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HERPETOLOGIE ÖKO·L 39/1 (2017): 13-21 Die Schling- oder Konsulent Hans ESTERBAUER Glattnatter, Coronella Joh.-Puch-Str. 27/III/5 aurenti A-4400 Steyr austriaca L , 1768 [email protected] Eine bedrohte Schlangenart, die oft verwechselt wird

Abb. 1: Die Rückenzeichnung der Schlingnatter besteht aus relativ stark ausgeprägten paarigen oder gegeneinander versetzten, dunklen Flecken, die den Eindruck zweier undeutlicher Längsstreifen vermitteln. Foto: Karin Obereder

Kaum eine Tiergruppe weckt bei uns so ambivalente Gefühle wie die Schlangen Unterarten und das schließt auch die Schlingnatter, Coronella austriaca, ein (Abb. 1). Sie gehört wie alle unsere vier heimischen Natternarten zur Unterfamilie , Derzeit werden drei Unterarten der Land- und Baumnattern, aus der Familie der , der Echten Nattern, die mit mehr als 1.700 Arten rund zwei Drittel der heute lebenden Schlangenarten Schlingnatter unterschieden. Neben ausmachen. der Nominatform, Coronella austriaca austriaca (Laurenti, 1768), die den Coronella austriaca wurde 1768 vom österreichischen Arzt, Naturforscher, Her- größten Teil des Areals einnimmt, sind petologen und Zoologen Josephus Nicolaus Laurenti anhand von Exemplaren aus dies Coronella austriaca acutirostris dem Wiener Raum beschrieben und der von ihm eigens geschaffenen Gattung Malkmus 1995, eine im Vergleich zur „Coronella“ zugeordnet. Der heute gültige wissenschaftliche Name Coronella Nominatform relativ kleinwüchsige austriaca wurde aus der mitunter herz- oder kronenförmigen Hinterkopfzeichnung Schlange mit deutlichen Unterschie- der Schlingnatter (lat. coronella = Krönchen, Abb. 2) sowie des Herkunftslandes den in der Kopfbeschuppung und der zuerst von Laurenti beschriebenen Exemplare (lat. austriaca = österreichisch) Schnauzenform in Nord- und abgeleitet. angrenzenden Region der Iberischen Ihr Trivialname Schlingnatter bezieht sich auf die Art des Tötens der Beute durch Halbinsel sowie Coronella austriaca Kontraktion (Erdrücken). Der weitere Name „Glattnatter“ ist auf das sehr glatte fitzeringi (Bonaparte 1840) in Süd- Schuppenkleid – die Schuppen sind nicht gekielt – zurückzuführen (Abb. 3). italien und Sizilien, deren eigener

ÖKO·L 39/1 (2017) 13 Abb. 2: Auf der Kopfoberseite der Schlingnatter befindet sich meist Abb. 3: Die Rückenzeichnung der Schlingnattern ist sehr individuell ein dunkelbrauner, mehr oder weniger symmetrischer Fleck, der ausgebildet. Die Schuppen sind glatt und waren für den zweiten ausschlaggebend für den Gattungsnamen Coronella war. Trivialnamen „Glattnatter“ ausschlaggebend. Foto: Hans Esterbauer Foto: Hans Esterbauer

Abb. 4: Die Schlingnatter besiedelt im Allgemeinen ein breites Abb. 5: Solche Trockensteinmauern als Kleinstrukturen werden von Biotopspektrum, wie zum Beispiel locker bewachsene Böschun- den Schlingnattern als Sonnplätze und Verstecke gerne genutzt. gen. Foto: Hans Esterbauer Foto: Hans Esterbauer

Abb. 6: Verbreitung der Schling- oder Glattnatter, Coronella austriaca, in Österreich (aus Cabela u. a. 2001, Umweltbundesamt Wien).

14 ÖKO·L 39/1 (2017) Status aber von vielen Autoren in Frage gestellt wird (z. B. Lanza 1973, Kramer u. a. 1982, Malkmus 1995).

