen. Unter an- Bewegung in von der letzten Generalversammlung Südtirol.“ der UN einstimmig angenommenen Re- 5.-23.11. 1961 solution nur mit friedlichen Mitteln lösen Debatte in der Poli- lassen.“ tischen Spezialkom- mission der Verein- In einer Besprechung über die Südti- ten Nationen. rolfrage am 5. September 1961 mein- 22.11. 1961 te Kreisky über die durch die Attentate Tod von Franz entstandene Situation: „Man hat aber Höfler im Alter von nur 28 Jahren. Er erfahren, dass in allen Staaten der Terror stirbt an den Folgen dem österreichischen Ansehen und der von Folterungen Südtirolfrage ungeheuren Schaden zu- in Untersuchungs- haft. Bei seiner gefügt habe.“ Beerdigung in Nach diesen Äußerungen zu urteilen, Lana werden über war die Haltung Kreiskys eindeutig. War 10.000 Trauergäste gezählt. sie das? Die „Neue Zürcher Zeitung“ mel- 28.11. 1961 dete am 22. Juli unter Berufung auf Per- Die UNO-Vollver- sönlichkeiten, die dem österreichischen sammlung erneuert Südtirol-Unternehmen kritisch gegenü- ihre Resolution vom Oktober 1960. ber stünden, dass Aloys Oberhammer, 6./7.12. 1961 Franz Gschnitzer, der ehemalige Vertei- Erster Südtirolpro- digungsminister Ferdinand Graf (ÖVP) zess in Graz. Im Vor- sowie Innenminister Josef Afritsch (SPÖ) feld und danach massiver Druck der und eben auch Kreisky „in den verschie- Tiroler Landesre- denen Phasen des Aufbaus einer Par- gierung auf die tisanenorganisation teils durch aktive „Natürlich hat Kreisky von den Attentaten Bundesregierung, keine Südtirolpro- Teilnahme, teils durch aktive Vorschub- gewusst“, erklärt der Nordtiroler Landes- zesse durchführen leistungen, teils durch mitwirkende Dul- rat Rupert Zechtl. zu lassen.

51 Zunächst als Landesrat, danach als Landeshauptmann des Bundeslandes Tirol ist Eduard Wallnöfer (rechts im Bild) stets um eine für Südtirol annehmbare Lösung des Konfliktes bemüht (im Bild mit Par- teikollege Leopold Figl).

deren wurde Kreisky genannt und damit gend vor solchen Aktionen gewarnt. Aus schwer belastet. In der Ausgabe vom dem Umstand, dass ich sie freundschaft- 12. Jänner 1965 veröffentlichte die Ta- lich empfing, wurden sehr bösartige, geszeitung „Neues Österreich“ in großer entgegengesetzte Schlüsse gezogen.“ Aufmachung dieses Testament. Kreisky Kreisky hat nachweislich die späteren At- wurde darin mit der Äußerung zitiert: „Es tentäter Jörg Klotz, Sepp Kerschbaumer, ist gut, wenn es in Südtirol einmal bumst, Karl Tietscher und Jörg Pircher in Wien denn nur so wird die Welt auf dieses getroffen. Mit dabei war auch Rupert Problem aufmerksam.“ Und an anderer Zechtl, Partei- und Weggefährte Kreiskys, Stelle, nach einem Satz von Klotz („Wenn der mir gegenüber 1998 feststellte: „Na- es so weitergeht, dann werden wir eines türlich hat Kreisky von den Attentaten Tages zurückschlagen.“): „Das ist die gewusst.“ Wissen oder ermuntern seien einzige Möglichkeit, um sich Luft zu ma- aber zwei verschiedene Dinge. chen.“ Kreisky wies das damals sofort mit Am 18. März 1993 strahlte der ORF ein In- Entschiedenheit zurück. terview mit Fritz Molden aus, in dem Mol- In seinen „Erinnerungen“ ist Kreisky auf den folgende Äußerungen von Kreisky dieses Thema eingegangen. Er schreibt zitierte: „Auf ein paar Masten mehr oder dort: „In Südtirol gab es Tendenzen, den weniger soll es uns nicht ankommen.“ In Forderungen nach dem Selbstbestim- einem Interview mit der „Presse“ am 8. mungsrecht durch Terrorakte größeren Jänner 1999 wurde Molden noch deut- Nachdruck zu verleihen. Ich habe die licher. Er zitierte den obengenannten maßgeblichen Vertreter dieser Richtung Satz jetzt so: „Auf apaar Maste mehr –integre, ehrliche, knorrige Typen –zu oder weniger soll’s mir net ankommen“, mir nach Hause eingeladen und sie drin- und fuhr fort: „Ein berühmter Satz. Den

52 hatte er vor einem Dutzend Zeugen wie- Silvius Magnago derholt […], in Alpbach. Da wetteiferten der Wallnöfer und der Kreisky, wer mehr Unbestrittene Leitfigur der für die Südtiroler getan hat. Beide, der Südtiroler nach dem Zwei- ‚Walli‘ (Tirols ÖVP-Chef und Landesrat ten Weltkrieg ist der Jurist Eduard Wallnöfer) und der Kreisky, wa- und Vollblutpolitiker Silvius ren überzeugt: Das war damals richtig. Magnago. Am 5. Februar Beide waren natürlich traurig über jeden 1914 geboren, verlor der Toten. Aber noch höre ich Kreisky sagen: junge Magnago an der Ost- ‚Die Zyprioten haben auch Tote gehabt, front ein Bein, überlebte die und die Algerier‘“. Kreisky hat sich dazu schwere Verwundung aber knapp. 1947 wird nicht mehr äußern können. Aussage er in den Bozner Gemeinderat gewählt und wird zum Vizebürgermeister der Talferstadt. steht gegen Aussage. Fest steht jeden- Den Sprung an die Spitze der Politik schafft er falls: Kreisky hatte die Geister des Jahres 1957 als er SVP-Landesparteiobmann wird. Als 1961 sicherlich nicht gerufen. Gegenü- solcher organisiert er die Großkundgebung ber dem britischen Botschafter meinte er auf Schloss Sigmundskron, in deren Rahmen er im Herbst 1963, so schlimm sei das ja alles unter dem Motto „Los Von Trient“ eine größe- nicht mit den Attentaten. Mit Sicherheit re Autonomie für Südtirol einfordert. 1960 wird kann man jedoch sagen: Mit dem, was er Landeshauptmann. Offiziell lehnt Magna- dann anschließend kam, als sogenann- go die Attentate ab und drängt darauf, dass te Freiheitskämpfer zum direkten Terror die Südtiroler über den Verhandlungsweg eine Lösung suchen sollen: Autonomie, nicht und Morden übergingen, hatte er in der Selbstbestimmung. Wie viel und ab wann er Tat nichts zu tun. von den Anschlägen gewusst hat und warum er die ihm bekannten Folterungen der inhaf- 4. Die weggebombte tierten Südtiroler Aktivisten gar nicht oder erst spät zur Kenntnis genommen hat, ist bis heute Selbstbestimmung unklar. Auf alle Fälle gelingt Magnago und sei- Mit Blick auf die Selbstbestimmung wa- nen Mitstreitern der Durchbruch, als die SVP- ren die Attentate eindeutig kontrapro- Landesversammlung am 22. November 1969 duktiv! Selbstbestimmung, d. h. Rückkehr knapp das ausgehandelte Südtirol-Paket gut- heißt. Bis 1992 wurden alle darin enthaltenen Südtirols zu Österreich, war ein großes Bestimmungen ratifiziert und der völkerrecht- Thema auf den SVP-Landesversamm- liche Streit um Südtirol beigelegt. Damit legt lungen 1959 und 1960 gewesen. Die mei- Silvius Magnago, der bereits 1989 das Amt sten SVP-Ortsobleute wollten sie! Nur mit des Landeshauptmannes abgegeben hatte, Mühe wurde, wie erwähnt, auf der au- nach 34 Jahren seine Funktion als Landespar- ßerordentlichen SVP-Landesversamm- teiobmann zurück und zieht sich aus der Poli- lung im Mai 1960 eine entsprechende tik zurück. Der „Vater der Landesautonomie“ Resolution von der Parteileitung verhin- stirbt am 25. Mai 2010. dert. War die Forderung nach Selbst- bestimmung unrealistisch? Aus Wiener Sicht –allen voran Außenminister Bruno massiv vertreten. Das sollte dann so ge- Kreisky –ja. In Nordtirol gab es starke hen: nach den Attentaten Abbruch Stimmen, die sie forderten –und die und damit Scheitern der österreichisch- man mit Bomben und Partisanenkrieg zu italienischen Verhandlungen, dann auf erreichen hoffte. Exponenten waren hier der außerordentlichen SVP-Landesver- Wolfgang Pfaundler, Aloys Oberham- sammlung im Juni 1961 unter Hinweis auf mer und Eduard Widmoser. In Südtirol dieses Scheitern eine Resolution bezüg- waren die SVP-Führungsleute, allen vo- lich Selbstbestimmung herbeiführen, um ran Silvius Magnago, massiv dagegen. dann damit vor die UNO zu gehen. Es In der Parteiführung gab es allerdings kam bekanntlich alles anders. auch andere Stimmen, etwa Magnagos Interessant ist die Reaktion der SVP-Lei- Stellvertreter Peter Brugger. tung am Montag, dem 12. Juni, dem Tag Und es gab Stimmen, die die Selbst- nach der Feuernacht. Wissende und Un- bestimmung wollten, allerdings ohne wissende saßen in einem Raum. Zu den jegliche Gewalt. Exponenten dieser Unwissenden zählte Silvius Magnago. Im Richtung waren Franz Gschnitzer und Protokoll jener Sitzung heißt es: „Doktor Viktoria Stadlmayer. Festzuhalten bleibt: Magnago hält die Vermischung mit den Die Attentäter 1961 wollten die Selbst- Höhenfeuern am Herz-Jesu-Sonntag für bestimmung, auf keinen Fall Autono- geschmacklos. Offensichtlich handelt mie! In allen damals verteilten Briefen es sich um eine Großorganisation, wel- und Flugblättern wurde diese Forderung che gefährlich ist. Die Mandanten dieser

