BRAUNSCHWEIGISCHES JAHRBUCH

FÜR

LANDESGESCHICHTE Gedruckt mit Förderung der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 BRAUNSCHWEIGISCHES JAHRBUCH

FÜR

LANDESGESCHICHTE

IM AUFTRAGE DES BRAUNSCHWEIGISCHEN GESCHICHTSVEREINS

HERAUSGEGEBEN VON BRAGE BEI DER WIEDEN

Der ganzen Reihe Band 90

2009

SELBSTVERLAG DES BRAUNSCHWEIGISCHEN GESCHICHTSVEREINS

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Das Braunschweigische Jahrbuch für Landesgeschichte erscheint in der Regel jährlich. Die Zusendung von Manuskripten erbitten wir an die Schriftleitung in: 38302 Wolfenbüttel, Forstweg 2, Telefon (0 53 31) 93 52 45 [email protected]

Anmeldungen zur Mitgliedschaft im Verein, die zum freien Bezug der Zeitschrift berechtigt, werden an die gleiche Anschrift erbeten. Über das Programm und die Aktivitäten informiert auch www.braunschweigischer-geschichtsverein.de

Der Mitgliedsbeitrag beträgt 21,00 �, für Jugendliche in der Ausbildung 10,00 �. Bankkonten: NORD/LB, Kontonr. 144 592, BLZ 250 500 00 Postbank Hannover, Kontonr. 95 047 306, BLZ 250 100 30

Schriftleitung: Dr. Brage Bei der Wieden

Bibliographie: Ewa Schmid M.A.

Rezensionen und Anzeigen: Dr. Silke Wagener-Fimpel Dr. Martin Fimpel

Vertrieb: Buchhandlung Graff Sack 15 38100 Braunschweig E-Mail: [email protected]

ISSN 1437-2959

Druck und Verarbeitung: poppdruck, 30851 Langenhagen

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Vorstandsmitglieder des Braunschweigischen Geschichtsvereins

1. Vorsitzender Dr. Brage Bei der Wieden 2. Vorsitzender Ulrich Hagebölling Schatzmeister Dipl.-Kfm. Sascha Köckeritz Geschäftsführer Johannes Angel Ehrenmitglieder Dr. Richard Moderhack Dr. Günter Scheel Dr. Horst-Rüdiger Jarck Dr. Manfred Garzmann

Beirat Dr. Annette Boldt-Stülzebach Dr. Hans-Henning Grote Dr. Walter Hagena Dr. Christian Lippelt Prof. Dr. Jochen Luckhardt Dr. Henning Steinführer Prof. Dr. Harmen Thies

Ehrenbeirat Dr. Manfred Garzmann Dr. Dieter Lent Prof. Dr. Wolfgang Milde Prof. Dr. Gerhard Schildt Dr. Gerd Spies Dipl.-Kfm. Klaus Webendoerfer Dr. Mechthild Wiswe

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 INHALT

Aufsätze Die sächsischen Kriege Heinrichs des Löwen von Holger Berwinkel ...... 11 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren. Ein braunschweigischer Kataster aus der Zeit um 1400 von Ulrich Schwarz ...... 45 Der Kanzler und die Kirche. Kanzler Ph. L. Probst von Wendhausen und das Anti-Pietisten-Edikt von 1692 von Thomas Capelle ...... 121 Die Werkberufsschule der Volkswagenwerk GmbH im Vorwerk Braunschweig 1938–1945/6 von Friedrich Walz ...... 141 150 Jahre – Von der Ilseder Hütte zum -Konzern 1858–2008 von Horst A. Wessel ...... 199 Die Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle in Braunschweig vom Mittelalter bis zu ihrem Abbruch im Jahre 1955 von Torsten Priem ...... 215

Kleinere Beiträge Die Pfarr- und Propsteiarchive im Landeskirchlichen Archiv in Wolfenbüttel als Quelle für die Untersuchung des Dorfschulwesens im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel nach der Landschulordnung Herzog Karls I. von 1753 von Victor-L. Siemers ...... 243 Begegnungen mit der geschichtlichen Welt. Bericht und geschichtsmethodische Überlegungen zu einer Fahrradexkursion des Historischen Seminars der TU Braunschweig in die Asse von Matthias Steinbach ...... 257

Bibliographie Bibliographie zur Braunschweigischen Landesgeschichte 2008 – mit Nachträgen von Ewa Schmid ...... 267

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Rezensionen und Anzeigen Gisela Bungarten u. Jochen Luckhardt (Hg.): Reiz der Antike. Die Braunschweigischen Herzöge und die Schönheiten des Altertums im 18. Jahrhundert (Th. Krueger) ...... 314 Josef Dolle (Bearb.): Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 8 (1388–1400) (M. Prietzel) ...... 305 Frank Ehrhardt (Hg.): Lebenswege unter Zwangsherrschaft. Beiträge zur Geschichte Braunschweigs im Nationalsozialismus (D. Lent) ...... 328 Karin Ehrich:Die Ilseder Hütte. Erlebte Industriegeschichte (M. Fimpel) ...... 323 Miriam Gepp:Tradition mit Zukunft. Textilrestaurierung in der Paramentenwerkstatt der von Veltheim-Stiftung beim Kloster St. Marienberg (B. Dreyspring) ...... 301 Volkswagen Chronik. Der Weg zum Global Player, hrsg. von der Historischen Kommunikation der Volkswagen Aktiengesellschaft, Manfred Grieger,Ulrike Gutzmann u.Dirk Schlinke r t (H.-C. Herrmann) ...... 334 Hendrik Gröttrup:Stadt im Aufbruch (U. Strauß) ...... 336 Joachim Kliemeu.Stephan Querfurth:Neuerkerode 1868–2008. Chronik. Daten und Dokumente zur Geschichte. 140 Jahre Neuerkerode (U. Strauß) ...... 330 König Lustik!?; Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen. Katalog der Museumslandschaft Hessen-Kassel zur Ausstellung im Museum Fridericianum (S. Wagener-Fimpel) ...... 317 Dietrich Kuessner:Das braunschweigische Gesangbuch. Anfragen und Beobachtungen zu seiner Geschichte und Gestalt (R. Berwinkel) ...... 300 Dietrich K u e s s n er, Maik O h n e z e i t u. Wulf O t t e: Von der Monarchie zur Demokratie. Anmerkungen zur Novemberrevolution 1918/19 in Braunschweig und im Reich (H.-U. Ludewig) ...... 321 Andreas Linhardt:Die Technische Nothilfe in der Weimarer Republik (H.-U. Ludewig) ...... 322 Christian Lippelt:Hoheitsträger und Wirtschaftsbetrieb. Die herzogliche Amtsverwaltung zur Zeit der Herzöge Heinrich der Jüngere, Julius und Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel 1547–1613 (B.-Chr. Fiedler) ...... 308 Peter Mortzfeld (Bearb.): Katalog der graphischen Porträts in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Chr. v. Heusinger) ...... 297

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Hugh Barr Nisbet:Lessing. Eine Biographie (W. Milde) ...... 310 Uwe Ohainski (Bearb.): Die Lehnregister der Herrschaften Everstein und Homburg (U. Schwarz) ...... 306 Anton Pumpe:Heldenhafter Opfertod des Herzogs Leopold 1785 in der Oder. Wahrheit oder Legende? Presse im Spannungsfeld zwischen Aufklärung und Propaganda, eine quellenkritische Studie (G. Schildt) ..... 313 Dieter Rammler:Hinter jedem Hügel ein Kirchturm. Kleine Braunschweigische Kirchengeschichte (Brage Bei der Wieden) ...... 299 Gunnhild Ruben: „Bitte mich als Untermieter bei Ihnen anzumelden!“ Hitler und Braunschweig 1932–1935. Die Brisanz der Braunschweiger Einbürgerung, Hitlers Überraschungsbesuch 1935, das Lehndorfer Aufbauhaus (D. Lent) ...... 326 Briefe von und an Johann Heinrich Campe, Bd. 2: Briefe von 1789– 1814, hrsg., eingeleitet und kommentiert v. Hanno Schmitt,Anke Lindemann-Stark und Christoph Losfeld (R. Berwinkel) ...... 316 Gesine Schwarz:Die Rittersitze im alten Land Braunschweig. Hrsg. v. der Ritterschaft des ehemaligen Landes Braunschweig (M. Fimpel) ...... 304 Peter Steckhan:Welfenbericht: 150 Jahre Familiengeschichte der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg dokumentiert in Photographie und Film (J. Schmid) ...... 320 Christoph Stölzl (Hg.): Die Wolfsburg-Saga (G. Fiedler) ...... 332 Siegfried Vogelsänger in Zusammenarbeit mit Winfried Elsner: Michael Praetorius 1572–1621. Hofkapellmeister und Komponist zwischen Renaissance und Barock (Birger Bei der Wieden) ...... 309 Georg Wagner-Kyora:Schloss ohne Geschichte. Der Braunschweiger Wiederaufbau-Konfikt 1950–2007 (H.-U. Ludewig) ..... 338 Horst A. Wessel:Stahl und Technologie. Salzgitter AG 1858–2008 (M. Fimpel) ...... 325

Chronik Chronik des Braunschweigischen Geschichtsvereins Oktober 2008 bis November 2009 von Johannes Angel ...... 341 Wir sammeln Lebensgeschichten aus dem Braunschweiger Land. Eine Initiative des Braunschweigischen Geschichtsvereins. Bericht zur Auftaktveranstaltung von Roxane Berwinkel ...... 349

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 VERZEICHNIS DER AUTOREN Johannes Angel, Weddel Thomas Capelle, Cremlingen Dr. Holger Berwinkel, Berlin Dr. Roxane Berwinkel, Wolfenbüttel Torsten Priem, Greifswald Ewa Schmid, M. A., Wolfenbüttel Dr. Ulrich Schwarz, Wolfenbüttel Dr. Victor-L. Siemers, Braunschweig Prof. Dr. Matthias Steinbach, Braunschweig Friedrich W. Walz, Braunschweig Prof. Dr. Horst A. Wessel, Hilden

VERZEICHNIS DER REZENSENTEN Birger Bei der Wieden, Frankfurt/Main – Dr. Brage Bei der Wieden, Wolfen- büttel – Dr. Roxane Berwinkel, Braunschweig – Brigitte Dreyspring, Wiesbaden – Dr. Beate-Christine Fiedler, Stade – Dr. Gudrun Fiedler, Stade – Dr. Martin Fimpel, Wolfenbüttel – Dr. Hans-Christian Herrmann, Leipzig – Dr. Christian von Heusinger, Braunschweig – Thomas Krueger, Alfeld – Dr. Dieter Lent, Wolfenbüt- tel – Dr. Hans-Ulrich Ludewig, Schöppenstedt – Prof. Dr. Wolfgang Milde, Wol- fenbüttel – Prof. Dr. Malte Prietzel, Springe – Prof. Dr. Gerhard Schildt, Braun- schweig – Joachim Schmid, Groß Biewende – Dr. Ulrich Schwarz, Wolfenbüttel – Dr. Ulrike Strauß, Braunschweig – Dr. Silke Wagener-Fimpel, Wolfenbüttel

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die sächsischen Kriege Heinrichs des Löwen

von

Holger Berwinkel*

Mit dem Braunschweiger Burglöwen hat sich Heinrich der Löwe zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt, das ihn in allen seinen Qualitäten als Herrscher verkörpern soll- te. Die bronzene Löwenskulptur ist der Herzog. Im künstlerischen Ausdruck des Werkes liegt jedoch eine besondere Charakterisierung des Auftraggebers, die als Grundton den anderen Bildaussagen unterlegt ist: Der Löwe wird als wehrhafter, kriegerischer Herrscher dargestellt – „stark bis zur Aggressivität“.1 Die Aufstellung der Plastik, deren Herstellung etwa zwei Jahre in Anspruch genommen haben muss, kann nur auf die Jahre zwischen 1166 und 1176 eingegrenzt werden.2 Es bietet sich daher mehr als ein Anknüpfungspunkt für das Löwendenkmal in Heinrichs Biogra- phie an.3 Andererseits ist ein Zusammenhang zwischen der kriegerischen Gesamt- aussage des Burglöwen und der hart erkämpften militärischen Selbstbehauptung Heinrichs des Löwen gegen eine breite Allianz seiner Feinde in den Jahren 1166 bis

*Abkürzungen: Arnold: Arnoldi Chronica Slavorum. Hrsg. v. Johann Martin Lappenberg. Hannover 1868 (MGH SS rer. Germ. [14]). Ann. Magdeburg.: Annales Magdeburgenses. Hrsg. v. Georg Heinrich pertz. In: MGH SS 16. Hannover 1859, S. 105–196. Ann. Palid.: Annales Palidenses. Hrsg. v. Georg Heinrich pertz. In: ebd. S. 48–98. Ann. Pegav.: Annales Pegavienses et Bosovienses. Hrsg. v. Georg Heinrich pertz. In: ebd. S. 232– 257. Ann. Stad.: Ann. Stadenses. Hrsg. v. Johann Martin Lappenberg. In: ebd. S. 271–379. Ann. Stederburg.: Annales Stederburgenses auctore Gerhardo praeposito. Hrsg. v. Georg Heinrich pertz. in: ebd. S. 197–231. DF I.: Heinrich appeLt u.a. (Hrsg.): Die Urkunden Friedrichs I. 5 Bde. Hannover 1975–1990 (MGH Diplomata 10). Helmold: Helmoldi presbyteri Bozoviensis Cronica Slavorum. Hrsg. v. Bernhard SchmeidLer. 3. Aufl. Hannover 1937 (MGH SS rer. Germ. [18]). RI IV/2: Ferdinand OpLL u.a. (Bearb.): Die Regesten des Kaiserreiches unter Friedrich I. 1152 (1122) – 1190. 3 Bde. Wien, Köln, Weimar 1980–2001 (J. F. Böhmer, Regesta Imperii IV/2). Zi- tiert wird nach der Online-Ausgabe http://www.regesta-imperii.de, abgerufen am 11. August 2009. SS (rer. Germ.): Scriptores (rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi). UHL: Karl JOrdan (Hrsg.): Die Urkunden Heinrichs des Löwen, Herzogs von Sachsen und Bay- ern. Stuttgart 1949 (MGH Laienfürsten- und Dynastenurkunden der Kaiserzeit 1). 1 Peter SeiLer: Richterlicher oder kriegerischer Furor? Untersuchungen zur Bestimmung der primä- ren Bedeutung des Braunschweiger Burglöwen. In: Johannes Fried, Otto Gerhard OexLe (Hrsg.): Heinrich der Löwe. Herrschaft und Repräsentation. Ostfildern 2003 (Vorträge und Forschungen 57), S. 135–197, hier S. 194–197. Joachim ehLerS: Heinrich der Löwe. Eine Biographie. Mün- chen 2008, S. 257 (Zitat). 2 Die Ann. Stad. S. 345, weisen den Bau der Stadtmauer und die Errichtung des Löwendenkmals zwar ausdrücklich dem Jahre 1166 zu, vermengen den Eintrag jedoch mit weiteren Nachrichten aus der Zeit bis 1176: Klaus naSS: Zur Cronica Saxonum und verwandten Braunschweiger Werken. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 49 (1993), S. 557–582, hier S. 579–582. 3 Bernd SchneidmüLLer: Burg – Stadt – Vaterland. Braunschweig und die Welfen im hohen Mittel- alter. In: Fried, OexLe (wie Anm. 1) S. 27–81, hier S. 59f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 12 Holger Berwinkel

1170 kaum von der Hand zu weisen. Kriegertum als Wesensmerkmal ist sicher nicht die alleinige, aber eine essentielle Botschaft des Denkmals.4 Solche Selbstinszenierung verwundert nicht angesichts der zentralen Rolle, die Fehde und Krieg im Leben hochmittelalterlicher Herrscher gespielt haben. Kaiser Friedrich I. Barbarossa gibt ein Beispiel für die nachdrückliche Inszenierung als kriegstüchtiger und siegreicher Herrscher durch die Produkte seiner Kanzlei und hofnaher Geschichtsschreiber.5 Vergleichbare Schriftzeugnisse liegen für Hein- rich den Löwen zwar nicht vor,6 die künstlerische Ausführung des Braunschwei- ger Burglöwen verleiht aber derselben herrscherlichen Selbstauffassung plastischen Ausdruck. Was allerdings verwundert, ist der geringe Raum, der dem Krieg in modernen Biographien hochmittelalterlicher Herrscher eingeräumt wird. Obwohl Leben und Leistung oft im Krieg geprägt wurden, bleibt dieser Aspekt häufg auf die Anein- anderreihung von Fakten beschränkt: Eine Schlacht wurde gewonnen, eine Stadt zerstört, ein Krieg verloren. Die Frage nach den militärischen Zusammenhängen und dem Handeln der Beteiligten darin wird selten gestellt. In der deutschsprachigen Mediävistik ist diese Lücke auch eine Folge des spätestens seit 1945 allgemein geringen Interesses für kriegsgeschichtliche Fragen und Methoden – obwohl die Grundlagen einer kritischen Beschäftigung mit diesem Feld sogar hierzulande gelegt wurden.7 Erst in jüngster Zeit belebt sich auch in unserem Sprachraum die kriegs- geschichtliche Mediävistik,8 angestoßen durch Forschungen in englischer Sprache, die seit den 1980er Jahren unser Bild vom Krieg im Mittelalter revolutioniert haben und nicht zuletzt durch biographische Arbeiten über einzelne anglonormannische Herrscher als Feldherren befeuert wurden.9 König Heinrich II. von England, dem

4 Den Zusammenhang zwischen der ikonographischen Aussage und den Kämpfen um Sachsen stellt SeiLer (wie Anm. 1) S. 196f., überzeugend her, ohne die Vielschichtigkeit des Monumentes zu bestreiten; siehe ebd. S. 137. Der Vorwurf des „Reduktionismus“ geht darum ins Leere. Erhoben hatte ihn Otto Gerhard OexLe: Fama und Memoria Heinrichs des Löwen: Kunst im Kontext der Sozialgeschichte. Mit einem Ausblick auf die Gegenwart. In: Joachim ehLerS, Dietrich KötzSche (Hrsg.): Der Welfenschatz und sein Umkreis. Mainz 1998, S. 1–25, hier S. 17f. 5 Heinz Krieg: Herrscherdarstellung in der Stauferzeit. Friedrich Barbarossa im Spiegel seiner Ur- kunden und der staufischen Geschichtsschreibung. Ostfildern 2003 (Vorträge und Forschungen, Sonderband 50), S. 51–137. 6 Heinrichs Urkunde für Propst und Domkapitel von Ratzeburg von 1162 enthält zwar eine Datie- rung nach Jahren des Sieges über die Slawen (UHL Nr. 52). Dies lehnt sich offenkundig an die entsprechende Praxis der kaiserlichen Kanzlei nach der Zerstörung Mailands an, vgl. Krieg (wie Anm. 5) S. 113. Es handelt sich aber um ein Empfängerdiktat, nicht um ein Produkt der Notare des Herzogs. 7 Hans deLbrücK: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Bd. 3: Das Mittelalter. 2. Aufl. Berlin 1923 (Neudruck ebd. 2000). In vielen Dingen heute überholt, hat dieses Werk dennoch Epoche gemacht. 8 Stellvertretend sei die für ein breites Publikum geschriebene Darstellung von Malte prietzeL: Krieg im Mittelalter. Darmstadt 2006, genannt, die das Hochmittelalter allerdings weitgehend ausklam- mert. 9 Siehe insbesondere John giLLingham: Richard I and the Science of War in the Middle Ages. In: Matthew StricKLand (Hrsg.): Anglo-Norman Warfare. Studies in Late Anglo-Saxon and Anglo- Norman Military Organization and Warfare. Woodbridge 1992, S. 194–207 (erstmals erschienen 1984).

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Schwiegervater Heinrichs des Löwen, konnte jüngst sogar eine instruktive kriegsge- schichtliche Monographie gewidmet werden.10 Das Herrscherleben Heinrichs des Löwen wurde besonders intensiv von Kriegen geprägt. Ihre geographische Spannbreite ist ebenso bemerkenswert wie die Größen- ordnung der eingesetzten Mittel. In der zeitgenössischen Geschichtsschreibung ha- ben sie ein starkes Echo gefunden. Auch die modernen Biographen Heinrichs sind an diesem Komplex nicht vorbeigegangen; als Forschungsgegenstand ist er insofern besser gestellt als andere zeitgenössische Fürsten. Für Karl Jordan war der Löwe ein kriegerischer und ein kriegstüchtiger Herrscher: „Wenn die Zeitgenossen Hein- richs Freude am Waffenhandwerk und seine militärische Tüchtigkeit hervorheben, so entsprach das der ritterlichen Erziehung, die er in seiner Jugend genossen hat. Seine persönliche Tapferkeit hat er auf seinen zahlreichen Feldzügen in Deutsch- land, Italien und gegen die Slawen oft bewiesen. Gerade diese häufgen Vorstöße in Slawenland, die in einem unwegsamen und unübersichtlichen Gelände mit erheb- lichen Schwierigkeiten verbunden waren, erforderten bei allen Planungen ein großes militärisches Geschick“.11 Ohne Einzelnachweise kann behauptet werden, dass dieses Heinrich-Bild auch das populär verbreitete ist – bis hin zu Mario Valentinellis an Hägar dem Schreck- lichen orientierten Heinrich-Comics. Joachim Ehlers ergänzt in seiner großen, fast noch druckfrischen Biographie das Bild Heinrichs erstmals auch um Züge, die dessen Handeln als Feldherr in den Zusammenhang der Kriegführung der Zeit stellen.12 Doch fehlt es noch an Unter- suchungen aus spezifsch kriegsgeschichtlichem Blickwinkel. Angesichts des reich- haltigen Quellenmaterials zu Heinrichs Kriegen würden sie auch zur weiteren Erhel- lung der Kriegführung im Hochmittelalter beitragen. Diese Lücke kann hier nicht vollständig gefüllt werden.13 Das Ziel der Untersuchung ist es, unter Heinrichs Krie- gen jene zu betrachten, die am repräsentativsten für den charakteristischen Typ der Kriegführung im westeuropäischen Hochmittelalter waren: die Kriege um Sachsen. Anhand dieser Beispiele werden die Bedingungen deutlich, unter denen Heinrich Krieg führte, und es kann eine Annäherung an sein individuelles Verhalten in diesen Kriegen versucht werden, als Baustein zu einem umfassenderen Bild des Feldherrn Heinrich. Zunächst gilt es aber festzuhalten, dass die Kriegsschauplätze des Löwen nicht autark waren, sondern in politischen und militärischen Wechselwirkungen miteinan-

10 John D. hOSLer: Henry II. A Medieval Soldier at War, 1147–1189. Leiden, Boston MA 2007 (History of Warfare 44). 11 Karl JOrdan: Heinrich der Löwe – Leistung und Persönlichkeit. In: Wolf-Dieter mOhrmann (Hrsg.): Heinrich der Löwe. Göttingen 1980 (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archiv- verwaltung 39), S. 490–510, hier S. 509. Ähnlich derS.: Heinrich der Löwe. Eine Biographie. München 1979, S. 255 (im Folgenden zitiert als JOrdan, Heinrich). 12 ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1), insb. S. 141–149, 325–329, 337–342. 13 Der vorliegende Aufsatz ist aus einem breiter angelegten Vortrag mit dem Titel „Heinrich der Löwe als Feldherr“ hervorgegangen, der am 29. Januar 2009 vor dem Braunschweiger Geschichtsverein gehalten wurde.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 14 Holger Berwinkel der standen, so unterschiedlich die Bedingungen auch waren, unter denen Heinrich jeweils handelte: Als aufgebotenen Reichsfürsten und unselbstständigen Unterbefehlshaber tref- fen wir ihn auf den Italienzügen seines Cousins, des Kaisers Friedrich I. Barbarossa, an, auf denen er im Alter von 20 bis 25 Jahren im Kampf gegen die starken und gut organisierten Milizen der norditalienischen Kommunen Kriegführung im großen Maßstab erlebte. Hier lernte er die damals modernsten Kriegsmaschinen kennen, die er mit Erfolg zum Kampf gegen die Obodriten nach Mecklenburg verpfanzte.14 Aber Heinrichs Engagement für die italienischen Ambitionen Barbarossas sank, je mehr seine eigenen Interessen nördlich der Alpen befriedigt wurden. Hatte er sich auf dem ersten Italienzug 1154/1155 bei der Belagerung von Tortona und in den Straßenkämpfen in Rom noch persönlich in harten Kämpfen ausgezeichnet,15 ging seine Beteiligung an den folgenden Unternehmen – wie auch allgemein an der auf Hoftagen betriebenen Reichspolitik – nach dem innenpolitischen Ausgleich von 1156 stark zurück. Heinrich bekam die Hände für seine eigenen Ambitionen frei, verzichtete so jedoch auch auf politische Teilhabe, was sich nach 1176 rächen sollte.16 Während des zweiten Italienzuges, der als Krieg gegen Mailand von 1158 bis 1162 tobte, leistete er Barbarossa zwar noch zweimal für begrenzte Zeit Waf- fenhilfe, führte dazwischen, als die kaiserliche Position in der Lombardei kritisch war, aber selbst Krieg in Mecklenburg.17 An den Zügen der 1160er Jahre beteiligte sich der Herzog überhaupt nicht mehr, was ihn 1167 vielleicht davor bewahrt hat, ein Opfer der Seuchenkatastrophe des Reichsheeres vor Rom zu werden. Fried- richs Probleme mit den Kommunen auf diesem vierten Zug waren auch eine Folge von Heinrichs Krieg gegen die sächsischen Fürsten, der das militärische Potential Norddeutschlands in der Heimat band. Noch richtete der Kaiser diesen Vorwurf an die Adresse von Heinrichs Gegnern.18 Schon 1154 hatte der ungelöste Konfikt um die Stellung des Herzogs den Kaiser Unterstützung bei den ostsächsischen Fürs- ten gekostet. Denselben Effekt hatte die berühmte Verweigerung der Heerfolge in Chiavenna 1176: Um sich selbst zu schützen, blieben auch einige Konkurrenten Heinrichs mit ihren Aufgeboten daheim.19 Friedrich Barbarossa hatte den Ehrgeiz seines Cousins nach Osten umgeleitet.20 Dafür musste er in Kauf nehmen, Heinrichs Hilfe nur beschränkt für Italien bean-

14 Siehe unten, S. 39. 15 Henry SimOnSFeLd: Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Friedrich I. Bd. 1: 1152 bis 1158. Leipzig 1908, S. 297, 340f. Vgl. Holger berwinKeL: Verwüsten und Belagern. Friedrich Barbaros- sas Krieg gegen Mailand 1158–1162. Tübingen 2007 (Bibl. d. Deutschen Historischen Instituts in Rom 114), S. 59f. 16 ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 176, 212–219. 17 Zur Belagerung Cremas, an der Heinrich Anteil hatte, und zur kritischen Lage Barbarossas nach der verlorenen Schlacht bei Carcano berwinKeL: Verwüsten (wie Anm. 15) S. 129–156, 176–186. 18 Helmold II 107, S. 209f.: vocatisque universis principibus Saxoniae [...] dicens tumultum Saxoniae dedisse Longobardis materiam defectionis. 19 berwinKeL: Verwüsten (wie Anm. 15) S. 46f. – Jan-Peter StöcKeL: Die Weigerung Heinrichs des Löwen zu Chiavenna (1176). Ein Beitrag zum Heerfahrtswesen der frühen Stauferzeit. In: Zeit- schrift für Geschichtswissenschaft 42 (1994), S. 869–882, hier S. 881. 20 Hans patze: Kaiser Friedrich Barbarossa und der Osten. In: Probleme des 12. Jahrhunderts. Kon- stanz, Stuttgart 1968 (Vorträge und Forschungen 12), S. 337–408, hier S. 364. – Jenseits aller

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die sächsischen Kriege Heinrichs des Löwen 15 spruchen zu können. Andererseits vermutete schon ein gut informierter Zeitgenos- se, dass die bei den Obodriten gemachte Beute zumindest in den 1150er Jahren auch dazu diente, die teuren Italienfahrten zu refnanzieren.21 Östlich der Elbe agierte Heinrich als eigenständiger Kriegsherr, zugleich aber auch als Akteur in wechselnden Bündnissen insbesondere mit Dänemark. Ausge- dehnte Sumpfgebiete, Unwegsamkeit und große Fluchtburgen aus Erde und Holz stellten der Strategie und Logistik hier andere Aufgaben. Heinrich kannte diesen Kriegsschauplatz, seitdem er sich als Halbwüchsiger, aber schon als Heerführer, am missglückten Wendenkreuzzug von 1147 beteiligt hatte.22 Der Angriff des Obodri- tenfürsten Niklot gab 1160 den Anlass zur Besetzung des heutigen Mecklenburg, das gegen zwei heftige Rückgewinnungsversuche der Niklotsöhne verteidigt wurde. Zweimal entschieden sich diese Kämpfe vor der obodritischen Zentralburg Werle, einmal in der auch für den Sieger Heinrich verlustreichen Schlacht am Kummerower See, die im Zusammenhang eines komplexen Vorstoßes zu Land und zu See im Bunde mit den Dänen stand.23 Die Frucht des Sieges war die Begründung einer di- rekten Herrschaft durch eingesetzte Grafen auf der Grundlage der überkommenen slawischen Burgwardverfassung. Solche Eroberungen an der Peripherie konnten freilich nur gehalten werden, wenn die politische und militärische Basis sicher war: Der Ausbruch des ersten Krieges um Sachsen zwang den Herzog zu einem poli- tischen Ausgleich mit Niklots Sohn Pribislaw. Entscheidend für die Geschichte Heinrichs des Löwen waren nicht nur deshalb die drei Kriege um die Behauptung beziehungsweise Wiedergewinnung seiner Herr- schaft in Sachsen.

