FDP – 05. WP Fraktionssitzung: 16. 12. 1966

16. Dezember 1966: Fraktionssitzung

ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-771. Überschrift: »Kurzprotokoll der Fraktionssitzung vom 16. Dezember 1966«. Zeit: 20.00–22.00 Uhr. Vorsitz: Mischnick. Entschuldigt fehlende Fraktionsmitglieder: 11.

Sitzungsverlauf: A. Debatte über Äußerungen Mendes in der Sitzung des NRW-Landesausschusses in Essen.

[A.] Mischnick: Er bedauert die schwache Besetzung der Fraktion (11 Entschuldigungen) und verliest einen Brief des Fraktionsvorsitzenden, in der dieser den Beteiligten an der Debatte zur Regierungserklärung dankt.1 Von Kühlmann weist auf die besondere Bedeutung dieser letzten Fraktionssitzung dieses Jahres hin; er wünscht, daß es gelingt, die anstehenden Fragen im Interesse der Fraktion einer Klärung zuzuführen. Mischnick schließt sich der in dem Schreiben des Fraktionsvorsitzenden ausgesprochenen Wünsche auf ein harmonisches Ende der heutigen Aussprache in der Fraktion an. Zweck dieser Sitzung ist ein offenes Gespräch über die NRW-Landesausschußsitzung in Essen.2 Die Fraktion hatte beschlossen, das Wortprotokoll über diese Sitzung herbeizuschaffen.3 Weyer hat sich jedoch nicht in der Lage gesehen, das Protokoll ohne Beschluß des Landesvorstandes herauszugeben. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder es wird anhand der hier bekannten Tatsachen verhandelt oder es wird eine Kommission eingesetzt. (Schreiben von v. Kühlmann vom 16. Dezember 1966 ist dem Original dieses Protokolls beigefügt.) Mischnick teilt mit, daß die Differenzen, die sich aufgrund der Ausführungen des Partei- vorsitzenden zwischen Dr. Mende, Dorn und Opitz ergeben haben, am kommenden Mitt- woch im Rahmen der Beteiligten besprochen werden, so daß man diesen Komplex hier herauslassen kann. Borm: Er spricht sich für eine Vorklärung durch eine Kommission oder durch den Vor- stand aus. Über die seine Person betreffenden Behauptungen des »Stern«4 hat er einen schriftlichen Bericht gemacht, den er dem Vorstand zur Verfügung stellt. Wenn das ge- wünscht wird, ist Borm auch bereit, die Unterlage zu verlesen.

1 Zum Schreiben von Kühlmann-Stumms vom 16. Dezember 1966 vgl. ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-771, Bl. 11. 2 Vgl. die Fraktionssitzung am 13. Dezember 1966, Anm. 13. 3 Vgl. ebd., SVP C. 4 Nach dem Artikel des »Stern« soll der Berliner Landesvorsitzende der FDP, William Borm, seinen Berliner Koalitionspartner, den Regierenden Bürgermeister , darüber informiert haben, dass vermutlich zwei FDP-Bundestagsabgeordnete, Ertl und Staratzke, nicht für einen Kanzler Brandt stimmen würden. »Borms Warnung machte es Willy Brandt und leicht, ihre Genossen in der Fraktionssitzung vom Risiko einer Kanzlerabstimmung mit den Freien Demokraten zu überzeugen. Hinzu kamen Bedenken gegen die Mitarbeit der Freien Demokraten in den Ausschüssen des Bundestages. In den meisten der 24 Fachgremien verfügen SPD und FDP zusammen nur über eine Mehrheit von ein oder zwei Stimmen.« Vgl. den Artikel »So kam es zur Großen Koalition in «; »Stern«, Nr. 50 vom 11. Dezember 1966, S. 28, 30, 140 f., 143–145, hier S. 30; vgl. auch die Abschrift aus dem »Stern«; ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-771, Anlage 1.