53 Im Gedenken an das Jahr 1796, als die Stände Tirols angesichts der herannahenden Truppen Napo- leons das Land dem Herzen Jesu anvertrauten, werden am Herz-Jesu-Tag Bergfeuer entzündet. Im Jahr 1961 aber wird das Gelöbnis von Dutzenden Anschlägen überschattet.

Aktion wollen jedes ruhigere Klima sa- dieser gehe von der Voraussetzung aus, botieren und die Situation auf die Spitze „dass unsere Leute die Urheber dieser treiben, die Polizei soll sabotiert werden, Anschläge waren. Damit taucht aber damit sie sich zu Repressalien hinreißt auch die Frage auf, ob diese Leute et- usw. Das Ende ist dann eine Situation, in was Gutes getan haben, oder ob sie der die Fortführung der Verhandlungen unserer Sache nicht dienen? Diese Fra- keine Aussicht auf Erfolg mehr bietet. ge muss man stellen und auch klar be- […] Es ist klar, alle diese Anschläge scha- antworten“. Worauf Widmann erwiderte, den Südtirol, ganz zu schweigen von dass er von dieser Voraussetzung „natür- den wirtschaftlichen Folgen.“ lich nicht ausgegangen sei, dass, wenn Es überrascht im Nachhinein nicht, dass aber der gute Glaube angenommen Franz Widmann, ein –wie wir heute wis- wird, dann muss man eben auf die Ta- sen –„Wissender“, das etwas anders ge- ten hinweisen und diese bzw. das System sehen hat und später immer noch so sah. verurteilen, nicht aber die Leute selbst“. Widmann hielt die Anschläge zwar auch Widmann wusste mehr als Ebner. Das än- für „schwerwiegend“, berücksichtigt derte aber nichts an der Tatsache, dass werden müssten aber auch die „Gründe, dessen Frage die entscheidende war. welche zu diesen Anschlägen geführt Und um die ging es in den folgenden haben. Der Akzent muss auf die Taten Wochen. Die neu zugänglichen, aus- und nicht auf die Leute gelegt werden. führlichen Tagebuchnotizen des Ge- Diese sind sicherlich ehrliche Südtiroler, neralsekretärs im österreichischen Au- welche es gut meinen, und keine Krimi- ßenministerium, Martin Fuchs, sind hier nellen“. Das wolle er ausdrücklich beto- besonders interessant und aufschluss- nen, ohne deswegen missverstanden zu reich und geben Antwort auf so man- werden. Und Chefredakteur Toni Ebner che Frage. Neben den Terroristen gab sen., der am nächsten Tag die Anschlä- es noch „unsere Radikalen“ in Nord- und ge in einem Leitartikel der „Dolomiten“ Südtirol, wie Fuchs sie nannte. Zu ihnen „scharf“ verurteilte („Geschändetes gehörten u. a. aus Nordtirol Staatssekre- Herz-Jesu-Fest“), bemerkte zu Widmann, tär Franz Gschnitzer, der Völkerrechtler

54 „Geschändetes Herz-Jesu-Fest“ „Dolomiten“-Leitartikel vom 13.6.1961

Der Wortlaut des Leitartikels von Chefredakteur Toni Ebner sen.: Geschändetes Herz-Jesu-Fest In althergebrachter Feierlichkeit hat das Volk von Südtirol den Herz-Jesu-Sonntag, das Fest des Bundesherrn, in Stadt und Land begangen. Eine besonders feier- liche und tirolische Note ist die- sem Feste heuer durch die His- sung der Landesfahnen auf den Dorfplätzen und Prozessionswe- gen gegeben worden. Das Bun- deslied „Auf zum Schwur!“ wurde in allen Kirchen zum Abschluss des Hochamtes von der ganzen Kirchengemeinschaft mit tiefer Inbrunst gesungen. Die Musikka- pellen in ihren schönen Trach- ten trugen durch flottes Spiel zur Verschönerung des Festes bei. In den ersten Abendstunden lo- derten von allen Bergen, Hügeln und Anhöhen des Landes die Herz-Jesu-Feuer. Ein selten schö- ner und erhebender Tag war in echter Tiroler Tradition zu Ende gegangen. Dann kam –kurz nach Mitter- nacht –die Schändung des Herz-Jesu-Sonntages, des Festes des Bundesherrn unseres Volkes. Eine nicht abreißen wollende Kette von heftigen Explosionen erschütterte nicht nur das gan- ze Land, sondern noch mehr die Herzen des Volkes. Die im Ver- laufe des heutigen Tages be- kanntgewordenen Folgen und Schäden materieller Art sind er- ner Talkessel hatte, aber mit ihren zu sich nach Rom eingeladen, wo schreckend und ungeheuerlich. Ausläufern das ganze Land um- morgen eine Lagebesprechung Das Schrecklichste ist aber der spannte. Geleitet musste das mit stattfindet. Es soll daher ange- Tod eines unschuldigen Familien- sehr viel Dynamit ausgestattete nommen werden, dass Polizei vaters. Die Erbitterung und Empö- zahlreiche Einsatzkommando von und Staatsanwaltschaft diesmal rung unter der Bevölkerung über einem Hirn sein. nicht mehr wahllos gegen Südti- diese verantwortungslosen An- Die Landesleitung der Südtiroler roler vorgehen werden und dass schläge noch unbekannter Ter- Volkspartei hat in der Resoluti- der Innenminister selber keine un- roristen sind groß und allgemein. on, die an anderer Stelle dieser gerechtfertigte „napoleonische“ Jeder einzelne und sporadische Ausgabe veröffentlicht wird, Maßnahme gegen die Südtiroler Sprenganschlag ist abzulehnen sich in aller Form von diesen An- ergreift, sondern nur solche, die und zu verurteilen. Die Menschen schlägen distanziert und sie als zur Verfolgung der Terroristen und gehen dann aber gewöhnlich zur politisches Kampfmittel noch- zu deren Unschädlichmachung Tagesordnung über, schütteln die mals und schärfstens verurteilt. geeignet sind. Achseln und vergessen vielleicht Anscheinend hat sich auch der Als Südtiroler können wir in dieser wieder darauf. Nicht so am Herz- Innenminister von der Ernsthaftig- schweren Stunde nur hoffen und Jesu-Sonntag. Diesmal handelte keit dieser Ablehnung überzeu- beten, dass das Fest des Bundes- es sich um eine großangelegte gen lassen. Er hat nämlich den herrn nie wieder durch Terrorakte Aktion mit geradezu wissen- Landeshauptmann und die Parla- geschändet und unser Land schaftlich exakter Vorbereitung, mentarier von Südtirol zusammen überhaupt vor den selben be- die ihren Brennpunkt wohl im Boz- mit dem Vizeregierungskommissär wahrt werde.

