Plenarprotokoll 19/149

Deutscher

Stenografischer Bericht

149. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Inhalt:

Änderung der Tagesordnung ...... 18550 D in Verbindung mit Absetzung des Tagesordnungspunktes 9 sowie der Zusatzpunkte 3 und 11 ...... 18551 A Präsident Dr. Wolfgang Schäuble ...... 18549 A Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Tagesordnungspunkt 8: schusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Vereinbarte Debatte: Rechtsextremismus und Hass entschieden bekämpfen – Konse- – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/C- quenzen aus den rechtsterroristischen Mor- SU und SPD: Digitalisierung des Planens den von Hanau und Bauens (CDU/CSU) ...... 18551 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniel Dr. (AfD) ...... 18552 D Föst, , , Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 18554 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bijan Djir-Sarai (FDP) ...... 18556 A der FDP: Smart Building – Ein Update für den Wohnungsbau Dr. (DIE LINKE) ...... 18557 A Drucksachen 19/14341, 19/14026, 19/17353 . . 18567 B (BÜNDNIS 90/ (Südpfalz) (FDP) ...... 18567 B DIE GRÜNEN) ...... 18558 C Horst Seehofer, Bundesminister BMI ...... 18559 D , Parl. Staatssekretär BMI . . . . . 18568 A Dr. (AfD) ...... 18561 B Jörn König (AfD) ...... 18569 A , Bundesministerin (SPD) ...... 18570 C BMJV ...... 18562 B Dr. (DIE LINKE) ...... 18571 D (FDP) ...... 18563 D Dr. (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 18564 C DIE GRÜNEN) ...... 18573 A Annette Widmann-Mauz, Staatsministerin BK 18565 B Michael Kießling (CDU/CSU) ...... 18574 A Dr. (CDU/CSU) ...... 18566 B Dr. Joe Weingarten (SPD) ...... 18575 A Daniel Föst (FDP) ...... 18576 B Zusatzpunkt 14: (CDU/CSU) ...... 18576 D Antrag der Abgeordneten Mario Brandenburg (Südpfalz), , Grigorios Aggelidis, Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion der DIE GRÜNEN) ...... 18578 A FDP: Staatliche Großprojekte auf einer (CDU/CSU) ...... 18578 D Blockchain transparent machen Drucksache 19/17539 ...... 18567 A Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 18579 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Tagesordnungspunkt 10: e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie Vereinbarte Debatte: Arbeitsprogramm 2020 zu dem Antrag der Abgeordneten der Europäischen Kommission Dr. , Steffen Kotré, Tino Axel Schäfer (Bochum) (SPD) ...... 18580 D Chrupalla, weiterer Abgeordneter und der Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 18581 D Fraktion der AfD: Umweltschutz ernst nehmen – Das Erneuerbare-Energien- (CDU/CSU) ...... 18583 A Gesetz abschaffen (FDP) ...... 18584 A Drucksachen 19/10626, 19/16682 ...... 18596 D (DIE LINKE) ...... 18585 A Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18596 D Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18586 C (CDU/CSU) ...... 18597 D (SPD) ...... 18587 C Dr. (BÜNDNIS 90/ (AfD) ...... 18588 B DIE GRÜNEN) ...... 18598 C (CDU/CSU) ...... 18588 D Dr. Bruno Hollnagel (AfD) ...... 18599 D (FDP) ...... 18589 D (SPD) ...... 18600 C (AfD) ...... 18590 D (FDP) ...... 18602 A Konstantin Kuhle (FDP) ...... 18591 B Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 18603 A (BÜNDNIS 90/ Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . 18604 C DIE GRÜNEN) ...... 18591 D (AfD) ...... 18606 A Angelika Glöckner (SPD) ...... 18592 B (SPD) ...... 18607 B Marie-Luise Dött (CDU/CSU) ...... 18593 A Dr. (FDP) ...... 18608 C (SPD) ...... 18594 A Dr. (BÜNDNIS 90/ Mark Helfrich (CDU/CSU) ...... 18594 C DIE GRÜNEN) ...... 18609 B Martin Hebner (AfD) ...... 18595 D Dr. (CDU/CSU) ...... 18610 A Mark Helfrich (CDU/CSU) ...... 18596 A Dr. (SPD) ...... 18611 B

Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Tagesordnungspunkt 32: Dr. Julia Verlinden, , a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Ingrid Nestle, weiteren Abgeordneten , Dr. Gottfried Curio, und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- , weiteren Abgeordneten und NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- der Fraktion der AfD eingebrachten Ent- zes zur Änderung des Erneuerbare- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Energien-Gesetzes Asylgesetzes (Asylgesetz – AsylG) Drucksache 19/17137 ...... 18596 B Drucksache 19/8857 ...... 18612 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Julia b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Verlinden, Dr. Ingrid Nestle, Oliver Katrin Helling-Plahr, Stephan Thomae, Krischer, weiterer Abgeordneter und der Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordne- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ten und der Fraktion der FDP eingebrach- Ausbau der Windenergie in Schwung ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- bringen, Menschen beteiligen und Kli- rung des Gendiagnostikgesetzes – maschutz stärken Vorgeburtliche Vaterschaftstests ermög- Drucksache 19/15123 ...... 18596 C lichen d) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 19/16950 ...... 18612 C Ausschusses für Wirtschaft und Energie c) Erste Beratung des von der Bundesregie- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Verlinden, , Christian Kühn Gesetzes zur Änderung des Verpa- (Tübingen), weiterer Abgeordneter und ckungsgesetzes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksache 19/16503 ...... 18612 C NEN: Ausbau der Solarenergie be- schleunigen, dezentrale Bürgerenergie d) Erste Beratung des von der Bundesregie- und Mieterstrom unterstützen rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksachen 19/9698, 19/17584 ...... 18596 C zes zur Umsetzung der Verhältnismä- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 III

ßigkeitsrichtlinie (Richtlinie (EU) Zusatzpunkt 4: 2018/958) im Bereich öffentlich-rechtli- a) Erste Beratung des von den Abgeordneten cher Körperschaften Christian Dürr, Konstantin Kuhle, Stephan Drucksache 19/17288 ...... 18612 C Thomae, weiteren Abgeordneten und der e) Erste Beratung des von der Bundesregie- Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs rung eingebrachten Entwurfs eines Sechs- eines Gesetzes zur Änderung des Bun- ten Gesetzes zur Änderung des Allge- desministergesetzes meinen Eisenbahngesetzes Drucksache 19/17512 ...... 18613 C Drucksache 19/17289 ...... 18612 D b) Antrag der Abgeordneten Britta Katharina f) Erste Beratung des von der Bundesregie- Dassler, Stephan Thomae, Dr. Marcel rung eingebrachten Entwurfs eines Achten Klinge, weiterer Abgeordneter und der Gesetzes zur Änderung des Bundes- Fraktion der FDP: Schutz von Sportstät- fernstraßengesetzes (8. FStrÄndG) ten des Leistungs- und Breitensportes Drucksache 19/17290 ...... 18612 D durch Ausnahme- und Übergangsrege- lungen für Kunstrasenplätze bei einem g) Erste Beratung des von der Bundesregie- EU-Verbot rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 19/17283 ...... 18613 C zes zur Änderung des Gesetzes über Fi- nanzhilfen des Bundes zum Ausbau der c) Antrag der Abgeordneten Konstantin Tagesbetreuung für Kinder und des Kuhle, Stephan Thomae, Grigorios Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Drucksachen 19/17293, 19/17587 ...... 18612 D Fraktion der FDP: Keine Kriminalisie- rung von Spielzeugen nach dem Waffen- h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rechtsänderungsgesetz rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 19/17518 ...... 18613 D zes zur weiteren Umsetzung der Trans- parenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie im d) Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas Hinblick auf ein einheitliches elektron- Sattelberger, Katja Suding, Dr. Jens isches Format für Jahresfinanzberichte Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Drucksache 19/17343 ...... 18613 A Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Echte Wissenschaftskommunikation – i) Antrag der Abgeordneten , Glaubwürdig und beteiligungsstark Lorenz Gösta Beutin, Dr. Gesine Lötzsch, Drucksache 19/17517 ...... 18613 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundeseinheitliche Netz- e) Antrag der Abgeordneten Dr. Jens entgelte für Strom Brandenburg (Rhein-Neckar), Katja Drucksache 19/16073 ...... 18613 A Suding, Mario Brandenburg (Südpfalz), weiterer Abgeordneter und der Fraktion j) Antrag der Abgeordneten Dr. Bettina der FDP: Europäische Bildungsmobilität Hoffmann, Tabea Rößner, Lisa Badum, stärken – Erasmus ausbauen und Groß- weiterer Abgeordneter und der Fraktion britannien als Programmland halten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ressour- Drucksache 19/17516 ...... 18613 D cen schonen, Vernichtung von Waren stoppen f) Antrag der Abgeordneten , Drucksache 19/16411 ...... 18613 B , Dr. Gesine Lötzsch, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE k) Antrag der Abgeordneten , LINKE: Elektrifizierungsprogramm für , , weiterer den Schienenverkehr Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksache 19/14376 ...... 18614 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Anwaltliches Be- rufsrecht zukunftsfest machen g) Antrag der Abgeordneten , Drucksache 19/16884 ...... 18613 B , Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion l) Antrag der Abgeordneten , BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Mo- Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer bilPass jetzt einführen – Für eine attrak- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: tive, ökologische, bezahlbare Mobilität Chancen der Digitalisierung nutzen – von morgen Papierverbrauch reduzieren und die Drucksache 19/14387 ...... 18614 A Umwelt schonen Drucksache 19/17448 ...... 18613 B h) Antrag der Abgeordneten Dr. , Dr. , , weiterer Abgeordneter und der in Verbindung mit Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Gebührenverordnung zum Bundespoli- d) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: zeigesetz darf Grundrechtsgebrauch Wahl von Mitgliedern des Gremiums ge- nicht beeinträchtigen mäß § 3 des Bundesschuldenwesengeset- Drucksache 19/17540 ...... 18614 B zes Drucksache 19/16803 ...... 18618 A e) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Tagesordnungspunkt 33: Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgre- a) Beschlussempfehlung und Bericht des miums gemäß § 10a Absatz 2 der Bun- Ausschusses für Arbeit und Soziales zu deshaushaltsordnung dem Antrag der Abgeordneten Sebastian Drucksache 19/16802 ...... 18618 B Münzenmaier, Jürgen Pohl, Ulrike f) Wahlvorschläge der Fraktionen der Schielke-Ziesing, weiterer Abgeordneter CDU/CSU und SPD: Wahl vom Deut- und der Fraktion der AfD: Arbeitsleben schen Bundestag zu benennender Mit- würdigen – Arbeitslosengeld I gerecht glieder des Kuratoriums des Deutschen gestalten Instituts für Menschenrechte gemäß § 6 Drucksachen 19/13520, 19/17568 ...... 18614 B Absatz 2 Nummer 4 und 5 des Gesetzes b) Beratung der Beschlussempfehlung des über die Rechtsstellung und Aufgaben Ausschusses für Recht und Verbraucher- des Deutschen Instituts für Menschen- schutz zu dem Streitverfahren vor dem rechte (DIMRG) Bundesverfassungsgericht 2 BvE 1/20 Drucksache 19/17116 ...... 18618 D Drucksache 19/17562 ...... 18614 C g) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: c)–p) Beratung der Beschlussempfehlungen Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums des Petitionsausschusses: Sammelüber- der „Stiftung Denkmal für die ermorde- sichten 483, 484, 485, 486, 487, 488, ten Juden Europas“ 489, 490, 491, 492, 493, 494, 495 und Drucksache 19/16805 ...... 18618 D 496 zu Petitionen h) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Drucksachen 19/17140, 19/17141, Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums 19/17142, 19/17143, 19/17144, 19/17145, der „Bundesstiftung Magnus Hirsch- 19/17146, 19/17147, 19/17148, 19/17149, feld“ 19/17150, 19/17151, 19/17152, 19/17153 . 18614 D Drucksache 19/16806 ...... 18619 A (DIE LINKE) ...... 18615 B i) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Deutsches Historisches Tagesordnungspunkt 12: Museum“ Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl Drucksache 19/16807 ...... 18619 A eines Stellvertreters des Präsidenten (2. Wahlgang) Wahlen ...... 18617 D, 18618 B, 18618 C Drucksache 19/16801 ...... 18616 D Ergebnisse ...... 18634 D, 18635 A, 18635 A Wahl ...... 18617 B

Ergebnis ...... 18634 D Zusatzpunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die Eskalation in Tagesordnungspunkt 13: Idlib und die Folgen für Europa a) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/C- Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . . . . 18619 B SU: Wahl eines Mitglieds des Sondergre- miums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabili- Dr. (AfD) ...... 18620 C sierungsmechanismusgesetzes , Staatsminister AA ...... 18621 C Drucksache 19/16864 ...... 18617 B Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 18623 A b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: (DIE LINKE) ...... 18624 B Wahl von Mitgliedern des Sondergre- miums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabili- (BÜNDNIS 90/ sierungsmechanismusgesetzes DIE GRÜNEN) ...... 18625 C Drucksache 19/16804 ...... 18617 C Thorsten Frei (CDU/CSU) ...... 18626 D c) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/C- Ulla Jelpke (DIE LINKE) (Erklärung nach SU: Wahl eines Mitglieds des Gremiums § 30 GO) ...... 18627 D gemäß § 3 des Bundesschuldenwesenge- setzes (AfD) ...... 18628 B Drucksache 19/16863 ...... 18618 A (SPD) ...... 18629 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 V

Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 18630 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. (SPD) ...... 18631 B Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev (CDU/CSU) ...... 18632 C Spangenberg, Dr. , Jörg (SPD) ...... 18633 C Schneider, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Nationaler Notfallplan zur Sicherstellung der Pa- Tagesordnungspunkt 14: tientenversorgung – Patientenbe- handlung nicht durch die EU-Medi- Erste Beratung des von der Bundesregierung zinprodukteverordnung gefährden eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Errichtung des Sondervermögens „Ausbau Spangenberg, Jörg Schneider, Dr. Robby ganztägiger Bildungs- und Betreuungsan- Schlund, weiterer Abgeordneter und der gebote für Kinder im Grundschulalter“ Fraktion der AfD: Gesundheits-Apps (Ganztagsfinanzierungsgesetz – GaFG) auf klinische Wirksamkeit prüfen Drucksache 19/17294 ...... 18635 B und Patienten schützen Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin BMFSFJ ...... 18635 C Helling-Plahr, Christine Aschenberg- (AfD) ...... 18636 B Dugnus, , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: , Bundesministerin BMBF . . . . 18637 B EU-Medizinprodukteverordnung Matthias Seestern-Pauly (FDP) ...... 18638 A verantwortungsvoll implementieren – Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . . 18638 D Patientenversorgung sicherstellen Drucksachen 19/15070, 19/16057, Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18639 C 19/16035, 19/17589 ...... 18650 B Marja-Liisa Völlers (SPD) ...... 18640 C (CDU/CSU) ...... 18650 B Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 18641 B Jörg Schneider (AfD) ...... 18651 C Dr. (CDU/CSU) ...... 18642 A (SPD) ...... 18652 B Katrin Helling-Plahr (FDP) ...... 18653 C Tagesordnungspunkt 15: (DIE LINKE) ...... 18654 B a) Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ Maier, Hansjörg Müller, Markus DIE GRÜNEN) ...... 18654 D Frohnmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Entwicklungszu- (CDU/CSU) ...... 18655 C sammenarbeit zum gegenseitigen Nut- zen konzipieren – Rohstoffversorgung der deutschen Industrie sicherstellen Tagesordnungspunkt 17: Drucksache 19/17525 ...... 18643 A a) Zweite und dritte Beratung des von der Dr. (AfD) ...... 18643 A Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der (CDU/CSU) ...... 18644 A Verordnung (EU) 2017/821 des Europä- Dr. Christoph Hoffmann (FDP) ...... 18645 B ischen Parlaments und des Rates vom Dr. (SPD) ...... 18646 A 17. Mai 2017 zur Festlegung von Pflich- ten zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE) ...... 18647 B in der Lieferkette für Unionseinführer (BÜNDNIS 90/ von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen DIE GRÜNEN) ...... 18647 D und Gold aus Konflikt- und Hochrisiko- gebieten sowie zur Änderung des Bun- (Rostock) (CDU/CSU) ...... 18648 D desberggesetzes Drucksachen 19/15602, 19/16338, Tagesordnungspunkt 16: 19/16578 Nr. 1.6, 19/17563 ...... 18657 A a) Zweite und dritte Beratung des von der b) Antrag der Abgeordneten Eva-Maria Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Schreiber, , , eines Gesetzes zur Anpassung des Medi- weiterer Abgeordneter und der Fraktion zinprodukterechts an die Verordnung DIE LINKE: Für eine global gerechte (EU) 2017/745 und die Verordnung und nachhaltige Rohstoffpolitik (EU) 2017/746 (Medizinprodukte-EU- Drucksache 19/16865 ...... 18657 A Anpassungsgesetz – MPEUAnpG) c) Antrag der Abgeordneten Dieter Janecek, Drucksachen 19/15620, 19/16406, Dr. Bettina Hoffmann, , wei- 19/16578 Nr. 1.13, 19/17589 ...... 18650 A terer Abgeordneter und der Fraktion VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rohstoff- Dr. (CDU/CSU) ...... 18670 C wende zum Schutz von Menschenrech- Bernd Rützel (SPD) ...... 18671 B ten und für eine nachhaltige Entwick- lung der Industrie Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 18671 D Drucksache 19/16522 ...... 18657 A Tagesordnungspunkt 19: in Verbindung mit a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Zusatzpunkt 6: eines Gesetzes zur Verbesserung der Antrag der Abgeordneten Dr. , Rahmenbedingungen luftsicherheits- , Michael Theurer, weiterer rechtlicher Zuverlässigkeitsüberprü- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Roh- fungen stoffpolitik – Ein Update für das 21. Jahr- Drucksachen 19/16428, 19/16717, hundert 19/16955 Nr. 5, 19/17585 ...... 18672 C Drucksache 19/16546 ...... 18657 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat zu in Verbindung mit dem Antrag der Abgeordneten Manuel Höferlin, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Tagesordnungspunkt 15: Fraktion der FDP: Abschaffung der Zu- b) Beschlussempfehlung und Bericht des verlässigkeitsüberprüfungen für Privat- Ausschusses für Verkehr und digitale Inf- piloten und Luftsportler rastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- Drucksachen 19/16481, 19/17585 ...... 18672 D ten , , , weiterer Ab- in Verbindung mit geordneter und der Fraktion der AfD: Kei- ne Elektromobilität zu Lasten von Mensch und Umwelt in rohstoffreichen Zusatzpunkt 7: Entwicklungsländern – Rohstoffförde- Antrag der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, rung für Elektromobilität strenger kon- Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, trollieren weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksachen 19/9251, 19/10347 ...... 18657 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Persönliche (CDU/CSU) ...... 18657 C Eignung nach § 6 des Waffengesetzes wirk- Dietmar Friedhoff (AfD) ...... 18658 C sam gewährleisten Drucksache 19/17520 ...... 18672 D Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 18659 B (CDU/CSU) ...... 18673 A Olaf in der Beek (FDP) ...... 18660 D Martin Hess (AfD) ...... 18674 A Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE) ...... 18661 B Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) ...... 18675 A Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 18661 D Manuel Höferlin (FDP) ...... 18676 A (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18662 B Dr. André Hahn (DIE LINKE) ...... 18676 D (CDU/CSU) ...... 18662 D Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18677 B Tagesordnungspunkt 18: Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU) ...... 18678 A Antrag der Abgeordneten , (SPD) ...... 18679 A , Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Damit jede Arbeitsstunde zählt –Arbeitszeit- Tagesordnungspunkt 20: gesetz ergänzen Antrag der Abgeordneten Norbert Drucksache 19/17134 ...... 18664 B Kleinwächter, Dr. Götz Frömming, Nicole Susanne Ferschl (DIE LINKE) ...... 18664 C Höchst, weiterer Abgeordneter und der Frak- Torbjörn Kartes (CDU/CSU) ...... 18665 C tion der AfD: Attraktivität des Erasmus- Programmes sichern – Großbritannien Jürgen Pohl (AfD) ...... 18667 A und die Schweiz als Programmländer erhal- Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 18668 A ten Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 18668 D Drucksache 19/17526 ...... 18680 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 18680 C DIE GRÜNEN) ...... 18669 D Dr. (CDU/CSU) ...... 18681 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 VII

Dr. (Rhein-Neckar) (FDP) . 18683 A Schön, , , (SPD) ...... 18684 A , Peter Stein (Rostock), Dr. , , Albert H. Weiler, (DIE LINKE) ...... 18684 D (Hamburg), Sabine Weiss (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 18685 D (Wesel I), Peter Weiß (Emmendingen), , Annette Widmann-Mauz, Bettina (CDU/CSU) ...... 18686 D Margarethe Wiesmann, Elisabeth Dr. (SPD) ...... 18687 D Winkelmeier-Becker, und Dr. (alle CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über die Be- Zusatzpunkt 8: schlussempfehlung des Ausschusses für Inne- Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Martens, res und Heimat zu dem Antrag der Abgeordne- Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weite- ten Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: (Augsburg), weiterer Abgeord- Vorbereitung eines Reformgesetzes zur neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Steigerung der Wirksamkeit des Straf- GRÜNEN: Humanitäres Aufnahmeprogramm rechts – Strafrechtsreformgesetz für besonders schutzbedürftige Asylsuchende Drucksache 19/17485 ...... 18688 C aus Griechenland Dr. Jürgen Martens (FDP) ...... 18688 C (148. Sitzung, Anlage 4, Tagesordnungspunkt 31 b) ...... 18698 A Axel Müller (CDU/CSU) ...... 18689 C Dr. Jürgen Martens (FDP) ...... 18690 B Anlage 3 (AfD) ...... 18690 D Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- Dr. (SPD) ...... 18691 D der des Deutschen Bundestages, die an der (DIE LINKE) ...... 18692 C Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten des Canan Bayram (BÜNDNIS 90/ Deutschen Bundestages teilgenommen haben DIE GRÜNEN) ...... 18693 B (2. Wahlgang) (Tagesordnungspunkt 12) ...... 18698 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 18693 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 18695 A Anlage 4 Nächste Sitzung ...... 18695 D Ergebnisse und Namensverzeichnis der Mit- glieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Sondergre- Anlage 1 miums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie- Entschuldigte Abgeordnete ...... 18697 A rungsmechanismusgesetzes teilgenommen ha- ben (Tagesordnungspunkt 13 a und b) ...... 18701 B Anlage 2 Technisch bedingter Neudruck – Erklärung Anlage 5 nach § 31 GO der Abgeordneten , , Norbert Maria Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- Altenkamp, , , der des Deutschen Bundestages, die an der , Dr. , Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß Dr. , Ursula Groden-Kranich, § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes teilge- Hermann Gröhe, Monika Grütters, Thomas nommen haben Heilmann, , Dr. Hendrik (Tagesordnungspunkt 13 c und d) ...... 18705 A Hoppenstedt, , Dr. Stefan Kaufmann, , Axel Anlage 6 Knoerig, , , , , Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- Dr. , Karsten Möring, der des Deutschen Bundestages, die an der , Carsten Müller Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums (Braunschweig), Dr. , Michaela gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushalts- Noll, , , ordnung teilgenommen haben , Stefan Rouenhoff, Nadine (Tagesordnungspunkt 13 e) ...... 18708 B

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18549

(A) (C)

149. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Deutschland ziehen, zeigt: Das ist Terrorismus. Die ent- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte schiedene Antwort darauf muss sein, mit allen rechts- nehmen Sie Platz. staatlichen Mitteln radikale Netzwerke aufzudecken und rechtsextremistische Vereinigungen zu zerschlagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist die erste Sit- zungswoche nach dem furchtbaren Anschlag von Hanau. (Beifall im ganzen Hause) Seitdem hat in unserer von immer schneller aufeinander- folgenden Erregungswellen getriebenen Öffentlichkeit Das geht nur, wenn wir endlich besser werden bei der eine Aufregung die andere überlagert: die weltweite Aus- konsequenten Durchsetzung des Rechts. breitung des Coronavirus, die bedrückenden Bilder von Hanau fordert auch aufrichtige Selbstkritik der Politik. der griechisch-türkischen Grenze – Herausforderungen, Solche Wahnsinnstaten geschehen nicht im luftleeren die uns die Verletzlichkeit der uns vertrauten Welt spüren Raum. Sie wachsen in einem vergifteten gesellschaftli- (B) lassen und die neben Besonnenheit entschlossenes politi- chen Klima, in dem das Ressentiment gegenüber dem (D) sches Handeln fordern. Fremden und abwegigste Verschwörungstheorien ge- Auch 14 Tage nach den rassistisch motivierten, von schürt werden – bis Minderheiten als Bedrohung empfun- Hass auf Muslime getriebenen Morden ist das Entsetzen den und in sozialen Medien Hetzjagden oder sogar Morde greifbar. Und es braucht gerade in dieser schnelllebigen von perversen Beifallsbekundungen begleitet werden. Es Zeit Momente, um innezuhalten, um uns selbst zu be- braucht deshalb wirksame Maßnahmen gegen diese uner- fragen, was das alles mit uns macht, um zu gedenken. trägliche Verrohung, nicht zuletzt im Netz. Dazu begrüße ich auf der Ehrentribüne unseren Bundes- präsidenten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall) GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) Wir trauern um Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Gewählte Repräsentanten stehen in der besonderen Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtović, Verantwortung, sich von extremistischen und rassisti- Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan schen Ausfällen nicht nur verbal zu distanzieren, sondern Velkov. Wir gedenken der Mutter des Attentäters, getötet deren Urheber konsequent dort zu verorten, wo sie ste- vom eigenen Sohn. hen: jenseits jedes bürgerlichen Anstands und außerhalb unserer demokratischen Ordnung. Eine Frau und acht Männer wurden gezielt ermordet, weil die Wurzeln ihrer Familien außerhalb Deutschlands (Beifall im ganzen Hause) liegen: Menschen verschiedener Nationalität, darunter deutsche Staatsangehörige, hier Geborene, Menschen, Hass und Hetze sind keine politische Haltung. die in diesem unserem Land ihr Zuhause, ihre Heimat Wir sind im Übrigen nur dann aufrichtig, wenn wir hatten. Wir fühlen mit den Hinterbliebenen, und wir ver- denen danken, die in den vergangenen zwei Wochen zu sichern ihnen unseren Beistand. Wir wünschen den Ver- Tausenden in Hanau, in Berlin, in anderen Städten ihre letzten schnelle Genesung, auch wenn wir wissen: Die Trauer öffentlich bekundeten, und wenn wir gleichzeitig seelischen Verletzungen werden bleiben. den Stimmen zuhören, die unbequeme Fragen stellen – so Betroffenheit reicht längst nicht mehr. Hanau fordert wie der Schriftsteller Deniz Utlu, der in der Bahn, in der vor allem: Aufrichtigkeit – Aufrichtigkeit vom Staat, der er nach den Ereignissen von Hanau fuhr, keinen Unter- sich eingestehen muss, die rechtsextremistische Gefahr schied zu anderen Tagen bemerkt hat und der deshalb zu lange unterschätzt zu haben. Die lange Spur mörder- jeden Einzelnen auffordert, sich zu fragen – ich zitiere ischer Übergriffe, die Einzeltäter und Gruppen durch ihn –: 18550 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Was geschah im Herzen, als die Nachricht aus Ha- (Beifall im ganzen Hause) (C) nau kam? Gar nichts? Etwas? Was genau? Gleich- Verachtung für den anderen, Hass auf das Fremde: Wir gültigkeit? Angst? Angst wovor? Wut? Wut worauf? dürfen das nicht dulden – und Straftaten, die daraus resul- Wer hat Empathie gespürt für die Getöteten und ihre tieren, sind durch nichts zu relativieren oder zu entschul- Hinterbliebenen? … Wer hat einfach nichts mitbe- digen. kommen? Hat man im Büro darüber gesprochen, oder war es ein Arbeitstag wie jeder andere auch? Dass sich Menschen in Deutschland nicht mehr sicher … Jeder kann sich befragen, was die Ermordung fühlen, ist ein unhaltbarer Zustand. dieser Menschen mit ihm oder ihr gemacht hat. Und wenn es nichts macht, wenn diese Gesellschaft (Beifall im ganzen Hause) zu keiner ehrlichen Trauer fähig ist, dann können Es kann in der offenen Gesellschaft keinen hundertpro- wir fragen, weshalb das so ist und nach unserer zentigen Schutz geben. Darauf hinzuweisen, gehört zur Menschlichkeit suchen. notwendigen Ehrlichkeit, um falschen Erwartungen vor- Ende des Zitats. – Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, zubauen. Aber für die innere Stabilität einer Ordnung, der in schmerzhafter Konsequenz weitergedacht: Was wäre sich Menschen anvertrauen, ist entscheidend, dass diese eigentlich passiert, wenn es sich in Hanau nicht um einen Ordnung es vermag, das menschliche Bedürfnis nach Mordanschlag auf Muslime, sondern um ein islamisti- Sicherheit zu stillen. Die Menschen haben nur dann Ver- sches Attentat gehandelt hätte? trauen, wenn der Staat seiner Verpflichtung gerecht wird, allen den größtmöglichen Schutz zu gewähren, und wenn Hanau fordert Aufrichtigkeit von uns als Gesellschaft – er damit ein Grundgefühl von Sicherheit vermittelt: de- indem wir uns eingestehen, dass wir bei der Integration nen, die sich – noch immer oder erneut – gesellschaftlich noch lange nicht da sind, wo wir sein sollten. Einer In- ausgegrenzt sehen, und auch denen, die durch ein emp- tegration, die von allen etwas abverlangt, wenn sie ge- fundenes Zuviel an Veränderungen meinen, an Halt zu lingen soll, und bei der wir auch ehrlich sein müssen, was verlieren. wir an Integration einfordern und wie viel unsere Gesell- schaft an Verschiedenheit erträgt – zumal unter den Be- Die letzten Wochen und Tage, verehrte Kolleginnen dingungen einer Welt im rasanten Wandel. Bei der wir und Kollegen, zeigen wie unter einem Brennglas die He- Fremdheitsgefühle angesichts tiefgreifender Veränderun- rausforderungen unserer globalisierten Welt: Herausfor- gen der gewohnten Umwelt ernst nehmen sollten, wenn derungen, die sich uns gleichzeitig stellen, die sich über- wir auch die Menschen wirklich erreichen wollen, die lagern und deren Verbindung, wenn wir an das Vielfalt mit Skepsis begegnen. Coronavirus und die Ereignisse an der griechischen Gren- ze denken, auf die öffentliche Auseinandersetzung to- (B) (D) Wer sich angesichts eines als überfordernd empfunde- xisch wirken kann – mit gefährlich hohem Missbrauch- nen gesellschaftlichen Wandels auf der Verliererseite spotenzial. Das unterstreicht noch einmal unsere wähnt, ist deshalb noch kein Rassist. Wir dürfen diese Verantwortung als gewählte Repräsentanten. Verunsiche- Fähigkeit, zu differenzieren, nicht aufgeben, wenn wir rungen und gesellschaftliche Konflikte dürfen wir nicht uns dem gesellschaftlichen Resonanzraum zuwenden, in beschweigen, aber wie wir darüber politisch diskutieren, dem sich Fremdheitsgefühle erst radikalisieren. um Wege für ein menschliches Miteinander zu finden, das bestimmt mit darüber, rassistischen Taten wie in Ha- Ich bin überzeugt: Die Zukunft unserer offenen Gesell- nau vorzubeugen, schaft wird sich daran entscheiden, ob es uns gelingt, Verschiedenheit zu akzeptieren, die Vielfalt an Lebens- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie stilen anzuerkennen und die eigenen Vorstellungen nicht bei Abgeordneten der AfD, der FDP und der zum Maß aller Dinge zu erklären. In unserer von Mobi- LINKEN) lität und Globalisierung geprägten Welt ist das der ge- dankliche Schlüssel, um eine wirklich menschliche Ge- indem wir ihnen den Nährboden entziehen, auf dem sie sellschaft zu schaffen und die Errungenschaften der wachsen. Und wenn uns das nicht gelingt, machen wir freiheitlichen Demokratie zu wahren. Aber davon müs- uns mitschuldig. sen wir die Menschen überzeugen – sonst treiben wir sie Es braucht Aufrichtigkeit, Selbstkritik, entschlossenes in die Arme derer, die mit Gefühlen ihr böses Spiel trei- Handeln. Das sind wir den Ermordeten von Hanau schul- ben. dig. Ihnen zu Ehren und im stillen Gedenken an alle jene, Der gesellschaftlichen Vielfalt und der Bandbreite an die mit dem Anschlag bleibende Verletzungen an Körper legitimen Gefühlen werden wir jedenfalls nicht gerecht, und Seele erfahren haben, bitte ich Sie, bevor wir in die wenn wir Menschen allzu leichtfertig abstempeln – als Vereinbarte Debatte eintreten, sich zu einer Schweige- rechts oder links, als fremd oder rassistisch, als idealis- minute von Ihren Plätzen zu erheben. tisch oder naiv. Es geht vielmehr darum, genau dort die (Die Anwesenden erheben sich) Grenze zu ziehen, wo der Kern unserer Ordnung verletzt wird: bei der Würde und den Rechten jedes Individuums. – Ich danke Ihnen. Sie zu schützen, ist Aufgabe des Staates. Sie anzuerken- (Die Anwesenden nehmen wieder Platz) nen, ist die Verpflichtung jedes Einzelnen von uns. Nichts rechtfertigt, Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihres Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, muss ich Glaubens herabzusetzen, zu verunglimpfen, zu verfolgen, noch folgende interfraktionell vereinbarten Änderungen anzugreifen. Nichts! mitteilen: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18551

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Der Tagesordnungspunkt 9 und der Zusatzpunkt 3 sol- Doch genau das ist die Aufgabe dieses Staates: den (C) len abgesetzt werden. An dieser Stelle soll der Antrag Einzelnen zu schützen. Denn, meine Damen und Herren, „Staatliche Großprojekte auf einer Blockchain transpa- nur wer in Sicherheit lebt, kann auch in Freiheit leben. rent machen“ auf Drucksache 19/17539 in verbundener Der Anschlag von Hanau war daher nicht nur – was Beratung mit Tagesordnungspunkt 21 aufgerufen und mit schlimm genug ist – ein Anschlag auf wehrlose Men- einer Debattenzeit von 60 Minuten beraten werden. Der schen. Es war ein Anschlag auf den Kern unseres Staates, Zusatzpunkt 11 soll abgesetzt werden. Sie sind damit ein- auf unsere Sicherheit und damit auf die Freiheit nicht nur verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das derjenigen, die ermordet worden sind, sondern auf die so beschlossen. Freiheit von jedem von uns. Damit sind all die Anschläge, die wir in den letzten Jahren betrauerten, nichts anderes, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: meine Damen und Herren, als Anschläge auf unsere De- Vereinbarte Debatte mokratie. Rechtsextremismus und Hass entschieden be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kämpfen – Konsequenzen aus den rechtsterro- neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- ristischen Morden von Hanau SES 90/DIE GRÜNEN) Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Ja, Herr Bundestagspräsident, unsere Demokratie wird beschlossen. bedroht – mehr denn je. Ich bin gewiss niemand, der die Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Frak- Gefahr durch Extremismus auf der linken Seite oder Isla- tionsvorsitzende der CDU/CSU, Ralph Brinkhaus. mismus unterschätzt; aber der Feind unserer Demokratie steht in diesen Tagen rechts und nirgendwo anders, meine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Damen und Herren. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Herr Bundespräsident, es ist ein wichtiges Zeichen, GRÜNEN – Widerspruch des Abg. Jürgen dass Sie heute bei dieser Debatte hier sind, und Herr Braun [AfD]) Bundestagspräsident, vielen Dank für die wirklich wich- Das zeigt eine lange Kette unerträglicher Ereignisse: die tigen Worte, die auch uns als Parlament den Spiegel vor- Verbrechen des NSU, der Mord an Walter Lübcke, die gehalten haben. antisemitischen Anschläge in Halle, die Morde von Ha- nau und, und, und. (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) Denn es ist einfach so, dass wir zu oft betroffen hier Wir dürfen uns nichts vormachen: Der Rechtsextre- sitzen, und es ist so, dass wir auf zu vielen Trauerfeiern mismus hat es eben nicht nur auf einzelne Menschen sind. Wir stehen vor einer Situation, wo wir uns fragen und auf einzelne Gruppen abgesehen, er hat es auf das müssen: Warum ist das so, und warum können wir das freiheitliche Fundament unseres Staates abgesehen, mei- nicht verhindern? ne Damen und Herren. Es sind in erster Linie Menschen, die ermordet worden (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, sind. Es waren neun junge Leute, die einfach den Tag der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE ausklingen lassen wollten. Söhne, Brüder, eine zweifache GRÜNEN) Mutter, ein Familienvater. Sie gingen abends aus dem Haus. Sie trafen sich mit Freunden in einer Bar, waren Deswegen noch einmal: Hanau war mehr als die Tat eines auf dem Weg, Zigaretten zu holen – und sie kehrten nicht Einzelnen, eines Verwirrten. Es war im Ergebnis ein An- mehr zurück. Sie alle hatten genauso wie die ermordete schlag auf uns alle. Mutter des Täters nicht nur einen Namen, sondern auch ein Gesicht. Sie alle fehlen. Und sie werden im Übrigen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie auch noch fehlen, wenn diese Debatte längst vorbei ist bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- und wir uns anderen Themen zugewandt haben. SES 90/DIE GRÜNEN) Wir trauern um sie. Unser tiefes Mitgefühl gilt ganz Und deswegen müssen auch alle – ich betone: alle – besonders ihren Familien und Freunden und natürlich eine Antwort geben, laut und eindeutig: Wir Demokraten auch den Verletzten und Traumatisierten. stehen zusammen für ein friedliches, weltoffenes und tolerantes Deutschland. Wir schützen die Rechte aller Doch neben der Trauer steht für mich auch tiefe unserer Mitbürger, egal woher sie kommen oder welche Scham. Denn was uns als Politiker nach Hanau, nach Religion sie ausüben. Wer diese Rechte missachtet oder Halle, nach so vielen – zu vielen – anderen Orten mindes- anderen abspricht, der stellt sich ganz bewusst gegen tens genauso erschüttern muss, ist die Tatsache, dass dieses Land. Menschen in diesem Land wieder Angst haben – Angst haben, weil sie einer bestimmten Gruppe angehören, weil (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP sie einen bestimmten Glauben haben und weil sie das und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Gefühl haben, der Staat kann sie nicht schützen. bei Abgeordneten der LINKEN) 18552 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Ralph Brinkhaus (A) Wer diese Rechte nicht achtet, stellt sich auch außerhalb (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (C) unserer Gesellschaft, und er ist in Wahrheit der „andere“, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE meine Damen und Herren. GRÜNEN) Doch reden reicht nicht – da haben Sie recht, Herr Denn es ist letztlich die Sprache, die am Anfang einer Bundestagspräsident; wir haben zu viel geredet –, es Radikalisierung steht, einer Radikalisierung, die, wie kommt auf die Taten an. Sicherlich, wir haben einiges wir gesehen haben, zu oft in Gewalt und Morden endet. gemacht: 600 zusätzliche Stellen beim Bundeskriminal- Meine Damen und Herren, die Morde von Hanau sind amt und beim Verfassungsschutz; es wurden rechtsextre- fürchterlich und haben uns tief erschüttert. Aber ich habe me Vereine verboten, wir haben das Waffenrecht ver- trotzdem Hoffnung, weil ich in den letzten Tage gesehen schärft. Wir werden in den nächsten Wochen ein Gesetz habe, wie die Menschen in diesem Land zusammenstehen gegen Hass im Internet verabschieden. und wie sie Haltung zeigen, in Hanau, aber auch an vie- Aber das reicht nicht. Wir müssen mehr tun, wir müs- len, vielen anderen Orten, wie sie aufstehen und laut sen noch mehr an Zeit und Geld im Kampf gegen diesen sagen: Jeder in diesem Land hat Anspruch auf Schutz, Hass investieren. Denn unsere Antwort darauf kann nur Achtung und Respekt, egal woher er kommt und egal heißen: Wir sind ein starker, robuster Staat, der sich was er glaubt. wehrt, meine Damen und Herren. Ich glaube, es wird kein einfacher Weg werden, die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie fatalen Entwicklungen der letzten Jahre wieder zurück- bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- zudrehen. Aber ich möchte alle in diesem Parlament – SES 90/DIE GRÜNEN) und wenn ich alle sage, dann meine ich auch wirklich alle – einladen, dass wir diesen harten Weg gemeinsam Denn Fakt ist: Hass, Hetze und Angriffe auf Personen gehen. Es ist unsere Aufgabe, diesen Weg gemeinsam zu in unserer Gesellschaft nehmen zu. Und immer – im- gehen. Wir sind die Vertretung des deutschen Volkes. Wir mer! – beginnt es mit der Sprache: Beleidigungen, müssen ihn gemeinsam gehen, damit nie wieder in die- Schmähungen, Ausgrenzungen sind der erste Schritt in sem Land ein Bürger auf einer Trauerfeier dem Bundes- die Verrohung, der erste Schritt, dem anderen das gleich- präsidenten oder der Bundeskanzlerin erklären muss: Ich wertige Menschsein abzusprechen. habe Angst. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Abg. Jürgen Braun [AfD]) bei Abgeordneten der LINKEN) (B) Dabei kann im Übrigen jeder von uns ins Visier geraten: (D) Verbale Angriffe gegen Menschen mit Migrationshinter- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: grund, leider auch zu oft im Sport, gegen Bürgermeister, Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Roland Hartwig, Gemeinderäte, Polizisten und Rettungskräfte haben ein AfD. erschreckendes Ausmaß angenommen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Frage, die sich in aller Dringlichkeit stellt, ist doch: Dr. Roland Hartwig (AfD): Wie können wir diese unheilvolle Eskalation stoppen? Herr Bundespräsident! Herr Bundestagspräsident! Aber der Kampf gegen diese Eskalation ist eben nicht Meine Damen und Herren! Wir werden heute wieder viel nur Aufgabe des Staates. Wir alle, jeder Einzelne, muss Einigkeit erleben. Es ist doch schön, nicht wahr, wenn dieser Verrohung der Sprache in der analogen und – auch man einen gemeinsamen Feind hat und sich auch einig das stimmt – ganz besonders in der digitalen Welt ent- ist, wo man ihn suchen muss: nämlich rechts. schieden entgegentreten. (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) NEN]: Sie sind ausnahmsweise kein Opfer!) Was noch vor Jahren an Hass undenkbar war, ist heute Extremismus aber entwickelt sich an allen Rändern: Alltag im Netz, auf unseren Schulhöfen, in unseren Fuß- rechts ebenso wie links. Im Internet tritt er ganz offen ballstadien, und – ja, auch das gehört zur Wahrheit dazu – in Erscheinung. Er zeigt sich auf der inzwischen verbote- es ist leider auch Alltag hier im Parlament, meine Damen nen linksextremen Plattform linksunten.indymedia, auf und Herren. der regelmäßig zur Gewalt gegen Andersdenkende auf- gerufen wurde, oder auch bei linken Strategietreffen, wo (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie darüber fabuliert wird, ein Prozent der Reichen zu er- bei Abgeordneten der AfD, der FDP, der LIN- schießen oder ins Arbeitslager zu schicken. KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) (Beifall bei der AfD – Widerspruch der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Sven Lehmann Und um dies gleich zu sagen: Es geht überhaupt nicht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um darum, dass Probleme nicht benannt werden dürfen; aber die Opfer!) es geht um das Wie. Es geht um Respekt und Achtung in der Gesellschaft und in der politischen Auseinanderset- Er zeigt sich im Rassismus und einem sich hartnäckig zung. haltenden linken Antisemitismus. Extremismus kommt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18553

Dr. Roland Hartwig (A) aber niemals nur von einer Seite, meine Damen und Her- ( [SPD]: Aus Worten werden Ta- (C) ren, sondern immer von links wie von rechts. ten! – Zuruf von der LINKEN: Sagen Sie doch mal was zu Hanau!) Wenn extremistische Tendenzen in einer Gesellschaft erstarken, dann läuft für alle erkennbar etwas grund- Ihre Politik, meine Damen und Herren, hat ein Klima sätzlich schief. Dann muss sich vor allem die Politik der Angst geschaffen. fragen, was sie falsch gemacht hat. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der AfD) GRÜNEN]: Kein Wort zu Hanau! Kein Wort zu den Opfern!) Dann ist es höchste Zeit, die Ursachen für diese Fehl- entwicklungen und die Verantwortlichen zu benennen. Und jetzt kommen wir als AfD und halten Ihnen den Spiegel vor. Aber nichts davon ist in den letzten Jahren geschehen. Ich habe nicht ein einziges Mal einen Politiker aus Ihren (Beifall bei der AfD) Reihen gehört, der ernsthaft ein Nachdenken über die Entwicklung, die unser Land nimmt, eingefordert hat. Was Sie sehen, ist hässlich; das will ich Ihnen gerne glauben. (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Wi- derlich!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er- schütternd!) Meine Damen und Herren, gehen Sie ins Land hinaus, und schauen Sie sich um: Deutschland ist tief gespalten. Aber Sie müssen doch selbst einmal drüber nachdenken, was Ihr Vorgehen mit dem gesellschaftlichen Klima zu (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tun hat, in dem der Mord an Walter Lübcke und die NEN]: Schämen Sie sich einfach!) schrecklichen Anschläge in Hanau und Halle überhaupt Zum einen geografisch: Die Kluft zwischen Ost und West möglich wurden. wächst weiter. Zum anderen sozial: Die Schere zwischen (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Reden Arm und Reich geht weit auseinander. Sie auch noch über die Opfer von Hanau? – (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Was hat das mit Hanau zu tun?) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Denken Sie mal über Ihr Vorgehen nach!) Und drittens erlebt dieses Land eine politisch-moralische Spaltung: in die Guten und die Bösen. Und genau diese Wenn in Frankfurt ein Kind vor einen Zug gestoßen (B) Moralisierung des Politischen ist brandgefährlich, meine wird, dann geht man schnell zum Tagesgeschehen über. (D) Damen und Herren. (Dr. [FDP]: Das ist so ge- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Sie schmacklos!) sind brandgefährlich! – Timon Gremmels Der Täter sei psychisch krank gewesen, heißt es dann. [SPD]: Sie sind nicht die Opfer!) (Zuruf von der LINKEN: Das ist ekelhaft!) Sie selbst haben sie geschaffen, indem Sie den politi- schen Diskurs auf die moralische Ebene verlagerten – Wenn in Hanau ein psychisch Kranker Menschen er- dorthin, wo er Sachargumenten und einer vernunftbasier- schießt, wird daraus rechter Terrorismus. ten Debatte nicht mehr zugänglich ist. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ( [SPD]: Hallo! Geht’s noch? – NEN]: Unfassbar! – Sven Lehmann [BÜND- [DIE LINKE]: Es geht um neun To- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Widerlich!) te!) Rast dann Tage später wieder mal ein Fahrzeug absicht- Und wer das kritisiert, gehört bereits zu den Bösen und lich in eine Menschenmenge, geht das im Grundrauschen wird ausgegrenzt. Wenn Sie all den Menschen, die Ihre der täglichen Berichterstattung unter. Meinung nicht teilen, ständig den Mund verbieten, wenn Sie diese Leute stigmatisieren und gesellschaftlich isolie- (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann ren, dann schaffen Sie selbst die Räume der Radikalisie- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui!) rung. Man erfährt wenig über die Hintergründe, die Opfer und (Beifall bei der AfD) den Täter. Mit Ihrer Politik haben Sie die Axt an die Meinungs- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Widerlich!) freiheit und damit an die Lebensader der Demokratie ge- Jedes dieser Ereignisse hätte nicht geschehen dürfen. setzt. Aber die einen zu ignorieren und die anderen politisch zu (Dr. Götz Frömming [AfD]: So ist es! – Saskia instrumentalisieren, das treibt die Spaltung unserer Ge- Esken [SPD]: Herr Hartwig, schweigen Sie!) sellschaft voran. Inzwischen fürchten 60 Prozent der Deutschen, sich in (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer der Öffentlichkeit nicht mehr zu allen Themen frei äußern [CDU/CSU]: Das machen Sie überhaupt nie! zu können. Ich lache mich tot! – Britta Haßelmann 18554 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Roland Hartwig (A) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hass ist das im Namen des, hoffe ich, ganzen Hauses – manchmal (C) Gift!) habe ich ein bisschen Zweifel, ob es wirklich das ganze Meine Damen und Herren, erst vor wenigen Tagen hat Haus ist – danken. Vielen Dank, Herr Schäuble. unser Parteivorsitzender vor einem wei- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, teren Aufheizen des politischen Klimas gewarnt. Prompt der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE wurden er und seine Familie Opfer eines Brandanschla- GRÜNEN) ges. Von den gesundheitlichen Schäden ist er bis heute nicht genesen. Auch diese Tat war das Werk von Extre- Ich will gleichzeitig sagen, dass auch das, was ich misten, und sie zeigt uns einmal mehr, dass es nicht damit gestern in Bildern gesehen habe, wichtig ist, weil nämlich getan ist, Extremismus allein auf der rechten Seite zu auch eine Stadt trauert: die Menschen in Hanau, die so suchen, viel Mitgefühl gezeigt haben und versucht haben, diesen Anschlag zu verarbeiten. Auch das sollten wir heute in (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unseren Reden mitbedenken. Aber natürlich müssen wir NEN]: Vielleicht weiß jetzt auch der Letzte, uns gleichzeitig darüber klar werden, was die wachsende woran er bei Ihnen ist!) rassistisch motivierte Gewalt für unser Land bedeutet und sondern dass es nur in einer gemeinsamen Kraftanstren- was wir tun müssen. gung aller demokratischen Kräfte gelingen wird, die ge- Aber es geht um mehr: Es geht um die Selbstverge- sellschaftlichen Rückzugsräume für Extremisten wieder wisserung, ob das, was uns das Grundgesetz als Hand- zu schließen: von rechts wie von links. lungsanleitung mit auf den Weg gegeben hat, gilt: Ich danke Ihnen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat- Kein Wort zu den Opfern! Dass Sie sich nicht lichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich da- schämen! – Dr. Alexander Gauland [AfD] er- rum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Men- hebt sich und gibt Dr. Roland Hartwig [AfD] schenrechten als Grundlage jeder menschlichen die Hand – Zuruf von der SPD: Widerlich! – Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in der Welt. NEN]: Das ist das Gift! – Gegenruf des Abg. Diese wenigen klaren Sätze machen deutlich, um was Dr. Götz Frömming [AfD]: Jede Schulklasse es heute geht, meine Damen und Herren. Ja, die Adressa- benimmt sich besser als Sie, Frau Haßelmann! – ten der Mütter und Väter des Grundgesetzes waren der Zuruf von der LINKEN: Nazis!) (B) Staat, aber eben auch der Souverän. Deswegen ist hier vor (D) dem Deutschen Bundestag, entlang der Spree, der richti- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ge Platz für die 19 Grundrechtsartikel, die von dem israe- Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Rat wäre, in lischen Künstler Dani Karavan gestaltet worden sind. Ich dieser Debatte auf allen Seiten des Hauses dem Ernst sehe viele Menschen, viele Besuchergruppen, die davor der Lage entsprechend sich zu verhalten. stehen bleiben und diese Sätze lesen. Diese Menschen dokumentieren das. Ich glaube, sie dokumentieren auch, (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der dass sich die Mehrheit der Deutschen an diesem Grund- AfD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE gesetz eben nicht nur orientiert, sondern auch danach GRÜNEN], an die AfD gewandt: Jetzt weiß leben will. wenigstens jeder, woran man bei Ihnen ist! – Gegenruf des Abg. [AfD]: Da es den Staat adressiert, möchte ich auch einige Benehmen Sie sich mal!) Worte an den Herrn Bundespräsidenten richten. Im Na- Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der SPD-Fraktion, men meiner Fraktion möchte ich Ihnen ganz herzlich Dr. Rolf Mützenich. danken, nicht nur für das, was Sie gestern in Hanau ge- sagt haben, sondern auch für das, was Sie die ganzen (Beifall bei der SPD) letzten Monate getan haben, nämlich diesem Staat ein Gesicht der Würde, des Respekts, der Trauer zu geben Dr. Rolf Mützenich (SPD): und insbesondere zu zeigen, dass dieses Land aus einer Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrter pluralistischen und freien Gesellschaft besteht. Vielen Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kol- Dank, Herr Bundespräsident. legen! Die Debatte heute ist dringlich und unerlässlich. Mein Vorredner hat das dokumentiert. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bei Abgeordneten der LINKEN) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Meine Damen und Herren, was in Hanau passiert ist, NISSES 90/DIE GRÜNEN) ist mehr als Totschlag. Wir müssen es aussprechen: Es ist Ich finde, das, was Sie gesagt haben, ist nicht angemessen Massenmord. Es ist ein gezielter Angriff gegen Auslän- für das, was wir in Hanau, was wir in dieser Republik der, Fremde, Nichtdeutsche. Egal wie man es nennt: Es erleben müssen. Ich finde, an erster Stelle müssen Trauer war rassistischer und rechter Terror. Vielleicht war es ein und Mitgefühl mit den Angehörigen stehen. Insbesondere Einzeltäter, aber er wurde getragen von einem System der möchte ich dem Bundestagspräsidenten für seine Worte Hetze, der Erniedrigung und der Anleitung zu Gewalt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18555

Dr. Rolf Mützenich (A) Diese Spur führt hinein in den Bundestag, und die AfD ist es eine große Zahl von Menschen gibt, die genauso den- (C) der Komplize. ken. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, (Dr. Götz Frömming [AfD]: Der war krank, der der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Mann!) GRÜNEN – Widerspruch bei der AfD – Sie haben den Boden bereitet; Sie haben sich schuldig Dr. Alexander Gauland [AfD]: Unverschämt- gemacht. heit!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Nicht anders, meine Damen und Herren, können Ihre DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Reden verstanden werden. , 16. Mai 2018 CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) hier im Bundestag: „Burkas, Kopftuchmädchen, alimen- tierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden Wir Sozialdemokraten sind stolz, einer Partei anzuge- unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor hören, die von Anfang an gegen Rassismus und rechtes allem den Sozialstaat nicht sichern.“ Ich frage Sie: Ist Gedankengut gekämpft hat, gegen die Kolonialpolitik das kein Rassismus? eines Kaiserreiches, das Sie, Herr Gauland, hier in jeder Rede so verherrlichen. Damals wurden wir weggesperrt (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, und als vaterlandslose Gesellen diffamiert. Weil wir dem der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Rassenwahn der Nationalsozialisten widerstanden haben, GRÜNEN) wurden wir geknechtet und vertrieben. Alexander Gauland am 2. Juni 2016: „Hitler und die Deswegen sage ich auch heute: Wir schöpfen Selbst- Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jäh- bewusstsein aus der Tatsache, dass in der Mitte meiner rigen Geschichte.“ Ich frage Sie: Ist das keine Relativie- Fraktion ein Mensch wie Karamba Diaby einen Platz hat. rung des Rassenwahns des letzten Jahrhunderts? (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch Er wird bedroht; aber er wehrt sich, und er zeigt Hal- [AfD]) tung. Diese Haltung ist für Demokratinnen und Demo- Herr Gauland und Frau Weidel, Sie haben Herrn Hartwig kraten so wichtig. Vielleicht darf ich denjenigen, die ihn vorgeschickt. Sie hätten an dieses Pult treten und eine bedrohen und angreifen, sagen: Er ist Chemiker. Er hat Rede halten müssen, und Sie hätten sich entschuldigen seine Doktorarbeit über das Kleingartenwesen in Halle (B) (D) müssen. geschrieben. Er weiß mehr über das genossenschaftliche Wesen und die genossenschaftliche Tradition als mancher (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Ignorant und Deutschtümler. Vielen Dank, Karamba, für der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE deinen Mut. GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das entscheiden immer noch wir, wer redet, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, nicht Sie, Herr Mützenich!) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es war Björn Höcke, der gesagt hat: „Im 21. Jahrhun- Es ist aber nicht nur Karamba Diaby, sondern es sind dert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbrei- ganz viele Menschen, die sich in den Dörfern, in den tungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platz- Gemeinden und in den Städten gegen Hass und Hetze haltertyp.“ Ich frage Sie: Ist das keine Rassenlehre? einsetzen. Deswegen sage ich: Ja, meine Damen und Her- (Dr. Götz Frömming [AfD]: Reden Sie mal zu ren, wir sind keine Wiederholung von Weimar. Wir sind Hanau!) eine mutige Demokratie. Dafür gibt es jeden Tag genü- gend Beispiele in unserem Land. Ja, es ist Rassenlehre. Und dieser Mann gehört zu Ihren Reihen. Zum Schluss möchte ich etwas ansprechen, was einem immer wieder Hoffnung macht. Verzeihen Sie mir, dass (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, ich von meiner Heimatstadt Köln spreche, wo vor 14 Ta- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE gen Karneval war. Dort sind Schulklassen durch die GRÜNEN) Stadtteile gezogen. Diese Schulklassen waren so bunt wie jede unserer Städte, so bunt, wie Deutschland es ist. Dann Markus Frohnmaier am 28. Oktober 2015: Die Kinder haben gelacht und Kamelle geworfen. Das ist „Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird es, was dieses Land ausmacht, Frau Weidel und Herr ausgemistet.“ Dort steht der Feind dieser Demokratie, Gauland. und wir müssen das benennen. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Hat keiner was (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, dagegen! Nur Silvester war nicht so schön!) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Schulklassen sind in das ehemalige Haus der Gestapo gegangen. Dort gibt es eine Ausstellung über Meine Damen und Herren, mit Ihren Reden haben Sie den Karneval im Nationalsozialismus. Sie haben sich an- Täter wie jenen in Hanau in dem Glauben gelassen, dass geschaut, was dort vor Jahrzehnten getrieben wurde. Sie 18556 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Rolf Mützenich (A) sind fassungslos und können nicht glauben, was damals genehme Diskussionen aushalten zu müssen. Aber die (C) in diesem Land passiert ist. Deswegen ist das „keine däm- wenigsten von uns haben eine Vorstellung davon, was liche Bewältigungspolitik“, wie Herr Höcke gesagt hat. es heißt, Bürger mit Migrationshintergrund zu sein. Ich bin stolz, dass wir unsere Kinder im Wissen um die Geschichte erziehen. Daraus schöpfe ich Hoffnung. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Vielen Dank. CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Was man inzwischen gelegentlich persönlich erfahren der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE muss, ist zutiefst verstörend. GRÜNEN – Die Abgeordneten der SPD erhe- ben sich) Meine Damen und Herren, ein Jahr vor der Abiturprü- fung habe ich meine Eltern gefragt, was ich nach dem Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Abitur eigentlich studieren soll. Meine Eltern haben ge- Nächster Redner ist der Kollege Bijan Djir-Sarai, FDP. antwortet: Medizin studieren, Arzt werden. – Da habe ich gefragt: Warum denn das? – Meine Eltern haben geant- (Beifall bei der FDP) wortet: Sollten sich die politischen Verhältnisse in Deutschland eines Tages verändern und solltest du dann Bijan Djir-Sarai (FDP): das Land verlassen müssen, wirst du als Arzt überall im Herr Bundespräsident! Herr Bundestagspräsident! Ausland arbeiten können. Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol- legen! Normalerweise halte ich in diesem Haus außen- Ich habe mich über diesen Satz meiner Eltern immer und sicherheitspolitische Reden. Es war mir aber ein wahnsinnig aufgeregt. Ich habe mit meinen Eltern immer persönliches Bedürfnis, in dieser wichtigen Debatte heute darüber gestritten und gesagt: Das ist doch Unsinn. Wa- mitzuwirken. rum sollten sich die politischen Verhältnisse in Deutsch- land verändern? Warum sollte ich mir jemals Gedanken Wenn ich vor zehn Jahren eine Rede über Hass und darüber machen, Deutschland zu verlassen? Rechtsextremismus in Deutschland gehalten hätte, hätte ich eine andere Rede gehalten. Ich hätte hier gesagt, dass Meine Damen und Herren, in den Tagen von NSU, Deutschland ein weltoffenes und tolerantes Land ist und Kassel, Halle und Hanau mache ich mir aber oft Gedan- Hass und Extremismus in unserem Land keinen Platz ken über den Satz meiner Eltern. Selbstverständlich den- haben. Heute sage ich: Ja, wir sind ein weltoffenes und ke ich nicht darüber nach, Deutschland zu verlassen. Da- tolerantes Land, aber es gibt Entwicklungen in unserem für bin ich zu sehr Rheinländer, dafür liebe ich dieses (B) (D) Land, die mich beunruhigen und zutiefst schockieren. Land zu sehr. Das ist meine Heimat. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, Die Tat von Hanau führt uns einmal mehr auf tragische der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Weise vor Augen, wohin Hass und rechtsextreme Hetze GRÜNEN) führen können. Für das, was in Hanau passiert ist, gibt es Aber ich spüre zum ersten Mal seit Langem, dass Men- keine Rechtfertigung. schen in diesem Land zu Recht Angst vor der Zukunft (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, haben. In diesem Land, meine Damen und Herren, darf es der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE keinen Platz für Hass und Rassismus geben. Das sage ich GRÜNEN) nicht als jemand, der nicht in Deutschland geboren wur- de; das sage ich als Bürger dieses Landes. Es gibt kein „Ja, aber“. Menschen sind aufgrund rassisti- scher Motive gezielt getötet worden – Punkt. Unser tief- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, empfundenes Beileid gilt den Opfern dieser schreckli- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE chen Tat und ihren Angehörigen. Jede Verharmlosung, GRÜNEN) jede Relativierung dieser Tat sind menschenverachtend und fügen den Angehörigen der Opfer nur weiteres Leid Wenn Menschen muslimischen Glaubens angegriffen zu. werden, dann ist das nicht nur ein Angriff auf Muslime, dann ist es ein Angriff auf uns alle. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn unschuldigen Menschen aufgrund von Hass und Hetze ihr Leben genommen wird, dann können wir als Wenn Menschen jüdischen Glaubens auf der Straße auf- Gesellschaft nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. grund ihrer Kippa angegriffen werden, dann ist das nicht Jeder Mitbürger mit Migrationsbiografie wird Ihnen Ge- nur ein Angriff auf Juden, es ist ein Angriff auf uns alle, schichten von Alltagsrassismus erzählen können, von un- meine Damen und Herren. terschwelligen Bemerkungen und direkten Beleidigun- gen bis hin zu offener Gewalt. Das ist sehr schmerzhaft. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Gerade wir als Abgeordnete können als Personen der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN Öffentlichkeit nachvollziehen, was es heißt, auch unan- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18557

Bijan Djir-Sarai (A) Genauso ist der Anschlag von Hanau ein Angriff auf dem Mordanschlag auf Henriette Reker, den Morden im (C) unsere gesamte Gesellschaft. Er schürt Angst und sorgt Münchener Einkaufszentrum, für Unsicherheit. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Mauertote haben Meine Damen und Herren, wir sind Demokraten. Es ist Sie vergessen!) unsere Aufgabe als Demokraten, in dieser schwierigen nach dem Mord an Walter Lübcke, nach Halle und Ha- Zeit die Gesellschaft zu versöhnen, und nicht, die Gesell- nau – eine Relativierung von Faschismus und der Gefahr, schaft zu spalten. Es ist unsere Aufgabe als Demokraten, die von Nazis in unserem Land ausgeht, meine Damen dafür zu sorgen, dass rassistischer Hass und Gewalt kei- und Herren. nen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft haben. Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, In diesem Sinne: Danke, Herr Brinkhaus. Danke, Herr der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Schäuble. Das ist ausdrücklich eine andere Akzentset- GRÜNEN) zung gewesen. Über 200 Morde – alles Einzelfälle? Hören wir auf Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: damit. Das ist gefährlicher Unsinn. Rechtsterror und Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der Par- Rechtsextremismus sind strukturelle Probleme. Werden tei Die Linke, Dr. Dietmar Bartsch. sie nicht mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpft, (Beifall bei der LINKEN) breiten sie sich weiter aus. Jeden Tag werden in Deutsch- land Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Haarfarbe, ihrer Religion, ihres Namens bepöbelt und angegriffen, Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): im Job diskriminiert oder gar nicht erst eingestellt, wer- Herr Bundespräsident! Herr Bundestagspräsident! Lie- den Moscheen mit Hakenkreuzen beschmiert und Syna- be Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein Problem in gogen rund um die Uhr bewacht. Was für ein trauriger diesem Land, leider auch im Bundestag. Das Problem Zustand! heißt: Rassismus. Alltagsrassismus auf der einen Seite und struktureller Rassismus auf der anderen Seite gehen Die Morde des NSU hätten jedem die Gefahr endgültig dabei Hand in Hand. vor Augen führen müssen. Rechter Terror und rassisti- sche Gewalt hätten Priorität Nummer eins der Sicher- Zehn Menschen wurden am 19. Februar in Hanau er- heitsbehörden werden müssen. Das geschah aber aus- (B) mordet. Kurz darauf wurde über Fremdenfeindlichkeit, drücklich nicht. Im Gegenteil: Die Debatten, auch in (D) über Ausländerfeindlichkeit berichtet. Aber Ferhat, Mer- der Bundesregierung, waren komplett andere. Die Migra- cedes, Sedat, Gökhan, Hamza, Kaloyan, Vili Viorel, Said tion sei die Mutter aller Probleme, hieß es. Ich hoffe, dass und Fatih waren in Deutschland nicht fremd. Sie waren auch beim Innenminister inzwischen die Erkenntnis ge- und sie bleiben ein Teil von Deutschland. wachsen ist, Rassismus und Rechtsterror sind Väter vie- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem ler Probleme in unserem Land, meine Damen und Herren. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Die Bundesregierung hat besondere Verantwortung, mäß- ordneten der CDU/CSU und der FDP) igend auf Debatten einzuwirken, Achten wir auf unsere Sprache. Damit beginnt es. Hören (Beifall bei der LINKEN) wir auf mit Begriffen wie „Fremdenfeindlichkeit“. Sie anstatt die Probleme anzuheizen. verharmlosen die Tat, und sie grenzen aus. Wer aber Zitate des ehemaligen Präsidenten des Ver- Über 200 Menschen wurden von Rechtsextremen seit fassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, liest, der muss der Wiedervereinigung in Deutschland ermordet. Die sich fragen, wie jemand, der Sympathien für rechte Par- Blutspur des Rechtsterrorismus zieht sich seit Jahrzehn- olen hegt, Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen ten durch Deutschland, und das ist widerlich, meine Da- konnte. Dass dieser Mann jahrelang den Verfassungs- men und Herren. schutz leiten durfte, war ein schwerer Fehler der Innen- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem minister der Union BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Der Rechtsstaat muss entschlossen dagegen vorgehen. ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Viel zu lange wurde das Problem des rechten Terrors GRÜNEN) heruntergespielt. Noch heute geht einigen das Wort und im Übrigen über viele Jahre prägend. Klaus-Dieter „Rechtsterrorismus“ nicht über die Lippen, ohne Linke Fritsche, Mitglied der CSU, inzwischen pensioniert, war im selben Atemzug zu erwähnen. Es war auch hier eine Koordinator der Geheimdienste im Kanzleramt, Staats- Peinlichkeit, Herr Hartwig, sekretär, Vizepräsident des Verfassungsschutzes. Aber anstatt in den Ruhestand zu gehen, ging er vom Kanzler- (Beifall bei der LINKEN) amt direkt nach Wien als Berater des damaligen FPÖ- dieses unsägliche geschichtsvergessene Geschwätz von Innenministers Kickl. Der FPÖ, einer Bande mit Rechts- den Rändern. Die Gleichsetzung von rechts und links radikalen, sollte er auf die Sprünge helfen. Diese beiden ist angesichts unserer Geschichte – nach NSU, nach Herren zeigen anschaulich das gefährliche Problem des 18558 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Dietmar Bartsch (A) strukturellen Rassismus. Anders als Björn Höcke sind sie Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) keine Faschisten, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge- ehrter Herr Bundespräsident! Am 29. Mai 1993 verlor (Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD]) Mevlüde Genç beim rassistischen Brandanschlag in So- aber Sympathisanten rechter Politiker und ihrer Thesen, lingen zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. feine bürgerliche Herren, die die Tür für Rechtsradikale Jahre später fasste sie ihre Lehren daraus zusammen in öffnen. folgenden Worten: „Liebe lässt den Menschen leben, aber der Hass bringt den Tod.“ Ja, Rassismus tötet, Hass tötet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Gewinnt der Hass, stirbt die Demokratie. Dies zu ver- neten der SPD) hüten, ist die wichtigste Aufgabe aller Demokratinnen Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft ist und Demokraten. spürbar rabiater, brutaler geworden. Wir haben ein ver- giftetes Klima, wie der Bundestagspräsident gesagt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Der knallharte Wettbewerbsdruck hat der Gesellschaft bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der den Stempel des „Jeder gegen jeden“ aufgedrückt und LINKEN) den Zusammenhalt erodieren lassen. Wir müssen auch Meine Damen und Herren, wir sind heute hier, um über über das Klima reden, in dem Rechtsextremismus ge- die Frage zu beraten, die mir der Vater eines der Opfer deiht, ein Klima, in dem die Abwertung des anderen, letzte Woche in Hanau gestellt hat: Wann hört dieser des vermeintlich Fremden und angeblich Schwächeren Wahnsinn auf? Wie lange noch müssen Menschen ster- sagbar und auch salonfähig geworden ist. Wenn in dieser ben, weil sie Muslime oder Aleviten, Türken oder Kur- Situation Faschisten Hass und Hetze verbreiten, wenn den, Afghanen oder Roma sind? Shisha-Bars verunglimpft und bessere Renten für Deut- sche gefordert werden, dann wird zusätzliches Gift in der (Zuruf von der AfD: Deutsche!) Gesellschaft versprüht, das den Nährboden für solche Wie lange müssen wir uns anhören, Menschen, die seit Taten schafft. vier Generationen in Deutschland leben, seien Fremde? Wie lange muss die Mutter eines getöteten jungen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Mannes das Gefühl haben, statt trauern zu dürfen, recht- neten der SPD) fertigen zu müssen, ihr Sohn sei doch so gut integriert Wir brauchen Sicherheit durch Schutz und vor allen Din- gewesen, er habe doch eine Arbeit gehabt? gen Umsteuern und Umdenken, meine Damen und Her- ren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (Beifall bei der LINKEN) Wie oft wollen wir als Politik Reden halten wie nach den (D) Toten von Mölln, Solingen, Dessau, Nürnberg, Heil- Am Wochenende wurde Dietmar Hopp, bekannterma- bronn, Kassel, Magdeburg, Halle, Wolfhagen oder Ha- ßen Mäzen der TSG Hoffenheim, wieder einmal abscheu- nau? Wir sind den Angehörigen der Opfer eine Antwort lich verunglimpft. Es war ein starkes Zeichen, dass die schuldig, und nach jedem neuen Opfer des Rassismus Spieler und Verantwortlichen das nicht tatenlos akzeptiert wird diese Antwort überfälliger. haben. Aber als ein Spieler von Hertha BSC, Jordan Torunarigha, vor Kurzem im Stadion rassistisch beleidigt Meine Damen und Herren, in den letzten 30 Jahren worden ist, gab es kaum Empörung von den Funktionä- haben in unserem Land mindestens 200 Menschen auf- ren. Unser Fußballnationalspieler Antonio Rüdiger sagte grund rechtsextremer und rassistischer Gewalttaten ihr jüngst: „Taten müssen folgen! Alles andere hilft nichts. Leben verloren, und das ist nur die traurige Spitze des Leute, die daneben sitzen, müssen endlich aufstehen …“. Eisberges. Es gibt tagtäglich Angriffe auf Jüdinnen und Juden, Musliminnen und Muslime, auf Synagogen, auf (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Moscheen, auf Menschen anderer Herkunft. Hass und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Rassismus machen unsere Gesellschaft krank und säen Recht hat er. Zwietracht. Dagegen braucht es einen Aufstand der An- ständigen. Es muss sich einiges grundsätzlich ändern: bei den Behörden, in der Gesellschaft, hier im Parlament und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch in der Bundesregierung. So darf es nicht weiter- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der gehen; denn die Reihe der rassistischen Morde muss CDU/CSU und der FDP) mit Hanau beendet sein. Ich bin froh um jede Stimme der Solidarität in diesem Herzlichen Dank. Land, jede gereichte Hand für Demokratie und Zusam- menhalt, für den Schulterschluss der Demokratinnen und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Demokraten. Aber es braucht jetzt vor allem einen Auf- neten der SPD) stand der Zuständigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt hat das Wort der Kollege Omid Nouripour, Bünd- Wir brauchen Institutionen, die aufstehen gegen Rassis- nis 90/Die Grünen. mus. Dies tun dankenswerterweise schon viele: bei der Polizei, bei der Bundeswehr, in der Justiz und in der Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) waltung, aber dies müssen alle tun, die dem Schutze un- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18559

Omid Nouripour (A) seres Landes und unseres Grundgesetzes verpflichtet droht werden aufgrund ihrer Herkunft, auch ich. Ich kann (C) sind. Das ist derzeit leider nicht der Fall. nicht im Namen all dieser Leute sprechen, aber ich kann versprechen: Ob Karamba Diaby, Aydan Özoğuz, Amira Es ist gut, dass es jetzt einen Kabinettsausschuss gibt, Mohamed Ali, Bijan Djir-Sarai, Cem Özdemir, Paul der sich mit diesem Thema beschäftigt. Ich begrüße herz- Ziemiak oder ich: Wir Deutsche werden den Rassisten lich die Vertreterinnen und Vertreter der Verbände der nicht unseren Hass schenken, und wir werden ihnen erst Migrantenselbstorganisationen auf der Tribüne. Gerade recht nicht unsere Angst schenken. bei einem Kabinett, in dem kein einziges Mitglied irgend- einen Migrationshintergrund hat, werden sie ganz genau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) draufschauen, was der Kabinettsausschuss bringt. Dies schulden wir unserem Land, unserer Demokratie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dies schulden wir den Opfern von Hanau. Ich bin froh, dass der Generalbundesanwalt so klar von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Rassismus spricht. Nach der rassistischen Hetzjagd von bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Chemnitz sprach der Innenminister noch von der Migra- LINKEN) tion als der „Mutter aller Probleme“. Das sind Äußerun- gen, die Menschen mit einer Migrationsgeschichte immer Und weil es in dieser Debatte um die Opfer von Hanau wieder das Gefühl geben, ihren Wert und ihren Platz in geht, finde ich, dass wir es den Opfern schulden, ihnen der Gesellschaft beweisen, ja rechtfertigen zu müssen. mehr Aufmerksamkeit zu schenken als der Hetze, die wir Aber sollte es nicht anders sein? Sollten nicht Rassisten, vorhin gehört haben. Antisemiten, Homophobe, Sexisten und Islamfeinde den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Druck der Demokratie spüren? sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deshalb möchte ich die Namen vorlesen. Wir gedenken und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten heute Said Nessar El Hashemi, Sedat Gürbüz, Gökhan der SPD) Gültekin, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Vio- Ich bin froh, dass der Innenminister nun davon spricht, rel Pǎun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov, dass Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demo- Michèle Kiesewetter, Walter Lübcke, Antonio Amadeu, kratie in diesem Land sei. Es gibt auch eine sehr klare Alberto Adriano, Halit Yozgat und aller anderen Opfer Einordnung seinerseits der Tat in Hanau. Er sagt – ich des Rassismus. zitiere –, dass der rassistische Hintergrund der Morde in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Hanau unbestritten sei und durch nichts relativiert wer- bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der (B) (D) den könne. Ich danke Ihnen herzlich, Herr Seehofer, für LINKEN) diese klaren Worte. Ich hoffe, wir bleiben an dieser Stelle zusammen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Meine Damen und Herren, unser gemeinsames Zusam- Jetzt hat das Wort der Bundesinnenminister Horst See- menleben regelt das Grundgesetz. Niemand muss sich hofer. vor irgendetwas anderem rechtfertigen als vor dem Grundgesetz, vor unserer Verfassung. Aber das zeigt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- doch auch, dass der Kampf gegen Rassismus nicht erst ordneten der SPD) dann beginnt, wenn Menschen sterben. Rassismus tötet, aber vorher grenzt er aus. Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Bundespräsident! Herr Bundestagspräsident! sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Meine Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um die Be- der SPD) kämpfung des Rechtsextremismus geht, muss man sich Wenn qualifizierte Frauen einen Job nicht bekommen, zuallererst ein Bild von der tatsächlichen Lage machen, weil sie ein Kopftuch tragen, wenn Menschen eine Woh- ein ehrliches, ein ungeschminktes Bild. Für Relativierung nung nicht bekommen, weil die Namen ihrer Vorfahren oder gar Verharmlosung gibt es bei diesem ernsten The- anders klingen, dann hat das alles einen Namen: Das ist ma keinen Raum. Rassismus. Die furchtbare Gewalttat in Hanau war die dritte inner- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- halb von zehn Monaten; es ist eine Spur zurück über den SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Amoklauf in München, der heute von den Sicherheitsbe- hörden zweifelsfrei als rechtsextremistisch motiviert ein- Den Rassismus des Alltags zu bekämpfen, damit beginnt gestuft wird, bis zur Enttarnung des NSU. Es war die die Aufgabe, über die wir heute sprechen. dritte Gewalttat, die unzweifelhaft rassistisch motiviert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und islamfeindlich war. bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- Darüber hinaus muss man sich immer wieder in Er- ordneten der CDU/CSU und der FDP) innerung rufen, dass wir in den letzten Wochen zwölf Rassismus speist sich aus Hass, Hass speist sich aus mutmaßliche Rechtsextremisten verhaftet haben, die Wut, Wut speist sich aus Angst. Hier sitzen im Raum ganz offenbar konkrete Planungen hatten gegen Perso- viele Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Tode be- nen, Planungen für bürgerkriegsähnliche Zustände in 18560 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Bundesminister Horst Seehofer (A) der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben in den letz- Das haben wir als Auftakt betrachtet, auch im Interesse (C) ten Wochen eine Wohnung mit Unmengen von Spreng- der Opfer und der Angehörigen, und eine umfassende stoff und Handgranaten ausgehoben, eine andere Woh- Strategie zur Bekämpfung des Rechtsextremismus ent- nung, ebenfalls in den letzten Wochen, mit vielen wickelt – sofort, innerhalb von zwei Tagen, mit allen automatischen Waffen. 16 Bundesländern, ohne jeden politischen Streit. Das Bundeskabinett hat diese zwölf Punkte übernommen; Wenn wir die Spur seit der Enttarnung des NSU bis sie sind mittlerweile weitestgehend umgesetzt. heute und die Entwicklung in den letzten Monaten be- trachten, dann, meine Damen und Herren, muss ein In- Den Worten sind Taten gefolgt. Ich nenne sie hier nur nenminister davon sprechen, dass die Bedrohungslage, stichwortartig: Wir haben für eine massive personelle die Gefährdungslage durch den Rechtsextremismus in Verstärkung des Bundeskriminalamtes und des Bundes- unserem Land sehr hoch ist und durch nichts relativiert amtes für Verfassungsschutz gesorgt. Vergleichbare Ar- werden kann. beitseinheiten hatten wir bisher nur bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors, aber nicht im Bereich Rechts- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, extremismus. Wir werden wahrscheinlich noch in dieser der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Woche hier im Deutschen Bundestag den Entwurf eines GRÜNEN) Anti-Hass-Gesetzes vorlegen; Frau Lambrecht wird dazu Natürlich gibt es auch Linksextremismus. Es gibt die Näheres sagen. Es ist umfassend: Wenn jemand im Inter- Reichsbürger, die sehr waffenaffin sind, und es gibt nach net Drohungen ausstößt, Straftaten ankündigt oder be- wie vor eine hohe Gefährdungslage beim islamistischen geht, ist der Provider künftig nicht nur verpflichtet, diese Terror. Aber die höchste Bedrohung in unserem Lande Inhalte zu löschen, sondern auch, sie dem Bundeskrimi- geht vom Rechtsextremismus aus. nalamt zu melden; und wenn dort eine Straftat bejaht wird, wird die Justiz eingeschaltet. Wir haben in der vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) letzten Sitzungswoche das Waffenrecht verschärft, mit dem ganz klaren Grundsatz: Waffen gehören nicht in Das muss deutlich ausgesprochen werden. Man kann die die Hände von Extremisten. Bedrohung nicht relativieren, indem man sagt: Es gibt ja auch Linksextremismus. – Der Rechtsextremismus, der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Rechtsterrorismus und der Antisemitismus sind die SPD und der FDP) höchste Gefährdung unseres freiheitlichen Rechtsstaates. Wir haben zum ersten Mal einen Antisemitismusbeauft- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ragten der Bundesregierung. Herr Dr. Klein leistet ganz bei Abgeordneten der FDP) hervorragende Arbeit. Ihm möchte ich bei dieser Gele- (B) genheit auch einmal danken. (D) Es beginnt mit der Verrohung der Sprache – es gibt unzählige Beispiele, die heute schon genannt worden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sind –, die sich auch in Bildern ausdrückt, zum Beispiel, neten der SPD, der FDP, der LINKEN und des wenn Menschen in einem Bundesligastadion im Faden- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kreuz gezeigt werden oder wenn vom Erschießen reicher Leute gesprochen wird. Ich habe die gefährliche Vereinigung Combat 18 ver- boten. Wir haben jetzt eine Expertengruppe gegen Islam- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten feindlichkeit eingerichtet. Die Kanzlerin hat entschieden, der CDU/CSU und der AfD) dass wir einen Kabinettsausschuss zum Thema Rechts- extremismus bekommen. Und ich bin dabei, mit der Kol- Das alles ist die Saat, durch die die Gewalt bewusst und legin Giffey die Präventionsprogramme des Bundes zu gewollt oder auch ungewollt entsteht. Deshalb muss man überprüfen, um in der Zukunft vielleicht noch effektiver diesen Tag nutzen, um an die Disziplin, an die Mäßigung und wirksamer sicherzustellen, dass wir bereits im Vor- in der Sprache zu erinnern. feld durch wirksame Präventionsprogramme manches (Beifall bei Abgeordneten CDU/CSU und der verhindern können. Ich habe dazu gemeinsam mit Frau AfD) Giffey die besten Spezialisten der Bundesrepublik Deutschland eingeladen. Wir haben stundenlang mitei- – Das hätten Sie hier von rechts heute übrigens praktizie- nander diskutiert. Wir werden die Ergebnisse dieser Dis- ren können. kussionen in veränderten Präventionsprogrammen um- setzen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe Anfang dieser Woche mit dem Präsidenten des Deutschen Fußballbundes wegen der Entwicklung Ich habe Halle und Hanau besucht und habe oft be- in unseren Stadien, die ja oft auch einen rassistischen richtet, dass zwei Sätze, die mir dort gesagt wurden, Hintergrund hat, Kontakt aufgenommen, um gemeinsam wie ein Stich ins Herz gewirkt haben, in einer Gedenk- zu überlegen, wie wir diesen Auswüchsen und Entwick- veranstaltung, in aller Stille der Ruf eines jungen Men- lungen entgegentreten können, ohne Aktionismus zu ver- schen: „Ihr könnt uns nicht schützen!“, und bei einem anstalten, sondern mit wirksamen Maßnahmen, die den Gespräch mit Betroffenen, mit Angehörigen die Aussage: Menschen helfen. Gibt es jetzt wieder nur Worte der Anteilnahme, oder folgen diesen Worten auch politische Taten und Maßnah- Dieses umfassende Bekämpfungspaket ist eine Ant- men? wort auf die Frage: Gibt es nur Worte, oder gibt es auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18561

Bundesminister Horst Seehofer (A) wirksame politische Maßnahmen? Und auf „Ihr könnt (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) uns nicht schützen!“ ist unsere Antwort die wehrhafte NEN]: Haben Sie sich da reingedacht? Demokratie, die die Errungenschaften unserer freiheitli- telepathische Kontrolle; ritueller Missbrauch von Kin- chen Demokratie bewahrt. Dazu brauchen wir mutige dern in unterirdischen Basen; er habe mit Gedanken den Demokraten. Dazu brauchen wir aber auch und vor allem 9/11-Terror bewirkt. – Er war verrückt, und der AfD soll einen starken Staat, wenn es um den Schutz unserer frei- es in die Schuhe geschoben werden, um das nächste Fehl- heitlich-demokratischen Grundordnung geht. urteil des Verfassungsschutzes für den Wähler plausibler (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. zu machen. Nein, nicht aus Worten, aus Wahnvorstellun- Bijan Djir-Sarai [FDP]) gen wurden da Taten. Wir brauchen diesen starken Staat; denn man hört in (Beifall bei der AfD – Zurufe vom BÜND- der Bevölkerung oft die Fragen – auch das ist ein Argu- NIS 90/DIE GRÜNEN) ment –: Kann sich der Rechtsstaat eigentlich noch durch- Der Täter beschreibt Vernichtungsfantasien, die die setzen? Hat der Rechtsstaat genug Biss, um das, was hier ganze Menschheit betreffen. Drei Zitate: Alle eliminie- an Gesetzen beschlossen wird, in der Praxis umzusetzen? ren, auch wenn wir von mehreren Milliarden sprechen; Dafür müssen wir jeden Tag arbeiten, für diesen starken wenn ein Knopf zur Verfügung steht, würde ich diesen Staat zur Unterstützung von mutigen Demokraten. sofort drücken; zudem müssten wir eine Zeitschleife flie- Ich möchte heute die Gelegenheit wahrnehmen, jenen gen und den Planeten zerstören. – Offensichtlich keine den Rücken zu stärken, die täglich für diesen starken politische Agenda? Die psychotische Verfasstheit lässt Staat arbeiten, wenn es um den Schutz des Lebens, der sich nicht vom konkreten Tatverhalten abtragen, um da- Gesundheit und des Eigentums geht. Weil es oft heißt, wir runter ein wahnfreies, rein politisches Motiv zu entde- wollten den gläsernen Bürger, sage ich: Das ist mitnich- cken. ten der Fall. Wir bekämpfen nicht die allgemeine Bevöl- (Zuruf des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/ kerung, sondern wir bekämpfen die Straftäter. Und für CSU]) diese Bekämpfung brauchen wir diesen starken Staat mit unserer Polizei und den Sicherheitsbehörden. Des- Was hat ihn zu seiner Wahnsinnstat getrieben? Er sagt: halb bitte ich das ganze Parlament, dass wir in der Zu- Nach einem miterlebten Banküberfall wurden ihm zu kunft noch mehr als bisher jene schützen, die uns jeden 90 Prozent ausländische Verdächtigenprofile vorgelegt. – Tag schützen, die jeden Tag die freiheitliche Demokratie Das wird Schlüsselerlebnis. Deshalb ganze Völker aus- schützen. löschen zu wollen – er nennt über 20 Länder –, diese krankhafte Übersteigerung ist gerade das Wahnhafte. (B) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Der geistig gesunde Mensch reagiert auf Missstände, in- (D) FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dem er die AfD wählt. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dass bewaffnete Irre im Land rumlaufen, ist Staatsver- Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Dr. Gottfried sagen. Selbst nach einer wahnhaften Anzeige des Täters Curio, AfD. wurde nicht ermittelt wegen möglicher Gefährdung, Waf- fenbesitz. Wir fordern: Prävention statt Polemik; keine (Beifall bei der AfD – [SPD]: Waffen in den Händen von Verrückten. Messerstecherpapa! Messerstechermama! Messerstecherbambini!) (Beifall bei der AfD) Schluss auch mit Ihrer Verrohung der Sprache! Die Dr. Gottfried Curio (AfD): AfD ist für einen Herrn Merz „Gesindel“, für Laschet Sehr geehrter Herr Präsident! Die Mordtat von Hanau „bis aufs Messer“ zu bekämpfen, für Herrn Wanderwitz erschüttert und wühlt auf. Was auch erschüttert, ist die „giftiger Abschaum“. Diese Sprache ist eine Schande für reflexhafte Hetze, mit der hier Opfer zur parteipolitischen dieses Land und für Ihre Kanzlerkandidaten. Münze geschlagen werden. (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Saskia [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt ja Esken [SPD]: Peinlich, Herr Curio!) der Richtige!) Sie spannen ermordete Menschen vor den Karren Ihrer Die Diffamierung als Faschist oder Nazi ist zum alltä- Parteipolemik. Der Generalbundesanwalt weiß mitnich- glichen Kleingeld Ihrer Verleumdung geworden. Das ist ten, wie sich die Motivation des Täters entwickelt hat. Willkommenskultur für Rufmord. Aber doch unzurechnungsfähig? Das bejaht er, nicht Ihre Diffamierung. Das ist der wahre Sachstand. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Sie wollen durch Verfemung der Opposition eine verfehl- (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer te Regierungspolitik gegen Kritik immunisieren. [CDU/CSU]: Gut, dass Sie sich schon vorab entschuldigen!) (Abg. Saskia Esken [SPD] meldet sich zu einer Was war seine Gedankenwelt? Hier, in diesem Mani- Zwischenfrage) fest, steht: Wir sagen: Die Wahrheit ist der Gesellschaft zumutbar. 18562 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Gottfried Curio (A) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Steinmeier in Hanau. Wer die Angehörigen gesehen hat – (C) Eltern, die Bilder ihrer Kinder vor sich getragen haben, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: mit tränenüberströmtem Gesicht, die keine Worte für das Leid, für die Trauer gefunden haben, die sie erleben –, Herr Kollege Curio, gestatten Sie eine Zwischenfrage? dem wird klar, was da passiert ist: Unermessliches Leid ist Menschen zugefügt worden, die nichts anderes im Dr. Gottfried Curio (AfD): Sinn hatten, als hier zu leben, als Teil unserer Gesell- Nein. – Nicht Hass bewegt viele Bürger, sondern ge- schaft zu sein. Das muss uns doch alle aufrütteln! rechte Empörung über Illegalität und falsche Politik, mit der Sie das Land spalten, heute hier mit haltlosen Schuld- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie zuweisungen. Der eigentliche Brandstifter beschuldigt bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und den Feuermelder. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Ich würde gerne hier stehen als Justizministerin und all diesen Menschen, die jetzt Angst haben in diesem Land, Die AfD zeigt den Bürgern, dass es einen gewaltfreien versprechen, dass sich ein solch unermessliches Leid parlamentarischen Weg zur Beseitigung der Missstände nicht mehr wiederholt. Aber ich kann das nicht. Dafür gibt. ist die rechtsterroristische Bedrohung zu groß, und dafür (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE ist der Rassismus zu weit in unsere Gesellschaft vorge- GRÜNEN]: Es ging noch keine Sekunde um drungen. Aber eines, eines allerdings kann ich ihnen ver- die Opfer von Hanau! Keine Sekunde!) sichern: Wir nehmen den Kampf gegen diese Bedrohung auf! Deshalb ist die Existenz der AfD die beste Versicherung dieses Landes gegen Extremismus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der AfD) GRÜNEN und des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Der Befund ist ganz klar: Rechtsextremismus ist die Jetzt hat das Wort die Bundesjustizministerin Christine größte Bedrohung unserer offenen und friedlichen Ge- Lambrecht. sellschaft. Um das zu wissen, brauche ich keine polizei- liche Statistik. Wenn ich an den Terror des NSU, den (Beifall bei der SPD) Mord an Walter Lübcke oder den Anschlag von Halle (B) und die Morde in Hanau denke, ist die Sache eindeutig. (D) Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz Diese Gewalt, meine Damen und Herren, steht am Ende und für Verbraucherschutz: einer schleichenden gesellschaftlichen Entwicklung, die Herr Bundespräsident Steinmeier! Herr Präsident sich als Gewaltspirale beschreiben lässt: Menschen wer- Schäuble! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus- den abgewertet, rassistische Sprüche bleiben unwider- zusprechen, was ist, das ist das Gebot der Stunde. Des- sprochen – „Das wird man ja wohl noch mal sagen dür- wegen ist ganz klar zu sagen: In der Nacht des 19. Februar fen!“ –, es folgen Beleidigungen, Gewaltfantasien, hat ein Rassist in Hanau einen Massenmord begangen. Drohungen, und all das gipfelt schließlich in Gewalt – und Mord. Das haben Sie am rechten Rand, Sie von der (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie AfD, bis heute nicht verstanden: dass das die Gewalt- bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf spirale ist, an deren Ende solche Taten stehen. von der AfD: Haben Sie eben zugehört?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ In seiner rassistischen Wahnwelt gegen Muslime hat er CSU und der LINKEN – Zuruf der Abg. Leif- Menschen förmlich hingerichtet, Menschen, die nichts Erik Holm [AfD]) anderes im Sinn hatten, als ihren Feierabend ausklingen Ich will Ihnen allen das jetzt einmal an einem Beispiel zu lassen. deutlich machen – an einem einzigen Beispiel nur –, weil ich mir auf der Regierungsbank unglaublich viele Zwi- (Enrico Komning [AfD]: Der Mann war psy- schenrufe aus den Reihen der AfD anhören muss. Unser chisch krank!) Kollege Staatsminister Michael Roth wurde Ende letzten Die Opfer wurden mitten aus dem Leben, mitten aus Jahres bedroht. Aus diesem Drohbrief wurde hier im unserer Gesellschaft gerissen. Unsere Gedanken sind Plenum vorgelesen. Da stand: „Und dann werden wir bei ihnen. Wir trauern mit ihren Familien und mit ihren Dir Deine Wampe aufschneiden.“ – Das ist gegenüber Freunden. Den Menschen, die der Täter verwundet hat, Michael Roth erklärt worden. wünschen wir eine schnelle und vollständige Genesung. (Leif-Erik Holm [AfD]: Kennen wir alle! Wir (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie kriegen auch solche Briefe! Was glauben Sie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und denn, was wir bekommen!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wurde hier im Plenum vorgelesen. Und wissen Sie, Meine sehr geehrten Damen und Herren, am Tag nach was dann für Zwischenrufe aus der AfD kamen? „… ge- diesem furchtbaren Massenmord war ich zusammen mit rechter Zorn!“, das war der Zwischenruf aus Ihrer Frak- dem Kollegen Seehofer und mit Herrn Bundespräsident tion, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18563

Bundesministerin Christine Lambrecht (A) (Zurufe von der SPD und der LINKEN: Pfui!) durch ein verbessertes Strafrecht, aber auch beispielswei- (C) se durch ein verändertes Melderecht. Denn diese Men- Sie können es nachlesen. Das ist einfach nur widerlich: schen, die sich aktiv beteiligen für eine freie, für eine Da soll jemandem die Wampe aufgeschnitten werden, offene Gesellschaft, sind die Stützen dieser freien Gesell- und Sie empfinden das als „gerechten Zorn“. schaft. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass sich (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem niemand mundtot machen lässt durch solche Angriffe. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Das ist unser aller Verantwortung. In diesem Land muss ordneten der CDU/CSU und der FDP) die Vielfalt bewahrt werden; dafür sind wir Demokraten verantwortlich, meine Damen und Herren. Sie sollten sich schämen! Sie sollten einmal Ihrer Verant- wortung nachkommen und dafür sorgen, dass in Ihrer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fraktion solche Zwischenrufe unterbleiben! der CDU/CSU und der LINKEN) ( [AfD]: Kennen Sie die Aber wir müssen uns darüber hinaus auch fragen: Ist Schmierereien auf unseren Häusern?) das Waffenrecht – ja, wir haben es gerade reformiert, wir haben es gerade verschärft – wirklich ausreichend ver- Meine Damen und Herren, ein weiterer Nährboden, schärft worden, sorgt es wirklich dafür, dass Menschen, den es auszutrocknen gilt, neben diesen Entgleisungen die eine solche Waffe in der Hand haben, vorher ausführ- hier im Parlament, lich auf ihre Zuverlässigkeit überprüft wurden? Haben (Zurufe von der AfD) die Behörden die entsprechenden Möglichkeiten, alle In- formationen zu erlangen, um eine solche Entscheidung zu sind der Hass und die Hetze im Netz. Über 70 Prozent der treffen? Ich bin mir nicht sicher, wenn ich mir den Fall in angezeigten Hassposts im Netz gehen gegen Migrantin- Hanau anschaue, ob wir da wirklich alles ausgeschöpft nen und Migranten. Es verwundert nicht, dass sie sich in haben, was wir ausschöpfen können. Denn der Grundsatz unserer Gesellschaft nicht mehr wohlfühlen, wenn abfäl- „Waffen gehören nicht in extremistische Hände“ muss lige Blicke, rassistische Sprüche und auch solche Dro- auch konsequent umgesetzt werden. Die Regelabfrage hungen zu ihrem Alltag gehören. Natürlich entstehen beim Verfassungsschutz ist ein ganz wichtiger Baustein. Hass und Hetze nicht im Internet, sie entstehen im Kopf. Aber ich bin der Meinung: Wir müssen uns das ganz Aber Rechtsextremisten missbrauchen das Internet, um genau anschauen und auch die notwendigen Konsequen- die menschenverachtenden Botschaften in die Köpfe zu zen daraus ziehen. treiben. Die digitalen Plattformen werden zum Brandbe- schleuniger, dort heizen die Rechtsextremisten die Stim- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) mung an, sie verbreiten Fake News, sie verbreiten Ver- der CDU/CSU) (D) schwörungstheorien. Dort radikalisieren sich die Leute. Meine Damen und Herren, ich würde gerne hier stehen Wir dürfen nicht weiter zuschauen, dass diesen Worten und Ihnen versprechen, dass sich das unermessliche Leid dann Taten folgen, meine Damen und Herren! der Angehörigen, so wie ich es in Hanau erlebt habe, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten niemals mehr wiederholt. Ich kann das nicht. Ich kann der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Ihnen aber eines versprechen: Unsere Demokratie ist NISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. wehrhaft, und unser Rechtsstaat ist stark. Aber er muss Stephan Thomae [FDP]) jeden Tag verteidigt werden. Wir nehmen den Kampf auf! Deshalb nehmen wir den Kampf auf. Das heißt: harte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Strafen und konsequente Verfolgung für jede Form der der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Gewalthetze. Dem dient das Maßnahmenpaket – Herr GRÜNEN) Seehofer hat es angesprochen – gegen Rechtsextremis- mus und Hasskriminalität, das wir am Tag der Morde im Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Kabinett beschlossen haben. Wir nehmen die Provider in Nächster Redner ist der Kollege Stephan Thomae, Zukunft in die Pflicht, strafbare Posts in Zukunft nicht FDP. nur zu sperren oder zu löschen, sondern sie müssen Morddrohungen und Volksverhetzungen – darum geht (Beifall bei der FDP) es – in Zukunft auch melden, damit in solchen Fällen auch eine konsequente Strafverfolgung möglich ist. Stephan Thomae (FDP): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Sehr geehrter LINKEN) Herr Bundestagspräsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Erneut trauern Denn diese Drohungen sind keine Meinung, sie sind wir in Deutschland um Opfer, die deshalb ihr Leben las- Straftaten. sen mussten, weil sie ein fremdländisches Aussehen hat- Zu diesem Maßnahmenpaket gehört auch, meine Da- ten. Erneut hat ein rechtsextremer Täter in Deutschland men und Herren – und das ist ein ganz wichtiger Aspekt –, Menschen ermordet. Wir stellen uns erneut die Frage: dass wir politisch aktive Menschen oder gesellschaftlich War denn dieser Täter ein Einzeltäter, war es eine Einzel- engagierte Menschen besser schützen, tat? Im strafrechtlichen Sinne mag es sich um einen Ein- zeltäter und um eine Einzeltat gehandelt haben, aber im (Zuruf von der AfD: Das wäre mal gut!) politischen Sinne war der Täter von Hanau kein Einzel- 18564 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Stephan Thomae (A) täter, im politischen Sinne war die Tat von Hanau keine Vielen Dank. (C) Einzeltat, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- der CDU/CSU) SES 90/DIE GRÜNEN) Es war keine Einzeltat, weil sie sich einreiht in eine Viel- zahl von Bluttaten in Deutschland und in anderen Län- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dern der Welt in den letzten Jahren; ich erinnere an die Nächster Redner ist der Kollege Thorsten Frei, CDU/ Morde des NSU, an die Mordtaten des Anders Breivik, an CSU. den Amoklauf von München, die Mordtaten von Christ- church, den Mord an Walter Lübcke, die Tat von El Paso, (Beifall bei der CDU/CSU) die Tat von Halle und jetzt eben wieder Hanau. Es war keine Einzeltat, sie reiht sich ein in eine Blutspur rechts- Thorsten Frei (CDU/CSU): extremistischer Taten in Deutschland und der Welt, und Herr Bundespräsident! Herr Bundestagspräsident! Lie- es war kein Einzeltäter; denn dieser Täter hatte Vorbilder, be Kolleginnen und Kollegen! Das schreckliche Verbre- er konnte sich getragen fühlen von einer Zustimmung. chen von Hanau macht uns tief betroffen, und unser Mit- gefühl, unsere Gedanken, unsere Anteilnahme sind bei In diesen Tagen haben wir wieder erleben müssen, dass den Familien der Opfer, den Angehörigen, den Freunden. neue rechtsextremistische Zellen ausgehoben worden Es ist hier gesagt worden: Viel zu oft mussten wir in den sind, Verhaftungen von Rechtsextremisten stattfanden: letzten Monaten diese Sätze hier im Deutschen Bundes- die Gruppe von Werner S., „Teutonico“, oder jetzt vor tag sagen. In der Tat ist es richtig, dass die Spitzen unse- zwei Tagen der „Arische Kreis Deutschland“. Deshalb res Staates schnell die richtigen Worte gefunden haben ist es doch abenteuerlich, wenn Herr Dr. Curio hier ver- und sowohl die Tat als auch die Bedrohung unserer frei- breitet: Weil es sich um einen Geisteskranken, um einen heitlichen Verfassung durch Rechtsextremismus klar be- geistig verwirrten Täter gehandelt habe, sei diese Tat nannt haben. nicht dem Extremismus zuzuordnen. – Nein, wenn man das Manifest des Täters von Hanau liest, sich seine Aus- Es ist am 2. Juni der Mordanschlag auf Walter Lübcke löschungsfantasien vor Augen führt: Ja, wer soll denn gewesen. Es war das versuchte Massaker an der jüdischen dann rassistisch oder rechtsextremistisch sein, wenn nicht Gemeinde in Halle. Es war das tatsächlich verübte Mas- dieser Täter? saker an ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund in Hanau. Wir müssen das klar (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten benennen. Wenn Menschen in Deutschland sagen, dass (B) der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des sie sich nicht sicher fühlen, dass sie Angst haben, dann ist (D) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das etwas, wodurch sich der demokratische Rechtsstaat Geisteskrank sind alle diese Täter doch irgendwie. Wenn herausgefordert fühlen muss. Ich kann für meine Fraktion man der Logik folgen wollte, dass jemand, der geistes- sagen, dass für uns glasklar ist, dass wir mit allen Mitteln krank ist, keine Tat begehen könne, die rassistisch oder des Rechtsstaates, mit aller Entschlossenheit, auch mit rechtsextrem motiviert sei: Ja, wann kommen Sie denn aller Härte diese Form von Extremismus und Rechtsext- dann überhaupt einmal zu rassistisch motivierten Taten, remismus bekämpfen werden. meine Damen und Herren? (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Katja Diejenigen, die als Protagonisten, auch als Anhänger sol- Leikert [CDU/CSU]) che Dinge erzählen und tun, müssen wissen, dass sie den Der Rassismus ist die Krankheit des Geistes. heißen Atem des Rechtsstaates in ihrem Nacken haben. Das muss glasklar sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Es ist richtig, dass sich Wahrheit nicht in Worten zeigt, SES 90/DIE GRÜNEN) sondern in Taten. Man muss darauf hinweisen, dass wir erst im letzten Herbst 600 zusätzliche Stellen beim Ver- Natürlich behauptet niemand, dass die AfD Rassismus fassungsschutz und beim Bundeskriminalamt dafür ge- erfunden habe. Aber Sie bespielen Rassismus in sämt- schaffen haben, dass ganz speziell Rechtsextremismus lichen Oktaven und sind deshalb auch nicht frei von und Rechtsterrorismus bekämpft werden. Wir haben das politischer Mitverantwortung für das, was geschieht. Waffengesetz so verschärft, dass beispielsweise große Magazingrößen nicht mehr möglich sind, so verschärft, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dass es eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz gibt, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des um zu verhindern, dass Waffen in die Hände von Extre- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) misten kommen. Wir sprechen – Frau Bundesjustizminis- Wir brauchen ein Gesamtkonzept gegen Rassismus terin, Sie haben das bereits angesprochen – über das Ge- und Rechtsextremismus in diesem Land. Natürlich kön- setz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der nen wir niemals hundertprozentige Sicherheit herstellen. Hasskriminalität mit Änderungen in unserem Strafge- Aber wir können durch unsere Mitverantwortung, unser setzbuch, mit Änderungen in der Strafprozessordnung, mitverantwortliches Handeln, unser Reden und Tun ein mit dem Schutz für Kommunalpolitiker, mit Verbesse- Stück dazu beitragen, dass sich Taten wie diese in Hanau rungen im Melderecht und mit einer Änderung im Netz- in diesem Land möglichst nicht wiederholen. werkdurchsetzungsgesetz, weil wir sagen, dass Taten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18565