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Busse: Er hatte wegen der Klarheit eine Vorlage des Protokolls gewünscht und bedauert, daß Weyer sich weigerte, dieses herauszugeben. Es wäre besser gewesen, wenn vor dem Weihnachtsfest reiner Tisch gemacht worden wäre. Weiterhin bedauert Busse, daß Dr. Mende als Hauptbeteiligter zu dieser Fraktionssitzung nicht erschienen ist. Der Bundesvorstand sollte gebeten werden, den Sachverhalt eindeutig klarzustellen, und dann sollte der Fraktionsvorstand mit den Betroffenen eine Klärung herbeiführen; die endgültige Klärung in der Fraktion ist darüber hinaus notwendig, da die Fraktion in ei- ner Weise qualifiziert wurde, die nicht vertretbar ist. Die vorhandenen Unterlagen sollten niemandem vorenthalten werden. Busse bedauert, daß die Fraktion gezwungen ist, mit einer solchen Belastung auseinanderzugehen. Wächter: Er beantragt, daß der Bundesvorstand von Nordrhein-Westfalen das Wortprotokoll zur Verfügung stellt. Sander: Er schließt sich dem Antrag von Wächter an und bedauert, daß Dr. Mende nicht anwesend ist. Zoglmann: Er wird in der NRW-Landesvorstandssitzung vom kommenden Mittwoch5 einen Beschluß herbeiführen, daß das Protokoll der Fraktion zur Verfügung gestellt wird.6 Dr. Haas: Er bittet um die jetzt mögliche Information. Borm: Der Bundesvorstand sollte mit dieser Frage nicht belastet werden. Dr. Staratzke: Er bedauert, die zwischenzeitlich erfolgten erneuten Indiskretionen. Diese Frage sollte nicht in der Schwebe gelassen werden, sondern die Fraktion sollte sofort informiert werden. Ertl: Die Partei kann alles andere vertragen als solche Spekulationen. Vor allem, da es um den Parteivorsitzenden geht. Mertes: 1. Es sollte verlesen werden, was da ist. 2. Eine Diskussion sollte über die Infor- mation hinaus heute nicht stattfinden. 3. Mischnick sollte dafür sorgen, daß der Bundesvorstand die Frage nicht behandelt. Dr. Haas/Sander: Sie bitten Busse, zu berichten. Dr. Starke: Es bleibt die Frage, wer uns vor Wiederholungen schützt. Dr. Mende hat die Landesverbände gebeten, in der nächsten Zeit die entsprechenden Gremien wie in NRW einzuberufen. Es ist doch zu befürchten, daß sich die gleichen Dinge wie in NRW wiederholen. Mischnick: In den Landesverbänden wird nicht Dr. Mende berichten. Das dürfte wohl für Bayern ebenso wie für Hessen gelten. Die bisherigen Aussagen kann man in zwei Komplexen zusammenfassen. 1. Es wird heute kein Bericht gegeben, aber eine Kommission zur Klärung der Sachlage eingesetzt. 2. Es wird heute ein Bericht gegeben und dann erfolgt die Entscheidung, ob eine Kommission einzusetzen ist. Mischnick stellt durch Abstimmung fest, daß die Mehrheit der Fraktion dafür eintritt, daß sofort berichtet wird.

5 21. Dezember 1966. 6 In der Sitzung des Vorstands des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der FDP am 21. Dezember 1966 in Düsseldorf richtete der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen FDP, Willi Weyer, an die Bundestagsfraktion »die dringende Bitte, die in Essen ausgesprochenen Mißhelligkeiten im internen und diskreten Rahmen auszuräumen. Leider seien diese Angelegenheiten teilweise doch an die Öffentlichkeit gedrungen. Jede Erörterung dieser Dinge außerhalb der Fraktion sollte eingestellt wer- den.« Zur Sitzung des nordrhein-westfälischen Landesverbandsvorstands vgl. ADL, Bestand FDP- Landesverbände, Nr. 27086, hier S. 18.