55 12.–17. Juni 1961: österreichisch-italienische Expertengespräche in Zürich zur Vorbereitung des Ministertref- fens Kreisky-Saragat wenige Tage später. Noch vor Beginn der Gespräche erklären die Tiroler Teilnehmer sie intern für gescheitert.

Univ.-Prof. Felix Ermacora und Johannes hatte der ehemalige Staatssekretär Dengler, der im Außenministerium tätig Gschnitzer Kurt Waldheim einen vor- war. Sie gehörten zur österreichischen bereiteten Ministerratsvortrag für Bruno Expertendelegation, die, wie in Klagen- Kreisky vorgelegt, den Waldheim unter- furt vereinbart, in Zürich die neue Ver- schreiben sollte. Darin war das Scheitern handlungsrunde der Minister vorbereiten der Expertengespräche („italienische sollte. Und es waren erstaunliche Bespre- Angebote völlig unzureichend und un- chungen, die Mitte 1961 stattfanden: Sie annehmbar“) festgehalten, noch be- verliefen nämlich in einer ausgespro- vor diese überhaupt begonnen hatten. chen freundlich-sachlicher Atmosphäre. Waldheim verweigerte die Unterschrift „Offenbar will die italienische Regierung und erklärte sich lediglich bereit, Kreisky die Anschläge nicht dazu benützen, um das Papier Gschnitzers mit der Bemer- die Verhandlungen abzubrechen, was kung zu übergeben, dass dies die Ansicht das Hauptziel der Terroristen ist“, notierte Gschnitzers und der Südtiroler sei. Fuchs Generalsekretär Fuchs in sein Tagebuch. notierte: „Es wird immer deutlicher, dass die Nordtiroler und Südtiroler Radikalen Die Italiener taten den Tiroler „Radi- alles tun, um das Scheitern der zweisei- kalen“ nicht den gewünschten Gefal- tigen Verhandlungen zu beschleunigen len: Sie dachten gar nicht daran, die und um wieder auf die internationale Verhandlungen abzubrechen und er- Ebene zu kommen (am liebsten wieder wähnten die Bombenanschläge nicht vor [UNO-]Generalversammlung).“ einmal, wie im 140 Seiten umfassenden Wortprotokoll nachzulesen ist. Die Italie- Unter diesen Umständen war klar, dass ner zeigten nach Meinung Kurt Wald- das Ministertreffen zwischen Bruno Kreis- heims, des Leiters der österreichischen ky und Antonio Segni am 24. Juni 1961 in Delegation, im Gegenteil „weitestge- Zürich scheitern musste. Fuchs notierte, hende Bereitschaft, Verwaltungsbefug- was Waldheim ihm erzählte: „Nord- und nisse […] auf die Provinz zu übertragen“, Südtiroler seien vollkommen unnachgie- wie er Fuchs mitteilte. big gewesen und hätten Kreisky unter Druck gesetzt.“ In Zürich kam es zudem zu einem au- ßergewöhnlichen Vorfall, wie Waldheim Die Bomben beendeten allerdings jede Fuchs außerdem mitteilte. Demnach Diskussion über eine mögliche Selbstbe-

56 Es kommt, wie es so mancher Nord- und Südtiroler gewünscht hat: Die Verhandlungsrunde zwischen Italien und Österreich (im Bild Mitglieder der Delegation, von links Ludwig Steiner, Rudolf Kirchschlä- ger, Bruno Kreisky, Kurt Waldheim und Franz Gschnitzer) in Zürich endet ergebnislos.

stimmung. Neben Wien hatte auch die werden“. Und dieser Weg lautete: Lan- SVP-Leitung die Attentate öffentlich desautonomie, nicht Selbstbestimmung. auf das Schärfste verurteilt und betont, Nach der Feuernacht war die Selbst- sie habe Gewaltakte als Form des poli- bestimmung kein ernst zu nehmendes, tischen Kampfes immer entschieden ab- realistisches Thema mehr, sie war im gelehnt und lehne sie ab. Auf der außer- wahrsten Sinne des Wortes wegge- ordentlichen SVP-Landesversammlung bombt worden, hatte politisch keine im Juni war die Selbstbestimmung kein Chance mehr. Kein Politiker forderte Thema mehr, zumal Magnago noch mehr öffentlich die Selbstbestimmung. einmal mit Nachdruck betont hatte, die Ohne Bomben, möglicherweise mit den Anwendung von Gewaltakten „wider- von Viktoria Stadlmayer gewünschten spricht unserer katholischen Einstellung „Zehntausend hinter den Aktionen“, und ist mit unserem Gewissen unverein- wäre sie möglicherweise ein Thema ge- bar. Man kann Unrecht nicht beseitigen, worden, hätte sie möglicherweise auch in dem man neues Unrecht begeht, und mit Nachdruck auf der anstehenden man kann das Recht nicht für sich be- Landesversammlung gefordert werden anspruchen, wenn man vom Wege des können, mit Bomben war dieses The- Rechtes abgeht“. Mit den Attentaten ma definitiv erledigt. Es gab jetzt zudem sei der Heimat „nicht nur kein guter, die Neunzehner-Kommission, für Vikto- sondern ein äußerst schlechter Dienst ria Stadlmayer „ein Sieg Italiens“. Man erwiesen“ worden. Es handle sich offen- konnte ja schlecht als SVP mit den Ita- sichtlich um Personen, „deren Heimat- lienern über die Autonomie verhandeln liebe und Idealismus auf das Gröbste und gleichzeitig die Selbstbestimmung missbraucht wurde.“ Mit aller Entschie- fordern. Die Attentäter hatten das Ge- denheit erklärte er abschließend, „dass genteil von dem erreicht, was sie wollten. sich die Südtiroler Volkspartei weder von Im Bestreben nach Selbstbestimmung der einen noch von der anderen Seite waren ihre Anschläge kontraproduktiv. beeinflussen lassen wird, das heißt, dass Der Aktivist Siegfried Carli, dem 1961 die weder Sprengstoff noch Flugzettel noch Flucht nach Nordtirol gelang, brachte Polizeimaßnahmen sie von ihrem bis jetzt das Jahrzehnte später auf die knappe eingeschlagenen Weg abbringen lassen Formel: „Wir haben es verhackt.“

57 5. Die Neunzehner- Kommission Die Neunzehner-Kommission wird von ehemaligen Attentätern direkt mit der Feuernacht in Verbindung gebracht, die damit zu einer weiteren Erfolgsstory hoch stilisiert wird, ganz nach dem Mot- to „ohne Anschläge keine Neunzehner- Kommission, ohne Neunzehner-Kom- Die Neunzehner-Kommission tagt am 21. September 1961 mission kein Paket“. Die Fakten sehen in Bozen. Im Bild einige ihrer Mitglieder (von links): Landes- auch hier ganz anders aus. Die Frage hauptmann Silvius Magnago, die Senatoren Karl Tinzl und lautet: Hätte es ohne Feuernacht keine Luis Sand, die Kammerabgeordneten Roland Riz und Karl Kommission –und also auch kein Paket Mitterdorfer sowie die Experten Giuseppe Tramarollo und –gegeben? Oder anders ausgedrückt: Vincenzo Palumbo. Nicht im Bild sind die Abgeordneten Hat Rom die Kommission aufgrund der Toni Ebner, Alcide Berloffa, Guido de Unterrichter, Flaminio Feuernacht eingesetzt? Und wenn ja, Piccoli, Renato Ballardini, Paolo Rossi (Kommissionspräsi- warum? War das ernst gemeint oder dent) und Roberto Luxifredi sowie die Handelskammerprä- nur ein taktischer Schachzug der Italie- sidenten Walter von Walther und Leo Detassis, „Union de ner? Mario Scelba, Italiens Innenminister Ladins“-Präsident Franz Prugger, Regionalausschusspräsi- aus Sizilien, gehörte zu den Hardlinern in dent Luigi Dalvit und Senator Leopoldo Baracco. Rom. Er verfolgte damals eine Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“, wobei schon bald erkennbar wurde, dass das Zucker- brot ziemlich versalzen war. Die „Peitsche“ war die Verwandlung Südtirols in ein Heerlager. Zusätzliche 24.000 Soldaten sowie zusätzliche 10.000 Polizisten und Carabinieri wurden nach Südtirol verlegt, wo mehrere renom- mierte Hotels beschlagnahmt wurden. Es gab zahllose Hausdurchsuchungen, jedem Bewohner wurde verboten, sich zwischen 21 Uhr und 5Uhr bestimmten Objekten zu nähern. Über den Bergtä- lern kreisten Hubschrauber, auf den Stra- ßen kontrollierten Soldaten und wachten Carabinieri an allen möglichen öffent- lichen Gebäuden und Hochspannungs- Der Präsident der Neunzehner-Kommission, Paolo Rossi, bei masten. In der Nacht vom 18. zum 19. der Lektüre der Tageszeitung „Dolomiten“. Juni 1961 verbluteten zwei unschuldige Südtiroler Bauernburschen, die vom ita- lienischen Militär erschossen wurden. Scelba war entschlossen, den „allogeni“ (Fremdstämmige) beziehungsweise den „valligiani dalle calze bianche“ (Bergler mit den weißen Stutzen) zu zeigen, wer das Sagen in Südtirol hatte. Die Atten- täter waren schon bald verhaftet und unmenschlich gefoltert worden. Ein Vor- gang, unwürdig eines demokratischen Staates. (Dies hat der Autor schon vor 20 Jahren öffentlich gesagt und hat seither Hausverbot in sämtlichen italienischen Botschaften.) Das „Zuckerbrot“ war das Angebot Scel- bas an die SVP zum inneritalienischen Ge- spräch über die Südtirolfrage. Schon vor „Zuckerbrot und Peitsche“: Italiens Innenminister Mario der Feuernacht hatte er einen solchen Scelba gehört zu den Hardlinern in Rom. Vorschlag gemacht, jetzt präzisierte er: Eine paritätische Kommission sollte sich