Thorsten Frei (A) nicht nur im analogen Bereich strafbewehrt sein müssen, Wir können die Ermordeten nicht zurück ins Leben (C) sondern auch im digitalen Bereich. Dafür schaffen wir die holen, so wie es der Wunsch in diesem Lied „Bitte gebt notwendigen Voraussetzungen. mir mein Leben zurück“ ist. Aber wir können eines ver- sprechen: Wir werden konsequenter und härter kämpfen – Ich will an dieser Stelle sagen: Wir arbeiten derzeit an gegen Hass, gegen Rassismus und für mehr Zusammen- einer Reihe weiterer Sicherheitsgesetze. Da ist insbeson- halt in unserer vielfältigen Gesellschaft. Dazu müssen wir dere das Verfassungsschutzgesetz zu nennen, weil es das Übel in unserer Gesellschaft endlich erkennen, es klar auch darum geht, dass wir Strafbarkeiten aus der analo- als Rassismus bezeichnen und schließlich konsequent gen Welt in die digitale Welt übertragen. Aber es geht um bekämpfen. einen weiteren Aspekt – das zeigen die Täterprofile nicht nur von Hanau und Halle, sondern auch von Christchurch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der und Utoya –: Wir müssen zu einer besseren Beobachtung SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- von Einzeltätern kommen. Wir brauchen eine Beobach- NEN) tung von Providern und Plattformen, damit es eine Auf- merksamkeit gibt, wenn es zu einer ruhigen und introver- Zum Erkennen gehört auch, dass wir wahrnehmen. tierten Radikalisierung im Netz kommt. Das ist doch die Viele Menschen in unserem Land haben Angst. Und viele größte Herausforderung für die Sicherheitsbehörden und Menschen sind wütend oder sogar schon resigniert, wenn die Nachrichtendienste. Dafür müssen wir die Instrumen- ihnen wegen ihres Namens oder ihres Aussehens das te schaffen. Deshalb ist es richtig, dass wir uns in diesen Deutschsein abgesprochen wird. Das ist eine Schande! Wochen genau damit beschäftigen, weil den Menschen – (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, darauf wurde hingewiesen – mit warmen Worten alleine der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE nicht gedient ist. Wir brauchen die Instrumente, um Ra- GRÜNEN) dikalismus, Extremismus und Terrorismus mit allen Mit- teln des Rechtsstaates bekämpfen zu können. Wir müssen in unserem Land alle ohne Angst verschie- den sein können. Menschen mit familiärer Einwande- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rungsgeschichte – es sind 25 Prozent unserer Mitbürge- ordneten der SPD) rinnen und Mitbürger – fordern von uns als Politik zu Ich bin auch dankbar dafür, dass es in dieser Debatte Recht, dass wir ihre Stimme hören, ihre Sorgen genauso immer eine Rolle gespielt hat, dass es auch auf das Um- ernst nehmen und sie genauso schützen wie alle anderen. feld und die notwendige Prävention ankommt. Dabei geht Daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir kei- es nicht nur um Präventionsprogramme, mit Geld unter- nen Zweifel lassen. legt, sondern auch um die Worte und die Art des Um- (B) gangs. Man kann es nicht oft genug sagen: Dafür ist der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (D) Deutsche Bundestag ein Vorbild oder eben auch nicht. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sollten uns entscheiden, Vorbild zu sein. Die Bundesregierung hat am Montag beim Integra- tionsgipfel der Bundeskanzlerin intensiv darüber mit Vielen Dank. den Migrantenorganisationen beraten. Es ist wichtig (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und gut, dass wir zu dem Ergebnis gekommen sind, einen ordneten der SPD) Kabinettsausschuss zur Bekämpfung des Rechtsextre- mismus einzusetzen. Wenn wir in Kabinettsausschüssen vom Brexit über die Digitalisierung bis zum meteorologi- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schen Klima auf höchster Ebene beraten, dann gehört Jetzt erteile ich das Wort der Staatsministerin Annette auch das gesellschaftliche Klima auf diese Ebene; denn Widmann-Mauz. auch das muss besser geschützt werden, mit unserem (Beifall bei der CDU/CSU) vollen Einsatz und mit konkreten Maßnahmen in ver- schiedenen Bereichen. Annette Widmann-Mauz, Staatsministerin bei der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Bundeskanzlerin: SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und NEN) Kollegen! „Nichts auf dieser Welt könnte schlimmer sein als das Fehlen dieses Glücks.“ Diese Worte, gestern Vier wesentliche Aspekte gehören für mich dazu. Abend gesungen bei der zentralen Trauerfeier in Hanau, Erstens. Wir sind alle verantwortlich. Jede und jeder beschreiben so eindrücklich, was auch ich an Emotionen von uns muss den Mund aufmachen, wenn Menschen bei den Familien und bei den Freunden der Opfer am Tag wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens, ihrer Religion nach dem Attentat spüren konnte. Ich habe mich dabei oder ihres Geschlechts abgewertet oder angefeindet wer- geschämt, geschämt dafür, dass in unserem Land eine den. solche Tat möglich ist. Und ich schäme mich heute für das, was ich aus den Reihen der AfD einmal mehr gehört (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem habe. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Mit den Worten fängt es an. Mit dem Schweigen bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und nimmt es seinen Lauf. Wir brauchen eine Kultur des des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) klaren Widerspruchs – in der Schule, am Stammtisch, 18566 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (A) auf dem Fußball- und am Arbeitsplatz, bei Twitter –, und Wurzeln gezielt. Getroffen hat er Menschen, die längst (C) dafür müssen wir hier in diesem Raum Vorbild sein! Teil unserer Stadt, unserer Gesellschaft waren. Bei der Beerdigung von Said Nesar Hashemi und Hamza Kurto- (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- vić brachte es der Hanauer Oberbürgermeister Claus Ka- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulli minsky auf den Punkt: Diese beiden Opfer waren keine Nissen [SPD]) Fremden, sie waren Hanauer Buben. Deshalb geht es zweitens auch um den Kampf gegen Muslimfeindlichkeit. Da brauchen wir wie beim Antise- (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- mitismus fachliche Expertise, die uns mit konkreten Vor- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- schlägen berät. Ich bin froh, dass Horst Seehofer und ich ten der SPD) uns hier einig sind, dass eine solche Expertenkommission Über unserer Stadt liegt noch immer ein Schleier der Muslimfeindlichkeit notwendig ist. Trauer. Wir alle sind fassungslos und entsetzt. Tief be- rührt haben mich die bewegenden Worte von Freunden Drittens. Wir müssen die Menschen für die Werte be- und Geschwistern der Opfer gestern Abend bei dem geistern, die uns als freiheitliche Gesellschaft einen. Trauerakt, die Worte von Kemal Koçak, Ajla Kurtović Durch Prävention und politische Bildung. Sie müssen und Saida Hashemi. Ich bin dankbar für die Anteilnahme wir nachhaltig und auf hohem Niveau verankern. Demo- der Bundeskanzlerin, die bewegenden Worte des Bundes- kratie ist keine Selbstverständlichkeit! präsidenten, des hessischen Ministerpräsidenten und un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und seres Oberbürgermeisters Claus Kaminsky. Ihm gilt ein des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) besonderer Dank für seinen Einsatz. Es ist kaum vorstell- bar, was er in den letzten Tagen und Wochen geleistet hat. Viertens und elementar wichtig ist: Wir müssen end- lich aufhören, unsere Gesellschaft in „Wir Deutsche“ und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem „Ihr Eingewanderte“ zu trennen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Ich möchte mich auch bei den vielen Mitarbeiterinnen der Abg. Ulli Nissen [SPD]) und Mitarbeitern, allen Helferinnen und Helfern bedan- ken, insbesondere den Opferbeauftragten, ebenso bei den ständig nach der Herkunft oder dem Migrationshinter- vielen Einsatzkräften der Polizei, der Rettungsdienste, grund zu fragen. Diese Zuschreibung bildet schon längst der Feuerwehr, bei den Ärzten im Krankenhaus, bei allen, nicht mehr die Realität in unserer Gesellschaft ab. Sie die am 19. Februar vor Ort waren. Ihnen allen sage ich entspricht auch nicht dem Selbstverständnis vieler Men- (B) von Herzen Danke. (D) schen. Ihre Heimat ist Deutschland. Deutschland ist viel- fältig, aber wir sind eine Einheit. Es gibt nur ein Wir. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- Vielen Dank. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Unser Hanau stand immer für Weltoffenheit, Zusam- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- menhalt und das friedliche Miteinander von Menschen ten der SPD und der FDP) aus 180 Nationen. Ich habe Hunderte von Bannern, Pla- katen und Aufklebern mit klaren Botschaften wie „Hanau Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: steht zusammen!“ oder „Die Opfer waren keine Frem- Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die den“ in unserer Stadt gesehen. Es sind diese Botschaften, Kollegin Dr. Katja Leikert, CDU/CSU. die mir Mut machen. Sie machen uns aber auch die Auf- gabe bewusst, vor der wir alle als Gesellschaft stehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Hier gilt mehr denn je, und das möchte ich gerade den Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Hinterbliebenen der Opfer des Attentats in Hanau ganz Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und klar sagen: Wir werden keinen Raum für Hass, Hetze und Kollegen! Rassismus lassen. Wir werden nicht zulassen, dass sich diese Gesellschaft spaltet. Wir werden nicht zulassen, Mein Sohn soll nicht umsonst gestorben sein. Ras- dass Menschen mit Migrationshintergrund in unserem sismus soll keine andere Familie mehr zerstören. Land Angst haben, und wir lassen uns nicht durch Rechtsextreme in unserem Land terrorisieren. Das sind die Worte der Mutter von Ferhat Unvar. Ferhat Unvar wurde vor 22 Jahren in Deutschland geboren und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem ist einer von neun Hanauerinnen und Hanauern, die beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- rassistischen Attentat am 19. Februar ihr Leben verloren ordneten der FDP) haben. Ferhat Unvar hatte gerade seine Ausbildung zum Anlagenmechaniker abgeschlossen; er stand mitten im Auch das Folgende haben die Angehörigen gestern Leben, hatte Träume und Ziele. Abend klar gesagt: Es müssen Taten folgen! – Das ist hier schon oft gesagt worden. Wir haben nach Halle reagiert, Rassismus, Hass und Menschenfeindlichkeit haben ihn und wir werden auch nach Hanau reagieren, damit die und die anderen Opfer aus diesem Leben gerissen. Der Mutter von Ferhat Unvar recht behält: Ihr Sohn darf nicht Attentäter hat bewusst auf Menschen mit ausländischen umsonst gestorben sein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18567

Dr. Katja Leikert (A) Ich schließe im Gedenken an Ferhat Unvar, Mercedes lachen, aber leider ist das gar nicht witzig, und das kann (C) Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kur- und darf auch nicht unser Anspruch sein. tović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Has- hemi, Fatih Saraçoğlu und die Mutter des Täters. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Auf den ersten Blick sind das unterschiedliche The- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, men. Doch wenn man sich anschaut, woran sie letztend- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE lich scheitern, stellt man fest: Es sind oft die gleichen GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Alice Weidel Dinge. Das E-Government scheitert oft an föderalen [AfD]) Kleinstrukturen, wie eben auch große Bauprojekte an verästelten, feinen Strukturen und der fehlenden Trans- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: parenz scheitern. Genau hier setzen unsere Anträge an. Damit schließe ich die Aussprache. Wir brauchen zum einen wesentlich mehr Transparenz, Ich rufe Zusatzpunkt 14 und Tagesordnungspunkt 21 aber eben Transparenz für alle Beteiligten, für die Bürger, auf: den Staat und die Wirtschaft, und zum anderen mehr Mut, nämlich mehr Mut im Umgang mit neuen Ansätzen. Hier ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Mario kommt eben die Blockchain ins Spiel. Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- (Beifall bei der FDP) tion der FDP Ich höre schon die Ersten fragen: Warum jetzt hier Block- Staatliche Großprojekte auf einer Blockchain chain? Das geht doch auch zentral! – Natürlich kann ich transparent machen Federführung strittig alles, was ich dezentral speichere, auch zentral speichern. Natürlich ist die Blockchain per se als Technologie kein Drucksache 19/17539 Heilsbringer. Aber sie kann eben alte Gräben in Köpfen überwinden, weil sie doch etwas mehr ist als nur eine Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (f) verkettete Speicherung von Daten. Es geht dabei nämlich Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) sehr oft um eine architektonische Philosophie der Offen- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss Digitale Agenda heit, der Transparenz und der Vertrauenswürdigkeit. Un- sere Großprojekte scheitern letztendlich nicht am Mate- 21 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- rial oder an Softwarelösungen, sondern an ihren richts des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadt- Akteuren. entwicklung und Kommunen (24. Ausschuss) (B) Genau hier liegt es an uns, Vertrauen zwischen den (D) – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Beteiligten aufzubauen, den Controllingaufwand zu redu- und SPD zieren und Ressourcen zu sparen. Das sind eben alles Dinge, die mit einer Blockchain relativ leicht erreicht Digitalisierung des Planens und Bauens werden können. Sie kann Transparenz in den aktuellen – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniel Projektstand bringen. Sie kann die Lieferkette offenle- Föst, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, wei- gen. Es ist damit relativ einfach, Daten offen und maschi- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP nenlesbar darzustellen, um Innovationen von Dritten zu ermöglichen, aber auch Kontrolle, sodass nicht zulässige Smart Building – Ein Update für den Materialien erst gar nicht den Bau erreichen. Selbst wenn Wohnungsbau es zu Verfehlungen kommt, ist eine schnelle Zuschrei- Drucksachen 19/14341, 19/14026, 19/17353 bung der Verantwortlichen möglich. Deshalb werden letztendlich wieder Steuergelder gespart, und der ganze Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Prozess wird effizienter gestaltet. beschlossen. Sie bietet unter anderem verschiedene Möglichkeiten Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem wie sogenannte Smart Contracts. Das sind Verträge, die Kollegen Mario Brandenburg, FDP. bei Eintritt eines bestimmten Sachverhalts selbst Auslö- sungen zahlen können und automatisch freigesetzt wer- (Beifall bei der FDP) den. Neue Projektblöcke können dadurch aktiviert wer- den, alles ohne Zutun der Verwaltung, alles automatisiert, Mario Brandenburg (Südpfalz) (FDP): sicher und nachvollziehbar. Insofern geht es in unserem Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Antrag eben doch um mehr als um den Einsatz einer Kollegen! Vielleicht noch ein Wort in eigener Sache: Es Technologie; es geht um eine neue Denkart am Bau, um ist nicht leicht, nach einer solchen Debatte wieder zu eine neue Denkart bei Großprozessen und um den Mut Sachthemen überzugehen. Aber so ist das leider manch- von Ihnen im Umgang mit neuen Technologien und beim mal. Dazulernen. Ich möchte die Rede mit einer kleinen Denksportauf- Dass dies nottut, das möchte ich nur noch anhand von gabe starten; denn es ist ja noch früh am Tag: Was haben ein paar Zahlen belegen. Sie kennen den Flughafen Berlin erfolgreiche Großprojekte und E-Government gemein- Brandenburg: gestartet mit 2 Milliarden Euro, jetzt bei sam? Es ist so, dass deutsche Staatsbürger sich das im 6,5 Milliarden Euro. Sie kennen die Elbphilharmonie: Moment leider nur im Urlaub ansehen können. – Einige gestartet mit 180 Millionen Euro, nun bei 800 Millionen 18568 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Mario Brandenburg (Südpfalz) (A) Euro. Stuttgart 21, Spitzenreiter: gestartet mit 2,6 Milliar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) den Euro, jetzt bei 8,2 Milliarden Euro. ordneten der SPD) Daher, liebe Bundesregierung: Verlassen Sie die aus- Es soll dauerhaft die Stakeholder unterstützen, die Vor- getretenen Pfade! Gehen wir neue Wege! Bauen Sie die haben des Stufenplans „Digitales Planen und Bauen“ und Bauwerke künftig nicht mehr allein im stillen Kämmer- den in der Erarbeitung befindlichen „Masterplan BIM“ lein, sondern gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern – einzuhalten und umzusetzen. offen, transparent und erfolgreich! Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesen Vielen Dank. Maßnahmen wird es gelingen, dass der Bundesbau Vor- reiter, Pilot und auch Vorbild für die Bauwirtschaft wird, (Beifall bei der FDP) insbesondere für die mittelständische Bauwirtschaft ein- schließlich des Handwerks, der unsere besondere Unter- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: stützung gilt. Nächster Redner ist der Herr Parlamentarische Staats- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sekretär Volkmar Vogel. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Aber Digitalisierung bedeutet auch Standardisierung und Normung. Normung im Bauwesen findet immer Volkmar Vogel, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- mehr auf europäischer Ebene statt. Die Verantwortung nister des Innern, für Bau und Heimat: für die Normung trägt die Wirtschaft. Nur als Beispiel, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und als Stichwort: die DIN-Norm. Aber es wird auch deutlich, Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Di- dass es für die Wirtschaft, insbesondere für die Bauwirt- gitalisierung, Building Information Modeling, Normung, schaft, immer schwieriger wird, diesen Prozess zu bewäl- Blockchain – wir haben eben davon gehört –, das ist tigen. Deswegen bedarf es der Hilfe und Unterstützung natürlich eigentlich ein sprödes Thema für einen Don- der Bundesregierung. Dieser Aufgabe stellen wir uns. nerstagvormittag. Aber warum spröde? Weil sie eigent- Die Normungsstrategie muss gemeinsam mit den zustän- lich nur Werkzeuge sind, die wir benutzen. Sie sind kein digen Institutionen, den öffentlichen Verwaltungen und Selbstzweck. Wenn ich hier sage, dass sie uns dabei hel- allen relevanten Vertretern der Wirtschaft erarbeitet und fen, die gesellschaftlichen Herausforderungen zu meis- auf internationaler Ebene vertreten werden. Denn eines tern – wie zum Beispiel schnell bezahlbaren Wohnraum ist ganz klar: Für uns ist es wichtig, dass die Interessen zu schaffen, wie zum Beispiel die Infrastruktur zu Deutschlands in diesem Bereich auch künftig gewahrt (B) sanieren und den Fachkräftemangel zu bewältigen –, werden. Denn wie heißt das Sprichwort? „Wer nicht (D) spreche ich über Themen, die wichtig sind und die uns normt, wird genormt.“ Das darf nicht unser Ziel sein. alle berühren. Aber auch im planungsrechtlichen Bereich und im Natürlich muss man sagen, dass dieses Thema vor bauaufsichtlichen Bereich spielt Digitalisierung eine allen Dingen in der Verantwortung der Marktteilnehmer wichtige Rolle. Hier sei nur der digitale Bauantrag ge- liegt. Die Politik schafft hier nur den Rahmen oder kann nannt. Er ist ein wichtiger Baustein, wenn wir ihn zur Rahmenbedingungen setzen; aber Digitalisierung ist Beschleunigung von Genehmigungsprozessen durchset- auch eine Querschnittsaufgabe, die den gesamten Bereich zen. Genehmigungsverfahren dauern oft viel zu lange. des Bauwesens berührt. Lassen Sie mich das so salopp Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung, mit der Ein- sagen: Mit Daddeln im stillen Kämmerlein können wir führung von Matrizes im Bereich der Genehmigung wer- dieses Problem nicht lösen. Der Digitalisierungsprozess den wir weiterkommen. Das ist das Ziel der Bundesregie- ist vor allen Dingen ein Prozess, der Vertrauen, kooperati- rung. ves Handeln und partnerschaftliche Zusammenarbeit er- Klar ist, dass die Planungsaufgaben in der Zuständig- fordert, und das von allen Akteuren. Meine sehr verehrten keit der Länder und Kommunen liegen. Nichtsdestoweni- Damen und Herren, hier sind alle Akteure gefragt. Wir ger will das Bundesbauministerium im Rahmen der Um- müssen hier umdenken. setzung des Onlinezugangsgesetzes und der Einführung Ein Beispiel: Building Information Modeling. Das der Standards XPlanung und XBau zukünftig verstärkt Bundesbauministerium und das Bundesverkehrsministe- die Anwendung dieser digitalen Methoden fördern. rium schaffen hier gemeinsam mit BIM Deutschland ein Zum Thema Blockchain hat mein Vorredner bereits Zentrum für Digitalisierung im Bauwesen und damit die ausführlich Stellung genommen und Ausführungen ge- Grundlagen und die Rahmenbedingungen. Wir helfen macht. Sie ist ein wichtiger Teil des Gesamtprozesses; dabei, die Potenziale der Digitalisierung im Bauwesen das sieht die Bundesregierung genauso. Es bedarf natür- auszuschöpfen. BIM Deutschland fördert den Open- lich der Einführung digitaler Prozesse, um das tatsächlich BIM-Ansatz, das heißt Transparenz im Umgang, das zum Tragen zu bringen. Daran arbeiten wir. Wir werden heißt Austausch der Daten auf Basis offener Standards. dabei nicht außer Acht lassen, dass Blockchain ein ge- Warum sage ich das? Die Großen der Branche wissen eignetes Mittel ist, die entsprechende Transparenz in den damit umzugehen. Aber für uns als Bundesregierung ist Vorgängen, sowohl was die Kosten anbetrifft als auch es besonders wichtig, dass vor allen Dingen auch kleine was die Bürgerbeteiligung anbetrifft, herzustellen. und mittelständische Unternehmen bis hin zu Hand- werksbetrieben in der Lage sind, mit diesem System um- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein sehr zugehen. Wir müssen ihnen dabei helfen. komplexes Thema am Donnerstagvormittag, vielleicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18569

Parl. Staatssekretär Volkmar Vogel (A) ein bisschen spröde. Aber trotz alledem sei an der Stelle Jörn König (AfD): (C) gesagt: Wir müssen uns diesem Prozess stellen, alle ge- Sie kommen vom Regen in die Traufe. Das Thema meinsam. Denn daran entscheidet sich der Erfolg unserer Blockchain ist genauso peinlich wie das andere Thema. Bauwirtschaft im 21. Jahrhundert. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Für Sie, Danke schön. oder was?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die FDP hat in dieser Legislaturperiode insgesamt 14 ordneten der SPD und der FDP) Anträge zur Digitalisierung und zur Blockchain gestellt. Ich bewundere Ihren naiven Glauben, dass diese Regie- rung jemals auf Ihre Anträge irgendwie eingeht. Für diese Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Damen und Herren ist doch das Internet schon seit Jahr- Nächster Redner ist der Kollege Jörn König, AfD. zehnten Neuland, von der Blockchain gar nicht zu reden. Diese Kanzlerin und diese Regierung haben das digitale (Beifall bei der AfD) Zeitalter völlig verschlafen.

Jörn König (AfD): (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und die Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Flüchtlinge sind schuld, oder? – Heiterkeit bei Liebe Zuschauer auf den Tribünen und an den Fernseh- der CDU/CSU und der FDP) bildschirmen! Wir reden heute über den FDP-Antrag – Das ist jetzt Ihr Bingo, Herr Grosse-Brömer. „Staatliche Großprojekte auf einer Blockchain transpa- rent machen“, weil die Große Koalition das ursprünglich (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich vorgesehene Thema Bonpflicht zum vierten Mal von der wollte Ihren nächsten Satz schon vorwegneh- Tagesordnung des Finanzausschusses gekippt hat und men!) damit auch die Debatte im Plenum zum vierten Mal ver- Ich bewundere auch Ihren naiven Glauben an das Wun- hindert hat. dermittel Digitalisierung. Neue Technologien lösen keine bestehenden Probleme, wenn Fachwissen und Innova- (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie können doch tionsgeist fehlen. Ein paar Sekundärtugenden wie Zuver- selber einen Antrag stellen!) lässigkeit, Rechtstreue, Selbstdisziplin, Bodenständigkeit Sehr geehrte Koalitionsfraktionen, das ist einfach pein- und Verbindlichkeit sind dabei auch notwendig; aber lich. Solche taktischen Spielchen beschädigen die Demo- auch daran hapert es ja bei dieser Bundesregierung. kratie. (B) (Beifall bei der AfD) (D) (Beifall bei der AfD) In Ihrem Antrag heißt es: „Am Ende ist kaum auszu- machen, wo die Verantwortung für gestiegene Kosten Die Bürger erwarten zu Recht, dass wir über die Ab- oder einen nichteingehaltenen Zeitplan liegt.“ Die FDP schaffung der Bonpflicht reden. Der SPD ist das Thema verspricht nun, mittels Blockchain ein Desaster bei staat- besonders peinlich, weil die Partei im Besitz einer Firma lichen Großprojekten in Zukunft vermeiden zu können. ist, die maßgeblich von der Bonpflicht profitiert. Sie nennen das Beispiel „Flughafen Berlin“. Dort liegt (Beifall bei der AfD) die Ursache aber klar auf dem Tisch: Politikversagen – Die Einnahmen will sich die SPD nicht nehmen lassen, Politikerversagen. Die Politiker haben den professionel- len Generalunternehmer Hochtief aus dem Projekt raus- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ gekickt. Dabei kann Hochtief Flughafen. Das Unterneh- DIE GRÜNEN]: Das ist eine Verschwörungs- men hat den Flughafen Athen in nur sechs Jahren einfach theorie! Hammer!) mal gebaut. Die Blockchain hätte dort gar nichts gehol- fen. Politikversagen bleibt Politikversagen; man hätte es anderenfalls müsste die Partei ja wie im Jahr 2018 eine nur moderner dokumentiert. Der beste Anwendungsfall Erhöhung der Parteienfinanzierung hier im Bundestag für die Blockchain-Technologie ist nämlich fälschungs- durchboxen, damit sie nicht in finanzielle Verlegenheit sichere Dokumentation. kommt. (Beifall bei der AfD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wann reden Sie denn jetzt mal zur Bonpflicht? Das Wo sollte man die Blockchain also anwenden? Wo ist ja völlig lächerlich!) benötigt man eine besonders fälschungssichere Doku- mentation? Natürlich im Finanzbereich! Und wie kann – Nein, wir reden heute über die Blockchain und nicht der Staat Akzeptanz für neue Technologien schaffen? – über die Bonpflicht, Herr Grosse-Brömer. Indem der Staat genau diese Technologien einsetzt, und das eben möglichst im Finanzbereich! (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach so! Sehr schön! Hatte man bisher nicht gemerkt!) Gucken wir doch mal: Was sagen denn die Fachleute? In der Stellungnahme vom Branchenverband Bitkom zur Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Blockchain-Strategie der Bundesregierung heißt es: Ja, Herr Kollege, darum muss ich Sie auch bitten; sonst Das Steuerrecht erfordert jedoch in vielen Zusam- muss ich Sie zur Sache verweisen. menhängen eine lückenlose, nachvollziehbare und 18570 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Jörn König (A) manipulationssichere Dokumentation von wirt- mentation zu erarbeiten, um den Bürokratieabbau voran- (C) schaftlichen Vorgängen. Hierfür scheinen Block- zutreiben. chain-Technologien geradezu prädestiniert. … Nützlich erscheint dies … zur Einsparung bislang (Beifall bei der AfD) aufbewahrungspflichtiger Begleitdokumente bei zu- Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Frau Merkel gleich verbesserter Prüfbarkeit durch Verknüpfung wegen ihres undemokratischen Machtmissbrauches bei mit in der Blockchain festgehaltenen Liefer- und den Wahlen in Thüringen zurücktreten muss. Zahlungsvorgängen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Das zählt auch (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer für Bauprojekte – Lieferketten!) [CDU/CSU]: Und dass Flüchtlinge an allem Schuld haben! Was für eine Überraschung!) Die Fachleute sagen also: Für Steuern ist die Block- chain besonders gut geeignet, und dieser Vorschlag – Das haben übrigens Sie gesagt, Herr Grosse-Brömer. schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja Erstens. Die Blockchain-Technologie wird eingesetzt. selbstverständlich! Ich weiß ja, was Sie sonst erzählen!) Zweitens. Die Bürokratie für den Steuerzahler wird abgebaut. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Und nun schauen wir mal in die Blockchain-Strategie Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Elisabeth Kaiser, der Bundesregierung, herausgegeben im September 2019 SPD. vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Man öffnet das PDF-Dokument, betätigt mit Strg+f die (Beifall bei der SPD) Suche nach Einzelwörtern wie „Steuern“ oder „Finanz- amt“, und man stellt fest: Es ist einfach nicht zu finden – Elisabeth Kaiser (SPD): gar nichts. Auch im Anhang mit den geplanten Maßnah- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und men findet sich nichts. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Begriff Meine Damen und Herren aus der kleinen Großen „Digitalisierung“ ist überall zu hören. Medien und Politik Koalition, diese sogenannte Blockchain-Strategie ist ein reden ständig davon, aber auch die Wirtschaft. Schlag- Armutszeugnis und genauso peinlich wie Ihr viermaliges worte wie „Blockchain“, „KI“ und „Maschinenlernen“ bestimmen hier die Gespräche. (B) Kippen der Bonpflicht von der Tagesordnung des Ple- (D) nums. Spannend wird es doch aber erst, wenn es konkret (Beifall bei der AfD) wird, wenn es zur Umsetzung neuer Technologien kommt, und das passiert ja gerade in Wirtschaft und Ge- Wir brauchen auch keinen Round Table, keine Kom- sellschaft. Denn die Digitalisierung ist schon lange in missionen oder endlose Evaluierungen, wie in der Block- unserem Alltag angekommen. Wir, die Politik, müssen chain-Strategie beschrieben. Es ist ein Irrglaube, dass in die gesetzlichen Rahmen setzen, um Innovationen zu för- staatlichen Stellen oder auch nur in staatlich moderierten dern, Wildwuchs zu vermeiden und das Gemeinwohl zu Arbeitskreisen Innovation entstehen kann. Wir brauchen stärken. Die Vorteile digitaler Innovationen sollten mög- nur Rechtssicherheit in diesem Hochtechnologiebereich, lichst allen Teilen der Bevölkerung zugutekommen, egal sodass der Erfinder die Erträge seiner Innovation auch ob im Bauen und Planen, bei der Steuer oder sonst wo. behalten kann. Heute geht es hier um die Digitalisierung des Planens Hier verweise ich auf den guten Antrag der FDP, und Bauens. Unser Ziel ist es, Infrastruktur- und Hoch- Drucksache 19/4217. Wenn Sie als Regierung diesen An- bauprojekte nachhaltiger, schneller, kostengünstiger und trag umsetzen, dann sind Sie auf jeden Fall weiter als mit vor allen Dingen terminsicherer zu machen. So kann Ihrer sogenannten Blockchain-Strategie. Digitalisierung auch dazu beitragen, Probleme wie Woh- (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Sehr nungsmangel in Ballungsgebieten zu entschärfen und gut!) auch für Entwicklungsschübe in strukturschwachen Re- gionen zu sorgen. Gelingen kann uns das vor allen Din- Als Diplomingenieur gebe ich Ihnen die Garantie da- gen mit der Methode BIM, dem Building Information für, dass bei vorhandener Rechtssicherheit deutscher Modeling bzw. der Bauwerksdatenmodellierung. Tüftlergeist und der deutsche Mittelstand die Erfindun- gen und die Anwendungen bereitstellen werden, um auch BIM bildet den gesamten Lebenszyklus eines Gebäu- mithilfe der Blockchain-Technologie weiter Weltspitze des ab; es ist sozusagen ein digitaler Zwilling. Alle rele- zu bleiben. vanten Daten werden in einem dreidimensionalen Gebäu- demodell erfasst, kombiniert und modelliert, und zwar Die AfD-Fraktion sieht in dem Großprojekteantrag ein von der Planung über den Bau bis zum Betrieb und methodisch gutes Vorgehen; aber aus unserer Sicht ist der späteren Rückbau bzw. Abriss des Gebäudes. Bausektor nicht der ideale Einsatzbereich. Steuererhe- bung ist eine elementare Staatsaufgabe; beim Bauen kann Diese gemeinsame Arbeit an einem digitalen Baumo- man sich darüber trefflich streiten. Wir schlagen daher dell mit realen Daten und ständigem Informationsaus- vor, einen ähnlichen Projektantrag für die Steuerdoku- tausch in Echtzeit erleichtert auch die Abstimmung zwi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18571

Elisabeth Kaiser (A) schen den Planern, Bauunternehmen und Auftraggebern Wir wollen, dass die öffentliche Hand die Wirtschaft (C) sowie die Prüfung des Bauablaufs, und es ermöglicht bei der Erarbeitung von Normen auf internationaler Ebe- allen Beteiligten, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erken- ne stärker unterstützt und Qualifizierungsangebote im nen und diesen gegenzusteuern. Bereich des digitalen Planens und Bauens unterbreitet. Denn wir müssen uns ja mal fragen, wo das Personal in Ein Beispiel: Wenn ich ein Gebäude habe, in das ich den kleinen und mittelständischen Betrieben herkommen mehr Türen einbauen möchte, weil es dann vielleicht soll, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter digital zu komfortabler wird, dann kann ich dies in der Planungs- schulen und in die Gremien zur Normbestimmung ent- stufe in das Modell einarbeiten. Alle Beteiligten sehen sandt zu werden. dann sofort die Preissteigerung aufgrund der aktuellen Marktlage sowie die erhöhte Leistungszeit, die dann ent- Aber auch die öffentliche Hand, die Bauverwaltungen stehen würde. Dann kann ich sagen: Das passt mir als vor Ort, dürfen wir beim Thema Digitalisierung nicht Bauherr oder als Auftraggeber. – Oder ich sage: Die ver- alleine lassen. Für uns als SPD ist es deshalb besonders längerte Bauzeit finde ich jetzt doch nicht so gut, mehr wichtig, die Kommunen und Länder dabei zu unterstüt- Türen finde ich nicht so gut; das streichen wir wieder. – zen, ihre Planungsverfahren zu digitalisieren und zu Bevor noch irgendetwas in die Umsetzung gekommen ist, standardisieren. Denn nur wenn alle am Planungs-, Ge- habe ich reagieren können. Es wurde mit allen abge- nehmigungs- und Bauprozess beteiligten Akteure, nur stimmt. – Es ist schneller passiert, als wenn man das erst wenn Auftraggeber und Auftragnehmer wissen, was sie mal probiert hätte und dann irgendwo in Verzögerung mit „digitaler Zusammenarbeit“ meinen und auf welcher geraten wäre. Man sieht also: Es macht sehr viel Sinn. Grundlage sie zusammenarbeiten, kann die Digitalisie- rung des Planens und Bauens gelingen. Wir wollen hel- Große Wohnungsunternehmen und andere, vor allem fen, dieses gemeinsame Verständnis herzustellen. international agierende Baufirmen, nutzen BIM bereits. Kleinere und mittlere Unternehmen, die unsere Wirt- Aber eins muss dabei klar sein: Wir können uns hier schaft ja maßgeblich prägen, haben die digitalen Mög- noch so sehr anstrengen – wenn die grundlegenden Vo- lichkeiten zwar ebenso schon erkannt, sind mit der Ein- raussetzungen nicht stimmen, könnten diese Bemühun- führung aber noch zögerlich. Warum? Das liegt zum gen ins Leere laufen. Deshalb ist es essenziell, endlich einen an den Kosten, die bei der Umstellung auf BIM beim Breitbandausbau voranzukommen. Hier steht das entstehen, am Mangel geeigneter Fachkräfte, aber auch Wirtschafts- und Infrastrukturministerium in Verantwor- an fehlender technischer Kompetenz im Umgang mit di- tung. Wir dürfen die Architekturbüros, Bauunternehmen gitalen Tools und sensiblen Daten. und Kommunen in der Fläche nicht hängen lassen. Schnelles und zuverlässiges Internet muss überall vor- (B) Wesentlich für das Zögern vor Investitionen in BIM ist handen sein; denn auch das gehört zu unserem Ziel, (D) die Frage der Rentabilität; denn noch ist es beim Planen gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland und Bauen in Deutschland keine gängige Methode. BIM zu schaffen. kann nämlich nur funktionieren, wenn alle verwertbaren Daten vorhanden sind, eingespeist werden und sich alle Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen dann auch an die Spielregeln halten. Da hapert es noch und Kollegen, wir sind mit diesem Antrag auf einem vor allen Dingen weil es an einheitlichen Standards für guten Weg, das digitale Planen und Bauen unter den die BIM-Methode fehlt und Datenformate zwischen den Bedingungen einer föderalen Verwaltungsstruktur und Systemen oft nicht miteinander austauschbar sind. einer kleinteiligen Wirtschaft voranzubringen. Lassen Sie uns dieses Zukunftsthema als demokratische Parteien Um BIM bundesweit zur Standardmethode werden zu progressiv vorantreiben und somit unser Land mit dem lassen, braucht es also verbindliche Voraussetzungen für Bauen 4.0 fit für die Zukunft machen. die Umsetzung, und genau das ist das Ziel unseres heute Vielen Dank. vorliegenden Antrags. Das vom Bundesinnenministe- rium und vom Bundesverkehrsministerium eingerichtete (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nationale Zentrum für die Digitalisierung des Bauwesens, der CDU/CSU) BIM Deutschland, hat letztes Jahr mit der Arbeit begon- nen. Ziel ist es, ein abgestimmtes Vorgehen im Infrastruk- tur- und Hochbau zu entwickeln. Eine wesentliche Hilfe Vizepräsidentin : dabei sind die praktischen Erfahrungen aus der Anwen- Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Frak- dung des Stufenplans „Digitales Planen und Bauen“ so- tion Die Linke. wie die zahlreichen Pilotprojekte des Bundes. (Beifall bei der LINKEN) Aber es bleibt natürlich noch einiges zu tun. Vor allen Dingen braucht es offene und herstellerneutrale Stan- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): dards für den Datenaustausch sowie einheitliche Normen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir dis- in Deutschland und in Europa; das wurde ja auch schon kutieren heute zunächst einen Antrag, in dem die FDP- angesprochen. Die müssen wir definieren. Nur so können Fraktion ein sehr spezielles Verständnis von Technologie- wir die Vereinbarkeit der unterschiedlichen Systeme zwi- politik offenbart. Statt ausgehend von realen Problemen schen Planern, Unternehmen und Verwaltung flächende- zu überlegen, welche Innovationen zu ihrer Lösung bei- ckend herstellen. tragen könnten und wie man diese fördern könnte, wird einfach mit einer Technologie angefangen, nämlich der (Beifall bei der SPD) Blockchain, und diese dann wahllos zur Lösung aller 18572 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Petra Sitte (A) möglichen Probleme vorgeschlagen. Heute ist es die Pla- ein ganz bestimmtes Produkt – ein Produkt, für das es (C) nung von Großprojekten. der Markt nicht schafft, irgendeine Anwendung zu fin- den, das aber letztlich doch irgendwie verkauft werden Das ist aber nicht Ihr erster Antrag dieser Art. Ich will soll; keine Idee, die man von der FDP erwartet, und gut ist nur einige Ihrer Forderungen zum Thema Blockchain aus sie deswegen auch nicht. der Vergangenheit aufzählen – das ist jetzt Ihr Werbe- block; aber das müssen wir machen –: Nun fragt man sich ernsthaft, was die Antragsteller eigentlich glauben, worin die Probleme bei der Durch- (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Ja, ist führung staatlicher Großprojekte bestehen, wenn die schön! Danke!) Blockchain die Lösung sein soll. Juni 2018: Umstellung der Katasterämter und der Grund- buchverwaltung auf Blockchain prüfen; Dezember 2018: (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Trans- Blockchain-Verfahren bei der parenz und Vertrauen!) Ihr Antrag hebt beispielsweise die „Resistenz gegen Ma- Zollabwicklung aufbauen; nipulation“ hervor. Ist der Flughafen BER tatsächlich (Beifall des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein- wegen Manipulation nicht rechtzeitig fertiggeworden? Neckar] [FDP] – Mario Brandenburg [Süd- Habe ich da was verpasst? Warum soll die Dezentralität pfalz] [FDP]: Jawohl!) der Datenspeicherung für solche Projekte so wichtig sein? Stehen die für die Planung zuständigen Behörden November 2019: Bildungsnachweise auf die Blockchain unter Manipulationsverdacht? bringen. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ja!) (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Der war sehr gut!) Warum braucht man für automatisierte Zahlungsabwick- lungen sogenannte Smart Contracts? Haben Sie ernsthaft Weil sich die FDP nun auf Teufel komm raus als Digi- die Sorge, dass der Staat untertaucht und Auftragnehmer talisierungspartei verkaufen will, aber inhaltlich ver- auf ihren Forderungen sitzen bleiben? Bisher hat die öf- gleichsweise wenig dahintersteht, bleibt Ihnen schlicht fentliche Hand doch immer tapfer nachgeschossen, ob und ergreifend nichts anderes übrig, als auf jeden Hype das in Hamburg oder in Berlin war; das ist doch gerade aufzuspringen. vorhin angesprochen worden. (Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!) (Beifall bei der LINKEN – Jan Korte [DIE Und welcher Hype war in den letzten Jahren größer als LINKE]: Genau! – Alexander Graf Lambsdorff (B) der um die Blockchain? Das ist eigentlich überraschend; [FDP]: Es geht um Zahlungsziele! Die öffent- (D) denn hinter dieser Technologie steckt zwar durchaus eine liche Hand zahlt zu spät!) geniale Idee, aber diese Idee ist eine zur Lösung eines Wichtig ist doch vor allem, dass die mit der Planung ganz speziellen Problems, und dieses stellt sich mit der befassten Stellen personell und finanziell gut ausgestattet Schaffung einer digitalen Währung ohne verwaltende In- sind, um die Planung kompetent durchführen und die stanz. Also: Für Kryptowährungen ist die Blockchain Ausführung letztlich auch kontrollieren zu können. Und tatsächlich eine Basistechnologie. ja, zu dieser Ausstattung gehört eben auch eine entspre- Andere sinnvolle Anwendungsfelder – und wir haben chende digitale Infrastruktur. das im Ausschuss schon hoch- und runterdiskutiert – ha- Die Digitalisierung der Planung kann das Bauen alle- ben sich in den letzten Jahren trotz großer Bemühungen mal kostengünstiger machen – gar keine Frage –, effi- eben nicht gefunden. Da wird jetzt also fleißig versucht, zientere Beteiligung ermöglichen und so eben auch einen für die Blockchain Lösungen zu finden, bei denen Daten Beitrag zu Klimaschutz, zu mehr Mitbestimmung, Demo- dezentral verwaltet und manipulationssicher aufbewahrt kratie oder ganz konkret zu mehr sozialem Wohnungsbau werden sollen. Das klingt ja alles nicht schlecht; leisten, den wir ganz dringend brauchen. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist (Beifall bei der LINKEN) auch nicht schlecht!) Dafür braucht man aber ganz sicher keine grundlegend aber nur selten wird der Versuch unternommen – Ihrer- neuen Technologien, sondern einfach öffentliche Investi- seits schon mal gar nicht –, zu erklären, warum dies nicht tionen in die entsprechenden IT-Verfahren unter Einbe- mit bereits vorhandenen Mitteln gehen soll, als da sind: ziehung aller Beteiligten und im Rahmen einer am Ge- gängige kryptografische Verfahren, gängige Datenbank- meinwohl orientierten Strategie. techniken ganz ohne die enormen Transaktionskosten und mithin auch enorme Energieverschwendung durch (Beifall bei der LINKEN) die Blockchain. Ein solcher lösungsorientierter, technologieoffener und (Beifall bei der LINKEN – Jan Korte [DIE nicht nur an Unternehmensinteressen orientierter Ansatz LINKE]: Genau!) wird ganz sicher zu besseren Ergebnissen führen als die Vorfestlegung auf ein – vor allem bei der FDP – sehr Im vorliegenden Antrag und in den von mir vorhin beliebtes Buzzword. zitierten Anträgen steht dazu nicht ein einziges Wort. Es drängt sich also durchaus der Eindruck auf, dass hier Sie schreiben, Sie wollen Ihren Vorschlag evaluieren. einfach staatliche Aufträge generiert werden sollen für Ja, was muss ich denn machen, um evaluieren zu können? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18573

Dr. Petra Sitte (A) (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: An- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) fangen!) Ich frage mich manchmal: Warum fangen wir eigent- Ich muss im Grunde genommen beide Ansätze durchzie- lich immer mit den komplizierten Sachen an? hen. Da ahne ich doch heute schon, was bei Ihrer Be- wertung am Ende herauskommt. (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Sie fangen gar nicht an!) In diesem Sinne: Lassen Sie uns bitte weiter offen bleiben für technische Innovationen und deren Entwick- Ich würde mich ja schon freuen, wenn wir die einfachen lung. Aus meiner Sicht erscheint es allemal besser, nach Dinge in der Digitalisierung hinbekommen würden: ein- passenden Lösungen für bestehende Probleme zu suchen fache digitale Lösungen, gut aufbereitete Informationen. als nach passenden Problemen für bestehende Lösungen. Dazu gehören auch: gutes Projektmanagement, gutes Kostencontrolling, schnellere Planungsverfahren und Danke. zur Sicherung der Finanzierung eine Investitionsregel für die Schuldenbremse. Dabei geht es eben erst mal nicht (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie um technische Lösungen; da geht es um politische Lösun- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE gen, meine Damen und Herren. GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich so ein biss- Das Wort hat der Kollege Dr. Bayaz für die Fraktion chen an das Motto „Wer als Werkzeug nur einen Hammer Bündnis 90/Die Grünen. hat, sieht in jedem Problem einen Nagel“ gedacht. Ich finde, wir müssen uns vielmehr fragen: Wo kann die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Blockchain sinnvoll einen Mehrwert für die Gesellschaft leisten? Ich habe noch mal nachgeschaut – das ist ja Dr. Danyal Bayaz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): technisch nicht ganz einfach –: Das ist bei Prozessen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es der Fall, bei denen Transaktionen dezentral zwischen ver- gibt die einen, die sagen: Die Blockchain ist absoluter schiedenen Akteuren stattfinden, Quatsch. – Das sind meistens die, die das Prinzip noch nicht so ganz verstanden haben. (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Lie- ferketten!) (Zuruf von der FDP: Die Linken!) das System lückenlos und chronologisch Zwischenschrit- Und es gibt die anderen, die sagen: Die Blockchain ist die te speichert und es keine vertrauenswürdige dritte Instanz (B) (D) Lösung für jedes gesellschaftliche Problem. – Das sind für die Kontrolle gibt. meistens die, die damit gutes Geld verdienen wollen. Ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Ich finde, da gibt es sinnigere Pilotprojekte, zum Bei- spiel das Thema Lieferketten, wenn es darum geht, sozia- Ja, die Blockchain ist eine spannende Technologie; das le oder Umweltstandards in der Textilindustrie zu hat auch die Große Koalition erkannt, auch wenn sie ein tracken, oder bei der nachhaltigen, dezentralen Energie- bisschen gebraucht hat, um eine Blockchain-Strategie an versorgung oder eben auch – ein Thema, das mich beson- den Start zu bringen. Ich weiß nicht, ob sie die Bezeich- ders beschäftigt – im Zusammenhang mit dem Finanz- nung „Strategie“ verdient; aber es wurden halt mal ein markt. paar Ideen zusammengetragen. Ehrlicherweise muss man sagen: Es sind da andere Länder wie Malta, Japan oder Facebook hat ja angekündigt, eine eigene Währung – Kanada weiter, die die Blockchain im Rahmen ihres E- Libra – an den Start zu bringen. Ich finde, wir sollten Governments auch wirklich einsetzen. Bei uns war es – private Unternehmen nicht mit der Macht ausstatten, das muss man fairerweise sagen – so, dass es zwischen Geldschöpfung zu betreiben. dem Wirtschafts- und dem Finanzminister Kompetenz- gerangel zu der Frage gab, in welchem Haus dieses The- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ma eigentlich angesiedelt ist. Aber diese Diskussionen und bei der LINKEN – Jörn König [AfD]: nutzen uns allen nichts, wenn am Ende keine sichtbaren Das hatten die doch gar nicht vor!) strategischen Projekte im Sinne der Bürgerinnen und Aber wenn wir die Silicon-Valley-Technologie und auch Bürger herauskommen. Das vermisse ich, meine Damen chinesische Player wie Alipay – die haben wir uns im und Herren. letzten Jahr im Finanzausschuss angeschaut – nicht wol- len, dann ist schon die Frage: Was wollen wir eigentlich? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deswegen plädieren wir für eine europäische Lösung, für sowie bei Abgeordneten der FDP) einen digitalen Euro; denn natürlich wollen auch bei uns Deswegen ist es der FDP auch nicht zu verdenken, dass immer mehr Menschen digital bezahlen. sie ein exponiertes Pilotprojekt fordert. Aber bei allem Respekt, lieber Mario Brandenburg: Ich halte das auch Deswegen, liebe FDP: Das wäre doch eine sinnvolle ein bisschen für Aktionismus, und ich will Ihnen sagen, staatliche Initiative, um die Blockchain auch in die An- warum. Ich glaube, dass weder der Flughafen in Berlin wendung zu bringen. Dann sind wir auch gerne mit dabei. noch der Bahnhof in Stuttgart schneller, besser oder güns- Herzlichen Dank. tiger geworden wären, wenn wir das mit der Blockchain gemacht hätten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18574 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: weise der Neubau der deutschen Botschaft in Wien –, um (C) Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege das Thema BIM breitenwirksam zu kommunizieren. Michael Kießling das Wort. Liebe FDP, Sie haben einen Antrag zum Smart Buil- (Beifall bei der CDU/CSU) ding gestellt. Ich muss sagen: Der Antrag ist so zielfüh- rend wie fünf Runden im Kreisverkehr. Sie sollten unse- Michael Kießling (CDU/CSU): ren Antrag einfach intensiver lesen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Zehn Kollegen! Auch die Baubranche wird zunehmend digita- Runden im Kreisverkehr!) lisiert und wird die Digitalisierung als Chance nutzen; davon bin ich fest überzeugt. Genau wie in anderen Bran- Dadurch könnten die Doppelungen vermieden werden. chen wird auch ihre künftige Wettbewerbsfähigkeit von der Umsetzung der Digitalisierung abhängen. Für uns ist Dabei spielt – wir haben es vorhin von unserem Staats- es hier wichtig, dass Planer, Unternehmer, Handwerker sekretär gehört – unter anderem die Normierung eine und auch die Verwaltung Schritt halten können. Klar ist große Rolle – die Standardisierung der Prozesse, herstel- auch, dass wir in Deutschland hier noch einiges an Po- ler- und softwareunabhängige Datenstandards –; denn tenzial haben, das wir durchaus heben können. verlässliche offene Standards sind Voraussetzung dafür, dass wir alle am Bau Beteiligten entsprechend mitneh- Bauen ist teuer und mit Risiken verbunden. Wir wollen men können. Dafür müssen wir letztendlich auch das schneller, effektiver und auch sicherer bauen. Deshalb BIM-Know-how, das wir über die Pilotprojekte gewin- gilt es einfach, das Potenzial der Prozesskette Bauen ent- nen, zur Verfügung stellen. sprechend zu heben und das, was dort versteckt ist, auch sichtbar und transparent zu machen. Hier hilft die Digita- Dadurch schaffen wir Transparenz und Akzeptanz. All lisierung. Wie gesagt: Es geht darum, Risiken zu erken- die Möglichkeiten, die Sie in Ihrem Blockchain-Antrag nen und fundierte Aussagen über das Bauwerk zu erhal- beschrieben haben, sind in unserem Antrag eigentlich ten – und das am besten bevor gebaut wird, weil man schon enthalten; während der Planung die meisten Kosten beeinflussen und sparen kann. (Lachen des Abg. Mario Brandenburg [Süd- pfalz] [FDP]) Deshalb haben wir als Fraktion zusammen mit der SPD einen Antrag zum Thema „Digitalisierung Bau“ gestellt. denn wir fordern, die Bauwirtschaft technologieoffen zu Im Zentrum steht dabei die Etablierung des Building unterstützen und zu digitalisieren und nicht in ein Korsett (B) Information Modeling. Dabei geht es nicht darum – was zu zwängen. Das Credo der FDP ist eigentlich, techno- (D) viele meinen –, dass BIM ein 3-D-Modell ist, sondern es logieoffen zu fördern. Warum Sie sich hier jetzt auf die ist wesentlich mehr. Es geht darum, Informationen aus- eine Technologie versteifen, ist mir nicht ganz begreif- zutauschen und nutzerbezogen zur Verfügung zu stellen, lich. Vermutlich handelt es sich um Buzzword-Bingo, um Konflikte vor der Bauausführung zu erkennen, Transpa- einfach die Schlagworte entsprechend abzudecken. renz herzustellen und die Kommunikation der Beteiligten Die Vorteile von BIM wird man noch deutlicher entsprechend zu fördern. spüren, wenn Synergieeffekte aufgrund von anderen Ent- Mit der Digitalisierung sollen Qualität, Kostensicher- wicklungen in der Branche eintreten. Hier meine ich un- heit, Termintreue leichter gewährleistet werden, da die ter anderem die Digitalisierung der Bauleitplanung und Informationen schon vorab zur Verfügung stehen. Es gilt, der Baugenehmigungsprozesse. Wenn Bauwirtschaft und Konflikte, die auf der Baustelle entstehen können, schon Verwaltung digital arbeiten, werden wir die Synergieef- vorher zu erkennen und nicht erst auf der Baustelle zu fekte um ein Vielfaches steigern können; denn dadurch sehen, dass ein Unterzug einem Rohr im Wege steht – sind die Kommunikation und die Beurteilung von ent- oder andersrum. sprechenden Projekten leichter möglich. (Heiterkeit des Abg. Andere Dinge, wie serielles und modulares Bauen, [CDU/CSU]) können auch Synergieeffekte mit sich bringen. Deshalb, denke ich, müssen wir auch die Einführung der bundes- Es ist eine Binsenweisheit – ich habe es schon gesagt –: weiten Typengenehmigung noch weiter vorantreiben. Die Planung macht es aus. Dabei kann man die Kosten am meisten beeinflussen. Zusammengefasst: Mit der Digitalisierung der Bau- branche bietet sich die große Chance, Prozesse schneller, Im Koalitionsvertrag haben wir das Thema BIM auf zuverlässiger und transparenter zu gestalten. Das sollte die Tagesordnung gesetzt, und wir wollen es speziell für technologieoffen geschehen und mit offenen Standards den Hochbau auch noch weiter vorantreiben. Dazu haben entsprechend vorangetrieben werden, sodass wir alle mit- wir bereits folgende Maßnahmen ergriffen: die Einfüh- nehmen: Planer, Handwerker, Unternehmer und auch die rung des Branchendialogs zwischen Bundespolitik und Verwaltung. Bauwirtschaft, die Eröffnung des nationalen Zentrums für Digitalisierung des Bauwesens – BIM Deutschland –, Herzlichen Dank. um einheitliche Vorgaben für den Hochbau und Infra- strukturbau im Bundesbau zu erstellen, und die Förde- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. rung von Pilotprojekten im Bundeshochbau – beispiels- Dr. Joe Weingarten [SPD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18575

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: ter Werte zu Inhabern und das hohe Automatisierungs- (C) Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun potenzial sprechen für diese Technik. Der Aufwand ist der Kollege Dr. Joe Weingarten für die SPD-Fraktion das aber zunächst für alle Beteiligten groß, und der Haupt- Wort. vorteil, die Herstellung von Vertrauen zwischen einander Unbekannten, kommt bei Bauprojekten eher weniger (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, zum Tragen; denn da kennt man sich ja und geht aus- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE drücklich vertragliche Beziehungen miteinander ein. GRÜNEN) Die im letzten Herbst beschlossene Blockchain-Strate- Dr. Joe Weingarten (SPD): gie der Bundesregierung gibt dazu den richtigen Weg vor: die Stabilität der Technologie sichern, Projekte und Real- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und labore fördern, um Erfahrungen zu gewinnen, klare und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst mal vie- verlässliche Rahmenbedingungen sicherstellen und in len Dank für die freundliche Begrüßung. Es ist mir eine den Verwaltungen digitale Kompetenzen zur Umsetzung große Ehre, hier zu Ihnen sprechen zu dürfen. schaffen. Bei vielem davon stehen wir aber wissenschaft- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Digitalisierung lich und praktisch noch am Anfang. wird unsere Arbeitswelt in Zukunft stark prägen, Pla- Deshalb noch ein Wort zum Antrag der FDP „Staat- nungsprozesse beeinflussen und verändern. Von daher liche Großprojekte auf einer Blockchain transparent ma- ist es richtig, dass sich der Deutsche Bundestag heute chen“. Das ist aus meiner Sicht kein großer Wurf. Zwar mit dem Zusammenhang zwischen der Digitalisierung haben die antragstellenden Digitalbaumeister mit Freude und der Zukunft des Bauens beschäftigt. Das ist auch eine allerlei Begrifflichkeiten der Digitalpolitik und der Pro- strategische Frage unserer Wirtschaftspolitik; denn ge- jektplanung aufeinandergestapelt. Aber ein Bauwerk, das rade in der intelligenten Verknüpfung von Softwarelösun- inhaltlich und politisch überzeugt, ist dabei nicht heraus- gen mit der Produktion und komplexen Bauvorhaben gekommen. liegt eine große Zukunftschance für die deutsche Wirt- schaft. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Martin Wir mögen bei der Entwicklung von Software zum Teil Hebner [AfD]) hinter den USA liegen, mögen bei innovativen Maschi- Es ist ja ein kühner Gedanke, ausgerechnet die Methoden nen die Konkurrenz aus China immer stärker spüren: Bei und Prinzipien der Blockchain-Technologie – chancen- der Kombination von beidem, beim praktischen Einsatz reich, aber unausgereift, wie sie zum Teil noch sind – von Software im Maschinen- und Anlagenbau, bei der auf ein öffentliches Großprojekt exemplarisch loszulas- (B) Planung und Realisierung komplexer Industrie- und Bau- sen, sie also quasi unter den schwerstmöglichen Bedin- (D) prozesse, sind wir immer noch – gerade dank der Innova- gungen zu testen. Der Antrag sieht das Problem ja selbst tionskraft unserer mittelständischen Unternehmen – welt- und regt im Falle des Scheiterns an, das Gleiche dann weit führend, und das wollen wir, auch im Bau, bleiben. noch mal, halt eine Stufe kleiner, zu probieren. Das er- scheint dann doch etwas naiv. (Beifall bei der SPD) Der Antrag hat aber auch erhebliche inhaltliche Lü- Meine Damen und Herren, die Digitalisierung kann cken. Mittelstand, Arbeitnehmerqualifikation, Daten- einen wichtigen Beitrag zur Effizienzsteigerung im Bau- schutz: Alles Fehlanzeige! Einen solchen Antrag vorzu- wesen leisten. Die abgestimmte Nutzung und Weitergabe legen, ohne darauf einzugehen, wie gerade die von Daten kann das Bauen schneller, ressourceneffizien- mittelständischen Bauunternehmen, die in der Regel ter und fehlerfreier machen. Sie ist damit ein wesentlicher nicht über entsprechende Erfahrungen verfügen, in ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit im öffentlichen und pri- Blockchain-gesteuertes Großprojekt eingebunden wer- vaten Bauen. den können, ist fahrlässig. Da hilft es auch nicht, wenn Die von der Bundesregierung dazu geplanten einheit- hinten im Antrag dreimal das Wörtchen „KMU“ einge- lichen Vorgaben für den Hoch- und Infrastrukturbau ge- streut wird. hen in die richtige Richtung – desgleichen die Forderung der Koalitionsfraktionen nach herstellerneutralen Stan- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: dards für den Datenaustausch, um insbesondere auch Also steht es doch drin!) kleine und mittelständische Unternehmen in komplexe Vor dem geistigen Auge der Antragsteller steht wieder Prozesse aufnehmen zu können. Es ist auch der richtige einmal der allumfassende Generalunternehmer für Groß- Weg, dass die Bundesregierung in Pilotprojekten mit wis- projekte im Zentrum, also genau das Modell, das wir senschaftlicher Begleitung einzelne Elemente der Digita- eigentlich nicht wollen. lisierung dazu testet und bewertet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dabei ist es richtig, perspektivisch auch auf neue Tech- Auch zu den Arbeitnehmern und den Qualifizierun- nologien zu setzen. Dazu könnte grundsätzlich auch die gen – kein Wort. Aber wie sollen denn Informatiker und Blockchain-Technologie mit ihrer dezentralen Register- Bauingenieurinnen, Architektinnen und Rohstoffunter- struktur gehören, in der alle einzelnen Transaktionen nehmer, Verwaltungskräfte und Finanzierungseinrichtun- eines Netzwerkes abgespeichert werden. Die Manipula- gen mit einer so anspruchsvollen Technik zusammenar- tionssicherheit, die unzweifelhafte Zuweisung bestimm- beiten, wenn das nicht vorher festgelegt, getestet und 18576 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Joe Weingarten (A) eingeübt wurde? So ein Risikoprojekt ohne vorherige aufs Feld. Der Fachkräftemangel schlägt bei der Bau- (C) Tests baut keiner, das bezahlt keiner, und das versichert branche ein. Was in der Baubranche auch einschlägt, ist auch keiner. Alles Theorie! eine Politik, die verunsichert, die reguliert, die deckelt, die von Enteignungen schwadroniert, die einfach nicht Meine Damen und Herren, es bleibt vielmehr der beste zuverlässig ist. So eine Politik schafft kein Vertrauen, Weg, was die Koalitionsfraktionen und die Bundesregie- um Kapazitäten aufzubauen und in neue Technologien rung bei dem Thema vorhaben: einerseits neue Techniken zu investieren. Dabei wäre jetzt die Zeit, die Chancen wie Blockchain weiter erproben und an die Praxis heran- der Digitalisierung zu nutzen. führen, andererseits in den Unternehmen, in den Verwal- tungen und in unserer Infrastruktur weiter die Voraus- Die Bauwirtschaft gilt als eine der am wenigsten digi- setzungen für eine entschlossene Digitalisierung von talisierten Branchen in ganz Deutschland. Im Grunde Bauprozessen schaffen – im Dialog mit allen Beteiligten planen und bauen wir noch wie die alten Römer. Dabei und nicht durch Schnellschüsse. So funktioniert das: im sind neue Technologien mittlerweile gang und gäbe. Wir Interesse der bauwilligen Menschen, der Unternehmen brauchen nur nach Großbritannien zu schauen oder in die und der Nachhaltigkeit. asiatischen Länder. Wir haben in Deutschland wieder mal akuten Nachholbedarf. Es wird dringend Zeit, dass wir Haben Sie vielen Dank! ein Update im Wohnungsbau einleiten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Digitalisierung des Planens und Bauens heißt vor allem Building Information Modeling. Mit BIM könnten Herzlichen Glückwunsch, Kollege Weingarten. Ihnen wir schneller bauen. Wir könnten mehr bauen. Wir könn- ist etwas gelungen, was den meisten in ihrer ersten Rede ten günstiger bauen. Experten schätzen die Kostenerspar- nicht gelingt, nämlich in der Redezeit zu bleiben. nis auf 30 Prozent. BIM, liebe Grüne, macht Bauen auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nachhaltiger. Wenn ich genau weiß, welchen Baustoff ich der CDU/CSU, der AfD, der FDP, der LINKEN beim Bau wo eingesetzt habe, dann tue ich mich beim und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Rückbau und vor allen Dingen beim Recycling leichter. Das Wort hat der Kollege Daniel Föst für die FDP- BIM ist gut für die Umwelt. BIM ist aber auch gut für Fraktion. die Unternehmen, weil es effizienzsteigernd ist. BIM ist auch gut für die Mieterinnen und Mieter, weil wir güns- (Beifall bei der FDP) tiger bauen können. Es wird Zeit für eine digitale Revolu- (B) tion am Bau. Da muss der Staat Vorreiter werden. Wir (D) Daniel Föst (FDP): müssen im Hochbau und im Wohnungsbau endlich digital Herr Weingarten, herzlichen Glückwunsch zur ersten werden. Das bedeutet für uns: Die eigenen Bauprojekte Rede. müssen zu Leuchtturmprojekten werden. Überall da, wo (Dr. Joe Weingarten [SPD]: Vielen Dank!) der Bund mitfinanziert, muss BIM zum Standard werden. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Aber BIM ist nicht das Ende, sondern der Anfang der Kollegen! Wenn Sie sagen, Herr Weingarten: „Die Strate- Digitalisierung. Wenn ich mir hier die Reden anhöre, gie der Bundesregierung ist genau das Richtige“, dann werte Kolleginnen und Kollegen, dann kann ich nur sa- sage ich: Sie ist langsam, hasenfüßig und geht nicht weit gen: Beim Bauen wird es Zeit für Digital first, Bedenken genug. Sie ist genau das Falsche. second; sonst wird das nichts. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vielen Dank. der AfD) (Beifall bei der FDP) Deutschland leidet unter einem massiven Baustau. Wir bauen zu wenig, wir bauen zu langsam, und wir bauen zu Vizepräsidentin Petra Pau: teuer. Das hat Folgen: Es fehlen Millionen Wohnungen, Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Millionen bezahlbare Wohnungen. Deswegen steigen die Philipp Amthor das Wort. Mieten nicht mehr nur in den Metropolen. Wir müssen diesen Baustau endlich auflösen. Alles, was Sie tun – (Beifall bei der CDU/CSU) Mietenbremse – Preisregulierung, noch mehr Konfronta- tion statt Kooperation –, behebt das Problem nicht. Das Philipp Amthor (CDU/CSU): ist Symptomdoktorei. Wer den Mietern Macht geben will, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! muss Wohnraum schaffen. Da heißt „günstiger bauen“ Wir haben es gehört: Die Nutzung der Blockchain-Tech- auch „günstiger wohnen“. nologie für staatliches Bauen, für staatliches Planen ist (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten durchaus ein sinnvolles Anliegen. Aber man muss doch der AfD) sagen: Es ist nicht unbedingt sehr inspirierend von der FDP, so ein Detailthema jetzt zum Hauptthema in der Zur Wahrheit gehört, dass die Bauwirtschaft an ihren Kerndebattenzeit zu machen. Grenzen ist; das ist richtig. Es gibt seit Jahren deutlich mehr Genehmigungen als Fertigstellungen. Die Wohnun- (Zuruf von der AfD: Da haben Sie doch mit gen sind in der Pipeline, aber wir kriegen sie halt nicht Schuld!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18577

Philipp Amthor (A) Das zeigt so ein bisschen: Inhaltlich sind Sie, glaube ich, Ein zweiter Punkt. Wenn Sie von Verwaltungstranspa- (C) noch nicht ganz auf der Höhe der Zeit, liebe Kolleginnen renz reden, dann ist eines wichtig zu benennen: dass und Kollegen. unsere Verwaltung gar nicht so intransparent ist, wie man es ihr oft vorwirft. Durch Informationsansprüche (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) etwa nach dem Informationsfreiheitsgesetz und anderen Wir müssen eines konstatieren: Es gibt durchaus noch spezialgesetzlichen Ansprüchen haben wir schon heute, sinnvollere Verwendungsmöglichkeiten für die Block- verglichen mit vielen anderen europäischen Ländern, ei- chain-Technologie als jetzt ausgerechnet im staatlichen ne hohe Transparenz in unserer öffentlichen Verwaltung. Planungsverfahren. Wichtig beim Thema Transparenz ist natürlich immer – (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Ja, das ist uns ein Anliegen –, dass man auch auf die Rechte beim Bäcker!) und auf den Rechtsschutz derjenigen achtet, deren Vor- gänge transparent gemacht werden müssen. Wenn in ei- Es gibt im staatlichen Planungsverfahren durchaus größ- ner Blockchain Verträge und anderes mehr offengelegt ere Probleme als die noch nicht erfolgte Verwendung der werden, dann ist es uns wichtig, dass man da unter ande- Blockchain-Technologie. rem auch über Datenschutz redet. Wenn die FDP die große Unternehmerpartei sein möchte, hätte es bei einem Um auf beides einzugehen: Ich würde sagen: Wenn so langen Antrag vielleicht geholfen, darauf hinzuweisen, man die Blockchain-Technologie sinnvoller verwenden dass auch Unternehmen Grundrechte haben, die man an will, dann sollte man das vor allem im Bereich staatlicher dieser Stelle berücksichtigen muss, liebe Kolleginnen Register, im Bereich eines staatlichen Transaktionsmana- und Kollegen. gements tun; dazu wird Thomas Heilmann noch einiges ausführen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Aber ich würde sagen: Der Fokus liegt darauf, dass wir DIE GRÜNEN]) im Planungsrecht größere Probleme haben als die noch nicht erfolgte Nutzung der Blockchain-Technologie. Das Ein dritter und letzter Punkt. Das Misstrauen gegen die Problem sind vor allem die langen Verfahren. Da muss Verwaltung setzt sich fort, wenn Sie davon reden, die man eins sagen: Die Transparenz, die Sie fordern, macht Blockchain-Technologie im Bau- und Planungsverfahren Verfahren noch nicht schneller, sondern das machen nur würde die Haftung erleichtern. Dazu kann ich Ihnen nur gute Gesetze, wie wir sie zuletzt vorgelegt haben, liebe sagen: Wenn man sich mit Staatshaftungsrecht beschäf- Kolleginnen und Kollegen. tigt, stellt man fest, dass Staatshaftungsrecht zum Glück (B) so funktioniert, dass es nicht um den einzelnen Beamten (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – geht, sondern dass es eine Überleitung der Haftung des Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Lahmer einzelnen Beamten auf den Staat gibt. Deswegen braucht Applaus aus der CDU!) man zur Beantwortung der einfachen Frage, wer von Ich will vor allem drei verwaltungsrechtliche Anmer- wem woraus etwas verlangen kann, keine moderne Tech- kungen zu Ihrem Antrag machen. nologie, sondern das geht dank des Staatshaftungsrechts seit vielen Jahrzehnten ganz locker, liebe Kolleginnen Zunächst finde ich ja ganz spannend: Sie reden etwas und Kollegen. Das sollte man berücksichtigen. juristisch untechnisch von Planungsbeschleunigung und Transparenz bei Großprojekten. Da fragt sich der geneig- Kurzum: Ihr Antrag beinhaltet durchaus richtige Punk- te Baurechtler: Was ist denn eigentlich ein Großprojekt? te. Unser Antrag zum Thema „Digitalisierung im Bauen“ Da, würde ich sagen, gibt es unterschiedliche Vorstellun- ist besser, ist weiter gehend. Lieber Herr Föst, lieber Herr gen. Für die FDP sind Großprojekte meistens zu groß. So Kollege von der FDP, wenn Sie darauf verweisen, wir haben Sie sich zum Beispiel bei dem Großprojekt, mal würden bauen „wie die alten Römer“, kann ich nur sagen: konkret zu regieren, nicht so gut geschlagen, liebe Kolle- So schlecht wäre es nicht. ginnen und Kollegen. (Lachen der Abg. Dr. Franziska Brantner (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ascher- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mittwoch ist vorbei, Herr Amthor! – Weitere Manche von deren Aquädukten funktionieren seit Zurufe von der FDP: Ah!) 2 000 Jahren. Wenn unsere Infrastruktur auch so lange Deswegen: Wenn Sie von Großprojekten reden, dann funktioniert, wäre das eine gute Sache. meinen Sie wohl Projekte, die – so lautet das baurechtlich korrekt – planfestgestellt werden müssen. Für Projekte, Herzlichen Dank. die planfestgestellt werden müssen, haben wir es als Re- (Beifall bei der CDU/CSU – Daniel Föst gierungskoalition geschafft, voranzugehen mit Planung [FDP]: Hat 100 Jahre gedauert!) durch Maßnahmengesetze, unmittelbar durch Gesetz Ab- wägung durch den Gesetzgeber möglich zu machen. Ich glaube, jenseits von Detaildebatten sind das die großen Vizepräsidentin Petra Pau: und richtigen Schritte, die wir im Bau- und Planungsrecht Das Wort hat der Kollege Christian Kühn für die Frak- brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen. tion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 18578 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE Es geht doch darum, zu sagen: Bei den großen Zu- (C) GRÜNEN): kunftsherausforderungen muss die Digitalisierung einen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Beitrag leisten: zum Klimaschutz, zum Ressourcen- ren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Volkmar Vogel, schutz. Herr Föst, Sie haben es angesprochen. Nur, in der neue Baustaatssekretär, der heute seine erste Rede Ihrem Antrag finde ich dazu leider nichts. Dazu haben als Staatssekretär hier gehalten hat, hat vorhin einen rich- Sie überhaupt keine Forderung, weder ein Kataster für die tigen Satz gesagt: An der Digitalisierung „entscheidet Frage, wie viele Baustoffe bereits verbaut worden sind, sich der Erfolg unserer Bauwirtschaft im 21. Jahrhun- noch irgendetwas anderes; dazu kein Wort. Beim Thema dert“. – Das ist völlig richtig. „Digitalisierung und Klimaschutz“ bleibt die FDP eine Leerstelle, ebenso die Große Koalition. Das ist ein Rie- Doch schauen wir uns einmal den heutigen Zustand senfehler. unserer Bauwirtschaft an. Dazu hat ein großes Beratungs- unternehmen vor zwei Jahren eine Studie gemacht. In (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dieser Studie ist klar herausgekommen, dass die Bauin- Zum Schluss. Herr Föst, Sie haben über den sozialen dustrie in Deutschland der Industriezweig ist, der bei der Wohnungsbau und die Bezahlbarkeit des Wohnens ge- Digitalisierung weit zurückgefallen ist. Es gibt nur einen sprochen. In Ihrem Antrag steht aber, dass Sie den sozia- Bereich, der noch weiter zurückhängt: Das ist das Fische- len Wohnungsbau zur Anwendung von BIM verpflichten rei- und Jagdgewerbe. wollen. Ernsthaft: Wie viele kommunale Wohnungsbau- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unternehmen finden im Augenblick ein Hochbauunter- NEN) nehmen, das mit BIM den sozialen Wohnungsbau an- geht? Viel zu wenige. Sie verengen sozusagen das Ich finde, das zeigt, auf welchem Niveau wir im Augen- Angebot künstlich und treiben damit die Kosten des so- blick sind. Angesichts der Debatte hier wird sich der eine zialen Wohnungsbaus hoch. Das ist doch absurd. Wenn oder andere Handwerker auf den Baustellen vielleicht Sie als FDP wirklich etwas für den sozialen Wohnungs- schon an den Kopf greifen und sagen: Na ja, eigentlich bau machen wollen, dann müssen Sie bereit sein, mehr haben wir ein Fachkräfteproblem und kein Problem bei Geld in den sozialen Wohnungsbau zu geben, damit auch der Blockchain oder bei BIM. wirklich sozial gebaut wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU]) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir stehen vor riesigen Herausforderungen bei der (B) Digitalisierung. Ehrlich gesagt, flüchtet sich der eine in Vizepräsidentin Petra Pau: (D) das Instrument des BIM, und die anderen reden über Kollege Kühn, achten Sie bitte auf die Zeit und setzen Blockchain. Aber auf die Frage „Was heißt Digitalisie- einen Punkt. rung im Bau?“ hat hier niemand geantwortet. Da werde ich auch in den Anträgen nicht fündig. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE Wenn ich mir anschaue, was Sie aus den Reihen der GRÜNEN): Großen Koalition hier beantragt haben, stelle ich fest, Ich achte auf die Zeit. – Zum Antrag der FDP zum dass das eigentlich ein Misstrauensantrag gegenüber Ih- Thema BIM. Er beinhaltet drei Punkte. Wenn Sie davon rer eigenen Regierung ist. Anders kann man das nicht einen wegstreichen, können Sie gerade noch eine Twitter- nennen. Ich glaube, Sie sind beim Thema Digitalisierung Botschaft daraus machen. Ich glaube, Sie müssen ein mit dem Bauminister Seehofer genauso unzufrieden, wie bisschen mehr nacharbeiten. das die Opposition ist. Digitalisierung des Planens und Bauens ist mehr als Building Information Modeling. Das Danke. ist eine reine Planungsmethode, es ist ein Tool, aber es ist noch lange keine Strategie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man über eine Strategie redet, dann muss man Vizepräsidentin Petra Pau: über Weiterbildung reden, dann muss man darüber reden, Das Wort hat der Kollege Thomas Heilmann für die wie angesichts des Drucks durch die Digitalisierung die CDU/CSU-Fraktion. Besonderheiten der deutschen Bauwirtschaft erhalten werden. Wie geht man mit der Trennung von Planung (Beifall bei der CDU/CSU) und Ausführung in Deutschland bei den Fragen der Di- gitalisierung um? Welche Rolle haben in Zukunft die Thomas Heilmann (CDU/CSU): Handwerker? Wie schult man sie? Wie bringt man die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren hier im Digitalisierung auf die Baustelle? Wie sieht es mit der Saal, auf der Tribüne und – gerade heute bei diesem Transparenz und der Bürgerbeteiligung aus? Wie sieht Thema – an den digitalen Endgeräten! Vorweg will ich es mit dem Datenschutz und vielem mehr aus? Auf all sagen: Ich finde es gut, wenn die Opposition – in diesem das geben Sie keine Antworten – weder von der Großen Fall die FDP – das Thema „Digitalisierung und Block- Koalition noch von der FDP. Deswegen hinkt diese De- chain“ regelmäßig auf die Tagesordnung setzt. – Frau batte heute. Sitte, ich komme gleich noch zu Ihrem Beitrag. Das, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18579

Thomas Heilmann (A) was Sie gesagt haben, ist falsch; aber Sie hören offen- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Auch da (C) sichtlich auch gar nicht zu. haben Sie die Bonpflicht abgesetzt!) Ich bedaure bei den FDP-Anträgen, dass sie immer so Bei diesem Antrag war es genauso. Er wurde auf Ihren kurzfristig kommen. Selbst heute Morgen lag der Antrag Antrag diskutiert; die Regierungsmehrheit hat ja nicht nicht vor. Sie wollten ursprünglich über die Bonpflicht beschlossen, dass wir einen Antrag von Ihnen diskutie- reden und haben sich in allerletzter Minute umentschie- ren. Er ist von Ihnen so kurzfristig eingereicht worden. den. Ich verstehe das immer nicht; denn diese Dinge wären es eigentlich wert, dass man sie gründlich vorbe- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Auch in reitet diskutiert. der letzten Woche haben Sie die Bonpflicht ab- gesetzt! Das wissen Sie genau!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn König [AfD]: Sie haben es doch runterge- Ich komme zu Ihrem Antrag zurück. Es ist richtig, dass nommen! – Weiterer Zuruf von der AfD: Blei- wir Technologie pilotieren müssen und dass das auch für ben Sie bei der Wahrheit!) die Blockchain gilt. Ich werde gleich noch etwas mehr zur Blockchain sagen. Allerdings ist es unsinnig, damit – Der Antrag hatte gestern noch nicht einmal eine Druck- bei Großprojekten anzufangen, weil Großprojekte viele sachennummer. Probleme haben, die man sicher nicht mit einer Technolo- (Jörn König [AfD]: Nur, weil der Slot bedient gie lösen kann. Wenn man zum Lösen dieser Probleme werden musste!) Technologie heranzieht – das wird sicher nicht die ganze Lösung, sondern ein Teil sein –, dann sicher nicht nur eine einzige Technologie. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Heilmann, gestatten Sie eine Frage oder Be- Insbesondere wenn es um Planungsphasen geht – da- merkung des Kollegen Graf Lambsdorff? rauf spielen Sie an –, ist eine Open-Source-Technologie wie GitHub sicherlich viel geeigneter als die Blockchain- Technologie, um verschiedene Beteiligte einzubinden. So Thomas Heilmann (CDU/CSU): wie die Entwicklung einer Software ein eindeutiges Er- Bitte. gebnis haben muss, so wie eine Planung ein eindeutiges Ergebnis hat, ist GitHub in der Lage, viele Tausende Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Beteiligte zu involvieren, deren Meinungen einzuholen, Nachdem die digitale Allzweckwaffe Philipp Amthor um dann zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. (B) eben schon versucht hat, dieselbe Legende zu verbreiten, Das ist eigentlich das Wesen der Planung. Deswegen: (D) Sosehr ich Chancen in der Blockchain-Technologie sehe, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist ist das, glaube ich, nicht das Richtige. überhaupt eine Allzweckwaffe!) Leider – das muss man auch klar sagen – ist der BER dass es an uns gelegen hätte, dass wir hier über das kein gutes Beispiel; denn der BER ist relativ schnell ge- Thema reden, und Sie jetzt erneut behaupten, es wäre plant worden. Die Bauleitplanung war nicht das Problem unsere Idee gewesen, dieses Thema zur Kernzeit aufzu- des BER. Das BER-Problem begann mit der rot-roten setzen: Würden Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass Koalition in Berlin, uns daran gelegen gewesen wäre, über die Abschaffung der Bonpflicht zur Entlastung der Wirtschaft in Deutsch- (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – land – der Entlastung von Bäckern, Floristen, Kioskbet- Beifall des Abg. Jörn König [AfD]) reibern – zu reden? die entschieden hat, dass es keinen Generalunternehmer ( [SPD]: Sie wollen über gibt. Sie haben nicht nur gesagt, es dürfe nicht nur eine Steuerhinterziehung reden!) Firma geben, sondern auch, es dürfe keinen Generalun- Das war unser Beitrag zu dieser Debatte. Die CDU/CSU ternehmer geben. Dann haben sie die Beauftragung selber hat das Thema gemeinsam mit der SPD abgesetzt. Ist das gemacht, ohne die entsprechenden Fähigkeiten zu haben. auch Ihr Kenntnisstand? Es kam zu Schnittstellen in der Bausache: Alle wissen, dass es drei Firmen gab, die am Brandschutz gearbeitet haben, und als sie die Dinge zusammengefügt haben, Thomas Heilmann (CDU/CSU): passten sie nicht. Das macht man so nicht. Vielmehr hat Nein, das ist nicht mein Kenntnisstand. Mir ging es man mindestens für den Brandschutz einen Generalauft- auch nicht um die Geschäftsordnungsdebatte, sondern ragnehmer. Dieser kümmert sich dann darum, dass alles es geht darum, dass Sie so kurzfristig Anträge stellen. zusammenpasst. Dann hat man während des Bauens Um- Denn dass der Antrag gestern noch keine Bundestags- planungen vorgenommen, ohne die Haustechnik anzu- drucksachennummer hatte, hat nichts mit der Geschäfts- passen. Hinterher hatte man einen Bau mit einer nicht- ordnung zu tun, sondern damit, dass dieser Antrag so passenden Haustechnik. Dann hat man auch noch kurzfristig von Ihnen kam. Nur darüber habe ich geredet. jahrelang versucht, dieses Problem zu vertuschen. Das Das war in der letzten Sitzungswoche beim Thema Sta- ist der Grund für fast 20 Jahre Bauzeit und eine Kosten- tusfeststellung ganz genauso. Den Antrag haben wir erst explosion. Mittwochabend bekommen, und Donnerstag sollten wir diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) 18580 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Thomas Heilmann (A) Die Verantwortlichkeit liegt eindeutig bei Herrn Wo- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- (C) wereit persönlich, der selbst damals – das Drama lief schätzung. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- schon zehn Jahre, als ich Mitglied des Berliner Senats schlag? – Das sind die FDP-Fraktion, die AfD-Fraktion, war – nicht zugeben wollte, dass die Steuerungstechnik die Fraktion Die Linke und die Grünen. Wer stimmt da- geändert werden muss. Er musste erst als Regierender gegen? – Die CDU/CSU-Fraktion und die SPD. Wer ent- Bürgermeister zurücktreten, bis eine andere Form der hält sich? – Niemand. Der Überweisungsvorschlag ist mit Projektsteuerung am BER Einzug erhalten hat, die ihren den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Erfolg auch offensichtlich zeitigt. Ich will nicht zu früh loben; aber es sieht so aus, als wenn wir im Oktober Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- dieses Jahres tatsächlich den BER eröffnen können. schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- führung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwick- Jetzt, Frau Sitte, zu Ihren Einwänden gegen die Block- lung und Kommunen. Wer stimmt für diesen chain. Die Blockchain gehört nicht einem Unternehmen, Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer nicht einmal mehreren Unternehmen, sondern ist eine enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den offene Technologie, so wie andere Standards auch. Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das habe ich auch nicht behauptet!) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwick- Deswegen liegt es nicht im Interesse irgendeines Unter- lung und Kommunen zu dem Antrag der Fraktionen der nehmens, sondern im Interesse der öffentlichen Hand und CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Digitalisierung des der Gesamtgesellschaft, dass wir neue Technologien ein- Planens und Bauens“. Der Ausschuss empfiehlt unter führen. Wir reden über einen Standard. Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Ihr Einwand im Hinblick auf die Technologieoffenheit 19/17353, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und ist auch verfehlt; denn Sie müssen sich bei einem Stan- SPD auf Drucksache 19/14341 anzunehmen. Wer stimmt dard schon entscheiden. Wenn wir uns in Europa nicht für für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktio- den GSM-Standard entschieden hätten, dann hätten wir nen und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die keine Mobilfunktechnologie. Wir haben uns für GSM AfD-Fraktion. Wer enthält sich? – Die Fraktionen Die und nicht für den Motorola-Standard entschieden. Da Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussemp- sind wir nicht technologieoffen gewesen. Wir haben uns fehlung ist angenommen. entschieden. Deshalb stellt sich schon die Frage, ob wir Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- die DLT, die Tokenisierung der Technologie, als Standard nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache (B) in Deutschland einführen wollen, was ich für extrem (D) 19/14026 mit dem Titel „Smart Building – Ein Update für wichtig halte. den Wohnungsbau“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koa- Das werden wir nur über Pilotprojekte hinbekommen. litionsfraktionen, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Ich glaube, es ist falsch, sich als Pilotprojekt gleich Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP- Großvorhaben vorzunehmen, aber es ist absolut zwin- Fraktion bei Enthaltung der AfD-Fraktion angenommen. gend, dass der Staat tätig wird. Die Bundesregierung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: hat das in ihrer Blockchain-Strategie angekündigt. Auch in der Bauwirtschaft tut dieser Bauminister mehr als seine Vereinbarte Debatte Vorgänger. Insofern bin ich relativ optimistisch, dass wir in den nächsten Jahren da vorankommen. Arbeitsprogramm 2020 der Europäischen Kommission Vielen Dank. Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. beschlossen. Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer für die SPD-Fraktion. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der SPD) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Drucksache 19/17539 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD Wir diskutieren heute über das Arbeitsprogramm der wünschen Federführung beim Ausschuss für Bau, Woh- Kommission in Brüssel in Berlin, weil es unsere gemein- nen, Stadtentwicklung und Kommunen. Die Fraktion der same europäische Angelegenheit ist. Die Maßstäbe, die FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Bildung, wir bei der Beurteilung dieses Arbeitsprogrammes anle- Forschung und Technikfolgenabschätzung. gen müssen, müssen auf zwei Grundlagen basieren, näm- lich zum einen, was unser Interesse als Land ist, und zum Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der anderen, wie das gemeinsam in Europa durchgesetzt Fraktion der FDP abstimmen, also Federführung beim wird. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18581

Axel Schäfer (Bochum) (A) (Beifall bei der SPD) (Michael Georg Link [FDP]: Sozialdemokrati- (C) sche Regierungen!) Dies ist nur möglich, wenn wir uns bemühen, das rich- tig, aber auch aufrichtig zu machen. Denn diese Kommis- sondern das sind Regierungen mit Sozialdemokraten, sion ist nicht irgendeine wichtige europäische Institution. Christdemokraten, Liberalen, Grünen und in Dänemark Sie besteht aus Politikerinnen und Politikern von Sozial- gestützt auch von der Linken. Das heißt, in der Diskus- demokraten, Christdemokraten, Liberalen, Grünen und sion, die wir jetzt führen – Stichwort „1 Prozent“; 1 Pro- Konservativen. Die Mitglieder der Kommission wurden zent heißt nicht 1,0 oder am besten 1,00, sondern es geht von den Mitgliedstaaten vorgeschlagen, aber vom Euro- um eine Basis, die die Bundesregierung versprochen und päischen Parlament gewählt. Uns muss klar sein: Dieses im Koalitionsvertrag festgelegt hat –, geht es darum, dass Arbeitsprogramm ist ein politischer Kompromiss, der wir mehr für die Finanzierung Europas tun. zumindest von vier wichtigen Fraktionen in Europa ge- tragen wird und auch gestaltet werden soll. (Beifall bei der SPD) Das müssen wir so diskutieren. (Beifall bei der SPD) Wir haben eine Selbstverpflichtung in der sozialdemo- Deshalb wird es darauf ankommen, dass wir dies als kratischen Parteienfamilie Europas genau wie in der Maßstab hier anlegen. Ich will dazu mit Erlaubnis der christdemokratischen, der liberalen, der grünen und der Präsidentin zitieren, was die Vorsitzende der sozialdemo- linken Parteienfamilie, die besagt, dass wir dieses Europa kratischen Fraktion, meine Kollegin Iratxe García Pérez, für die Zukunft – auch finanziell – stärken. Diese Zukunft dazu gesagt hat: ist die junge Generation, die durch Erasmus und vielfa- chen Austausch geprägt ist und Erwartungen hat. Diese Unsere wichtigsten Forderungen in Bezug auf den ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Wan- Erwartungen müssen wir, muss die Kommission erfüllen. Machen wir uns gemeinsam an die Arbeit! del, den die EU braucht, werden im Programm an- gemessen berücksichtigt. Es enthält die Verspre- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther chen, die an unsere Fraktion gemacht wurden, als Krichbaum [CDU/CSU]) wir diese Kommission und ihre Leitlinien unter- stützt haben. Vizepräsidentin Petra Pau: Darum genau, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird es Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Kleinwächter gehen. Es wird auch nicht nach dem alten Muster „Wenn für die AfD-Fraktion. morgens früh die Sonne lacht, hat dies allein mein Land (Beifall bei der AfD) (B) vollbracht. Doch gibt es Matsch und Schnee, dann war es (D) die EG.“ – heute: die EU – gehen. Norbert Kleinwächter (AfD): (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Dann war’s Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und die SPD!) Kollegen! Machen wir uns nichts vor: Das Arbeitspro- gramm der EU ist gefährliche Träumerei und weit ent- Genau so funktioniert es eben nicht. fernt von den Fakten der Realität und dem Willen der (Beifall bei der SPD) Bürger. Die Themen, die die Kommission gesetzt hat, sind aus (Beifall bei der AfD) meiner Sicht die völlig richtigen, nämlich Klima, Digita- Da wird eine schöne neue Welt entworfen, in der Klima- lisierung, Wirtschaft und Soziales, die Rolle Europas in neutralität durch Verbote von Technologie und explo- der Welt, auch die Verteidigung unserer Lebensweise und dierende Kosten als Wohlstandsbringer und Wachstums- Perspektiven für die Zukunft der EU. Genau darum wird strategie verkauft werden, die Einschränkung der es gehen. Meinungsfreiheit als liberal und die Durchsetzung der Weil wir beim Klima anfangen, sage ich als Sozial- Gesellschaft mit qualifizierten Kulturfremden und illega- demokrat auch klar dazu: Es gibt nur einen Green Deal len Migranten als Bereicherung. mit einem roten Herzen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das meinen wir, diesen Rassismus!) (Beifall bei der SPD) Das ist tragisch und gefährlich zugleich; denn gerade Ich zitiere hier meine Kollegin Vorsitzende noch ein- die aktuellen Krisen zeigen: Jawohl, die EU ist in Gefahr, mal: und die Kommission ist auf dem falschen Weg und über- Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission kann haupt nicht vorbereitet. Es gibt keine vernünftige Ant- nur mit einer angemessenen Finanzierung funktio- wort auf die Migrationskrise an der Außengrenze. Es gibt nieren. keine Antwort auf die Rezession, die wir seit Jahren se- hen und die durch Corona noch weiter verstärkt werden Auch da sage ich – ich meine alle Fraktionen hier im dürfte. Und es gibt keine Antwort auf die erheblichen Haus, von der Linken bis zur FDP, die AfD nicht –: Unstimmigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und den Diejenigen, die zurzeit sparen, sind nicht irgendwelche Vorstellungen der Europäischen Kommission. Von der aus Österreich, aus den Niederlanden, Dänemark oder Leyen hat eine tief zerrüttete Europäische Union geerbt Schweden, und spaltet sie noch weiter. 18582 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Norbert Kleinwächter (A) (Beifall bei der AfD) und sollen verschwinden. Was die Wahrheit ist, definiert (C) natürlich Brüssel, übrigens auch, welche Mitgliedstaaten Diese EU-Kommission handelt nicht im Interesse der die sogenannten europäischen Werte teilen. Bürger. Sie orientiert sich vor allem an zwei internationa- len Abkommen – das geht sehr deutlich aus dem Pro- Wenn Sie glauben, dass die europäischen Werte noch gramm hervor –, an dem Klimaschutzabkommen von etwas mit Demokratie zu tun haben, dass man also eine Paris und der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Der Meinung hat und dieser in Wahlen Ausdruck verleiht, Kernbegriff dieser beiden Dokumente ist der Begriff der dann sage ich Ihnen: Nein. „Unsere europäische Lebens- Transformation. Transformation meint hier nicht einen weise gründet sich auf die Werte Solidarität, Gleichheit Wandel, der von unten kommt, demokratisch, durch die und Fairness.“ Aha. Wir sind jetzt alle gleich, internatio- Wirtschaft usw., sondern eine Umgestaltung der Wirt- nal solidarisch und fair. Deswegen will Ursula von der schaft und Gesellschaft von oben. Man träumt von der Leyen möglichst bald eine Währungs- und Bankenunion, neuen Gesellschaft, von der neuen Wirtschaftsordnung, eine europäische Arbeitslosenrückversicherung und ei- die ja dann so viel gerechter ist als die alte und als Vorbild nen neuen Migrations- und Asylpakt. Hauptsache, die für die ganze Welt dienen kann. Deutschen zahlen den anderen die Sozialleistungen. Dahinter steckt eine eiskalte Agenda der Globalisie- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Erklären rung, des Wohlstandsabbaus und der Umverteilung von Sie doch mal, wie die Arbeitslosenrückversi- Reich nach Arm. cherung funktioniert! Sie wissen es nicht!) (Johannes Schraps [SPD]: Sie beschreiben sich Aber wissen Sie, Herr Birkwald, was bei der Solidarität selbst!) nicht erwähnt wird? Die Solidarität mit den eigenen Leu- Damit kennen Sie sich besonders gut aus, liebe Kollegen ten spielt keine Rolle. Die Solidarität mit den wirklichen von den Linken; sie diskutieren neuerdings darüber, ob Bedürfnissen der Mitgliedstaaten, insbesondere derjeni- man Reiche lieber erschießen oder vorher noch zwangs- gen, die mit Muttis Migranten gerade im Stich gelassen arbeiten lassen sollte. Damit sind Sie voll auf der Höhe werden, spielt keine Rolle. Das ist alles andere als fair der Zeit: „Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder und solidarisch. Ochs noch Esel auf.“ (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich (Konstantin Kuhle [FDP]: Sie waren doch mal glaube, Sie haben einen Ödipuskomplex!) bei der WASG! Das passt doch! Das müssten Es geht hier nur um eine Transformation gegen unseren Sie doch eigentlich gut finden!) Wohlstand, gegen unsere Demokratie, gegen unsere Ver- (B) Der kommt neuerdings vom Hof auf den Tisch, aber zu fassung, gegen unsere Bürger, gegen unser Volk, (D) dieser fragwürdigen Strategie wird später Stephan Protschka noch einiges sagen. (Beifall bei der AfD – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Dagegen hilft das Recht (Beifall bei der AfD) zum gewaltsamen Widerstand, nicht wahr, Herr Kleinwächter? Sie propagieren das Recht Ein großes Problem für Europa ist der European Green zur Gewalt hier!) Deal. Er ist ja der Schlüssel für diese Transformations- strategie, die ich hier kritisiere. Da wird den Leuten ein- und wir werden laut und immerfort Nein sagen zu dieser geredet, sie müssten jetzt sofort CO2 sparen. Über 1 Bil- Transformation. Wir werden Nein sagen zu dieser Trans- lion Euro, ein Viertel der EU-Mittel – Steuerzahlermittel formation – anders als die FDP. natürlich –, werden in den nächsten zehn Jahren versenkt, und die Bürger werden mit Verboten überschüttet: Ver- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Aufrufe bote von Autos, Verbote von Heizsystemen, Verbote von zu Gewalt sind das, was Sie da verklausuliert nicht gedämmten Wohnhäusern. Da frage ich mich: Die verkünden! – Gegenruf des Abg. Enrico Bürger sind doch schon heute in Finanznöten. Sie können Komning [AfD]: Quatsch! Von Gewalt ist doch sich schon heute kein neues Auto leisten bzw. kein neues gar nicht die Rede!) Dach. Wie sollen sie dann eine Heizung ersetzen, die Das ist nicht die EU des Friedens und der Zusammen- ihnen letztendlich vor der Nase verboten wird? arbeit, die die Menschen wollen und für die wir stehen. Damit das auch so passiert, gießt die EU das alles in ( [Erfurt] [SPD]: Die Auf- Gesetze. Sie will ein Klimagesetz verabschieden. Dabei führung ist beendet, Sie können sich setzen!) hat Brüssel aber gar kein Gesetzgebungsrecht. Die Brüsseler Exekutive erhebt sich einfach über die national Wissen Sie, das einzig Beruhigende ist: Die Chefin der demokratisch gewählten Legislativen und macht dann ganzen Nummer ist . Wir wünschen eben einfach einmal ein Gesetz. Das ist ein Verfassungs- ihr von Herzen so viel Qualität und Erfolg wie in ihrem bruch ersten Ranges. Amt als Verteidigungsministerin; denn wenn sie da ge- nauso versagt wie dort, haben die Bürger Europas ein (Beifall bei der AfD) großes Problem weniger. Wer aufmuckt, der – ganz oben im Programm – erntet (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schöne die Rache des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus und des Grüße an Mutti!) Europäischen Aktionsplans für Demokratie. Da werden dann neuerdings Fake News von der Wahrheit getrennt Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18583

Norbert Kleinwächter (A) (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider [Er- möchte, sondern es geht um die Schaffung und um Vor- (C) furt] [SPD]: Legen Sie sich wieder hin! Ich schläge für gerechte Mindestlöhne – das ist ein großer mache mir Sorgen um Sie!) Unterschied – und den Ausbau der Jugendgarantie. Wir machen uns mitunter zu wenig Gedanken darüber in ei- Vizepräsidentin Petra Pau: nem Land, in dem die Jugendarbeitslosigkeit glücklicher- weise sehr niedrig ist, eine der niedrigsten in ganz Euro- Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege pa. Das gibt es so in vielen anderen Ländern nicht, vor Gunther Krichbaum. allem in der südlichen Hemisphäre. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Viertens: ein stärkeres Europa in der Welt. Man möchte Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt eine geopolitische Kommission werden. Hier geht es ins- mal was Vernünftiges hier!) besondere um die Frage der Erweiterung. Hier möchten Gunther Krichbaum (CDU/CSU): wir als Europäische Union glaubwürdige Signale in Rich- tung Albanien und Nordmazedonien senden. Es geht um Lieber Herr Kleinwächter, es gab früher – die Älteren den freien und fairen Handel, es geht aber auch um die werden sich daran erinnern – eine Werbung mit dem HB- Europäische Nachbarschaftspolitik, um Afrika, ein Kon- Männchen. Wenn ich Ihnen zuhöre, fühle ich mich un- tinent, den wir über Jahrzehnte hinweg sträflich vernach- weigerlich daran erinnert. lässigt haben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ohne Fünftens: die Förderung unserer europäischen Lebens- Grund in die Luft gehen!) weise, neuer Migrations- und Asylpakt, neue Strategie Wenn Sie hier von „Spaltung“ reden – Sie werfen der für eine Sicherheitsunion, Einsatz zum Gesundheits- Kommission bzw. Frau von der Leyen Spaltung vor –, schutz. Hier geht es insbesondere um Pläne der Krebs- kann ich Ihnen nur sagen: Wenn hier einer Europa spaltet, bekämpfung und um den Kampf der hybriden Bedrohun- dann sind es die rechtspopulistischen Parteien, die ganze gen – um das nicht ganz zu vergessen – einschließlich Bevölkerungen, Länder, Gruppierungen gegeneinander Cybersicherheit. ausspielen. Sie setzen auf Hetze. Sie setzen mit ihrer Rhetorik darauf, dass genau das, was Europa vorange- Sechstens: neuer Schwung für die Demokratie in Eu- bracht hat, nämlich die Friedenssicherung, verspielt wird. ropa. Dahinter verbirgt sich das Thema der Rechtsstaat- Da können Sie nur mit unserem allerentschiedensten Wi- lichkeitskultur. Das ist ein Thema, das uns hier im Deut- derstand rechnen. schen Bundestag übergreifend sehr, sehr wichtig war. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) (D) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Ja, es ist ein ambitioniertes Programm, aber es gibt GRÜNEN) auch viele Themen, zu denen das Programm nichts sagt. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsi- Zunächst in sicherlich kluger Zurückhaltung wenig zum dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kommis- Thema des sogenannten mehrjährigen Finanzrahmens. sion hat ein sehr engagiertes Arbeitsprogramm auf den Wir sind daran interessiert – müssen dies auch sein –, Tisch gelegt. Es hört sich fast etwas buchhalterisch an, auch als Deutscher Bundestag, dass der mehrjährige Fi- wenn ich Ihnen sage, dass es 43 politische Initiativen, 28 nanzrahmen bald gelöst wird. Haben wir diesen nämlich neue legislative Vorhaben und 126 mit Priorität zu behan- bis zum 1. Januar 2021 nicht auf dem Tisch, dann haben delnde laufende Gesetzesvorhaben sind. wir Abbruchkanten bei bestimmten Positionen, beispiels- weise bei Frontex, bei Forschung und Innovation und Damit wird im Übrigen auch sehr schnell die Frage auch bei Erasmus. Mit anderen Worten: Es fließt dann beantwortet, was die deutsche Ratspräsidentschaft – das definitiv kein Geld mehr. war kürzlich hier ein Debattengegenstand – ausmachen wird. 90 Prozent dieser Legislativvorhaben werden die Sicherlich müssen wir uns als Bundestag diesen The- Zeit unserer Ratspräsidentschaft ausfüllen. Da steht uns men, was den Zeitplan angeht, noch stärker widmen. Wir natürlich einiges bevor. Im Stakkato nenne ich die einzel- stehen aber auch vor der Frage, ob die Aufgaben den nen Stationen – Kollege Schäfer ist bereits darauf einge- Ausgaben folgen oder ob es umgekehrt ist, dass die Aus- gangen –: gaben den Aufgaben folgen müssen. Ich glaube, Letzt- eres ist richtig. Wir brauchen ein Mehr an Europa. Dieses Erstens: der europäische Green Deal, CO2-Neutralität Mehr an Europa wird nicht mit weniger Geld zu erreichen bis zum Jahr 2050, gestern auch verbindlich als Ziel end- sein. Das wird nicht funktionieren. Salopp gesprochen: gültig festgeschrieben. Am Ende kann Europa auch nur den Sprit verfahren, den Zweitens: ein Europa im digitalen und für das digitale wir als Mitgliedstaaten ihm in den Tank füllen. Zeitalter mit einem Initiativpaket zum Wandel der digita- Das heißt, wir müssen uns auch darüber Gedanken len Welt, bestehend aus einer Mitteilung zum Weißbuch machen: Welche Aufgaben sind europäische, und welche für künstliche Intelligenz. Eine neue Industriestrategie, sind die richtigen? Das wird sehr schnell deutlich, wenn insbesondere auch eine neue Mittelstandsstrategie wird wir uns gedanklich in die Lage versetzen, wir müssten dieses Themenfeld ausfüllen. dieses Europa heute neu erfinden. Wir würden mit Si- Drittens: eine Wirtschaft, die im Dienste der Menschen cherheit nicht mit der Landwirtschaft beginnen. Das steht. Hier geht es nicht darum, dass die Europäische war im letzten Jahrhundert, in den 50er-, 60er-Jahren, Kommission die Mindestlöhne in Europa harmonisieren richtig, aber heute sind es drängende Themen wie For- 18584 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Gunther Krichbaum (A) schung, Entwicklung, Innovation, künstliche Intelligenz. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Wie weit wir hier ins Hintertreffen geraten sind, zeigt die der CDU/CSU) bereits in diesem Haus geführte Diskussion um 5G bzw. eine Beteiligung der fernöstlichen Staaten. Allein dass Frau von der Leyen spricht erfreulicherweise von einer wir die Diskussion führen, zeigt, dass wir in Sachen Wett- geopolitischen Kommission, aber die Stärkung des Euro- bewerbsfähigkeit deutlich zulegen müssen. Das heißt, wir päischen Auswärtigen Dienstes bleibt auf der Strecke. Im müssen hier als Europäer und als nationale Mitgliedstaa- Gegenteil, seine Zuständigkeiten werden verwaschen. ten unsere Hausaufgaben machen. Von der Leyen und der Ratspräsident Michel sind inter- national viel aktiver als ihre Vorgänger. Das ist gut. Aber Als letzter Satz sei mir gestattet: Ich hätte gerne noch damit steigt auch die Notwendigkeit der Abstimmung. etwas zum Thema europäische Kultur gehört. Hierzu hat Diese geht nur durch einen starken Europäischen Aus- die Europäische Kommission in ihrem Arbeitsprogramm wärtigen Dienst und einen starken Hohen Vertreter. Der leider keinen einzigen Satz verloren. Das finde ich scha- wird leider gerade nicht gestärkt. de. Vielleicht kann man an dieser Stelle noch einmal nacharbeiten. (Beifall bei der FDP) Dann gibt es die Sorge einer völlig unzureichenden Herzlichen Dank. Finanzierung der Bereiche Außen- und Sicherheitspolitik (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) im neuen EU-Haushalt. Dem Europäischen Verteidi- gungsfonds droht eine finanzielle Bauchlandung erster Klasse. Europol und vor allem Frontex sind gemessen Vizepräsidentin Petra Pau: an den Aufgaben völlig unterfinanziert. Dabei haben Das Wort hat der Kollege Michael Georg Link für die wir alle doch die Bilder von der griechisch-türkischen FDP-Fraktion. Grenze vor Augen. (Beifall bei der FDP) (Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Da hat Frontex ganz sicher nicht geholfen!) Michael Georg Link (FDP): Mein Kollege Konstantin Kuhle wird nachher darauf ein- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gehen. Frau Präsidentin von der Leyen hat für 2020 einen sehr ambitionierten Plan vorgelegt. Wir Freie Demokraten (Beifall bei der FDP) wollen die Kommission vor allem daran messen, ob ihr Arbeitsprogramm die EU tatsächlich einerseits ökolo- Die Rechtsstaatsberichte begrüßen wir ausdrücklich (B) gisch nachhaltiger und andererseits gleichzeitig wirt- von unserer Seite. Dass hier die Kommission für alle (D) schaftlich wettbewerbsfähiger macht. Da ist es kontra- Länder tätig wird, ist sicherlich sinnvoll. Es ist gut und produktiv – lassen Sie mich gleich ganz konkret wichtig; denn alle Mitglieder müssen sich an die gleichen werden –, wenn sich die Kommission jetzt verstärkt mit Rechte halten und haben die gleichen Pflichten, nicht nur dem Thema „europäische Mindestlöhne“ befassen will. die neuen Mitglieder, auch die Gründungsmitglieder. Lassen Sie mich klar und deutlich sagen: Hier verhebt, Enttäuschend ist jedoch, dass die Kommission zum The- hier verzettelt sich die Kommission. Die Frage der Fin- ma „Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechts- dung sowohl fairer als auch wettbewerbsfähiger Mindest- konvention“ völlig schweigt. löhne fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Sie Kolleginnen und Kollegen, die Debatte um die Zukunft ist keine Gemeinschaftsaufgabe. Europas läuft. Dieses Jahr wird uns der Fortgang des (Beifall bei der FDP und der AfD) Brexits noch intensiv beschäftigen. Boris Johnson ist an- scheinend seiner eigenen Propaganda zum Opfer gefal- Unter den Gesichtspunkten der Subsidiarität und Ver- len: der Rückkehr zur nationalen Souveränität als Allheil- hältnismäßigkeit wäre die Kommission gut beraten, hier mittel. Aber weder Großbritannien noch Deutschland nicht gesetzgeberisch tätig zu werden, die Hände davon können sich verhalten, als ob sie eine große Schweiz zu lassen. Von der Leyen hat den Green Deal zur Chef- wären. Gerade die Schweiz will unbedingt Teil des Bin- sache erklärt. Sinnvoller wäre es aus unserer Sicht je- nenmarktes bleiben. Kein Geringerer als ifo-Chef doch, die Ausweitung des erfolgreichen Emissions- Clemens Fuest hat kürzlich darauf hingewiesen, dass handels auf alle Verursacher von Treibhausgasen die Alternative „nationale Souveränität versus europä- voranzutreiben. Durch eine Ausrichtung des jährlichen ische Souveränität“ eine Selbsttäuschung ist. Angesichts CO2-Limits beim Emissionshandel auf das Ziel der Kli- der Welt, in der wir leben, lautet die richtige Alternative maneutralität 2050 wäre sichergestellt, dass dieses wich- vielmehr: europäische Souveränität oder gar keine Sou- tige Ziel garantiert erreicht würde. Die parlamentarischen veränität mehr. Wir wollen eine starke und geeinte EU. Mitwirkungsrechte dürfen beim Klimaschutz übrigens Wir wollen kein Spielball Dritter sein. Subjekt oder Ob- auch nicht auf der Strecke bleiben – ein wichtiger Punkt, jekt internationaler Politik – das ist die Wahl, vor der wir der in der Debatte noch nicht erwähnt wurde. Deshalb stehen. Wir brauchen eine EU, die in der Lage ist, schritt- sollten auch delegierte Rechtsakte, die berühmte Komito- weise mehr öffentliche Aufgaben zu übernehmen, vor logie, also das vereinfachte Gesetzgebungsverfahren, allem im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit, durch die Kommission allein die absolute Ausnahme ein starkes Europa, das Menschen und ihre Rechte bleiben. Klimaschutzdebatten gehören in die Öffentlich- schützt. Das ist ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt, keit, nicht in technische Verwaltungsgremien. nach dem Brexit mehr denn je. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18585

