Die Zukunft des Einkaufens

Perspektiven für den Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland und der Schweiz

Eine Studie von GDI Gottlieb Duttweiler Institute und KPMG

kpmg.ch 2 | Die Zukunft des Einkaufens Die Zukunft des Einkaufens | 3

Inhaltsverzeichnis

1 Ausgangslage 4

2 Kernkompetenzen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH): Bedrohung und Perspektive 6 2.1 Logistik 6 2.2 Bündelung 8 2.3 Kundennähe 9 2.4 Produktkenntnis 10 2.5 Kundenbindung 13 2.6 Produktauswahl 14

3 Triebkräfte des Wandels 16 3.1 Alterung der Bevölkerung 16 3.2 Ent-Strukturierung des Alltags: Unmittelbarkeit, zunehmende Spontanität und Entplanung 17 3.3 Technologische Entwicklungen 18 3.4 Energiepreise und die Auswirkungen auf die individuelle Mobilität 20 3.5 Wandel der Werthaltungen zu Essen und Ernährung 22

4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH 24 4.1 Online wird im LEH nicht Marktstandard 24 4.2 Nischenlösungen mit breitem Umbruchpotenzial 25 4.3 Lebensmitteleinkauf um die Ecke gewinnt weiter an Bedeutung 26 4.4 Kommunikationskompetenz als Chance 27 4.5 Wachsende Schnittmenge zwischen LEH und Gastronomie 28 4.6 Der Hypermarkt vor dem langsamen Abstieg 30 4.7 Mischgenutzte Flächen schaffen soziales Umfeld 30 4.8 Gesundheit für Kunden und Mitarbeiter als Erfolgsfaktor 32 4.9 Emotionalität schlägt Effizienzoptimierung 33 4.10 Individualisierung des Genusses mit Flagship-Stores für Fans 35

5 Szenarien zur Zukunft des LEH 36 5.1 All Mart – «business as Usual» 37 5.2 Small Mart – «Tante Emma 2.0» 37 5.3 Call Mart – die Online-Food-Welt 38 5.4 Smart Mart – Shopping- und Formatvielfalt um die Ecke 39

6 Perspektiven für die LEH-Formate 40

7 Fazit 41

8 Anhang 42 8.1 Befragte Experten 42 8.2 Literatur 42 8.3 Herausgeber 43 4 | Die Zukunft des Einkaufens

1 Ausgangslage

Die Einzelhandelsbranche befindet sich in einem rasanten Also Entwarnung? Während der übrige Einzelhandel sein Umbruch. Ganze Shop-Gruppen sind aus dem Stadtbild fast Geschäftsmodell gerade radikal umstellen muss, kann sich gänzlich verschwunden (wie Musikgeschäfte), andere der Lebensmitteleinzelhandel wie auf einer Insel der Seligen dünnen kräftig aus (Buchhandel, Elektronik, seit kurzem dauerhaft in einer Offline-Sonderrolle sonnen? Weil Lebens- Schuhe), und für die Supertanker der Branche, die Waren- mittel etwas Besonderes sind, weil die Konsumenten ihre häuser, ist kein Ende ihrer seit Jahrzehnten andauernden Äpfel und Tomaten, Filets und Joghurts selbst prüfen und Krise in Sicht. Wichtigster Treiber dieser Veränderung ist fast aussuchen wollen, wird auch der Lebensmitteleinzelhandel durchgängig das Internet, das gänzlich neue Vertriebswege etwas Besonderes bleiben? öffnete und neue Formen des Kundenverhaltens ermög- Selbst wenn dem so sein sollte: Die LEH-Branche steht lichte. dennoch vor bedeutenden Herausforderungen. Das betrifft in erster Linie das Non-Food-Sortiment, das bereits heute Nur ein Segment des Einzelhandels scheint bisher von wachsender Konkurrenz ausgesetzt ist: Niemand muss diesen Umbrüchen unbehelligt: der Lebensmitteleinzel- Fernseher oder Windeln im Supermarkt kaufen. Teile des handel. Alle Versuche, ihn online anzugreifen, sind geschei- Food-Sortiments könnten folgen, insbesondere ausserhalb tert (Webvan), wurden aus ihren Wachstumsträumen des Frischebereichs. Für Kekse, Nudeln oder Getränke gibt gerissen (Ocado) oder haben sich in Nischen positioniert es eine wachsende Zahl von Vertriebs- und Logistikalterna- (LeShop). In den europäischen Staaten liegt der Online- tiven jenseits des traditionellen LEH. Wie eine Eisscholle Marktanteil im Lebensmitteleinzelhandel im meist niedrigen von den Rändern her schmilzt, droht so der harte Kern des einstelligen Prozentbereich. Nur 21 Prozent der Konsu- LEH-Sortiments immer kleiner zu werden. menten in Deutschland können sich laut einer aktuellen Herausforderungen durch neue Technologien und ein sich Befragung von KPMG vorstellen, dass der Online-Kauf von rapide wandelndes Konkurrenzumfeld bieten dabei aber Lebensmitteln in Zukunft für sie attraktiv werden könnte – immer auch neue Chancen und Geschäftsmodelle – wenn mit Abstand der geringste Wert von allen untersuchten sie rechtzeitig erkannt und unternehmerisch umgesetzt Produktkategorien.1 werden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Blick auf die vergan- genen zwei Jahrzehnte der Musikindustrie: Zwar bestehen zwischen verschiedenen Ländern grosse Mit der digitalen Revolution entstand im Internet ein neuer, Unterschiede bezüglich der Akzeptanz des Online-Einkaufs leistungsfähiger Vertriebsweg. Doch es war ein Branchen- von Lebensmitteln. In Grossbritannien können sich laut einer fremder, Apple, der mit iTunes diese Chance nutzte. KPMG-Studie aus dem Jahr 2011 bereits rund 60 Prozent Zu einem hochattraktiven Marketingkanal entwickelten der Bevölkerung vorstellen, Lebensmittel bevorzugt online sich Plattformen für Online-Videos. Aber es ist ein Bran- einzukaufen, in den USA beträgt dieser Wert gerade einmal chenfremder, Google, der mit YouTube den Markt domi- 21 Prozent.2 Doch in allen Märkten liegen diese Akzeptanz- niert. werte deutlich unter denen für die meisten anderen Waren- Das «Machen» von Musikstars verlagerte sich aus den gruppen: Bei Flugbuchungen beispielsweise liegt die Online- Marketingabteilungen der Plattenfirmen in die Öffentlich- Akzeptanz in den USA mehr als dreimal so hoch wie beim keit der elektronischen Medien. Aber es war ein Bran- Nahrungseinkauf. chenfremder, Endemol, der mit Casting-Shows wie «Deutschland sucht den Superstar» diesen Markt Noch geringer werden die Werte, wenn es sich nicht um erschloss. potenzielle Bereitschaft, sondern um tatsächliche Transakti- Der Rückgang der erzielbaren Umsätze für Musikträger onen handelt. In der Schweiz kaufen laut der Studie «Der ging mit einem drastischen Anstieg der Erlöse für das Schweizer Online-Handel – Internetnutzung 2011» der originale Erleben von Musik einher, insbesondere durch Universität St. Gallen gerade einmal 6,7 Prozent der Bevöl- Konzerte. Doch keiner der Marktführer der Musikindustrie kerung je nach Situation online Lebensmittel ein. Dieser schaffte den Einstieg in diesen Markt. Wert hat sich im Vergleich zur St. Galler Studie von 2009 sogar reduziert. In Deutschland sind die Werte gemäss einer Auch wenn sich die LEH-Branche in vielen Punkten deutlich Nestlé-Studie3 vergleichbar mit den Schweizer Werten. von der Musikindustrie unterscheidet: Technologischen

1 KPMG/EHI: Trends im Handel 2020, S. 44 f. 2 KPMG: Consumers and Convergence V: The Converged Lifestyle, 2011 3 Nestlé-Studie 2011; So is(s)t Deutschland; Deutscher Fachverlag Die Zukunft des Einkaufens | 5

Wandel und neue Geschäftsmodelle erleben beide Bran- chen. Realistische Blicke auf die zukünftige Marktentwick- Die Methoden lung können dabei helfen, die daraus resultierenden Chancen frühzeitig zu identifizieren und zu nutzen. Für diese Studie wurden unterschiedliche Methoden angewendet. Die vorliegende Studie, die vom GDI Gottlieb Duttweiler Zum Verständnis der aktuellen Entwicklungen bezüglich Institute in Zusammenarbeit mit KPMG Deutschland und der Detailhandelsformate wurde in aktuellen Publikati- KPMG Schweiz durchgeführt wurde, soll dazu beitragen. onen und Fachliteratur recherchiert. Zudem wurden Gemeinsam mit Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft Innovationen von Händlern weltweit beobachtet sowie wurden die Triebkräfte für die weitere Entwicklung des technologische und gesellschaftliche Entwicklungen Lebensmittelmarkts analysiert, Kernkompetenzen des ausserhalb der Handelsbranche daraufhin geprüft, ob Handels sowie die bedrohenden Faktoren identifiziert, sie eine Konkurrenz oder Bedrohung für die traditio- Thesen für die zukünftige Entwicklung des Sektors formu- nellen Kernkompetenzen des Handels darstellen. liert und Zukunftsszenarien für den Lebensmitteleinzelhandel Die Treiber, welche für die Entstehung von neuen entworfen. Formaten oder für Veränderungen bezüglich der Bedeu- tung von Formaten verantwortlich sein könnten, In den Expertengesprächen und bei der Szenario-Entwick- wurden mit Expertengesprächen untersucht. Entspre- lung wurde dabei jeweils das Jahr 2025 als Orientierungs- chend dem Ansatz der STEEP-Analyse (Social, Techno- wert gesetzt: nah genug, um es zu erleben – aber fern logical, Economic, Environmental, Political) wurden die genug, um nicht einfach die Trends der vergangenen Jahre Treiber in fünf Gruppen eingeteilt: gesellschaftliche, fortschreiben zu können. Über diesen Zeitraum gesehen ist technologische, wirtschaftliche, ökologische und politi- es keine Frage, ob es zu disruptiven Innovationen in der sche Triebkräfte. Branche kommt, sondern welche es sein werden und wer Für die abschliessende Erstellung der vier Szenarien für von ihnen profitieren kann. In diesem Sinn soll diese Studie die zukünftige Entwicklung des Lebensmitteleinzelhan- Denkanstösse zur Strategieentwicklung im Lebensmittelein- dels wurden die Resultate von Literaturrecherche, zelhandel liefern, die Akteure im Markt dazu animieren, «out Workshops und Expertengesprächen zusammenge- of the box» zu denken, und letztlich als Entscheidungshilfe tragen und in Beziehung zu den zwei Kernentwick- für die künftige strategische Ausrichtung dienen. lungsachsen gesetzt: Entwicklung der (Logistik-) Kosten und Entwicklung der (Konsumenten-)Wertvor- stellungen. 6 | Die Zukunft des Einkaufens

2 Kernkompetenzen des LEH: 2 Bedrohung und Perspektive

In der Vergangenheit bedeutete eine Strukturveränderung im Auch der Glaube, von den derzeitigen Anbietern in Zukunft Lebensmitteleinzelhandel meist die Verschiebung von Markt- mehr ihren Wünschen gemäss bedient zu werden, hat anteilen zwischen einzelnen stationären Formaten. Zurzeit demnach bei den Kunden rapide abgenommen. Entspre- jedoch baut sich im LEH eine Situation auf, in der die chend wird wahrscheinlicher, dass die weitere Entwicklung Branche als solche aus verschiedensten Richtungen unter des LEH disruptiv verlaufen wird. Druck gerät. Neben der Online-Konkurrenz betrifft das insbe- sondere den Boom des Mobile Shopping: Hier entstehen Kernkompetenzen des LEH neue Märkte und Formate, bei denen nicht absehbar ist, ob Logistik (B2B-Kompetenz bis zum Laden) die daraus resultierenden Umsätze auf neue Wettbewerber Bündelung (alles aus einer Hand, maximale Sortimente) und andere konvergierende Branchen entfallen oder mehr- heitlich in die Kassen der traditionellen Einzelhändler Kundennähe flies­sen. Produktkenntnis (Expertise im Einkauf und im Laden) Kundenbindung (emotional, dauerhafte Akzeptanz zwischen Käufer Zudem beobachten viele Experten eine Unzufriedenheit und Verkäufer) unter den Konsumenten mit der Art und Weise, in der ihnen Produktauswahl (Kuratieren des Warenangebots) Lebensmittel zum Kauf angeboten werden (vgl. Kap. 3.5). Jede der historisch erworbenen Kernkompetenzen, die der Lebensmitteleinzelhandel für sich reklamieren kann, ist heute durch neue Technologien und/oder neue Wettbe- werber gefährdet. Dieses Kapitel zeigt eine Übersicht über den aktuellen Stand.

2.1 Logistik

«Wahrscheinlich wird der jetzige LEH den Schritt zum Services-Dienstleister (B2C-Logis- tiker) nicht machen, sondern dieser Schritt wird von neuen Anbietern durchgeführt.» Uwe Spiegel, T-Systems

In den 150 Jahren seit dem Beginn von Massenproduktion und -konsum haben der deutsche und der Schweizer LEH die Logistik für die Zwischenstation(en) zwischen Produ- zenten und Konsumenten optimiert: Hersteller können grosse Gütermengen an für sie günstig gelegene Stationen liefern, Konsumenten können ihren gesamten Haushaltsbe- darf an für sie günstig gelegenen Ladenstandorten decken. Die IT-Systeme der Händler behalten den Überblick über mehrere hundert (Discounter) oder auch mehr als 10’000 unterschiedliche Artikel (Verbrauchermärkte) von hunderten von Lieferanten und verarbeiten Millionen von Kundendaten und Transaktionen, um jederzeit in jedem Laden qualitativ hochwertige Ware zu günstigen Preisen im Regal verfügbar zu haben. Wer diese Pflichtaufgabe nicht beherrscht, wird im Wettbewerb nicht lange bestehen können. Die Zukunft des Einkaufens | 7

Theoretisch war es sowohl für Konsumenten als auch für Gruppe: «Der Preis ist dort viel transparenter als etwa bei Produzenten schon immer verlockend, die Zwischenstation Textilien, und die Produkte sind vergleichbarer. Wenn ein des Handels zu beseitigen, direkt miteinander in Kontakt zu Neueinsteiger die gleichen Produkte anbietet, bei denen treten und die von den Intermediären (Gross- und Einzel- schon die Konzerne mit weit grösserem Einkaufsvolumen handel) beanspruchten Margen untereinander zu teilen. kaum etwas verdienen, zahlt er bei jedem Verkauf ein paar Doch Industrialisierung, Massenproduktion und Globalisie- Cents drauf.» Auch für die LEH-Konzerne selbst, so - rung vergrösserten die Distanz zwischen Herstellern und Generaldirektor Herbert Bolliger, seien die Kosten des Verbrauchern – der Einzelhandel konnte seine Position Online-Verkaufs «nicht geringer als beim Normalverkauf im festigen, die Kommunikation mit dem Kunden dominieren Laden». und seine Logistikkompetenz ausbauen. Kompetenzvorsprung und Kostenstruktur sprechen derzeit In den vergangenen zwei Jahrzehnten aber drehte sich der für den traditionellen Lebensmitteleinzelhandel. Doch halten Wind: viele der befragten Experten hier einen strukturellen Wandel Individualisierung und Produktvielfalt führten zu tenden- für möglich. Dabei sei insbesondere auf die steigende ziell kleineren Stückzahlen für jeden einzelnen Artikel, Kompetenz der Hersteller zu achten, die durch Technologie die Revolution der Telekommunikation ermöglichte den immer stärker in die LEH-Logistik eingebunden werden: Je Aufbau von direkten Verbindungen zwischen Produzent direkter ihnen die Abverkaufsdaten übermittelt werden, und Konsument, desto genauer können sie die Regale des Handels füllen – die exponentielle Zunahme von Daten sowie deren Verar- oder selbst den Kontakt zum Endkunden aufbauen. Gänzlich beitungs- und Kombinationsmöglichkeiten (Big Data) neue Marktverhältnisse würden sich zudem zwangsläufig machten es für Produzenten attraktiver, den direkten einstellen, wenn das bisherige «Outsourcing der letzten Kontakt zu ihren Kunden zu suchen. Meile» von den Endkunden nicht mehr auf eigene Kosten übernommen werden würde. Die Ausschaltung des Intermediärs wird dadurch nicht nur Umgekehrt äussern sich – in Abgrenzung zu dem eigenen ökonomisch attraktiv, sondern ist heute auch technisch Kompetenzprofil – gerade die Vertreter von Logistik- und machbar. Kommunikationsunternehmen unter den befragten Experten skeptisch über die Chancen der Lebensmittelhandelsunter- Da der etablierte Handel verständlicherweise kein Interesse nehmen, in der Direktlogistik zu reüssieren. zeigt, den Produzenten einen direkten Zugang zum Endkunden zu ermöglichen, eröffnen sich Chancen für Die direkte Verbindung zwischen Produzent und Konsument Neueinsteiger, die logistische Lücke zwischen Herstellern ist ein so einfaches und schlüssiges Konzept, dass sich und Kunden zu schliessen. Ein interessanter Neueinsteiger immer wieder neue Akteure an ihm versuchen werden. ist Alice.com: Das Unternehmen betreibt eine Website, die Zumindest als vorbeugende Massnahme für die Erneuerung wie ein normaler Online-Shop aussieht, faktisch aber nur die der Logistikkompetenz erscheint wegweisend, den eigenen Nachfrage von Endkunden auf die Seiten der Produzenten Einstieg in die Direktlogistik durchzuspielen: Wenn eines lenkt – und hinterher die logistisch effiziente Bündelung der Tages für den Weg von Produzent zu Konsument kein Einkäufe sowie die Zustellung organisiert. Das hier angebo- Umweg mehr über einen Laden nötig sein sollte, wird tene Produktspektrum ist bislang auf verpackte Markenar- immer noch jemand den Weg zum Haus des Konsumenten tikel beschränkt. Das gesamte Frischesegment wird bis dato übernehmen müssen. nicht angeboten; allerdings muss es nicht bei dieser Beschränkung bleiben. Kernkompetenz: Logistik Führende Einzelhandelsvertreter fühlen sich vor dieser Kennzeichen Bedrohung Perspektive Bedrohung derzeit noch gut geschützt. Unter anderem B2B-Kompetenz bis Ausschaltung des Eigener Einstieg in aufgrund der extrem dünnen Margen im deutschen Lebens- zum Laden Zwischenhandels die Direktlogistik mitteleinzelhandel. Karl-Erivan Haub, Geschäftsführender (Alice.com, Biokiste, und persönlich haftender Gesellschafter, Tengelmann- bofrost) 8 | Die Zukunft des Einkaufens 2 Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive

2.2 Bündelung Abo-Services «Will der Kunde wirklich jeden Tag 20 Bei Abonnements für bestimmte Produkte oder Produkt- verschiedene Lieferungen von 20 verschie- kategorien wird der Bezahlvorgang weitgehend von der denen Anbietern? Gerade in der Bündelung Warenlieferung getrennt. Waren, die entweder vom Kunden selbst ausgewählt werden (beispielsweise beim liegt doch eine Kernkompetenz des Handels.» Windelabo für den Bedarf junger Eltern)4 oder vom Produ- Stefan Genth, HDE zenten oder Händler. So ist es beim derzeit wachstum- strächtigsten Abo-Dienst, der Biokiste: In vielen Orten Über Jahrzehnte war es in vielen Branchen ein Erfolgsre- werden Konsumenten der ökologisch bewussten zept, einzelne Produkte zu einem attraktiven Angebot für Lohas5-Zielgruppen wöchentlich einmal mit frischen, Konsumenten zu bündeln. Pauschalreisen bündelten Flug, biologisch angebauten Erzeugnissen aus der Region Unterkunft und Reiseleitung, Investmentfonds bündelten beliefert. In Zürich bietet beispielsweise der Brüederhof Aktien, Anleihen und Optionen in Fonds-Sparplänen, Platten- seit Jahren Saison-Biogemüse-Abonnements an und firmen bündelten Hits und andere Musikstücke auf einem liefert das Gemüse direkt an Pick-up-Stellen in der Stadt. Album, und Lebensmitteleinzelhändler bündelten die Ange- Was genau in der Kiste liegt, ist von der Saison, den bote einer Vielzahl von Herstellern, um den Kunden alles aus Ernteergebnissen und der Entscheidung des jeweiligen einer Hand bieten zu können. Das Konzept fusste in der Lieferanten abhängig. Der Rechnungsbetrag wird in der Regel auf einer Mischkalkulation, bei der einige Produkte Regel per Lastschrift vom Bankkonto des Kunden abge- oder strategische Sortimente als Türöffner für jenen Teil des bucht. Angebots dienen, der die Marge bringt.