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Busse: Er berichtet über die Essener Landesausschußsitzung des FDP-Landesverbandes NRW und gibt einen Bericht über das Wesentliche der etwa einstündigen Rede des Par- teivorsitzenden, in der zunächst auf die Entwicklung der vergangenen Wochen eingegangen wurde und auf die Diskussion in diesem Zusammenhange. Es wurde die Frage gestellt, wieso die der FDP angehörenden Bundesminister dem Kom- muniqué über die Steuererhöhungsfrage in der Kabinettsitzung zustimmten.7 Dr. Mende antwortete darauf, daß dieses Kommuniqué nichts weiter beinhalte, als die »fdk«- Erklärung Dr. Starkes über die FDP-Haltung zur Steuererhöhungsfrage (»fdk«, Nr. 8 368/66 vom 11. 10. 1966). Dorn hat diese Sachdarstellung als objektiv unrichtig zurückgewiesen und auf den Beschluß der Fraktion hingewiesen.9 In der Koalitionsfrage – so hatte Dr. Mende ausgeführt – sei keine Einigkeit in der Fraktion zu erzielen gewesen. 1/3 der Abgeordneten sei für eine Koalition mit der SPD, aber ohne Brandt, 1/3 für eine Koalition mit der CDU, aber ohne Strauß, und 1/3 dafür eingetreten, daß die FDP in die Opposition geht, aber ohne Wahlrechtsänderung. Eine solche Fraktion sei handlungsunfähig, und mit einer solchen Fraktion könne man auch keine vernünftige Opposition machen. Einer der nordrhein-westfälischen Abgeordneten hat dazu ausgeführt, daß über die Fragen der Koalitionsbildung in der Fraktion selbstverständlich eine lebhafte Diskussion stattgefunden habe, daß sich aber die Fraktion dem Mehrheitsvotum in entscheidenden Fragen noch immer gefügt habe. Dr. Mende wurde auch gefragt, wie es zu seiner Währungsreformaussage gekommen sei10 und er hat gesagt, daß er dazu durch die Zahlen über die Entwicklung der Haushaltsdefizite in den kommenden Jahren, die ihm aus dem Finanzministerium vorliegen, angeregt worden sei (Zuruf: Offenbar Schmücker-Papier vom 17. 11. 1966). Allgemein hat Dr. Mende das Verhalten einzelner Landesverbände kritisiert, so den Landesverband Bayern (ohne Brandt und ohne Strauß). Ein Landesvorsitzender hat Monate vor der Neuwahl erklärt, daß er nicht wieder kandidieren werde, weil ihm die Entwicklung nicht zusagt. Andere Abgeordnete würden ihr berufliches Interesse über die Belange der Fraktion stellen. Als Diskussionsredner hat Busse darauf hingewiesen, daß in der Fraktion Meinungsverschiedenheiten in der Vergangenheit immer in kameradschaftlicher Weise geklärt worden seien, indem man sich zusammensetzt und eine Aussprache herbeiführt. Das habe Dr. Mende jedoch nicht getan. Im Schlußwort ging Dr. Mende nicht auf die Sachprobleme aus der Diskussion ein, son- dern er stellte die Schuld einer Reihe von Abgeordneten an der Entwicklung heraus. Ne- ben Dorn und Opitz wurden u. a. folgende Namen genannt: Dr. Starke (und seine Verhandlungsführung), Dr. Staratzke, Schmidt, Dr. Menne, Ertl, Dr. Hellige, Dr. Miessner. Ollesch: Er ergänzt, daß Dr. Mende auch ausführte, daß die Landesverbände dafür Sorge zu tragen hätten, daß solche Abgeordnete nicht wieder in den kommen.

7 Vgl. die Fraktionssitzung am 27. Oktober 1966, Teil 1, Anm. 4. 8 Vgl. den Artikel »Dr. Starke: Steuererhöhungen wäre der schlechteste Ausweg«; »fdk«-Tagesdienst (368/66) vom 11. Oktober 1966. 9 Vgl. die Fraktionssitzung am 11. Oktober 1966, SVP A. 10 Angesichts des zu erwartenden Anstiegs der öffentlichen Ausgaben in den nächsten Jahren warnte während des bayerischen Landtagswahlkampfs im November 1962 vor einem drohenden Währungszerfall und einer dadurch notwendig werdenden Währungsreform. Vgl. den Artikel »Mende schwächt ab«; »Die Welt« vom 30. November 1966; BT Pressedokumentation, Personenordner Erich Mende, Bd. 11.