Verbreitungsgebiet / Lebensraum

Die Schlingnatter verbreitet sich nahezu in ganz Europa. Sie fehlt le- diglich in Irland sowie in weiten Teilen Großbritanniens und Skandinaviens. Zudem reicht ihr Verbreitungsareal bis nach Westsibirien und in den mittleren Osten. Über den Ural hinaus erreicht sie das Südufer des Kaspis- chen Meers. Als xerophile (Trockenheit liebende) Art besiedelt sie eine Vielzahl unter- schiedlich anthropogen (vom Men- schen) beeinflusster Gebiete. In Abb. 7: Gelegentlich sonnen sich Schlingnattern auch auf Terrassen. In zwei Fällen diesem breiten Spektrum von offe- drangen sie sogar in bewohnte Häuser ein und versteckten sich hinter den Plafond- nen bis halboffenen Lebensräumen Verkleidungen. Foto: Gabriele Abfalter werden Standorte mit heterogener Vegetationsstruktur, sonnexponierten Trockenbereichen sowie steinigem und Wärme speichernden Untergrund bevorzugt (Abb. 4, 5). Grundvoraus- setzung für die Lebensraumwahl ist ein ausreichendes Angebot an Beutetieren. In Österreich kommt die Schling- natter in allen Bundesländern vor und ist eine typische Bewohnerin des Flach- und Hügellandes (Abb. 6). Sie dringt nur an klimatisch begünstigten Stellen weiter in die (sub-) alpine Zone vor. Sie ist von allen Schlangen Österreichs diejenige, die sehr tro- ckene und warme Orte bevorzugt. Während Funde bis 1.000 Meter Seehöhe regelmäßig vorkommen, Abb. 8: Diese juvenile Schlingnatter verirrte sich in das Abflussrohr eines Hauses und existieren nur wenige glaubwürdige wurde in letzter Minute von Mitarbeitern einer Kanalreinigungsfirma vor dem sicheren Tod Nachweise aus Höhenlagen von bis gerettet. Foto: Hans Esterbauer zu 1800 Metern (Hill 2016). In Oberösterreich (Steyr, Steyr-Land und Linz-Land) sowie im angren- zenden Niederösterreich (Großraum St. Peter in der Au) konnte ich in den letzten Jahren ein vermehrtes Auf- treten der Schlingnatter feststellen. Dies kann aber auch das Ergebnis der erleichterten Kommunikation mittels Mobiltelefon und die Sensibilisierung der Bevölkerung sein, die nun noch wenige Schlangen tötet, wie es bis vor einigen Jahren noch Usus war. Nun bemüht man sich beim Auftreten der Kriechtiere in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern vermehrt um Hilfe reptilienkundiger Personen. Die ansonst sehr scheue Schling- natter scheint in den letzten Jahren verstärkt die Nähe von menschlichen Abb. 9: Die Schlingnatter ist trotz ihrer weiten Verbreitung ziemlich unbekannt und im Siedlungen zu suchen. Immer öfter natürlichen Habitat schwierig zu beobachten, was wohl an ihrer sehr versteckten Lebens- werden diese Reptilien in Vor- bzw. weise liegt. Foto: Hans Esterbauer

ÖKO·L 39/1 (2017) 15 Hausgärten bemerkt oder sonnen sich zum Leidwesen der Bewohner mitunter auch auf den Terrassen (Abb. 7). In zwei Fällen drangen sie sogar in bewohnte Häuser in Steyr ein und verkrochen sich hinter den Plafond-Verkleidungen. Am 6. September 2016 bekam ich von einem Mitarbeiter einer Kanal- reinigungsfirma einen Anruf, dass eine vermeintlich exotische Schlan- ge, vermutlich eine Kornnatter das Abflussrohr eines Hauses zur Kana- lisation verstopft habe. Bei meiner Ankunft konnte ich die Schlange, die inzwischen von den Kanalarbeitern geborgen und in einem Plastikbe- hälter untergebracht worden war, als Abb. 10: Die sehr standorttreue Schlingnatter nutzt häufig die gleichen gut besonnten, trock- juvenile Schlingnatter von 24 Zenti- enen Plätze, um als wechselwarmes Tier Sonnenenergie für ihre Aktivitäten zu tanken. metern Länge identifizieren. Die klei- Foto: Sandra Schnabellehner ne Natter war in einem erbärmlichen Zustand und es fehlte ihr ein Teil des Schwanzes (Abb. 8). Sie konnte aufgrund ihrer Größe unmöglich den Abfluss verstopft haben!