Für die befragten Experten stellen insbesondere Abo- Anfang der 90er Jahre wurde die Bündelung für die ersten Services für Non-Food-Artikel und standardisierte Lebens- Branchen zum Problem, weil immer weniger Konsumenten mittel eine Gefahr für die stationären Lebensmitteleinzel- es akzeptierten, von den Unternehmen vorkonfigurierte händler dar. Allerdings entstehe durch solche Angebote Produkte oder Sortiments-Mixe zu kaufen. Im LEH ging das auch eine Notwendigkeit, in die Qualität der stationären mit einer Reduktion der Auswahlvielfalt einher. So wurden Läden und in zusätzliche Services zu investieren. Auf anstelle von drei Markenprodukten zunächst nur noch zwei diese Weise könne erreicht werden, dass Abo-Services und hiernach eines sowie eine Handelsmarke angeboten. In auf Lebensphasen besonders eingeschränkter Mobilität den Augen des Kunden war eine Spätfolge der Bündelung beschränkt blieben, etwa während Krankheiten oder bei somit eine Verringerung des Angebots. Familien in der Babyphase. Alternativ kann die Abonnen- tentechnologie in das Ladenkonzept integriert werden; so In der Musikindustrie büsste die Bundle-Hardware-CD sind beispielsweise in die Temma-Läden der REWE Marktanteile an die Downloads ein. Als mit iTunes das erste Bestellterminals und Abholstationen für mymuesli.com legale und von den Nutzern akzeptierte Download-Modell integriert. einen neuen Musikmarkt schaffte, beruhte dieser auf dem Kauf einzelner Musikstücke, die Bundle-Fähigkeit der Indus- trie war Vergangenheit.6 Eine ähnliche Entwicklung durchlief die Reisebranche: Mit dem Aufkommen von Online-Flugbu- chung und einfachen Hotelreservierungssystemen für Endkunden entfiel für immer mehr Kunden die Notwendig- keit, auf die Pakete der Pauschalanbieter zurückzugreifen. Heute ist auch hier zu beobachten, dass der Trend sich noch weiter fortsetzt und der Kunde Online-Plattformen für Infor-

4 In der Schweiz liefert beispielsweise Baby Müller ein vergleichsweise günstiges Babysortiment nach Hause 5 Abkürzung für: Lifestyle of Health and Sustainability 6 Für eine Darstellung des Strukturwandels der Branche: Renner, Tim: Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm. Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie, Rogner & Bernhard 2008 2 Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive Die Zukunft des Einkaufens | 9

mationszwecke nutzt, Flüge und Übernachtungsleistungen aber direkt bei Airlines und Hotels kauft. «In den Zentren werden wir eine Entwicklung sehen hin zu Erlebnisorientierung, zu Im stationären Einzelhandel geriet die Bündelungskompe- Concept-Stores und Flagship-Stores, wo auch tenz ebenfalls unter Druck – durch die neue, extreme Breite die Hersteller selbst stärker präsent sein und Tiefe der Sortimente bei E-Commerce-Anbietern. Das werden.» Angebot eines Shops wie Amazon.com umfasst eine Vielfalt Daniel Pulko, Schenker an Produkten, wie sie niemals in den Regalen eines Einzel- händlers Platz finden könnte; und die «Laufwege» auf der Website sind deutlich kürzer als im Laden. Erfahrungen in Sortimentsoptimierung, die vom begrenzten Raum eines 2.3 Kundennähe physischen Standorts ausgehen, werden durch den prak- tisch unbegrenzten Raum der Online-Konkurrenz entwertet. «Der Kunde wird in Zukunft vom Handel noch Zwar sind die Anbieter im Online-Lebensmittelhandel von stärker ein Markenversprechen erwarten. der Vollständigkeit noch weit entfernt, die Amazon in Sowohl für die Handelsmarken als auch für anderen Segmenten bietet, aber Spezialisten wie der Londoner Online-Händler Ocado zeigen in Ansätzen, womit den Handel als Marke.» es auch die stationären Lebensmittelhändler in Deutschland Stefan Genth, HDE und der Schweiz bald zu tun haben könnten. In der Fernsehwerbung taucht sie manchmal noch auf: die Wenn Bündelungskonzepte auch weiterhin erfolgreich sein Kundennähe der selbständigen Lebensmittelhändler. Mal ist es sollen, müssen sie ihren Zusatznutzen für den Konsumenten der Manager, der sich in den Laden seiner Kindertage zurück- unter Beweis stellen. Ein Beispiel hierfür sind vorkonfigu- träumt, wo ihm damals Sahnebonbons zugesteckt wurden, rierte Zutatenbündel für einzelne Mahlzeiten: Wenn auf mal ist es der Basketballstar, dem die Metzgersfrau sagt, wie einzelne Rezepte abgestimmt alle Ingredienzien für ein gross er doch dadurch geworden sei, dass sie ihm früher Dinner mit Freunden gemeinsam angeboten werden, immer ein Extrastück Wurst gegeben habe. Beides sind keine handelt es sich nicht mehr um eine reine Ansammlung Werbespots für Handelsunternehmen – aber sie bedienen sich verschiedener Lebensmittel, sondern um die Zutaten für des Mythos von der engen und über viele Jahre gepflegten einen gelungenen Abend. Auch Event-Themen im Laden Beziehung zwischen Einzelhändlern und ihren Kunden. («Italienische Wochen», «Eröffnung der Grillsaison») können die Bündelungskompetenz des Händlers demonstrieren und Ein Mythos in der Tat. Denn eine direkte und langfristige mit einem Kundennutzen verbinden. Beziehung zwischen Kundschaft und Personal ist im Einzel- handel längst eher Ausnahme als Regel. Den meisten Eine weitere Möglichkeit, Bündel zu schnüren, wird sich im Beschäftigten im Einzelhandel sind von den meisten ihrer Bereich der Befriedigung des Grundbedarfs eröffnen. Kunden weder Namen noch Lebensumstände bekannt – Gerade jener Teil des Einkaufs, der notwendig, aber nicht sogar bei langfristigen Kundenverhältnissen kann dadurch emotional aufladbar ist, kann relativ leicht online und mit keine wirkliche Kundennähe entstehen. weiteren Zusatzdienstleistungen abgewickelt werden. Eine Minimierung des Einkaufsaufwands im Laden durch zeitlich Und das in einer Zeit, in der Kundendaten eines der wert- vorhergehende Bündelung bietet Convenience und Kunden- vollsten Assets im gesamten Wirtschaftsleben werden. Big bindung. Data, also die Kenntnis und Verarbeitung möglichst vieler solcher Daten, wird von einigen Experten bereits als das «Öl Kernkompetenz: Bündelung des 21. Jahrhunderts» bezeichnet. Mittels Data-Mining und Kennzeichen Bedrohung Perspektive Client Analytics verfügen einige Online-Händler bereits nach wenigen Transaktionen über wesentlich mehr Informationen alles aus einer Hand E-Commerce Erlebniseinkauf maximale Sorti- M-Commerce Convenience über einen Kunden als ein Einzelhändler nach mehreren mente (Amazon, Ocado) hundert Einkäufen. 10 | Die Zukunft des Einkaufens 2 Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive

Die grossen Einzelhandelskonzerne träumen davon, es ihnen monatlich oder jährlich eine statistische Auswertung seiner gleichzutun. «Wir bekommen endlich die Chance, unsere Einkäufe erstellt wird – beispielsweise unter besonderer Kunden kennenzulernen», sagt etwa Karl-Erivan Haub, Berücksichtigung gesunder Ernährungsweise oder des Geschäftsführender und persönlich haftender Gesellschafter, Anteils von Bioprodukten. Sofern solche Auswertungen als Tengelmann-Gruppe. Neue Kommunikationsformen zwischen rein freiwillige Zusatzleistung angeboten werden, werden dem Laden und/oder seinen Produkten sowie dem Kunden sie von den Kunden nicht als problematische Datensamm- und/oder seinen Geräten bringen den Zentralen neue lerei angesehen, sondern als nützliche Lebenshilfe. Erkenntnisse über Einzelkunden und Zielgruppen, die zu Indi- vidualisierung bzw. Optimierung des Angebots führen Kernkompetenz: Direkte Beziehung zum Kunden können. Kennzeichen Bedrohung Perspektive Kundennähe Data-Mining Premium-Services Doch seinen eigentlichen Kompetenzvorsprung in Sachen Client Analysis Nachbarschafts- Kundennähe muss der stationäre Lebensmitteleinzelhandel läden dort unter Beweis stellen, wo er sein Alleinstellungs- merkmal hat: im Laden, in der direkten Beziehung zwischen Händler und Kunde, zwischen Käufer und Verkäufer. Hier 2.4 Produktkenntnis liegt einer der wichtigsten Gründe für die Renaissance des Nachbarschaftsladens: Er bietet eine persönliche Beziehung, «Es wird verstärkt eine Nachfrage geben die keiner der anonymen Anbieter im Netz oder auf der bezüglich der Transparenz der gesamten grünen Wiese bieten kann. Herstellungskette im LEH. Den Menschen Hier liegt aber auch für Supermärkte und sogar Discounter wird es extrem wichtig werden, was sie ein noch weitgehend unausgeschöpftes Potenzial: Premium- essen, wo es herkommt und wie es herge- Services für Stammkunden. Die klassischen Kundenbin- stellt wird.» dungsmassnahmen des Handels wie einst Rabattmarken Uwe Spiegel, T-Systems und heute Kundenkarten wollen eine Beziehung zwischen Unternehmen und Kunde aufbauen, indem sie den Einkauf primär preiswerter machen – der einzelne Laden vor Ort Die richtigen Produkte für seine Kunden auszuwählen, ist kann eine Beziehung zu seinen Stammkunden aufbauen, seit Generationen die beste Überlebensgarantie für einen indem er deren Einkauf besser macht. Ob mit speziellen Einzelhändler – seine Kunden sollen ihm die Ware ja nicht Abo-Services («2 Liter Halbfett-Frischmilch wie jeden nur abkaufen, sondern auch so zufrieden damit sein, dass Dienstag, Frau Müller?»), individualisierten Angeboten («Ihre sie beim nächsten Einkauf wiederkommen. Und um zu 10 Lieblingsprodukte zu Ihrem Lieblingspreis»), dem Reser- wissen, welches die richtigen Produkte sind, muss der vieren von Sonderangeboten («Haben wir extra für Sie Händler wissen, welchen Ursprungs und welcher Beschaf- zurückgelegt») oder eigenen Verträgen («Wenn Sie mir fenheit diese sind, um bewusst eine Auswahl für seinen garantieren, in diesem Jahr für mindestens 1000 Euro bei Laden und seine Kunden treffen zu können. mir einzukaufen, garantiere ich Ihnen, dass Sie alles, was Sie samstags einkaufen, nach Hause geliefert bekommen»): Diese Auswahl treffen und begründen zu können, wird in Premium-Services für Stammkunden können in der so Zeiten bewussten Konsums immer wichtiger: Kunden kompetitiven Einzelhandelslandschaft den entscheidenden wollen nicht nur über die wichtigsten Produkteigenschaften Wettbewerbsvorteil bringen. Was sich für den Kunden als informiert werden, sondern zusätzlich wissen, ob ein Extra-Service oder als eine Individualisierung von Preisvor- Produkt z.B. biologisch/ökologisch/halal hergestellt wurde, teilen darstellt, ist für den Einzelhändler eine typische Trans- ob es aus der eigenen Region stammt oder garantiert ohne aktion des 21. Jahrhunderts: Die individualisierten Vorteile Kinderarbeit produziert wurde. werden mit Datenpreisgabe bezahlt. Eine weitere Möglichkeit für den Einzelhändler, seine lang- Wann immer etwas schiefgeht – vom Wurm im Salat über fristige Beziehung zum Kunden beidseitig nutzbar zu Schimmel im Joghurt bis zum nationalen Lebensmittel­skandal – machen, sind Warenkorbanalysen, bei denen dem Kunden kann sich der Einzelhändler der Verantwortung für die von ihm 2 Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive Die Zukunft des Einkaufens | 11

angebotenen Produkte nicht entziehen. Weshalb es für ihn Bedrohung: Via Augmented Reality können auf jedes umso wichtiger ist, diese Verantwortung auch tatsächlich einzelne Produkt fast beliebig umfangreiche und individuali- anzunehmen. Mehrere der für diese Studie befragten sierte Informationsebenen aufgetragen werden, vergleichbar Experten prognostizieren, dass die Händler in steigendem mit Schichten einer Lackierung. Darunter sind potenziell Ausmass für alle Stufen der Herstellungskette von der Aussaat auch Informationen, über die der Einzelhändler gar nicht bis zur Entsorgung Informationen sammeln und bereitstellen verfügen kann, so etwa, ob ein bestimmtes Produkt beim müssen – und auch selbst Produzenten und Lieferanten auf jeweiligen Kunden Allergien auslösen könnte oder wie es die Einhaltung von ihnen vorgegebener Standards verpflichten. die Freunde des Kunden via Social Media bewertet haben. Im Wettbewerb um die Produktkenntnis kann der Einzel- «Sich intensiver damit auseinandersetzen, händler also durchaus gegen die auf der Verpackung wie und wo die Produkte hergestellt werden gedruckten Informationen gewinnen, nicht jedoch gegen die online mit dem Produkt verknüpften Informationen. Erfolg- – das ist eine Chance für den Handel.» versprechender ist es deshalb, im Datenwettstreit auf Stefan Genth, HDE möglichst umfassende Information zu setzen, indem den Kunden die Möglichkeit geboten wird, ihre eigenen Informa- Auch in einer stärkeren Beschäftigung mit der Produktion tionen mit denen des Herstellers und des Händlers und selbst wird vielfach Potenzial gesehen, etwa in der Integra- weiterer Content- und Kontextanbieter wie Freunde oder tion handwerklicher Tätigkeiten in die Läden. In einigen Medien zu verbinden. Supermärkten arbeiten heute schon eigene Pasta-Macher, denen die Kunden quasi bei der Herstellung ihrer eigenen Kernkompetenz: Produktkenntnis Ravioli zuschauen können. Der Edeka-Vorstandsvorsitzende Kennzeichen Bedrohung Perspektive Markus Mosa sieht besondere Chancen in der Stärkung des Expertise im Augmented Reality Produktionsnähe, handwerklichen Potenzials bei Backwaren, die dort bereits Einkauf und im (selektives) Hand- begonnene Entwicklung sei «noch lange nicht optimiert». Laden werk Die handwerkliche Kompetenz, die so für einzelne Produkt- kategorien im Laden demonstriert wird, strahlt auch auf das übrige Sortiment des Händlers aus.

Noch einen Schritt produktionsnäher können Lebensmittel­ einzelhändler werden, indem sie nicht in die (handwerkliche) Weiterverarbeitung von Lebensmitteln einsteigen, sondern in die (bäuerliche) Nahrungsmittelproduktion. Das kann durch eine für den Kunden transparente Kooperation mit lokalen Erzeugern geschehen (etwa durch «Patenschaften» für Apfelbäume oder Schweine) oder auch durch direkte Rohstoffproduktion bzw. den eigenen Rohstoffanbau auf oder in der Nähe der Ladenfläche. Ein Beispiel hierfür sind Urban-Farming-Konzepte, die sich angepasst an die jeweilige Grundstückssituation fast beliebig skalieren lassen. Start-ups wie Urban Farmers AG aus Zürich oder Efficient City Farming aus Berlin produzieren Module, die Fischzucht und Gemüseanbau kombinieren – vom Einsteigermodell in handelsüblichen Transportcontainern bis zur Agrarisierung kompletter (Flach-)Dächer.

