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Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database

Digitale Literatur/Digital Literature

Zeitschrift/Journal: Nachrichten des Entomologischen Vereins Apollo

Jahr/Year: 2007

Band/Volume: 28

Autor(en)/Author(s): Weiss Michael

Artikel/Article: Zwei Generationen nordspanischer Euthrixpotatoria (Linnaeus, 1758) unter Bedingungen einer Zimmerzucht 85-87 Nachr. entomol. Ver. Apollo, N. F. 28 (1/2): 85–87 (2007) 85

Zwei Generationen nordspanischer potatoria (Linnaeus, 1758) unter Bedingungen einer Zimmerzucht (, )

Michael Weiss Dr. Michael Weiss, Hintergasse 5, D-35469 Allendorf a. d. Lumda, Deutschland; [email protected]

Zusammenfassung: Aus den Eiern eines Weibchens der responsible for the inhibition of the otherwise regularly Trinkerin (Euthri­x po­tato­ri­a (Linnaeus,1 758)) aus Nordspa­ occurring larval winter diapause after 3rd larval instar. nien (Gebiet Picos de Europa, Provinz Santander) konnte There was no phenotypic difference between adults of the eine 2. Generation gezogen werden. Bivoltinität wurde bei first and the second generation. All bred female had dieser Art bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Hohe, reduced forewing discoidal spots with the prominent white konstante Temperaturen von etwa 25–28°C erscheinen für scales mostly missing. The hindwing diagonal band was die Bildung einer 2. Generation sehr gün­tig, wobei Dauer always reduced to a dark line. All males were of the dark type und Höhe der Temperatureinwirkung sowie das sensible and thus did not correspond with those of ssp. oc­ci­dentali­s Entwicklungsstadium und dessen zeitlicher Auslösezeitpunkt (Lempke, 1949) from western France and the Netherlands. gegenwärtig noch unklar sind. Die Falter der F2-Generation In comparison with larvae from central Europe the lateral waren mit ihren Eltern vom Phänotyp her identisch. line hair tufts were not white but brownish throughout. Weibliche spanische Imagines hatten aber immer reduzierte Vorderflügel-Diskoidalflecken mit fehlenden oder einem geringen Anteil weißer Schuppen sowie einem liniendünnen Einleitung Diskoidalband im Hinterflügel. Die Männchen gehörten alle zur dunklen Färbungsvariante, was vom hellen Typ der ssp. Euthri­x po­tato­ri­a (Linnaeus, 1758), die Trinkerin, ist in o­cci­dentali­s (1Lempke, 949) aus Westfrankreich und den Spanien eine verbreitungsbedingt seltene Art. Sie tritt, Niederlanden abweicht. Bei den Raupen waren die sonst wie etliche andere mitteleuropäische Schmetterlings­ weißen Haarbüschel der unteren Seitenlinie durchgehend arten, nur in einem kaum 50 km tiefen Streifen vom spa­ bräunlich verfärbt. nischen (und französischen) Baskenland im Osten bis zur Two annual generations of Euthrix potatoria (Linnaeus, Grenze mit Galicien (Provinz Gijón) auf. Weiter östlich 1758) from northern Spain under indoor conditions besteht zudem eine sich von dem genannten Streifen ent­ (Lepiodoptera, Lasiocampidae) lang der Südpyrenäen bis zur französischen Grenze am Abstract: From a female of Euthri­x po­tato­ri­a (Linnaeus, Mittelmeer ableitende „Verbreitungstasche“ (de Freina & 1758) found in northern Spain (province Santander, Picos Witt 1987). de Europa area) a second generation was bred. Bivoltinity for this species has been unknown thus far. It is assumed Ein am 20. vii. 2000 in Los Llanos (Nordspanien, Provinz that consistently high temperatures between 25 and 28°C Santander, westl. Potes, Höhe ca. 700 m) gegen 1 h nachts during the rearing process under indoor conditions were am Licht gefangenes ♀ legte rund 60 Eier ab. 1 2

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Abb. 1, 2: Raupen (L4/5) von Euthrix potatoria aus Nordspanien aus der beschriebenen Zucht. Abb. 3: ♂, Abb. 4: ♀ aus der Zucht. — Nicht im gleichen Maßstab.