Lebensweise / Nahrung

Wie alle Reptilienarten ist auch die Schlingnatter von den Klima- und Wetterverhältnissen abhängig, nach denen sich ihre Jahres- und Tages- aktivität richtet. Die überwiegend tagaktive Natter verlässt in Öster- reich ihr Ende Oktober (bis Anfang November) aufgesuchtes frostfreies Winterquartier meist Mitte/Ende März bis Anfang April.

Die Schlingnatter ist zwar die am weitesten verbreitete Schlange in Abb. 11: Eine junge Schlingnatter hat eine Blindschleiche Anguis fragilis Linnaeus, 1758, Österreich, gehört aber gleichzeitig erbeutet. Kleinere Beute wird direkt geschluckt. Größere, wie die Blindschleiche, wird zu den unbekanntesten unter den erdrosselt. Foto: Andreas Koch heimischen Arten (Abb. 9). Denn die Natter ist durch ihre Zeichnung perfekt getarnt und verschmilzt so regelrecht mit der Umgebung. Ob- wohl Schlingnattern im Allgemeinen als bodenlebende Schlangen gelten, sind sie dennoch geschickte Klette- rer, die durchaus in der Lage sind, selbst an einem senkrechten Stamm hochzukriechen. Als wechselwarmes Tier ist sie wie alle Reptilien auf die Sonnenwärme angewiesen, um ihren Körper auf die notwendige Temperatur zu bringen. Aber auch beim Aufwärmen achtet sie auf ihre Deckung und bevorzugt das indirekte Sonnenbaden, zum Beispiel unter aufgewärmten Steinen (Abb. 10).

Abb. 12: Die Schlingnatter ist eine langsame, geschmeidige Schlange und bewegt sich Adulte Tiere sind in der Regel aus- in ihrem Terrain nahezu geräuschlos fort, so dass sie potenziellen Feinden oft unbemerkt gesprochen standorttreu und halten entkommen kann. Foto: Hans Esterbauer sich in ihrem etwa drei Hektar großen

16 ÖKO·L 39/1 (2017) Abb. 13: Die Kreuzotter () wirkt stämmiger als die Schlingnatter. Ihr ovaler Kopf ist nur wenig vom Hals abgesetzt. Charak- teristisch sind ihre senkrecht stehenden Pupillen und das in der Regel verschmolzene Zackenband auf ihrem Rücken. Foto: Hans Esterbauer