Michael Georg Link (A) Ich danke Ihnen. granaten und auch scharf auf Flüchtlinge geschossen (C) wird, dann schämt man sich, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) (Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Eine Schande!) dass die Europäische Union so schändlich mit Menschen Vizepräsidentin Petra Pau: in Not umgeht. Für die Fraktion Die Linke hat nun der Abgeordnete Alexander Ulrich das Wort. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Man schämt sich auch, wie Ursula von der Leyen vor- gestern als Kommissionspräsidentin aufgetreten ist. Sie Alexander Ulrich (DIE LINKE): hat nichts zu dieser Situation gesagt. Sie hat nur etwas Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! von Frontex gesprochen und von noch mehr Grenzsiche- Europa ist in einer schweren Krise. Der Brexit, die Ent- rung. Den Menschen muss geholfen werden. Wir haben scheidung, dass Großbritannien die Europäische Union die Verpflichtung, diesen Menschen zu helfen. Die Euro- verlässt, hat das noch einmal deutlich gemacht. Ich glau- päische Union muss endlich handeln. be, dass auch die Europäische Union in einer Krise ist. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass auf ihre Le- (Beifall bei der LINKEN) benslagen entsprechend reagiert wird. Wir Linke haben Ich sage auch: Wenn Europa die Antwort sein soll auf immer gesagt: Europa wird nur dann eine Zukunft haben, Probleme, die die einzelnen Länder nicht mehr lösen wenn wir den Menschen dienen, und Europa wird von können, dann frage ich mich und auch die die Regierung den Menschen nur angenommen, wenn Europa sozial ge- vertretenden Parteien: Warum gibt es seit fünf Jahren staltet wird. keine Lösung in der EU-Flüchtlingspolitik? Warum ha- (Beifall bei der LINKEN) ben wir keinen Verteilmechanismus mit anderen Län- dern? Jetzt nimmt die Europäische Union eine Forderung von linken Parteien auf – ich schließe da die SPD gerne (Martin Hebner [AfD]: Weil die anderen Län- ein –, der schlauer sind als wir!) (Florian Hahn [CDU/CSU]: Was macht ihr mit Warum fällt es uns jetzt wieder auf die Füße, dass wir den reichsten 1 Prozent eigentlich?) nicht wissen, wie die Menschen fair in Europa verteilt einen europäischen Mindestlohn umzusetzen. Nun werden können? Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn wir (B) (D) kommt die FDP sofort wieder und sagt: Die Europäische so weitermachen, werden wir nie eine Lösung bekom- Union soll die Hände davon lassen. men. Europa darf keine Einbahnstraße sein. Wer von Europa Solidarität verlangt wie osteuropäische Länder, (Michael Georg Link [FDP]: Die Verträge sind muss auch Solidarität zeigen. deutlich! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Gilt die 1-Prozent-Regel auch für ganz Europa?) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) Herr Link, ich habe es Ihnen gestern schon im Ausschuss gesagt: Dumpinglöhne, Löhne, von denen man nicht le- Wer Solidarität verweigert, dem muss der Geldhahn zu- ben kann, sind kein Wettbewerbsvorteil, das ist un- gedreht werden. menschlich. Wir brauchen ganz schnelle Lösungen. Das Arbeits- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- programm der Kommission hört sich von den Überschrif- neten der SPD) ten her gut an, aber die Frage ist immer: Ist das am Ende Produkte und Dienstleistungen sollen sich über Quali- auch umsetzbar, und wie will man es umsetzen? Der tät, über Innovation und Schnelligkeit auszeichnen, aber Green Deal ist zunächst eine tolle Sache – ja, wir stehen nicht durch einen Wettbewerb um die unfairsten Löhne. dazu, wir wollen eine CO2-freie Wirtschaft und Lebens- Deshalb hoffen wir, dass die Europäische Union wirklich weise –, aber die Schritte dorthin sind viel zu zaghaft. an dieses Thema rangeht. Wir brauchen einen europä- Man hat mal wieder alles in die Zukunft geschoben, in ischen Mindestlohn, der in Ungarn natürlich anders ist das Jahr 2050, ohne konkrete Zwischenziele, ohne belast- als in Luxemburg. In Deutschland muss er auf 12 Euro bare Maßnahmen, die die einzelnen Länder umsetzen angesetzt werden. Wir sagen: 60 Prozent vom Durch- müssen. Deshalb glaube ich schon, dass mehr getan wer- schnittslohn des jeweiligen Landes, das wäre ein Min- den muss, als Überschriften zu liefern. destlohn, über den man reden kann. Zu den Mitteln, die man zur Verfügung stellen will. Es (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Leni kommt mir so vor, als ob jemand ein Haus bauen will, Breymaier [SPD]) aber nur Geld für die Dachziegeln hat, und dann erwartet, dass das Haus schon irgendwie gebaut wird. So ist es Die Europäische Union ist auch deshalb in einer Krise, auch mit der Ankündigung der Kommission zum Green weil sie nicht mehr versteht, für die europäischen Werte Deal. Hier muss viel mehr Geld investiert werden in eine zu kämpfen. Wenn man sich die Bilder von der grie- Transformation der Wirtschaft. chisch-türkischen Grenze anschaut, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wo mit Tränengas und Blend- (Beifall bei der LINKEN) 18586 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Alexander Ulrich (A) Zum Green Deal. Wer klimafreundlich agieren will, (Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Er- (C) der muss sich auch in anderen Politikfeldern daran mes- langen] [CDU/CSU]: Wenn man alle Reichen sen lassen. Als Beispiel nenne ich die Handelsverträge erschießt, wo nimmt man dann das Geld her?) mit Mercosur. Was ist daran klimafreundlich, wenn der Handelsvertrag dazu führt, dass der Regenwald in Brasi- Vizepräsidentin Petra Pau: lien abgeholzt wird und noch mehr Agrarprodukte über Das Wort hat Dr. Franziska Brantner für die Fraktion Tausende Kilometer nach Europa gebracht werden? Das Bündnis 90/Die Grünen. ist doch nicht klimafreundlich, das ist das Gegenteil da- von. Solche Verträge werden abgeschlossen, weil die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirtschaftlichen Interessen immer noch vor Klimaschutz gehen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegin- Herr Altmaier, Herr Wirtschaftsminister, Sie sind an- nen und Kollegen! Vor einem Monat hat die Europäische wesend, das freut mich. Wenn man Klimaschutz tatsäch- Kommission ihr ambitioniertes Arbeitsprogramm vorge- lich will, muss man auch über die deutsche Stahlindustrie legt: 43 neue Vorhaben vor allen Dingen für Klima, Di- reden. In Ihrem Bundesland haben sich vor Kurzem wie- gitalisierung und Soziales. Doch all diese Vorhaben ha- der die Stahlkumpel auf den Weg nach Brüssel gemacht ben nur eine Chance, wenn die Mitgliedstaaten auch und dort eine Resolution übergeben, weil sie es langsam mitziehen. Allen voran Sie, liebe Bundesregierung, ha- leid sind, dass nichts passiert. Wir laufen Gefahr, dass die ben eine besondere Verantwortung dafür mit der komm- deutsche Stahlindustrie, die nachweislich am saubersten enden Ratspräsidentschaft ab Juli dieses Jahres. Dieser ist, nicht mehr wettbewerbsfähig ist, weil die EU nicht in Verantwortung werden Sie bisher nicht gerecht. Bis jetzt der Lage ist, über Handelsverträge Dumpingstahl aus haben Sie noch kein Programm mit Prioritäten für die anderen Ländern höher zu bezollen, damit der Stahl aus Ratspräsidentschaft vorgelegt. Bis jetzt war Ihre Ausrede: Deutschland eine Chance hat. Wir warten auf das Arbeitsprogramm der Europäischen (Beifall bei der LINKEN) Kommission. – Darüber diskutieren wir heute. Ich hatte gedacht: Das ist jetzt der Anlass, dass die Regierung Der deutsche Wirtschaftsminister muss endlich deutlich ankündigt, was ihr Plan, ihre Ziele, ihre Prioritäten für machen, dass wir in diesem Jahr zu Ergebnissen kommen diese Ratspräsidentschaft sind. Bis jetzt habe ich leider müssen. Wir haben das auch schon im Wirtschaftsaus- von niemandem aus dieser Koalition auch nur ansatzwei- schuss sehr oft von Ihnen gefordert. se gehört, was der Plan ist. Das ist wirklich eine vertane (B) (D) (Beifall bei der LINKEN) Chance. Ein letzter Punkt. Wenn wir die Wirtschaft transfor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mieren wollen, wird es auch Verwerfungen geben. Das sowie des Abg. Martin Hebner [AfD]) werden wir in Deutschland erleben bei der Automobil- Da, wo Sie einen Plan haben, torpedieren Sie schon industrie, bei der Zulieferindustrie usw. Deshalb ist es jetzt die Umsetzung. Beispiel Green Deal: Gestern hat dringend notwendig, dass die EU-Kommission das Bei- die Europäische Kommission ein Europäisches Klimage- hilferecht verändert, Herr Altmaier. Wir sind heute in setz vorgelegt, das ambitionierter ist als Ihr eigenes. Und einer Situation, dass Regionen erst in eine Krise kommen was machen Sie, Herr Altmaier? Sie schreiben einen müssen, damit das Beihilferecht greift. Wir brauchen eine Brief an Herrn Timmermans und fordern die Europäische Abkehr davon. Wenn wir sehen, dass es Probleme geben Kommission darin auf, die Automobilindustrie aufgrund wird, dann muss das Beihilferecht entsprechend geändert höherer CO2-Grenzwerte von den Regelungen auszuneh- werden, damit es greifen kann. men. Das ist genau das Gegenteil dessen, was wir jetzt (Beifall bei der LINKEN) brauchen, Herr Altmaier. Die deutsche Bundesregierung muss die deutsche Rat- (Zuruf von der AfD: Das ist wirtschafts- spräsidentschaft nutzen, damit wir hier endlich voran- freundlich!) kommen. Es freut mich, dass Sie der AfD dafür danken, dass sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ihnen dafür applaudiert. Ich würde mich dafür bedanken, neten der SPD) wenn Sie etwas tun, damit die Automobilindustrie in Deutschland wirklich vorankommt und zukunftsfähig Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Europa ist ist. Das ist nämlich die Herausforderung, die wir alle zu in einer tiefen Krise, und die Bundesregierung ist daran stemmen haben. mit schuld. Man kann das nicht immer wegschieben; denn dass Europa funktioniert, hängt auch von der Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) desregierung ab. Deswegen wäre es gut, wenn man den Koalitionsvertrag, der Europa in den Vordergrund gestellt Zwölf Staaten fordern ein rasches, neues CO2-Ziel für hat, endlich umsetzen würde. Das würde auch bedeuten: 2030, darunter Frankreich, Italien und Spanien, also eine Europa braucht viel mehr Geld, auch vom deutschen ganze Reihe von Ländern. Was machen Sie? Sie setzen Haushalt. auf Stillstand statt Dynamik. Sie sind nicht an der Speer- spitze dabei, sondern blockieren, Sie bremsen aus. Än- Vielen Dank. dern Sie endlich diese Haltung und gehen Sie voran. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18587

Dr. Franziska Brantner (A) Seien Sie in der Poleposition in Europa für Innovation Sie warten auf Deutschland, auf diese Regierung. Bewe- (C) und unsere Zukunft. Bewegen Sie sich endlich. gen Sie sich endlich, damit wir europäisch vorankom- men. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke Ihnen. Wir wissen, dass große Aufgaben einen starken Haus- halt brauchen. Der Green Deal wird ohne neuen Haushalt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nur eine Luftnummer werden. Der letzte EU-Gipfel ist auch gescheitert, weil Sie auf Ihrer De-facto-Kürzung Vizepräsidentin Petra Pau: des europäischen Haushaltes bestanden haben. Sie ver- harren im Klein-Klein, statt endlich die Potenziale einer Das Wort hat der Abgeordnete Johannes Schraps für handlungsfähigen EU auszubauen. Sie fahren ständig die die SPD-Fraktion. Strategie des Status quo, statt Europa wirklich zu stärken. (Beifall bei der SPD) Das ist in diesen Zeiten, wo die Welt so unruhig ist, wo wir alle wissen, dass wir ohne Europa keine Chance ha- Johannes Schraps (SPD): ben, wirklich unverantwortlich. Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen Gehen Sie endlich mit den anderen Ländern, die voran- und Kollegen! Jedes Jahr legt die Europäische Kommis- gehen wollen, für ein starkes Europa, auch im Haushalt. sion ihr Arbeitsprogramm vor. Es ist die europäische Ant- Das betrifft noch nicht einmal 1 Prozent der deutschen wort auf alte und neue Herausforderungen, jedes Jahr Wirtschaftsleistung, genauer 0,7 Prozent. Wir geben im wieder. Verteidigungsbereich 1,4 Prozent aus, also doppelt so Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in Zeiten der viel. Es ist wirklich nicht mehr erklärbar, warum wir für Hysterie – gerade beim zweiten Redner in der heutigen Europa nicht bereit sind, in Innovation und in unsere Debatte haben wir uns davon leider wieder überzeugen Zukunft zu investieren. lassen müssen –, in denen ein Virus mancherorts zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schulschließungen, zur Absage zahlreicher Groß- und Kleinveranstaltungen, in einigen Ländern sogar zum Erlauben Sie mir, am Ende auf die Frage „Was passiert Stillstand des öffentlichen Miteinanders führt, in Zeiten, eigentlich in Idlib?“ einzugehen. Wir diskutieren darüber in denen Menschen in sogenannten sozialen Netzwerken in Deutschland erst jetzt, weil droht, dass Menschen, die tagtäglich von anderen Menschen mit Hetze überzogen von dort fliehen, bei uns vielleicht ankommen. Das ist werden, wo man sich jeden Tag auf jemand anderen schon die Schande an sich. stürzt, dessen Meinung oder dessen Gesicht einem nicht (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) passt, in Zeiten, in denen es normal zu sein scheint, dass (D) Parteibüros und manchmal auch private Häuser und Woh- Wir wissen seit Wochen und Monaten, was in Idlib pas- nungen ganz gezielt mit übelsten Schmierereien bemalt siert, dass dort 1 Million Menschen auf der Flucht sind, werden, in denen Autos von Menschen angezündet wer- weil Putin und Assad die zivile Bevölkerung, zivile Ein- den, in Zeiten, in denen auf Politiker und ihre Büros ge- richtungen, Krankenhäuser und Schulen bombardieren. schossen wird, in Zeiten, in denen Menschen, die sich Und wir tun nichts. politisch oder in anderen Bereichen für unsere Allge- Es ist nicht in Europas Interesse, dass wir diese Frage meinheit engagieren, immer häufiger angegriffen, ange- Erdogan überlassen, sondern hier müssen wir Europäer feindet und in einigen Fällen einfach erschossen werden – vorangehen. Völkerrechtsverbrechen erfordern Sanktio- meist wird hier der Kasseler Regierungspräsident Lübcke nen, individuelle Sanktionen gegen jene, die sie begehen: genannt; aber leider gibt es auch weitere, weniger be- Einfrieren der Konten, keine Reisegenehmigungen, kein kannte Fälle, wie den meines früheren Landrates Rüdiger Skiurlaub in Sankt Moritz. Das wären Zeichen. Diese Butte im Landkreis Hameln-Pyrmont, der mir persönlich Zeichen könnten wir als Europäer setzen. in Sachen Aufrichtigkeit und Menschennähe immer ein Vorbild sein wird, auch wenn ihm genau diese Mensch- (Beifall bei der AfD sowie des Abg. lichkeit und Nahbarkeit, die wir bei Politikern doch sehen Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) wollen, zum Verhängnis geworden ist –, Sie haben gestern immer argumentiert, dass man (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Flüchtlinge, die jetzt in Griechenland sind, nicht aufneh- CDU/CSU und des Abg. Konstantin Kuhle men könne, weil die anderen Europäer das nicht mitma- [FDP]) chen würden. Das stimmt nicht. in Zeiten, in denen Menschen mit Autos in Karnevals- umzüge oder andere Menschenansammlungen fahren, in Vizepräsidentin Petra Pau: Zeiten, in denen rassistische Menschen andere Menschen Kollegin. in Shishabars erschießen, weil ihnen ihr Aussehen ir- gendwie suspekt ist, in Zeiten, in denen Menschen ganz Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bewusst zu religiösen Einrichtungen fahren, um Massa- NEN): ker anzurichten, und dann, wenn sie glücklicherweise Schweden, Luxemburg, Frankreich, alle wollen mit- von schweren Holztüren aufgehalten werden, kurzerhand machen. andere Menschen wegen ihrer ebenfalls vermuteten An- dersartigkeit erschießen, in Zeiten, in denen Menschen in (Martin Hebner [AfD]: Nein! Nicht alle!) Flüchtlingslagern in der EU in unwürdigen Zuständen 18588 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Johannes Schraps (A) hausen müssen, weil wir leider immer noch kein funk- für das Jahr 2020 die Gemeinsame Agrarpolitik über- (C) tionierendes europäisches Asylsystem haben, und andere haupt nicht berücksichtigt wird. Mehr als 40 Prozent Flüchtende an den europäischen Außengrenzen von des landwirtschaftlichen Einkommens stammen aus die- Staatsführern als politisches Faustpfand missbraucht sen Ausgleichszahlungen. Würden diese schlagartig weg- werden, während sie selbst in den Krieg ziehen und damit fallen, würde das das Höfesterben dramatisch beschleu- Instabilität und Inhumanität in der Region weiter anhei- nigen. Außerdem sind ohne die GAP auch die hohen zen, in Zeiten, in denen sich manchmal Menschen von Naturschutz-, Umweltschutz- und Tierschutzleistungen anderen Menschen, die an vielen Stellen maßgeblich zu und eine positive ländliche Entwicklung momentan un- Hysterie, zu Hass und zu menschenverachtendem Um- denkbar. Sind das alles plötzlich keine Schwerpunkte der gang mit- bzw. häufig gegeneinander beitragen, in Ämter EU mehr? Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik wählen lassen – an dieser Stelle wünsche ich dem gestern verdient die höchste Priorität und nicht der komische in Thüringen gewählten neuen Ministerpräsidenten für Green Deal. seine keineswegs leichte Aufgabe viel Erfolg –, (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Aber immerhin findet man noch einen Satz zur europä- Enrico Komning [AfD]: Nein, Herr Schraps! – ischen Landwirtschaft im Arbeitsprogramm. Die Vom- Weiterer Zuruf von der AfD: Kurt Schumacher Hof-auf-den-Tisch-Strategie soll die Bauern dabei unter- rotiert im Grabe!) stützen, qualitativ hochwertige, sichere, aber gleichzeitig in solchen Zeiten brauchen wir bei vielen dieser Themen auch billige Lebensmittel zu produzieren. Natürlich soll eine klare Haltung. Dennoch müssen wir erkennen, dass das Ganze nachhaltig sein und mit einem guten Einkom- wir in der medialen Öffentlichkeit von einer Skandalisie- men für die Landwirte verbunden sein. Meine Damen rung zur nächsten laufen. Da erscheint das Arbeitspro- und Herren, zu meiner Schulzeit hieß das: Wirtschaft gramm der Europäischen Kommission, über das wir heu- sechs, setzen! te diskutieren, bei aller schnelllebigen Hysterie unserer Tage absolut zu Recht als wohltuende Normalität, liebe (Beifall bei der AfD) Kolleginnen und Kollegen. Ich kann nicht billig produzieren und gleichzeitig viel Geld verdienen. (Beifall bei der SPD) Das Arbeitsprogramm der Kommission ist ein Zeichen Bislang hört man aus Brüssel immer nur, dass der Ein- dafür, dass die Europäische Union funktioniert, trotz Bre- satz von Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln dras- xit und unabhängig davon, wie unterschiedlich die ein- tisch reduziert werden muss. Das sind grundsätzlich gute Ideen; aber aktuell sollte man davor vielleicht ein biss- (B) zelnen EU-Kommissare gestrickt sein mögen. Es widmet (D) sich vielen wichtigen globalen Herausforderungen. Axel chen warnen. Wir leben in Zeiten von Heuschreckenpla- Schäfer hat vor mir – Angelika Glöckner wird das gleich gen, Dürreperioden und gestörten Lieferketten infolge sicherlich auch machen – viele wichtige inhaltliche As- des Coronavirus. Das zeigt uns aktuell die Schwäche pekte und sozialdemokratische Forderungen angespro- unserer Importabhängigkeit, meine Damen und Herren. chen, die sich in diesem Arbeitsprogramm wiederfinden. Unser Ziel muss die Gewährleistung der Ernährungssi- cherheit sein. Das gelingt garantiert nicht dadurch, dass Aus unserer Sicht können wir von Deutschland aus die EU unsere Landwirte zerstört. sehr viel Gutes zur Ausgestaltung dieser Themen beitra- gen. Deswegen sei mir heute dieser moralische Appell Danke schön. gestattet: Lassen Sie uns hier im Haus dieses Arbeits- (Beifall bei der AfD – Zuruf von der SPD: Das programm gemeinsam mit Leben füllen; denn nicht ist eine Realsatire!) zum Hetzen oder Brandstiften sind wir in dieses Haus gewählt worden, sondern um uns sachlich mit Themen auseinanderzusetzen, um den demokratischen Kompro- Vizepräsidentin Petra Pau: miss zu suchen, mit angemessenem Respekt voreinander, Das Wort hat der Abgeordnete Florian Hahn für die nicht hysterisch, sondern ruhig und besonnen. CDU/CSU-Fraktion. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther Florian Hahn (CDU/CSU): Krichbaum [CDU/CSU]) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere frühere Kollegin Ursula von der Leyen, die jetzt Vizepräsidentin Petra Pau: Präsidentin der Europäischen Kommission ist, hat, wie Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für versprochen, zügig ihr Arbeitsprogramm für das die AfD-Fraktion. Jahr 2020 vorgelegt. Das Programm ist keine Überra- schung, folgt es doch den Leitlinien, die sie bei ihrer (Beifall bei der AfD) Bewerbungsrede vor dem Europäischen Parlament im vergangenen Jahr vorgetragen hat. Oberste Priorität hat Stephan Protschka (AfD): für die Europäische Kommission der europäische Green Frau Präsidentin! Gott zum Gruße, Kolleginnen und Deal, mit dem von der Leyen künftig eine führende Rolle Kollegen! Liebe Gäste hier im Hohen Haus! Es ist wirk- Europas in Bezug auf die Herausforderungen in den Be- lich bemerkenswert, dass im Arbeitsprogramm der EU reichen Klima-, Umwelt- und Energiepolitik anstrebt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18589

Florian Hahn (A) Dazu wird ein ganzer Reigen ambitionierter Initiativen Europa gefordert. Wir müssen gemeinsam mit den Tür- (C) angekündigt. Die ersten liegen schon vor. Gestern kam ken eine Lösung finden. Dabei darf es jetzt keine nationa- der Vorschlag für ein Klimagesetz. Ich stelle fest: Die len Alleingänge geben. Solidarität mit Griechenland ist Kommission arbeitet und liefert. dringend notwendig. Ordnung und Humanität sind not- wendig. Ohne Ordnung kann es keine Humanität geben. Aber jetzt ist es auch unsere Aufgabe, genau hinzu- Deshalb müssen wir alles daransetzen, die Außengrenze schauen. Wenn ich sehe, dass die Kommission sich durch Europas zu schützen – mit mehr Personal, mit mehr Ma- eine Vielzahl von delegierten Rechtsakten einen Persil- terial, mit mehr Geld. Wir brauchen geordnete Verhältnis- schein ausstellen möchte und sich sozusagen am Parla- se und müssen den Menschen vor Ort noch besser helfen. ment vorbei die Ermächtigung für den Erlass spezieller Regelungen verschaffen will, dann ist Obacht geboten. Es würde die Stabilität Europas schwer erschüttern, wenn wir jetzt die Tore öffnen und alle reinwinken oder (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie wenn wir jetzt anfangen – womöglich noch im Allein- bei Abgeordneten der FDP) gang –, Kontingente aufzustellen und zuzuteilen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die nationale, die par- lamentarische Mitsprache darf nicht gefährdet werden, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE auch nicht beim Green Deal. GRÜNEN]: Alleingang stimmt nicht! Ich habe doch gerade gesagt, wie viele andere Länder Weitere Schwerpunkte setzt die Kommission im Be- das machen wollen! Wir sind nicht alleine! Es reich Handel mit einer neuen Initiative zur WTO-Reform. wird nicht besser, wenn man es mehrfach wie- Mit Blick auf die Handelspraktiken einiger Länder ist das derholt!) auch dringend notwendig. Wir müssen unser Versprechen, dass sich 2015 nicht wie- Im Finanzbereich will sie zu einer Vertiefung der Ka- derholen wird, auch einhalten. pitalmarktunion beitragen. Das ist alles schön und gut. Aber ich sage auch ganz klipp und klar an dieser Stelle: Das Drama an der türkisch-griechischen Grenze ver- Mit uns wird es keine weitere Vergemeinschaftung von deckt leider, wer für diese Misere mitverantwortlich ist. Schulden, wird es keine Haftung deutscher Sparer für In Syrien hat sich eine unheilige Allianz gebildet, und Schuldner in anderen Teilen Europas geben. Europa war nicht willens oder nicht in der Lage, dies zu verhindern. Daraus müssen wir endlich unsere Lehren (Martin Hebner [AfD]: Das ist doch nichts ziehen. wert, die Aussage! – Weitere Zurufe von der Abschließend möchte ich sagen: Die Europäische AfD) Kommission schreitet fleißig voran, wie das Arbeitspro- (B) Im Sozialbereich werden Initiativen zum Mindestlohn gramm zeigt. Dabei wollen wir sie tatkräftig, aber nicht (D) und zur Einführung einer Arbeitslosenrückversicherung kritiklos unterstützen – im Interesse unseres Landes und angekündigt. Auch hier ist es kein Geheimnis, dass wir im Interesse eines starken und einigen Europas, das wir als Union davon wenig halten; hier gilt für uns der Koa- dringender denn je brauchen. litionsvertrag. Herzlichen Dank. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Tosen- der Beifall bei der Union!) (Beifall bei der CDU/CSU) Mittlerweile liegt auch die Digitalisierungsstrategie vor; sie wird flankiert von einem „Weißbuch zur Künst- Vizepräsidentin Petra Pau: lichen Intelligenz“. Damit will die Kommission einen Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete breiten Konsultationsprozess in Europa anstoßen, der Konstantin Kuhle das Wort. bis Mitte Mai vonstattengehen soll. Als Koalitionsfrak- (Beifall bei der FDP) tionen werden wir uns an diesem Prozess entsprechend beteiligen. Konstantin Kuhle (FDP): Darüber hinaus soll Europa nach dem Plan der Kom- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir mission in der Welt sichtbarer werden, zum Beispiel mit heute über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kom- einer Afrika-Strategie – dies zeigt die geopolitische Aus- mission für das Jahr 2020 diskutieren, dann können wir richtung der EU-Kommission unter der Präsidentschaft das nicht tun, ohne auch einen Blick auf die Situation in von der Leyen –; hierbei kann sie auf uns zählen. Griechenland zu werfen. Und das Bild, das die Europä- ische Union abgibt, insbesondere auf den Ägäischen In- Positiv möchte ich bewerten, dass die EU-Kommission seln, das ist nicht das Bild, das die Freien Demokraten mit den neuen Vorschlägen zur Migration in die festge- von einer Europäischen Union haben, die eine Gemein- fahrenen Verhandlungen Bewegung bringen möchte. Das schaft der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sein ist im Augenblick mehr als dringend geboten. will. Meine Damen und Herren, das Arbeitsprogramm soll die Initiativen der Europäischen Kommission strukturie- (Beifall bei der FDP) ren und terminieren. Das ist ein Plan für das laufende Aus diesem Grund muss das Thema der Migrations- Jahr. Aber es gibt Aufgaben, vor die sich Europa politik ganz oben auf der Agenda der Europäischen Kom- plötzlich, sozusagen außerplanmäßig, gestellt sieht. Die mission für das Jahr 2020 stehen. Das hat etwas zu tun aktuelle Flüchtlingskrise ist ein Beispiel dafür. Hier ist mit dem Thema Humanität, das hat aber auch etwas zu 18590 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Konstantin Kuhle (A) tun mit unserem Selbstverständnis als Rechtsgemein- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) schaft, und es hat etwas damit zu tun, dass wir die Errun- Kollege Kuhle, ich habe die Uhr angehalten und frage genschaften der Europäischen Union verteidigen müssen Sie, ob Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten dagegen, dass über das Thema der Migrationspolitik im- Hebner zulassen. mer mehr Spaltung in Europa entsteht. Konstantin Kuhle (FDP): Damit zusammen hängt insbesondere das Thema der Nein. – Und weil das so ist, weil wir eine besondere offenen Binnengrenzen. Denn wir werden langfristig oh- Verantwortung haben als Mitgliedstaaten, gerade als ne Einigung und ohne Initiative dieser Kommission im Bundesrepublik Deutschland in der zweiten Jahreshälfte Bereich der Migrationspolitik die offenen Binnengrenzen 2020, kommt der Zusammenarbeit zwischen der Kom- in Europa nicht verteidigen können, und das wäre ein mission und der Ratspräsidentschaft durch Deutschland schwerer Fehler und ein schwerer Verlust einer massiven, eine besondere Verantwortung zu. einer wichtigen Errungenschaft unserer gemeinsamen Europäischen Union. Ich will als letzten Punkt noch sagen: Man kann ja – wie die Grünen es in dieser Woche vermehrt tun – für (Beifall bei der FDP) nationale Alleingänge sein, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Was ist zu tun? Die Europäische Kommission stellt in GRÜNEN]: Das ist kein Alleingang! Es wird ihrem Arbeitsprogramm für das Jahr 2020 drei Prinzipien nicht besser dadurch, dass Sie es wiederholen! in den Vordergrund ihrer migrationspolitischen Agenda: Luxemburg, Schweden, Frankreich sind weite- Das Ganze soll robust sein, das Ganze soll human sein, re Länder! Wirklich nicht!) und es soll wirksam sein. und man kann dem auch Ausdruck verleihen, indem man „Robust“ heißt aus Sicht der Freien Demokraten, dass Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament als Frontex und der gemeinsame europäische Grenzschutz Kommissionspräsidentin ablehnt, wie Sie es gemacht ha- wirksam funktionieren müssen, und zwar nicht nur perso- ben. Man kann aber auch Verantwortung übernehmen nell, sondern auch finanziell, im Rahmen der mittelfristi- und, wie Ursula von der Leyen, einen Schritt zugehen gen Finanzplanung. Hier muss eine Priorität, auch seitens auf Staaten in Osteuropa, die das Ganze anders sehen. der Mitgliedstaaten, gesetzt werden. (Michael Georg Link [FDP]: Ganz genau!) „Robust“ heißt aus Sicht der Freien Demokraten auch, Das will ich an die Adresse von den Grünen, aber auch an die Adresse von Ursula von der Leyen sagen: Wer sich – (B) dass das Asylbüro der Europäischen Union, EASO, aus- (D) gebaut werden muss zu einer vollwertigen EU-Agentur, auf die sich die Mitgliedstaaten gerade an der südlichen Vizepräsidentin Petra Pau: Peripherie der Europäischen Union auch verlassen kön- Kollege. nen. Konstantin Kuhle (FDP): Meine Damen und Herren, „human“, „humanitär“ – mit den Stimmen von Viktor Orban zur Kommis- heißt aus Sicht der Freien Demokraten, dass man heute sionspräsidentin wählen lässt, der hat eine Verantwor- an der europäischen Außengrenze helfen muss. Es tung, der hat aber auch eine Chance, unterschiedliche braucht von dieser Europäischen Kommission und von Auffassungen in der Migrationspolitik zusammenzubrin- den Mitgliedstaaten ein Sofortprogramm in den Berei- gen, und das ist das, was dieses Jahr passieren muss, – chen Hygiene, Infrastruktur und Gesundheit gerade auf den Ägäischen Inseln. Ich habe mir die Situation auf Lesbos vor einem Monat anschauen dürfen. Das ist eine Vizepräsidentin Petra Pau: unerträgliche Situation, die jetzt gerade noch schlimmer Kollege Kuhle, Sie müssen bitte zum Schluss kom- wird. Deswegen muss Frau von der Leyen nicht nur die men. türkisch-griechische Landgrenze besuchen und dort eine Solidaritätsadresse abgeben, sondern muss sich auch bli- Konstantin Kuhle (FDP): cken lassen auf den Ägäischen Inseln und insbesondere – und das passiert nicht mit nationalen Alleingängen, Gelder zur Verfügung stellen in den Bereichen Hygiene, wie sie die Grünen vorschlagen. Infrastruktur und Gesundheit. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, „wirksam“, mit Blick auf eine europäische Migrationsagenda, heißt, dass die Mit- Vizepräsidentin Petra Pau: gliedstaaten und die Europäische Kommission zusam- Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Hebner menkommen müssen. Dafür hat gerade die Bundesrepu- das Wort. blik Deutschland eine besondere Verantwortung im zweiten Halbjahr 2020, weil hier die Ratspräsidentschaft Martin Hebner (AfD): und die Präsidentschaft der Europäischen Kommission Herr Kuhle, Sie haben eben gerade gesagt, dass Sie vor zusammenkommen. einem Monat auf Lesbos waren, und Sie haben von den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18591

Martin Hebner (A) unerträglichen Zuständen in den Flüchtlingslagern auf türkischen Grenze passiert. Das ist meine erste Bemer- (C) den griechischen Inseln berichtet. Ich war vor einem Mo- kung. nat auf Samos. Das Flüchtlingslager auf Samos ist zwölf- fach überbelegt. Die Zustände sind, analog wahrschein- Zweitens ist es doch so, dass die AfD-Fraktion, wenn lich, unerträglich; ich gebe Ihnen komplett recht. ich mich richtig erinnere, in jeder Hinsicht gegen finanz- ielle Unterstützungen ist, die dazu beitragen sollen, dass Sie haben allerdings in dem Fall eine Forderung ge- es keine zukünftigen Migrationsstürme und Eskalationen stellt, es müsse von der EU mehr Geld bereitgestellt wer- in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland gibt. den. Ich will Sie nur darauf hinweisen: Das passiert. Ich (Martin Hebner [AfD]: Ich glaube, Sie sind weiß nicht, ob Sie den Fonds AMIF kennen, Asyl- und falsch informiert!) Migrationshilfen von der EU. Allein von diesem Fonds bekommt Griechenland jährlich 800 Millionen Euro. Ich bin vor zwei Jahren in der Türkei gewesen und habe mir dort ein mit europäischen Steuergeldern finan- (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ziertes Krankenhaus angeschaut, das dazu beiträgt, dass NEN]: Jetzt sagen Sie noch, dass Sie das gut 3 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei bleiben. finden!) Ich will Ihnen was sagen: Das ist genau richtig; denn es Der Punkt ist: Diese Gelder kommen in den Lagern nicht ist besser, wenn die syrischen Flüchtlinge in der Türkei an. bleiben und dort versorgt werden und sich nicht auf den gefährlichen Weg nach Europa machen. Es gibt aber in Da gibt es übrigens – ich will Sie nur darauf hinwei- diesem Haus leider Protagonisten, die unbedingt wollen, sen – einen sehr guten Bericht, in dem Falle von einer dass sich diese Flüchtlinge auf den Weg nach Europa Grünenabgeordneten – ich will sie ganz kurz loben –, von machen, und das ist Ihre Fraktion, Frau de Sutter im Europarat, die klar darauf hingewiesen hat, dass hier die Gelder nicht zielgerichtet ankommen (Zurufe von der AfD: Was?) und nicht verwendet werden. Frau de Sutter hat – das weil Sie davon leben, weil Sie das brauchen, weil ungere- war vor gut einem Jahr – schon klar angesprochen, dass gelte Migration das ist, was Sie sich am sehnlichsten die Anti-Fraud-Behörde in Brüssel hier eingeschaltet wünschen. werden muss. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Erkundigen Sie sich dort mal, was das Ergebnis gewesen ist! Wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten haben es hier mit einem griechischen Problem zu tun, der SPD) und da nutzt es überhaupt nichts, wenn noch mal zusätz- Wir sind dagegen der Auffassung, dass eine finanzielle lich Geld reinkommt. Unterstützung – auch im Rahmen eines aktualisierten (B) EU-Türkei-Deals – richtig ist, um die syrischen Flücht- (D) Dass der Missstand behoben werden muss, steht völlig linge dort zu versorgen, wo eine heimatnahe Versorgung außer Frage; da gebe ich Ihnen komplett recht: Das geht in Sicherheit möglich ist. Natürlich ist es richtig, dass das nicht, das muss geändert werden. Aber bitte erkundigen Ganze stattfindet. Sie sich, bevor Sie pauschal Aussagen tätigen, was da wirklich Sachverhalt ist. Das macht so keinen Sinn, was Ich will Ihnen noch abschließend sagen: Mir ist auf Sie gesagt haben. Lesbos klar geworden, dass das, was da derzeit passiert, einfach nicht ausreicht; es kommt nicht hinreichend an. Vielen Dank. Ja, es gibt Abstimmungsschwierigkeiten zwischen der griechischen Zentralregierung und der Lokalregierung. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Wir haben mit beiden gesprochen. Aber es reicht nicht aus. Es ist Zeit, zu handeln. Ihre Feigenblattreise ändert Vizepräsidentin Petra Pau: daran gar nichts. Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Kleinwächter [AfD]: Wenn Konstantin Kuhle (FDP): unser Programm 2014 umgesetzt worden wäre, Lieber Kollege Hebner, ich begrüße das sehr, wenn gäbe es diese Situation gar nicht!) Abgeordnete dieses Hauses sich auf den Weg machen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Vielleicht sollten Vizepräsidentin Petra Pau: Sie das nächste Mal die ganze Fraktion oder gleich die ganze Partei mal mitnehmen an die griechisch-türkische Wir fahren mit der Debatte fort. Das Wort hat der Landgrenze, auf die Ägäischen Inseln, Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) SPD) damit Ihnen mal klar wird, was das Thema Flüchtlings- Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): politik für eine Auswirkung hat auf die Situation in Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland und wie auch unser eigener Anspruch an Ich muss hier ein Geständnis machen: Zu meinen Lieb- unsere Rechtsgemeinschaft als Europäische Union, an lings-FDPlern gehört Konstantin Kuhle auf jeden Fall. unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung auf die Aber heute hast du hier doch das freundliche Gesicht Probe gestellt wird durch das, was da an der griechisch- der kalten Asylpolitik der FDP zum Besten gegeben, 18592 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Manuel Sarrazin (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) (C) mit der Behauptung, wir Grünen machten einen nationa- Als Sozialdemokratin erkenne ich an, dass die Kom- len Alleingang. mission ein umfangreiches Programm vorgelegt hat. Ich begrüße sehr, dass es auch um eine Arbeitslosenrückver- (Konstantin Kuhle [FDP]: Ist doch so!) sicherung geht, übrigens ein Vorschlag unseres Bundes- Gucken wir uns doch mal an, wie wir die Frage mit den finanzministers Olaf Scholz. Herr Hahn, wenn Sie sich Flüchtlingsschiffen gelöst haben. Da hat diese Bundesre- hier auf den Koalitionsvertrag berufen, dann muss ich Sie gierung nach jahrelangem Blockieren sich mit anderen daran erinnern, dass auch hier Frau von der Leyen, die Staaten geeinigt, eine Koalition der Willigen zu Kommissionspräsidentin, im Wort steht. Der Koalitions- schließen, um die Flüchtlinge auf den Schiffen nach ei- vertrag ist das eine. Aber Absprachen mit der S&D-Frak- nem festen Schlüssel zu verteilen. Eine gute Sache! Ist tion im Europäischen Parlament sind das andere. Ich bin das ein nationaler Alleingang? Es ist genau das, was wir gespannt, wieweit sie sich an ihre Worte und ihre Ver- jetzt auch wollen. Portugal und Frankreich haben bereits sprechen halten wird. zugesagt, Kontingente zu übernehmen. Das ist genau das, (Beifall bei der SPD – Florian Hahn [CDU/ was wir als Modell wollen. Da werden wir andere ermu- CSU]: Haben Sie Frau von der Leyen gewählt? tigen, zu handeln, wenn wir vorangehen und sagen: „Wir Ich glaube nicht! Die Präsidentin nicht wählen machen das jetzt; wir stehen bereit“, weil wir das Ver- und dann irgendwas einfordern!) trauen anderen Staaten geben, dass wir am Ende nicht kneifen. Das ist die Wahrheit, die man sagen muss. Für uns als SPD-Fraktion bedeutet „gerecht“ gerechte Mindestlöhne, was auch im Arbeitsprogramm steht – ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wichtiger Hinweis darauf, dass wir uns dafür einsetzen Das andere, was mir wichtig ist zu sagen, damit es müssen, dass wir Mindestlöhne gestalten, die so aus- nicht hinten runterfällt: Die Region, über die wir jetzt in kömmlich und gerecht sind, dass Menschen davon leben dieser Krise reden, sind nicht nur die Türkei, Griechen- können. Ich sage das mit dem Hinweis darauf, dass wir land und Syrien. Die jetzige Situation zeigt auch, wie auch in Deutschland hierbei nachbessern müssen. wichtig die Erweiterungsperspektive für die Länder des (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias westlichen Balkans hinsichtlich Frieden und Stabilität in W. Birkwald [DIE LINKE]) der Region ist. Wir haben in den letzten Monaten erlebt, dass die Erweiterungsperspektive für den westlichen Bal- Doch im Sinne einer europäischen Sozialpolitik reicht kan an Glaubwürdigkeit extrem verloren hat. Es ist für der Mindestlohn eben nicht aus. Das sind nur erste wich- die Arbeit der EU-Kommission in diesem Jahr und in den tige Schritte. (B) (D) nächsten Jahren von entscheidender Bedeutung, dass die Zu einer Wirtschaft – wie es mehrfach gesagt wurde –, Erweiterungsperspektive für die Länder des westlichen die den Menschen dienen soll, gehören für mich ohne Balkans endlich wieder glaubwürdig wird. Ohne eine Wenn und Aber auch eine stärker ausgeprägte Tarifbin- glaubwürdige Perspektive für diese Staaten, dem europä- dung und eine starke Mitbestimmung sowie hohe Stan- ischen Projekt früher oder später beizutreten, werden wir dards beim Arbeitsschutz. Sicherheit und Stabilität in der Region Europa nicht ge- währleisten können. Ich erwarte von dieser Bundesregie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des rung und von der Europäischen Kommission, dass wir in Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) den nächsten Wochen und in den nächsten Monaten alles Eine starke Sozialpartnerschaft, wie wir sie hier in dafür tun, dass die Glaubwürdigkeit für diese Chance Deutschland kennen, ist eine wichtige Säule für ein so- wiederhergestellt wird, die in den letzten Monaten mit ziales und wirtschaftlich starkes Europa, und es gehört den Nichtentscheidungen leider so stark zerrüttet wurde. deshalb für mich ebenfalls auf die To-do-Liste der Euro- Vielen Dank. päischen Union. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Genauso muss es uns immer sozialpolitischer An- Vizepräsidentin Petra Pau: spruch sein, dass Kinder nicht in Armut leben. Bildung Das Wort hat die Abgeordnete Angelika Glöckner für und Chancengleichheit, das sind wichtige Themen. Ich die SPD-Fraktion. will auch den Erfolg meiner sozialdemokratischen Kolle- ginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion (Beifall bei der SPD) nennen, denen es gelungen ist, die Gleichstellungspolitik Europas dadurch zu beeinflussen, dass wir jetzt das The- Angelika Glöckner (SPD): ma auf die Agenda nehmen. Vielen Dank, liebe Kollegin- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nen und Kollegen! Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Kollegen! Ich möchte noch mal die Frage aufwerfen: Arbeit. Das ist ein wichtiger Punkt. Die Kommissarin Wofür steht denn eigentlich unsere Europäische Union? wird es in ihr Programm aufnehmen. Das ist ein wichtiger Für Frieden, Freiheit, Humanität, Wohlstand, Sicherheit! Erfolg. Das sind die Versprechen, die sich die Menschen von dieser Europäischen Union erhoffen, und dafür stehen (Beifall bei der SPD) wir im Wort. Ich sage: Das muss auch die Klammer sein Ich will abschließend sagen: Sozialverträglicher Kli- um das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission. maschutz, Kampf gegen Plattformökonomien, Kampf ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18593

Angelika Glöckner (A) gen Lohn- und Steuerdumping, Einsatz für unsere Demo- hebliche Finanzmittel investiert, um dies alles zu ermög- (C) kratie, gegen Rechtspopulismus, Hass und Hetze, all die- lichen. Dasselbe gilt heute für uns in Europa: Ohne tech- sen Aufgaben ist eines gemeinsam: Wir können sie nur nische Innovationen und deren Einsatz in der Praxis erfüllen, wenn wir als Europäer, als europäische Mit- werden wir das Ziel der Klimaneutralität niemals errei- gliedstaaten das gemeinsam anpacken. Das bedeutet chen. auch: Wir brauchen Stärke nach außen. Aber, Kollegin- nen und Kollegen, Stärke nach außen bedeutet immer (Beifall bei der CDU/CSU) auch Zusammenhalt, Stärke nach innen. Das kriegen Den zweiten Aspekt finde ich noch bemerkenswerter: wir nur, wenn wir eine starke Bildungs- und Qualifizie- Die USA beschäftigten sich seinerzeit mit mehreren Op- rungspolitik machen, wenn wir bei all unseren Aufgaben tionen, um den Wettlauf im All gegen die Sowjetunion immer an eine starke Sozialpolitik denken, – für sich zu entscheiden. Zur Debatte stand zum Beispiel eine bemannte Weltraummission, wie sie die Sowjets be- Vizepräsidentin Petra Pau: reits durchgeführt hatten, allerdings natürlich mit der Ge- Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. fahr verbunden, sie damit nicht zu übertreffen. Also schaute sich US-Präsident Kennedy an, welche techni- Angelika Glöckner (SPD): schen Voraussetzungen schon vorhanden waren und in – und das müssen wir in diesem Arbeitsprogramm ver- welchem Zeitfenster realistischerweise mit den benötig- folgen. ten Weiterentwicklungen zu rechnen war. Erst als das alles geklärt war, gab er das Ziel aus, binnen neun Jahren Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. auf dem Mond zu sein. (Beifall bei der SPD) So sollten wir es auch beim Green Deal machen und bei den darin vorgeschlagenen Ambitionssteigerungen Vizepräsidentin Petra Pau: im Klimaschutz vorgehen: erst schauen, was möglich Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin ist, dann Ziele festlegen. Hier bin ich nicht ganz sicher, Marie-Luise Dött das Wort. ob dieses Prinzip bei der Erhöhung des europäischen Klimaziels für 2030 angewendet wurde. (Beifall bei der CDU/CSU) Für die Fraktion von CDU und CSU steht fest: Eine Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Ambitionssteigerung kann erst am Ende einer umfassen- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! den Folgenabschätzung stehen und nicht bereits am An- fang. Klimaziele geben natürlich eine gewisse Richtung (B) Die von Ursula von der Leyen angeführte EU-Kommis- (D) sion hat sich für die nächsten Jahre drei Hauptschwer- vor; aber für sich allein genommen steuern sie nicht. punkte gegeben: erstens die Digitalisierung, zweitens Außerdem dürfen wir damit konkurrierende Ziele nicht die Sicherung der sozialen Marktwirtschaft und drittens aus dem Blick lassen. Ich erinnere hierbei an die UN- das Ziel, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu Nachhaltigkeitsziele. machen. Dieses Ziel ist in der Mitteilung zum europä- Apropos Ziel: Völlig offen ist bislang auch, wie genau ischen Green Deal bereits näher erläutert worden. Die das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 aussehen Unionsfraktion unterstützt den Ansatz von Ursula von soll. Bedeutet dies eine absolute Reduktion von 80 Pro- der Leyen. Es ist richtig, jetzt mutig voranzugehen und zent, 85 Prozent oder 95 Prozent der CO2-Emissionen? auf die drängenden Fragen unserer Zeit Antworten und Schweden hat sich zum Beispiel das Ziel gesetzt, bis entsprechende Lösungen zu finden. Das erwarten die 2045 im Vergleich zu 1990 85 Prozent der Treibhausga- Menschen von Europa zu Recht. Europa darf nicht länger semissionen einzusparen. Der Rest soll durch natürliche als Problem wahrgenommen werden, sondern es muss im oder technische Möglichkeiten kompensiert werden. Bei- Bewusstsein der Menschen wieder mehr zum Problemlö- des zusammen ergibt Klimaneutralität. Die Unionsfrak- ser werden. tion fordert daher eine zügige, einheitliche und europa- Im Zusammenhang mit dem Green Deal hat die neue weit gültige Definition für den angestrebten Zielzustand EU-Kommissionspräsidentin vom „Mann auf dem der Treibhausgasneutralität. Mond“-Moment gesprochen. Es ist ein passendes Bild. Zum Schluss, meine Damen und Herren: Natürlich Ähnlich wie seinerzeit in den 1960er-Jahren in den USA wollen wir alle die Schadstoffeinträge in die Umwelt soll es Europa gelingen, in relativ kurzer Zeit das anschei- reduzieren. Bei der Erarbeitung des Null-Schadstoff-Ak- nend Unmögliche zu schaffen. Was damals die Landung tionsplans ist zu berücksichtigen, dass Europa mit Regel- auf dem Mond war, soll heute der klimaneutrale Konti- ungen wie zum Beispiel REACH und CLP-Verordnung nent Europa sein. Zwei bisher wenig beachtete Umstände umfangreiche Schutzinstrumente für Mensch und der amerikanischen Apollo-Mission können uns auch Umwelt entwickelt hat. Spezifische Regelungen, bei- heute helfen, das Ziel sicher zu erreichen. spielsweise für Arzneimittel, Pflanzenschutz, Biozide, Logisch ist, dass Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Kosmetik, Spielzeug, Abfall, Transport, Umwelt, Anla- Michael Collins ohne Trägerrakete, ohne Raumschiff, gensicherheit und Arbeitsschutz, bieten ein breites und ohne Mondlandemodul – also kurz: ohne die technischen wissenschaftlich fundiertes Instrumentarium zur Vermei- Innovationen – niemals auf dem Mond hätten landen dung von schädlichen Wirkungen auf Menschen und Um- können. In den Jahren vor 1969 wurden in den USA welt. Die chemische Industrie ist eine der saubersten umfangreiche Forschungsaktivitäten angestoßen und er- weltweit. Eine Produktionsverlagerung ins nichteuropäi- 18594 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Marie-Luise Dött (A) sche Ausland würde Arbeitsplätze kosten und dem Um- nen und Kollegen, ist es ausdrücklich wichtig, dass wir (C) weltschutz nicht helfen. Europa mit ausreichenden Mitteln ausstatten. Die Basis der Verhandlungen ist 1 Prozent. Die FDP hat ein paar Vorschläge gemacht; darunter waren auch gute Vorschlä- Vizepräsidentin Petra Pau: ge. Ich habe nur nicht gehört, Kollege Link, dass Sie auch Kollegin Dött, Sie dürfen selbstverständlich weiter- angeregt haben, mehr Geld dafür bereitzustellen. Diese sprechen, tun es aber auf Kosten Ihres Kollegen. Passage ist irgendwie abhandengekommen. Marie-Luise Dött (CDU/CSU): (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Genau!) Der Green Deal muss also genau angeguckt werden, Das müssten Sie ehrlicherweise natürlich auch sagen. (Beatrix von Storch [AfD]: Und dann ab in die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Tonne!) DIE GRÜNEN) und danach werden wir handeln. Ich freue mich auf die künftigen Verhandlungen und Vielen Dank, auch Ihnen, Frau Präsidentin. die Umsetzung dieser Maßnahmen; denn Europa ist das Beste, was uns passieren kann. Es schützt uns, es bietet (Beifall bei der CDU/CSU) uns Freiheit und Wohlstand, und daran werden wir dauer- haft arbeiten. Vizepräsidentin Petra Pau: In diesem Sinne: Glück auf! Das Wort hat der Kollege Christian Petry für die SPD- Fraktion. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Christian Petry (SPD): Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Mark Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Helfrich für die CDU/CSU-Fraktion. Liebe Zuhörer und Zuschauer! Europa bietet den Men- schen Schutz, und Europa bietet den Menschen Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU) heit. Eine starke Domäne Europas ist zum Beispiel der Verbraucherschutz. Wir haben heute viel über den Um- Mark Helfrich (CDU/CSU): weltschutz gehört, eine europäische Aufgabe, eine starke Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und (B) Domäne. Wir haben heute auch vieles über den Schutz Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die größte (D) der Arbeit gehört. – Alexander, ich bin dir ausdrücklich Herausforderung und Verantwortung Europas besteht da- dankbar, dass du die Stahlarbeiter genannt hast; denn es rin, alles zu tun, damit unser Planet wieder gesund wird. geht um gute Arbeit und gute Löhne. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für Europa. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Das ist die entscheidende Aufgabe unserer Zeit. Auch der Schutz der Freiheit ist ein wichtiger Punkt. Die Erderwärmung, die Erschöpfung unserer natürli- Auch hier ist Europa für uns da. Das Arbeitsprogramm chen Ressourcen und das Aussterben von Tier- und Pflan- hat vieles davon zum Inhalt: den europäischen Green zenarten gefährden Sicherheit und Wohlstand Europas Deal mit den Mitteln, die bereitgestellt werden, 100 Mil- und der Welt. Der European Green Deal ist Europas liarden und mehr, das digitale Zeitalter, die Wirtschaft, Reaktion darauf. Er ist nicht nur eines der sechs Ziele, ein stärkeres Europa in der Welt. An der Stelle freue ich die die Kommission mit ihrem Arbeitsprogramm ins Au- mich, dass die Kommission dies nicht nur unter Sicher- ge fasst; er ist das Ziel Europas. heitsaspekten sieht, sondern auch in der Zusammenarbeit mit Afrika, aber auch in der Erweiterungsstrategie mit Kernelement des Green Deal ist es, Europa bis 2050 dem westlichen Balkan. All dies sind Aufgaben für Eu- klimaneutral zu machen. Europas Staaten sollen dann ropa, und wir können froh sein, dass wir dieses Europa nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als sie durch Aus- dabei unterstützen können. gleichsmaßnahmen binden können. Zu diesen zählen bei- spielsweise die Aufforstung von Wäldern, die CO2-Spei- (Beifall bei der SPD) cherung oder, noch besser, die CO2-Nutzung. Deshalb Ich weiß, dass das nicht jeder hier in diesem Raum so soll Europa aus der Kohlenutzung aussteigen und seinen richtig verstanden hat; davon zeugte die eine oder andere Energiemix aus erneuerbaren Quellen beziehen. Rede. Für die Landwirtschaft tut Europa relativ viel, und (Lachen des Abg. Karsten Hilse [AfD]) wenn man sieht, wie die britischen Landwirte nach dem Brexit darüber irritiert sind, was sie vorher in dem System Auf dem Weg zur Klimaneutralität soll nach den Vor- der Agrarförderung in der EU hatten und was ihnen jetzt stellungen der Kommission der Ausstoß von Treibhaus- droht, dann sieht man, wie wichtig Europa für die Men- gasen bis 2030 noch mal deutlich reduziert werden, um schen und für die Wirtschaft in diesen Gebieten ist. 50 bis 55 Prozent gegenüber 1990. Europa bietet den Schutz und die Sicherheit, und Eu- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ropa garantiert uns die Freiheit. Deshalb, liebe Kollegin- NEN]: Das ist ja eine gute Idee!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18595

Mark Helfrich (A) Die angestrebte Klimaneutralität Europas soll durch sive Produzenten zu teuer wird, in Europa zu produzie- (C) Maßnahmen flankiert werden, die nicht weniger als einen ren, werden diese Unternehmen den Kontinent verlassen. Komplettumbau von Industrie, Energieversorgung, Ver- Deshalb braucht die Industrie große und vor allem ver- kehr und Landwirtschaft bedeuten. Zu diesen zählen im lässliche Mengen an erneuerbarem Strom zu international Bereich der Mobilität strengere CO2– und Abgasgren- wettbewerbsfähigen Preisen. zwerte für Flotten sowie eine stärkere Förderung der Elektromobilität. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum verhindern Sie das?) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Wir brauchen einen europäischen Industriestrompreis. GRÜNEN]: Auch eine gute Idee!) Was wir jedoch nicht vergessen dürfen: Die Automo- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE bilbranche befindet sich in einem Veränderungsprozess, GRÜNEN]: Das ist ja megaabsurd!) der nicht in einem Strukturbruch enden darf. Um eine CO2-bedingte Abwanderung der Industrie zu vermeiden, plant die Kommission zudem einen CO (Beifall bei der CDU/CSU) 2- Grenzausgleich. Denn wenn außereuropäische Länder Dafür braucht die Branche vor allem Planungssicherheit. Klimaschutz nicht ernst nehmen, muss Wettbewerbs- gleichheit eben an der Grenze zu Europa entstehen. Aller- Vizepräsidentin Petra Pau: dings habe ich Zweifel, ob ein solcher CO2-Grenzaus- gleich zu realisieren ist. Denn wie will man den CO - Kollege Helfrich, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- 2 Abdruck Abertausender Produkte aus Indien, China oder kung des Abgeordneten Hebner? den USA realistisch ermitteln? Ich mag mir die CO2- Zollfibel an dieser Stelle wirklich nicht vorstellen. Mark Helfrich (CDU/CSU): Ich würde gerne weiter ausführen. – Zudem sollen Meine Damen und Herren, der European Green Deal nachhaltige alternative Kraftstoffe wie Biokraftstoffe ist ein Vorhaben von historischer Tragweite. und Wasserstoff verstärkt im Luft- und Schwerlastver- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Er ist histori- kehr gefördert werden – Anwendungsbereiche, in denen scher Schwachsinn!) eine Elektrifizierung absehbar nicht möglich ist. Zwei Jahrhunderte nach dem Ausbruch der industriellen Mir persönlich geht dieser Plan der EU-Kommission Revolution in Europa stehen wir erneut vor einem Kom- nicht weit genug. Vor allem Wasserstoff hat das Zeug, plettumbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist nun zentraler Baustein der Lösung für das Klimaproblem an uns, diese Transformation zu gestalten. (B) und für die Energiewende zu werden. Gerade im Mobili- (D) tätsbereich können Wasserstoff und daraus hergestellte Vielen Dank. synthetische Kraftstoffe eine ernsthafte Alternative zur (Beifall bei der CDU/CSU) Elektromobilität sein, wenn die europäische CO2-Flot- tenregulierung angepasst wird. Vizepräsident : (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vielen Dank, Kollege Helfrich. – Die AfD-Fraktion hat für den Kollegen Hebner um eine Kurzintervention Zudem bietet Wasserstoff die Möglichkeit, Solar- und gebeten. Der Bitte gebe ich statt. Herr Kollege Hebner, Windenergie langfristig zu speichern und auch zu impor- Sie haben das Wort. tieren. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Oberlehrer (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hebner! – Zuruf von der SPD: Schon wieder!) – Ja, ich weiß, dass Sie mit dem Thema „gasförmige Energieträger“ ein Problem haben; aber das werden wir Martin Hebner (AfD): heute nicht lösen können. Herr Helfrich, ich habe eine ganz einfache Frage. Sie haben den Green Deal als das zentrale Vorhaben darge- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stellt, zum, wie Sie gerade gesagt haben, Komplettumbau NEN) der Industrie und der Wirtschaft und der Gesellschaft Meine Damen und Herren, Europa kann mit einer was- nach dem Plan der EU-Kommission. Herr Helfrich, jetzt serstoffbasierten Wirtschaft weltweit führend werden. mal ganz direkt gefragt – verzeihen Sie, ich wollte darauf kurz von Ihnen eine Antwort haben –, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Muss er nicht!) Entsprechend sieht der Green Deal vor, die Stahlindustrie bis 2030 auf eine saubere Stahlerzeugung mit Wasserstoff wenn Sie hier für die Union sprechen: Sind Sie denn vorzubereiten. Denn wenn im Jahr 2050 die Industrie in Befürworter einer Planwirtschaft, Europa sauber sein soll, beginnen bereits heute die letzten (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Investitionszyklen für eine Umstellung. Aber es darf DIE GRÜNEN: Oh!) keinen europäischen Alleingang geben; denn sonst ge- fährden wir die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen einer von einer Kommission durch Kommissare zentral Industrie. Diese Gefahr ist real. Wenn es für energieinten- gesteuerten und geplanten Wirtschafts- und Gesell- 18596 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Martin Hebner (A) schaftsumordnung? Denn genau das haben Sie damit ja b) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) klar konstatiert. Dr. Julia Verlinden, Dr. Ingrid Nestle, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der (Christian Petry [SPD]: Der versteht wirklich Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gar nichts, der Kerl!) Ausbau der Windenergie in Schwung Sie haben ganz klar gesagt, dass ein kompletter Umbau bringen, Menschen beteiligen und Klima- der Industrie erfolgen muss. Bitte schön, wer plant das schutz stärken dann? Das ist die Kommission. Ist das Ihr Vorgehen ana- log der bisher auch in anderen Regimes bewährten Plan- Drucksache 19/15123 wirtschaft? Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit NEN]: Peinlich, peinlich, diese Frage!) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Herr Kollege Helfrich, Sie können antworten. Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Lisa (Zuruf von der SPD: Muss er aber nicht, auf Badum, Christian Kühn (Tübingen), weiterer den Blödsinn!) Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Mark Helfrich (CDU/CSU): Eigentlich muss ich das nicht tun. Aber ich will ja Ausbau der Solarenergie beschleunigen, keine Chance auslassen, dass der Kollege Hebner viel- dezentrale Bürgerenergie und Mieter- leicht noch dazulernt. strom unterstützen Es ist so, dass es in jeder Wirtschaftsordnung staatliche Drucksachen 19/9698, 19/17584 Rahmenbedingungen gibt, die wir als Politiker zu schaf- fen haben. e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und (Zuruf von der SPD: So ist es!) Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bruno Hollnagel, Steffen Ich hoffe, dass das auch Ihr Verständnis war, als Sie sich Kotré, Tino Chrupalla, weiterer Abgeordne- haben aufstellen lassen und dann leider in dieses Parla- (B) ter und der Fraktion der AfD (D) ment gewählt wurden. Um nichts anderes geht es, als dass wir auf europäischer Ebene und natürlich unter Berück- Umweltschutz ernst nehmen – Das Er- sichtigung unserer deutschen Interessen, die wir in diesen neuerbare-Energien-Gesetz abschaffen Prozess einbringen, Rahmenbedingungen schaffen, damit das am Ende gelingen kann. In diesem Rahmen werden Drucksachen 19/10626, 19/16682 sich dann, wie wir das wollen und auch gewohnt sind, Für die Aussprache ist eine Dauer von 60 Minuten ver- Unternehmerinnen und Unternehmer entsprechend ver- einbart worden. halten, ihre Industrie betreiben und ihre Geschäfte tätigen können, wie das eben in einer Marktwirtschaft so üblich Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- ist. ner dem Kollegen Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Da laufen keine Geschäfte mehr bei der Politik!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und So, damit ist die Aussprache beendet. Kollegen! Strom kommt nicht einfach aus der Steckdose. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a, 11 b, 11 d und 11 e auf: (Johann Saathoff [SPD]: Was für eine Er- kenntnis!) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Wenn wir als Gesellschaft, wenn die Bundesregierung Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, einen Kohleausstieg macht, dann ist das richtig. Aber Dr. Ingrid Nestle, weiteren Abgeordneten wenn man aussteigt, muss man auch in etwas einsteigen. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich habe leider den Eindruck, die Bundesregierung hat NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes dafür überhaupt keinen Plan. Wenn ich mir anschaue, zur Änderung des Erneuerbare-Energien- was notwendig ist, dann stelle ich fest, dass die Aufgabe, Gesetzes die Industrie, unsere Gesellschaft, unsere Haushalte mit Drucksache 19/17137 ausreichend sauberem, bezahlbarem Strom zu versorgen, einfach gigantisch ist. Unsere Industrie braucht – denken Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) wir an die Chemieindustrie, denken wir an die Stahlin- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit dustrie – günstigen erneuerbaren Strom, um in ausreich- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18597

Dr. Anton Hofreiter (A) ender Menge grünen Wasserstoff herzustellen, der die chen, dass er aufhört mit dieser Antiindustrieinitiative, (C) Basis für diese Industrien sein wird. mit dieser Antiausbauinitiative. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Wir müssen an die Sektorkopplung denken. Deswegen brauchen wir mehr Strom für die Versorgung unserer Wenn Sie mit Industrievertretern reden würden, wenn Häuser mit Heizenergie. Man denke an die Mobilität: Ihr sogenannter Wirtschaftsflügel endlich mit Industrie- Die Mobilität wird sich stark elektrifizieren. Auch dafür vertretern reden würde, dann würden Sie verstehen, dass brauchen wir mehr Strom. All das weist darauf hin, dass die Industrie einen schnellen Ausbau von bezahlbarem wir eine Ausbauoffensive brauchen für erneuerbaren Strom braucht. Strom, für sauberen, bezahlbaren Strom. Das ist das, (Zuruf des Abg. Stefan Müller [Erlangen] was industriepolitisch notwendig ist. [CDU/CSU]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb wäre es konsequent, wenn sich Ihr Wirtschafts- flügel in Deindustrialisierungsflügel umbenennen würde. Aber wenn ich mir anschaue, was Sie in den letzten Monaten und Jahren getan haben, komme ich zu dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Schluss, dass Sie mehr Schaden als Nutzen verursacht Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) haben. Seit sechs Monaten, also nachdem die Bundesre- gierung angekündigt hat, den Deckel für die Solarenergie Deshalb: Weg mit dem Solardeckel! Schluss mit sinn- aufzuheben, blockiert die Unionsfraktion die Aufhebung losen Abstandsregelungen! Einheitliches Naturschutz- des Solardeckels, und das mit der Begründung, dass erst recht! Schneller Ausbau der Netze! Besseres Planungs- eine Einigung über Abstandsregelungen nötig sei, mit recht! – Dann kommt der Strom in Zukunft auch sauber denen Sie aber die Windkraft endgültig kaputtmachen und bezahlbar aus der Steckdose. wollen. Das ist unverantwortlich. Beenden Sie von der Vielen Dank. Union Ihre Blockadepolitik! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zuruf des Abg. Bernhard Loos [CDU/CSU]) und bei der SPD) Mit Ihrer Blockadepolitik gefährden Sie 35 000 Jobs in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Solarbranche. Sie gefährden Jobs bei Projektentwick- Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Jens lern, in der Industrie. Sie gefährden Jobs beim Handwerk Koeppen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (B) (D) und im Mittelstand. (Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Müller [Er- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie gefährden langen] [CDU/CSU]: Bring mal Sachkenntnis Jobs in ganz Deutschland! – Weiterer Zuruf in die Debatte!) von der AfD: Lobbyistenjobs!) Jens Koeppen (CDU/CSU): Deshalb: Hören Sie endlich auf mit dieser Blockadepoli- Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und tik! Kollegen! Die vier verschiedenen Anträge, die vorliegen, zeigen die unterschiedlichen Lösungsansätze für die För- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) derung der erneuerbaren Energien. Die AfD will gar kei- Nachdem Ihr Modell der Beteiligung der Kommunen ne Förderung mehr; sie will sofort das EEG ersatzlos an den Erfolgen der Windkraftbranche so schlecht war, streichen, dass Sie es zu Recht innerhalb kürzester Zeit im Vermitt- lungsausschuss vom Tisch genommen haben, warten wir (Beifall des Abg. Martin Hebner [AfD]) seit Monaten auf ein tragbares Modell. wohl wissend, dass es natürlich hier auch eingegangene Verpflichtungen gibt (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was heißt „seit Monaten“? Seit zwei Monaten!) (Karsten Hilse [AfD]: Das wollen wir weiter- hin!) Der Schlüssel für die Akzeptanz ist die finanzielle Betei- ligung und der finanzielle Erfolg für die Regionen, für die und dass das EEG natürlich etwas erreicht hat. Auf der Kommunen. Deshalb: Legen Sie da endlich ein brauch- anderen Seite sind die Kontrahenten von Bündnis 90/Die bares Modell vor! Es ist an der Zeit. Grünen, die die Fördertatbestände für Jahrzehnte auswei- ten wollen. Sie wollen nicht nur den Bestand erhalten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sondern ihn auch für Jahrzehnte ausbauen, wohl wissend, dass das EEG bis in die Europäische Kommission hinein Sie haben in den letzten drei Jahren 40 000 Jobs in der mehr als umstritten ist. Windkraftbranche zerstört. Deshalb: Hören Sie endlich auf, mit unverantwortlichen Abstandsregelungen weiter Unstrittig sollte aber sein, auch bei Ihnen, dass das auf Baustopps zu setzen! Hören Sie auf, diese wichtige EEG sich mindestens erheblichen, grundlegenden Verän- Zukunftsindustrie in unserem Land weiter zu schädigen! derungen unterziehen muss. Denn es muss erstens, wenn Ich erwarte deshalb von den Regierungsfraktionen, dass es in Zukunft Bestand haben soll, nachhaltig der Umge- sie beim Bundeswirtschaftsminister endlich Druck ma- staltung der Energieversorgung dienen, und nicht der 18598 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Jens Koeppen (A) Renditeversorgung, es muss zweitens natürlich der Be- sam vorgehen. Dass das altbackene EEG dabei hilft, da (C) zahlbarkeit dienen, habe ich meine Zweifel. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ehe man versucht, alles in der Gesellschaft zu elekt- rifizieren, wie Sie das eben gerade gesagt haben, also den und es muss drittens – das ist das Allerwichtigste – der Verkehr und auch die Haushalte, Versorgungssicherheit dienen, ansonsten macht das alles wenig Sinn. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er überhaupt nicht gesagt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD) muss man überlegen, ob das wirklich Sinn macht oder ob man nicht besser mit einer guten Wasserstoffstrategie, die Meine Damen und Herren, auch von den Grünen, ein jetzt auf den Weg gebracht wurde, neue Energieträger jegliches hat seine Zeit. Das EEG hat seine Schuldigkeit geländegängig macht und am Ende des Tages nicht nur getan. Für die 90er-Jahre war es ja möglicherweise noch der Elektrifizierung das Wort redet. innovativ und hat den Erneuerbaren das Laufen beige- bracht. Aber wenn Sie nach 20 Jahren Ihrem eigenen Kind immer noch Stützräder anbauen, dann müssen Sie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sagen: Da haben wir irgendwas falsch gemacht. – Also, Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der überlegen Sie mal, ob diese Hilfe noch so notwendig ist. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? Wir sagen Nein. Wir brauchen für die 20er-Jahre eine neue, eine technologieoffene, eine innovative, eine Jens Koeppen (CDU/CSU): marktwirtschaftliche Instrumentengebung Bitte schön. (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben wir doch schon längst!) Danke schön, Herr Koeppen. – Ich möchte einmal klar- wie zum Beispiel den Emissionshandel, basierend auf stellen, dass mein Kollege überhaupt nicht gesagt hat, Fakten, basierend auf Innovationen und nicht basierend dass alles elektrifiziert werden muss; das ist eine Falsch- auf Emotionen. behauptung, die immer wieder auftaucht. Es wird mehr elektrifiziert werden, aber natürlich nicht alles. (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ETS baut keine Erneuerbaren in Deutschland Sie haben daraufhin selbst die Wasserstoffstrategie an- auf!) gesprochen. In der Erneuerbaren-Strategie der Bundesre- gierung ist ja eine Stagnation des Stromverbrauchs bis (B) Meine Damen und Herren, jedwede Einengung, wie (D) sie eben vom Kollegen Hofreiter vorgenommen wurde, 2030 vorgesehen. Es gibt also keinen Zuwachs für Digita- auf nur einzelne Technologien und jede noch so gut ge- lisierung, es gibt keinen Zuwachs für Elektromobilität, es meinte planwirtschaftliche Mikrosteuerung ist nicht mehr gibt keinen Zuwachs für Power to Heat, bzw. Sie wollen zeitgemäß. das alles irgendwie ausgleichen durch Effizienzgewinne, die Sie in der Vergangenheit nie erreicht haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wenn Sie jetzt eine Wasserstoffstrategie fordern, der FDP und des Abg. Dr. Bruno Hollnagel möchte ich Sie fragen: Glauben Sie, dass diese Wasser- [AfD]) stoffstrategie ohne einen Heimatmarkt auskommt? Glau- Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 – das muss nicht ben Sie, dass es von Anfang an, ab nächstem Jahr, über jedem gefallen; ich bin auch nicht mit allen Maßnahmen Importe laufen wird, oder wollen Sie warten, bis die dort einverstanden, aber man kann ja dran arbeiten, dass Importe da sind? Mit welchem erneuerbaren Strom soll es besser wird – liegt jetzt ein Fahrplan vor, der festlegt, Ihre Wasserstoffstrategie unterlegt werden? was in der kommenden Zeit auf den Weg gebracht wer- den soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Jetzt wurde der Kohleausstieg schon angesprochen, GRÜNEN]: Butter bei die Fische!) Herr Kollege Hofreiter. Eins ist doch klar: Mit dem Ver- zicht auf die Kernenergie und mit dem Verzicht auf die Jens Koeppen (CDU/CSU): Kohleverstromung gehen wir das Risiko einer Operation Das eine schließt das andere nicht aus. am offenen Herzen ein. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und NEN) der AfD) Natürlich müssen wir den internationalen Markt und Das ist aus meiner Sicht die größte finanzielle und die den Heimatmarkt bedienen. Ich bleibe mal bei Wind ons- größte technologische Herausforderung, hore: Wenn wir unsere 30 000 Windkraftanlagen bis zum Jahre 2030 repowert haben, haben wir 70 GW. Die (Johann Saathoff [SPD]: Genau! Mehr Er- 70 GW, die wir fordern und die auch Sie fordern, haben neuerbare!) wir dann, weil die Anlagen über 3,5 MW haben werden. der sich die Bundesrepublik Deutschland in diesem Be- Das ist doch eine gute Regelung. Jetzt haben wir 30 000 reich jemals gestellt hat. Das ist nicht von heute auf mor- Anlagen; bei 70 GW bräuchten wir am Ende nur 20 000 gen erreichbar, sondern man muss da letztendlich behut- Anlagen. Also: Es ist genügend Platz für den Heimat- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18599

Jens Koeppen (A) markt. Aber dass es nicht funktionieren kann, hier bei uns (Beifall bei Abgeordneten der AfD und der (C) in Deutschland am Ende alles alleine schaffen zu wollen, FDP und des Abg. Andreas G. Lämmel ist Ihnen doch wohl auch klar. [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sie fordern in Ihrem Antrag – ich zitiere –, dass man der FDP) „auf Pauschalabstände … verzichtet und stattdessen die bestehenden Abstandsregelungen … als sinnvollen Maß- Meine Damen und Herren, sich nur auf Wind und stab verwendet“. Sie ziehen da das BImSchG heran. Das Sonne zu konzentrieren, zeugt natürlich von einem ge- BImSchG setzt im Durchschnitt 600 Meter fest. Sind Sie wissen beschränkten Energiehorizont. Sie sagen ja: Wenn wirklich der Meinung, dass 600 Meter bei einer Anlagen- ein Anteil von 65 Prozent erneuerbare Energien ausge- größe von 250 Metern – und es sind Dutzende Anlagen in rollt ist, ist das Ziel erreicht. einem Windpark um die Wohngebäude – die ausreichen- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- de Größe ist, ja oder nein? Dann stellen Sie sich hierhin NEN) und sagen das den Menschen! Mitnichten ist es dann erreicht! Mitnichten! Denn es ist (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der erst dann erreicht, wenn die 65 Prozent durch den Zähler FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE geflossen sind, und das ist der kleine, aber feine Unter- GRÜNEN]: Dann ändern Sie doch das Immis- schied zwischen elektrischer Leistung und elektrischer sionsschutzgesetz!) Arbeit. Da müssen Sie sich noch mal ein bisschen Ich sage Ihnen eins: Wenn Sie das sagen, dann sollten schlaumachen. Sie mal bitte Ihr Verständnis von Akzeptanz überprüfen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Zu Recht beklagen das Tausende Bürgerinitiativen. Sie der CDU/CSU und der AfD) blockieren damit die Energiewende, weil Sie den Men- schen die Gelegenheit geben, sich dagegen aufzulehnen. Dabei können wir Ihnen aber helfen. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ein Beispiel: Die benötigte Höchstlast in Deutschland NEN) beträgt ungefähr 85 GW. 120 GW erneuerbare Energie sind bereits über das EEG installiert und kosten jährlich Das lehnen wir rigoros ab. über 30 Milliarden Euro. Sie haben gerade auf den Hei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der matmarkt abgehoben. Da muss man doch sehen: In AfD und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Anton Deutschland sind es beim Windstrom an Land circa Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (B) 2 000 Stunden, bei der Sonne 900 Stunden. Aber wenn (D) der Strom in der Menge der Höchstlast, also diese 85 GW, Deswegen sagen wir: Wir wollen eine bundesweite 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr da sein soll, Abstandsregelung; die wird jetzt auf den Weg gebracht. dann macht das 8 760 Stunden. Sie müssen doch sehen, Der können Sie zustimmen, oder Sie können nicht zu- dass da eine Lücke ist, die wir nie alleine nur mit Wind stimmen. Aber Sie müssen den Leuten erklären, dass und Sonne füllen können. Sie am Ende auch für die Gesundheit der Menschen zu- ständig sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD – Lisa Badum (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen GRÜNEN]: Vielen Dank! Manchmal rutscht Sie machen?) Ihnen die Wahrheit einfach raus!) Deshalb ist das, was Sie fordern, eine Scheinlösung. Das Fazit – das sage ich Ihnen als Letztes versöhn- Selbst wenn Sie die Anlagenzahl verdreifachen würden, lich –: Steigen wir von dem alten Klepper EEG ab, und würde es nicht ausreichen, wäre die Verfügbarkeit immer steigen wir um auf ein tragfähiges, auf ein solides und ein noch volatil. Und das ist das Grundproblem. zukunftsfähiges Gefährt! Wind und Solar – da gebe ich Ihnen natürlich unein- Vielen Dank. geschränkt recht – sind ohne Zweifel die wichtigste Säule der Energiewende, aber nicht die einzige; die Zahlen habe (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ich Ihnen ganz genau genannt. Sie allein können die Ver- Dr. Martin Neumann [FDP]) sorgungssicherheit nicht gewährleisten. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Was mich, sehr geehrter Herr Kollege Hofreiter, er- Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner für die schüttert, ist, wie Sie und insgesamt das ganze Spektrum AfD-Fraktion ist der Kollege Dr. Bruno Hollnagel. hier (Beifall bei der AfD) (Enrico Komning [AfD]: Linke-Spektrum!) wieder mit den Anwohnern in den Windeignungsgebie- Dr. Bruno Hollnagel (AfD): ten umgehen. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- men und Herren! Sehr geehrte Gäste! Das EEG wirkt wie (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sehr richtig!) eine Vergütungsgarantie für eine bestimmte Art von Das erschüttert mich aufs Tiefste. Stromerzeugung. Das heißt praktisch: Bestimmte Ener- 18600 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Bruno Hollnagel (A) giequellen werden zulasten der Verbraucher subventio- len! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) niert. Das ist reine Planwirtschaft; NEN) (Timon Gremmels [SPD]: Umlage!) Die Sturmschäden aufgrund der von Deutschland verur- sachten erhöhten Temperatur können wegen Geringfü- denn nicht der Markt bestimmt den Preis, sondern der gigkeit gar nicht abgeschätzt werden. Daraus folgere Staat. ich, dass der große Kapitaleinsatz praktisch keine positi- (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: ven Auswirkungen zeitigt. Nein, falsch!) (Beifall bei der AfD) Wir lehnen eine Planwirtschaft kategorisch ab. Sie führt zu Kapitalfehllenkung und schwächt die Wirtschaft. Das Ergebnis: Nach gegenwärtigem Wissensstand ist das Gebot der Wirtschaftlichkeit beim EEG nicht erfüllt, (Beifall bei der AfD – Carsten Müller [Braun- und deswegen ist das EEG abzuschaffen. schweig] [CDU/CSU]: Sie haben von den Aus- schreibungen noch nichts mitbekommen, (Timon Gremmels [SPD]: Dann klagen Sie oder?) doch!) Mittlerweile ist das EEG zu einem kaum beherrschba- Danke schön. ren Monster geworden. Zudem stellt der Bundesrech- (Beifall bei der AfD) nungshof dem Steuerungsmechanismus, der Koordina- tion und der Umsetzung der Energiewende ein schlechtes Zeugnis aus. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Offenbar wollen auch andere in diesem Haus das EEG Johann Saathoff. abschaffen und an seine Stelle die CO2-Steuer setzen. Meine Damen und Herren, haben Sie dabei an § 7 der (Beifall bei der SPD) Bundeshaushaltsordnung gedacht? Ich möchte mit Ge- nehmigung des Präsidenten daraus zitieren, und zwar Johann Saathoff (SPD): den ersten Satz des zweiten Absatzes: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- Für alle finanzwirksamen Maßnahmen sind ange- nen und Kollegen! Das EEG feiert in diesem Jahr sein 20- messene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durch- jähriges Bestehen. Daran „schuld“ sind Vordenker und zuführen. Pioniere wie Hermann Scheer und Hans-Josef Fell und (B) wenige andere, die sich vorstellen konnten, wie künftig (D) Was bedeutet das? Man stellt die erwarteten positiven ein Gesetz gestaltet werden muss, damit Erneuerbare Auswirkungen den negativen Auswirkungen gegenüber. auch tatsächlich in die Gesellschaft integrierbar sind. Machen wir das doch mal gemeinsam! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Johann Saathoff [SPD]: Rechnen Sie den BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Klimawandel mit ein!) Die negativen Auswirkungen können zum Beispiel die Ich bleibe dabei: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist Kosten der EEG-Umlage sein; ein Erfolgsgesetz. (Timon Gremmels [SPD]: Die sind doch gar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht im Bundeshaushalt drin! Das ist eine Um- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – lage!) Karsten Hilse [AfD]: Vor allem für Lobbyis- ten!) sie werden bis einschließlich dieses Jahr 407 Milliarden Euro ausmachen. Hinzu kommen die Kosten für die Ener- Und wenn Sie einen Beweis dafür brauchen, dann führen giewende; sie wird laut BDI bis zum Jahr 2050 etwa Sie sich einfach vor Augen: Es ist in der ganzen Welt 2 300 Milliarden Euro kosten. Negativ zu Buche schlagen zigmal kopiert worden. natürlich auch die Risiken, die durch Flatterstrom ent- (Zurufe von der AfD) stehen, die Gefahren einer Dunkelflaute und – last, but not least – die 700 Rotmilane, die jährlich sterben, die Das Geheimnis des EEG – um das hier einmal festzu- 200 000 Fledermäuse und die 3 600 zerschredderten In- halten für die eindimensional denkenden Kollegen auf sekten. der rechten Seite – ist nicht nur die Einspeisevergütung, sondern der Einspeisevorrang der Erneuerbaren und die (Timon Gremmels [SPD]: 3 000 Insekten?) Einspeisevergütung für einen verlässlichen Zeitraum. – Tonnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auf der positiven Seite steht für den Fall, dass sämt- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) liche CO2-Emissionen Deutschlands vermieden werden könnten, eine Klimanichterwärmung um gerade einmal Das gibt Planungssicherheit. Planungssicherheit für die 0,000653 Grad Celsius. Konzerne, die sich anfangs schwergetan haben, in die Erneuerbaren einzusteigen, aber inzwischen längst deren (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Wert erkannt haben,aber auch Planungssicherheit für die Sie beherrschen ja noch nicht mal Ihre Zah- Bürgerinnen und Bürger vor Ort, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18601

Johann Saathoff (A) (Karsten Hilse [AfD]: Genau! Immer höhere als auch der Bundeswirtschaftsminister im Deutschen (C) Strompreise!) Bundestag erklärt, dass der PV-Deckel abgeschafft wer- die sich an der Energiewende nicht beteiligen müssen, de, leider ohne Rückendeckung der eigenen Fraktion. aber dürfen. Das Gleiche gilt für den verstärkten Ausbau der Off- shorewindenergie: Alle wollen das angeblich, aber nichts Das Problem mit dem EEG ist: Es ist für einige leider passiert. Da gibt es nichts mehr schönzureden: Das ist eine zu komplizierte Materie. nicht besonders verantwortlich. Ich würde sagen: Verant- wortliche Politik sieht anders aus. (Karsten Hilse [AfD]: So ein Quatsch!) Es gibt wahnsinnig viele unterschiedliche Vorstellungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten davon, wie die Energiewende eigentlich politisch gestal- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des tet werden soll; das erleben wir jeden Tag – das darf man Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) selbstkritisch sagen – auch in der Koalition. Und das Wenn das so weitergeht, muss der Bundeswirtschaftsmi- Erneuerbare-Energien-Gesetz muss ständig angepasst nister die Frage beantworten, ob er bald ein Strukturstär- werden, nicht weil das Gesetz schlecht ist, sondern weil kungsgesetz für die Regionen vorlegen möchte, die von sich im Gegenteil durch dieses Gesetz die Rahmenbedin- den Entlassungen in der PV- und der Windbranche be- gungen so ändern, dass es ständig nachgebessert werden troffen sind. Die SPD-Fraktion will das jedenfalls nicht. muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Und ja, das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat auch Abg. Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Geld gekostet, Geld, das dazu geführt hat, dass der Preis NEN]) von Solar- und Windenergie heute locker mit dem Preis von fossilen Energien bei der Stromproduktion mithalten Die Impulse in den vorliegenden Anträgen der Grünen kann, und das weltweit. sind absolut richtig: Abschaffung des 52-GW-Deckels – ich kenne in der Energiewelt niemanden, der das nicht (Karsten Hilse [AfD]: Dann brauchen Sie doch will –, Repowering bei der Windenergie ermöglichen, keine Subventionen mehr!) Bürgerbeteiligung zulassen, Planungen vereinfachen, Insofern sind die Investitionen in die Erneuerbaren, die Kommunen das Klagerisiko nehmen, Flugsicherung re- Deutschland seit 20 Jahren über das EEG tätigt, auch als formieren; Geschenk zu werten – als Geschenk aus Deutschland an (Beifall der Abg. Lisa Badum [BÜNDNIS 90/ die Welt. DIE GRÜNEN]) (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und auch der Mindestabstand gehört in die Mottenkiste (D) Aber wir haben auch noch mehr davon, wenn der CO2- der Energiepolitik. Ausstoß überall in der Welt reduziert wird. Wir haben (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Lorenz etwas davon, wenn wir unsere Produkte aus dem Bereich Gösta Beutin [DIE LINKE] und Lisa Badum der erneuerbaren Energien weltweit verkaufen können. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von (Karsten Hilse [AfD]: Solarpanels zum Bei- der AfD: Abstand null!) spiel!) Mit einigen dieser Themen wird sich die Ministerpräsi- Und wir haben etwas davon, wenn wir, unsere Genera- dentenkonferenz am 12. März befassen und hoffentlich tion, dafür sorgen, dass unsere Kinder und Enkelkinder auch Lösungen beschließen. die gravierenden Folgen unserer Energiepolitik nicht aus- Für uns ist klar: Wer den Kohleausstieg will, muss baden müssen, auch die Erneuerbaren wollen. (Karsten Hilse [AfD]: Doch, die werden sie ausbaden! Das ist ja das Schlimme!) (Karsten Hilse [AfD]: Wir wollen sie nicht!) sondern in einer intakten Welt leben dürfen. Wer den Kohleausstieg nicht will, muss die Erneuerbaren noch viel mehr wollen; denn Kohle und Erneuerbare ste- In Ostfriesland würde man sagen: All Winden hebben hen im Verhältnis zueinander. ok Tegenwinden. – Es gibt natürlich auch Kritiker des EEG – das hören wir ja auch heute –, ja, echte Gegner. (Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Was?) Sie wollen es abschaffen – als wenn sie damit eine Lö- Bauen wir weniger Erneuerbare aus, müssen wir früher sung gefunden hätten. Wenn auch nicht das EEG, so aus der Kohle raus; das ist die logische Konsequenz, die schafft sich jedoch die ungeliebte EEG-Vergütung gemäß sich aus dem CO2-Preis ergibt. EEG schon selber ab, nämlich wenn der Marktpreis die Einspeisevergütung tatsächlich überschreiten sollte, und (Karsten Hilse [AfD]: Also, was ist denn das das ist immer öfter der Fall. für eine Märchenstunde hier? Was soll denn dieser Mist? Also wirklich!) (Beifall bei der SPD) – Dass Sie dem nur eingeschränkt zustimmen bzw. folgen Es stimmt: Das EEG, liebe Kolleginnen und Kollegen können, kann ich nachvollziehen. von den Grünen, ist zwei Jahre lang nicht angepasst wor- den, was eigentlich erforderlich gewesen wäre. Im ver- (Karsten Hilse [AfD]: Sie verstehen doch Ihr gangenen Jahr hatten sowohl die Frau Bundeskanzlerin eigenes Geseier nicht mehr! So ein Blödsinn!) 18602 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Johann Saathoff (A) Es gibt also keinen Grund, gegen die Entwicklung von deine Wäsche doch sowieso mit, und Essen haben wir (C) Wind- und Solarenergie zu kämpfen. Das EEG ist und auch genug. bleibt ein Erfolgsgesetz. Lassen Sie uns endlich gemein- sam die Weichen in der Koalition stellen, damit es das (Beifall bei der FDP – Timon Gremmels auch bleibt. [SPD]: Wir schaffen doch die Degression nicht ab! Die Degression bleibt doch!) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren: Oh- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ne einen klaren Ausstiegspfad beim EEG werden immer der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE neue Tatbestände geschaffen, und wir werden den Aus- GRÜNEN – Karsten Hilse [AfD]: Wie kann stieg immer weiter auf die lange Bank schieben. man die Leute nur so verarschen! Echt!) Apropos „lange Bank“: Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus dem Gesetzestext zum PV-Deckel. Da steht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nämlich: „Die Bundesregierung legt rechtzeitig vor Errei- Vielen Dank, Herr Kollege Saathoff. – Nächste Red- chung des … Ziels einen Vorschlag für eine Neugestal- nerin ist die Kollegin Sandra Weeser, FDP-Fraktion. tung der bisherigen Regelung vor.“ (Beifall bei der FDP) (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Sandra Weeser (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Genau so einen Vorschlag würden wir uns ja mal wün- Kollegen! Wir stehen heute hier, um den weiteren Ausbau schen, von Erneuerbaren zu besprechen, speziell im Bereich (Timon Gremmels [SPD]: Machen Sie doch Windkraft und Photovoltaik. Es ist ganz klar, dass zwi- mal einen eigenen! Wo ist denn Ihr Vorschlag?) schen den Fraktionen, was die Art und Weise, die Ge- schwindigkeit und den Umfang des Ausbaus angeht, un- einen klaren Plan, wie die Photovoltaik nach einer Strei- terschiedliche Meinungen herrschen. Alle Beteiligten chung des PV-Deckels an den Markt herangeführt wird. sollten jedoch bedenken, dass es etwa bei der Diskussion Wie soll das aussehen? um das Aufheben des 52-GW-Solardeckels nicht nur da- rum gehen sollte, hier etwas Unliebsames abzuschaffen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Deckel wurde ja nicht ohne Grund eingeführt. Leider NEN]: Sind Sie gegen die Streichung des PV- kommt in der Debatte hier viel zu kurz, wie wir die Deckels?) (B) (D) Förderung für erneuerbare Energien Stück für Stück Mir ist dazu nichts bekannt. Damit verstößt die Bundes- weiter senken und die Energiewende auch zunehmend regierung ganz klar gegen das eigene Gesetz. auf eigene Füße stellen wollen. Leider ist es bei dieser Energiewende der GroKo im- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mer dasselbe: Es wird an den Symptomen herumgedok- der CDU/CSU) tert, aber die Ursachen werden nicht analysiert und auch Der 52-GW-Deckel soll nun wegfallen, offenbar noch nicht betrachtet. vor der Sommerpause. Aber wie geht es dann weiter? Wie wird denn dieser Faden weitergesponnen, den wir 2017 (Beifall bei der FDP) mit der Einführung von Ausschreibungen im EEG begon- Ein Symptom sind da zum Beispiel die viel zu hohen nen haben? Geht es weiter wie bisher? Senken wir nur Strompreise. Herr Hofreiter, Sie widersprechen sich in etwas die EEG-Umlage durch die Einnahmen aus der Ihren Aussagen hier komplett selber. Ich bin mit Ihnen CO2-Steuer? in der Analyse einig, wenn Sie sagen: Der Umbau der (Timon Gremmels [SPD]: Es gibt doch den Industrieprozesse für klimaneutrale Produktion wird atmenden Deckel!) den Strombedarf steigern. – D’accord! Mit den aktuellen Strompreisen wird es aber schwierig, konkurrenzfähig zu Herr Minister Altmaier, vor zwei Jahren haben Sie ge- produzieren. sagt, die Erneuerbaren seien in wenigen Jahren ohne För- derung marktfähig. Das Wirtschaftsministerium sprach (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schon 2017 davon, dass die Erneuerbaren „erwachsen“ der AfD) geworden sind. Wenn wir jetzt aber davon sprechen, die Es sind ja nicht alle Unternehmen von der EEG-Umlage Streichung des PV-Deckels zu beschließen, ohne dass es befreit. Jetzt können wir uns die Frage stellen: Wollen wir einen klaren Ausstiegspfad aus der EEG-Förderung gibt, noch weitere Sondertatbestände schaffen? Wir müssen (Timon Gremmels [SPD]: Gibt es doch über nur wissen, Herr Hofreiter: Am Ende des Tages muss es den atmenden Deckel! Der sinkt noch weiter!) einer bezahlen, und wenn der eine befreit wird, dann wird es auf den anderen umgelastet. dann ist das wie mit der Geschichte der stolzen Mutter, die überall herumerzählt, wie selbstständig und erwach- (Beifall bei der FDP – Dr. Anton Hofreiter sen der Sohn im Studium sei. Als er nach dem 10. Semes- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ter ausziehen und seine eigene Bude bekommen will, sagt nicht mitgekriegt, dass wir die EEG-Umlage sie dann aber: Bleib doch mal lieber hier, wir waschen über den CO2-Preis senken wollen?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18603

Sandra Weeser (A) Wir drehen die Subventionsspirale immer weiter, oder (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (C) aber wir entschließen uns, endlich mal auf dem Pfad, Dr. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den wir 2017 eingeschlagen haben, weiterzugehen. NEN]) In Bezug auf die Windkraft und den PV-Deckel werden Doch die Energiewende in Deutschland befindet sich jetzt wieder nur einige Stellschräubchen gedreht. Ob die in einer Krise. In den letzten drei Jahren haben wir 40 000 Bundesregierung mit dieser trägen Energiepolitik über- Arbeitsplätze im Bereich der Windkraft verloren. Bereits haupt noch eine wirkliche EEG-Novelle hinbekommt, 2012 haben wir 70 000 Arbeitsplätze im Bereich der So- mag stark bezweifelt werden. larenergie verloren. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (Karsten Hilse [AfD]: Die sind alle nach China GRÜNEN]: Sie wollten ja nicht!) gegangen!) Danke schön. Grund dafür ist eine verfehlte und zu mutlose Energie- politik dieser deutschen Bundesregierung, die, wenn es (Beifall bei der FDP) so weitergeht, weitere Arbeitsplätze und die Wertschöp- fung in ganzen Regionen gefährdet, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist Vielen Dank, Frau Kollegin Weeser. – Nächster Redner doch Quatsch!) ist der Kollege Lorenz Gösta Beutin, Fraktion Die Linke. und das können wir nicht hinnehmen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): NEN]) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 25 Jahren erschien in den überregionalen Tageszeitungen Neben der Wind- ist die Sonnenenergie eine zentrale eine Anzeige der deutschen Energiekonzerne. In dieser Säule dieser Energiewende. Immer mehr Menschen pa- Anzeige wurde behauptet, Sonne, Wind und Wasser cken sich Solaranlagen auf ihre Dächer. Sie speisen er- könnten nie mehr als 4 Prozent am deutschen Strommix neuerbaren Strom ins Stromnetz ein und bekommen da- leisten, sonst würde die gesamte Energieversorgung zu- für Geld ausgezahlt. Das ist die sogenannte sammenbrechen. Im Februar dieses Jahres hatten die er- Einspeisevergütung. Vor allem Betreiber von Kleinanla- neuerbaren Energien bereits einen Anteil von 60 Prozent – gen, also Menschen, die auf den Dächern ihrer Häuser ein nie dagewesener Rekord. Das kann man gerne mal solche Solaranlagen installieren, bekommen diese Ein- (B) (D) abfeiern; denn dieser Erfolg der erneuerbaren Energien speisevergütung. ist nicht wegen der Politik dieser Bundesregierung zu- 2012 hat man sich dann gesagt: stande gekommen, sondern trotz der Politik der Bundes- regierung. (Johann Saathoff [SPD]: Nicht „man“, einer! Ein Mann!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Okay, wir machen für diese Einspeisevergütung einen Deckel. Ab 52 Gigawatt installierter Leistung an Solar- Gestern sind zwei Studien erschienen, die im Auftrag energie deckeln wir den Ausbau der Solarkraft. – Diese des Bundesumweltministeriums und des Bundeswirt- Zahl ist rein willkürlich, und das Problem ist: Das Poten- schaftsministeriums zustande gekommen sind. Das Bun- zial für die Solarenergie in Deutschland ist mindestens deswirtschaftsministerium und das Bundesumweltminis- viermal so hoch. Nutzen wir dieses Potenzial! Die Solar- terium haben gefragt: Reicht dieses Klimapaket aus, um energie ist die akzeptierteste Energie, die wir hier in die Klimaziele der deutschen Bundesregierung bis 2030 Deutschland haben. zu erreichen? Die Antwort darauf – und zwar in den Studien, die diese beiden in Auftrag gegeben haben – (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- war ein ganz klares Nein. ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das bedeutet doch: Diese Bundesregierung ist jetzt aufgefordert, dieses Klimapaket in allen Sektoren deut- Der Grund war damals: Man behauptete, man wolle lich nachzuschärfen. Kosten sparen. Wenn man sich nun aktuelle Studien an- schaut, so kann man sehen: Seit 2011 hat die Bundesre- (Timon Gremmels [SPD]: Genau!) publik Deutschland aufgrund sinkender Preise und tech- Die Bundesregierung sollte alles tun, um die erneuerba- nischer Innovationen im Bereich der erneuerbaren ren Energien entschieden auszubauen; Energien – des Ökostroms – insgesamt 70 Milliarden Euro eingespart. Mit diesem Geld hätte man die Strom- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- preise deutlich senken und so auch für mehr Akzeptanz SES 90/DIE GRÜNEN – Timon Gremmels sorgen können. [SPD]: So ist es!) Die Problematik ist aber: Diese Einsparungen sind denn gerade wenn wir Klimaschutz betreiben und den nicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ange- Kohleausstieg erreichen wollen, brauchen wir einen ent- kommen, sondern sie sind zum Teil von den Energie- schiedenen Ausbau der erneuerbaren Energien. konzernen abgegriffen worden. Zum Teil sind sie auch 18604 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Lorenz Gösta Beutin (A) durch überbordende Ausnahmen für energieintensive Vielen Dank. (C) Konzerne aufgewendet worden. Das heißt, nicht die Ver- braucherinnen und Verbraucher haben davon profitiert, (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. sondern die Industrie und Großkonzerne. Dr. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Das bedeutet: Nicht die erneuerbaren Energien sind die wirklichen Preistreiber in der Energiewende, sondern die- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: se verfehlte Politik der Bundesregierung. Da müssen wir ran! Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Ausbaudeckel wird in diesem Jahr erreicht wer- Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): den, und es gibt zahlreiche Brandbriefe. Es gibt Brand- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- briefe von der Wirtschaft, von Vereinen, von Verbänden, ren! Ich will mich kurz auf meinen Vorredner beziehen. aus der Industrie und auch von den Gewerkschaften. Alle Man muss es erst mal hinkriegen, in einer Rede von sechs sagen: Der PV-Deckel muss sofort weg. – Genau das ist Minuten zu Beginn zu bejubeln: „Wir haben im Februar richtig, und es war auch richtig, dass CDU/CSU und SPD dieses Jahres einen Rekordanteil der erneuerbaren Ener- im Klimapaket im letzten Jahr vereinbart haben, den PV- gien an der Energieerzeugung erreicht“, und dann festzu- Deckel abzuschaffen. Das ist eigentlich eine Selbstver- stellen, das sei alles gescheitert. Ich empfehle Ihnen: ständlichkeit und würde eigentlich auch ganz einfach ge- Sortieren Sie Ihre Redemanuskripte noch mal, und dann hen. Die CDU/CSU sagt nun aber: Wir würden den PV- entscheiden Sie sich für das eine oder für das andere: für Deckel ja abschaffen, aber dafür brauchen wir neue Ab- den Erfolg oder für den Misserfolg! standsregelungen bei der Windkraft. – Das bedeutet, die CDU/CSU erpresst die Opposition in Bezug auf die Ener- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- giewende. Sie sagt: Okay, wir hören auf, die Sonnenener- ordneten der AfD) gie zu blockieren, wenn ihr anfangt, die Windkraft aus- Meine Damen und Herren, warum diskutieren wir hier zubremsen. – Das ist ein absurder, komplett falscher heute? Wir diskutieren, weil wir Anträge von Bündnis 90/ Weg. Die Grünen und der AfD vorliegen haben, und es scheint (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- mir doch noch einmal angeraten zu sein, etwas auf den NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Rahmen, vor dem wir diskutieren, hinzuweisen. (B) ten der SPD) Deutschland ist nach wie vor Vorreiter beim Ausbau (D) Wenn irgendjemand mal gesagt hat, die CDU hätte der erneuerbaren Energien. Wirtschaftskompetenz: Im Angesicht der Herausforde- rungen der Klimakrise versagt sie. Sie versagt bei der (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Energiewende. Sie hat keine Wirtschaftskompetenz, son- GRÜNEN]: Wo haben Sie die Zahlen her? – dern betreibt eine kopflose, verheerende Politik. Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Nach welcher Statistik denn?) (Beifall bei der LINKEN) – Ruhe! – Das wird dadurch belegt, dass der Anteil der Wir als Linke sagen: Die Solarbranche braucht Pla- erneuerbaren Energien an der Nettostromerzeugung nungssicherheit. Menschen, die sich beim Hausneubau 46 Prozent beträgt, womit sie bei der Nettostromerzeu- jetzt vielleicht überlegen: „Packen wir eine Solaranlage gung erstmals vor den Fossilen liegen. Das, meine Da- aufs Dach, oder lassen wir das?“, brauchen Planungssi- men und Herren, ist ein großer Erfolg dieser Regierung. cherheit. Sie müssen wissen, woran sie sind. Auch Ver- mieterinnen und Vermieter, die sagen: „Wir wollen es (Beifall bei der CDU/CSU – Martin Hebner Mieterinnen und Mietern in unserem Haus ermöglichen, [AfD]: Sie haben den Preis vergessen!) Strom aus erneuerbaren Energien zu beziehen“ – über Im Übrigen haben wir im Bereich der Windkraft nach den sogenannten Mieterinnen- und Mieterstrom –, Angaben des Fraunhofer-Institutes den größten Zuwachs erreicht. Auch der Anteil der Photovoltaik am Strommix (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Keiner hindert sie konnte weiter ausgebaut werden. daran!) brauchen Planungssicherheit. Deswegen sagen wir als (Timon Gremmels [SPD]: Das soll auch so Linke: Wir wollen den PV-Deckel abschaffen, und zwar bleiben!) nicht irgendwann in diesem Jahr, sondern jetzt; denn wir Der Anteil der Erneuerbaren an der Wärmeerzeugung ist brauchen diese Planungssicherheit. ebenfalls deutlich gestiegen. Das alles zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Martin Hebner [AfD]: Zu welchem Preis? Zu Wir brauchen den Ausbau der erneuerbaren Energien, welchen Kosten?) und wir müssen die Energiewende sozial gerecht und Zum Thema PV-Deckel in aller Kürze, meine Damen demokratisch gestalten; denn das und nicht diese falsche und Herren. Wir sind da in ganz guten Gesprächen mit Politik schafft Akzeptanz. unserem Koalitionspartner; ich bin ganz optimistisch. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18605