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Der Lebensraum war ein enges, stellenweise naturnahes ♂♂ (3 Stück): Sie entsprechen der „dunklen“ und nicht Bachtal, an das eine höhergelegene, das Tal begleitende der „hellen“ Färbungsvariante, wie sie für die ssp. oc­ci­­ schmale Asphaltstraße angrenzt. In Intervallen traten dentali­s Lempke, 1949 Westfrankreichs und der Nieder­ Schilfinseln in der Uferzone des Bachs auf. lande beschrieben ist, bei Forster & Wohlfahrt (1960) abgebildet werden und wohl mit den nordspanischen Ergebnisse Stücken in näherer verwandtschaftliche Beziehung stehen könnten. Eine problemlose Zucht in Deutschland als Zimmer­ zucht an zunächst Knäulgras (Dactyli­s glo­merata) und Diskussion später Schilfgras (Phragmi­tes co­mmuni­s, beides ) ergab die F -Generation der Falter, ohne daß eine Dia­ Ebert (1994) bezeichnet die Art für Baden-Württem­ 1 pausewilligkeit der Raupen feststellbar gewesen wäre. berg als (grundsätzlich) univoltin. In einer Fußnote Allerdings lagen die Temperaturen im viii. 2000 im wird allerdings auf ein am 11. ix.1 928 im Raum Pforz­ Vergleich zu durchschnittlichen Jahren sehr hoch und heim gefangenes ♀ hingewiesen und eine „teilweise 2. auch nachts am Ort der Zucht (Wohnraum) während Generation im August, September“ zumindest in den mindestens 2 Wochen über 25(–28)°C. Die Falter der 2. Bereich des Möglichen gerückt. Die von Ebert (1994) Generation schlüpften dann Anfang bis Mitte x. 2000. wohl eher als Randbemerkung geäußerte Vermutung ist Die Falter waren normal groß und wichen auch im Phä­ insofern von Interesse, als das Jahr 1928 in Mitteleuropa notyp nicht erkennbar von bekannten Darstellungen in ein sehr heißes, für Falter sehr günstiges Jahr war. So der gängigen Literatur ab. trat zum Beispiel der Wanderfalter Co­li­as cro­ceus im Jahr 1928 um Frankfurt am Main in so großer Zahl auf, daß Die jungen Raupen der im Oktober geschlüpften 2. Gene­ Steeg (1961) dies als „Massenflug“ bezeichnete. ration gingen Ende x. bei deutlich kühlen Temperatu­ In der einschlägigen spanischen Literatur wird kein Hin­ ren (in einem nicht beheizten Raum) um 10°C ab L3 in die Winterdiapause über. Anfang vii. 2001 ergaben sie weis auf eine fakultative Bivoltinität der Art geliefert. normale Falter. Danach überwintern die Raupen (wohl) auch in Spanien nach der dritten Häutung, wobei die Diapause von x./ Die Raupen der gezüchteten Tiere zeigten Unterschiede xi. bis zum folgenden iv. dauern soll (Gomez Bustillo & zu mitteleuropäischen Stücken, unabhängig von der Fernandez Rubio 1976). Generationenfolge: Alle ausgewachsenen Raupen besa­ ßen konstant eine schmutzigbräunlich verfärbte, sonst Von anderen Insekten ist bekannt, daß Außeneinflüsse bekanntlich durchgehend weiße Seitenlinie (Abb. , 2; (zum Beispiel durch zur Schädlingskontrolle eingesetzte als Vergleich siehe zum Beispiel Ebert 1994, Weidemann Insektenwachstumsregulatoren, „IWR“) nur in einer zeit­ & Köhler 996). Auch ist die subdorsale, sonst als tief lich eng begrenzten Entwicklungsphase der Larve („sen­ sible Phase“) wirksam werden können. orangerot beschriebene Längslinie gelb bis gelblichweiß und weist nur als Ausnahme Spuren von Orange auf. Denkbar wäre, daß während des L3-Stadiums von E. Andererseits zeigen auch britische und skandinavische po­tato­ri­a eine solche, hier temperatursensible, Phase auf­ Raupen eine zum Bräunlichen tendierende Färbung tritt, die über das Eintreten in die Winterdiapause oder der Seitenlinie, und die subdorsale Längslinie kann gelb­ deren Unterdrückung entscheidet. Zur Bildung einer 2. lich und stark in Einzelelemente aufgelöst erscheinen, Generation müßten dabei die Temperaturen dauerhaft so daß bei den Raupen der Art im europäischen Raum einen spezifischen Schwellenwert überschreiten. Hier­ insgesamt ein breiter Variationsspielraum besteht. Diese bei kann zunächst nichts über die zeitliche Länge die­ Variabilität, mitunter innerhalb der Nachkommen eines ses „Muß-Zeitraums“ oder die „Muß-Höhe“ der Tem­ ♀, kennen wir auch von den Raupen vieler anderer peratur bei E. po­tato­ri­a gesagt werden und auch nichts Schmetterlingsarten. über die Toleranzbereitschaft der Raupe, einen kurz­ zeitigen Temperatursturz, welcher Qualität und Dauer Abschließend ein Wort zur Zeichnung und Färbung der auch immer, hinzunehmen, ohne die Vorbereitungen gezüchteten spanischen Imagines im Vergleich mit west- zur Winterdiapause zu verschieben beziehungsweise und mitteleuropäischem Material: doch zu betreiben. Ein solcher Schwellenwert müßte ♀♀ (7 Stück): Der Diskoidalfleck des Vorderflügels ist (artspezifisch) höher liegen als bei solchen Arten (zum immer kaum erkennbar. Damit verschwindet auch die Beispiel von Lasiocampiden), bei denen eine partielle auffallende weiße Beschuppung, oder sie ist nur spär­ zweite Generationen im Freiland „in günstigen Jahren“ lich vorhanden. Das braune Diskoidalband des Hinter­ nachgewiesen wurde oder züchterisch leicht belegbar flügels tendiert zur Linie und ist nie eine breite Binde. ist (zum Beispiel bei Gastro­pacha querci­fo­li­a (Linnaeus, (Die aus Nordspanien von de Lattin 1968 als „f. agenjo­i­“ 1758), der Kupferglucke; Ebert 1994). Auch würde beschriebene „geographische ♀-Variante aus Santander, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer zweiten hell mit einer nur teilweise deutlichen äußeren trans­ Generation mit der Annäherung der Art an südliche versalen Binde der Vorderflügel“, wurde im erhaltenen (hier südwestliche, denkbar aber auch für südöstliche) Material nicht gefunden.) Verbreitungsgrenzen in tieferen Lagen wachsen. Dies