58 Unschuldig ums Leben gekommen

In Südtirol herrschte nach der Feuernacht der Ausnahmezustand. Die nach Südtirol beorderten Sicherheitskräfte wurden angewiesen, auf jeden zu schießen, der sich nachts Eisenbahnlinien, Hochspannungsmaste, Fabriken oder Stauseen näherten. So kamen in der Nacht auf den 19. Juni 1961 auch zwei unschuldige Südtiroler Burschen ums Leben: Der 21-jährige Josef Locher wurde auf einer Materialseilbahn in Durnholz erschossen, als er damit abends nach Hause fahren wollte (im Bild seine Beerdigung). Und in Mals erschos- sen Soldaten den 25-jährigen Hubert Sprenger, der mit einem Freund in der Nähe einiger Staats- bauten auf zwei Mädchen wartete. Auch in den folgenden Jahren blieb die Lage im Land angespannt –mit tödlichen Folgen für Un- schuldige: So wurde am 24. September 1966 in Olang der 18-jährige Peter Wieland erschossen. Er war gegen 21.30 Uhr auf dem Weg in ein Gast- sen, am 23. Mai 1966 starb der 23-jährige Finanz- haus, wo er sich mit anderen Burschen treffen beamte Bruno Bolognesi bei einem Anschlag am wollte. Irrtümlich wurde er von Soldaten erschos- Pfitscherjoch-Haus, im Gsieser Tal wurden nur zwei sen. Monate später die Finanzbeamten Salvatore Ga- Opfer gab es auch unter den italienischen Sol- bitta und Giuseppe D’Ignoti erschossen und den daten und Sicherheitskräften: So wurden am 26. Anschlägen auf der Steinalm und auf der Porze- August 1965 die beiden Carabinieri-Beamten Pal- scharte fielen sechs italienische Heeresangehö- mero Ariu und Luigi de Gennaro in Sexten erschos- rige zum Opfer (eigene Berichte dazu). mit der Frage Südtirol beschäftigen; als mit die Situation in der UNO „zu unseren Bedingung verlangte er, dass die SVP für Gunsten zu beeinflussen“. Für einige Tiro- die Dauer der Gespräche den internati- ler war das zwareine furchtbare Vorstel- onalen Weg „suspendiere“. Das war die lung, aber so kam es. Von Innenminister Geburtsstunde der später sogenannten Scelba war dies ein außerordentlich ge- Neunzehner-Kommission. Nach eigener, schickter Schachzug. späterer Aussage war er bei dieser Ent- Die SVP war gefordert und musste Farbe scheidung im Ministerrat auf harten Wi- bekennen. Eine grundlegende Entschei- derstand gestoßen. Nach außen musste dung stand an: Würde man mit den Ita- eine solche Entscheidung den Eindruck lienern über eine Autonomie sprechen, erwecken, als ob Rom dieses Angebot konnte man nicht gleichzeitig Selbst- als Reaktion auf die Attentate gemacht bestimmung fordern. Die Exponenten hatte. Dabei war etwas anderes mitent- dieser Politik, auf der einen Seite Silvius scheidend, nämlich der Beschluss der Magnago, auf der anderen Seite Peter österreichischen Bundesregierung –auf Brugger, fuhren am 27. Juli nach Zürich, Druck der (Süd-)Tiroler –, die Südtirolfra- wo es mit Außenminister Bruno Kreisky ge erneut vor die UNO zu bringen. Eine zu einer Aussprache über das weitere ähnliche Debatte wie ein Jahr zuvor vor Vorgehen kam. Kreisky wies dabei da- der UNO wäre für Italien besonders un- rauf hin, dass sich die Lage für Österreich angenehm gewesen. Würde eine De- nach den Attentaten „wesentlich ver- batte kommen, so wollte Rom jetzt auf schlechtert“ habe. eigene Großzügigkeit gegenüber der Bevor Magnago Stellung nehmen konn- Minderheit im Lande verweisen können te, stellte Brugger drei Fragen, deren –und dazu sollte diese Kommission die- Beantwortung,wie er meinte, „für die nen. Italiens ehemaliger UNO-Botschaf- bevorstehenden Auseinandersetzungen ter und seit Anfang Juli 1961 Botschaf- innerhalb der SVP von wesentlicher Be- ter in Wien, Enrico Martino, hatte genau deutung sei“. Als erstes wollte er wissen, das am 19. Juli Staatssekretär Carlo ob die österreichische Bundesregierung Russo empfohlen, einen Tag nach dem eine Forderung der Südtiroler nach Ge- österreichischen UNO-Antrag. Er sprach währung des Selbstbestimmungsrechtes von „unserer Entschlossenheit, direkt mit unterstützen wird. Kreiskys Antwort: den Südtirolern zu verhandeln“, um da- „Nein“. Brugger: „Besteht Aussicht, dass

59 Zusätzliche 24.000 Soldaten sowie 10.000 Polizisten und Carabinieri verwandeln Südtirol nach der Feuernacht in ein Heerlager.

ein dritter Staat das Selbstbestimmungs- schlechter sei als im vergangenen Jahr. recht für Südtirol vertreten wird?“ Kreisky Magnago stellte daraufhin fest, dass verneinte erneut mit der Begründung, „die Attentatswelle auch den Südtirolern dass sämtliche UNO-Mitgliedsstaaten großen Schaden verursacht habe, und Minderheitenprobleme hätten und da- zwar sowohl wirtschaftlichen als auch her nicht gewillt seien, für das Selbstbe- politischen Schaden. Insofern nämlich, stimmungsrecht der Minderheiten einzu- als die Existenz der Partei in Gefahr ge- treten. Dann wollte Brugger wissen, ob bracht wurde.“ Seien maßgebende Sicherheitserwägungen die Westmäch- Wirtschaftskreise Südtirols schon früher te zu einer Unterstützung des Südtiroler der SVP eher fern gestanden, so hätten Anliegens veranlassen würden. Die Süd- sie nunmehr die aus der Attentatswelle tiroler Bevölkerung sei „als dezidiert anti- entstandene Schädigung der Südtiroler kommunistisch bekannt und würde da- Wirtschaft zum Anlass genommen, ge- her für den Westen einen wesentlichen gen die Partei vorzugehen. Es bestehe Sicherheitsfaktor gegen den Osten dar- kein Zweifel darüber, dass Spaltungsver- stellen“. Kreisky erwiderte, dass dieses suche vorhanden sind. Argument bereits in der Vergangenheit Kreisky sprach sich dann für eine Annah- gebracht worden sei, „jedoch keinerlei me des Angebotes Scelbas aus, obwohl Erfolg zeitigte“. er sehr deutlich erkannte, was noch da- Dann kam Magnagos Part. Auf seine Fra- hinter steckte: Die von italienischer Seite ge, ob die österreichische Position in der gewünschte Aussetzung des internati- UNO durch die Sprengstoffattentate ge- onalen Weges als Gegenleistung für di- schwächt worden sei beziehungsweise rekte Verhandlungen „berge die Gefahr schlechter sei als im vergangenen Jahr, in sich, Österreich auszuschalten und erwiderte Kreisky, er sei davon überzeugt, direkte Verhandlungen als Niederlage dass die Situation wegen der Attentate Österreichs herzustellen. Dies sei zweifel-