1166–1170

In den Augen des zeitgenössischen Geschichtsschreibers Helmold von Bosau war das Fürstenbündnis, mit dem Heinrich der Löwe zwischen 1166 und 1170 heftige Kämpfe zu bestehen hatte, eine „Verschwörung aller gegen einen“24. In der Tat umspannte das Bündnis im Sommer 1167 ganz Norddeutschland von Oldenburg bis

Realpolitik dem Cousin gegenüber hat sich Friedrich den grundsätzlichen Hoheitsanspruch über das Kolonisationsgebiet freilich immer vorbehalten: Jürgen peterSOhn: Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die Kirchenorganisation in Transalbingien. In: Fried, OexLe (wie Anm. 1) S. 239–279. 21 Helmold I 84, S. 292. Vgl. Ulf dirLmeier: Heinrich der Löwe und „die Wirtschaft“. In: Fried, OexLe (wie Anm. 1) S. 293–309, hier S. 297. 22 ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 73f. 23 Die Quellen zu Heinrichs Slawenfeldzügen werden erschöpfend aufgearbeitet bei Hans-Otto gaethKe: Herzog Heinrich der Löwe und die Slawen nordöstlich der unteren Elbe. Frankfurt am Main u.a. 1999 (Kieler Werkstücke 24). 24 Helmold II 103, S. 202: et facta est coniuracio valida omnium contra unum. Solche „Verschwö- rungen“ zur Abwehr königlicher oder herzoglicher Bedrohungen der eigenen Stellung hatten im sächsischen Hochadel Tradition, siehe Gerd aLthOFF: Königtum, Adel und Kirche in Ostsachsen. Gruppenbindung, Konfliktverhalten, Rechtsbewusstein. In: Winfried SpeitKamp, Hans-Peter ULL- mann (Hrsg.): Konflikt und Reform. Festschrift für Helmut Berding. Göttingen 1995, S. 11–25, hier S. 16f.

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Brandenburg.25 Doch konnte die Koalition die erdrückende Stärke, die sie auf dem Pergament des Magdeburger Vertrages besaß, nur mit großen Reibungsverlusten in bewaffneten Druck umsetzen. Die Wurzel des Krieges lag in Ostsachsen. Es ist an dieser Stelle nicht nötig, die politischen Konfiktlinien detailliert nachzuzeichnen oder ihre Entstehung bis in die Zeit König Konrads III. zurückzuverfolgen.26 Es genügt, die strategische Kon- stellation zu erfassen: Zwischen dem Herrschaftsgebiet Heinrichs des Löwen einer- seits und seinen Konkurrenten, dem Erzstift Magdeburg und der Markgrafschaft Brandenburg, lag bis 1160 ein Puffer, gebildet vom Hochstift Halberstadt und den Besitzungen des sächsischen Pfalzgrafen, Adalbert von Sommerschenburg. Bischof Ulrich von Halberstadt hatte bislang als Gegengewicht zu Heinrichs Machtstreben im östlichen Harzvorland gewirkt. Ulrichs Parteinahme für Alexander III. in der Kirchenspaltung von 1159 konnte Heinrich aber nutzen, um ihn mit dem Plazet des Kaisers abzusetzen und mit Gero einen Bischof zu installieren, der ihm keinen Wi- derstand mehr entgegensetzte und auch die guten Beziehungen zu Wichmann von Magdeburg und Albrecht dem Bären von Brandenburg nicht mehr pfegte.27 Hein- richs Ausgreifen nach Halberstadt bedrohte auch Adalbert von Sommerschenburg, der bis jetzt auf der Seite des Welfen gestanden hatte, zumal seine Besitzungen auch Heinrichs Vorposten gegenüber Magdeburg, die Burg Haldensleben, von dessen übrigen Besitzungen trennte.28 Alt-Haldensleben – zu unterscheiden von Heinrichs Neugründung aus der Zeit nach 1170 – erhob sich als mächtiger frühmittelalterlicher Burgwall von 120–140 m Durchmesser am Ohre-Übergang bei Niendorf, nur 25 km nordwestlich von Magde- burg. Hier konnten die wichtigen Straßen Magdeburg-Bardowick und Halberstadt- Stendal kontrolliert werden. Haldensleben war ein strategischer Pfahl im Fleisch des Erzstiftes, ein Bollwerk gegen Angriffe und eine Basis für eigene Offensiven.29

25 Vgl. Michael Lindner: Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und die ostsächsischen Fürsten: Alle gegen einen oder einer gegen alle? In: Hansgeorg engeLKe (Hrsg.): Goslar im Mittelalter. Goslar 2003 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 51), S. 175–198, hier S. 188f. 26 Siehe ebd. S. 176–187. 27 Karlotto bOgUmiL: Das Bistum Halberstadt im 12. Jahrhundert. Studien zur Reichs- und Reform- politik des Bischofs Reinhard und zum Wirken der Augustiner-Chorherren. Köln, Wien 1972 (Mit- teldeutsche Forschungen 69), S. 241–246. Joachim ehLerS: Heinrich der Löwe und der sächsische Episkopat. In: Alfred haverKamp (Hrsg.): Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wir- kungsweisen des staufischen Kaisers. Sigmaringen 1992 (Vorträge und Forschungen 40), S. 435– 466, hier S. 453f. 28 Heinz-Dieter StarKe: Die Pfalzgrafen von Sommerschenburg (1088–1179). In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 4 (1955), S. 1–71, hier S. 40–42. Berent SchwineKöper: Heinrich der Löwe und das östliche Herzogtum Sachsen. In: mOhrmann (wie Anm. 11), S. 127– 150, hier S. 140f. 29 SchwineKöper: Heinrich (wie Anm. 28) S. 131. derS.: Überlegungen zum Problem Haldens- leben. Zur Ausbildung des Straßen-Gitternetzes geplanter deutscher Städte des Hohen Mittel- alters. In: Helmut Jäger, Heinz QUirin, Franz petri (Hrsg.): Civitatum communitas. Studien zum europäischen Städtewesen. Festschrift Heinz Stoob zum 65. Geburtstag, Teil 1. Köln, Wien 1984 (Städteforschung A/21, I), S. 213–253, hier insb. S. 222–233. Heinz StOOb: Haldensleben, Burg und Stadt, bis zum späteren Mittelalter. In: Helmut maUrer, Hans patze (Hrsg.): Festschrift für Berent Schweineköper zu seinem siebzigsten Geburtstag. Sigmaringen 1982, S. 219–236, hier S. 220–224.

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Adalbert von Sommerschenburg und Albrecht der Bär verbündeten sich schon 1164 oder 1165 zu einer Fehde gegen Heinrich. Auch gemeinsam waren sie aber kein ebenbürtiger Gegner, und als sich Albrecht offenbar im letzten Moment aus dem Bündnis zurückzog, war der Pfalzgraf verloren. Mit der Lauenburg musste er eine Schlüsselstellung am Harzrand abtreten. Wichmann von Magdeburg hat in diese Kämpfe nicht eingegriffen.30 – Widerstrebende politische Interessen und, da- mit verknüpft, uneinheitliches militärisches Handeln lagen auch in den folgenden Auseinandersetzungen als Hypothek auf den gegen Heinrich gerichteten Fürsten- bündnissen. Neben Wichmann, Albrecht und Adalbert zählt Helmold von Bosau auch Land- graf Ludwig II. von Thüringen, Bischof Hermann von , Markgraf Otto von Meißen und seine Brüder, schließlich die Grafen Otto von Assel, Widukind II. von Schwalenberg und Christian von Oldenburg zu der sich formierenden Koali- tion.31 Über das gemeinsame Vorgehen können sich die Hauptverschwörer anläss- lich ihrer Teilnahme an Friedrich Barbarossas Hoftag auf der Boyneburg bei Esch- wege um den 20. August 1166 verständigt haben.32 Die Gelegenheit war günstig, denn wenige Wochen später brach der Kaiser zu seinem vierten Italienzug auf und konnte nicht mehr direkt zugunsten Heinrichs in den Konfikt eingreifen. Den Hintermann der Verschwörung erblickte Helmold allerdings im Kölner Erzbischof Rainald von Dassel.33 Rainald hatte in Westfalen und Engern mit einer „beispiellosen Gütererwerbspolitik“ begonnen, um das Land herrschaftlich zu durch- dringen.34 Das brachte ihn in Konkurrenz zu den Ambitionen Heinrichs und seiner westfälischen Lehnsleute. Die Beteiligung Rainalds von Dassel war freilich ein mi- litärischer Wechsel auf die Zukunft, da er den Kaiser nach Italien begleitete – auf dessen Zug die Truppen der Verschwörer und die des Löwen zwangsläufg fehlten. Hermann von Hildesheim etwa kaufte sich mit 400 Mark Silber von der Heerfolge frei.35

30 StarKe (wie Anm. 28) S. 43. Lutz partenheimer: Albrecht der Bär. Gründer der Mark Branden- burg und des Fürstentums Anhalt. 2. Aufl. Köln, Weimar, Wien 2003, S. 168. Dietrich cLaUde: Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhunder. Köln, Wien 1975 (Mitteldeutsche Forschungen 67/2), S. 149. Das Jahr bleibt unsicher. – Zur Lauenburg siehe Gerhard Streich: Burgen und „Burgenpolitik“ Heinrichs des Löwen. In: Jochen LUcKhardt, Franz niehOFF (Hrsg.): Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995. Band 2: Essays. München 1995, S. 484–491, hier S. 487. 31 Helmold II 103, S. 203. 32 Ihre gemeinsame Anwesenheit geht aus der Zeugenreihe von Friedrichs Urkunde DF I. Nr. 506, für Wichmann hervor. Vgl. RI IV/2, Nr. 1578, und Hermann KrabbO, Georg winter (Hrsg.): Reges- ten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause. Berlin 1955 (Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg 8), Nr. 353. 33 Helmold II 103, S. 203. 34 Manfred grOten: Köln und das Reich. Zum Verhältnis von Kirche und Stadt zu den staufischen Herrschern 1151–1198. In: Stefan weinFUrter (Hrsg.): Stauferreich im Wandel. Ordnungsvor- stellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas. Stuttgart 2002 (Mittelalter-Forschungen 9), S. 237–252, hier S. 245 (Zitat). Vgl. Stefan weinFUrter: Erzbischof Philipp von Köln und der Sturz Heinrichs des Löwen. In: Hanna vOLLrath, Stefan weinFUrter (Hrsg.): Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag. Köln, Weimar, Wien 1993 (Kölner Historische Abhandlungen 39), S. 455–481, hier S. 472f. 35 Wolfgang heinemann: Das Bistum Hildesheim im Kräftespiel der Reichs- und Territorialpolitik

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Den Eröffnungszug der Koalition machten Wichmann, Albrecht und Ludwig gegen Haldensleben.36 Dieser Vorposten musste beseitigt werden, um die eigene Operationsbasis für folgende Offensiven zu konsolidieren. Die Belagerung begann am 20. Dezember 1166, doch obwohl sie auch Belagerungsmaschinen zum Einsatz brachten, machten die Angreifer bis in das Frühjahr hinein keine entscheidenden Fortschritte.37 Der starken Gruppe der östlichen Verbündeten standen im Westen und Nord- westen nur schwache Kräfte zur Seite. Im Nordwesten verbündete sich Christian von Oldenburg immerhin mit den Bürgern von Bremen und nahm Heinrichs Burg Weyhe ein.38 Erzbischof Hartwig von Bremen, dem der Herzog übel mitgespielt hatte, verhielt sich noch neutral.39 Auch Heinrich der Löwe musste seine Position erst absichern, bevor er zu Ge- genschlägen ausholen konnte. Um eine weitere Front im Nordosten zu vermeiden, wurde der 1164 vertriebene und im pommerschen Exil unruhige Obodritenfürst Pribislaw wieder in sein väterliches Erbe eingesetzt. Dass Heinrich der Löwe damit die unter großen Opfern erkaufte Möglichkeit einer direkten Herrschaftsbegrün- dung in Mecklenburg rasch und entschlossen aufgab, zeugt von einer vorurteilslosen Bewertung der von der Koalition verkörperten Bedrohung. Der welfsche Macht- bereich wurde in den Kriegszustand versetzt: Witwe und Sohn des 1164 gefallenen Grafen Adolf II. von Holstein bekamen mit Graf Heinrich von Schwarzburg einen kriegstüchtigen Vormund, durch den der Herzog auf das nordelbische Aufgebot zugreifen konnte. An strategisch wichtigen Orten wurden Truppen stationiert, die Befestigungen von Burgen und Städten wurden verstärkt.40 In erster Linie betraf dies Braunschweig, wo Kolonisten seit 1164 den Hagen als neues Weichbild anleg- ten. Zunächst durch einen Erdwall und einen vorgelagerten Graben wurde der Bo- gen Redinger Tor-Steintor-Fallersleber Tor-Wendentor-Petritor befestigt und damit auch gleich das Gebiet der späteren Neustadt eingeschlossen.41 Treffen mussten sol-

vornehmlich des 12. Jahrhunderts. Hildesheim 1968 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 72), S. 260. 36 Vgl. zum Anteil Albrechts an diesem Krieg Lutz partenheimer: Die Kriege Albrechts des Bären. In: Die frühen Askanier. Halle an der Saale 2003 (Beiträge zur Regional- und Landeskultur Sach- sen-Anhalts 28), S. 35–71. Der Aufsatz ist auch online unter http://www.genealogie-mittelalter.de/ partenheimer_lutz/kriege_albrechts_des_baeren.html verfügbar (abgerufen am 11. August 2009). 37 Helmold II 103, S. 203. Ann. Pegav. S. 260. Ann. Magdeburg. S. 192. Ann. Palid. S. 93. Helmolds machinas multas ist an sich ein unspezifisches biblisches Zitat (1. Makk. 11, 20), und der lateini- sche Ausdruck machina kann im weitesten Sinne auch nur Holzkonstruktionen allgemeiner Art bezeichnen. Angesichts der noch darzustellenden kriegstechnischen Innovationen in dieser Zeit ist der Einsatz von Kriegsmaschinen vor Haldensleben allerdings sehr wahrscheinlich. Vgl. JOrdan: Biographie (wie Anm. 11) S. 116, und SchwineKöper: Heinrich (wie Anm. 28) S. 145. 38 Helmold II 103, S. 203. Ann. Stad. S. 346. 39 Vgl. Dieter hägermann: Heinrich der Löwe und Bremen. In: BsJb. 79 (1998), S. 47–63, S. 57f. 40 Helmold II 103, S. 203f. Vgl. ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 142f., und gaethKe (wie Anm. 23) S. 338. 41 Helmolds Notiz stützt also zumindest in puncto Stadtbefestigung die Datierung der Ann. Stad. zu 1166, S. 345. Zur Quellenkritik an dieser Sammelnotiz vgl. oben, Anm. 2. – Dass im Widmungs- gedicht zum Evangeliar Heinrichs des Löwen und in den Bestimmungen des Fuldaer Friedens von 1191 eine Stadtmauer für Braunschweig bezeugt wird, von der auch archäologische Befunde vorliegen, spricht entgegen naSS (wie Anm. 2) S. 580 mit Anm. 91, nicht gegen Helmolds Nach-

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die sächsischen Kriege Heinrichs des Löwen 19 che Maßnahmen alle Kriegsparteien. Bischof Hermann von Hildesheim einigte sich mit seinen Bürgern in einem Vertrag über die Verstärkung der Stadtbefestigungen. Dieser Aufwand war nicht umsonst, denn auch das Hochstift Hildesheim wurde im Kriegsverlauf von Verwüstungszügen Heinrichs des Löwen heimgesucht.42 Der Herzog konnte jetzt in die Offensive gehen. Offenbar in direkter Linie von Braunschweig aus vorstoßend, verwüstete er mit seinem Heer zunächst magdebur- gisches Gebiet bis vor die Mauern der Stadt, bevor er nach Norden schwenkte und sich nach Haldensleben in Marsch setzte, um dort die Belagerer zu vertreiben. Er ging damit das Risiko einer offenen Feldschlacht ein, für die er sich in eine güns- tige Lage brachte, indem er, von Magdeburg heranziehend, Wichmann von seiner Basis abschnitt.43 Bevor es aber zur Schlacht kam, brachten geistliche Vermittler einen Waffenstillstand zustande. Heinrich verpfichtete sich im Gegenzug für die Aufhebung der Belagerung, Haldensleben auf dem ersten Gerichtstag nach Ostern an Wichmann zu übergeben. Beide Seiten waren letztlich vor der Schlacht zurück- geschreckt: Die Fürsten angesichts ihrer ungünstigen Position und der Stärke des herzoglichen Heeres und Heinrich, um gegen Christian von Oldenburg vorgehen zu können und vor dieser Auseinandersetzung keine Schwächung seines Heeres durch Verluste zu riskieren, die auch in einer siegreichen Schlacht zu befürchten waren. Der Verlierer war er nicht: Haldensleben blieb in seiner Hand, Wichmann erhielt nur eine Zusage für die Zukunft.44 Der Löwe bekam so die Hände frei, um sich nach Norden gegen Christian von Oldenburg zu wenden.45 Kurz vor Bremen standen sich beide Heere an der Gete tagelang gegenüber, ohne das Risiko eingehen zu wollen, den Übergang über das Flüsschen zu erzwingen. Als Christian von Oldenburg dann schließlich doch Anstal- ten dazu machte, zog sich Heinrich sogar zurück, doch nur um Verstärkungen zu holen. Jetzt war es an Christian, sich zurückzuziehen und sich in Oldenburg zu ver-

richt von Wall und Graben. Es war üblich und ist in Anbetracht der Umstände im Jahre 1166 auch nachvollziehbar, neue Siedlungen zunächst mit Erdwerken überhaupt zu befestigen, bevor ein viel aufwändigerer Mauerbau begonnen wurde. Zur Anlage und Befestigung des Hagens siehe Wolfgang meibeyer: Herzog und Holländer gründen eine Stadt. Die Entstehung des Hagens unter Heinrich dem Löwen. In: BsJb. 75 (1994) S. 7–28, hier S. 14 Abb. 2, S. 26. 42 heinemann (wie Anm. 35) S. 262f. 43 Helmold II 104, S. 204, spricht von dem Zug ins Magdeburgische (et pervagatus est terram usque ad muros Magdeburg), die Ann. Palid. S. 93, berichten vom strategischen Ziel, der Entsetzung Haldenslebens (soluturos obsidionem, Haldesleve tendit). ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 143, setzt die Verheerung nach der Entsetzung an, was strategisch aber weniger Sinn ergibt. Mit Aktio- nen gegen Magdeburg nach der Entsetzung Haldenslebens hätte Heinrich den Waffenstillstand und damit auch seine freie Hand gegenüber Bremen wieder gefährdet. 44 Ann. Palid. S. 93. Helmold II 104, S. 204, benennt die Angst der Fürsten vor Heinrichs Anmarsch als Motiv für den Waffenstillstand. Angesichts der strategischen Lage sollte das nicht für eine ten- denziöse Kaschierung einer Niederlage Heinrichs gehalten werden; dies meinte Willy hOppe: Erz- bischof Wichmann von Magdeburg. In: Ders.: Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. v. Herbert LUdat. Köln, Graz 1965, S. 1–152, hier S. 57 Anm. 10. Auch eine überlegene Position der Verbündeten ist entgegen Matthias pUhLe: Die politischen Be- ziehungen zwischen dem Braunschweiger Hof und dem Erzbistum Magdeburg zur Zeit Heinrichs des Löwen und Ottos IV. In: LUcKhardt, niehOFF (wie Anm. 30), S. 149-158, hier S. 150, nicht erkennbar 45 Vgl. JOrdan: Heinrich (wie Anm. 11) S. 117.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 20 Holger Berwinkel schanzen, wo er hoffen konnte, eine Belagerung durch Heinrich auszusitzen. Dass dieser Plan nicht aufging, war den Unwägbarkeiten des Krieges geschuldet: Chris- tian von Oldenburg starb wenige Tage später, offenbar nicht durch Kampfhand- lungen. Binnen kurzem brach damit auch der Widerstand seiner Leute zusammen. Bremen hatte Heinrich bereits unterworfen und ausgeplündert.46 Mit dem Waffenstillstand von Haldensleben hatten die ostsächsischen Fürsten zugelassen, dass Heinrich die zweite Front ungestört liquidieren konnte, und damit einen kapitalen Fehler gemacht. So entlastet, sah der Löwe auch keinen Anlass mehr, Haldensleben wie vereinbart zu übergeben. Der Magdeburger Vertrag vom 12. Juli 1167, mit dem die Gesandten Rainalds von Köln einerseits und die Gruppe der östlichen Gegner unter der Führung Wichmanns andererseits ein förmliches Bündnis schlossen, zog daraus die Lehre in der Form einer Beistandsverpfichtung auch für den Fall, dass der Herzog die Heftigkeit seines Gemütes in eine andere Richtung wende. Zwei Tage später traten in Sandersleben Adalbert von Sommer- schenburg und weitere Hochadelige dem Vertrag bei.47 Neben dem Erzbischof von Magdeburg und den Bischöfen von Hildesheim und Naumburg hatte Heinrich nun den Pfalzgrafen von Sachsen, alle drei sächsischen Markgrafen, den Landgrafen von Thüringen und eine Anzahl von Grafen gegen sich – ein Flächenbrand.48 Schließlich rang sich auch Hartwig von Bremen nach intensiven Vorbereitungen dazu durch, mit Verwüstungszügen seiner Truppen von den erzstiftischen Burgen Freiburg (an der Elbmündung) und Harburg aus in den Krieg gegen Heinrich einzutreten. Bis- lang hatte er nicht ohne Grund an der politischen und militärischen Tragfähigkeit des Fürstenbündnisses gezweifelt. Der Magdeburger Vertrag mag ihn umgestimmt haben. Die Gelegenheit, seine Kräfte mit denen Christians von Oldenburg gegen die welfsche Übermacht zu bündeln, hatte er zu dieser Zeit freilich bereits verpasst. So konnte Heinrich im Nordwesten wieder gegen einen einzelnen Gegner vorgehen, die Freiburg erobern und Hartwig zur Flucht nach Magdeburg zwingen.49 Mit der Eroberung Alt-Haldenslebens, über deren nähere Umstände nichts be- kannt ist, gelang den Magdeburgern aber doch noch ein wichtiger Sieg, der es ihnen auch ermöglichte, ohne gefährdete Flanken Einfälle in das gegnerische Territorium zu unternehmen.50 Da sich nun auch Goslar unter der Führung Graf Ludolfs II. von Wöltingerode auf die Seite der Koalition schlug, war Heinrichs Braunschweiger

46 Helmold II 104, S. 204. Ann. Stad. S. 346, mit den näheren Umständen der Einnahme Olden- burgs. 47 Druck des Vertrages z.B. bei Otto pOSSe (Hrsg.): Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen 1100–1195. Leipzig 1889 (Codex diplomaticus Saxoniae regiae I A 2), Nr. 344, das Zitat hier auf S. 235: in alteram partem vehemenciam animi sui inclinet. Vgl. Richard Knipping (Hrsg.): Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter. Bd. 2: 1100–1205. Bonn 1901, Nr. 896, KrabbO, winter (wie Anm. 32) Nr. 359–360, und cLaUde (wie Anm. 30) S. 150f. 48 Vgl. Lindner (wie Anm. 25) S. 188. Dort werden auch die vertriebenen Bischöfe von Halberstadt und Lübeck genannt, die sich an den Kriegshandlungen aber nicht beteiligen konnten. 49 Helmold II 104, S. 204: edoctus [...] ambiguam quoque principibus inesse fidem [...] fluctuare cepit animo. Dazu treffend ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 144. Zu Heinrichs zweitem Vorstoß nach Norden: Helmold II 105, S. 207. 50 Ann. Palid. S. 93. Vgl. hOppe (wie Anm. 44) S. 57 Anm. 20, mit einer Zusammenstellung der übrigen Quellen.

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Kernraum bedroht.51 Der Herzog antwortete darauf mit einer Blockade, die Goslar im Winter 1167/1168 von der Versorgung abschneiden sollte.52 Die Hoffnung auf einen mächtigen Bundesgenossen im Westen zerschlug sich binnen vier Wochen, als Rainald von Dassel am 14. August der Seuchenkatastrophe im kaiserlichen Heer vor Rom zum Opfer fel.53 Die östlichen Fürsten erneuerten dennoch ihr Bündnis im Frühjahr 1168 in Merseburg.54 Friedrich Barbarossa, der zu dieser Zeit von seinem katastrophalen Italienzug zurückkehrte, versuchte nun, direkt Frieden zu stiften, nachdem noch aus Italien entsandte Vermittler keinen Erfolg erzielt hatten. Der Konfikt war mittlerweile jedoch so weit eskaliert, dass ihn auch die Autorität des Kaisers nicht mehr ohne weiteres aufösen konnte. Friedrich stützte weiterhin seinen Cousin, der sich 1168/1169 häufg an seiner Seite hielt und trotz der fortdauernden Kämpfe im Herbst 1168 eine Gesandtschaftsreise zu seinem Schwiegervater, Heinrich II. von England, unternahm.55 Nachdem die Gegner des Löwen die ersten beiden Ladungen ignoriert hatten, konnten weder der Würzburger Hoftag vom 29. Juni 1168 noch der Bamberger Friede vom 1. November desselben Jahres oder die Vermittlungsversuche der folgenden Jahre einen dauerhaften Frie- den schaffen.56 Heinrichs Eingriff in die Bremer Erzbischofswahl nach dem Tod Hartwigs I. wird zum Weiterschwelen der Kämpfe beigetragen haben.57 Ihre Intensi- tät schwächte sich unter den Augen des Kaisers aber deutlich ab. In Westfalen sträubte sich noch Widukind von Schwalenberg gegen die graduell fortschreitende Befriedung. In der zweiten Hälfte des Jahres 1169 konnte Heinrichs Heer seinen Widerstand durch die Eroberung der Burg Desenstein bei Warburg brechen. Da der Burgberg zu steil war, um den Einsatz von Belagerungsgerät zu erlauben, ließ der Herzog durch Goslarer Bergleute Stollen in den Berg treiben und die Wasserversorgung der Eingeschlossenen kappen.58 Erst auf dem Erfurter Hoftag vom 24. Juni 1170 konnte der Konfikt endgültig beigelegt werden, nachdem Heinrich der Löwe noch im Februar einen Verwüstungs- zug gegen Magdeburg unternommen und mit der Zerstörung Harburgs einen wich- tigen Erfolg gegen Hartwig von Bremen erzielt hatte.59

51 Helmold II 105, S. 207: et addita est Goslaria principibus. Darunter ist bereits sprachlich entgegen pUhLe (wie Anm. 44) S. 150, und partenheimer: Albrecht (wie Anm. 30) S. 173, keine Beset- zung der Stadt durch die Koalition zu verstehen, siehe Wolfgang petKe: Die Grafen von Wöltin- gerode-Wohldenberg. Adelsherrschaft, Königtum und Landesherrschaft am Nordwestharz im 12. und 13. Jahrhundert. Hildesheim 1971 (Veröffentlichungen des Instituts für historische Landesfor- schung der Universität Göttingen 4), S. 302. 52 Helmold II 105, S. 207. Ann. Stederburg. S. 210. 53 Knipping (wie Anm. 47) Nr. 902. 54 Ann. Stad. S. 346. 55 Johannes heydeL: Das Itinerar Heinrichs des Löwen. In: NdsJb. 6 (1929), S. 1–166, hier S. 67–70. 56 RI IV/2, Nr. 1792, 1816, 1830. Vgl. Ferdinand OpLL: Friedrich Barbarossa. 3. Aufl. Darmstadt 1998, S. 102f., und ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 148. – Zur Vermittlerrolle des Kaisers siehe Gerd aLthOFF: Heinrich der Löwe in Konflikten. Zur Technik der Friedensvermittlung im 12. Jahrhundert. In: LUcKhardt, niehOFF (wie Anm. 30), S. 123–129, hier S. 125. 57 hägermann (wie Anm. 39) S. 58f. 58 Helmold II 107, S. 210f. Vgl. ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 148 und JOrdan: Biographie (wie Anm. 11) S. 121f. 59 Zug gegen Magdeburg: Ann. Palid. S. 94. In diesem Zug ist eher ein letzter Ausläufer von Kämp- fen zu sehen, die sich auf geringer Eskalationsstufe dahinschleppten, als mit hOppe (wie Anm. 44)