© Entomologischer Verein Apollo e. V., Frankfurt am Main 87 wäre an Hand der Daten von Sammlungsmaterial zu prü­ mit sicherlich heißen Augusttemperaturen, E. p. bara­ fen. baensi­s (Dubatolov, 1992), wurde Ende vii./Anfang viii. Der scheinbare Zuwachs an Verbreitungsfläche von E. angetroffen. Von Fängen in ix./x. wird gegenwärtig nicht po­tato­ri­a in Spanien innerhalb von nur ca.  Jahren berichtet, siehe Dubatolov & Zolotuhin (1992). Dies (Vergleich der Verbreitungskarten von Gomez Bustillo wäre zu überprüfen. & Fernandez Rubio 1976 und de Freina & Witt 987) zeigt wohl weniger eine reale Arealvergrößerung von Literatur E. po­tato­ri­a an, sondern weist eher auf die zunehmende de Freina, J. J., & Witt, T. J. (1987): Die Bombyces und Sphinges Schließung von geografischen Erfassungslücken der in der Westpaläarktis, Band 1. — München (Edition Forschung Spanien nur lokal verbreiteten und nicht häufig gefan­ & Wissenschaft), 616 S. genen Art hin. Leicht vorstellbar also, daß in Gebieten Dubatolov, V. V., & Zolotuhin, V. V. (1992): Eine Liste der Lasio­ mit des öfteren dauerhaft hohen Augusttemperaturen campidae von der Gegend der ehemaligen UDSSR (Insecta, die zweite Generation bei E. po­tato­ri­a lokal die Regel Lepidoptera). — Atalanta 23: 531–548. darstellt oder zumindest häufiger vorkommen könnte Ebert, G. (1994): Lasiocampidae. — S. 14–91 i­n: G. Ebert (Hrsg.), als bisher bekannt ist. Habituell erkennbare Saisondimor­ Die Schmetterlinge Baden-Württembergs, Band 4: Nachtfal­ phismen in den beiden Generationen treten ja offenbar ter II. — Stuttgart (Ulmer), 535 S. nicht auf, da im Zuchtresultat kein Unterschied zwischen Forster, W., & Wohlfahrt, T. A. (1960): Die Schmetterlinge Mit­ 1. und 2. Generation gefunden wurde. teleuropas, Band 3, Spinner und Schwärmer (Bombyces und Sphinges). — Stuttgart (Franckh), 239 S. Die altbekannte Zuordnungsproblematik zwischen ver­ Gomez Bustillo, M. R., & Fernandez Rubio, F. (1976): Mariposas späteten Vertretern einer . Generation und solchen de la Peninsula Iberica, Heteroceros I. — Madrid (Mini­terio einer „echten“, vielleicht nur partiellen 2. Generation de Agricultura), 304 S. wäre für diese Art weiterhin aktuell, wäre nicht die 2. Steeg, M. (1961): Die Schmetterlinge von Frankfurt am Main und Generation nunmehr dokumentiert worden. In diesem Umgebung mit Angaben der genauen Flugzeiten und Fund­ Sinne aufschlußreich könnte, wie bereits angesprochen, orte. — Frankfurt am Main (Internationaler Entomologischer die Überprüfung von im Freiland gefangenen E. po­tato­­ Verein e. V.), 122 S. ri­a in südosteuropäischen Verbreitungsgebieten und dar­ Weidemann, H. J., & Köhler, J. (1996): Nachtfalter, Spinner und über hinaus mit stabil hohen Spätsommertemperaturen Schwärmer. —- Augsburg (Naturbuch), 512 S. sein. Beispielsweise die Unterart der Steppen und Wald­ steppen des südlichen Teils der westsibirischen Ebene Eingang: 10. i.7 200

© Entomologischer Verein Apollo e. V., Frankfurt am Main, Juli 2007 ISSN 0723-9912

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