LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

INDIEN DR. LARS PETER SCHMIDT Wahlbündnis um JD-U gewinnt MARK ALEXANDER FRIEDRICH Regionalwahlen in MARCEL SCHEPP

BJP KANN WÄHLERZUSPRUCH NICHT IN PARLAMENTSSITZE UMWANDELN 19. November 2015

www.kas.de/indien Bei den zwischen dem 12. Oktober und Narendra Modis hochstilisiert. Tatsache ist, 5. November 2015 abgehaltenen Regi- dass es der BJP nicht gelang, an den Mehr- onalwahlen im nordindischen Bundes- heitsverhältnissen in der zweiten Kammer staat Bihar erzielte das Wahlbündnis des indischen Parlaments, der Länderkam- aus (United) (JD-U), Rash- mer Rajya Sabha, zu rütteln. Dort besitzt triya Janata Dal (RJD) und Kongress- die Partei im Gegensatz zur Ersten Kammer partei (INC) einen klaren Sieg. Der (dem national gewählten Abgeordnetenhaus (BJP), die nach Lok Sabha) keine Mehrheit. Dies wäre je- Anzahl der Stimmen stärkste Partei doch auch bei einem klaren Wahlsieg der wurde, gelang es nicht, die Wähler- BJP in Bihar nicht der Fall gewesen. Nach stimmen in Mandate umzusetzen. Nit- dem verpassten Sieg bei den Regionalwah- ish Kumar (JD-U) bleibt damit Minis- len wird die Zentralregierung zur Umset- terpräsident des nach Bevölkerung zung ihrer Reformen, etwa der Einführung drittgrößten indischen Bundesstaats. einer landesweit einheitlichen Mehrwert- steuer (deren Einführung Kumar im Übrigen Während das „Mahagatabandhan“ – Grand unterstützt), vermehrt Kompromisse mit Alliance (GA) – getaufte Wahlbündnis von der Opposition eingehen müssen. JD-U, RJD und Kongress 178 von 243 Sitzen gewann, konnte sich das von der BJP und Ehemalige Koalitionspartner als Gegner ihrem Premierminister ge- führte Wahlbündnis National Democratic Al- Bei den letzten drei Wahlen in Bihar war die liance (NDA) nur 58 Sitze sichern, von de- JD-U noch Teil des NDA-Wahlbündnisses nen 53 auf die BJP entfielen. Im indischen gewesen und hatte gemeinsam mit der BJP Mehrheitswahlsystem werden Wahlkreise eine Reformpolitik vorangetrieben, die in von Direktkandidaten mit einfacher Mehr- dem armen Bundesstaat zu spürbaren Ver- heit gewonnen. Obwohl die BJP hinsichtlich besserungen führte. Im Zusammenhang mit der Einzelstimmen die stärkste Partei war den indischen Parlamentswahlen 2014 kam und als einzige der vier großen Parteien ei- es allerdings zum Bruch zwischen Nitish nen deutlichen Zuwachs des Stimmanteils Kumar und Narendra Modi. Der RJD und die verzeichnen konnte, gelang es ihr nicht, Kongresspartei nutzen dieses Zerwürfnis in Wählerstimmen in Parlamentssitze umzu- der Folge, um gemeinsam mit Kumar die wandeln. So waren letztlich Nitish Kumars Grand Alliance zu schmieden. JD-U, Lalu Prasad Yadavs RJD und die von ihrem Vizepräsidenten Rahul Gandhi im Bei den Regionalwahlen 2015 trat die JD-U Wahlkampf stark unterstützte Kongresspar- also gemeinsam mit der RJD an, der Partei tei die Gewinner der in fünf Wahlgängen des ehemaligen indischen Eisenbahnminis- abgehalten Wahl.1 ters Lalu Prasad Yadav, welcher Bihar von 1990 bis 1997 als Chief Minister (etwa: Mi- Die Wahlen wurden von den Medien zu einer nisterpräsident) regierte. Aufgrund einer Schicksalswahl für die Zentralregierung Anklage wegen Unterschlagung musste er das Amt anschließend an seine Frau abge- ben, welche den Bundesstaat bis 2005 re- gierte. Kritiker bezeichnen diese Periode als 1 Für die Wahlergebnisse im Detail, s. Anhang, Seite 4 (vgl. Election Commission of India, URL: eci.nic.in/).