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Heinrich der Löwe hatte sich behauptet. In den ersten beiden Kriegsjahren hatte es ihm die mangelnde Koordination und Entschlossenheit seiner Gegner erlaubt, den Vorteil der Inneren Linie auszunutzen und seine Truppen rasch so zwischen den Fronten zu verschieben, dass er seine Gegner einzeln schlagen konnte. Die Ver- bündeten vermochten es nicht, die ihnen zwangsläufg zukommende Äußere Linie für einen simultanen Mehrfrontenkrieg zu nutzen, der Heinrichs Widerstand hätte erdrücken können. Ende 1167 besserte sich zumindest im Einfrontenkrieg im Osten die Lage der Verbündeten, doch war Heinrichs Lage noch keinesfalls kritisch. Mit der Rückkehr des Kaisers war die politische Chance für ein Fait accompli im Krieg gegen den Löwen jedenfalls vorbei. Durch Friedrichs Vermittlung wurde aus dem lodernden Feuer der ersten Jahre ein Schwelbrand, der nach und nach erlosch.60

1177–1181

Der Pegauer Annalist irrt, wenn er in der Rückschau 1166 einen 15-jährigen ver- heerenden Krieg zwischen Heinrich und seinen Gegnern beginnen lässt.61 Die poli- tischen Konfikte in Ostsachsen wurden durch den Erfurter Frieden zwar nicht gelöst, aber eingekapselt. Die Abgrenzung der Interessensphären Heinrichs, Wich- manns und Ottos von Brandenburg schuf ein labiles Gleichgewicht. Es erlaubte etwa, dass Wichmann während Heinrichs Jerusalemfahrt 1172 als Verweser im Herzogtum Sachsen amtierte. Mit Otto von Brandenburg kämpfte Heinrich 1177 gegen die Pommern. Und politische Spannungen bestanden ebenso gut zwischen den Askanieren und Wichmann von Magdeburg oder Ludwig III. von Thüringen. Es gab keine Erbfeindschaft zwischen dem Löwen und einer Gruppe eingeschworener Gegner.62 Der Krieg, der zum Sturz des Löwen führen sollte, wurde möglich, weil Friedrich Barbarossa, dessen Eingreifen die Kämpfe der Jahre 1168–1170 mitentschieden hatte, sein Verhältnis zu dem welfschen Cousin, dessen Machtballung die Reichs- verfassung zu sprengen drohte und mit dem er auch um das Erbe der süddeutschen Welfen konkurrierte, nach der Verweigerung der Heerfolge in Chiavenna gründlich überdachte. Darauf konnten diejenigen Konkurrenten des Herzogs aufbauen, die Heerfolge geleistet und mit dem Kaiser die katastrophale Niederlage des Reichs- heeres gegen die Mailänder Kommunalmiliz bei Legnano durchlitten hatten. In der Umgebung Friedrichs konnten sie Weichen stellen, während Heinrich seine Verwei-

S. 206f., ein neuerliches Aufflammen nach einer Zeit der Waffenruhe. Vgl. auch heydeL (wie Anm. 55) S. 71. – Zerstörung Harburgs: Ann. Stad. S. 347. – Erfurter Hoftag: RI IV/2, Nr. 1887. 60 In England umlaufende Gerüchte über eine schwere Niederlage Heinrichs 1168 waren falsch und reflektierten auch nicht mehr die strategisch und politisch grundlegend gewandelte Lage. Vgl. KrabbO, winter (wie Anm. 32) Nr. 366, und ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 147. 61 Ann. Peg. S. 260. 62 pUhLe (wie Anm. 44) S. 151, lässt dies in seiner Verwunderung über die Entspannung zwischen Heinrich und Wichmann unberücksichtigt. Vgl. cLaUde (wie Anm. 30) S. 152f., gaethKe (wie Anm. 23) S. 412–419, und Hans patze: Geschichte Thüringens. Bd. 2/1. Köln, Wien 1974 (Mit- teldeutsche Forschungen 48), S. 25f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die sächsischen Kriege Heinrichs des Löwen 23 gerung mit Einfusslosigkeit bezahlte.63 Dabei sind zwei Positionen zu unterscheiden: Wichmann von Magdeburg und den hinter ihm stehenden sächsischen Bischöfen ging es um das begrenzte Ziel einer kirchenpolitischen Neuordnung, die Heinrichs Einfuss in Bremen und Halberstadt beseitigte. Entsprechende Regelungen wurden 1176 in den Vorfrieden von Anagni und 1177 in den Frieden von Venedig einge- fügt, mit dem die Kirchenspaltung beigelegt wurde. Weitreichender und aggressiver waren die Ambitionen des Kölner Erzbischofs Philipp von Heinsberg, der Rainalds Politik der territorialen Arrondierung übernommen und forciert hatte. Er strebte danach, Heinrichs Einfuss in Westfalen zu eliminieren.64 Nach der in Anagni beschlossenen Absetzung Geros von Halberstadt kehrte Ulrich Mitte 1177 nach 17 Jahren in seine Diözese zurück und begann damit, die durch Heinrich den Löwen entfremdeten Besitzungen des Hochstifts einzufordern.65 Der Bischof war allein keine militärische Gefahr, doch konnte sich Heinrich wohl ausrechnen, dass Ulrichs Rückkehr nur der Vorbote einer größeren Bedrohung war. Heinrich belagerte Demmin in Vorpommern, als ihn die Nachricht erreichte.66 Mit dem Abbruch dieses Feldzuges nach der Einnahme der Burg opferte er wie schon 1166 Ambitionen im Nordosten für die Sicherung seines Kernraumes. Ulrich hat- te mit dem Bau der Hornburg begonnen, um Halberstadt militärisch zu schützen. Heinrich kam ihm zuvor und zerstörte den unvollendete Bau im Dezember 1177.67 Als eigene Basis im Osten konnte er sich auf Neu-Haldensleben verlassen. Drei Kilometer nördlich der alten Stelle, direkt am Ohre-Übergang, hatte Heinrich hier nach 1170 Kolonisten angesiedelt. Es entstand eine Burgsiedlung mit städtischem Charakter, die inmitten von Sumpfand und durch zusätzliche Wasserbauten und Befestigungen der Siedler hervorragend geschützt war. Dieselben Siedler garan- tierten auch – besser als eine Burgmannschaft – eine entschlossene Verteidigung ihrer Heimat.68 Falls Heinrich gehofft hatte, durch diesen Handstreich den drohenden Krieg im Keim zu ersticken, so hatte er sich getäuscht. Zum einen begann Ulrich schon zu Anfang des Jahres 1178 mit dem Bau einer neuen Burg auf dem Hopelberg südöst- lich von Halberstadt. Es unterstützten ihn dabei andere ostsächsische Fürsten, insbe-

63 ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 318–319. Zur Begegnung in Chiavenna: ebd. S. 220–227. Vgl. Stefan weinFUrter: Die Entmachtung Heinrichs des Löwen. In: LUcKhardt, niehOFF (wie Anm. 30), S. 180–189, hier S. 184–186. 64 Wolfgang geOrgi: Wichmann, Christian, Philipp und Konrad: Die „Friedensmacher“ von Vene- dig? In: weinFUrter: Stauferreich (wie Anm. 34) S. 41–84, hier S. 73–77. ehLerS: Episkopat (wie Anm. 27) S. 448. cLaUde (wie Anm. 30) S. 154. – Zu Philipps Territorialpolitk: grOten (wie Anm. 34) S. 248–252. Vgl. weinFUrter: Entmachtung (wie Anm. 63) S. 182f. 65 bOgUmiL (wie Anm. 27), S, 249. 66 Arnold II 4, S. 40. Vgl. heydeL (wie Anm. 55) S. 87. 67 Ann. Palid. S. 95. Ann. Pegav. S. 261. Chronicon Montis Sereni. Hrsg. v. E. ehrenFeUchter. In: MGH SS 23. Hannover 1874, S. 138–226, hier S. 156. Vgl. Wilhelm biereye: Die Kämpfe gegen Heinrich den Löwen in den Jahre 1177–1181. In: Forschungen und Versuche zur Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Festschrift, Dietrich Schäfer zum siebzigsten Geburtstag dargebracht von seinen Schülern. Jena 1915, S. 149–196, hier S. 151. Diese Arbeit ist als laufender Kommentar zu den Quellen immer heranzuziehen. 68 SchwineKöper: Überlegungen (wie Anm. 29) S. 235. StOOb (wie Anm. 29) S. 224–226.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 24 Holger Berwinkel sondere Bernhard von Anhalt und Otto von Meißen.69 Zum anderen aber kam die hauptsächliche Bedrohung aus dem Westen. Noch vor Philipps Rückkehr im Winter 1177/1178 waren hier Lehnsleute der beiden Reichsfürsten aufeinander gestoßen. Heinrichs Gefolgsmann Bernhard von der Lippe hatte 1177 zunächst Graf Arnold von Altena, dann Graf Hermann von Ravensberg befehdet und dabei die Burg Spa- renberg bei Bielefeld besetzt.70 Der Erzbischof sammelte bis in den Oktober 1178 seine Kräfte, um dann mit einem starken Heer in Westfalen einzufallen. Heinrich, im Osten engagiert, wurde davon offenbar überrascht und hatte dem Vorstoß nichts entgegenzusetzen. Philipps Truppen schlugen eine Schneise der Verwüstung durch Westfalen, ehe sie bei Hameln die Weser überschritten. Höxter war niedergebrannt worden, obwohl der Stadtherr der Abt von Corvey war. Wichmann von Magdeburg und Bischof Eberhard von Merseburg gelang es als Vermittlern, Philipp für diesmal von weiterem Vordringen abzuhalten. Dennoch war Heinrich unter starken Druck geraten.71 Im Osten hatte er unterdessen die Initiative ergriffen und war mit seinem Heer gegen den Hopelberg vorgerückt. Erneut schaltete sich Wichmann als Vermittler ein und brachte einen friedlichen Abzug, diesmal Heinrichs, zustande. Die Burg brannte kurz darauf unter mysteriösen Umständen allerdings aus, was dem Her- zog angelastet wurde.72 Wichmann gab seine neutrale Rolle deshalb noch nicht auf, organisierte aber den Wiederaufbau des Hopelbergs – „eine deutliche Warnung an den Herzog, Defensivmaßnahmen Ulrichs nicht weiter zu behindern“.73 Heinrichs Versuch, durch eine entsandte Truppe unter der Führung Adalberts von Sommer- schenburg, der diesmal auf seiner Seite kämpfte, den Bau endgültig zu unterbinden, endete in einer schweren Niederlage, als die welfschen Truppen vom Heer Bern- hards von Anhalt überrascht wurden. Bernhards 400 Gefangene aus diesem Gefecht im Großen Bruch, 25 km von Halberstadt entfernt, waren für Heinrich ein schwerer Verlust.74 Diese Niederlage verdunkelte das Lagebild für Heinrich zum Jahresende zusätz- lich. Gegenüber dem ersten sächsischen Krieg hatte sich ein entscheidender Faktor geändert: Mit Philipp von Köln stand ihm ein Feind gegenüber, der ihm bereits für sich genommen ebenbürtig war und einen hohen militärischen Druck auch ohne Abstimmung in einem instabilen Fürstenbündnis aufbauen konnte. Mit Ulrich von Halberstadt, dem zweiten unbedingten Gegner des Löwen, hatte Philipp gleichwohl im Juni 1178 einen Beistandsvertrag nach dem Muster des Magdeburger Bündnisses

69 Arnold II 6, S. 41. Ann. Palid. S. 95. Ann. Magdeburg. S. 194. Cronicon Montis Sereni (wie Anm. 67) S. 157. 70 Annales Patherbrunnenses. Eine verlorene Quellenschrift des zwölften Jahrhunderts aus Bruch- stücken wiederhergestellt. Hrsg. v. Paul ScheFFer-bOichOrSt. Innsbruck 1870. S. 173f. Die Identi- fizierung des dort genannten Leuenberg mit dem Sparenberg ist zumindest plausibel, vgl. biereye (wie Anm. 67) S. 152. 71 Zusammenstellung der Quellen bei Knipping (wie Anm. 47) Nr. 1106. Vgl. biereye (wie Anm. 67) S. 153. 72 Ann. Pegav. S. 262. Die Ann. Palid. S. 95, und Arnold II 5, S. 41, erwähnen den Brand nicht und werten die Zerstörung offen als Sieg des Herzogs. 73 cLaUde (wie Anm. 30) S. 155 (Zitat). Vgl. hOppe (wie Anm. 44) S. 86f., 90f. 74 Ann. Pegav. S. 262. Ann. Palid. S. 95. Arnold II 5, S. 41. Vgl. StarKe (wie Anm. 28) S. 46–48.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die sächsischen Kriege Heinrichs des Löwen 25 von 1167 abgeschlossen, der den Partnern einen Separatfrieden untersagte. Dass dieses bilaterale Bündnis bei Kassel, also zumindest im Einfussbereich Ludwigs von Thüringen abgeschlossen wurde, zeigt an, dass Philipp auch weitere Fürsten aus dem Kreis der östlichen Gegner des Löwen an sich zu binden begann.75 Und Philipp be- stimmte auch die neue Haltung Friedrich Barbarossas zu Heinrich dem Löwen. Der Kaiser vermied zwar eine offene Parteinahme und betonte dies durch den Befehl an die ostsächsischen Fürsten, den Ausbau des Hopelbergs einzustellen.76 Als Philipp und Heinrich am 11. November 1178 in Worms vor ihm ihre wechselseitigen Klagen erhoben, wies er seinem Cousin aber die Rolle des Beklagten zu und brach mit der 1168 gezeigten Protektion. Der Kaiser ließ Heinrichs Gegnern jetzt freien Lauf.77 Zum anderen setzte Friedrich den juristischen und politischen Prozess zum Sturz des Löwen in Gang. Heinrich entzog sich der sicheren Aburteilung nach Landrecht durch Nichterscheinen auf dem angesetzten Hoftag in Worms im Januar, setzte sich damit aber prozessual ins Unrecht. Als er auch der Ladung nach Magdeburg im Juni nicht folgte und ein Vermittlungsversuch an der vom Kaiser geforderten Geldsumme scheiterte, versuchte Friedrich noch, durch ein persönliches Gespräch in Haldens- leben einen Ausgleich herzustellen. Als dies misslang, konnten Heinrichs radikale Gegner die Einleitung eines zusätzlichen Verfahrens nach Lehnrecht durchsetzen und damit den Spielraum des Kaisers zur Vermittlung eines Ausgleichs einengen. Heinrich verfel auf dem Hoftag von Kayna im August 1179 der Acht.78 Der Winter 1178/79 war ungewöhnlich lang und hart, sodass die Kämpfe in der ersten Jahreshälfte ruhten. Auf dem westlichen Kriegsschauplatz fammten sie mit dem Vorstoß eines in Nordelbien ausgehobenen welfschen Heeres unter den Grafen Gunzelin von Schwerin, Adolf III. von Holstein und Bernhard von Ratze- burg nach Westfalen wieder auf, das am 1. August in der Schlacht auf dem Haler- feld nordwestlich von Osnabrück einen großen Sieg über die westfälischen Trup- pen Philipps unter der Führung Simons von Tecklenburg davontrug. Im Streit um die zahlreichen Gefangenen und das mit ihnen verbundene Lösegeld überwarf sich Heinrich nach der Schlacht aber mit Adolf von Holstein, seinem wichtigsten nord-

75 Gustav Schmidt (Hrsg.): Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe. Erster Theil: Bis 1236. Leipzig 1883 (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 17, 1), Nr. 283. Vgl. Knipping (wie Anm. 47) Nr. 1105, ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 325, hOppe (wie Anm. 44) S. 85f., und biereye (wie Anm. 67) S. 156f., der den Vertragsschluss aber zu spät ansetzt: Waffenruhen, wie die von Wichmann vermittelten, waren keine Genugtuung (satisfactio) im Sinne der Separatfriedensklausel des Kasseler Vertrages. – Die Annales S. Petri Erphesfurtenses breves et maiores. In: Monumenta Erphesfurtenses saec. XII, XIII, XIV. Hrsg. v. Oswald hOLder- egger. Hannover 1899 (MGH SS rer. Germ. [42]), S. 45–67, hier S. 63, führen Ludwigs Kriegs- eintritt 1179 auf die Aufstachelung durch Philipp von Köln zurück. 76 Ann. Pegav. S. 262. 77 RI IV/2, Nr. 2461. Vgl. biereye (wie Anm. 67) S. 154f., ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 329, und weinFUrter: Philipp (wie Anm. 34) S. 469–472. Die Annales Patherbrunnenses (wie Anm. 69) S. 174f., melden, Philipp sei 1178 bereits cum auxilio imperatoris zur Weser vorgesto- ßen, worunter politische Duldung zu verstehen ist. 78 RI IV/2, Nr. 2476, 2496f., 2513. ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 332. weinFUrter: Philipp (wie Anm. 34) S. 477–479. Zum Vermittlungsversuch und Friedrichs zu hoher Forderung: aLthOFF: Heinrich (wie Anm. 56) S. 127. Knut görich: Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert. Darmstadt 2001, S. 343f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 26 Holger Berwinkel elbischen Gefolgsmann, der umsonst auf die erheblichen Belastungen verwies, die ihm die Unterstützung seines Lehnsherrn aufbürdete. Strategisch wurde der Sieg auf dem Halerfeld fankiert durch einen Verwüstungszug Bernhards zur Lippe und Widukinds von Rheda gegen Medebach und Soest.79 Wohl im Umfeld des Hoftages von Kayna brachte Heinrich im August einen Ausgleich mit Ulrich von Halberstadt zustande, der die Exkommunikation des Welfen aufhob und dafür dessen Zustimmung zum Wiederaufbau der Hornburg erhielt.80 Als von dort aus bischöfiche Truppen aber Streifzüge gegen seine Besit- zungen unternahmen, entsandte Heinrich eine Truppe, der es am 23. September ge- lang, Halberstadt im Sturm zu nehmen. Dabei brach ein Feuer aus, dem etwa 1000 Einwohner, darunter Angehörige des Domklerus, und die Kirchen und Klöster der Stadt zum Opfer felen. Bischof Ulrich geriet in Gefangenschaft. Die Hornburg, das Primärziel des Unternehmens, wurde erneut zerstört.81 Ein begrenzter militärischer Schlag war außer Kontrolle geraten und richtete großen politischen Schaden an. Wichmann von Magdeburg griff jetzt offensiv in die Kämpfe ein. Dazu trug bei, dass am 19. September ein slawisches Heer, das auf Heinrichs Veranlassung in die Lausitzen eingefallen war, bei Lübben im Spree- wald das Ministerialenaufgebot Dietrichs von Landsberg schlug und dann bis zum Wintereinbruch plündernd bis Jüterbog, in das magdeburgische Kolonisationsgebiet, zog.82 Acht Tage nach dem Brand von Halberstadt stand das Aufgebot der ostsäch- sischen Fürsten unter Wichmanns Führung vor Haldensleben. Auch Ludwig III. von Thüringen beteiligte sich jetzt offen mit 400 Panzerreitern an dem Unternehmen.83 Wichtiger war aber, dass Philipp von Heinsberg mit 4000 Gewappneten zu den Be- lagerern stieß. Hatte er im Vorjahr an der Weser halt gemacht, so war er diesmal mit seinem Heer quer durch Heinrichs Machtbereich hindurch gestoßen. Die Belagerung Haldenslebens war am neuen Standort noch herausfordernder, weil es des sumpfge Gelände erschwerte, Belagerungsgerät an die gestaffelte Wallanlage heranzuführen. Die Garnison konnte die Beschaffenheit des Moorgrundes sogar offensiv ausnutzen, indem sie ein Feuer legte, das sich unterirdisch solange ausbreitete, bis der Boden unter den Maschinen nachgab. Entscheidend für den Misserfolg der Belagerten war

79 Zusammenstellung der Quellen zu beiden Angriffen bei Knipping (wie Anm. 47) Nr. 1127. Zur Datierung biereye (wie Anm. 67) S. 183 Anm. 2. Den Streit um die Gefangenen schildert Arnold II 13, S. 51f. 80 Ann. Palid. S. 95: Horneburg rursus annuente duce reedificatur. Vgl. heydeL (wie Anm. 55) S. 89f. biereye (wie Anm. 67) S. 158, 161. 81 biereye (wie Anm. 67) S. 164f., mit Aufzählung der Quellen. Die Breite der Berichterstattung lässt die Wirkung des Ereignisses bei den Zeitgenossen erkennen. – Ob das Feuer wirklich ein Un- fall war, muss dahingestellt bleiben. Arnold II 14, S. 52, tut alles, um Heinrich den Löwen von der Schuld am Untergang Halberstadts reinzuwaschen. Vgl. die Gesta episcoporum Halberstadensium. Hrsg. v. Ludwig weiLand. In: MGH SS 23. Hannover 1874, S. 73–11, hier S. 108. Vgl. Bernd Schütte: Staufer und Welfen in der Chronik Arnolds von Lübeck. In: Stephan FreUnd, Bernd Schütte (Hrsg.): Die Chronik Arnolds von Lübeck. Neue Wege zu ihrem Verständnis. Frankfurt am Main u.a. 2008 (Jenaer Beiträge zur Geschichte 10), S. 113–148, hier S. 140. 82 Chronicon Montis Sereni (wie Anm. 67) S. 157 (irrig zu 1180). Vgl. biereye (wie Anm. 67) S. 168. cLaUde (wie Anm. 30) S. 157. 83 Die Sächsische Weltchronik. Hrsg. v. Ludwig weiLand. In: MGH Deutsche Chroniken 2. Hanno- ver 1877, S. 1–279, hier S. 231, erwähnt die Zahlung von Stipendien von Wichmann an Ludwig.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die sächsischen Kriege Heinrichs des Löwen 27 aber nicht dieser taktische Rückschlag, sondern der Ausbruch neuer Streitigkeiten in der Fürstenkoalition, in diesem Fall zwischen Philipp von Köln und Otto von Meißen um den Oberbefehl. Als beide Parteien von Haldensleben abzogen, musste Wichmann die Belagerung aufheben.84 Dennoch ist die Belagerung wegen der Teil- nahme Philipps von Köln ein Symptom für Heinrichs strategischen Bodenverlust. Das Engagement des Erzbischofs war durch die zahlenmäßige Stärke seines Heeres möglich, das zu einem großen Teil aus Söldnern bestand. Die Bedrohung durch diese Truppe ist auch daran abzulesen, dass Heinrich, der während der Kämpfe um Halberstadt und Haldensleben in Braunschweig blieb, die Stadt auf eine Belagerung vorbereitete.85 Nur gegen Ende des Jahres rückte er zu einem Verwüstungszug in das Bodetal aus.86 Unterdessen mahlte die langsame Mühle der rechtlichen und politischen Ent- machtung des Löwen aber weiter. Am 13. Januar 1180 wurden ihm auf dem Würz- burger Hoftag seine Reichslehen abgesprochen. Neuer Herzog von Sachsen wurde Bernhard von Anhalt. Es ist merkwürdig, dass gerade jetzt zumindest ein Teil der Fürsten einen bis zum 27. April befristeten Waffenstillstand schlossen.87 Eher als weit reichende politische Überlegungen kann man dahinter das beiderseitige Interes- se vermuten, einen ruinösen Winterfeldzug zu vermeiden.88 Als der politische Sturz des Löwen am 13. April 1180 auf dem Hoftag von Gelnhausen vollendet wurde und Philipp von Köln das neu geschaffene Herzogtum Westfalen erhielt, hatte der zur Exekution des Urteils nötige militärische Druck deshalb deutlich nachgelassen. Doch wurde in Gelnhausen aus dem Kreise der östlichen Kriegsgegner Landgraf Ludwig III. von Thüringen mit der durch den Tod Adalberts von Sommerschen- burg im Vorjahr vakant gewordenen sächsischen Pfalzgrafenwürde belehnt, und dies gab Friedrich und Philipp die Handhabe, ihn noch vor dem Ende des Waffenstill- standes zu neuen Kampfhandlungen gegen den Welfen anzuhalten.89 Ludwig kam dem nach, beschränkte sich aber auf Verwüstungszüge in welfsches Gebiet, wofür er die Reichsstadt Goslar als Basis nutzen konnte. Heinrichs Gegenschlag fel umso heftiger aus: Die Belagerung Goslars brach er zwar nach kurzer Zeit wegen des energischen Widerstandes der Besatzung ab, marschierte dann aber nach Thüringen

84 Einen besonders detaillierten Bericht gibt das Chronicon Montis Sereni (wie Anm. 67) S. 157 (irrig zu 1181). Der unterirdische Moorbrand ist wohl keine Anekdote; nach SchwineKöper war diese Technik bis in das 20. Jahrhundert in Gebrauch. Zusammenstellung der weiteren Quellen bei Knipping (wie Anm. 47) Nr. 1137, und biereye (wie Anm. 67) S. 165–167. 85 Ann. Stederburg. S. 214. 86 Arnold II 15, S. 55. Ann. Peg. S. 263. 87 Ann. Pegav. S. 263. Cronicon Montis Sereni (wie Anm. 67) S. 157. 88 Vgl. ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 335f. Politische Motive machte weinFUrter: Philipp (wie Anm. 34) S. 457f., 469–472, aus. Wilhelm von gieSebrecht: Geschichte der deutschen Kaiser- zeit. Bde. 5–6. Braunschweig 1888–1895, hier Bd. 5, S. 921, vermutet mit guten Gründen, dass Heinrich am unmittelbarsten einen Vorteil aus dem Waffenstillstand zog. – Zu den Problemen des Winterkrieges und zu den Motiven, warum trotzdem im Winter Krieg geführt wurde, siehe Aldo A. Settia: Rapine, assedi, battaglie. La guerra nel medioevo. Bari 2002, S. 229–237. 89 Annales S. Petri Erphesfurtenses (wie Anm. 75) S. 63. Vgl. weinFUrter: Philipp (wie Anm. 34) S. 457f. Der Erfurter Annalist erwähnt allerdings auch, dass neben dem Kaiser und Philipp von Köln weitere Fürsten Ludwig um seine Offensive gebeten hätten. Wer diese Fürsten waren, bleibt im Dunkeln.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 28 Holger Berwinkel ein und brannte die Reichsstadt Nordhausen nieder. Ludwig konnte sich dem nicht allein entgegenstellen und erwartete bei seiner Burg Weißensee den Zuzug Bern- hards von Anhalt. Heinrich war jedoch schneller, zog nach Südosten und schlug in der Schlacht bei Weißensee am 14. Mai das thüringische Aufgebot vernichtend; Ludwig, sein Bruder Hermann und 400 Ritter gerieten in Gefangenschaft. Den fie- henden Rest verfolgten die welfschen Truppen bis zur Reichsstadt Mühlhausen, die ebenfalls niedergebrannt wurde. Angesichts dieses Desasters konnte sich Bernhard von Anhalt nur sofort wieder zurückziehen.90 Wie in Gelnhausen festgelegt, begann die Reichsheerfahrt gegen Heinrich den Löwen am 25. Juli 1180. Die Protagonisten der bisherigen Fürstenkoalition erschei- nen jetzt als aufgebotene Reichsfürsten in einem Heer unter dem Oberbefehl des Kaisers: Philipp von Köln und Wichmann von Magdeburg, Bernhard von Anhalt, Otto von Meißen und Dietrich von Landsberg, und neu an ihrer Seite Adolf III. von Schaumburg.91 Ludwig von Thüringen befand sich noch in Gefangenschaft, Ulrich von Halberstadt war am 30. Juli 1180 gestorben. Auch wenn Friedrich dieses Heer nicht autokratisch lenken konnte, sondern auf den Konsens der Aufgebotsführer angewiesen war: Gegenüber der bisherigen Aktionsform bedeutete diese Zusam- menfassung eine neue Qualität der Handlungseinheit und bündelte die verfügbaren Kräfte an dem Punkt, an dem sie strategisch die maximale Wirkung entfalten konn- ten. Heinrichs Burg Lichtenberg (heute zu Salzgitter), das erste Ziel des Reichsheeres, fel nach kurzer Belagerung. Von diesem Stützpunkt aus hätten die welfschen Trup- pen Goslar und Hildesheim, das Aufmarschgebiet gegen Braunschweig, bedrohen können.92 Am 15. August hielt Friedrich in der alten Königspfalz Werla an der Oker einen Hoftag ab, auf dem Heinrichs Gefolgsleuten drei Stichtage zum Wech- seln der Seiten gesetzt wurden (8. und 29. September, 11. November). Gleichzeitig wurde mit dem Aufbau oder Weiterbau mehrerer Burgen begonnen, darunter die Harzburg und der Hopelberg zum Schutze Halberstadts durch den während der Belagerung des Lichtenbergs mit den Regalien investierten neuen Bischof, Dietrich von Krosigk.93

90 Ann. Palid. S. 95. Ann. Pegav. S. 263. Ann. Stederburg. S. 215. Ann. Magdeburg. S. 194. Arnold II 16, S. 55f. Chronicon Montis Sereni (wie Anm. 67) S. 157. Annales St. Petri Erphesfurt. (wie Anm. 75) S. 65. Chronica regia Coloniensis. Hrsg. v. Georg waitz. Hannover 1880 (MGH SS rer. Germ. [18]), S. 130f. Annales Patherbrunnenses (wie Anm. 70) S. 176. Vgl. biereye (wie Anm. 67) S. 175f., auch zur zeitlichen Abfolge, patze: Thüringen (wie Anm. 62) S. 26f., und immer noch gieSebrecht (wie Anm. 88) Bd. 6, S. 571f. Ebd., Bd. 5, S. 923, wird zurecht angemerkt, dass Goslar als Ziel von Heinrichs nächstem Schritt vorauszusehen war, und die Stadt wohl entsprechen- de Vorbereitungen getroffen hatte. 91 DF I. Nr. 799. 92 heinemann (wie Anm. 35) S. 287, 295f. 93 Streich (wie Anm. 30) S. 485f. biereye (wie Anm. 67) S. 179f. Von fünf Burgen, darunter der Harzburg, ist in den Annales S. Petri Erphesfurtenses (wie Anm. 75) S. 65, die Rede. Die Nachricht der Gesta episcoporum Halberstadensium (wie Anm. 81) S. 109, über den Weiterbau am hier als Langensten bezeichneten Hopelberg lässt sich plausibel darauf beziehen. Die Ann. Pegav. S. 264, nennen die Harzburg und Biscofisheim. Zur Identität von Hopelberg, Bischofsheim und Langen- stein: gieSebrecht (wie Anm. 88) Bd. 5, S. 902. – Den raschen Fall des Lichtenbergs führt Arnold II 17, S. 58, auf Verrat zurück.