Doch sosehr die Einzelhändler auch ihre Produktkenntnis vertiefen und erweitern, erwächst ihnen auch in diesem Kompetenzfeld durch den technischen Fortschritt eine 12 | Die Zukunft des Einkaufens 2 Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive 2 Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive Die Zukunft des Einkaufens | 13

die Ohrstöpsel ihres iPods aus den Ohren nehmen. Elektro- Augmented Shopping nische Geräte werden heute von vielen Menschen als eine Art Schutzwall gegen soziale Kontakte eingesetzt. «Es Noch steht Augmented Reality vor einem ganz prakti- kommt geradezu zu einem autistischen Cocooning», schen Problem: Wie sollen die verschiedenen Informati- schreiben Gordon Nemitz und Christian Rieder über eine onsebenen, die über jeden Gegenstand, jede Situation Verhaltensstudie an Schweizer Heavy-Smartphone-Usern. des wahren Lebens gelegt werden können, so personali- «Das Individuum holt sich die reale Welt seines unmittel- siert werden, dass jeweils nur derjenige sie sieht, für den baren sozialen Umfeldes in die aktuelle Situation und sie auch bestimmt sind? Das (derzeit meist hierfür entkoppelt sich dabei vom konkreten Raum und von den verwendete) Smartphone ist da nicht mehr als eine darin befindlichen Gesprächspartnern.»8 Zwischentechnologie – weil es nicht direkt ins Bild integ- riert wird, sondern einen anderen Blickwinkel erzwingt. Mit einer Datenbrille, wie sie Google derzeit erprobt, «Der persönliche Kontakt zwischen Verkäufer lassen sich hingegen Zusatzinformationen einblenden, die und Kunden (‹sich kennen›) wird ein weiterer nur vom Träger der Brille wahrgenommen werden. Noch einen Schritt weiter gehen Augmented-Reality-Kontakt- wichtiger Faktor. Hier ist das Problem, dass linsen, wie sie an der Universität Washington getestet man im LEH insbesondere bei den Personal- werden. Ebenso ist eine direkte Kontaktaufnahme mit kosten recht rigide ist und auf der anderen dem Gehirn, ohne Umwege über Geräte, technisch nicht Seite von den Mitarbeitern Vertrauen und ausgeschlossen – wenngleich als Shopping-Technologie positive Einstellung gegenüber den Kunden derzeit (noch) kaum vorstellbar. verlangt wird.» Roland Berner, REWE Group

2.5 Kundenbindung Theoretisch kann auf diese Weise auch der Einkaufsakt in den Smartphone-Kokon der Konsumenten hineingelangen. Das Bemühen um den Kunden – ob durch Lächeln, freund- Besonders hoffnungsvoll wirkt in diesem Zusammenhang liche Worte oder schlicht Aufmerksamkeit für dessen ein M-Commerce-Experiment von in Südkorea im Jahr Anliegen – ist im LEH entscheidend. Denn die persönliche 2011: Durch Kiosk-Displays in U-Bahn-Stationen mit der Beziehung zwischen zwei Menschen ist das Einzige, was Möglichkeit der direkten Order via Mobilgerät gelang es ein M- oder E-Commerce-Shop seinen Kunden niemals Tesco, die Aufmerksamkeitsschwelle der Nutzer zu über- bieten kann.7 winden und relevante Umsatzzuwächse zu erzielen.9

In der Praxis wird allerdings vielen Einzelhändlern das «Kundenbindung empfinde ich als falschen Gegenteil passieren. Denn das soziale Umfeld, wie es sich Begriff, kein Kunde möchte gebunden in den persönlichen elektronischen Medien spiegelt, wird werden. Kundenbegeisterung wäre eher das insbesondere dann der realen Umwelt vorgezogen, wenn richtige Wort. Der Kunde muss freiwillig diese Realität als besonders unangenehm, lästig oder un­interessant gilt. Einzelhändler, die bisher nur ein geringes emotional vom Unternehmen so angetan Mass an Sympathie ihrer Kunden gewonnen haben, werden sein, dass er immer wiederkommt.» mit zunehmender Technikorientierung weniger und weniger Manfred Maus, Obi die Gelegenheit haben, dies nachzuholen.

Gegensteuern können Einzelhändler vor allem, indem sie ihr Allerdings kann inzwischen bei einigen Kunden praktisch gar eigenes Angebot angenehmer und/oder interessanter keine persönliche Beziehung mehr aufgebaut werden – weil machen. Dies lässt sich beispielsweise erreichen, indem diese kaum den Blick vom Bildschirm ihres Smartphones Einkaufen zum Social Event aufgewertet wird – etwa indem heben, wenn sie den Laden betreten, und schon gar nicht die Geselligkeit des gemeinsamen Essens auf das gemein-

7 zumindest so lange nicht, wie Avatare wie iPhone’s Siri noch nicht viel Menschliches an sich haben 8 Nemitz, Gordon, Rieder, Christian: Living Mobile. Wie Smartphones unser Leben verändern, in: GDI Impuls 02/2011 9 Franziska von Lewinski: Tesco hat es richtig gemacht, in: Absatzwirtschaft, 25.11. 2011, S. 57 14 | Die Zukunft des Einkaufens

same Einkaufen für das gemeinsame Essen ausgeweitet 2.6 Produktauswahl wird. Auch andere Formen der Verwandlung einer Einkaufs- in eine Lebenswelt können dazu führen, dass Läden von der Für Produktentwickler ist es normal, sich über den Handel zu Kokon-artigen Verschiebung der Aufmerksamkeit von der ärgern. Denn die Einkäufer der Handelskonzerne sind es, die realen Umgebung zur virtuellen Gemeinschaft mit Freunden darüber entscheiden, welche Produktinnovationen der profitieren. Hersteller es in die Regale der Supermärkte schaffen – und damit überhaupt die Chance erhalten, sich dem Urteil der Kernkompetenz: Kundenbindung Konsumenten zu stellen. Die überwältigende Mehrheit der Kennzeichen Bedrohung Perspektive neuen Produkte schaffte und schafft das nicht: Die Produktauswahl durch den Einzelhandel bildet die Balance emotional Sich wandelnde Bemühen um die dauerhafte Akzep- Kommunikations- Sympathie der zwischen Alt und Neu, Tradition und Innovation. Der Platz im tanz zwischen gewohnheiten und Kunden Regal ist dabei der limitierende Faktor – wenn das neue Käufer und neue technische Lebenswelt statt Getränk, der neue Ketchup ins Sortiment kommen soll, Verkäufer Möglichkeiten für Einkaufswelt den Homo Smart- muss in aller Regel ein anderes Produkt dafür Platz machen. phone, soziale Netz- Das (vermutete) Kundeninteresse ist dabei die wichtigste werke Leitlinie: Von einem neuen Produkt, das die Kunden nicht kaufen, hat schliesslich keiner der Beteiligten etwas.

«Kunden kaufen immer weniger Tomaten aus Spanien oder Holland, sondern Tomaten von Edeka oder von Rewe. Das ist ein Einstieg in diese Markenwelt der Qualitätsversprechen.» Daniel Pulko, Schenker

Diese Kuratorfunktion des Handels gerät allerdings durch die zunehmende Auffächerung und Individualisierung des Ange- bots unter Druck: In immer mehr Produktgruppen bieten die Hersteller den Kunden die Möglichkeit, ihr persönliches Produkt zu konfigurieren. Ob im Müsli-Mix (mit mymuesli. com) oder in der Schokoladen-Geschmacksrichtung (in der «bunten Schokowelt» von Ritter Sport in Berlin), der Kunde kann für sich persönlich entscheiden, welches Produkt er Die Zukunft des Einkaufens | 15

wählen möchte, ohne sich um den Engpassfaktor des Selektionsfunktion positiv zu begründen. Nicht «Wenn Sie vorhandenen Platzes im Ladenregal kümmern zu müssen. es hier nicht finden, haben wir es eben nicht», sondern «Alles, was Sie hier finden, ist speziell von uns ausgewählt, um Ihnen zu gefallen». Hieraus entsteht ein wachsendes «Betriebsformen, welche die Individualität auf Potenzial für Produkte, die exklusiv nur bei einer spezifi- allen Ebenen in den Fokus stellen, sind schen Handelskette erhältlich sind und damit den Einkauf zukunftsfähig. Bei den Sortimenten wie bei einzigartig machen. der Konsumentenansprache – Individualität ist Hoch spezialisierte Kenner-Shops, die Einrichtung von das Nonplusultra.» Themenwelten im Laden oder die Veranstaltung von Martin Ruppmann, Markenverband produkt­orientierten Events können ebenfalls dazu beitragen, die Expertise des Warenkurators auch für den Kunden sichtbar zu machen. Die Produktindividualisierung im direkten Austausch zwischen Produzent und Konsumenten wird nach Ansicht Kernkompetenz: Produktauswahl der meisten Experten kein Massenmarkt im Lebensmitte- Kernkompetenz Bedrohung Perspektive leinzelhandel werden: Butter, Nudeln oder Kekse seien den Kuratieren des Produktindividuali- Hoch spezialisierte meisten Kunden nicht interessant oder prestigeträchtig Warenangebots sierung Kenner-Shops, genug, um den Aufwand der Personalisierung zu betreiben. Mass Customization Themenwelten Zudem sei der Kreis derjenigen beschränkt, die sich über- (mymuesli.com) Events haupt auf solche Konfigurationsoptionen einliessen. «Es wünschen sich eben keine 30 Prozent der Bevölkerung das individualisierte Produkt – 95 Prozent sind schlicht zu faul dazu», resümiert der Handelsforscher Thomas Rudolph von der Universität St. Gallen: Der Anteil von 5 Prozent der Bevölkerung, die so den Produktionsprozess selbst mitge- stalten wollten, sei in der Schweiz über Jahre konstant geblieben.10

Dennoch dürfte im Bewusstsein der Kunden der limitierende Faktor der Regalfläche immer weiter in den Hintergrund gedrängt werden – weil sie in E- und M-Commerce die Erfahrung potenziell unbegrenzter Sortimente machen. Für den Händler erhöht sich damit die Notwendigkeit, seine

10 Rudolph, Thomas: Die Ermächtigung des Konsumenten, in: GDI Impuls 02/09, S. 16–21 16 | Die Zukunft des Einkaufens

3 Triebkräfte des Wandels

Die wichtigsten Triebkräfte für den Wandel in den (westli- meinen und der Smartphones (mit entsprechend sich verän- chen) Gesellschaften beeinflussen ebenfalls gravierend die dernden sozialen Verhaltensmustern) im Besonderen eine Entwicklung im Lebensmitteleinzelhandel – kein Wunder bei Rolle. einer Branche, die zum täglichen Leben praktisch aller Menschen gehört. Diese Einflussfaktoren wurzeln in der Regel in langfristig und weit über Landesgrenzen hinaus 3.1 Alterung der Bevölkerung wirkenden Kräften. Einschneidende Ereignisse/externe Faktoren wie die Ölkrise (1973), der Mauerfall (1989), der Europa schrumpft (vielleicht) und wird älter (bestimmt). Die New-Economy-Boom (2000) oder die Weltfinanzkrise (2008) Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Ländern Europas können gar zu disruptiven Veränderungen bei diesen langen wird von der EU-Statistikbehörde Eurostat sehr unterschied- Wellen führen. lich eingeschätzt: langfristiges Wachstum in den skandinavi- schen Staaten, in Frankreich, Grossbritannien und der Illustriert wird das durch den Vergleich der wichtigsten Schweiz, rückläufige Einwohnerzahlen vor allem in Ost­ Einflussfaktoren, die für die Studie «Detailhandel Schweiz europa und in Deutschland. Die grössten Unsicherheitsfak- 2015» des GDI im Jahr 2005 genannt wurden11, mit den toren in diesen langfristigen Bevölkerungsprognosen sind Triebkräften, die im Rahmen einer Vorstudie und in den die Geburtenraten (die von der zukünftigen Sozialpolitik stark Expertengesprächen für diese Studie identifiziert wurden. beeinflusst werden) sowie die Zahl der Zu- oder Abwan- Die im Folgenden aufgeführten wichtigsten drei Faktoren derer, die stark von der weiteren wirtschaftlichen Entwick- haben im Zeitablauf ihre bedeutende Rolle behalten: lung beeinflusst wird.

Demografische Alterungsprozesse Der Alterungsprozess setzt sich hingegen überall in Europa Informationstechnologien und Vernetzung fort, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass und Tempo. Die Energieknappheit Abbildung zeigt die prognostizierte Entwicklung des Altersquo- tienten in einigen europäischen Ländern. Er misst den Anteil Neue Einflussfaktoren haben sich hingegen aus dem Trend der Personen ab 65 Jahren in Relation zur Bevölkerung zur Ent-Strukturierung von Lebensläufen und -abläufen zwischen 15 und 64 Jahren. Im Jahr 2010 lag dieser Koeffizient ergeben. Neben dem Megatrend der Individualisierung in Europa im Durchschnitt bei 26 Prozent, 2020 wird er bei 31 spielen dabei die Verbreitung des Mobile Internet im Allge- Prozent liegen, 2030 bei 38 Prozent, 2050 bei 50 Prozent.

Altersquotient

70

Deutschland 60 Irland 50 Spanien 40 Frankreich

30 Italien

Österreich 20 UK 10 Schweiz 0 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060

Quelle: Eurostat, Bevölkerungsvorausschätzung 2010

11 Bosshart, D., Staib, S., (2005); Detailhandel Schweiz 2015, GDI Studie Nr. 23 Die Zukunft des Einkaufens | 17

In Deutschland dürfte diese 50-Prozent-Schallmauer bereits 3.2 Ent-Strukturierung des Alltags: früh erreicht werden, etwa im Jahr 2030, in der Schweiz Unmittelbarkeit, zunehmende Spontanität wird damit 15 Jahre später gerechnet. und Entplanung

Für die Betriebsformen im LEH spielt die Alterung der Bevöl- Wann, wie oft und was gegessen wird, hängt von der kerung eine wichtige Rolle. In diesem Punkt sind sich alle Gestaltung des Tagesablaufs ab. Der Anteil der Personen, befragten Experten einig. Die neuen Alten haben Zeit und welche klar strukturierte und regelmässige Tagesabläufe Geld, wünschen sich sozialen Austausch und legen Wert auf haben, ist stark rückläufig. Unregelmässige Arbeitszeiten, Genuss. Der Lebensmittelhändler in der Nähe übernimmt Wochenend- und Schichtarbeit sowie freiberufliche Tätigkeit neben der Versorgungsfunktion immer mehr auch die Rolle nehmen zu und tragen dazu bei, dass der Alltag dieser des sozialen Treffpunkts. Für Personen, welche nicht (mehr) Personen in nicht festgelegten Strukturen abläuft und Ernäh- berufstätig sind, hat der nahe Laden eine bedeutende Rolle rung in nicht vordefinierten Zeitfenstern stattfindet. Die im Alltag. Folge: Es wird mehr kalt als warm gegessen, Convenience Food und Fast Food gewinnen an Bedeutung, Ernährungsde- fizite entstehen. Bei berufstätigen Müttern akzentuiert sich Trend zur Convenience dieses Problem laut der Nestlé-Studie 2011 «So i(s)st Deutschland» noch: Mütter mit ent-strukturiertem Alltag Aktuell expandieren sowohl in Deutschland als auch in der ernähren ihre Kinder vermehrt mit Convenience Food, die Schweiz die etablierten Handelskonzerne im Conveni- Kinder lernen nicht, wie man sich gesund ernährt und selber ence-Segment. Sie reagieren damit auf den Trend zur kocht.13 Re-Urbanisierung und nehmen die Auswirkungen von Alterung und eingeschränkter persönlicher Mobilität Ebenfalls zur Ent-Strukturierung des Alltags trägt seit einigen vorweg. Rewe beispielsweise folgt mit Rewe City, Jahren die wachsende Bedeutung von Smartphones im Rewe to go und Temma gleich mehreren Convenience- Leben vieler Menschen bei. Insbesondere die für alle Shop-Konzepten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Lebenslagen geeigneten Applikationen (Apps) sorgen dafür, Die beiden LEH-Marktführer in der Schweiz sind mit dass Planung und Vorausschau für ihre Nutzer weniger jeweils einem Convenience-Konzept am Start: wichtig werden:14 Stadtpläne, Terminkalender und andere betreibt seit 1995 Coop Pronto (238 Standorte Ende haben ausgedient, «there’s an app for that». Das Leben 2011), welches teilweise an Tankstellen, aber auch als konzentriert sich weit stärker als früher auf die Jetztzeit. Stand-alone-Läden umgesetzt wurde.12 Migros eröffnete 2009 den Convenience-Shop Migrolino als einheitliches Wer seine Ernährung nicht planen kann oder will und über Convenience-Shop-Konzept in der Nachfolge von avec.- wenig Zeit fürs Essen verfügt, kauft tendenziell unmittelbar Läden und Tankstellen-Shops. Bis Ende 2011 wurden 120 ein, was er in dem Moment gerade braucht. Auf Sortiments­ Läden eröffnet, weitere 54 werden aktuell noch als Shell- ebene bedeutet das für den Lebensmitteleinzelhandel, dass Läden betrieben. die Nachfrage nach Convenience-Produkten weiterhin steigen wird, wobei das Bedürfnis nach gesunder Conveni- ence als junger Alternative noch nicht ausgereizt scheint.

Für Betriebsformen bedeutet dies, dass Formate, welche mit dem Sortiment und den Öffnungszeiten dem ent-struk- turierten Menschen entgegenkommen, im Vorteil sind. Flexible Bestellung, flexible Lieferung, flexible Abholorte – das vollumfänglich flexible Betriebsmodell, welches anpas- sungsfähig auf den ent-strukturierten Alltag vieler Menschen reagiert, dürfte erst noch im Entstehen begriffen sein.

12 http://www.coop-pronto.ch/home/ueber_uns/unternehmen.html 13 Nestlé-Studie 2011; So is(s)t Deutschland; Deutscher Fachverlag 14 Marxer, Marion: Generation App, in: GDI Impuls 02/10, S. 16 –19 18 | Die Zukunft des Einkaufens 3 Triebkräfte des Wandels

3.3 Technologische Entwicklungen Click and Collect Technologien, die der Vernetzung dienen, werden in den Click and Collect verbindet E-Commerce mit stationärem nächsten zehn Jahren weiterhin den Detailhandel in seinen Handel: Lebensmittel oder auch Non-Food-Artikel werden Prozessen sowie den Konsumenten in seinem Verhalten online bestellt und bei einem Laden oder einem anderen prägen. Die Vernetzung findet auf drei Ebenen statt: Abholpunkt dem Kunden übergeben. Der Einkaufswagen Computer zu Computer, Ding zu Ding, Mensch zu Ding. kann dabei an beliebigen Orten zu beliebigen Zeiten gefüllt werden – erst zur physischen Abholung der Das Internet wurde 2012 von 76 Prozent der deutschen Einkäufe müssen die Abläufe von Konsument und Bevölkerung genutzt. Bei den 60- bis 69-Jährigen lag der Händler synchronisiert werden. Anteil bereits bei 60 Prozent, bei den über 70-Jährigen erst Dieses Format setzt bei aller modernen Technologie an bei 28 Prozent. Dafür lag die Zunahme der Nutzung in dieser einer Tradition an, die im Zeitalter der Selbstbedienung Altersgruppe am höchsten.17 Mit hoher Wahrscheinlichkeit verschüttet wurde. Vor 50 Jahren noch war es üblich, kann man aber davon ausgehen, dass die heute 50- bis dass Hausfrauen ihre Einkaufslisten beim Kaufmann 60-Jährigen in 15 Jahren das Internet nach wie vor nutzen deponierten und später die gepackte Tasche abholten. und der heute noch vorhandene Altersgap bei der Nutzung Heute wird die Einkaufsliste online deponiert, um dann verschwunden sein wird. In 15 Jahren wird das Netz noch die Waren vor Ort abzuholen. mehr als heute auch ein «Seniorenmedium» sein. Bei frischen Lebensmitteln präferieren die deutschen Konsumenten dabei gemäss einer Studie von A.T. Eine ähnliche Entwicklung steht bei der Verbreitung von Kearney den Supermarkt als Abholpunkt – 47 Prozent der Smartphones und Tablet PCs bevor, die für den Handel von Befragten würden am liebsten dort ihre Frischeprodukte besonderer Relevanz sind, da sie neue Formen der Marktbe- abholen, lediglich 35 Prozent votierten für die Lieferung arbeitung, der Bezahlung und der Kommunikation ermögli- nach Hause und nur 9 Prozent für eine Pick-up-Station.15 chen und einen neuen Absatzkanal darstellen. Im Jahr 2011 Für Non-Food wird Click and Collect schon seit längerem hat der weltweite Absatz von Smartphones erstmals den angewendet, im deutschen LEH gibt es entsprechende von PCs überschritten,18 die noch sichtbare starke Konzent- Angebote von Rewe sowie von Real; auch Edeka experi- ration auf jüngere Nutzer mit hoher Kaufkraft wird sich im mentiert in Baden-Württemberg mit einem Click-and- Zuge der Expansion in Richtung Durchschnittsbevölkerung Collect-Service.16 reduzieren. Entsprechend schnell steigt die mobile Internet- Dem Supermarkt werden als Abholpunkt von den nutzung – in Deutschland beispielsweise zwischen 2009 und Experten besonders gute Chancen eingeräumt, da dort 2012 von 11 auf 23 Prozent aller Online-Nutzer. Die Analyse- nicht standardisierbare Produkte wie Obst und Gemüse firma eMarketing prognostiziert zudem einen Anstieg für hinzugekauft werden könnten. Allerdings werden auch Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und andere Abholpunkte diskutiert und von den Online-Händ- Spanien bis auf ca. 35 Prozent im Jahr 2015 (siehe Seite 19, lern eingesetzt: Vom Convenience-Shop über eine speziell Abbildung «Weltweiter Absatz internetfähiger Geräte»).19 dafür vorgesehene Drop-off-Stelle bis zum Abholen bei Für den stationären Handel allgemein sind diese Smart einem Drittanbieter wie Bahn, Tankstelle oder Post ist Devices Chance und Gefahr gleichermassen. Alle Informa- alles denk- und umsetzbar. tion der Welt ist am eigenen POS verfügbar, dementspre- chend sind Preisvergleiche einfach möglich. Vor allem für Güter mit investivem Charakter wird der POS so zum Show- room, gekauft wird günstiger online, die Ware wird nach Hause geliefert.20