60 Öffentliche Gebäude, Hochspannungsleitungen und andere neuralgische Stellen werden von italienischen Sicherheitskräften überwacht, Südtiroler dürfen sich diesen Orten in den Nachtstunden nicht mehr nähern.

los der Wunsch Scelbas“. Offensichtlich die Scelba-Kommission und für bilaterale gab es auch in der SVP falsche Vorstel- Kontakte solle nicht gestört werden.“ lungen über die Erfolgsaussichten vor der Ergebnisse für Südtirol waren nicht vor- UNO. In Südtirol seien von gewisser Seite gesehen. Als Begründung dienten die unrealistische Hoffnungen geweckt wor- Attentate. Am 5. November 1961 mein- den, meinte der Abgeordnete Roland te Innenminister Mario Scelba zu Außen- Riz gegenüber Botschafter Löwenthal. minister Bruno Kreisky und Bundeskanzler Magnago glaube offensichtlich an die Alfons Gorbach in Rom zur Arbeit der Möglichkeit eines UNO-Erfolges. Riz bat Neunzehner-Kommission: „Die öffent- mit Einverständnis seines Kammerkolle- liche Meinung steht noch unter dem gen Karl Mitterdorfer dringendst, Kreisky Eindruck der Attentate und würde ein möge Magnago rückhaltlos informieren, Entgegenkommen als Nachgiebigkeit was von der neuen UNO-Aktion zu er- gegenüber der Gewalt empfinden.“ warten sei. Dann meinte Riz noch „ent- Damit, so Kreisky, trat das italienische schieden und mit der Bitte um Weiterga- „Doppelspiel“, wie er das nannte, deut- be, falls der Nordtiroler Landesrat Aloys lich zu Tage. Erkennbar war das auch Oberhammer weiterhin in der österrei- an der Tatsache, dass es bei der Zu- chischen Delegation bleibe, müsse man sammensetzung der Kommission erheb- die Frage aufwerfen, ob diese Delega- liche Probleme in Rom gab und schon tion überhaupt noch die Interessen der bald von einer paritätischen Kommis- Südtiroler Bevölkerung vertreten könne“. sion keine Rede mehr war. Genau das Was Rom mit der Kommission tatsächlich war wohl von Scelba von Anfang auch wollte, machte der italienische Vertre- beabsichtigt worden. Seine Ministerkol- ter in New York deutlich: als Argument legen hatten das zunächst nicht richtig für eine möglichst ruhige und kurze De- verstanden. In der Sitzung des Minister- batte vor der UNO: „Die Atmosphäre für rats zum 1. September 1961 ist die Rede

61 von einer „larga discussione“. Gegenü- ber Botschafter Löwenthal wies Scelba später –inzwischen ohne Ministeramt –auf den „harten Widerstand“ einiger Kabinettskollegen hin: Ein anderer als er „hätte sich nicht durchgesetzt“. In den folgenden Monaten gab es von italie- nischer Seite dann auch kein Entgegen- kommen. Die UNO hatte auch nicht geholfen. Eine Wiederholung der Resolution aus dem Jahr 1960 hatte man bekommen. Mehr nicht! Die Italiener hatten die Neunzehner-Kommission in New York „ausgeschlachtet“, wie Magnago es in einer Sitzung der SVP-Leitung am 27. No- vember 1961 formulierte. Das „friedliche Italiens Botschafter in Wien, Enrico Marti- Mittel“, das sich einige von der UNO er- no: „Die Neunzehner-Kommission ist eine hofft hatten, hatte man nicht erreicht, rein interne italienische Angelegenheit.“ „weil die Neunzehner-Kommission da war“, wie er meinte. 14 Tage zuvor, am 14. November, hatte er klar gemacht, wo man möglicherweise landen würde: Wenn keine Einigung in der Neunzeh- ner-Kommission erzielt werde, „stehen wir vor dem Nichts“. Und am Ende des Jahres machte Italiens Botschafter in Wien, Enrico Martino, gegenüber Ge- neralsekretär Fuchs deutlich, dass die Neunzehner-Kommission „eine rein in- terne italienische Angelegenheit“ sei, die auch mit dem Gruber-De-Gasperi- Abkommen nichts zu tun habe. Sie sei eine „Studienkommission, die ein Pro- blem des italienischen Staates zu prüfen habe“, Südtirol sei „kein österreichisch- italienisches Kondominium“. Das war das Ergebnis des Jahres 1961! Kammerabgeordneter Roland Riz war War unter diesen Umständen diese Kom- auch in der Neunzehner-Kommission, die mission ein Erfolg –gar ein Erfolg der Feu- in den 1960er-Jahren aber wenig ausrich- ernacht, wie vielfach von ehemaligen ten kann. Attentätern behauptet worden ist? Wohl kaum. Und noch etwas ist immer wieder behauptet worden, dass nämlich die At- tentate die Qualität der Gespräche zwi- schen Österreich und Italien verbessert hätten. Das genaue Gegenteil ist der Fall! Es kam genauso, wie Kreisky es be- fürchtet hatte: Es gab überhaupt keine Gespräche mehr! Die Italiener verwie- sen stets auf das inneritalienische Ge- spräch, die zitierte Neunzehner-Kommis- sion, und die schleppte sich Monat für Monat dahin, immer am Rande der Auf- lösung. In einer Südtirolbesprechung am 10. September 1963 wies Kreisky ziemlich frustriert darauf hin, dass sich Italien seit zwei Jahren weigere, mit Österreich zu verhandeln und „dabei stellt sich die Als Kammerabgeordneter ebenfalls Frage, wie lange kann sich Österreich Mitglied der Neunzehner-Kommission: das gefallen lassen?“. Karl Mitterdorfer

62 Nach 43 Tagen in Haft endlich wieder auf freiem Fuß: Viktoria Stadlmayer verlässt am 10. Juni 1961 in Begleitung ihres Anwaltes Roland Riz (rechts im Bild) und des österreichischen Generalkonsuls in Mailand das Bozner Gefängnis.

Viktoria Stadlmayer 6. Viktoria Stadlmayer und die Attentate Viktoria Stadlmayer wurde am 22. August 1917 in Brixen Zu Attentaten und Neunzehner-Kom- geboren, ihre Mutter war mission äußerte sich Anfang 1962 die eine geborene Gräfin Wol- langjährige Leiterin des „Referates S“ bei kenstein-Trostburg, ihr Vater der Nordtiroler Landesregierung, Vikto- stammte aus Oberöster- ria Stadlmayer, in einem streng vertrau- reich. Die Matura legte sie lichen Memorandum für den Nordtiroler in Berlin ab, dort und später Landeshauptmann Hans Tschiggfrey. Es in Wien studierte sie auch. 1941 trat sie in den Dienst der Nordtiroler Landesregierung. 1957 ist ein außergewöhnlich interessantes wurde sie zur Leiterin des Referates S(Südti- Dokument, zumal Stadlmayer –selbst rol) bestellt und war als solche Beraterin und Südtirolerin und eine der anerkanntesten Beobachterin im Zusammenhang mit der und einflussreichsten Südtirol-Persönlich- Nordtiroler Südtirolpolitik und Koordinatorin keiten –linker oder gar landesverräte- zwischen Bozen, Innsbruck und Wien. In italie- rischer Neigungen unverdächtig war. Ihr nischen Medien wurde sie als „Passionaria del Urteil hatte Gewicht. In ihrem Kampf für Tirolo“ bezeichnet, sie war die Südtirol-Exper- die Selbstbestimmung Südtirols, für die tin schlechthin. Bis 1985 leitete sie das Refe- rat S. Stadlmayer wurde bis zu ihrem Tod am sie mit Nachdruck eintrat, hatte Stadl- 25. Februar 2004 von Österreich, der Univer- mayer von Anfang an jedwede Art von sität Innsbruck, dem Land Tirol, der Stadt In- Gewalt abgelehnt. In diesem Dokument nsbruck und der SVP mehrfach für ihre Ver- fällt sie nun ein vernichtendes Urteil über dienste ausgezeichnet. die Bombenattentate des Jahres 1961. Die Attentate waren durchgeführt, die