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Das genügte bereits an militärischer Einwirkung. Friedrich entließ sein Heer am 8. September und verbrachte den Winter in Thüringen. Er vermied dadurch eine stärkere Belastung des Landes für die kommende Feldzugssaison.94 In Sachsen setzte jetzt der massenhafte Abfall seiner Getreuen von Heinrich ein, was seine Posi- tion südlich der Elbe zur Implosion brachte. Namentlich fassbar sind die Grafen von Wöltingerode-Wohldenberg, von Scharzfeld, von Dannenberg und von Ilfeld- Honstein sowie die Ministerialen Heinrich von Weida, Luppold und Heinrich von Herzberg, Eckbert von Wolfenbüttel, Eckbert und Anno von Heimburg und Ludolf von Peine. Damit wechselten auch wichtige Burgen wie die Heimburg, die Lauen- burg und der Regenstein in die Verfügung des Kaisers, der jetzt mit Ausnahme Blankenburgs den gesamten Harz beherrschte. Von den bedeutenden Ministerialen hielten nur Jordan I. von Blankenburg und Ludolf II. von Dahlum Heinrich die Treue.95 Angesichts dieser Lage zog sich der Haufen der verbliebenen Getreuen unter Bernhard von Lippe nach Neu-Haldensleben zurück, um von dieser zentralen und gut geschützten Position aus den ostsächsischen Gegnern zumindest einen hin- haltenden Abnutzungskrieg durch Verwüstungszüge zu liefern.96 Als das kaiserliche Heer in die Stammlande um Braunschweig einfel, befand sich Heinrich der Löwe nördlich der Elbe, um die Grafschaft Holstein zu besetzen. Nachdem Plön erobert war, musste er die Belagerung Segebergs, wo sich Adolfs Mutter verschanzt hatte, Bernhard von Ratzeburg anvertrauen, um nach Süden zu eilen. Der Erosion seiner personellen Machtbasis konnte er auch damit allerdings nichts entgegensetzen. Segeberg fel erst im September, nachdem Bernhard die Was- serversorgung hatte unterbrechen lassen. Dieser Sieg verhinderte nicht, dass sich Heinrich im Winter 1180/1181 auch Bernhards entledigte, dem – zu Recht oder zu Unrecht – Verrat unterstellt wurde. Mit der Unterstützung der Lübecker Bürger nahm Heinrich Ratzeburg und Gadebusch ein, Bernhard foh zu seinem askanischen Namensvetter.97 Der Vorteil an der so entstandenen Situation war für Heinrich der direkte und ungeteilte Zugriff auf Wagrien als starke und in sich geschlossene Bas- tion. Er ließ Plön, Segeberg und Ratzeburg befestigen98 – drei Burgen, die Lübeck als Schutzgürtel umgaben. Anfang Februar 1181 gelang es dem Magdeburger Aufgebot nach heftigen, aber vergeblichen Attacken während der Frostperiode, Haldensleben mit einer durch das Aufstauen der Ohre herbeigeführten Überfutung einzunehmen.99 Blankenburg als

94 gieSebrecht (wie Anm. 88) Bd. 5, S. 927. 95 Arnold II 17, S. 58. Vgl. Streich (wie Anm. 30) S. 486, und Claus-Peter haSSe: Die welfischen Hofämter und die welfische Ministerialität in Sachsen. Studien zur Sozialgeschichte des 12. und 13. Jahrhunderts. Husum 1995 (Historische Studien 443), S. 30f. 96 Ann. Pegav. S. 264. Ann. Magdeburg. S. 195. Ann. Stederburg. S. 214. Vgl. StOOb (wie Anm. 29) S. 229. 97 Arnold II 16, S. 57. Vgl. biereye (wie Anm. 67) S. 177, 182f., und heydeL (wie Anm. 55) S. 93f. 98 Arnold II 19, S. 61. 99 Hauptquellen: Ann. Pegav. S. 264. Ann. Palid. S. 95f. Chronicon Montis Sereni (wie Anm. 67) S. 158. Annales Patherbrunnenses (wie Anm. 70) S. 176f. Arnold II 11, S. 50 (fehlerhaft). Vgl. gieSebrecht (wie Anm. 88) Bd. 5, S. 932f., biereye (wie Anm. 67) S. 184, und cLaUde (wie Anm. 30) S. 158f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 30 Holger Berwinkel letzte Bastion der Parteigänger Heinrichs im Harzraum fel im Sommer des Jahres in die Hände Dietrichs von Halberstadt.100 Die eigentliche Offensive zur Niederwer- fung des Herzogs begann am 24. Juni mit der Vereinigung von Barbarossas Truppen mit denen der Fürsten bei der Hornburg. Von hier wurde Philipp von Köln mit wei- teren Kirchenfürsten abgeordnet, um eine Stellung bei Leiferde zu beziehen und von dort aus mit ihrem Heer Braunschweig in Schach zu halten. Es verhielt sich passiv, verwüstete aber bis zum 31. August die Umgebung der Stadt. Das Hauptheer zog indessen nach Norden und bezog seine Stellung in Bardowick, wo sich eine kaiser- liche Zollstätte als Basis anbot.101 Der letzte Akt des Dramas gehört unter die Unwägbarkeiten des Krieges: Hein- rich hatte Lübeck zusätzlich befestigen lassen und zog dann über Ratzeburg zur Elbe, um Friedrich den Übergang zu verwehren.102 An sich befand er sich in einer günstigen Position. Womit er jedoch nicht rechnete, war ein Handstreich der Ge- folgsleute Bernhards von Ratzeburg auf die von ihrer Garnison entblößte Burg. „Auf die Nachricht hiervon kehrte Heinrich sogleich wuthschnaubend zurück“,103 um Ratzeburg zu belagern und nicht von seiner Lübecker Basis abgeschnitten zu werden. Das aber gab Friedrich die Gelegenheit zum Überschreiten der Elbe. Von zwei Seiten bedroht, musste Heinrich Lübeck und seinen wagrischen Burgengürtel im Stich lassen und sich mit dem Schiff nach Stade absetzen. Mit Hilfstruppen aus der Region und einer dänischen Flotte auf der Trave belagerte das Reichsheer dann Lübeck, dessen Bürger angesichts ihrer aussichtslosen Lage von Heinrich die Er- laubnis zur Kapitulation erhielten.104 Der Krieg war damit entschieden. Heinrich der Löwe war in Stade zwar gut geschützt, aber Matt gesetzt. Ausländische Unterstüt- zung hatte er – entsprechenden Befürchtungen auf kaiserlicher Seite zum Trotz – nicht für sich mobilisieren können. Im November 1181 unterwarf sich Heinrich der Löwe auf einem Hoftag in Erfurt, musste den Verlust seiner Herzogswürden und aller Besitzungen außer seinen Erbgütern um Braunschweig und Lüneburg akzep- tieren und in die Verbannung nach England gehen.105

100 Ann. Palid. S. 96. Ann. Peg. S. 264f. Ann. Stederburg. S. 214. Gesta episcoporum Halberstaden- sium (wie Anm. 81) S. 109. 101 Knipping (wie Anm. 47) Nr. 1167, 1169. Ferdinand OpLL: Das Itinerar Friedrich Barbarossas (1152–1190). Wien, Köln, Graz 1978 (Regesta Imperii, Beihefte 1), S. 78. Gerhard von Steterburg berichtet eindringlich von den Konsequenzen der Blockade für das Braunschweiger Land: Ann. Stederburg. S. 214. 102 Arnold II 20, S. 62. Die Befestigungen von 1181 lassen sich in Lübeck in archäologischen Stadt- mauerbefunden wiedererkennen: Günter P. Fehring: Lübeck zur Zeit der Welfen (1125–1235). Archäologische Erkenntnisse zu Topographie, Grundstücks- und Bebauungsstrukturen. In: LUcK- hardt, niehOFF (wie Anm. 30) S. 408–417, hier S. 410f. 103 gieSebrecht (wie Anm. 88) Bd. 5, S. 938. 104 Arnold II 20–21, S. 62–65. Ann. Stad. S. 349. 105 Jens ahLerS: Die Welfen und die englischen Könige 1165–1235. Hildesheim 1987 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 102), S. 99–111. – ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 342f.

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1189–1192

Heinrichs letzter Krieg um Sachsen unterschied sich grundlegend von den vorange- gangenen: Heinrich war nicht mehr der übermächtige Herr eines geschlossenen Herr- schaftsbereichs, den es gegen eine Meute von Gegnern zu verteidigen galt, sondern musste sich eine Machtposition erst aus einem Kuchen herausschneiden, der bereits anderweitig verteilt war, und sich dazu der Mittel bedienen, die sich ihm anboten. Er war auch nicht mehr der alleinige Kopf seiner Unternehmen, sondern teilte sie sich zunehmend mit seinem gleichnamigen ältesten Sohn, dem späteren Pfalzgrafen bei Rhein. Auf dem nördlichen Kriegsschauplatz entwickelte sich aus dieser Kons- tellation ein multipolarer Burgenkrieg mit mehreren Akteuren. Im Süden galten alle Unternehmen dagegen Braunschweig als erratischem Block welfscher Macht. Nördlich der Elbe waren auf das Ende der Herrschaft des Löwen konkurrie- rende lokale Machthaber gefolgt. Adolf III. von Holstein, der sich eng an den Kaiser angeschlossen hatte, rivalisierte mit Helmold von Schwerin und Bernhard von Ratzeburg. Zwischen den drei Grafen konnte Herzog Bernhard von Sachsen seine Herzogsgewalt nicht etablieren. Lübeck war seit 1181 Reichsstadt.106 In dieses Gemenge hineinzustoßen, eröffnete sich Heinrich die Gelegenheit, als Erzbischof Hartwig II. von Bremen, ein ehemaliger Notar Heinrichs, 1187/1188 mit dem Ver- such scheiterte, Dithmarschen durch Adolf von Holstein und Moritz von Oldenburg unterwerfen zu lassen.107 Hartwig verfel deshalb auf den Plan, Heinrich den Löwen aus seinem zweiten Exil zurückzurufen und mit den Grafschaften Stade und Dith- marschen zu belehnen. Der alte Herzog und sein Sohn Heinrich kehrten daraufhin um den 29. September 1189 entgegen der mit Friedrich Barbarossa getroffenen Ab- machung aus England zurück. Die Gelegenheit war günstig, weil Adolf von Holstein mit Friedrich Barbarossa auf dessen Kreuzzug gezogen war. Helmold von Schwerin, Bernhard von Ratzeburg und der von Adolf vertriebene Holsteiner „Volksadel“ traten auf die Seite der beiden Welfen.108 In einem Herbstfeldzug unterwarf Heinrichs Bündnis schnell fast ganz Nor- delbien: Bardowick, das 1181 ein wichtiger Stützpunkt für den kaiserlichen Nord- feldzug gewesen war, wurde am 28. Oktober zerstört, im November felen jenseits der Elbe Itzehoe, Plön und Lübeck, wo Adolfs Familie Schutz gesucht hatte, im Dezember mit der Lauenburg durch Verrat der nächstgelegene Stützpunkt Bern- hards von Sachsen. Adolf von Dassel, der Statthalter des Grafen von Holstein, wur-

106 Hans-Joachim Freytag: Der Nordosten des Reichs nach dem Sturz Heinrichs des Löwen. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 25 (1969), S. 471–530, hier S. 478–489. 107 Otto Heinrich may (Hrsg.): Regesten der Erzbischöfe von Bremen. Bd. 1. Hannover 1937 (Ver- öffentlichungen der Historischen Kommission für Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaum- burg-Lippe und Bremen 11), Nr. 637. Vgl. Freytag (wie Anm. 106) S. 493. – Zu den Bauern Dithmarschens und ihrer Tradition als Fußsoldaten: Jan F. verbrUggen: The Art of Warfare in Western Europe during the Middle Ages. Übersetzt v. Sumner wiLLard, R. W. SOUthern, 2. engl. Aufl. Woodbridge 1997, S. 115–117. 108 Freytag (wie Anm. 106) S. 494. hägermann (wie Anm. 39) S. 60f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 32 Holger Berwinkel de vertrieben. Erst vor Segeberg kam der Vormarsch zum Halten, als die von Hein- rich angeworbenen Holsaten zum Gegner überliefen.109 Bernhard von Sachsen wandte sich um Hilfe an König Heinrich VI., der in der Abwesenheit seines Vaters Friedrich Barbarossa die Reichsgeschäfte verwaltete. Auf einem Hoftag in Merseburg wurde noch Mitte Oktober ein Feldzug gegen Braun- schweig angesetzt, wo mittlerweile der jüngere Welfe Heinrich das Kommando über- nommen hatte. Der König wusste um die logistischen Probleme der Kriegführung im Winter, wollte aber gerade daraus eine Waffe gegen den Welfen schmieden und durch die Verheerung des Braunschweiger Landes die Basis seines Widerstands untergraben.110 Als das Reichsheer im November 1189 aber vor Braunschweig an- langte, hatte Heinrich diesen Plan bereits durchkreuzt und die Nahrungsmittelvorräte des Umlandes in die Stadt schaffen lassen. Zwar führten die Angreifer ihren Plan noch aus und verheerten das Land, weder konnten sie damit aber Heinrich scha- den noch die eigenen Truppen unter den winterlichen Bedingungen mit Nahrung versorgen. Ein direkter Angriff auf Braunschweig verbot sich unter diesen Bedin- gungen. Vorposten der Verteidiger in Gehöften außerhalb der Stadt – Lanzenträger und Armbrustschützen, also Fußsoldaten – verhinderten bereits die Annäherung an die Befestigungen. Für die Landbevölkerung war die doppelte Ausplünderung eine Katastrophe, die Gerhard von Steterburg in düsteren Farben ausmalt.111 Für Heinrich bedeutete sie einen wichtigen Erfolg. Auf dem Rückzug scheiterte das Reichsheer auch an der Belagerung der Burg Limmer an der Leine, die Konrad von Roden, ein Parteigänger der Welfen, verteidigte. Als einziger Erfolg dieses Feld- zuges konnte Hannover eingeäschert werden. Dem König blieb nichts anderes, als den nächsten Feldzug auf den Mai des Folgejahres anzusetzen.112 Im Frühjahr 1190 konsolidierte sich dafür die Lage der Partei Adolfs von Holstein im Norden. Adolf von Dassel griff wieder in die Kämpfe ein. Nach der Behauptung Segebergs scheiterte auch der Angriff eines welfschen Heeres unter Helmold von Schwerin, Bernhard von Ratzeburg und Jordan von Blankenburg, dem Truchsess Heinrichs des Löwen, auf Lübeck. Sie wurden bereits beim Anmarsch vernichtend geschlagen. Viele Kämpfer ertranken auf der Flucht in der Trave, Bernhard und Jordan wurden gefangen genommen und mussten sich teuer auslösen. Noch behielt Heinrich allerdings die wichtigsten festen Plätze des Holsteins sowie Hamburg und Stade in seiner Hand.113 Ihre uneindeutige Lage ließ die Welfen eine Verständigung mit dem König suchen, der selbst dringend freie Hand brauchte, um seinen Erbanspruch auf das

109 Arnold V 1–2, S. 147–149. Vgl. Freytag (wie Anm. 106) S. 494f. 110 Ann. Stederburg. S. 221: et licet hyemis inclementia eum posset deterrere, quae tunc ut semper post festum sancti Martini imminens est, inconsulte expeditionem cum suis et Magutino et orientalibus principibus ducem persecuturus arripuit, fugam ipsius eo fore molestiorem existimans, si hyeme fieri videretur. 111 Ann. Stederburg. S. 221f. 112 Ann. Stederburg. S. 222. Arnold V 3, S. 150. Ann. Pegav. S. 267. Vgl. heinemann (wie Anm. 35) S. 312, und Peter cSendeS: Heinrich VI. Darmstadt 1993, S. 75f. – Es kann aus dieser Episode jedoch nicht mit cSendeS, ebd., auf „geringe militärische Talente“ des Königs geschlossen werden: Der Plan war riskant, aber nicht unvernünftig, nur wurde er vom Gegner vorweggenommen. 113 Arnold V 2, S. 149. Vgl. Freytag (wie Anm. 106) S. 496.

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Königreich Sizilien durchzusetzen. Auf einem Fuldaer Hoftag wurde im Juli 1190 ein Friede geschlossen, in dem Heinrich der Löwe das Versprechen der Wiederein- setzung in seinen früheren Stand mit einer Reihe von Verpfichtungen kompensierte, die unter anderem einen Ausgleich mit Adolf von Holstein und die Entfestigung Braunschweigs vorsahen. Hartwig II. von Bremen wurde abgesetzt und ging nach England ins Exil. Der jüngere Heinrich würde den König mit 50 Rittern nach Sizi- lien begleiten.114 Durch den Tod Friedrich Barbarossas im Orient am 10. Juni 1190 bekam das Italienunternehmen um so mehr Bedeutung. Am 15. April 1191 ließ sich Heinrich VI. in Rom zum Kaiser krönen. Die sich anschließende Belagerung Neapels ging jedoch in einer Epidemie unter, die im kaiserlichen Lager ausbrach und unter an- derem Erzbischof Philipp von Köln das Leben kostete. Wohl unter dem Eindruck dieser Katastrophe und aus Sorge um den Fortbestand der Dynastie setzte sich der Welfe Heinrich im Juli mit seinen Leuten in die belagerte Stadt und dann per Schiff nach Norden ab.115 Auch der Ausgleich mit Adolf III. kam nicht zustande. Der Graf kehrte im Frühsommer 1191 vom Kreuzzug zurück und begann mit der Belagerung Lübecks. Heinrich der Löwe warb daraufhin ein Heer an und entsandte es unter dem Befehl Konrads von Roden und Bernhards von Ratzeburg zum Entsatz der Belagerten. Bei Boitzenburg wurde diese Truppe jedoch in die Flucht geschlagen.116 Adolf nutzte den Erfolg aus, um die Offensive weiterzutreiben. Ein in Hamburg angeworbenes Heer landete mit Schiffen bei Stade an und begann mit der Verwüstung des Um- landes. Konrad von Roden erachtete die Lage als aussichtlos und übergab die Stadt gegen freien Abzug.117 Bis auf Lübeck und die festen Plätze an der Elbe hatte sich Adolf von Holstein bis zum Jahresende im Land durchgesetzt.118 Nach der Flucht des jüngeren Welfen hatte Heinrich VI. noch von Italien aus Boten nach Deutschland gesandt, um den Widerstand gegen die beiden Welfen zu formieren, unter anderem an Wichmann von Magdeburg. Heinrich der Löwe beteu- erte zwar, vom Verrat seines Sohnes nichts gewusst zu haben und suchte nach einem Ausgleich; dem stand jedoch der Wille der sächsischen Fürsten zur Konfrontation entgegen.119 Bei Leiferde, wo schon 1181 das Observationsheer unter Philipp von Köln seine Stellung bezogen hatten, erschien am 11. Juni 1191 ein sächsisches Aufgebot unter den Bischöfen von Halberstadt und Hildesheim und dem Abt von Corvey, das sich als Vorhut des Reichsheeres unter dem Befehl des Königs verstand. Wie 1189 war zunächst nicht geplant, Braunschweig direkt anzugreifen, sondern durch die Ver-

114 Theodor tOeche: Kaiser Heinrich VI. Leipzig 1867 (Jahrbücher der deutschen Geschichte), S. 125f. ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 381. cSendeS (wie Anm. 112) S. 82. hägermann (wie Anm. 39) S. 61. 115 cSendeS (wie Anm. 112) S. 92, 101–103. Bernd SchneidmüLLer: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung (819–1252). Stuttgart 2000, S. 237. 116 Arnold V 9, S. 156f. Vgl. Freytag (wie Anm. 106) S. 497f. 117 Arnold V 10, S. 158. 118 Freytag (wie Anm. 106) S. 498f. 119 ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 382. cSendeS (wie Anm. 112) S. 106f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 34 Holger Berwinkel heerung des Umlandes ökonomische Kriegführung zu treiben. Angesichts der da- mals erfahrenen Stärke der Verteidiger wurde das Lager bei Leiferde gegen Ausfälle befestigt. Von dort schwärmten die Plünderer aus – nach Gerhard von Steterburg gefolgt von Geierschwärmen. Leiferde, Stöckheim, Melverode, Steterburg, Thiede und weitere Orte wurden zerstört. Doch erneut schadeten die Angreifer damit auch der eigenen Versorgung, und die erwartete Unterstützung durch den Kaiser blieb aus.120 Die Situation der Belagerten wurde aus einem anderen Grund gefährlich: Am Streit um Gefangene entzündete sich ein Ministerialenaufstand. Der Stadtvogt Lu- dolf von Dahlum und die Brüder Eckbert und Gunzelin von Wolfenbüttel verließen das belagerte Braunschweig, schlossen sich aber nicht den Belagerern an, sondern begannen von ihren Burgen Wenden, Dahlum und Wolfenbüttel aus einen eigenen Kleinkrieg gegen die Welfen. Zwar konnte der jüngere Heinrich Wenden rasch ein- nehmen, aber das entstandene Durcheinander war nicht haltbar. Beide Seiten, die bedrängten Welfen und die enttäuschten Belagerer, waren deshalb zu einem Frieden bereit, den Gerhard von Steterburg aushandelte. Im Anschluss konnten Heinrich und Bernhard von Wölpe auch die Aufständischen niederwerfen; bei der Belage- rung von Wolfenbüttel wurden noch einmal Kriegsmaschinen eingesetzt.121 Heinrich VI. war nicht daran interessiert, die Welfen zu vernichten. Ihm kam es mehr darauf an, den status quo in Sachsen aufrecht zu erhalten, als den sächsischen Gegnern der Welfen zum Sieg zu verhelfen. Der Tod Wichmanns von Magdeburg, der an der Belagerung schon nicht mehr hatte teilnehmen können, nahm ebenfalls Druck von den Welfen.122 Mit der Installation Erzbischof Woldemars in Bremen an Stelle des vertriebenen Hartwigs II. konsolidierte Heinrich VI. auch die Verhält- nisse im Nordosten und schob hier der neuerlichen Etablierung welfscher Macht einen Riegel vor.123 Auch im Norden waren die Kämpfe indessen weiter gegangen: Den Welfen war es nicht gelungen, Stade zurückzuerobern. Im Laufe des Jahre 1192 konnte Adolf von Holstein auch Hamburg und schließlich Lübeck einnehmen. Heinrich der Löwe wurde auf die Lauenburg als letzten verbliebenen Stützpunkt und auf die Hilfe Helmolds von Schwerin zurückgeworfen.124 Nach all den Verwüstungen war es die Heirat des jüngeren Heinrich mit Agnes, der Nichte Kaiser Friedrich Barbarossas, die „die alten Frontstellungen in geradezu spektakulärer Weise“ sprengte und das Kapitel der sächsischen Kriege Heinrichs des Löwen schloss.125

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120 Ann. Stederburg. S. 225f. 121 Ebd. S. 226. 122 ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 383, weist darauf hin, dass die Niederschlagung des Ministeria- lenaufstands während der Belagerung auch eine Machtdemonstration der Belagerten im Vergleich zur Ohnmacht der Belagerer darstellte, die diese zur Vorsicht mahnen musste. cSendeS (wie Anm. 112) S. 107. cLaUde (wie Anm. 30) S. 160f. 123 Freytag (wie Anm. 106) S. 511, 520f. 124 Arnold V 11–12, 16, S. 159–162, 171f. Vgl. Freytag (wie Anm. 106) S. 499–501 125 SchneidmüLLer: Welfen (wie Anm. 115) S. 238 (Zitat). ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 384.