Revier auf, das sich mit dem anderer Schlangen, Blindschleichen, Mäuse, tragen erbitterte Kommentkämpfe Individuen überschneiden kann. Gute nestjunge Vögel und größere Insekten aus. Anders als bei der verwandten Sonnplätze und Tagesverstecke sowie gefressen. Äskulapnatter, bei der die Kämpfe Winterquartiere werden oftmals über meist harmlos verlaufen (Esterbauer viele Jahre genutzt. Dabei zeigt sie Fortpflanzung 2014), kommt es bei den Schling- eine geringe Mobilität, da der mittlere natter-Rivalen zu Bissen, die dem Aktionsradius größtenteils nur einige Schlingnatternweibchen pflanzen sich Kontrahenten ernsthafte Verletzungen hundert Meter beträgt. je nach Umweltbedingungen (Ernäh- zufügen können. rungszustand) alle zwei bis drei Jahre Die Schlingnatter ist eine aktive fort. Sie sind ovovivipar; das heißt Nach einer vier- bis fünfmonatigen Jägerin und streift bei der Nahrungs- die Embryonalentwicklung verläuft Tragzeit werden Ende August bis Mit- suche langsam und aufmerksam im vollständig im Mutterleib. Der Em- te September durchschnittlich etwa Gelände umher. Hat sie mit Hilfe bryo ernährt sich dabei vom eigenen vier bis 12 vollständig entwickelte ihrer Sinnesorgane, vornehmlich des Eidotter und wird vom mütterlichen Jungtiere geboren. Bei der Geburt Jacobsonschen Organs (Züngeln mit Organismus nur mit Sauerstoff ver- sind sie etwa 12 bis 15 Zentimeter der tiefgespaltenen, zweizipfeligen sorgt. Während oder nach der Geburt, lang, ca. 2,5 bis 3,5 Gramm schwer Zunge!), ein potentielles Beutetier gelegentlich schon im Mutterleib, und von Anfang an selbstständig. ausgemacht, pirscht sie sich langsam befreien sich die Jungtiere von der Sie häuten sich einige Zeit (Stunden an es heran und stößt dann blitz- dünnhäutigen Eihülle. bis Tage) nach der Geburt und be- schnell zu, packt es mit ihren spitzen, ginnen unmittelbar danach mit der aglyphen Zähnen (glatte, ungefurchte Die Schlingnattern erkennen das Nahrungssuche. Für die Jungtiere Zähne im Gegensatz zu gefurchten Geschlecht ihrer Artgenossen anhand ist es überlebensnotwendig, noch vor Giftzähnen) und umschlingt es mehr- von Geruchsstoffen (Pheromonen). der Winterruhe ausreichend Nahrung fach mit dem muskulösen Körper, um Die Paarung findet nach der Winter- aufgenommen zu haben. es zu erdrosseln. Nach dem Tod des ruhe im April statt. Gelegentlich Opfers wird es Kopf voran als Ganzes wurden auch Herbstpaarungen be- Prädatoren / Bedrohung verschlungen (Abb. 11). Manchmal obachtet. Vor der Begattung erfolgt werden kleinere Beutetiere aber auch ein umfangreiches Paarungsritual. Die natürlichen Feinde der Schling- sofort und noch lebend gefressen. So Bei der Kopulation umschlingt das natter (Abb. 12) sind besonders alle erbeutet sie in erster Linie Echsen, Männchen das Weibchen mit seinem mittelgroßen karnivoren Säuger und die den Hauptanteil ihrer Nahrung Schwanz und hält es zumeist am Hals verschiedene Vogelarten. Nicht zu ver- oder am Kopf fest (Nackenbiss). Dann ausmachen. Während Jungschlangen gessen auch die freilaufenden Haus- versucht es, seine Kloakenspalte auf fast ausschließlich kleine Reptilien katzen. Potenziell wird ihr Bestand die des Weibchens zu platzieren, um erbeuten (falls sie in genügender auch durch Giftwirkung infolge Her- einen seiner Hemipenes in dessen Zahl vorhanden sind!), weisen adulte bizid- oder Insektizid-Einsatz (sowohl Kloake einzuführen. Tiere ein breiteres Nahrungsspektrum direkte Kontamination als auch über auf. Je nach Vorkommen und Häu- Männliche Artgenossen sind zu dieser die Nahrungskette) dezimiert. Aber figkeit werden von ihnen auch kleine Zeit untereinander sehr aggressiv und die größte Bedrohung für diese Natter

ÖKO·L 39/1 (2017) 17 Abb. 14: Schlingnattern sind verhältnismäßig kleine Schlangen Abb. 15: Die Schlingnatter ist im Vergleich zu den anderen hei- mit einem muskulösen Körper. Sie werden kaum länger als 80 mischen Nattern kleiner. Vom kräftigen Hals ist der klein wirkende Zentimeter und haben ein Gewicht von etwa 50 bis 80 Gramm. flache und eiförmige Kopf nur wenig abgesetzt. Foto: Hans Esterbauer Foto: Hans Esterbauer