63 Attentäter verhaftet worden, ohne über Toni Ebnersen. ihre Frage „Und was dann?“ nachge- dacht zu haben. Sie beantwortete diese Toni Ebner wurde am 22. De- Frage jetzt in diesem Memorandum. Für zember 1918 in gebo- sie war die Bombenpolitik zur Erreichung ren. Er studierte Rechtswis- der Selbstbestimmung gescheitert. Und senschaften in Bologna und mit der Einsetzung der Neunzehner-Kom- promovierte während eines mission hatte ihrer Meinung nach Italien Militärurlaubes 1943. Als ei- einen Sieg errungen, da die Südtiroler ner der Jüngsten wirkte er gesehen hätten, dass sie zu einer Politik 1945 bei der Gründung der verleitet werden sollten, die gar nicht SVP mit und wurde ihr erster Sekretär. 1948 zog durchsetzbar war und die ihnen nur er als jüngster Abgeordneter in die römische Abgeordnetenkammer ein, der er bis 1963 an- großes Elend bringen würde. Für Stadl- gehörte. Vom 4. Jänner 1951 bis zum 16. Fe- mayer stand fest, wie sie ganz dezidiert bruar 1952 sowie vom 3. März 1956 bis zum 25. formulierte: „Die Neunzehner-Kommissi- Mai 1957 war Toni Ebner Obmann der SVP. Im on und ihre positive Aufnahme in Südtirol Europarat wirkte er von 1954 bis 1969. Von 1961 ist kein Erfolg der Bombenpolitik, sondern bis 1964 war er Vorsitzender und Sprecher der ist ein Sieg Italiens.“ Große Erwartungen SVP-Fraktion im Bozner Gemeinderat. an die Kommission hatte sie nicht, denn, Ebner gehörte zum engsten Mitarbeiterkreis so schrieb sie: „Es handelt sich also zur von Kanonikus Michael Gamper, mit dessen Zeit eigentlich nur um die Frage, wie Nichte Martha Flies er verheiratet war. Kanoni- kus Gamper schlug Ebner 1956 für die Leitung faul der Kompromiss sein wird, zu dem der Verlagsanstalt Athesia und der Tageszei- es in der Neunzehner-Kommission kom- tung „Dolomiten“ vor, der Vorstand stimmte men wird, wenn Südtirol nicht das Odi- diesem Wunsch zu. Seitdem widmete sich Eb- um eines ,leichtfertigen‘ Abbruchs auf ner voll und ganz dieser neuen Aufgabe. sich nehmen will. Nach dem wirklichen 1977 wurde Ebner Verfassungsrichter im Lock- Erfolg vom 28. Jänner 1961 in Mailand, heed-Prozess. 1981 wurde er zum Staatsrat als Italien aufgrund der in der Form sehr ernannt, und im selben Jahr auch zum Präsi- maßvollen, im Inhalt sehr starken Forde- denten der Verlagsanstalt Athesia gewählt. Am 13. Dezember 1981 verstarb Toni Ebner an rungen Österreichs die Verhandlungen einem Herzinfarkt. abbrach, sind wir heute in eine Sack- gasse geraten, aus der ein Ausweg nur schwer zu finden ist.“ nehmlich seit Neujahr 1962 vereinzelt Die Bombenanschläge waren auch in weitergegangen, und es wurde be- den Wintermonaten 1961/62 und vor- fürchtet, dass gewisse Kreise die Absicht hatten, sie nach der Schneeschmelze in großem Umfang wieder aufzunehmen. Roland Riz Staatssekretär Ludwig Steiner im Außen- ministerium in Wien äußerte sich dazu im Roland Riz wurde am 12. Ministerrat folgendermaßen: „Es beginnt Mai 1927 in Bozen geboren. nun eine Welle des Terrors, die alles in Er studierte Rechtswissen- den Schatten stellt, was war.“ schaften, promovierte 1948 und ist seither als Anwalt Dazu Viktoria Stadlmayer in dem er- tätig. Der Professor an den wähnten Memorandum: „Wenn also im Universitäten von Modena, Frühjahr eine neue Welle von größeren Padua und Innsbruck sowie Anschlägen einsetzen sollte, so hieße Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikati- onen begann seine politische Karriere 1957 dies nicht, einen Misserfolg in einen Er- als Vizebürgermeister von Bozen. Von 1958 bis folg umwandeln, sondern eine Niederla- 1963 und von 1968 bis 1987 war er Abgeord- ge endgültig zu besiegeln, nicht nur vor neter der römischen Kammer, 1987 wechselte der Weltöffentlichkeit, vor der es nicht er in den Senat, dem er bis 1996 angehörte. mehr zu verbergen ist, dass die Fäden Roland Riz war Mitglied aller Kommissionen, nach Österreich führten oder gar die die sich mit der Reform des Autonomiesta- Initiatoren in Österreich sitzen, während tutes befassten. 1991 übernahm er das Amt die Basis in Südtirol selbst hierfür sehr klein des SVP-Obmannes von Silvius Magnago, das er bis Ende 1992 innehatte. Er, der langjährige ist, sondern vor allem vor der Südtiroler Chefdiplomat der SVP, konnte 1992 als SVP- Bevölkerung. Es kann also nur mit allem Obmann das Paket mit der Streitbeilegungs- Ernst vor der Wiederaufnahme eines sol- erklärung vor der UNO abschließen. chen Vorgehens gewarnt werden.“ Je- der neue Bombenanschlag würde ihrer

64 Und immer wieder neue Anschläge, die Viktoria Stadlmayer intern als „verheerendfür unserweiteres Vorgehen“ bezeichnet.

Meinung nach ein Minuspunkt für die Partei vorzugehen. Mit besonderer Auf- österreichische und Südtiroler Politik in merksamkeit wurde diese Entwicklung dieser Sache sein. Neue Anschläge be- auch in Nordtirol beobachtet. Eine der zeichnete sie wörtlich als „verheerend einflussreichsten Persönlichkeiten in Süd- für unser weiteres Vorgehen“. tirol war „Dolomiten“-Chefredakteur Toni Ebner sen. Am 14. Juli 1961 wandte sich Viktoria Stadlmayer an ihn und wies auf die Probleme hin; die Lage sei „wirklich 7. Die Richtung „Aufbau“ in so kritisch wie noch nie“. Und in dieser Si- der SVP tuation bat sie Ebner um Hilfe. Es sei völ- lig zu verstehen, so Stadlmayer, dass die Südtiroler Hoteliers und ein großer Teil der Die „Bombenpolitik“ war jedenfalls ge- weiteren Wirtschaftszweige äußerst un- scheitert. Das war das eine Ergebnis der glücklich über die jetzige Lage und den Attentate, das andere war, dass durch entstehenden Ausfall seien, aber daran sie die SVP in die größte Krise ihrer Ge- schichte geraten war. Die Attentate lasse sich ja momentan nichts mehr än- hatten, wie Magnago intern festgestellt dern, höchstens durch Versuche verbes- hatte, den Südtirolern wirtschaftlich und sern, die durchzuführen „Sie wahrschein- auch politisch großen Schaden zuge- lich mehr Möglichkeiten haben werden fügt, insofern nämlich, als die „Existenz wie wir“. Sie habe nur die große Angst, der Partei in Gefahr gebracht wurde“. dass sich aus dieser berechtigten Sor- Es sei kein Zweifel, dass „Spaltungsver- ge der Wirtschaftskreise eine politische suche“ vorhanden seien. Maßgebliche Tendenz ergeben könnte, die die Lage Wirtschaftskreise Südtirols seien schon frü- erst recht katastrophal gestalten würde. her der SVP eher ferngestanden; die aus Wenn man sich schon in den früheren der Attentatswelle resultierende Schädi- Jahren eine Spaltung nicht leisten konn- gung der Südtiroler Wirtschaft hätten sie te, „so hoffe ich, dass diese Kreise einse- jetzt zum Anlass genommen, gegen die hen, dass heute eine Spaltung geradezu 65 Die Richtung „Aufbau“ in der SVP: Wersich ihr anschloss