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Auch im Hochmittelalter waren Politik und Krieg nicht zu trennen. Der strate- gische Rahmen der Kriegshandlungen wurde in politischen Prozessen abgesteckt. Besonders deutlich wird dies daran, dass Heinrich dem Löwen seine entscheidende Niederlage auf politischem Wege beigebracht wurde: Der vom Kaiser stimulierte Seitenwechsel seiner Gefolgsleute 1180 beraubte Heinrich der Mittel, um den Krieg wie bisher fortzusetzen. Allerdings hätte Friedrich Barbarossa diesen Sieg nicht er- rungen ohne eine gezielte Projektion militärischer Macht in den Harzraum. Auch eine politische Übermacht musste erst durch strategische Planung und taktisches Geschick in militärischen Erfolg übersetzt werden. Diese Erfahrung musste auch die Fürstenkoalition machen, die bis zum persönlichen Eingreifen Friedrich Barba- rossas viele Protagonisten, aber keinen Kopf hatte. Zudem war Heinrich der Löwe zum Jahreswechsel 1180/1181 noch nicht geschlagen und konnte den nächsten Zug des Kaisers ohne unzuverlässige Parteigänger in seiner gut zu verteidigenden Bastion nördlich der Elbe erwarten. Der Durchmarsch des Reichsheeres war dem geglückten Handstreich der Männer Bernhards von Ratzeburg zu verdanken, der den Verteidigungsplan durchkreuzte, und damit den Unwägbarkeiten des Krieges. Was wäre geschehen, wenn sich 1181 an der Elbe eine Konfrontation wie 1167 an dem Flüsschen Gete ergeben hätte? Hätte ein Scheitern der Reichsheerfahrt die Möglichkeit zu neuen Vermittlungsversuchen eröffnet? Die Spekulation darüber ist müßig, verweist aber auf die Eigendynamik des Krieges gegenüber der Politik. So hat auch Friedrich Barbarossas Eingreifen in die sächsischen Wirren 1168 Heinrich den Löwen zwar aus der politischen Umklammerung gelöst, militärisch hatte Hein- rich den Krieg zu diesem Zeitpunkt trotz der Erfolge des Gegners in Haldensleben und Goslar noch nicht verloren. Wie hat Heinrich der Löwe nun Krieg geführt? Eine Antwort auf diese Fra- ge stößt auf methodische Schwierigkeiten, zunächst weil das militärische System des Hochmittelalters dem Entscheidungsspielraum der handelnden Personen enge Grenzen setzte. Die Grundlage und das Ziel dieser Form von Kriegführung war der Besitz von Land, das durch Befestigungen gesichert wurde und dessen Erträge den Lebensunterhalt des Kriegerstandes hergaben.126 Das hochmittelalterliche Westeu- ropa war mit einem dichten Netz von Burgen überzogen.127 Zunächst wurde ein Teil der großen frühmittelalterlichen Burgwallanlagen, die als Fluchtburgen für die Bevölkerung gedient hatten, wie im Falle Haldenslebens weitergenutzt. Die Verviel- fachung des Burgenbestandes im 11. und 12. Jahrhundert ging jedoch auf das Konto befestigter Herrensitze, in denen sich auch die – modern gesagt – Verwaltung des Landes bündelte. Neben die ältere Form der Niederungsburg (z.B. Stade) trat der seinerzeit modernste und stärkste Typ, die aus Stein errichtete Höhenburg, die sich auch mit wenigen Burgmannen verteidigen ließ. Die 1180 gefallenen Harzburgen

126 Vgl. John France: Western Warfare in the Age of the Crusades 1000–1300. Ithaca, NY 1999, S. 1–15. 127 Robert bartLett: The Making of Europe. Conquest, Colonization and cultural Change 950–1350. Harmondsworth 1994, S. 65–70. Richard L. C. JOneS: Fortifications and Sieges in Western Europe, c. 800–1450. In: Maurice Keen (Hrsg.): Medieval Warfare. A History. Oxford 1999, S. 163–185, hier S. 163–165.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 36 Holger Berwinkel verkörperten idealtypisch diese Form.128 Das engmaschige Netz der Burgen behin- derte weit ausgreifende Truppenbewegungen. Sie konnten nicht umgangen werden, ohne eine Bedrohung im Rücken zu riskieren, und zwangen zu langwierigen Be- lagerungen, in denen ein Feldzug quasi versanden konnte. Die Defensive gewann so die Oberhand über die Offensive. Über diese Zusammenhänge wird sich auch Heinrich der Löwe im Klaren gewesen sein. Obwohl er keinen systematischen Bur- genbau betrieben hat, sicherte er sich im Rahmen seiner territorialen Arrondierung nach Möglichkeit aber auch immer die zur Verteidigung seines Herrschaftsbereichs nötigen festen Plätze.129 Dazu zählten auch die Städte, sofern sie durch Wälle und Gräben oder bereits durch Mauern geschützt wurden. Städte boten den Vorteil, dass die Verteidigung nicht allein auf einer Burgmannschaft ruhte, sondern auch die Bürger herangezogen werden konnten. Heinrich der Löwe machte sich dies zunutze, als er nach 1170 Haldensleben als Großburg mit städtischem Charakter neu gründete, die stärkeren Widerstand als der 1168 gefallene Burgwall versprach. Im Falle Braunschweigs – der Siedlungsballung von Burg, Altstadt und Hagen – reichte die Verbindung von natürlicher Lage, Wehrbauten und Stärke der Verteidiger aus, um die Stadt 1189 und 1191 praktisch unangreifbar zu machen. In den von Gerhard von Steterburg erwähnten Lanzenträgern und Armbrustschützen dürften wir die Anfänge der Braunschweiger Stadtmiliz erblicken, die in den Kämpfen Ottos IV. und 1227 im Ottonischen Stadtrecht greifbarer wird.130 Schon 1151 war ein Handstreich Konrads III. auf Braunschweig gescheitert, der nur durch das Überraschungsmoment hätte gelingen können; durch entschlossenes Handeln und einen Gewaltritt von Schwaben nach Braunschweig war der junge Heinrich der Löwe dem König aber zuvorgekom- men.131 Der hochmittelalterlichen Kriegführung haftete also ein ausgeprägt defensiver Grundzug an. Das Heerwesen der Zeit war wenig geeignet, andere Akzente zu set- zen, waren die Ritterheere doch kostbare und zerbrechliche Werkzeuge, die von verständigen Feldherren nicht ohne Not aufs Spiel gesetzt wurden. Im militärischen Sinne ist unter dem Ritter des 12. Jahrhunderts der mit Lanze, Schwert, Helm, Kettenhemd und Schild schwer bewaffnete Panzerreiter zu verstehen, der – in der Regel – mit drei Pferden zum eigenen Gebrauch und begleitet von mehreren Knap- pen in den Kampf zog. Ungefähr fünf Hufen Land waren das Minimum für den Un- terhalt eines solchen Kämpfers und seines Anhangs, der mit drei bis vier Personen

128 Martin LaSt: Burgen des 11. und frühen 12. Jahrhunderts in Niedersachsen. In: Hans patze (Hrsg.): Die Burgen im deutschen Sprachraum. Ihre rechts- und verfassungsgeschichtliche Bedeu- tung. 2 Bde. Sigmaringen 1976 (Vorträge und Forschungen 19), Bd. 1, S. 383–513, hier S. 442– 450. 129 Streich (wie Anm. 30) S. 486–488. Gudrun piSchKe: Der Herrschaftsbereich Heinrichs des Löwen. Quellenverzeichnis. Hildesheim 1987 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 2/Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens 32), S. 56–59. 130 SchneidmüLLer: Burg (wie Anm. 3) S. 56f. Beate SaUerbrey: Die Wehrverfassung der Stadt Braunschweig im Spätmittelalter. Braunschweig 1989 (Braunschweiger Werkstücke A 27), S. 87. 131 Wilhelm bernhardi: Konrad III. Bd. 2. Leipzig 1883 (Jahrbücher des Deutschen Reiches), S. 903f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die sächsischen Kriege Heinrichs des Löwen 37 und vier bis fünf Pferden einen eigenständigen kleinen Kampfverband darstellte.132 Unabhängig von der sozialen Abschließung des Ritterstandes waren der Größe der Ritterheere bereits durch die Kosten der Ausrüstung und des Unterhaltes Grenzen gesetzt. Die Zahlenangaben der Quellen zu Heeresstärken sind zwar keine exakten Werte, aber zumindest brauchbare Größenordnungen. Demnach waren 400 Ritter in den sächsischen Kriegen eine durchschnittliche Heeresstärke – so groß war die Truppe Adalberts von Sommerschenburg in der Schlacht im Großen Bruch, das thüringische Heer bei der Belagerung von Haldensleben und die Zahl der thürin- gischen Gefangenen in der Schlacht bei Weißensee. Diese Zahl entspricht etwa den Truppenstärken, mit denen andere Reichsfürsten auf Friedrich Barbarossas zweitem Italienzug nachgewiesen sind.133 Auf seine Jerusalemfahrt zog Heinrich der Löwe mit einer Gesamtzahl von etwa 1200 Mann, von denen 500 Ritter waren.134 Sein gesamtes militärisches Potential dürfte bei den allein etwa 400 Ministerialenfami- lien, auf die er zurückgreifen konnte, deutlich höher gelegen haben.135 Dazu kamen edelfreie Vasallen und Lehnsgrafen, die Heinrichs Heer wiederum eigene Lehns- leute und Ministerialen zuführen konnten.136 Die arriviertesten Ministerialen stan- den trotz ihrer rechtlichen Unfreiheit dem vasallitischen Adel dabei nicht nach und konnten teilweise selbst Dienstleute unterhalten. Heinrich griff bevorzugt auf die abhängigeren Ministerialen zurück, um in seinen Kerngebieten um Braunschweig und Lüneburg sowie im Harz Burgen zu bemannen.137 Die Rekrutierung dieser Heere aus lehn- oder dienstrechtlichen Bindungen auf einer schmalen materiellen Basis hatte zur Folge, dass Verluste nicht leicht aus- geglichen werden konnten. Eine verlorene Schlacht konnte das Ende des Krieges bedeuten. Hochmittelalterliche Feldherren gewichteten darum das Risiko einer ver- nichtenden Niederlage regelmäßig höher als die Chance auf einen entscheidenden Sieg und vermieden offene Feldschlachten. Ausnahmen waren möglich, wenn keine

132 Werner röSener: Rittertum und höfische Kultur zur Zeit Heinrichs des Löwen. In: LUcKhardt, niehOFF (wie Anm. 30) S. 502–510, hier S. 504f. derS.: Die ritterliche-höfische Kultur des Hoch- mittelalters und ihre wirtschaftlichen Grundlagen. In: Johannes LaUdage, Yvonne LeiverKUS (Hrsg.): Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit. Köln, Weimar, Wien 2006 (Europäische Geschichtsdarstellungen 12), S. 111–135, hier S. 131. 133 berwinKeL (wie Anm. 15) S. 40f. 134 Arnold I 3, S. 17. Chronica Regia Coloniensis (wie Anm. 90) S. 123. Vgl. ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 199. 135 Joachim ehLerS: Der Hof Heinrichs des Löwen. In: Bernd SchneidmüLLer (Hrsg.): Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter. Wiesbaden 1995 (Wolfenbütteler Mittelalter- Studien 7), S. 43–59, hier S. 48. Herwig LUbenOw: Die welfischen Ministerialen in Sachsen. Diss. masch. Kiel 1964, S. 503f., 510, 518–521. Otto haendLe: Die Dienstmannen Heinrichs des Lö- wen. Ein Beitrag zur Frage der Ministerialität. Stuttgart 1930 (Arbeiten zur deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte 8), S. 73–77, hat Zweifel, ob alle Ministerialen über die zum Kriegsdienst nötigen Mittel verfügten, lässt dabei aber die Möglichkeit der Alimentierung durch den Herzog unberücksichtigt. 136 Belege für Ministerialen im Dienst anderer Ministerialen aus dem 13. Jahrhundert bring haSSe (wie Anm. 95) S. 78f. Es ist aber schwer vorstellbar, dass die bedeutendsten Dienstmannen unter Heinrich dem Löwen nicht bereits eigene Gefolgschaften unterhielten. Womit hätten Ludolf von Dahlum und Eckbert und Gunzelin von Wolfenbüttel 1191 ihren Aufstand gegen die Welfen sonst führen sollen? 137 Streich (wie Anm. 30) S. 489.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 38 Holger Berwinkel andere Wahl blieb, die Lage besonders günstig war oder die Schlacht nur als Bluff angedroht wurde, um den Gegner zum Rückzug aus einer festgefahrenen Situation zu drängen.138 Das Taktieren zwischen Christian von Oldenburg und Heinrich dem Löwen 1167 an der Gete ist ein Musterbeispiel für diese systemimmanente Vorsicht. Dass sich Christian letztendlich zur Schlacht rüstete, könnte eine Drohung gewesen sein, die Heinrich durch den raschen Rückgriff auf seine größeren Reserven aber ins Leere laufen ließ. Die Vermeidung von Feldschlachten verband sich mit dem Belagerungskrieg, den das Burgennetz erzwang, zu einer Strategie der indirekten, ökonomischen Kriegfüh- rung. Ein Großteil der Kampfhandlungen waren Verheerungen des Territoriums des Gegners, mit denen die Versorgung seiner Burgbesatzungen und Feldheere unter- bunden werden sollte. Das „Leerräumen“ des Braunschweiger Landes 1189 durch die Verteidiger und die anschließende Verwüstung durch die Angreifer sind ein gutes Beispiel für dieses militärisch rationale Vorgehen, das die Bevölkerung gleich- wohl zwischen zwei Mühlsteinen zerrieb.139 Taktische Entscheidungen felen meist bei Belagerungen, sodass ganze Feldzüge ohne eine Feldschlacht ablaufen konnten. Diese Form der Kriegführung wird in der kriegsgeschichtlichen Forschung nach dem spätantiken Kriegstheoretiker P. Flavius Vegetius als „vegetianisch“ bezeichnet. Tat- sächlich war Vegetius’ Kriegslehrbuch in mittelalterlichen Bibliotheken weit verbrei- tet, doch waren die Praktiker des Krieges auf seine Lehren nicht angewiesen, um die richtigen Schlüsse aus den vorhandenen Rahmenbedingungen zu ziehen.140 Auch in den sächsischen Kriegen Heinrichs des Löwen fallen die meisten Kampfhandlungen in dieses Paradigma, ob es nun die auf Verheerung beschränkten Angriffe Hartwigs I. von Bremen und Ludwigs III. von Thüringen in welfsches Gebiet sind, die Be- festigungsmaßnahmen Heinrichs 1166 und 1179, sein Einigeln in den wagrischen Burgen 1181 oder 1167 und 1180 das vorsichtige Agieren gegenüber dem gegne- rischen Bollwerk Goslar, dem der Respekt der Gegner vor Braunschweig 1189 und 1191 entspricht. Krieg wurde im 12. Jahrhundert unter Systemzwängen geführt, die geringen Spielraum für eine individuelle Handschrift ließen. Wir entdecken in Hein- richs Handeln als Feldherr darum auch zuerst die zeittypischen Aspekte. Instruktiv ist dagegen Heinrichs Haltung zu den Innovationsprozessen im Kriegs- wesen seiner Zeit, zur Mechanisierung des Belagerungskrieges und zur Beschäfti- gung von Söldnerheeren.

138 In mittlerweile klassischer Form hat giLLingham: Richard (wie Anm. 9), diesen Zusammenhang herausgearbeitet. Vgl. hOSLer (wie Anm. 10) S. 127, und berwinKeL: Verwüsten (wie Anm. 15) S. 4–6. Die neuere Forschung hat sich insbesondere auf die Ausnahmen von der Regel konzentriert, ohne damit die Gültigkeit des Paradigmas zu erschüttern: Stephen mOriLLO: Battle Seeking: The Contexts and Limits of Vegetian Strategy. In: The Journal of Medieval Military History 1 (2002), S. 21–41, insb. S. 26 zum Willen zur Schlacht. John giLLingham: „Up with Orthodoxy!“ In De- fense of Vegetian Warfare. In: The Journal of Medieval Military History 2 (2003), S. 149–158. 139 Vgl. Settia (wie Anm. 88) S. 46–51. 140 Zur mittelalterlichen Vegetius-Rezeption zusammenfassend Christopher aLLmand: The De re mili- tari of Vegetius in the Middle Ages and the Renaissance. In: Corinne J. SaUnderS, Françoise hazeL, Marie Le SaUx, Neil thOmaS (Hrsg.): Writing War. Medieval literary Responses to War- fare. Woodbridge 2004, S. 15–28. Vgl. Holger berwinKeL: Vegetius und „vegezianische“ Kriegfüh- rung im Mittelalter. Umrisse eines Forschungsproblems. In: AKM Newsletter 2/2005, S. 27–30.

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Das Dilemma des Belagerungskrieges bestand darin, dass Sturmangriffe mit großen Verlusten enden konnten, das weniger riskante Aushungern des Gegners die Belagerer aber zermürbte und sie vor eigene logistische Probleme stellte, wie es die Heere vor Braunschweig 1189 und 1191 erfahren mussten.141 Das technische Arsenal der Belagerer beschränkte sich in Mitteleuropa bis in das 12. Jahrhundert im Wesentlichen auf die Unterminierung der Mauern oder Wälle und den Beschuss mit einfachen Wurfmaschinen.142 Unter dem Einfuss der Kreuzzüge setzten sich zur gleichen Zeit im Mittelmeerraum schwere Kriegsmaschinen durch, die neue Mög- lichkeiten eröffneten. Mobile Belagerungstürme erlaubten den direkten Sturmangriff auf die Mauerkrone unter dem „Feuerschutz“ von Bogenschützen. Mit überdachten Sturmhütten – „Katzen“ genannt – konnten unter geringerem Risiko die Befesti- gungen unterminiert oder zum Einsturz gebracht werden.143 Friedrich Barbarossa ließ Türme und Katzen 1159/1160 von italienischen Ingenieuren zur Belagerung der Stadt Crema bauen, an der auch Heinrich der Löwe mit seinen Truppen teil- nahm. Eben jene Typen von Kriegsgerät setzte Heinrich dann 1163 bei der zweiten Belagerung von Werle ein.144 Ein solcher Technologietransfer war auf Experten angewiesen wie jenen „Friedrich den Maschinenbauer“, der Heinrich dem Löwen 1177 bei der Belagerung Demmins in Pommern versprach, die Stadt binnen drei Tagen völlig in Brand zu setzen. Der anspruchsvolle Herzog wollte Demmin aber unversehrt einnehmen. Auch das gelang Friedrich binnen drei Tagen – unsere Quel- le überliefert nur leider nicht die Art und Weise.145 Diese spezialisierten Ingenieure waren eine neue Erscheinung im Kriegswesen: keine Ritter, aber in der Ausübung ihrer mit wenig Sozialprestige verbundenen mechanischen Künste für das Wettrüs- ten zwischen Burgenbau und Belagerungstechnik unentbehrlich. Gern wüssten wir mehr über diese Experten. Während uns italienische Quellen aus derselben Zeit zum Teil plastische Lebensbilder von Ingenieuren liefern, sind die Belege für den Aktions- radius Heinrichs des Löwen spärlich.146 Sie kamen wohl in der Regel aus benach- barten „zivilen“ Berufen, wie die Goslarer Bergleute, die den Desenberg untermi- nierten. Auch die Gegner des Löwen mussten sich dieser Spezialisten bedienen, um Haldensleben mehrmals – wenn auch erfolglos – mit Kriegsmaschinen zu belagern oder denselben Ort durch eine künstliche Überfutung schließlich zu bezwingen. Die zweite große Neuerung im Kriegswesen des 12. Jahrhunderts war der Einsatz von Söldnerheeren. Idealiter leisteten Vasallen und Ministerialen ihrem Herrn den Kriegsdienst zwar unentgeltlich, der Herr trug jedoch die Sorgfaltspficht, die Dienste seiner Leute nicht über das vertretbare Maß hinaus zu beanspruchen. Diesen Fehler beging Heinrich der Löwe mit gravierenden Konsequenzen 1179 gegenüber Adolf

141 Vgl. prietzeL: Krieg (wie Anm. 8) S. 124–126. 142 France (wie Anm. 126) S. 107–121. Jim bradbUry: The Medieval Siege. Woodbridge 1992, S. 78–88. 143 Settia (wie Anm. 88) S. 93–96. berwinKeL: Verwüsten (wie Anm. 15) S. 144–149, 156–162. 144 Helmold I 93, S. 182: bellica instrumenta, qualia viderat facta Crimme sive Mediolani. Mit Crema liegt Helmold richtig, vor Mailand kamen allerdings keine Maschinen zum Einsatz. Vgl. berwinKeL: Verwüsten (wie Anm. 15) S. 162f. 145 Über Fridericum machinarum constructorem berichtet Arnold II 4, S. 40. 146 berwinKeL: Verwüsten (wie Anm. 15) S. 249–257.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 40 Holger Berwinkel von Holstein und möglicherweise erneut 1191 gegenüber den Ministerialen in Braun- schweig. Dienste, die über das geschuldete Maß hinausgingen, mussten kompensiert werden. Solche Vergütungen sprengten das System noch nicht, da es sich dabei eher um Entschädigungen für den materiellen Aufwand handelte, der Vasallen und Ministerialen bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit belasten konnte. Ein darauf abgestimmtes Stipendienwesen erlaubt es beispielsweise den anglonormannischen Herrschern, kleine Reitertruppen ständig zur Verfügung zu haben.147 Die als „Rotten“ oder „Brabanzonen“ bezeichneten Söldnerkompanien setzten sich dagegen aus Berufskämpfern zusammen, die sich außerhalb lehns- und dienst- rechtlicher Bindungen aus allen sozialen Schichten rekrutierten und auch die im Belagerungskrieg besonders benötigte Infanterie umfassten. Sie waren gut organi- siert und blieben auch zwischen einzelnen Engagements als Kriegsunternehmen bei- sammen. Friedrich Barbarossa hatte sie auf seinem vierten Italienzug eingesetzt, um die Löcher zu stopfen, die das Ausbleiben der sächsischen Fürsten in sein Aufgebot gerissen hatte. Es war Erzbischof Rainald von Köln, der 1500 von ihnen in die Schlacht von Tuskulum führte.148 Sein Nachfolger Philipp rekrutierte aus diesem Potential 1179 das 4000-Mann-Heer, mit dem er 1179 in den innersten Machtbe- reich Heinrich des Löwen vorstieß. Auch diese Zahl ist kein präziser Wert, indiziert aber einen Sprung der Größenordnung um den Faktor Zehn gegenüber den durch- schnittlichen Heeresgrößen.149 Philipp reagierte damit auf die Überbeanspruchung der Kölner Ministerialen durch die Italienzüge, deren um 1165 kodifziertes Dienst- recht den Kriegsdienst nördlich der Alpen auf die Verteidigung der erzbischöfichen Besitzungen einschränkte.150 Das Söldnerheer kannte solche Beschränkungen nicht, solange es entlohnt wurde. Aus der Kölner Ministerialität hätte Philipp auch keine 4000 Mann rekrutieren können. Diese schiere Masse erlaubt es ihm 1179, im Ge- gensatz zum Vorjahr mitten durch Heinrichs Herrschaftsbereich hindurchzustoßen und die östlichen Gegner vor Haldensleben zu unterstützen. Quantität schlug so in größere strategische Handlungsfreiheit um. Der Lohn der Söldner war in erster Linie ihre Beute, das Plündern und Verwüs- ten deshalb nicht nur ein strategisches Mittel im Rahmen der zeitüblichen Kriegfüh- rung, sondern auch Lebensunterhalt. Gerhard von Steterburg zeichnet besonders eindringliche, düstere Bilder vom Auftreten der Kölner Rotten im Braunschweiger

147 Michael maLLett: Mercenaries. In: Keen (wie Anm. 127) S. 209–229, hier S. 211f. – Der von Paul Schmitthenner: Lehnskriegswesen und Söldnertum im abendländischen Imperium des Mittel- alters. In: Historische Zs. 150 (1934), S. 229–267, hier S. 263–266, konstruierte polare Gegensatz zwischen Lehnskriegswesen und „geldwirtschaftlicher Versöldnerung“ geht daher fehl. Siehe dazu Peter thOraU: Der Krieg und das Geld. Ritter und Söldner in den Heeren Friedrichs II. In: Histo- rische Zs. 268 (1999), S. 599–634, hier S. 633f. 148 berwinKeL: Verwüsten (wie Anm. 15) S. 44. Herbert grUndmann: Rotten und Brabanzonen. Söldnerheere im 12. Jahrhundert. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 5 (1942), S. 419–492, hier S. 442f. Zur Etymologie der Bezeichnungen ebd., S. 424–436. 149 grUndmann (wie Anm. 148) S. 421. 150 Lorenz weinrich (Hrsg.): Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250. Darmstadt 1977 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 32), Nr. 70, hier S. 266. Vgl. Philippe cOntamine: La guerre au Moyen Age. 5. Aufl. Paris 1999, S. 119f.

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Land. Wir dürfen uns zwar keinen romantischen Vorstellungen über „ritterliche Kriegführung“ hinsichtlich der Auswirkungen auf die Bevölkerung hingeben. Wenn Gerhard etwa von Massenvergewaltigungen durch die Rotten berichtet, können wir daraus nicht schließen, dass solche Verbrechen ansonsten nicht begangen wurden.151 Die Quellen lassen allerdings keinen Zweifel daran, dass das Aufkommen der Rot- ten eine weitere Brutalisierung der Kriegführung bedeutete. Für den kriegführenden Fürsten boten sie aber den Vorteil, vorhandene Geldmittel einfach und direkt in militärische Stärke umzumünzen. Heinrich der Löwe war bis 1180 nicht auf Söldner angewiesen. In seinen Händen konzentrierte sich bis 1180 eine in konventionellen Bahnen rekrutierte Kriegsmacht von solcher Stärke, dass ein Rückgriff auf Söldner nicht nötig war. Anders 1189: Heinrich fand wieder Unterstützung bei alten Getreuen, war seinen Gegnern jetzt aber grundsätzlich unterlegen, und glich dies mit der Werbung von Söldnern aus.152 Er konnte dabei auf das Volksaufgebot der Holsaten zurückgreifen, das der Feuda- lisierung des Kriegswesens bis in das 12. Jahrhundert getrotzt hatte. Als Herzog hatte er die Holsaten 1179 für den Feldzug der nordelbischen Grafen nach West- falen aufgeboten, bei dem sie wie die Kölner Rotten Furcht und Schrecken verbrei- teten.153 Im Jahre 1189 sicherte er sich ihre Dienste gegen Geld, musste jedoch vor Segeberg feststellen, dass die Loyalität von Söldnertruppen zweifelhaft war. Heinrichs Rückgriff auf Söldner gehorchte den Umständen, wurde aber sicher- lich auch durch den Erfolg Philipps von Köln und durch das Beispiel Heinrichs II. von England angespornt, der sein gewaltiges Reich beiderseits des Ärmelkanals nur durch fexibel einsetzbare Truppen zusammenhalten konnte und die Monetarisie- rung des Kriegswesens darum systematisch vorangetrieben hatte. Im Exil am Hof seines Schwiegervaters dürfte sich Heinrich von den militärischen Vorteilen dieses Systems überzeugt haben.154 War der Löwe im Bereich der Kriegstechnik selbst ein Träger der Modernisierung, so hat er sich im Söldnerwesen die Innovationen ande- rer immerhin angeeignet, als es notwendig wurde – eine Charakterisierung, die sich mit der Rolle Heinrichs in anderen Modernisierungsprozessen deckt, beispielsweise in der lehnsrechtlichen Neuordnung des Herzogtums Sachsen durch den Einzug erledigter Grafschaften.155

151 Zur alltäglichen Gewalt gegenüber der „zivilen“ Bevölkerung: berwinKeL: Verwüsten (wie Anm. 15) S. 230f., und Norbert OhLer: Krieg und Frieden im Mittelalter. München 1997, S. 247f. 152 Arnold V 2, S. 148, V 9, S. 156: Jeweils contracto exercitu – nachdem er ein Heer angeworben hatte – konnte Heinrich seine Unternehmungen starten. 153 Arnold II 13, S. 51. Vgl. Ulrich march: Die Wehrverfassung der Grafschaft Holstein. In: Zs. d. Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 96 (1971), S. 9–182, hier S. 32f. – Schon im Herbst 1148 hatte Heinrich die Holsaten für einen Zug gegen Dithmarschen aufgeboten (UHL, Nr. 12). 154 hOSLer (wie Anm. 10) S. 108–110, 119–123. grUndmann (wie Anm. 148) S. 428, 441. Zu Heinrichs Umfeld in England vgl. ausführlich ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 345–374. 155 Bernd SchneidmüLLer: Die neue Heimat der Welfen (1125–1252). In: Horst-Rüdiger JarcK, Gerhard SchiLdt (Hrsg.): Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region. 2. Aufl. Braunschweig 2001, S. 177–230, hier S. 195, weist auf Heinrichs „zukunftsweisen- de Nutzung des Lehnsrechts als Modernisierungspotential in einer sich schnell ändernden Feudal- gesellschaft“ hin. Das gilt mutatis mutandis ebenso für seine Nutzung militärischer Innovationen.