Abb. 16: An den Kopfseiten der Schlingnatter zieht sich ein dunkles Abb. 17: Die Grundfärbung der Körperoberseite variiert in den Band vom Nasenloch über das kleine Auge mit der kreisrunden verschiedensten Grau-, Braun- oder Rostrottönen. Daher wird die Pupille bis hinter den Kopf. Schlange auch volkstümlich mitunter als Kupfernatter bezeichnet. Foto: Hans Esterbauer Foto: Gabriele Weis geht vom Menschen durch Habitat- von den Mundwinkeln durchs Auge Beschreibung zerstörung und Individuen-Verluste zu den Nasenlöchern und verbindet diese (Abb. 16). Grundfärbung und durch den Straßenverkehr aus. Die Schlingnattern sind recht zier- Zeichnung sind nach Alter und Stand- liche, schlanke Schlangen; sie Ein weiteres Bedrohungspotential ort unterschiedlich und reichen von erreichen eine Körperlänge von liegt in ihrer Ähnlichkeit mit der grau über braun, gelbbraun bis rostrot Kreuzotter, Vipera berus (Linnaeus, etwa 50 bis 70, gelegentlich bis 85 (Abb. 17). Entlang der Flanken weisen 1758), mit der sie bei flüchtiger Zentimeter. Ein Größenunterschied die meisten Exemplare ein oder zwei Betrachtung und fehlender Erfah- zwischen den Geschlechtern ist nicht Reihen dunkler Flecken auf (Abb. rung leicht verwechselt werden signifikant. Das Körpergewicht durch- 18). Eine weitere Reihe entlang des kann (Abb. 13). Daher werden leider schnittlich großer Tiere liegt im Mittel Rückens kann unterschiedlich stark noch immer – wenn auch weniger bei etwa 50 bis 80 Gramm (Abb. 14). ausgeprägt auch in zwei Reihen oft – Schlingnattern getötet, obwohl Die Schlingnatter ist somit (neben der Sprenkel aufgelöst sein. Die dunklen auch Kreuzottern unter Naturschutz vermutlich ausgestorbenen Wiesenot- Zeichnungselemente entlang des Rü- stehen! Von den etwa drei Dutzend ter, rakosiensis Méhely, ckens verschmelzen jedoch niemals „Hilferufen“, die ich in den letzten 1893) die kleinste der sechs in Öster- zu einem durchgehenden Zickzack- reich vorkommenden Schlangenarten. zwei Jahren bezüglich dieser Natter band wie es für die Kreuzotter typisch bekam, glaubten etwa 80 %, dass es Der mit großen Schuppen bedeckte ist (Nicolay u. Alfermann 2005). Der Bauch ist meist dunkel, rötlichbraun, sich um eine Kreuzotter handeln wür- eiförmige Kopf geht kaum merklich in orangerot, grau oder schwärzlich, de. Die vorhandenen Daten zur Be- den Hals über, die lidlosen Augen sind gelegentlich marmoriert (Abb. 19). standsentwicklung der Schlingnatter klein und die Pupillen rund (Abb. 15). sind allerdings unzureichend, um eine Die Schuppen sind oberseitig glatt, Die Jungtiere ähneln in Zeichnung statistisch fundierte Rangfolge der das heißt ohne Kiel. Eine dunkle, und Färbung den Alttieren. Lediglich Gefährdungsfaktoren vorzunehmen. U-förmige Binde zieht sich beidseitig ihre Bauchseite ist meist leuchtend

18 ÖKO·L 39/1 (2017) Abb. 18: Die Schlingnatter hat einen eher rundlichen Körper, mit mehr oder weniger deutlichen Seitenkanten an den Bauchschienen. Die Flanken sind meist mit dunklen Tupfen gezeichnet. Foto: Hans Esterbauer

Abb. 19: Der Bauch der Schlingnatter ist meist grau bis schwarz, Abb. 20: Juvenile Schlingnattern ähneln in Zeichnung und Färbung manchmal aber auch rötlich braun und oft marmoriert. Die einrei- den Alttieren. Lediglich ihre Bauchseite ist meist leuchtend higen Bauchschilder (Ventralia) sind gut ausgeprägt. orange- bis karminrot und der dunkle Nackenfleck bedeckt nahezu Foto: Hans Esterbauer die gesamte Kopfoberseite. Foto: Hans Esterbauer