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Ollesch hat in der Diskussion darauf hingewiesen, daß Dr. Mende in der Fraktion selbst lange Zeit nicht zu erkennen gab, was er eigentlich anstrebe, so daß sich die Fraktion nicht darauf einstellen konnte. Auch Dr. Mende habe noch vor einigen Wochen erklärt, daß er sein Mandat niederlegen würde, wenn eine SPD/FDP-Koalition angestrebt wird. Er darf sich daher auch nicht wundern, wenn sich andere Abgeordnete nicht so schnell umstellen. Ertl: Er berichtet, daß Dr. Mende ihn zusammen mit Dr. Haas in der Gießener Fraktionssitzung11 herausgebeten hat und sie gefragt hat, ob sie sich in der Lage sehen, einen Kanzler Brandt zu akzeptieren. Diese Frage wurde von ihnen beiden verneint. Dr. Mende hat daraufhin gesagt, daß das auch für ihn gelte, und daß er von Ertl und Dr. Haas nichts anderes erwartet habe. In Nürnberg12 wurde dann erkennbar, daß Dr. Mende nicht unbedingt auf seiner Gießener Meinung beharrt, und Ertl hat ihm daraufhin auf ei- nem Blatt Papier die Frage gestellt, ob die Gießener Meinung von Dr. Mende zu Brandt und zur SPD noch Gültigkeit hat. Dr. Mende hat ebenfalls schriftlich geantwortet, daß noch keine Entscheidung über den Kandidaten der SPD getroffen sei, daß er aber die Lage in der Partei wie Ertl beurteile und daß es zu gar keiner Entscheidung über eine Koalition kommen würde, wenn wir bei der Bayernwahl13 nicht gut abschneiden, denn dann sei unser Kurswert für beide möglichen Partner gering (vgl. Anlage).14 Moersch: Er bittet, nunmehr eine Kommission zu bilden, und dankt den Abgeordneten aus NRW, daß sie sich – obgleich selbst nicht angegriffen – so für die Belange der Fraktion eingesetzt haben, obgleich ihnen dadurch Nachteile drohten. Dr. Starke: Er gibt bekannt, daß Dr. Mende auch an ihn die gleiche Frage wie an Ertl gestellt habe. Mischnick: Wir sollten jetzt keine Diskussion über diese Frage führen. Er verliest den Brief von Borm an die FDP-Bundestagsfraktion zu den Behauptungen über angebliche Aussagen Borms, daß er Brandt davon Mitteilung gemacht habe, daß zwei Mitglieder der FDP-Fraktion nicht für Brandt stimmen würden. Das Dementi wird in der nächsten Ausgabe des »Stern« erscheinen.15 Es geht daraus hervor, daß eine solche Warnung gegenüber Brandt nicht erfolgt ist, sondern daß Borm im Gegenteil unter Zeugen darauf hingewiesen hat, daß die FDP-Fraktion auf jeden Fall stehen wird. Aus dem Schreiben von Herrn Borm geht weiter hervor, daß auch Brandt bestätigte, daß die dem »Stern« gegebene Information unrichtig ist. Nach Angaben des Stellvertreters von Herrn Nannen16 wurde die Illustrierte von Dr. Mende informiert. (Schreiben Borm vom

14. 12. 1966, Abschrift des Auszugs aus dem »Stern« und Text der Gegendarstellung gegenüber dem »Stern« sowie Schreiben Borm an Brandt in der Anlage).17 Ertl: Auch über ihn hat der »Stern« unwahre Behauptungen aufgestellt, die Dr. Mende bereits vor ihrer Veröffentlichung bekannt waren.

11 Zur Fraktionssitzung am 3. November 1966 vgl. ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-772. 12 Zur Sitzung des Bundesvorstands am 14. und 15. November 1966 vgl. FDP-BUNDESVORSTAND 1960–1967, Dok. 77 a und b. 13 Bei den bayerischen Landtagswahlen am 20. November 1966 erhielt die FDP zwar 5,1 Prozent der abgegebenen Stimmen. Da sie jedoch in keinem der Regierungsbezirke die nach dem bayerischen Wahlrecht erforderlichen 10 Prozent erhalten hatte, blieb sie ohne Mandat. Vgl. RITTER/NIEHUSS, Wahlen in Deutschland, S. 154, 174. 14 Vgl. ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-771, Bl. 18–20. 15 Zum Dementi vgl. das Schreiben Borms an die FDP-Fraktion vom 16. Dezember 1966, ebd., Anlage 2, Bl. 16. 16 Herausgeber und Chefredakteur des »Stern«. 17 Vgl. ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-771, Bl. 12–17.