Carsten Müller (Braunschweig) (A) Aber man muss auch eines feststellen – bei der Fraktion unseren Koalitionspartner –: Ich finde es etwas wohlfeil, (C) Bündnis 90/Die Grünen ist, glaube ich, der Eiskugelver- wenn Sie hier vorschnell klatschen. Ich will Ihnen nur, käufer Trittin aber mittlerweile bei der Debatte gar nicht damit ich Sie nicht überfordere, den Hinweis geben: Sie mehr dabei –: Es geht eben auch um die Frage der Akzep- sitzen in Rheinland-Pfalz in der Regierung, und die Grü- tanz und der Bezahlbarkeit. Das muss sehr wohl austa- nen sitzen in Rheinland-Pfalz ebenfalls in der Regierung. riert sein. Deswegen glaube ich, dass wir in näherer Zeit nach zugegebenermaßen schwierigen Gesprächen eine (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE vernünftige Lösung bekommen. GRÜNEN]: Die FDP auch!) Zum Antrag der Grünen. Die vorgeschlagene One- – Die FDP ist auch dabei. – Dort haben Sie unter Ihrer Stop-Shop-Lösung finde ich ganz gut. Es ist auch nicht Regierungsverantwortung bei Windrädern einen Min- alles schlecht, was in den Grünenanträgen steht. Aller- destabstand von 1 100 Metern festgelegt. dings nicht annähernd so gut ist die Frage der Nutzungs- (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Wider- pflicht von Solarthermie bei Neubauten. spruch des Abg. Oliver Krischer [BÜND- (Widerspruch der Abg. Dr. Julia Verlinden NIS 90/DIE GRÜNEN]) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, keine Belehrungen! Fangen Wozu führt das? Das führt zu einer Attentionshaltung. Sie dort an, wo Sie es selber machen können! Für uns als Union ist das Thema Technologieoffenheit (Timon Gremmels [SPD]: Wozu brauchen wir ein ganz wesentlicher Baustein. Deswegen sehen wir die- dann eine Bundesregelung, wenn das die Län- sen Punkt kritisch. der selber machen können? Das macht doch gar Ebenso kritisch sehe ich auch mit dem Blick auf öko- keinen Sinn!) nomische Anreize Ihre Forderung, den 90-Prozent-Satz Senken Sie dort die Mindestabstände! Dann werden Ihre für Mieterstrom zu streichen. Dieser soll Vermieter ge- Ausführungen hier deutlich glaubwürdiger. rade dazu anregen, den Mietern die Nutzung des Eigen- stroms auch wirtschaftlich schmackhaft zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Dagegen wollen Sie angehen. Das ist vollkommen inkon- ordneten der AfD) sistent. In aller Kürze und zum Schluss: Der Antrag der AfD Meine Damen und Herren, Ihre Forderung, die Förde- ist ein bisschen kurios begründet und ausgeführt worden. rung von Ölheizungen zu streichen, ist im Grunde ge- Der Redner der AfD sprach von 3 600 getöteten Insekten. nommen obsolet und erledigt. Ab 2026 dürfen mit weni- (B) gen Ausnahmen – „wenige Ausnahmen“ heißt eben: mit (Karsten Hilse [AfD]: Das war ein Verspre- (D) Augenmaß – Ölheizungen nicht mehr verbaut werden. cher!) Wir sind insofern auf dem richtigen Weg. Wie gesagt, dazu muss man gar nicht mehr sagen. Aber Meine Damen und Herren, die Potenziale der solaren der Redner hat auch etwas zur Frage der Rotmilane aus- Wärme will ich ansprechen. Sie rekurrieren in Ihrem An- geführt. Dazu können wir eines festhalten: Durch die trag auf Zahlen aus dem Jahr 2017. Wir sind da deutlich Windkraftanlagen kommen in Deutschland – das ist si- weiter. Insbesondere im Jahresvergleich 2017/2018 ha- cherlich keine unbedeutende Zahl – jährlich rund 100 000 ben wir einen enormen Anstieg der solaren Wärmever- Vögel zu Tode. 115 Millionen Vögel sterben an Fenster- sorgung. Insofern ist Ihr Antrag schon überholt. scheiben. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Karsten Hilse [AfD]: Wo haben Sie denn diese NEN]: Wenn wir 0,5 Prozent weiterkommen Zahl her? 115 Millionen Vögel gibt es doch gar oder was?) nicht in Deutschland!) Das Thema Windenergie ist durchaus umstritten. Al- – Herr Hilse, beruhigen auch Sie sich! – Meine Damen lerdings – das habe ich eingangs gesagt – haben wir im und Herren, weil Sie das Thema Rotmilane angeführt Bereich der Nettostromerzeugung gerade bei der Wind- haben: Da ist eines ganz interessant festzustellen. Die energie den größten Zuwachs, und wir wollen – das ist Anzahl der Rotmilane hat sich trotz einer unbestritten auch die Meinung der Union – beim Ausbau der Wind- erhöhten Zahl von Onshorewindkraft in den letzten energie keinesfalls zurückfallen. Sie ist auch für mein 25 Jahren von 10 000 Paaren auf 15 000 Paare erhöht. Herkunftsland Niedersachsen eine ganz wichtige Indust- (Karsten Hilse [AfD]: In Süddeutschland?) riebranche und sichert Beschäftigung und Steuerkraft. Insofern: Wir gehen Ihren Hinweisen nach. Aber Sie soll- Aber wir müssen eines sehen: Wir haben es nicht selten ten sich mit den Fakten beschäftigen. mit mangelnder Akzeptanz zu tun. Insofern muss man sich über kommunale Beteiligungsmodelle genauso Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und danken machen wie beispielsweise über die Frage von des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Modifikationen bei der Nachtbefeuerung. Da sind wir Das EEG war in den vergangenen Jahren der Grund- auf einem guten Wege. Das steigert die Akzeptanz. stein für den Umbau der Energieerzeugung und -versor- Am Ende des Tages geht es auch um die Frage von gung in Deutschland. Das war ein wichtiges Gesetzge- Abstandsregelungen. Ehrlich gesagt – da richte ich mich bungsvorhaben. Eines darf aber nicht dauerhaft so nicht nur an Bündnis 90/Die Grünen, sondern auch an bleiben: Das Gesetz darf nicht dauerhaft bzw. über einen 18606 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Carsten Müller (Braunschweig) (A) längeren Zeitraum unmodifiziert und unüberarbeitet blei- meinsam mit den Genossen von SPD und SED dem Ziel (C) ben. Dann kommt es zu Fehlallokationen und Fehlent- der nächsten, dann dritten sozialistischen Diktatur auf wicklungen. deutschem Boden einen Schritt näher zu kommen. Wir als Union nehmen das EEG an. Wir haben uns (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: dieses Themas auch im Klimapaket angenommen. Können Sie mal zur Sache sprechen?) Meine Damen und Herren, weil Ihre Anträge, sowohl Sozialismus in jedweder Form, ob nun Braun-Rot oder die von Bündnis 90/Die Grünen als auch die der AfD, Grün-Rot – das ergibt übrigens nach der Farbenlehre entweder überholt oder erledigt sind oder gar grob fehl- dann auch wieder braun –, lehnen wir als AfD katego- gehen, können wir diesen nicht zustimmen. risch ab. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: Mit Brauntönen kennen Sie sich ja aus!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sozialismus hat immer und an jedem Ort zu unsäglichen Verbrechen mit mindestens 100 Millionen Toten geführt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Und die Toten, die der braune Sozialismus gefordert hat, Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der kommen noch dazu. Kollege Karsten Hilse, AfD-Fraktion. Dass die Sozialisten des Mordens immer noch nicht (Beifall bei der AfD) überdrüssig sind, konnten wir am letzten Wochenende erleben, Karsten Hilse (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe (Johann Saathoff [SPD]: Kann mal jemand ei- Landsleute! Ich beginne mit Genehmigung mit einem nen Antrag stellen?) Zitat des wohl in diesem Haus unumstrittenen Professors als eine Revolutionärin in einem Nebensatz erwähnte, Dr. Sinn: dass im Zuge einer Revolution das eine Prozent der Rei- chen in Deutschland erschossen würden. Dem Parteichef (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten auf der Bühne war die offensichtliche Offenlegung der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Planung dann doch nicht geheuer, und er meinte, man Das in Deutschland angestrebte Programm der Ener- würde diese Menschen doch eher einer nützlichen Arbeit giewende ist gänzlich utopisch; die grüne Kultur- zuführen, was nichts anderes bedeutet als die Konzentra- revolution ist ideologisch geworden. Im Zentrum tion in Arbeitslagern. (B) steht längst nicht mehr das Vermeiden von Umwelt- (D) schäden, sondern das Propagieren des grünen Welt- (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: geists. Die vielen Windflügel, die Norddeutschland Das will Ihre Partei doch auch, oder?) zupflastern, sind doch eher dazu da, der neuen grü- Unter dem Eindruck dieser neuerlichen ans Tageslicht nen Region ihre Sakralbauten zu geben, als wirklich gekommenen Gewaltfantasien der Sozialisten ist der Satz Energie zu produzieren. von Frau Esken ein Schlag ins Gesicht aller vergangenen und zukünftigen Opfer der Neostalinisten. Zitat: „Wer (Beifall bei der AfD – Johann Saathoff [SPD]: Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Muss man eigentlich jedes Zitat genehmigen?) Ahnung.“ Dazu kann ich nur sagen: Frau Esken, wer Über die fehlenden wissenschaftlichen Grundlagen der Sozialismus positiv bewertet, der hat ihn nie wirklich lediglich ideologisch getriebenen Energiewende ins erlebt und äußert sich im höchsten Maße geschichtsrevi- Nichts habe ich hier schon mehrmals gesprochen. sionistisch. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Da NEN]: Aufhören! – Weitere Zurufe vom müsste das ganze Haus klatschen!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So wie Professor Sinn es beschreibt, sind Windindustrie- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gebiete eher nicht dazu da und auch gar nicht in der Lage, Herr Kollege Hilse, kommen Sie bitte zur Sache. Wir eine sichere Stromproduktion zu gewährleisten. Natür- reden über Energiepolitik. lich sind auch Solaranlagen, die Thema dieses Antrags sind, nicht geeignet, ein Industrieland wie Deutschland Karsten Hilse (AfD): sicher mit Strom zu versorgen. Ich komme gleich noch mal zur Sache. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Darum geht es den grünbemäntelten Neosozialisten SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- auch gar nicht. Sie möchten lediglich erstens, dass sich NEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ihre Lobbyfreunde aus der Solarbranche mit dem Geld NEN: Wann denn? – Dr. Anton Hofreiter der hart arbeitenden Menschen auch weiterhin in viel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu sind größerem Ausmaß die Taschen vollstopfen. Zweitens Sie doch gar nicht in der Lage!) nutzen sie die ideologisch motivierte Energiewende mit Dass die CDU-Genossen in Thüringen – die Liberalen ihren planwirtschaftlichen Elementen als Vehikel, um ge- muss ich gar nicht erst erwähnen – nach diesen Ankündi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18607

Karsten Hilse (A) gungen der SED einen Kommunisten zum Ministerpräsi- Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nein, sehr (C) denten wählen, zeugt entweder von grenzenlosem Oppor- teuer war das!) tunismus oder absoluter Geschichtsvergessenheit. Denn die erneuerbaren Energien sind ein Jobmotor. Sie (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Carsten schaffen dezentral Arbeitsplätze in großem Ausmaß. Sie Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Bei mir schaffen Wertschöpfung vor Ort. Wenn man die Bürger- steht „Erneuerbare Energien“!) innen und Bürger über Energiegenossenschaften, über Mieterstromprojekte beteiligt, dann ist eine Solaranlage Ich weiß, dass einige Abgeordnete der CDU und der FDP eben nicht nur etwas für Zahnärzte, sondern dann kann hier im Bundestag die Vorgänge nach der letzten Minis- auch ein Hartz-IV-Empfänger durch eine Anlage auf sei- terpräsidentenwahl in Thüringen im Februar sehr kritisch nem Mietshaus preiswert Strom beziehen. sehen. (Lachen des Abg. Karsten Hilse [AfD]) (Timon Gremmels [SPD]: Reden Sie doch mal zur Sache! – Dagmar Ziegler [SPD]: Show- Das ist die Wahrheit. Das ist die Antwort auf die Energie- man!) wende, Deswegen bitte ich Sie, die wenigen Aufrechten, wie es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gestern auch die WerteUnion gefordert hat, gegen den des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ausnahmslos totalitären Sozialismus aufzustehen. Den so wie wir Sozialdemokraten sie verstehen, meine sehr Antrag der Grünbemäntelten lehnen wir natürlich ab. verehrten Damen und Herren. Noch ein Wort an die Solaranlagenbesitzer. Seien Sie Ja, auch wir müssen sehen – das muss man mal der bitte vorsichtig; nicht dass Sie mit dem Erlös Ihrer Anlage Kollegin Weeser sagen –: Der große Faktor des EEGs, mehr Geld verdienen als der Rest der Bevölkerung und was es so besonders macht, ist, dass darin schon die Sie quasi zu einem Reichen werden. Dann geraten Sie Degression eingearbeitet worden ist. Die Lernkurve ist nämlich in das Visier der in mehreren Bundesländern da schon drin; denn je mehr Kapazität an erneuerbaren mit SPD und Grünen regierenden SED, Energien zugebaut wird, desto mehr sinkt die EEG-Ver- gütung. (Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]: Das ist Quatsch!) (Karsten Hilse [AfD]: Stimmt doch gar nicht!) von denen Sie nach der Revolution, so zumindest ihre Das ist doch ganz modern, und das zeigt, wie es funk- Ankündigung, dann wahlweise erschossen oder, wenn tioniert. (B) es nach dem Parteichef geht, in Arbeitslager verbracht (D) werden. (Sandra Weeser [FDP]: 52 Prozent Umlagen und Steuern beim Strompreis!) Vielen Dank. – Frau Weeser, gucken Sie sich das mal an! (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Der erste Redner der AfD, der im Unterschied zu Herrn Hilse mal zur Sache geredet hat, hat über die Bundes- Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Timon haushaltsordnung gesprochen. Entschuldigung, der Vor- Gremmels, SPD-Fraktion. teil am EEG ist, dass es nicht über den Bundeshaushalt (Beifall bei der SPD) finanziert wird, (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, das ist Timon Gremmels (SPD): umso besser!) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Am 1. April 2000 ist das Erneuerbare-Energien-Ge- sondern es ist eine Umlage, die jeder Stromkunde zahlt. setz in Kraft getreten. Das ist ein Anlass zum Feiern, das (Sandra Weeser [FDP]: Ja, super! Das ist ja ist ein Anlass zur Freude. Das war unsere Antwort auf sozial! Ganz sozial!) den Ausstieg aus der Atomenergie, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das Tolle ist, dass der genaue Anteil unten auf der Strom- rechnung steht. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE]) (Karsten Hilse [AfD]: Nur weil es draufsteht, ist es doch nicht gerecht!) Wer aussteigt, muss auch irgendwo einsteigen. Wir sind damals zusammen mit den Grünen aus der Atom- Hätten wir das bei Kohle und Atomkraft in den letzten kraft ausgestiegen. Wir sind in die Erneuerbaren einge- 20 Jahren auch so gemacht, hätten wir eine deutlich hö- stiegen. Das war energiepolitisch richtig, das war arbeits- here Umlage, als wir je fürs EEG gezahlt haben. marktpolitisch richtig, und das war sozialpolitisch richtig, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten meine sehr verehrten Damen und Herren. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nur, das zahlen wir aus Steuermitteln. Aber Steuerzahler des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – und EEG-Umlage-Zahler sind die gleichen Personen. 18608 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Timon Gremmels (A) Auch die Transparenz ist etwas, was das EEG so er- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) folgreich macht. Und es hat auch europäischen Segen Vielen Dank, Herr Kollege Gremmels. Punktgenaue bekommen. Der EuGH hat gerade erst im letzten Jahr Landung. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion ist gesagt, dass das funktioniert, dass man das genau so der Kollege Dr. Martin Neumann. machen kann. Insofern ist es alles in allem ein Erfolgs- rezept. (Beifall bei der FDP) Natürlich müssen wir das EEG weiterentwickeln. Da- Dr. Martin Neumann (FDP): für sind wir bereit; wir als Sozialdemokraten haben dazu eigene Ideen. Aus unserer Sicht ist ganz klar: Der 52- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und GW-Solardeckel muss weg, weil er den Ausbau behin- Kollegen! Einer der zur Diskussion stehenden Anträge dert, und er muss schnell weg. Denn schon heute ist es so, trägt den Titel „Ausbau der Windenergie in Schwung dass Menschen, die Anlagen bauen wollen, keine Kredite bringen“. Ich will damit beginnen, dass ich sage: Natür- mehr von ihren Banken bekommen, weil der 52-GW- lich hat Windenergie bisher viel geleistet; denn es ist viel Deckel demnächst erreicht ist. Leistung installiert worden. Es wurde aber kaum gesi- cherte Leistung geschaffen. Ein Fördersystem nach dem Ehrlich gesagt erwarten wir da von unserem Koali- Motto „Leistung mit wenig Gegenleistung“ soll quasi tionspartner, dass man ihn nicht in Geiselhaft für andere ausgebaut und fortgeführt werden. politische Forderungen nimmt. Meine Damen und Herren, an der Stelle sehen wir, dass (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Grundrente!) Monosysteme gerade in diesem konkreten Fall an ihre Grenzen stoßen. Der Antrag der Grünenfraktion umfasst Vielmehr setzen wir darauf, was Frau Merkel am 27. No- ja eigentlich fast alles; aber es gibt keine Aussagen zur vember letzten Jahres im Bundestag, hier am Redepult, Systemdienlichkeit, zur Akzeptanz und zur Eigenverant- gesagt hat: Wir haben den Solardeckel jetzt aufgehoben. wortung bei der Kostendeckung. Ganz wichtig ist – das will ich an der Stelle betonen –: Der Unterschied von (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Eins nach dem Leistung und Arbeit ist gerade bei wetterabhängigen anderen!) Energieträgern unbedingt zu beachten; denn „installiert“ Das stimmt nicht. Er muss noch aufgehoben werden. ist nicht gleich „gesichert“. „Viel installiert“ ist aktuell Stimmen Sie dieser Sache zu! nur eins: teuer. Auch Herr Söder hat in seiner Rede am politischen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Aschermittwoch gesagt – ich zitiere sehr selten Markus der CDU/CSU und des Abg. Karsten Hilse (B) Söder –, [AfD]) (D) (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: In Ihrem Antrag, meine Damen und Herren, steht die Können Sie öfter machen!) Aussage: Ohne EEG-Finanzierung stünde die Energie- wende auf der Kippe. – Ökonomisch ist das natürlich dass der Deckel weg muss; Deckel müssten grundsätzlich überhaupt nicht haltbar. Statt weiterer Dauersubventio- weg, und Bayern sei ein Sonnenland. – Richtig so. Wir nen fordern wir endlich Eigenverantwortung der Anla- möchten aber, dass die ganze Bundesrepublik Deutsch- genbetreiber, Innovation und Netzdienlichkeit. land ein Sonnenland wird, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Karsten Hilse [AfD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ohne Netze und Speicher oder Systemlösungen, von de- nen ich gerade gesprochen habe, kann es keine Zustim- Beim Mieterstrom genau das Gleiche. Da hat uns Herr mung zur weiteren Ausweitung des Ausbaupfades geben. Altmaier am 25. Juni letzten Jahres in einem Brief ver- sprochen, dass die Regelungen zum Mieterstrom refor- Ihr Antrag, meine Damen und Herren der Grünen, miert werden, dass wir da Entbürokratisierung schaffen. zeigt eigentlich nur eins: Windenergie ist eben keine hei- lige politische Kuh, sondern es muss mit Photovoltaik, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit Geothermie und Bioenergie und natürlich auch mit NEN]: Bei Herrn Altmaier muss man nach einem europäischen Vernetzungssystem Energie erzeugt dem Jahrhundert fragen!) werden. Liefern Sie bitte endlich etwas ab, damit die Überschrift Auch die Bundesregierung, meine Damen und Herren, des heutigen „Tagesspiegel Background“ nicht länger Herr Minister Altmaier, hat eine nicht so gute Figur ge- gilt: „Union blockiert Altmaiers Abstandslösung“. Ich macht. Es ging bei der Frage bundeseinheitlicher Min- finde es echt ein Unding, wie Sie Ihren eigenen Minister destabstände immer hin und her. Wir sollten da die Kom- und die Bundeskanzlerin im Stich lassen. Wir unterstüt- munen vor Ort nicht alleine lassen. zen beide; denn wir brauchen die Energiewende. Ich hof- fe, dass die Union das auch tut. Für uns gilt Folgendes – ich will das mal zusammen- fassen –: In diesem Sinne: Glück auf! Alles Gute! Erstens. Das EEG muss grundlegend überarbeitet wer- (Beifall bei der SPD) den und, statt auf Technologiefixierung zu setzen, endlich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18609

Dr. Martin Neumann (A) technologieoffene Lösungen schaffen – und zwar euro- Sprechen Sie mal mit den Banken! Ja, tun Sie das! (C) päisch. Gehen Sie mal zu den großen Finanzierern von erneuer- baren Energien! Die gehen nämlich von einem 70-pro- Zweitens. Es ist eine Abkehr von dem Dogma notwen- zentigen Rückgang der Projekte aus. Und bei den An- dig, dass die Energiewende und die Klimaziele von Paris lagen, die noch einen Kredit bekommen, muss man mit ausschließlich mit nationaler regenerativer Energie zu er- bis zu 30 Prozent höheren Finanzierungskosten rechnen. reichen seien. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Herr Koeppen, Herr Müller, Sie haben heute hier viel GRÜNEN]: Das ist kein Dogma!) erzählt; aber Sie haben keinen einzigen Grund genannt, warum es immer noch diesen Solardeckel gibt. Nach 20 Jahren EEG-Subventionierung können diese we- der Grundlastfähigkeit noch Wirtschaftlichkeit garantie- (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: ren. Sie haben schon wieder nicht zugehört!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie können das nämlich auch nicht erklären. Es gibt bei der CDU/CSU) Ihnen nur Taktierereien gegen die Windkraft; das ist der Drittens. Das Ausschreibungssystem muss fortgeführt wahre Grund. und ausgeweitet werden für einen technologieoffenen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausbaupfad für CO2-arme, grundlastfähige Energieträger sowie der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD]) als neue Basis, also ein Wettbewerb emissionsarmer Energieträger. Weil Sie von der GroKo sich weiter über unnötige und schädliche Sperrzonen für Windenergie streiten, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Abstandsrege- Viertens – für mich ganz wichtig –: Die jetzt die Strom- lungen für die Bürger!) kosten belastende EEG-Umlage darf nicht nur von lassen Sie konsequenterweise gleichzeitig auch noch die Stromkunden bezahlt werden, – Solarbranche hängen. Diese Dialektik versteht nur, wer auch in 15 Jahren ohne Ende Kohlestrom produzieren Vizepräsident Wolfgang Kubicki: will. Kommen Sie endlich mal im 21. Jahrhundert an, Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen, bitte. Herr Koeppen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (B) Dr. Martin Neumann (FDP): (D) – sondern muss unter anderem aus Einnahmen aus dem Jens Koeppen [CDU/CSU]: Abstandsregelun- gen für die Bürger!) CO2-Zertifikatehandel finanziert werden. Denn wir wis- sen eins: Effektiver Klimaschutz geht nur mit preiswer- Angeblich sind sich doch alle einig, oder? Das Bundes- tem Strom. kabinett hat die Abschaffung des Deckels schon im Okto- Danke schön. ber beschlossen. Der Bundesrat hat die Abschaffung des Deckels beschlossen. Es fehlt einzig und allein noch ein (Beifall bei der FDP) Beschluss in diesem Parlament. Und die Menschen sind es echt leid, dass einige wenige Energiewendesaboteure Vizepräsident Wolfgang Kubicki: aus der Unionsfraktion den weiteren Ausbau der Solar- Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin energie blockieren. Dr. Julia Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen. (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Erst der Abstand, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dann der Deckel!) Ihr Klimapaket vom September basierte auf Ihrer Be- Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hauptung, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien bis Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Sie 2030 vorangeht. Das alles fällt nun wie ein Kartenhaus von der Union an anderer Stelle gerne vor sich hertragen – zusammen. klare Rahmenbedingungen für Investitionen, Planbarkeit für die Wirtschaft –, das geben Sie den erneuerbaren (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Energien schon seit Jahren nicht und auch jetzt nicht. Hanebüchener Unsinn! Maximale Anteile der Das ist ein Skandal. Stattdessen werden bereits jetzt, erneuerbaren Energien!) vor Erreichen des Deckels, Finanzierungen für neue An- lagen schwierig, weil das Risiko schwer zu kalkulieren Die Menschen lassen sich nichts mehr vormachen. Die ist. Sie, meine Damen und Herren von der Union, sind das Behauptung in Ihren Sonntagsreden, Sie seien für die Investitionsrisiko für den Standort Deutschland. erneuerbaren Energien, glaubt doch kein Mensch mehr. Also, übernehmen Sie endlich Verantwortung! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE LINKE] – sowie bei Abgeordneten der SPD – Carsten Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Unfug! Das ist doch jetzt albern!) Das ist Realitätsverweigerung!) 18610 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Julia Verlinden (A) Ziehen wir dieses Gesetz jetzt schnell durch das Ver- neu errichtet. Der Rückgang kann ja schlecht an den (C) fahren – was angeblich alle wollen –, bringen es nächste Abstandsregelungen liegen, die im letzten Jahr noch gar Woche wieder hier zum Beschluss. nicht galten. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Es geht also auch um Planungsrecht, um Klageverfah- Erst die Abstände, dann der Deckel!) ren und generell um Akzeptanz. Anders als die Grünen, Setzen wir um, was der Bundesrat will, was die Länder- die sagen, der Emissionsschutz reiche für die Abstands- kammer will. Das wäre nicht nur das einzig energie- und bemessung, sagen wir, dass wir beim Windausbau schon klimapolitisch Verantwortbare; es wäre auch endlich mal einen gewissen Abstand der Anlagen zu der Wohnbebau- ein Hauch moderner und solider Wirtschaftspolitik. ung brauchen. Das können die Länder durchaus gerne selber regeln; wir haben es vorhin schon gehört. Es gibt Vielen Dank. Bundesländer mit Ihrer Regierungsbeteiligung, die 1 000 Meter Abstand und mehr vorschlagen: Branden- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN burg und Sachsen-Anhalt schlagen 1 000 Meter Abstand sowie bei Abgeordneten der SPD) vor, Hessen über 1 000 Meter, Rheinland-Pfalz 1 200 Me- ter. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist für (Timon Gremmels [SPD]: Bayern sogar noch die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Andreas Lenz. viel mehr!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie müssen schon auch erklären, warum Sie in Länder- regierungen, an denen Sie beteiligt sind, etwas ganz ande- Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): res beschließen. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Dass Photovoltaik zukünftig weiter eine wichtige Rol- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es liegen un- le spielen wird, ist klar. Der Zubau wird sich erhöhen, terschiedliche Anträge zum Thema „erneuerbare Ener- auch um das 65-Prozent-Ziel bis 2030 zu erreichen. Die gien“ vor. Es hat schon eine lebhafte Diskussion gegeben, Grünen schreiben in ihrem Antrag: „Der Wind weht in zum Teil ging es um die Anträge, zum Teil leider um ganz Deutschland.“ Das stimmt natürlich – mancherorts etwas anderes. übrigens etwas rauer oder häufiger. Das gilt genauso für Zunächst einmal möchte ich betonen, dass im letzten die Sonne. Sie scheint beispielsweise in Bayern häufiger, Jahr so viel Strom aus erneuerbaren Energien in Deutsch- intensiver; das wurde schon erwähnt. land produziert wurde wie noch nie, nämlich 46 Prozent (B) (Bernhard Loos [CDU/CSU]: Gut so!) (D) der Nettostromerzeugung. Zum ersten Mal war es mehr, als durch fossile Energieträger produziert wurde. Auch unser Ministerpräsident Markus Söder hat vor Wir haben mit dem Klimaschutzpaket die Grundlagen Kurzem gesagt, dass in Bayern häufig die Sonne scheint für weitere Fortschritte bei der Energiewende, aber auch und wir deshalb die Photovoltaik sehr stark ausbauen beim Klimaschutz geschaffen. In einem ersten Schritt wollen. Deshalb sind wir für die Streichung des 52- wird die EEG-Umlage 2021 um 2 Cent gesenkt werden. GW-Deckels. Gleichzeitig wollen wir natürlich aber auch Das sind im Jahr 7 Milliarden Euro . Das ist die größte vernünftige Abstandsregeln. Entlastung seit Einführung des EEGs. Übrigens hat (Beifall der Abg. Dr. [CDU/ Deutschland seit 1990 35 Prozent CO2 eingespart. Das CSU]) Klimaziel 2020 rückt so auch in greifbare Nähe. Ich bin zuversichtlich, dass wir hier gemeinsam eine Lö- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sung finden werden, im Sinne der Bürger, aber auch im Die Erneuerbaren tragen dazu bei, die Klimaschutzzie- Sinne der erneuerbaren Energien. le zu erreichen, anders, als es im Antrag der AfD steht. 1990 entstanden bei der Erzeugung einer Kilowattstunde (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Strom noch 760 Gramm CO2, 2018 waren es nur noch Ein weiteres Thema bezüglich der Photovoltaik ist das 470 Gramm CO2. Das sind 38 Prozent weniger. Die Ener- Thema Bürokratie. Wir müssen hier bürgerfreundlicher giewirtschaft ist somit der Treiber der Reduktion des werden. Wir haben hier zu viele bürokratische Regeln. CO2-Ausstoßes. Wir haben außerdem die Erneuerbaren Eine Unternehmensgründung ist selbst in Deutschland an den Markt herangeführt, insbesondere durch die Aus- weniger bürokratisch als der Bau einer Photovoltaikan- schreibungen. Wettbewerb ist gut, auch in diesem Be- lage auf dem eigenen Dach. Gleichzeitig wollen wir, dass reich; das haben wir gezeigt. Nutzungspflichten, wie die Grünen sie fordern, nicht ent- Die Windenergie – sie war schon häufig Thema – wird sprechend umgesetzt werden. auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen, wenn es da- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rum geht, das 65 -Prozent -Ziel für die Erneuerbaren im NEN]: Wer verantwortet das denn? Wer regiert Strombereich zu erreichen. Es stimmt: Der Windausbau denn seit 15 Jahren?) ist im letzten Jahr ins Stocken geraten. Wenn wir aber genau hinschauen, dann sehen wir, dass die Gründe dafür Wir wollen Lust auf Erneuerbare und keinen Frust. Das wesentlich bei den Planungs- und Klageverfahren liegen. werden wir bei der Gesetzgebung auch entsprechend be- Im letzten Jahr wurden bundesweit circa 300 Windräder rücksichtigen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18611

Dr. Andreas Lenz (A) Wir brauchen übrigens auch Perspektiven für die Bio- Genau da beginnt eigentlich schon die Verquertheit (C) masse, für die Biogasanlagen in Deutschland. Diese brau- gewisser politischer Wendungen, die wir zurzeit erleben. chen, anders als Wind- und Photovoltaikanlagen, auch Es wird etwa einfach an den Emissionshandel ange- nach 20 Jahren noch Einsatzstoffe. Diese Einsatzstoffe knüpft, statt an die erfolgreichen Instrumente, die über kosten Geld. Man bekommt dafür aber verlässliche Ener- die letzten Jahre tatsächlich für den Ausbau der erneuer- gie, die folglich auch mehr wert sein muss. baren Energien in der Realität gewirkt haben. Deswegen müssen wir an dieser Stelle auch eine korrekte Ge- Wir müssen außerdem weiterkommen, wenn es darum schichtsschreibung betreiben. geht, einen Industriestromtarif in Deutschland einzufüh- ren. Das EuGH-Urteil aus dem letzten Jahr bietet dafür (Beifall bei der SPD) entsprechende Spielräume. Wir brauchen langfristige Weltweit haben wir bei den erneuerbaren Energien ein Planungssicherheit, damit unsere Unternehmen und un- Wachstum von 20 bis 30 Prozent. Das sind Wachstums- sere Industrie international wettbewerbsfähig bleiben. sprünge, die wir sonst in fast keiner Technologie haben. Vorstöße dazu sollten wir im Rahmen der Gesetzgebung Das betrifft die erneuerbaren Energien weltweit, aber lei- zu den europäischen Strommarktrichtlinien unterneh- der nicht bei uns. Genauso sieht es auch mit den Arbeits- men; aber genauso sollten wir uns einbringen, wenn es plätzen aus. Leider erleben wir zurzeit, dass in Deutsch- um die Umsetzung des sogenannten Green Deals geht. land 35 000 Arbeitsplätze im Bereich der Windenergie Klar muss aber auch sein, dass wir unsere energiein- bedroht sind. Wir haben nach den von der schwarz-ge- tensiven Industrien im Land halten müssen. Das geht am lben Regierung eingeführten Veränderungen beim EEG besten durch Planungssicherheit. Insofern müssen wir im Jahr 2012 erlebt, dass 70 000 Arbeitsplätze im Bereich auch hier Anstrengungen unternehmen. Nur so kann die der Solarenergie verloren gegangen sind. Wir dürfen Energiewende insgesamt gelingen. nicht das Gleiche wieder bei den erneuerbaren Energien im Windsektor erleben. Herzlichen Dank. (Beifall der Abg. Leni Breymaier [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber leider – Herr Altmaier, da möchte ich Sie ganz persönlich ansprechen – müssen wir jetzt damit rechnen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wenn Sie nicht dringend handeln und die Versprechen, Vielen Dank, Herr Kollege. – Bevor ich der letzten die teilweise schon als erfüllt erklärt wurden, einlösen Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort ertei- und die entsprechenden Gesetze vorlegen. Wir haben le, möchte ich darauf hinweisen, dass ich Verständnis den Solardeckel immer noch nicht abgeschafft, obwohl (B) dafür habe, dass sich während der bevorstehenden Wahl- es hier teilweise schon so erklärt wurde. Ich habe im (D) akte der Saal füllt; aber vielleicht können sich diejenigen, Austausch mit einigen Kollegen aus der CDU/CSU-Frak- die sich lange nicht gesehen haben, draußen und nicht tion den Eindruck gewonnen, dass tatsächlich angenom- drinnen unterhalten. Denn die Rednerinnen und Redner men wird, wir hätten ihn schon abgeschafft. Nein, es ist haben einen Anspruch, hier auch gehört zu werden. Das nicht so, und Sie wissen das. gilt übrigens auch für die Vertreter der Regierungsbank. Deswegen mein dringender Appell: Legen Sie die ent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sprechenden Gesetze vor, und nehmen Sie den Solarde- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ckel nicht länger als Faustpfand für die Abstandsrege- lung, Frau Kollegin Scheer, Sie haben das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der LINKEN und des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dr. Nina Scheer (SPD): von der Sie ganz genau wissen, dass sie so, wie sie zurzeit Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und im Gespräch ist – 1 000 Meter Abstand zu Häusern, wie Kollegen! Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein Sie es vorgeschlagen haben, sowie die Anwendung dieser zentrales Instrument für Industriepolitik, und zwar für Abstandsregelung auf die Repowering-Flächen –, dazu zukunftsfähige Industriepolitik. Und wenn man sich jetzt beitragen wird, dass wir den Windenergieanteil in anschaut, wie das Instrument in den letzten 20 Jahren Deutschland verringern und nicht ausbauen werden. Da- gewirkt hat – dieses Instrument wirkt ja seit 20 Jahren mit ist das 65-Prozent-Ziel nicht zu erreichen, und das in Form des EEGs –, dann muss man erkennen: Es ist wissen Sie. Deswegen appelliere ich an Ihre energiepoli- nicht nur für Deutschland ein enormes Erfolgsrezept ge- tische Vernunft und fordere Sie auf, diese Maßnahmen wesen; vielmehr haben sich 113 Länder weltweit an die- jetzt endlich einzuleiten. sem Instrument orientiert, haben ein Feed-in-Tariff-Sys- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tem, ein Einspeisevergütungssystem, in abgewandelter, teilweise in kopierter Form eingeführt. Insofern finde Ich habe einen Verdacht. Wir als SPD-Fraktion sind die ich es unerträglich, wenn das entscheidende Instrument Antriebskraft für die energiepolitischen Elemente dieser teilweise hier in Deutschland unter den Teppich gekehrt Koalition; wir haben die Klimaschutzgesetzgebung in wird, indem man einfach sagt, die Energiewende habe den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Ich erlebe, dass erst mit dem zweiten Atomausstieg nach Fukushima an- von Ihrer Fraktion und von Ihnen persönlich immer wie- gefangen. der genau diese Elemente hervorgehoben werden. Ich 18612 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Nina Scheer (A) habe also den Eindruck, dass Sie sich auf diesen Ziel- Überweisungsvorschlag: (C) setzungen ausruhen, die ja jetzt noch gar nicht wirken Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz können, und dass Sie versuchen, quasi mit diesem grünen Feigenblatt zu vermeiden, die Elemente, die wir brau- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten chen, damit wir die gemeinsam beschlossenen Dinge er- Katrin Helling-Plahr, Stephan Thomae, reichen können, jetzt umzusetzen. Das kann so nicht sein. Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- (Beifall bei der SPD) wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- Wir können nicht das Feigenblatt der Koalition in der ndiagnostikgesetzes – Vorgeburtliche Va- Klimapolitik sein. Insofern – meine Zeit ist leider zu terschaftstests ermöglichen Ende – appelliere ich an Sie. Drucksache 19/16950

Vielen Dank. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) (Beifall bei der SPD – Karsten Hilse [AfD]: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Das ist auch gut so! Nicht „leider“!) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Erste Beratung des von der Bundesregierung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- Frau Kollegin Dr. Scheer, Ihre Redezeit war beendet. – zes zur Änderung des Verpackungsgeset- Damit schließe ich die Aussprache. zes Wir kommen zur Abstimmung. Tagesordnungspunk- Drucksache 19/16503 te 11 a und 11 b. Interfraktionell wird Überweisung der Überweisungsvorschlag: Vorlagen auf den Drucksachen 19/17137 und 19/15123 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft geschlagen. Gibt es weitere Vorschläge? – Ich sehe, das d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tagesordnungspunkt 11 d. Wir kommen zur Abstim- Umsetzung der Verhältnismäßigkeits- mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für richtlinie (Richtlinie (EU) 2018/958) im Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bereich öffentlich-rechtlicher Körper- Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Ausbau der Solar- schaften energie beschleunigen, dezentrale Bürgerenergie und Drucksache 19/17288 (B) Mieterstrom unterstützen“. Der Ausschuss empfiehlt in (D) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/17584, Überweisungsvorschlag: den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 19/9698 abzulehnen. Wer stimmt für diese Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der e) Erste Beratung des von der Bundesregierung Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Ge- Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des setzes zur Änderung des Allgemeinen Ei- Hauses angenommen. senbahngesetzes Tagesordnungspunkt 11 e. Abstimmung über die Be- Drucksache 19/17289 schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Überweisungsvorschlag: Energie zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Titel „Umweltschutz ernst nehmen – Das Erneuerbare- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Energien-Gesetz abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt f) Erste Beratung des von der Bundesregierung in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache eingebrachten Entwurfs eines Achten Geset- 19/16682, den Antrag der Fraktion der AfD auf Druck- zes zur Änderung des Bundesfernstraßen- sache 19/10626 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- gesetzes (8. FStrÄndG) schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann stel- le ich fest, dass diese Beschlussempfehlung gegen die Drucksache 19/17290 Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen der übrigen Überweisungsvorschlag: Fraktionen des Hauses angenommen ist. Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 l sowie Ausschuss Digitale Agenda die Zusatzpunkte 4 a bis 4 h auf: Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO 32 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten g) Erste Beratung des von der Bundesregierung Lars Herrmann, Dr. Gottfried Curio, Martin eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Hess, weiteren Abgeordneten und der Frak- Änderung des Gesetzes über Finanzhilfen tion der AfD eingebrachten Entwurfs eines des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreu- Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes ung für Kinder und des Kinderbet- (Asylgesetz – AsylG) reuungsfinanzierungsgesetzes Drucksache 19/8857 Drucksachen 19/17293, 19/17587 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18613

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Überweisungsvorschlag: ZP 4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten (C) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Christian Dürr, Konstantin Kuhle, Stephan Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Thomae, weiteren Abgeordneten und der Haushaltsausschuss Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs ei- h) Erste Beratung des von der Bundesregierung nes Gesetzes zur Änderung des Bundesmi- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nistergesetzes weiteren Umsetzung der Transparenz- Drucksache 19/17512 richtlinie-Änderungsrichtlinie im Hin- blick auf ein einheitliches elektronisches Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Format für Jahresfinanzberichte Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss Drucksache 19/17343 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Britta Katharina Dassler, Stephan Thomae, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Dr. Marcel Klinge, weiterer Abgeordneter i) Beratung des Antrags der Abgeordneten und der Fraktion der FDP Ralph Lenkert, Lorenz Gösta Beutin, Schutz von Sportstätten des Leistungs- Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und Breitensportes durch Ausnahme- und der Fraktion DIE LINKE und Übergangsregelungen für Kunstra- Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom senplätze bei einem EU-Verbot Drucksache 19/16073 Drucksache 19/17283 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Beratung des Antrags der Abgeordneten j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Konstantin Kuhle, Stephan Thomae, Dr. Bettina Hoffmann, Tabea Rößner, Lisa Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter Badum, weiterer Abgeordneter und der Frak- und der Fraktion der FDP tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Kriminalisierung von Spielzeugen Ressourcen schonen, Vernichtung von nach dem Waffenrechtsänderungsgesetz (B) Waren stoppen (D) Drucksache 19/17518 Drucksache 19/16411 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. h. c. , Katja Suding, k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), wei- Katja Keul, Luise Amtsberg, Canan Bayram, terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Echte Wissenschaftskommunikation – Glaubwürdig und beteiligungsstark Anwaltliches Berufsrecht zukunftsfest machen Drucksache 19/17517 Drucksache 19/16884 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss Digitale Agenda Gyde Jensen, Frank Sitta, Grigorios e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), Katja Fraktion der FDP Suding, Mario Brandenburg (Südpfalz), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Chancen der Digitalisierung nutzen – Pa- pierverbrauch reduzieren und die Umwelt Europäische Bildungsmobilität stärken – schonen Erasmus ausbauen und Großbritannien als Programmland halten Drucksache 19/17448 Drucksache 19/17516 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Ausschuss für Inneres und Heimat zung (f) 18614 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- (C) Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss lung auf Drucksache 19/17568, den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/13520 abzulehnen. Wer f) Beratung des Antrags der Abgeordneten stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Sabine Leidig, Ingrid Remmers, Dr. Gesine dagegen? – Dann stelle ich fest, dass diese Beschluss- Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der empfehlung gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit Fraktion DIE LINKE den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses ange- Elektrifizierungsprogramm für den Schie- nommen wurde. nenverkehr Tagesordnungspunkt 33 b: Drucksache 19/14376 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (6. Ausschuss) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver- Stefan Gelbhaar, Matthias Gastel, Stephan fassungsgericht 2 BvE 1/20 Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und Drucksache 19/17562 der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Ausschuss empfiehlt, in dem Streitverfahren eine Den MobilPass jetzt einführen – Für eine Stellungnahme abzugeben und den Präsidenten zu bitten, attraktive, ökologische, bezahlbare Mobi- eine Prozessbevollmächtigte oder einen Prozessbevoll- lität von morgen mächtigten zu bestellen. Wer stimmt für diese Beschluss- Drucksache 19/14387 empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist bei Enthaltung der AfD-Fraktion diese Be- Überweisungsvorschlag: schlussempfehlung mit den übrigen Stimmen der Fraktio- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz nen des Hauses angenommen. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss Digitale Agenda Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti- tionsausschusses, Tagesordnungspunkte 33 c bis 33 p. h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Tagesordnungspunkt 33 c: Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- (B) tionsausschusses (2. Ausschuss) (D) Gebührenverordnung zum Bundespolizei- Sammelübersicht 483 zu Petitionen gesetz darf Grundrechtsgebrauch nicht beeinträchtigen Drucksache 19/17140 Drucksache 19/17540 Das sind 66 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann stelle ich Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat fest, dass bei Enthaltung der Fraktion Die Linke diese Sammelübersicht mit den übrigen Stimmen der Fraktio- Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten nen des Hauses angenommen ist. Verfahren ohne Debatte. Tagesordnungspunkt 33 d: Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- überweisen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – tionsausschusses (2. Ausschuss) Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschla- Sammelübersicht 484 zu Petitionen gen. Drucksache 19/17141 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 p auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu Das sind 38 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer denen keine Aussprache vorgesehen ist. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann stelle ich fest, dass bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Tagesordnungspunkt 33 a: übrigen Stimmen der Fraktionen des Hauses diese Sam- melübersicht angenommen ist. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Tagesordnungspunkt 33 e: (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sebastian Münzenmaier, Jürgen Pohl, Ulrike Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Schielke-Ziesing, weiterer Abgeordneter und tionsausschusses (2. Ausschuss) der Fraktion der AfD Sammelübersicht 485 zu Petitionen Arbeitsleben würdigen – Arbeitslosengeld I Drucksache 19/17142 gerecht gestalten Das sind 13 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer Drucksachen 19/13520, 19/17568 stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann stelle ich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18615

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) fest, dass gegen die Stimmen der AfD-Fraktion bei Ent- zung der Kostenerstattung durch die private Krankenver- (C) haltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der sicherung reagiert. Die Petentin legte einen ausführlich übrigen Fraktionen des Hauses diese Sammelübersicht begründeten Widerspruch ein, doch auch dem wurde angenommen ist. nicht stattgegeben. Tagesordnungspunkt 33 f: Daraufhin wandte sich die Petentin an die Bundesan- stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, aber auch sie sah Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- keine Veranlassung, zu handeln, und hat nur auf den tionsausschusses (2. Ausschuss) Rechtsweg verwiesen. Das würde natürlich bedeuten, Sammelübersicht 486 zu Petitionen dass die Petentin teure privatjuristische Wege gehen müsste. Dabei besteht die Gefahr, dass sie auf den Kosten Drucksache 19/17143 sitzen bleibt. Das sind 14 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer Der Petitionsausschuss hat den Einzelfall geprüft und stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann stelle ich festgestellt, dass zwar kein Fehlverhalten der Kranken- fest, dass gegen die Stimmen der AfD-Fraktion bei Ent- kasse vorliegt, aber die Eingabe dennoch Anlass gibt, die haltung der Fraktion Die Linke diese Sammelübersicht Petition der Bundesregierung und dem Bundesministe- mit den übrigen Stimmen der Fraktionen des Hauses an- rium für Gesundheit zur Erwägung zu überweisen, damit genommen ist. das Anliegen dort noch einmal überprüft und nach Mög- Tagesordnungspunkt 33 g: lichkeiten der Abhilfe im Sinne der Petentin gesucht wird; denn es kann doch nicht sein, dass medizinisch Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- notwendige ärztliche Behandlungsmethoden nach dem tionsausschusses (2. Ausschuss) neuesten Stand der Medizin wegen Unklarheiten bei der Kostenberechnung und -erstattung ausgeschlossen wer- Sammelübersicht 487 zu Petitionen den, wenn eine spürbare positive Einwirkung auf den Drucksache 19/17144 Krankheitsverlauf besteht. Das ist eine Petition. Bevor wir zur Abstimmung über In diesem Sinne bitte ich Sie im Namen des Petitions- diese Sammelübersicht kommen, erteile ich der Kollegin ausschusses um Zustimmung zu dem Votum des Peti- Kersten Steinke das Wort zur ergänzenden Berichterstat- tionsausschusses. tung. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- (B) ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (D) Kersten Steinke (DIE LINKE): GRÜNEN und des Abg. [CDU/ Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In CSU]) der Sammelübersicht 487 geht es um eine Petition, der der Petitionsausschuss am 12. Februar dieses Jahres mit den Stimmen aller Fraktionen zugestimmt hat und die der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Bundesregierung und dem Bundesministerium für Ge- Vielen Dank, Frau Kollegin Steinke. – Wir kommen sundheit zur Erwägung überwiesen werden soll. nun zur Abstimmung über die Sammelübersicht 487 auf Drucksache 19/17144. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt Mit der Petition beschwert sich die Petentin über ihre dagegen? – Niemand. Dann stelle ich fest, dass diese private Krankenversicherung aufgrund von Kürzungen Sammelübersicht einstimmig angenommen ist. der Kostenerstattung für die Operation des Grauen Stars. Es geht um Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Tagesordnungspunkt 33 h: durchgeführten Laserbehandlung und deren Berechen- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- barkeit nach der Gebührenordnung für Ärzte. Der Augen- tionsausschusses (2. Ausschuss) arzt hatte die Behandlung als weitere eigenständige Leis- tung nach einer Ziffer der Honorarordnung berechnet, die Sammelübersicht 488 zu Petitionen von der Krankenkasse dann aber nicht anerkannt wurde. Drucksache 19/17145 Der Versicherer zweifelt die Notwendigkeit des Laser- Das sind 11 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer einsatzes zwar nicht an, doch der Arzt hat mit einer fal- stimmt dagegen? – Dann stelle ich fest, dass diese Sam- schen Ziffernangabe abgerechnet. Somit hat sich der Ver- melübersicht gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke sicherer geweigert, die Kosten komplett zu erstatten. und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stim- Hiermit ist die Petentin natürlich nicht einverstanden; men der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen denn sie trifft ja auch keine Schuld. Es geht in dem Fall wurde. einzig und allein um die Beurteilung privatärztlicher Ho- norarfragen bzw. die gebührenrechtliche Beurteilung ei- Tagesordnungspunkt 33 i: ner durchgeführten Behandlung. Die Petentin ist vermut- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- lich nicht gut beraten gewesen, und die Klinik will tionsausschusses (2. Ausschuss) natürlich ihr Geld. Sammelübersicht 489 zu Petitionen So hat nicht nur die Petentin, sondern auch der Peti- tionsausschuss mit Unverständnis auf die drastische Kür- Drucksache 19/17146 18616 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Das ist eine Petition. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt Das sind neun Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer (C) dagegen? – Dann stelle ich fest, dass gegen die Stimmen stimmt dagegen? – Dann stelle ich fest, dass diese Petitio- der FDP-Fraktion mit den Stimmen der übrigen Fraktio- nen gegen die Stimmen der Fraktionen von AfD, Die nen des Hauses diese Sammelübersicht angenommen Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen wurde. der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen wurden. Tagesordnungspunkt 33 j: Tagesordnungspunkt 33 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 490 zu Petitionen Sammelübersicht 495 zu Petitionen Drucksache 19/17147 Drucksache 19/17152 Das ist eine Petition. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt Das ist eine Petition. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Dann stelle ich fest, dass diese Sammelüber- dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann stelle ich fest, sicht gegen die Stimmen der Fraktionen von FDP und dass diese Sammelübersicht gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übrigen AfD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen Fraktionen des Hauses angenommen ist. der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen wurde. Tagesordnungspunkt 33 k: Tagesordnungspunkt 33 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 491 zu Petitionen Sammelübersicht 496 zu Petitionen Drucksache 19/17148 Drucksache 19/17153 Das sind vier Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer Das sind sechs Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann stelle stimmt dagegen? – Dann stelle ich fest, dass diese Sam- ich fest, dass diese Sammelübersicht gegen die Stimmen melübersicht mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD der Fraktionen von FDP, Die Linke, Bündnis 90/Die Grü- gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses nen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen wurde. angenommen wurde. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: (B) Tagesordnungspunkt 33 l: (D) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten (2. Wahlgang) Sammelübersicht 492 zu Petitionen Drucksache 19/16801 Drucksache 19/17149 Die Fraktion der AfD schlägt auf Drucksache Das sind zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer 19/16801 den Abgeordneten Karsten Hilse vor. Die Wahl stimmt dagegen? – Dann stelle ich fest, dass gegen die erfolgt mit verdeckten Stimmkarten, also geheim. Ge- Stimmen der AfD-Fraktion diese Sammelübersicht mit wählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses ange- des Bundestages erhält. nommen wurde. (Zuruf von der CDU/CSU: Der hat sich gerade Tagesordnungspunkt 33 m: disqualifiziert!) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) – Keine Kommentare bitte dazu. Sammelübersicht 493 zu Petitionen Für diese Wahl benötigen Sie Ihren Wahlausweis in der Farbe Rot aus Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby. Die Drucksache 19/17150 für die Wahl eines Vizepräsidenten gültige Stimmkarte in der Farbe Rot und den amtlichen Wahlumschlag erhalten Das sind acht Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann stelle Ausgabetischen neben den Wahlkabinen. ich fest, dass diese Sammelübersicht gegen die Stimmen der Fraktionen von AfD und FDP mit den Stimmen der Die Wahl ist geheim; das heißt, Sie dürfen Ihre Stimm- übrigen Fraktionen des Hauses angenommen wurde. karte nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Um- Tagesordnungspunkt 33 n: schlag legen. Ich weise explizit darauf hin, dass das Foto- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- grafieren oder Filmen der ausgefüllten Stimmkarte ein tionsausschusses (2. Ausschuss) Verstoß gegen das Wahlgeheimnis darstellt und die Ord- Sammelübersicht 494 zu Petitionen nung und Würde des Hauses verletzt. Für den Fall, dass ich von solchen Verstößen gegen das Wahlgeheimnis in Drucksache 19/17151 dieser Sitzung oder später Kenntnis erlange, behalte ich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18617

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) mir schon jetzt vor, Ordnungsmaßnahmen zu ergreifen. b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD (C) Ich erkläre, die Ordnungsmaßnahme wird ein Ordnungs- geld sein. Wahl von Mitgliedern des Sondergre- miums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie- Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind ver- rungsmechanismusgesetzes pflichtet, alle, die ihre Stimmkarte außerhalb der Wahl- kabine kennzeichnen oder in den Umschlag legen, zu- Drucksache 19/16804 rückzuweisen. Die Stimmabgabe kann in diesem Fall Wir kommen zur geheimen Wahl von Mitgliedern des jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. Gültig sind Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungs- nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei entweder „ja“, mechanismusgesetzes. Gewählt ist jeweils, wer die Stim- „nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig sind Stimmkarten men der Mehrheit der Mitglieder des Hauses auf sich auf nichtamtlichen Stimmkarten sowie Stimmkarten, die vereint, das heißt, wer mindestens 355 Stimmen erhält. mehr als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namen oder Dies gilt auch für die beiden später folgenden Wahlen mit Zusätze enthalten. Also, bitte jeder nur ein Kreuz. Stimmkarten und Wahlausweisen. Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen, Wir wählen jetzt zwei ordentliche Mitglieder sowie ein müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer stellvertretendes Mitglied. Die Fraktion der CDU/CSU an der Wahlurne Ihren Wahlausweis in der Farbe Rot schlägt auf Drucksache 19/16864 den Abgeordneten übergeben. Die Abgabe des Wahlausweises dient als Florian Oßner als Mitglied vor. Auf Drucksache Nachweis für die Beteiligung an der Wahl. Kontrollieren 19/16804 schlägt die Fraktion der AfD als Mitglied den Sie bitte daher, ob Ihr Wahlausweis wirklich Ihren Na- Abgeordneten und als stellvertretendes men trägt. Es ist immer wieder wunderbar, dass man bei Mitglied die Abgeordnete Dr. Birgit Malsack- jeder Veranstaltung darauf hinweisen muss, weil es im- Winkemann vor. mer wieder Vorgänge gegeben hat, dass der Wahlausweis nicht den Namen trug. Bitte schauen Sie noch einmal Ich bitte um Aufmerksamkeit für ergänzende Hinweise drauf. Ich gehe davon aus, Sie kennen Ihren Namen. zum Wahlverfahren. – Herr Kollege Brinkhaus, ich bitte Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, wirklich um Aufmerksamkeit, weil sonst vieles die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Haben die schiefgehen kann. Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze einge- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Jawohl!) nommen? – Es ist ganz spannend, dass die Koalitions- fraktionen trotz ihrer Masse an Mitgliedern offensichtlich Für die Wahl, die jetzt folgt, benötigen Sie Ihren Wahl- nicht in der Lage sind, die entsprechenden Schriftführer ausweis in der Farbe Blau. Weiterhin benötigen Sie eine Stimmkarte in der Farbe Blau sowie einen Wahlum- (B) zu stellen. – Sind jetzt alle Plätze eingenommen? – Das ist (D) der Fall. schlag. Diese Unterlagen erhalten Sie von den Schriftfüh- Ich eröffne die Wahl eines Stellvertreters des Präsiden- rerinnen und Schriftführern an den Ausgabetischen vor ten und bitte, zu den Ausgabetischen zu gehen. Bitte den- den Wahlkabinen. Zeigen Sie dort bitte Ihren blauen ken Sie daran, ausschließlich die Stimmkarte in der Farbe Wahlausweis vor. Sie können bei allen drei Kandidaten Rot in den Umschlag zu legen. entweder „ja“, „nein“ oder „enthalte mich“ ankreuzen. Ich frage das erste Mal: Haben alle Mitglieder des Die Wahl ist geheim. Das heißt, Sie dürfen Ihre Stimm- Hauses, auch die Schriftführerinnen und Schriftführer, karte nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die ihre Stimmkarte abgegeben? – Ich frage noch einmal: Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Um- Ist ein Kollege oder eine Kollegin im Haus, einschließ- schlag legen. Ich weise noch einmal explizit darauf hin, lich der Schriftführerinnen und Schriftführer, der oder die dass das Fotografieren oder Filmen der ausgefüllten die Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist erkenn- Stimmkarte einen Verstoß gegen das Wahlgeheimnis dar- bar nicht der Fall. Dann schließe ich die Wahl. Das Er- stellt und die Ordnung und Würde des Hauses verletzt. gebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Für den Fall, dass ich von solchen Verstößen gegen das Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 i – Wah- Wahlgeheimnis in dieser Sitzung oder später Kenntnis len zu Gremien – auf. Wir kommen zunächst zu drei erlange, behalte ich mir schon jetzt vor, Ordnungsmaß- Wahlen zu Gremien, davon eine geheime Wahl, jeweils nahmen zu ergreifen. Das wird ein Ordnungsgeld sein. mit Stimmkarten und Wahlausweisen. Danach folgen vier Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, Wahlen mittels Handzeichen. Sie benötigen drei Wahl- die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist erfolgt. ausweise in den Farben Blau, Grün und Gelb. Die Wahlen Dann eröffne ich die erste Wahl, Farbe Blau, Sondergre- werden einzeln aufgerufen und durchgeführt. mium. Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b: a) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht Wahl eines Mitglieds des Sondergremiums abgestimmt haben, sich in die beiden Schlangen einzu- gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsme- reihen, damit wir möglichst schnell zum Ende kommen. chanismusgesetzes Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte noch einmal Drucksache 19/16864 diejenigen, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben, das zu tun. – Ich gehe davon aus, wir gehen davon aus, 1) Ergebnis Seite 18634 D dass alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abge- 18618 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) geben haben. – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Für die nun folgende Wahl brauchen Sie die gelbe (C) Wahl. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt Stimmkarte und Ihren gelben Wahlausweis. Auf Druck- gegeben.1) sache 19/16802 schlägt die Fraktion der AfD den Abge- ordneten Marcus Bühl vor. Auch diese Wahl findet offen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zu den statt. Die Stimmkarte können Sie also an Ihrem Platz Tagesordnungspunkten 13 c und 13 d: ankreuzen. Bitte geben Sie an der Urne zuerst Ihren ge- c) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU lben Wahlausweis ab, bevor Sie Ihre gelbe Stimmkarte einwerfen. Wahl eines Mitglieds des Gremiums ge- mäß § 3 des Bundesschuldenwesengeset- Ich bitte, uns ein Zeichen zu geben, ob die Plätze an zes den Urnen besetzt sind. – Alles klar. Dann eröffne ich die dritte Wahl, Farbe Gelb, Vertrauensgremium. Drucksache 19/16863 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, nicht d) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD fluchtartig den Raum zu verlassen; denn es stehen noch Wahl von Mitgliedern des Gremiums ge- vier weitere wichtige Wahlen an. Die Wahlen sind mit mäß § 3 des Bundesschuldenwesengeset- dieser offenen Stimmabgabe nicht beendet, sondern wir zes haben noch vier weitere Wahlen vor uns, die wichtig sind. Drucksache 19/16803 Darf ich fragen: Gibt es noch Kolleginnen oder Kol- legen, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? – Für die Wahl der Mitglieder benötigen Sie nun eine Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich jetzt die Wahl. grüne Stimmkarte und Ihren grünen Wahlausweis. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Die Fraktion der CDU/CSU schlägt auf Drucksache 3) 19/16863 den Abgeordneten Florian Oßner vor. Auf Ihnen später bekannt gegeben. Drucksache 19/16803 schlägt die Fraktion der AfD die Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, und zwar alle. – Bitte Abgeordneten Albrecht Glaser und Volker Münz vor. nehmen Sie Platz; denn sonst ist es für uns sehr schwierig, Falls es Sie interessiert, erkläre ich es Ihnen: Sie kön- zu sehen, wie abgestimmt worden ist. nen bei allen drei Kandidaten entweder „ja“, „nein“ oder Tagesordnungspunkt 13 f: „enthalte mich“ ankreuzen. Diese Wahl findet offen statt; das heißt, es kann am Platz gewählt werden. Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (B) Denken Sie bitte an die Abgabe Ihres grünen Wahl- (D) ausweises vor dem Einwurf der grünen Stimmkarte. Wahl vom Deutschen Bundestag zu benennender Mitglieder des Kuratoriums des Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Deutschen Instituts für Menschenrechte ge- vorgesehenen Plätze einzunehmen und uns ein Zeichen mäß § 6 Absatz 2 Nummer 4 und 5 des Ge- zu geben, ob die Plätze eingenommen sind. – Ich kann die setzes über die Rechtsstellung und Aufgaben Wahl nicht eröffnen, wenn die eingeteilten Schriftführer- des Deutschen Instituts für Menschenrechte innen und Schriftführer nicht die ihrer Funktion ent- (DIMRG) sprechenden Plätze einnehmen. – Ist jetzt alles klar? – Gut. Die Plätze sind besetzt. Dann eröffne ich die zweite Drucksache 19/17116 Wahl, Farbe Grün, Bundesschuldenwesengesetz. Es liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/ Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht die gelbe CSU und SPD auf Drucksache 19/17116 vor. Wer stimmt Stimmkarte; wir sind bei grün. Worauf ich alles aufpassen für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer muss! enthält sich? – Damit ist dieser Wahlvorschlag von allen Fraktionen einstimmig angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie Ihre Wahl mit der grünen Stimmkarte beendet? – Gut. Ich gehe Tagesordnungspunkt 13 g: davon aus, dass dem so ist. Dann schließe ich die Wahl. Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Auch hier wird Ihnen das Ergebnis später bekannt ge- geben.2) Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 13 e – das Europas“ ist die zweite offene Wahl –: Drucksache 19/16805 e) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgre- auf Drucksache 19/16805 vor. Wer stimmt für diesen miums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundes- Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält haushaltsordnung sich? – Der Wahlvorschlag ist abgelehnt. Zugestimmt Drucksache 19/16802 hat die Fraktion der AfD. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der Linken, der SPD, des Bündnisses 90/Die

1) Ergebnis Seite 18634 D 2) Ergebnis Seite 18635 A 3) Ergebnis Seite 18635 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18619

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Grünen und der FDP sowie der große Teil der CDU/CSU. Jahren in Syrien unter Einsatz von Leib und Leben Men- (C) Es gab einige Enthaltungen von der CDU/CSU-Fraktion. schen retten, verdienen unsere Hochachtung und unsere Unterstützung, aber natürlich auch unsere politischen Tagesordnungspunkt 13 h: Antworten auf das, was sie zum Schutze ihrer Mitbürge- Wahlvorschlag der Fraktion der AfD rinnen und Mitbürger in ihrem Heimatland leisten. Herz- lichen Dank für die Gelegenheit dieses Austausches! Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Drucksache 19/16806 ordneten der FDP) Wir kommen zum Wahlvorschlag der Fraktion der Was geschieht, ist, dass das Assad-Regime versucht, AfD auf Drucksache 19/16806. Wer stimmt für diesen durchzusetzen, was der Diktator angekündigt hat, näm- Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält lich die komplette Rückeroberung Syriens, und das ge- sich? – Der Wahlvorschlag ist abgelehnt. Zugestimmt schieht mit russischer Hilfe, mit russischer Unterstützung hat die Fraktion der AfD. Dagegengestimmt haben die und mittlerweile in einer Konfrontation mit der Türkei. Fraktionen der FDP, des Bündnisses 90/Die Grünen, der Das Regime allein könnte all das, was es militärisch in SPD und der Linken. Die große Mehrheit der CDU/CSU der Vergangenheit geleistet hat, ohne iranische Unterstüt- hat dagegengestimmt. Es gab einige wenige Enthaltun- zung und insbesondere ohne die Unterstützung Russlands gen bei der CDU/CSU. in dieser Region nicht leisten. Tagesordnungspunkt 13 i: Was wir jetzt in Idlib erleben, zeigt, dass Putin der Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Türkei, aber auch der Welt bewiesen hat, dass seine Ab- kommen wie die von Sotschi oder Astana nur dann etwas Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der wert sind, wenn sie Russland etwas nützen. Ich glaube, Stiftung „Deutsches Historisches Museum“ das ist eine der ersten Lehren, die wir ziehen müssen. Das Drucksache 19/16807 verlangt von uns, das verlangt von Europa eine geschlos- sene Reaktion, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir kommen zum Wahlvorschlag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/16807. Wer stimmt für diesen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Zuruf von der AfD) sich? – Der Wahlvorschlag ist abgelehnt. Zugestimmt – Wenn das Ihre einzige Einlassung dazu ist – wo sich hat die Fraktion der AfD. Gegen den Vorschlag waren Vertreterinnen und Vertreter Ihrer Fraktion mit diesem (B) die Fraktionen der FDP, Bündnis 90/Die Grünen, der schrecklichen, menschenverachtenden Regime noch tref- (D) SPD und der Linken. Die übergroße Mehrheit der Frak- fen –, ist das sehr bezeichnend – Vertreterinnen und Ver- tion der CDU/CSU hat ebenfalls diesen Wahlvorschlag treter der AfD-Fraktion hier. abgelehnt. Es gab etwa vier Enthaltungen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 5 auf: und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aktuelle Stunde Hier wird ein Krieg gegen das eigene Volk geführt, auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und ohne jede Rücksichtnahme, in einer Brutalität, wie wir SPD es nie erlebt haben, Die Eskalation in Idlib und die Folgen für Eu- (Beatrix von Storch [AfD]: Beantworten Sie ropa doch mal die Frage, was die Türken da ma- chen!) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu neh- men, bevor ich dem ersten Redner das Wort erteile. unter Verletzung der grundlegenden Vorschriften des Kriegsvölkerrechtes. Das ist eine humanitäre Katastro- Der erste Redner in der Aktuellen Stunde ist Dr. Johann phe; es ist aber auch eine zivilisatorische Katastrophe. Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion. Und da noch danebenzustehen: Da sollte man sich schämen! Dem muss man entgegentreten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben in der Tat eine Eskalation Man muss aber auch in der Situation klar sagen: Was militärischer Gewalt in Idlib, und das ist im Grunde eine können wir machen? Was sollten wir machen? Wozu sind verharmlosende Umschreibung dessen, was geschieht. Es wir in der Lage? Wo wären wir überfordert? Ich will an ist eine humanitäre Katastrophe. dieser Stelle offen sagen, dass es natürlich wünschens- wert wäre, eine „no-fly zone“, eine Flugverbotszone, zu Der Kollege Omid Nouripour hat dankenswerterweise errichten. Ich will aber auch sagen: Wir müssen sehen, einigen Kolleginnen und Kollegen die Gelegenheit ge- was wir leisten können und wozu wir auch rechtlich in geben, vor dieser Sitzung mit Vertretern der Weißhelme der Lage sind. Wir sollten uns an das Völkerrecht halten; zu sprechen; das war beeindruckend. Ich möchte an der das ist für uns immer die Maßgabe. Das heißt, ohne ein Stelle sagen: Die Frauen und Männer, die seit vielen UN-Mandat wird es dort keinen militärischen Einsatz 18620 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Johann David Wadephul (A) geben können. Ich bin deswegen etwas irritiert, dass Herr (Beifall bei der AfD – Dr. Lars Castellucci (C) Borrell so etwas ins Spiel gebracht hat. Man muss natür- [SPD]: Es bleibt einem auch nichts erspart!) lich auch wissen, dass dies eine unmittelbare militärische Konfrontation mit Russland wäre. Das ist eine Geschich- Dr. Alexander Gauland (AfD): te, die man sich sehr überlegen muss. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist wohl Demokraten! wahr!) (Heiterkeit bei der AfD) Aber die Europäische Union muss hier geschlossen Wir schauen dieser Tage einer Politik beim Scheitern zu, reagieren. Europa muss Russland sagen, dass wir eine der nicht wenige genau dieses Scheitern prophezeit ha- zweite schwere, tiefgreifende Verletzung des Völker- ben, und das waren nicht nur wir. rechts (Beifall bei der AfD) (Beatrix von Storch [AfD]: Durch die Türken!) Wenn man ein Gebäude auf ein poröses Fundament nach der Krim-Annexion und nach der andauernden Tä- setzt, ist der gesamte Bau nichts wert. Ein solches poröses tigkeit in der Ostukraine nicht hinnehmen. Deswegen ist Fundament ist der sogenannte Flüchtlingsdeal der Bun- Russland hier in der Verantwortung. deskanzlerin mit Herrn Erdogan. Wir haben von Anfang (Beatrix von Storch [AfD]: Sagen Sie doch mal an gesagt, dass die Bundesrepublik sich mit diesem Han- was zur Türkei!) del erpressbar macht, und nun ist es so weit. Allmählich dürfte auch der Letzte begriffen haben, dass der türkische Wir schauen hin, Herr Putin, wie Sie sich verhalten, ob Präsident eben kein seriöser Partner ist. Sie Kriegslogik über die Logik der Humanität setzen. Herr Putin, darauf wird Europa achten, und das wird für (Beifall bei der AfD) uns Maßstab des Umgangs mit Ihnen auch in der Zukunft Die Türkei führt in Syrien einen völkerrechtswidrigen sein. Angriffskrieg. Der Bundesaußenminister hat im Oktober (Beifall bei der CDU/CSU) die türkische Offensive verurteilt. Am 28. Februar aber verurteilte Herr Maas die – Zitat – „fortgesetzten An- Wir müssen der Türkei klar sagen, dass sie am Schei- griffe des syrischen Regimes“ und sprach der Türkei sein deweg steht, was die Aktivitäten der türkischen Armee Mitgefühl aus. Ja, der Staat des Herrn Assad ist ein Re- auf syrischem Gebiet angeht. Das haben wir mehrfach gime. Aber ein Land aufzufordern, es möge damit auf- gesagt. In der Tat – auch hat das immer hören, sein eigenes Territorium zu verteidigen, das ist (B) (D) gesagt, sich aber in seiner Fraktion nicht durchsetzen grotesk. Die Provinz Idlib ist syrisches Staatsgebiet, nicht können –: türkisches. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ja ganz (Beifall bei der AfD – Dr. Johann David was Neues!) Wadephul [CDU/CSU]: Aber das ist gegen Für uns ist klar: Es gibt keine zwei Maßstäbe. Es ist nicht die eigenen Bürger und nicht gegen eine frem- völkerrechtlich legitimiert, was die Türkei dort macht. de Macht!) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Mit seinem Tweet gestand der Bundesaußenminister der Türkei en passant das Recht zu, mit ihren Truppen in Deswegen fordern wir die Türkei auf: Halten Sie das Syrien zu stehen. Ähnlich äußerte sich auch Regierungs- Völkerrecht ein, und achten Sie darauf, Herr Erdogan, sprecher Steffen Seibert. Und als Krönung spricht der wer Ihre wahren Partner der Zukunft sind. Das kann nur Außenminister einem Aggressor sein Mitgefühl aus. Die- Europa, das kann nur der Westen sein. Jetzt nach Russ- se Anbiederei zeigt, wie erpressbar wir durch den Flücht- land zu fahren und in dieser Stunde zu sagen, wie ich es lingsdeal geworden sind. im Ticker gelesen habe: „Die türkisch-russischen Bezie- hungen sind auf einem Höhepunkt und sollten sich ver- (Beifall bei der AfD – bessern“, das ist ein Kotau des türkischen Präsidenten. [SPD]: Was für ein Unfug!) Wir bieten der Türkei eine Partnerschaft an. Wir hel- – Wenn es Unfug ist, können Sie ja reden. fen, weil sie viele Flüchtlinge aufnimmt, aber das nur auf einer klaren Wertebasis, und die muss auch die Türkei Herr Erdogan hat jetzt noch die Stirn, die NATO um wieder einhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Unterstützung bei seinem Syrien-Abenteuer zu bitten. ist die Grundlage dafür, dass wir hier zu einer Einigung Das würde bedeuten, die NATO in einen Krieg mit Russ- kommen. land zu ziehen. Der EU-Chefdiplomat Herr Borrell warnt vor dem – Zitat – „Risiko, in einen offenen großen mili- Herzlichen Dank. tärischen Konflikt zu rutschen“. Gottlob werden die Amerikaner bei diesem Unsinn nicht mitspielen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die scheidende CDU-Vorsitzende und ein Kandidat für Vielen Dank, Dr. Wadephul. – Nächster Redner: für die die Nachfolge, Herr Röttgen, fordern wegen Putins Un- AfD-Fraktion Dr. Alexander Gauland. terstützung von Assad weitere Sanktionen gegen Russ- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18621

Dr. Alexander Gauland (A) land. Warum eigentlich, Herr Röttgen, nicht gegen die (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald (C) Türkei? [DIE LINKE]: Die Zahlen kennt er auch noch nicht mal! Er hat die doppelt Gezählten einfach (Beifall bei der AfD) mitgerechnet! Unseriös!) Russland wurde wegen der Annexion der Krim sanktio- niert; aber die Türkei wird von der Bundesregierung nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: einmal aufgefordert, sich aus Syrien zurückzuziehen. Er- Danke schön. – Nächster Redner: für die Bundesregie- dogans Drohung mit einer Migrantenwelle wirkt also. rung Staatsminister Niels Annen. Vielleicht nimmt sich die Bundesregierung mal ein (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Beispiel am österreichischen Bundeskanzler. Beyer [CDU/CSU]) (Lachen des Abg. Christoph Matschie [SPD]) Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Sebastian Kurz hat Griechenland Unterstützung bei der Sicherung der EU-Außengrenzen angeboten. Die Krise, Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten so Kurz, sei durch Erdogan bewusst ausgelöst worden, Damen und Herren! Es ist schon bezeichnend, Herr der Zehntausende Menschen in Bussen und unter fal- Gauland, worüber Sie nicht geredet haben. Wir reden in schen Versprechungen an die Grenze transportiert habe. dieser Aktuellen Stunde über Idlib, und deswegen lohnt Kurz sprach von einem „organisierten Ansturm“ und es sich vielleicht, einmal den Blick auf Idlib zu richten. nannte das Verhalten der türkischen Seite einen Angriff (Zuruf von der AfD: Sie haben nicht zugehört!) auf die EU. Der türkische Präsident missbrauche die Mi- granten als Waffe und als Druckmittel. Dieses Vorgehen Das Assad-Regime hat seit Beginn des Krieges mit verurteile er aufs Schärfste. Warum eigentlich dagegen Unterstützung seiner Verbündeten, iranisch unterstützter keine Sanktionen? Milizen, aber vor allem der Russischen Föderation, ein Muster entwickelt: Es wurden die Gebiete, die von der Bei den Migranten handelt es sich übrigens nur in Aus- Opposition kontrolliert wurden, von der Außenwelt ab- nahmefällen um Syrer, die aus dem umkämpften Idlib geschnitten, eingeschlossen, ausgehungert und die zivile geflohen sind, und auch sehr selten um Frauen und Kin- Infrastruktur systematisch bombardiert, inklusive Kran- der, kenhäuser und ziviler Helfer. Nach mehreren Monaten hat man den geplagten Menschen in diesen Gegenden (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: dann ein sogenanntes Angebot gemacht: Sie konnten sich Quatsch!) (B) ergeben, sie hatten die Möglichkeit, weiterzukämpfen (D) auch wenn manche Medien etwas anderes suggerieren, und getötet zu werden, oder sie konnten abziehen. Darü- wie im Jahr 2015. Wirkliche humanitäre Hilfe muss di- ber ist dann verhandelt worden. Abgezogen wurde in rekt in die umkämpfte Region gehen. andere Gebiete, die noch von der Opposition kontrolliert wurden, meistens aber nach Idlib. Die Bundeskanzlerin hat gesagt – und wir hören es von der CDU ununterbrochen –, 2015 dürfe sich nicht wieder- Neun Jahre geht das jetzt schon so. Dieser Krieg mit holen. Aber ich fürchte, es fehlt der politische Wille dazu. seinen furchtbaren Verwerfungen, mit seinen furchtbaren Wenn sich 2015 nicht wiederholen soll, gibt es nur einen Entwicklungen ist jetzt auch in Idlib angekommen. Aber Weg: Wir müssen endlich unsere Grenzen gegen illegale diese Logik, diese zynische Logik des Assad-Regimes Migration schützen. kommt an ein Ende; denn für Idlib, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es kein Idlib. (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Die Vereinten Nationen sehen in Idlib die größte hu- manitäre Katastrophe seit Ausbruch des Syrien-Krieges. Und wenn die europäischen Außengrenzen nicht zu Fast 1 Million Menschen befinden sich auf der Flucht, schützen sind, dann müssen wir die deutschen Grenzen und für sie gibt es im Moment keinen anderen Weg, als schützen. innerhalb der Enklave selber Schutz zu suchen. 80 Pro- (Beifall bei der AfD) zent davon sind Kinder und Frauen. Sie harren bei Win- tertemperaturen aus, teils unter freiem Himmel. Humani- Die Bundeskanzlerin hat im September 2002 im Bun- täre Helfer sind überlastet, und sie sind – ich habe das destag gesagt, bei der Einwanderung sei das „Maß des eben dargestellt – auch selber Ziel der Angriffe des Regi- Zumutbaren überschritten“. Bevor wir neue Zuwande- mes und der Verbündeten. rung haben, „müssen wir erst einmal die Integration … verbessern“ – Zitat unserer Bundeskanzlerin. Das ist Die Eskalation der vergangenen Tage hat dabei aus exakt die Position der AfD. meiner Sicht zweierlei verdeutlicht: Sowohl Russland als auch die Türkei sind bereit, ein hohes Risiko auch (Lachen bei der SPD) direkter russisch-türkischer militärischer Konfrontation Nun, mehr als 2 Millionen Migranten später, sollte die einzugehen. Das ist ein großes Risiko für die gesamte Bundeskanzlerin ihren Worten endlich Taten folgen las- Region. Wir sehen aber auch, meine sehr verehrten Da- sen. men und Herren, dass Russland und die Türkei bereit sind, nach Möglichkeiten zu suchen, politische Abspra- Ich bedanke mich. chen zu treffen, zur Deeskalation zu kommen. 18622 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Staatsminister Niels Annen (A) Ich sage das zu einem Zeitpunkt, wo sich Präsident (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) Erdogan und Präsident Putin treffen und darüber mitei- der CDU/CSU und des Abg. Dr. Christoph nander reden, und ich hoffe für die betroffenen Men- Hoffmann [FDP]) schen, dass es zumindest zu einer belastbaren Vereinba- Angesichts der dramatischen Situation ist es natürlich rung über einen Waffenstillstand kommt. so, dass es jetzt vor allem um die Menschen geht, die vor (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ort betroffen sind. Deutschland und die Europäische der CDU/CSU) Union gehören zu den größten Gebern humanitärer Hilfe in Syrien. Allein für die gegenwärtige Krise in Idlib hat Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir be- die Bundesregierung seit Dezember bereits 53 Millionen nötigen dringend die Räume zur Versorgung der Binnen- Euro zur Verfügung gestellt. Das Auswärtige Amt kann vertriebenen. Wir brauchen diese Atempause für eine angesichts des rasant steigenden Bedarfs zusätzliche politische Lösung, aber vor allem, um den Zugang zu 100 Millionen Euro für humanitäre Soforthilfe in Idlib den betroffenen Menschen sicherzustellen. bereitstellen. Aber, meine Damen und Herren – ich sage das ganz bewusst hier in diesem Hause –, wir werden Da will ich auch mal etwas zum Verhalten der Russi- absehbar einen höheren Bedarf haben, und ich bitte Sie schen Föderation sagen. Die Vereinten Nationen haben sehr, uns dabei zu unterstützen, diese Hilfe auch in Zu- den Zugang zu syrischen Gebieten mit einer Resolution kunft weiter fortsetzen zu können. sichergestellt. Diese sogenannte Cross-Border-Vereinba- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rung ist in Teilen aufgekündigt worden, mit der Andro- der CDU/CSU und des Abg. Dr. Christoph hung eines Vetos. Ein wichtiger Grenzübergang steht den Hoffmann [FDP]) Vereinten Nationen nicht mehr zur Verfügung. Auch da- rüber müssen wir reden, und darüber verhandeln wir im Wir haben heute das informelle Treffen der Außen- Moment als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat. minister im Gymnich-Format und morgen einen Sonder- rat der Außenminister. Es wird also auch eine Möglich- Wir werden daher, meine sehr verehrten Damen und keit geben, in Zagreb darüber zu sprechen, was jetzt Herren, den Druck im UN-Sicherheitsrat aufrechterhal- eigentlich die europäische Antwort, was der europäische ten. Außenminister Maas hat sich vergangene Woche mit Beitrag sein kann. Aber leicht, meine sehr verehrten Da- sehr klaren Worten im Sicherheitsrat in New York für ein men und Herren, wird das nicht; denn zwischen der EU sofortiges Ende der Kampfhandlungen eingesetzt und die und der Türkei ist viel Vertrauen verloren gegangen. Verletzungen des humanitären Völkerrechts scharf verur- Wenn wir als EU aber handlungsfähig bleiben wollen – teilt. der Kollege Wadephul hat zu Recht darauf hingewiesen –, (B) dann müssen wir über alle Differenzen hinweg zusam- (D) Weil häufig gesagt wird, wir hätten die Zeit nicht ge- men, auch mit der Türkei, eine gemeinsame Antwort nutzt, will ich hier die Gelegenheit nutzen, auch daran zu auf das unerträgliche menschliche Leid in Idlib finden. erinnern, dass wir einen Resolutionsentwurf zu Idlib vor der Eskalation der Krise eingebracht haben, der durch die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Androhung und Einlegung eines Vetos am Ende nicht die der CDU/CSU) nötige Mehrheit gefunden hat. Deswegen will ich es hier Das bedeutet aber nicht – lassen Sie mich auch das hier in aller Deutlichkeit sagen: Russland muss wissen, dass sehr klar sagen –, dass wir Differenzen verschweigen. die militärische Unterstützung des Assad-Regimes, dass Die Instrumentalisierung von Menschen, die sich seit die gezielte Bombardierung von Schulen und Kranken- Jahren, übrigens unterstützt durch Mittel der Europä- häusern inakzeptabel ist und auch einen hohen politi- ischen Union, regulär in der Türkei aufhalten, ist inak- schen Preis hat. zeptabel. Das haben wir der Türkei sehr deutlich ge- macht. Gerade weil wir in Deutschland so viele (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Flüchtlinge aufgenommen haben, wissen wir doch selber, CDU/CSU) welche Schwierigkeiten das mit sich gebracht hat – auch Und das Assad-Regime muss wissen, dass es an den Ver- welche Veränderungen im politischen Klima unseres handlungstisch zurückkehren muss, um den Konflikt po- Landes das mit sich gebracht hat. Und deswegen gibt es litisch zu lösen. wahrscheinlich kein Land, das so viel Verständnis für die schwierige Situation der Türkei aufbringt, wie Deutsch- Weil über vieles geredet wird, aber meiner Beobach- land. tung nach nicht mehr ausreichend über den politischen (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Zu viel!) Prozess, will ich auch sagen: Wir haben, den Sitz im Sicherheitsrat nutzend, aber auch mit unseren europä- Aber wir werden uns auch nicht erpressen lassen. ischen Verbündeten hart daran gearbeitet, dass es über- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der haupt so etwas wie eine politische Vereinbarung gibt, CDU/CSU) dass es das Verfassungskomitee in Genf gibt – ein mühsa- mer Prozess. Es droht ein Rückschlag. Deswegen hier Wir müssen vielmehr praktische Lösungen erreichen, auch meine Bitte an Sie: Unterstützen Sie uns weiterhin um die Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik zwi- bei den Bemühungen, dem Sondergesandten Pedersen die schen der EU und der Türkei fortzusetzen und zu ver- notwendige politische Unterstützung und die Ressourcen bessern. Aber dazu muss auch Ankara seinen Verpflich- zu geben, um diese Arbeit fortzusetzen. tungen gegenüber der EU nachkommen. Wir sind weiter Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18623

Staatsminister Niels Annen (A) bereit, unseren fairen Anteil am Lastenausgleich zu leis- unseren humanitären Werten, ja oder nein? – Unsere Ant- (C) ten. wort ist: Nein. Es gibt keinen Widerspruch zwischen Humanität und sicheren Grenzen. Entgegen manchen Behauptungen wird das Abkom- men mit der Türkei umgesetzt. Aber richtig ist auch: (Beifall bei der FDP) Wir werden in der Europäischen Union zur Fortsetzung zentraler Programme mehr Geld in die Hand nehmen Die Europäische Union – um mal auf das Thema Hu- müssen; denn von den zugesagten 6 Milliarden Euro sind manität zu kommen – ist der größte Geber für das Flücht- die meisten Mittel absehbar verbraucht. Für zentrale Pro- lingshilfswerk der Vereinten Nationen, das sich in Jorda- jekte brauchen wir dieses entsprechende Geld. nien, im Libanon, aber auch in der Türkei um die Geflüchteten aus Syrien kümmert. Die Europäische Diese Vereinbarung – das wissen wir alle – ist nicht Kommission hat gerade erklärt, es werde noch mal perfekt, aber sie hat sich bewährt – vor allem für die 170 Millionen Euro für das Flüchtlingshilfswerk geben. betroffenen Menschen in der Türkei. Wir sichern den Zu- Für das Welternährungsprogramm und für UNICEF ge- gang zu Schulen, zur Basisversorgung, und daran werden ben wir ebenfalls Geld. Wir sind als Europäer humanitär wir festhalten. Wir bitten dabei insbesondere den Deut- eine Supermacht. schen Bundestag um Unterstützung. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Markus Ich bedanke mich sehr für die Aufmerksamkeit. Grübel [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Trotzdem haben wir zusätzlich – und das haben wir als Freie Demokraten immer begrüßt -das Abkommen zwi- schen der Europäischen Union und der Türkei, weil die Vizepräsidentin Claudia Roth: Türkei mit 3,5 Millionen Geflüchteten im Land eine au- Vielen Dank, Niels Annen. – Nächster Redner: für die ßergewöhnliche Belastung trägt. Warum die Türkei das FDP-Fraktion Alexander Graf Lambsdorff. so kritisiert, ist ganz offensichtlich. Wir haben als Euro- (Beifall bei der FDP) päer gesagt: Wir wollen, dass diese Mittel den Geflüch- teten direkt zukommen und das Geld nicht in den türki- Alexander Graf Lambsdorff (FDP): schen Staatshaushalt geht. – Das nervt die Türkei, das nervt Herrn Cavusoglu, das nervt Herrn Erdogan. Das Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Unsere Aktuelle muss man aber wissen, wenn man darüber redet. Stunde hier ist überschrieben mit dem Titel „Die Eskala- tion in Idlib und die Folgen für Europa“. Ich finde, es ist (Beifall bei der FDP) wichtig, dass wir uns zunächst einmal klarmachen, was (B) für ein riesiger Abstand zwischen diesen beiden Gebieten Jetzt erklärt Herr Cavusoglu, der türkische Außenmi- (D) liegt. Idlib ist, an der türkisch-syrischen Grenze, 1 400 Ki- nister, Griechenland und die Europäische Union ließen lometer von der Provinz Edirne entfernt, und trotzdem die Migranten an der europäischen Grenze nicht hinein; haben die beiden miteinander zu tun. Deswegen debattie- das sei inhuman, das verstoße gegen europäische Werte, ren wir das hier. das verstoße auch gegen Völkerrecht. Idlib ist das letzte Gebiet in Syrien, das das Regime Meine Damen und Herren, jetzt gucken wir noch mal nicht kontrolliert, und wir sehen dort im Moment eine bitte auf die Situation in Idlib. Dort haben wir eine hu- türkisch-russische Konfrontation und Angriffe der syri- manitäre Katastrophe. Dort haben wir Menschen, die vor schen Truppen. Gleichzeitig, während wir hier debattie- Bomben, vor Luftangriffen flüchten. Dort haben wir eine ren, finden Gespräche in Moskau zwischen Präsident Pu- Situation, in der ein Staat nach der Genfer Flüchtlings- tin und Präsident Erdogan über eine Deeskalation statt. konvention eigentlich verpflichtet wäre, seine Grenzen Was uns als Freie Demokraten beunruhigt, ist, dass die zu öffnen. Das tut die Türkei aber nicht. Wir haben von beiden das ganz allein unter sich ausmachen. Es wäre der Türkei keine Lektionen erteilt zu bekommen, wenn es schön, wenn die Europäische Union, wenn Frau Merkel, um Humanität geht! wenn Herr Macron dabei sein könnten, wenn es nämlich (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten so wäre, dass wir zu einer Gesamtlösung kommen. Des- der CDU/CSU) wegen, glaube ich, wäre es gut, wir würden diese Kern- frage des Friedens in Syrien und der Folgen für Europa Was folgt daraus für uns als Europäer? Die Europä- auch mit Europa diskutieren. ische Union muss Griechenland dabei helfen, seine Gren- ze unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßig- (Beifall bei der FDP) keit zu sichern. Ich sage hier eines ganz deutlich: Die ins Die Folgen in Edirne, an der türkisch-griechischen Spiel gebrachte – mindestens subkutan, subtil – unkon- Grenze, sind Folgen, die die Türkei bewusst herbeige- trollierte Grenzöffnung wäre der falsche Weg, und zwar führt hat. Es hat eine Desinformationskampagne in der aus einem ganz einfachen Grund: Es gibt 3,5 Millionen Türkei gegeben, nach dem Motto, die Grenze nach Euro- Geflüchtete in der Türkei. Wenn wir jetzt, wie manche pa sei auf. Busse wurden bereitgestellt, 13 000 Menschen das hier vorschlagen, die Grenze einfach öffnen würden, wurden an die Grenze gekarrt. würde ein unglaublicher Druck auf diese Menschen in der Türkei ausgeübt werden, die Türkei sofort nach Norden Jetzt stellen sich dort viele Menschen die Frage: Ist hin zu verlassen, nach dem Motto „Jetzt könnt ihr doch das, was wir dort sehen, nämlich die Sicherung der Au- alle nach Deutschland“. Wir wären mit einer Vertreibung ßengrenzen der Europäischen Union, ein Widerspruch zu der Geflüchteten aus der Türkei konfrontiert. 18624 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Alexander Graf Lambsdorff (A) Wir haben in der Türkei inzwischen leider eine anti- (Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Ein Kriegsver- (C) syrische Stimmung. Deswegen wäre eine Grenzöffnung brecher!) nicht humanitär, sie wäre genau das Gegenteil. Das ist einfach unglaublich. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Das heißt nicht, dass wir Härtefälle von den griechi- Damit stellt sich die Bundesregierung ganz offen an schen Inseln, Härtefälle vom griechischen Festland nicht die Seite des Aggressors; denn in Idlib kämpfen keine in Europa verteilen sollten. Das heißt nicht, dass wir den edlen Rebellen, wie uns die Bundesregierung oft Griechen nicht durch zusätzliche Entscheider aus dem weismachen will. Dort herrscht der syrische Ableger BAMF, durch zusätzliche Truppen von Frontex helfen von al-Qaida. Hinzu kommen Zehntausende ausländische sollten. Nein, im Gegenteil: Praktische Hilfe für Grie- Dschihadisten sowie Kämpfer des sogenannten „Islami- chenland ist das, was jetzt gefordert ist. schen Staates“. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. der CDU/CSU) Martin Hebner [AfD]) Zum Syrien-Gipfel. Wir brauchen als erste Maßnahme Der Historiker Götz Aly hat es im Deutschlandfunk auf eine Waffenruhe für die Provinz Idlib, und wir brauchen den Punkt gebracht: „Idlib ist ein Terroristennest.“ Er danach den politischen Prozess, um Frieden in Syrien sagt: herzustellen. Man muss diesen Terroristen, die dort sitzen, das Letzter Punkt. Ich habe es gesagt: Das Abkommen mit Wasser abgraben. Man muss sie zwingen, dass sie der Türkei war sinnvoll und richtig. Wir brauchen aber ihre Waffen niederlegen. ein Update für dieses Abkommen, um klarzumachen, dass wir respektieren, dass die Türkei eine besondere Last Zitat von Götz Aly. trägt. (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Mit anderen Worten – Fazit –: Wir brauchen Frieden in Wollen Sie damit die russischen Militäraktio- Syrien, dafür den Gipfel, wir brauchen politische Hilfe, nen rechtfertigen, Frau Kollegin? Karten auf praktische Hilfe für Griechenland, und wir brauchen – so den Tisch!) schwierig das im Moment auch ist – vertrauensbildende Gespräche mit der Türkei. Die Bundesregierung stellt Russland als Aggressor (B) dar; das haben wir heute wieder gehört. Das ist wirklich (D) Herzlichen Dank. eine eklatante Verdrehung der Tatsachen; denn die russi- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sche Armee ist auf Bitten der syrischen Regierung in der CDU/CSU) Syrien. (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Al- Vizepräsidentin Claudia Roth: so, das ist ja eine Verdrehung! Unglaublich! Vielen Dank, Alexander Graf Lambsdorff. – Nächste Wer bombardiert denn da? – Jürgen Hardt Rednerin: für die Fraktion Die Linke Ulla Jelpke. [CDU/CSU]: Peinlich! – Frank Schwabe [SPD]: Sie bombardieren Krankenhäuser! – (Beifall bei der LINKEN) Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wissen Sie eigentlich, was Sie hier er- Ulla Jelpke (DIE LINKE): zählen?) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zweifel- los schreckliche Bilder erreichen uns aus Idlib; denn die Dagegen hat die türkische NATO-Armee in Syrien nichts syrisch-russischen Truppen nehmen bei ihrem Kampf ge- verloren. Ihr Einmarsch ist eindeutig völkerrechtswidrig. gen dschihadistische Terroristen leider ebenso wenig (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Hardt [CDU/ Rücksicht auf Zivilisten wie zuvor die USA in Mosul. CSU]: Das könnte von der AfD sein, was Sie Ich will hier für die Linke ganz deutlich sagen: Wir ver- hier vortragen! – Dr. Anton Hofreiter [BÜND- urteilen Luftangriffe auf Zivilisten ohne Wenn und Aber. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Bündnis zwischen der (Beifall bei der LINKEN) AfD und den Linken! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie müssen den ersten Satz der Hunderttausende sind vor den Kämpfen geflohen, Rede hören!) doch die Türkei lässt die Schutzsuchenden nicht über ihre befestigten Grenzen. Erdogan hat der syrischen Regie- Die Türkei hält ihre schützende Hand über al-Qaida. rung stattdessen den Krieg erklärt. Er lässt seine Truppen Sie hat deren Kampftruppen auch mit Panzern und Luft- in Syrien einmarschieren und beschießt syrische Flug- abwehrraketen ausgerüstet, und es gibt Dschihadisten in zeuge. Panzerwagen mit deutscher Aufschrift, die von der Bun- deswehr kommen und von deutschen Firmen produziert Doch die Bundesregierung sichert Erdogan, wie wir es wurden, auf Bildern zu sehen. auch gerade eben wieder gehört haben, Solidarität zu. Solidarität für einen völkerrechtswidrigen Krieg? (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: So ist es!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18625

Ulla Jelpke (A) Die Appeasement-Politik der Bundesregierung gegen- Ulla Jelpke (DIE LINKE): (C) über Erdogan trägt nicht nur zur Verlängerung des Krie- Ich komme zum Schluss. – Wenn Sie nicht erkannt ges und zur neuen Massenflucht bei. haben, dass das eine Erpressungspolitik von Erdogan ist, dann tut es mir wirklich leid, dann wollen Sie einfach (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Ist die Augen verschließen. ja unglaublich!) Sie gefährdet auch die Sicherheit in Deutschland und in (Beifall bei der LINKEN – [CDU/ Europa. Deswegen erwarten wir von der Bundesregie- CSU]: Mann, Mann, Mann! Ein Tiefpunkt der rung, dass sie endlich handelt und Erdogan in seine Debattenkultur!) Schranken weist. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN) Danke schön. – Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Meine Damen und Herren, mit der Öffnung der Grenze Grünen: Agnieszka Brugger. zur EU für Flüchtlinge will Erdogan die Zustimmung zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seinem Krieg erpressen. Doch was wir jetzt an der grie- chisch-türkischen Grenze erleben, ist nicht nur die Schuld von Erdogan. Es ist eine Folge des schändlichen EU- Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Türkei-Flüchtlingsdeals, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- ren! In Idlib erfrieren Babys im Bombenhagel. An Euro- (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Das pas Grenzen werden Kinder mit Tränengas beschossen. ist ja unglaublich! Jetzt ist die EU schuld, dass Menschen, die seit Jahren unter den Gräueltaten im Sy- Russland da die Menschen bombardiert!) rien-Krieg leiden, werden wieder einmal zum Spielball brutaler Machtpolitik. Assad-Truppen rücken mit russi- mit dem die Bundesregierung, aber auch die Regierungen scher Unterstützung weiter auf Idlib vor, sie bombardie- aller anderen EU-Staaten versuchen, Schutzsuchende von ren dabei Schulen und Kindergärten, sie zielen auf Kran- Europa fernzuhalten. kenhäuser, in denen Verletzte versorgt werden. Wer hier Schreckliche Bilder sehen wir in diesen Tagen auch an mit dem internationalen Recht und mit dem Völkerrecht der türkisch-griechischen Grenze. Dort schießen argumentiert, der sollte doch einmal zur Kenntnis neh- griechische Soldaten mit Tränengas und scharfer Muni- men, dass es auch ein humanitäres Völkerrecht gibt, das tion auf Schutzsuchende. ein Verhältnismäßigkeitsgebot enthält und es verbietet, zivile Einrichtungen und Kinder systematisch zu bombar- (B) (Zuruf von der LINKEN: Pfui!) dieren. (D) Es gibt mindestens einen Toten und viele Verletzte, vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, allen Dingen auch Frauen und Kinder. Tausende hängen bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie dort im Niemandsland zwischen Stacheldrahtbarrieren bei Abgeordneten der LINKEN) fest. Die griechische Regierung kündigt an, das Abschre- ckungsniveau – ich zitiere – „auf ein Maximum zu erhö- Dieser Terror muss endlich aufhören. Und wenn ein hen“, und sie will das Recht auf Asyl mindestens einen Präsident Putin weiterbombt, bei den Vereinten Nationen Monat aussetzen. Das ist ein eklatanter Bruch mit dem blockiert und keine Waffenruhe zulässt, dann müssen internationalen Recht, meine Damen und Herren. doch zumindest auch individuelle Sanktionen gegen die Kriegsverbrecher in Syrien auf den Tisch, (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch hier keine klaren Worte – im Gegenteil! Innenmi- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) nister Seehofer sagt: Erst Ordnung schaffen an den Gren- zen, dann Humanität. – Das sind wirklich die vielbe- dann müssen Konten eingefroren werden, Einreiseverbo- schworenen Werte der EU? te ausgesprochen werden. Wir können und dürfen diesen Verbrechen nicht tatenlos zuschauen. Ich schäme mich für diese Art von Politik – das muss ich wirklich sagen –; denn wir sagen genauso wie die Die Menschen in Idlib brauchen neben einer sofortigen Menschenrechtsorganisationen: Waffenruhe – das ist wirklich das Allerdringendste – vor allem Medizin, Nahrung und winterfeste Unterkünfte, (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Wir damit sie nicht verhungern oder erfrieren. Es braucht schämen uns für diese Rede! – Alexander Graf wirklich allen Einsatz der Europäischen Union und der Lambsdorff [FDP]: Sie sagen genauso wie die Bundesregierung, damit entsprechend den Beschlüssen AfD – Punkt, Punkt, Punkt!) des UN-Sicherheitsrates die humanitären Korridore wie- der geöffnet werden und die Menschen dort versorgt wer- Die Menschen, die dort festsitzen, müssen nach Europa den können. gelassen werden. Wir brauchen Aufnahmeprogramme und in erster Linie Solidarität mit den betroffenen Schutz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN suchenden. Denn Erdogan hat sie direkt dorthin gekarrt. sowie des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier vor Denken Sie bitte an die Redezeit. Monaten auch über das große Leid gesprochen, das in 18626 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Agnieszka Brugger (A) Nordsyrien durch die völkerrechtswidrige türkische Be- ber, wer kommt, und man schafft Fluchtwege ohne Le- (C) satzung noch größer wurde. Und jetzt nannte Außenmi- bensgefahr. Anders als hier gestern behauptet wurde, sind nister Maas die Türkei jüngst einen Partner. Das ist doch wir Grünen uns in Bund und Land – ob in Regierung oder ein Schlag ins Gesicht aller Menschen – insbesondere der Opposition – da sehr einig. Mein Ministerpräsident Win- Kurdinnen und Kurden –, die unter dieser schrecklichen fried Kretschmann hat sehr wohl ein Kontingent ange- Militäroffensive leiden oder vor ihr geflohen sind. Auch boten. Es ist diese Bundesregierung, die die Aufnahme das ist völlig unangebracht. von besonders Schutzbedürftigen bisher nicht möglich gemacht hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die brutale Geschichte des Wir Grüne stehen mit dieser Forderung weder auf na- jahrelangen Krieges in Syrien ist doch, dass viele Staaten tionaler noch auf internationaler Ebene allein. Heute Vor- mit eiskalten Machtinteressen eingegriffen haben. So gut mittag ist wieder behauptet worden, es gehe hier um wie niemand hatte dabei den Schutz der Zivilbevölkerung einen nationalen Alleingang. Nein, auch in Europa gibt oder eine friedliche Perspektive für das Land im Sinn. In es Staaten, die sich dazu bereit erklärt haben. Ich weiß diesem Konflikt gibt es mittlerweile keine guten Seiten von der kommunalen Ebene, von vielen Landesregierun- mehr. Da ist es doch nicht die Aufgabe der Europäischen gen aller Couleur, von vielen Kolleginnen und Kollegen Union, sich aus Angst vor innenpolitischen Attacken mit hier in diesem Haus – an ihren persönlichen Erklärungen einem EU-Türkei-Deal erpressbar zu machen. Es gibt kann man das sehen –, von der CDU/CSU, von der FDP, doch zwei Varianten, wie wir auf diese Situation reagie- von der Linkspartei, von der SPD, dass sie es eigentlich ren können – da haben wir die Wahl –: Die eine Variante auch für den richtigen Weg halten. Herr Lambsdorff, ich bedeutet, Hass zu schüren, Angst zu machen, sich abzu- traue Ihnen übrigens intellektuell zu, Grenzöffnung und schotten und die Rechte der Geflüchteten mit Füßen zu Kontingente auseinanderzuhalten. treten, Russland und Assad zu hofieren, wie es einige hier im Hause getan haben, oder mit Achselzucken auf den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bombenterror zu reagieren. Meine Damen und Herren, Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Kann ich die andere Variante ist eine der Menschlichkeit und der auch!) Vernunft. Sie haben hier unsere Vorschläge gestern abgelehnt. In der gestrigen Debatte zum Bundesamt für Auswär- Sie sind aber Teil der Koalition, Sie tragen die Bundes- tige Angelegenheiten hat die AfD die humanitäre Hilfe regierung. Ja, Sie müssen nicht unseren Anträgen zustim- attackiert. Man muss doch einmal festhalten: Wer bei der men; Sie können es auch einfach tun. Aber tun Sie es (B) humanitären Hilfe spart, der sorgt dafür, dass Essensra- auch endlich! (D) tionen gekürzt werden, Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: So ist es!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass der Zugang zu Gesundheit und Bildung fehlt, der macht die Not noch größer und sorgt nur für neuen Nähr- Vizepräsidentin Claudia Roth: boden für Konflikte und Radikalisierung in der Region. Vielen Dank, Agnieszka Brugger. – Nächster Redner: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die CDU/CSU-Fraktion Thorsten Frei. sowie bei Abgeordneten der FDP – Alexander (Beifall bei der CDU/CSU) Graf Lambsdorff [FDP]: Und Migration!) Dass diese reiche Welt fast zwei Billionen Dollar für Thorsten Frei (CDU/CSU): Waffen übrig hat, aber immer wieder bei der humanitären Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hilfe, gerade in den Krisenregionen, geizt, ist nicht nur Diese Debatte zeigt meines Erachtens sehr gut, dass es menschlich unerträglich, sondern auch sicherheitspoli- diese alte, klassische Trennung zwischen Außenpolitik tisch fahrlässig. Und ja, die Europäische Union und die und Innenpolitik nicht mehr gibt. Wir sehen, wie die Bundesregierung sind große Geldgeber in der Region bei Außenpolitik sich unmittelbar in deutscher und europä- der humanitären Hilfe. Dass Sie mit Blick auf Idlib und ischer Innenpolitik niederschlägt. Deshalb müssen wir die katastrophale Situation dort noch einmal nachlegen diese Aspekte letztlich zusammen denken. wollen, das halten wir für richtig, und das werden wir von grüner Seite natürlich unterstützen. Ich bin dankbar, dass bei uns der außenpolitische Teil durch Außenpolitiker dargestellt wird. Denn bei den Lin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ken konnte man sehr gut sehen, dass Sie, liebe Frau Meine Damen und Herren, die Variante der Mensch- Jelpke, in der außenpolitischen Bewertung so ziemlich lichkeit und Vernunft ist aber auch eine, bei der die Bun- alles durcheinandergebracht haben, was man in Bezug desregierung und die Europäische Union einen Teil der auf Syrien und Idlib durcheinanderbringen kann. Verantwortung tragen und sich nicht lange vor Problemen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wegdrehen und abschotten, bis die Lösungen nur noch schwieriger werden – mit Kontingenten für besonders Ich muss es einfach in dieser Deutlichkeit sagen: Wer Schutzbedürftige. So hilft man nicht nur denen, die es irgendeinen Zweifel an der Hufeisentheorie hatte, der am meisten brauchen, man hat auch eine Kontrolle darü- musste sich durch Sie bestätigt fühlen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18627