orange- bis karminrot (Abb. 20), Marie Phisalix (1922) hat die Schling- dritten Lebensjahr erreicht, sie haben und der dunkle Nackenfleck bedeckt natter eingehend untersucht und dann eine Gesamtlänge von 40 bis nahezu die gesamte Kopfoberseite. festgestellt, dass sie kleine Giftdrüsen 50 Zentimeter. (Parotis) hat, die im getrockneten Diese harmlose für Menschen voll- Zustand kaum ein Milligramm wiegen Geschlechtsdimorphismus kommen ungefährliche Natter besitzt und ein sehr wirksames Gift enthal- zwar keine Giftzähne, wenn sie sich ten, das dem der Kobra (Naja) ähnelt. Anhand von nicht sehr deutlich aus- aber stark bedroht fühlt und nicht Phisalix hat die Wirkung des Giftes auf geprägten Merkmalen können die flüchten kann, geht sie zum Angriff verschiedene Warm- und Kaltblüter Geschlechter adulter Schlingnattern über. Sie hat zur Feindabwehr unter- untersucht. Als eigentliche Todes- von fachkundlichen Personen unter- schiedliches Verhalten entwickelt. ursache hat sie bei allen Versuchs- schieden werden. Die Grundfärbung Entweder sie verharrt regungslos und tieren, denen sie dieses extrahierte ist bei den Männchen eher bräun- verlässt sich auf ihre Tarnung oder Gift injizierte Respirationsstillstand lich, bei Weibchen meist grau; im rollt sich zusammen, zischt laut und (Neurotoxin!) festgestellt. Verhältnis zur Gesamtlänge sind die richtet den Oberkörper auf. Aus dieser Innerhalb eines Jahres kommt es Schwänze bei den Männchen länger Position kann sie sehr schnell mit bei adulten Tieren zu ungefähr zwei als bei den Weibchen (Abb. 22). ihren kleinen, spitzen Zähnen kräftige bis sechs Häutungen. Die maximale Abwehrbisse austeilen (Abb. 21). Die- Lebenserwartung einer Schlingnatter Auftreten seltener Mutationen se hinterlassen feinste Einstiche, aus in freier Natur bewegt sich etwa bei der Doppelköpfigkeit denen durchaus etwas Blut austreten 20 Jahren. Voraussetzung ist ein kann. Zusätzlich kann die Schling- optimaler Lebensraum und ein aus- Doppelköpfige Schlangen sind rar natter auch noch ein übelriechendes reichendes Nahrungsangebot. Die und werden äußerst selten geboren. Sekret aus der Analdrüse absondern. Geschlechtsreife wird bei den Männ- Aus der Mythologie kennt man ein Die französische Wissenschaftlerin chen im vierten, bei den Weibchen im vielköpfiges Untier namens Hydra –