70 Bürgermeister und Vizebürgermeister denverkehrsamt; Hillebrand Peter, Grems, Gemeinderat St. Adami Karl, BM Gargazon; Alber Franz, BM Hafling; Bacher Pankraz/Ulten; Hinteregger Hans, Gemeindeassessor Kiens; Johann, BM Pfitsch; Bonell Michael, BM Truden; Bonell Peter, Innerebner Ing. Georg, Bauunternehmer, Bozen; Innerhofer BM Andrian; Craffonara Alois, BM Abtei; Dibiasi Willi, BM Na- Franz, Tanner, Ehrenobmann Bauernbund; Irsara Paul, SVP- turns; Eisenkeil Artur, Vize-BM Partschins; Elser Alois, „Wötzl“, Ortsobmannstellvertreter Abtei; Kapfinger Anton, L.-Abg.; BM Dorf Tirol; Ennemoser Johann, BM St. Martin/Passeier; Keim Josef, SVP-Ortsobmann Außerratschings; Kemenater Ennemoser Josef, BM Moos/Passeier; Eppacher Josef, BM Franz, Präsident Athesia; Kempter von Karl, Gemeinderat Sand in Taufers; Gamper Alois, BM Jenesien; Gamper Josef, Brixen; Kerschbaumer Johann, SVP-Ortsobmann Laurein; Krautsamer, Vize-BM Marling; Ganner Bruno, Vize-BM Meran; Klotz Heinrich, SVP-Ortsobmann Ridnaun; Kößler Willi, Obst- Geiger Hans, BM Welschnofen; Gitzl, Karl, BM Ratschings; händler, Sigmundskron; Kofler Josef, SVP-Ortsobmann Penon; Golser Alois, BM Tscherms; Gratl Anton, Vize-BM Kaltern, Ob- Ladurner Aribo, SVP-Ortsobmann Meran; Lageder Adolf, Ar- mann Konsumgenossenschaft; Gröbner August, BM Brenner- beitnehmer, Bozen; Leider Willi, Gemeinderat, Außerpfitsch; Gossensaß; Gruber Josef, BM Lana; Höller Hugo, BM Terlan; Mair Alois, SVP-Ortsobmann Tuins; Mair Johann, Lehengasser, Huber Konrad, Vize-BM Terlan, Obmann Bauernbund Terlan; SVP-Ortsobmann Außerpfitsch; Marchetti Hans, SVP-Ortsob- Kasslatter Rudolf, BM Wolkenstein; Kiem Johann, „Bach- mann Terlan/Siebeneich; Markart Josef jun., Sprechenstein, guter“, Vize-BM Algund; Knoll Matthias, BM Tisens; Knoll Paul, Sterzing; Meßner Walter, Bauer, Sterzing; Morawetz Hanno, Vize-BM Bozen; Kollmann Alois, BM Laurein; Kostner Franz, Arzt, Bozen; Moroder Johann, Lehrer, Gemeinderat St. Ul- BM Corvara; Kröss Ignaz, BM Vöran; Lantschner Franz, BM rich, Ortsobmann KVW; Nicolussi-Leck Hermann, Alt-L.-Abg., Karneid; Lechthaler Jakob, Vize-BM Schlanders; Leitgeb Le- Kaltern; Nicolussi-Leck Karl, Kaufmann, Bozen; Noggler Toni, onhard, BM Gsies; Leutsch Hartmann, BM Branzoll; March Al- GEOS-Obmann und Präsident Höfekommission Schlanders; fred, BM Montan; Meßner Johann, BM Villnöß; Muther Ernst, Oberrauch Luis, Industrieller, Bozen; Ortner Josef, Präsident BM Laas, Alt-L.-Abg.; Nagele Willi, BM Auer; Pattis Karl, BM Höfekommission Oberes Pustertal, Fraktionsvorsteher Nieder- Tiers; Pichler Johann, BM Ritten; Pircher Johann, BM Riffian; dorf; Pircher Ernst, Alt-BM Kastelbell; Pitscheider Peter, SVP- Plank Johann, BM Deutschnofen; Ploner Alois, BM Völs; Poder Ortsobmann Kolfuschg; Pizzini Luis, SVP-Ortsobmann Branzoll; Bartholomäus, BM St. Pankraz/Ulten; Pohl Hubert, BM Kastel- Platter Hans, Stadtrat Meran; Plattner Josef, Rieper, Elzen- bell; Riffeser Anton, ANRI, Vize-BM St. Christina; Rott Anton, baum; Ploner Karl, Gemeindeassessor Wolkenstein; Pobitzer BM Sarntal; Santifaller Luis, Vize-BM St. Ulrich, Gebietsvertreter Hans, Rechtsanwalt, Bozen; Pöhl Xaver, Präsident Höfekom- Gröden in der SVP; Saxl Hans, BM Sterzing; Schenk Anton, BM mission Kastelbell; Pretz Leo von, SVP-Bezirksobmann oberes Lajen; Seebacher Viktor, BM Vintl; Skasa Josef, BM St. Christi- Eisacktal; Prinoth Ernst, Gemeinderat St. Ulrich; Prugger Josef, na; Sölva Siegfried, BM Kaltern; Stecher Karl, BM Mals; Tavella Alt-BM Olang; Puff-Erlacher Alois, Obmann Kellereigenossen- Josef, BM St. Martin/Thurn; Ties Anton, BM Enneberg; Trocker schaft Gries; Purger Walter, Verleger, Gemeinderat St. Ulrich; Josef, BM Kastelruth; Tschöll Josef, BM St. Leonhard/Passeier; Pupp Ingenieur Alois, Landtagspräsident; Putzer Florian v., Überbacher Johann, BM Natz-Schabs; Volgger Walter, BM Bauunternehmer, Bozen; Rabanser Alois, SVP-Ortsobmann Vahrn; Wachtler Walter, BM Innichen; Wielander Heinrich, Waidbruck; Rabanser Alois, Gemeinderat St. Ulrich; Rai- BM Latsch; Wieser Wilhelm, BM Freienfeld; Wild Josef, Vize- ner Karl, Tierarzt, Welsberg; Ralser Josef, SVP-Ortsobmann BM Franzensfeste; Winkler Hans, BM Villanders; Wolf Oskar, Tschöfs; Rienzner Urban, Kaufmann in Brixen; Riz Roland, BM Glurns; Zingerle Anton, BM Rasen-Antholz; Zwerger Franz, Parl.-Abg.; Sanoner Josef jun., Gemeinderat St. Ulrich; Schwi- BM Altrei; enbacher Hans, Präsident Kaufleutevereinigung Prov. Bozen; Schwienbacher Karl, Innergraber, St. Nikolaus; Seebacher Über 100 Vertreter von Organisationen, Otto, Gemeinderat Brixen; Segna Walter, Sekretär Kaufleu- tevereinigung Bozen; Selva Fritz, Präsident Landesverband Ständen und Berufen der Handwerker; Senoner Adolf, Industrieller, St. Ulrich; Siller Amonn Erich, Gründer und Altobmann der SVP; Andersag Josef, SVP-Ortsobmann Algund; Sinn Robert, Gemeinderat Alois, Bauer zu Buchen in St. Pankraz/Ulten; Aufschnaiter Kaltern, Obmann Bauernkellerei; Sorg Johann, SVP-Ortsob- Paul v., Vizepräsident Apothekerkammer der Prov. Bozen; mann Mauls; Sölder-Nicolussi Ida, Präsidentin Katholische Außerer Hubert, Fraktionsvertreter, Vilpian; Badstuber, Trens, Frauenschaft; Sölva Otto, Obmann Obstgenossenschaft, Arbeitnehmer; Benedikter Alfons, Bezirkssekretär SVP Sterzing; Kaltern; Sölva Johann, Obmann Erste Kellereigenossenschaft Benedikter Josef, SVP-Ortsobmann in Trens; Breitenberger Kaltern; Stafler Karl, Mauls; Staffler Max jun., Präsident Hote- Franz, SVP-Ortsobmann in St. Nikolaus, Gemeinderat in Ulten; liervereinigung Prov. Bozen; Stötter Vinzenz, SVP-Altgeneral- Braitenberg Senator von Carl, Präsident Landesfremdenver- sekretär; Tamere Karl, SVP-Ortsobmann St. Vigil; Teissl Franz, kehrsamt; Comploj Toni, Gemeinderat und Präsident Frem- SVP-Ortsobmann Innerpflersch; Tessadri Reinhard, SVP-Alt- denverkehrsamt St. Christina; Dietl Oskar, Generalsekretär ortsobmann Salurn, KVW-Ortsobmann; Thaler Georg, Be- Südtiroler Gewerkschaftsbund; Di Pauli Baron Pius, Gemein- zirksobmann Bauernbund Brixen; Thuile Fridolin, Alt-BM Gar- derat in Kaltern, Obmann Di-Pauli-Kellerei; Eisendle Konrad, gazon; Ties August, SVP-Gebietsvertreter Gadertal; Torggler Fraktionsvertreter Pflersch; Eisenkeil Artur, Gemeindeassessor Franz, Landwirt und Obsthändler in Gries; Valentini Johann, Marling; Fioreschy Robert v., Landesassessor Handel, Ge- SVP-Ortsobmann Abtei; Valentini Johann, SVP-Ortsobmann werbe und Fremdenverkehr; Forni Graf Franz Josef, Bozen; Stern; Walther von Walter, Präsident Handelskammer; We- Gamper Josef, Alt-BM Ulten/St. Pankraz; Gander Johann, ger Josef, SVP-Ortsobmann Graun (Unterland); Wiedenhofer SVP-Ortsobmann Jaufenthal; Ghirardini Ferdinand, Beamter Josef, Bezirksobmann Bauernbund Bozen; Winkler Hermann, in Bozen; Gliera Josef, Wirtschaftsberater Bozen; Gruber Ja- SVP-Ortsobmann Montal/St. Lorenzen; Wirth-Anderlan Bene- kob, SVP-Ortsobmann und Gemeinderat in St. Pankraz/Ulten; dikt, Obmann Neue Kellereigenossenschaft Kaltern; Wörndle Heiß Wolfgang, Gemeindeassessor Brixen, Präsident Frem- Wilfried, Altpräsident Südtiroler Hochschülerschaft.