15 Studie von A.T. Kearney zum Online-Lebensmittelhandel, 2012 16 www.edekadrive.de 17 Initiative D21: (N)Onliner Atlas 2012 18 www.canalys.com/newsroom/smart-phones-overtake-client-pcs-2011 19 Als mobile Nutzung gilt hier mindestens ein mobiler Internetzugriff im Monat 20 Kühne, M., (2010); The Story of Unstoring; GDI Studie Nr. 33 3 Triebkräfte des Wandels Die Zukunft des Einkaufens | 19

Weltweiter Absatz internetfähiger Geräte

3’000’000’000

2’500’000’000

Tablets 2’000’000’000

Einheiten 1’500’000’000

1’000’000’000 Smartphones

500’000’000

Personal Computer – 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012E 2013E 2014E 2015E 2016E

Quelle: Gartner, IDC, Strategy Analytics, Company Filings, BI Intelligence estimates

Für das Segment des Lebensmittelhandels wird diese Warenlagersystemen oder mit Kassen, steht dabei im Gefahr als weniger gross eingeschätzt. Das Sparpotenzial Zentrum. Für den Konsumenten könnte RFID in erster Linie bei Lebensmitteln ist geringer als bei Gütern mit investivem bedeuten, dass in den Läden weniger Out-of-Stock-Situati- Charakter. Bei nicht standardisierten Lebensmitteln wie onen eintreten21 und die Bezahlung revolutioniert werden beispielsweise Obst und Gemüse spielen zudem Aussehen könnte. und Geruch eine oft entscheidende Rolle beim Kaufent- scheid. Standardisierte lange haltbare Lebensmittel und NFC (Near Field Communication) ist eine mit RFID (typischerweise im LEH-Sortiment enthaltene) Non-Food- verwandte Technologie, die ebenfalls kontaktlose Übertra- Artikel des täglichen Bedarfs sind hier eher Zielobjekte. gung von Daten zwischen Dingen und Geräten ermöglicht, allerdings nur auf sehr kurzen Distanzen von wenigen Zenti- Während die neuen Mobile Devices für sich alleine die Spiel- metern.22 Deshalb gilt NFC als aussichtsreicher Kandidat, regeln des Lebensmitteleinzelhandels noch nicht neu um Smartphones zu einem elektronischen Portemonnaie schreiben, können Software und Applikationen eine solche aufzurüsten, welches von Mobile Coupons über Kundenkar- Rolle übernehmen. QR-Code- und Barcode-Scanning sind tenfunktionen, Ladenlokalisierung, Scannerfunktionen und bereits etabliert, neue Veränderungsimpulse können abrufbare Produktinformationen bis zur Bezahlung an der beispielsweise entstehen, wenn Apps den gesamten Kasse alles kann. Im Blick auf die zukünftige Entwicklung Einkaufsvorgang integrieren oder sich ein sicheres und prak- der Handelsformate halten die befragten Experten die tikables Mobile-Payment-System durchsetzt. Auswirkungen solcher neuen Technologien jedoch für begrenzt. RFID steht seit Jahren als Zukunftstechnologie des Handels zur Diskussion. Der Einsatz von Funketiketten in Lager und Die Hardware, die als Träger fortgeschrittener Handelstech- Regal wird aber inzwischen von den Experten nicht mehr als nologien benötigt wird, ist in der Schweiz und in Deutsch- Zukunftsthema, sondern eher als «ongoing» (Ernst Dieter land bereits weit verbreitet und erfährt heute schon ein Berninghaus) gesehen. Die Vernetzung von Dingen mit hohes Mass an sozialer Akzeptanz. Innovationen, die via Dingen, im Falle des Handels von Artikeln und Gebinden mit Smartphone und/oder Cloud zu einer Erleichterung bzw.

21 unter anderem indem Waren- und Abverkaufsdaten über die gesamte Lieferkette integriert werden, vgl. www.onenetwork.com 22 www.cosmo-id.de 20 | Die Zukunft des Einkaufens 3 Triebkräfte des Wandels

Verbesserung des realen Lebens führen, werden begeistert 3.4 Energiepreise und die Auswirkungen auf aufgenommen und schnell verbreitet. die individuelle Mobilität

Technologien durchlaufen derzeit parallel unterschiedliche Der Detailhandel ist abhängig von Transportsystemen, Entwicklungen, die jedoch alle darauf abzielen, die Auswahl, welche nach wie vor und auch in absehbarer Zukunft vorwie- Bezahlung und Lieferung von Lebensmitteln voneinander gend durch flüssige, fossile Brennstoffe betrieben werden. und in geografischer Sicht von der physischen Ladenfläche Erdöl hat daneben auch als Mineraldünger für die Nahrungs- komplett zu entkoppeln. mittelproduktion, für chemische industrielle Prozesse, als Heizstoff und zur Stromerzeugung eine hohe Bedeutung. Es liegt nahe, dass vor allem langfristig wirksame Preistrends Post-POS für Öl sich auch auf den Lebensmitteleinzelhandel und Der Schritt von der Bedienung zur Selbstbedienung revo- dessen Formate auswirken. lutionierte das Ladenkonzept und führte zu einer Reihe neuer Handelsformate – der Schritt von «an der Kasse Der Erdölpreis befand sich im Jahr 2011 konstant über 100 bezahlen» zu «wann und wo und wie auch immer US-Dollar je Barrel23 und ist somit auch real auf einem bezahlen» könnte im Lauf der Jahrzehnte Ähnliches Höchststand, vergleichbar mit dem Niveau der zweiten bewirken. Der Übergang vom (räumlich fixierten) Bezahl- Ölkrise von 1980. Wie 1973 und 1979/1980 ist auch diesmal vorgang an einer Kasse zum räumlich potenziell völlig der hohe Erdölpreis in Verbindung mit einer politischen Krise flexiblen Selbstzahlen ohne Kasse und Kassierer (wie aufgetreten (dem arabischen Frühling). Allerdings sehen beim Mobile Shopping möglich) kann völlig neue Detail- viele Experten inzwischen die «Grenzen des Wachstums», handelsformate möglich machen. von denen vor 40 Jahren erstmals gesprochen wurde, Bislang haben virtuelle Shopping-Systeme das Einkaufs- tatsächlich erreicht (siehe Seite 21, Abbildung «Nominale verhalten in realen Läden technisch nachgebaut: Einkaufs- und reale Ölpreisentwicklung 1861 bis 2011»). wagen werden befüllt und am Ende zur Kasse geschoben. Die dahinter stehende Vorstellung eines Der Weltmarktpreis für Erdöl ist wohl die wichtigste einzelne bewussten Einkaufsakts korrespondiert aber nicht mehr Zahl für die zukünftige Formatentwicklung im Lebensmittel­ in jedem Fall mit dem tatsächlichen Verhalten. Der Trend einzelhandel. Falls das Szenario dauerhaft hoher Ölpreise zum Spontankauf, zu absoluter Flexibilität bezüglich Ort eintritt, das von der Mehrheit der Energieexperten sowie der und Zeitpunkt des Einkaufs, lässt sich in vielen Einzelhan- Einzelhändler24 erwartet wird, wird sich daraus eine delssegmenten bereits konstatieren. Viele Experten prog- beschleunigte Abkehr von einer Einzelhandelsstruktur nostizieren auch für den Lebensmitteleinzelhandel eine ergeben, die in Jahrzehnten billiger Energie und steigender schnelle Zunahme flexibler Angebote: «Unmittelbarkeit Mobilität aufgebaut wurde. Das beeinträchtigt die gewinnt die Oberhand über geplantes Verhalten.» (Ernst Aussichten von Formaten, die auf die Anfahrt von Kunden Dieter Berninghaus). mit dem eigenen Auto ausgerichtet sind, und erhöht das Das kann bis zu einer Auflösung der Beziehung zwischen Potenzial für Einzelhandelslösungen in Laufdistanz zu Produkt und Preis führen. Aus anderen Branchen sind Wohnort oder Arbeitsplatz. hierfür bereits Umsetzungen bekannt: die Flatrate für Telekommunikation oder Kino, der All-inclusive-Urlaub Die Entwicklung der Energiepreise betrifft aber auch sehr oder Buffetangebote in der Gastronomie. Ein Beispiel für stark die weitere Entwicklung von Online-Shopping und eine Flatrate, deren Erlöse auf eine Vielzahl von Produ- Liefer-Services. Je teurer Mobilität wird, desto grösser ist zenten verteilt und dabei erst im Nachhinein festgelegt der Bedarf an optimierten logistischen Lösungen bis zum werden, ist Flattr, ein aus Schweden stammendes freiwil- Konsumenten. Davon können einzelne Lieferlösungen profi- liges Bezahlsystem für Online-Content. Die zunehmende tieren: Ein Lastwagen, der an 50 Haushalte liefert, ist ener- Zahl von Flatrate-Systemen steigert sowohl die Bekannt- gieeffizienter als 50 Haushalte, die mit ihrem Auto zum heit als auch die Akzeptanz solcher Payment-Konzepte Einkauf fahren. Und andere Lieferlösungen können darunter und lässt Alternativen zur Ladenkasse, ob im realen oder leiden: Ein Laden, an den 50 Lieferanten liefern, ist energie- virtuellen Store, durchsetzbarer erscheinen. effizienter als 50 Lieferanten, die jeder für sich ihre Endkunden beliefern.

23 eine erstmals Ende Mai 2012 wieder unterschrittene Schallmauer 24 62 Prozent der 2011 vom EHI befragten Einzelhandelsunternehmen im deutschsprachigen Raum gingen mittelfristig von steigenden Transport- kosten aus (KPMG/EHI: Trends im Handel 2020, S. 33) 3 Triebkräfte des Wandels Die Zukunft des Einkaufens | 21

Nominale und reale Ölpreisentwicklung 1861 bis 2011

120 Nominal 110 Real (in US-Dollar 2011) 100

90

80

70

60

50

US-Dollar je Barrel 40

30

20

10

0 2011 1915 1903 1909 1921 1927 1933 1939 1945 1951 1957 1963 1969 1975 1981 1987 1993 1999 1861 1867 1873 1879 1885 1891 1897 2005

Quelle: BP, Jashuah

Neue Konzepte für die Verkürzung und Bündelung individu- eller Warenbewegungen sind eine der wesentlichen Folgen Food-Printing steigender Energiepreise. Optimierte Zwischenlösungen zwischen konventionellem POS und Kunden sind Drop-off- Eine mögliche Endstufe der Lebensmittelproduktion wird Stellen, beispielsweise bei revitalisierten Kiosks, Conveni- gemäss der weltweit bekanntesten Science-Fiction- ence-Shops, Kleinfilialen oder neu definierten reinen Abhol- Erzählung Mitte des 23. Jahrhunderts erreicht: der Repli- formaten. Der Vorstandsvorsitzende der Edeka AG, Markus kator aus «Star Trek». Diese dezent in die Wände des Mosa, ist der Überzeugung, dass nur reinen Abholformaten Raumschiffs «Enterprise» eingebaute Maschine kann mit vorhergehender Bestellung und Konfektionierung jedes beliebige Produkt im Handumdrehen herstellen – (Click & Collect) hohe Bedeutung zukommt. Interessant sind also sämtliche materiellen Bedürfnisse befriedigen. Die auch Überlegungen, die sich um geografisch flexible Abhol- 3-D-Drucker von heute sind von dieser Perfektionsstufe stationen herum zentrieren, so beispielsweise den unbe- zwar noch weit entfernt, markieren aber den Beginn des mannten Food-Box-LKW. Bei diesem kann der Kunde seine Übergangs von der Massen- zur Individualproduktion Ware aus nummerkodierten (Temperatur-)Fächern vor physischer Objekte. Auch das erste «gedruckte» Steak seinem Haus entnehmen.25 Diese Variante der B2C-Logistik wurde bereits gegessen: von Gabor Forgacs, Biophysik- setzt neben der Energieeffizienz auf eine zusätzliche sub­­ Professor an der University of Missouri. Die von ihm stanzielle Reduktion der Personalkosten in der Logistikkette. gegründete Firma Organovo ist ein Pionier der Bioprin- ting-Technologie. Die wichtigsten Einsatzgebiete werden bis auf weiteres im medizinischen Bereich angesiedelt sein, doch die Erfahrungen mit der künstlichen Produktion organischen Materials können von dort auf die Lebens- mittelherstellung übergreifen.

25 Im Herbst 2012 wurden in Kalifornien erstmals autonome Fahrzeuge für den Strassenverkehr zugelassen. Die vor allem von Google vorangetrie- bene Technologie soll nach den Worten von Google-Mitgründer Sergej Brin vor allem von Menschen genutzt werden, die sonst nicht am Strassen- verkehr teilnehmen könnten. Aber auch im Gütertransport bieten selbstfahrende Kraftfahrzeuge enorme Potenziale. KPMG US Studie: «Self-Driving Cars – The Next Revolution» (vom 8.6.12): http://www.kpmg.com/US/en/IssuesAndInsights/ArticlesPublications/Pages/self-driving- cars-next-revolution.aspx 22 | Die Zukunft des Einkaufens 3 Triebkräfte des Wandels

3.5 Wandel der Werthaltungen zu Essen und bestimmte Kriterien (wie Gesundheit, Nachhaltigkeit, Ernährung Genuss etc.) hin optimierte Essen, wohingegen der Romance-Aspekt des Unbeschwerten, Entspannten, wie es Das GDI Gottlieb Duttweiler Institute untersucht seit 2008 die Konsumenten in der Rückschau den 60er und 70er periodisch die Werte und Einstellungen der Schweizer Bevöl- Jahren zuschreiben, zunehmend verloren gegangen ist. kerung in Bezug auf Lebensmittel und Ernährung mit Hilfe des «Consumer Value Monitor Food». Danach hat sich die Der Widerspruch zwischen der herrschenden Esskultur und Konfliktlinie «Science versus Romance» als zentrale Achse den eigenen Wünschen, wie Essen sein sollte, ist den in den Erhebungen zu Werthaltungen beim Einkaufen, Zube- Konsumenten zwar seit langem vertraut. Doch zeigen die reiten und Geniessen von Essen herausgestellt.26 Science Daten des Wertemonitors keine Gewöhnungseffekte, steht dabei für die Technisierung der Lebensmittelproduktion sondern eine wachsende Unzufriedenheit. Fast drei Viertel und -distribution, das strikt Rationale und bewusst Planende. aller Befragten setzen die «heutige Ernährung» nicht mit der Romance hingegen steht für das Intuitive im Umgang mit aus ihrer Sicht «optimalen Ernährung» gleich und sehen Essen, wo weitgehend Traditionen, Rituale und Gewohn- auch für die Zukunft keine positive Entwicklung. Wo vor zwei heiten das Wie, Was und Wann des Essens bestimmen Jahren noch 32 Prozent zuversichtlich auf die Ernährung der (siehe Abbildung unten). Zukunft blickten, sind es heute nur noch 20 Prozent. Gut sieben von zehn Befragten sind mit dem heutigen Ernäh- Nach Wahrnehmung der Konsumenten wird dabei derzeit rungsangebot unzufrieden und glauben auch nicht daran, der Science-Aspekt überbetont. Es geht zu stark um das auf dass sich in Zukunft etwas zum Positiven verändern wird.

Trendwende in der Ernährung/Esskultur Dem Ursprung nahe Viel investieren

Bewusst nachhaltig handeln Geldmacherei Ernährung/ Was mir persönlich Esskultur in den wichtig ist Diätwahn Gemütlich & vertraut 60ern 70ern Rein funktionale Bedürfnisbefriedigung Gesellschaftliche 80ern Wertvorstellungen Bewusst gesund der Zukunft

Gesundheit ignorieren

90ern Unreflektiert Vielseitig & Zukunft verlässliches Angebot & übermässig

Heute Bewährt & unbeschwert Kurzfristige (Profit-)Orientierung Faire Preise Entfremdet Ambivalente Industrie-Convenience

Quelle: CVM 2011, n=100, © GDI/Nextpractice

26 Vgl. hierzu die seit 2008 vom GDI erhobenen Daten des «Consumer Value Monitor Food», so in GDI Studien Nr. 35, 2010, und Nr. 38, 2012. Sofern im Folgenden auf Daten des «Consumer Value Monitor Food» Bezug genommen wird, handelt es sich um die Studie von 2012: Hauser, Mirjam: Consumer Value Monitor Food. Wie Konsumenten in Zukunft essen wollen 3 Triebkräfte des Wandels Die Zukunft des Einkaufens | 23

Während die Positionierung entlang der Science-Romance- mehr werden bei repräsentativen Befragungen das Preis- Konfliktlinie in Deutschland wie der Schweiz ähnlich ausge- Leistungs-Verhältnis sowie der (un)faire Preis immer wich- prägt ist,27 gibt es zwischen diesen beiden Ländern traditio- tiger.28 Insofern kann in puncto Preissensitivität von einer nell einen deutlichen Unterschied bezüglich der zunehmenden Konvergenz des deutschen und des Positionierung entlang der Preis-Qualitäts-Konfliktlinie: Schweizer Lebensmittelmarktes ausgegangen werden. In der Schweiz ist die Preisorientierung im Vergleich zu Deutschland weniger stark ausgeprägt, wenngleich stei- Preis und Preis-Leistungs-Versprechen geben weniger denn gend. je hinreichende Orientierung für in Bezug auf Lebens­ In Deutschland ist die Qualitätsorientierung weniger stark mittel(qualität) verunsicherte Verbraucher. Preis wird viel- ausgeprägt als in der Schweiz, jedoch ebenfalls steigend. mehr als Teil des Problems, des zu geringen Vertrauens, als Ausgangspunkt für Nahrungsmittelskandale gesehen. Aus Nicht wenige der für die vorliegende Studie befragten diesem Grund ist von einer steigenden Bereitschaft der Experten bezeichneten die alle anderen Faktoren dominie- Konsumenten auszugehen, sich auf neue Handelsformate rende Preisorientierung der Kunden gar als «deutsche Krank- einzulassen, sofern diese glaubwürdig (bezahlbare) authenti- heit». Die Schweizer Bevölkerung war hiervon bis in die sche und nachhaltige Ernährungsangebote machen. Das jüngere Vergangenheit lediglich in geringerem Grad infiziert. vorherrschende Preis- und Qualitätsempfinden prägt mehr Wissenschaftliche Erhebungen zeugen jedoch von einer denn je die Disposition des Konsumenten, sich auf Neue- stetig zunehmenden Preissensibilität in der Schweiz. Hierbei rungen bei Produkten wie Handelsformaten im steht nicht das absolute Preisniveau im Vordergrund, viel- Lebensmittel­einzelhandel einzulassen.