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Zeit der Misswirtschaft und Korruption. durchaus für Konfliktpotential zwischen RJD Nicht selten fällt in diesem Zusammenhang und JD-U sorgen. INDIEN das geflügelte Wort „Jungle Raj“ – Dschun- DR. LARS PETER SCHMIDT gelherrschaft. Lalu Prasad selbst wurde Besonders bemerkenswert ist die Entwick- MARK ALEXANDER FRIEDRICH 2013 im o. g. Fall zu fünf Jahren Gefängnis lung der Kongresspartei, welche mit einem MARCEL SCHEPP auf Bewährung verurteilt und für diese Zeit von 8,3 auf 6,7 Prozent gesunkenen Stim- von einer Kandidatur für öffentliche Ämter manteil die Zahl seiner Sitze von 4 auf 27 19. November 2015 ausgeschlossen. Nichtsdestotrotz besitzt erhöhen konnte. Für den Kongress, der bei Lalu Prasad insbesondere in seiner Kaste den letzten Wahlen auf nationaler wie bun- www.kas.de/indien der mehrheitlich land- und viehbesitzenden desstaatlicher Ebene starke Verluste erlei- Yadavs ein großes Wählerpotential. Das den musste, stellt das Ergebnis einen Hoff- Bündnis setzte daher im Wahlkampf darauf, nungsschimmer in Zeiten der Neuorientie- dass die JD-U für Entwicklung stünde, wäh- rung dar. rend die RJD sich für die sozial und wirt- schaftlich Benachteiligten einsetzen würde. Lehren aus Bihar Die BJP wiederum betonte die eigene Ent- wicklungsagenda und versprach Vorteile für Während die Hochstilisierung zur Schick- den Fall einer einheitlichen Regierung im salswahl für die Reformagenda der Regie- Bundesstaat und auf nationaler Ebene, u. a. rung Modi voreilig erscheint, lassen sich aus mithilfe eines Entwicklungspakets von um- den Wahlen dennoch Lehren für den Rest gerechnet 17,5 Mrd. Euro. Entsprechend des Landes ableiten. So ist, wie schon bei stellte die Partei keinen Spitzenkandidaten den Regionalwahlen in Delhi, deutlich ge- für die Wahl auf, sondern warb mit Minis- worden, dass es für die BJP keinen Automa- terpräsident Modi als Gesicht der Partei. tismus gibt, mit dem Schwung der gewon- Stark polarisierende Aussagen einzelner nenen Parlamentswahlen und dem charis- BJP-Mitglieder erschwerten überdies den matischen Modi als Person Wahlen in den Wahlkampf. Der BJP gelang es in der öffent- Bundesstaaten zu gewinnen. Zwar gelang lichen Wahrnehmung nicht, sich davon aus- es Modi bei seinen öffentlichen Auftritten reichend zu distanzieren. große Menschenmassen zu mobilisieren und der BJP mit diesem Ansatz die meisten Nach dem Bruch der Koalition gelang es der Wählerstimmen einzubringen. Allerdings BJP bei den Parlamentswahlen 2014 31 von zeigt sich auch, dass gerade Regionalwahlen 40 Sitzen aus Bihar zu gewinnen. Nachdem in Indien nach wie vor von lokal veranker- die RJD nur 4 bzw. JD-U und Kongress nur ten Kandidaten und Bündnissen und nicht jeweils 2 Sitze gewannen, erschien die BJP nur von den Parteispitzen gewonnen wer- als Gewinner des Machtkampfes in dem den. Dies gilt umso mehr, wenn die Spit- Bundesstaat. Gerade Lalu Prasad und die zenkandidaten beider Lager ein ähnliches von diesem betriebene Politik auf Grundlage Profil haben, wie mit den Reformern Kumar von Kastenzugehörigkeit wurde von einigen und Modi in Bihar der Fall. Die finanziell als überwunden bezeichnet. Diese Annah- besser aufgestellte BJP unterschätzte dies men stellen sich nun als verfrüht heraus. ebenso, wie dass Kumar als amtierender Ministerpräsident schon konkrete Erfolge bei Obschon die RJD mit 80 Sitzen bei den der Implementierung von Reformen vorwei- Wahlen in Bihar stärkste Partei wurde, be- sen kann. Unterschätzt wurde nicht zuletzt tonte Lalu Prasad am Tag der Auszählung, auch der professionell geführte Wahlkampf dass , dessen Partei 71 Sitze der GA, die eigens für die Wahlen den Ma- errang, weiterhin Ministerpräsident bleibe. nager des BJP-Wahlkampfs bei den Parla- Lalu Prasad, aufgrund seiner Bewährungs- mentswahlen 2014, Prashant Kishor, enga- strafe ohnehin von öffentlichen Ämtern aus- giert hatte. geschlossen, verkündete, dass er sich nun der nationalen Agenda der Grand Alliance Weiterhin zeigt sich, dass die indischen (GA) widmen werde. Dies wiederum könnte Wähler zwischen nationaler und bundes- in der anstehenden Legislaturperiode staatlicher Ebene unterscheiden und regio- nale Prioritäten setzen. Einige Beobachter