Thorsten Frei (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und seetauglichen Hubschrauber, mit Personal. Dass wir zu (C) der FDP) den 60 Bundespolizisten, die wir im Rahmen von Frontex Wenn ich die Augen zugehalten hätte, hätte ich nicht dort eingesetzt haben, 20 weitere zur Verfügung stellen, sagen können, ob diese Rede von der Linken oder von ist richtig. Ich bin dafür, dass wir alles tun, was die Grie- der AfD kommt. chen anfordern und was die Griechen für notwendig hal- ten, um diese Grenze zu schützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unverschämtheit!) Ich will an dieser Stelle sagen, dass der Preis hoch ist. Eine solche Rede hätte ich Ihnen, ehrlich gesagt, nicht Es geht um zwei Dinge. zugetraut. Insofern muss man in aller Deutlichkeit sagen: Erstens. Wenn es nicht gelingt, die europäischen Au- Eine richtige Einordnung ist die Grundlage dafür, dass ßengrenzen zu schützen, dann wird es nicht gelingen, den wir zu Lösungen kommen. Schengen-Raum, die Freizügigkeit in Europa dauerhaft Ein zweiter Punkt, den ich sagen möchte: zu sichern. Denn nicht nur Deutschland, sondern auch andere Staaten werden gezwungen sein, nationale Gren- (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Dann will ich zen engmaschig zu kontrollieren, und es wird zu Zurück- jetzt aber mal was deutlich zur Türkei hören!) weisungen kommen. Wer das verhindern will, muss alles Wir sind nicht erpressbar gegenüber der Türkei, sondern dafür tun, dass die europäischen Außengrenzen geschützt wir müssen schauen, wie wir zu vernünftigen Lösungen werden und die Griechen in ihrer Arbeit unterstützt wer- kommen. Es ist genügend Richtiges zur Einordnung der den. Türkei gesagt worden. Dass das EU-Türkei-Abkommen (Beifall der Abg. [CDU/ ein wichtiges Mittel ist, um Migrationsherausforderun- CSU]) gen zu bewältigen, ist einfach zutreffend. Wenn wir Schwierigkeiten dabei haben, dann bin ich dafür, dass Zweitens. Wir arbeiten daran, dass wir zu einem besse- wir dieses Abkommen revitalisieren, dass wir mit Erdo- ren Gemeinsamen Europäischen Asylsystem kommen. gan darüber sprechen, wie wir da zusammenkommen Wer glaubt denn im Ernst, dass wir mit europäischen können. Partnern darüber sprechen können, wie Migranten in Eu- ropa verteilt werden sollen, wenn wir nicht in der Lage Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten sind, die europäischen Außengrenzen zu schützen? Das vielleicht eines sehen: Wir haben die Punkte dieses Ab- eine ist Conditio sine qua non für das andere. Deswegen kommens bisher erfüllt. Von den 6 Milliarden Euro sind rate ich dringend dazu, alle Anstrengungen darauf zu (B) 3,2 Milliarden Euro ausbezahlt. 4,7 Milliarden Euro sind richten, dass dies gelingt. (D) vertraglich gebunden. 100 Prozent der 6 Milliarden Euro sind in Programmen gebunden. Und trotzdem: Wenn es Klar ist: Außen- und Innenpolitik sind zusammen zu darum geht, den Türken zu helfen, dass syrische Kriegs- denken. Deshalb ist auch klar: Hier kommt es auf Kom- flüchtlinge in der Türkei etwa im Bereich der Gesund- munikation an. – Das möchte ich zuletzt an die Adresse heitsversorgung, im Bereich der Bildung, im Bereich der der Grünen sagen: Passen Sie auf mit der Kommunika- Infrastruktur besser versorgt werden können, dann bin ich tion in die Region; denn sonst lösen Sie unter Umständen dafür, dass wir auch dafür das notwendige Geld zur Ver- etwas aus, was wir alle nicht wollen können. fügung stellen; denn dieses Geld ist dort besser einge- Herzlichen Dank. setzt, als wenn wir es bei uns oder andernorts einsetzen würden. Das ist wichtig zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir sind deshalb nicht erpressbar, weil es für uns ein Vielen Dank, Thorsten Frei. Teil der Lösung ist. Wir sehen doch an Nordafrika, wie schlimm es ist, wenn wir auf der anderen Seite der Euro- Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, gibt es päischen Union keine adäquaten Gesprächspartner ha- nach § 30 unserer Geschäftsordnung den Wunsch nach ben. Das, was wir mit der Türkei haben, bräuchten wir einer Erklärung zur Aussprache. Ich gebe Frau Jelpke das eigentlich rings um Europa herum. Das ist das Problem, Wort. das wir haben. Eines ist auch klar: Wenn wir solche Abkommen ha- Ulla Jelpke (DIE LINKE): ben, auch mit der Türkei, kann das am Ende nicht dazu Danke, Frau Präsidentin. – Ich möchte hier eines noch führen, dass wir glauben, dass der Schutz unserer Gren- einmal sehr deutlich machen, weil der Kollege Frei mich zen exportierbar ist. Natürlich ist in der jetzigen Situation gerade ziemlich scharf angegriffen hat: sicherzustellen, dass die europäischen Grenzen geschützt (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: werden. Deswegen müssen wir alles tun, damit die Grie- Wer in die Küche geht, muss auch Hitze ab- chen bei diesen Aufgaben unterstützt werden. Es ist eine können! – Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) griechische Grenze. Es ist eine europäische Grenze, und damit werden auch deutsche Grenzen geschützt. Deshalb Ich habe sehr deutlich gesagt, dass Angriffe auf die Zivil- sollten wir alles Notwendige tun, um die Griechen dabei bevölkerung aus der Luft oder sonst wie von uns aufs zu unterstützen: mit Geld, mit Material, wie etwa dem Schärfste verurteilt werden. 18628 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Ulla Jelpke (A) (Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/ dieser Diktator versteht, ist die Politik der Stärke, und (C) CSU]: Bei Ihnen sind doch russische Bomben das heißt Sanktion und nicht Subvention, wie gestern gute Bomben!) im Haushaltsausschuss noch einmal beschlossen. Herr Frei, ich möchte mich ausdrücklich scharf davon (Beifall bei der AfD) abgrenzen, dass Sie hier versuchen, AfD und Linke mal eben auf einer Ebene abzuhandeln. Nur ein Blinder konnte nicht sehen, was kommt. Schon während der Verhandlungen des Deals mit der Türkei (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – 2016 hat Erdogan gesagt – oder gedroht –: Wir können Beatrix von Storch [AfD]: Wir wollen das auch jederzeit die Türen nach Griechenland öffnen und die nicht! – Weitere Zurufe von der AfD) Flüchtlinge in Busse setzen. – Was er jetzt macht, hat er Ich habe mit einer Partei, in deren Reihen Abgeordnete damals schon angekündigt. Die politische Verantwortung sitzen, die das Schießen auf Flüchtlinge aktuell bejubeln für diese verheerende Lage trägt niemand anderes als oder auch selber schon gefordert haben, überhaupt nichts Frau Dr. . zu tun. (Beifall bei der AfD) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ihr merkt Merkel hat den deutschen Grenzschutz geopfert, um sich es nur nicht! Das ist euer Problem! – Dr. Marie- von der Presse als Mutter Teresa feiern zu lassen. Deshalb Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Was war hat sie den Grenzschutz in die schmutzigen Hände des denn in Berlin vor 30 Jahren an der Grenze? – Despoten vom Bosporus gegeben und damit eben auch Zurufe von der AfD) den Hebel in die Hand, Europa zu erpressen. Damit das ganz klar ist. (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Wer versucht, das auf einer Ebene abzuhandeln, der Kommen Sie mal zum Thema, Frau Kollegin! macht genau das, was die AfD gerne haben möchte, näm- Wir reden über Idlib!) lich eine rechte Politik und Verharmlosung dessen, was Der EU-Türkei-Deal ist Merkels Deal, und sein Scheitern die AfD hier immer wieder an Rassismus und Flücht- ist Merkels Scheitern. lingsfeindlichkeit vorträgt. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem Abkommen hat die Kanzlerin das Schicksal Europas und Deutschlands auf Gedeih und Verderb an die Launen eines Islamisten gekettet. Erdogan hat Zehntau- (B) Vizepräsidentin Claudia Roth: sende Oppositionelle eingekerkert. In Syrien kooperiert (D) Vielen Dank. – Dazu gibt es laut Geschäftsordnung er mit Dschihadisten. In Deutschland präsentiert er sich keine Erwiderung, Herr Frei. gerne mit dem Gruß der Muslimbrüder. Das ist also der Partner, von dem Altmaier gesagt hat, er sei europäischer Dann kommt die nächste Rednerin: für die AfD-Frak- als viele Europäer. tion Beatrix von Storch. (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr Freund ist As- (Beifall bei der AfD) sad!) Beatrix von Storch (AfD): Wie kann eine Regierung ihr Land nur so erniedrigen? Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Die Griechen (Beifall bei der AfD – Alexander Graf schützen heute an der Grenze zur Türkei das Recht gegen Lambsdorff [FDP]: Dann legen wir halt Nor- die Gewalt, die Freiheit gegen die Tyrannei und Europa wegen an den Bosporus, dann läuft das!) gegen Erdogan. Das kleine christliche Land am Rande der EU wird von einem skrupellosen Islamisten angegrif- Die Ursache des Desasters ist, dass die Bundeskanzle- fen. Unsere Solidarität gehört der griechischen Nation. rin die Drittstaatenregelung des Grundgesetzes außer Kraft gesetzt hat. Diese besagt: Wer zu Fuß aus Öster- (Beifall bei der AfD) reich einreist, hat hier kein Recht auf Asyl. – Also kann er Erdogan leitet ganz offen die Migrantenströme an die auch kein Recht auf ein Asylverfahren haben und schon griechische Grenze, damit die mehrheitlich jungen Män- gar nicht einreisen. Helmut Kohl schreibt in seinen Er- ner – übrigens nicht aus Syrien, wie wir schon gehört innerungen über die 1993 durch Grundgesetzänderung haben – diese Grenze stürmen. Er will uns ins Chaos eingeführte Drittstaatenregelung: Nur sie machte europä- stürzen. Das ist ein Akt der Aggression, der eine klare ische Regelungen möglich. Nur sie ermöglicht die volle Antwort erfordert. Teilnahme an Schengen und Dublin. Nur die Drittstaaten- regelung kann Schlepperbanden und anderen Kriminel- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: len das Wasser abgraben. Was fordert die AfD?) Was der Kanzler der Einheit damals gesagt hat, das gilt Die Mittel dazu haben wir in der Hand: Aussetzung des bis heute. Die Abweisung von Asylbewerbern, die aus Zollabkommens, Strafzölle, Stopp der Rüstungslieferun- sicheren Drittstaaten kommen, ist der Schlüssel für die gen und Stopp der Visavergaben für Reisen aus der Tür- Lösung der Krise. kei in die EU. Dagegen ist die Unterwerfungshaltung der Bundesregierung erbärmlich. Die einzige Sprache, die (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18629

Beatrix von Storch (A) Das haben Sie, Union, SPD und FDP, damals mit ver- Gabriela Heinrich (SPD): (C) fassungsändernder Mehrheit beschlossen, und das war Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten richtig; denn sonst zieht der deutsche Sozialstaat Migran- Damen und Herren! Ja, Frau von Storch, eigentlich reden tenströme aus aller Welt durch alle Länder Europas an. wir heute über Idlib. Wir reden über eine Provinz, in der nahezu 1 Million Menschen auf der Flucht sind. Das sind ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 1 Million von 3 Millionen, die in dieser Region leben. NEN]: Sag doch mal was zu Idlib!) Viele von ihnen flüchten nicht zum ersten Mal, und die Das schaffen wir nicht. Und: Das wollen wir auch gar Lebensbedingungen sind katastrophal. Kann man hier nicht schaffen. eigentlich noch von Lebensbedingungen sprechen? Ha- ben wir überhaupt irgendeine Art von Vokabular, um das (Beifall bei der AfD) zu beschreiben, was Menschen dort erleben müssen, was ihnen geschieht? Idlib macht deutlich, was passiert, wenn Wer für die größte Volkswirtschaft mit dem größten Menschenleben als nachrangig erachtet werden, als nach- Sozialstaat in Europa die ultimative Willkommenskultur rangig gegenüber den Machtinteressen der bombenden ausruft, Kriegsparteien. Das ist nicht das erste Mal. Das macht es aber nicht besser, und es entbindet uns nicht von der (Zurufe von der SPD: Es geht um Idlib!) Verantwortung für die Flüchtenden. wer „Wir schaffen das!“ verkündet und erklärt: „Kein Mensch ist illegal“, der trägt Schuld daran, dass sich (Beifall bei der SPD) Millionen Menschen auf den Weg machen, ihr Leben Die kriegerischen Auseinandersetzungen nehmen seit gefährden und Europa im Chaos versinkt. Wochen und Monaten zu, mit steigenden Opferzahlen. Klar ist, dass die Eskalation mit dem Tod von über 30 (Christoph Matschie [SPD]: Was für ein türkischen Soldaten am vergangenen Donnerstag jetzt Stuss! – Weitere Zurufe von der SPD) noch einmal eine neue Stufe erreicht hat. Hier in Deutsch- Wer das tut, der ist kein Menschenfreund, sondern ein land und auf der ganzen Welt verfolgen die Menschen gefährlicher Geisterfahrer. diesen Konflikt in Syrien. Idlib steht für die völlige Auf- gabe jeder Menschlichkeit. Und manche Äußerungen der (Beifall bei der AfD) handelnden Akteure, aber auch manche Äußerungen hier sind so zynisch, dass sie kaum zu ertragen sind. Die Bundeskanzlerin steht jetzt endlich am Ende ihrer Kanzlerschaft. Das ist die letzte Gelegenheit, etwas wie- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Theurer [FDP]) (B) dergutzumachen nach all dem, was sie in Europa ange- (D) richtet hat. Das rücksichtslose und menschenverachtende Vorge- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hen des syrischen Regimes gegen seine eigene Zivilbe- Wenigstens solche Sätze sollten Sie doch frei völkerung, gegen Frauen, Männer und Kinder in Idlib sprechen können hier im Plenum! – Dr. Johann muss umgehend aufhören. David Wadephul [CDU/CSU]: Kein Wort zu (Beifall bei der SPD) Idlib!) Wenn gezielt Bomben auf Krankenhäuser und Schulen Frau Bundeskanzlerin, wenden Sie sich an die Migranten gelenkt werden, dann sind das Kriegsverbrechen. in der Türkei, sagen Sie ihnen, dass sie in Deutschland nicht willkommen sind! Erklären Sie Ihre Solidarität mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Griechenland, und zeigen Sie endlich Härte gegenüber der CDU/CSU und des Abg. Dr. Erdogan! Frau Merkel, Sie haben im Amt gegenüber [FDP]) dem türkischen Diktator bislang wenig Würde gezeigt; Russland und alle, die Einfluss auf das Assad-Regime aber Sie könnten dann wenigstens in Würde gehen. haben, müssen diesen Einfluss dringend nutzen, um eine Vielen Dank. noch größere menschliche Katastrophe zu verhindern. (Beifall bei der AfD – [SPD]: Wenn wir darüber reden, wie wir den ersten Schritt Wiedersehen, Frau Goebbels! Faschisten!) schaffen, eine Waffenruhe, dann blicken wir insbesonde- re auf das heutige Treffen von Präsident Erdogan und Präsident Putin. Es kann nicht nur darum gehen, eine Vizepräsidentin Claudia Roth: noch weitere Eskalation zu verhindern, die man tatsäch- Die nächste Rednerin in der Aktuellen Stunde zur Es- lich befürchten muss. Erdogan und Putin müssen mehr kalation in Idlib ist Gabriela Heinrich für die SPD-Frak- dazu beitragen, den Konflikt in Nordsyrien zu deeskalie- tion. ren. Wir können nur hoffen, dass dazu ein Schritt gegan- gen wird. Die Waffenruhe kann nur ein erster wichtiger (Beifall bei der SPD – Steffi Lemke [BÜND- Schritt sein; aber sie ist die Voraussetzung, um einen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht die Hälfte der breiter angelegten Prozess zu beginnen. Deshalb unter- AfD-Fraktion, das ist ja auch interessant! – stütze ich ausdrücklich den Vorschlag eines Vierergipfels Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE von Frankreich, Deutschland, der Türkei und Russland. GRÜNEN]: Da geht es um Idlib, dann geht man lieber, weil man dazu nichts zu sagen hat!) (Beifall bei der SPD) 18630 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Gabriela Heinrich (A) Klar ist doch: Eine politische Lösung, eine langfristige Radikalität von rechts durchaus Berührungspunkte zei- (C) und tragfähige Lösung, die wir für Syrien dringend brau- gen. chen, wird es nur im Rahmen der Vereinten Nationen geben, und auch nur dann können wir entsprechend han- (Peter Beyer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) deln und mitmachen. An Russland kommt in diesem Wenn man an linken Veranstaltungen, an Strategiede- Konflikt niemand vorbei, der bei einer Waffenruhe oder batten wie in Kassel teilnimmt, wo unakzeptable Dinge einer langfristigen politischen Lösung mitarbeiten will. vorgetragen werden und von einem führenden Linken in Wir sprechen beim syrischen Verfassungsprozess in Genf flapsiger Art und Weise gesagt wird: „Na ja, wir müssen mit Russland, auch wenn es schwierig ist. Die von eini- die Reichen vielleicht nicht erschießen, aber nützlicher gen erhobene Forderung von Sanktionen gegen Russland Arbeit zuführen“, dann muss ich Ihnen ganz klar sagen: wird an dieser Ausgangslage aber nichts ändern. Mit dieser Haltung können Sie auch ein Konzentrations- lager führen. Eine Waffenruhe ist vor allem auch die Voraussetzung, um humanitäre Hilfe zu den Menschen zu bringen. Diese (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie brauchen sie umgehend, und natürlich sind wir bereit, die bei Abgeordneten der FDP – Tobias Pflüger Mittel zur Verfügung zu stellen, um weiteres Sterben zu [DIE LINKE]: Unverschämtheit! Das geht verhindern. überhaupt nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Davon müssen Sie sich schon ganz klar und eindeutig distanzieren. hat für die Bundesregierung heute 100 Mil- lionen Euro zusätzlich für die Unterbringung und Ver- Was wir mit Blick auf die Situation in Idlib machen sorgung der notleidenden Menschen in Idlib angeboten. können, möchte ich gerne kurz erläutern. Ich glaube, dass Das unterstützen wir und, ich glaube, auch ganz viele in wir dringend einen Waffenstillstand brauchen und den diesem Haus ausdrücklich. Zugang für humanitäre Hilfe. Ich möchte daran erinnern, dass es wirklich gut wäre, wenn wir es schon vor Jahren (Beifall bei der SPD) geschafft hätten, eine Schutzzone in Syrien einzurichten, Als nächsten Schritt brauchen wir eine Entflechtung der in der Geflüchtete sichere Unterkunft und Aufnahme hät- Konfliktparteien, damit der Waffenstillstand nachhaltig ten finden können. Dieser Vorschlag ist leider nicht reali- wird. sierbar gewesen, vielleicht auch deshalb, weil wir in Deutschland und Europa zu zögerlich waren; aber natür- Schließlich – damit komme ich zum Ende –: Die zahl- lich auch, weil wir in den Vereinten Nationen dafür keine reichen Kriegsverbrechen im syrischen Bürger- und Mehrheit zustande bringen konnten. (B) Stellvertreterkrieg müssen weiter dokumentiert werden, (D) um die Verantwortlichen zu gegebener Zeit zur Rechen- Ich glaube, dass wir jetzt einen neuerlichen Anlauf schaft zu ziehen, unternehmen sollten, wenn schon keine Schutzzone, so doch ein sicheres Gebiet für die Versorgung der Flücht- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE linge aus Idlib auf syrischem Boden zu ermöglichen. Ich GRÜNEN]: Wann denn?) hoffe, dass die Gespräche, die heute in Moskau stattfin- den, und das, was möglicherweise in den nächsten Tagen auch in Deutschland, wenn wir sie identifizieren können. auf anderen Ebenen stattfindet, zu einem solchen kon- Kein Täter darf sich jemals sicher sein, dass seine Taten kreten Ergebnis führen. Denn die humanitäre Katastro- ohne Konsequenzen bleiben – nirgendwo auf der Welt. phe, die in Idlib stattfindet und sich fortzusetzen droht, Vielen Dank. kann auf diese Weise, wie ich finde, wirksam beendet werden. Deutschland sollte, insbesondere wenn es um (Beifall bei der SPD) humanitäre Hilfe geht, nicht an der Seite stehen. Ich be- grüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung diese fi- Vizepräsidentin Claudia Roth: nanzielle Zusage gegeben hat. Vielen Dank, Gabriela Heinrich. – Der nächste Redner Mit Blick auf die Türkei bin ich der Meinung: Die in der Aktuellen Stunde: Jürgen Hardt für die CDU/CSU- Europäische Union sollte der Türkei ganz klar sagen: Fraktion. Wir erwarten eine Rückkehr zu den Regeln des EU-Tür- kei-Abkommens; aber wir bieten gleichzeitig offene, (Beifall bei der CDU/CSU) faire Gespräche darüber an, ob dieses Abkommen mög- licherweise weiterentwickelt werden muss. 3,2 Milliarden Jürgen Hardt (CDU/CSU): Euro sind bereits ausgegeben; die zugesagte Summe von Ich bedanke mich für das Wort. – Ich möchte an dieser 6 Milliarden Euro ist verplant. Gemessen an dem, was wir Stelle zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt der Debatte insgesamt für Flüchtlingsarbeit weltweit und in Deutsch- vor allem zwei Dinge in den Mittelpunkt stellen. Also land ausgeben, ist die Summe von 3,2 Milliarden Euro das, was jetzt als Hufeisentheorie – neudeutsch – verkauft der gesamten Europäischen Union in einem Zeitraum von wird, ist aus dem 17. Jahrhundert: Les extrêmes se tou- über vier Jahren kein außerordentlich hoher Betrag, der chent. – Das haben ein französischer Philosoph namens nicht auch aus guten und gerechtfertigten Gründen ge- Pascal und ein anderer namens La Bruyère schon festge- steigert werden könnte. Ich finde, an diesem Punkt sollte stellt. Diejenigen, die radikale, extreme Thesen vertreten, es nicht scheitern. Aber eine Voraussetzung dafür, dass müssen eben damit leben, dass Radikalität von links und wir mit der Türkei wieder in diesen Dialog eintreten, ist, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18631

Jürgen Hardt (A) dass die Türkei tatsächlich zu den Regeln dieses Abkom- sich vor, wie es wäre, wenn 40 Millionen Menschen aus (C) mens zurückkehrt und die Provokationen der letzten Tage Deutschland unterwegs wären. Ich denke, das macht einstellt. deutlich, in welcher dramatischen Lage wir uns befinden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was brauchen diese Menschen? Sie brauchen drei Din- ge: Sicherheit, Versorgung und Perspektiven. Wir sind Mit Blick auf Griechenland glaube ich, dass wir, nur sehr unterschiedlich erfolgreich, diese Dinge zu ge- Deutschland und die Europäische Union, die griechische währleisten und sicherzustellen. Regierung aktiv unterstützen sollten, die Grenze, unsere EU-Außengrenze, die unsere gemeinsame Grenze ist, Der erste Punkt ist die Sicherheit. Wenn jemand flieht, wirksam zu schützen. Ich glaube, dass die Personen, die dann ist es unsere erste Aufgabe, den Schutz und die gegenwärtig versuchen, diese Grenze zu überschreiten, Sicherheit zu gewähren. Genau das steht auch in der zu 100 Prozent nicht bzw. nicht jetzt aus Bürgerkriegsge- EU-Türkei-Vereinbarung, und genau das wird nicht er- bieten in Syrien geflohen sind, sondern bereits seit Mona- reicht; denn die Menschen stehen vor den Zäunen und ten oder Jahren sichere Aufnahme in der Türkei gefunden den Mauern. haben. Lieber Herr Wadephul, Sie haben gesagt: Ohne die UN Sie leben dort nicht unter Umständen, die wir persön- ist diese Sicherheit nicht zu gewährleisten. – Aber das lich uns auch wünschen würden, aber doch in einer Art muss man an die Außenpolitiker zurückgeben: Mit der und Weise, dass man das völkerrechtlich als sicher be- UN scheint es auch nicht zu gehen. – Deswegen ist fol- trachten kann. Ich glaube, nebenbei gesagt, dass unter gende Frage offen – und ich glaube, wir müssen uns ihr diesen Menschen nicht so sehr viele sind, die aus Syrien neu stellen –: Wer muss wo welche Verantwortung über- kommen; denn die syrischen Flüchtlinge werden in der nehmen, damit diese Sicherheit künftig gewährleistet Türkei relativ besser betreut als Flüchtlinge aus anderen werden kann? Gebieten. Ich glaube deswegen, dass das, was wir dort tun, gerechtfertigt ist. Der zweite Punkt ist die Versorgung. Hier muss ich einmal ausdrücklich sagen: Wir erinnern uns alle an Mit Blick auf die Kinder auf den Inseln glaube ich, 2015. Als die Fluchtbewegung stark einsetzte, hat das dass wir, Deutschland und Europa, vor Ort mehr helfen Welternährungsprogramm Alarm geschlagen und gesagt: und mehr tun sollten; aber das können wir eben auch mit Wir können die Menschen in den Flüchtlingscamps nicht der griechischen Regierung gemeinsam vor Ort tun. ausreichend versorgen. – Heute wissen wir, dass Mit Blick auf die Europäische Union wünsche und Deutschland der zweitgrößte Geber des Welternährungs- hoffe ich schließlich, dass das, was in den letzten Tagen programms ist. Wir müssen auch an dieser Stelle sagen: (B) in Syrien, aber auch an der türkisch-griechischen Grenze Wir tun viel; die Regierung tut viel. Wir dürfen nicht (D) passiert ist, dazu führt, dass wir einen neuen Anlauf star- immer nur das Elend beschreiben, sondern wir müssen ten, um zu einem gerechteren Umgang mit dem Thema auch einmal klar sagen, was seitens unserer Regierung Flüchtlinge in der EU zu kommen. Ich hoffe, dass wir getan wird, damit wir daraus auch die Kraft ziehen, noch einen neuen Anlauf unternehmen, um einen Konsens zu mehr zu tun; denn das ist sicherlich auch nötig. erreichen. Wenn es auch nicht gelingen mag, den Kon- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sens der 27 zu erreichen, so mag es dann doch vielleicht der CDU/CSU) gelingen, einen Konsens der Willigen, der großen und wichtigen Nationen in der Mitte, zu erreichen, die dieses Der dritte Punkt sind die Perspektiven. Ich war zuletzt Projekt so voranbringen, dass wir fairer mit den Anliegen auf Lesbos in einem Flüchtlingscamp. Niemand sollte Griechenlands und anderer Staaten umgehen können. unter solchen Bedingungen überhaupt, geschweige denn länger leben müssen. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der CDU/CSU) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen heißt „Perspektive“, dass man die Menschen Vizepräsidentin Claudia Roth: rausholen muss. Vielen Dank, Jürgen Hardt. – Nächster Redner: Dr. Lars Castellucci für die SPD-Fraktion. Herr Kollege Frei, wenn Sie sagen, wir hätten die EU- Türkei-Vereinbarung erfüllt, dann bitte ich Sie, den (Beifall bei der SPD) Punkt 4 dieser Vereinbarung noch einmal zu lesen. Dort steht: Sobald die irreguläre Migration abnimmt – das hat Dr. Lars Castellucci (SPD): sie in den letzten zwei Jahren eindeutig getan –, eröffnen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und wir humanitäre Aufnahmeprogramme auf freiwilliger Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war jetzt Basis in Europa. – Das hat nicht stattgefunden. Auch in viel von den Staaten und von denen, die sie lenken, die diesem Punkt müssen wir nachlegen. Was wir an Resett- Rede. Ich will über die Menschen sprechen, die unter der lement in der Welt als internationale Staatengemeinschaft Politik zu leiden haben. Als migrationspolitischer Spre- zur Verfügung stellen, ist unbefriedigend. Das betrifft cher meiner Fraktion möchte ich darüber sprechen, dass leider auch Deutschland; das muss ich in dieser Deutlich- mehr als die Hälfte der Bevölkerung das Land jetzt schon keit hier so sagen. Resettlement-Angebote müssen ge- verlassen musste oder im Land versprengt ist. Stellen Sie stärkt werden; der UNHCR ruft uns dazu mit aller Deut- sich bitte alle einmal diese Dimension vor. Stellen Sie lichkeit auf. 18632 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Lars Castellucci (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Andrea Lindholz (CDU/CSU): (C) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die drän- Ich will aber anschließend an die Debatte von gestern gendste Aufgabe für Europa liegt heute nicht an der grie- noch einmal sagen: Resettlement erfordert auch geordne- chischen, sondern an der syrisch-türkischen Grenze. Dort te Verhältnisse. Die Chancen für Resettlement-Program- warten fast 1 Million Menschen auf Hilfe. Diese Men- me steigen, wenn es an den Grenzen geordnet zugeht. schen aus Idlib sind tatsächlich auf der Flucht, während Deswegen möchte ich an dieser Stelle die Kolleginnen die große Mehrheit der Migranten an der griechisch-tür- und Kollegen von den Linken und von den Grünen an- kischen Grenze laut der Mitteilung des UNHCR nicht aus sprechen. Wenn es um Grenzsicherung geht, wenn es Syrien stammt. darum geht, dass das Innenministerium auf Farsi oder Die Kriegsverbrechen in Idlib schreien zum Himmel. auf Arabisch twittert und über die Verhältnisse an den Das Assad-Regime und das russische Militär bombardie- Grenzen informiert, bitte ich Sie, dass Sie das nicht im- ren gezielt Krankenhäuser, Schulen, Wohnhäuser und mer nur als Abwehr skandalisieren, sondern auch als Märkte. Die Vertreibung der Zivilbevölkerung ist seit einen Beitrag zu diesen ordentlichen Verhältnissen sehen. Jahren Teil der widerwärtigen Strategie von Assad. Es geht nicht darum, Ulla Jelpke, erst das eine und dann das andere zu tun. Menschlichkeit und geordnete Verhält- Trotz dieser unsäglichen Verbrechen waren erst im nisse, ein handlungsfähiger Staat, der für geordnete Ver- letzten November erneut Vertreter der AfD-Fraktion die- hältnisse an den Grenzen sorgt, das muss zusammenge- ses Hauses beim Schächter Assad zu Besuch. Sie hofie- hen, und es geht auch zusammen. ren einen Diktator, der Menschen zu Tode foltern lässt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: So der CDU/CSU) ist es! – Frank Schwabe [SPD]: Und machen einen Propagandafilm!) Diese Ordnung schließt selbstverständlich ein, dass an diesen Grenzen niemand zuschanden kommt. Wir haben der seine eigene Bevölkerung, ja sogar Kinder, mit Gift- gestern entsprechende Meldungen gehört. Die Men- gas ermordet. Das ist eine Schande für Deutschland. schenrechte müssen geachtet werden; sie müssen angew- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten endet werden. Aber das heißt eben auch: Bei aller Ver- der CDU/CSU) zweiflung muss Grenzbeamten gegenüber Respekt aufgebracht werden. Es gibt Regeln, nach denen man Das erklärt vielleicht auch, warum sich Frau von Storch Grenzen übertritt, und diese sind zu jeder Zeit einzuhal- heute nicht auf Idlib konzentriert hat, sondern sich statt- (B) ten. dessen wie üblich an Frau Merkel abarbeitet. (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ( [AfD]: Eine Schande ist Ihre CDU/CSU) Unwissenheit!) Für diesen Dreiklang – Sicherheit, Versorgung und Das ist eine Schande für Deutschland. Perspektiven – bleibt noch viel zu tun; das wird auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten noch Zeit brauchen. So lange müssen wir uns diploma- der CDU/CSU) tisch bemühen, wie es der Staatsminister eindrucksvoll beschrieben hat. Ich habe Hochachtung vor allen, die Aber auch die Linken verhalten sich scheinheilig. Ich dabei tätig sind. Wir hier lenken den Scheinwerfer immer will gar nicht auf die Rede von Ulla Jelpke von heute nur darauf, wenn wieder irgendwo eine dramatische Si- eingehen. Ich will einfach nur einen Blick in das Jahr tuation entsteht. In den Sälen und Konferenzen dieser 2018 zurückwerfen. Als die USA nach einem solchen Welt wird Tag für Tag, Monat für Monat und teilweise Giftgasangriff von Assad zurückschlugen und militär- Jahr für Jahr darum gerungen. Vielen Dank und alles ische Ziele des Regimes zerstörten, demonstrierte die Gute für diese wichtige Arbeit. linke Parteispitze dagegen vor dem Brandenburger Tor. Über die russischen Bomben, über die Kriegsverbrechen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) an Kindern, Frauen und Alten in Syrien schweigt Die Linke seit Jahren. Jetzt sorgen wir dafür, dass die humanitäre Hilfe nicht nur auf den Weg gebracht wird, sondern bei den Menschen (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Stimmt nicht! auch ankommen kann. Es stimmt halt nicht!) Vielen Dank. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist ideolo- gisch verbohrte Scheinheiligkeit. Auch die Debatte heute (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hat gezeigt, warum es für uns als Union keine Zusam- der CDU/CSU) menarbeit mit der Linken geben kann. (Beifall bei der CDU/CSU – Tobias Pflüger Vizepräsidentin Claudia Roth: [DIE LINKE]: Das ist eine dauerhafte Lüge!) Vielen Dank, Dr. Castellucci. – Nächste Rednerin: Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. Die Situation an der syrisch-türkischen Grenze hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Situation an (Beifall bei der CDU/CSU) der türkisch-griechischen Grenze. Wir brauchen für bei- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18633

Andrea Lindholz (A) des, für Syrien und für den Schutz unserer Außengrenzen, kratischen Parteien: Lassen Sie uns bitte in dieser (C) europäische Antworten. Unser Fokus in der Flüchtlings- schwierigen Situation eine gemeinsame Sprache spre- politik muss zunächst immer auf der Hilfe vor Ort liegen. chen, um diesem Hass etwas entgegenzusetzen und um Wir müssen zunächst immer dort Lösungen suchen. für die Menschen in Griechenland, aber auch in Syrien langfristig, mittelfristig und kurzfristig etwas zu tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Aufnahmekontin- gente können immer nur ein Teil einer Lösung sein. Wir Vielen Dank. ändern damit keine Fluchtursachen. Wir werden damit auch unserer humanitären Verantwortung nicht vollum- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie fänglich gerecht. Es kann nicht sein, dass wir uns nur auf bei Abgeordneten der SPD) die konzentrieren, die es bis zur griechischen Insel schaf- fen. Unsere völkerrechtliche Schutzverantwortung geht Vizepräsidentin Claudia Roth: weit darüber hinaus. Sie reicht in die Krisenregionen. Vielen Dank, Frau Lindholz. – Letzter Redner in der Wir brauchen in Syrien eine sichere Zone für die Men- Aktuellen Stunde: Frank Schwabe für die SPD-Fraktion. schen, sie brauchen dort Hilfe und Unterstützung. (Beifall bei der SPD) Für uns und für Europa müssen wir zeigen – ich will das ganz klar sagen –, dass wir jetzt in der Lage sind, an Frank Schwabe (SPD): der türkisch-griechischen Grenze für Ordnung zu sorgen, und zwar gemeinsam mit einem europäischen Konzept. Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Als Wir müssen die Griechen auch mit Personal, mit Material letzter Redner in der Debatte – man müsste es nicht beto- und mit Mitteln unterstützen. Einseitige Signale von uns, nen – will ich noch einmal sagen: Niemand auf der Welt wie zum Beispiel erst einmal die Flüchtlingsunterkünfte flieht ohne Grund. Wir haben ungefähr 75 Millionen aufzumachen, halten wir für das falsche Signal. Menschen, die auf der Flucht sind. Jeder Einzelne hat einen sehr individuellen, sehr nachvollziehbaren Grund. Ich will Ihnen heute auch eines sagen, gerichtet an die Jedes Leben ist gleich viel wert. Jeder Mensch hat die Koalition, aber auch an die Grünen und die FDP: Ich gleiche Würde, im Übrigen auch bei der Klassifizierung glaube, wir sind uns in manchen Punkten einig. Wir sind derjenigen, die an der türkisch-griechischen Grenze ste- uns einig, dass wir keinen unkontrollierten Zustrom mehr hen. Hier gibt es immer eine Debatte darüber, dass man nach Deutschland wollen. Sie haben vorhin selber den wissen muss, wer es ist. Zwischenruf gemacht. Ich glaube – die Damen und Her- ren der AfD von der rechten Seite haben auch heute mit (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Herrn Gauland schon wieder versucht, Befürchtungen (B) Aber es ist kein Unterschied, ob es jemand aus Afghanis- (D) und Ängste in der Bevölkerung wachzurufen –, wir kön- tan, dem Iran, Irak, Bangladesch oder aus Syrien ist. Alle nen bei den Punkten, bei denen wir uns einig sind, eine haben dasselbe Recht auf Leben und Würde. gemeinsame Sprache finden. Ich bin mir sicher: Wenn es uns gelingt, zu zeigen, dass unsere Außengrenzen ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schützt werden können, dann können wir auch der Türkei DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der etwas entgegensetzen. Aber wir werden auch das EU- LINKEN) Türkei-Abkommen brauchen. Ohne die Türkei, bei allen Ich will auch daran erinnern: So schwierig es ist, was Differenzen, werden wir die Situation nicht lösen. wir gerade diskutieren, es gilt internationales Recht; da- (Sören Bartol [SPD]: Man muss auch aner- ran muss man auch europäische Partner erinnern, würdi- kennen, was die Türkei leistet!) gend, was sie tun. Es gilt die Genfer Flüchtlingskonven- tion. Es gilt auch immer das Gebot, so deeskalierend wie – Die Leistung der Türkei muss man auch einmal aner- möglich auf Grenzverletzungen zu reagieren. kennen, absolut richtig. – Aber wir müssen für unser Land klar formulieren: Wir haben versprochen: Ein un- Das Grundproblem allerdings – das ist auch klar – liegt kontrollierter Zustrom nach Europa oder nach Deutsch- nicht in Deutschland, liegt nicht in Griechenland, liegt land wird von uns nicht akzeptiert. Wir müssen damit auch nicht in der Türkei, sondern es liegt in Syrien. Es auch sagen: Wir sind bereit, dafür an der Außengrenze ist gerade schon angesprochen worden: Es ist schlimm, alles zu tun. Und wenn sich jemand nicht daran halten und ich finde es ekelhaft, dass die AfD einen – ich nenne würde, würden wir sogar an der Binnengrenze etwas tun, es so – Propagandafilm organisiert hat und ihn entspre- was niemand will, weil wir den Schengen-Raum nicht chend veröffentlicht, der zeigt, wie toll und wunderbar gefährden wollen. Aber wenn wir nicht anfangen, uns alles in Syrien ist, und dass am Ende das Werk eines in den Punkten, in denen wir uns einig sind, zu einer Diktators in diesem Land gezeigt wird. gemeinsamen Sprache durchzuringen, machen wir nur (Sören Bartol [SPD]: Pfui!) eines: Wir schaffen es weiterhin, dass die Kolleginnen und Kollegen der AfD mit ihren Ängsten in ihren Reden Der Grund ist Syrien. Der Grund ist, dass viele Länder – die Menschen verunsichern. Gehen sie nur einmal auf nicht nur Syrien und nicht nur Russland – auf schlimmste meine Facebook-Seite. Ich habe mich zu dem Anschlag Art und Weise Menschenrechtsverbrechen begehen, da- in Hanau geäußert. Schauen Sie bitte, welchen Shitstorm ran beteiligt sind. Deswegen will ich noch einmal hervor- ein AfD-Mitglied auf meiner Seite verursacht hat. Wir heben: Es gibt ein internationales Strafrecht, und wir müssen diesem Hass und dieser Hetze etwas entgegen- müssen deutlich machen – ich weiß nicht, wann –: Wir setzen. Deswegen ist es heute mein Appell an die demo- wollen die Menschen, die schlimmste Verbrechen bege- 18634 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Frank Schwabe (A) hen, auch zur Rechenschaft ziehen. Sie müssen wissen, wo sie sich um Millionen von Geflüchteten kümmert. (C) dass wir ein Auge darauf haben. Man muss die Türkei aber auch an Verabredungen er- innern. Man muss auch über die Zukunft reden. Ich hätte (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ keine Probleme damit, über eine dritte Tranche zu disku- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der tieren und als Europäische Union mehr als die 6 Milliar- CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Es ist den Euro zu zahlen. Ich halte das auch für angemessen. auch ein Kriegsverbrechen, was Erdogan be- Ich glaube, es muss aber auch klar sein, dass es klare geht!) humanitäre Grundregeln gibt, nach denen das Geld aus- Es ist auch die Türkei, die dort Kriegsverbrechen be- gezahlt wird. Daran wird sich am Ende auch nichts än- geht. Ich will noch einmal ganz deutlich sagen – deswe- dern können. gen auch die Zwischenrufe –: Schwarz und Weiß funk- tioniert international nicht. Das, was Russland dort (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Johann begeht und woran es sich beteiligt, die Bombardierung David Wadephul [CDU/CSU]) von Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern, und Was die EU betrifft, können wir alle beklagen, dass wir zwar ganz gezielt, sind Kriegsverbrechen. Sie sind in die Hausaufgaben nicht gemacht haben und uns längst jeder Art und Weise inakzeptabel. Russland muss dafür nicht vorbereitet haben, beklagen, was wir hätten tun auch zur Verantwortung gezogen werden. können. Das heißt aber nicht, dass man es nicht noch (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem tun kann. Deswegen glaube ich, dass man am Ende auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Chance und den Druck nutzen kann, dafür zu sorgen, dass die EU endlich zu einer abgestimmten eigenen Die Bombardierungen müssen aufhören. Wir brauchen Flüchtlingspolitik kommt, die heißt: Kontrolle an den einen kurzfristigen Waffenstillstand, noch nicht genau Außengrenzen, Zurückweisung und Zurückführung der- wissend – darauf hat Staatsminister Annen hingewiesen –, jenigen, die nach den Regeln der EU nicht bleiben kön- was wir mit den 1 Million plus Menschen machen. Das nen, und am Ende diejenigen, die bleiben können, ver- wird kompliziert und schwierig genug. Aber ohne einen nünftig auf europäische Mitgliedstaaten verteilen. Ich Waffenstillstand wird das alles nicht funktionieren. Wir wünsche mir wirklich, dass wir in der Lage sind – das können an dieser Stelle durchaus selbstbewusst sagen, ist unsere Bitte und unsere Aufforderung an den Innen- weil es auch für zukünftiges Handeln eine Anleitung ist, minister –, alles zu tun. Man wird nicht mit ein paar dass wir dort als Friedensmacht auftreten, dass wir huma- Kindern die Welt retten können; das ist völlig klar. Aber nitäre Hilfe leisten, dass wir weitere humanitäre Hilfe am Ende geht es bei der Humanität und der Menschlich- zugesagt haben. Ich glaube, das gesamte Haus hat heute keit auch um einzelne Schicksale. Deswegen werden wir (B) schon durch Applaus deutlich gemacht, dass wir bei den auch daran gemessen, ob wir endlich eine vernünftige (D) zukünftigen Haushaltsberatungen alles tun wollen, um Lösung für ein paar Kinder finden, die wir aus Griechen- die so wichtige humanitäre Hilfe für die Region sicher- land herausholen wollen. zustellen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN) Wir reden über verschiedene Ebenen. Das bringt uns manchmal etwas durcheinander. Wir reden über drei ver- Vizepräsidentin Claudia Roth: schiedene Ebenen. Die eine ist die, was in Syrien zu tun Vielen Dank, Frank Schwabe. – Die Aktuelle Stunde ist. Die zweite betrifft den EU-Türkei-Deal, das Flücht- ist beendet. lingsabkommen. Die dritte ist die, was die EU selbst zu tun hat. Über Syrien habe ich gerade etwas gesagt. Zum Ich gebe Ihnen jetzt die von den Schriftführerinnen und EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen muss man sagen, dass Schriftführern ermittelten Ergebnisse der Wahlen be- es Sinn macht, dass 3, 4, 5 Millionen Menschen, die aus kannt. Syrien fliehen, nicht nach Deutschland, Schweden oder sonst wo weitergeleitet werden. Die meisten Menschen Protokoll über die Wahl eines Stellvertreters des Präsi- wollen, wenn es die Möglichkeit gibt, so nah wie möglich denten des Deutschen Bundestages: abgegebene Stimm- an ihrer Heimat bleiben. Deswegen macht das Abkom- zettel 644, ungültig war keiner. Mit Ja haben gestimmt men im Grunde Sinn. 120 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 509 Abge- ordnete. Es gab 15 Enthaltungen. Der Abgeordnete (Frank Pasemann [AfD]: Das ist doch kom- Karsten Hilse hat die erforderliche Mehrheit von mindes- pletter Blödsinn, was Sie da erzählen!) tens 355 Stimmen nicht erreicht. Er ist damit nicht zum 1) Man muss Erdogan an vielen Stellen kritisieren, aber an Stellvertreter des Präsidenten gewählt. dieser Stelle macht es Sinn, die Türkei entsprechend zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und unterstützen. der SPD – Zuruf von der AfD: Schade!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Protokoll über die Wahl von zwei ordentlichen Mit- Dass er das aufkündigen will bzw. damit droht, hat gliedern und eines stellvertretenden Mitglieds des Son- nichts mit dem Flüchtlingsabkommen zu tun, sondern dergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungs- es ist die schiere Verzweiflung, da er auch nicht weiß, mechanismusgesetzes: abgegebene Stimmzettel 642. wie er aus der Lage rund um Idlib herauskommt. Des- Von den abgegebenen Stimmen entfielen auf Florian wegen muss man der Türkei danken, wo Dank richtig ist, Oßner 528 Jastimmen und 76 Neinstimmen. Es gab 37 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18635

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Enthaltungen und 1 ungültige Stimme. Auf Peter Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu neh- (C) Boehringer entfielen 145 Jastimmen und 469 Neinstim- men. – Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten men. Es gab 26 Enthaltungen und 2 ungültige Stimmen. beschlossen. Auf Dr. Birgit Malsack-Winkemann entfielen 132 Jastim- Ich eröffne die Aussprache. Ich gebe als erster Redne- men und 483 Neinstimmen. Es gab 25 Enthaltungen, 2 rin für die Bundesregierung Ministerin Dr. Franziska Gif- Stimmen waren ungültig. Mit der erforderlichen Mehr- fey das Wort. heit von 355 Stimmen ist in das Sondergremium gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 1) wählt der Abgeordnete Florian Oßner. der CDU/CSU)

Protokoll über die Wahl von drei Mitgliedern des Gre- Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, miums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes: Senioren, Frauen und Jugend: abgegebene Stimmzettel 637. Von den abgegebenen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Stimmen entfielen auf Florian Oßner 537 Jastimmen und Herren Abgeordnete! Wir bringen heute den ersten und 61 Neinstimmen. Es gab 35 Enthaltungen, 4 Stim- Schritt für ein weiteres prioritäres Vorhaben aus dem men waren ungültig. Auf Albrecht Glaser entfielen 124 Koalitionsvertrag auf den Weg. Nach dem Gute-KiTa- Jastimmen und 492 Neinstimmen. Es gab 19 Enthaltun- Gesetz und dem Starke-Familien-Gesetz gehen wir jetzt gen, 2 Stimmen waren ungültig. Auf Volker Münz ent- das Thema „Ganztagsbetreuung für Kinder im Grund- fielen 141 Jastimmen und 470 Neinstimmen. Es gab 24 schulalter“ an. Um das zu schaffen, errichten wir ein Enthaltungen, ungültige Stimmen 2. Mit der erforderli- Sondervermögen für die Investitionen, die nötig sind, chen Mehrheit von 355 Stimmen ist in das Gremium ge- um das gut zu bewältigen. mäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes gewählt der Abgeordnete Florian Oßner. Die Abgeordneten Albrecht Es gibt in Deutschland viele Familien, die sich wün- Glaser und Volker Münz haben die erforderliche Mehr- schen, Familie und Beruf gut miteinander zu vereinbaren. heit nicht erreicht.2) Häufig ist es so: Im Kindergarten, in der Kita und in der Tagespflege funktioniert das noch recht gut, aber dann Wir kommen zur nächsten Wahl: Das war die Wahl kommen die Kinder ins Grundschulalter, und es wird eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a schwierig, wenn die Kinder schon mittags vor der Haus- der Bundeshaushaltsordnung: abgegebene Stimmzettel tür stehen, mit leerem Magen und dem Ranzen voller 639. Mit Ja haben gestimmt 129, mit Nein haben ge- unerledigter Hausaufgaben. stimmt 491. Es gab 19 Enthaltungen. Der Abgeordnete Marcus Bühl hat die erforderliche Mehrheit von mindes- (Beatrix von Storch [AfD]: Ein fürchterlicher (B) tens 355 Stimmen nicht erreicht. Er ist damit nicht als Zustand! Kinder selber betreuen! Grässlich!) (D) Mitglied des Vertrauensgremiums gemäß § 10a der Bun- 3) Was bedeutet das? In aller Regel treten die Mütter kürzer, deshaushaltsordnung gewählt. sie gehen in Teilzeit, weil die Nachmittagsbetreuung eben Ich habe etwas vergessen. Ich komme zurück zu der nicht gewährleistet ist. Das bedeutet, dass sie Familie und Abstimmung über die Besetzung des Sondergremiums Beruf nicht mehr miteinander vereinbaren können. Oft gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusge- wünschen sie sich, dass es anders ist. Über 70 Prozent setzes. Mit der erforderlichen Mehrheit von über 355 der Familien sagen: Ein gutes Angebot an Ganztagsbe- Stimmen ist der Kollege Florian Oßner gewählt. Die Ab- treuung wäre eine gute Sache. – Deshalb wollen wir allen, geordneten Peter Boehringer und Dr. Birgit Malsack- die es wollen, und allen, die diesen Anspruch haben, eine Winkemann haben die erforderliche Mehrheit nicht er- entsprechende Betreuung ermöglichen. Wir werden einen reicht. Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter schaffen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf: Wir errichten mit dem Ganztagsfinanzierungsgesetz Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- ein Sondervermögen, damit die nötigen Investitionen ge- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errich- tätigt werden können. Wir haben uns mit den Ländern tung des Sondervermögens „Ausbau ganztägi- darauf verständigt, dass „Ganztag“ heißt: verlässlich, ger Bildungs- und Betreuungsangebote für montags bis freitags, für die Klassen 1 bis 4, mit Ferien- Kinder im Grundschulalter“ (Ganztagsfinan- betreuung – bis auf maximal vier Wochen Schließzeiten zierungsgesetz – GaFG) in den Ferien, eine Betreuung, die eine gute Qualität auf- weist. Drucksache 19/17294 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) der CDU/CSU) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Wir machen das zusammen mit dem Bundesbildungsmi- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO nisterium. Wir haben dort ein gemeinsames Projekt mit meiner Kollegin Anja Karliczek auf den Weg gebracht. 1) Namensverzeichnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Wahl Wir wollen gute Vereinbarkeit, wir wollen bessere Chan- siehe Anlage 4 cen für alle Kinder, und wir wollen zusätzliche Förderung 2) Namensverzeichnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Wahl auch am Nachmittag. Wir wollen Gelder zur Verfügung siehe Anlage 5 3) Namensverzeichnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Wahl stellen, mit denen wir die Länder und Kommunen bei siehe Anlage 6 dieser Aufgabe unterstützen. 18636 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Bundesministerin Dr. Franziska Giffey (A) Wir wissen, dass das Vorhaben eine große Kraftan- (Ulli Nissen [SPD]: Dafür sind ja auch die (C) strengung bedeutet für alle Länder und Kommunen, dass Redner zuständig!) die Ausbaustufe in den Ländern sehr unterschiedlich ist denn Mütter sind die durch den feministischen Egoismus und dass diese Kraftanstrengung mit finanziellen Mitteln vergessenen Frauen. Mütter werden von Feministen als verbunden ist, die in den Ländern und Kommunen auf- Heimchen am Herd diskriminiert, und dem werden wir gebracht werden müssen. Die Bundesregierung hat sich immer widersprechen, liebe Freunde. entschieden, Mittel für Investitionen in einer Größ- enordnung von 2 Milliarden Euro dazuzugeben. Wir (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- sprechen mit den Ländern darüber, wie es gelingen kann, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben überhaupt dass der Rechtsanspruch Realität wird und dass natürlich keine Ahnung! Das ist ja lächerlich!) auch die notwendigen Fachkräfte zur Verfügung stehen. Die links-grün geprägte Regierungsdoktrin geht dahin, Es ist wichtig, hier und heute den ersten Schritt zu tun, dass eine Frau nur als vollwertiges Mitglied der Gesell- um sowohl die Chancengerechtigkeit für Kinder als auch schaft gilt, wenn sie arbeiten geht. die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ge- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: währleisten und auch um die Frage zu beantworten: „Wie Sie haben ja von Frauen keine Ahnung!) gelingt es, eine hohe Erwerbsquote von Frauen und damit einen guten Impuls für unser Land zu entwickeln?“, da- Die Erziehungsleistung von Müttern in Deutschland wird mit wirklich jede Familie das Modell leben kann, das sie nicht anerkannt. Das ist ein Fakt, und der ist auszuspre- braucht und will, und dass es nicht daran scheitert, dass chen. einfach nicht genügend Betreuungsangebote vorhanden (Beifall bei der AfD) sind. Jede Erziehung wird in Deutschland als wertvoll erachtet (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und gefördert, außer der Erziehung, die zu Hause statt- Das Sondervermögen ist der erste Schritt in diese Rich- findet. tung. Wir werden nun die Regelung zum Rechtsanspruch Mütter oder Väter, die ihr Kind selbst erziehen, leisten in Absprache mit den Ländern entsprechend ausarbeiten. einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft. Der Ich danke ihnen, dass Sie diesen ersten Schritt gehen, Lohn, den sie dafür erhalten, ist ein hohes Altersarmuts- gemeinsam mit uns für ein modernes, familienfreundli- risiko und keine gesellschaftliche Anerkennung. Darum ches und sich gut entwickelndes Deutschland, sage ich: Es ist Zeit, dass Eltern und insbesondere Mütter in Deutschland wütend werden. (Beatrix von Storch [AfD]: Sicher!) (B) (D) das allen Familien und Kindern die Möglichkeiten gibt, (Beifall bei der AfD – Dr. Birke Bull-Bischoff ihren Weg, so wie sie es wünschen, zu machen. [DIE LINKE]: Schreien macht es auch nicht besser!) Vielen Dank. Die AfD steht als einzige Partei für die Freiheit von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Familien, selbst zu entscheiden, ob sie ihre Kinder selbst der CDU/CSU) erziehen oder in staatliche Betreuung geben wollen. (Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: So ein Vizepräsidentin Claudia Roth: Quatsch!) Vielen Dank, Dr. Giffey. – Nächster Redner: für die Die AfD begrüßt es, dass die Regierung jungen Eltern AfD-Fraktion Martin Reichardt. hilft, ihre Kinder zu erziehen. Die AfD fordert aber auch, (Beifall bei der AfD) dass die Erziehung durch Mütter und Väter in gleichem Maße gefördert wird wie die staatliche Erziehung. 5,5 Milliarden Euro geben Sie für das Gute-KiTa-Gesetz Martin Reichardt (AfD): aus; 2 Milliarden Euro soll nun der Ausbau der Ganztags- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen betreuung kosten. Nach eigenen Angaben geben Sie also und Herren! Bevor ich auf die Kinderbetreuung zu spre- 5 bis 7 Milliarden Euro dafür aus. Investieren Sie dieses chen komme, möchte ich kurz eine Frage an die Linke Geld auch in die Erziehung durch Eltern, die ihre Kinder stellen, und zwar: Ab welchem Alter wollen Sie eigent- zu Hause betreuen. Das ist die lohnendste Investition, die lich Reiche erschießen bzw. ins Lager bringen? diese Regierung jemals in Deutschland tätigen kann, mei- (Zurufe von der LINKEN) ne Damen und Herren. Gilt das erst ab 18, oder gilt das auch schon für Kinder? (Beifall bei der AfD) Zuzutrauen ist Ihnen ja alles. Aber Ihr Redner kann das Frau Giffey, ich muss es Ihnen leider sagen: Ihre Be- später gerne beantworten. treuungsprojekte werden ohnehin am Fachkräftemangel scheitern. Für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf (Beifall bei der AfD) Ganztagsbetreuung, den Sie als Gesetzentwurf vorlegen, Am Freitag findet hier im Hohen Hause die Debatte fehlen zusätzlich 100 000 pädagogische Fachkräfte. Min- zum Internationalen Frauentag statt. Ich muss kein Hell- destens 100 000 Erzieher fehlen schon jetzt für die kind- seher sein, wenn ich befürchte, dass das Wort „Mutter“ in gerechte Erziehung in unseren Kitas. Der Fachkräfteman- den Reden kaum bis gar nicht vorkommt; gel und die damit verbundene demografische Katastrophe Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18637

Martin Reichardt (A) ist die Folge der familien- und frauenfeindlichen Politik beide Elternteile erwerbstätig sein wollen oder vielleicht (C) der letzten Jahre und Jahrzehnte, die diese Regierung be- auch müssen. trieben hat; das muss hier ausgesprochen werden. (Beatrix von Storch [AfD]: Und zu viele (Beifall bei der AfD) Steuern zahlen!) Die wahren Fachkräfte für Kindererziehung, das sind Gerade für international tätige Menschen ist so ein An- Mütter und Väter. gebot häufig eine Selbstverständlichkeit. Ich bin erst seit einer Woche wieder hier; ich war letzte Woche in Kali- (Beifall bei der AfD) fornien. Im Silicon Valley hat mich ein Forscher ange- Sie haben einen entscheidenden Vorteil: Mütter und Väter sprochen, der sich dafür interessiert, nach Deutschland lieben ihre Kinder. Egal wie qualifiziert und engagiert ein zurückzukommen. Seine allererste Frage an mich war: Erzieher auch ist, er kann als Organ des Staates keine Wie sieht es denn bei euch mit der Kinderbetreuung Kinder lieben wie Vater und Mutter. aus? Es geht eben nicht mehr nur um die Frage, ob wir das wollen oder nicht. Die Frage ist, ob wir für Menschen (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: aus aller Welt, die hier bei uns arbeiten wollen, attraktive Auch davon haben Sie einfach keine Ahnung! Rahmenbedingungen bieten können. Viele junge Wissen- Keine Ahnung haben Sie! Null Ahnung!) schaftler mit internationaler Erfahrung kommen gern – Das ist die Wahrheit. Da können Sie hier reden, so viel nach Deutschland – übrigens auch hochangesehene Kl- Sie wollen. Forscher, die wir hier dringend brauchen –, wenn wir ihren Kindern ein attraktives Bildungsangebot machen, (Beifall bei der AfD) wenn wir in Kita und Grundschule eine moderne Lehr- Ich sage Ihnen noch etwas: Jede staatlich geschaffene methode verwenden, wenn das ganzheitliche Kind im Struktur ist ein Ersatz für Familien. Sie fördern mit Mil- Mittelpunkt steht, wenn der Ganztag in der Grundschule liarden Euro den Ersatz. nicht nur Betreuung, sondern ein hochattraktives Bil- dungsangebot enthält. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt stellt sich die Frage: Was ist denn ein hochattrak- Gehen Sie doch mal in eine Kita rein! Gucken tives Bildungsangebot? Sie sich doch mal an, wovon Sie sprechen!) Fördern Sie endlich das Original: für starke Eltern, für (Beatrix von Storch [AfD]: Was ein ganzheit- starke Familien, für unsere Kinder. – Und Ihre Unqualifi- liches Kind ist, die Frage stellt sich!) kation, Frau Lemke, die kenne ich schon lange aus Sach- (B) Dazu gehört, dass die Grundschule das schönste Gebäude (D) sen-Anhalt. Sie sind eine der unqualifiziertesten Perso- im Ort ist, dass sie eine Einladung an alle Kinder ist, eine nen hier in diesem Hause. Wertschätzung für jeden, der das Gebäude betritt. Das ist (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) natürlich noch nicht alles. Es braucht auch ein Konzept, das Bildungsinhalte, die Aufgabe der Länder sind – das Vielen Dank. betone ich hier –, mit dem räumlichen Angebot ver- knüpft. Wir als Bund wollen die Länder dabei unterstüt- (Beifall bei der AfD – [BÜND- zen, Qualität in der Bildung und ganztägige Betreuung zu NIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, da einem internationalen Aushängeschild für Deutschland können Sie auch mal was zu sagen!) zu machen. Das ist die Einladung, die die Fachkräfte aus aller Welt, die wir einladen, hier bei uns zu arbeiten, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: verstehen. Das ist die Einladung, die auch genügend Kl- Die nächste Rednerin ist die Frau Bundesministerin Forscher, die wir hier dringend brauchen, nach Deutsch- Anja Karliczek. land zurückbringt. Deswegen ist es mir ein echtes An- liegen, den Ganztag in der Grundschule zu einem weite- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ren Erfolgsmodell für Deutschland zu machen. Das Innovationsland Deutschland braucht ein attraktives An- Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und gebot für Kinder. Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Die 20er-Jahre sind das Jahrzehnt von Bildung, For- Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich schung und Innovation. Deshalb appelliere ich an die glaube, wir kommen mal zum Thema zurück. Länder, Qualitätskonzepte zu erstellen und Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher so auszubilden, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dass sie den wachsenden Anforderungen gerecht werden; denn Hand in Hand können wir, Bund, Länder und Kom- Deutschland ist ein Land, in dem man unter „Innovation“ munen gemeinsam, ein modernes Deutschland gestalten. nicht nur technische Innovation versteht, sondern ganz klar auch gesellschaftliche Modernisierung. Vor einem Jahr haben wir dafür unser Grundgesetz geändert und die Möglichkeiten der Kooperation zwi- (Zuruf von der AfD: Träum weiter!) schen Bund und Ländern erweitert. Jetzt können wir die- Zur gesellschaftlichen Modernisierung gehört auch, jun- se neue Möglichkeit zum Ausbau der Ganztagsangebote gen Menschen ein Angebot zu machen, wie sie es brau- nutzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Beschluss, chen, wenn sie Kinder haben, wie sie es brauchen, wenn das Ganztagsfinanzierungsgesetz auf den Weg zu brin- 18638 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Bundesministerin Anja Karliczek (A) gen, ist ein wichtiges Signal. Ein modernes Deutschland Stichwort „Rechtsanspruch“: Bisher nur unverbindli- (C) braucht nach dem DigitalPakt Schule, nach der Nationa- che Ankündigungen und Versprechungen. Aber Sie len Weiterbildungsstrategie, nach der Leseoffensive jetzt suggerieren mit einer Vielzahl von Äußerungen, dass eine Offensive für hochwertige Bildung im Ganztag in ein verbriefter Ganztagsanspruch kommt, und wecken der Grundschule. Wir wollen bei der nächsten PISA-Stu- damit Erwartungen, die Sie nicht erfüllen werden. die mit an der Spitze der europäischen Länder sein. Stichwort „Qualität“: Frau Ministerin, ich kann meine Ich bin davon überzeugt: Das Sondervermögen, das Verwunderung an dieser Stelle nicht verbergen. Wir ste- wir nun schaffen, wird Angebote möglich machen, die hen im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe. Was diesem hohen Anspruch gerecht werden. Damit schaffen wir brauchen, sind pädagogische Fachkräfte; was wir wir ein Aushängeschild für Deutschland, ein attraktives brauchen, ist hochwertige Ganztagsbetreuung; was wir Angebot für junge Familien, auch für junge Familien, die brauchen, ist weltbeste Bildung. aus aller Welt als Forscher oder Fachkräfte zu uns kom- Stichwort „Fachkräfte“: Sie antworten auf eine weitere men und hier bei uns mit ihren Kindern zu Hause sind. Anfrage, dass nur gut ein Drittel der neu ausgebildeten Lassen Sie uns heute gemeinsam den Grundstein dafür Fachkräfte bis zur Rente im Beruf bleiben will – ein legen. Drittel! Die Gründe dafür haben Sie gleich mitgeliefert: Herzlichen Dank. schlechte Bezahlung, schlechte Arbeitsbedingungen, kaum Aufstiegschancen. Wie wollen Sie vor diesem Hin- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tergrund vermeiden, dass Kinder lediglich verwahrt wer- den? Sie wissen nicht einmal, wie viele Fachkräfte wir tatsächlich brauchen. Ganz ehrlich: Das ist ein politischer Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Blindflug. Vielen Dank, Frau Ministerin. – Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion Matthias Seestern-Pauly. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Es geht Ihnen augenscheinlich einmal mehr nur um die politische Außenwirkung. Denn wenn ich mir Ihre bishe- rigen Initiativen in diesem Bereich anschaue, dann muss Matthias Seestern-Pauly (FDP): ich sagen: Qualität spielt kaum eine Rolle. Das Ziel einer Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- hochwertigen Ganztagsbetreuung ist richtig. Aber was men und Herren! Acht Stunden am Tag, fünf Tage die Sie hier vorstellen, ist einmal mehr halbgares Stückwerk. Woche, maximal vier Wochen Ferienschließzeit – das, Steuern Sie nach! (B) Frau Ministerin Giffey, sind Ihre Ziele zur Ganztagsbe- (D) treuung in der Grundschule ab dem Jahr 2025. Das Pro- Herzlichen Dank. blem ist nur, dass Sie diese Ziele mit diesem Gesetz, auch (Beifall bei der FDP) wenn es nur ein Baustein ist, grandios verfehlen werden. (Beifall des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner: der Dafür müssten Sie nämlich jetzt insgesamt die notwen- Kollege Norbert Müller, Fraktion Die Linke. digen Rahmenbedingungen schaffen. Da fallen mir vor allem drei Dinge ein: erstens ausreichende Finanzmittel, (Beifall bei der LINKEN) zweitens ein tatsächlicher Rechtsanspruch und drittens Fachkräfte. Das alles sehe ich hier aber nicht, nicht mal Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): im Ansatz. Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke tritt ein für ein bedarfs- (Beifall bei der FDP) gerechtes, qualitativ hochwertiges und beitragsfreies Sie machen ein Gesetz zulasten Dritter, zulasten der kom- Ganztagsangebot. Ja, dafür brauchen wir den individuel- munalen Finanzen, genauso wie Sie es bereits beim so- len Rechtsanspruch, und zwar unabhängig vom Erwerbs- genannten Gute-KiTa-Gesetz getan haben. Dabei müss- status der Eltern. ten Sie es eigentlich besser wissen, da auch Sie aus der (Beifall bei der LINKEN – Martin Reichardt Kommunalpolitik kommen. [AfD]: Wie geht das mit den Reichen?) Frau Ministerin, Sie antworten auf meine Kleine An- Darin sind wir uns, jedenfalls wenn wir den Koalitions- frage, ich solle in der Studie des Deutschen Jugendinsti- vertrag zur Grundlage nehmen, mit den Koalitionsfrak- tuts nach dem Finanzbedarf für den Ganztagsausbau tionen einig. Deswegen begrüßen wir auch das Ansinnen schauen. Das habe ich tatsächlich getan. Sie auch? Da aus dem Koalitionsvertrag, einen Rechtsanspruch – hier steht nämlich: 5,3 Milliarden Euro Investitionskosten heißt es nicht „individuell“; aber vielleicht meinen wir ja und 3,2 Milliarden Euro jährliche Betriebskosten ab das Gleiche – auf Ganztagsbetreuung zu schaffen. dem Jahr 2025. Sie aber wollen lediglich einmalig 2 Mil- liarden Euro zur Verfügung stellen. Ganz ehrlich: Das ist Mit dem Kitaausbau haben wir den richtigen Weg be- ein absoluter Witz, und das wissen Sie auch. schritten, wenn auch in vielen Fragen noch unzureichend. Aber natürlich – die Frage haben auch Sie, Frau Giffey, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten aufgeworfen – ist die Frage: Was passiert denn, wenn ein des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kind sechs Jahre alt wird oder sieben Jahre alt wird, ein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18639

Norbert Müller (Potsdam) (A) geschult wird und von heute auf morgen die Nachmit- geht so nicht. Wenn Sie diesen Weg weitergehen und die (C) tagsbetreuung nicht mehr gewährleistet ist? Kosten am Ende vor allen Dingen bei den Ländern und Kommunen und bei den Eltern – über die Elternbeiträge – (Martin Reichardt [AfD]: Wenn es reich ist, hängen bleiben, dann fahren Sie den Rechtsanspruch an was passiert dann?) die Wand. Das dürfen wir nicht tun, weil wir bei vielen Natürlich ist das ein Problem für die Eltern. Deswegen ist Eltern die Hoffnung geweckt haben, dass es jetzt endlich es richtig, qualitativ gute Nachmittagsangebote zu schaf- eine Lösung für die Nachmittagsbetreuung gibt. Deswe- fen. Wir können diesen Eltern überhaupt nicht erklären, gen können wir nicht so leichtfertig damit umgehen und warum von heute auf morgen eine Betreuung nicht mehr mit diesem sehr schmalen Sondervermögen ohne große gewährleistet wird. Hintergründe den Rechtsanspruch endgültig an die Wand fahren. Wir brauchen einen deutlich größeren Schritt, und (Beifall bei der LINKEN) wir brauchen eine auskömmliche Finanzierung, damit Deswegen ist auch der Rechtsanspruch für ein gutes das ganze Projekt im Bundesrat am Ende nicht scheitert. Ganztagsbetreuungsangebot überfällig. (Beifall bei der LINKEN) Im Koalitionsvertrag haben Sie formuliert, dass Sie sicherstellen wollen, „dass insbesondere der laufenden Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Kostenbelastung der Kommunen Rechnung getragen Die nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner, wird“. Ich glaube, da kommen wir zu des Pudels Kern, Bündnis 90/Grüne. zum großen Problem: Wer soll das eigentlich am Ende bezahlen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte mich meinem Vorredner, Herrn Seestern- Pauly von der FDP, anschließen. Ich habe zum Kitaaus- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bau bereits was gesagt. Kitaausbau, das war an sich eine Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- gute Sache. Aber wir dürfen die Fehler aus dem Kitaaus- be Kollegen! Einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreu- bau nicht wiederholen; wir können es nicht wieder so ung zu schaffen, das ist ein wichtiges Anliegen, das auch machen, dass die Länder und Kommunen den Löwenan- wir als grüne Fraktion natürlich voll und ganz teilen und teil zahlen und der Bund sich am Ende „rauszahlt“. Wir unterstützen. Ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung können es nicht wieder so machen, dass es bundesweit kann ein ganz wichtiger Baustein sein für mehr Bildungs- keinerlei Qualitätsansprüche und keine Qualitätsstan- gerechtigkeit in unserem Land. Insbesondere für Kinder, dards für den Ausbau gibt und dass nicht vorher recht- die in ihren eigenen Familien wenig Förderung erfahren, (B) zeitig für Fachkräfte gesorgt wird. die in ihren eigenen Familien da wenig mitbekommen, (D) kann das ganz zentral sein, gerade im Bereich der Grund- Da stellen sich natürlich viele Fragen an Ihren Gesetz- schule, wo so wichtige Weichen gestellt werden für den entwurf. Sie wollen mit dem Gesetzentwurf für die Jahre weiteren Bildungs- und Lebensweg. 2020/21 ein Sondervermögen von 2 Milliarden Euro ein- bringen, nur für Neubauten und Investitionen. Der Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) desrat sagt in seiner Stellungnahme, die Länder brauchen ungefähr 7,5 Milliarden Euro; er bezieht sich auf die Deshalb ist der Ganztagsanspruch wichtig. Zahlen des Deutschen Jugendinstituts für die Investi- Er ist natürlich auch wichtig für die bessere Verein- tionskosten der nächsten Jahre. Das heißt, 5,5 Milliarden barkeit von Familie und Beruf. Ich muss sagen, ich finde Euro fehlen hier, die im Sondervermögen nicht vorhan- es wirklich absurd, dass Eltern, die – zum Glück – heute den sind. Die zahlen dann am Ende eben doch die Länder die ganztägige Betreuung ihrer Kinder in der Kita ken- und Kommunen – obgleich doch in Ihrem Koalitionsver- nen, dann, wenn die Kinder eingeschult werden, gesagt trag steht, dass das nicht passieren soll. 5,5 Milliarden bekommen: Ihr müsst die Kinder wieder zum Mittages- Euro oder, um es mit Ihren Worten zu sagen, 5 500 Millio- sen abholen. nen Euro. Sie haben keine Idee, wie der Rechtsanspruch prak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tisch aussehen soll; es gibt bis heute keinen Vorschlag. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir wissen noch nicht mal, wann er kommen soll. Und der SPD) Sie haben keine Idee zur Fachkräftesicherung. Sie haben Auch deshalb ist der Rechtsanspruch so wichtig für eine sogar das bisschen Fachkräfteoffensive, was auf dem bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Weg war, wieder einschlafen lassen. Das heißt, wir haben weniger als vor einem Jahr, obwohl die Herausforderun- Die Bundesländer – das wissen wir – haben bis dato gen gewachsen sind und bereits weit über 100 000 Erzie- einen ganz unterschiedlichen Level beim Ausbau der herinnen und Erzieher im Kitabereich fehlen. Die fehlen Ganztagsbetreuung erreicht, und sie haben zum Teil auch am Ende natürlich auch im Hortbereich. sehr unterschiedliche Ansätze. Ich glaube, auch deshalb ist klar, dass der Bund nicht kleinteilig vorschreiben Das Deutsche Jugendinstitut schätzt, dass ab 2025, kann, wie die Ganztagsbetreuung zukünftig auszusehen wenn der Rechtsanspruch gelten soll, durch die Kommu- hat. nen und die Länder im jährlichen Betrieb am Ende 4,5 Milliarden Euro aufgebracht werden müssen. Dafür Einige Standards sind aber ganz wichtig, damit bessere sorgt der Bund mit keinem einzigen Euro. Ich glaube, das Bildungschancen und eine verlässliche Betreuung über- 18640 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Katja Dörner (A) haupt möglich werden. Dazu gehört natürlich, dass der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Ganztag mindestens an acht Stunden am Tag stattfindet. Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir brauchen aber auch verbindliche Qualitätskriterien Auch deshalb sagen wir ganz klar – wir haben das in mit Blick auf die Personalausstattung, mit Blick auf die den Haushaltsberatungen deutlich gemacht –: Wir müs- räumliche Ausstattung und auch, was die inklusive Aus- sen mehr investieren. Wir wollen den Ausbau der Ganz- stattung angeht. Für uns Grüne ist klar, dass der Ganz- tagsbetreuung; aber dieser Ausbau muss solide finanziert tagsanspruch auch für Kinder mit Behinderung gelten sein. Dieser Gesetzentwurf erfüllt diese Kriterien über- muss, dass es da keinen Unterschied geben darf. haupt nicht. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für all diese Punkte gibt es eben noch keinen Gesetzent- wurf. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Marja- Wir reden heute über einen Gesetzentwurf, in dem es Liisa Völlers. um ein Sondervermögen geht, ein Sondervermögen von mickrigen 2 Milliarden Euro für Investitionen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU]) ( [CDU/CSU]: Mickrig? 2 Milliarden Euro!) Marja-Liisa Völlers (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- In diesem Jahr soll erst mal 1 Milliarde Euro zur Ver- ren! Nele und Emil, beide zehn Jahre alt, gehen jeden Tag fügung gestellt werden. Wir haben die Berechnungen gemeinsam von ihrer Dorfgrundschule nach Hause. Da des Deutschen Jugendinstituts schon gehört: 5,3 Milliar- Neles Eltern beide in schlecht bezahlten Jobs arbeiten, ist den Euro sind eigentlich nötig. Es ist aus meiner Sicht Teilzeit für sie keine Option. Die Großeltern leben weit kein Wunder, dass der DGB gerade heute davor warnt, entfernt. Nele isst alleine Mittag, guckt etwas Fernsehen dass der Bund so wenig investiert und dass der Bund auch und versucht, für die Deutscharbeit am nächsten Tag zu nicht bereit ist, klar zu sagen, dass er dauerhaft investiert. lernen. Lust hat sie keine; denn so richtig versteht sie Der DGB befürchtet, dass dieses wichtige Vorhaben zum nicht, um was es da morgen gehen wird. (B) Scheitern verurteilt ist. Deshalb müssen wir hier deutlich (D) mehr investieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Emil hingegen wird bereits von seiner Mutter erwartet. Während sie das Mittagessen zubereitet, telefoniert sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch schnell am Handy mit einem Kunden. Beim Üben sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] für die Klassenarbeit hilft seine Mutter bei Fragen, be- [DIE LINKE]) antwortet aber dabei liegengebliebene E-Mails auf dem Tablet; denn so richtig angepasst an das neue Arbeits- Das darf wirklich nicht scheitern; das ist für die Familien pensum wurde ihre Teilzeitstelle nicht. ein ganz wichtiges Anliegen. Beispiele wie diese zeigen, wie wichtig unser Vorha- Ich muss auch sagen, ich verstehe überhaupt nicht, ben ist, für eine bessere Ganztagsbetreuung für Kinder im warum die Bundesregierung beim Thema Ganztagsaus- Grundschulalter zu sorgen. bau so geizig ist. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wir wollen bis zum Jahr 2025 für jedes Grundschulkind SES 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski einen Rechtsanspruch schaffen. Das sind ein wichtiger [CDU/CSU]: Schauen Sie doch einmal in die Schritt hin zu echter Vereinbarkeit von Familie und Beruf Verfassung, wer zuständig ist!) und vor allem ein Motor für bessere Chancen für alle Ich verstehe es überhaupt nicht. Frau Giffey selbst hat Kinder in unserem Land. unlängst eine Studie vom Deutschen Institut für Wirt- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schaftsforschung vorgestellt; diese Studie belegt, dass der CDU/CSU) sich der Ausbau der Ganztagsbetreuung weitestgehend selbst finanziert. Ein in den Ausbau der Ganztagsbetreu- Uns geht es dabei nicht um acht Stunden Frontalunter- ung investierter Euro kommt über mehr Steuereinnahmen richt. Wir wollen einen Ganztag, der Raum zur indivi- mit bis zu 80 Cent wieder in den Bundeshaushalt zurück, duellen Entwicklung eines jeden Kindes gibt, einen weil die Frauen deutlich mehr erwerbstätig sein können – Ganztag, der die schulische ebenso wie die musische oder was sie ja auch wollen –; deshalb macht der Ganztags- sportliche Bildung im Blick hat. Dazu braucht es eben ausbau ja auch ökonomisch Sinn. Er ist bildungspolitisch Strukturen, in denen Schulen, Horte, Kinder- und Jugend- richtig, er ist familienpolitisch richtig, und er ist ökono- hilfe, Sport- und Musikvereine auf Augenhöhe zusam- misch sinnvoll. menarbeiten können. Und es braucht gut ausgebildetes und gut bezahltes Fachpersonal. Der Rechtsanspruch darf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht zu schlecht bezahlten und befristeten Stellen führen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18641

Marja-Liisa Völlers (A) Mir ist bewusst, dass die Ausgangslage hierzu alles Fraktionen, die Sie so vollmundig kritisieren, dass der (C) andere als einfach ist. Wir haben in den Bundesländern – Bund so wenig tut, zu bedenken: Auch bei der U-3-Be- darauf wurde eben schon Bezug genommen – sehr unter- treuung, auch bei der Kitabetreuung sind es Länder und schiedliche Startvoraussetzungen, sowohl, was das Ganz- Kommunen, die zuständig sind. tagsangebot an sich angeht, als auch, was das Fachperso- nal und die finanziellen Spielräume betrifft. Deshalb (Beifall bei der CDU/CSU) brauchen wir einerseits bundesweite, klar definierte Qua- Da haben wir zum ersten Mal gesagt: Wir lassen euch litätsstandards und andererseits ausreichend Flexibilität, nicht alleine. Wir machen das gemeinsam. Wir unterstüt- um diese Standards zu erreichen. zen beim Ausbau. – Dieses Versprechen haben wir (Beifall bei der SPD) eingelöst. Wir haben uns immer wieder für das Kinder- betreuungsausbauprogramm eingesetzt, seine Geltungs- Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Ministerinnen dauer verlängert und die Mittel entsprechend aufgestockt, Karliczek und Giffey, mit dem Ganztagsfinanzierungsge- und zwar so lange, bis wir – ich will die Zahlen gerne setz, das wir heute in erster Lesung beraten, setzen wir vorlesen – von 13,6 Prozent Betreuungsquote im Jahr den Startschuss für den Ausbau der Ganztagsbetreuung 2006 auf mittlerweile weit über 30 Prozent in den Län- im Grundschulalter. Mit diesem Gesetz stellen wir sicher, dern angelangt sind, und wir verfolgen weiterhin den dass die bereits zugesicherten 2 Milliarden Euro in dieser Ausbau, so wie es die Familien wünschen. Legislaturperiode so lange in einer Art Spardose verblei- ben, bis der Rechtsanspruch auch steht; denn bis zur Um- (Beifall bei der CDU/CSU) setzung haben wir sicherlich noch einen weiten Weg vor Nun wurde schon mehrmals erklärt, dass sich nach der uns. Mit „uns“ meine ich Bund, Länder und Kommunen. Kitazeit oft ein Einbruch vollzieht, dass es viele Regio- Hier stehen wir jetzt alle gemeinsam in der Pflicht. nen in Deutschland gibt, wo es im Grundschulbereich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten keine gute Nachmittagsbetreuung gibt. Wir sagen auch der CDU/CSU) hier: Wir lassen Länder und Kommunen nicht allein mit dem Problem, sondern wir gehen das gemeinsam an. – Zum Schluss. Es gilt nun, die Chancen, die die Ganz- Jetzt kann man zwar sagen, dass 2 Milliarden Euro Pea- tagsbetreuung mit sich bringt, nicht leichtfertig zu ver- nuts sind, aber ich kann nur sagen: 2 Milliarden Euro, das spielen. Lassen Sie uns eine gute Lösung finden, damit sind 2 000 Millionen Euro, die der Bund in den nächsten Familien hierzulande so leben können, wie sie es wollen, Jahren zur Verfügung stellt für eine Aufgabe, die originär und damit alle Emils und alle Neles die gleiche Chance Aufgabe der Länder und Kommunen ist. bekommen, etwas aus ihrem Leben zu machen. (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (D) Herzlichen Dank. Matthias Seestern-Pauly [FDP]: Sie haben es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten doch versprochen!) der CDU/CSU) Wir wollen, dass es auch hier ein besseres und ein ver- lässliches Angebot gibt. Wir wollen einen Anspruch auf Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Betreuung am Nachmittag, und wir wollen das zu einem Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die nächste Rednerin: gemeinsamen Projekt machen. Eltern müssen sich darauf die Kollegin Nadine Schön, CDU/CSU-Fraktion. verlassen können, dass ihre Kinder auch am Nachmittag gut betreut sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Der zweite Punkt, der uns als Union dabei wichtig ist Nadine Schön (CDU/CSU): neben der Frage, wer genau zuständig ist, ist unser An- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liegen, in Vielfalt zu investieren. Es muss nicht ein An- Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! So vielfältig gebot für alle geben. Es muss nicht die gebundene Ganz- wie Familien sind, so vielfältig sind auch die Varianten, tagsschule in ganz Deutschland sein. Es gibt tolle wie sie ihren Alltag gestalten. Das ist uns als Union wich- Angebote von Horten. Es gibt tolle freiwillige Nachmit- tig. Grundsatz unserer Familienpolitik ist die Wahlfrei- tagsangebote. Diese Vielfalt, diese Flexibilität wollen wir heit. Wir wollen, dass die Familien in unserem Land ihren erhalten; denn das wünschen die Eltern. Nicht jeder will Familientag so gestalten können, wie sie es wollen, und das Gleiche. Deshalb wollen wir die Vielfalt erhalten und dass sie dazu die besten Rahmenbedingungen haben. geben das Geld den Ländern. Die Länder können dann selbst entscheiden, wie sie das Geld zusammen mit ihren (Beifall bei der CDU/CSU) Kommunen verausgaben. Das war auch ein Grund, weshalb wir uns vor vielen Vielfalt, Verlässlichkeit und Vereinbarkeit von Familie Jahren gemeinsam auf den Weg gemacht haben, den An- und Beruf, das ist uns ein großes Anliegen. Wir errichten liegen der Eltern zu entsprechen und bei der Kinderbe- heute das Sondervermögen mit 2 Milliarden Euro, um treuung der Kleinsten mehr zu machen. Viele Eltern ha- Länder und Kommunen bei diesem wichtigen Anliegen ben gesagt: Wir wollen wieder in das Berufsleben zu unterstützen. Ich finde, das ist ein sehr, sehr gutes einsteigen. Wir brauchen eine gute, eine verlässliche Be- Zeichen für unsere Familien, und wir lösen damit ein treuung. – Wir haben das gemeinsam mit Ländern und Versprechen ein, das wir vor zwei Jahren gegeben haben. Kommunen gemacht. Es ist wichtig, lieber Kollege Seestern-Pauly und auch liebe Kollegen der anderen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 18642 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Also, was macht man? Man muss reduzieren. Wen trifft (C) Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die letzte Rednerin zu es meistens? Die Frauen, und das zu einem Zeitpunkt, wo diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr. Silke die Kinder schon älter sind und man schon bis zu zehn Launert, CDU/CSU-Fraktion. Jahre reduziert gearbeitet hat. Kein Wunder, dass Frauen den Anschluss im Beruf verlieren! Wir können noch so (Beifall bei der CDU/CSU) viel über Beträge und Gleichstellung sprechen: Wenn eine Frau mit zwei Kindern 10 bis 15 Jahre draußen ist Dr. Silke Launert (CDU/CSU): bzw. nur halbtags arbeitet, dann – da brauchen wir uns Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nicht zu wundern – ist es einfach schwierig, den An- Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fragen schluss zu finden. Deshalb ist es da genauso wichtig. „Warum bin ich eigentlich in die Politik gegangen? Was Man muss jetzt allerdings auch ganz kurz sagen: Es treibt mich an?“ wird sich jeder hier im Raum schon geht heute nicht um den Rechtsanspruch, sondern es geht gestellt haben, und jeder hat darauf seine ganz eigene, hier zunächst um einen allerersten Schritt, das Funda- individuelle Antwort. Meine persönliche Antwort: Ich ment, die Schaffung eines Sondervermögens: in 2020 wollte dazu beitragen, dass Frauen Kinder bekommen und 2021 2 Milliarden Euro. Ich denke, für diese zwei können und gleichzeitig die Chance haben, weiter in ih- Jahre ist das ein schöner Anfang, und wir sollten uns rem Beruf zu arbeiten, wenn sie es wollen. freuen, dass wir diesen Schritt gehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich sage noch einmal: Es geht um Wahlfreiheit. Wir der SPD) zwingen niemanden, seine Kinder in eine Ganztagsbe- Leider ist das nicht überall der Fall. Meine Vorstellung treuung abzugeben. Das ist also wieder einmal eine typi- war: Kind und Karriere, das sollen keine Gegensätze sein. sche Verdrehung der Tatsachen. Frauen sollen die Freiheit haben, wenn sie es wollen – das ist keine Pflicht –, beides zu wollen und auch beides in (Martin Reichardt [AfD]: Aber schulden wir der Realität zu leben. denen nichts, die ihre Kinder zu Hause erzie- hen?) (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Und Aber es gibt Frauen in diesem Land, die das wollen. Und Männer!) ich muss noch ganz kurz was sagen – – Und Männer auch. Leider war es meistens so, dass die Frauen eingeschränkt waren. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Aber die Zeit ist jetzt abgelaufen. (B) Das war meine Motivation. Ich habe mir schon im (D) Studium Gedanken gemacht, wie ich das denn schaffe. Ich wusste, dass ich allein mit Küche, Kirche und Kin- Dr. Silke Launert (CDU/CSU): dern in meinem Leben nicht glücklich werde. Also, wie – zur Verhöhnung der Frauen, klappt es? Das war eine der Hauptantriebe und von An- fang an ein Herzensanliegen. Ich denke, es ist auch ein (Martin Reichardt [AfD]: Das stimmt doch gar Herzensanliegen vieler hier. Ich weiß, dass sich ganz nicht!) viele Frauen in Deutschland darüber ständig Gedanken die das machen, der Alleinerziehenden, die es sonst nicht machen – auch manche Männer, aber meistens Frauen. schaffen, die dem Staat nicht zur Last fallen wollen, son- Ich freue mich daher, dass in das Thema „Vereinbarkeit dern arbeiten wollen. All diese, die nach acht Stunden von Familie und Beruf“ in den letzten zehn, zwölf Jahren Arbeit noch ihre Kinder erziehen, haben Respekt verdient wirklich so richtig Dynamik hineingekommen ist. und keine Zynik. Der erste ganz wesentliche Schritt war natürlich die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Schaffung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz durch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ursula von der Leyen. Das war nicht einfach. Ich habe die GRÜNEN – Martin Reichardt [AfD]: Das habe Gespräche in den Kommunen miterlebt. Natürlich war ich doch überhaupt nie gesagt!) das eine Riesenherausforderung. Aber bei einer eigent- lich originären Angelegenheit von Kommunen und Län- dern war dann eine Vorgabe vom Bund da. Es war auch Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ein gewisser Druck da. Der Bund hat, begleitet durch Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das war die letzte Red- Milliardenpakete, auch einen Anteil übernommen – nicht nerin zu diesem Tagesordnungspunkt. Ich schließe die alles, aber einen ganz großen Anteil. Das war ein zent- Aussprache. raler Schritt. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs Jetzt gehen wir den nächsten großen, zentralen Schritt, auf Drucksache 19/17294 an die in der Tagesordnung und er ist essenziell. Es ist bereits mehrfach angesprochen aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere worden: Sie haben Kinder – ich habe bis vor Kurzem Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann zwei Grundschulkinder gehabt – und haben alles perfekt verfahren wir wie vorgeschlagen. organisiert, konnten vielleicht halbtags oder zwei Drittel – Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 a auf: manche sogar ganztags – wieder arbeiten, und dann kommt von heute auf morgen das Grundschulalter. Man Beratung des Antrags der Abgeordneten kann natürlich Sechsjährige nicht alleine zu Hause lassen. Dr. Lothar Maier, Hansjörg Müller, Markus Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18643

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Frohnmaier, weiterer Abgeordneter und der Frak- Häfen und Flughäfen gleich mitliefert, bleiben deutsche (C) tion der AfD Investitionen in diesem Sektor bestenfalls punktuell und unzusammenhängend. Weder werden sie von der Bun- Entwicklungszusammenarbeit zum gegensei- desregierung diplomatisch begleitet und in ein Entwick- tigen Nutzen konzipieren – Rohstoffversor- lungskonzept des Ziellandes eingepasst, noch werden die gung der deutschen Industrie sicherstellen Möglichkeiten der technischen Zusammenarbeit für un- Drucksache 19/17525 terstützende Maßnahmen genutzt, vor allem im Bereich der Infrastruktur, aber auch der Ausbildungsförderung für Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) qualifizierte Arbeitskräfte. TZ und private Investitionen Auswärtiger Ausschuss laufen beziehungslos nebeneinander her, und oft verfolgt Ausschuss für Wirtschaft und Energie die TZ Ziele, die aus einer anderen Welt zu stammen Beschlossen ist eine Aussprache von 30 Minuten. scheinen. Ich eröffne die Aussprache. Mit den 10 Milliarden Euro im Haushalt des Entwick- lungsministeriums ließen sich Infrastruktur- und Ausbil- (Unruhe) dungsprojekte für viele bedeutende private Investitionen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie zügig den in den Zielländern finanzieren, die diese Länder wirt- Platztausch vornehmen würden! – Wir beginnen mit dem schaftlich voranbringen könnten. Stattdessen wird ein ersten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. Das ist der Großteil des TZ-Budgets für Klein- und Kleinstprojekte Kollege Dr. Lothar Maier, AfD-Fraktion. mit höchst zweifelhafter und entwicklungspolitisch bedeutungsloser Zielsetzung vergeudet. Als Beispiel (Beifall bei der AfD) nenne ich hier 170 000 Euro für gendersensible Männer- arbeit in Nicaragua, Dr. Lothar Maier (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (Heiterkeit bei der AfD) ren! Wir reden in dieser Debatte über die mittel- und 69 000 Euro für die Verbesserung der sexuellen und re- langfristige Versorgung der deutschen Industrie mit Roh- produktiven Gesundheit von Jugendlichen des Distrikts 8 stoffen, und zwar mit solchen, die wir aus außereuropäi- in Bolivien, schen Ländern importieren müssen. Dass die Rohstoff- versorgung überhaupt zu einem größeren Problem (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geworden ist, war vor zehn Jahren so noch nicht abzu- NEN]: Beschreiben Sie den Fall doch einmal! sehen. Die Wirtschaft war es gewohnt, jedes benötigte Was steckt denn dahinter?) (B) Material in ausreichender Menge auf dem Weltmarkt ein- (D) kaufen zu können. Kaum ein Rohstoff war wirklich 234 000 Euro für integrierte und genderbasierte Förde- knapp. rung von organisierten Kleinbauernfamilien in Uganda usw. usf. Heute müssen wir feststellen, dass immer mehr wich- tige Rohstoffe immer schwieriger zu beschaffen sind: Wenn solche Projekte überhaupt jemandem nützen, dann Seltene Erden, diverse Metalle, Mineralien, Energieträ- wohl nur den Mitarbeitern jener deutschen NGOs, die sie ger und selbst bestimmte Agrarrohstoffe. Grund ist nicht durchführen. die Erschöpfung der Rohstoffvorkommen, sondern die (Beifall bei der AfD) Vermachtung der Märkte. Großverbraucher wie vor allem China, aber auch die USA, Frankreich und Groß- Das, was in der Außenwirtschafts- wie der Entwick- britannien haben sich den monopolistischen Zugriff auf lungspolitik wirklich nottut, sind drei Maßnahmen, die wichtige Bodenschätze gesichert und bestimmen die wir vorschlagen und die gleichermaßen deutschen Inte- Preise. Werte Kollegen, ja, mit Rohstoffen wird Macht- ressen wie denen der Zielländer entsprechen: politik betrieben. Wer hätte das gedacht? Erstens: die Koordinierung der deutschen Rohstoff- Spät, aber noch nicht zu spät hat der Bundesverband und Entwicklungspolitik durch ein zu schaffendes Amt der Deutschen Industrie auf die drohenden Gefahren in eines Bundesbeauftragten für Rohstoffpolitik, dessen seiner Berliner Rohstofferklärung hingewiesen und ent- Aufgabe darin bestünde, die nationalen Initiativen zur schlossenes Handeln der Regierung angemahnt. Die Bun- Sicherung der Rohstoffversorgung zu bündeln und zu desregierung hat dieser Warnruf leider nicht aus ihrem lenken. Tiefschlaf zu wecken vermocht. Dort scheint man weiter zu glauben, der Markt werde schon alles regeln. Das tut er Zweitens: die Gründung einer deutschen Rohstoffge- auch, aber mit anderen Ergebnissen, als von der Regie- sellschaft aus einem Zusammenschluss privater Unter- rung erträumt. nehmen, die die Gewinnung und Bevorratung mit strate- gisch wichtigen Rohstoffen organisiert und deren Arbeit Von einer zusammenhängenden deutschen Rohstoff- begleitet. Finanziell müsste sich die öffentliche Hand politik kann keine Rede sein. Während China sich nicht daran nicht oder nur sehr eingeschränkt beteiligen. nur zahlreiche Rohstoffvorkommen in Afrika, in Süd- amerika und in Asien gesichert hat, indem es nicht nur Und drittens: die Neuorientierung der Technischen Zu- die Lagerstätten selbst unter Kontrolle bringt, sondern sammenarbeit auf die beschriebenen begleitenden und indem es auch die gesamte für Transport und Verarbei- unterstützenden Maßnahmen für substanzielle Investitio- tung notwendige Infrastruktur wie Straßen, Eisenbahnen, nen der deutschen Wirtschaft in den Partnerländern. 18644 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Lothar Maier (A) Nicht geschenkte Investitionen, die verfallen, sobald von Preisspitzen, von Lieferengpässen, und es gibt auch (C) der ausländische Sponsor die Finanzierung einstellt, sind Marktkonzentrationen. das Ziel, sondern Investitionen im beiderseitigen Interes- se mit langfristiger Perspektive. Zu den Zielen solcher Dass Sie es aber auch noch fertigbringen, zu schreiben, Kooperationen kann es nicht allein gehören, nur einfach die deutsche Wirtschaft scheitere langfristig daran, sich Rohstoffe zu gewinnen und zu exportieren, sondern dazu mit Seltenen Erden zu versorgen, und auch noch den sollte auch gehören, die ersten Verarbeitungsstufen im Bundesverband der Deutschen Industrie vor Ihren Karren Zielland zu organisieren. spannen, indem Sie sagen, hier würden höhere politische Priorisierungen gefordert, ist etwas aus der Zeit; denn diese Forderung stammte vom Juli 2018. Würde es Ihnen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wirklich um eine Rohstoffstrategie gehen, dann hätten Herr Kollege, denken Sie an Ihre Zeit. Sie zumindest erkannt, worauf die Forderung damals zielte. Es ging darum, die Versorgungssicherheit zu Dr. Lothar Maier (AfD): stabilisieren, indem man sie auf drei Säulen stellt: Im- Machen wir etwas Ungewöhnliches! Machen wir et- portrohstoffe, deren Volumen 2017 162 Milliarden Euro was, was allen nützt! betrug, die heimischen Rohstoffe, die mit 12 Milliarden Euro zu Buche schlagen, und vor allem – das ist die dritte Danke. Komponente – Recycling der Rohstoffe; denn gut sind die Rohstoffe, die wir gar nicht verbrauchen. (Beifall bei der AfD) Herr Dr. Maier, Sie sprechen von einem Tiefschlaf der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Regierung. Ich habe die Sorge, dass Sie die Rohstoff- Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege strategie noch gar nicht kennen. Sie ist eine Fortentwick- Stefan Sauer. lung aus 2010. Die 2020er-Version hat weite Teile der Forderungen des Bundesverbandes aufgenommen. Der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesverband ist damit auch zufrieden. Wesentliche Ideen finden vor allem ihren Niederschlag in der Aus- Stefan Sauer (CDU/CSU): richtung an einer internationalen Kooperation anstelle Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und eines nationalen Alleinganges. Aus der Sicht der CDU/ Kollegen! Verehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Unter CSU-Fraktion ist die Rohstoffstrategie gelungen, und der Überschrift „Entwicklungszusammenarbeit zum ge- zwar auch deshalb gelungen, weil sie ein zwischen dem genseitigen Nutzen konzipieren – Rohstoffversorgung Ministerium für Wirtschaft und Energie sowie dem Mi- (B) der deutschen Industrie sicherstellen“ kündigte sich nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- (D) eigentlich ein vielversprechender Antrag der AfD an. wicklung abgestimmtes Produkt ist. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Leitmotiv, das damals schon galt, dass in erster Nein!) Linie die Unternehmen für ihre Rohstoffversorgung ver- antwortlich sind, gilt weiterhin; denn die Regierung hat Ja, es geht um Rohstoffe. Rohstoffe sind die Grundlage lediglich politisch flankierende Maßnahmen zur Stabili- unserer Volkswirtschaft, und wenn es der Volkswirtschaft sierung des Prozesses beizutragen. Also ein marktwirt- nicht gut geht, dann ist es auch um unseren Wohlstand schaftlicher Ansatz. Basis ist der freie und faire Welthan- nicht gut bestellt. Als wir Dienstagabend den Antrag del. Das ist für uns ein gutes Ordnungsprinzip. bekamen, waren wir schon sehr enttäuscht, und die Aus- führungen eben, Herr Dr. Maier, führten nicht viel weiter. Dass die Strategie 2020 fortgeschrieben wurde, war (Beatrix von Storch [AfD]: Enttäuschungen erforderlich, weil sich der Rohstoffbedarf durch techno- haben Hochsaison!) logische Entwicklungen verändert – wir denken hier an die Elektromobilität oder die Energieversorgung – und Sie greifen auf Unterlagen zurück, die etwas älter sind, sich auch das Bewusstsein gewandelt hat. Es gab ein ge- steigertes Bewusstsein für Umwelt-, Sozial- und Arbeits- (Zuruf von der CDU/CSU: Erwartungsgemäß!) standards sowohl bei der Gewinnung als auch beim Han- und Sie beschreiben – so entsteht zumindest der Ein- del sowie für Sorgfaltspflicht bei den Lieferketten; ich druck – China als ein Vorbild für Entwicklungszusam- denke hier an das Lieferkettengesetz, das bereits in der menarbeit. Das hat etwas mit einer neuen Form von Ko- Diskussion ist. Aber auch, dass wir marktbeherrschenden lonialismus zu tun, und dies ist mit uns nicht umzusetzen. Situationen entgegenwirken müssen, hat die Fortschrei- bung gerechtfertigt. Darüber hinaus – das ist typisch für Ihre Anträge – agieren Sie wieder mit Unsicherheit, mit Sorgen; Sie Sie sprechen von einem gegenseitigen Nutzen. Auch unterstellen Staatsversagen. dieser gegenseitige Nutzen ist in drei Positionen deutlich zum Ausdruck gebracht, zum einen darin, dass die Wett- (Beatrix von Storch [AfD]: Das stimmt ja bewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gestärkt wer- auch!) den soll, um auch Arbeitsplätze zu erhalten, dann darin, Es werden Existenzängste aufgebaut. Das gelingt Ihnen dass Partnerländer der Entwicklungspolitik dabei unter- eben bei dem Thema Rohstoffe auch so gut, weil der stützt werden, damit sie ihren Rohstoffreichtum auch für Rohstoffmarkt natürlich nicht konstant ist: Er ist geprägt ihre eigene Entwicklung nutzen, und darin, dass die nach- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18645

Stefan Sauer (A) haltige Entwicklung sowohl im Umwelt- als auch im Sie wollen, dass sich die deutsche Entwicklungszu- (C) sozialen Bereich in den Vordergrund gestellt wird. sammenarbeit am Vorbild Chinas orientiert. Sie wissen genau, dass China alle Standards unterläuft, um sich Roh- Sie nennen zwei Punkte, die schon sehr ernüchternd stoffe zu sichern. Menschenrechte, Demokratie, Freiheit sind. Sie beschreiben in Punkt 5 und 6 Ihrer Forderungen, und Eigentum werden in Afrika von China unterlaufen. dass die öffentliche Hand sich beim Aufbau notwendiger Das kann doch nicht unser Ziel sein. Infrastruktur – Straßen, Eisenbahnen, Häfen und derglei- chen – beteiligen möge und dass das Kapital als Kredit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den Nehmerländern zur Verfügung zu stellen ist. Das ist des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) genau die Herangehensweise, wie China sich zurzeit die Was Sie hier in Ihrem Antrag als Rohstoffsicherung be- Welt zu eigen macht. Das gilt etwa für die Seidenstraße, zeichnen, ist nichts anderes als der alte Imperialismus die 2013 vorgestellt wurde: 60 Länder werden vernetzt, in und das Gedankengut kolonialer Zeit. Sie sind wieder Asien, Europa, Afrika. Ein Großmachtstreben steht da- mal nicht auf der Höhe der Zeit. hinter. Bereits Ende 2018 waren mit 90 Ländern Koope- rationsabkommen vereinbart. Die finanzielle Abhängig- (Beifall bei der FDP – Dr. Götz Frömming keit, die geschaffen wird, gibt den Entwicklungsländern [AfD]: Was hat denn die deutsche Entwick- niemals mehr die Chance, eigenständig zu handeln. Es lungshilfe bisher gebracht?) sollen Häfen gebaut werden, die dann von den Chinesen Sie haben sechs Forderungen in Ihrem Antrag gestellt, selbst betrieben werden. Das kann und soll nicht unser die aber eigentlich quasi schon alle erfüllt sind. Es fehlt Modell sein. Deshalb werden wir dies auch in der Form eine siebte, nämlich die Forderung nach der Erhöhung der nicht unterstützen. Sektsteuer, um die kaiserliche Kriegsmarine wieder in (Zurufe von der AfD) Gang zu setzen und sie zur Rohstoffsicherung einzuset- zen. Dass Sie sogar davon ausgehen, dass man über Infra- strukturengagement und weitere Entwicklungsprojekte (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gewinne erzielen und sie reinvestieren könnte, ist schon NEN – Zuruf von der AfD: Jetzt zur Sache!) abenteuerlich. Ich glaube, da haben Sie die eine oder – Genau, zur Sache. – Im Ernst: Machen Sie sich keine andere Sitzung unseres Ausschusses tatsächlich nicht be- Sorgen um die deutsche Industrie. Sie wird die Rohstoffe sucht. selbst organisieren, wie sie das bisher auch geschafft hat. Viel mehr Sorge muss man sich machen über zu viel (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- staatliche Bürokratie für die Betriebe bei ihrem wirt- NEN]: Sie haben null Sitzungen besucht!) (B) schaftlichen Handeln im Ausland. Da müssen wir auf- (D) Da könnte man den Eindruck gewinnen und zu der Er- passen; denn Bürokratie wird zur Wettbewerbsverzerrung kenntnis kommen, dass die AfD eine Sicht hätte, die nicht beitragen. in die Welt passt. Sie tragen weder mit der Arbeit, die Sie Wir Freie Demokraten stehen für eine Entwicklungs- abliefern, noch mit dem, was Sie argumentativ heute bei- zusammenarbeit mit Kernthemen wie Bildung, Familien- getragen haben, dazu bei, dass wir gute Ergebnisse erzie- planung, Menschenrechte, fairer Handel und echte Inves- len können. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. titionen, um die Lebensbedingungen in den Staaten des Vielen Dank. Südens zu verbessern. Mit Bildung wird es eine Entwick- lung geben, die dann auch wirklich partnerschaftlich (Beifall bei der CDU/CSU) Wirtschaftswachstum und Wohlstand in den Ländern er- zeugen kann und damit auch für neue Märkte für die deutsche Industrie in diesen Regionen sorgt. Sie setzen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nach wie vor auf Ausbeutung. Aber einem Ausbeuter Vielen Dank, Herr Kollege Sauer. – Für die FDP hat wird man auf lange Sicht keine Rohstoffe vermitteln wol- das Wort der Kollege Dr. Christoph Hoffmann. len. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Was wir Freie Demokraten seit Jahren von der Bun- Dr. Christoph Hoffmann (FDP): desregierung fordern, ist eine Geostrategie über alle Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Ressorts hinweg, nämlich Außen, Entwicklung und Ver- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer teidigung, damit wir eine kohärente Politik bekommen. auf den Rängen! Der Antrag, mit dem wir uns heute be- Wir haben das in vielen Regionen dieser Welt schmerz- schäftigen müssen, zeigt wieder einmal, wes Geistes lich vermisst. Denken Sie an Syrien, denken Sie an den Kind Sie hier am rechten Flügel des Bundestags sind: Sahel, denken Sie an Libyen oder an viele weitere asiati- Sie denken national, Sie denken autokratisch, und Sie sche und afrikanische Regionen! wollen Wirtschaft nationalstaatlich begleiten und dazu die Entwicklungszusammenarbeit eigentlich missbrau- Da es keine Strategie gibt, erleben wir immer wieder chen. Sie stemmen sich damit gegen die Marktkräfte. spontane Alleingänge von Ministern, zuletzt von unse- Und das ist nicht normal. rem Entwicklungsminister, der zum Beispiel im Sahel davon sprach, mal eben Boko Haram zu entwaffnen und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Tausenden von jungen Menschen Arbeitsplätze zu geben, der CDU/CSU und der SPD) oder vor drei Tagen die Aufkündigung der Entwicklungs- 18646 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Christoph Hoffmann (A) zusammenarbeit mit Myanmar, völlig unabgestimmt mit Brüllen ersetzt nicht kluges Denken. Aber das sind wir (C) dem Außenministerium, mit der deutschen Botschaft vor von Ihnen ja gewohnt. Ort und den Durchführungsorganisationen in Myanmar. So strategielos darf es allerdings nicht weitergehen. Das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten muss die Bundesregierung hier zur Kenntnis nehmen. der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD) Es wird Zeit für etwas Neues, für etwas Zukunftswei- Ich will Ihnen mal sagen, was die deutsche Entwick- sendes. Ihren Antrag von vorgestern lehnen wir ab. lungszusammenarbeit leistet; denn das ist mir mehr wert, (Beifall bei der FDP) als sich mit Ihrem Antrag zu beschäftigen. Sie bringen es ja immer wieder fertig, Programme zur Frauengleichstel- lung, die in den Ländern sehr wichtig ist, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Sascha Raabe, (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche SPD-Fraktion. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) zu verspotten. Sie verspotten Programme zur reprodukti- (Beifall bei der SPD) ven Gesundheit. Da geht es darum, Menschen Familien- planung zu ermöglichen. Dr. Sascha Raabe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollegen! Der Antrag der AfD zielt darauf ab, Rohstoffe und bei der FDP sowie der Abg. Gökay für die deutsche Industrie vornehmlich aus Afrika sozu- Akbulut [DIE LINKE] – Beatrix von Storch sagen postkolonial zu sichern; das ist ja das, was Ihnen [AfD]: „Abtreibung“ ist die Übersetzung des eigentlich vorschwebt. Der Kollege von der FDP hat es Wortes! Nicht Gesundheit! Abtreibung!) schon gesagt: Das ist ein Ansatz, der in Afrika dazu ge- Wir versuchen, Genitalverstümmelungen zu verhindern, führt hat, dass wir heute immer noch Grenzziehungen Frauen Rechte zu verschaffen. haben, die den Ländern Schwierigkeiten bereiten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Der Antrag ist das Papier nicht wert, auf dem er ge- SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) schrieben ist. Deswegen sage ich Ihnen ganz ehrlich: Ich Das zu diskreditieren und sich darüber lustig zu machen, will mich dazu gar nicht weiter äußern. Es ist traurig, dass schlägt dem Fass den Boden aus. Ihnen zum Thema Rohstoffe in erster Linie nur einfällt, wie wir hier mehr Gewinne machen können, anstatt das Ich sage das Folgende für die Zuschauer, weil ich mich (B) Augenmerk darauf zu richten, dass es in den betroffenen mit Ihnen nicht mehr beschäftigen möchte, (D) Ländern Minen gibt, in denen Kinder schuften müssen, (Martin Reichardt [AfD]: Das müssen Sie auch (Zurufe von der AfD) nicht! Gehören Sie dem nächsten Bundestag noch an bei Ihren Wahlergebnissen?) wo Menschen wirklich sieben Tage die Woche für Ihre Handys und für Ihre Wohlstandsprodukte rackern müs- damit wenigstens diese wissen, was wir hier machen. Ich sen. Anstatt sich Gedanken zu machen, wie man das nehme mal den Bereich „EINEWELT ohne Hunger“: Wir Leben dieser Menschen verbessern kann, fällt Ihnen investieren jährlich 1,5 Milliarden Euro in die Ernäh- nichts anderes ein, als hier wieder neu aufzulegen: Haupt- rungssicherung und die landwirtschaftliche Entwicklung sache, die deutsche Industrie kriegt billig Rohstoffe. – weltweit. Allein seit September 2017 konnten Das ist schäbig, meine sehr verehrten Damen und Herren. 350 000 Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ihr Einkom- men durch Trainings- und Beratungsleistungen um knapp (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem 30 Prozent steigern. Wir haben 140 000 Menschen aus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- knapp 29 000 Haushalten gesicherte Landrechte vermit- ordneten der FDP) telt, damit Landkonflikte anhand von Dokumenten gelöst werden. Auch das ist ein Ergebnis deutscher Entwick- Genauso schäbig und unanständig ist es, dass Sie im- lungszusammenarbeit. mer wieder die deutsche Entwicklungszusammenarbeit diskreditieren und in den Schmutz ziehen. Sie haben in In dem Bereich „globale Gesundheit“, den Sie gerade Ihren Antrag geschrieben: verspottet haben, investieren wir jährlich 1 Milliarde Eu- ro in Gesundheitssysteme, damit Epidemien und ver- Deutschland dagegen setzt seine Entwicklungsleis- nachlässigte Krankheiten bekämpft werden können. Wir tungen vielfach ein, um in Partnerländern ideologi- unterstützen den Globalen Fonds zur Bekämpfung von sche Ziele umzusetzen, die eher einer moralischen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria. Wir haben dadurch Lehrmeisterhaltung als konkreten Notwendigkei- maßgeblich beigetragen, globale Infektionskrankheiten ten … gerecht werden. einzudämmen. Allein 2018 haben wir 18 Millionen Men- schen Zugang zu antiretroviraler HIV-Behandlung ver- (Beifall des Abg. Martin Reichardt [AfD] – schafft, 80 Millionen Menschen auf HIV getestet und Martin Reichardt [AfD]: Hervorragend! Her- 10 Millionen Menschen mit HIV-Präventionsmaßnah- vorragend!) men erreicht. Alles das, was Sie unter dem Begriff „se- Sie haben vorhin auch noch mal gesagt: politisch bedeu- xuelle Gesundheit“ verspotten, hilft Menschenleben tungslose Entwicklungszusammenarbeit. – Na gut, lautes retten, und das machen wir mit deutscher Entwicklungs- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18647