27 So abzulesen aus der ersten Erhebung für den «Consumer Value Monitor Food» des GDI von 2008, die in Deutschland und der Schweiz parallel abgehalten wurde 28 Laut «Consumer Value Monitor Food» des GDI von 2012 wurden diese beiden Themen von den befragten Schweizer Konsumenten doppelt so oft angesprochen wie noch zwei Jahre zuvor 24 | Die Zukunft des Einkaufens

4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH29

4.1 Online wird im LEH nicht Marktstandard «Wir werden dazu kommen, dass auch Während der Online-Einkauf von Non-Food-Artikeln eine frische Lebensmittel bis nach Hause geliefert relevante Grösse erreicht hat und noch wachsen kann, wird werden. Wohl eher nicht flächendeckend, der Online-Anteil im Food-Markt in Deutschland und der aber doch zumindest in den Ballungszentren.» Schweiz mit hoher Wahrscheinlichkeit moderat bleiben. Daniel Pulko, Schenker Ansatzpunkte im LEH bieten sich vordringlich bei Sorti- menten, welche nicht verderben und stetig in Haushalten gebraucht werden. In einer hoch virtualisierten Handels- Einige Experten sehen als zentrales Hindernis für die struktur liegt die Chance des LEH gerade darin, reale weitere Verbreitung von Online-Food-Einkäufen mit Heimlie- Menschen an realen Orten zusammenzubringen. ferung oder Anlieferung an Drop-off-Stellen die Logistik- kosten. Der Edeka-Vorstandsvorsitzende Markus Mosa hält dieses Hindernis geradezu für unüberwindlich: «Beim «Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, Online-LEH ist die letzte Meile unter Berücksichtigung der meine Lebensmittel online zu kaufen. Mir hygienerechtlichen Vorschriften nicht mit vertretbarem fehlt das Feeling, die Lebensmittel zu sehen Aufwand lösbar.» Der Consultant Hans Eysink Smeets und zu erleben.» stellt zwei (ebenfalls schwer umsetzbare) Bedingungen: Martin Ruppmann, Markenverband «Wenn das Logistiknetz feinmaschig genug ist und die Kosten des Versendens eines 5-Euro-Produktes nur noch marginal sind, sind die Türen für Kleinproduzenten zum Beim Einkauf von Lebensmitteln spielt die Unmittelbarkeit Endverbraucher offen.» der Bedürfnisbefriedigung eine wichtige Rolle. Die Ernäh- rung wird nur von wenigen Menschen über Tage hinweg Zudem ist aus Konsumentensicht ergänzend zu fragen, ob geplant. Abhängig von der Haushaltsform fällt die Entschei- diese auf das Angebot grundsätzlich zugreifen wollen. dung, was als nächste Mahlzeit wann und wo zu sich Wegen der hohen durchschnittlichen Bevölkerungsdichte genommen wird, häufig spontan. sind in Deutschland und in der Schweiz hohe Geschäfts- dichte und lange Ladenöffnungszeiten weit verbreitet, Die weiter fortschreitende Ent-strukturierung des Alltags zudem spielen die fünf Sinne für den Einkauf von vielen begünstigt laut der Nestlé-Studie 2011 «So is(s)t Deutsch- Lebensmitteln eine wesentliche Rolle und die Bereitschaft land» kurzfristige Entscheidungen bezüglich der Wahl und der Käufer, sich in ihrer Flexibilität durch Lieferzeitpunkte des Orts der Mahlzeit. Diese Entwicklung wird noch zusätz- einschränken zu lassen, ist gering.30 lich unterstützt durch die weitere Verbreitung von Smart- phones als Hilfsmittel zur Spontanität bezüglich Arbeits- und Freizeitverhalten. «Ich hätte schon vor Jahren einen viel grösseren Boom im Online-Bereich für Food «Die Einkäufe der Zukunft sind nicht die erwartet; wir sehen aber auch, dass gewisse geplanten langfristigen Einkäufe. Conveni- Sättigungsgrenzen doch relativ schnell ence und Frische spielen bei Food die grosse erreicht werden. Der Kunde geht dann doch Rolle. Es wird in Mahlzeiten und weniger in lieber in den Laden, wenn der nah und schnell Bevorratung gedacht. Der Kunden handelt erreichbar ist.» Ernst Dieter Berninghaus, Migros unmittelbar.» Ernst Dieter Berninghaus, Migros Einig sind sich die befragten Experten, dass der Online-LEH für unterschiedliche Warengruppen, beispielsweise Obst und Gemüse sowie Trocken, auf differenzierte Resonanz

29 Auch wenn die einzelnen Thesen jeweils mit Zitaten aus den geführten Experteninterviews unterlegt sind, handelt es sich doch bei Formulierung und Begründung jeweils um die Position der Verfasser der Studie 30 Nestlé-Studie 2011: So is(s)t Deutschland, in: Deutscher Fachverlag, S. 124 Die Zukunft des Einkaufens | 25

beim Kunden stösst. In den Augen der überwiegenden der Zukunft wünschen, dann sind es Formate für biologisch Mehrzahl besteht für frische Ware online eine deutlich angebaute Nahrungsmittel von Bauern aus der Region. Oder höhere Vertrauensschwelle als für andere Sortimente. Inso- kürzer: Wochenmärkte. Im «Consumer Value Monitor Food» fern sind einige Sortimente für Online-Anbieter leichter wurde dieses Handelsformat von den befragten Schweizern handhabbar und mittelfristig erfolgversprechend, sofern der sowohl als typisch für die gute alte Zeit (60er und 70er Kunde bereit ist, sich auf einzelne Sortimente online einzu- Jahre) beurteilt als auch als dasjenige Format, das in der lassen. In diesem Zusammenhang werden immer wieder Zukunft seine Bedeutung gegenüber heute am meisten stei- Mineralwasser, Süssgetränke, Milch und Artikel aus dem gern kann.31 Near-Food-Bereich genannt. In diesen Produktkategorien fällt das Problem der längeren Lieferzeiten nicht so stark ins Gewicht, auch die Prozesse und das Warenhandling sind «Es gibt auch Menschen, die haben das weniger komplex, so dass die Kosten für die Distribution Vertrauen in den LEH komplett verloren – und verhältnismässig günstiger ausfallen können. Von Konsu- Bauern, die Ackerfläche an Konsumenten mentenseite spricht hier für eine Online-Akzeptanz, dass vermieten, die dort ihre eigenen Nahrungs- diese Produkte kein starkes, positiv besetztes Einkaufser- mittel anbauen. Es gibt also auch einen Trend, lebnis vermitteln und auch (allein schon des Gewichts wegen) ein Lieferdienst eher als Innovation denn als Rück- der von der ganzen Lebensmittelindustrie schritt angesehen würde. wegführt. Möglicherweise wird es auch einen ähnlichen Trend hinsichtlich des gesamten technischen Fortschritts geben.» «Bezüglich des Einkaufsverhaltens für Michael Gerling, EHI Retail Institute Lebensmittel ist der Mensch träge. Man kauft dieselben Produkte am selben Ort über Jahre. Diese romantische Sehnsucht trifft auf das Effizienzdenken Wirkliche Änderungen kommen durch Umzug der grossen Einzelhändler, deren Prozesse auf die Einhal- oder neue Lebenssituationen zu Stande.» tung lebensmittelrechtlicher Vorschriften und den ökonomi- Thomas Hochreutener, GfK schen Mehrwert von Produkten und Sortimenten ausge- richtet sind. Und die, völlig berechtigt, die Frage stellen, wie ernst die Konsumenten es wirklich mit der Rückkehr zur 4.2 Nischenlösungen mit breitem Region meinen. So Ferdinand Hirsig, Mitglied der Geschäfts- Umbruchpotenzial leitung der Fenaco-Gruppe: «Für eine starke Verbreitung regionaler Modelle wäre eine massive Änderung des Die optimale Vorstellung der Ernährung weicht sowohl in Konsumverhaltens nötig. Im Winter müssten vorwiegend Deutschland als auch in der Schweiz zunehmend von der Rotkohl, Rosenkohl und Ähnliches gegessen werden, da die Realität ab. Die Unzufriedenheit mit dem Ernährungs­ regionalen Anbieter nichts anderes produzieren können.» angebot wächst ebenso wie der Wunsch nach «sicheren» authentischen Nahrungsmitteln. Der Nährboden für neue Für diese Polarität zwischen Science und Romance, Trend (heute noch) Nischenmodelle ist gegeben – die unternehme- und Gegentrend gibt es keine Lösung. Aber viele Zwischen- rische Chance liegt darin, Erfolgreiches aus der Nische in der stufen. Norbert Bolz spricht vom Potenzial der Hybride, die Breite auszurollen. in der Konfliktzone zwischen Trend und Gegentrend entstehen können: «Hocheffizient vereinen Hybride die posi- Dioxin in den Eiern in Deutschland und abgelaufenes Fleisch tiven Eigenschaften von beiden Seiten. Die Gegensätze, in den Frischetheken der grossen Händler in der Schweiz, denen sie entstammen, mischen sich auf – und erzeugen Meldungen über Östrogenaufnahme aus Kunststoffver­ Zwischenlösungen, je nach Bedarf neu konfigurierbar.»32 packungen: Das Vertrauen der Konsumenten in die grossen Händler wird immer wieder erschüttert. Wenn es etwas Für die traditionellen Lebensmitteleinzelhändler ergibt sich gibt, das sich die Verbraucher für den Lebensmittelhandel damit ein weites Feld möglicher Kombinationen zwischen

31 Hauser, Mirjam: Beim Essen herrscht Wechselstimmung, in: GDI Impuls 02/2012 32 Bolz, Norbert: Gegensätze mischen sich auf, in: GDI Impuls 04/2011 26 | Die Zukunft des Einkaufens 4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH

Vernunft und Sehnsucht, zwischen Super- und Wochen- markt. Beispiele hierfür wären: «Ein Discounter ist für jeden Deutschen Einrichtung eines Biolieferdienstes in Kooperation mit innerhalb von 5 Minuten Fahrdistanz regionalen Frischeproduzenten (und der regionalen Gross- erreichbar. Wo ist da der Platz für die kleinen markthalle, um das winterliche Rotkohlproblem zu lösen). Nachbarschaftsläden?» Verstärkte Integration von Metzgern, Bäckern, Käsern und Michael Gerling, EHI Retail Institute weiteren Experten in das Supermarktformat. Bediente Theken mit Fachleuten und regionalen Speziali- täten. Nähe und Erreichbarkeit eines Ladens sind zwei der wich- Veranstaltung von «Butterfahrten» zu regionalen Herstel- tigsten Kriterien beim Einkauf von Lebensmitteln. Es spre- lern zum Aufbau von Vertrauen zwischen Konsumenten chen etliche Argumente dafür, dass sich Kleinflächen in der und Produzenten und zur Bindung der Kunden an den Nachbarschaft mit einem Mischangebot aus Convenience Händler. und Frische und der Bevölkerung der Umgebung ange- passten Öffnungszeiten weiter verbreiten werden. Entscheidend für den ökonomischen Erfolg solcher Hybrid- bildungen ist dabei nicht so sehr, wie profitabel oder image- Entscheidend für den Grad der Ausbreitung von kleinflä- fördernd die einzelnen Experimente sind – sondern wie sehr chigen Nachbarschaftsformaten wird dabei in erster Linie die es den Handelsunternehmen gelingt, an einer Stelle erfolg- Entwicklung der individuellen Mobilität des älteren Bevölke- reiche Pilotprojekte in die Fläche zu integrieren, ohne dabei rungssegments sein: Mit dem Rollator läuft man nicht weit, durch die Standardisierung des Modells den Charakter und ohne eigenes Auto ist der Bewegungsradius stark wieder zu zerstören. «Viele innovative Modelle geraten eingeschränkt. aufgrund fehlender Multiplizierbarkeit ins Stocken», resümiert Migros-Generaldirektor Herbert Bolliger. Um aus der Nische Die Ansichten dazu, wie sich die individuelle Mobilität in in den Mainstream zu gelangen, ist es notwendig, dass in Deutschland und der Schweiz entwickeln wird, gehen aller- den Unternehmenszentralen neue Kombinationen zwischen dings unter den Experten weit auseinander. Martin Rupp- Vernunft und Romantik nicht so sehr als Kosmetik oder als mann, Geschäftsführer des VKE-Kosmetikverbands innerhalb Ablasshandel zur Gewissensberuhigung angesehen werden, des Markenverbands Deutschland, geht beispielsweise sondern als potenzielle Geschäftsmodelle von morgen. davon aus, dass wir «auch in 15 Jahren mehrheitlich zum Einkaufen rollen werden». Ebenfalls möglich könnte die umgekehrte Richtung sein – das Einkaufen rollt zu uns. In 4.3 Lebensmitteleinkauf um die Ecke gewinnt den US-Städten beispielsweise schiessen seit drei Jahren weiter an Bedeutung Food-Trucks aus dem Boden und nehmen dem traditionellen LEH genauso wie der Gastronomie Umsatz weg. Lebensmittel in der Nähe von Wohn- und Arbeitsort zu (fast) jeder Zeit einkaufen zu können gewinnt noch mehr an Ob eher der Laden zum Kunden oder der Kunde zum Laden Bedeutung. Was online (heute noch) nicht möglich ist, wird kommen wird, hängt stark davon ab, wie sich der Preis der der Laden in der Nähe bieten können: ein Angebot an Frische individuellen Mobilität entwickeln wird: Hier hat man es mit und Convenience in Gehdistanz erreichbar, inklusive echten einem komplexen Mix von technischen Innovationen im sozialen Austauschs. Hybrid- und Elektromotorbereich, Machtkonstellationen zwischen Rohstofflieferanten, Staaten und der Autoindustrie sowie Prognosen zur globalen und nationalen konjunktu- «Mit den demografischen Trends, dem Trend rellen Entwicklung zu tun. Wird die individuelle Mobilität zu mehr Convenience, mehr Frische und über gestiegene Preise und/oder fehlenden technischen mehr Regionalität sind ganz klar kleinflächi- Fortschritt eingeschränkt, steigt die Bedeutung von nahe gelegenen Einkaufsstätten und/oder von Lieferdiensten sehr gere Formate begünstigt. Diese Formate sind stark. Fällt dieser Faktor geringer aus, bleiben immer noch Convenience- und Frische-lastig – Non-Food die Alterung und die flexibilisierten Tagesstrukturen der spielt dabei keine Rolle. Nähe und Erreichbar- arbeitenden Bevölkerung, welche die Entwicklung von Klein- keit gewinnen.» Ernst Dieter Berninghaus, Migros 4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH Die Zukunft des Einkaufens | 27

flächen in Gehdistanz mit Convenience-Sortimenten fördern Waren kommunizieren, nicht mit Menschen. Die Verbindung können. von Einkauf und Kommunikation verlagerte sich in die Fuss- gängerzonen und Shopping-Malls, wo Shopping und Die Hinwendung zu Kleinflächen und zum Nahbereich findet Einkaufsbummel auch Zeit brauchen durften. aktuell bereits bei vielen Handelsunternehmen statt und wird sich weiter fortsetzen. Je stärker dieser Trend von den Konsumenten in Verbindung mit einer Rückbesinnung auf «Wir müssen Persönlichkeiten im Laden das Tante-Emma-Format vergangener Jahrzehnte gebracht fördern. Metzger, Degustationspersonal. wird, desto stärker werden unabhängige Kaufleute oder Weitere Fachleute im Laden sind gefragt. Der auch nachbarschaftliche Communitys die Entwicklung prägen. Preis ist dabei nicht das Thema, es geht darum, sich etwas Gutes zu tun, und darum, rund um das Produkt und dessen Zubereitung 4.4 Kommunikationskompetenz als Chance mehr zu erfahren.» Ferdinand Hirsig, Fenaco Einkauf ist für viele Menschen (noch) stark mit Kommunika- tion verbunden. Doch je mehr Handelsvolumen über Online- Kanäle abgewickelt wird, desto weniger wird dieses In den kommenden Jahren kann es dem Lebensmitteleinzel- Kommunikationsbedürfnis befriedigt. Der LEH hat dadurch handel gelingen, Kommunikationsterrain zurückzugewinnen. die Chance, neue kommunikative Funktionen zu über- Denn immer mehr Non-Food-Handelsumsatz wandert von nehmen – vom Einkaufsbummel wie auf dem Wochenmarkt den realen Läden in Online-Shops ab und damit in weitge- bis zum Klatsch. Erreichbar wird das durch eine Ladengestal- hend kommunikationslose Einkaufsformen. Man trifft sich tung, die nicht zum Eilen zwingt, sondern zum Verweilen nicht mehr so selbstverständlich samstags in der Fussgän- einlädt. gerzone – aber man geht weiterhin zum Einkauf in den Supermarkt. Diese Offline-Präferenz kann sich in Kommuni- kationskompetenz verwandeln, der Lebensmitteleinkauf­ wie «Täglicher Einkauf beim Nahversorger ist ein schon vor Jahrtausenden zum Thema oder einfach nur zum Erlebnis an und für sich. Der Laden ist eine Anlass der Unterhaltung werden: Shopping’s coming home. Begegnungsstätte.» Ernst Dieter Berninghaus, Migros «Es gibt immer mehr ältere Leute, die einsamer werden. Das Einkaufen hilft, Seit Menschengedenken sind Einkauf und Kommunikation persönlichen Austausch zwischen Menschen eng miteinander verbunden. Von der Agora im antiken Grie- chenland bis zum Marktplatz in den europäischen Altstädten zu fördern. Die Langsamkeit, die Nähe und war der Ort des täglichen (oder wöchentlichen) Einkaufs die persönliche Bekanntschaft werden wieder auch gleichzeitig der wichtigste Ort für den Austausch von einen grösseren Stellenwert im LEH Nachrichten und Meinungen, wichtigen und unwichtigen bekommen.» Neuigkeiten aller Art. Und noch in den heutigen Teleshop- Roland Berner, REWE Group ping-Kanälen werden die Produkte in der Regel in Form eines Gesprächs zwischen Moderator (=Kunde) und Experte (=Verkäufer) angepriesen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Händler die sich ihnen bietende Chance auch nutzen. Dazu gehören Im Zuge der logistischen Optimierung und starken Preisori- insbesondere entierung in den vergangenen Jahrzehnten hat der Lebens- eine neue Philosophie der Ladengestaltung: Das Geschäft mitteleinzelhandel seine Kommunikationsfunktion jedoch (und seine direkte Umgebung) sollten nicht so sehr zum weitgehend eingebüsst. Das Ladendesign wurde auf hohen Eilen, sondern vielmehr zum Verweilen einladen, etwa Durchsatz ausgerichtet, der Kunde sollte bestmöglich mit durch das Aufstellen von Bänken im Laden, das Aufbre- 28 | Die Zukunft des Einkaufens 4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH

chen bislang geschlossener Regalfronten oder durch das Abhalten von Anwohner-Flohmärkten auf dem Parkplatz. «Die Flächengestaltung in den Filialen wird neue Formen der Ladennutzung: Hier ist zum einen eine zunehmend flexibler. Vielleicht wird so auch Nutzung als Veranstaltungsfläche denkbar, etwa für wieder die Konvergenz von Handel und Gast- Abendessen oder Vorträge, zum anderen eine Kombina- ronomie geschaffen.» tion mit weiteren Dienstleistungen, von der Massage über Roland Berner, REWE Group ein Fotostudio bis zur Bürgerinformation. kommunikativeres Verhalten der Beschäftigten: Man muss zwar nicht unbedingt jeden Kunden wie den viel zitierten Die Vermischung der Betriebsformen und Ausprägungen König behandeln, aber doch als das, was er in aller Regel zwischen Gastronomiebetrieben und dem Lebensmittelein- ist: ein Nachbar. Der Austausch von Begrüssung, Neuig- zelhandel nimmt dabei deutlich zu. Im Handel wird das Sorti- keiten und Klatsch ist nicht so sehr eine Störung des ment an Produkten zum Direktverzehr ausgebaut und umge- Ablaufs (und Vergeudung von Arbeitszeit) als vielmehr ein kehrt bieten einige Gastronomen ausgewählte Lebensmittel Beitrag zur nachhaltigen Standortsicherung. in ihrer Gaststätte zum Verkauf an. Jamie’s Italian beispiels- weise, eine vorwiegend in England vertretene Kette von italienischen Restaurants unter Leitung von Jamie Oliver, 4.5 Wachsende Schnittmenge zwischen LEH bietet im Restaurant eine ganze Kollektionen von Pasta, und Gastronomie Käse, Saucen und Kräutern aus eigener Produktion zum Kauf an – mit den mitgelieferten Rezepten kann jeder Gast Die Flexibilität in der Gesellschaft steigt weiter. Zeit bleibt versuchen, zu Hause Jamie Oliver nachzukochen. knapp und der Zwang bleibt bestehen, sich schnell zwischendurch zu ernähren. Auch wenn der Lebensmittel­ Noch gering ausgeprägt ist im Lebensmitteleinzelhandel die einzelhandel schon viele Schnellverpflegungsmöglichkeiten Bereitschaft, selbst zum Gastronomiebetrieb zu werden, in anbietet, ist das Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Umge- dem Produkte nicht nur zum Direktverzehr ausser Haus kehrt ist die Bewegungsrichtung bei Gastrobetrieben, Take- angeboten werden, sondern auch im Laden selbst verzehrt aways etc. Sie bieten schon kleine Handelssortimente an, werden können. Hier könnte in naher Zukunft aus mehreren Erweiterungspotenzial besteht und wird genutzt. Gründen ein Stimmungswechsel eintreten: Eine Ausdünnung der Non-Food- und Near-Food-Sorti- mente durch die Konkurrenz von Online-Anbietern kann «Der Gastronomiemarkt fragmentiert sich Flächen frei machen, die für andere Nutzungen als Laden- immer stärker. Sowohl Händler als auch Gast- regale zur Verfügung stehen. Gastronomie wäre eine der ronomen dringen in neue benachbarte möglichen Nutzungsarten. Geschäftsfelder ein, welche momentan von Eine zunehmende Flexibilisierung der Ladengestaltung anderen besetzt sind.» kann zu «atmenden» Einrichtungen führen: Teilflächen Walter Brandenberger, Scana können zu bestimmten Tageszeiten als Gastronomiefläche und zu anderen Zeiten als Verkaufsfläche genutzt werden. Bei einer verstärkten Integration von Lebensmittelhand- Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten so weit werkern in die Läden kann mit gastronomischem Service gewandelt, dass nicht mehr die Essenszeiten bestimmen, der Erlebnischarakter gestärkt werden: Wenn ein Pasta- wann wir arbeiten, sondern die Arbeitszeiten bestimmen, Produzent im Supermarkt frische Tortellini herstellt, liegt wann und wo wir essen. Das hat zur Folge, dass Essen es auf der Hand, dass die Kunden diese auch genauso während der Woche häufig einen rein funktionalen Charakter frisch konsumieren können sollten. bekommt und immer dann zu sich genommen wird, wenn die Zeit dafür vorhanden ist. Zusammen mit flexibleren und mobileren Erwerbstätigen führt das dazu, dass Lebensmittel zum Direktverzehr quasi überall nachgefragt werden und auch das Wasserbad an der Tankstelle zum Aufwärmen von Convenience-Produkten zur Gastroalternative wird. 4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH Die Zukunft des Einkaufens | 29 30 | Die Zukunft des Einkaufens

4.6 Der Hypermarkt vor dem langsamen «Die Grossfläche muss weg von dem Abstieg Konzept: ‹Ein Eingang und ein Ausgang mit 50 Der Non-Food-Absatz über Online-Kanäle nimmt zu, der Kassen›. Das ganze Konzept muss zuneh- Preis der individuellen Mobilität wird zumindest phasen- mend heruntergebrochen werden.» weise an Schmerzgrenzen stossen. Der Trend zum urbanen Roland Berner, REWE Group Wohnen verstärkt sich. All das läuft gegen die Hypermärkte mit ihrem hohen Non-Food-Anteil und ihren meist auf das Eine Business-as-usual-Strategie für die bereits beste- Auto optimierten Standorten. Umnutzungen und Schlies­ henden Hypermärkte kann mit grosser Wahrscheinlichkeit sungen können die Folge sein. nur zum Absterben des Segments führen. Denn sobald die Kundenfrequenz sinkt, kann auch die Food-Vielfalt nicht mehr rentabel sein, die sich die heutigen Hypermärkte «Grossflächen werden wahrscheinlich leisten. Damit schwächt sich ein wesentliches Alleinstel- vermehrt verschwinden, oder das Sterben der lungsmerkmal ab, das bislang für viele Kunden ein wichtiges Grossflächen wird vielleicht durch eine Eventi- Argument für die Fahrt zum Hypermarkt war – wenn der sierung des Ladens etwas verlängert. Der spanische «Gran Capitán»-Käse, den es sonst nirgends im Hypermarkt wie auch die Warenhäuser sind Ort gibt, auch im Hypermarkt aus dem Sortiment verschwindet, gibt es für einige Käseliebhaber einen Grund am Ende des Lifecycles.» weniger, dorthin zum Einkaufen zu fahren. Und die Chancen Hans Eysink Smeets, Retail Strategy Consultant steigen, dass in der Stadt ein Käsespezialgeschäft sein Auskommen findet. In keinem Punkt waren sich die für diese Studie befragten Experten so einig wie in ihrer Skepsis bezüglich der Zukunft Die einzige Chance, die zumindest einige Experten den von Hypermärkten, also Grossflächenstandorten mit Gross- Grossflächen geben, ist eine konsequente Eventisierung der parkplätzen auf der grünen Wiese. Flächen. Das Einkaufszentrum in «eine Art Disneyland» zu verwandeln, ist die Empfehlung von Manfred Maus, Gründer Gegen sie spricht das Internet: Non-Food-Sortimente der Baumarktkette OBI. Mit einer Entertainment-Strategie nehmen in Hypermärkten traditionell ein starkes Gewicht können neue Besuchsanreize geweckt und damit die ein. Sie sind am stärksten von der Online-Konkurrenz Frequenz aufrechterhalten werden. Auch für Edutainment, betroffen. Gegen sie spricht der Ölpreis: Die Kosten individu- etwa Veranstaltungen rund um das Thema Ernährung, dürfte eller Mobilität sind deutlich höher als noch vor zehn Jahren es ein gewisses Potenzial geben. und viel spricht dafür, dass diese Kosten hoch bleiben oder gar noch weiter steigen werden. Die Fahrt mit dem eigenen Auto zum Einkauf läuft so Gefahr, zum Luxus zu werden – 4.7 Mischgenutzte Flächen schaffen soziales und nur mit Besserverdienenden lassen sich die Frequenzen Umfeld nicht erreichen, die Hypermärkte zum Gedeihen brauchen. Gegen sie spricht die Flexibilisierung: Der Grosseinkauf Facebook, Twitter und Konsorten bilden die neue Nabel- einmal die Woche entspricht bei immer mehr Menschen schnur zum sozialen Umfeld in einer virtuellen Welt. Der nicht mehr ihrem Lebensrhythmus. Leben und Arbeiten Wunsch nach einem sozialen Umfeld in der realen Welt werden flexibler, Planungszeiträume schrumpfen, in der steigt vor allem, wenn auch nicht nur in Gebieten mit hohem Tendenz macht niemand ausser Grossküchen mehr feste Anteil an Single-Haushalten. Hier bieten sich dem LEH Speisepläne für die nächste Woche. Und gegen sie spricht Chancen für Mischkonzepte, etwa indem frei werdende die Demografie: Von einer alternden Gesellschaft wird eher (Non-Food-)Flächen durch Services und «Being Spaces» das kleine Format in Gehdistanz profitieren (siehe Kapitel (Ferdinand Hirsig) belegt werden. 5.2) als eine Big Box draussen vor den Toren. Schon heute liegen in Deutschland 81 Prozent aller neu eröffneten Shop- ping-Center in Innenstädten.33

33 KPMG/EHI: Trends im Handel 2020, S. 17 Die Zukunft des Einkaufens | 31

«Der Laden müsste multifunktional werden. Regal, wenn der Konsument tendenziell nach Hause unter- Die teure Fläche sollte je nach Tageszeitpunkt wegs ist und schwere und sperrige Verbrauchsgüter kauft. Morgens und mittags hingegen würden die Flächen dem und Bedürfnissen stark unterschiedlich Verkauf sowie dem Konsum von vorgefertigten Mahlzeiten genutzt werden können. Parallel oder sequen- wie auch Getränken gewidmet – oder der Abgabe von ziell. Bis heute ist das noch nicht gelungen.» dreckiger Wäsche als Abholstation für Gross­wäschereien. Ferdinand Hirsig, Fenaco Als weitere Option können auch rein tageszeitspezifische Ernährungsbedürfnisse sequenziell auf der Fläche abgebildet werden. In einem erweiterten Sinn können die Nutzungs- Traditionell ist die multifunktionale Nutzung von Handelsflä- möglichkeiten über verschiedene Services und Clubformate, chen eine Notlösung in der Provinz. Wenn im Dorf nicht vom Kochclub bis zum langen Tisch, angeboten werden. genügend Kaufkraft vorhanden ist, um einen Einzelhändler Lebensmittelhandwerk kann abhängig von der Tageszeit vari- am Leben zu erhalten, wird die Ladenfläche eben noch für abel vorgeführt und inszeniert werden. weitere Dienstleistungen genutzt: Fax- und Kopiergeräte, Post, Bar, Reisebüro, Fotoladen oder andere Services. In In Kleinstädten in ländlichen Räumen besteht naturgemäss Zukunft können sich solche (oder andere) multifunktionale ein deutlich geringeres Mietniveau für Einzelhandelsflächen. Nutzungen auch an Handelsstandorten in Gross- oder Klein- Dort gewinnt dafür ein anderes Problem an Gewicht: der städten durchsetzen – und zwar sowohl zur Lösung eines Rückgang an Kaufkraft und individueller Mobilität. Stefan Problems als auch zur Umsetzung neuer Chancen. Genth: «Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland wird die Ladendichte abnehmen – und Regi- In den grossen Städten besteht das Problem in hohen onen, die heute noch über eine sehr gute Einzelhandels- Flächenkosten. Bei Quadratmetermieten, die deutlich über struktur verfügen, werden diese verlieren, weil die Einwoh- 100 Euro pro Monat liegen können, schmerzt jede Minute, nerdichte nicht mehr gegeben ist.» die ein Laden geschlossen ist. Hier liegt, so Ferdinand Hirsig, ein starker Anreiz zur polyvalenten Nutzung, insbe- sondere in Kombination mit Gastronomie (siehe Kapitel 5.4): «Auf dem Land entstehen neue Chancen für «Was am Tag ein Laden ist, sollte am Abend auch Bar sein eine Bündelung von Service-Dienstleistung können und am Morgen ein Café.» mit Einzelhandelsfunktionen. Service- und Mischformate und Hybridformen entstehen aktuell in Gesundheitszentren oder Arztpraxen, viel- verschiedensten Kombinationen in Deutschland und in der leicht auch nur temporär in Betrieb, Schweiz: vom Waschsalon, welcher auch ein Kaffeehaus ist, zusammen mit Handelsleistungen.» bis zur Post, welche auch Lebensmittelhändler ist. Und ein Stefan Genth, HDE Teil der Ladenfläche wird bei vielen Händlern auch heute schon polyvalent genutzt, beispielsweise im Wechsel zwischen Sonderverkaufsfläche für Non-Food-Waren und Zudem ändert sich in einer alternden Gesellschaft die Nach- Degustationsstand. Allerdings erstreckt sich hier die jewei- frage nach Dienstleistungen: Die meisten Fachhändler lige Nutzung über vergleichsweise lange Zeiträume, also verkaufen relativ wenige Produkte an ältere Leute, dafür mehrere Tage oder Wochen. profitieren Ärzte und Apotheken. Mit genau solchen Anbie- tern sollten sich, so Genth, ländliche Kaufleute «zur Bünde- Tageszeitspezifische Hybride werden sukzessive an Bedeu- lung von Service-Dienstleistung mit Einzelhandelsfunkti- tung gewinnen. Sofern die Geschäftsmodelle sich nicht zeit- onen» zusammenschliessen – eine Art «Dienstleistungs­ ­ gleich auf derselben Fläche integrieren lassen (Nagelstudio würfel», wie in der DDR multifunktionale Service-Standorte und Coffeeshop), müssen Warendisposition, Regalierung hiessen. Durch die Bündelung kann auch bei schrumpfender und Regalbestückung flexibilisiert werden. Denkbar werden Kaufkraft und Bevölkerungsdichte ein vitales soziales und Modelle, in denen Flächen im Tageszyklus unterschiedliche kommunikatives Umfeld erhalten bleiben; und der Lebens- Nutzungsformen erfahren. Toilettenpapier und Waschpulver mitteleinzelhandel, der weiterhin mit seiner Offline-Stärke beispielsweise stünden nur nachmittags und abends im 32 | Die Zukunft des Einkaufens 4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH

punkten kann, ist in einer guten Position, um die Konsolidie- Bewegung in Italien begann,35 ist nach mehr als zwei Jahr- rung aktiv voranzutreiben. zehnten aus der Avantgarde in den Mainstream gewandert. Schon der Begriff «investieren» kennzeichnet diese neue Einstellung: Zeit wird nicht mehr verbraucht (was es recht- 4.8 Gesundheit für Kunden und Mitarbeiter als fertigen würde, möglichst viel davon zu sparen), sondern sie Erfolgsfaktor wird gebraucht, um damit eine Rendite zu erzielen – wenn auch keine finanziell-quantitative, sondern eine persönliche, Der Gesundheit wird in der alternden Gesellschaft ein qualitative. immer höherer Wert beigemessen – es geht in Deutschland und in der Schweiz darum, gesund und agil alt zu werden. Einer der wichtigsten Faktoren hierfür ist die Ernährung. «Im Food-Bereich zählen Aspekte wie Beim Gesundheitsimage kann der LEH nicht nur durch Vertrauen und Sicherheit sehr stark. Je mehr Produktauswahl, Warenpräsentation und Herkunftsgarantie Skandale, desto lauter wird der Ruf nach punkten, sondern auch durch sein Personal: Gesunde Mitar- beiter werden mit gesunden Produkten und den Angeboten, Sicherheit und Transparenz. Nachvollziehbare die der Lebensmittelhändler rund um das Thema Gesundheit Labels können so erfolgreich sein.» anbietet, assoziiert. Thomas Hochreutener, GfK

«Einzelhändler könnten Events zum Thema «Mit 80 Jahren möchten Menschen die Gesundheit lancieren: also Ernährungskunde- letzten 20 Jahre noch optimal ausnutzen. unterricht durch den Lebensmitteleinzel- Daher werden sie extrem darauf achten, wie händler. Weder in Deutschland noch in der sie sich ernähren.» Schweiz wird dieses Thema meines Wissens Uwe Spiegel, T-Systems explizit in den Schulen behandelt.» Manfred Maus, Obi Für die Lebensmitteleinzelhändler wird es deshalb wichtig werden, auch ihren eigenen Gesundheitsbegriff über das Gesundheit ist und bleibt das Essensthema Nummer 1. In Angebot allgemein «gesunder» Produkte hinaus konzeptio- den Interviews, die im Rahmen des «Consumer Value nell auszuweiten. Gesunde Lebensmittel sind Pflicht, zum Monitor Food» des GDI geführt wurden, sprachen 88 Wohlbefinden der Kunden beizutragen ist Kür. Dafür werden Prozent als Befragte im Verlauf des Gesprächs über gesunde neue Angebote für die Förderung und Verankerung einer Ernährung und immerhin 77 Prozent denken auch über die nachhaltigen und gesunden Ernährung benötigt. Zu diesem nicht gesunden Aspekte von Essen nach – kein anderes Zweck muss der Handel die mehr und mehr verfügbaren Thema wurde auch nur annähernd so oft angesprochen.34 Informationen zu Produkten in alters-, berufs- und krank- Allerdings erstreckt sich der Gesundheitsbegriff deutlich heitsbedingte Zusammenhänge einbetten. Beispiele hierfür weiter als nur auf die direkt messbaren Qualitäten von können die Ausarbeitung individualisierter Ernährungsmuster Lebensmitteln. Ebenso entscheidend wie die untadelige sowie die Analyse von Warenkörben und den darin enthal- Produktqualität ist heute schon und wird insbesondere für tenen Produkten in Bezug auf mögliche gesundheitliche den zukünftigen Gesundheitsbegriff sein, wie viel Zeit in Implikationen sein. Nicht zu vergessen ist auch, dass der Essenszubereitung und dessen Verzehr investiert wird. Handel dazu beitragen kann, in welcher Art, in welchem Geist und mit welchem Zeiteinsatz Lebensmittel zubereitet Das Investieren von Zeit in Nahrungszubereitung und und genossen werden, etwa durch Convenience Food, -aufnahme, das 1989 mit der Gründung der Slow-Food- Kochpakete oder Vermittlung von Kochfreundschaften.