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. meinen sogar, eine generelle Tendenz zu unterschiedlichem Wahlverhalten bei Parla- INDIEN mentswahlen vis à vis Regionalwahlen zu DR. LARS PETER SCHMIDT erkennen. In jedem Fall bedeutet die Be- MARK ALEXANDER FRIEDRICH reitschaft zur differenzierten Stimmabgabe MARCEL SCHEPP und die höchste Wahlbeteiligung seit 15 Jahren (56,8 Prozent), dass die indische 19. November 2015 Demokratie entgegen eines oftmals von au- ßen vermittelten Eindrucks überaus pluralis- www.kas.de/indien tisch ist. Besonders bemerkenswert ist, dass der Stimmanteil bei Frauen mit 63,6 Prozent sogar noch deutlich über dem Durchschnitt lag.

Von überregionaler Bedeutung könnten die Ergebnisse des INC und von Nitish Kumar sein. Das Ergebnis des Kongresses zeigt, dass die von manchen totgesagte Partei nicht abgeschrieben werden sollte. Mit dem nun zum dritten Mal zum Ministerpräsiden- ten gewählten Nitish Kumar, dem durchaus höhere Ambitionen nachgesagt werden, könnte indes ein Kontrahent erwachsen sein, um Modi bei den Parlamentswahlen 2019 auf nationaler Ebene herauszufordern.

Gleiches gilt indes auch für Lalu Prasad, der sowohl regional als auch national gestärkt und zumindest in Teilen rehabilitiert aus den Wahlen hervorgeht. Dessen Rückenwind könnte sich mittelfristig als problematisch für Nitish Kumar und die Grand Alliance in Bihar erweisen.

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INDIEN DR. LARS PETER SCHMIDT Ergebnisse der Regionalwahlen in Bihar MARK ALEXANDER FRIEDRICH MARCEL SCHEPP Wahlbündnis Partei Sitze Stimmenanteil Stimmen

19. November 2015 2015 2010 2015 2010 2015 www.kas.de/indien Grand Alliance (GA) JD-U 71 115 16,8% 22,6% 6.416.414

(„Mahagatabandhan“) RJD 80 22 18,4% 18,8% 6.995.509

INC 27 4 6,7% 8,3% 2.539.638

BJP 53 91 24,4% 16,4% 9.308.015

LJP 2 3 4,8 % 6,7 % 1.840.834 National Democratic Alliance (NDA) RLSP 2 0 2,6 % n/a 976.787

HAM 1 0 2,3 % n/a 864.856