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Unterhalb dieser allgemeinen Ebene ließe sich eine persönliche Handschrift Hein- richs in der Kriegführung vielleicht in der Taktik seiner Schlachten feststellen. Doch scheitert dieser Versuch daran, dass unsere Quellen kaum etwas über das Schlacht- geschehen aussagen, sondern sich darauf beschränken, Sieg oder Niederlage festzu- stellen. Über die Schlacht im Großen Bruch wissen wir zumindest, dass Bernhard von Anhalt durch einen Überraschungsangriff siegreich blieb. Heinrichs vielleicht größter Sieg, die Schlacht bei Weißensee, ist jedoch rätselhaft: Wieso konnte er das thüringische Heer im freien Feld schlagen, obwohl die Landgrafen in unmittelbarer Nähe über die erst 1171 erbaute, gewaltige Burg Weißensee verfügten?156 Eine de- taillierte taktische Beschreibung haben wir nur von der entscheidenden Schlacht am Kummerower See in Mecklenburg, doch sind solche Berichte häufg stilisierte literarische Produkte mit bestimmten Darstellungsabsichten, deren Wahrheitsgehalt ohne stützende Erkenntnisse, etwa aus der Topographie des Schlachtfeldes, vage bleibt.157 Auf der strategischen Ebene fällt jedoch auf, dass die sächsischen Kriege des Löwen mehr Schlachten aufweisen als es unter dem „vegetianischen“ Paradigma zu erwarten wäre. Im Fall der Schlacht bei Weißensee hat Heinrich die offene Aus- einandersetzung gesucht, um der Vereinigung der Heere Ludwigs von Thüringen und Bernhards von Anhalt zuvorzukommen. Bei der Entsetzung von Haldensleben 1167 nahm er eine Schlacht zumindest in Kauf und sicherte sich zuvor den strate- gischen Vorteil, sich zwischen den Gegner und dessen Basis zu manövrieren. Ob- wohl Heinrich selbst „vegetianische“ Kriegführung praktizierte, beantwortete er Verheerungszüge seiner Gegner Hartwig von Bremen, Ulrich von Halberstadt und Ludwig von Thüringen mit massiven Gegenschlägen. Der Versuch, 1178 den Bau der Burg Hopelberg durch eine entsandte Truppe unterbinden zu lassen, endete zwar mit schmerzlichen Verlusten, die Heinrich angesichts der Machtmittel in seiner Verfügung jedoch eher verkraften konnte als seine Gegner. Seine materielle Über- legenheit erlaubte es ihm, im Rahmen des militärischen Systems der Zeit aggressiver vorzugehen und für die Aussicht auf größere Erfolge ein größeres Risiko einzuge- hen. Diese Fähigkeit ermöglichte es ihm, die Umklammerung durch die Fürsten- koalitionen durch energische Schläge in verschiedene Richtungen zeitweise in einen strategischen Vorteil zu verwandeln. Auf den ersten Blick fügt sich diese Erkenntnis in das von Quellen und Literatur gezeichnete Bild Heinrichs als eines höchst machtbewussten, entschlossenen und zur Gewalttätigkeit neigenden Fürsten.158 Doch ist Vorsicht geboten: Erstaunlich oft war Heinrich der Löwe an den in seinem Namen unternommenen Feldzügen nicht persönlich beteiligt, sondern ließ sie per manus, stellvertretend durch Gefolgsleute,

156 Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.): Burg Weißensee, „Runneburg“, Thüringen. Frankfurt am Main 1998 (Europäische Baukunst 3). 157 Helmold II 100, S. 196–198. Vgl. an anderen Beispielen Malte prietzeL: Tote begraben, Feinde ausplündern, das Feld behaupten. Wahrnehmung und Darstellung von Schlachten in den Kriegen Heinrichs IV. gegen die Sachsen. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 79 (2007), S. 207–221. 158 ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 399f. JOrdan: Biographie (wie Anm. 11) S. 255–257.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die sächsischen Kriege Heinrichs des Löwen 43 befehligen.159 Die wichtigen Siege am Kummerower See und auf dem Halerfeld wurden ihm durch die nordelbischen Lehnsgrafen errungen. Während des zweiten Halbjahres 1179, als in Westfalen und in Ostsachsen Kämpfe von existentieller Be- deutung tobten, scheint sich Heinrich in Braunschweig aufgehalten und seine Offen- siven, einschließlich des slawischen Einfalls in die Niederlausitz, aus einer sicheren Position dirigiert zu haben. Erst nachdem die gegnerischen Heere den östlichen Kriegsschauplatz verlassen hatten, zog er selbst gegen Magdeburg ins Feld.160 Adal- bert von Sommerschenburg wurde durch Verleihung eines Banners zum Befehlsha- ber der ihm anvertrauten Truppen ernannt.161 Zweifellos war Heinrich der Löwe zu persönlicher Tapferkeit fähig, doch war dies für den Feldherrn Heinrich kein cha- rakteristisches Merkmal. Wie andere kriegführende Herrscher stand auch der Löwe im Zwiespalt zwischen „Rittertum und Rationalismus“, zwischen dem persönlichen Verhaltenskodex der vom Ehrgefühl angetriebenen Gesellschaftsschicht des Hoch- adels und den pragmatischen Entscheidungen, die im Krieg zum Erfolg führen.162 Heinrich der Löwe erweist sich in diesem Spannungsfeld eher als kühl abwägender Stratege, der seine Gegner täuscht und durch delegierte Verantwortung an mehre- ren Fronten gleichzeitig kämpft, denn als ritterlicher Haudegen. „Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“, fragt Bertolt Brecht in den „Fragen eines lesenden Arbeiters“. Natürlich führte auch Heinrich der Löwe nicht allein Krieg. Diese Feststellung weist aber nicht nur auf die vielen hundert Ritter und Fußsoldaten in seinen Heeren hin, die töteten und getötet wurden. Auch auf der Ebene des Befehlshabers stand hinter Heinrich ein Personenkreis, der ihn beriet und dessen Meinung er nicht ignorieren konnte. Wie mittelalterliche Herrschaftsausübung insgesamt, war auch die Heerführung konsens- bedürftig. Um die Hilfe der Gefolgsleute in Anspruch zu nehmen, musste ihr Rat gehört werden – gerade wenn es um Leben und Tod gehen konnte! Ein hochmit- telalterliches Heer war ein inhomogener Personenverband, in dem es keine Befehls- hierarchie nach heutigen Maßstäben geben konnte.163 Wenn wir von Heinrich dem Löwen als Feldherrn sprechen, meinen wir damit notwendigerweise den Herzog inmitten seiner maßgeblichen Ratgeber.164 Ein plastisches Bild von der kollektiven Entscheidungsfndung selbst unter Gefechtsbedingungen gibt der Bericht Arnolds von Lübeck von einem serbischen Überfall auf Heinrichs bewaffnetes Gefolge, das 1172 zur Jerusalemfahrt durch den Balkan zog: Während ringsherum vergiftete Pfeile einschlugen, sammelte Heinrichs Marschall Heinrich die Ritter beim herzoglichen Banner. Dann wurde ein Kriegsrat gehalten, in dem Gunzelin von Schwerin, einer der erprobtesten Gefolgsleute, eine

159 Arnold V 9, S. 156: contracto exercitu, direxit eum ad civitatem per manus Conradi de Rothen [...] simul et Bernhardi. 160 Vgl. heydeL (wie Anm. 55) S. 90f. 161 Vgl. Malte prietzeL: Kriegführung im Mittelalter. Handlungen, Erinnerungen, Bedeutungen. Paderborn 2006 (Krieg in der Geschichte 32), S. 219. 162 Vgl. Johannes LaUdage: Rittertum und Rationalismus. Friedrich Barbarossa als Feldherr. In: derS., LeiverKUS (wie Anm. 132) S. 291–314. 163 prietzeL: Kriegführung (wie Anm. 161) S. 29–34. 164 Vgl. am Beispiel Friedrich Barbarossas berwinKeL: Verwüsten (wie Anm. 15) S. 218f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 44 Holger Berwinkel hervorgehobene Rolle spielte. Von dort aus wurde die Abwehr koordiniert, wurde eine Gruppe von Rittern detachiert, um das Lager des Bischofs von Worms zu ver- teidigen.165 Mit dem Truchsess Jordan I. von Blankenburg, Gunzelin von Schwerin, Vater und Sohn Adolf von Holstein und anderen begegnen wir Mitgliedern des Hofes Heinrichs des Löwen, die immer wieder militärische Aufgaben übertragen bekamen. Während der Herzog durch einen groben Fehler Adolf III. von Holstein als Unter- befehlshaber verlor, konnte er den auf dem Halerfeld gefangen genommenen Simon von Tecklenburg auf seine Seite ziehen und gewann in ihm einen treuen Helfer. Wir können davon ausgehen, dass die Angehörigen dieses Personenkreises in der Umgebung des Herzogs auch an der militärischen Entscheidungsfndung beteiligt wurden. Gewissermaßen führte nicht der Herzog, sondern der Hof Krieg. Auch wenn der Mittelpunkt dieses Hofs der energische Charakter des Löwen war, ver- schwimmen seine Konturen als Befehlshaber im Umfeld eines vor allem von Mi- nisterialen beherrschten Kernhofes. In diesem Milieu sozialer Aufsteiger, die an die gewaltsame Durchsetzung ihrer Interessen gewohnt waren, war Heinrich in der Zeit seiner Unmündigkeit bereits sozialisiert wurden.166 Dieser Kreis war geeignet, eine Strategie zu verfolgen, die den Bedingungen der hochmittelalterlichen Kriegführung gehorchte, vorhandene Möglichkeiten aber ausnutzte, um dem Gegner energisch zu Leibe zu rücken. Heinrich der Löwe zeigt sich in seinen sächsischen Kriegen nicht als Kriegsheld im ohnehin antiquierten Sinne des Wortes, sondern als ein Fürst im Krieg, der in seinem Handeln Systemzwängen unterlag, sich in diesem System aber erfolgreich bewegen konnte und an zentralen Innovationsprozessen beteiligt war. Er besaß Handlungsspielraum, den er einer außergewöhnlichen Konzentration von Macht- mitteln und einer konsistenten Gruppe von Mitentscheidungsträgern verdankte, und reizte diesen aus – auch weiter, als es politisch klug gewesen wäre. Wenn wir also auch wenig über einen Schlachtenlenker Heinrich aussagen können, so doch einiges über den kriegführenden Politiker.

165 Arnold I 3, S. 16–18. Vgl. ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 202. Die von Johannes Fried: Jeru- salemfahrt und Kulturimport. Offene Fragen zum Kreuzzug Heinrichs des Löwen. In: ehLerS, KötzSche (wie Anm. 4) S. 111–137, mit guten Gründen geäußerte Kritik an Arnolds Bericht über die Jerusalemfahrt ist für die Behandlung dieser Passage nicht relevant. 166 ehLerS: Heinrich (wie Anm. 1) S. 52f., 246–248. derS.: Hof (wie Anm. 134) S. 57.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren

Ein braunschweigischer Kataster aus der Zeit um 1400

von

Ulrich Schwarz

Einleitung

Die Besitz- und Rechtsverhältnisse in den Dörfern des Landes Braunschweig sind in älterer Zeit nirgendwo umfassender dokumentiert als in den sog. Erbregistern des 16. Jahrhunderts. Herzog Heinrich der Jüngere (1514–1568) hat derartige Register für die fürstlichen Amts- und Gerichtsbezirke seines Herrschaftsgebiets anlegen lassen. Diese Register, anderswo Lagerbücher oder Salbücher genannt, entstanden in mehreren Schüben, in den Jahren 1541, 1548 und 1566.1 Aus dem Kernland des Wolfenbütteler Fürstentums rund um Braunschweig seien das Erbregister für das Residenzamt Wolfenbüttel genannt, das mehrere Gerichtsbezirke umfasste, ferner die Register für die Ämter Jerxheim, Lichtenberg und Schöningen, die in der Zeit zwischen ca. 1550 und 1575 angelegt wurden.2 Für jedes Dorf werden zunächst in einem allgemeinen Teil Angaben zu Gericht, Diensten, Landessteuern, Krug, Schäferei und Pfarrlehen gemacht. Anschließend werden die zinspfichtigen Bauern und ihre Höfe und Hufen detailliert aufgelistet, wobei die Bauern in die Klassen Ackerleute, Halbspänner und Kötner eingeteilt sind.3 Nicht nur ihre Leistungsver-

1 Gustav Oehr: Ländliche Verhältnisse im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im 16. Jahrhun- dert. Hannover 1903 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 12), S. VII; Ernst pitz: Landeskulturtechnik, Markscheide- und Vermessungswesen im Herzogtum Braunschweig bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1967 (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung 23), S. 41–44; Christian LippeLt: Hoheitsträger und Wirtschaftsbetrieb. Die her- zogliche Amtsverwaltung zur Zeit der Herzöge Heinrich der Jüngere, Julius und Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel 1547–1613. Hamburg 2008, S. 130–132. Aus dem Raum Ganders- heim ist sogar schon aus dem Jahr 1524 ein Erbregister überliefert. Vgl. Manfred hamann: Zur Edition der sogenannten Erbregister in den alt-welfischen Territorien. In: Niedersächsisches Jahr- buch für Landesgeschichte 57 (1985), S. 287–295; Walter achiLLeS: Die Landwirtschaft, in: Karl Heinrich KaUFhOLd u.a. (Hg.): Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des braunschweigischen Landes vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Bd. 2. Hildesheim 2008, S. 139–314, hier S. 147f., 171. 2 In NLA-StA WF 19 Alt. Vgl. Johann-Nikolaus KrizSanitz: Quellen zur Bevölkerungsgeschichte im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel. Göttingen 1994 (Veröffentlichungen der Nieder- sächsischen Archivverwaltung 50). Ein Exposé von Hermann Kleinau: Die Erbregister der Gerich- te/Ämter des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel (1973) findet sich in der Dienstakte des Staatsarchivs Wolfenbüttel zum Bestand 19 Alt. Für Schöningen ist auf die Edition von Werner aLLeweLt: Erbregister des Amtes Schöningen von 1570. Hildesheim 1981 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXIV 8) zu verweisen. 3 Vgl. NLA-StA WF 19 Alt 223 für das Residenzamt Wolfenbüttel.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 46 Ulrich Schwarz pfichtungen gegenüber dem Landesherrn sondern auch die Abgaben und Dienste für den jeweiligen Grundherren sind festgehalten. Es wurde die Vermutung geäußert, die habsburgischen Lagerbücher des Her- zogtums Württemberg könnten Vorbild gewesen, da der wolfenbüttelsche Herzog Heinrich d. J. in erster Ehe mit einer württembergischen Herzogstochter verheiratet war.4 Die Frage nach einheimischen Vorläufern aus dem braunschweigischen Land wurde dagegen bislang noch nicht gestellt.5 Im Folgenden wird eine Quelle des späten Mittelalters vorgestellt und im Wort- laut veröffentlicht, die zum Ziel hatte, die Dörfer in der Umgebung von Braun- schweig und deren Grundherren und Zehntherren systematisch zu erfassen.6 Sie ist ein Torso geblieben, da nur weniger als ein Viertel der vorgesehenen Rubriken ausgefüllt ist. Aus diesem Grund ist unsere Quelle nicht sehr bekannt geworden. Sie hätte auch in vollendeter Ausführung nicht im Entferntesten die Fülle von Infor- mationen geboten, die man in den späteren Erbregistern fndet. Dennoch lässt sie einen ersten interessanten Ansatz einer fächendeckenden Erfassung von Dörfern und ihrer Besitzverhältnisse im Land Braunschweig erkennen, die unserer Aufmerk- samkeit wert ist. Unsere Quelle ist in einer Handschrift des Stadtarchivs Braunschweig über- liefert.7 Die Handschrift besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil enthält ein ausführ- liches Verzeichnis, das Steuerleistungen der Dörfer um Wolfenbüttel erfasst. Das Verzeichnis lässt sich in einen Zusammenhang mit zeitgeschichtlichen Ereignissen der Jahre 1401 bis 1405 stellen.8 Der zweite Teil der Handschrift enthält unsere Quelle.9 Die Frage des Zusammenhangs der beiden Teile bedarf der Klärung, was im Rahmen dieser Edition nur ansatzweise möglich ist, denn der erste Teil ist bislang noch nicht analysiert worden. Ziel der vorliegenden Veröffentlichung ist es, die von mir als Kataster bezeichnete Quelle im zweiten Teil der Handschrift zu untersuchen und zu edieren. Unsere Quelle scheint von ihrer Anlage her – die Handschrift sieht rund 200 Spalten vor, die gefüllt werden sollten – ein frühes Zeugnis landesherrlicher Verwal-

4 pitz (wie Anm. 1), S. 41. 5 Abgesehen von einem Hinweis von Joseph König, siehe unten Anm. 11. 6 Zur Quelle bislang Ulrich Schwarz: Das Register der welfischen Herzöge Bernhard und Heinrich für das Land Braunschweig 1400–1409 (–1427). Hannover 1998 (Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte 34 = Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXVII, 25), S. 12f. (künftig Schwarz, Register). 7 StadtA BS B I 10 : 3. Beschreibung der Handschrift siehe unten S. 83ff. 8 StadtA BS B I 10 : 3, S. 3–30. Siehe unten S. 77ff. Zum Steuerverzeichnis bislang Uwe OhainSKi: Von der herzoglichen Niederungsburg zum Herrschaftszentrum des Braunschweiger Landes – Wol- fenbüttel von 1283 bis 1432, in: Ulrich Schwarz (Hg.): Auf dem Weg zur herzoglichen Resi- denz. Wolfenbüttel im Mittelalter. Braunschweig 2003 (Quellen und Forschungen zur Braunschwei- gischen Landesgeschichte 40), S. 107–159, hier S. 132; Ulrich Schwarz, Die Rechnungen des Wolfenbütteler Amtmanns Hilbrand van dem Dyke 1445–1450, in: derS. (Hg.), Auf dem Weg zur herzoglichen Residenz, S. 285–379, hier S. 291ff.; Ulrich Schwarz: Wolfenbüttel. Die neue Resi- denz, in: Claudia märtL u.a. (Hg.): Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des braunschweigischen Landes vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Bd. 1, Hildesheim 2008, S. 475–508, hier S. 493ff. 9 StadtA BS B I 10 : 3, S. 67–176. Beschreibung innerhalb der Handschrift siehe unten S. 85ff..

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 47 tung zu sein.10 Es ist lehrreich, sie unter diesem Aspekt zu betrachten. Die genauere Analyse der Quelle wird jedoch zeigen, dass sie aus einem partikularen Interesse entstanden ist, das eng mit der Stadt Braunschweig zu tun hat. Darauf werde ich vor allem am Ende unserer Betrachtung eingehen. Zunächst seien die geschichtlichen Voraussetzungen des Textes skizziert und dann sein Aufbau und die territoriale Reichweite behandelt. Anschließend er- örtere ich Hufensummen und die verschiedenen Kategorien von Grundherren und Zehntherren. Schließlich zeige ich Möglichkeiten der Datierung und stelle den Text in den Zusammenhang der Zeit. Es folgen die Edition des Textes im Wortlaut und die Indices, die den Text erschließen. Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist ein Hinweis in einer gebiets- geschichtlichen Untersuchung von Hermann Kleinau von 1972.11 Bei der näheren Beschäftigung mit unserer Quelle war mir das reiche Belegmaterial hilfreich, das Kleinau in kritischer Durchdringung in seinem Geschichtlichen Ortsverzeichnis des Landes Braunschweig veröffentlicht hat.12 Begünstigt wird mein Vorhaben ferner durch den Umstand, dass das stadtbraunschweigische Urkundenbuch inzwischen bis zum Jahre 1400 (einschließlich) publiziert ist.13 Die Amtsbezirke und Dörfer, auf die sich unser Text bezieht, wurden bereits in dem Werk „Die Braunschweigische Landesgeschichte“ von 2000 kartographisch dargestellt. Darauf sei der Leser des nachfolgenden Abschnitts verwiesen.14 Die Nachrichten zur Besitzverteilung in den braunschweigischen Dörfern, die unser Text überliefert, sind der landesgeschicht- lichen Forschung und der Ortschronistik bislang weitgehend entgangen.15

10 Die Tatsache, dass sie im Braunschweiger Stadtarchiv überliefert ist, scheint einer solchen Vermu- tung an sich entgegenzustehen. Dies ist aber insofern nicht der Fall, als Territorialquellen welfischer Landesherren sich auch sonst in Stadtarchiven finden, siehe unten Anm. 206. Die Überlieferung- schance ist im späten Mittelalter in Städten größer als bei den Landesherren. 11 Hermann KLeinaU: Überblick über die Gebietsentwicklung des Landes Braunschweig, in: BsJb 55 (1972), S. 9–48, hier S. 41, Anm. 13. Vor Kleinau hat bereits Heinz Germer unsere Quelle benutzt, siehe derS.: Die Landgebietspolitik der Stadt Braunschweig bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts. Göttingen 1937 (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens 16), S. 109, auch S. 88, Anm. 150, S. 94 Anm. 208 etc. (als Catastrum bezeichnet). Joseph König: Quellen- geschichtliche Grundlagen und Landesgeschichtsschreibung, in: Richard mOderhacK (Hg.): Braunschweigische Landesgeschichte im Überblick. Braunschweig 1976 (Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte 23), S. 39–59, hier S. 47, macht nachdrücklich auf den Kataster und das Steuerbuch aufmerksam. 12 Hermann KLeinaU: Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landes Braunschweig. 1–3. Hildesheim 1967–1968 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen XXX,2) (künftig GOV). 13 Josef dOLLe (Bearb.): Urkundenbuch der Stadt Braunschweig. Bd. 5–8/I–II. Hannover 1994–2008 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXVII 5, 23; 215, 240); Detlev heLLFaier: Das 1. Gedenkbuch des gemeinen Rates der Stadt Braunschweig 1342–1415 (1422). Braunschweig 1989 (Braunschweiger Werkstücke A 26) hat ein wichtiges Stadtbuch im Zusammenhang ediert. 14 Ulrich Schwarz: Die Entstehung des Landes Braunschweig im späten Mittelalter (1252–1495), in: Horst-Rüdiger JarcK, Gerhard SchiLdt (Hg.): Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahr- tausendrückblick einer Region. Braunschweig 2000, S. 231–266, hier S. 248f. 15 Kleinau verweist in den Rubriken 4b und 4c seines GOV (Grundherren, Zehntherren) nur spora- disch auf unsere Quelle, unter der Archivsignatur „StdtA Braunschw. B I 10 Bd.3“. Nur ausnahms- weise referiert er sie vollständig wie bei Schöppenstedt, Westendorf, GOV Nr. 1859, 4a, b. Konse- quent verwendet er dagegen die Angaben unserer Quelle zur Gerichtszugehörigkeit der Dörfer in

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Amtsbezirke und Dörfer

Die Anfänge des Landes Braunschweig führen in das 14. Jahrhundert zurück.16 Bereits das Lehnbuch Herzog Ottos des Milden von 1318 registriert die Adeligen des Raumes um Braunschweig gesondert vor denen im Göttinger Raum und führt am Ende die Lehnsträger (burgenses) in der Stadt Braunschweig auf.17 Die Söhne des Herzogs, Magnus der Fromme (I.) und Ernst, teilten 1345 nach dem Tod ihres Vaters die Herrschaftsbereiche um Braunschweig und Göttingen. Magnus, der Her- zog des braunschweigischen Landes, ließ ein neues Lehnbuch anlegen und seine Urkunden in ein Register eintragen.18 Seine Nachfolger Magnus Torquatus (II.) und Friedrich hielten es ebenso.19 Auch nach dem Tod Herzog Friedrichs, der im Juni 1400 bei einem Anschlag ums Leben kam, wird von seinen Brüdern Bernhard und Heinrich ein Register der Urkunden und Belehnungen für das Land Braunschweig geführt, obwohl sich die beiden Herzöge eher in den welfschen Nachbargebieten aufhalten.20 Man sieht, dass das Land Braunschweig bereits eine territoriale Einheit darstellte. Das Herrschaftsgebiet der erwähnten Herzöge erstreckte sich im 14. Jahrhundert beiderseits der Oker. Zentrum des Landes war die an der Oker gelegene Großstadt Braunschweig, über die das Gesamthaus der welfschen Herzöge Hoheitsrechte be- anspruchte. Einen weiteren Herrschaftschwerpunkt bildete die Residenzburg Wolfen- büttel nahe der Stadt. Sie wurde von den Herzögen immer wieder aufgesucht.21 Die wichtigsten Territorialherren in der Nachbarschaft waren links der Oker im Westen und im Süden der Bischof von Hildesheim, rechts der Oker im Süden der Bischof von Halberstadt, im Osten der Erzbischof von Magdeburg und im Nordosten der Markgraf von Brandenburg. Im Norden saßen die Lüneburger Welfen, deren Erbe die Wolfenbütteler Welfen nach den Auseinandersetzungen des Lüneburger Erb- folgekrieges gegen Ende des 14. Jahrhunderts antraten. Die Gebiete im Grenzraum der beiden welfschen Fürstentümer wechselten im Lauf der Zeit wiederholt die Landeshoheit.22 Die Herzöge des braunschweigischen Landes setzten Vögte ein, die von ihren Amtssitzen aus die lokale Verwaltung führten. Für die beiden Höhenburgen im

der Rubrik 2c. – In der Ortschronik von Cremlingen wird unsere Quelle referiert, siehe Cremlingen. Geschichte und Geschichten. Chronik, Cremlingen 1999, S. 36. 16 Für das folgende vgl. KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 28ff.; Schwarz, Entstehung (wie Anm. 14), S. 241ff.. 17 Bernd FLentJe, Frank henrichvarK (Bearb.): Die Lehnbücher der Herzöge von Braunschweig von 1318 und 1344/65. Hildesheim 1982 (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Nieder- sachsens 27), S. 28–40, 47–50. 18 Ulrich Schwarz: Die ältesten Register der welfischen Herzöge für das Land Braunschweig (1344– 1400), in: Archiv für Diplomatik 43 (1997), S. 285–316, hier S. 293ff. 19 Schwarz, Älteste Register (wie Anm. 18), S. 302ff., 305ff. 20 Schwarz, Register. Vgl. Schwarz, Entstehung (wie Anm. 14), S. 243f., 245f. 21 OhainSKi (wie Anm. 8), bes. S. 150ff.; Schwarz, Wolfenbüttel. Die neue Residenz (wie Anm. 8), S. 477ff. 22 KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 31ff.; Gudrun piSchKe: Die Landesteilungen der Welfen im Mittelalter. Hildesheim 1987 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landes- forschung der Universität Göttingen 24), S. 85ff.

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Land, die Asseburg auf dem Kamm der Asse und die Burg Lichtenberg auf dem Salzgitterer Höhenzug, sind bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (also noch vor den Herrschaftsteilungen der welfschen Herzöge) Vögte bezeugt.23 Die Amtsbezirke der Vögte, die sich herausbildeten, wurden in der Regel nicht Vogteien sondern Gerichte (niederdeutsch: dat richte, gerichte) genannt. Hermann Kleinau hat in seinem Geschichtlichen Ortsverzeichnis des Landes Braunschweig jedem die- ser „Gerichte“, die sich in der Neuzeit zu „Ämtern“ fortentwickelten, kenntnis- reiche Artikel gewidmet.24 Die Quellenbelege sind für das 14. Jahrhundert freilich sehr spärlich. Meist machen stadtbraunschweigische Quellen sporadisch einzelne Gerichtsbezirke namhaft, und das nur zur topographischen Verdeutlichung, z.B. in dem richte to N.N. oder kumulierend: in deme richte to Ghifhorne, Vallersleve, Campe, Asseborch unde in dem gherichte Wlferbutle.25 Die genaue Reichweite eines solchen Amtssprengels lässt sich nur selten feststellen, so einmal für das Gericht Jerxheim, das die Herzöge 1360 den Adeligen Heinrich von Wenden und Wilhelm von Ampleben verpfändeten, oder ein anderesmal für das Gericht Königslutter, das die Herzöge 1359 den Grafen von Wohldenberg zum Pfand setzten. In den beiden diesbezüglichen Urkunden sind die zugehörigen Dörfer namentlich aufgezählt.26 Die herzoglichen Gerichte dienten den Herzögen bei Kreditaufnahmen immer wieder als Pfandobjekt. Die darüber ausgestellten Urkunden bleiben aber in der Regel all- gemein und verzichten auf nähere Angaben.27 Gegenüber diesen zufälligen Erwähnungen bietet unsere Quelle einen systema- tischen Überblick über Amtsbezirke und Dörfer. Eine solche Art der Aufistung ist kein Einzelfall. Zwei Steuerlisten des braunschweigischen Landes aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts führen die Dorfschaften gleichermaßen nach Gerichtsbezirken auf. Die eine Liste ließ der stadtbraunschweigische Ratsherr und Inhaber von Käm- mereiämtern Hans Kale 1422 erstellen, die andere ist im zweiten Gedenkbuch des Gesamtrats der Stadt Braunschweig undatiert überliefert. Kleinau hat diejenige von

23 GOV Nr. 132, 1304. 24 GOV. Für die Länder Calenberg und Lüneburg liegen vor Martin Krieg: Die Entstehung und Entwicklung der Amtsbezirke im ehemaligen Fürstentum Lüneburg. Göttingen 1922 (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas von Niedersachsen 6); Werner SpieSS, Die Großvogtei Calen- berg. Die Ämter und Vogteien Calenberg, Springe, Langenhagen, Neustadt vor Hannover und Koldingen. Topographie, Verfassung, Verwaltung. Göttingen 1933 (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas von Niedersachsen 14). 25 dOLLe, UB Stadt BS 7 Nr. 783 S. 684 (zwischen 1377 und 1384). 26 Jerxheim: Hans SUdendOrF: Urkundenbuch zur Geschichte der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg und ihrer Lande. Bd. 1–11. Hannover 1859–1883, hier Bd. 3 Nr. 101 (S. 61). Die Ur- kunde nennt die Dörfer Söllingen, Secker (wüst), Beierstedt, Gevensleben, Watenstedt, Neinstedt, Vensleben (wüst), Ingeleben (wüst), Dobbeln. Königslutter: SUdendOrF, UB 3 Nr. 77 (S. 48). Die Urkunde nennt nach dem „Weichbild“ Königslutter die Dörfer Oberlutter, Lauingen, den Riese- berg mit der Puritzmühle, Schoderstedt (wüst), Rottorf, Groß Steinum, Schickelsheim, Süpplingen, Lelm und Sunstedt. Vgl. GOV Nr. 1107, 1207. 27 Siehe z.B. Schwarz, Register (wie Anm. 6), S. 66ff. Nr. 158 (Hessen, Schöppenstedt), S. 77ff. Nr. 166, S. 91ff. Nr. 177 (Asseburg) und ebd. S. 20f.