34 GDI: Consumer Value Monitor Food 2012, S. 19 35 Bosshart, David: The Age of Less, S. 135 4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH Die Zukunft des Einkaufens | 33

«Der Kunde macht den Händler verantwort- «Früchte, Gemüse, Brot und Fleisch sind nicht lich für Qualität, Herkunft und Beschaffenheit dasselbe wie WC-Papier oder Mineralwasser. der Produkte. Der Kunde interessiert sich Bei Ersteren spielen unsere Sinne quasi bei nicht dafür, wer rechtlich verantwortlich ist – jedem Einkauf eine Rolle, während das bei er hält sich an den Handel. Also wird der WC-Papier nicht der Fall ist.» Handel allein dadurch schon gezwungen, Ferdinand Hirsig, Fenaco stärker auf die Herstellungsprozesse Einfluss zu nehmen.» Lebensmittel sind Mittel zum Leben. Und deshalb seit Jahr- Stefan Genth, HDE tausenden und auch in absehbarer Zukunft die Produkt­ gruppe, zu der die Menschen die engste Beziehung über- Von vielen Arbeitgebern wird dabei unterschätzt, wie wichtig haupt aufgebaut haben. Es handelt sich um ein zutiefst für ein glaubhaftes Vertreten des Themas Gesundheit emotionales Verhältnis – das sich die Konsumenten auch gesunde Mitarbeiter sind. «Mit depressiven Mitarbeitern nicht wegnehmen lassen wollen. Sie wünschen sich Authen- kriege ich keine zufriedenen Kunden», sagt OBI-Gründer tizität bei Lebensmitteln, finden derzeit aber weder bei Manfred Maus: «Körperlich, geistig und seelisch gesund Händlern noch bei Herstellern befriedigende Angebote und müssen die Mitarbeiter sein, und das ist Führungsaufgabe.» sehen zudem auch keine Lösung dieses Sehnsuchtspro- blems.36

«Das Vermitteln von Gesundheit ist ein Thema des gesamten Handels und nicht ein Thema einzelner Formate. Zielgruppenorientierte Sortimente (z.B. Allergikersortimente) werden in Deutschland ein grosses Potenzial haben. Über das Vermitteln von Wissen bezüglich solcher Produkte wächst dann auch das Vertrauen in die Märkte.» Roland Berner, REWE Group

4.9 Emotionalität schlägt Effizienzoptimierung

Kaum eine Produktgruppe ist in der Summe so stark mit Emotionen aufgeladen wie Lebensmittel. Allerdings wurde die emotionale Seite der Ernährung vom Handel überall dort zurückgedrängt, wo sie in Konkurrenz zur Effizienzoptimie- rung und im Bann einer dominierenden Preisorientierung des Kunden stand. Da den Effizienzwettbewerb gegen Online-Anbieter allenfalls Hard-Discounter bestehen, liegen viele Wachstumspotenziale eher in der Emotionalisierung der Läden. Grosser Hebel wird die Differenzierung und unterschiedliche Beschichtung von Teilsortimenten mit Emotionen sein.

36 GDI: Consumer Value Monitor Food 2012, S. 10 f. 34 | Die Zukunft des Einkaufens 4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH

Der Lebensmitteleinzelhandel hat seine Kunden mit diesem sind die Faktoren, die (in Teilen) wegführen können von Problem jahrzehntelang alleine gelassen. Die Optimierung der nüchternen Effizienzmaschine des Basisversorgers. von Logistik und Effizienz und das Senken von Preisen In diesem Spannungsfeld hat das klassische Marketing galten als die entscheidenden Faktoren im Wettbewerb der ausgedient. Es beruhte auf dem Grundsatz, möglichst Branche – vor allem in Deutschland, wo Tempo und Richtung klare Botschaften an möglichst klare Zielgruppen auszu- der Bewegung stärker als irgendwo sonst von den Discount- senden und deren Kaufentscheidungen zu beeinflussen. Anbietern vorgegeben wurden. Die Verkaufsräume wurden Inzwischen ist aus dieser Einwegkommunikation eine so gestaltet, dass sie einen schnellen und weitestgehend Begegnung auf Augenhöhe geworden: Die Konsumenten kommunikationsfreien Einkauf ermöglichten. Eine Bezie- beeinflussen die Unternehmen mindestens genauso stark hung zwischen Kunden und Produkten aufzubauen über­ wie umgekehrt, Märkte sind tatsächlich Gespräche. Und liessen die Händler den Marketingbemühungen der die Entwicklung von Social Media und Mobile Internet Hersteller. kann sogar dazu führen, dass sich die traditionelle Kommunikationsrichtung schlicht umdreht: Jeder poten- zielle Kunde formuliert seine ganz individuellen Bedürf- «Die Ansprüche der Kunden an Qualität, nisse und seine Identität und beeinflusst damit die Frische und Warenpräsentation steigen. Da Produktionsentscheidungen der Hersteller. Dann könnte das Format, das wir heute als Voll­ gewinnen nicht mehr die Unternehmen mit dem besten Lautsprecher – sondern die mit dem besten Hörgerät. sortiment bezeichnen, an Stärke gewinnen.» Und dann sind die Offline-Einzelhändler in der vorteil- Stefan Genth, HDE haften Situation, tatsächlich realen Menschen real zuhören zu können.

Hier sind substanzielle Änderungen zu erwarten: Emotionalisierung von Begegnungen im Laden wie von Online verstärkt den Effizienzwettbewerb: Wenn Online- Produkten setzt voraus, seinen Kunden zuhören zu können. Anbieter mit etwas gegen den klassischen Einzelhandel Um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, muss signalisiert punkten können, dann mit Effizienz. Sie können für sich werden, dass Gespräche erwünscht sind. Dafür muss und ihre Kunden Preise, Lagerhaltung, B2B- und Emotion an die Stelle von Effizienz treten – oder ihr zumin- B2C-Logistik in einer Weise optimieren, mit der allenfalls dest gleichberechtigt zur Seite gestellt werden. die Discount-Formate mithalten können. Das Vertrauen des Kunden kristallisiert sich hier rund um die technische Wenn Emotionalisierung auf beiden Seiten gelingen soll, Fertigkeit des Händlers, seine Lieferfähigkeit und Liefer- muss sie sich auch und gerade für die Konsumenten authen- treue für Basissortimente, nicht aber um die Qualität der tisch anfühlen. Die italienische Konsumpsychologin Simo- Lebensmittel oder das Vertrauen in die Person des netta Carbonaro warnt den Handel sogar vor dem «Pump Lebensmittelhändlers. Es ist der «verlässliche Partner», up the Volume einer unechten Emotionalisierung». So habe der sich über seine Zuverlässigkeit in der Verfügbarkeit etwa das Experience Marketing der grossen Einkaufszen- von Lebensmitteln zum rechten Zeitpunkt empfiehlt und tren nicht etwa mehr Wohlbefinden, sondern vor allem mehr den Haushalt damit «am Laufen hält». Lärm erzeugt: «Das hat uns so sehr überreizt, dass wir gar Sofern man den nüchternen Effizienzwettbewerb nicht nicht in Kontakt mit unseren Bedürfnissen oder unserer gewinnen kann, ist es essenziell (und überlebenswichtig), Vernunft kommen – vom Kontakt mit unserer eigenen Wettbewerbsvorteile in anderen für den Kunden wesentli- Gefühlswelt beim Einkaufen ganz zu schweigen.»37 chen Bereichen zu schaffen. Emotion ist der stärkste hiervon: Das Erlebnis eines echten Einkaufs in echten Die Kunst des Zuhörens steht also am Beginn der Emotiona- Läden mit echten Menschen lässt sich online vielleicht lisierung. Das dauerhafte Gespräch, das Vertrauen in simulieren, aber nicht nachmachen. Diese Emotionen Menschen und Marke schafft, ist das zweite Element. lagern sich bei den entsprechenden Sortimenten rund um Emotion ist Chance und Zwang zugleich, seinen Kunden die Qualität der Ware, die Beratung und den Service durch völlig neu kennenzulernen. den Händler sowie um die LEH-Marke ab. Emotional aufgeladene Ware und ein positives menschliches Umfeld

37 Carbonaro, Simonetta: Die Produkte schreien uns förmlich an. https://www.gdi.ch/de/Think-Tank/Trend-News/Detail-Page/Die-Produkte-schreien- uns-foermlich-an 4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH Die Zukunft des Einkaufens | 35

4.10 Individualisierung des Genusses Muster entsprechen, können die Hersteller, mit oder ohne mit Flagship-Stores für Fans Umweg über den Handel, ihre Produkte individualisieren.

Individualisierung findet seit Jahren in allen Konsumberei- Es ist zu vermuten, dass dies eher ohne den Handel chen statt – vom Computer über Parfüms bis zur Schoko- geschehen wird: Der Prozess der Individualisierung von lade. Dabei handelt es sich in aller Regel um individuelle Lebensmitteln hat auch einen Erlebnischarakter, wenn man Online-Produktkonfigurationen. Bei den Lebensmitteln ihn richtig inszeniert. Hier werden vor allem die renommierten zeichnet sich allerdings auch ein umgekehrter Weg ab: Die Markenartikler die Inszenierung nicht aus der Hand geben Individualisierer gehen offline in Ballungsräume und machen wollen. Wohin diese Entwicklung führen kann, zeigt derzeit ihre POS zur individuellen Erlebnisstätte für spezifische schon Ritter Sport: In einem Flagship-Store in Berlin gibt es Sortimente. nicht nur das gesamte Sortiment, sondern auch die Möglich- keit zur Kreation der eigenen Schokoladentafel vor Ort. Zudem hat sich Ritter Sport an Chocri beteiligt, einem Start- «Das Thema Individualität hat vermutlich in up, welches individualisierte Schokolade online anbietet.38 15 Jahren einen noch höheren Stellenwert. Das kann bedeuten, dass die klassischen Viele Lebensmittel sind allerdings gerade keine Industrie-, sondern Naturprodukte. Hier sind es die feinen Unterschiede Markenartikler dann auch individuelle Müsli­ von Lage, Bodenbeschaffenheit, Sorte oder Wetter, die prak- Mischungen anbieten, oder aber, dass die tisch von alleine für eine Individualisierung des Produkts Start-ups, welche es online in diesem Bereich sorgen. Denn ein Rioja ist kein Chianti ist kein Cabernet, von gibt, auch offline einen POS aufbauen.» den Unterschieden zwischen den einzelnen Rioja-Weingü- Martin Ruppmann, Markenverband tern und -Jahrgängen ganz zu schweigen. Das Produkt ist also nicht deshalb einzigartig, weil der Konsument es so konfiguriert, sondern weil es ein Naturprodukt ist. Der individualisierte Konsum schickt sich an, die breiten Massen zu erreichen. Internet und neue Produktionspro- Die Vielfalt, die sich bei Naturprodukten wie Wein, Käse, zesse machen es möglich, dass der Kunde sein Produkt Olivenöl oder Honig bietet, lässt sich in keinem Ladenregal online oder im Laden selbst konfiguriert. Die «Losgrösse 1», abbilden. Daraus entstehen für den Lebensmitteleinzel- früher nur bei Handwerkern, Künstlern und Maschinen- handel Chance und Risiko zugleich. Risiko, weil die Gefahr bauern erreichbar, wird als Mass Customization in immer besteht, dass sich Aficionados, die Fans dieser Produktgat- mehr Branchen zum Industriestandard. Bei Lebensmitteln tung, um einen Online-Shop versammeln, der ihnen ein gibt es online bereits heute mehrere Anbieter von indivi­ potenziell unbegrenzt tiefes Warenangebot sowie eine Platt- dualisierter Schokolade, persönlichen Müsli- und form für Diskussion und Austausch bieten kann. Und Teemischun­gen. Chance, weil es sich für Freunde der kleinen Geschmacks- oder Geruchsnuancen von Naturprodukten geradezu anbietet, ihr Produkterlebnis in der realen Welt zu zeleb- «Supermarktsortimente könnten kleiner rieren. werden, dafür entstehen daneben Category Killers oder Fetischanbieter im Kleinen.» Stark fokussierte Spezialitäten-Shops haben sich für einige Hans Eysink Smeets, Retail Strategy Consultant Produktgattungen wie Wein, Käse oder Tee in den Städten gehalten. In dem Mass jedoch, in dem der Einkauf standar- disierter Produkte in die Online-Welt abwandert, werden im Für Industrieprodukte ist diese Art der Produktindividualisie- klassischen LEH zusätzliche Flächen für jene Formate frei, rung prinzipiell unbegrenzt möglich: Jedes einzelne Bauteil deren Kunden das Offline-Erlebnis brauchen. Und aufgrund kann nach individuellem Kundenwunsch variiert werden, bei der Vielzahl an unterschiedlichen, meist kleinen Produzenten jeder Mischung kann die Zusammensetzung nach Belieben wird hier auch weiterhin die Produkt- und Logistikkompetenz verändert werden. Wo Lebensmittel diesem industriellen des Händlers unverzichtbar sein: Das Käsegeschäft ist dem Appenzeller-Flagship-Store nachhaltig überlegen.

38 http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/berliner-wirtschaft/ritter-sport-steigt-bei-onlinevertrieb-chocri-ein/1935714.html 36 | Die Zukunft des Einkaufens

5 Szenarien zur Zukunft des LEH

Das Bild, das der Lebensmitteleinzelhandel im Jahr 2025 Aus der Kombination dieser beiden Parameter in ihren unter- abgeben wird, wird nach allen Äusserungen und Gesprächen schiedlichen Ausprägungen ergeben sich vier Grundformen wesentlich von den Entwicklungen in zwei zentralen Para- für den Lebensmitteleinzelhandel der Zukunft: metern bestimmt: den Logistikkosten und der Werthaltung der Konsumenten. All Mart: niedrige Logistikkosten, Emotionalität Small Mart: hohe Logistikkosten, Emotionalität Die Logistikkosten werden in erster Linie von der Entwick- Call Mart: niedrige Logistikkosten, Funktionalität lung der Energiepreise beeinflusst werden. Hierbei ist uner- Smart Mart: hohe Logistikkosten, Funktionalität heblich, auf welchen Primärenergieträgern die Entwicklung basiert. Wir halten für die Ära der Kohlenwasserstoffe wie Diese Formen sind in ihrer Definition wesenhaft unterschied- alternativer Energieträger dauerhaft hohe Logistikkosten für lich, können aber aufgrund des nicht durchgängig einheitli- das wahrscheinliche Szenario. chen Konsumentenverhaltens parallel auftreten. Sofern diese parallel existieren, sind Folgewirkungen und Interdepen- Die Welt des Kunden wird aufgrund der technischen denzen zu erwarten, so beispielsweise die Auswahl eines Entwicklung durch mehr und mehr persönliche Gestaltungs- funktionalen Handelsformats infolge einer hohen emotio- optionen bereichert. Der bereits heute bestehende Konflikt nalen Bindung in anderen Sortimentsbereichen. zwischen Funktionalität und emotionaler «Aufladung» des Konsumaktes wird dadurch allerdings nicht aufgehoben, Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens spezifischer Kombina- sondern bleibt in unterschiedlichen Ausprägungen erhalten. tionen der beiden vorgenannten Parameter schätzen wir wie Es ist unsere Überzeugung, dass der LEH-Konsum im Jahr folgt ein: 2025 vordringlich durch die Kundensehnsucht nach Wärme, (Selbst-)Erfüllung und menschlicher Beziehung geprägt sein All Mart: niedrig bis mittel wird. Small Mart: hoch Call Mart: niedrig Smart Mart: mittel bis hoch

Szenarien zur Zukunft des LEH

Logistikkosten hoch

Small Mart Smart Mart

Emotionalität Funktionalität

All Mart Call Mart

Logistikkosten niedrig Die Zukunft des Einkaufens | 37

5.1 All Mart – «business as usual» Ohne Zweifel bietet dieses Szenario den traditionellen LEH- Formaten bessere Möglichkeiten, ihre Position zu konsoli- dieren und das eigene Geschäftsmodell ohne grosse Frikti- onen in die Zukunft hinein fortzuentwickeln.

5.2 Small Mart – «Tante Emma 2.0»

Uneingeschränkte individuelle Mobilität und hohe emotionale Präferenz für den physischen Einkauf im

Laden

Dies ist das Business-as-usual-Szenario für den Lebensmittel- handel in seiner heutigen Form. Auch nicht zentral gelegene Hohe Logistikkosten/eingeschränkte individuelle und nicht wohnortnahe Standorte können vom Kunden mehr- Mobilität und hohe Wertschätzung für soziale heitlich gut erreicht werden, die Kunden sind weiterhin bereit, Kontakte in stationären Formaten ihre Lebensmittel einzukaufen und die Logistik zwischen Laden und Wohnort selbst zu leisten. In diesem Szenario kommt es zu akzentuiert unterschiedli- Jedoch bringt auch dieses Szenario Änderungen mit sich. chen Entwicklungen der heutigen Formate im LEH. Der Online-Handel wird bis zum Jahr 2025 in allen Sorti- Individuelle motorisierte Mobilität kann vor allem aus Kosten- menten des Non-Food und Near-Food sowie der nicht gründen nicht mehr als gegeben vorausgesetzt werden. frischen Basissortimente signifikante Marktanteile Breite Konsumentenschichten nutzen vermehrt den öffentli- aufweisen. Insofern wird der Handel seine Sortimente subs- chen Verkehr, gehen zu Fuss oder verwenden Sharing- tanziell umbauen und durch Services rund um das gesamte Systeme. Geringere Mobilität akzentuiert die sozialen Folgen Sortiment sowie gezielte Produktauswahl emotionale Berüh- der vorherrschenden demografischen und soziologischen rungspunkte auf der Fläche schaffen müssen. Entwicklung, Alterung und Vereinsamung. Online-Formate haben Schwierigkeiten, sich substanziell im LEH durchzu- Wesentliche Elemente, deren Integration die emotionale setzen, weil Preisvorteile fehlen und/oder Lieferdienste nicht Präferenz für den physischen LEH in der Zukunft mit konsti- dem flexiblen Lebensstil der Kunden entsprechen. tuieren wird, sind: Gastronomie Wesentliche Elemente, die die Präferenz für eine durch Freizeitgestaltung (Kochkurse, Weinverköstigungen, soziale Kontakte gekennzeichnete Form des LEH in der Bücherlesungen etc.) Zukunft mit konstituieren werden, sind: Fabbing (Produktion direkt im Laden) Beschränkte Transportfähigkeit Integrierte Gesundheitsdienstleistungen und ambulante Kundennähe medizintechnische Massnahmen Regionalität Medikamentenabholung und Überwachung der regel­ Convenience mässigen Einnahme derselben Spontanität des Einkaufs Dienstleistungen rund um das Fortbewegungsmittel/Auto Genussorientierung 38 | Die Zukunft des Einkaufens 5 Szenarien zur Zukunft des LEH

Dieses Szenario wird mit grosser Wahrscheinlichkeit zu Stark ausgeweitete Sortimente, die über Produzenten wesentlichen, zum Teil disruptiven Wettbewerbsverschie- und/oder Händler angeboten werden bungen führen. Treibende Kraft sind dabei selbständige Technologiebasierte kommunikative Kompetenz des Unternehmerkaufleute und weniger grosse, technisch inno- Warenverkäufers als Antwort auf die Technologieaffinität vative Marktteilnehmer. Betreiber der Läden sind Einzel­ des Kunden unternehmer, Nachbarschaftsvereine oder Communitys Lieferabos und NOS-Programme (Never Out of Stock) für (eigenständig oder in Netzwerken), die zum alten Tante- die Basisversorgung des Haushalts Emma-Prinzip zurückkehren oder dieses an die neuen tech- Laden- und Online- bzw. Mobile-basierte Kategorie­ nischen Möglichkeiten anpassen. experten mit extrem tiefem Sortiment (z.B. mit 200 Olivenölsorten) Online- bzw. Mobile Convenience (z.B. Was-soll-ich-heute- 5.3 Call Mart – die Online-Food-Welt kochen-App mit automatischer Bestellung und rechtzei- tiger Lieferung fehlender Zutaten) Online- bzw. Mobile-Expressversorgung: Lieferungen von Spontankäufen und im Haushalt fehlenden Lebensmitteln auf sehr zeitnaher Basis (Lebensmitteltaxi)39

Online ist in diesem Szenario eine echte Bedrohung für den klassischen, flächenbasierten Lebensmittelhandel. Das Ausmass des Online-Erfolgs steht in unmittelbarem Zusam- menhang mit der Attraktivität des Einkaufserlebnisses im klassischen LEH sowie der räumlichen Distanz zum (nächsten) Laden. Ein Nebeneffekt der Online-Dominanz im Lebensmitteleinzelhandel in diesem Szenario dürfte eine Zunahme hoch spezialisierter Nischenanbieter sein – zum einen wegen der Verfügbarkeit anderweitig nicht mehr benötigter Einzelhandelsflächen, zum anderen, weil gerade Hohe Mobilität und niedrige Logistikkosten treffen die Kunden von Kategorieexperten für Events rund um auf hohe Affinität zu neuen Technologien Genuss und Geschmack empfänglich sind.