Dr. Sascha Raabe (A) zusammenarbeit, meine sehr verehrten Damen und Her- genug Rohstoffe bekämen, da – ich zitiere – „andere (C) ren. Nationen sich bereits ohne zweck- und realitätsfremde Anspruchshaltungen den Zugriff auf die infrage komm- (Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜND- enden Rohstoffvorkommen gesichert haben“. Daraus er- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- geben sich die Forderungen des Antrags: schauen, wo es ten der CDU/CSU und der Abg. Eva-Maria die Rohstoffe gibt, welche wir benötigen, dort abbauen, Schreiber [DIE LINKE]) alles mit dem Segen, aber ohne Mitwirkung der öffent- Wir haben – das sage ich jetzt im Namen des ganzen lichen Hand. Und das Einzige, was das Entwicklungs- Hauses; denn das Haus außer der AfD hat es mitgetragen ministerium dann noch tun darf: in den entsprechenden und dankenswerterweise die Mittel im Haushalt zur Ver- Ländern Infrastruktur, Straßen und Häfen errichten zum fügung gestellt – die globale Impfallianz GAVI unter- Abtransport der Rohstoffe. Der globale Süden als deut- stützt und es dadurch geschafft, die Kindersterblichkeits- scher Selbstbedienungsladen. Die Berliner Konferenz mit rate im Durchschnitt von 76 auf 64 Todesfälle pro der Aufteilung der Kolonien in Afrika war 1884; dort sind 1 000 Lebendgeburten zu senken. Wir haben 30 Millionen Sie anscheinend stehen geblieben. Kinder geimpft und dadurch 1 Million Todesfälle ver- mieden. Wir haben Klinikpartnerschaften aufgebaut, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- mehr als 60. ten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Ich könnte hier noch ganz lange fortfahren. Aber vor Sauer [CDU/CSU]) allem eines möchte ich am Ende sagen: Wir unterstützen Wir Linke standen immer an der Seite derer, die sich auch die zivilgesellschaftlichen Akteure, weil es ganz gegen Kolonialismus und Unterdrückung gewehrt haben, viele NGOs gibt, die draußen im Feld den Ärmsten der und wir stehen an der Seite derer, die sich für gerechte Armen helfen, sich für Frauen und für Kinder einsetzen, Handelsbeziehungen einsetzen und gegen den Ausver- gegen Kinderarbeit etwas tun. Allein im Jahr 2019 för- kauf ihrer Länder und Rohstoffe. Das heißt für uns auch, dern wir mit 1 Milliarde Euro die politischen Stiftungen, dass wir eine Abkehr von einer Politik brauchen, die die die Kirchen und die privaten Träger. Ich möchte die gan- Gräben zwischen Arm und Reich auf der Welt vertieft zen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer vor Ihren hat. Durch Freihandelsabkommen wie den EPAs oder Verleumdungen und Verspottungen in Schutz nehmen Mercosur und Hermes-Bürgschaften wird die Rohstoff- und ihnen meinen herzlichen Dank aussprechen. zufuhr gesichert und werden nötige Exportbeschränkun- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, gen verboten. Das aber macht den Aufbau von Wert- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE schöpfungsketten in den Ländern des Südens (B) GRÜNEN) unmöglich. Nur wenn auch höherwertige Produkte dort (D) produziert werden, kann Entwicklung gelingen. Ihr macht eine tolle Arbeit für die Ärmsten der Armen! Wir sind stolz auf euch, und wir sehen, dass wir in einer Wenn der Bundesregierung wirklich an globaler Ge- Welt leben. rechtigkeit gelegen ist, muss sie während ihrer Ratspräsi- dentschaft auf EU-Ebene einen Kurswechsel einleiten. Wir spielen Probleme in Deutschland nicht gegen Hun- ger in Afrika aus. In diesem Sinne: Wir hier stehen für (Beifall bei der LINKEN) eine Gesellschaft, eine Welt. Und wenn Sie sich außer- Wenn wir den Geist des Kolonialismus endlich aus- halb stellen, soll uns das egal sein; davon lassen wir uns treiben wollen und wenn wir den Ländern des globalen nicht beirren. Südens wirtschaftlichen Nutzen bringen wollen, dann Vielen Dank, meine Damen und Herren. müssen wir uns einsetzen für gerechte Handelsbeziehun- gen, für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten der Un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ternehmen und für eine Rohstoffpolitik, die Lebens- der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- grundlagen verbessert, statt sie zu zerstören. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das wäre Politik „zum gegenseitigen Nutzen“. Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Raabe. – Die Kollegin Danke. Eva-Maria Schreiber hat das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE): Der nächste Redner ist der Kollege Dieter Janecek, Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäs- Bündnis 90/Die Grünen. te! „Entwicklungspolitik zum gegenseitigen Nutzen kon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zipieren“, das klingt erst mal harmlos. Was die AfD aller- dings unter „gegenseitigem Nutzen“ versteht, entpuppt Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sich ganz schnell als „Germany first“. Sehr geehrter Herr Präsident! Dr. Maier, 2019 gab es Es geht um Rohstoffe für Deutschland: In der Einlei- dreieinhalbtausend Femizide. Ich übersetze das mal für tung die Beschwerde, dass deutsche Unternehmen nicht Sie: Das sind Gewaltverbrechen, Morde an Frauen in 18648 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dieter Janecek (A) Lateinamerika. Deswegen finde ich es schändlich, wie Sie reden oft so über Lithium, als wäre es erst mit der (C) Sie heute dieses Thema in Ihrer Rede behandelt haben. Batterie erfunden worden. Das gibt es seit Jahrzehnten in Ich finde es schändlich, wie Sie darüber reden, und das der Förderung der chemischen Industrie, der Metall- entspricht nicht unserem Wertekanon. schmelze und der Stahllegierungen. Schauen Sie, wenn Sie ein Auto mit fossilem Kraftstoff fahren, mal vorne (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rein. Dort ist eine Blei-Säure-Batterie; das ist die Realität und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der heute. CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der AfD) Also, was Sie hier für einen Popanz aufstellen: auf der Sie als AfD schreiben in Ihrem Antrag, dass Sie eine einen Seite Menschenrechte, Soziales, auf der anderen Rohstoffpolitik auf der Basis des chinesischen Modells Seite China. wollen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich möchte keine Rohstoffpolitik, bei der die menschenrechtlichen Sorg- (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) faltspflichten keine Rolle spielen. – Frau von Storch, Sie können es ja sowieso nicht er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tragen, wenn man das Wort „Gender“ mal in den Mund nimmt. Ich möchte auch keine Rohstoffpolitik, bei der es uns gleichgültig ist, ob Menschen vor Ort die Lebensgrundla- (Beatrix von Storch [AfD]: Das stimmt!) gen genommen werden oder wir Kinderarbeit fördern. Man muss nur in Ihre Fraktion schauen, um festzustellen, warum das so ist. Vielleicht sollten Sie sich mal gegen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) seitig kennenlernen, an Ihrem Weiblichkeitsdefizit arbei- Und ich möchte auch nicht, dass wir afrikanische Staaten ten. in die Schuldenknechtschaft zwingen. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Was wir brauchen, sind Rechtsstaatsdialoge und eine DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Entwicklungspartnerschaft auf Augenhöhe. Das ist übri- SPD) gens auch gut für die deutsche Wirtschaft; denn wir sind Aber das ist einfach Ihre Position, die Sie haben: hü und vor Ort so gut vernetzt wie kein anderes Land auf der hott, für Menschenrechte und gegen Menschenrechte, Welt. Das hilft uns auch, Vertrauen zu gewinnen, und aber Hauptsache gegen die Elektromobilität, dann für Vertrauen ist die Basis für eine gute wirtschaftliche Ent- China, doch irgendwie wird das Ganze noch im nationa- wicklung der Partnerstaaten auf Augenhöhe. len Interesse formuliert. Also, das sind zwei wirklich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirre Anträge, von denen Sie ja einen heute vorgelegt (B) haben. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Bera- (D) So weit, so schlecht zu Ihrem Antrag. tung in den Ausschüssen. Aber jetzt kommt’s; Sie schießen noch den Vogel ab. Danke schön. Sie hatten ja bis gestern noch einen zweiten Antrag. Bei dem ging es um die Rohstofffrage bei der Elektromobili- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tät, und da haben Sie Ihr grünes Herz entdeckt. Der An- denflamingo spielte eine Rolle Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist NEN) der Kollege Peter Stein, CDU/CSU-Fraktion. und der Bauer in Bolivien bei den Lithiumvorkommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das sind ernste Themen; ich will mich überhaupt nicht, wie Sie das immer tun, in irgendeiner Form darüber lä- Peter Stein (Rostock) (CDU/CSU): cherlich machen. Aber in dem Moment, in dem Sie in Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dem Antrag schreiben, man brauche da eine sehr strikte, glaube, wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass es den nach Sozial- und Umweltrecht orientierte Entwicklungs- menschengemachten Klimawandel gibt, dann ist das die zusammenarbeit, aber ausschließlich für Unternehmen seit Jahren anhaltende Dürre in den Anträgen der AfD zur der Elektromobilität, machen Sie sich komplett lächer- Entwicklungspolitik. lich, mit Verlaub. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) SES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen mal was zur Rohstoffsituation, die wir Man möchte sagen: Herr, lass Hirn regnen, damit diese heute haben. Metalle und Seltene Erden sind nicht er- Dürre mal irgendwann beendet wird. neuerbar. Wir haben eine Verantwortung. Verantwortung (Beatrix von Storch [AfD]: Das war aber irre in der Welt heißt, dass wir auf Sorgfaltspflichten, auf komisch!) Lieferketten und darauf schauen müssen, dass wir unsere eigene Nachfrage, auch die der Industrie, so steuern, dass Die AfD möchte hier wieder die Entwicklungspolitik wir in der Zukunft weniger Rohstoffe brauchen, zum Bei- missbrauchen. Sie möchte sie nutzen, um die Rohstoff- spiel, indem wir die Kreislaufwirtschaft stärken. versorgung der deutschen Industrie sicherzustellen; so liest man es bereits in der Überschrift. Am besten solle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) man es China gleichtun und sich von – so heißt es in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18649

Peter Stein (Rostock) (A) Ihrem Antrag – ideologischen Zielen und einer morali- tegie nach; auch das wurde bereits von meinem Kollegen (C) schen Haltung lösen. Sauer ganz klar herausgearbeitet. Wir als Unionsfraktion fühlen uns im Kontext der globalen Zusammenhänge der Sie von der AfD sprechen von „zweck- und realitäts- Einhaltung der SDGs, den Lebensbedingungen der Men- fremden Anspruchshaltungen“, wir von den Regierungs- schen, unserem Planeten und dabei natürlich auch der fraktionen sprechen in der Entwicklungspolitik von Part- Wirtschaft verpflichtet. nerschaft auf Augenhöhe. Sie von der AfD wollen einen deutschen Rohstoffbeauftragten, der geeignete Förderge- Mir liegt die partnerschaftliche Zusammenarbeit ge- biete in Entwicklungs- und Schwellenländern identifizie- rade auch mit Rohstoffländern aus entwicklungspoliti- ren soll, wir Christdemokraten wollen den Zielländern scher, aber auch aus wirtschaftlicher Sicht sehr am Her- eine Zusammenarbeit anbieten, eine Zusammenarbeit, zen, und es tut mir schon sehr weh, wenn ich sehe, wie Sie die uns den Zugang zu Märkten unter gegenseitig fairen eine Fairness in der Zusammenarbeit hier geradezu ver- Bedingungen eröffnet und die den Ländern im südlichen weigern wollen. Wir haben in vielen Ländern durch un- Teil dieser Welt eine vollständige Produktionskette auf- sere partnerschaftlichen Ansätze gerade in den letzten bauen hilft und Jobs für die oft sehr junge Bevölkerung Jahren hier große Fortschritte erlebt. Ich erfahre dabei schafft. überall in der Welt viel Anerkennung gegenüber Deutsch- Werte Kollegen, wir haben den ausbeuterischen Roh- land für unsere fairen Kooperationsbedingungen. Ganz stoffkolonialismus des letzten Jahrhunderts als Fehler ehrlich, von diesen Standards möchte ich nicht einen verstanden und wollen ihn international endgültig been- Millimeter nach rechts abrücken. den. Sie wollen mit einem Beauftragten einen deutschen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Chefausbeuter einrichten. Und damit nicht genug: Sie SPD und der FDP und des Abg. Uwe Kekeritz fordern auch noch, dass sich die deutsche Entwicklungs- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) zusammenarbeit auf den Bau von Infrastruktur zu be- grenzen habe, mit dem Ziel, die Rohstoffe leichter nach Wir stärken mit unserer Politik die lokale Wertschöp- Deutschland bringen zu können – sozusagen eine deut- fung, den Privatsektor sowie die Zivilgesellschaft vor sche „Belt and Road“-Initiative. Ich glaube, da überneh- Ort. Wir motivieren zur guten Regierungsführung – das men Sie sich wirklich deutlich. klappt nicht immer, aber wir motivieren – und schaffen Ja, Deutschland ist natürlich abhängig von Rohstoff- dafür die entsprechenden Anreize. Wir stärken die Aus- lieferungen; wir sind aber auch abhängig von einer guten bildung und Forschung vor Ort und sorgen für einen wirtschaftlichen Gesamtentwicklung in den Zielländern: fairen Technologietransfer und für Partnerschaft auf Au- ohne stabile, prosperierende Absatzmärkte kein Export. genhöhe. Und ich verwahre mich – ich denke, im Namen (B) Gerade die rohstoffreichen Länder Afrikas müssen mit aller demokratischen Fraktionen – gegen jeden Versuch, (D) unserer Partnerschaft ihren eigentlichen Reichtum bei die heutige Form unserer Entwicklungszusammenarbeit sich selbst investieren: in Industrie, Dienstleistungen, So- in der von Ihnen geforderten Art und Weise zu rekolonia- zialsysteme, Jobs und auch in Bildung. Deutschland wird lisieren. in Zukunft nur dann global bestehen, wenn auch in unse- Unser Weg ist der einzige und wahre im nationalen ren Partnerländern unser Wohlstandsniveau, unsere Um- Interesse Deutschlands. welt- und Arbeitsstandards und unsere Rechtsstaatlich- keit erreichbar werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich wiederhole daher, dass ich sehr dankbar bin, dass neten der SPD und der FDP – Beatrix von wir heute später am Tag bei einem anderen Tagesord- Storch [AfD]: Haben Sie gerade „nationales nungspunkt über die wichtigen Themen Lieferketten Interesse“ gesagt? Oh mein Gott!) und Rohstoffsicherheit auf vernünftige und nachhaltige Art und Weise sprechen werden. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Deutschland kommt dabei als globalem Akteur und als Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus- Exportnation eine bedeutsame Verantwortung zu; das sprache zu diesem Tagesordnungspunkt. dürfte eigentlich unstrittig sein. Sie von der AfD jedoch formulieren hier nichts anderes als ein – es wurde schon Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf gesagt – „Germany first“, und das unter Wirtschaftskolo- Drucksache 19/17525 an die in der Tagesordnung aufge- nialstrukturen. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- weisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- (Beatrix von Storch [AfD]: Allerdings!) fahren wir so. Ich weise Sie jedoch darauf hin: An diesem „First“-Den- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: ken sind schon größere Nationen gescheitert. Und auch für das Deutschland, das sich einige in Ihren Reihen vor- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- stellen, hat es zum Glück nicht für 1 000 Jahre gereicht. desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Medizinpro- (Beifall des Abg. Uwe Kekeritz [BÜND- dukterechts an die Verordnung (EU) NIS 90/DIE GRÜNEN]) 2017/745 und die Verordnung (EU) Die Bundesregierung kommt unserer demokratischen 2017/746 (Medizinprodukte-EU-Anpas- und wirtschaftlichen Verantwortung mit der Rohstoffstra- sungsgesetz – MPEUAnpG) 18650 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Drucksachen 19/15620, 19/16406, heit der Patienten verbessern. Wer in Deutschland bei- (C) 19/16578 Nr. 1.13 spielsweise eine Insulinpumpe erhält, muss sich darauf verlassen können, dass das Risiko ihres Einsatzes so Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- gering wie nur möglich ist. Wir setzen damit die europä- schusses für Gesundheit (14. Ausschuss) ischen Vorgaben um. Drucksache 19/17589 Meine Damen und Herren, insgesamt müssen mehr als b) Beratung der Beschlussempfehlung und des 500 000 Produkte nach der sogenannten Medical Device Berichts des Ausschusses für Gesundheit Regulation neu zertifiziert werden. Wer sich mit dem (14. Ausschuss) komplexen Markt beschäftigt hat, musste erkennen, dass diese Umsetzung sich als ausgesprochen holprig erweist. – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Nicht nur müssen mehr Medizinprodukte aus allen Risi- Spangenberg, Dr. Robby Schlund, Jörg koklassen ein bestimmtes, strengeres Zulassungsverfah- Schneider, weiterer Abgeordneter und ren durchlaufen; auch die Benannten Stellen benötigen der Fraktion der AfD eine neue Akkreditierung. Bereits in der ersten Lesung Nationaler Notfallplan zur Sicherstel- habe ich an dieser Stelle davon berichtet, dass wir nicht lung der Patientenversorgung – Patien- ausreichend Benannte Stellen haben. In der Zwischenzeit tenbehandlung nicht durch die EU-Me- sind zwei dazugekommen; das reicht aber leider immer dizinprodukteverordnung gefährden noch nicht aus. – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Aktuell hat uns die Information erreicht, dass in Italien Spangenberg, Jörg Schneider, Dr. Robby die erste Benannte Stelle ihre Arbeit aufgrund der Coro- Schlund, weiterer Abgeordneter und der naepidemie einstellen musste. Deshalb müssen wir nach- Fraktion der AfD drücklich von der EU fordern, dass die Verordnungen insbesondere vor dem Hintergrund der zeitlichen Abläufe Gesundheits-Apps auf klinische Wirk- auch umgesetzt werden können. samkeit prüfen und Patienten schützen (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Sabine Dittmar [SPD]) Helling-Plahr, Christine Aschenberg- Ich möchte an dieser Stelle Gesundheitsminister Jens Dugnus, Michael Theurer, weiterer Abge- Spahn danken, dass er sich auf EU-Ebene so intensiv für ordneter und der Fraktion der FDP eine Verlängerung der Übergangsfristen eingesetzt hat (B) EU-Medizinprodukteverordnung ver- und einsetzt. Das hat immerhin dazu geführt, dass das (D) antwortungsvoll implementieren – Pa- neueste Korrigendum zur MDR zumindest für bestimmte tientenversorgung sicherstellen Medizinprodukte der Klasse I eine längere Übergangs- frist von vier Jahren festschreibt. Drucksachen 19/15070, 19/16057, 19/16035, 19/17589 (Beifall bei der CDU/CSU) Auch hier sind 30 Minuten für die Aussprache be- Das allein würde aber nicht ausreichen. schlossen. Auch vor dem Hintergrund der schwierigen Verfahren Wir beginnen mit der Aussprache. Das Wort hat für die in der EU kann es im Interesse der Patientengesundheit CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dietrich Monstadt. zukünftig notwendig werden, dass die zuständigen Bun- desoberbehörden wesentlich häufiger als bisher Sonder- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zulassungen erteilen müssen. Diese vielfältigen Situatio- nen reichen von der Einzelzulassung für einen Dietrich Monstadt (CDU/CSU): bestimmten Patienten bis zur Zulassung von Produkt- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- gruppen einzelner oder mehrerer Hersteller. Es ist insbe- be Kollegen! Verehrte Damen! Meine Herren! Heute be- sondere bei Medizinprodukten für seltene Erkrankungen raten wir abschließend das Medizinprodukte-EU-Anpas- mit einer erhöhten Anzahl von Anträgen auf Sonderzu- sungsgesetz. Dieses Gesetz setzt die Regelungen der lassungen zu rechnen. Sonderzulassungen zur Sicherstel- beiden EU-Verordnungen zur Zulassung von Medizin- lung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung produkten und über In-vitro-Diagnostika in nationales mit Medizinprodukten sind daher sinnvoll. Recht um. Die erste Verordnung tritt bereits am 26. Mai 2020 als geltendes Recht in allen Mitgliedstaaten in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kraft, die zweite Verordnung am 26. Mai 2022, sodass Meine Damen und Herren, die deutsche Gesundheits- die Umsetzung jetzt erfolgen muss. wirtschaft steht im Bereich der Medizinprodukte vor ei- ner nicht zu unterschätzenden Herausforderung. Die Ge- Ziel der EU-Verordnungen ist die Gewährleistung ei- sundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung des BMWi nes reibungslos funktionierenden Binnenmarktes für Me- zeigt, dass im Jahr 2018 mit circa 369 Milliarden Euro dizinprodukte. Es sollen hohe Standards für die Qualität rund 12 Prozent der Bruttowertschöpfung durch die Ge- und Sicherheit von Medizinprodukten und ein hohes Maß sundheitswirtschaft generiert wurden. an Sicherheit und Gesundheitsschutz für Patientinnen und Patienten und andere Personen in allen Mitgliedstaa- 2018 betrug die deutsche Exportsumme allein für Me- ten erreicht werden. Medizinprodukte sollen die Gesund- dizintechnik circa 131 Milliarden Euro. 93 Prozent der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18651

Dietrich Monstadt (A) deutschen Hersteller sind kleine oder mittelständische Jörg Schneider (AfD): (C) Unternehmen. Vor dem Hintergrund dieser Situation wer- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- den die beiden EU-Verordnungen zur Zulassung von Me- ren! Liebe Zuschauer! Im Jahr 2017 wurden von der dizinprodukten und über In-vitro-Diagnostika angewen- Europäischen Union zwei Verordnungen auf den Weg det. gebracht. Es geht um Medizinprodukte. Ursache dafür war unter anderem wohl ein Skandal mit fehlerhaften Dass wir mit diesem Gesetzentwurf und diesem Brustimplantaten französischer Produktion. Man möchte Rechtsrahmen Rechtssicherheit für alle Betroffenen wie mit der neuen Medizinprodukte-Verordnung die Prüfung auch für die Hersteller schaffen, halte ich für die entschei- von Medizinprodukten innerhalb der EU vereinheitli- dende Herausforderung dieses Gesetzentwurfs. chen. Ich denke, das ist etwas, was vielleicht uns allen Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtiger As- nutzen würde. pekt dieses Gesetzentwurfs ist, dass das Bundesinstitut Herr Monstadt, Sie sind eben schon sehr kritisch mit für Arzneimittel und Medizinprodukte – BfArM – in Zu- den beiden Verordnungen und auch mit der Umsetzung kunft direkt Maßnahmen zur Risikoabwehr bei Produkten umgegangen, und ich möchte vielleicht doch mal auf einleiten kann. einige Punkte eingehen und sagen, was das jetzt konkret für uns bedeuten könnte. ( [CDU/CSU]: Sehr gut!) Die neuen europäischen Medizinprodukte-Verordnungen Erstens droht tatsächlich die Gefahr von Engpässen; verlangen, dass die Mitgliedstaaten meldepflichtige Vor- denn auch Produkte, die schon länger im Gebrauch sind, kommnisse zentral erfassen und bewerten. Zukünftig müssen neu zertifiziert werden. Das wird nicht in allen kann das BfArM als zentrale deutsche Bundesbehörde Fällen bis zum 26. Mai 2020 gelingen, und es kann durch- Gefahren erkennen, kommunizieren und eindämmen. aus passieren, dass wir dann einige Produkte nicht mehr verfügbar haben. Ebenso wird die Beteiligung der zuständigen Ethik- kommission bei klinischen Studien und Leistungsstu- Ich denke, wir haben gerade eine Situation, in der die dien – wenn also Medizinprodukte auf ihre Wirksamkeit Gesundheitspolitik in der Kritik steht. Und dann geprüft werden – gestärkt. Das begrüßen wir sehr. Schlagzeilen wie „Engpass von Produkt XY, schuld ist die Politik“ zu produzieren – ich weiß nicht, ob Sie das (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. wirklich wollen. Bärbel Bas [SPD]) (Beifall bei der AfD) In diesem Gesetzentwurf werden außerdem noch wich- (B) Der zweite Punkt ist: Es wird mehr Bürokratie geben. (D) tige sogenannte fachfremde Änderungsanträge berück- Auch heute schon muss ich als Hersteller, wenn ich mein sichtigt. Die öffentliche Anhörung hat gezeigt, dass sich Produkt bei den gesetzlichen Krankenversicherungen lis- Krankenkassen nicht in jedem Fall an die gesetzlichen ten lassen will, ein sogenanntes Nutzenfeststellungsver- Vorgaben zum Ausschreibungsgeschehen im Hilfsmittel- fahren durchlaufen. Dieses Nutzenfeststellungsverfahren bereich halten. Hier mussten wir reagieren. Zukünftig soll nun nach der Umsetzung dieser Verordnungen der können Aufsichtsbehörden rechtswidrige Verträge zur EU quasi noch mal stattfinden. Das heißt, wir haben hier Hilfsmittelversorgung beenden und ihren Vollzug verhin- eine Verdoppelung, und ich denke mir, da kann man dern. Die Krankenkassen werden verpflichtet, ihre Ab- schon mal von ausufernder Bürokratie reden. sicht, Verträge zur Hilfsmittelversorgung abzuschließen, unionsweit bekannt zu machen, und es wird ein (Beifall bei der AfD) Schiedsverfahren im Hilfsmittelbereich eingeführt. Da- mit soll insbesondere sichergestellt werden, dass der ge- Ausufernde Bürokratie: Großen Unternehmen macht setzgeberische Wille uneingeschränkt umgesetzt wird. das in der Regel keine großen Probleme. Die haben ganze Abteilungen, die sich mit nichts anderem beschäftigen als Ein weiterer Änderungsantrag betrifft die Auflösung damit, irgendwelche Formulare für Behörden auszufül- des DIMDI. Ich begrüße sehr, dass die Ressourcen des len. Wir haben aber – das haben Sie eben auch schon BfArM und des DIMDI nun gebündelt werden sollen und gesagt – auch sehr viele kleine Unternehmen. Von den somit die Organisation verbessert wird. 11 000 Unternehmen, die in Deutschland Medizinpro- dukte herstellen, ist die überwiegende Zahl klein oder Ich kann Ihnen die Annahme dieses Gesetzentwurfs sehr klein. Diese Unternehmen werden Probleme mit uneingeschränkt empfehlen. der Bürokratie haben. Herzlichen Dank. Es wird unter Umständen zu Unternehmensübernah- men kommen. Das bedeutet, wir haben weniger Wett- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bewerb, wir haben weniger Innovation, wir haben unter ordneten der SPD) Umständen höhere Preise, und wenn die Unternehmen, die ein Unternehmen übernehmen, aus dem Ausland Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kommen, dann haben wir sogar noch einen Abfluss von Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner ist Know-how ins Ausland. Ich denke, auch das ist nicht der Kollege Jörg Schneider, AfD-Fraktion. unbedingt wünschenswert. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) 18652 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Jörg Schneider (A) Der letzte Punkt ist: Das größte Problem dabei ist im die Antwort auf die Frage, wie Hochrisikomedizinpro- (C) Moment der fehlende bzw. lückenhafte institutionelle dukte für Patientinnen und Patienten sicherer gemacht Rahmen. Wir haben noch keine Zertifizierungsstellen in werden können. ausreichender Zahl; Sie haben es eben selber gesagt. Es fehlt auch noch eine Guideline für die eigentliche Prü- Ich will ehrlich sein: Zufrieden bin ich mit der europä- fung der Produkte, und im Grunde genommen haben wir ischen Antwort nicht. Für mich macht es keinen Unter- auch noch keine funktionierende Datenbank, in der die schied, ob ein Patient eine Tablette einnimmt oder ein Ergebnisse hinterher zur Verfügung gestellt werden kön- Stent-Implantat erhält. In beiden Fällen sind die Anforde- nen. rungen, die an den medizinischen Nutzen, an die Qualität und an die Sicherheit zu stellen sind, gleich hoch. Es wäre Das kann doch zu folgender Situation führen: Wir ha- aus meiner Sicht richtig gewesen, in der EU-Medizin- ben ein Produkt in ausreichender Menge, der Hersteller produkte-Verordnung für den Marktzugang von Hochri- hat seine Hausaufgaben gemacht, nur die Bürokratie sikomedizinprodukten ein amtliches Zulassungsverfah- kommt nicht mehr hinterher. Das ist dann das Ergebnis ren vorzusehen, wie wir es auch im Arzneimittelbereich von EU-Verordnungen. Wissen Sie, manchmal beneide kennen. Dass es dazu nicht gekommen ist, finde ich per- ich die Briten doch ein bisschen. sönlich sehr schade. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Wir haben ganz klare Forderungen gestellt: Dieses Unabhängig davon begrüße ich, dass es mit den EU- Gesetz darf erst in Kraft treten, wenn es tatsächlich den Verordnungen über Medizinprodukte und In-vitro-Diag- institutionellen Rahmen gibt. Wir haben weiterhin gefor- nostika erstmals einen einheitlichen und verbindlichen dert: Es darf nicht sein, dass Produkte, die schon lange Rechtsrahmen für den Marktzugang und die Marktüber- erfolgreich und ohne Beanstandungen verwendet werden, wachung in Europa gibt. neu zertifiziert werden müssen. Wir fordern auch, dass Wir alle haben die Diskussion anlässlich der sogenann- dort, wo schon im nationalen Rahmen Prüfungen statt- ten Implant Files noch gut in Erinnerung. Kritisiert wurde finden, diese nicht aufgrund einer EU-Verordnung wie- hier unter anderem der Mangel an klinischen Prüfungen derholt werden müssen. von Implantaten. Die EU-Medizinprodukte-Verordnung Das ist das, was wir dazu gefordert haben, und ich stellt jetzt explizit klar, dass jedes implantierbare Produkt denke mir, die Umsetzung dieser Forderungen würde in Europa durch den Hersteller klinisch geprüft werden Ihr Gesetz wirklich wesentlich besser machen. muss. Vergleichsdaten von gleichwertigen Produkten rei- chen nicht aus. Ich danke Ihnen. (B) Eine zusätzliche unabhängige klinische Begutachtung (D) (Beifall bei der AfD) durch ein europäisches Expertengremium ist möglich. Es ist immer eine Konformitätsbewertungsstelle – ein sehr Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schwieriges Wort für eine Fränkin – zu beteiligen, die Ich erteile das Wort der Kollegin Sabine Dittmar, SPD- staatlich benannt und überwacht wird. Der Hersteller ist Fraktion. darüber hinaus zur klinischen Nachbeobachtung ver- pflichtet. (Beifall bei der SPD) Damit haben wir jetzt Instrumente, die zu einer besse- ren Qualität und Sicherheit von Hochrisikomedizinpro- Sabine Dittmar (SPD): dukten beitragen können. Und wir werden sehr genau Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und beobachten, ob sich diese Instrumente in der Praxis mit Kollegen! Das Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz Blick auf die Patientensicherheit bewähren. ist so trocken und technisch, wie es klingt. Es ist aber ein wichtiges Gesetz; denn Medizinprodukte sind ein fes- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Wort zu den Be- ter Bestandteil unseres täglichen Lebens. Das können die nannten Stellen. Ja, bisher gibt es in Europa noch zu Brille, das Pflaster, ein Verband, ein Gelenkersatz oder wenige. Ich bin dem Bundesgesundheitsminister deshalb eine Herzklappe sein. Sie kommen beim Fiebermessen, wirklich sehr dankbar, dass er sich mit dieser Frage früh- bei der Blutuntersuchung oder beim Zahnarzt zum Ein- zeitig an die Europäische Kommission gewandt hat. Die satz, und dabei geht es immer um die gute und verläss- nun vereinbarte Verlängerung der Übergangsfrist für die liche Versorgung von Patientinnen und Patienten. Zertifizierung von Medizinprodukten der Klasse I wird Deshalb ist es wichtig, geeignete gesetzliche Rahmen- zu einer Entlastung der bisher Benannten Stellen beitra- bedingungen dafür zu haben, dass gute und in ihrer Qua- gen und so hoffentlich Versorgungsengpässe vermeiden. lität gesicherte Medizinprodukte zur Anwendung kom- Kritisiert wurde in der Vergangenheit auch die man- men und verfügbar sind. gelnde Transparenz bei Vorkommnissen im Medizinpro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) duktebereich. Wenn ein Problem bekannt wird, muss si- chergestellt sein, dass die betroffenen Patientinnen und Nur wenige Monate nach dem Skandal um die Patienten schnell informiert und fehlerhafte Produkte schadhaften Brustimplantate hat die Europäische Kom- nicht weiterverwendet und vertrieben werden. mission im September 2012 den Entwurf für eine EU- Medizinprodukte-Verordnung vorgelegt. Fast fünf Jahre (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dauerte dann das Ringen auf europäischer Ebene auch um der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18653

Sabine Dittmar (A) Auf der Grundlage der EU-Medizinprodukte-Verord- (Beifall der Abg. Bärbel Bas [SPD]) (C) nung können künftig alle Medizinprodukte anhand einer Fachfremd unterstützen wir mit dem Gesetzentwurf eindeutigen Produktidentifizierungsnummer zurückver- die Aufsicht im Bereich der Hilfsmittelversorgung; Kol- folgt werden. Alle vorhandenen Daten werden im Deut- lege Monstadt hat es schon dargestellt. Wir führen ein schen Medizinprodukteinformations- und Datenbanksys- Schiedsverfahren für die Hilfsmittelverträge ein. Wir tem und später auch in der europäischen Datenbank wollen damit die flächendeckende, wohnortnahe und EUDAMED zusammengeführt und öffentlich zugänglich qualitative Hilfsmittelversorgung sicherstellen und vor gemacht. Zusammen mit dem Implantateregister, das wir allem Versorgungslücken mangels entsprechender Ver- im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht haben, wer- träge vermeiden. den wir künftig hier ein weitaus höheres Transparenzni- veau haben. Insgesamt ist es ein gelungenes Gesetz. Ich bitte um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich bin auch sehr froh, dass mit den Ländern eine Ver- der CDU/CSU) ständigung über die Zuständigkeit bei der Vigilanz und Überwachung von Medizinprodukten gelungen ist. Zu- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: künftig kann das BfArM bei Gefahr im Verzug oder dann, Vielen Dank, Frau Kollegin Dittmar. – Die nächste wenn der Hersteller seinen Sitz im Ausland hat, unmittel- Rednerin ist für die FDP-Fraktion die Kollegin Katrin bar selbst Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherheit Helling-Plahr. von Patientinnen und Patienten anordnen. Damit werden die Befugnisse der Länderbehörden sinnvoll ergänzt. (Beifall bei der FDP) Der Gesetzentwurf enthält auch weitreichende Verord- nungsermächtigungen für das Bundesgesundheitsminis- Katrin Helling-Plahr (FDP): terium, unter anderem für nähere Regelungen zur natio- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- nalen Sonderzulassung von Medizinprodukten. Ich ren! Sehr geehrter Herr Minister! Natürlich müssen wir möchte hier noch einmal deutlich machen, dass aus mei- unser deutsches Medizinprodukterecht an die europä- ner Sicht das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme ischen Vorgaben anpassen. Da enthält der heute von der von Medizinprodukten, die das EU-Konformitätsbewer- Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf einige richti- tungsverfahren noch nicht durchlaufen haben, im Interes- ge Selbstverständlichkeiten. An einigen Stellen ist er zu se der Patientensicherheit grundsätzlich die Ausnahme kurz gesprungen. Vor allem aber lässt er – wie es so die (B) bleiben und ausschließlich befristet ermöglicht werden Eigenart des Ministers ist – ganz viele relevante Fragen, (D) sollten. insbesondere zu den Sonderzulassungen, die das Bundes- institut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilen (Beifall bei der SPD und der LINKEN) können soll, offen. Der Minister betreibt wieder einmal Auch das Verfahren für Meldungen von mutmaßlich Outsourcing wichtiger Fragestellungen aus der Verant- schweren Vorkommnissen mit Medizinprodukten wird wortlichkeit des Parlaments in sein Ministerium. Einem – in einer Rechtsverordnung geregelt werden. Um sicher- in wesentlichen Elementen – Blackbox-Gesetz können zustellen, dass rechtzeitig und korrekt gemeldet wird, wir nicht zustimmen. wäre es aus meiner Sicht richtig, den Verstoß gegen ent- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kathrin sprechende Meldepflichten künftig zu sanktionieren. Vogler [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD) Die eigentliche Problematik liegt aber ganz woanders. Sehr geehrte Damen und Herren, beide EU-Verordnun- Ab 26. Mai gilt die Medical Device Regulation unmittel- gen sind Zeichen eines wichtigen Reformprozesses in bar. Das ist in 82 Tagen. Von Tag zu Tag geht mehr die Europa. Die Verordnungsgeber verbinden damit das Ver- Angst um – bei Patienten wie Unternehmen. Alle wissen: sprechen eines hohen europäischen Sicherheitsniveaus Wir sind nicht vernünftig vorbereitet. für Medizinprodukte. Erst wenn die Verordnungen nach Ablauf aller Übergangsfristen volle Wirkung entfaltet ha- Damit Sie sich ein Bild machen, wie die Lage bei ben, werden wir sehen, ob dieses Versprechen gehalten unseren mittelständischen Medizinprodukteherstellern werden kann. aussieht, habe ich Ihnen zwei Zitate aus E-Mails mitge- bracht. Das erste Zitat: Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass die SPD-Fraktion sich beispielsweise beim Umgang mit Ex- Genau das, was wir befürchtet haben, ist … jetzt plantaten oder hinsichtlich eines Fehlermeldesystems im eingetreten: Man teilt uns lapidar mit, dass man nationalen Recht weiter gehende Regelungen zugunsten die zertifizierende Tätigkeit in 2020 aufgeben wird! der Patientensicherheit und der Patientenrechte ge- Dies bedeutet, dass wir ab Mai 2020 keine Benannte wünscht hätte. Stelle mehr haben, und im Augenblick ist es unmög- lich, eine neue Benannte Stelle zu finden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das zweite Zitat: Ich kann Ihnen hier zusagen: Wir werden das weiter im Um existenzielle Schwierigkeiten für das Unterneh- Auge behalten. men zu verhindern, ist ein mittel- oder sogar kurz- 18654 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Katrin Helling-Plahr (A) fristiges Einstellen der Produktion bestimmter Pro- zum Beispiel die Möglichkeit, künftig viel mehr neue (C) dukte unausweichlich. Medizinprodukte per Sonderzulassung auf kranke Men- schen loszulassen. Wir finden – wie übrigens auch die Dazu werden Produkte zählen, die seit Jahrzehnten Kollegin von der SPD –, dass Sonderzulassungen auf am Markt etabliert sind und … Patienten gute Diens- ganz konkrete Ausnahmefälle begrenzt und zeitlich be- te geleistet haben, ohne Komplikationen. fristet sein müssen, um unnötige Risiken für Patientinnen Statt einer Unterstützung kleiner und mittlerer Un- und Patienten zu vermeiden. ternehmen, die das Rückgrat der deutschen Wirt- schaft sind, wird das Gegenteil erreicht: nämlich (Beifall bei der LINKEN) eine Verdrängung vom Markt, die zu Lasten der Ver- Zudem sollen die Aufsichtsbehörden bei Meldungen sorgung der Bevölkerung geht. von schwerwiegenden Vorkommnissen ihre Risikobe- wertung jetzt dahin gehend vornehmen, ob ein unvertret- Somit werden spezielle, individualisierte Medizin- bares Risiko für die Patientinnen und Patienten vorliegt. produkte aufgrund der enormen Kostensteigerung Mit dieser Einschränkung wird die Patientensicherheit bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung am gegenüber den EU-Vorgaben unnötig ausgehebelt, und Markt dem … Patienten nicht mehr angeboten, da das finden wir falsch. die Kosten die Umsätze solcher Produkte signifikant übersteigen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren von der Koalition, bei ver- Meine Damen und Herren Kollegen, wir haben viel zu schreibungspflichtigen Arzneimitteln gilt zu Recht ein wenige neu zertifizierte Benannte Stellen, sind weit hin- Werbeverbot außerhalb von Fachkreisen. Ich kann nicht ter Plan. Personalkapazitäten bei den Benannten Stellen verstehen, warum die Koalition das nicht wenigstens fehlen. Wir haben schon jetzt einen Zertifizierungsstau. auch für Medizinprodukte vorsieht, zumindest in den Die europäische Datenbank EUDAMED fehlt ebenso wie höheren Gefahrenklassen. delegierte Rechtsakte und Implementierungsrechtsakte (Beifall bei der LINKEN) für die MDR. Wir laufen sehenden Auges in ein riesiges Chaos und müssen auf europäischer Ebene richtig Druck Was uns auch noch fehlt, ist eine Verpflichtung der machen. Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu! Hersteller, für ihre Produkte eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Denn es ist überhaupt nicht einzusehen, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. dass letzten Endes die Solidargemeinschaft der Kranken- versicherten für fehlerhafte Produkte der Hersteller haf- (Beifall bei der FDP) (B) ten soll, wenn diese etwa insolvent werden wie damals (D) der französische Hersteller der Brustimplantate, die ille- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gal mit Industriesilikon gefüllt waren. Das ist überhaupt Vielen Dank. – Die nächste Rednerin: die Kollegin nicht einzusehen. Kathrin Vogler, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN)

Kathrin Vogler (DIE LINKE): Es ist jetzt in der Verantwortung des Gesundheitsmi- nisters, bei den vielen noch zu ergänzenden Verordnun- Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- gen dem Patientenschutz klaren Vorrang zu geben. Wir legen! Giftige Hüftgelenke, minderwertige Brustimplan- werden das beobachten. tate, Stents, die Schlaganfälle verhindern sollten, aber tatsächlich mehr davon auslösten, Herzschrittmacher, Aus all diesen Gründen und weil für Die Linke der die Patientinnen und Patienten völlig unkontrolliert Patientenschutz immer vor der Wirtschaftsförderung Stromschläge verpassten: Medizinprodukte, die kranken kommt, können wir uns heute leider nur enthalten. Menschen helfen sollten, haben in den letzten Jahrzehn- ten immer wieder großes Leid verursacht. Hiergegen soll (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- die Medizinprodukte-Verordnung der EU Abhilfe schaf- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fen, und ganz sicher stellt sie auch eine deutliche Ver- besserung dar. Aber leider hat sich die Bundesregierung Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: im Rahmen der Verhandlungen zugleich für herstellerf- Das Wort hat die Kollegin Kordula Schulz-Asche, reundlichere Regelungen starkgemacht und den Patien- Bündnis 90/Die Grünen. tenschutz dabei wieder ausgebremst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Gesetz soll nun die Vorgaben der EU in Deutsch- land umsetzen. Positiv ist: Die verbesserte Kompetenz- Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verteilung zwischen Bund und Ländern und eine bundes- NEN): einheitliche Marktüberwachung können tatsächlich die Patientensicherheit erhöhen. Das haben wir als Linke Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Neu- immer gefordert. ordnung des EU-Rechts zu Medizinprodukten ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ist die Folge von einer Aber leider haben Sie zugleich Bestimmungen einge- ganzen Reihe von Skandalen – sie sind hier schon ange- baut, die das Sicherheitsniveau eher absenken. Dazu zählt sprochen worden –: gefährliche Brustimplantate und im Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18655

Kordula Schulz-Asche (A) letzten Jahr die Aufdeckung des Implant-Files-Skandals Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) durch das Redaktionsnetzwerk. All das hat dazu geführt, Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der letzte Redner zu dass allen klar geworden ist: Patientensicherheit muss diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Stephan immer an erster Stelle stehen. Pilsinger von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir hätten uns auf EU-Ebene, ehrlich gesagt, schon Stephan Pilsinger (CDU/CSU): mehr gewünscht. Aber leider haben sich Lobbyisten auch aus diesem Hause an bestimmten Stellen in Europa Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor mitt- durchsetzen können. Ich finde, das ist ein trauriges Bei- lerweile über fünf Jahren wurde bekannt, dass die franzö- spiel. Aber letztendlich kann ich sagen, dass wir diese sische Firma PIP im großen Stil mangelhafte Brustim- Neuregelungen in Gänze weitgehend begrüßen, auch plantate in Verkehr gebracht hat. Über 400 000 Frauen die Anpassungen an deutsches Recht, wie sie uns heute weltweit waren von dem Skandal betroffen. Bei dieser vorliegen. Zahl handelt es sich aber lediglich um eine Schätzung der Europäischen Kommission. Ein funktionierendes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) System zur Überprüfung und Registrierung von Medizin- produkten existierte zum damaligen Zeitpunkt nicht. Aber leider scheint es, wenn wir uns jetzt die deutsche Variante angucken, als ob an manchen Punkten die Ziele Um solche Fälle in Zukunft zu verhindern, ist es unbe- „Patientensicherheit“ und „bessere Qualität“ etwas aus dingt notwendig, die Erfüllung wesentlicher Gesund- den Augen verloren wurden, wie die Anhörung zu diesem heits- und Sicherheitsanforderungen an Medizinprodukte Gesetzentwurf gezeigt hat. Wir befürchten tatsächlich von nun an verbindlich zu zertifizieren. Dazu gehört Versorgungsengpässe, und zwar aufgrund der Tatsache, auch, dass die nationalen Behörden die Zertifizierungs- dass es bisher zu wenig Benannte Stellen, also Zulas- stellen überwachen und kontrollieren. sungsstellen für Medizinprodukte, gibt. Es gibt deswegen Ausnahmeregelungen. Ausnahmeregelungen können Nach über vier Jahren der Verhandlungen zwischen aber auch immer zulasten der Qualität gehen, und das Kommission, Rat und dem Europäischen Parlament ist darf im Medizinprodukterecht nicht der Fall sein. am 25. Mai 2017 die neue Verordnung über Medizin- produkte, kurz MDR, in Kraft getreten. Damit werden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN endlich verbindliche Regelungen getroffen, die die Si- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) cherheit der Nutzerinnen und Nutzer von Medizinpro- (B) Meine Damen und Herren, vieles soll noch in Verord- dukten langfristig gewährleisten. Die Medizinprodukte- (D) nungen geklärt werden; auch das ist schon gesagt wor- Verordnung schafft einen verlässlichen und nachhaltigen den. Der Inhalt dieser Verordnungen ist völlig unklar. Da Rechtsrahmen für Medizinprodukte, der nicht nur ein gibt es wirklich offene Fragen. Ich weiß nicht, was wir hohes Maß an Sicherheit und Gesundheitsschutz gewähr- davon halten sollen, wenn nicht klar ist, was das Ziel ist leistet, sondern gleichzeitig auch europäische Innovatio- und in welche Richtung diese Verordnungen gehen sol- nen in diesem Bereich ermöglicht und fördert. len. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf passen wir das Der wichtigste Aspekt des Patientenschutzes wird nationale Medizinprodukterecht nun rechtzeitig vor Gel- nicht angegangen: Wir brauchen dringend, meine Damen tungsbeginn der Verordnung im Mai 2020 an die neuen und Herren, eine verpflichtende Haftpflichtversicherung EU-Vorgaben an. Uns ist aber auch bewusst, dass der für Anwender, Betreiber und Hersteller von Medizinpro- anstehende Geltungsbeginn der Verordnung insbesondere dukten. kleine und mittelständische Unternehmen vor große He- rausforderungen bei der praktischen Umsetzung stellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das hängt vor allem mit den sogenannten Benannten sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Stellen und den zuständigen Behörden zusammen, die Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ganz genau!) in den kommenden Monaten eine reibungslose Umstel- Das fordern wir schon seit sehr vielen Jahren; denn die lung gewährleisten müssen. Patientenrechte müssen endlich umgesetzt werden. Wir haben gesehen: Am Ende gehen fehlerhafte oder falsche Durch die MDR werden die Anforderungen an die Medizinprodukte immer zulasten der Patientinnen und Benennung und Überwachung der Prüfstellen nochmals Patienten, und schließlich sind sie auch noch in finanz- verschärft. Das heißt, alle europäischen Benannten Stel- ieller Hinsicht die Opfer. Das dürfen wir nicht länger len müssen mit Geltungsbeginn der MDR neu benannt zulassen. werden. Aufgrund der langen Dauer dieses Benennungs- prozesses zeichnet sich daher ein Engpass bei der Zahl (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Benannten Stellen ab. Diese sind aber dringend not- wendig, da sie die Produkte der Hersteller nach den Re- Deswegen werden wir uns bei diesem Gesetzentwurf ent- gelungen der neuen Verordnung zertifizieren müssen. halten. Auch die Bundesregierung hat erkannt, dass hier dring- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ender Handlungsbedarf besteht, und hat sich auf europä- ischer Ebene für eine Anpassung von Übergangsfristen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eingesetzt. 18656 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Stephan Pilsinger (A) Bei Produkten niedriger Risikoklasse fehlte es bisher der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- (C) an einer entsprechenden Vorschrift, wie sie die Verord- zeichen. – Das sind CDU/CSU und SPD. Wer stimmt nung bei Medizinprodukten höherer Risikoklasse bereits dagegen? – Das ist die AfD. Enthaltungen? – Grüne, vorsah. Dank des von der Bundesregierung unterstützten Linke und FDP. Der Gesetzentwurf ist damit in der zwei- zweiten Corrigendums zur Medizinprodukte-Verordnung ten Beratung angenommen. wird vielen Unternehmen besonders im kleinen und mit- telständischen Sektor der Übergang erleichtert. Konkret Dritte Beratung bedeutet das: Medizinprodukte der niedrigen Risikoklas- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem se I, die mit Ende der Umsetzungsfrist vom 25. Mai 2020 Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – höher klassifiziert werden, profitieren nun von einer ver- Das sind die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion längerten Frist bis zum 26. Mai 2024. Die Behörden und und der CDU/CSU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das Benannten Stellen werden dadurch deutlich entlastet, und sind die Kolleginnen und Kollegen der AfD. Enthaltun- das hilft nicht nur den kleineren Herstellern, sondern auch gen? – Die Kollegen der FDP, des Bündnisses 90/Die den Unternehmen, die unverzichtbare Medizinprodukte Grünen und der Linken. Der Gesetzentwurf ist damit an- höherer Risikoklassen herstellen, beispielsweise für die genommen. Verwendung im OP oder im intensivmedizinischen Be- reich. Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache Diese Tatsache sollte uns aber nicht davon ablenken, 19/17589 fort. Unter Buchstabe b seiner Beschlussemp- dass wir noch immer nicht über eine ausreichende Zahl fehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des An- Benannter Stellen verfügen. Vom ursprünglich angesetz- trags der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/15070 mit ten Ziel, nämlich bis zum Geltungsbeginn EU-weit etwa dem Titel „Nationaler Notfallplan zur Sicherstellung der 50 Einrichtungen bereitzustellen, sind wir aktuell noch Patientenversorgung – Patientenbehandlung nicht durch weit entfernt. Wir müssen also davon ausgehen, dass es die EU-Medizinprodukteverordnung gefährden“. Wer nach Geltungsbeginn der neuen Verordnung zu Warte- stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschus- zeiten für Unternehmen kommt. Und das ist ein kritischer ses? – CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen Punkt; und Linke. Gegenprobe! – Die AfD. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist an- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) genommen. denn kleine und mittlere Unternehmen kann das in eine wirtschaftliche Schieflage bringen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- (B) Die Umsetzung der neuen MDR kann nur dann funk- tion der AfD auf Drucksache 19/16057 mit dem Titel (D) tionieren, wenn alle nötigen Voraussetzungen für einen „Gesundheits-Apps auf klinische Wirksamkeit prüfen reibungslos ablaufenden Zertifizierungsprozess vorhan- und Patienten schützen“. Wer stimmt für die Beschluss- den sind. Bevor wir in eine Situation geraten, in der empfehlung des Ausschusses? – Das sind wieder FDP, kleine und mittelständische Medizintechnikunternehmen CDU/CSU, Grüne, SPD und Linke. Gegenprobe! – Die vom Markt verschwinden und mit ihnen natürlich auch AfD. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung eine große Anzahl von Produkten, müssen wir geeignete des Ausschusses ist angenommen. Übergangsvoraussetzungen und adäquate Begleitmaß- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d nahmen schaffen. Damit unterstützen wir nicht nur den seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern stellen auch der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/16035 mit dem die Versorgungssicherheit für die Zukunft sicher. Titel „EU-Medizinprodukteverordnung verantwortungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) voll implementieren – Patientenversorgung sicherstel- len“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Und das sind wir vor allem den Nutzerinnen und Nutzern CDU/CSU, SPD, Linke. Gegenprobe! – Das sind die der Medizinprodukte schuldig. AfD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Vielen Dank. Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c und (Beifall bei der CDU/CSU) den Zusatzpunkt 6 sowie den Tagesordnungspunkt 15 b auf: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank, Herr Kollege Pilsinger. – Ich schließe die 17 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Aussprache. desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verord- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- nung (EU) 2017/821 des Europäischen desregierung eingebrachten Entwurf eines Medizin- Parlaments und des Rates vom 17. Mai produkte-EU-Anpassungsgesetzes. Der Ausschuss für 2017 zur Festlegung von Pflichten zur Er- Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- füllung der Sorgfaltspflichten in der Lie- schlussempfehlung auf Drucksache 19/17589, den Ge- ferkette für Unionseinführer von Zinn, setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold 19/15620 und 19/16406 in der Ausschussfassung anzu- aus Konflikt- und Hochrisikogebieten so- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in wie zur Änderung des Bundesberggesetzes Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18657

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Drucksachen 19/15602, 19/16338, rung für Elektromobilität strenger kon- (C) 19/16578 Nr. 1.6 trollieren Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksachen 19/9251, 19/10347 schusses für Wirtschaft und Energie (9. Aus- schuss) Hier ist eine Aussprache von 30 Minuten beschlossen. Drucksache 19/17563 Es beginnt der Kollege Bernhard Loos von der CDU/ CSU-Fraktion. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva-Maria Schreiber, Klaus Ernst, Michel (Beifall bei der CDU/CSU) Brandt, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE Bernhard Loos (CDU/CSU): Für eine global gerechte und nachhaltige Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Rohstoffpolitik Kollegen! Heute steht zur Verabschiedung an das Gesetz mit dem sperrigen Namen – ich lese es mal vor – „Gesetz Drucksache 19/16865 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2017/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) 2017 zur Festlegung von Pflichten zur Erfüllung der Auswärtiger Ausschuss Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Unionseinführer Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold aus Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Konflikt- und Hochrisikogebieten sowie zur Änderung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- des Bundesberggesetzes“. Das kann man sich also sehr lung leicht merken. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter Janecek, Dr. Bettina Hoffmann, Anja Warum zitiere ich den Wortlaut? Damit jedem klar Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Frak- wird, dass wir allein über die nationale Durchführung tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieser speziellen EU-Verordnung betreffend diese vier speziellen Metalle und deren Einfuhr entscheiden, über Rohstoffwende zum Schutz von Men- nichts anderes. Wir legen nicht den Inhalt und den Um- schenrechten und für eine nachhaltige fang der EU-Verordnung fest oder weiten diese aus. Wir Entwicklung der Industrie gestalten damit schon gar nicht ein nationales Lieferket- Drucksache 19/16522 tengesetz. Insofern gehen die Anträge der Opposition am (B) Thema vorbei. (D) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Im Übrigen hat die Bundesregierung mit der Fort- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft schreibung ihrer Rohstoffstrategie vom 15. Januar 2020 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit bereits die richtigen Antworten vorgelegt und 17 kon- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe krete Maßnahmen vorgestellt. Aus Sicht der Union ist Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung bei der Umsetzung dieser EU-Konfliktminerale-Verord- Ausschuss Digitale Agenda nung eine Eins-zu-eins-Umsetzung geboten und ausrei- ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten chend. Wir wollen keine weitere zusätzliche Bürokratie Dr. Marcel Klinge, Olaf in der Beek, Michael in Deutschland und auch keine zusätzlichen Kosten. Wir Theurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion wollen keinen deutschen Sonderweg, und wir wollen kei- der FDP ne Schippe obendrauf legen. Wir als CDU/CSU wollen auch nicht, dass diese Umsetzung eine Art Blaupause für Rohstoffpolitik – Ein Update für das 21. Jahr- ein nationales allgemeines Lieferkettengesetz wird. hundert (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksache 19/16546 NEN]: Sprechen Sie doch mal mit Ihrem Mi- Überweisungsvorschlag: nister Müller!) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss Über den NAP und welche Schlussfolgerungen zu ziehen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sind, debattieren wir dann, wenn wirklich belastbare Er- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen gebnisse vorliegen – erst dann. 15 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des (Beifall bei der CDU/CSU) Berichts des Ausschusses für Verkehr und Zurück zur Sache selbst, zur Umsetzung der EU-Kon- digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu fliktminerale-Verordnung: Die EU-Mitgliedstaaten ha- dem Antrag der Abgeordneten Dietmar ben eine wirksame und einheitliche Durchführung der Friedhoff, Markus Frohnmaier, Ulrich EU-Verordnung sicherzustellen. Ziel ist ein einheitliches Oehme, weiterer Abgeordneter und der Frak- System für das Erfüllen von Sorgfaltspflichten bei Roh- tion der AfD stofflieferketten für diese Metalle. Die maßgeblichen ma- Keine Elektromobilität zu Lasten von teriellen Regelungen, insbesondere die Sorgfaltspflichten Mensch und Umwelt in rohstoffreichen der Importeure, finden sich daher in der EU-Verordnung Entwicklungsländern – Rohstoffförde- selbst, die unmittelbar anwendbar ist. 18658 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Bernhard Loos (A) Für Deutschland legen wir die Bundesanstalt für Geo- Dietmar Friedhoff (AfD): (C) wissenschaften und Rohstoffe als die zuständige Behörde Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und fest. Wir gehen von etwa 200 Einführern pro Jahr aus, bei Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Rohstoff als denen risikobasierte Nachkontrollen als Stichproben Thema ist untrennbar verbunden mit dem Zugriff der durchgeführt werden sollen. In der intensiven Anhörung Industrienationen auf diese Ressourcen zur Sicherung am 27. Januar haben sich vor allem zwei Fragestellungen ihrer Leistungs- und Marktfähigkeit. Es ist leider auch herausgebildet: erstens eine Unternehmenslistung und verbunden mit Gewalt und Krieg. Unsere Welt hat sich zweitens die Erhöhung des Zwangsgeldes. Die Union verändert; sie verändert sich immer schneller: Konsum- lehnt eine wie auch immer geartete Listung durch die steigerung, Bevölkerungswachstum und Umweltzerstö- BGR ab. Und dies hat auch gute Gründe. rung bilden eine unglückliche Allianz. Deswegen muss Rohstoffpolitik immer im Dreiklang gedacht werden: Erstens. Eine Transparenz ist bereits gegeben durch die Rohstoff, Mensch und Umwelt. Dabei sollte alles ideo- von der EU-Verordnung vorgegebenen Offenlegungs- logiefrei betrachtet und endlich mal wieder ergebnisoffen und Informationspflichten im Internet. Jeder kann dort diskutiert werden. Deswegen Schluss auch an dieser Stel- frei recherchieren. Zudem wird von der BGR ein jährli- le mit Augenwischerei. cher Rechenschaftsbericht erstellt und in einem Fachge- spräch mit den Nichtregierungsorganisationen diskutiert Es gibt immer mehr Aktionen wie rote Hände, grüne werden. Knöpfe, blaue Engel. Man ist bemüht, etwas zu tun. Aber führt es zum Ziel? Unser Antrag soll aus der Theorie Zweitens. Wir wollen keine deutsche Prangerliste, die befreien und endlich mal ein praktisches Beispiel geben doch nur zu einer Verlagerung der Einfuhrwege führen für ein ehrliches Handeln. würde. Dass eine Listung positive Effekte für die einführ- enden Unternehmen haben könnte, glaubt doch wohl nie- Stoppen wir Elektromobilität zum Schutz von rohstoff- mand ernsthaft. In anderen EU-Ländern ist dies auch reichen Entwicklungsländern, zum Schutz ihrer Men- nicht vorgesehen, weder in den Niederlanden, Frankreich schen, gerade ihrer Kinder. Begründung: Bei der Bewer- noch in Italien. tung von Mobilität der Zukunft wird uns vorgegaukelt, ein Batterieelektromobil spare gegenüber einem deut- Drittens und noch wichtiger. Eine solche Liste ist auch schen Diesel CO2. Stimmt das? Ist ein batteriebetriebenes in der EU-Verordnung gar nicht gewollt. Wir wollen ei- Fahrzeug umweltschonend? Warum gibt es keine Ver- nen EU-weiten einheitlichen Vollzug und keine Wettbe- pflichtung zu Angaben im Bereich des Ressourcenruck- werbsnachteile. Wir wollen eine Eins-zu-eins-Umset- sackes? Schützt das nur die eigenen Kinder bei uns in zung, nicht mehr und nicht weniger. Deutschland, weil sie hier bessere Luft haben, oder (B) schützt es auch die Menschen vor Ort in den Abbauge- (D) Viertens. Es bestünden auch Probleme mit dem Steuer- bieten? Wie steht es um die Nachhaltigkeit der Liefer- geheimnis, da eine solche vollständige Liste wohl aus kette, Herr Raabe? Wie steht es um die Arbeitsbedingun- Daten der Zollverwaltung erstellt werden müsste. gen vor Ort? Wie steht es um die Recyclingfähigkeit, um die Wiederverwertbarkeit, um die Sicherheit? Und wa- Bei der Höhe des Zwangsgeldes bleiben wir bei den rum öffnet man einen Markt, ohne diese Schritte vorher angemessenen maximalen 50 000 Euro beim Erstverstoß. Auch das hat gute Gründe: Erstens. Dies ist bereits der überhaupt klar definiert zu haben? doppelte Satz der einschlägigen verwaltungsrechtlichen (Beifall bei der AfD) Vorschriften. Zweitens. Eine Dynamisierung, zum Bei- spiel am Umsatz, wäre völlig neu und systemfremd, zu- Ein Beispiel soll hier helfen: Die Region Hannover dem sagt Umsatz nichts über Gewinn aus. Drittens. Es schafft nun ihre Gasbusse ab, um batteriebetriebene gilt grundsätzlich festzuhalten: Ein Zwangsgeld dient nur Elektrobusse zu kaufen. Investitionsvolumen über 40 Mil- der verwaltungsverfahrensrechtlichen Durchsetzung und lionen Euro für über 40 Busse. Die Region Hannover will ist kein Bußgeld. Für Bußgeldvorschriften fehlt den ein- ja CO2-neutral werden. Ich habe dazu eine Anfrage an die zelnen EU-Mitgliedstaaten die Kompetenz. Region gestellt und gefragt: Wie viel CO2 wird bei der Produktion dieses Busses aufgewendet, vor allen Dingen Lassen Sie uns die EU-Verordnung heute so umsetzen. bei der Produktion der Batterie? Kann man sicher sein, Im Übrigen wird von der EU-Kommission 2023 die Ver- dass die Rohstoffe ohne Einsatz von Kinderarbeit abge- ordnung auf ihre Wirksamkeit geprüft. Lassen Sie uns baut werden, und – vor allen Dingen – wie werden die dann nochmals Bilanz ziehen und nötigenfalls nachjus- Batterien entsorgt? Die Antwort der Region lautete drei- tieren. mal: Keine Ahnung; es liegen uns keine Erkenntnisse vor. – Unfassbar, oder? Eine CO2-neutrale Region ohne Danke für Ihre Aufmerksamkeit. haltbare Werte? (Beifall bei der CDU/CSU) Es liegen übrigens vonseiten der Feuerwehr noch gar keine wirklichen Löschkonzepte für solche Elektrobusse Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: vor, sie hat keine besondere Schutzkleidung und keine Vielen Dank, Kollege Loos. – Der nächste Redner ist Abtransportmöglichkeit für ausgebrannte Busse. Unfass- der Kollege Dietmar Friedhoff, AfD-Fraktion. bar? Ja! Aber leider Gottes deutsche Realität.

(Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18659

Dietmar Friedhoff (A) Dass die Produktion dieser Akkus zwischen 15 und auch wenn wir langfristig natürlich wollen, dass das ein- (C) 30 Tonnen CO2 verursacht, wird ausgeklammert. Dass heimische Firmen machen und die Weiterverarbeitung keiner weiß wohin mit den Akkus nach dem Betrieb, wird dort erfolgt; das wäre also eine gute Sache. ausgeklammert. Dass Menschen vor Ort ihre Lebens- Leider gibt es aber viele schwarze Schafe unter den grundlage durch eine massive Zerstörung der Umwelt ausländischen Unternehmen, die zulassen, dass dort aus- entzogen wird, wird ausgeklammert. So müssen für beuterische Kinderarbeit und Zwangsarbeit herrscht. Es 1 Tonne Lithium 2 Millionen Liter Wasser verdunsten. gibt in einem Land wie der Demokratischen Republik Das ist Tiefenwasser, das wiederum den Bauern fehlt. Kongo vor Ort Bürgerkriegsparteien, sogenannte War- Das wiederum zerstört die Lebensgrundlage der indige- lords, die Kinder als Sklaven in Minen schuften lassen nen Bevölkerung und der Kleinbauern. und dann mit den Erlösen einen Krieg finanzieren, in dem Chemiekeulen werden benötigt, um das Kobalt – nicht sie Kinder als Soldaten missbrauchen. den Kobold – vom Kupfer zu trennen. Böden und Wasser Heute gehen wir einen historischen Schritt, weil wir werden verschmutzt. Kinder werden in den Minen einge- den schwarzen Schafen, die auch aus Europa oder setzt. Auf batteriebetriebene Mobilität derzeit zu bauen, Deutschland heraus auf diese Weise Profit machen, Ein- bedeutet nicht Klimaschutz, sondern definitiv Umwelt- halt gebieten. Das ist eine gute Stunde für unser Parla- zerstörung. ment, aber auch eine gute Stunde für die Menschen in (Beifall bei der AfD) Afrika und besonders im Kongo, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das forciert Korruption, Gewalt und Kinderleid. Zum Schluss werden wir den Restmüll wieder in Afrika ent- (Beifall bei der SPD) sorgen, wo kleine Kinder auf den brennenden Müllhaufen In meinem Wahlkreis in Hanau gibt es mit Umicore stehen und diese Rohstoffe wieder herausholen. Deshalb und Heraeus zwei große Edelmetall verarbeitende Unter- sollte gerade die batteriebetriebene E-Mobilität kein grü- nehmen. Als Entwicklungspolitiker, der schon seit 2002 nes Siegel tragen, sondern derzeit noch blutige Hände. hier im Bundestag ist, habe ich mit diesen Unternehmen Deswegen sind der deutsche Diesel, die deutsche Um- über viele Jahre Gespräche geführt und gesagt: Mensch, welttechnik wie auch die saubersten Kohle- und Gas- ich möchte eigentlich, dass es eine gesetzlich verbind- kraftwerke der Welt – alles „made in Germany“ – echter liche Regelung gibt, dass alle Unternehmen menschen- Umweltschutz für echte Entwicklungspolitik, gerade in rechtliche Standards und Arbeitnehmerrechte einhalten Afrika. müssen. (Beifall bei der AfD) Am Anfang, vor sieben oder acht Jahren – Herr Wirt- (B) schaftsminister, das ist jetzt auch für Sie interessant; denn (D) Abschließend: Es ist klar im deutschen Zukunftsinte- man denkt oft, Wirtschaft und Entwicklung stehen immer resse, eigenen Zugriff auf Rohstoffe für Zukunftstechno- gegeneinander –, haben die noch gesagt: Jetzt kommt der logien zu formulieren und durchzusetzen, aber „made in romantische Entwicklungspolitiker mit seinen idealisti- Germany“: nachhaltig, umweltschonend und menschen- schen Vorstellungen. Nein, wir wollen auf keinen Fall würdig – eben echt blau gedacht. etwas Gesetzliches. Das ist nur Bürokratie. – Es klingt Danke schön. ja auch bei einigen Kollegen aus der Union im Wirt- schaftsausschuss immer noch an, dass jede Regelung im- (Beifall bei der AfD) mer nur negativ für die Wirtschaft wäre. Dann haben diese Unternehmen mir jedes Jahr vorge- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: legt, welche Standards sie freiwillig erfüllen. Das wurde Für die SPD-Fraktion hat als Nächstes das Wort der immer mehr. Dann kam der Dodd-Frank Act in den USA; Kollege Dr. Sascha Raabe. 2010 hat Präsident Obama dieses Gesetz erlassen. Es sollte der Finanzmarktregulierung dienen. Die Amerika- (Beifall bei der SPD) ner haben beschlossen, dass Unternehmen, die an US- Dr. Sascha Raabe (SPD): Börsen gelistet sind und aus der Demokratischen Repu- blik Kongo Mineralien beziehen, auf die Einhaltung von Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Menschenrechten achten müssen, und dass deren Erlöse Kollegen! In Afrika gibt es viele Länder mit vielen Roh- nicht mehr der Konfliktfinanzierung dienen. stoffen. Eigentlich könnte man denken: Das ist ja ein Segen für diese Länder, weil sie sich dann gut entwickeln Wir haben uns immer weiter angenähert. Dann habe können, Wertschöpfung und Wohlstand schaffen müss- ich irgendwann mal zu der Fachvereinigung Edelmetalle, ten. Aber leider ist in vielen Ländern Afrikas der Roh- mit der ich eigentlich immer sehr konstruktiv im Aus- stoffreichtum eher Fluch als Segen. tausch war, gesagt: Ich will doch nur, dass das, was ihr freiwillig macht, für alle verpflichtend gilt, damit gleiche Woran liegt das? Das liegt daran, dass es viele Berg- Wettbewerbsbedingungen herrschen. Das muss doch in bauunternehmen gibt, auch viele ausländische, die über eurem Interesse sein. – Dann hat es bei denen Klick ge- das Kapital verfügen, dort Rohstoffe abzubauen. Das al- macht. Sie haben gesagt: „Ja, stimmt“, und ich habe sie an lein wäre noch nicht so schlimm; denn wenn diese Unter- meiner Seite gehabt. nehmen dort Steuern und Lizenzgebühren zahlen würden und auf die Einhaltung der Menschenrechte und des Ar- Wir hatten 2014, 2015 ein Trilog-Verfahren im Euro- beitsrechts achten würden, dann hätten alle etwas davon – päischen Parlament; denn auch das Europäische Parla- 18660 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Sascha Raabe (A) ment wollte diese verbindlichen gesetzlichen Regelun- der an der Arbeit beteiligt sind. Es muss uns doch darum (C) gen. Der Rat wollte die Freiwilligkeit. Dann haben wir gehen, dass hier in Europa und in Deutschland nur Pro- es als SPD-Fraktion damals geschafft, Herr Altmaier, dukte auf den Markt kommen, bei deren Produktion die trotz aller Stimmen aus Ihrem Haus, die bei der Freiwil- Menschen anständig bezahlt werden und die nicht durch ligkeit bleiben wollten, den damaligen Wirtschaftsminis- ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt werden, meine ter Gabriel davon zu überzeugen, dass er sich in Brüssel Damen und Herren. für verbindliche gesetzliche Regeln einsetzt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der LINKEN und des Abg. Ottmar von Holtz Deutschlands Stimme im Rat hat dann 2016 wirklich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) den Ausschlag dafür gegeben, dass wir 2017 das erste Deswegen sagen wir Ihnen: Im Koalitionsvertrag, Herr Mal – das erste Mal! – in der EU eine Verordnung ge- Wirtschaftsminister Altmaier, steht, dass wir, wenn die schaffen haben, mit der wir für einen Teilbereich der Unternehmen nicht freiwillig eine bestimmte Quote er- Wirtschaft in einem besonders problematischen Gebiet füllen und ihren Sorgfaltspflichten nicht nachkommen, eine verbindliche Regelung im Lieferkettenbereich er- ein Gesetz auf den Weg bringen werden. Im ersten Rück- reicht haben, nämlich bei der Förderung von diesen Mi- lauf war das, was die Unternehmen präsentiert haben, ein neralien aus Hochrisiko- und Konfliktregionen. Das ist Desaster. ein großer Schritt, weil er die Tür für anderes öffnen kann. Und wir wollen den anständigen Unternehmer schützen. Es muss doch auch in Ihrem Interesse sein, Ich möchte mich ausdrücklich bei den Kollegen Ulrich den anständigen Unternehmer zu schützen. Wenn man Freese und , die das unterstützt haben, den anständigen Unternehmer schützen will, dann muss bedanken. Wir haben mit dem Durchführungsgesetz man ihn vor den schwarzen Schafen schützen; denn die wirklich etwas hinbekommen. Wir hätten gerne noch haben einen Wettbewerbsvorteil zulasten derjenigen, die ein bisschen mehr geschafft, aber die EU-Verordnung die Standards halten. Deswegen sage ich: Dieses Gesetz ist gut und das Durchführungsgesetz ist es auch. Wir ist ein erster guter Schritt. Wir brauchen jetzt ein Liefer- wollen spätestens bei der Revision 2023 erreichen, dass kettengesetz für alle Bereiche. Dafür lassen Sie uns hier das auch auf Kobalt ausgeweitet wird, dass wir das auf im Haus gemeinsam streiten. die gesamte Lieferkette – also über den sogenannten Up- stream-Bereich hinaus auf den Downstream-Bereich und Vielen Dank. damit auf die Hersteller – ausweiten, damit nicht irgend- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten welche vorgefertigten Produkte aus China eingeführt der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (B) werden können. Wir wollen also Schlupflöcher stopfen GRÜNEN) (D) und Freigrenzen beschränken. Es ist aber gut, dass wir jetzt einen ersten Schritt machen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Da unterscheiden wir uns auch von meinem Vorredner Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner: für von der Union, der gesagt hat, dass er gerade nicht will, die FDP-Fraktion der Kollege Olaf in der Beek. dass das als Blaupause für andere Bereiche gilt. Doch, Herr Loos, doch, Herr Wirtschaftsminister Altmaier, (Beifall bei der FDP)

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Olaf in der Beek (FDP): der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- GRÜNEN) ren! Deutschland ist als Wirtschaftsstandort zwingend wir wollen ein Lieferkettengesetz; denn es muss eine auf Rohstoffimporte angewiesen. 100 Prozent aller me- Selbstverständlichkeit sein, dass sich Unternehmen an tallischen Rohstoffe, die unsere Hightechindustrie benö- Menschenrechte halten, und zwar überall, meine sehr ver- tigt, müssen importiert werden. Ohne diese Rohstoffe ehrten Damen und Herren. Das muss bei der Produktion gibt es keine Smartphones und Digitalisierung. Ohne die- aller Güter gelten; das muss für die Näherin in Bangla- se Rohstoffe wird es auch die Energiewende der Bundes- desch gelten genauso wie für denjenigen, der in Kolum- regierung samt E-Mobilität nicht geben. bien Kohle abbaut, oder für Menschen, die in Minen in Afrika schuften. Für alle Produkte, für alle Rohstoffe, für (Beifall bei der FDP) alles, was in die EU geliefert wird, müssen die menschen- Die Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Seltenen rechtlichen Sorgfaltspflichten erfüllt sein. Wir müssen Erden und Metallen ist einer der zentralen Punkte der das, Herr Minister Altmaier, auch endlich in den Handels- internationalen Wirtschafts- und Wettbewerbsfähigkeit verträgen so verankern, dass es sanktionsbewehrt ist, Deutschlands. Umso enttäuschender ist das, was aus wenn sich Partnerländer nicht daran halten. dem Wirtschaftsministerium kommt. Außer dem notwen- digen Durchführungsgesetz für die ohnehin schon be- (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) schlossene Konfliktminerale-Verordnung kommt aus Es darf nicht so sein wie jetzt, dass zwar eine Banane dem Hause von Minister Altmaier wieder – Sie ahnen nur dann in die EU geliefert werden kann, wenn sie die es schon – nichts. Bei 100 Prozent Importabhängigkeit richtige Länge und Breite hat, es aber nicht interessiert, null Initiative. Damit sind Sie zumindest wirtschaftspoli- unter welchen Bedingungen so eine Banane gepflückt tisch, lieber Herr Minister, ein Leichtgewicht. Ich darf wird, ob die Arbeiter Pestiziden ausgesetzt sind oder Kin- das, glaube ich, sagen. Wir brauchen eine echte Rohstoff- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18661

Olaf in der Beek (A) strategie, die mehr ist als die bisher von der Bundesregie- Umsetzung der EU-Konfliktminerale-Verordnung. Sie (C) rung vorgelegte Ideensammlung. wollen sicherstellen, dass Importe von Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold in die EU keine bewaffneten Kon- (Beifall bei der FDP) flikte mitfinanzieren. Das ist ein erster guter Schritt in die Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rohstoffsicherheit, richtige Richtung. die Achtung von Menschenrechten und die Einhaltung Aber warum nur diese vier? Wäre es nicht sinnvoll, von Umweltstandards kann, ja muss miteinander einher- zumindest Kobalt hinzuzunehmen? Oder andere Minera- gehen und zusammen gedacht werden. Der Widerspruch, lien und Rohstoffe? Um jeden Rohstoff können Konflikte den Grüne und Linke hier aufbauen, ist konstruiert: Ja, ausbrechen. Abgesehen davon: Wenn wir endlich ein an- wir müssen sicherstellen, dass die Rohstoffe, die unsere ständiges umfassendes Lieferkettengesetz hätten, bräuch- Wirtschaft braucht, nicht die Kriegskassen von Warlords ten wir über Konfliktmineralien gar nicht mehr zu debat- füllen. Ja, wir müssen kein Kobalt aus kongolesischen tieren. Minen, in denen Kinder als Sklaven zur Arbeit gezwun- gen werden, annehmen. Und ja, wir wollen, dass rohstoff- (Beifall bei der LINKEN) reiche Entwicklungsländer davon auch profitieren. Aber zu glauben, dass wir all das durch Verbote und Strafen Im Koalitionsvertrag versprechen Sie starke Durchfüh- umsetzen können, ist ein Irrglaube. rungsverordnungen. Ihr Entwurf sieht bei Verstößen Zwangsgelder in Höhe von maximal 50 000 Euro vor. (Beifall bei der FDP – Uwe Kekeritz [BÜND- Glauben Sie, eine solche Summe kratzt millionenschwere NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn dann? – Zu- Unternehmen auch nur ansatzweise? Das zahlen sie doch ruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) aus der Portokasse. Schauen wir doch auf die rohstoffreichen Regionen in (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Afrika und Zentralasien. Überall dort sichert sich China ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zugang zu weltweit nachgefragten kritischen Rohstoffen. Bernhard Loos [CDU/CSU]: Sie haben es nicht Schon heute ist China der globale Hauptlieferant Seltener verstanden! Das hat mit der Summe nichts zu Erden. Im Kongo betreiben chinesische Unternehmen tun!) unter katastrophalen Bedingungen Kobaltminen. Land- auf und landab sind in Afrika, Zentralasien und Latein- amerika chinesische Unternehmen aktiv, mit gravieren- Vizepräsident : den Folgen für die Menschen und die Umwelt. Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Raabe? Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen endlich (B) eine Außenhandels-, eine Außenwirtschafts- und eine (D) Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE): Entwicklungspolitik, die diesen Namen verdient, und die- se müssen aufeinander aufbauen. Das geht nur gemein- Ja, gerne. sam mit der Wirtschaft, und das geht nur durch eine ab- gestimmte europäische Politik. Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Kollegin Schreiber, ich war bei den Anhörungen (Beifall bei der FDP) und möchte Ihre Aussage präzisieren. Sie sagten, Der Blick auf die Konfliktminerale-Verordnung bei- 50 000 Euro Zwangsgeld seien Ihrer Meinung nach zu spielsweise zeigt in die richtige Richtung. Gemeinsame wenig, weil ein millionenschweres Unternehmen dies europäische Lösungen sind effizienter und zielführender aus der Portokasse bezahlen werde. So habe ich Sie ver- als 27 nationale Lieferkettengesetze. standen. Sie sollten aber wissen, dass dieses Zwangsgeld so oft erhoben werden kann, bis die Verordnung erfüllt (Beifall bei der FDP) ist. Wir brauchen eine Politik, die unseren Unternehmen Ich möchte nur sagen: Das ist im Gesetz geregelt. Die den Zugang zu kritischen Rohstoffen sichert und gleich- Höhe des Zwangsgeldes kann jede Woche neu festgelegt zeitig auf die Einhaltung von Menschenrechten und Um- werden. Das sind dann nach zehn Tagen eine halbe Mil- weltstandards achtet. Abwarten und Tee trinken nützt da lion Euro. Das ist schon ein scharfes Schwert, um die nichts, Herr Minister Altmaier. Verordnung durchzusetzen. Das wollte ich nur zur Infor- Vielen Dank. mation sagen. (Beifall bei der FDP) Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE): Herzlichen Dank für die Information. – Die aktuelle Vizepräsident Thomas Oppermann: Rohstoffpolitik verursacht zudem weitreichendere Pro- Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist die bleme als die Finanzierung bewaffneter Konflikte. Kollegin Eva-Maria Schreiber für die Fraktion Die Linke. Der Rohstoffhunger geht auf Kosten der künftigen Ge- (Beifall bei der LINKEN) nerationen und auf Kosten der Menschen im globalen Süden. Dort sind Umweltzerstörung, schwerwiegende Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE): Menschenrechtsverletzungen, ausbeuterische Arbeitsbe- Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäs- dingungen und neokoloniale Abhängigkeitsverhältnis an te! Heute diskutieren wir den Entwurf der Koalition zur der Tagesordnung. 18662 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Eva-Maria Schreiber (A) Ich sage Ihnen einmal, welche Themen bei mir laufend rigen Bußgelder, die der Gesetzentwurf vorsieht, werden (C) auf dem Tisch landen. Das sind Themen wie Mord, Tot- weitgehend wirkungslos bleiben. Es ist geradezu eine schlag, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung, Er- Provokation, dass die Liste der Unternehmen, die von pressung, Landraub, moderne Sklaverei, Korruption, der EU-Verordnung betroffen sind, nicht veröffentlicht Kinderarbeit, Brandstiftung usw. usw. Wollen Sie hier werden soll. Die Zivilgesellschaft, die Medien, aber auch wirklich weiterhin auf Freiwilligkeit bauen, Herr die Wissenschaft müssen Zugang zu diesen Informatio- Altmaier? nen haben. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weil wir etwas anderes unter „global gerecht“ und Ohne Transparenz ist die Regelung wertlos. „nachhaltig“ verstehen, haben wir heute einen eigenen Diese und andere Punkte zeigen: Die Regierung will umfassenden Antrag eingebracht. Wir brauchen endlich keine wirkliche Lenkungswirkung erreichen. Das passt Maßnahmen, die eine Senkung unseres Rohstoffver- auch gut zu Ihrer Weigerung, sich für ein Lieferkettenge- brauchs einleiten. Die müssen sozial- und umweltverträg- setz einzusetzen. Wir fordern deshalb die Koalition noch- lich sein. Die Gewinne aus dem Rohstoffabbau müssen mals auf, endlich den Widerstand gegen Ihre eigenen den Ländern des Südens zugutekommen und dürfen nicht Minister Müller und Heil aufzugeben und diese bei der einfach in die Taschen der Konzerne fließen. Das bedeu- Einführung eines Lieferkettengesetzes zu unterstützen. tet: Nein zu Technologien wie Tiefseebergbau und Ja zu Kreislaufwirtschaft, Nein zu weiteren Freihandelsab- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kommen und Ja zum Aufbau von Wertschöpfungsketten und bei der LINKEN) in den Ländern des Südens, Nein zu einem Weiter-so und Ja zu Gerechtigkeit für die Menschen im globalen Süden Wir fordern Sie auch auf, endlich vom Prinzip der Frei- heute und für die zukünftigen Generationen auf der gan- willigkeit Abstand zu nehmen; denn am Ende werden wir zen Welt. Regelungen verabschieden, die den Schutz von Mensch und Umwelt in Lieferketten ernst nehmen. Minister Danke. Altmaier wird nicht in der Lage sein, dies auf Dauer zu verhindern. (Beifall bei der LINKEN – Bernhard Loos [CDU/CSU]: Das war jetzt aber nichts!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Thomas Oppermann: Allerdings: Je länger die Regierung wartet, desto mehr Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion trägt sie zur sozialen und ökologischen Destabilisierung (B) Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Uwe Kekeritz. der betroffenen Länder bei, mit allen negativen Konse- (D) quenzen für das Land selbst, für die Region, aber auch für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) uns. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Dr. [CDU/CSU]: Sie glauben Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit den Quatsch, den Sie da erzählen, doch selber Jahrzehnten gibt es aus den Ländern des globalen Südens nicht!) Berichte über untragbare Menschenrechtszustände; so Wir brauchen Rechte für Mensch und Umwelt, und wir natürlich auch im Rohstoffbereich. Und wir sind daran brauchen genau deshalb verbindliche Regelungen für Un- nicht ganz unbeteiligt. ternehmen. Immer mehr Unternehmen sehen das genau- Für unsere Handys, Tabletts und Computer müssen so. Sie wollen ein Level Playing Field, das aber durch meist junge Menschen unter unsäglichen Bedingungen diese Verordnung nicht geschaffen wird. Im besten Fall arbeiten. Sie werden nicht selten versklavt oder auch kann die EU-Verordnung nur als ein ganz schwacher An- misshandelt. Milizen, Warlords, kriminelle Terrorbanden fang gewertet werden. Wir sind aufgefordert, weiter da- nutzen Einnahmen aus dem Rohstoffhandel. Sie sind für ran zu arbeiten. blutige Konflikte, Waffen-, Drogen- und auch Menschen- Danke schön. handel mitverantwortlich. Das haben wir schon viel zu lange hingenommen. Das muss endlich beendet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Bernd Rützel [SPD]) Vizepräsident Thomas Oppermann: Unzählige Dokumentationen schildern die Verhältnis- Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die se. Es kann keiner hier in diesem Haus sagen, er wisse Fraktion der CDU/CSU der Kollege Stefan Rouenhoff. nicht darüber Bescheid. Deshalb ist eine EU-Verordnung notwendig. Allerdings, die vorliegende EU-Verordnung (Beifall bei der CDU/CSU) und auch das Umsetzungsgesetz sind bei Weitem nicht ambitioniert genug. Sascha Raabe, auch wenn er hier sehr Stefan Rouenhoff (CDU/CSU): positiv gesprochen hat, kritisiert diese Punkte auch im- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und mer wieder. Der Downstream-Bereich wird von der Ver- Kollegen! Die Europäische Union hat im Jahr 2017 mit- ordnung nicht abgedeckt. Die Schwellenwerte gerade tels Verordnung verbindliche Sorgfaltspflichten bei der beim Goldimport sind rein willkürlich gesetzt. Die nied- Einfuhr von vier Rohstoffen aus Konflikt- und Hochrisi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18663

Stefan Rouenhoff (A) kogebieten festgelegt: Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erze (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) und Gold. Die Verordnung verfolgt das richtige Ziel: Die NEN]: Ganz laute!) Finanzierungsquellen von bewaffneten Gruppen in Kon- flikt- und Hochrisikogebieten müssen ausgetrocknet wer- Sie entfaltet genau das, was wir nicht wollen. Wir wollen den. keine Prangerwirkung, wir wollen keine Vorverurteilung von Unternehmen, von unserem Mittelstand in Deutsch- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) land, Herr Kekeritz. Wir wollen heute das Durchführungsgesetz verab- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das sind Erfah- schieden, welches dazu notwendig ist. Der vorliegende rungswerte!) Gesetzentwurf findet die richtige Balance, und die rich- tige Balance, Herr Raabe, bedeutet, dass nicht jeden Tag Mit den neuen Regelungen gibt es umfassende Informa- ein neues Zwangsgeld verhängt werden kann, sondern tions- und Offenlegungspflichten für alle größeren Roh- dass eine angemessene Zeit zur Handlung gewährleistet stoffimporteure, öffentlich zugänglich, online einsehbar. wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Konfliktminera- (Zurufe von der LINKEN: Ah! – Gegenruf des le-Verordnung ist fokussiert und klar umrissen. Ihre Ein- Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]: Jede Woche!) haltung kann die Finanzierungsquellen bewaffneter Gruppen in Konfliktregionen reduzieren, indem sie die Es gibt ein Zertifizierungssystem. Darüber hinaus sind europäischen Rohstoffimporteure stärker in die Verant- die direkten Zulieferer die Adressaten. Das Durchfüh- wortung nimmt. Aber – das ist an die Adresse des Kol- rungsgesetz erfüllt alle Kriterien der Konfliktminerale- legen Raabe gerichtet – wir sollten die Schlagkraft euro- Verordnung, geht aber nicht darüber hinaus. Wir haben päischer gesetzlicher Regelungen nicht überschätzen. also tatsächlich eine Eins-zu-eins-Umsetzung, und das ist Wir sind auf den internationalen Rohstoffmärkten nicht auch richtig; denn wir brauchen keinen deutschen Son- alleine unterwegs. Private und staatliche Unternehmen derweg an dieser Stelle. aus Ländern wie China fragen immer größere Mengen Entscheidend ist, dass wir mit diesem Gesetz ein Level an Mineralien nach. Schon durch diese Tatsache sinkt Playing Field auf europäischer Ebene erreichen. Das, was das relative ökonomische Gewicht europäischer Unter- für die deutschen Unternehmen gilt, muss natürlich auch nehmen bei der Beschaffung von Rohstoffen. für Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten gelten. Ich Deshalb – und das möchte ich an dieser Stelle erwäh- möchte an dieser Stelle den Mittelständlern jegliche nen – ist die überarbeitete Rohstoffstrategie der richtige Ängste nehmen. Die gesetzlichen Regelungen werden Ansatz. Der Einfluss und die Aktivitäten deutscher Un- (B) kleine und mittlere Unternehmen nicht überfordern. Das ternehmen in den Abbaugebieten sollten wieder erhöht (D) stellen die festgelegten Schwellenwerte für jährliche Ein- werden. Durch die dauerhafte finanzielle Absicherung fuhrmengen sicher. Damit wird klar: Nicht die kleinen, der bestehenden Kompetenzzentren für Bergbau und sondern nur die größeren Rohstoffimporteure sind betrof- Rohstoffe schaffen wir Planungssicherheit für deutsche fen. Unternehmen, eine zentrale Voraussetzung für weiteres Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nun zu wirtschaftliches Engagement. der gerade von NGOs und auch einigen Abgeordneten Eine Sache müssen wir uns sehr bewusst vor Augen vorgeworfenen Intransparenz kommen; ich sage das be- führen: Deutsche und europäische Unternehmen werden sonders in Richtung von Herrn Kekeritz. Schauen wir uns bei der Durchsetzung von Menschenrechten in Konflikt- doch genau an, was von den größeren Importeuren tat- gebieten nur eine unterstützende Rolle einnehmen kön- sächlich verlangt wird: die Bereitstellung von Informatio- nen, aber nicht die Hauptrolle. Wir brauchen verstärkte nen zur Lieferkettenpolitik, Berichte über Strategien zur diplomatische Anstrengungen auch auf bilateraler Ebene. Einhaltung der Sorgfaltspflicht in der Lieferkette, Offen- legung von Verfahren für eine verantwortungsvolle Be- Vielen Dank. schaffung und ein jährlicher Bericht über die Einhaltung der EU-Vorgaben, erstellt von unabhängigen Dritten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gleichzeitig wird in der Bundesanstalt für Geowissen- Bettina Müller [SPD]) schaften und Rohstoffe eine neue Geschäftseinheit ge- schaffen. Sie agiert als staatliche Kontrollinstanz, um Vizepräsident Thomas Oppermann: die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu überprüfen Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht und durchzusetzen. Die Bundesanstalt muss zudem einen vor. Deshalb schließe ich die Aussprache. jährlichen Rechenschaftsbericht vorlegen; das hat bereits der Kollege Loos erwähnt. Auf Basis des Berichts wer- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- den jährliche Fachgespräche mit der Zivilgesellschaft, desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Durch- also mit den Nichtregierungsorganisationen, durchge- führung der Verordnung (EU) 2017/821 des Europä- führt. All das zeigt: Von mangelnder Transparenz kann ischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur wirklich keine Rede sein, Herr Kekeritz. Festlegung von Pflichten zur Erfüllung der Sorgfalts- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) pflichten in der Lieferkette für Unionseinführer von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold aus Konflikt- und Auch wenn es immer wieder Rufe nach einer Unterneh- Hochrisikogebieten sowie zur Änderung des Bundes- mensliste gibt: berggesetzes. 18664 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in Susanne Ferschl (DIE LINKE): (C) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/17563, Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- nen und Kollegen! Die Arbeitszeiten der Beschäftigten sachen 19/15602 und 19/16338 anzunehmen. Ich bitte sind zu dokumentieren, und zwar der Anfang, das Ende diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, und deren Dauer. Das sagt nicht nur Die Linke, sondern um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen CDU/ das sagt letztendlich auch ein Urteil des Europäischen CSU und SPD. Wer stimmt dagegen? – Das ist die AfD. Gerichtshofs vom Mai letzten Jahres. Wer enthält sich? – Das sind FDP, Grüne und Linke. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit Aktuell werden Hunderttausende Beschäftigte um ih- den Stimmen der Koalitionsfraktionen mehrheitlich an- ren Lohn geprellt, weil die Arbeitszeiten nicht richtig genommen. dokumentiert werden. 1 Milliarde unbezahlte Überstun- den waren es allein 2019, und die Jahre davor sah es nicht Dritte Beratung besser aus. Wie lange will denn die Bundesregierung diesen unhaltbaren Zustand noch akzeptieren? und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen (Beifall bei der LINKEN) zu erheben. – Das sind wiederum die Koalitionsfraktio- nen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die AfD. Wer enthält Ich habe ja mittlerweile begriffen, dass die Mühlen des sich? – Das sind wie schon bei der zweiten Beratung FDP, Parlaments bisweilen langsam mahlen; aber nach zehn Grüne und Linke. Damit ist der Gesetzentwurf mit der Monaten ist immer noch keine Gesetzesinitiative in Sicht. gleichen Mehrheit wie in der zweiten Beratung angenom- Das Einzige, was in Sicht ist, ist die Aufführung des men. nächsten GroKo-Theaters. Der vorherige Akt in diesem Theater war die Grundrente, uns allen gut in Erinnerung: Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 17 b und Die Union hat blockiert, monatelanger Streit, und raus 17 c sowie Zusatzpunkt 6. Interfraktionell wird die Über- kam lediglich ein Minikompromiss. weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/16865, 19/16522 und 19/16546 an die in der Tagesordnung auf- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir sind ja geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere noch nicht fertig!) Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann Und jetzt, beim Thema Arbeitszeit, ist es so: Das SPD- wird so verfahren, wie ich vorgeschlagen habe. geführte Arbeitsministerium hat zum Urteil ein Gutach- Tagesordnungspunkt 15 b. Beschlussempfehlung des ten in Auftrag gegeben, dieses dem Ausschuss für Arbeit Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu und Soziales zur Verfügung gestellt und klar festgestellt: Es gibt gesetzgeberischen Handlungsbedarf. (B) dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Keine (D) Elektromobilität zu Lasten von Mensch und Umwelt in (Bernd Rützel [SPD]: Das machen wir ja rohstoffreichen Entwicklungsländern – Rohstoffförde- auch!) rung für Elektromobilität strenger kontrollieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Und was macht das CDU-geführte Wirtschaftsministe- Drucksache 19/10347, den Antrag der Fraktion der AfD rium? Es gibt auch ein Gutachten in Auftrag, das im auf Drucksache 19/9251 abzulehnen. Wer stimmt für die- Übrigen zum gleichen Ergebnis kommt, se Beschlussempfehlung? – Das sind alle Fraktionen des (Bernd Rützel [SPD]: Ja!) Hauses mit Ausnahme der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das ist die AfD. Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist und enthält den gewählten Parlamentariern das Gutachten die Beschlussempfehlung angenommen und der Antrag monatelang vor. abgelehnt. ( [DIE LINKE]: Hört! Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Hört!) Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanne Erst durch massiven Druck ist es gelungen, dafür zu sor- Ferschl, Jessica Tatti, Matthias W. Birkwald, wei- gen, dass uns dieses Gutachten zur Verfügung gestellt terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE wurde. Das ist ein inakzeptabler Vorgang für dieses Parla- ment. Damit jede Arbeitsstunde zählt – Arbeitszeit- gesetz ergänzen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Drucksache 19/17134 des Abg. Johannes Vogel [Olpe] [FDP] – Überweisungsvorschlag: Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Da muss ich Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) mal mitapplaudieren!) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Und es wird nicht besser. Jetzt verweigert sich das Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten vor- Wirtschaftsministerium auch noch der Empfehlung des gesehen. eigenen Gutachtens. Es schreibt, es komme zu der Ein- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erste schätzung, dass kein zwingender Handlungsbedarf vor- Rednerin für die Fraktion Die Linke die Kollegin liegt, sondern vielmehr die Höchstarbeitszeiten anzupas- Susanne Ferschl. sen sind. Meine Damen und Herren von der Union, das ist wirklich absurd; das ist Politik auf dem Rücken der Be- (Beifall bei der LINKEN) schäftigten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18665

Susanne Ferschl (A) (Beifall bei der LINKEN) Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen (C) Überlegungen untergeordnet werden dürfen. Hören Sie doch endlich auf, sich wie auf dem Wochen- markt zu benehmen, nach dem Motto: Tausche Arbeit- Schreiben Sie sich das endlich hinter die Ohren. nehmerschutz gegen mehr Flexibilität. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wenn ich (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Also, so funktio- es mir hinter die Ohren schreibe, kann ich es niert kein Wochenmarkt in Deutschland! Tut nicht lesen!) mir leid, Frau Ferschl!) Setzen Sie endlich den Auftrag des Europäischen Ge- Hier wird die Gesundheit der Beschäftigten aufs Spiel richtshofs um. Um nichts anderes geht es in unserem gesetzt. Überlange Arbeitszeiten machen krank, genauso Antrag; zu kurze Ruhezeiten. Das sagt die Bundesanstalt für Ar- beitsschutz und Arbeitsmedizin. (Beifall bei der LINKEN) Permanent quatscht die Union davon, sie sei die Mitte denn jede Stunde Arbeit und jeder Arbeitnehmer zählt. und mache Politik für die Mitte. Vielen Dank. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Wir sitzen ja auch in der Mitte!) (Beifall bei der LINKEN) Ja sind 40 Millionen Beschäftigte vielleicht keine Mitte? Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Torbjörn Kartes. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Doch! Deswegen machen wir ja auch was!) (Beifall bei der CDU/CSU) Permanent stellt sich die Union als Partei dar, die den Rechtsstaat durchsetzen will. Torbjörn Kartes (CDU/CSU): (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- wohl!) nen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Mitt- lerweile ist, glaube ich, fast unbestritten, dass wir einen Aber EU-Recht umsetzen ist nicht, oder wie? In bester Reform- bzw. Anpassungsbedarf in unserem Arbeitszeit- Andreas-Scheuer-Manier stellt man sich hin und sagt: gesetz haben. (B) Was interessiert mich das Geschwätz des Europäischen (D) Gerichtshofs? (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Was heißt denn „fast unbestritten“? Das steht im Koalitionsver- (Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker trag! Nur, ihr tut nichts!) [CDU/CSU]: Keiner von uns hat gesagt, dass wir das Urteil nicht umsetzen wollen, Frau Damit ist es mit den Gemeinsamkeiten dann aber auch Ferschl!) schon vorbei; denn der Teufel steckt bekanntlich im De- tail, und die Vorstellungen über den richtigen Weg gehen An die Adresse der gesamten Großen Koalition sage auch hier im Haus teilweise sehr weit auseinander. ich ganz deutlich: Wir brauchen keine tariflichen Öff- nungsklauseln, und wir brauchen keine Experimentier- Fakt ist: Das Arbeitszeitgesetz ist in den 90er-Jahren räume. entstanden, und natürlich hat sich unsere Arbeitswelt seitdem verändert. Ob wir das nun gut finden oder weni- (Beifall bei der LINKEN) ger gut finden: Durch den technologischen Wandel ist es Das Arbeitszeitgesetz ist hochflexibel. Wer das bestreitet, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zunehmend hat von der betrieblichen Realität keine Ahnung. besser möglich, von unterschiedlichen Orten und zu ver- schiedenen Tageszeiten zu arbeiten. Dadurch wird es un- (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Haben die ter anderem leichter, Familie und Beruf gut miteinander auch wirklich nicht!) zu vereinbaren, was wir ja alle gemeinsam wollen. Klar Ich war 17 Jahre lang Gesamtbetriebsratsvorsitzende in ist also, dass wir das Arbeitszeitgesetz anpassen müssen, einem Unternehmen mit unterschiedlichen Standorten. damit die Arbeitszeit individueller und persönlicher ge- An keinem dieser Standorte ist irgendein Produkt nicht staltet werden kann. produziert worden oder irgendeine Arbeit nicht erledigt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und worden aufgrund des Arbeitszeitgesetzes. des Abg. Johannes Vogel [Olpe] [FDP] – (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Leni Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Dann macht Breymaier [SPD]) mal!) In der europäischen Arbeitszeitrichtlinie steht – ich Gleichzeitig werden wir aber darauf achten, dass wir den zitiere –: Schutz unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht vernachlässigen. Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer … stellen (Beifall bei der CDU/CSU) 18666 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Torbjörn Kartes (A) Beides muss zusammengehen: Arbeitsschutz und flexib- (Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Ferschl (C) lere Arbeitszeiten. Daran werden wir hier gemeinsam [DIE LINKE]: Wir haben keinen Gesetzent- arbeiten. wurf vorgelegt! – [DIE LIN- KE]: Wir dachten, Sie machen auch einen Teil (Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Ferschl der Arbeit!) [DIE LINKE]: Sie sind flexibel! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wo sind sie denn Zudem sollte man zunächst die Frage beantworten, jetzt nicht flexibel?) zumindest kurz darauf eingehen, ob es wirklich einen rechtlich zwingenden Anpassungsbedarf gibt und ob der Das Arbeitszeitgesetz ist insgesamt immer noch ein uns in der Praxis – daran habe ich erhebliche Zweifel – sehr gutes Gesetz. Es schützt Arbeitnehmerinnen und weiterbringt. Arbeitnehmer. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben jetzt zwei Gutachten GRÜNEN]: Das ist ja auch der Sinn dieses Ge- erwiesen!) setzes!) In Deutschland muss heute schon jede Überstunde erfasst Es enthält im Übrigen wesentlich intelligentere Regelun- werden. Sowohl der Betriebsrat als auch die zuständige gen, als Sie es in Ihrem Antrag darstellen. Unter Verweis Aufsichtsbehörde können heute schon gemäß § 17 Ab- auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs sollen nach satz 4 Arbeitszeitgesetz vom Arbeitgeber die unverzüg- Ihrem Antrag alle Arbeitgeber verpflichtet werden, die liche Übermittlung von Arbeitszeitnachweisen verlan- Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu erfassen. gen. Das ist eine Norm, die immer gerne übersehen wird. Und die Aufsichtsbehörden können heute schon (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Das sagt im gemäß § 17 Absatz 2 Arbeitszeitgesetz die Aufzeichnung Übrigen das Gutachten vom Ministerium! – der Arbeitszeit anordnen, wenn es den Verdacht eines Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Verstoßes gibt. Hätte sich ein Arbeitnehmer in Deutsch- GRÜNEN]: Das kann man auch delegieren!) land also an die entsprechende Aufsichtsbehörde ge- wandt, hätte diese auch die notwendigen Maßnahmen Wenn man das in dem EuGH-Urteil nachliest, stellt man treffen können. fest: So ganz pauschal, wie Sie das hier vortragen, steht das da überhaupt nicht drin. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt doch alles nicht!) (Kai Whittaker [CDU/CSU]: So ist es!) Das heißt, es liegt – aus meiner Sicht – wie so oft nicht am (B) Da steht drin, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, „ein Rechtsrahmen, über den wir hier debattieren, es fehlt (D) objektives, verlässliches und zugängliches System einzu- vielmehr eine konsequente Durchsetzung dessen, was führen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer ge- wir hier in Deutschland geregelt haben. leistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Die Erfassung kann aber auch durch den Arbeitnehmer erfol- Um auch das deutlich zu sagen: Fast 1 Milliarde unbe- gen. zahlte Überstunden sind natürlich viel zu viel; das geht nicht, da sind wir uns vollkommen einig. Die müssten (Bernd Rützel [SPD]: Natürlich! Das ist doch aber heute auch schon dokumentiert werden, und das ist gut!) der Punkt. Ich glaube nicht, dass es etwas bringt, immer weiter nur nach Dokumentationspflichten zu rufen. Wir Von einer originären Verpflichtung des Arbeitgebers steht müssen vielmehr den Druck erhöhen, dass richtig doku- da zunächst mal gar nichts drin. Im Übrigen ist das in der mentiert wird. Praxis in manchen Bereichen nur sehr schwer vorstellbar. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Sie haben (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Gehen Sie noch keinen Betrieb von innen gesehen! Das damit mal zum Arbeitsgericht!) ist ein Überflieger!) In dem Urteil liest man auch noch etwas von Spiel- Ich möchte abschließend noch etwas zum Thema Do- räumen – die haben Sie heute hier auch nicht erwähnt –, kumentation sagen. Das Bundesarbeitsministerium selbst die die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung eines solchen hat – hatte, muss man jetzt schon sagen – eine App ent- Systems haben sollen: Ausnahmen sind insbesondere wickelt, die heißt „einfach erfasst“. Mit wenigen Klicks, dann möglich, „wenn die Dauer der Arbeitszeit wegen also sehr unbürokratisch, konnten Arbeitnehmer damit besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht be- Beginn und Ende der Arbeitszeit dokumentieren, und messen und/oder vorherbestimmt ist oder von den Arbeit- das wurde dann per E-Mail an ihren Arbeitgeber gesandt, nehmern selbst bestimmt werden kann“. Dann ist ein ganz formlos. Wir hatten hier im Haus auch schon darü- solches System der Zeiterfassung auch nach dem ber gesprochen. Jetzt die traurige Nachricht dazu: Das EuGH-Urteil überhaupt nicht notwendig. Auch das ver- Ministerium hat die App eingestellt – gerade als sie be- schweigen Sie ganz bewusst in Ihrem Antrag. Das Urteil gann, richtig erfolgreich zu werden –, aus Kostengrün- ist also wesentlich komplexer. Eine Umsetzung in den, wie man mir geantwortet hat, und weil der Bundes- Deutschland müsste aus meiner Sicht deutlich differenz- rechnungshof etwas dagegen hatte. Da kann ich Ihnen nur ierter erfolgen, als Sie es hier vorschlagen, jedenfalls sagen: Auch das kann so nicht bleiben! Bei einem Haus- dann, wenn die Umsetzung zu unserer heutigen Arbeits- halt des Ministeriums von 150 Milliarden Euro muss es welt passen soll. dafür eine Lösung geben. Das würde jedenfalls den Men- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18667