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Schultz: Es handelt sich hier um eine ernste Vertrauenskrise, die schwer zu bereinigen ist. Es ist die Frage, ob wir nicht versuchen sollten, diese Dinge für 4 Wochen für uns zu behalten. Moersch: Das Wortprotokoll sollte von einer Dreierkommission zunächst daraufhin überprüft werden, ob der Bericht, der hier gegeben wurde, vollständig war. Dr. Mende selbst muss über die Lage in der Fraktion unterrichtet und wie die Fraktion zum Schwei- gen vergattert werden. Genscher: Wir müssen diese Frage in der Partei halten, denn in der Fraktion können wir sie deshalb nicht halten, weil der NRW-Landesausschuß aus ca. 250 Mitgliedern be- steht. Genscher bemängelt Äußerungen Dr. Buchers, die er, wie aus der heutigen »FAZ« hervorgeht, in Marburg getan hat.18 Die FDP sollte nach draußen einheitlich auftreten. Aus diesem Grunde ist Genscher auch gegen ein Scherbengericht. Funcke: Sie schlägt vor, daß Schultz und Busse die Dinge zunächst mit Dr. Mende durchzuklären versuchen. Vorsitz: Zoglmann. Dr. Dehler: Unser oberster Satz muß sein: »Die Partei darf keinen Schaden nehmen«. Die Kommission muß den Tatbestand klären und mit Dr. Mende durchsprechen. Sie soll nicht richten, sondern die Entscheidung der Fraktion überlassen. Die Frage ist, wie man die Sache im Bundesvorstand abbiegen kann, auch wenn Dr. Mende die Frage aufgreift. In der Angelegenheit ist äußerste Vorsicht am Platze, denn die Dinge sind gefährlich. Borm: Die »Stern«-Angelegenheit kann bei der Untersuchung ausgeschaltet werden. Zoglmann: Er weist darauf hin, daß auch die Äußerungen Dr. Buchers die Fraktion ab- wertet. Wenn Dr. Mende im Bundesvorstand eine Darstellung der Essener Vorgänge ge- ben will, so werden Dr. Dehler und Zoglmann aufstehen und auf die Kommission hinweisen. Schmidt: Die Partei hat Schaden genommen und darf keinen weiteren Schaden nehmen. Er verweist auf einen neuen Artikel in der der Dimitag angeschlossenen Presse. Genscher: In dem von Schmidt aufgegriffenen Fall haben sich Dr. Mende, von Kühlmann und Genscher bereits in einem Telegramm an die Dimitag dagegen verwahrt, daß hier versucht wird, die FDP auseinanderzudividieren. In dem Artikel wurde geschrieben, daß Dr. Mende für die weiche Tour in der Opposition sei und daß von Kühlmann und Genscher jetzt das Heft in die Hand nehmen. Dieser Artikel stammt wie auch ein vorhergegangener Artikel im »General-Anzeiger«19 vom Schwakenberg. Vorsitz: Mischnick. Graaff: Es kann nicht sichergestellt werden, daß Dr. Mende morgen im Bundesvorstand nicht über die NRW-Landesausschußsitzung berichtet.20 Deshalb sollte ein Bundesvorstandsmitglied, das in der morgigen Sitzung zu bremsen in der Lage ist, in der Kommission sein.