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1422 ediert.28 Die zweite Steuerliste ist unveröffentlicht.29 Wie noch gezeigt werden wird, ist unser Kataster die älteste dieser drei Quellen, er stellt zusammen mit dem erwähnten Steuerverzeichnis die älteste erhaltene Quelle überhaupt dar, die Dörfer des Landes Braunschweig systematisch zu erfassen sucht. Unsere Quelle beginnt mit fünf Bezirken rechts der Oker, die ihren Namen nach den Örtlichkeiten Salzdahlum und Evessen, dem Flecken Schöppenstedt, der Burg Jerxheim und der Asseburg trugen (Nr. 1–23). Kirchenrechtlich gehörte das Ge- biet zur Diözese Halberstadt. Salzdahlum nordöstlich Wolfenbüttels war Amtssitz eines Vogtes. Der Ort, der sich aus den beiden Dörfern Oberdahlum und Nieder- dahlum zusammensetzte, zeichnete sich durch seine Saline aus, deren Pfannen be- reits im 11. Jahrhundert erwähnt werden.30 In Evessen am Elm hielt seit Anfang des 14. Jahrhunderts ein halberstädtischer Archidiakon das Sendgericht ab. Neben der Kirche befndet sich auf einem hohen Tumulus aus vorgeschichtlicher Zeit noch heute die Gerichtslinde des Dorfes.31 Schöppenstedt, in den Quellen nicht als Stadt sondern nur als „Weichbild“ bezeichnet, war aus mehreren Dörfern zu einem Flecken zusammengewachsen. In der Schöppenstedter Stephanuskirche nahm ein halberstädtischer Archidiakon Amtshandlungen vor.32 In Jerxheim amtierte der herzogliche Vogt auf einer Niederungsburg. Die Herzöge verpfändeten die Burg Jerxheim zu Anfang des 14. Jahrhunderts an die Herren von Alvensleben, später an die Stadt Braunschweig.33 Der Vogt auf der Asseburg, einer weithin sichtbaren Höhenburg von gewaltigen Dimensionen (heute wüst), gebot über den größten der bislang genannten Bezirke. Die Asseburg war seit 1331 fast kontinuierlich an die Stadt Braunschweig verpfändet.34 Unser Kataster ordnet der Asseburg 24 Dörfer zu. Nach der Zahl der Dörfer folgen als nächstgrößerer Bezirk das Gericht Schöppen- stedt mit 19 und die Gerichte Evessen mit 14, Jerxheim mit zehn und Salzdahlum mit neun Gerichtsdörfern. Nach den fünf Gerichten östlich der Oker werden vier weitere Gerichte erfasst, die westlich der Oker liegen, nämlich die Gerichte Beddingen, Eich, das Gericht an der Pisser und das Gericht Lichtenberg (Nr. 24–44). Keines greift auf die andere

28 KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm.11), S. 43–48. Er nennt sie „Abrechnung über den Land- schatz des Landes Braunschweig“ oder „Schatzverzeichnis“. Die in der handschriftlichen Vorlage enthaltene auf die Auflistung der Einnahmen folgende Ausgabenrechnung hat Kleinau nicht mit- ediert, siehe StadtA BS B I 10 Bd. 10, S. 30–34. 29 StadtA BS B I 2 : 2, S. 187–188 (alte Blattzählung fol. 91 r–v), erwähnt bei KLeinaU, Gebietsent- wicklung (wie Anm. 11), S. 41 Anm. 14 (Abschrift des 19. Jh. in NLA-StA WF, V Hs 1 Bd. 1, fol. 82r–83v). Die dreispaltig angelegte Liste verzeichnet nach der Überschrift In dem gherichte to Wulff(el)butle die Gerichte (und ihre Dörfer) in folgender Reihenfolge: Schöppenstedt, Evessen, Salzdahlum, Beddingen, Eichgericht, Halbgericht, Lichtenberg, Schöningen, Campen, Jerxheim (ohne Dörfer), Asseburg, Meinersen, Rümmervest, Königslutter sowie am Ende einzeln die Dörfer Groß Dahlum, Klein Dahlum und Veltheim. 30 GOV Nr. 1757–1761, Nr. 1760 zum Gericht. 31 GOV Nr. 595–596. Der Archidiakonatsbezirk war nach Lucklum benannt, siehe GOV Nr. 1334. 32 GOV Nr. 1857–1860, zum Archidiakonat Nr. 1866. Zu Schöppenstedt im Mittelalter vgl. Her- mann KLeinaU, Drei Kapitel aus der Geschichte der Stadt Schöppenstedt, in: BsJb 32 (1951), S. 1–56. 33 GOV Nr. 1106, 1107. 34 GOV Nr. 131–132. Vgl. Schwarz, Register (wie Anm. 6), S. 20f.

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Seite des Flusses hinüber, die Oker war eine deutliche Scheidelinie. Das gilt auch für den kirchlichen Bereich, auch hier bildete der Fluss die Grenze zwischen dem Bistum Halberstadt im Osten und dem Bistum Hildesheim im Westen.35 Der Ort Beddingen war namengebender Haupthof einer Grundherrschaft (Villi- kation) des Hildesheimer Domkapitels. Die welfschen Herzöge hatten Mühe, sich in diesem Gebiet territorial zu behaupten.36 Als Gerichtsname wird Beddingen im 14. Jahrhundert nur einmal zusammen mit dem Gericht Eich zwischen 1368/70 erwähnt.37 Kirchenrechtlich war der Gerichtssprengel Teil des Archidiakonatsbanns Groß Stöckheim. Im Norden von Beddingen schloss sich der Amtsbezirk Eich an. Der Name Eich ist nur als Gerichtsname (to der Eek) bekannt und kann nicht mit einer bestimmten Örtlichkeit in Verbindung gebracht werden. Als Gerichtsstätte ist früh Denstorf bezeugt.38 Der Amtssprengel des Eichgerichts, das 1401 der Stadt Braunschweig als Pfand gesetzt wurde, umfasste im wesentlichen den hildeshei- mischen Archidiakonat Denstorf und den nördlichen Teil des Archidiakonats Groß Stöckheim. Die Gerichte Beddingen und Eich zählten nach unserer Quelle 18 und 19 Dörfer. Nach dem Eichgericht folgt das Gericht an der Pisser (to der Pesere), das sich topographisch westlich von jenem erstreckte. Der namengebende Pisserbach mün- det südlich von Peine in die Fuhse. Der Amtsbereich war Teil eines älteren Ganzen, das sowohl dem Bischof von Hildesheim als Landesherrn als auch dem Herzog von Wolfenbüttel unterstand, und für den sich die Bezeichnung „Halbgericht“ einbür- gerte. Auf der wolfenbüttelschen Seite wurde Gericht (Landgericht und Freienge- richt) in Bettmar abgehalten.39 Unsere Quelle nennt 14 Dörfer, von denen fünf zum stifthildesheimischen Bereich gehörten.40 Die Steuerliste im zweiten Gedenkbuch nennt unter der Bezeichnung halffgericht dagegen nur sieben der braunschwei- gischen Dörfer.41

35 Vgl. die Karte „Die Bistümer und Archidiakonate im Bereich des Fürstentums Braunschweig- Wolfenbüttel am Ausgang des Mittelalters“, in: Horst reLLer: Vorreformatorische und reformato- rische Kirchenverfassung im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel. Göttingen 1959. 36 GOV Nr. 1765 (Salzgitter-Beddingen); Gericht Beddingen GOV Nr. 191. Zur Villikation siehe UB des Hochstifts Hildesheim 6 Nr. 546 S. 390f. (1382); Robert hOFFmann: Die wirtschaftliche Verfassung und Verwaltung des Hildesheimer Domkapitels. Münster 1911, S. 11ff. Topographi- sche Karte des Gerichtsbezirks siehe Jörg LeUSchner: Das mittelalterliche Beddingen, in: Beddin- gen. Zwölf Jahrhunderte Geschichte. Salzgitter 2001 (Beiträge zur Stadtgeschichte 17), S. 24–35, hier S. 33. 37 dOLLe, UB Stadt BS 6 Nr. 399 S. 485. Als weiterer Beleg für die Bezeichnung „Gericht Beddin- gen“ zu 1406 siehe SUdendOrF UB 10 Nr. 131 S. 325 Z. 28. 38 GOV Nr. 518. 39 GOV Nr. 214; Annette vOn bOetticher (Bearb.): Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkrei- ses Peine. Hannover 1996 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXX, 6), Nr. 43, 44 (künftig GOV Peine); Manfred vOn bOetticher, Freigrafschaf- ten im mittleren Niedersachsen. Hannover 1992 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Nie- dersachsens 108), S. 6ff.; topographische Skizze siehe FLentJe u. henrichvarK (wie Anm. 11), nach S. 98. Zu Auseinandersetzungen im Jahr 1406 zwischen den beiden Landesherren in diesem Gebiet siehe Gerhard himmeLmann: Das Leid der Landbevölkerung im Jahre 1406, in: Schriften- reihe des Kreisheimatbundes Peine 1 (1996), S. 5–42 (auf der Grundlage von SUdendOrF, UB 10 Nr. 116, 119, 131, 132). 40 Klein Lafferde, Münstedt (wüst), Groß und Klein Schmedenstedt, Dungelbeck. 41 StadtA BS, B I 2 : 2, S. 187. Orte: Bettmar, Siersse, Liedingen, Bodenstedt, Wendeburg, Köchingen,

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 52 Ulrich Schwarz

Die bislang aufgeführten Gerichte beiderseits der Oker und ihre Vögte unterstan- den (mit Ausnahme von Jerxheim) dem Großvogt von Wolfenbüttel, der allmählich eine den lokalen Vögten übergeordnete Zuständigkeit gewann.42 Bereits im 14. Jahr- hundert war die welfsche Residenzburg Wolfenbüttel Sitz herzoglicher Vögte, deren Namen in nahezu vollständiger Serie bezeugt sind.43 In der Verpfändungsurkunde für Wolfenbüttel von 1370 ist von einer Mehrzahl von Gerichten die Rede. Wenig später erscheint ein „Gericht Wolfenbüttel“ im Singular neben anderen.44 1392 wird einmal der Ort Ahlum östlich der Oker (im Gericht Salzdahlum) als zum Gericht Wolfenbüttel in einem weiteren Sinn gehörend gekennzeichnet. In einer Urkunde von 1413 oder später werden unter der Bezeichnung in dem gherichte to Wulfer- buttle Dörfer aus dem Gericht Beddingen und aus dem Eichgericht aufgezählt.45 Es empfehlt sich, die zu erschließende Zuständigkeit des Wolfenbütteler Vogtes als „Großvogtei“ zu bezeichnen, und tatsächlich begegnet die Bezeichnung Großvogt für den in Wolfenbüttel amtierenden Vogt seit 1440 auch in den Quellen. Diese Entwicklung zur Großvogtei erklärt sich aus der Nähe des Wolfenbüttler Vogtes zum Herzog und aus den Notwendigkeiten der Versorgung der Hofgesellschaft in und um die Residenzburg. Neben dem Großvogt amtierte ein herzoglicher Amt- mann, der für den Haushalt verantwortlich war. Seine Buchführung schlug sich in Jahr für Jahr geführten Amtsrechnungen nieder. Aus den Jahren 1445/46, 1447/48 sind die ältesten Amtsrechnungen erhalten, für 1450 sind auch die Einnahmen über- liefert, die aus den Gerichten Beddingen, Salzdahlum, Evessen, Schöppenstedt und einzelnen Orten des „Halbgerichts“ stammten.46 Die Verbuchung der Einnahmen durch den Wolfenbütteler Amtmann bestätigt den Eindruck, dass von einer Groß- vogtei Wolfenbüttel auszugehen ist, die die Gerichte im Umkreis der Residenzburg Wolfenbüttel beiderseits der Oker umfasste (in der Neuzeit wurde aus der Groß- vogtei das sog. Residenzamt). In unserer Quelle fndet sich freilich kein Hinweis auf eine den Gerichtsbezirken übergeordnete Instanz. Immerhin hat ihr Urheber die Gerichtsdörfer der Großvogtei an den Anfang seiner Niederschrift gestellt.

Wahle. Die Bezeichnung Halbgericht auch zu 1408 belegt in Hans gOetting, Hermann KLeinaU: Die Vizedominatsrechnungen des Domstifts St. Blasii zu Braunschweig 1299–1450. Göttingen 1958 (Veröffentlichungen der niedersächsischen Archivverwaltung 8), S. 275 Z. 39. 42 GOV Nr. 2344, auch für das folgende; Schwarz, Rechnungen (wie Anm. 8), S.291ff. 43 OhainSKi, Niederungsburg (wie Anm. 8), S. 128ff.; Schwarz, Wolfenbüttel. Die neue Residenz (wie Anm. 8), S. 482ff. 44 Siehe dOLLe, UB Stadt BS 6 Nr. 811 (S. 846) (in deme richte to Wolfelbutle), Nr. 833 (S. 862) (in deme richte to Wolfelbutle, in dem richte to der Asseborch unde in deme richte to Lechtenberghe). Vgl. germer (wie Anm. 11), S. 93f. 45 Zu Ahlum siehe GOV Nr. 2344; Urkunde siehe StadtA BS, Zweites Gedenkbuch, B I 2 Bd. 2, S. 183 (alt fol. 89r) (Abschrift des 19. Jh. im NLA-StA WF, VII D Hs 13, fol. 110 r). In der Ur- kunde gibt Aschwin von Steinberg, Sohn Hildemers, dem welfischen Herzog Bernd und seinem Sohn Otto eine Garantie, sie in seinem Konflikt mt der Stadt Braunschweig schadlos zu halten (da- tiert Donnerstag nach St. Bartholomäustag). Aschwin zählt als zum „Gericht Wolfenbüttel“ gehö- rend auf die Dörfer Fümmelse, Groß Stöckheim, Thiede, Leiferde, Geitelde, Rüningen, Broitzem,, Lehndorf, Timmerlah, Denstorf, Sonnenberg, Gleidingen, Wierthe, Köchingen, Vallstedt, Alvesse, Üfingen, Nortenhof, Stiddien, Beddingen, Sauingen, Bleckenstedt, Drütte, Immendorf, Adersheim, Halchter und Cramme. Vgl. allgemein OhainSKi, Niederungsburg (wie Anm. 8), S. 131ff. 46 Schwarz, Rechnungen (wie Anm. 8), S. 293ff., 321ff., 374ff. (Einnahmen 1450).

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Nach dem Halbgericht wird das Gericht Lichtenberg aufgeführt, mit 27 Dörfern eines der größten im Land. Es lag beiderseits der Fuhse und verdankt seinen Na- men der markanten Höhenburg (heute wüst) auf dem Salzgitterer Höhenzug. Die Burg und der ihr zugehörige Sprengel hatten von 1267 bis 1388 den lüneburgischen Herzögen unterstanden, waren also bis 1388 ein Fremdkörper im Braunschweiger Land gewesen. Als Vögte konnten die Herren von Salder hier ihre Stellung stär- ken.47 Soweit die Amtsbezirke westlich der Oker. Unsere Quelle geht im Folgenden wieder in das Gebiet östlich der Oker zurück, und zwar mit dem Gericht Campen in das Gebiet von Schunter und Wabe (Nr. 45). Das Gericht ist nach der mittelalter- lichen Niederungsburg Campen auf einem Werder (heute wüst) in der Schunter bei Flechtorf benannt. Der Amtsbezirk hatte zwischen 1348 und 1388 zum Fürstentum Lüneburg gehört. Mit 24 Dörfern kam er in seiner Ausdehnung fast dem Gericht Lichtenberg gleich.48 Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts waren Burg und Gerichts- bezirk Campen an die Stadt Braunschweig verpfändet. Der herzogliche Vogt des als nächstes aufgeführten Gerichts Königslutter (Nr. 46) amtierte in der landesherrlichen Burg in der Stadt Königslutter. Ihm un- terstanden die Stadt (1359 noch Weichbild genannt) und acht Dörfer im Osten des Elms bis zur Schunter.49 Die herzogliche Burg war 1392 an die Adeligen Konrad und Ulrich von Weferling verpfändet.50 Als letzter Amtsbezirk wird ein Gebiet unter der Überschrift de Poppendik (Nr. 47) erfasst. Der heute noch gebräuchliche Landschaftsname Papenteich im Winkel östlich der Oker und nördlich der Schunter gehörte zum Gericht Gifhorn, das im 14. Jahrhundert zwischen braunschweigischer und lüneburgischer Landes- hoheit wechselte, bis es 1409 mit Einschränkung und dann 1428 endgültig an Lüne- burg fel.51 In der braunschweigischen Steuerliste von 1422 sind die 23 Orte des Papenteichs rund um Meine nahezu fächendeckend aufgeführt.52 In unserer Quelle

47 GOV Nr. 1303 (Burg), Nr. 1304 (Gericht). Topographische Karte siehe Gudrun piSchKe: Burg Lichtenberg, Feste – Amtssitz – Ruine. Salzgitter 2003, S. 25. In der Steuerliste von 1422 fehlt der Gerichtsbezirk Lichtenberg. 48 GOV Nr. 408; germer (wie Anm. 11), S. 82ff.; zur Burg Campen im Mittelalter siehe Lars Kretz- Schmar: Die Schunterburgen. Ein Beitrag zur interdisziplinären Forschung zu Form, Funktion und Zeitstellung. Wolfenbüttel 1997 (Beihefte zum Braunschweigischen Jahrbuch 14), S. 133ff. 49 GOV Nr. 1207. 50 SUdendOrF, UB 7 Nr. 68 S. 70.; vgl. oben Anm. 26 (Verpfändung von 1359 mit Aufzählung der Dörfer). Vgl. Eva SchLOtheUber: Kloster und Stadt Königslutter, in: märtL (Hg.), Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1 (wie Anm. 8), S. 537–557, hier S. 551ff. 51 Vgl. Jürgen rUnd (Bearb.): Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkreises Gifhorn. Hannover 1996 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXX, 5), Nr. 223, 468 (künftig GOV Gifhorn). Die Gerichtsrechte im Umkreis des Papenteichs waren durch Verkäufe der Grafen von Wohldenberg und der Herren von Wenden um die Mitte des 14. Jahrhunderts an die lüneburgischen Herzöge gefallen, siehe Peter przybiLLa: Die Edelherren von Meinersen, Genealogie, Herrschaft und Besitz vom 12. bis zum 14. Jh., hg. von Uwe OhainSKi und Gerhard Streich. Hannover 2007 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nieder- sachsen und Bremen 236), S. 263f., S. 725 (Karte 9). Um 1400 war der Papenteich überwiegend braunschweigisch. 52 Hier unter der Benennung „Gericht Gifhorn“, siehe KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 45.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 54 Ulrich Schwarz fndet sich unter dem Landschaftsnamen Papenteich freilich nur eine Auswahl von 10 Orten.53 Mit diesen Dörfern des Papenteichs schließt unser Text (die restlichen Seiten der Handschrift blieben unbeschrieben). Die zwölf aufgezählten Gerichte Salzdahlum, Evessen, Schöppenstedt, Jerx- heim, Asseburg, Beddingen, Eich, Halbgericht Bettmar, Lichtenberg, Campen, Königslutter, Papenteich bilden zwar räumlich einen Zusammenhang, doch decken sie keineswegs das gesamte damalige Land Braunschweig ab. Die erwähnten bei- den Steuerlisten von 1422 und aus dem zweiten Gedenkbuch nennen noch weitere Amtsbezirke, die vor allem im Grenzbereich zwischen den braunschweigischen und lüneburgischen Landen lagen und auf die im Folgenden kurz eingegangen wird.54

1. Westlich der Oker und im Norden von Peine gelangte spätestens 1409 das große Gericht Meinersen von der lüneburgischen unter herzoglich-braunschweigische Hoheit, nachdem schon 1388 die halbe Burg Meinsersen vereinnahmt worden war. Die herzogliche Burg Meinersen, die von den lüneburgischen Herzögen Anfang des 14. Jahrhunderts angelegt worden war, lag auf dem Ostufer der Oker.55 Erst 1512 fel der ganze Amtsbezirk an die lüneburgische Seite zurück.56 In der Steuerliste aus dem zweiten Gedenkbuch werden 30 Gerichtsdörfer auf- gezählt.57 2. Nördlich des Papenteichs befand sich die Heidmark (up der heyde), die wie der Papenteich zum Gerichtsbezirk Gifhorn gehörte und im Norden bis in das Ge- biet um Hankensbüttel reichte. Die Steuerliste von 1422 zählt 27 Örtlichkeiten der Heidmark auf.58 Der Ort Gifhorn selbst wird in dieser Liste zusammen mit weiteren acht Orten benannt.59 3. Weiter im Osten, jenseits des Boldecker Landes, lag im Winkel von Kleiner Aller und Aller der Gerichtsbezirk des Vorsfelder Werders. Der namengebende Ort Vorsfelde war seit Mitte des 14. Jahrhunderts Stadt und Sitz einer Burg. Ein Einkünfteverzeichnis aus der Zeit der Verpfändung dieses Gebiets an die Stadt Braunschweig von 1366/67 nennt zehn Dörfer, dazu weitere acht außerhalb des Werders. Im Jahr 1394 erhielten die Herren von Bartensleben, die in der begütert waren, den Vorsfelder Werder zu Lehen.60 Sie vereinigten das Gebiet mit ihrem Gericht Wolfsburg und regierten dort nahezu wie Landes-

53 Mit Neubrück an der Oker in Randlage im Westen und Uhry im Hasenwinkel in Randlage im Osten. 54 Zur Orientierung vgl. die Übersichtskarte in Der Landkreis Gifhorn. Bremen-Horn 1972 (Die Landkreise in Niedersachsen 26), S. 10. 55 przybiLLa (wie Anm. 51), S. 247ff., 433. 56 Vgl. GOV Gifhorn Nr. 408 (noch ohne die Ergebnisse von Przybilla); piSchKe (wie Anm. 22), S. 90, 94, 101, 103; Schwarz, Register, S. 20f. 57 StadtA BS, B I 2 : 2, S. 188; przybiLLa (wie Anm. 51), S. 726f. Karte 10. 58 KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 7), S. 47; Krieg (wie Anm. 24), S. 55; GOV Gifhorn Nr. 223; 59 Einige zählten zur sog. Hausvogtei Gifhorn (Begriff erst im 16. Jh.), siehe KLeinaU, Gebietsent- wicklung (wie Anm. 11), S. 46 mit Anm. 43; vgl. GOV Gifhorn Nr. 224. 60 GOV Nr. 2142 (Stadt); Nr. 2143 (Amt); germer (wie Anm. 11), S. 90ff.; dOLLe, UB Stadt BS 6 Nr. 339 S. 407; Klaus-Jörg SiegFried (Hg.): Geschichte Vorsfeldes. Bd. 1. Wolfsburg 1995 (Texte zur Geschichte Wolfsburgs 25), S. 47 Karte.

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herren.61 Ein „Gericht“ Vorsfelde fehlt dementsprechend in der Steuerliste von 1422 und in der Liste im zweiten Gedenkbuch. 4. In den Bereich südlich der Aller bei Fallersleben führt das Gericht Grevenlah, das von den Grafen von Wohldenberg an die lüneburgischen Herzöge gelangt war. Mit dem Ort Fallersleben zählt der Grevenlah in der Steuerliste von 1422 sieben Orte.62 Das Gebiet am Dorm östlich der Schunter wird Hasenwinkel ge- nannt. Als Gerichtsbezirk wird der Hasenwinkel in der gleichen Steuerliste mit zwölf Orten genannt.63 5. Nördlich des Hasenwinkels zur Aller hin nahm ein Vogt von der Burg Rümmer aus (dicht bei Groß Twülpstedt) Rechte über eine Anzahl von Dörfern wahr. Nach der Zerstörung dieser Burg 1382 wurde die Burg Bahrdorf weiter östlich über der Aller neuer Amtssitz des Vogtes. Gleichwohl nennt die Steuerliste im zweiten Gedenkbuch noch unter der Überschrift dat richte ut dem Remmerveste 15 Örtlichkeiten rund um Groß Twülpstedt. In der Steuerliste von 1422 erscheint dagegen der neue Gerichtsname Bahrdof, allerdings nur mit sechs Orten.64 6. Südlich des Hasenwinkels, zwischen Elm und Helmstedt, ist kein herzoglicher Gerichtsbezirk auszumachen. In dieser Gegend bildete sich die Herrschaft der Edelherren von Warberg um die Burg Warberg heraus, die schon früh die Hoch- gerichtsbarkeit in umliegenden Dörfern von den Herzögen verliehen bekommen hatten.65 Im 15. Jahrhundert begannen die Herren von Warberg, für ihre Herr- schaft Reichsunmittelbarkeit zu beanspruchen.66 7. Schließlich ist der Gerichtsbezirk um die Stadt Schöningen zu nennen. Er schloss sich im Süden an die Herrschaft Warberg an und grenzte am Südrand des Elm

61 Schloss Wolfsburg. Geschichte und Kultur, Wolfsburg 2002, S. 84ff. (P. Steckhahn); Martin FimpeL: Schloss Wolfsburg 1302–1945, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 75 (2003), S. 127–159, hier S. 128ff. derS., Lauern auf den Vasallentod. Das Ende der Herren von Bartens- leben auf Schloss Wolfsburg 1742, in: BsJb 85 (2004), S. 101–118, hier S. 102f. Im Privatarchiv v.d. Schulenburg, Nordsteimke bei Wolfsburg, werden Steuerbücher der Herren von Bartensleben aus dem 15. Jh. aufbewahrt, die der Auswertung harren, siehe Martin FimpeL u.a.: Quellen zur Geschichte des Schlosses Wolfsburg und der Familien von Bartensleben und von der Schulenburg. Ein digitales Findbuch. Wolfsburg 2007 (cd-rom), Gutsarchiv Nordsteimke, Einnahmeregister. 62 KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 47; Wolfgang petKe: Die Grafen von Wöltingero- de-Wohldenberg. Adelsherrschaft, Königtum und Landesherrschaft am Nordwestharz im 12. und 13. Jahrhundert. Hildesheim 1971 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesfor- schung der Universität Göttingen 4), S. 455; Annette vOn bOetticher, Fallersleben im Mittelalter, in: BsJb 78 (1997), S. 65–85, hier S. 79f.; przybiLLa (wie Anm. 51), S. 724f. Karte 9. Grevenlah heißt ein Berg sw. Weyhausen, siehe Der Landkreis Gifhorn. II. Gemeindebeschrebungen Teil 1 (Die Landkreise in Niedersachsen 26), Gifhorn 1975, S. 232. Der Bezirk Grevenlah mit seinen Dörfern erscheint im 15. Jh. auch in einem lüneburgischen Steuerbuch von 1489, siehe grieSer, Schatz- und Zinsverzeichnisse (wie unten Anm. 206), S. 68f. 63 KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 46f.; Krieg (wie Anm. 24), S. 57. Der Hasenwin- kel mit seinen Dörfern erscheint gleichfalls in dem in der vorigen Anm. genannten lüneburgischen Steuerbuch von 1489, S. 77–79. 64 GOV Nr. 161, 1740; StadtA BS, B I 2 : 2, S. 188; KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 47 (Gericht Bahrdorf); Joachim Schmid: „So dull unde dörde werden de bure…“ Geschichte der Holzlanddörfer. Groß Twülpstedt 1993, S. 453f. (Rümmervest). 65 GOV Nr. 2201. 66 Vgl. vorläufig Hans hartmann: Die Edelherren zu Warberg. Braunschweig 2001, S. 98f., 109f.; Gesine Schwarz: Die Rittersitze des alten Landes Braunschweig. Göttingen 2008, S. 47ff.