Torbjörn Kartes (A) schen in der Praxis deutlich mehr helfen. Deshalb werden Das Rad muss also nicht neu erfunden werden. Eine (C) wir an dieser Stelle auch nicht lockerlassen. Reglementierung gewissermaßen bis zum letzten Punkt und Komma lehnen wir ab. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD – Dr. Matthias Zimmer (Beifall bei der CDU/CSU) [CDU/CSU]: Klar: Mit Grammatik habt ihr es nicht!) Vizepräsident Thomas Oppermann: Aber ich sage Ihnen: Unter der Prämisse einer Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Schutzfunktion soll ein modernes Arbeitszeitgesetz fle- AfD der Kollege Jürgen Pohl. xible Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung zulassen, die von den Arbeitnehmern auch überwiegend gewünscht (Beifall bei der AfD) werden. Nicht immer steht hinter dem Wunsch nach Fle- xibilisierung auch, dass der Arbeitnehmer im betriebli- Jürgen Pohl (AfD): chen Tagesablauf benachteiligt werden soll. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Insgesamt sind ordentliche Regelungen zur Arbeits- Herren! Werte Kollegen! Das Arbeitszeitgesetz ist frag- zeiterfassung in den deutschen Betrieben gegeben, Ver- los und in erster Linie ein wichtiges soziales Schutzgesetz trauensarbeitszeit ist üblich geworden. Wir brauchen für die Arbeitnehmer; dieses Gesetz hat sich insgesamt nicht mehr. Folgerichtig hat der EuGH in seinem Urteil bewährt. auch nur die spanische Situation gerügt und nicht die Allerdings – und das räumen wir ein – sollte man im deutsche. Rahmen der Tarifautonomie prüfen, ob man nicht im Hin- (Beifall bei der AfD – [SPD]: blick auf spezielle Situationen, wie zum Beispiel bei sai- Hä? – Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Was ist sonalen oder branchenbedingten Gründen, etwas ändern, das denn? Unglaublich!) etwas Staub aus dem Gesetz blasen muss. Gleichwohl gibt es Handlungsbedarf im Rahmen des Die AfD, die neue Volkspartei, die Partei der kleinen Arbeitszeitrechtes. – Ich bin froh, dass ich nicht zu die- Leute, sem einem Prozent gehöre. Sie sind ja heute wieder so verbittert – nicht dass mir hier etwas passiert. (Lachen des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (B) bekennt sich ausdrücklich zum Schutz des Arbeitneh- – Für die Zuschauer zu Hause: Die PDS, die Kommunis- (D) mers, und ich bin froh, dass wir die kleinen Leute ver- ten, wollen jetzt ein Prozent der Reichen erschießen oder treten – nicht dass wir Gefahr laufen, erschossen zu wer- in den Gulag stecken, um sie dort arbeiten zu lassen. den, weil wir zu den reichen ein Prozent gehören, (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) NEN]: Ha, ha, ha! – Leni Breymaier [SPD]: Tata, tata, tata! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: oder in den Gulag geschickt zu werden. Sie wollen Flüchtlinge an der Grenze erschie- Die AfD bekennt sich aber auch ausdrücklich zu sol- ßen!) chen Vorschriften, die notwendig sind, um flexible An- Wir kommen zurück zur Arbeitszeit. Es gibt Hand- passungen der Arbeitszeit für alle Beteiligten zu ermög- lungsbedarf im Arbeitszeitrecht. Zum Beispiel ist es üb- lichen. Dafür sind den Tarifpartnern im Rahmen der lich, dass wir im Handwerk die Fahrten zwischen Woh- Tarifautonomie Regelungskompetenzen zu geben. Damit nung und Arbeitsstätte bereits anrechnungsfähig können sie in ihren Branchen Regelungen treffen. gestalten. Hier ist Bedarf für die Industrie gegeben. Der- artige Aspekte sollten aber primär in den Tarifverträgen Flexibilität in der Arbeitszeit ist grundsätzlich nichts geregelt werden. Öffnungsklauseln tragen dazu bei, dass Verwerfliches; sie trägt unter anderem auch zum Schutz Betriebspartner für ihren Verantwortungsbereich zu ver- der Arbeitsplätze bei, dies insbesondere im Tourismus nünftigen Lösungen kommen. Dazu ist es erforderlich, oder bei Kleinbetrieben. dass eine wesentlich höhere Tarifbindung sowohl für Be- Bei der Definition und bei der Gestaltung der Arbeits- triebe und Unternehmen wie auch für die Beschäftigten zeit geht es nicht nur um den zeitlichen Umfang, sondern erreicht wird. Hier braucht es jetzt keine linken Lobby- auch um Beginn und Ende sowie um die Lage der tägli- verbände – wie die Gewerkschaften heute aufzufassen chen Arbeitszeit. Bei all diesen Fragen steht nicht der sind –, sondern funktionierende, schlagkräftige Gewerk- Gesetzgeber, sondern stehen vor allem die Arbeitgeber schaften und die Arbeitnehmer in der Verantwortung. (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- Ich weise noch einmal darauf hin, dass bei Fragen der ten der LINKEN) Arbeitszeit bereits heute die Betriebsräte ein Mitwir- wie zum Beispiel AidA, die neue Gewerkschaft der soli- kungs- und ein Mitspracherecht haben. darischen Patrioten. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das heißt Ich bedanke mich bei Ihnen und wünsche jetzt Zeit „Mitbestimmung“!) zum Überlegen. 18668 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Jürgen Pohl (A) (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Beate mäßiger Alkoholkonsum und ein erhöhtes Risiko für (C) Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schlaganfälle, das sind alles Symptome, die mit zu lan- NEN]) gen Arbeitszeiten in Verbindung stehen. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Kriege ich auch Vizepräsident Thomas Oppermann: bei mancher Rede hier im Plenum: Kopf- Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion der schmerzen und Schwindel! – Torbjörn Kartes SPD die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm. [CDU/CSU]: Ich habe auch schon Kopf- schmerzen! – Weiterer Zuruf des Abg. Kai (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Whittaker [CDU/CSU]: Zu lange Plenumszei- Gabriele Hiller-Ohm (SPD): ten!) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Der Mensch ist eben nicht unbegrenzt belastbar. Beson- Kolleginnen und Kollegen! Eines ist klar: Das Arbeits- ders in Zeiten neuer Arbeitsformen, immer flexiblerer zeitgesetz dient dem Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitszeiten und ständiger Erreichbarkeit muss sicher- Arbeitnehmern. gestellt werden, dass die gesetzlichen Arbeitszeiten ein- gehalten werden. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist richtig!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb ist es gut, dass der Europäische Gerichtshof im Ja, wir stehen durch den Fortschritt vor großen Verän- letzten Jahr geurteilt hat, dass die tägliche Arbeitszeit derungen in der Arbeitswelt. Das ist uns allen hier im vollumfänglich gemessen werden soll. Ich begrüße das Hause klar. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- ausdrücklich. gen: Wird sich aber auch der Mensch verändern? Wird er plötzlich keine Erholung und keinen Schlaf mehr brau- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der chen? Wird sich der Mensch auch nach zehn und mehr LINKEN) Arbeitsstunden noch voll konzentrieren können und so- Wir werden die Pflicht zur Dokumentation der Arbeits- mit Arbeitsunfälle ausschließen? Das, liebe Kolleginnen stunden deshalb wie vom Europäischen Gerichtshof ge- und Kollegen, wird nicht so sein. Deshalb muss sich der fordert im Arbeitszeitgesetz verankern. Unser Minister technische Fortschritt an den Menschen anpassen, und arbeitet bereits an einem entsprechenden niemals umgekehrt. Deshalb müssen wir Arbeitsstunden Gesetzentwurf. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Lin- dokumentieren, und das Arbeitszeitgesetz muss eingehal- ken, Sie sehen, Ihr Antrag ist also überflüssig. ten werden. Genau dafür kämpfen wir Sozialdemokratin- (B) nen und Sozialdemokraten. (D) (Heiterkeit des Abg. Bernd Rützel [SPD]) Ich freue mich natürlich dennoch, die Position der SPD (Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer zu diesem Thema noch einmal deutlich machen zu kön- [CDU/CSU]: Unter der Schirmherrschaft von nen. Denn man kann es nicht oft genug sagen: Das Ar- Kaiser Wilhelm II.!) beitszeitgesetz ist ein Arbeitsschutzgesetz. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Wir müssen es vehement gegen eine Flexibilisierung und FDP der Kollege Johannes Vogel. Dynamisierung zulasten der Beschäftigen verteidigen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Johannes Vogel (Olpe) (FDP): BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- Schon Kaiser Wilhelm II. wusste, dass ohne Maßnah- gen! Es kommt selten vor – ich würde sagen: sehr selten –, men zum Arbeitsschutz kein Wohlstand und Fortschritt dass ich Kolleginnen und Kollegen von der Linken in möglich sind. Arbeitsschutz hatte über all die Jahre bei einer arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Debatte recht den Konservativen einen hohen Stellenwert. Deshalb ist geben muss. es nicht nachvollziehbar, dass gerade jetzt von konserva- (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Aber immer tiver Seite an dem Arbeitszeitgesetz gerüttelt wird. Liebe häufiger kommt das vor!) Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite des Hau- ses, Aber in einer einzigen Hinsicht muss ich das heute tun. Der Eiertanz, den diese Bundesregierung nach dem (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mitte! Wir EuGH-Urteil seit Monaten veranstaltet, ist wirklich ein sind hier Mitte!) Skandal. Es wird Zeit, dass Sie hier einmal zu einer ein- ich rate Ihnen: Nehmen Sie sich beim Arbeitsschutz ein heitlichen Position kommen, liebe Kolleginnen und Kol- Beispiel an Kaiser Wilhelm II.! legen der Koalition. Auch wissenschaftlich ist belegt, dass lange Arbeits- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zeiten hohe gesundheitliche Risiken nach sich ziehen: der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Kopfschmerzen, Schwindel, Verdauungsprobleme, GRÜNEN – Bernd Rützel [SPD]: Jetzt bin ich Schlafstörungen, Stress, Burn-out, Depressionen, über- auf die Position der FDP gespannt!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18669

Johannes Vogel (Olpe) (A) Ja, es gibt unterschiedliche Gutachten, wie dieses Ur- (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Doch! – (C) teil auszulegen ist. Es gibt unterschiedliche Positionen Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Erfahrungs- des Arbeitsministeriums und des Wirtschaftsministe- wert!) riums, Hubertus Heil gegen . Aber die Be- Der Punkt ist, dass das Arbeitszeitgesetz nicht mehr in die schäftigten in diesem Land, die Unternehmen in diesem Zeit passt und dass heute Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Land, die Menschen, die das Arbeitszeitgesetz anwenden nehmer, die das moderne Arbeiten leben wollen, schon müssen, haben ein Anrecht darauf, dass Sie uns einmal millionenfach gegen dieses Gesetz verstoßen oder in mitteilen: Was ist denn die Position dieser Bundesregie- starren Korsetts eingesperrt sind. Deshalb dürfen wir rung? Muss aus Ihrer Sicht das Arbeitszeitgesetz nach nicht ignorieren, wenn ein Gesetz nicht mehr in die Zeit dem EuGH-Urteil angepasst werden oder nicht? Auf die- passt. Wir müssen es endlich modernisieren, liebe Kolle- se Klarheit haben die Menschen ein Anrecht, liebe Kol- ginnen und Kollegen. leginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Wir leben eben nicht mehr in den Zeiten von Kaiser GRÜNEN) Wilhelm, den die Kollegin Hiller-Ohm allen Ernstes als Kronzeugen für das Arbeitszeitgesetz angeführt hat, Es reiht sich ein in die Kaskade des Nichtstuns dieser Koalition beim Arbeitszeitgesetz. Wie lange reden wir (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja, hab ich auch!) jetzt schon über dieses Thema? Liebe Kolleginnen und sondern wir leben in Zeiten des digitalen Arbeitens. Ein Kollegen von der SPD, , eine Sozialdemo- Arbeitszeitgesetz, das aus einer Zeit kommt, in der das kratin, war es, die das Thema auf die Agenda gebracht Smarteste ein Telefon ohne Wählscheibe war, passt nicht hat. Wir haben Ihnen einen konkreten Gesetzentwurf in mehr in die Zeit. Deshalb muss es endlich modernisiert dieser Legislaturperiode vorgelegt. werden. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Der war nicht so (Beifall des Abg. [FDP]) gut!) Wir wollen nicht, dass irgendjemand in Summe mehr Sie können ruhig sagen, dass Sie es besser machen kön- arbeiten muss oder weniger Pausen machen darf. Aber nen. Sie haben allerdings in Ihrem Koalitionsvertrag ver- wir wollen, dass die Menschen endlich selbstbestimmt sprochen, dass Sie etwas beim Arbeitszeitgesetz machen. entscheiden können, wie sie unter der Woche ihre Ar- Was ist bis jetzt passiert? Nada, niente, nichts! Das ist zu beitszeit verteilen. Deshalb: Modernisieren Sie endlich wenig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali- das Arbeitszeitgesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen (B) (D) tion. von der Koalition! (Beifall bei der FDP – Bernd Rützel [SPD]: (Beifall bei der FDP) Alles der Reihe nach!) Reden wir einmal über die Sache. Da gibt es natürlich Vizepräsident Thomas Oppermann: Unterschiede, gerade zu den Kolleginnen und Kollegen Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion von der Linken. Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Beate Müller- Gemmeke. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Gott sei Dank! Ich war schon in Sorge!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie tragen ja wie ein Mantra den Satz vor sich her – wir Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben ihn von der Linken gehört; wir haben ihn von der NEN): SPD gehört; ich bin mir ganz sicher, dass wir ihn auch von Beate Müller-Gemmeke von den Grünen hören wer- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- den; zwischen die Grünen und die Linken passt bei die- nen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Seit fast zehn sem Thema wie immer kein Blatt –: Monaten liegt jetzt das EuGH-Urteil zur Dokumentation der Arbeitszeit auf dem Tisch, und doch hat die Bundes- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- regierung noch immer keinen Plan, wann und wie das SES 90/DIE GRÜNEN) Arbeitszeitgesetz angepasst werden soll; denn Wirt- schaftsminister Altmaier bremst und macht daraus eine Das Arbeitszeitgesetz ist ein Arbeitnehmerschutzgesetz. unendliche Geschichte. Gute Regierungsarbeit sieht wahrlich anders aus. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wissen Sie, was? Das ist völlig richtig. Der Punkt ist, dass Sie nicht sehen, dass wir alle das teilen. Ich verstehe Das Urteil hat heftige Debatten ausgelöst, die aus mei- schon, dass das Ihre gedanklichen Schubladen ein biss- ner Sicht in keiner Weise nachvollziehbar sind. Im Ar- chen überfordert. Diese sind einfach: CDU/CSU und beitszeitgesetz steht zwar, dass nur die Überstunden do- FDP irgendwie für die Arbeitgeber, Sie für die Arbeit- kumentiert werden sollen. Aber hier stellt sich schon die nehmer. Die Sache ist: Das ist hier überhaupt nicht der Frage, wie denn die Überstunden nachgewiesen werden Punkt. sollen. Sollen sie Pi mal Daumen geschätzt werden, Herr 18670 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Beate Müller-Gemmeke (A) Vogel? Die Antwort ist eigentlich ganz logisch: Nur wenn Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): (C) die Beschäftigten wissen, wie viel sie gearbeitet haben, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- nur dann wissen sie auch, ob sie zu viel gearbeitet haben. ne Damen und Herren! Ja, es gibt ein Urteil des EuGH. Inwieweit sich daraus für uns gesetzgeberischer Hand- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lungsbedarf ergibt, darüber haben meine Vorredner und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vorrednerinnen ausgiebig gesprochen. Aber selbst wenn Deshalb muss eigentlich schon heute die gesamte Ar- wir hier zu dem Ergebnis kommen, dass es Handlungs- beitszeit dokumentiert werden, ganz einfach in einer Ex- bedarf für uns gibt, stellt sich noch immer die Frage nach cel-Tabelle, per App oder handschriftlich. Wo ist eigent- dem Wie. lich das Problem? (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Wie lange (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollt ihr noch überlegen?) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn meine Mitarbeiterin morgens zu Hause die Zeitung Aber für Wirtschaftsminister Altmaier ist die Doku- liest: Ist das dann schon Arbeitszeit oder noch Freizeit? mentation der Arbeitszeit ein riesengroßes Problem, und Es könnte ja sein, dass sie die Zeitung tatsächlich schon deshalb stand er gleich nach dem Urteil auf der Bremse. zur Vorbereitung auf die Presseauswertung im Büro liest. Er hat keinen Handlungsbedarf gesehen und wollte das Arbeit oder Freizeit? Das ist gerade in Abgeordnetenbü- auch mit einem Rechtsgutachten beweisen. Das Ergebnis ros eine schwierig zu beantwortende Frage. Das wird des Gutachtens hat der Minister dann aber monatelang jeder Kollege bestätigen können. Wenn Ihre Mitarbeiter unter Verschluss gehalten. Ich habe zweimal schriftlich abends in den sozialen Medien unterwegs sind und nach- nachgefragt. Auch bei der zweiten Antwort im Februar schauen, wie sich die Kommentare entwickeln: weicht der Wirtschaftsminister aus. Er bleibt vage und Schreiben sie das dann als Arbeitszeit auf oder nicht? geheimnisvoll. Spätestens da war klar: Das Ergebnis Oder: Wenn ein Mitarbeiter – meiner macht das gerne – passt dem Minister überhaupt nicht. Seit dieser Woche Homeoffice macht, um gleichzeitig auf sein kleines Kind ist das Gutachten endlich öffentlich. Da steht jetzt ganz aufpassen zu können, dann ist das eine Form von hybri- eindeutig: Die Arbeitszeit muss dokumentiert werden, dem Arbeiten, und es ist nicht ganz einfach zu erfassen, und das muss auch gesetzlich geregelt werden. Lange wann die Arbeit anfängt und wo sie aufhört. auf der Bremse stehen, Ergebnisse unter Verschluss hal- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ten und dann doch klein beigeben müssen, das ist einfach anhand dieser Beispiele sicher nicht für eine ausufernde nur peinlich. Vertrauensarbeitszeit plädieren. Aber diese Beispiele zei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen ganz gut, wie sich unsere Arbeitswelt entwickelt, (B) (D) und bei der LINKEN) vielleicht auch und gerade bei uns im Bundestag. Es ist nicht so einfach, wie es in Ihrem Antrag steht: einfach die Absurd ist diese unendliche Geschichte auch, weil Ar- geleistete Arbeitszeit erfassen und fertig. beitsminister Heil ebenfalls ein Gutachten in Auftrag ge- geben hat. Schon im Herbst kam Professor Bayreuther zu (Beifall bei der CDU/CSU) dem Ergebnis, dass natürlich die Arbeitszeit dokumen- Wenn wir die Arbeitszeiterfassung hier neu regeln, tiert werden muss, und zwar Beginn, Ende und Dauer dann müssen wir das praxisnah und praktikabel machen der Arbeitszeit. Es ist also schon lange klar: Das und eben auch die neuen Arbeitsformen einbeziehen. In EuGH-Urteil muss umgesetzt werden. Es geht immerhin, der Tat könnten Arbeitnehmer und Arbeitgeber da mehr Herr Vogel, um Gesundheitsschutz. Rechtssicherheit gebrauchen. Grundsätzlich gilt: Das (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Ja, eben!) Schutzprinzip des Arbeitszeitgesetzes ist nicht veraltet. Es muss aber auch für neue Formen der Arbeit taugen. Es geht auch darum, dass alle Arbeitsstunden tatsächlich bezahlt werden. Deshalb muss der Wirtschaftsminister Darüber hinaus finde ich auch, dass wir in der Tat bei jetzt seine Blockade beenden und endlich in den Arbeits- den Überlegungen mutig sein dürfen. Insbesondere die modus wechseln. Digitalisierung eröffnet den Beschäftigten ja auch mehr Autonomie bei der Arbeitszeitgestaltung. Aber wie er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fassen wir diese? sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In unseren Unternehmen wird die Arbeitszeiterfassung Das Arbeitszeitgesetz muss angepasst werden, und zwar derzeit schon sehr unterschiedlich gehandhabt. Selbst in- konsequent. Das muss vor allem schnell gehen. nerhalb einzelner Unternehmen gibt es verschiedene Vor- Vielen Dank. gehensweisen. Führungskräfte zeichnen ihre Arbeitszeit meist anders oder gar nicht auf, anders als bei Fach- oder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hilfskräften. Genaue Daten dazu haben wir gar nicht. Die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) meisten Menschen, mit denen ich über das Thema spre- che, sind ganz zufrieden damit, wie es bisher läuft. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Führungs- Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion kräfte sind keine Arbeitnehmer!) der CDU/CSU die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein. Vertrauensarbeitszeit ist eher in höherqualifizierten (Beifall bei der CDU/CSU) Berufen üblich, die auch besser bezahlt sind. Unter den- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18671

Dr. Astrid Freudenstein (A) jenigen, die ihre Arbeitszeit schon heute voll erfassen, Ich will an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass (C) sind oft Beschäftigte mit weniger gut bezahlten Tätigkei- viele Unternehmer hierbei sehr vorbildlich handeln. Sie ten. An dieser Stelle müssen wir die Arbeitszeit auch haben Tarifverträge und haben Betriebsräte. Die Men- deswegen genau erfassen, um gerade dort Ausbeutung schen arbeiten gerne in diesen Betrieben, und sie wissen zu verhindern. Aber auch bei Tätigkeiten, die recht ein- um ihre guten Rahmenbedingungen. Um diese Unterneh- fach zu erfassen sind, etwa beim Schichtarbeiter bei mer, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es nicht. Diese BMW, ist die Arbeitszeiterfassung schon heute Standard. Unternehmer müssen nichts befürchten, im Gegenteil: Es Das ist der Status quo. wird sich vieles für sie verbessern, weil sie nicht mehr mit den Billigheimern konkurrieren müssen, die ihnen in ei- (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wir reden nem unfairen Wettbewerb das Leben schwer machen. nicht über BMW! Wir reden über ganz andere Arbeitsplätze!) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Wir werden auch künftig viele Arbeitnehmer mit einer Es gibt in Zukunft keine Vorteile mehr für die Betrü- ganz klaren Arbeitszeiterfassung schützen müssen, seien gerinnen und Betrüger und für die Ausbeuter. Ich nenne es Schichtarbeiter, Erzieherinnen oder Krankenschwes- sie so; denn wenn, wie wir gehört haben, jedes Jahr 1 Mil- tern. Aber wir müssen natürlich bei einer Neuregelung liarde geleistete Arbeitsstunden nicht bezahlt werden, auch all den Arbeitnehmern gerecht werden, die genau dann ist das Betrug und ist das Ausbeutung, liebe Kolle- diese Flexibilität und genau diese Freiheit genießen, die ginnen und Kollegen. ihnen diese neuen Arbeitsformen ermöglichen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Das hindert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes sie doch nicht daran! Was hat Dokumentation Vogel [Olpe] [FDP]: Mit dem heutigen Gesetz! mit mehr Flexibilität zu tun?) Das entspricht dem heutigen Gesetz! Das ist ja super!) Gerade für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für digitale Tätigkeiten ist eine flexible Arbeitszeit- Wir haben ein demografisches Problem. Die 1964 Ge- erfassung Gold wert. borenen sind der größte Jahrgang, den es je in Deutsch- land gab. Diese Menschen gehen Mitte der 20er-Jahre in Herzlichen Dank. die Rente. Deshalb ist es aus diesen Gründen, aber auch aus ganz persönlichen Gründen jedes Einzelnen wichtig, (Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann dass die Menschen lange arbeiten können, dass sie ge- [DIE LINKE]: Sie bringen das durcheinander!) sund bleiben, dass sie ein gutes Leben haben, dass sie (B) lange im Arbeitsleben bleiben können. Deswegen muss (D) Vizepräsident Thomas Oppermann: man dafür sorgen, dass sie das auch können, dass sie Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der gesund bleiben. Kollege Bernd Rützel für die Fraktion der SPD. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD) GRÜNEN]: Das hat mit Lebensqualität zu tun!) Bernd Rützel (SPD): Deswegen ist der Arbeitsschutz hier besonders wichtig. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom (Beifall bei der SPD) 14. Mai letzten Jahres hat nicht gesagt, dass das Arbeits- zeitgesetz flexibel werden muss. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Herr Rützel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- LINKEN) legen Vogel?

Es hat nicht gesagt, dass es entgrenzt werden muss. Das Bernd Rützel (SPD): Arbeitszeitgesetz ist flexibel. Aber das Urteil hat klar Ja, bitte. herausgearbeitet, dass jede geleistete Arbeitsstunde auch bezahlt werden muss Johannes Vogel (Olpe) (FDP): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Lieber Kollege Rützel, ich will das wirklich mal ver- der LINKEN) stehen. Sie führen immer an, dass es – – und dass das Arbeitszeitgesetz ein Arbeitsschutzgesetz (Kerstin Tack [SPD]: Überfordere dich nicht!) ist. Darum geht es heute, und man merkt natürlich, wo der Wunsch besteht, einiges zu verändern. Aber das ha- – Nein, ich will das wirklich gern verstehen. ben wir nicht auf dem Schirm, das machen wir nicht mit; Sie führen immer an, dass es so viele unbezahlte Über- denn das Arbeitszeitgesetz schützt die Menschen, liebe stunden gibt, und dann sagen Sie gleichzeitig, das Gesetz, Kollegin Freudenstein, lieber Kollege Kartes und lieber so wie es ist, sei super und dürfe auf gar keinen Fall Herr Kollege Vogel. Sie sind hier auf dem Holzwege. verändert werden. (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Das ist doch Merken Sie so ein bisschen den logischen Bruch? Sie gerade der Punkt!) beklagen einen Missstand und sagen gleichzeitig: Alles 18672 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Johannes Vogel (Olpe) (A) muss so bleiben, wie es ist. Das ist ja grotesk. Ich würde (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C) Sie gern fragen: Wenn das so unerträglich ist, was heute Wir hatten nämlich jetzt viel anderes zu tun: Grundrente in Deutschland stattfindet, warum reformieren Sie das und diese ganzen Themen, Arbeit-von-morgen-Gesetz. Gesetz nicht und machen etwas anderes daraus? Ich könnte Ihnen das alles vorbeten. Das hat uns in un- (Beifall bei der FDP) serem Ausschuss sehr ausgelastet, aber jetzt gehen wir das an. Bernd Rützel (SPD): Vielen Dank. Ich bin sehr froh, lieber Kollege Vogel, dass Sie mich fragen, und ich will auch sehr gerne vielleicht aufklärend (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auf Sie einwirken. der CDU/CSU) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird schwierig! – Johannes Vizepräsident Thomas Oppermann: Vogel [Olpe] [FDP]: Nein, auf die Regierung!) Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache. Das Problem ist jetzt – wir haben das beim Mindest- lohngesetz gesehen –, dass die Überstunden dokumen- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf tiert werden müssen, aber nicht, wann und wo sie ent- Drucksache 19/17134 an die in der Tagesordnung aufge- stehen. Der Beginn und das Ende der Arbeitszeit, die führten Ausschüsse vorgeschlagen. Weitere Überwei- Pausen, wann sie stattfinden, das ist nicht überprüfbar. sungsvorschläge gibt es nicht. – Dann verfahren wir so Der EuGH hat ja dieses Urteil gefällt, wie vorgeschlagen. (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Deswegen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b sowie macht die Koalition nichts?) Zusatzpunkt 7 auf: weil der spanische Kollege geklagt hat, und deswegen 19 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- werden wir dieses Gesetz ändern, desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Aha!) Gesetzes zur Verbesserung der Rahmen- bedingungen luftsicherheitsrechtlicher und wir werden es öffnen, natürlich; es ist mehrfach an- Zuverlässigkeitsüberprüfungen geklungen. Der Kollege Bayreuther, der vom BMAS be- auftragt worden ist, hat in seinem Gutachten ja auch nie- Drucksachen 19/16428, 19/16717, (B) dergeschrieben – ich bin Ihnen dankbar für Ihre Frage 19/16955 Nr. 5 (D) und die Redezeit; ansonsten hätte ich gar nicht genügend Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- gehabt – , dass das notwendig ist. Auch heute ist es schon schusses für Inneres und Heimat (4. Aus- angeklungen. Ich bin froh, dass jetzt auch der Wirt- schuss) schaftsminister Altmaier, der bis vor Kurzem noch hier gesessen ist, aufgrund eines Gutachtens zu dem Ergebnis Drucksache 19/17585 gekommen ist, dass das angepasst werden muss. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Das ist er eben Berichts des Ausschusses für Inneres und nicht!) Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Ich bin froh, dass das jetzt öffentlich ist. Ich bin froh, Abgeordneten Manuel Höferlin, Stephan dass Einigkeit herrscht. In der Sache ist die Angelegen- Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Ab- heit klar. Beide Gutachten sind zu dem Ergebnis gekom- geordneter und der Fraktion der FDP men: Wir müssen das Gesetz ändern, damit nicht mehr Abschaffung der Zuverlässigkeitsüber- betrogen werden kann. prüfungen für Privatpiloten und Luft- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sportler der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Drucksachen 19/16481, 19/17585 Ich verstehe die Aufregung hier nicht. Ich dachte, dass ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irene Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Seite der Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise ehrlichen Unternehmer sind. Sie gilt es zu schützen; Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak- schwarze Schafe gilt es zu identifizieren. tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wissen Sie, es ist doch eigentlich völlig normal, dass Persönliche Eignung nach § 6 des Waffenge- die Arbeitszeit aufgeschrieben wird, und das ist das, was setzes wirksam gewährleisten jetzt gefordert ist: die Arbeitszeit aufzuschreiben, auf einem Zettel, mit Beginn und Ende. Das kann jeder selber Drucksache 19/17520 tun, da ist nichts dabei. Wem das zu trivial und zu einfach ist, der kann auch ein elektronisches Arbeitszeitsystem Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat einführen; aber das muss nicht sein, das kann man ma- chen. Dann kann man kontrollieren, und das schützt. Des- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- wegen bin ich froh, dass wir das jetzt sehr bald angehen. schlossen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18673

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat das Wort für spiel an der Heranziehung des staatsanwaltschaftlichen (C) die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Christoph de Verfahrensregisters. Aber diese sind aus unserer Sicht Vries. von den Experten überzeugend ausgeräumt worden. (Beifall bei der CDU/CSU) An dieser Stelle möchte ich unserem Koalitionspartner ausdrücklich danken, der den guten Argumenten gefolgt Christoph de Vries (CDU/CSU): ist und diesen Sicherheitsgewinn durch dieses Gesetz Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und unterstützt. Vielen Dank für die konstruktive Zusammen- Kollegen! Wir machen heute und hier den Luftverkehr arbeit, liebe Kollegin Mittag, lieber Kollege Özdemir. noch sicherer. Safety first oder, um es in der Sprache ganz korrekt zu sagen, Security first, dieses Motto gilt nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. nur bei den Sicherheitskontrollen, über die wir uns schon Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]) unterhalten haben, sondern auch bei den Zuverlässig- Ich muss heute aber auch noch einige Worte zur Initi- keitsüberprüfungen für all jene, die in sensiblen Berei- ative der FDP verlieren, die ja bereits zum zweiten Mal chen des Luftverkehrs tätig sind. Risiken minimieren einen Antrag einbringt, in dem sie die Abschaffung der und Sicherheit maximieren, das ist das Leitmotiv dieses ZÜP für Privatpiloten fordert. Ich kann es Ihnen nicht Gesetzentwurfs, der ein guter Entwurf ist, meine Damen ersparen: Ihren Wunsch, diese Berufsgruppe zu privile- und Herren. gieren, kann man nur als Klientelpolitik bezeichnen, liebe Wir müssen immer im Blick haben, dass der Luftver- Kolleginnen und Kollegen. kehr im Fokus des internationalen Terrorismus steht. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – wissen das. Leider ist es auch so, dass sogenannte Innen- Dr. Marco Buschmann [FDP]: Da müssen Sie täter bei Anschlägen oder Anschlagsversuchen sehr häu- selber lachen, ja! Da müssen Sie selber lachen!) fig eine gewichtige Rolle spielen. Mit diesem Gesetz schützen wir sensible Bereiche in Flughäfen, an Flugzeu- – Nein. – Es gibt überhaupt keinen nachvollziehbaren gen und im Luftraum noch besser vor solchen Personen, Grund, warum ein Privatpilot am Flughafen anders be- die mit ihrem Wissen, ihren Befugnissen und ihren Er- handelt werden soll als Verkäufer im Duty-free-Shop, als kenntnissen viele Möglichkeiten haben, um die Luftsi- Reinigungskräfte im Sicherheitsbereich oder Kofferpa- cherheit zu gefährden. cker auf dem Rollfeld. Mit der Union jedenfalls ist so eine Privilegierung nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) Das machen wir zum Beispiel, indem die Luftsicher- ordneten der SPD) (D) heitsbehörden künftig Daten bei der Bundespolizei und Auch das war ein Ergebnis der Anhörung, die wir hatten, beim Zollkriminalamt abfragen können. Sehr sinnvoll und daran ändern auch unterschiedliche Vorgaben in an- und auch neu sind die Abfragen beim Erziehungsregister deren EU-Staaten nichts: Wir lehnen eine solche Privile- und auch der Zugriff auf Daten des staatsanwaltschaft- gierung ganz entschieden ab. lichen Verfahrensregisters. Laufende Strafverfahren kön- nen dadurch jetzt schneller hinsichtlich ihrer Relevanz Ich sehe es vielmehr als Aufgabe der Bundesregierung, überprüft und beurteilt werden, statt dass es nötig ist, für das deutsche Modell der ZÜP europaweit zu werben. wie bisher die einzelnen Staatsanwaltschaften postalisch Die EU-Kommission hat das Thema Innentäter ja bereits abzufragen. Meine Damen und Herren, dies entlastet aufgegriffen und strebt eine Regelung nach deutschem nicht nur die Staatsanwaltschaften, sondern verkürzt auch Vorbild an. Hier sollte die Bundesregierung weiter Über- die bisher oft monatelangen Bearbeitungszeiten. Insofern zeugungsarbeit leisten. Sie hat sicherlich hier unsere Un- sind diese neuen Verfahren und der Zugriff im Interesse terstützung. aller Beteiligten. Zu Gesprächen mit der FDP bin ich gern bereit. Wir (Beifall bei der CDU/CSU) haben ja schon besprochen, Herr Kollege, wie wir die Der größte Fortschritt aus unserer Sicht ist, dass wir ZÜP für Privatpiloten künftig vereinfachen können. den Ländern die Schaffung eines gemeinsamen Luftsi- Denkbar ist zum Beispiel, dass Folgeanträge entfallen cherheitsregisters ermöglichen. Wenn dieses Register in oder dass die Überprüfung alle fünf Jahre automatisch Zukunft geschaffen sein wird, wird es tagesaktuell sein im Hintergrund erfolgt. Ich werde jedenfalls bei der an- und einen raschen Abgleich erlauben, so wie es ihn in stehenden Novellierung der Luftsicherheitsverordnung dieser Form bisher nicht gab. Im Sinne der Luftsicherheit dafür werben. Es gibt auch Signale aus dem Ministerium, wünschen wir, dass die Bundesländer die Einführung die- die das positiv bewerten. Insofern freue ich mich, dass ses Luftsicherheitsregisters rasch umsetzen werden. Das wir mit der Novellierung der Zuverlässigkeitsüberprü- ist hier auch unser Appell heute. fung nicht nur eine Verbesserung bei der Luftsicherheit erreichen, sondern auch wichtige Schritte für eine Be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anhörung, die schleunigung der Verfahren gehen. Insofern kann ich wir gemeinsam durchgeführt haben, hat noch einmal ge- auch der Opposition diesen Gesetzentwurf nur wärmstens zeigt, dass sich Luftsicherheitsbehörden, Luftfahrtexper- zur Zustimmung empfehlen, liebe Kolleginnen und Kol- ten, aber auch Branchenvertreter einig sind, dass die an- legen. gestrebten Verbesserungen notwendig, sinnvoll und auch zielführend sind. Es gab einzelne Kritikpunkte, zum Bei- (Beifall bei der CDU/CSU) 18674 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Christoph de Vries (A) Das gilt aber nicht für den Antrag der Grünen zum zunehmende Bedrohungsszenarien und disqualifiziert (C) Waffengesetz, den Sie hier heute sehr kurzfristig noch sich damit selbst. Denn auch relativ leichte Sportflug- angedockt haben. Selbstverständlich ist nach Hanau Vor- zeuge können in den Händen von unzuverlässigen Perso- sicht geboten. Aber Aktionismus hilft eben auch nicht nen massiven Schaden anrichten. Ein Terrorist könnte weiter. Es ist schon heute so, dass die Behörden das zum Beispiel in den Anflugsektor eines Verkehrsflugha- persönliche Erscheinen von Waffenbesitzern anordnen fens einfliegen mit dem Ziel, einen Airbus zu rammen. können, wenn Zweifel an der Zuverlässigkeit bestehen. Hunderte Tote wären die Folge. Daran sieht man doch Auch eine Bescheinigung der Zuverlässigkeit durch ein ganz deutlich: Sie wollen hier pure Interessenpolitik für Gutachten kann bereits eingefordert werden. Das heißt, Privatpiloten auf Kosten der Sicherheit unserer Bürger wir werden über das Thema sprechen müssen – das hat betreiben. auch der Innenminister gesagt –, aber sicherlich nicht in dieser Form, wie Sie uns das heute vorgelegt haben. (Beifall bei der AfD – Manuel Höferlin [FDP]: Er hat keine Ahnung!) Vielen Dank. Das sieht man schon daran, dass Sie die Zuverlässig- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- keitsüberprüfung beibehalten wollen, wenn es um das ordneten der SPD) Personal der Flugsicherung geht, um die Loader, die Kof- fer ein- und ausladen, oder um die Leute der Flughafen- feuerwehr. Diese hart arbeitenden Menschen gehören of- Vizepräsident Thomas Oppermann: fensichtlich nicht zur Klientel der FDP. Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Hess für die AfD. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) In Anlehnung an einen Ihrer Wahlslogans gilt für die AfD: Sicherheit first, Privilegien second. Es hat gute Martin Hess (AfD): Gründe, dass der Gesetzgeber alle Personen, die regel- mäßig Zugang zu den Sicherheitsbereichen eines Flug- Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Der hafens haben, auf ihre Zuverlässigkeit überprüft. Das Regierungsentwurf zur Verbesserung der Rahmenbedin- muss auch so bleiben. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag gungen luftsicherheitsrechtlicher Zuverlässigkeitsüber- ab. prüfungen ist dringend nötig; denn Innentäter mit beson- derem Zugang zu Einrichtungen und Abläufen des (Beifall bei der AfD) Luftverkehrs sind eine der größten Bedrohungen der zivi- len Luftfahrt. Angesichts der seit vielen Jahren bestehen- Auch die Grünen haben einen Antrag kurzfristig dazu- (B) den Bedrohungslage ist allerdings verwunderlich, dass gestellt. Darin spielen sie wieder mit irrationalen Ängsten (D) diese Sicherheitslücke erst jetzt geschlossen wird. Aber vor Legalwaffenbesitzern und missbrauchen dabei den wie sagt man so schön: Besser spät als nie. Amoklauf von Hanau. Dabei hat dieses abscheuliche Ver- brechen doch eines ganz klar gezeigt: Wir brauchen keine (Beifall bei der AfD) erneute Verschärfung des Waffengesetzes, sondern eine Verbesserung der Kommunikation zwischen allen öffent- Völlig verantwortungslos ist allerdings, dass Sie die lichen Stellen in Deutschland, damit vollzugsrelevante Anregungen des Bundesrates nicht umgesetzt haben. Na- Erkenntnisse auch die zuständige Behörde erreichen. türlich muss die Identität von Passagieren vor dem Ein- steigen in ein Flugzeug zwingend festgestellt und auch (Beifall bei der AfD) mit den Buchungsdaten abgeglichen werden. Bei Ihrem Entwurf fehlt eine solche Regelung. Deshalb ist es wei- Der Generalbundesanwalt hätte alarmiert sein müssen, terhin möglich, dass Personen ohne vorherige Identifika- als er das rassistische Pamphlet eines offenkundigen Psy- tion ein Verkehrsflugzeug besteigen. Angesichts der ka- chopathen erhielt. Er hätte über dieses Schreiben selbst- tastrophalen Folgen, die sich daraus ergeben können, ist verständlich die örtlich zuständigen Sicherheitsbehörden diese Gesetzeslücke inakzeptabel. Sie setzen unsere informieren müssen, damit diese weitere Schritte zur Ge- Bürger damit einem nicht hinnehmbaren Risiko aus. Sor- fahrenabwehr einleiten. Dass hier keine Kommunikation gen Sie endlich für umfassende Sicherheit im Luftver- erfolgt ist, zeigt doch ganz offenkundig, dass in diesem kehr, und verankern Sie diese Identitätsprüfung im Ge- Bereich so schnell wie möglich gehandelt werden muss. setz! (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Fakt ist: Wir haben kein gesetzgeberisches Defizit im Waffenrecht, sondern ein Kommunikations- und Voll- Nun zur FDP. Mit Ihrem Antrag zeigen Sie wieder zugsdefizit bei den Behörden. Wäre die zuständige Waf- einmal: Die FDP ist keine Partei der inneren Sicherheit, fenbehörde informiert worden, dann hätte sie bereits nach sondern eine Klientelpartei, nicht nur für Hoteliers, son- derzeit geltendem Recht die Waffenbesitzkarte des Täters dern jetzt auch für Privatpiloten. widerrufen oder zurücknehmen müssen. Also, liebe Grü- (Widerspruch des Abg. Dr. Marco Buschmann ne, hören Sie endlich auf mit diesem ständigen Ruf nach [FDP]) der Verschärfung des Waffenrechts! Das ist billiger Popu- lismus und löst die wahren Probleme nicht. Deshalb wer- Wer angesichts der massiven Gefahrenlage ernsthaft for- den wir auch Ihren Antrag ablehnen. dert, Zuverlässigkeitsüberprüfungen für Privatpiloten und Luftsportler gänzlich abzuschaffen, der negiert ernst- (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18675

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: sicherheit halten und wie sie sie gewährleisten wollen. (C) Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD spricht als Nehmen wir uns einmal den gerade angesprochenen An- Nächster der Kollege Mahmut Özdemir. trag der FDP vor. Sie fordern die Abschaffung der Zuver- lässigkeitsüberprüfung für Privatpiloten. Ihre Haltung ist (Beifall bei der SPD) klar und einfach: Wer als Privatpilot das notwendige Kleingeld hat, soll von der Sicherheitsüberprüfung frei- Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): gestellt werden, während die Reinigungskräfte am Flug- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und hafen komplett durchleuchtet werden müssen. Das muss Kollegen! Wir verabschieden heute ein Gesetz, das ein man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ich finde es sehr wichtiger Baustein für die Luftsicherheit ist. Wir dreist, hier so einen Antrag zu stellen. schreiben ins Gesetz höchste Anforderungen an die Zu- verlässigkeit derjenigen hinein, die ihren Dienst im Luft- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie verkehr oder in der Luftverkehrswirtschaft verrichten, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE indem wir das Luftsicherheitsgesetz, das Bundeszentral- GRÜNEN) registergesetz und die Strafprozessordnung verändern. Sie vertrauen in der Konsequenz gutbetuchten Privat- Diese Veränderungen führen zu mehr und höchster piloten mehr und stellen so ausschließlich die Flughafen- Sicherheit in unserer Luftfahrt und machen uns zum eu- beschäftigten unter Generalverdacht. Ich weiß jetzt nicht, ropäischen Vorreiter in Sachen Sicherheitsstandards. ob Sie die Hoteliers so sehr verprellt haben, dass Sie jetzt Zweck des Gesetzes ist es, vom Reinigungsbetrieb bis Ihr Heil bei den Privatpiloten suchen; aber wir werden ins Cockpit nur Personen in die verletzlichen Sicherheits- das auf jeden Fall ablehnen. bereiche unserer Flughäfen und der Luftverkehrswirt- schaft zu lassen, die strafrechtlich unbescholten und (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Simone zweifelsfrei rechtstreu sind. Das wird durch eine verbes- Barrientos [DIE LINKE] – Dr. Marco serte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden gesche- Buschmann [FDP]: Haben Sie das in der Ju- hen. so-Dialektikschulung gelernt, oder glauben Der so erzeugte Informationsaustausch hat das Ziel, Sie das wirklich?) die Zuverlässigkeit der Beschäftigten im Luftverkehr zu bewerten. Erkenntnisse aus polizeilichen, aber eben auch Wir Sozialdemokraten wachen schließlich über einen aus staatsanwaltschaftlichen Quellen führen zu der Zu- Staat, der Sicherheit für alle nicht am Geldbeutel bemisst. verlässigkeitsentscheidung als Ergebnis einer umfassen- Zusammenfassend: Für uns ist dieser Gesetzentwurf (B) den Gesamtwürdigung – ein Ergebnis, das Zweifel an (D) einer persönlichen Eignung und Zuverlässigkeit von An- der erste Abschluss von zwei weiteren Bausteinen, die aus unserer Sicht noch kommen mögen und kommen tragstellern im Idealfall auf ein Mindestmaß reduziert. sollen – ich möchte hier noch mal die Initiative von Boris Nur so verringert man die Gefahr, dass Täter von innen, aus dem Betrieb heraus, die Luftsicherheit schädigen Pistorius aus Niedersachsen ansprechen –, damit wir am können. Ende des Tages wissen, wer tatsächlich an Bord eines Flugzeugs ist und ob diese Person, die im Flugzeug sitzt, Die Errichtung und die gemeinsame Führung eines auch tatsächlich die Person ist, die auf der Bordkarte Luftsicherheitsregisters zusammen mit den Ländern als namentlich erwähnt ist. zentraler Erkenntnisspeicher erleichtern diesen Aus- tausch. Der Zugriff auf das Zentrale Staatsanwaltschaft- Der dritte und letzte Baustein aus unserer Sicht ist liche Verfahrensregister und der Abgleich vervollständig- jedoch – das ist im Koalitionsvertrag verankert; da werde ten die Prognoseentscheidung für Antragstellerinnen und ich die Union sehr deutlich in die Pflicht nehmen –, dass Antragsteller, ob diese Person zuverlässig genug ist, in wir mehr staatliche Verantwortung in den Sicherheitskon- sensiblen Bereichen des Luftverkehrs tätig zu werden. trollen haben müssen und haben werden. Die Privatisie- rung, die Beleihung ist gescheitert. Wenn wir Sicherheit In der Anhörung haben wir Sozialdemokraten diese wollen, dann müssen wir das mit eigenen staatlichen Regelung und diesen Zugriff auf das Zentrale Staatsan- Kräften machen. Wir als Sozialdemokraten werden auch waltschaftliche Verfahrensregister sehr sorgfältig ge- diese beiden Initiativen nicht zuletzt mit einer Anhörung prüft, weil wir der Überzeugung waren, dass angesichts am 20. April für den ID-Check mit der Bordkarte und mit eines eingeleiteten Ermittlungsverfahrens bei der Staats- einem weiteren gesetzgeberischen Verfahren hinsichtlich anwaltschaft im Zuge einer Erlaubniserteilung sehr deut- der Rückverstaatlichung der Sicherheitskontrollen durch- lich und sehr präzise darauf geachtet werden muss, dass setzen. die Unschuldsvermutung stets gilt, dass wir niemandem einfach voreilig aufgrund eines Eintrags in dieser Datei (Beifall bei Abgeordneten der SPD) eine solche Erlaubnis verweigern. Es ist eben nur eine von vielen Erkenntnisquellen, und deshalb halten wir In diesem Sinne: Ich bitte Sie um Zustimmung für den Sozialdemokraten diese Änderung auch für tragbar. Gesetzentwurf der Koalition und um Ablehnung des Klientelantrags von der FDP. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Dieses Gesetzgebungsverfahren offenbart aber auch, wie andere Fraktionen in diesem Hause es mit der Luft- (Beifall bei der SPD) 18676 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: rufspiloten und Bodenpersonal, das tagtäglich beruflich (C) Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die FDP der im Sicherheitsbereich von großen Flughäfen arbeitet, wie Kollege Manuel Höferlin. den Hobbymotorsegler, der in seinem ganzen Leben viel- leicht ein- oder zweimal auf einem Flugplatz ist, meine (Beifall bei der FDP) Damen und Herren, und Sie behandeln den Hobbypiloten aus Saarbrücken und Straßburg – – aus Saarbrücken und Manuel Höferlin (FDP): Stuttgart genau so wie den – – Sie behandeln ihn anders Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! als den Piloten aus Salzburg zum Beispiel. Liebe Kollegen! Die Menschen, die tagtäglich im Luft- verkehr unterwegs sind, haben einen Anspruch auf Si- (Josef Oster [CDU/CSU]: Ja, wie denn jetzt?) cherheit, und das ist uns wichtig. Im vorliegenden Ge- Das heißt, wenn ich im EU-Ausland kurz hinter der setzentwurf schießen aber einige Regelungen über das Grenze eine Pilotenlizenz habe, dann muss ich nicht über- Ziel hinaus; es wurde schon angesprochen, allerdings prüft werden; wenn ich aber in Deutschland eine Piloten- etwas anders gesehen. lizenz habe, muss ich überprüft werden – und das, obwohl Es geht zum Beispiel um die Abfrage des Registers für genau die Piloten, die nur wenige Kilometer hinter der Strafverfahren. In diesem Register werden unabhängig Grenze ihre Lizenz bekommen, die gleichen Sicherheits- vom Ausgang des Verfahrens die Vorgänge und Anzeigen bereiche betreten und die gleichen Lufträume befliegen gespeichert, die dort bearbeitet werden, und auch wenn dürfen und auch genauso – ich will gar nicht sagen – nah jemand freigesprochen wird, werden am Ende dort Daten an die Airbusse und die großen Flugzeuge rankommen vorgehalten. Wenn dann aber der Verdacht zu einem Be- können wie die anderen mit ihrer Lizenz aus Deutsch- rufsverbot führt, ist das nicht hinnehmbar. land. Allein durch die vielen dort eingestellten Verfahren, Deshalb: Hören Sie endlich auf, die deutschen Hobby- die es möglicherweise jetzt durch Ihr Netzwerkdurchset- piloten unter Generalverdacht zu stellen. Sie sind keine zungsgesetz und dessen Automatismus gibt, könnte es Gefahr. Schaffen Sie die ZÜP bitte ab. sein, dass Äußerungen, zum Beispiel bei Facebook, dazu Herzlichen Dank. führen, dass die Zuverlässigkeit infrage gestellt wird. Meine Damen und Herren, das ist unverhältnismäßig; (Beifall bei der FDP) deswegen lehnen wir das ab. (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege André In die ZÜP fließen zum Beispiel auch Informationen (B) Hahn für die Fraktion Die Linke. (D) der Nachrichtendienste ein. Details dazu können den Be- troffenen aber nachher aus Sicherheitsgründen nicht mit- (Beifall bei der LINKEN) geteilt werden. Auch das ist rechtsstaatlich sehr proble- matisch. Es gibt dann möglicherweise keinen Rechtsweg; Dr. André Hahn (DIE LINKE): deswegen können wir dem nicht zustimmen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Luft- verkehr war und ist eines der symbolträchtigen Ziele für Es gibt immer noch den Versuch von Ihnen, die Sport- Anschläge von Terroristen. Deshalb ist es absolut richtig, piloten, die Privatpiloten – als einziges Land in der gan- dass nur solche Personen Zugang zu sicherheitsrelevan- zen EU – einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen, ten Bereichen in Flughäfen erhalten, deren Zuverlässig- (Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Wir set- keit gründlich überprüft wurde. Hier sind wir uns alle zen den höchsten Sicherheitsstandard!) einig. und das hat nichts mit Berufsgruppen oder Klientel zu Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schießt aber tun. Vielleicht gehen Sie mal in den Luftsportverein vor in einigen Punkten tatsächlich weit über das eigentliche Ort und gucken sich an, was dort bei den Motorseglern, Ziel hinaus. Insbesondere die Schaffung der Möglichkeit bei der Jugend gemacht wird; das ist der Nachwuchs im des Zugriffs von Luftsicherheitsbehörden auf das zentrale Fliegerbereich. Verfahrensregister der Staatsanwaltschaften sehen wir kritisch, weil hier unverhältnismäßig in Grundrechte der Nicht nur wir sehen das ja so. Selbst der Bundesrat, an betroffenen Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird. dem Sie oder Sie beteiligt sind oder waren, hat 2016 die Abschaffung der Zuverlässigkeitsüberprüfung für Privat- (Beifall bei der LINKEN) piloten gefordert. Denn die EU schreibt nur vor, dass Die Anhörung im Innenausschuss hat gezeigt, dass Menschen, die in der gewerblichen Luftfahrt tätig sind, unsere Bedenken auch von mehreren Sachverständigen zu überprüfen sind, nicht die Privatpiloten, nicht die Luft- geteilt werden. Denn mit der Ermöglichung des Zugriffs sportler. Sie gehen einen Sonderweg, und die Europä- auf das Zentrale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregis- ische Union klagt deshalb zu Recht vor dem EuGH gegen ter wird dessen strenge Zweckbindung, wonach die dort Deutschland. gespeicherten Daten ausschließlich für Strafverfahren ge- (Beifall bei der FDP – Dr. Marco Buschmann nutzt und verarbeitet werden dürfen, weitgehend ausgeh- [FDP]: So ist es! Wir sind gute Europäer!) ebelt. Sie behandeln letztlich Ungleiches gleich, und Sie be- Und noch ein Punkt begründet unsere Ablehnung: Wir handeln Gleiches ungleich. Sie behandeln nämlich Be- halten es für völlig inakzeptabel, dass die Regierungs- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18677

Dr. André Hahn (A) fraktionen in ihrem Änderungsantrag im Wege des soge- turknotenpunkte, und ihre Sicherheit ist deshalb zweifel- (C) nannten Omnibusverfahrens gleich auch noch Änderun- los von großer Bedeutung. Richtig ist auch, dass sich die gen am Waffengesetz vornehmen wollen, ohne vor dem Bundesregierung vor diesem Hintergrund mit der Frage Hintergrund der Ereignisse von Halle und Hanau noch möglicher Innentäter beschäftigt. einmal grundsätzlich die aktuellen Erfordernisse zu de- battieren. Beides, also Zuverlässigkeitsprüfung und Waf- Da die FDP ja gerne die Zuverlässigkeitsüberprüfung fengesetz, hat ganz offenkundig nichts miteinander zu für Privatpiloten abschaffen will tun. Aber der Opposition wird dadurch die Möglichkeit (Manuel Höferlin [FDP]: Und Sportpiloten! genommen, zu einem hochbrisanten Thema eine Exper- Das vergessen Sie nämlich immer! Vergessen tenanhörung durchzuführen. Die Koalition setzt darauf, Sie doch die Luftsportler nicht immer! Ehren- dass auf diese Weise hochumstrittene Regelungen ein- amtler!) fach mal so durchgewunken werden. Wir als Linke leh- nen ein derartiges Verfahren entschieden ab. und das unter anderem damit begründet – das haben Sie ja gerade noch mal gemacht, Herr Höferlin –, dass auslän- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. dische Piloten diese auch nicht hätten: Da wurde ja in der Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anhörung im Innenausschuss deutlich, welche praktische NEN]) Bedeutung die Überprüfung hat; denn nur Piloten mit Abgesehen davon wäre es beim staatsanwaltschaftli- einer solchen Überprüfung können sich im Flughafen chen Verfahrensregister zumindest möglich gewesen, und im Sicherheitsbereich ohne Begleitung frei bewegen; den Zugriff auf Straftaten mit einer besonderen Tat- (Manuel Höferlin [FDP]: Das stimmt ja gar schwere einzuschränken oder eine Beschränkung hin- nicht! Die ganzen ausländischen Piloten kön- sichtlich des betroffenen Personenkreises vorzunehmen. nen das ja auch so! Das stimmt gar nicht! Total Selbst ins Erziehungsregister für Verfehlungen Jugend- falsch!) licher soll Einblick genommen werden. Es kann doch aber wohl nicht gewollt sein, dass jemand, gegen den das hat die Anhörung ergeben. Deswegen ist das Instru- zum Beispiel im Zusammenhang mit Unterhaltsstreitig- ment kein leerer Formalismus, sondern hat auch einen keiten ein Ermittlungsverfahren läuft, deshalb keine Zu- ganz praktischen Nutzen. lassung als Pilot erhält; darauf wurde ja auch in der Anhö- rung hingewiesen. Auf die Problematik der Einbeziehung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN des Verfassungsschutzes, dessen Auskünfte einer gericht- sowie bei Abgeordneten der SPD und der lichen Prüfung weitgehend entzogen sind, hat Herr Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) (B) Höferlin zu Recht hingewiesen. Aber wir verhandeln ja heute nicht nur das Luftsicher- (D) heitsgesetz, sondern die Bundesregierung hat – der Kolle- Kernpunkt unserer Kritik: Wir halten es für höchst ge Hahn hat es eben erwähnt – ja auch noch ein paar bedenklich, wenn immer mehr Personen, die mit der waffenrechtliche Punkte im Gesetzentwurf unterge- Strafverfolgung gar nichts zu tun haben, auf diese spezifi- bracht. Warum Sie das nicht offen machen, sondern hier schen Daten zurückgreifen können. Wir als Linke mei- quasi im Gesetzentwurf verstecken, kann man schon er- nen: Auch im hochsensiblen Bereich des Luftverkehrs ahnen, wenn man sich Ihre Vorschläge anschaut. gilt der rechtsstaatliche Grundsatz, dass ein möglicher- weise legitimer Zweck nicht alle Mittel heiligt, die denk- Heute in der Vereinbarten Debatte zu Hanau haben Sie bar sind. sich sehr häufig dafür gelobt, das Waffenrecht in der Ver- gangenheit verschärft zu haben, nur um es jetzt, gleich ein (Beifall bei der LINKEN) paar Stunden später, wieder zu entschärfen. Es ist nach Deshalb werden wir den Gesetzentwurf ebenso ableh- dem schrecklichen Anschlag in Hanau doch das völlig nen wie den Antrag der FDP, der es leider versäumt hat, falsche Signal, die Dokumentationspflichten der Schüt- die gegenwärtige Praxis von Zuverlässigkeitsprüfungen zenvereine im Waffenrecht abzuschleifen, grundsätzlich zu hinterfragen. Stattdessen wollen Sie Ausnahmen für Ihre mit Fluglizenz ausgestattete Klien- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tel. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung, und da sind wir sowie bei Abgeordneten der LINKEN) uns ausnahmsweise sogar mal mit der Union einig. obwohl den Vereinen doch auch eine soziale Kontroll- Herzlichen Dank. funktion zukommt. Stattdessen hätten Sie besser die Idee des Bundesin- (Beifall bei der LINKEN) nenministers aufgreifen sollen, der nach Hanau gesagt hat, dass man sich die Kriterien für die persönliche Eig- Vizepräsident Thomas Oppermann: nung von Waffenbesitzern noch mal ganz genau an- Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion schauen muss. Wir haben das getan und legen Ihnen des- Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Irene Mihalic. halb hier einen eigenen Antrag zum Waffenrecht vor, der unter anderem vorsieht, dass die im Waffengesetz vorge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schriebene Überprüfung auch in psychologischer Hin- sicht verbessert wird. Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be Kollegen! Flughäfen sind herausgehobene Infrastruk- sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) 18678 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Irene Mihalic (A) Wenn wir unseren Antrag nachher in den Innenaus- sich auch die Grünen prüfen. Sie müssen sich ehrlich (C) schuss überweisen, dann möchte ich darum bitten, dass fragen, was sie an Prävention auch verhindern. wir uns dieser Sache möglichst bald wieder annehmen, gerne auch zusammen mit dem Bundesinnenminister. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das wäre jedenfalls angemessen. Denn erst in der Folge Ich frage hier einmal – und das ohne jede Provokation des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau wird wieder und Polemik –: Kann im Licht der neuen Gefahren wirk- mehr darüber geredet und nachgedacht, dass Menschen in lich jede alte grüne Position so bleiben? Muss nicht we- Deutschland auch durch legale Waffen sterben. Dabei gen Gewaltprävention und dem Recht auf Leben ohne handelt es sich nicht um die einzige Tat in jüngster Zeit, Angst zumindest der Austausch von Daten über potenz- die mit einer legalen Waffe begangen wurde. Wir erin- ielle Gewalttäter und Gefährder zwischen den unter- nern uns: Ende Januar starben sechs Mitglieder einer schiedlichen staatlichen Ebenen endlich besser möglich Familie durch einen Täter aus ihrer Mitte mit einer lega- werden? len Waffe. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie schon unsere anderen Vorschläge zur Verän- derung des Waffenrechts, die wir hier mehrfach einge- Und ist es etwa richtig, dass Stellen des Bundes und bracht haben, alle ignorieren, dann befassen Sie sich we- Stellen der Länder, die vor Ort die Prävention organisie- nigstens eingehend mit unserem heutigen Antrag; denn ren müssen, wichtige Informationen nicht übermitteln die Zuverlässigkeitsprüfung im Waffenrecht muss end- dürfen? Oder die Speicherfristen: Kann es richtig sein, lich halten, was sie verspricht. dass im Mordfall Lübcke glücklicherweise gerade noch vor Ablauf der Vernichtungsfristen Daten vorlagen, ohne Herzlichen Dank. die die Aufklärung erheblich erschwert, ja, man muss sagen, unmöglich gewesen wäre? Denn die DNA-Spur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) des Täters, die gefunden worden ist, wäre wenige Wo- chen später nicht mehr zum Abgleich vorhanden gewe- Vizepräsident Thomas Oppermann: sen. Oder nehmen Sie das Thema „vernünftige Vorrats- Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege datenspeicherung“: Auch das hat was mit Prävention und Michael Brand für die CDU/CSU. mit Strafverfolgung zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) In Zeiten, in denen Menschen sich völlig zu Recht an Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): den Staat wenden und sagen: „Tut was! Redet nicht nur!“, (B) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir braucht es wirksame Antworten, die nicht über das Ziel (D) leben in unsicheren Zeiten. Zu Recht ist gestern in Hanau hinausschießen, aber eben auch nicht zu schwach sind. und heute hier gefordert worden, dass der Staat wirklich Lassen Sie uns in aller Ruhe auch darüber reden und alles tun muss, damit Menschen ohne Angst auf die Stra- Lösungen suchen – ohne Rituale auf allen Seiten. Es gibt ße gehen können. Es geht um Prävention von Gewalt, es ja auch Anlass für neue Gesetzgebung: demnächst mit geht um das Minimieren von Gefahren für Leib und Le- dem neuen Bundespolizeigesetz und der Novellierung ben der Bevölkerung. Dem dient auch der vorliegende des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Liebe Kollegin- Gesetzentwurf im Bereich Luftverkehr. nen und Kollegen, das ist auch der Lackmustest, ob die demokratischen Parteien hier im Deutschen Bundestag Niemand hätte für möglich gehalten, dass vollbesetzte dem Rechtsstaat die Mittel geben, damit er wehrhaft sein Passagiermaschinen in Wolkenkratzer gesteuert werden, kann. um Tausende von Menschen umzubringen. Wir beraten über Grenzfragen, vor die wir durch neue Risiken gestellt (Beifall bei der CDU/CSU) werden. Es kann und darf auf verbesserte Zuverlässig- keits- und Sicherheitsüberprüfungen nicht verzichtet Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe nicht nur werden, weil eben nicht ausgeschlossen werden kann, wegen Walter Lübcke, nicht nur wegen der unschuldigen dass Terroristen und Einzeltäter gesetzliche Lücken dazu Opfer von Hanau die Bitte: Ein jeder hier prüfe – unvor- nutzen, um als Innentäter in Flughäfen oder als Piloten eingenommen –, was wir tun können, damit wir hinbe- mit Flugzeugen viele Menschen in Gefahr zu bringen. kommen, was viele von uns fordern: Man muss in diesem Land ohne Angst frei leben können. Wir müssen auch Der Gesetzentwurf besteht aus einem Bündel detail- neue Wege gehen und neue Akteure einbinden; denn lierter und sehr sinnvoller Maßnahmen. Es geht um ver- wir brauchen zur Prävention die Unterstützung der gan- besserte Zuverlässigkeitsüberprüfungen, um einen besse- zen Zivilgesellschaft. ren Austausch zwischen Bund und Ländern und auch international. Die Regelungen sind maßvoll, und sie er- Ich will es hier einmal offen ansprechen – das Waffen- höhen die Sicherheit in unseren unsicheren Zeiten. recht ist erwähnt worden –: In meinem Wahlkreis kenne ich ausnahmslos ordentliche Leute, die als Sportschützen Prävention von Gewalt ist doch unser aller Ziel. Das ihrem Sport nachgehen und ihre Tradition pflegen. Ich erreichen wir aber nur, indem wir konkrete Maßnahmen kenne darunter niemanden, wirklich niemanden, der ir- umsetzen. Deshalb habe ich einige Anmerkungen und gendwelche Entschuldigungen oder Erklärungen für den ernstgemeinte Fragen zum Antrag der Grünen. Frau Attentäter von Hanau, den Mörder von Walter Lübcke Mihalic, ich will das Angebot, das Sie ausgesprochen oder für andere Gewalttaten hätte. Und weil das so ist, haben, annehmen; denn zum Thema Prävention müssen dürfen wir nicht zulassen, dass diese Leute, die doch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18679

Michael Brand (Fulda) (A) unsere Verbündeten im Kampf gegen Extremismus und stand und nicht um die ganze Akte. – Diese Daten werden (C) Terror sind, ins falsche Licht gesetzt werden. dann im Luftsicherheitsregister zusammengefasst, und man kann immer den aktuellen Datenstand abfragen. Die Frage muss daher nicht „ob“ lauten, sondern „wie“: Wie können wir diese Tausenden ordentlichen Dieses neue Register systematisiert die Ergebnisse der Leute in eine gesellschaftliche Strategie zur Prävention Zuverlässigkeitsüberprüfung und ermöglicht den zentra- von Gewalt einbinden? Die, die den Sport lieben, sind len und systematischen Zugang zu den Informationen nicht Gegner; sie sind, weil verantwortungsvoll, Verbün- sowie – ganz wichtig – deren Austausch auf Länderebe- dete im Kampf gegen Gewalt und Gewalttäter. Und ne. Diese Art der Datenharmonisierung ist in anderen selbstverständlich muss auch der Staat dafür sorgen, dass Sicherheitsbereichen gängige Praxis und hier längst über- Waffen nicht in die Hände von Extremisten, von kranken fällig. Aber auch die Mitarbeiter der Luftverkehrssicher- oder wahnhaften Menschen gelangen. Da besteht nach heit profitieren von dem Register; denn der Mitarbeiter Hanau neuer Handlungsbedarf; das hat der Bundesinnen- oder die Mitarbeiterin kann künftig den Arbeitgeber in minister zu Recht angesprochen, und auch das muss sich der Branche oder das Bundesland wechseln, ohne jedes das Parlament vornehmen. Mal neu überprüft zu werden. Zum Schluss: Wenn wir auch hier offen reden und als Gesellschaft miteinander und nicht gegeneinander arbei- Wir fordern die Zuverlässigkeitsüberprüfung im Übri- ten, dann werden wir in der Prävention von Gewalt sehr gen auch für Privatpiloten, und zwar aus zwei Gründen: viel wirkungsvoller. Das hilft allen, und das kann Leben Es kann auch ein kleines Flugzeug zum Absturz gebracht retten. werden und Schaden anrichten, und – das ist viel wichti- ger – es reicht, dass diese Menschen fliegen können. Wie Vielen Dank. können wir sonst sicher sein, dass jemand mit diesen Kenntnissen nicht die Absicht hat, auch ein größeres, (Beifall bei der CDU/CSU) ein anderes Flugzeug zum Absturz zu bringen? Falls Sie sich erinnern können: Das gab es schon. Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Letzte Rednerin in der Debatte ist für Außerdem – ich sagte es an dieser Stelle schon einmal – die Fraktion der SPD die Kollegin Susanne Mittag. wollen wir keinen Flickenteppich bei den Zuverlässig- keitsüberprüfungen des Luftpersonals haben, sondern (Beifall bei der SPD) einheitliche und gerne auch hohe Sicherheitsstandards, auch wenn Sie, wie gesagt, Ihren Hobbypiloten gerne Susanne Mittag (SPD): einen Sonderstatus sichern wollen. Da können wir leider (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nicht mitgehen. (D) Kollegen! Unser Gesetzentwurf dient dazu, die Sicher- heit im Luftverkehr zu verbessern. Das tun wir, indem (Manuel Höferlin [FDP]: Haben Sie im Bun- wir die Menschen, die in den Cockpits sitzen, und die, desrat doch schon gemacht!) die in der Luftsicherheit arbeiten, einer besonderen Prü- fung unterziehen. Apropos Lücken schließen: Wir wollen Sicherheit nicht nur aufseiten des Flugpersonals gewährleisten, son- (Manuel Höferlin [FDP]: Genau!) dern auch aufseiten der Fluggäste. Das heißt, wir fordern, Das ist deshalb so wichtig, weil Menschen, die einen dass in Zukunft die Identität des Passagiers sichergestellt besonderen Zugang zu Flughäfen und ihren Einrichtun- werden muss. Künftig soll, wie schon erwähnt, die Iden- gen haben, eine zentrale Rolle in puncto Sicherheit spie- tität des Passagiers mit der Bordkarte abgeglichen wer- len, den. Dieses Vorgehen ist üblich auf vielen Flughäfen dieser Welt; das ist überhaupt nicht überall eingestellt (Manuel Höferlin [FDP]: Sehr richtig!) worden. Das ist absolut gängige Praxis; es wird doppelt kontrolliert. Warum sollten wir es in Deutschland also auch wegen ihres Insiderwissens und ihrer Fähigkeiten. dem guten Willen der Fluggesellschaften überlassen, ob Das macht ihr Berufsbild für terroristische Organisatio- das gemacht wird oder nicht? Flughäfen sind die größten nen und für die organisierte Kriminalität nämlich sehr Grenzdurchgangsstationen, die man hat. Der Betrieb dort interessant. ist viel größer als an den tatsächlichen Ländergrenzen. Mit den Erweiterungen der Luftsicherheitsüberprü- fung, die wir hier einführen, werden wir uns künftig ein Das wird der nächste Schritt in Sachen Luftsicherheit besseres Bild über deren Zuverlässigkeit machen, und wir sein. Der Bundesrat ist offensichtlich schon einmal auf kümmern uns auch um die Innentäterproblematik. Das ist unserer Seite. in anderen Wirtschaftsbereichen schon ein völlig gängi- ges Modell. Heute beginnen wir mit dem ersten wichtigen Schritt und verabschieden hoffentlich mit möglichst großer Zu- In Zukunft können die Luftsicherheitsbehörden der stimmung diesen Gesetzentwurf. Länder bei der Überprüfung einer Person zusätzlich, wie schon erwähnt, Daten der Bundespolizei, des Zoll- Herzlichen Dank. kriminalamtes und des Zentralen Staatsanwaltlichen Ver- fahrensregisters abfragen. Falls das irgendwer noch nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mitbekommen hat: Dabei geht es nur um den Verfahrens- der CDU/CSU) 18680 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung der (C) Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht Vorlage auf Drucksache 19/17520 an den Ausschuss für vor. Ich schließe die Aussprache. Inneres und Heimat vorgeschlagen. – Weitere Überwei- sungsvorschläge sehe ich nicht. Dann verfahren wir so. Tagesordnungspunkt 19 a. Wir kommen zur Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf: Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rahmenbedingun- Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert gen luftsicherheitsrechtlicher Zuverlässigkeitsüberprü- Kleinwächter, Dr. Götz Frömming, Nicole fungen. Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt Höchst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der AfD Drucksache 19/17585, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksachen 19/16428 und 19/16717 in der Attraktivität des Erasmus-Programmes si- Ausschussfassung anzunehmen. chern – Großbritannien und die Schweiz als Programmländer erhalten Die Fraktionen haben sich auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen darauf verständigt, über den Ge- Drucksache 19/17526 setzentwurf in der Ausschussfassung getrennt abzustim- Überweisungsvorschlag: men, und zwar zum einen über Artikel 8 – Änderung des Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Dritten Waffenrechtsänderungsgesetzes – und zum ande- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ren über den Gesetzentwurf im Übrigen. Für die Aussprache sind auch hier, wie üblich, 30 Mi- nuten beschlossen. Ich rufe also zunächst Artikel 8 in der Ausschussfas- sung auf und bitte nun diejenigen, die Artikel 8 des Ge- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Frak- setzentwurfes in der Ausschussfassung zustimmen wol- tion der AfD der Kollege Norbert Kleinwächter. len, um das Handzeichen. – Das sind AfD, FDP, CDU/ CSU und SPD. – Wer stimmt dagegen? – Das sind Die (Beifall bei der AfD) Linke und die Grünen. Damit ist der Artikel 8 angenom- men. Norbert Kleinwächter (AfD): Vielen Dank. – Werter Herr Präsident! Werte Kollegin- Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfes in nen und Kollegen! Europa ist mehr als die EU. Europa ist der Ausschussfassung auf und bitte diejenigen, die zu- größer, weiter und klüger, als es der Brüsseler Bürokratie- stimmen wollen, um das Handzeichen. – CDU/CSU, apparat je sein wird. (B) AfD, Grüne und SPD. Wer stimmt dagegen? – Die Linke (D) und die FDP. – Enthaltungen gibt es nicht. Damit sind (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Keine Beleidi- auch die übrigen Teile des Gesetzentwurfes mit der ge- gung!) nannten Mehrheit angenommen. Europa bedeutet Mannigfaltigkeit der Regionen und Na- Alle Teile des Gesetzentwurfes sind damit in zweiter tionen, Vielfalt der Kulturen, der Einstellungen und der Beratung angenommen. Politik. Aber Europa wird auch beneidet für seinen berei- chernden gegenseitigen kulturellen Austausch und die Wir kommen jetzt zur immerwährende Verständigung miteinander, die vor al- lem vom Respekt vor der Meinung und der Tradition des dritten Beratung anderen getragen wird. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Die wahren Europäer sind nicht die, die von sich am Gesetzentwurf insgesamt zustimmen wollen, sich zu er- lautesten behaupten, europäische Werte zu vertreten, son- heben. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die AfD. dern diejenigen, die diesen Austausch und diesen Respekt Wer stimmt dagegen? – FDP und Linke. Wer enthält wirklich leben. sich? – Das sind die Grünen. Damit ist der Gesetzentwurf bei Enthaltung der Grünen gegen die Stimmen von FDP (Beifall bei der AfD) und Linke mit der genannten Mehrheit des Hauses ange- Viele von ihnen haben die politische Überzeugung, dass nommen. sie Europa viel besser außerhalb der EU leben; denn die EU lässt diesen Respekt oft missen. Diese Überzeugung Tagesordnungspunkt 19 b. Wir setzen die Abstimmung führte die Briten aus der EU heraus und die Schweiz zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für In- niemals in sie hinein. neres und Heimat auf Drucksache 19/17585 fort. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Lehren sollte diesen Respekt voreinander das Eras- Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der mus-Programm, das gerade bei vielen Studenten zum FDP auf Drucksache 19/16481 mit dem Titel „Abschaf- Aushängeschild für die europäische Zusammenarbeit ge- fung der Zuverlässigkeitsüberprüfungen für Privatpiloten worden ist. Erasmus+ ist das EU-Programm für Bildung, und Luftsportler“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- Jugend und Sport, das mit dem Ziel ins Leben gerufen fehlung? – Das sind alle Fraktionen mit Ausnahme der wurde, die akademische Mobilität zu erhöhen. Und so hat FDP. Wer stimmt dagegen? – Das ist die FDP. – Ent- das Programm von 2014 bis 2020 4 Millionen Menschen haltungen gibt es nicht. Damit ist die Beschlussempfeh- gefördert, davon 2 Millionen Studenten und 800 000 Do- lung angenommen und der Antrag der FDP abgelehnt. zenten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18681

Norbert Kleinwächter (A) (René Röspel [SPD]: Die wissen das alle sehr klar: Das kann man machen, aber nur unter der Bedin- (C) zu schätzen!) gung, dass die akademisch attraktivsten Länder Europas, Wir als AfD stehen hinter diesem Programm. die Schweiz und Großbritannien, ab 2021 als Programm- länder in Erasmus enthalten sind. Und wir erwarten, dass (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- sich die Bundesregierung hierfür nachdrücklich einsetzt. ten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Europa-Fraktion auch? Was (Beifall bei der AfD) macht denn Ihre Europa-Fraktion?) Die Bundesregierung muss endlich ihre Passivität auf- Erasmus+ ist eine einzigartige Möglichkeit, andere Län- geben. Bislang zieht sie sich darauf zurück, Verhandlun- der kennenzulernen, Frieden und Verständigung zu leben gen abzuwarten. Sie meint gar in ihrer Antwort auf unsere und den eigenen Horizont zu erweitern. Kleine Anfrage, es sei nicht zu erwarten, „dass mit dem Ausstieg Großbritanniens die Attraktivität des Pro- In einem völlig anderen Geiste aber handelt die EU- gramms Erasmus+ sinkt“. Ganz ehrlich: Wer das allen Kommission. Nach ihrem Willen sollen unsere Studenten Ernstes annimmt, der verkennt, dass die allermeisten Stu- Großbritannien und die Schweiz nicht mehr kennenler- denten ihr Erasmus-Semester gut investieren und es eben nen dürfen. Die Schweiz wurde 2015 aus dem Programm nicht auf Steuerzahlerkosten am Strand in Malta, Rumä- ausgeschlossen, weil sie das Personenfreizügigkeitsab- nien oder der Türkei verbummeln. Und ja, Sie haben kommen mit dem EU-Mitglied Kroatien nicht unter- richtig gehört: Die Türkei ist, was die Schweiz und Groß- zeichnet hat. britannien nicht mehr sein dürfen: ein Erasmus-Pro- grammland. (René Röspel [SPD]: Gleiches Recht für alle!) Als Nächstes sollen die Briten ausscheiden. Groß- Werte Kollegen in der Bundesregierung, bitte verfol- britannien soll seinen Status als Programmland verlieren, gen Sie das Ziel, Erasmus attraktiv zu erhalten. Erasmus wenn es keine weiteren Abkommen gibt, und der Regie- ohne die besten Hochschulstandorte Europas ist nicht rung ist das herzlich egal. „Es gibt keine Pläne der Bun- zeitgemäß. Es bringt auch nichts, Erasmus+ stattdessen desregierung für Initiativen zur Förderung des Studieren- immer weiter zu diversifizieren und zu einem Programm denaustausches zwischen Deutschland und dem für berufliche Bildung und Fortbildung zu machen. Wir Vereinigten Königreich“, äußert sie frech. sind für Klasse statt Masse. Deswegen brauchen wir ein zielgenaues Programm, das sich an der Programmatik der Damit geht sie völlig verantwortungslos über die Wün- Magna Charta Universitatum und der Bologna-Erklärung sche der deutschen Studenten hinweg. orientiert. Nur dann ist die gravierende Erhöhung der (B) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erasmus-Mittel zu rechtfertigen. (D) Wie kann man nur so ahnungslos sein? Ah- (Beifall bei der AfD) nungslose Fraktion Deutschlands!) Wir fordern Sie von der Bundesregierung also auf: Aus allen potenziellen Zielländern wählten im Jahr 2016 Setzen Sie sich bei den Verhandlungen zum mehrjährigen 11 Prozent aller Austauschstudenten eine britische Uni- Finanzrahmen dafür ein, dass die Mittelerhöhung für versität, Tendenz steigend. Das ist wahrlich auch kein Erasmus an Verhandlungen mit Großbritannien über Wunder, schließlich zählen die britischen Universitäten den Verbleib und mit der Schweiz über die Rückkehr weltweit zu den besten. Das trifft, wie man weiß, auch auf ins Erasmus-Programm gekoppelt wird! Keine Schweiz einige Schweizer Universitäten zu – auf die deutschen und kein Großbritannien? Dann eben auch keine zusätz- meist leider nicht mehr, wie internationale Rankings lichen Mittel. – Das muss die Devise sein. schonungslos offenbaren und wie „Die Welt“ übrigens gestern auch titelte. Herzlichen Dank. Liebe Kollegen, erwarten Sie nicht, dass Groß- (Beifall bei der AfD) britannien uns anbettelt, im Erasmus-Programm bleiben zu dürfen. Die haben das nicht nötig. Deutschland profi- tiert von einem Verbleib des Vereinigten Königreichs viel Vizepräsident Thomas Oppermann: mehr als umgekehrt. Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Michael von Abercron. (Beifall bei der AfD – René Röspel [SPD]: Wo haben Sie denn diese Zahlen her?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) – Allein in Göttingen sind neunmal so viele Studenten aus Deutschland nach Großbritannien gegangen als umge- kehrt. Da habe ich zum Beispiel die Zahlen her. Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (René Röspel [SPD]: Weil sie freiheitlich den- Kollegen! Wir reden heute über ein Programm, dessen ken!) Namensgeber ein Universalgelehrter und großer Huma- – Sie können sich gern zu einer Zwischenfrage melden, nist war. Von Erasmus von Rotterdam stammt ein Zitat, Herr Kollege. das zu diesem Antrag passt: Das sogenannte EU-Parlament fordert nunmehr eine Je weniger wir die Trugbilder bewundern, desto Verdreifachung des Budgets für Erasmus+. Wir sagen mehr vermögen wir die Wahrheit aufzunehmen. 18682 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Michael von Abercron (A) Ich glaube, das passt sehr gut zu dem Antrag, zu dem wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C) eben etwas gehört haben. der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Das trägt nicht nur zur Gleichwertigkeit von beruflicher KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – und akademischer Bildung bei, sondern es verbessert Zuruf von der SPD: Das passt sehr gut! – auch die Qualität und die Perspektiven unserer jungen Enrico Komning [AfD]: Ignoranten!) Auszubildenden. Der vorliegende Antrag besteht allerdings nicht nur Geht es nach dem vorliegenden Antrag, so soll die aus solchen Trugbildern, sondern er ist auch voller Wi- Teilnahme von Azubis die internationalen Austauschpro- dersprüche. Der Antrag fordert neben einer Stärkung des gramme wie Erasmus schwächen. Meine Damen und Erasmus+-Programms gleichzeitig seine Verkleinerung. Herren, was ist denn das für ein verzerrtes Bild von einer Er fordert auch, dass Nicht-EU-Länder wie die Schweiz modernen dualen Ausbildung? Das geht so nicht. und Großbritannien wieder bzw. weiterhin mitmachen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sollen, lehnt aber ebenso die Teilnahme der Türkei ab. ordneten der SPD) Versuchen wir einmal, die Widersprüche ein bisschen Die CDU/CSU Fraktion steht sehr klar für die Gleich- zu durchschauen. Beginnen wir mal mit dem Programm- wertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. land Großbritannien. Für uns gilt: Der Mensch fängt nicht erst beim Bachelor an. Aus voller Überzeugung unterstützen wir deshalb (Enrico Komning [AfD]: Da sind wir ge- eine Fort- und Weiterbildung im Ausland für möglichst spannt!) viele Berufsgruppen. Da wird zunächst kritisiert, dass die Ausgaben von Eras- Kommen wir zum Thema Schweiz. Von der eidgenös- mus+ steigen, obwohl das Vereinigte Königreich viel- sischen Seite konnte leider eine Zeit lang nicht mehr leicht als Programmland ausscheidet. gewährleistet werden, dass alle internationalen Pro- grammteilnehmer auch die Möglichkeit bekommen, für (Norbert Kleinwächter [AfD]: Stand jetzt, ja!) ihren Studienaufenthalt einzureisen. Hintergrund war ein Ich gehe davon aus, dass wir alle einig sind, dass das Volksentscheid zur Einwanderung. Selbstverständlich ist Partnerland Großbritannien dabeibleibt. Völlig unrealis- es das gute Recht der Schweiz, zu entscheiden, wer in die tisch ist hingegen die Forderung in Ihrem Antrag, dafür Eidgenossenschaft einreisen darf. Dieser Zusammenhang eine Ergebnisgarantie der Bundesregierung zu verlangen. war es aber, der dazu führte, dass die Schweiz nicht mehr Wie wir alle wissen, kann man in supranationalen Ver- am Erasmus-Programm teilnehmen konnte. (B) (D) handlungen das Ergebnis nicht vorherbestimmen, und Aber es gibt Hoffnung: Die Einreisebestimmungen für schon gar nicht kann die Bundesregierung für die Ge- Studenten sind wieder mit dem Erasmus-Programm kom- samtheit aller Partnerländer mitbestimmen. Ebenso we- patibel, und es gibt in der Schweiz erhebliche Bemühun- nig können wir hier in diesem Hohen Hause Garantien für gen, wieder in den Schoß von Erasmus+ zurückzukehren, das Handeln der Vertreter und Vertreterinnen unserer sei es als Partnerland, sei es aber auch mit nationalen Partnerländer einfordern. kompatiblen Programmen. Knackpunkt sind hier die Noch aber ist das Vereinigte Königreich ein Pro- Kosten. Von der Schweiz wird verlangt, dass sie sich grammland. Deshalb können wir auch nicht das einfor- wie die anderen EWR-Staaten gemäß ihrem Bruttoin- dern, was jetzt noch Realität ist. Wir können allerdings landsprodukt beteiligt. Beim Forschungsprogramm Hori- darum werben, dass Großbritannien nach dem komplet- zon 2020 etwa akzeptiert die Eidgenossenschaft diese ten Vollzug des Brexits weiterhin Partnerland bleibt. Bedingung inzwischen. Wir sehen darin ein sehr positi- ves Anzeichen, dass auch die Verhandlungen zu Erasmus, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. die bald beginnen werden, für uns erfolgreich verlaufen Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]) können. Und dazu, meine Damen und Herren, laden wir Sie alle (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. recht herzlich ein. [SPD]) (Enrico Komning [AfD]: Prima!) Verehrte Kollegen der AfD, Sie fordern in Ihren An- trägen grundsätzlich Dinge aus den vier Kategorien „un- Selbstverständlich setzt sich auch die Bundesregierung möglich“, „erledigt“, „sinnlos“ und „verwerflich“. für den Verbleib von Großbritannien als Erasmus-Part- nerland ein. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – La- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Ja, das ist doch chen bei der AfD) schon mal was! Das hat sie bei der Kleinen Heute ist Ihnen daraus der perfekte, unverträgliche Cock- Anfrage anders formuliert!) tail gelungen: Kommen wir zum Thema Mittelerhöhung. Meine Da- men und Herren, für die Mittelerhöhung gibt es einen (Norbert Kleinwächter [AfD]: Vielen Dank für ganz entscheidenden Grund, eine herausragende Begrün- Ihr Kompliment!) dung, nämlich: Mehr Auszubildende sollen Gelegenheit Unmöglich war es, ein Land als Programmland bei Eras- bekommen, Auslandserfahrungen zu sammeln. mus+ zu behalten, in das die Studenten nicht garantiert Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18683

Dr. Michael von Abercron (A) einreisen konnten. Erledigt, weil fest geplant, ist die Wie- wieder gemeinsamen mit uns in einer Europäischen (C) deraufnahme von Verhandlungen mit der Schweiz, die im Union zu vereinen. Herbst kommen sollen. Sinnlos ist Ihre Forderung, dass die Bundesregierung europäische Verhandlungsergebnis- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie se garantieren soll. Und verwerflich ist Ihr Wunsch, Eras- bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- mus+ mit dem Ausschluss von Azubis zu stärken. SES 90/DIE GRÜNEN – Enrico Komning [AfD]: Da wird es die EU aber nicht mehr ge- Wir lehnen daher Ihren Antrag ab. ben!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Unter den Folgen des Brexits dürfen aber jetzt nicht und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diejenigen leiden, die den europäischen Gedanken weiter leben wollen. Lassen wir den Austausch mit Groß- britannien also nicht abreißen! Für deutsche Erasmus- Vizepräsident Thomas Oppermann: Studierende ist Großbritannien das drittwichtigste Gast- Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion geberland. Auch umgekehrt kommen jedes Jahr über der FDP der Kollege Dr. Jens Brandenburg. Erasmus viele junge Briten nach Deutschland. Lassen (Beifall bei der FDP) wir diese junge Generation nicht im Stich! Wir wollen, dass Großbritannien Programmland in Erasmus bleibt. Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP): (Beifall bei der FDP) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun klagen Sie von der AfD, gerade Herr Frömming – Erasmus ist weit mehr als ein Bildungsaustausch. Es steht heute nicht anwesend –, so oft über Überakademisierung für Weltoffenheit, gemeinsame Erfahrungen, persönliche und eine Vernachlässigung der beruflichen Bildung. Jetzt Reife, das Erlernen einer neuen Sprache, den kulturellen beantragen ausgerechnet Sie, in Erasmus die sogenannte – Blick über den eigenen Tellerrand hinaus und auch für Zitat – „Kerngruppe der Studenten“ als einzige Gruppe in neue Freundschaften, die entstehen. Diese interkulturelle den Blick zu nehmen. Verständigung ist immer noch das beste Mittel gegen Vorurteile, Populismus und nationale Engstirnigkeit. (Beifall der Abg. Leni Breymaier [SPD]) (Beifall bei der FDP) Wenn es konkret wird, wollen Sie von der Gleichwertig- keit der beruflichen Bildung also nichts mehr wissen. Das Die AfD behauptet in ihrem Antrag, der Gedanke, ist heuchlerisch. junge Menschen für Europa zu begeistern, verliere an (B) Gewicht. Das Gegenteil ist doch richtig: In Zeiten, in (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, (D) denen Rechtspopulisten wie Sie Europa madig reden der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE und unser Land in eine nationale Isolation führen wollen, GRÜNEN – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Heu- brauchen wir nicht weniger, sondern mehr europäischen chelei! Genau!) Austausch. Da Sie so gerne in der Vergangenheit leben: Schauen (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Sie sich gerne die Tradition der Wandergesellen an. Die SPD – Norbert Kleinwächter [AfD]: Das wol- machen sich seit dem späten Mittelalter auf den Weg, um len wir doch überhaupt nicht! Wir wollen eu- nach der Ausbildung ihren Horizont zu erweitern, von ropäische Zusammenarbeit!) anderen zu lernen und die Welt zu entdecken. Diesen Gedanken sollten wir im modernen Europa wiederbele- Sie haben eben behauptet, Herr Kleinwächter, dass ben. Sie – angeblich – hinter Erasmus stehen. Wenn man Ihren Antrag und auch Ihr Verhalten der letzten Jahre hier im (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Parlament anschaut, erkennt man, dass Sie Erasmus-Mit- der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- tel kürzen wollen. Das ist also eine Mogelpackung, was SES 90/DIE GRÜNEN) Sie zumindest in der Überschrift vorlegen. Formal steht Erasmus auch Azubis offen. Nicht einmal (Beifall bei der FDP) 3 Prozent der Azubis nutzen das. Es scheitert oft an büro- kratischen Hürden, an Ansprache, Beratung, Lehrplänen Wir wollen die Erasmus-Mittel ausbauen, heute mehr in den beruflichen Schulen, auch an der Vermittlung von denn je. Genau dafür sollte sich auch die Bundesregie- Partnerbetrieben. Deshalb sagen wir als Freie Demokra- rung in den europäischen Haushaltsberatungen einsetzen. ten: Wir brauchen das, was wir mit dem DAAD für Stu- Ich freue mich sehr, Herr von Abercron, dass auch die dierende haben, eine Art Rundum-sorglos-Paket für den CDU/CSU-Fraktion diese Forderung unterstützt; denn Auslandsaufenthalt, auch für die berufliche Bildung. auf unsere schriftlichen Fragen hat die Bundesregierung uns gegenüber jede Zuständigkeit an diesem Auftrag ab- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gelehnt. Also schön, wenn wir da gemeinsam kämpfen. der CDU/CSU) Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Stärken wir Erasmus! Behalten wir Großbritannien als Union ist eine sehr schmerzhafte Zäsur. Zwei Drittel Programmland in Erasmus, und unterstützen wir die be- der jungen Briten haben ja gegen den Austritt, gegen rufliche Bildung! Ein entsprechender Antrag der Freien den Brexit gestimmt. Man kann nur hoffen, dass kom- Demokraten liegt dem Ausschuss bereits vor. Wir freuen mende Generationen einmal die Chance ergreifen, sich uns sehr auf die Beratung. 18684 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (A) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Leni ten möchten. Es waren Ihre Abgeordneten, die am 31. Ja- (C) Breymaier [SPD] – Dr. Karamba Diaby nuar, dem Tag des Brexits, von einem „Freudentag für [SPD]: Gut gemacht, Jens!) Europa“ gesprochen haben. Dass sich ausgerechnet Ihre Partei jetzt Sorgen macht über das proeuropäischste Pro- Vizepräsident Thomas Oppermann: gramm überhaupt, finde ich, mit Verlaub, heuchlerisch. Sie wollen es schrumpfen. Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Ulrike Bahr. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, (Beifall bei der SPD) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Kleinwächter [AfD]: Le- Ulrike Bahr (SPD): sen Sie den Antrag! Da steht drin, was wir wol- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und len!) Kollegen! Werte Gäste! Das Erasmus-Programm ist ein Ich möchte meinen Blick auf ein anderes Problem len- großer Schatz für Europa – durch meine bildungspoliti- ken. Noch immer wird das Erasmus-Programm viel zu oft sche Brille gesehen sogar der größte und wertvollste der als Austauschmöglichkeit nur für Studierende gesehen. gesamten Europäischen Union. Jeder in das Programm Das ist aber zu kurz gedacht. Auch Azubis oder junge investierte Euro ist gut angelegtes Geld. Das Programm Berufstätige haben die Möglichkeit, eine Erasmus-Förde- bildet und prägt. Es lässt junge Leute über den Tellerrand rung zu erhalten. Beide Gruppen sind in der Förderstatis- schauen und schafft damit auch die Möglichkeit, hinter tik unterrepräsentiert. Gerade einmal 5,3 Prozent der die Fassade zu blicken, die uns die Rechtspopulisten vor- Azubis sind 2017 für Ausbildungszwecke ins Ausland gaukeln wollen. gegangen, und nur jeder Zweite hat dabei eine Erasmus- Förderung erhalten. Das ist zu wenig. Das müssen wir (Norbert Kleinwächter [AfD]: Ihre eigenen ändern. Vorurteile!) Die Rechtspopulisten stehen für vieles, aber nicht für ein Wenn wir also von echter Gleichwertigkeit zwischen offenes und geeintes Europa, wie Sie hier mit dem ein- beruflicher und akademischer Bildung sprechen, ist es gebrachten Antrag versuchen zu suggerieren. meiner Fraktion ein Anliegen, das Programm verstärkt an die Azubis zu tragen, hier gezielter zu informieren (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai und auch die Betriebe von den Vorteilen eines Austau- Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sches zu überzeugen. Nur so kann ein gelebtes Europa- Gut also, dass das Erasmus-Programm zu den Erfolgs- gefühl für alle entstehen. (B) geschichten europäischer Bildungspolitik gehört. Gut, (D) Herzlichen Dank. dass sich jedes Jahr Hunderttausende auf den Weg ma- chen, um das bunte und vielfältige Europa kennenzuler- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie nen. Und es ist gut und richtig, dass das Europäische bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Parlament die Mittel für das neue Erasmus+-Programm GRÜNEN) nicht nur verdoppeln möchte, sondern sogar eine Verdrei- fachung anstrebt. Das unterstütze ich und auch die ge- samte SPE-Fraktion im EU-Parlament. Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ich bin verwundert, dass sich die Antragsteller um ein Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke. ausgewiesenes proeuropäisches Programm sorgen; denn es ist doch Ihre Partei, die eigentlich die EU verlassen (Beifall bei der LINKEN) möchte, (Norbert Kleinwächter [AfD]: Wir wollen die Nicole Gohlke (DIE LINKE): EU reformieren, Frau Bahr!) Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das Eras- die mit dem Gedanken spielt, das Europäische Parlament mus-Programm ist ein Beitrag zum Zusammenwachsen aufzulösen und damit das einzige durch alle Europäerin- Europas. Es ist ein Stück gelebte europäische Integration. nen und Europäer direkt gewählte Organ hinter sich zu Jedes Jahr profitieren Hunderttausende Studierende und lassen. Sie sind die Partei, die genau das Gegenteil von zunehmend auch Auszubildende von der Unterstützung dem vorhat, wofür das Erasmus-Programm steht: ein of- durch Erasmus+ und können mithilfe dieses Programms fenes, freies und tolerantes Europa, das voneinander ins Ausland gehen und dort Erfahrungen sammeln. Eine lernt. wirklich gute Sache! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Jetzt liegt uns ein Antrag der AfD vor, der sich an- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE geblich um die Attraktivität des Erasmus-Programmes GRÜNEN – Norbert Kleinwächter [AfD]: Wa- sorgt und sich für den Verbleib von Großbritannien und rum stellen wir dann den Antrag?) der Schweiz im Programm starkmacht, nachdem in Groß- britannien mit Boris Johnson ein Rechtsautoritärer an die Ich erkenne bei Ihnen vor allem Egoismen und Ab- Regierung gekommen ist, schottung. Sie erschweren mit Ihrer Politik den interkul- turellen Austausch, indem Sie Ressentiments schüren (Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter und das Programm exklusiv den Studierenden vorbehal- [AfD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18685

Nicole Gohlke (A) dessen Brexit-Politik auch das Erasmus-Programm in eller Austausch allen möglich sind, und zwar unabhängig (C) Schwierigkeiten bringt. Ich muss ehrlich sagen: Ich neh- vom Geldbeutel der Eltern. me Ihnen von der AfD Ihre Sorge um den europäischen Austausch und um Erasmus keine Sekunde lang ab. Kei- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ne Sekunde! neten der SPD) Die Schwierigkeiten, vor denen das Erasmus-Pro- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem gramm heute steht, haben ihren Grund auch in der rassis- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tischen Demagogie und dem Nationalismus, den die AfD Ich denke, Ihre Rede, Herr Kleinwächter, hat das gerade hier in Deutschland und ihre Verbündeten in anderen noch einmal bewiesen. Ländern verbreiten. Ihr Herr Meuthen hat doch Boris Johnson gerade erst Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das Eras- zum harten Brexit gratuliert mit den Worten „Make Bri- mus-Programm weiter stärken und ausbauen tain great again!“, (Norbert Kleinwächter [AfD]: Das ist doch (Beatrix von Storch [AfD]: Wir freuen uns unser Antrag! Hören Sie doch zu!) riesig!) und damit zu einem Beitrag gegen Chauvinismus und in Abwandlung des Wahlkampfslogans von Donald Nationalismus machen. Trump, der bekanntlich den Brexit mit allem, was darauf folgt, begrüßt und Europa als den größten Gegner der Vielen Dank. USA bezeichnet hat. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Die Türkei ist neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch im Erasmus-Programm!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie haben sich im EU-Wahlkampf doch Nigel Farage als Unterstützung geholt, und Sie arbeiten europaweit mit Vielen Dank, Nicole Gohlke. – Schönen guten Abend, Gruppen und Parteien zusammen, die sich ganz rechts liebe Kolleginnen und Kollegen! außen verorten: mit Rassisten, mit Nationalisten und (Frank Pasemann [AfD]: Oh! Das ist ja eine Sympathisanten von faschistischen Diktatoren. nette Überraschung!) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie arbeiten mit – Sind Sie überrascht? Warum sind Sie überrascht? Dass Kommunisten zusammen!) ich Sie so freundlich begrüße? Das mache ich immer. (B) (D) Wenn Ihnen wirklich am internationalen Austausch ge- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Wir freuen uns!) legen wäre, dann müssten Sie sich für Verständigung ein- setzen, für Respekt und für Solidarität. Nächster Redner in der Debatte: Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann wäre es übrigens folgerichtig, sich für eine Auf- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! stockung der Mittel des Erasmus-Programms einzusetzen Erasmus+ ist ein Erfolgsmodell, Europa ist ein Geschenk, und besonders diejenigen Gruppen in den Blick zu neh- und der AfD-Antrag ist eine pure Zumutung. men, die bislang bei der Erasmus-Förderung noch be- nachteiligt sind, wie die in beruflicher Ausbildung oder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN finanziell Schwache. Für diese Menschen interessiert sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- sich der AfD-Antrag aber gar nicht. In Ihrem Redebeitrag KEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: gerade sprechen Sie auch noch von „Klasse statt Masse“ Ausnahmsweise hast du einmal recht!) und meinen damit nur die Studierenden. Eigentlich wäre damit alles gesagt; aber ich will mir ein (Beatrix von Storch [AfD]: Von Studenten! bisschen mehr Mühe geben als dieser Dünnbrettbohrer- Von „Studierenden“ reden wir nie!) antrag der AfD, der ja eine harmlose Überschrift hat, aber einen gefährlichen Inhalt. Das ist bezeichnend und wirklich entlarvend. (Beatrix von Storch [AfD]: Hass und Hetze!) (Beifall bei der LINKEN) Die AfD will Mittel für Erasmus+ dramatisch kürzen. Dabei ist gerade beim Zugang zu Erasmus noch viel Wir sind für eine drastische Erhöhung, für eine deutliche Luft nach oben, finden wir; denn Kindern ohne finanz- Aufstockung; denn unser Kontinent und die junge Gene- starken familiären Hintergrund reicht die Erasmus-För- ration leben und wachsen durch Austausch, Verständi- derung in der Regel eben nicht aus, um den Auslandsauf- gung, Weltoffenheit. Das ist Ihnen ein Dorn im Auge. enthalt tatsächlich stemmen zu können. Wer schon im Uns ist das ein Herzensanliegen; denn Bildungsmobilität Heimatland jobben muss, um überhaupt studieren zu kön- ist für alle da und nicht nur für einen erlauchten Kreis. nen, dem reicht der Zuschuss nicht, um ins Ausland zu gehen. Da gibt es noch einiges nachzubessern; denn wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Linke wollen, dass Auslandserfahrungen und kultur- sowie bei Abgeordneten der FDP – Norbert 18686 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Kai Gehring (A) Kleinwächter [AfD]: Haben Sie den Antrag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) überhaupt gelesen?) sowie bei Abgeordneten der SPD) – Ja, das ist keine Kunst. Ihr Antrag ist eine Seite lang und Denn Austausch öffnet in der Regel Horizonte – viel- wirklich das Papier nicht wert, auf dem er steht; aber ich leicht nicht bei Ihnen, aber bei den allermeisten Men- setze mich damit ja auseinander. schen –, beschert teilweise sogar privates Glück. Beides ist der AfD suspekt. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Deswegen lesen Sie gar nicht! Alles klar!) (Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) – Ich habe ihn gelesen. Seit dem Start von Erasmus sind mehr als 1 Million trans- Die Antieuropa-Fraktion Deutschlands, kurz AfD, nationale Erasmus-Babys geboren – welch ein Graus für (Beatrix von Storch [AfD]: Anti-EU, pro Eu- die völkisch-nationalistischen Blut-und-Boden-Politiker. ropa!) (Enrico Komning [AfD]: So ein Blödsinn!) weint ja Krokodilstränen über den Brexit. Wie bigott ist Welch ein Glück für Europa und die Zukunft Europas. das denn eigentlich? Ihre Brüder im Geiste haben den Brexit mit verursacht durch Lügen und Fake News. (Frank Pasemann [AfD]: Dieses dumme Gela- ber ist nur noch peinlich! – Enrico Komning (Lachen des Abg. Frank Pasemann [AfD]) [AfD]: Schämen Sie sich, und gehen Sie zurück Deshalb sind Sie an dieser Stelle als verlogen enttarnt. auf Ihre Bank!) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Den Brexit ha- Der Namensgeber des Erasmus-Programms würde den ben die Briten allein hingekriegt!) AfD-Antrag mit großer Begeisterung ablehnen, und wir werden das auch tun. Wir sagen: Partnerschaft und Kooperation, keine Rosi- nenpickerei, erfolgreiche Brexit-Verhandlungen und dass Vielen Dank. die junge Generation dabei nicht bestraft werden darf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD und der LINKEN – Norbert sowie des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) Kleinwächter [AfD]: Ich lade Sie mal in mei- nen Wahlkreis ein! Da lernen Sie die AfD rich- Kommen wir zum Heftigsten in Ihrem Antrag. Bil- tig kennen! Ihr Bild ist ja grauenhaft!) dungsaustausch will die Antieuropa-Fraktion Deutsch- (B) lands, kurz AfD, auf „ambitionierte Studenten“ reduzie- (D) ren. Ich finde es skandalös, dass die AfD Studentinnen Vizepräsidentin Claudia Roth: aus Erasmus offenkundig ausschließen will. Vielen Dank, Kai Gehring. – Nächste Rednerin: Ronja Kemmer für die CDU/CSU-Fraktion. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie haben noch nichts vom generischen Maskulinum gehört?) (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist frauenfeindlich; denn es geht eben auch um Stu- Ronja Kemmer (CDU/CSU): dentinnen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Das Semester in Schweden war fachlich, sprachlich, und bei der LINKEN) aber auch für die persönliche Entwicklung eine der besten Entscheidungen, die ich bis dato getroffen habe.“ So oder Frauen und Männer sind selbstverständlich gleich viel so ähnlich lautete der letzte Satz in meinem Erfahrungs- wert und haben auch gleich viel Talent. bericht über das Erasmus-Semester in Schweden. Und so wie mir ging es ganz vielen anderen Kommilitoninnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Kommilitonen, die das wahrscheinlich in ihren Er- bei der SPD und der LINKEN – Norbert fahrungen auch genauso bestätigen würden. Und deswe- Kleinwächter [AfD]: Das ist richtig, steht aber gen sind das Erasmus-Programm und seine Vorgänger nicht in der deutschen Grammatik!) nicht ohne Grund mitunter das erfolgreichste Programm Es ist im Übrigen auch skandalös, dass die AfD – lesen innerhalb der Europäischen Union; denn der Austausch, Sie Ihren eigenen Antrag – Azubis und Schülerinnen und der Sprachenerwerb, die vielen Themen werden auch in Schüler aus Erasmus+ ausschließen will. Ja, wie elitär ist Zukunft eine Rolle spielen. Ja, wir leben heute in einer das denn? Das ist ja unglaublich! digitaleren, in einer vernetzteren Welt. Aber genau das, die persönliche Erfahrung im Austausch mit anderen, im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausland zu leben, in Kontakt zu treten, woanders zu sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- studieren, dort auch die Sprache zu lernen, kann nicht KEN – Norbert Kleinwächter [AfD]: Ein ziel- ersetzt werden, und das wollen wir weiter stärken; dafür gerichtetes Programm!) stehen wir als Unionsfraktion. Das ist ein Affront gegen Auszubildende. Das ist akade- misch elitär und engstirnig. Wir wollen, dass unterreprä- (Beifall bei der CDU/CSU) sentierte Gruppen den Weg ins europäische Ausland fin- Natürlich spielt es, wie gesagt, auch eine wichtige den. Rolle, im Studium andere Dinge zu lernen und Erfahrun- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18687