66 tödlich wäre.“ Und daher wende sie sich „vertrauensvoll an Sie, weil ich ja weiß, dass Sie am ehesten zur Aufrechterhal- tung der Einheit mit Ihrer Vernunft und Ihrer Ruhe beitragen können“. Wenig später sah sich Ebner mit dem Vorwurf konfrontiert, die Partei spalten zu wollen –das Stichwortlautete: „Aufbau“. Am 30. September 1961 veröffentlichte diese Gruppe „Aufbau“ in den „Dolo- miten“ und der Südtiroler Wirtschaftszei- tung ein Aktionsprogramm. Dort wurde kritisiert, dass durch den „steigenden Einfluss einiger unbedachter extremer Elemente“ der SVP in den letzten Jahren versucht worden sei, von der ursprüng- lichen Zielsetzung der Partei abzuwei- chen. Diesen „extremen Elementen“ habe die Bereitschaft zu einer konstruk- tiven Politik gemangelt, und sie hätten die Bevölkerung oft einseitig und ten- denziös informiert, „so dass viele Südti- roler von der letzten Entwicklung über- rascht und enttäuscht sind“. Es gehe um die Verwirklichung der im Pariser Vertrag vorgesehenen Autonomie; damit sei „offener oder versteckter Irredentismus unvereinbar“. Nur mit Mühe konnte damals eine Spal- tung der Partei verhindert werden, wie zwei ganztägige Sitzungen des Partei- ausschusses am 9. und 16. Oktober zei- gen. Da ging es hart zur Sache. Die De- batte machte deutlich, dass es in der Tat tiefe Gräben in der Partei gab. Auf der einen Seite standen die Vertreter des „Aufbaus“. Der Wipptaler Bezirksob- mann Leo von Pretz meinte gleich zu Beginn: „Wir wollen nicht die Partei spal- ten, sondern wir haben mit diesem Pro- gramm, wahrscheinlich werden Sie jetzt wieder lachen, eine Richtung zu vertre- ten, die auch im Volk vertreten ist. […] Wir sind keine Landesverräter, die das gemacht haben, sondern Leute, die sich getraut haben, einmal etwas anderes zu sagen.“ Es fielen Bemerkungen wie „Aasgeier Südtirols“. Roland Riz stellte klar: „Für mich gibt es keine Politik ohne Wirtschafts- und Sozialpolitik, und das ist grade der Fehler gewesen, den man bis heute meines Erachtens begangen hat. […] Wir sind der Ansicht, dass (...) es ein Fehler ist, so zu handeln, wie von gewis- sen Leuten gehandelt worden ist. Wir Innerhalb der SVP formiert sich eine Richtung, die vor sind nämlich der Ansicht, dass man den den politischen Auswirkungen der Bomben warnt. Die Italienern ohne Weiteres mit grob gena- als „Aufbau“ bekannt gewordene Strömung veröffent- gelten Schuhen ins Gesicht treten kann, licht in den „Dolomiten“ vom 30. September 1961 ihr jeden Tag, wenn man die Selbstbestim- Programm. mung verlangt. […] Aber wenn man die Autonomie von den Italienern verlangt

67 mation nach Innsbruck gekommen sei: „(...), die Partei ist gegen die Bomben- anschläge, offiziell ja, aber inoffiziell je- doch nicht, und es ist an der Zeit, dass er [Ebner] vergiftet wird. Also hier ist doch irgendetwas nicht ganz in Ordnung, dass neben der offiziellen auch eine in- offizielle Quelle besteht, die die Herren draußen vollkommen falsch informiert hat und auch noch weiterhin informiert. Ich nenne keine Namen, ich hätte auch diese zur Hand“, so Ebner. Franz Widmann war ein erklärter Geg- ner Ebners und der ganzen Aufbaube- wegung, die seiner Meinung nach „un- weigerlich im In- und Ausland als eine Der„Aufbau“-Exponent Leo von Pretz auf Spaltung aufgenommen werden muss“. der Landesversammlung. Für ihn war die ganze Handlungsweise „nicht zu verantworten“. Magnago hat- te die Popularität, die ausreichte, um die und ihnen jeden Tag mit den grob Ge- wohl größte Krise innerhalb der SVP zu nagelten ins Gesicht steigt, dann er- überwinden. Wie tief der Stachel bei ei- reicht man die Autonomie hundertpro- nigen Beteiligten war, zeigt die Einschät- zentig nie, weil sie einem nicht über den zung, die Franz Widmann 1999 gab. Ein Weg trauen.“ Und weiter: „Wir müssen Gelingen dieser, wie er schreibt, „von schauen, die Volksgruppe zu retten in langer Hand eingefädelten Operation eine andere Richtung hin, nämlich in ei- hätte die Früchte des ‚Los von Trient‘ nen anderen Geist hin, der viel europä- und auch die Opfer der Attentäter der ischer, international ist, der bei uns viel- Feuernacht kurz vor dem Ziel zunichte leicht noch nicht den richtigen Anklang gemacht“. Der „Aufbau“ habe großen gefunden hat in der breiten Masse.“ Und Schaden angerichtet: „Es ist schwierig, weiter: „Italien hat uns nicht mehr über diesen Schaden abzuschätzen, aber den Weg getraut. Die haben wirklich man kann ihn daran ermessen, dass es geglaubt, dass die SVP als Partei damit elf Jahre gebraucht hat, bis das ‚Paket‘ [den Attentaten] zu tun hätte. Das ist un- endlich geschnürt war.“ Eine Interpreta- ten die Meinung.“ tion, die durch die Fakten absolut nicht Bei der Parteiausschusssitzung am 16. gestützt wird. Die Richtung „Aufbau“ Oktober ging es mit unverminderter erwarb sich im Gegenteil bleibende Schärfe weiter. Ebner ging auf die Hal- Verdienste dadurch, dass die wirtschaft- tung der Partei zu den Attentaten ein. lichen und sozialen Probleme in Südtirol Dabei machte er auch klar, wie weit die nach Jahren endlich die gebührende extremen Elemente mit Blick auf seine Beachtung erhielten. Die SVP musste Person bereit waren zu gehen. Er berich- von nun an ihre politischen Forderungen tete von einem Gespräch in Innsbruck mehr als zuvor im Lichte der wirtschaft- mit Landeshauptmann Tschiggfrey und lichen und sozialen Erfordernisse sehen. Landesrat Wallnöfer. Bei dieser Gele- Dem „Aufbau“ kommt noch ein zweites, genheit habe er Folgendes erfahren, möglicherweise noch größeres Verdienst nämlich, „dass der Herr Landeshaupt- zu: Er legte den Finger auf die Wunde mann wie der Herr Landesrat Wallnöfer der, wie es mehrfach im Parteiausschuss sehr erstaunt darüber waren, dass die am 16. Oktober erwähnt wurde, „radi- Partei nicht nur offiziell, sondern auch kalen Elemente über dem Brenner und inoffiziell die Meinung vertritt, dass uns einige von da“, die der britische Konsul diese Sprengungen nicht nur nichts in Innsbruck schlicht „Nazis“ nannte. Das nutzen, sondern von Schaden sind. Sie betraf in erster Linie jene, die fälschli- sind der Meinung, dass man offiziell zum cherweise geglaubt hatten, das Südti- bösen Spiel gute Miene machen muss, rolproblem mit Bomben zu lösen. Und dass man aber inoffiziell sagt, die Leute dabei zu wenig über jene Frage nach- sollen fest weitersprengen“. In Innsbruck gedacht hatten, die Viktoria Stadlmayer habe er sich auch erzählen lassen müs- gestellt hatte, nämlich: „Man wird euch sen, dass von Parteiseite folgende Infor- verhaften, und was dann?“

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