18 Der stellvertretende Parteivorsitzende Bucher warf der FDP in einem Gespräch mit Marburger Oberschülern vor, bei den Koalitionsverhandlungen im Bund und in Baden-Württemberg »taktische Fehler« begangen zu haben. »So habe sie sich bei den Verhandlungen mit den Sozialdemokraten in Bonn viel zu lange mit den Sachdiskussionen aufgehalten. Auch in der Frage der Steuererhöhungen habe die FDP eine zu starre Haltung eingenommen.« Vgl. den Artikel »Bucher: Taktische Fehler«; »Frankfurter Allgemeine« vom 16. Dezember 1966, S. 4. 19 Vgl. den Artikel »Mendes Position in der FDP gefährdet«; »General-Anzeiger« vom 14. Dezember 1966, S. 2. 20 Zur Sitzung des Bundesvorstands vom 17. Dezember 1966 vgl. FDP-BUNDESVORSTAND 1960–1967, Dok. 80.

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Dr. Dehler: Mischnick sollte mit Dr. Mende vor der Vorstandssitzung sprechen. Mischnick: Er ist bereit, bittet aber Dr. Dehler, ebenfalls an der Vorstandssitzung teilzunehmen. Dr. Starke: Er schlägt Dr. Haas als Mitglied der Kommission vor. Busse: Er bittet, ihn nicht zu benennen, da er in dieser Angelegenheit zu engagiert ist. Dr. Staratzke: Dr. Mende muß von der Kommission so vergattert werden, daß auch er nichts verlauten läßt. Sander: Dr. Dehler sollte den Vorsitz der Kommission übernehmen. Dr. Haas: Er hat sich niemals gescheut, auch unangenehme Aufgaben zu übernehmen, möchte aber doch an dieser Kommission nicht teilnehmen. Schultz: Aus Termingründen bittet er ebenfalls, von der Mitarbeit in der Kommission entbunden zu werden, da er erst wieder am 9. Januar 1967 zur Verfügung steht. Funcke: In der Kommission muß jemand mitarbeiten, der an der Landesausschußsitzung unmittelbar teilgenommen hat. Busse hat hier den Bericht über diese Sitzung gegeben und sollte auch in der Kommission mitwirken. Ertl: Um der Partei willen bittet er Dr. Haas um Teilnahme. Ollesch: Die Kommission sollte nicht mehr als drei Abgeordnete umfassen. Mischnick: Er appelliert an Busse und Dr. Haas, in der Kommission mitzuarbeiten. Die Fraktion beschließt, eine Kommission zur Untersuchung der Vorfälle in der NRW- Landesausschußsitzung in Essen zu bilden und beruft Dr. Dehler, Busse, Dr. Haas und Schultz als Mitglieder der Fraktion. Weiterhin wird beschlossen, daß die Fraktion einen Brief an den Parteivorsitzenden schreibt (siehe Anlage)21, den der amtierende Vorsitzende der Fraktion unterschreibt. In diesem Schreiben soll Dr. Mende gebeten werden, der Kommission zu allen gewünschten Auskünften zur Verfügung zu stehen und gebeten werden, sich nicht zu den Vorgängen in Essen öffentlich zu äußern. Das gleiche wird Mischnick Dr. Mende vor Beginn der morgigen Bundesvorstandssitzung sagen. Dr. Dehler: Es handelt sich um drei zu untersuchende Komplexe, und zwar: 1. NRW-Landesausschußsitzung in Essen, 2. Information des »Stern« über angebliche Äußerungen von Borm, 3. Information des »Stern« über angebliche Äußerungen von Ertl. Borm: Er dankt Mischnick für die gute Vertretung der Fraktion im Plenum22, kritisiert aber, daß er durch eine Vereinbarung nie mehr zu Wort gekommen ist. Es wäre für Ber- lin gut gewesen, wenn er noch die Möglichkeit gehabt hätte, im Plenum zur Regierungserklärung zu sprechen. Mischnick: Es erschien angebracht, bei diesem Stand der Debatte nicht in den Samstag zu gehen. Einzelne Sprecher, die den im Plenum anwesenden Vorstandsmitgliedern ein- gefallen sind, wurden noch um ihre Zustimmung gebeten, leider hat man es versäumt, an Borm zu denken. Mischnick schließt die Fraktionssitzung und spricht seine guten Wünsche für das neue Jahr aus.

21 Vgl. ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-771, Bl. 21 f. 22 Zu den Reden des Abg. Mischnick am 15. und 16. Dezember 1966 vgl. BT Plenarprotokoll 05/82, S. 3699–3706; 05/83, S. 3878–3880.

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