Ronja Kemmer (A) gen zu machen, gerade durch Diskussion und den persön- nicht vorbei –: Es bleibt absolut richtig – wir wollen die (C) lichen Austausch. Und das wollen wir weiterführen, auch Unterstützung sogar ausbauen –, dass Berufsschüler und trotz des Brexits, gerade auch mit Blick auf Groß- Azubis künftig natürlich auch von diesem Austausch pro- britannien. Der Brexit hat natürlich nicht nur Auswirkun- fitieren. gen auf das Erasmus-Programm; vielmehr geht es um das ganze Kapitel der Zukunft von Bildungs- und For- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schungszusammenarbeit, das wir ganz grundsätzlich neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE neu aufsetzen möchten und müssen. Deswegen ist es für GRÜNEN) uns auch entscheidend gewesen, dass wir der Bundesre- Dass gerade Sie, wo Sie uns immer vorwerfen, wir wür- gierung hier ein entsprechendes Mandat für die Verhand- den – angeblich – zu wenig für die berufliche Bildung lungen erteilt haben. Wir haben das deswegen getan, weil tun, sich hierhinstellen und diesem Personenkreis die wir davon überzeugt sind, dass der Bereich Bildung und Förderung untersagen wollen, Forschung eine europäische Koordinierung und Förde- rung braucht; auch das halten wir in höchstem Maße für (Enrico Komning [AfD]: Das wurde schon sinnvoll. gesagt!) Nun aber direkt zu Ihrem, ich sage mal, Antrag, auch also mit Verlaub: Das ist falsch, das ist ungerecht, aber es wenn es eigentlich das Wort fast nicht wert ist. passt eben in Ihr Weltbild, das einer Abschottung gleich- kommt. (Enrico Komning [AfD]: Dann sind Sie ja fast zu Ende mit Ihrer Rede!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Karamba Es ist ja nicht so, dass die Attraktivität des Erasmus-Pro- Diaby [SPD]: Das ist auch zynisch!) grammes wegen des Brexits von heute auf morgen ir- gendwie hinfällig wäre. Das ist absoluter Quatsch. In Eine Frage bleibt dann am Ende noch offen. Herr Eras- erster Linie – das muss man leider an dieser Stelle noch mus von Rotterdam ist heute Abend schon mehrfach an- einmal sagen – haben sich die Briten mit dieser Entschei- gesprochen worden, und auch da ist Ihre Widersprüch- dung ins eigene Knie geschossen. lichkeit kaum zu überbieten. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Enrico Komning [AfD]: Noch eine Wieder- GRÜNEN]: Ja! So ist es!) holung!) Dass aber gerade Sie jetzt hier auftreten und Krokodils- Gerade Sie, die den Bologna-Prozess seit jeher kritisie- tränen weinen, wo Sie doch genau diese Entscheidung ren, eine erfolgreiches EU-Programm schlechtreden, ha- (B) damals bejubelt und beklatscht haben, ben sich diesen kosmopolitischen Denker als Namensge- (D) ber für Ihre Stiftung ausgesucht. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Happy Brexit gefeiert haben!) (Enrico Komning [AfD]: So ist es!) ist an Heuchelei – das wurde schon oft gesagt – nicht zu Das ist ein Widerspruch, auch den lassen wir Ihnen so überbieten. nicht durchgehen; denn der Rest dieses Hauses steht für einen freien Europäischen Hochschulraum, für den Aus- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP bau von Erasmus, aber eben für alle: für Studenten wie und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für diejenigen in der beruflichen Ausbildung. Wenn wir darüber sprechen, wie Programmgeneratio- Dieses Programm ist Dünger für Toleranz, Dünger da- nen von Erasmus weiterentwickelt werden können – das für, dass man miteinander ins Gespräch kommt, sich aus- müssen wir natürlich diskutieren –, dann reden wir doch tauscht. Das ist der beste Unkrautvernichter gegen die mal über positive Aspekte, zum Beispiel darüber, wie wir Wurzeln des Rechtspopulismus. Deswegen werden wir darüber hinausgehend ein Europa-Stipendium entwickeln Erasmus auch weiterhin stärken. können, das vielleicht nicht nur ein Semester, sondern ein ganzes Studium im Ausland fördert. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Enrico (Norbert Kleinwächter [AfD]: Wir finden Eras- Komning [AfD]: Deshalb heißt unsere Stiftung mus gut, aber den Austritt aus der Europä- so!) ischen Union auch gut!) Sprechen wir darüber, dass wir natürlich Semesterzeiten Vizepräsidentin Claudia Roth: harmonisieren müssen, dass die Hochschulen mit der An- Vielen Dank, Ronja Kemmer. – Der letzte Redner in erkennung von Leistungen, die im Ausland erworben dieser Debatte: Dr. Karamba Diaby. wurden, vorankommen müssen. Das sind wirklich The- men, um die wir uns kümmern müssen. Von alldem ist in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Ihrem Antrag natürlich nichts zu finden. bei Abgeordneten der LINKEN)

(Enrico Komning [AfD]: Sie können ja einen Dr. Karamba Diaby (SPD): eigenen stellen!) Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen Es bleibt ein zentraler Punkt – auch der wurde schon und Herren! Was hat das Persönlichkeitsmodell „Big mehrfach angesprochen, aber ich komme daran einfach Five“ mit Erasmus zu tun? Ich finde, sehr viel. Es gibt 18688 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Karamba Diaby (A) fünf Persönlichkeitsdimensionen: emotionale Stabilität, teren Überweisungsvorschläge. Dann verfahren wir ge- (C) Geselligkeit, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissen- nau so. haftigkeit. Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: Studien zeigen deutlich: Bereits wenige Monate im Ausland beeinflussen die Persönlichkeit und machen Beratung des Antrags der Abgeordneten die Teilnehmenden unter anderem offener für neue Erfah- Dr. Jürgen Martens, Stephan Thomae, Grigorios rungen und neue Ideen. Das wird auf die neuen interna- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- tionalen Kontakte zurückgeführt. tion der FDP Wie Sie alle wissen, erlebt Europa seit einigen Jahren Vorbereitung eines Reformgesetzes zur Steige- ein politisches Erdbeben. Die national-radikalen Kräfte rung der Wirksamkeit des Strafrechts – Straf- sind auf dem Vormarsch. Gerade in dieser Zeit ist es rechtsreformgesetz wichtig, dass wir den Austausch, den Dialog und das Drucksache 19/17485 gemeinsame Lernen und Forschen fördern. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Inneres und Heimat bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Simone Für die Aussprache sind 30 Minuten beschlossen. Ich Barrientos [DIE LINKE]) warte aber, bis hier ein bisschen Ruhe eingekehrt ist, ehe ich die Aussprache eröffne. Wenn Sie bitte Platz nehmen Das Erasmus-Programm fördert seit 32 Jahren Stu- würden. dienaufenthalte und Praktika in 33 Ländern – mit insge- samt über 9 Millionen Geförderten. In Deutschland Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Jürgen nutzen das Erasmus+-Programm aktuell circa Martens für die FDP-Fraktion. 100 000 Menschen. Ich bin froh darüber, dass wir die Zahl der am Erasmus+- Programm Teilnehmenden auf (Beifall bei der FDP) 12 Millionen verdreifachen wollen. Dr. Jürgen Martens (FDP): Natürlich stellt es eine Zäsur dar, dass Großbritannien Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- aus der Europäischen Union ausgeschieden ist. Wir arbei- ren! Ja, zu im Verhältnis zu früheren Sitzungen nicht ganz ten aber daran, dass die guten wissenschaftlichen Bezie- so später Stunde – es hätte noch schlimmer kommen hungen und der Dialog nicht darunter leiden werden. Die können; das muss man sagen – kommt das Beste wie (B) Zusammenarbeit mit Großbritannien in Sachen Erasmus (D) üblich zuletzt. + sollte weitergeführt werden, doch die Entscheidung liegt nicht allein bei uns. (Beifall bei der FDP und der LINKEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Karl-Heinz Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Anfang habe ich Brunner!) davon gesprochen, welche positiven Folgen ein Aufent- halt im Ausland auf die Persönlichkeit hat. Ich glaube, Es folgt eine ernstzunehmende Debatte; denn das Straf- dass ein Aufenthalt im Ausland auch für einige hier in recht ist – so wird es jedenfalls genannt – das schärfste diesem Hohen Hause eine gute Idee wäre. Schwert des Rechtsstaates, und entsprechend sorgsam sollten wir mit seiner Anwendung sein. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP) GRÜNEN – Norbert Kleinwächter [AfD]: Ich Allerdings: Der Grundsatz, das Strafrecht sei Ultima habe eine Zeit lang im Ausland gelebt, Herr Ratio staatlichen Handelns, wird vom Gesetzgeber, so Diaby!) scheint es uns, schon lange nicht mehr beachtet. Wir Ich glaube, wir brauchen in unserer Zeit mehr denn je häufen fortlaufend neue Strafvorschriften an, ohne den Offenheit. Das Erasmus+-Programm trägt hervorragend Nachweis ihrer Erforderlichkeit zu verlangen. Und wir dazu bei; fördern wir es also weiter. verzichten auf eine fortlaufende Überprüfung des Nor- menbestandes dahin gehend, ob die bestehenden Vor- Danke schön. schriften geänderten Bedingungen im gesellschaftlichen Leben noch entsprechen. Was 1870 oder 1970 strafwür- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie dig war, ist es heute oft nicht mehr. Die Majestätsbelei- bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN digung ist gestrichen worden, die Strafbarkeit homose- und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE xueller Handlungen auch. Die Gotteslästerung ist noch GRÜNEN]) da. Die Internetkriminalität war 1870 eher noch unter- entwickelt, und so brauchten wir neue Regelungen. Es Vizepräsidentin Claudia Roth: gibt aber gleichwohl Regelungen, die überholt worden Vielen Dank, Dr. Diaby. – Ich schließe die Aussprache. sind, wie der Scheckkartenmissbrauch oder die Nachbil- dung von Halbleitertopografien, meine Damen und Her- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf ren. Drucksache 19/17526 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine wei- (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18689

Dr. Jürgen Martens (A) Ohne Evaluierung des Normbestandes entstehen also Axel Müller (CDU/CSU): (C) Wertungswidersprüche, und das ist nicht harmlos. Solche Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Wertungswidersprüche wecken nämlich Zweifel daran, Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit ob das Strafrechtssystem insgesamt noch als gerecht be- dem etwas sperrigen Titel Ihres Antrags legen Sie uns trachtet werden kann. Ein klassischer Wertungswider- vonseiten der FDP-Fraktion einen Antrag vor, der aus spruch ist das Zuparken eines Behindertenparkplatzes in unserer Sicht für eine Strafrechtsreform nicht geeignet der Innenstadt – das ist eine Ordnungswidrigkeit, wie wir ist und auch nicht die richtigen Ansätze dafür bietet; denn alle wissen – und das Schwarzfahren in der Straßenbahn; er enthält Punkte, denen eine klare Absage zu erteilen ist. das ist eine Straftat. Diesen Wertungswidersprüchen müs- sen wir nachgehen. Zum Ersten. Sie kritisieren, dass das Strafrecht seiner Funktion als letztes Mittel zur Durchsetzung von Recht Unsere Strafjustiz – so wird immer wieder beklagt –, und Ordnung nicht mehr gerecht werde, weil es sich mit ist überlastet. Viele Verfahren werden geführt ohne Dingen beschäftige, die keiner strafrechtlichen Regelung Sanktionsentscheidung, aber gleichwohl verbrauchen oder Verfolgung mehr bedürfen. Die Hauptkritik ist, dass diese Verfahren ein enormes Maß an personellen und sich die Justiz mit der Verfolgung von Bagatelldelikten sachlichen Ressourcen. Wir wollen, dass sich Strafrecht aufhalte und die Veränderung der gesellschaftlichen und Strafverfolgung auf erhebliches Unrecht konzentrie- Wirklichkeit zudem einzelne Strafrechtsnormen reform- ren, um dort mit der gebotenen Schnelligkeit, Gründ- bedürftig machen würde. lichkeit und Wirksamkeit zu handeln. Zwei Punkte greife ich heraus. Der erste Punkt ist: Sie (Beifall bei der FDP) wollen die Strafbarkeit des Ladendiebstahls – wie auch andere in diesem Hause – im Bagatellbereich abschaffen. Wenn wir das Strafrecht als wirksames Mittel zur Be- Die Grenze setzen Sie bei etwa 50 Euro an. Das ist im- kämpfung von erheblichen Straftaten erhalten wollen, merhin etwa ein Achtel dessen, was ein Hartz-IV-Emp- dann müssen wir eben den Normbestand überprüfen. Ei- fänger monatlich zur Verfügung hat, also nicht ganz we- ne schlichte Fortsetzung der bisherigen Strafrechtspolitik nig. wäre auch schon mit Blick auf die Ressourcen der Straf- justiz nicht wirklich verantwortbar. Das Zweite: Sie wollen die Leistungserschleichung, das im Volksmund als Schwarzfahren bezeichnete kos- Der Weg der unreflektierten, inflationären Strafrechts- tenlose Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel, für straflos gesetzgebung und der damit verbundenen Fehlleitung erklären. Stattdessen sollen beide Delikte – Diebstahl wie von Ressourcen ist sogar für den Rechtsstaat insgesamt Schwarzfahren – als Ordnungswidrigkeiten geahndet gefährlich; denn hier kann bei Bürgern der Eindruck ent- werden, so wie Falschparken, eine Geschwindigkeits- (B) stehen, dass einerseits die Übertretung von Strafnormen überschreitung oder das Zuparken eines Behinderten- (D) folgenlos bleibt, während andererseits Taten, die allge- parkplatzes – um Ihr Beispiel aufzugreifen. mein als strafwürdig empfunden werden, nicht mit dem erforderlichen Nachdruck verfolgt werden. Der zweite Punkt erscheint mir noch bedenkenswerter. Andere Strafrechtsnormen, wie beispielsweise § 166 (Beifall bei der FDP) StGB – von Ihnen als Gotteslästerung bezeichnet –, der Das führt zu einer Bedeutungserosion des Strafrechts, dem Schutz von Religion und Weltanschauung dient, der wir als Rechtsstaatspartei entgegentreten wollen. An- wollen Sie zur Disposition stellen, da er nicht mehr zeit- ders gesagt: Verbote auszusprechen, ist einfach; das ist gemäß sei. Das kommt aus unserer Sicht zumindest in billig, das kostet nur die Druckerschwärze für den Druck Teilen einer Kapitulation des Rechtsstaates gleich. des Gesetzblatts. Verbote durchzusetzen, erfordert Res- (Beifall des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/ sourcen, und davon haben wir nicht unbegrenzt viele. Wir CSU]) müssen uns also mit der Frage auseinandersetzen, welche Normen wir brauchen, welche unverzichtbar sind und Sie verschieben die Werteordnung unseres Rechtssys- wie wir sie durchsetzen wollen. tems in bedenklicher Art und Weise, da Sie den Schutz von Eigentum und Vermögen deutlich reduzieren. Sie Mit diesem Antrag wollen wir der Bundesregierung verkennen mit Ihrer angekündigten Abschaffung des den Auftrag erteilen, die notwendige Überprüfung zu § 166 StGB aus unserer Sicht die Bedeutung dieser straf- beginnen. Mögliche Ansätze zeigen wir in diesem Antrag rechtlichen Norm. Sie schützt die Glaubensfreiheit posi- reichlich auf. tiv wie negativ und nicht den Inhalt des religiösen Be- kenntnisses, das von einem säkularen Staat nicht Ich freue mich auf eine, so hoffe ich doch, sachliche geschützt wird. Gerade in Zeiten wie diesen eine straf- Diskussion über diesen Antrag. rechtliche Verkürzung im Bereich der Glaubensfreiheit Vielen Dank. vorzunehmen, ist für uns das falsche Signal, der falsche Ansatz. Wir brauchen auch die Mittel des Strafrechts. Das (Beifall bei der FDP) ist keinesfalls gesellschaftlich überholt, sondern aktueller denn je. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank, Dr. Martens. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Axel Müller. Meine Damen und Herren, auch sonst hinkt Ihr Antrag den aktuellen Entwicklungen und Verbesserungen für die (Beifall bei der CDU/CSU) Justiz, die die Große Koalition geschaffen hat, hinterher. 18690 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Axel Müller (A) Sie sagen, die Justiz sei überlastet, weil sie sich mit den – Das würde ich an dieser Stelle nicht leugnen wollen, (C) Massenverfahren, wie Ladendiebstahl und Leistungser- allerdings angeführt von einem CDU-Justizminister, Frau schleichung, herumschlagen müsse. Das führe dazu, dass Kollegin Brantner. Prozesse nicht in der gebotenen Geschwindigkeit durch- geführt werden könnten. Untersuchungsgefangene müss- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska ten beispielsweise wegen Verstoßes gegen den Beschleu- Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ei- nigungsgrundsatz freigelassen werden. Dabei übersehen nem grünen Ministerpräsidenten! Vor allem Sie völlig, dass diese schwere Kriminalität bei den Land- war es eine grüne Finanzministerin, die das er- gerichten behandelt wird und die Bagatelldelikte dort gar möglicht hat!) nicht angesiedelt sind. Gerade die Landgerichte haben In meinem Wahlkreis gab es im Übrigen im letzten wir aber mit dem Pakt für den Rechtsstaat deutlich ge- Jahr 50 Haftsachen bei den Landgerichten. In keinem stärkt. einzigen Fall wurde die sechsmonatige Frist verletzt. In allen Fällen konnte innerhalb der sechsmonatigen Frist, Wir haben eine umfassende Reform des Strafprozess- die für Untersuchungshaftgefangene gilt, binnen derer rechts, gepaart mit zahlreichen Elementen der Verfah- eine Hauptverhandlung durchzuführen ist, die Hauptver- rensbeschleunigung, gegen den Widerstand der FDP handlung begonnen werden. Im gesamten Oberlandesge- durchgesetzt. Personell findet derzeit ein Stellenauf- richtsbezirk Stuttgart ging die Zahl der vorgelegten Akten wuchs in Höhe von 2 000 Stellen bei den Richtern und wegen einer Verlängerung der Haftfortdauer über die Staatsanwälten statt. Das ist genau die Zahl, die Sie als Sechsmonatsfrist hinaus aufgrund von § 162 StPO zu- fehlend monieren. rück. Das ist die niedrigste Zahl seit dem Jahr 2009. Ich hatte vor Kurzem die Gelegenheit, mit ehemaligen Das mag in anderen Bundesländern anders sein. Justiz Kollegen aus dem Bereich der Justiz ins Gespräch zu ist aber Aufgabe der Länder, und die müssen die Justiz kommen. Die waren voll des Lobes für diesen Pakt für organisatorisch und personell so ausstatten, dass sie auch den Rechtsstaat. arbeiten kann. Es gibt nicht zuletzt von Gesetzes wegen bei Gerichten die Möglichkeit, in eigener Verantwortung Abhilfe zu schaffen. Wir haben das mit einer dritten Vizepräsidentin Claudia Roth: Strafkammer getan. Auch bei der Bagatellkriminalität Herr Müller, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung? hat die Staatsanwaltschaft bei der Entscheidung zwischen Opportunitätsprinzip und Legalitätsprinzip die Möglich- Axel Müller (CDU/CSU): keit, sich dafür zu entscheiden, das öffentliche Interesse Selbstverständlich, Herr Professor Martens. an der Strafverfolgung abzulehnen und beispielsweise (B) eine Verfahrenseinstellung unter Auflagen durchzufüh- (D) ren. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut, Herr Dr. Martens. Im Ergebnis komme ich zum Schluss – ich habe den Antrag sehr ernst genommen, Herr Professor Martens –, Dr. Jürgen Martens (FDP): dass es für uns keinen Grund gibt, Ihrem Antrag zu fol- Vielen Dank, sehr geehrter Herr Kollege. – Eine Frage gen. zu den 2 000 Stellen, die ausgeschrieben worden sind. Vielen Dank. Von denen sind 200 bei der Bundesanwaltschaft, also nicht bei den Gerichten, zu verorten. Wie viele Stellen (Beifall bei der CDU/CSU) sind bei den Gerichten zusätzlich geschaffen worden? Vizepräsidentin Claudia Roth: Axel Müller (CDU/CSU): Vielen Dank, Axel Müller. – Nächster Redner: für die Vielen Dank für die Frage. – Nach unseren derzeitigen AfD-Fraktion Thomas Seitz. Informationen über 1 200. Ich sage Ihnen auch, was im Land Baden-Württemberg geschehen ist. Ich habe mich (Beifall bei der AfD) heute dort noch einmal erkundigt. Bislang wurden seit Amtsantritt unseres derzeitigen Justizministers 700 neue Thomas Seitz (AfD): Stellen geschaffen, aktuell 251 Stellen für Richter und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Staatsanwälte. Derzeit läuft eine weitere Einstellungsrun- und Herren! Dieser Antrag ist typisch für eine FDP, die de. Allein an meinem früheren Landgericht sind inner- sich gerne in der Rolle des Erneuerers sonnt, aber vor halb weniger Monate vier neue Richterstellen geschaffen allem heiße Luft produziert. Und hoffentlich haben Sie worden. sich gründlich überlegt, was Sie tun werden, falls Ihr Antrag unsere Zustimmung findet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) Sie wollen die Bundesregierung auffordern, die Straf- normen des StGB wie des Nebenstrafrechts auf eine Mo- Sie nehmen mir im Grunde genommen den weiteren dernisierung zu prüfen, mit dem hehren Ziel, die Justiz zu Teil meiner Rede vorweg. entlasten. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Liebe Kollegen von der FDP, in Thüringen hätten Sie GRÜNEN]: Das ist eine gute Regierung in Ba- ganz selbstständig alle Strafnormen des Nebenstrafrechts den-Württemberg!) überprüfen können. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18691

Thomas Seitz (A) (Dr. Jürgen Martens [FDP]: Seid wann ist das straflos hätten. Angesichts Ihrer rasanten Annäherung (C) Land dafür zuständig?) an das linke Spektrum ist das zumindest konsequent. Dazu hätte allerdings gehört, dass die Vertreter Ihrer Par- (Lachen des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/ tei die übertragene Regierungsverantwortung auch an- CSU]) nehmen, anstatt sang- und klanglos abzudanken. Bei Ihrem Marsch nach links hätten Sie aber bemerken (Beifall bei der AfD) können, dass wir das Thema Schwarzfahren und dazu Zurück zum Antrag. Wie es sich für einen Schaufens- passend das Thema Ersatzfreiheitsstrafe in dieser Legis- terantrag gehört, werden zahlreiche Problemfelder ange- latur bereits ausgiebig behandelt haben. Dazu ist einfach führt, ohne selbst klar Position zu beziehen. Dafür sollen alles gesagt. Dazu braucht man keine neuen Experten zu andere liefern: die Regierung und eine Expertengruppe. hören. Werte Kollegen, das ist so mittelmäßig und ideenlos. Der rechtstreue Bürger hat auch bei der FDP wieder Reicht es denn bei Ihnen nicht einmal mehr für Populis- einmal das Nachsehen: der brave und anständige Bürger mus? oder dann im Grunde genommen der dumme Bürger, der- (Beifall bei der AfD) jenige, der vor dem Fahrtantritt ein Ticket löst, auch wenn sein Budget knapp ist, oder der sich in seinen Ausgaben Stattdessen maßen Sie sich an, sich hier zum Verteidi- beschränkt, wenn am Ende des Einkommens noch zu viel ger der Freiheitsrechte der Bürger aufzuspielen, ausge- vom Monat übrig bleibt. Genauso wenig wie man Alters- rechnet in der Woche, in der auch Ihre Vertreter in Thü- armut mit einer Erhöhung des Flaschenpfands beseitigt, ringen dazu beigetragen haben, einen Stalin-Verehrer aus kann man ein zu geringes Lohnniveau und zu hohe der Mauermörder-Nachfolgepartei zum Ministerpräsi- Steuern und Abgaben dadurch korrigieren, dass der Dieb- denten zu küren. stahl geringwertiger Sachen straflos bleibt. Wer sich aso- zial verhält – Straftatbestände beschreiben nun einmal (Lachen bei der LINKEN – Dr. Jürgen Martens asoziales Verhalten –, ändert sein Verhalten nicht da- [FDP]: Das ist schlicht unwahr! Das sind Fake durch, dass man ihn verhätschelt. Nicht Straffreiheit, son- News! Unsere sind sitzen geblieben!) dern eine konsequente Sanktionierung braucht es. Diese Die Verweigerung der Wahrnehmung der Abgeordneten- Sanktionierung findet in unserer Justiz statt und äußert rechte durch Ihre Vertreter hat genau das bewirkt. sich in Verfahrenseinstellungen wegen geringer Schuld. Der Ersttäter eines Ladendiebstahls braucht im Regelfall (Dr. Jürgen Martens [FDP]: Es tut wirklich keine Verurteilung, wenn er allein durch die Aufdeckung weh!) der Tat und die Einleitung des Ermittlungsverfahrens hin- (B) – Es gibt auch das Unterlassen. Stellen Sie eine Zwi- reichend beeindruckt ist. Bei schwereren oder wiederhol- (D) schenfrage, wenn Sie möchten. ten Taten dagegen ist die konsequente Anwendung des Strafrechts unerlässlich. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die FDP gewandt: Er hat doch Wir sind gespannt, ob Sie Ihren Antrag noch nachbes- keinen Anspruch an die Wahrheit! Er erzählt sern werden. Sollten wir dann aber zustimmen, kann auch immer Fake News!) die Bundeskanzlerin das nicht mehr rückgängig machen. Wenn Sie wiederholt das Nebenstrafrecht ansprechen, Vielen Dank. dann zeigen Sie uns nur, dass Sie von der Praxis keine Ahnung haben. Eine Streichung des gesamten Neben- (Beifall bei der AfD) strafrechts mit Ausnahme des BtMG würde eine Staats- anwaltschaft mit 30 bis 35 Vollzeitstellen in der Größ- Vizepräsidentin Claudia Roth: enordnung von etwa 3 bis 4 Amtsanwälten entlasten. Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Johannes Wenn wir aber die Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrer- Fechner. laubnis sowie die Strafbestimmungen des Aufenthalts- und Ausländerrechts beibehalten – dafür steht die AfD (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jan- uneingeschränkt; denn illegal bleibt illegal –, reduziert Marco Luczak [CDU/CSU]) sich die Entlastung vielleicht auf einen Amtsanwalt. Wenn es absehbar keinen Kahlschlag, sondern nur eine Dr. Johannes Fechner (SPD): stellenweise Bereinigung gibt, dann ist ein Entlastungs- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! effekt überhaupt nicht mehr messbar. Liebe Gäste auf den Tribünen! Die FDP schlägt eine Überprüfung einiger Straftatbestände vor. Das ist ein le- Historische überholte Tatbestände ohne tatsächlichen gitimer Ansatz. In der Tat kann man sich, wenn Statisti- Anwendungsbereich kann man gerne streichen. Die juris- ken zeigen, dass Straftatbestände keine Anwendung mehr tischen Fachverlage freut es. Nur geht dann die Entlas- finden, darüber unterhalten, diese abzuschaffen. tung der Justiz gegen null. Also wieder einmal viel Lärm um nichts. Eines will ich aber klar sagen: Es ist das Kernelement einer wehrhaften Demokratie und eines starken Rechts- (Beifall bei der AfD) staates, dass die Normen, die wir uns hier geben, konse- Deutlich wird in Ihrem Antrag, dass Sie kein Herz für quent durchgesetzt werden. Deswegen ist es richtig, dass Bagatelldelikte haben, also sozialschädliche Verhaltens- wir in der nächsten Woche Straftatbestände verschärfen, weisen wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren gerne um gegen die rechten Attacken im Netz und auch in der 18692 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Dr. Johannes Fechner (A) analogen Welt etwas tun zu können. Das ist das Zeichen (Beifall bei der SPD) (C) einer wehrhaften Demokratie und eines starken Rechts- staates. Da macht es Sinn. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katja Vielen Dank, Dr. Johannes Fechner. – Nächster Red- Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) ner: für die Fraktion Die Linke Friedrich Straetmanns. Wenn in Krankenhäusern immer häufiger das medizi- (Beifall bei der LINKEN) nische Personal attackiert wird oder wenn Kommunal- politiker üblen Anfeindungen im Netz ausgesetzt sind, Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): wenn Beleidigungen millionenfach über das Internet, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- über die sozialen Netzwerke verbreitet werden oder wenn nen und Kollegen! Der Antrag der FDP-Fraktion, ein engagierte Bürger mit Mord- oder Vergewaltigungsand- Strafrechtsreformgesetz vorzubereiten, klingt durchaus rohungen überzogen werden, dann muss der starke interessant. Wir sollten eine solche Reform zum Anlass Rechtsstaat Flagge zeigen. Das können wir nicht dulden. nehmen, uns noch einmal vor Augen zu führen, was wir Deswegen müssen wir die Verschärfung der Straftatbe- als Gesellschaft mit dem Strafrecht eigentlich wollen. stände nächste Woche auf den Weg bringen. Schaut man in klassische und in soziale Medien, so be- kommt man immer wieder den Eindruck, der Zweck sei (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die Befriedigung kollektiver Rachegelüste. Doch eigent- Nun bringen die besten Gesetze nichts, wenn wir zu lich muss es uns doch darum gehen, zu schauen, warum wenig Personal in den Polizeirevieren und in den Gerich- Menschen straffällig geworden sind und wie man in der ten haben. Deswegen ist es in der Tat notwendig, dass der Zukunft dafür sorgen kann, dass sie es nicht mehr wer- Pakt für den Rechtsstaat umgesetzt wird, dass die den. 220 Millionen Euro von den Ländern tatsächlich für 2 000 zusätzliche Richterinnen und Richter sowie Staats- (Beifall bei der LINKEN) anwältinnen und Staatsanwälte in die Hand genommen Resozialisierung ist der Schlüssel zu einer friedlicheren werden. Eines kann nicht sein, nämlich dass wir Perso- Gesellschaft, und unter diesem Aspekt muss unser Straf- nalengpässe nutzen, um Straftatbestände oder Normen recht auf den Prüfstand. Wir teilen daher die Intention abzuschaffen. Nein, wir müssen in Personal investieren, Ihres Antrages weitgehend. um unsere freiheitliche Gesellschaft zu verteidigen. Ich sage das so deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Am Strafrecht wurde durch die Regierungskoalition in den letzten Jahren erheblich herumgepfuscht. Ein Bei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) spiel dafür, dass auch rechtstechnisch unsauber gearbeitet (B) (D) worden ist, ist die Strafbarkeit sogenannter Autorennen in In der Tat: Ich kann dem FDP-Antrag in einigen Punk- § 315d Strafgesetzbuch. Den haben Sie von der Regie- ten zustimmen. rungskoalition so unbestimmt und weit gefasst, dass er (Beifall der Abg. [FDP]) jetzt durch ein Amtsgericht aus Baden-Württemberg dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden muss. Wir sollten eine strafrechtliche Entrümpelungsaktion starten und uns anschauen, ob ein einzelner Straftatbe- (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das heißt stand tatsächlich noch genutzt wird. Aber ich finde: Sie noch gar nichts!) haben es sehr allgemein formuliert. Sie hätten schon et- Anstatt innezuhalten und zu evaluieren, legt die Koalition was präziser sein können. Ich glaube, es wäre sinnvoller, eine Strafrechtsverschärfung nach der anderen vor. Das wenn sich Rechtspolitiker der vernünftigen Fraktionen lehnen wir als Linke konsequent ab. treffen und eine solche strafrechtliche Entrümpelungsak- tion vorbereiten würden. Ich glaube, das würde eher zum (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Ziel führen. Luczak [CDU/CSU]: Lehnen Sie Erschießen Ich möchte ausdrücklich daran erinnern: Wir haben in konsequent ab! Das wäre besser!) dieser Wahlperiode bereits Straftatbestände abgeschafft, Meine Fraktion hat daher viele parlamentarische Ini- zum Beispiel die sogenannte Majestätsbeleidigung. Für tiativen unterbreitet. So sehen wir zum Beispiel eine die SPD-Fraktion kann ich sagen: Wenn wir schon dabei Straffreiheit für das Fahren ohne Fahrschein, das soge- sind, Straftatbestände abzuschaffen, dann ist festzustel- nannte Schwarzfahren. Wir sind auch beim Cannabiskon- len: Es fehlt in Ihrer Liste einer, dessen Abschaffung, wie sum nicht für eine Strafverfolgung, sondern dafür, den ich finde, überfällig ist. Wenn schwangere Frauen in Gesundheitsschutz entsprechend auszubauen. Wir wollen schwierigen Situationen Informationen brauchen, dann die Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelretter ent- müssen wir ihnen das schnell und einfach ermöglichen, kriminalisieren; denn in einer Gesellschaft des Überflus- auch um Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte zu ses muss es Straffreiheit für das sogenannte Containern schaffen. geben. (Beifall bei der SPD, der FDP und der LIN- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- KEN) NIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie uns, wenn es um die Abschaffung von Straf- Wir sind gleichfalls sehr darum bemüht, die Ersatz- tatbeständen geht, mit dem § 219a StGB beginnen, liebe freiheitsstrafe abzuschaffen. Unser Gesetzentwurf dazu Kolleginnen und Kollegen. sieht als Alternative die Verrichtung gemeinnütziger Ar- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18693

Friedrich Straetmanns (A) beit vor. Für alle diese Punkte, gerade aber den letzten, (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Gebt den (C) gilt: Hier werden hauptsächlich ökonomisch schlechter- Hanf frei!) gestellte Menschen zum Ziel der Strafverfolgung. Die Tatbestände sind insoweit für meine Fraktion und mich für die Beschränkung des Strafrechts auf das Wesentliche Ausdruck von Klassenjustiz und gehören abgeschafft. und die Entlastung der Justiz: Die grüne Fraktion hat einen Gesetzentwurf erarbeitet, mit dem das Fahren ohne (Beifall bei der LINKEN – Carsten Müller Fahrschein, das sogenannte Schwarzfahren, von einer [Braunschweig] [CDU/CSU]: Oh Gott! Wer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird. hat Ihnen das aufgeschrieben?) Von der Koalition wurde das bislang noch nicht unter- stützt. Eine grundlegende Überarbeitung des § 211 Strafge- setzbuch – das ist der sogenannte Mordparagraf – halten (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Zu Recht!) wir ebenfalls für dringend angebracht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihr Vor- (Beatrix von Storch [AfD]: Die Erschießung schlag, eine Expertengruppe zur Strafrechtsreform einzu- von Reichen soll zulässig sein, oder was?) setzen, ist allerdings kaum hilfreich, eher etwas hilflos. Eine Kommission könnte hierbei durchaus hilfreich sein. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ihr seid Ich plädiere jedoch für eine politische Kommission, da nicht dabei!) dieses wichtige Thema auch politisch behandelt werden muss. Wir halten die Vorschläge des Deutschen Anwalt- Beim Bundesjustizministerium liegen unaufgearbeitete vereins zur Frage des Mordparagrafen, die Mordmerkma- Berichte von Reformkommissionen auf Halde, etwa zu le mit den emotionalen und moralisch aufgeladenen den Tötungsdelikten, zur Strafprozessordnung oder zur Punkten zu streichen, für dringend diskussionswürdig Gesamtreform der Sexualdelikte. Da wäre eine weitere und würden uns freuen, hier mit Ihnen in eine intensive Expertengruppe eher eine Überforderung. Oder glauben Debatte einzutreten. Sie, dass wir zu dem Modernisierungsprojekt der audio- visuellen Dokumentation der Hauptverhandlung in dieser Vielen Dank. Legislaturperiode noch etwas Beschlussfähiges bekom- (Beifall bei der LINKEN) men? – Ja, genau, ich auch nicht. Was wir eher bräuchten, wäre eine Art Therapieplan Vizepräsidentin Claudia Roth: für die Strafrechtsmessies der Koalition. Vielen Dank, Friedrich Straetmanns. – Nächste Redne- rin in der Debatte: Canan Bayram für Bündnis 90/Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) Grünen. Ich hätte da als probates Therapeutikum gegen den grass- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ierenden Strafrechtspopulismus (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Hanf!) Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen einen Vorschlag, nämlich Thomas Fischers leicht ver- und Kollegen! Die Feststellungspunkte des Antrags der ständliches Buch „Über das Strafen“ an die Mitglieder FDP haben unsere volle Unterstützung, lieber Herr Kolle- der Koalitionsfraktionen als Pflichtlektüre über die Oster- ge Martens. Völlig richtig ist: Es fehlen vor allem eine ferien zu verteilen. Es kostet 22,99 Euro, als E-Buch Bestandsaufnahme und eine Wirkanalyse hinsichtlich der etwas weniger. Änderungen im Strafverfahren der letzten 15 Jahre. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Die vergangenen Wahlperioden waren geprägt von ei- Werbeblock?) ner ausufernden, überwiegend symbol- und klientelpoli- tisch motivierten Strafrechtsgesetzgebung. Zwar hatte Vielleicht sollten wir hier sammeln, um die notwendige sich die Koalition in ihrem Koalitionsvertrag endlich Grundausstattung für die Deckung der Kosten zusam- erstmals evidenzbasierte Kriminalpolitik als Ziel gesetzt, menzukriegen. aber Strafrecht ist für die Koalition weiter ein Allheil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mittel. Auf die tatsächliche Wirkung kommt es nicht an. Was vor allem zu interessieren scheint, ist die politische Verkaufbarkeit. Jüngste Beispiele dafür sind die Forde- Vizepräsidentin Claudia Roth: rung nach der Strafbarkeit der Verunglimpfung der euro- Vielen Dank, Frau Bayram. – Nächster Redner: für die päischen Hymne oder die Forderung, Alltagsäußerungen CDU/CSU-Fraktion Alexander Hoffmann. von Jugendlichen auf dem Schulhof, etwa „Ich knall dir gleiche eine!“, als Bedrohung einzustufen. Das schießt (Beifall bei der CDU/CSU) weit über unser gemeinsames Ziel der Bekämpfung von Hass und Hetze hinaus. Strafverfolger und Gerichte wer- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): den sich bedanken. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- nen und Kollegen! Ich will am Ende dieser Debatte ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) suchen, diese Debatte, die offensichtlich von Werbeblö- Als Beispiel für unser Anliegen einer rationalen und cken überfrachtet ist, Kollegin Bayram, und die an effektiven Kriminal- und Sanktionspolitik, mancher Stelle etwas ausufert, ein Stück weit zu ordnen. 18694 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

Alexander Hoffmann (A) Zunächst einmal, Kollege Fechner, wenn Sie den aber die in Bayern sind natürlich ganz besonders gut –, (C) § 219a StGB anbringen, dann – das muss ich Ihnen schon zum Beispiel „Schwitzen statt Sitzen“, wo man die Geld- sagen – erklären Sie doch mal bitte, wie wir der Recht- strafe abarbeiten kann. Der individualpräventive Charak- sprechung des Bundesverfassungsgerichts gerecht wer- ter ist an der Stelle gewahrt. den wollen, das zu Recht sagt: Ein Schwangerschaftsab- bruch ist kein medizinischer Eingriff wie jeder andere, Hier vielleicht ein Hinweis: Das Argument, wir müss- und ein Schwangerschaftsabbruch darf eben nicht kom- ten etwas entkriminalisieren, weil die Justiz ausgelastet merzialisiert werden. – Genau das hat sich doch in unse- sei und die JVAs voll seien, ist für mich wirklich – Ent- rer Reform niedergeschlagen. Lange waren wir uns einig, schuldigung – das allerletzte Argument. Das wäre keine und ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Kraft haben, zu Effizienzsteigerung, sondern die Kapitulation des dieser Einigkeit zu stehen. Rechtsstaats.

(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) Ein paar Sätze zu dem FDP-Antrag. Er enthält ja durchaus richtige Aspekte. Es ist richtig, dass es im StGB Ihr Antrag ist am Ende allein deswegen zu weit rei- veraltete Normen gibt, die man rausschmeißen kann. Es chend – auch das will ich Ihnen vor Augen führen –, weil ist auch richtig, dass das Strafrecht immer Ultima Ratio Sie schreiben, § 166 StGB – Strafbarkeit von Gottesläs- sein muss und dass ein Verhalten nur dann unter Strafe terung – sei altbacken. Sie nehmen den Begriff „Gottes- gestellt werden darf, wenn es dauerhaft und nachhaltig lästerung“. Ein Blick ins Gesetz hilft: Bis zur letzten Individualrechte oder die Rechte der Gesellschaft beein- Strafrechtsreform hieß der Paragraf noch so. „Gottesläs- trächtigt. Spätestens gemessen an diesem Aspekt muss terung“ klingt halt besonders altbacken. Die aktuelle Be- man sagen, dass Sie in Ihrem Antrag die völlig falschen zeichnung ist Schlüsse ziehen. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Der Kollege Müller hat es angesprochen: Sie wollen Beschimpfung!) den einfachen Diebstahl entkriminalisieren, zur Ord- nungswidrigkeit machen, genauso wie das Schwarzfah- „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesell- ren. Dazu muss man sagen: Man muss sich auch mit der schaften und Weltanschauungsvereinigungen“. Liebe Sozialverträglichkeit dieses Verhaltens beschäftigen. Na- Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich die Anzahl türlich, wenn ich den einzelnen Fall betrachte, dann kann der Strafverfahren anschauen, muss man ehrlicherweise ich sagen: Das ist ja kein Problem. – Aber de facto wird sagen: Gerade in der heutigen Zeit ist es richtig und das im Ergebnis dazu führen – das erkläre ich nachher wichtig, dass wir sehr genau ziselieren, wie man Glau- (B) noch –, dass die Anzahl der einfachen Ladendiebstähle bensrichtungen bezeichnen kann, wie man mit ihnen um- (D) und die Anzahl der Schwarzfahrten in dem Moment eher gehen kann. Im jüngsten Fall hat jemand den Islam als zunehmen, wo Sie das zur Ordnungswidrigkeit degradie- Krebsgeschwür der Gesellschaft bezeichnet. Und so was ren. Dann haben Sie das Problem, dass die Solidarge- wollen Sie als Ordnungswidrigkeit durchgehen lassen? meinschaft derjenigen, die den ÖPNV bezahlt nutzen, Ich glaube nicht, dass das dem gesellschaftlichen Frieden derjenigen, die im Laden Geld bezahlen, am Schluss auch förderlich ist. noch den Schaden bezahlen muss, den diese Massende- likte verursachen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Nein! Weniger Genauso, liebe Kolleginnen und Kollegen, verhält es Kaufhausdetektive im Einsatz!) sich beim § 167a StGB, Störung der Bestattungsfeier. Nur Diese Fälle sind heute schon Massendelikte. Deren weil eine Norm im Strafrecht selten zur Anwendung Anzahl würde steigen. Ich will Ihnen auch erklären, wa- kommt, kann ich doch nicht davon ausgehen, dass ich rum: weil diejenigen, die einfache Ladendiebstähle be- sie abschaffen kann. Entschuldigung, wer eine Bestat- gehen, und diejenigen, die schwarzfahren, in der Regel tungsfeier stört, Serientäter sind und in der Regel aus dem sozial schwa- chen Milieu kommen. (Dr. Jürgen Martens [FDP]: Der benimmt sich daneben!) (Dr. Jürgen Martens [FDP]: Nö!) der ist doch mindestens genauso schlimm, auch vom Un- Wenn Sie daraus eine Ordnungswidrigkeit machen, dann rechtsgehalt her, wie jemand, der jemand anders belei- wird es ein Bußgeld geben. Das Bußgeld ist am Ende des digt. Daraus können Sie doch nicht allen Ernstes eine Tages aber nicht beitreibungsfähig. De facto ist das dann Ordnungswidrigkeit machen. straflos. Wenn Sie es bei der Straftat belassen, dann haben Sie die Geldstrafe. Wenn die nicht beigetrieben werden (Dr. Jürgen Martens [FDP]: Doch! Klar!) kann, haben Sie die Ersatzfreiheitsstrafe. Deswegen geht Ihr Antrag vollkommen an der Sache (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Die wird nicht vorbei. vollstreckt, Herr Kollege!) Jetzt kann man natürlich sagen: Die JVAs sind ohnehin Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. voll. Da gibt es aber – kleiner Werbeblock für Bayern – ganz tolle Initiativen – auch in anderen Bundesländern, (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18695

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Hätten Sie vorgeschlagen, § 211 StGB anzugehen oder (C) Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Letzter Redner das Strafgesetzbuch von all den nationalsozialistischen in der Debatte: Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Frak- Ideologien, die noch darinstecken, zu entschlacken, hätte tion. ich gesagt: Okay, das können wir mitmachen. – Aber Sie haben Bereiche wie den Scheckkartenmissbrauch ange- (Beifall bei der SPD) sprochen; Sie meinen hier wahrscheinlich nicht § 266, sondern § 266b StGB. Dieser bezieht sich natürlich nicht Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): nur auf Scheckkarten, sondern auch auf die Nutzung mo- Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! derner Zahlungsmethoden wie Apple Pay. Den Miss- Als letzter Redner ist es manchmal schon fast müßig, brauch, der in diesem Zusammenhang entsteht, wollen über einen Antrag zu sprechen. Er hat eigentlich einen wir auf jeden Fall ahnden. guten Ansatz; es geht darum, unser Strafrecht, wie es sich derzeit darstellt, zu entschlacken. Lieber Kollege Und wir sind mit Sicherheit der Auffassung, dass die Martens, ich schätze Sie ausgesprochen; aber ich hätte Verschleppung in die DDR nicht mehr die oberste Prio- gedacht, wenn man schon einen Antrag auf Entschla- rität im Jahr 2020 hat; aber Verschleppungen nach China ckung des Strafrechts macht, dann macht man ihn ein beispielsweise haben eine Relevanz. Ich möchte nicht bisschen besser, insbesondere hinsichtlich der Beispiele. haben, dass jemand ungestraft im Tiergarten irgendje- manden abcatcht, der dann in Peking, im Unrechtsstaat, Sie unterstellen in diesem Antrag beispielsweise, dass wieder erscheint. durch eine Entschlackung und Überführung von Straf- tatbeständen in das Bußgeldverfahren eine große perso- Deshalb bitte ich darum, darüber nachzudenken, wie nelle Entlastung zum Tragen käme. Sie nennen auch wir seriöser, vernünftiger und vor allen Dingen besser PEBB§Y, das Personalerhebungsmodell, das in allen eine Überarbeitung und Entschlackung des Strafrechts 16 Bundesländern durchgeführt wird, und bitten um eine auf den Weg bringen. Ich glaube, wir sind dazu in der Auswertung. Sie würden feststellen, dass, wenn bei PEB- Lage. Dazu braucht es aber nicht den Antrag der FDP. B§Y auch das Personal des Innenministeriums, also die Polizeidienststellen, mit einbezogen würden, eine Verla- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gerung eines Straftatbestands in den Ordnungswidrigkei- der CDU/CSU) tenbereich nur ein ganz minimales Einsparpotenzial beim Personal hat; denn wenn der Tatbestand als solches ver- Vizepräsidentin Claudia Roth: werflich und ahndungsfähig ist, dann muss zuerst die Vielen Dank, Karl-Heinz Brunner. – Ich schließe die Polizei vor Ort ermitteln, ganz gleich, ob das eine OWI Aussprache und bedanke mich für eine vergnügliche hal- oder eine Straftat ist. Das gleiche Personal ist erforder- (B) be Stunde bei unseren Rechtsgelehrten und Rechtsgelehr- (D) lich, der gleiche Sachverhalt muss ermittelt werden, nur tinnen. die Rechtsfolge als solche ist eine andere. Und wir wis- sen, dass eine hohe Anzahl von Bußgeldverfahren – das Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf kann der Kollege aus Bayern bestätigen – bei den Staats- Drucksache 19/17485 an die in der Tagesordnung aufge- anwaltschaften und letztendlich bei den Gerichten lan- führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weil es keine wei- den, und zwar als Einspruch gegen den Bußgeldbescheid. teren Überweisungsvorschläge gibt, wird das genau so Auch das muss eingepreist werden. gemacht. Ich sage, viele der Beispiele, mit denen Sie ein Ent- Wir sind am Schluss unserer Tagesordnung angekom- schlacken des StGB fordern, sind ungeeignet; der Kolle- men. ge Fechner hat es richtigerweise gesagt. Wären wir an den § 219a StGB gegangen, hätte ich gesagt: Okay, darü- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- ber können wir debattieren; das ist ein vernünftiger Vor- tages auf morgen, Freitag, den 6. März 2020, 9 Uhr, ein. schlag. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend. Die (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Dann gibt es Sitzung ist geschlossen. den Antrag nächste Woche, Herr Kollege! Hört! Hört!) (Schluss: 21.50 Uhr)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18697

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Altenkamp, Norbert Maria CDU/CSU Post, Florian SPD Baumann, Dr. Bernd AfD Reinhold, Hagen FDP Chrupalla, Tino AfD Renner, Martin Erwin AfD Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU DIE GRÜNEN Schieder, Marianne SPD Dilcher, Esther SPD Schnieder, Patrick CDU/CSU Domscheit-Berg, Anke DIE LINKE Sichert, Martin AfD Ehrhorn, Thomas AfD Spaniel, Dr. Dirk AfD Fischer (Karlsruhe-Land), CDU/CSU Axel E. Thews, Michael SPD Franke, Dr. Edgar SPD Wagner, Andreas DIE LINKE Freihold, Brigitte DIE LINKE Warken, Nina CDU/CSU Grund, Manfred CDU/CSU Weinberg, Harald DIE LINKE Hampel, Armin-Paulus AfD Wellenreuther, Ingo CDU/CSU (B) Heil, Mechthild CDU/CSU Zimmermann, Pia DIE LINKE (D) Hocker, Dr. Gero Clemens FDP Irlstorfer, Erich CDU/CSU Jongen, Dr. Marc AfD Anlage 2

Jung, Ingmar CDU/CSU Technisch bedingter Neudruck Kamann, Uwe fraktionslos Erklärung nach § 31 GO Kruse, Rüdiger CDU/CSU der Abgeordneten Thomas Rachel, Stephan Albani, Norbert Maria Altenkamp, Norbert Barthle, Kuffer, Michael CDU/CSU Sybille Benning, Gitta Connemann, Dr. Maria Flachsbarth, Dr. Thomas Gebhart, Ursula Grod- Kühne, Dr. Roy CDU/CSU en-Kranich, Hermann Gröhe, Monika Grütters, Lamers, Dr. Dr. h. c. Karl A. CDU/CSU Thomas Heilmann, Rudolf Henke, Dr. , Volker Kauder, Dr. Stefan Linnemann, Dr. Carsten CDU/CSU Kaufmann, Roderich Kiesewetter, , Katharina Landgraf, Antje Lezius, Gisela Magnitz, Frank AfD Manderla, Matern von Marschall, Dr. Michael Meister, Karsten Möring, Elisabeth Motschmann, Mieruch, Mario fraktionslos Carsten Müller (Braunschweig), Dr. Andreas Nick, Möhring, Cornelia DIE LINKE , Wilfried Oellers, Ingrid Pahlmann, Lothar Riebsamen, Stefan Rouenhoff, Nadine Neu, Dr. Alexander S. DIE LINKE Schön, Felix Schreiner, Uwe Schummer, Johannes Selle, Peter Stein (Rostock), Dr. Peter Tauber, Neumann, Christoph AfD Marco Wanderwitz, Albert H. Weiler, Marcus Weinberg (Hamburg), Sabine Weiss (Wesel I), Paschke, Markus SPD Peter Weiß (Emmendingen), Kai Whittaker, Annette Widmann-Mauz, Bettina Margarethe Petry, Dr. Frauke fraktionslos Wiesmann, Elisabeth Winkelmeier-Becker, Oliver 18698 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Wittke und Dr. Matthias Zimmer (alle CDU/CSU) sorgung mit geschultem Personal umfassend unterstützt (C) zu der namentlichen Abstimmung über die Be- werden. Außerdem sollte eine europäische Aufnahme schlussempfehlung des Ausschusses für Inneres von Kindern und Jugendlichen aus den überfüllten grie- und Heimat zu dem Antrag der Abgeordneten chischen Flüchtlingslagern, gegebenenfalls mit einer Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, Claudia „Koalition der Willigen“, von EU-Mitgliedstaaten zur Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Entlastung Griechenlands ermöglicht werden. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Humanitä- res Aufnahmeprogramm für besonders schutzbe- Wir begrüßen, dass Innenminister Seehofer sich auf dürftige Asylsuchende aus Griechenland europäischer Ebene hochengagiert für einen Verteilungs- schlüssel einsetzt und auch bilaterale Gespräche mit Mit- (148. Sitzung, Anlage 4, Tagesordnungspunkt 31 b) gliedstaaten führt sowie weitere Gespräche im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft für eine Reform Die dramatische Lage gerade in den griechischen Hot- des europäischen Asylsystems angekündigt hat. spots lässt uns und kann uns alle nicht unberührt lassen. Besonders die jüngsten und schwächsten Personengrup- Trotz der oben dargestellten Übereinstimmungen kön- pen wie Frauen, Kinder und unbegleitete Jugendliche nen wir dem Antrag auf Drucksache 19/16838 sowie den sind in einer äußerst schwierigen Situation. Viele Kinder Schlussfolgerungen, unter anderem der Kritik an dem leiden unter Traumata aufgrund ihrer Kriegserfahrungen EU-Türkei-Abkommen, nicht zustimmen. Ohne EU-Tür- und den Zuständen in den Hotspots. Kinder haben keine kei-Abkommen würde sich die Situation der Flüchtlinge Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Es droht, dass eine nicht verbessern, sondern unter anderem dazu führen, ganze Generation ohne Perspektive und ausreichende dass sich wieder mehr Flüchtlinge in die Hände kriminel- Bildung heranwächst. ler Schlepperbanden begeben und die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer antreten. Die Europäische Union (EU) ist hier insgesamt gefor- dert, eine nachhaltige Lösung zu finden und die Regie- Der von den Grünen geforderte einseitige, nationale rung in Griechenland bei der Bewältigung der Heraus- Alleingang mit Übernahme von Kontingenten würde alle forderungen zu unterstützen. Gerade für unbegleitete europäischen Lösungen erschweren. Dies wäre deshalb minderjährige Flüchtlinge sollte zügig eine „Humanitäre der falsche Weg. Hilfe vor Ort in Griechenland“ sowie medizinische Ver-

Anlage 3 (B) (D) Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Stellvertreters des Präsidenten des Deut- schen Bundestages teilgenommen haben (2. Wahlgang) (Tagesordnungspunkt 12) Abgegebene Stimmkarten: 644 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Karsten Hilse 120 509 15 –

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

CDU/CSU Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Michael von Abercron Peter Beyer Dr. Thomas Gebhart Stephan Albani Marie-Luise Dött Philipp Amthor Hansjörg Durz Artur Auernhammer Hermann Färber Ursula Groden-Kranich Dorothee Bär Michael Brand (Fulda) Hermann Gröhe Thomas Bareiß Dr. Klaus-Dieter Gröhler Norbert Barthle Dr. Maria Flachsbarth Michael Grosse-Brömer Thorsten Frei Astrid Grotelüschen (Börde) Dr. Astrid Freudenstein Markus Grübel Veronika Bellmann Ralph Brinkhaus Dr. Hans-Peter Friedrich Sybille Benning Dr. (Hof) Monika Grütters Dr. André Berghegger Gitta Connemann Fritz Güntzler Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18699

(A) Gisela Manderla (Weil am (C) Dr. Rhein) Dr. Matthias Zimmer Florian Hahn Matern von Marschall SPD Jürgen Hardt Hans-Georg von der Niels Annen Marwitz Johannes Selle Ingrid Arndt-Brauer Dr. (Altötting) Dr. Thomas Heilmann Dr. Michael Meister Bernd Siebert Ulrike Bahr (Chemnitz) Mark Helfrich Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Björn Simon Rudolf Henke Michelbach Dr. Dr. Sören Bartol Dietrich Monstadt Bärbel Bas Karsten Möring Elisabeth Motschmann Dr. (Heidelberg) Axel Müller Dr. Dr. Sepp Müller Alexander Hoffmann Leni Breymaier Carsten Müller Peter Stein (Rostock) (Braunschweig) Dr. Karl-Heinz Brunner Hans-Jürgen Irmer Stefan Müller (Erlangen) Dr. Lars Castellucci Christian Frhr. von Stetten Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Dr. Anja Karliczek Wilfried Oellers Dr. Karamba Diaby Torbjörn Kartes Florian Oßner Sabine Dittmar Volker Kauder Dr. Dr. Stefan Kaufmann Josef Oster Saskia Esken Ronja Kemmer Dr. Peter Tauber Roderich Kiesewetter Ingrid Pahlmann Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Johannes Fechner Michael Kießling Hans-Jürgen Thies (B) Dr. (D) Dr. Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Axel Knoerig Stephan Pilsinger Jens Koeppen Dr. Christoph Ploß Dr. Volker Ullrich Carsten Körber Thomas Rachel Angelika Glöckner Alexander Krauß Timon Gremmels Gunther Krichbaum Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr. Günter Krings Alois Rainer Christoph de Vries Michael Groß Andreas G. Lämmel Dr. Katharina Landgraf Dr. Johann David Wadephul Rita Hagl-Kehl Ulrich Lange Lothar Riebsamen Marco Wanderwitz Dr. Silke Launert Johannes Röring Albert H. Weiler Dr. Norbert Röttgen Marcus Weinberg Gabriela Heinrich (Hamburg) Dr. Katja Leikert Stefan Rouenhoff Dr. Anja Weisgerber Dr. Andreas Lenz Erwin Rüddel Peter Weiß (Emmendingen) Antje Lezius Dr. Barbara Hendricks Sabine Weiss (Wesel I) Andrea Lindholz Stefan Sauer Dr. Wolfgang Schäuble Gabriele Hiller-Ohm Kai Whittaker Nikolas Löbel Annette Widmann-Mauz Bernhard Loos Tankred Schipanski Dr. Eva Högl Bettina Margarethe Dr. Jan-Marco Luczak Christian Schmidt (Fürth) Wiesmann Dr. Klaus-Peter Willsch Josip Juratovic Dr. Nadine Schön Elisabeth Winkelmeier- Karin Maag Felix Schreiner Becker Dr. Klaus-Peter Schulze Oliver Wittke Johannes Kahrs Dr. Thomas de Maizière Uwe Schummer Elisabeth Kaiser 18700 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) (Aachen) (C) (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Mariana Iris Harder-Kühnel FDP Johannes Schraps Dr. Roland Hartwig Grigorios Aggelidis Dr. Bärbel Kofler Martin Hebner Christine Aschenberg- Martin Schulz Udo Theodor Hemmelgarn Dugnus -Emre (Spandau) Frank Schwabe Martin Hess Christine Lambrecht Dr. Heiko Heßenkemper Dr. Jens Brandenburg Christian Lange (Backnang) Karsten Hilse (Rhein-Neckar) Dr. Rita Schwarzelühr-Sutter Nicole Höchst Mario Brandenburg (Südpfalz) Dr. Bruno Hollnagel Sandra Bubendorfer-Licht Kirsten Lühmann Martina Stamm-Fibich Leif-Erik Holm Dr. Marco Buschmann Sonja Amalie Steffen Carl-Julius Cronenberg Christoph Matschie Kerstin Tack Britta Katharina Dassler Bijan Djir-Sarai Dr. Markus Töns Norbert Kleinwächter Christian Dürr Carsten Träger Enrico Komning Susanne Mittag Jörn König Dr. Marcus Faber Marja-Liisa Völlers Steffen Kotré Daniel Föst Dirk Vöpel Dr. Rainer Kraft Siemtje Möller Bettina Müller Dr. Joe Weingarten Dr. Lothar Maier Detlef Müller (Chemnitz) Bernd Westphal Dr. Birgit Malsack- Winkemann Michelle Müntefering Katrin Helling-Plahr (B) Dr. Rolf Mützenich Gülistan Yüksel (D) Dagmar Ziegler Hansjörg Müller Ulli Nissen Volker Münz Manuel Höferlin Thomas Oppermann Dr. Jens Zimmermann Sebastian Münzenmaier Dr. Christoph Hoffmann Mahmut Özdemir Jan Ralf Nolte (Duisburg) AfD Ulrich Oehme Aydan Özoğuz Olaf In der Beek Christian Petry Frank Pasemann Gyde Jensen Peter Boehringer Tobias Matthias Peterka Dr. Paul Viktor Podolay (Minden) Jürgen Braun Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Marcus Bühl Stephan Protschka Matthias Büttner Martin Reichardt Pascal Kober Roman Johannes Reusch Dr. Lukas Köhler Sönke Rix Ulrike Schielke-Ziesing Wolfgang Kubicki Dr. Gottfried Curio Dr. Robby Schlund Konstantin Kuhle Dr. Jörg Schneider René Röspel Berengar Elsner von Alexander Graf Lambsdorff Dr. Gronow Thomas Seitz Michael Roth (Heringen) Dr. Susann Rüthrich Dr. Michael Georg Link Bernd Rützel Dietmar Friedhoff René Springer (Heilbronn) Dr. Beatrix von Storch Johann Saathoff Markus Frohnmaier Dr. Alice Weidel Axel Schäfer (Bochum) Dr. Götz Frömming Dr. Dr. Jürgen Martens Dr. Nina Scheer Dr. Alexander Gauland Albrecht Glaser Dr. Alexander Müller Dr. Christian Wirth Roman Müller-Böhm Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18701

(A) Frank Müller-Rosentritt Klaus Ernst Kathrin Vogler Markus Kurth (C) Dr. Martin Neumann Susanne Ferschl Monika Lazar (Lausitz) Sven Lehmann Nicole Gohlke Sabine Zimmermann Steffi Lemke Dr. Dr. (Zwickau) Dr. Dr. h. c. Thomas Dr. André Hahn Sattelberger Dr. Irene Mihalic Heike Hänsel BÜNDNIS 90/ Christian Sauter Claudia Müller Matthias Höhn DIE GRÜNEN Matthias Seestern-Pauly Beate Müller-Gemmeke Frank Sitta Luise Amtsberg Dr. Ingrid Nestle Ulla Jelpke Lisa Badum Dr. Konstantin von Notz Dr. Omid Nouripour Bettina Stark-Watzinger Dr. Dr. Marie-Agnes Strack- Dr. Danyal Bayaz Cem Özdemir Jan Korte Zimmermann Canan Bayram Jutta Krellmann Dr. Franziska Brantner Katja Suding Agnieszka Brugger Tabea Rößner Sabine Leidig Dr. Claudia Roth (Augsburg) Michael Theurer Ralph Lenkert Katja Dörner Corinna Rüffer Stephan Thomae Katharina Dröge Manuel Sarrazin Stefan Liebich Ulle Schauws Dr. Dr. Gesine Lötzsch Matthias Gastel Dr. Dr. Kai Gehring Stefan Schmidt Stefan Gelbhaar Johannes Vogel (Olpe) Charlotte Schneidewind- Katrin Göring-Eckardt Hartnagel Sandra Weeser Norbert Müller (Potsdam) Kordula Schulz-Asche Zaklin Nastic Anja Hajduk Katharina Willkomm Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Alexander S. Neu Britta Haßelmann Kuhn Dr. Bettina Hoffmann (B) DIE LINKE Petra Pau (D) Dr. Anton Hofreiter Sören Pellmann Ottmar von Holtz Jürgen Trittin Gökay Akbulut Dieter Janecek Dr. Julia Verlinden Tobias Pflüger Simone Barrientos Dr. Kirsten Kappert- Gonther Dr. Dietmar Bartsch Beate Walter-Rosenheimer Lorenz Gösta Beutin Uwe Kekeritz Matthias W. Birkwald Eva-Maria Schreiber Katja Keul -Förster Dr. Petra Sitte Sven-Christian Kindler Helin Maria Klein-Schmeink Fraktionslos Dr. Birke Bull-Bischoff Kersten Steinke Sylvia Kotting-Uhl Marco Bülow Jörg Cezanne Friedrich Straetmanns Oliver Krischer Sevim Dağdelen Dr. Stephan Kühn (Dresden) Lars Herrmann Jessica Tatti Christian Kühn (Tübingen) Dr. Alexander Ulrich Renate Künast

Anlage 4 Ergebnisse und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 13 a und b) Abgegebene Stimmkarten: 642 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Florian Oßner 528 76 37 1 Peter Boehringer 145 469 26 2

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich. 18702 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Abgegebene Stimmkarten: 642 (C) Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Dr. Birgit Malsack- 132 483 25 2 Winkemann

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

CDU/CSU Eckhard Gnodtke Katharina Landgraf Stephan Pilsinger Dr. Michael von Abercron Ursula Groden-Kranich Ulrich Lange Dr. Christoph Ploß Stephan Albani Hermann Gröhe Dr. Silke Launert Eckhard Pols Philipp Amthor Klaus-Dieter Gröhler Jens Lehmann Thomas Rachel Artur Auernhammer Michael Grosse-Brömer Paul Lehrieder Kerstin Radomski Peter Aumer Astrid Grotelüschen Dr. Katja Leikert Alexander Radwan Dorothee Bär Markus Grübel Dr. Andreas Lenz Alois Rainer Thomas Bareiß Oliver Grundmann Antje Lezius Dr. Peter Ramsauer Norbert Barthle Monika Grütters Andrea Lindholz Eckhardt Rehberg Maik Beermann Fritz Güntzler Patricia Lips Lothar Riebsamen Manfred Behrens (Börde) Olav Gutting Nikolas Löbel Josef Rief Veronika Bellmann Christian Haase Bernhard Loos Johannes Röring Sybille Benning Florian Hahn Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Norbert Röttgen Dr. André Berghegger Jürgen Hardt Daniela Ludwig Stefan Rouenhoff Melanie Bernstein Matthias Hauer Dr. Saskia Ludwig Erwin Rüddel Christoph Bernstiel Mark Hauptmann Karin Maag Albert Rupprecht Peter Beyer Dr. Matthias Heider Yvonne Magwas Stefan Sauer Marc Biadacz Thomas Heilmann Dr. Thomas de Maizière Dr. Wolfgang Schäuble Steffen Bilger Frank Heinrich (Chemnitz) Gisela Manderla Jana Schimke Peter Bleser Mark Helfrich Dr. Astrid Mannes Tankred Schipanski (B) Norbert Brackmann Rudolf Henke Matern von Marschall Christian Schmidt (Fürth) (D) Michael Brand (Fulda) Michael Hennrich Hans-Georg von der Dr. Claudia Schmidtke Dr. Reinhard Brandl Marc Henrichmann Marwitz Nadine Schön Silvia Breher Ansgar Heveling Andreas Mattfeldt Felix Schreiner Sebastian Brehm Christian Hirte Stephan Mayer (Altötting) Dr. Klaus-Peter Schulze Heike Brehmer Dr. Heribert Hirte Dr. Michael Meister Uwe Schummer Ralph Brinkhaus Alexander Hoffmann Jan Metzler Armin Schuster (Weil am Dr. Carsten Brodesser Karl Holmeier Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Rhein) Gitta Connemann Hans-Jürgen Irmer Michelbach Torsten Schweiger Astrid Damerow Thomas Jarzombek Dr. Mathias Middelberg Detlef Seif Alexander Dobrindt Andreas Jung Dietrich Monstadt Johannes Selle Michael Donth Alois Karl Karsten Möring Reinhold Sendker Marie-Luise Dött Anja Karliczek Elisabeth Motschmann Dr. Patrick Sensburg Hansjörg Durz Torbjörn Kartes Axel Müller Bernd Siebert Thomas Erndl Volker Kauder Sepp Müller Thomas Silberhorn Hermann Färber Dr. Stefan Kaufmann Carsten Müller Björn Simon (Braunschweig) Uwe Feiler Ronja Kemmer Tino Sorge Stefan Müller (Erlangen) Enak Ferlemann Roderich Kiesewetter Jens Spahn Petra Nicolaisen Dr. Maria Flachsbarth Michael Kießling Katrin Staffler Thorsten Frei Dr. Georg Kippels Michaela Noll Frank Steffel Dr. Astrid Freudenstein Volkmar Klein Dr. Georg Nüßlein Dr. Wolfgang Stefinger Dr. Hans-Peter Friedrich Axel Knoerig Wilfried Oellers Albert Stegemann (Hof) Jens Koeppen Florian Oßner Andreas Steier Michael Frieser Markus Koob Josef Oster Peter Stein (Rostock) Hans-Joachim Fuchtel Carsten Körber Henning Otte Sebastian Steineke Ingo Gädechens Alexander Krauß Ingrid Pahlmann Johannes Steiniger Dr. Thomas Gebhart Gunther Krichbaum Sylvia Pantel Christian Frhr. von Stetten Alois Gerig Dr. Günter Krings Martin Patzelt Dieter Stier Eberhard Gienger Andreas G. Lämmel Dr. Joachim Pfeiffer Gero Storjohann Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18703

(A) Stephan Stracke Dr. Daniela De Ridder Falko Mohrs Dirk Vöpel (C) Max Straubinger Dr. Karamba Diaby Claudia Moll Gabi Weber Karin Strenz Sabine Dittmar Siemtje Möller Dr. Joe Weingarten Dr. Peter Tauber Dr. Wiebke Esdar Bettina Müller Bernd Westphal Dr. Hermann-Josef Tebroke Saskia Esken Detlef Müller (Chemnitz) Dirk Wiese Hans-Jürgen Thies Yasmin Fahimi Michelle Müntefering Gülistan Yüksel Alexander Throm Dr. Johannes Fechner Dr. Rolf Mützenich Dagmar Ziegler Dr. Dietlind Tiemann Dr. Fritz Felgentreu Dietmar Nietan Stefan Zierke Antje Tillmann Ulrich Freese Ulli Nissen Dr. Jens Zimmermann Markus Uhl Dagmar Freitag Thomas Oppermann Dr. Volker Ullrich Michael Gerdes Josephine Ortleb AfD Arnold Vaatz Martin Gerster Mahmut Özdemir Marc Bernhard Kerstin Vieregge Angelika Glöckner (Duisburg) Andreas Bleck Volkmar Vogel (Kleinsaara) Timon Gremmels Aydan Özoğuz Peter Boehringer Christoph de Vries Kerstin Griese Christian Petry Stephan Brandner Kees de Vries Michael Groß Detlev Pilger Jürgen Braun Dr. Johann David Wadephul Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Marcus Bühl Marco Wanderwitz Rita Hagl-Kehl Achim Post (Minden) Matthias Büttner Kai Wegner Metin Hakverdi Florian Pronold Petr Bystron Albert H. Weiler Sebastian Hartmann Martin Rabanus Joana Cotar Marcus Weinberg Dirk Heidenblut Andreas Rimkus (Hamburg) Gabriela Heinrich Sönke Rix Dr. Gottfried Curio Dr. Anja Weisgerber Marcus Held Dennis Rohde Siegbert Droese Peter Weiß (Emmendingen) Wolfgang Hellmich Dr. Martin Rosemann Berengar Elsner von Gronow Sabine Weiss (Wesel I) Dr. Barbara Hendricks René Röspel Dr. Michael Espendiller Marian Wendt Gustav Herzog Dr. Ernst Dieter Rossmann Peter Felser Kai Whittaker Gabriele Hiller-Ohm Susann Rüthrich Dietmar Friedhoff Annette Widmann-Mauz Thomas Hitschler Bernd Rützel Sarah Ryglewski Dr. Anton Friesen (B) Bettina Margarethe Dr. Eva Högl (D) Wiesmann Frank Junge Johann Saathoff Markus Frohnmaier Klaus-Peter Willsch Josip Juratovic Axel Schäfer (Bochum) Dr. Götz Frömming Elisabeth Winkelmeier- Thomas Jurk Dr. Nina Scheer Dr. Alexander Gauland Becker Oliver Kaczmarek Udo Schiefner Albrecht Glaser Oliver Wittke Johannes Kahrs Uwe Schmidt Franziska Gminder Emmi Zeulner Elisabeth Kaiser Ulla Schmidt (Aachen) Wilhelm von Gottberg Paul Ziemiak Ralf Kapschack Dagmar Schmidt (Wetzlar) Kay Gottschalk Dr. Matthias Zimmer Gabriele Katzmarek Carsten Schneider (Erfurt) Mariana Iris Harder-Kühnel Cansel Kiziltepe Johannes Schraps Dr. Roland Hartwig SPD Arno Klare Michael Schrodi Jochen Haug Niels Annen Lars Klingbeil Ursula Schulte Martin Hebner Ingrid Arndt-Brauer Dr. Bärbel Kofler Martin Schulz Udo Theodor Hemmelgarn Bela Bach Daniela Kolbe Swen Schulz (Spandau) Waldemar Herdt Heike Baehrens Elvan Korkmaz-Emre Frank Schwabe Martin Hess Ulrike Bahr Anette Kramme Stefan Schwartze Dr. Heiko Heßenkemper Nezahat Baradari Christine Lambrecht Andreas Schwarz Karsten Hilse Doris Barnett Christian Lange (Backnang) Rita Schwarzelühr-Sutter Nicole Höchst Dr. Matthias Bartke Dr. Karl Lauterbach Rainer Spiering Martin Hohmann Sören Bartol Sylvia Lehmann Svenja Stadler Dr. Bruno Hollnagel Bärbel Bas Helge Lindh Martina Stamm-Fibich Leif-Erik Holm Lothar Binding Kirsten Lühmann Sonja Amalie Steffen Johannes Huber (Heidelberg) Caren Marks Mathias Stein Fabian Jacobi Dr. Eberhard Brecht Katja Mast Kerstin Tack Jens Kestner Leni Breymaier Christoph Matschie Claudia Tausend Stefan Keuter Dr. Karl-Heinz Brunner Hilde Mattheis Markus Töns Norbert Kleinwächter Katrin Budde Dr. Matthias Miersch Carsten Träger Enrico Komning Dr. Lars Castellucci Klaus Mindrup Ute Vogt Jörn König Bernhard Daldrup Susanne Mittag Marja-Liisa Völlers Steffen Kotré 18704 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Dr. Rainer Kraft Otto Fricke Johannes Vogel (Olpe) Kersten Steinke (C) Jens Maier Thomas Hacker Sandra Weeser Friedrich Straetmanns Dr. Lothar Maier Reginald Hanke Nicole Westig Dr. Kirsten Tackmann Dr. Birgit Malsack- Peter Heidt Katharina Willkomm Jessica Tatti Winkemann Katrin Helling-Plahr Alexander Ulrich Corinna Miazga Markus Herbrand DIE LINKE Kathrin Vogler Andreas Mrosek Torsten Herbst Katrin Werner Doris Achelwilm Hansjörg Müller Katja Hessel Hubertus Zdebel Gökay Akbulut Volker Münz Manuel Höferlin Sabine Zimmermann Simone Barrientos Sebastian Münzenmaier Dr. Christoph Hoffmann (Zwickau) Dr. Dietmar Bartsch Jan Ralf Nolte Reinhard Houben Lorenz Gösta Beutin Ulrich Oehme Ulla Ihnen BÜNDNIS 90/ Matthias W. Birkwald Gerold Otten Olaf In der Beek DIE GRÜNEN Heidrun Bluhm-Förster Frank Pasemann Gyde Jensen Luise Amtsberg Christine Buchholz Tobias Matthias Peterka Dr. Christian Jung Lisa Badum Dr. Birke Bull-Bischoff Paul Viktor Podolay Karsten Klein Annalena Baerbock Jörg Cezanne Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Margarete Bause Sevim Dağdelen Stephan Protschka Daniela Kluckert Dr. Danyal Bayaz Fabio De Masi Martin Reichardt Pascal Kober Canan Bayram Dr. Diether Dehm Roman Johannes Reusch Dr. Lukas Köhler Dr. Franziska Brantner Klaus Ernst Ulrike Schielke-Ziesing Wolfgang Kubicki Agnieszka Brugger Susanne Ferschl Dr. Robby Schlund Konstantin Kuhle Dr. Anna Christmann Sylvia Gabelmann Jörg Schneider Alexander Kulitz Katja Dörner Nicole Gohlke Uwe Schulz Alexander Graf Lambsdorff Katharina Dröge Dr. Gregor Gysi Thomas Seitz Ulrich Lechte Harald Ebner Dr. André Hahn Detlev Spangenberg Christian Lindner Matthias Gastel Heike Hänsel Dr. Dirk Spaniel Michael Georg Link Kai Gehring (Heilbronn) Matthias Höhn René Springer Stefan Gelbhaar Oliver Luksic Andrej Hunko (B) Beatrix von Storch Katrin Göring-Eckardt (D) Till Mansmann Ulla Jelpke Dr. Alice Weidel Erhard Grundl Dr. Jürgen Martens Kerstin Kassner Dr. Harald Weyel Anja Hajduk Christoph Meyer Dr. Achim Kessler Wolfgang Wiehle Britta Haßelmann Alexander Müller Katja Kipping Dr. Heiko Wildberg Dr. Bettina Hoffmann Roman Müller-Böhm Jan Korte Dr. Christian Wirth Dr. Anton Hofreiter Frank Müller-Rosentritt Jutta Krellmann Uwe Witt Ottmar von Holtz Dr. Martin Neumann Caren Lay Dieter Janecek (Lausitz) Sabine Leidig FDP Bernd Reuther Dr. Kirsten Kappert- Ralph Lenkert Gonther Grigorios Aggelidis Dr. Stefan Ruppert Michael Leutert Uwe Kekeritz Renata Alt Dr. h. c. Thomas Stefan Liebich Sattelberger Katja Keul Christine Aschenberg- Dr. Gesine Lötzsch Dugnus Christian Sauter Sven-Christian Kindler Thomas Lutze Nicole Bauer Matthias Seestern-Pauly Sylvia Kotting-Uhl Pascal Meiser Jens Beeck Frank Sitta Oliver Krischer Niema Movassat Dr. Jens Brandenburg Judith Skudelny Stephan Kühn (Dresden) (Rhein-Neckar) Dr. Hermann Otto Solms Norbert Müller (Potsdam) Christian Kühn (Tübingen) Mario Brandenburg Bettina Stark-Watzinger Zaklin Nastic Renate Künast (Südpfalz) Dr. Marie-Agnes Strack- Dr. Alexander S. Neu Markus Kurth Sandra Bubendorfer-Licht Zimmermann Thomas Nord Monika Lazar Dr. Marco Buschmann Benjamin Strasser Petra Pau Sven Lehmann Karlheinz Busen Katja Suding Sören Pellmann Steffi Lemke Carl-Julius Cronenberg Linda Teuteberg Victor Perli Dr. Tobias Lindner Britta Katharina Dassler Michael Theurer Tobias Pflüger Dr. Irene Mihalic Bijan Djir-Sarai Stephan Thomae Martina Renner Claudia Müller Christian Dürr Manfred Todtenhausen Bernd Riexinger Beate Müller-Gemmeke Hartmut Ebbing Dr. Florian Toncar Eva-Maria Schreiber Dr. Ingrid Nestle Dr. Marcus Faber Dr. Andrew Ullmann Dr. Petra Sitte Dr. Konstantin von Notz Daniel Föst Gerald Ullrich Helin Evrim Sommer Omid Nouripour Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18705

(A) Friedrich Ostendorff Ulle Schauws Margit Stumpp Fraktionslos (C) Cem Özdemir Dr. Frithjof Schmidt Markus Tressel Marco Bülow Lisa Paus Stefan Schmidt Jürgen Trittin Filiz Polat Charlotte Schneidewind- Dr. Julia Verlinden Verena Hartmann Tabea Rößner Hartnagel Daniela Wagner Claudia Roth (Augsburg) Kordula Schulz-Asche Lars Herrmann Beate Walter-Rosenheimer Corinna Rüffer Dr. Wolfgang Strengmann- Manuel Sarrazin Kuhn Gerhard Zickenheiner

Anlage 5

Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 13 c und d) Abgegebene Stimmkarten: 637 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Florian Oßner 537 61 35 4 Albrecht Glaser 124 492 19 2 Volker Münz 141 470 19 2

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

CDU/CSU Alexander Dobrindt Christian Haase Axel Knoerig Dr. Michael von Abercron Michael Donth Florian Hahn Jens Koeppen (B) (D) Stephan Albani Marie-Luise Dött Jürgen Hardt Markus Koob Philipp Amthor Hansjörg Durz Matthias Hauer Carsten Körber Artur Auernhammer Thomas Erndl Mark Hauptmann Alexander Krauß Peter Aumer Hermann Färber Dr. Matthias Heider Gunther Krichbaum Dorothee Bär Uwe Feiler Thomas Heilmann Dr. Günter Krings Thomas Bareiß Enak Ferlemann Frank Heinrich (Chemnitz) Andreas G. Lämmel Norbert Barthle Dr. Maria Flachsbarth Mark Helfrich Katharina Landgraf Maik Beermann Thorsten Frei Rudolf Henke Ulrich Lange Manfred Behrens (Börde) Dr. Astrid Freudenstein Michael Hennrich Dr. Silke Launert Marc Henrichmann Veronika Bellmann Dr. Hans-Peter Friedrich Jens Lehmann (Hof) Ansgar Heveling Sybille Benning Paul Lehrieder Michael Frieser Christian Hirte Dr. André Berghegger Dr. Katja Leikert Hans-Joachim Fuchtel Dr. Heribert Hirte Melanie Bernstein Dr. Andreas Lenz Ingo Gädechens Alexander Hoffmann Christoph Bernstiel Antje Lezius Peter Beyer Dr. Thomas Gebhart Karl Holmeier Andrea Lindholz Marc Biadacz Alois Gerig Hans-Jürgen Irmer Patricia Lips Steffen Bilger Eberhard Gienger Thomas Jarzombek Nikolas Löbel Peter Bleser Eckhard Gnodtke Andreas Jung Bernhard Loos Norbert Brackmann Ursula Groden-Kranich Alois Karl Dr. Jan-Marco Luczak Michael Brand (Fulda) Hermann Gröhe Anja Karliczek Dr. Reinhard Brandl Klaus-Dieter Gröhler Torbjörn Kartes Daniela Ludwig Silvia Breher Michael Grosse-Brömer Volker Kauder Dr. Saskia Ludwig Sebastian Brehm Astrid Grotelüschen Dr. Stefan Kaufmann Karin Maag Heike Brehmer Markus Grübel Ronja Kemmer Yvonne Magwas Ralph Brinkhaus Oliver Grundmann Roderich Kiesewetter Dr. Thomas de Maizière Dr. Carsten Brodesser Monika Grütters Michael Kießling Gisela Manderla Gitta Connemann Fritz Güntzler Dr. Georg Kippels Dr. Astrid Mannes Astrid Damerow Olav Gutting Volkmar Klein Matern von Marschall 18706 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Hans-Georg von der Johannes Selle SPD Arno Klare (C) Marwitz Reinhold Sendker Niels Annen Lars Klingbeil Andreas Mattfeldt Dr. Patrick Sensburg Ingrid Arndt-Brauer Dr. Bärbel Kofler Stephan Mayer (Altötting) Bernd Siebert Bela Bach Daniela Kolbe Dr. Michael Meister Thomas Silberhorn Heike Baehrens Elvan Korkmaz-Emre Jan Metzler Björn Simon Ulrike Bahr Anette Kramme Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Christine Lambrecht Michelbach Tino Sorge Nezahat Baradari Christian Lange (Backnang) Dr. Mathias Middelberg Jens Spahn Doris Barnett Dr. Karl Lauterbach Dietrich Monstadt Katrin Staffler Dr. Matthias Bartke Sylvia Lehmann Karsten Möring Frank Steffel Sören Bartol Helge Lindh Elisabeth Motschmann Dr. Wolfgang Stefinger Bärbel Bas Kirsten Lühmann Axel Müller Albert Stegemann Lothar Binding (Heidelberg) Caren Marks Sepp Müller Andreas Steier Dr. Eberhard Brecht Katja Mast Carsten Müller Peter Stein (Rostock) Leni Breymaier Christoph Matschie (Braunschweig) Sebastian Steineke Dr. Karl-Heinz Brunner Hilde Mattheis Stefan Müller (Erlangen) Johannes Steiniger Katrin Budde Dr. Matthias Miersch Petra Nicolaisen Christian Frhr. von Stetten Dr. Lars Castellucci Klaus Mindrup Michaela Noll Dieter Stier Bernhard Daldrup Susanne Mittag Dr. Georg Nüßlein Gero Storjohann Dr. Daniela De Ridder Falko Mohrs Wilfried Oellers Stephan Stracke Dr. Karamba Diaby Claudia Moll Florian Oßner Max Straubinger Sabine Dittmar Siemtje Möller Josef Oster Karin Strenz Henning Otte Dr. Wiebke Esdar Bettina Müller Dr. Peter Tauber Ingrid Pahlmann Saskia Esken Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Hermann-Josef Tebroke Sylvia Pantel Yasmin Fahimi Michelle Müntefering Hans-Jürgen Thies Martin Patzelt Dr. Johannes Fechner Dr. Rolf Mützenich Alexander Throm Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Fritz Felgentreu Dietmar Nietan Dr. Dietlind Tiemann Stephan Pilsinger Ulrich Freese Ulli Nissen Antje Tillmann (B) Dr. Christoph Ploß Dagmar Freitag Thomas Oppermann (D) Eckhard Pols Markus Uhl Michael Gerdes Josephine Ortleb Thomas Rachel Dr. Volker Ullrich Martin Gerster Mahmut Özdemir Kerstin Radomski Arnold Vaatz Angelika Glöckner (Duisburg) Alexander Radwan Kerstin Vieregge Timon Gremmels Aydan Özoğuz Alois Rainer Volkmar Vogel (Kleinsaara) Kerstin Griese Christian Petry Dr. Peter Ramsauer Christoph de Vries Michael Groß Detlev Pilger Eckhardt Rehberg Kees de Vries Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Lothar Riebsamen Dr. Johann David Wadephul Rita Hagl-Kehl Achim Post (Minden) Josef Rief Marco Wanderwitz Metin Hakverdi Florian Pronold Johannes Röring Kai Wegner Sebastian Hartmann Martin Rabanus Dr. Norbert Röttgen Albert H. Weiler Dirk Heidenblut Andreas Rimkus Stefan Rouenhoff Marcus Weinberg Gabriela Heinrich Sönke Rix Erwin Rüddel (Hamburg) Marcus Held Dennis Rohde Albert Rupprecht Dr. Anja Weisgerber Wolfgang Hellmich Dr. Martin Rosemann Stefan Sauer Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Barbara Hendricks René Röspel Dr. Wolfgang Schäuble Sabine Weiss (Wesel I) Gustav Herzog Dr. Ernst Dieter Rossmann Jana Schimke Marian Wendt Gabriele Hiller-Ohm Susann Rüthrich Tankred Schipanski Kai Whittaker Thomas Hitschler Bernd Rützel Christian Schmidt (Fürth) Annette Widmann-Mauz Dr. Eva Högl Sarah Ryglewski Dr. Claudia Schmidtke Bettina Margarethe Frank Junge Johann Saathoff Nadine Schön Wiesmann Josip Juratovic Axel Schäfer (Bochum) Felix Schreiner Klaus-Peter Willsch Thomas Jurk Dr. Nina Scheer Dr. Klaus-Peter Schulze Elisabeth Winkelmeier- Oliver Kaczmarek Udo Schiefner Uwe Schummer Becker Johannes Kahrs Uwe Schmidt Armin Schuster (Weil am Oliver Wittke Elisabeth Kaiser Ulla Schmidt (Aachen) Rhein) Emmi Zeulner Ralf Kapschack Dagmar Schmidt (Wetzlar) Torsten Schweiger Paul Ziemiak Gabriele Katzmarek Carsten Schneider (Erfurt) Detlef Seif Dr. Matthias Zimmer Cansel Kiziltepe Michael Schrodi Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18707

(A) Ursula Schulte Udo Theodor Hemmelgarn Jens Beeck Frank Sitta (C) Martin Schulz Waldemar Herdt Dr. Jens Brandenburg Judith Skudelny Swen Schulz (Spandau) Martin Hess (Rhein-Neckar) Dr. Hermann Otto Solms Frank Schwabe Dr. Heiko Heßenkemper Mario Brandenburg Bettina Stark-Watzinger (Südpfalz) Stefan Schwartze Karsten Hilse Dr. Marie-Agnes Strack- Sandra Bubendorfer-Licht Andreas Schwarz Nicole Höchst Zimmermann Dr. Marco Buschmann Rita Schwarzelühr-Sutter Martin Hohmann Benjamin Strasser Karlheinz Busen Rainer Spiering Dr. Bruno Hollnagel Katja Suding Carl-Julius Cronenberg Svenja Stadler Leif-Erik Holm Linda Teuteberg Britta Katharina Dassler Sonja Amalie Steffen Johannes Huber Michael Theurer Bijan Djir-Sarai Mathias Stein Fabian Jacobi Stephan Thomae Christian Dürr Kerstin Tack Jens Kestner Manfred Todtenhausen Hartmut Ebbing Claudia Tausend Stefan Keuter Dr. Florian Toncar Dr. Marcus Faber Markus Töns Norbert Kleinwächter Dr. Andrew Ullmann Daniel Föst Jörn König Gerald Ullrich Carsten Träger Otto Fricke Steffen Kotré Johannes Vogel (Olpe) Ute Vogt Thomas Hacker Dr. Rainer Kraft Sandra Weeser Marja-Liisa Völlers Reginald Hanke Jens Maier Nicole Westig Dirk Vöpel Peter Heidt Dr. Lothar Maier Katharina Willkomm Gabi Weber Katrin Helling-Plahr Dr. Joe Weingarten Dr. Birgit Malsack- Winkemann Markus Herbrand Bernd Westphal DIE LINKE Corinna Miazga Torsten Herbst Dirk Wiese Andreas Mrosek Katja Hessel Doris Achelwilm Gülistan Yüksel Hansjörg Müller Manuel Höferlin Gökay Akbulut Dagmar Ziegler Volker Münz Dr. Christoph Hoffmann Simone Barrientos Stefan Zierke Sebastian Münzenmaier Reinhard Houben Dr. Dietmar Bartsch Dr. Jens Zimmermann Ulrich Oehme Ulla Ihnen Lorenz Gösta Beutin Gerold Otten Olaf In der Beek Matthias W. Birkwald AfD Frank Pasemann Gyde Jensen Heidrun Bluhm-Förster (B) (D) Marc Bernhard Tobias Matthias Peterka Dr. Christian Jung Christine Buchholz Andreas Bleck Paul Viktor Podolay Karsten Klein Dr. Birke Bull-Bischoff Peter Boehringer Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Jörg Cezanne Stephan Brandner Stephan Protschka Daniela Kluckert Sevim Dağdelen Jürgen Braun Martin Reichardt Pascal Kober Fabio De Masi Marcus Bühl Roman Johannes Reusch Dr. Lukas Köhler Dr. Diether Dehm Matthias Büttner Ulrike Schielke-Ziesing Wolfgang Kubicki Klaus Ernst Petr Bystron Dr. Robby Schlund Konstantin Kuhle Susanne Ferschl Joana Cotar Jörg Schneider Alexander Kulitz Sylvia Gabelmann Dr. Gottfried Curio Uwe Schulz Alexander Graf Lambsdorff Nicole Gohlke Siegbert Droese Thomas Seitz Ulrich Lechte Dr. Gregor Gysi Berengar Elsner von Detlev Spangenberg Christian Lindner Dr. André Hahn Gronow Dr. Dirk Spaniel Michael Georg Link Heike Hänsel Dr. Michael Espendiller René Springer (Heilbronn) Matthias Höhn Oliver Luksic Peter Felser Beatrix von Storch Andrej Hunko Till Mansmann Dietmar Friedhoff Dr. Alice Weidel Ulla Jelpke Dr. Jürgen Martens Dr. Anton Friesen Dr. Harald Weyel Kerstin Kassner Christoph Meyer Markus Frohnmaier Wolfgang Wiehle Dr. Achim Kessler Alexander Müller Dr. Götz Frömming Dr. Heiko Wildberg Katja Kipping Roman Müller-Böhm Dr. Alexander Gauland Dr. Christian Wirth Jan Korte Frank Müller-Rosentritt Albrecht Glaser Uwe Witt Jutta Krellmann Dr. Martin Neumann Franziska Gminder (Lausitz) Caren Lay Wilhelm von Gottberg FDP Bernd Reuther Sabine Leidig Kay Gottschalk Grigorios Aggelidis Dr. Stefan Ruppert Ralph Lenkert Mariana Iris Harder-Kühnel Renata Alt Dr. h. c. Thomas Michael Leutert Dr. Roland Hartwig Christine Aschenberg- Sattelberger Stefan Liebich Jochen Haug Dugnus Christian Sauter Dr. Gesine Lötzsch Martin Hebner Nicole Bauer Matthias Seestern-Pauly Thomas Lutze 18708 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Pascal Meiser BÜNDNIS 90/ Uwe Kekeritz Manuel Sarrazin (C) Niema Movassat DIE GRÜNEN Katja Keul Ulle Schauws Norbert Müller (Potsdam) Luise Amtsberg Sven-Christian Kindler Dr. Frithjof Schmidt Zaklin Nastic Lisa Badum Sylvia Kotting-Uhl Stefan Schmidt Dr. Alexander S. Neu Annalena Baerbock Oliver Krischer Thomas Nord Margarete Bause Stephan Kühn (Dresden) Charlotte Schneidewind- Hartnagel Petra Pau Dr. Danyal Bayaz Christian Kühn (Tübingen) Canan Bayram Renate Künast Sören Pellmann Kordula Schulz-Asche Dr. Franziska Brantner Markus Kurth Victor Perli Dr. Wolfgang Strengmann- Agnieszka Brugger Monika Lazar Kuhn Tobias Pflüger Dr. Anna Christmann Sven Lehmann Martina Renner Margit Stumpp Katja Dörner Steffi Lemke Bernd Riexinger Katharina Dröge Dr. Tobias Lindner Markus Tressel Eva-Maria Schreiber Harald Ebner Dr. Irene Mihalic Jürgen Trittin Dr. Petra Sitte Matthias Gastel Claudia Müller Dr. Julia Verlinden Kai Gehring Helin Evrim Sommer Beate Müller-Gemmeke Stefan Gelbhaar Daniela Wagner Kersten Steinke Dr. Ingrid Nestle Katrin Göring-Eckardt Friedrich Straetmanns Dr. Konstantin von Notz Beate Walter-Rosenheimer Erhard Grundl Dr. Kirsten Tackmann Omid Nouripour Gerhard Zickenheiner Anja Hajduk Jessica Tatti Friedrich Ostendorff Britta Haßelmann Cem Özdemir Alexander Ulrich Dr. Bettina Hoffmann Fraktionslos Kathrin Vogler Dr. Anton Hofreiter Lisa Paus Marco Bülow Katrin Werner Ottmar von Holtz Filiz Polat Hubertus Zdebel Dieter Janecek Tabea Rößner Verena Hartmann Sabine Zimmermann Dr. Kirsten Kappert- Claudia Roth (Augsburg) (Zwickau) Gonther Corinna Rüffer

(B) Anlage 6 (D)

Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 13 e) Abgegebene Stimmkarten: 639 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Marcus Bühl 129 491 19 –

* Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

CDU/CSU Melanie Bernstein Gitta Connemann Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Dr. Michael von Abercron Christoph Bernstiel Astrid Damerow Michael Frieser Stephan Albani Peter Beyer Alexander Dobrindt Hans-Joachim Fuchtel Philipp Amthor Marc Biadacz Michael Donth Ingo Gädechens Artur Auernhammer Steffen Bilger Marie-Luise Dött Peter Bleser Dr. Thomas Gebhart Peter Aumer Hansjörg Durz Norbert Brackmann Alois Gerig Dorothee Bär Thomas Erndl Thomas Bareiß Michael Brand (Fulda) Eberhard Gienger Hermann Färber Norbert Barthle Dr. Reinhard Brandl Eckhard Gnodtke Uwe Feiler Maik Beermann Silvia Breher Ursula Groden-Kranich Manfred Behrens (Börde) Sebastian Brehm Enak Ferlemann Hermann Gröhe Veronika Bellmann Heike Brehmer Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Dieter Gröhler Sybille Benning Ralph Brinkhaus Thorsten Frei Michael Grosse-Brömer Dr. André Berghegger Dr. Carsten Brodesser Dr. Astrid Freudenstein Astrid Grotelüschen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18709

(A) Markus Grübel Dr. Saskia Ludwig Nadine Schön Klaus-Peter Willsch (C) Oliver Grundmann Karin Maag Felix Schreiner Elisabeth Winkelmeier- Monika Grütters Yvonne Magwas Dr. Klaus-Peter Schulze Becker Fritz Güntzler Dr. Thomas de Maizière Uwe Schummer Oliver Wittke Olav Gutting Gisela Manderla Armin Schuster (Weil am Emmi Zeulner Christian Haase Dr. Astrid Mannes Rhein) Paul Ziemiak Florian Hahn Matern von Marschall Torsten Schweiger Dr. Matthias Zimmer Jürgen Hardt Hans-Georg von der Detlef Seif Matthias Hauer Marwitz Johannes Selle SPD Mark Hauptmann Andreas Mattfeldt Reinhold Sendker Niels Annen Dr. Matthias Heider Stephan Mayer (Altötting) Dr. Patrick Sensburg Ingrid Arndt-Brauer Thomas Heilmann Dr. Michael Meister Bernd Siebert Bela Bach Frank Heinrich (Chemnitz) Jan Metzler Thomas Silberhorn Heike Baehrens Mark Helfrich Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Björn Simon Ulrike Bahr Michelbach Rudolf Henke Tino Sorge Nezahat Baradari Dr. Mathias Middelberg Michael Hennrich Jens Spahn Doris Barnett Dietrich Monstadt Marc Henrichmann Katrin Staffler Dr. Matthias Bartke Karsten Möring Ansgar Heveling Frank Steffel Sören Bartol Elisabeth Motschmann Christian Hirte Dr. Wolfgang Stefinger Bärbel Bas Axel Müller Dr. Heribert Hirte Albert Stegemann Lothar Binding Alexander Hoffmann Sepp Müller Andreas Steier (Heidelberg) Karl Holmeier Carsten Müller Peter Stein (Rostock) Dr. Eberhard Brecht (Braunschweig) Hans-Jürgen Irmer Sebastian Steineke Leni Breymaier Stefan Müller (Erlangen) Thomas Jarzombek Johannes Steiniger Dr. Karl-Heinz Brunner Petra Nicolaisen Andreas Jung Christian Frhr. von Stetten Katrin Budde Michaela Noll Alois Karl Dieter Stier Dr. Lars Castellucci Dr. Georg Nüßlein Anja Karliczek Gero Storjohann Bernhard Daldrup Wilfried Oellers Torbjörn Kartes Stephan Stracke Dr. Daniela De Ridder Florian Oßner Volker Kauder Max Straubinger Dr. Karamba Diaby (B) Josef Oster (D) Dr. Stefan Kaufmann Karin Strenz Sabine Dittmar Henning Otte Ronja Kemmer Dr. Peter Tauber Dr. Wiebke Esdar Ingrid Pahlmann Roderich Kiesewetter Dr. Hermann-Josef Tebroke Saskia Esken Sylvia Pantel Michael Kießling Hans-Jürgen Thies Yasmin Fahimi Martin Patzelt Dr. Georg Kippels Alexander Throm Dr. Johannes Fechner Dr. Joachim Pfeiffer Volkmar Klein Dr. Dietlind Tiemann Dr. Fritz Felgentreu Stephan Pilsinger Axel Knoerig Antje Tillmann Ulrich Freese Dr. Christoph Ploß Jens Koeppen Markus Uhl Dagmar Freitag Eckhard Pols Markus Koob Dr. Volker Ullrich Michael Gerdes Thomas Rachel Carsten Körber Arnold Vaatz Martin Gerster Kerstin Radomski Alexander Krauß Kerstin Vieregge Angelika Glöckner Alexander Radwan Gunther Krichbaum Volkmar Vogel (Kleinsaara) Timon Gremmels Alois Rainer Dr. Günter Krings Christoph de Vries Kerstin Griese Dr. Peter Ramsauer Andreas G. Lämmel Kees de Vries Michael Groß Eckhardt Rehberg Katharina Landgraf Dr. Johann David Wadephul Bettina Hagedorn Lothar Riebsamen Ulrich Lange Marco Wanderwitz Rita Hagl-Kehl Josef Rief Dr. Silke Launert Kai Wegner Metin Hakverdi Johannes Röring Jens Lehmann Albert H. Weiler Sebastian Hartmann Dr. Norbert Röttgen Paul Lehrieder Marcus Weinberg Dirk Heidenblut Dr. Katja Leikert Stefan Rouenhoff (Hamburg) Gabriela Heinrich Dr. Andreas Lenz Erwin Rüddel Dr. Anja Weisgerber Marcus Held Antje Lezius Albert Rupprecht Peter Weiß (Emmendingen) Wolfgang Hellmich Andrea Lindholz Stefan Sauer Sabine Weiss (Wesel I) Dr. Barbara Hendricks Patricia Lips Dr. Wolfgang Schäuble Marian Wendt Gustav Herzog Nikolas Löbel Jana Schimke Kai Whittaker Gabriele Hiller-Ohm Bernhard Loos Tankred Schipanski Annette Widmann-Mauz Thomas Hitschler Dr. Jan-Marco Luczak Christian Schmidt (Fürth) Bettina Margarethe Dr. Eva Högl Daniela Ludwig Dr. Claudia Schmidtke Wiesmann Frank Junge 18710 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020

(A) Josip Juratovic Axel Schäfer (Bochum) Dr. Alexander Gauland Dr. Heiko Wildberg (C) Thomas Jurk Dr. Nina Scheer Albrecht Glaser Dr. Christian Wirth Oliver Kaczmarek Udo Schiefner Franziska Gminder Uwe Witt Johannes Kahrs Uwe Schmidt Wilhelm von Gottberg Elisabeth Kaiser Ulla Schmidt (Aachen) Kay Gottschalk FDP Ralf Kapschack Dagmar Schmidt (Wetzlar) Mariana Iris Harder-Kühnel Grigorios Aggelidis Gabriele Katzmarek Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Roland Hartwig Renata Alt Cansel Kiziltepe Johannes Schraps Jochen Haug Christine Aschenberg- Arno Klare Michael Schrodi Martin Hebner Dugnus Lars Klingbeil Ursula Schulte Udo Theodor Hemmelgarn Nicole Bauer Dr. Bärbel Kofler Martin Schulz Waldemar Herdt Jens Beeck Daniela Kolbe Swen Schulz (Spandau) Martin Hess Dr. Jens Brandenburg Elvan Korkmaz-Emre Frank Schwabe Dr. Heiko Heßenkemper (Rhein-Neckar) Anette Kramme Stefan Schwartze Karsten Hilse Mario Brandenburg Christine Lambrecht Andreas Schwarz Nicole Höchst (Südpfalz) Christian Lange (Backnang) Rita Schwarzelühr-Sutter Martin Hohmann Sandra Bubendorfer-Licht Dr. Karl Lauterbach Rainer Spiering Dr. Bruno Hollnagel Dr. Marco Buschmann Sylvia Lehmann Svenja Stadler Leif-Erik Holm Karlheinz Busen Helge Lindh Sonja Amalie Steffen Johannes Huber Carl-Julius Cronenberg Kirsten Lühmann Mathias Stein Fabian Jacobi Britta Katharina Dassler Caren Marks Kerstin Tack Jens Kestner Bijan Djir-Sarai Katja Mast Claudia Tausend Stefan Keuter Christian Dürr Christoph Matschie Markus Töns Norbert Kleinwächter Hartmut Ebbing Hilde Mattheis Carsten Träger Enrico Komning Dr. Marcus Faber Dr. Matthias Miersch Ute Vogt Jörn König Daniel Föst Klaus Mindrup Marja-Liisa Völlers Steffen Kotré Otto Fricke Susanne Mittag Dirk Vöpel Dr. Rainer Kraft Thomas Hacker Falko Mohrs Gabi Weber Jens Maier Reginald Hanke Peter Heidt (B) Claudia Moll Dr. Joe Weingarten Dr. Lothar Maier (D) Katrin Helling-Plahr Siemtje Möller Bernd Westphal Dr. Birgit Malsack- Winkemann Markus Herbrand Bettina Müller Dirk Wiese Corinna Miazga Torsten Herbst Detlef Müller (Chemnitz) Gülistan Yüksel Andreas Mrosek Katja Hessel Michelle Müntefering Dagmar Ziegler Hansjörg Müller Manuel Höferlin Dr. Rolf Mützenich Stefan Zierke Volker Münz Dr. Christoph Hoffmann Dietmar Nietan Dr. Jens Zimmermann Ulli Nissen Sebastian Münzenmaier Reinhard Houben Thomas Oppermann Ulrich Oehme Ulla Ihnen AfD Josephine Ortleb Gerold Otten Olaf In der Beek Mahmut Özdemir Marc Bernhard Frank Pasemann Gyde Jensen (Duisburg) Andreas Bleck Tobias Matthias Peterka Dr. Christian Jung Aydan Özoğuz Peter Boehringer Paul Viktor Podolay Karsten Klein Christian Petry Stephan Brandner Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Detlev Pilger Jürgen Braun Stephan Protschka Daniela Kluckert Sabine Poschmann Marcus Bühl Martin Reichardt Pascal Kober Achim Post (Minden) Matthias Büttner Roman Johannes Reusch Dr. Lukas Köhler Florian Pronold Petr Bystron Ulrike Schielke-Ziesing Wolfgang Kubicki Martin Rabanus Joana Cotar Dr. Robby Schlund Konstantin Kuhle Andreas Rimkus Dr. Gottfried Curio Jörg Schneider Alexander Kulitz Sönke Rix Siegbert Droese Uwe Schulz Alexander Graf Lambsdorff Dennis Rohde Berengar Elsner von Thomas Seitz Ulrich Lechte Dr. Martin Rosemann Gronow Detlev Spangenberg Christian Lindner René Röspel Dr. Michael Espendiller Dr. Dirk Spaniel Michael Georg Link Dr. Ernst Dieter Rossmann Peter Felser René Springer (Heilbronn) Susann Rüthrich Dietmar Friedhoff Beatrix von Storch Oliver Luksic Bernd Rützel Dr. Anton Friesen Dr. Alice Weidel Till Mansmann Sarah Ryglewski Markus Frohnmaier Dr. Harald Weyel Dr. Jürgen Martens Johann Saathoff Dr. Götz Frömming Wolfgang Wiehle Christoph Meyer Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2020 18711

(A) Alexander Müller Fabio De Masi Jessica Tatti Renate Künast (C) Roman Müller-Böhm Dr. Diether Dehm Alexander Ulrich Markus Kurth Frank Müller-Rosentritt Klaus Ernst Kathrin Vogler Monika Lazar Dr. Martin Neumann Susanne Ferschl Katrin Werner Sven Lehmann (Lausitz) Sylvia Gabelmann Hubertus Zdebel Steffi Lemke Bernd Reuther Nicole Gohlke Sabine Zimmermann Dr. Tobias Lindner Dr. Stefan Ruppert Dr. Gregor Gysi (Zwickau) Dr. Irene Mihalic Dr. h. c. Thomas Dr. André Hahn Sattelberger Claudia Müller Heike Hänsel BÜNDNIS 90/ Christian Sauter DIE GRÜNEN Beate Müller-Gemmeke Matthias Seestern-Pauly Matthias Höhn Dr. Ingrid Nestle Frank Sitta Andrej Hunko Luise Amtsberg Dr. Konstantin von Notz Judith Skudelny Ulla Jelpke Lisa Badum Dr. Hermann Otto Solms Kerstin Kassner Annalena Baerbock Omid Nouripour Bettina Stark-Watzinger Dr. Achim Kessler Margarete Bause Friedrich Ostendorff Dr. Marie-Agnes Strack- Katja Kipping Dr. Danyal Bayaz Cem Özdemir Zimmermann Jan Korte Canan Bayram Lisa Paus Benjamin Strasser Jutta Krellmann Dr. Franziska Brantner Filiz Polat Katja Suding Caren Lay Agnieszka Brugger Tabea Rößner Linda Teuteberg Sabine Leidig Dr. Anna Christmann Claudia Roth (Augsburg) Michael Theurer Ralph Lenkert Katja Dörner Corinna Rüffer Stephan Thomae Michael Leutert Katharina Dröge Manuel Sarrazin Manfred Todtenhausen Stefan Liebich Harald Ebner Ulle Schauws Dr. Florian Toncar Dr. Gesine Lötzsch Matthias Gastel Dr. Andrew Ullmann Thomas Lutze Kai Gehring Dr. Frithjof Schmidt Gerald Ullrich Pascal Meiser Stefan Gelbhaar Stefan Schmidt Johannes Vogel (Olpe) Niema Movassat Katrin Göring-Eckardt Charlotte Schneidewind- Hartnagel Sandra Weeser Norbert Müller (Potsdam) Erhard Grundl Nicole Westig Zaklin Nastic Anja Hajduk Kordula Schulz-Asche Katharina Willkomm (B) Dr. Alexander S. Neu Britta Haßelmann Dr. Wolfgang Strengmann- (D) Kuhn Thomas Nord Dr. Bettina Hoffmann Margit Stumpp DIE LINKE Petra Pau Dr. Anton Hofreiter Doris Achelwilm Sören Pellmann Ottmar von Holtz Markus Tressel Gökay Akbulut Victor Perli Dieter Janecek Jürgen Trittin Simone Barrientos Tobias Pflüger Dr. Kirsten Kappert- Dr. Julia Verlinden Dr. Dietmar Bartsch Martina Renner Gonther Daniela Wagner Lorenz Gösta Beutin Bernd Riexinger Uwe Kekeritz Beate Walter-Rosenheimer Matthias W. Birkwald Eva-Maria Schreiber Katja Keul Gerhard Zickenheiner Heidrun Bluhm-Förster Dr. Petra Sitte Sven-Christian Kindler Christine Buchholz Helin Evrim Sommer Sylvia Kotting-Uhl Fraktionslos Dr. Birke Bull-Bischoff Kersten Steinke Oliver Krischer Jörg Cezanne Friedrich Straetmanns Stephan Kühn (Dresden) Marco Bülow Sevim Dağdelen Dr. Kirsten Tackmann Christian Kühn (Tübingen) Verena Hartmann Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333