ÖKO·L 39/1 (2017) 19 auch dieses Exemplar als juvenile Glatt- oder Schlingnatter, Coronella austriaca, identifizieren (Abb. 24). Noch am selben Tag wurde das Reptil zum Tiergarten Schönbrunn transportiert. Dort lebte die Schlange noch circa vier Monate und nahm auch Nahrung mit beiden vollständig entwickelten Köpfen auf. Eines Tages war ein Kopf „inaktiv“. Wenig später verstarb das Tier und wurde ins Na- turhistorische Museum Wien gebracht (A. Weissenbacher pers. Mitteilung). Die Ursachen für diesen genetischen Defekt sind noch nicht völlig geklärt. Oft scheint allein eine Laune der Natur den Ausschlag zu geben. Aber auch die wachsende Umweltver- schmutzung spielt vermutlich eine Rolle. So stieg die Anzahl der Muta- Abb. 21: Schlingnattern verlassen sich meist auf ihre Tarnung und sind eher träge, werden tionen bei Tieren beispielsweise sie jedoch in die Enge getrieben, ändert sich das sehr schnell und sie können blitzschnell nach dem Atomunfall in Tschernobyl zubeißen. stark an. Sicher scheint jedenfalls zu Foto: Karin Obereder sein, dass zweiköpfige Tiere keinerlei Vorteile gegenüber ihren einköpfigen ein Furcht erregendes Wesen, das der Einen derartigen ungewöhnlichen Artgenossen haben. So gibt es oft Sage nach Viehherden riss und Felder Fund machte am 13. August 2011 ein Streitigkeiten darüber, welcher Kopf verwüstete. Wenn es einen seiner Mann bei Gartenarbeiten in Ardag- die Beute fressen darf oder die Ge- Köpfe verlor, wuchsen zwei nach. Nur ger bei Amstetten (NÖ), eine kleine hirne sind sich nicht einig, in welche ein Kopf war unverwundbar. Doch Schlange mit zwei Köpfen! Da er das Richtung sich der Körper bewegen nicht nur in der Mythologie existiert Reptil nicht einordnen konnte, rief er soll. Von einem evolutionären Vorteil kann also keine Rede sein (Wolff Vielköpfigkeit. mich an und bat um Hilfe. Da ein der- 2008). artiger Fund nicht alltäglich ist, fuhr ich unverzüglich zum Fundort, um die zoologische Kuriosität näher zu Schlingnattern sind durch nationale begutachten. Bei meinem Eintreffen und EU-Richtlinien geschützt konnte ich feststellen, dass es sich um eine juvenile Glatt- oder Schling- Alle einheimischen Reptilien, somit natter, Coronella austriaca, handelte. auch die Schlingnattern, sind nach Messungen ergaben, dass sie 19 Zen- der Verordnung der Oö. Landesregie- timeter lang und etwa acht Millimeter rung über den Schutz wildwachsender dick war (Abb. 23). Ihre Bewegungen Pflanzen und Pilze sowie freilebender Tiere (Oö. Artenschutzverordnung – wirkten untypisch unbeholfen und LGBl. Nr. 73/2003; § 5, Anhang 3) ich konnte trotz längerer Beobach- ganzjährig geschützt. Sie dürfen da- tung bei keinem Kopf ein Züngeln her in allen ihren Entwicklungsformen erkennen. Der Finder versprach, die weder verfolgt, beunruhigt, gefangen, Schlange in den Tiergarten Schön- befördert, gehalten oder getötet wer- brunn zur weiteren Beobachtung zu den. Auch ihre Lebensgrundlagen bringen. Über das weitere Schicksal sind zu erhalten. dieser Schlingnatter ist leider nichts bekannt, da er offensichtlich seine Die Schlingnatter ist auch als eine im Zusage nicht eingehalten hat, denn Anhang IV der „Fauna-Flora-Habitat- diese Nattern-Mutation kam nie im Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai Tiergarten Schönbrunn an! 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Am 17. September 2013 bekam Tiere und Pflanzen“ angeführten ich einen Anruf von Mag. Johannes Arten europarechtlich geschützt. Moser, Bezirksbeauftragter für Na- tur- und Landschaftsschutz an der Trotz ihrer weiten Verbreitung in Ös- Bezirkshauptmannschaft Perg, mit terreich zählt die Schlingnatter zu den der Bitte, die Gattungs- bzw. Art- bedrohten Tierarten; in der aktuellen Abb. 22: Der Schwanz der Schlingnatter macht etwa 12 bis 25 Prozent der Gesamt- zugehörigkeit einer doppelköpfigen „Roten Liste“ wird sie als „gefähr- länge aus. Er hebt sich kaum vom Körper Schlange festzustellen, die am 15. det“ eingestuft. Als Hauptgründe für ab, verjüngt sich gleichmäßig und endet September 2013 in Windhaag bei den gebietsweise starken Rückgang mehr oder weniger spitz. Perg (OÖ) gefunden wurde. Anhand sind in erster Linie Zerstörung bzw. Foto: Hans Esterbauer der übersandten Bilder konnte ich Beeinträchtigung ihrer Lebensräume

20 ÖKO·L 39/1 (2017) Abb. 23: Diese doppelköpfige junge Schlingnatter wurde am 13. Abb. 24: Eine weitere juvenile Schlingnatter mit zwei Köpfige wurde August 2011 in Ardagger (NÖ) gefunden und sollte in den Tiergarten am 15. September 2013 in Windhaag bei Perg (OÖ) aufgefunden Schönbrunn kommen, ist aber leider dort nie angelangt! und überlebte vier Monate im Tiergarten Schönbrunn. Foto: Hans Esterbauer Foto: Johannes Moser