Auch bei grösstmöglichem Optimismus in Bezug auf die Der technische Fortschritt in Produktinformation, Vertrieb Entwicklung logistischer Leistungsfähigkeit ist davon auszu- und Distribution ermöglicht attraktive und effiziente Waren- gehen, dass gewisse Grundlieferzeiten bestehen bleiben. verteilungslösungen jenseits der traditionellen Handels- Deren weitere Verkürzung wird von der Zunahme von fläche. Die Kernkompetenzen des Lebensmittelhändlers Convenience- und Impulskäufen online bzw. über Mobile werden damit aus der Bindung an die Ladenfläche gelöst. abhängen. Der Konsument wird technisch in die Lage versetzt, zu jeder Zeit und an jedem Ort seine Lebensmittelversorgung zu Dieses Szenario bietet Raum für eine Neugestaltung von steuern und zu modifizieren. Hierbei wählt er aus einem Beziehungsstrukturen zwischen Konsument, Produzent, stark erweiterten Produktsortiment aus, das ihm direkt vom Händler und/oder Lieferant. Kaufkanäle können hierbei flexi- Hersteller oder über Händler angeboten und von vielen bilisiert und verstärktem Wechsel unterworfen werden, Dritten beurteilt und kommentiert wird. befördert durch Online-Meinungsbildung/Social Media, unabhängige Beurteilungsplattformen und Optimierungs- Wesentliche Elemente, die die Präferenz für eine nicht plattformen, die für einen Einkauf Preisvergleiche mehrerer primär stationäre Form des LEH in der Zukunft mit konstitu- Anbieter ermöglichen. Lebensmitteleinzelhandel wird damit ieren werden, sind: in diesem Szenario tendenziell zu einem echten «spot

39 Eine eher fantastisch klingende Variante ist hier der «Tacocopter», ein aus dem Silicon Valley stammendes Konzept für einen unbemannten Liefer- Service aus der Luft. Beim jetzigen Stand der Technik nicht mehr als ein Scherz – aber durch die rasante Entwicklung von Drohnen- und Navigati- onstechnologie wohl nicht mehr lange 5 Szenarien zur Zukunft des LEH Die Zukunft des Einkaufens | 39

market», sofern die Kundenbindung des Handels nicht deut- Wesentliche Elemente, die die Präferenz für Smart Marts in lich erhöht wird. Dieses Szenario weist damit geringe Markt- der Zukunft mit konstituieren werden, sind: einstiegsbarrieren auf, was insbesondere für branchen- Stark ausgeweitete Sortimente, die über Produzenten fremde Spieler mit starken Kompetenzen in den Bereichen und/oder Händler angeboten werden Kundenkommunikation und der Analyse von Konsumpräfe- Technologiebasierte kommunikative Kompetenz des renzen sowie Logistikdienstleistungen interessant ist. Warenverkäufers als Antwort auf die Technologieaffinität des Kunden Dezentrale Versorgungspunkte die eine deutliche Optimie- 5.4 Smart Mart – Shopping- und Formatvielfalt rung/Absenkung der B2C-Logistikkosten erlauben und um die Ecke zugleich eine reduzierte Umschlagsfunktion (d.h. Ort der Auswahl und Kaufentscheidung) erfüllen

Das Smart-Mart-Szenario schafft Raum für Innovationen und senkt ebenfalls aufgrund des geforderten Kompetenzprofils die Markteintrittsbarrieren ab. Für meist grossflächige, auf der grünen Wiese liegende Handelsformate ist dieses Szenario negativ einzustufen. In abgeschwächter Form gilt dies auch für innerstädtische Formate, die ebenfalls wesent- lich auf einer durch den Kunden motorisiert zu leistenden B2C-Logistik basieren. Umgekehrt bietet die Entwicklung wohnortnaher Standorte Supermärkten und Discountern gleichermassen Potenziale, ohne dass bis dato bei den bestehenden Spielern echte Wettbewerbsvorteile bei der Entwicklung in diese Richtung erkennbar wären. Chancen bieten sich ebenso dem Ausbau von bestehenden Kleinfor- Ausgeprägte Online- und Technologieaffinität bei maten, die bereits Konsumentennähe als Merkmal eingeschränkter individueller Mobilität und hohen aufweisen. Parallel hierzu können regional Nischen wie Logistikkosten Bauernmärkte, lokale Gemüseabos, der Eier- und Milchmann eine Renaissance erleben. Bedingung hierfür ist jedoch, In diesem Szenario treffen teure Wege auf eine hohe Vernet- dass diese technisch den Kunden abholen und preislich zung und wachsende Bereitschaft der Kunden, moderne konkurrenzfähig sind. Technologie in der eigenen Lebensmittelversorgung einzu- setzen. Konsequenz ist die Renaissance wohnortnaher Standorte, allerdings nicht nur als Point of Sale, sondern ebenso als Point of Delivery oder gar als Point of Production (etwa durch 3-D-Druck). Produzenten und Händler liefern motorisiert an Abholorte, beispielsweise Märkte, Hallen, Convenience-Shops, Drop-off-Stellen), wo der Kunde sie zu Fuss abholt. Aufgrund der technologischen Verdichtung können regionale und lokale Produzenten den Kunden direkt erreichen und werden damit für diesen preislich attraktiver. Logistikkosten für Sortimentsbestandteile, die lange Wege bis zum Kunden haben, bestimmen die Grenzen seines maximalen Warenkorbs. 40 | Die Zukunft des Einkaufens

6 Perspektiven für die LEH-Formate

Die vier abgebildeten Szenarien skizzieren die für uns unter- kehrt kann aus heutiger Sicht auf Basis der vier Szenarien schiedlich wahrscheinlichen Zustände des deutschen und analysiert werden, welche bestehenden Formate besonders des Schweizer Lebensmittelhandels 2025. Jedes Szenario geeignet sind, das «Sollprofil» der einzelnen Szenarien zu weist individuelle Charakteristika und Bedingtheiten auf, die erfüllen. Im Folgenden haben wir aus Sicht der heute beste- bei Eintritt Änderungen bestehender Handelsformate oder henden Formate diese Sichtweise auf die Szenarien für den den Aufbau neuer Formate nach sich ziehen werden. Umge- deutschen und den Schweizer Lebensmittelmarkt konsolidiert.

Perspektiven für Grossflächen Perspektiven für Supermärkte Logistikkosten hoch Logistikkosten hoch

-- -- +/- - Small Mart Smart Mart Small Mart Smart Mart

Emotionalität Funktionalität Emotionalität Funktionalität + -- + - All Mart Call Mart All Mart Call Mart

Logistikkosten niedrig Logistikkosten niedrig

Perspektiven für Discount Perspektiven für Kleinflächen Logistikkosten hoch Logistik-Kosten hoch

+/- - + + Small Mart Smart Mart Small Mart Smart Mart

Emotionalität Funktionalität Emotionalität Funktionalität +/- -- - +/- All Mart Call Mart All Mart Call Mart

Logistikkosten niedrig Logistikkosten niedrig

Perspektiven für Convenience-Shops Perspektiven für Online-Handel Logistikkosten hoch Logistikkosten hoch

+ + +/- + Small Mart Smart Mart Small Mart Smart Mart

Emotionalität Funktionalität Emotionalität Funktionalität +/- + +/- ++ All Mart Call Mart All Mart Call Mart

Logistikkosten niedrig Logistikkosten niedrig

++: hohes Mass an Kompatibilität +/-: durchschnittliche Kompatibilität - -: sehr geringe Kompatibilität +: mittleres Mass an Kompatibilität -: geringe Kompatibilität Die Zukunft des Einkaufens | 41

7 Fazit

Die Zukunft des Lebensmitteleinzelhandels verspricht weiterhin Innovation und Wandel. Massgebliche Treiber sind eine Differenzierung zwischen funktionaler Rationalität und Emotionalisierung des Konsums, die Entwicklung von Ener- giepreisen sowie die Explosion technologischer und informa- tiver Möglichkeiten. Diese Grundkräfte werden – einzeln wie in Kombination – das Konsumverhalten neu konditionieren. Ebenso ermöglichen die Optionsräume, die die Grundkräfte aufspannen, bis dato nicht gekannte Verhaltensweisen des Konsumenten.

Als Konsequenz aus dieser dynamischen Entwicklung beschreibt nur eines der vier Szenarien, die wir aus den Experten- und Industriegesprächen abgeleitet haben, im Wesentlichen Kontinuität. Die drei anderen Szenarien, darunter die mit für uns höchster Eintrittswahrscheinlichkeit, versprechen

die Entwertung bestehender und das Entstehen neuer Kompetenzprofile, das Absenken der Markteintrittsbarrieren und damit den Eintritt neuer Wettbewerber in die Lebensmittelversor- gung, die Relativierung des heute dominanten Preisparadigmas.

Die in den Szenarien skizzierten Entwicklungen schliessen sich nicht notwendig gegenseitig aus. Innerhalb des Raums von materiellen Gegebenheiten und individuellen Werten wird der Konsument jeweils sein Verhalten ausrichten. Letz- teres spricht für ein partielles Nebeneinander von einzelnen Szenarien bzw. der diese dominierenden Handelsformate.

In Summe: Der Lebensmittelhandel in Deutschland und in der Schweiz wird in Zukunft viel sozialer sein als heute. Im Zentrum steht der individuell bekannte Kunde. Schlüssel zu ihm ist der kontinuierliche Dialog.

Aber verwenden muss diesen Schlüssel – der Händler. Die individuelle Innovationskraft, Innovationsfreudigkeit und der unternehmerische Mut, die die heutigen deutschen und Schweizer Lebensmittelhändler in der Vergangenheit unter Beweis gestellt haben, werden dafür auch in Zukunft gebraucht werden. 42 | Die Zukunft des Einkaufens

8 Anhang

8.1 Befragte Experten Franziska von Lewinski: Tesco hat es richtig gemacht, in: Absatzwirtschaft, 25.11. 2011 Folgende Experten aus Forschung und Praxis haben die Friebe, Holm/Ramge, Thomas (2008): Marke Eigenbau: Studie mit wertvollen Beiträgen unterstützt: Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion, Frankfurt Roland Berner, Head of Strategy & Business Hauser, Mirjam (2012): Consumer Value Monitor Food. Development, REWE Group Wie Konsumenten in Zukunft essen wollen, GDI Studie Ernst Dieter Berninghaus, Mitglied der Generaldirektion Nr. 38 Migros-Genossenschafts-Bund KPMG/EHI (2012): Trends im Handel 2020 Herbert Bolliger, Präsident der Generaldirektion Migros- KPMG/EHI (2006): Status quo und Perspektiven im deut- Genossenschafts-Bund schen Lebensmitteleinzelhandel 2006 Walter Brandenberger, CEO Scana Lebensmittel AG KPMG International: Self-Driving Cars – The Next Revolu- Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer der Hauptgemein- tion, 2012 schaft des Deutschen Einzelhandels KPMG International, Consumers and Convergence V: Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute The converged Lifestyle, 2011 Karl-Erivan Haub, Geschäftsführender und persönlich Kühne, M., (2010): The Story of Unstoring: GDI Studie haftender Gesellschafter, Tengelmann-Gruppe Nr. 33 Ferdinand Hirsig, Mitglied der Geschäftsleitung der Lüdi, N., & Hauser, M. (2010): Consumer Value Monitor – Fenaco-Gruppe Wie neue Sehnsuchtsfelder den Lebensmittelkonsum Thomas Hochreutener, Detailhandelsexperte GfK verändern, GDI Studie Nr. 35 Miegel, Meinhard (2010): Exit. Wohlstand ohne Manfred Maus, Gründer OBI Wachstum, Berlin Markus Mosa, Vorstandsvorsitzender der Edeka-Gruppe Nemitz, Gordon, Rieder, Christian (2011): Living Mobile. Daniel Pulko, Business Analyst Vertical Market Consumer, Wie Smartphones unser Leben verändern, in: GDI Impuls Schenker Group 02/2011 Martin Ruppmann, Geschäftsführer VKE-Kosmetikverband Nestlé-Studie 2011: So is(s)t Deutschland, Deutscher Hans Eysink Smeets, Retail Strategy Consultant Fachverlag Uwe Spiegel, Business Unit Director e-Commerce, Nestle, M. (2006): What to eat, New York, North Point T-Systems Multimedia Solutions Press Petrini, Carlo (2003): Slow Food: Geniessen mit Verstand, Zürich 8.2 Literatur Pollan, M. (2009): Food Rules, New York, Penguin Press Renner, Tim: Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm. Über Bosshart, David (2011): The Age of Less. Die neue Wohl- die Zukunft der Musik- und Medienindustrie, Rogner & standsformel der westlichen Welt, Hamburg Bernhard 2008 Bosshart, D., Muller, C., & Hauser, M. (2010): European Rifkin, Jeremy (2011): Die dritte industrielle Revolution. Food Trends Report – Science versus Romance, GDI Die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter, Frank- Studie Nr. 32 furt Bosshart, David, Staib, Daniel (2005): Detailhandel Rudolph, Thomas: Die Ermächtigung des Konsumenten, Schweiz 2015, GDI Studie Nr. 23 in: GDI Impuls 02/09, S. 16–21 Connors, M. M., Bisogni, C. A., Sobal, J., & Devine, C. Shuman, Michael H. (2006): The Small-Mart Revolution: (2001). Managing values in personal food systems. Appe- How Local Businesses Are Beating the Global Competi- tite, 36(3), 189–200 tion, San Francisco Bolz, Norbert (2011): Die Zukunft der Megatrends, in: GDI Studie von A.T. Kearney zum Online-Lebensmittelhandel, Impuls 04/2011, S. 10 –17 2012 Datamonitor (2010): Food Retail in Germany Thaler, R.H., & Sunstein, C.R. (2009): Nudge, Yale Euromonitor International (2011): Grocery Retailers in University Press Germany Die Zukunft des Einkaufens | 43

8.3 Herausgeber

KPMG AG Badenerstrasse 172 Postfach CH-8026 Zürich

Die Tätigkeiten von KPMG Schweiz sind in der KPMG Holding AG (dem Schweizer Mitglied des KPMG Netzwerks rechtlich unabhängiger Firmen, die KPMG International , «KPMG International» angeschlossen sind) zusammengefasst. In der Schweiz gehört KPMG mit rund 1600 Mitarbeitenden an 11 Standorten zu den führenden Anbietern von Audit, Tax und Advisory: Audit zur Schaffung von Transparenz und Vertrauen im Zeichen der Corporate Governance, Tax und Advisory Services für eine erfolgreiche und ganzheitliche Unternehmensführung. KPMG Schweiz erwirtschaftete 2012 einen Betriebsertrag von CHF 429 Mio.

GDI Gottlieb Duttweiler Institute Langhaldenstrasse 21 CH-8803 Rüschlikon/Zürich

Das GDI Gottlieb Duttweiler Institute, der älteste Think-Tank der Schweiz, beschäftigt sich seit 1963 mit den Themenfel- dern Konsum, Handel und Gesellschaft. Es beobachtet und beschreibt Entwicklungen, welche für den Menschen in seiner Rolle als Konsument, für Märkte und für die Gesell- schaft von Bedeutung sind. Das Institut ist zwar nach dem Gründer des Schweizer Einzelhandelskonzerns Migros benannt, agiert aber seit Jahrzehnten als unabhängiges Forschungsinstitut. In den vergangenen fünf Jahren wurden zu den Themenkomplexen Einzelhandel, Lebensmittel und Konsum folgende Studien erstellt: «Detailhandel 2015», «Airport Shopping 2025», «Shopping and the City 2020», «Discount Forever»,«European Food Trend Report», «Customer Value Monitor Food» und «The Story of Unsto- ring». Kontakt

Hauptsitz Lukas Marty KPMG AG Head of Audit T: +41 58 249 36 49 Badenerstrasse 172 E: [email protected] Postfach CH-8026 Zürich Stéphane Gard T: +41 58 249 31 31 Partner, Sektorleiter Consumer Markets F: +41 58 249 44 06 T: +41 21 345 03 35 E: [email protected]

Jürg Meisterhans Partner, Audit, Sektorleiter Retail, Schweiz T: +41 58 249 35 78 E: [email protected]

Andreas Hammer Director, Head of Public Relations & Public Affairs T: +41 58 249 28 46 E: [email protected]

Carmen Borges Senior Manager, Marketing & Communications T: +41 58 249 29 55 E: [email protected]

KPMG AG Mark Sievers Head of Consumer Markets Wirtschaftsprüfungsgesellschaft T: +49 40 32015-5840 in Deutschland E: [email protected]

Stephan Fetsch Partner, Corporate Finance T: +49 221 2073-5534 E: [email protected]

GDI Gottlieb Duttweiler Institute Langhaldenstrasse 21 CH-8803 Rüschlikon/Zürich T: +41 44 724 61 11 E: [email protected]

www.kpmg.ch Die hierin enthaltenen Informationen sind allgemeiner Natur und beziehen sich daher nicht auf die Umstände einzelner Personen oder Rechtsträger. Obwohl wir uns bemühen, genaue und aktuelle Informationen zu liefern, besteht keine Gewähr dafür, dass diese die Situation zum Zeitpunkt der Herausgabe oder eine zukünftige Sachlage widerspiegeln. Die genannten Informationen sollten nicht ohne eingehende Abklärungen und eine professionelle Beratung als Entscheidungs- oder Handlungsgrundlage dienen. © 2013 KPMG Holding AG/SA, a Swiss corporation, is a subsidiary of KPMG Europe LLP and a member of the KPMG network of independent firms affiliated with KPMG International Cooperative (“KPMG International”), a Swiss legal entity. All rights reserved. Printed in Switzerland. The KPMG name, logo and “cutting through complexity” are registered trademarks or trademarks of KPMG International.