zu nennen. Durch die zunehmende Handbuch der Reptilien und Amphibien Malkmus R. (1995): Coronella - Intensivierung in der Land- und Europas, Bd. 3/I Schlangen (Serpentes) ca acutirostris subspec. nov. aus dem Forstwirtschaft sind vielerorts für I. Wiesbaden, Aula-Verlag: 200–245. Nordwesten der Iberischen Halbinsel (Reptilia: Serpentes: Colubridae). Zool. die Natter lebenswichtige Strukturen Esterbauer H. (2014): Die Äskulapnatter, Abh. (Dresden), 48(3): 265-278. wie Waldränder, Gebüschsäume oder Zamenis longissimus (Laurenti, 1768). Legesteinhaufen zerstört worden Erstnachweis einer amelanistischen Nicolay H., Alfermann D. (2005): Arten- (Hill 2016). Als wichtigste Schutz- Farbmutation in Österreich. steckbrief Schlingnatter, Coronella aus- maßnahme für die Erhaltung der be- . ÖKO L 36 (2): 7-11. triaca (Laurenti, 1768). Arbeitsgemein- stehenden Vorkommen sind gezielte Gantner C. (2011): Eine Schlange. Kronen schaft Amphibien- und Reptilienschutz in Pflegemaßnahmen in den Habitaten Hessen e.V. (AGAR), Rodenbach. wie zum Beispiel die Verhinderung Zeitung, Linz Nr. 18.425 von Verbuschung und Bewaldung Gruber U. (1989): Die Schlangen Euro- Pachner J. (2011): Fund – Schlange mit erforderlich. Auch Kleinstrukturen pas und rund ums Mittelmeer. Stuttgart, zwei Köpfen lag im Garten. Kurier, Wien, müssen zum Schutz der Schlingnatter Kosmos-Gesellschaft der Naturfreunde, Nr. 46-43723184: 17. erhalten oder neu angelegt werden. Franckh’sche Verlagshandlung. Phisalix M. (1922): Animaux Venimeux et Obwohl unter anderem der OÖ. Ver- Günther R., Völkl W. (1996): Schlingnatter Venins. La fonction venimeuse chez tous band für Vivaristik und Ökologie im – Coronella austriaca (Laurenti, 1768). In: les animaux; les appareils venimeux; les OÖ.-Vbw. in den letzten Jahren viel Günther R. (Hrsg.): Die Amphibien und venins et leurs Propriétés; les fonctions et Aufklärungsarbeit geleistet hat, reicht Reptilien Deutschlands. Jena & Stuttgart, usages des venins l’envenimation et son es noch nicht aus. Abscheu und Angst Gustav Fischer Verlag: 631-647. traitement. vol II. Masson & Cie Éditeurs, vor Schlangen im Allgemeinen und Happ H., Milder P. (2002): „Doppelköp- Paris, VII. der Schlingnatter im Besonderen, fige Reptilien in Kärnten“. Rudolfinum, da sie oft – wie schon darauf hinge- Jahrbuch des Landesmuseums Kärnten, Schiffner W., Matzinger A. (2005): Das wiesen – mit der Kreuzotter (Vipera Klagenfurt: 447-450. OÖ. Natur- und Landschaftsschutzgesetz berus) verwechselt wird, sind weit 2001 samt Kommentar, Durchführungs- Hill J. (2008): Schlingnatter, Glattnatter - verbreitet und es kommt leider immer verordnungen und weiteren Rechts- Coronella austriaca Laurenti, 1768. www. grundlagen. Schriftenreihe des Landes noch zu Tötungen. herpetofauna.at, Reptilien und Amphibien Oberösterreich, Band 13. Österreichs. Literatur Steiner A. (2016): Schlingnatter, Glatt- Kramer E. u. a. (1982): Systematische natter – Coronella austriaca Laurenti, 1768. Fragen zur Europäischen Schlangenfauna. http://www.natur-in-nrw.com/HTML/Tiere/ Cabela A., Grillitsch H., Tiedermann F. Vert. Hung. 21: 195-201. (2001): Atlas zur Verbreitung und Ökologie Reptilien/TK-2.html. der Amphibien und Reptilien in Österreich: Lanza B. (1973): Gli Anfibi ei Rettili delle Völkl W., Käsewieter D. (2003): Die Auswertung der Herpetofaunistischen isole circumsiciliane. Lavori della Società Schlingnatter. Zeitschrift für Feldher- Datenbank der Herpetologischen Samm- Italiana di Biogeografia 3: 755-804. petologie, Laurenti Verlag, Bielefeld, lung des Naturhistorischen Museums in Laurenti J. N. (1768): Specimen medicum, Wien. Wien, Umweltbundesamt. Beiheft 6: 152. exhibens synopsin reptilium emendatam Engelmann W. E. (1993): Coronella austria- cum experimentis circa venena et antidota Wolff P. (2008): Zweiköpfige Tiere sind ca (Laurenti, 1768) – Schlingnatter, Glatt- reptilium austracorum, quod authoritate et keine Monster. Welt N24 GmbH, oder Haselnatter. In: Böhme W. (Hrsg.): consensu. Vienna, Joan. Thomae. www.welt.de.

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