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an die Gerichte Schöppenstedt und Jerxheim. Der Schöninger Vogt residierte seit Mitte des 14. Jahrhunderts auf der herzoglichen Burg in der Stadt und gebot über zwölf Dörfer, wie die Steuerliste von 1422 ausweist.67

In unserer Quelle fehlen also, mit Ausnahme des Papenteichs, alle Örtlichkeiten jenseits der Schunter und die Dörfer um Schöningen. Sie bietet nur die Orte im Kerngebiet des Braunschweiger Landes und ist auf die Dörfer im näheren Umfeld der Stadt Braunschweig beschränkt. Aber auch hier gibt es gelegentlich Lücken. Dieser Umstand ist nicht nachlässiger Registrierung geschuldet sondern besonderen Rechtsverhältnissen. Es fehlt eine Reihe von Orten adeliger Jurisdiktion. Zu nennen ist Destedt am nordwestlichen Elmrand, Sitz der Herren von Veltheim. In der Steuerliste von 1422 erscheint Destedt zusammen mit den Orten Hemkenrode, Schulenrode, Cremlin- gen, Erkerode und Veltheim an der Ohe und ist als eigener Gerichtsbezirk ausge- wiesen.68 Unsere Quelle verschweigt Destedt und weist die anderen Orte dagegen dem Gericht Evessen zu. Die Entwicklung ging dahin, dass die Herren von Veltheim ihre Gerichtshoheit über die erwähnten Dörfer durchsetzten.69 Es fehlen ferner der Ort Ampleben (am Elmrand zwischen Kneitlingen und Evessen gelegen), ursprüng- lich Sitz der Herren von Ampleben und gegen Ende des 14. Jahrhunderts von den Herzögen an die Herren von Ütze vergeben, sowie die Burg Langeleben im Elm, die die Herren von der Asseburg zu Lehen trugen.70 Beim Gericht Lichtenberg vermisst man Gebhardshagen mit der Burg, auf der die Herren von Bortfeld saßen. Um diese Burg bildete sich im 16. Jahrhundert ein kleiner herzoglicher Gerichtsbezirk.71 Im Gericht Campen wären Groß bzw. Klein Brunsrode zu nennen gewesen. Die Orte bildeten ein adeliges Gericht, das Ende des 15. Jahrhunderts an die Herren von Veltheim verpfändet wurde.72 Ein herzoglicher Vorposten an der Grenze zum Hochstift Halberstadt war die Niederungsburg Hessen nahe dem Fallstein, die den Übergang über das Große Bruch, den sog. Hessendamm, kontrollierte und Zölle einforderte. Sie war in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an die Stadt Braunschweig verpfändet und hatte neben

67 GOV Nr. 1844–1849, Nr. 1849 zum Gericht; KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 45; Claudia märtL: Schöningen. Vom Königshof zur Stadt, in: dieS. u.a. (Hg.), Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1 (wie Anm. 8), S. 404–423, hier S. 420f. – Hingewiesen sei hier noch darauf, das zum Amtsbezirk Schöningen auch das „Gericht vor Helmstedt“ zählte, dOLLe, UB Stadt BS 6 Nr. 618 (S. 685) (1371). Das Gericht vor Helmstedt wird auch im Zusammnhang mit Übergriffen der Herren von Weferling und von Veltheim erwähnt, dOLLe, UB Stadt BS 7 Nr. 390 (S. 352 unten) (1381). Vgl. GOV Nr. 933. 68 KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 45. 69 GOV Nr. 464. Vgl. G. Schwarz, Rittersitze (wie Anm. 66), S. 101. 70 Ampleben: GOV Nr. 91; KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 46 bei Anm. 41; G. Schwarz, Rittersitze (wie Anm. 66), S. 82. Die Burg von Ampleben wurde 1425 von der Stadt Braunschweig zerstört. Langeleben: GOV Nr. 1260, 4d. 71 GOV Nr. 679, 1772; Annette vOn bOetticher: Das Lehnregister der Herren von Bortfeld und von Hahnensee aus dem Jahre 1476. Edition und Kommentar. Hildesheim 1983 (Veröffentlichun- gen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 18), S. 16f. 72 GOV Nr. 367; KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 45. Vgl. G. Schwarz, Rittersitze (wie Anm. 66), S. 9.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 57 dem Dorf Hessen keine zugehörigen Dörfer (allenfalls Pabstorf).73 Anders verhielt es sich mit der Burg Calvörde, die im Osten des braunschweigischen Landes in der Ohreniederung nordwestl. Haldensleben liegt. Zur Burg gehörten die Stadt Calvörde und mindestens sechs Dörfer. Die Burg war von den welfschen Herzögen an die Herren von Wederden, später an die von Alvensleben verpfändet worden. An Calvör- de machten auch der Markgraf von Brandenburg und der Erzbischof von Magdeburg Rechte geltend.74 Sowohl Hessen als auch Calvörde fehlen in unserem Text. Weiter hatten die Urheber unserer Quelle auch einige Dörfer geistlicher Juris- diktion nicht im Blick, wie z.B. die Dörfer, die dem Zisterzienserkloster Riddag- hausen vor Braunschweig unterstanden, nämlich Mascherode und Klein Schöppen- stedt (auch Möncheschöppenstedt genannt) in Nachbarschaft zum Kloster.75 Es fehlen auch das Dorf Lucklum am Elm mit der Deutschordenskommende, das Dorf Steterburg westlich von Wolfenbüttel mit dem Frauenstift und seinem Außenhof Nortenhof, das Dorf Süpplingenburg am Dorm mit der Johanniterkommende und dem zum Komtureigericht gehörenden Ort Großsteinum.76

Hufen, einzelne Hofstellen und Hufensummen

Für jedes der in unserer Quelle rund 200 aufgezählten Dörfer ist in der zugrun- deliegenden Handschrift eine Spalte vorgesehen, die mit Angaben zu Hufen und Zehnten tabellarisch gefüllt werden sollte. Die Dorfnamen auf dem oberen Rand der Seiten fungieren als Überschriften. Je zwei Namen mit zwei Spalten beanspruchten eine Seite. Doch nur für 39 der aufgeführten Dörfer sind die Spalten tatsächlich ausgefüllt worden.77 Das Werk ist also ein Torso geblieben. Wie das durchgängige Raster der Spaltenüberschriften zeigt, war geplant, zu allen Dörfern Tabellen anzu- legen. Ein zufällig erhaltenes Konzeptblatt überliefert uns unvollständige Notizen zu weiteren Dörfern, deren Spalten in der Reinschrift leer geblieben sind.78 Hufen und Zehnten sind nur für Dörfer der Gerichte Salzdahlum, Evessen, Schöppenstedt, Asseburg, Beddingen, Eich und Bettmar registriert worden, d.h. man kam nicht über die Großvogtei Wolfenbüttel hinaus (innerhalb Nr. 1–14, 16– 43). Aber auch innerhalb der Gerichtsbezirke klaffen Lücken, denn nicht zu jedem Dorf ist die vorgesehene Spalte ausgefüllt. Die Dörfer der Gerichte Jerxheim, Lich- tenberg, Campen und Königslutter entbehren allesamt jeglicher Eintragung.79

73 GOV Nr. 946–947. Vgl. Schwarz, Register, S. 20. 74 GOV Nr. 399, 4d, Nr. 400–401; SUdendOrF UB 2 Nr. 116–117 S. 72f. 75 GOV Nr. 1687. Zum Kloster Riddagshausen gehörten ferner Meerdorf bei Peine und im Umkreis von Schöningen Wobeck, Alversdorf und Offleben. Vgl. Annette vOn bOetticher: Gütererwerb und Wirtschaftsführung des Zisterzienserklosters Riddagshausen bei Braunschweig im Mittelalter, Braunschweig 1990 (Beihefte zum Braunschweigischen Jahrbuch 6). 76 GOV Nr. 1333, 1511, 1975, 1980, 2012. Als Grundherren sind Lucklum und Steterburg sehr wohl in unserer Quelle erwähnt. 77 Siehe unten S. 85f. 78 Siehe unten S. 87f. 79 Nur für Gevensleben im Gericht Jerxheim sind Angaben überliefert, die wir dem erwähnten Konzeptblatt verdanken, in Nr. 15.

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Die Tabellen sind jeweils nach einem Schema gestaltet, das konsequent durch- gehalten ist: Nach der Aufistung der Hufen und der Grundherren folgen am Ende Angaben über den Zehnt (bzw. die Zehntanteile) und ihre Inhaber, die Zehntherren. Die Angaben zum Zehnt fehlen freilich des Öfteren. Die tabellarische Registrierung ermöglicht einen guten Überblick und lässt Summen ziehen. Diese Möglichkeit der Summierung am Ende der Tabelle ist freilich nur in zwei Fällen genutzt worden.80 Die Summierung der Hufen war offenbar nicht das Hauptanliegen der Urheber des Katasters und sollte allenfalls später nachgeholt werden. Das erwähnte Konzeptblatt zeigt, dass die Hufensummen der Dörfer bereits bekannt waren (woher auch immer) und nicht erst aus der Hufenaufzählung im Einzelnen errechnet wurden.81 Ziel der Aufistung ist es, die Namen der Grundherren und die Anzahl der Hu- fen, über die sie verfügten, festzuhalten. Die die Hufen bewirtschaftenden Bauern liegen im Prinzip nicht im Blickfeld der Registrierung. Der Begriff der Hufe als Besitz- und Rechtseinheit wird in unserer Quelle – wie in anderen zeitgenössischen Quellengattungen auch – konsequent verwendet. In der Praxis wurden oft mehrere Hufen von einer Hofstelle aus bewirtschaftet; mehrhufge Betriebe waren weit verbreitet.82 Aber auch Inhaber von halben Hufen oder noch kleineren Anteilen kommen vor. Die Hofstellen sind nicht eigens erwähnt, anders als etwa in den Notizen des herzoglichen Lehntagsregisters von 1400, wo zwischen houve und hoff (Mehrzahl: hove) durchgängig unterschieden wird.83 Dort kom- men Wendungen vor, die die Höfe als Zubehör der Hufen bezeichnen.84 Die Höfe sind also auch dort nachrangig behandelt. Das hat sich 150 Jahre später gänzlich verändert. In den braunschweigischen Erbregistern des 16. Jahrhunderts steht der wirtschaftende Dorfbewohner mit seiner Hofstelle an erster Stelle. Sie wird nach ihrer Größe (Meierhof oder Ackerhof, Halbspännerhof, Kothof) unterschieden und klassifziert. Die Hufen erscheinen jetzt als Zubehör des Hofes. Das System der Er- fassung richtet sich nicht am Grundherren sondern an den wirtschaftenden Bauern aus.85 In unsere Quelle wird auf die Angabe der Hofstellen verzichtet. Es gibt nur zwei Ausnahmen von dieser Regel: Für die Dörfer Stöckheim bei Braunschweig (Nr. 5) und Cremlingen (Nr. 10), nimmt der Text am Ende der Tabellen überraschend auf Hofstellen und ihre Grundherren Bezug. Es werden große Höfe (Bauhof) und kleinere Höfe (Kothöfe), im Fall von Cremlingen außerdem auch Wurten unter- schieden. Von Bauhöfen wurde im 14. Jahrhundert Spanndienst mit Wagen und beim Pfügen geleistet, während von den Kothöfen Handdienste zu erbringen waren.

80 73 Hufen für das Dorf Ahlum, Nr. 1 und 70 Hufen für das Dorf Seinstedt, Nr. 18. 81 Siehe unten S. 87f. Die Aufzählungen der Hufen auf dem Blatt sind unvollständig. Zu einem ähn- lichen Fall in der Reinschrift (Nr. 11) siehe unten Anm. 100. 82 Vgl. Ernst döLL: Die Kollegiatstifte St. Blasius und St. Cyriacus zu Braunschweig. Braunschweig 1967 (Braunschweiger Werkstücke 36), S. 251f.; Ludolf KUchenbUch: Die Neuwerker Bauern und ihre Nachbarn im 14. Jahrhundert. Habil.-Schrift (masch.) TU Berlin 1983, S. 27ff. 83 Schwarz, Register, passim 84 Ebd. S. 47 Nr. 43: …unde 2houve to Hallechter unde de hove, de dar tohoren. 85 Vgl. oben Anm. 1.

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Im 16. Jahrhundert wird erst seit 1541 zwischen Ackerhöfen mit vollem Spann- dienst und Halbspännerhöfen mit halbem Spanndienst differenziert.86

Für Stöckheim bei Braunschweig sind nach unserer Quelle folgende Relationen zwischen Hufen und Höfen festzustellen (in Nr. 5): Hufen Höfe Grundherr 76Kothöfe, 1 Bauhof Bürger van der Heide 62Kothöfe Kloster St. Ägidien87 8+4 6 Kothöfe Kloster Steterburg88 52+1 Kothöfe Stift St. Blasien 42Kothöfe Bürger Strobeke –1Kothof örtliche Pfarre (den hilghen) 4½ 3 Kothöfe St. Thomasspital89

Zu beachten ist auch die zusammenfassende Angabe, dass von den Kothöfen 15 besetzt waren und neun wüst lagen (zwei Kothöfe fehlen). In der Mitte des 16. Jahr- hunderts sind 21 Kothöfe benannt, nun lagen nur noch zwei wüst.90

Für Cremlingen (Nr. 10) sehen die Verhältnisse folgendermaßen aus: Hufen Höfe Grundherr 4½ 14 Kothöfe, 1 Wurt Herren von Veltheim91 –2Kothöfe Kommende Lucklum 51Kothof Bürger Hinrik Peters 72Kothöfe Kloster Riddagshausen92 4½ 3 Kothöfe Bürger Eikenrod 31Kothof Bürgerwitwe Lesse93 21Bauhof, 1 Kothof Bürger Elers –1Wurt örtliche Pfarre 3– Stift St. Blasius 1– Hans Sanne

86 Werner KüchenthaL: Bezeichnung der Bauernhöfe und Bauern auf dem Gebiet des früheren Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel und des früheren Fürstentums Hildesheim. Hedeper 1966, 2. Aufl., S. 139ff. und 142ff., auch S. 15ff. im Hinblick auf die frühen Erbregister. – Bau- höfe befanden sich vermutlich in jedem Dorf, vgl. Schwarz, Register Nr. 62, 66 S. 50; Nr. 88 S. 54; urkundlich dOLLe, UB Stadt BS 8 Nr. 844 (S. 859f.). 87 Von dem Besitz von St. Ägidien bezogen die Bürger Lubbert Twedorpp und seine Brüder 48 Schil- linge Einkünfte, siehe Schwarz, Register Nr. 124 S. 59. Vgl. GOV Nr. 1992, 4a, 4b. 88 Vgl. GOV Nr. 1992, 4b. 89 Vgl. GOV Nr. 1992, 4b. 90 Nach dem Erbregister von 1566, siehe Wilhelm bOrnStedt: Chronik von Stöckheim. Siedlungs- geographie, Sozial- und Kulturgeschichte eines braunschweigischen Dorfes. Braunschweig 1967, S. 104f. Von den Kötnern bewirtschafteten 1566 sieben meist nur eine Hufe, die übrigen Kötner hatten kaum oder kein Land. 91 Vgl. GOV Nr. 421, 4e; Nr. 464; G. Schwarz, Rittersitze (wie Anm. 66), S. 108. 92 Das Kloster hatte 1386 4 Hufen, einen Bauhof und zwei Kothöfe sowie den Zehnten für 120 Mark erworben, siehe dOLLe, UB Stadt BS 7 Nr. 1029–1031 (S. 899ff.). Vgl. GOV Nr. 421, 4b. 93 Tile Lesse hatte die drei Hufen (zwei zehntfrei) und zwei zehntfreie Höfe (davon einer der Schäfer- hof) von den Herzögen zu Lehen, siehe Schwarz, Register, Nr. 53 S. 48.

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Auch bei Cremlingen fndet sich ein Hinweis auf besetzte und unbesetzte Höfe, in diesem Fall sogar nach Grundherren spezifziert. Von den 14 Kothöfen der Herren von Veltheim lagen neun wüst, ferner je ein Kothof der Bürgerfamilien Eikenrod, Lesse und Elers, so dass wir auf eine Gesamtzahl von zwölf besetzten und zwölf unbesetzten Kothöfen kommen. Diese Hinweise auf wüste Höfe bewahren uns davor, aus den Zahlenangaben über die Hofstellen einen voreiligen Rückschluss auf die Zahl der bäuerlichen Haus- halte in den beiden Dörfern zu ziehen. Wir erhalten eine Momentaufnahme aus der Zeit einer bevölkerungsgeschichtlichen Krise. Wie wir aus Forschungen zum Braunschweiger Blasiusstift wissen, lagen in den achtziger Jahren des 14. Jahrhun- derts nach den vorangegangenen Pestwellen zwei Drittel des Stiftsbesitzes oder mehr brach. Um 1400 hatte sich die Situation etwas gebessert.94

Die Angaben des Katasters zielen auf einen Gesamtüberblick über Hufen und Grundherren im jeweiligen Dorf, worüber für das braunschweigische Land sonst keine Quelle des Mittelalters Auskunft gibt: Urbare von Grundherren sind im Hin- blick auf einzelne Orte nur partikular, denn sie verzeichnen in der Regel nur die Besitzanteile der betreffenden Grundherren im jeweiligen Dorf. Lehnbücher über- liefern ebenfalls in der Regel nur Besitzanteile einer Vielzahl von Lehnsträgern in weiter Streuung über die Dörfer. Die übergeordnete Perspektive unserer Quelle hat dagegen die Totalität der Hufen eines Dorfes im Blick. Aus den Aufzählungen der Hufen lassen sich Summen ziehen, woran die Urhe- ber unserer Quelle, worauf schon hingewiesen wurde, nicht besonders interessiert waren. Die Hufensummen waren bereits bekannt, wie das oben erwähnte Konzept- blatt beweist. Ein Vergleich mit den Angaben der Erbregister des 16. Jahrhunderts erlaubt eine Überprüfung. Ich beziehe mich auf die Tabellen in der Untersuchung von Oehr.95

Dorf Kataster Erbregister (nach Oehr) Im Gericht Salzdahlum: Salzdahlum (Konzeptbl.) 99 10396 Ahlum 7397 76 Atzum 50 42 Wendessen 33 33 Linden 46 48 Rautheim 60 63 Stöckheim b. Braunschweig 42 41

94 Hartmut hOFFmann: Das Braunschweiger Umland in der Agrarkrise des 14. Jahrhunderts, in: Deutsches Archiv 37 (1981), S. 162–286, hier S. 207ff., bes. S. 212f., 218, 222. 95 Oehr (wie Anm. 1), S. 110ff. Anhang II. Die Zahlenangaben zu den Hufen sind dort getrennt nach Ackerleuten, Halbspännern und Kötnern angegeben. Ich habe sie zusammengezählt, wobei ich Morgen weggelassen und die Endsumme auf ganze Hufen abgerundet habe. Die von mir errech- neten Endsummen im Kataster sind ebenfalls auf ganze Hufen abgerundet. 96 Für Oberdahlum sind von Oehr 42 ¼ , für Niederdahlum 61½ Hufen angegeben. 97 Die von mir errechnete Summe von 73½ Hufen stimmt bis auf die halbe Hufe mit der im Kataster angegebenen Summa überein.

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Im Gericht Evessen: Sickte 48 9198 Volzum 47 50 Hachum 33 40 Gilzum 36 40 Veltheim 65 fehlt Cremlingen 33 fehlt (35)99

Im Gericht Schöppenstedt: (Schöppenstedt) Westendorf 52100 fehlt Bansleben 48101 47 Allum (wüst) 14 fehlt Kneitlingen 26 36102

Im Gericht Jerxheim: Gevensleben (Konzeptbl.) 84103 fehlt

Im Gericht Asseburg: Klein Denkte 26 25 Seinstedt 71104 64 Wittmar 33 27 Kalme 28 28 Remlingen 74 78

Im Gericht Beddingen: Leiferde 39 33 Immendorf 37 32 Sauingen 34 39 Beddingen 65 59 Thiede 71 61 Wierthe (Konzeptbl.) 22 20 Vallstedt 82105 65 Köchingen 49 47106 Stiddien 24 21 Geitelde 44 49

Im Eichgericht: Rüningen 49 fehlt Broitzem 70 67 Timmerlah 52 49

98 Für Obersickte sind von Oehr 34, für Niedersickte 57 Hufen angegeben. 99 NLA-StA WF, Gutsarchiv von Veltheim, 242 N 1586 (Mitte 17. Jh.), fol. 32r. 100 Für den Ortsteil Westendorf von Schöppenstedt ist die Hufensumme 52 angegeben, es sind aber nur 37 Hufen aufgezählt. 101 Die errechnete Summe stimmt mit der auf dem Konzeptblatt angegebenen Summe überein. 102 Der Ort Kneitlingen erscheint später dem Gericht Evessen zugeordnet (GOV Nr. 1192 2c), so auch bei Oehr (dort fälschlich Kreitlingen). 103 Die Zahl der aufgeführten Hufen beträgt nur 41. 104 Als Hufensumme ist 70 Hufen angegeben. 105 Die errechnete Hufensumme beträgt 63; auf dem Konzeptblatt ist als Summe 82½ Hufen ange- geben. 106 Bei Oehr unter dem Halbgericht aufgeführt.

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Groß Gleidingen 26 27 Sonnenberg (Konzeptbl.) 40107 40 Denstorf 30 51 Klein Gleidingen 32 28 Lamme 31 29

Im Halbgericht (Bettmar): Klein Lafferde 44 fehlt Sierße 28 38

Der Vergleich zeigt im Großen und Ganzen ähnliche Hufensummen und bestätigt damit die Verlässlichkeit unserer Quelle.108 Der Maßstab moderner statistischer Ge- nauigkeit ist hier nicht anzulegen. Was die Besitzverteilung in den Dörfern im Ein- zelnen betrifft, so dürfte der Vergleich mit den Erbregistern Kontinuität vor allem beim kirchlichen Hufenbesitz erkennen lassen. In der Umgebung Braunschweigs lagen vielfach große Dörfer (mit über 50 Hufen), wie sie in einem Altsiedelland mit sehr guten Ackerböden gehäuft vor- kommen.109 Die größten Dörfer sind unserer Quelle zufolge die aus zwei Dörfern zusammengefasste Ortschaft Salzdahlum (99), Gevensleben (84), Vallstedt (82), Remlingen (74), Ahlum (73), Seinstedt, Thiede (beide 71), Broitzem (70), Veltheim, Beddingen (beide 65), Rautheim (60).110 Dazu wären noch die wie Salzdahlum aus zwei Dörfern bestehende Ortschaft Sickte zu zählen, die in unserer Quelle nur un- vollständig berücksichtigt ist (Nr. 7).

Grundherren und Zehntherren

Unsere Quelle bietet ein buntes Bild der Besitzverhältnisse in den Dörfern: vom Kleinbesitz einer einzigen Hufe, auch von halben Hufen über Hufenkonglome- rate von drei oder mehr Hufen bis hin zu extremen Besitzeinheiten von 22 Hufen (Herren von Veltheim, Nr. 10) und 40 Hufen (das Hildesheimer Kloster St. Michael in Beddingen, Nr. 28). Die Urheber unserer Quelle waren darauf aus gewesen, so ist zu beobachten, die Hufen ein und desselben Grundherren am Ort in einer einzigen Hufensumme festzuhalten. Nur bei den geistlichen Grundherren erscheinen bis- weilen verschiedene Hufenkonglomerate an verschiedenen Stellen einer Ortstabelle angegeben. So werden für das Braunschweiger Blasiusstift in Ahlum (Nr. 1) zu An-

107 Die Zahl der im Konzeptblatt aufgezählten Hufen beträgt nur 24. 108 Stärkere Abweichungen sind bei Atzum, Kneitlingen, Thiede, Denstorf und Siersse zu beobachten. Bei Kneitlingen kommt die Differenz dadurch zustande, dass im Kataster der Grundbesitz des Klosters Königslutter nicht angegeben ist, siehe NLA-StA WF 19 Alt 223, S. 1044–1057, GOV Nr. 1192, 4b. Bei Denstorf vermisst man z.B. drei Hufen der Pfarre, fünf Hufen des Marienspitals, zwei Hufen des St. Thomasspitals, siehe NLA StA WF 19 Alt 53, S. 128–160; GOV Nr. 456, 4b; GOV Peine Nr. 76, 4b. 109 Helmut Jäger: Zur Größe mittelalterlicher Dörfer in Niedersachsen, in: Gedenkschrift für Hein- rich Wesche, hg. von W. Kramer u.a. Neumünster 1979, S. 79–98, hier S. 95f. mit Bezug auf das Hochmittelalter. 110 Die Summen für Salzdahlum und Gevensleben stammen aus dem Konzeptblatt.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 63 fang verschiedene Einheiten benannt und für das Frauenstift Steterburg in Thiede (Nr. 29) lautet die Aufzählung: 7hove dat closter to Stederborch. Item 1hove. Item 6hove. Item 1hove. Item 7hove. Item 4hove. Item 1hove. In einer derartigen Aufstellung spiegelt sich die Erwerbsgeschichte der geistlichen Institution und die unterschiedliche Rechtsqualität solcher Hufeneinheiten, die sich in der urkundlichen Überlieferung gelegentlich aufspüren lassen. Den Urhebern unseres Katasters lagen sicherlich auch schriftliche Vorlagen vor, denen sie ihre Zahlen entnahmen. In der zeitgenössischen Parallelüberlieferung um 1400, in Urkunden, Lehn- büchern, Urbaren, Rechnungen fnden sich immer wieder Besitzangaben, die im Widerspruch zu unserer Quelle stehen oder die darin fehlen. Das liegt in der Natur der Sache. Auf solche Unstimmigkeiten wird im Folgenden gelegentlich hingewie- sen. Wer sich in die Besitzgeschichte der einzelnen Orte vertieft, wird vermutlich weitere Diskrepanzen feststellen. Die verschiedenen Kategorien von Grundherren und Zehntherren, die in unserer Quelle vorkommen, sollen nun im Einzelnen vorgestellt werden. Die Ortstabellen nennen häufg gleich zu Beginn den Hufenbesitz der geistlichen Institutionen. Er fehlt in kaum einem Dorf, die Kirchen haben als Grundherr der Zahl der Hufen nach oft eine starke Stellung. Am reichsten waren die Kanoniker des herzoglichen St. Blasiusstifts in Braunschweig, de heren oder de papen in der borch genannt oder abgekürzt: de borch oder de papen. Zum Stift gehörte auch der Stiftspfarrer (de perner in de borch). Zuweilen wird der Stiftsdekan (de deken) mit Sondervermögen ausgewiesen.111 Die Grundherrschaft der Kanoniker von St. Bla- sius ist in stiftseigenen Quellen, zwei Urbaren von 1320 und ca. 1340 und in den Rechnungsserien des Vizedominus gut dokumentiert.112 Darin wird zwischen Stifts- gütern westlich und östlich der Oker und zwischen Geldzinsgütern und Kornzins- gütern unterschieden. In einer Reihe von Dörfern, z.B. in Ahlum und in Wendes- sen, besaß das Stift Vorwerke (allodia), die an Meier verpachtet waren. Für Ahlum (Nr. 1) nennt unsere Quelle Besitzeinheiten des Stifts von sechs Hufen und einer Hufe, ferner von vier und drei Hufen, sodass man auf insgesamt 13 Blasianer Hufen kommt. Das ist aber noch nicht alles: im Folgenden erscheinen Namen von Hufeninhabern (meist nur von einer Hufe), die in den gleichzeitigen Rechnungen von St. Blasien wiederkehren und dort als geldzinspfichtige Leute des Stifts verbucht sind.113 Wir fnden darunter zwar einige Namen von Braunschweiger

111 Auch die Hufen einzelner Altäre stellen ein Sondervermögen dar. Der in Denstorf dotierte Altar (Nr. 35) ist mit dem St. Stephanus-Altar zu identifizieren, siehe Hermann dürre: Geschichte der Stadt Braunschweig im Mittelalter. Braunschweig 1861, S. 412. Der erwähnte her Bernt ist Bern- hardus Valeberch, der 1398 auf den St. Stephanus-Altar präsentiert wurde, NLA-WF StA 7A Urk 186, 189, 190. Zum St. Thomas-Altar (Nr. 42) siehe unten bei Anm. 187. Beim Imervard-Kreuz in der Stiftskirche wurde ein Ewiges Licht unterhalten (dat swarte cruce in der borch, Nr. 7). Für den Hinweis danke ich Frau Dr. Irmgard Haas, Hannover, deren demnächst erscheinende Dissertation über die Blasianer Memorienstiftungen nähere Angaben dazu enthalten wird. 112 gOetting u. KLeinaU, Rechnungen; Urbar von 1320, siehe hOFFmann (wie Anm. 94), S. 256ff.; von ca. 1340 siehe gOetting u. KLeinaU, a.a.O., S. 45ff. (dazu hOFFmann, a.a.O., S. 171ff.); KUchenbUch (wie Anm. 82), S. 105ff. Zum Grundbesitz von St. Blasius siehe ferner döLL (wie Anm. 82), S. 234ff. 113 gOetting u. KLeinaU, Rechnungen, S. 196ff. (ab 1400), S. 108 (1397/98), S. 114 (1398/99).

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Bürgern, die wohl ihre Hufen von anderen bewirtschaften ließen.114 Aber die Mehr- zahl der genannten Personen waren örtliche Stiftsbauern, die ihre Hufen selbst be- ackerten. Zu den 13 Blasianer Hufen in unserer Quelle kommen also noch weitere Hufen hinzu, die St. Blasius gehörten. Nach den Blasianer Rechnungen wurden um 1400 von 16 bis 17 Hufen Geldzinse an das Stift abgeführt.115 Ganz ähnlich ist die Verbuchung im Fall von Wendessen (Nr. 2), wo das Bla- siustift ebenfalls ein Vorwerk hatte. Eingangs sind sechs Hufen Stiftsbesitz genannt. Nach der Aufzählung der übrigen Hufeninhaber am Ort folgt der abschließende Hinweis: Dusser hove is boven 20, dar de heren in der borch hebben an isliker 1 schepel wetes unde 6sdar to tynsse an ore hove. Die aufgezählten Inhaber (oft nur von einer Hufe) waren also dem Stift gegenüber zinspfichtig und tatsächlich be- gegnet eine Anzahl von ihnen in den Stiftsrechnungen.116 Es sind wiederum einige Braunschweiger Bürger darunter.117 Den Blasianer Rechnungen zufolge wurden in Wendessen um 1400 von 13 bis 14 Hufen Geldzinse gezahlt.118 Auch für Lamme (Nr. 37) werden Kleinbauern, die an St. Blasius zinsen, na- mentlich genannt, denn von deren Hufen und Hufenanteilen (bis hinunter zu zwei Morgen) heißt es in der Mitte der Eintragungen: Desse hove gifft 8sden heren in der borch. Es folgen weitere Namen und abschließend fndet sich ein weiterer Hin- weis dieser Art: Desser hove 12, de ghevet tyns den heren uter borch unde Hermen Bantsleue. Nach den Stiftsrechnungen wurde in Lamme in den Jahren 1398/99 von 10½ Hufen Zins gezahlt.119 Nach Ausweis von Urkunden hatte der Braunschweiger Bürger Hermann Bansleben zusammen mit seiner Frau Grete und seinem Bruder Cord in den vorangehenden Jahren 11½ Hufen in Lamme käufich erworben.120 Bei diesen kleinen Stiftsbauern handelt es sich vermutlich um Inhaber von Er- benzinshufen nach altem Latenrecht, Hufen also von ursprünglich unfreien Leuten in Grundherrschaften älterer Form (Villikationen).121 Sowohl für Ahlum als auch für Wendessen sind solche mansi litonici früh bezeugt, für Ahlum 1271 und für Wendessen 1218.122

114 Ludeke Witte, Ludeke Valeberch, Brant Grashoff, Bertolt von Bornum, siehe dOLLe, UB Stadt BS 8, II (Indexband). 115 Siehe oben Anm. 113. Vgl. im Urbar von 1320 hOFFmann (wie Anm. 94), S. 259 bei Anm. 51; im Urbar von ca. 1340 gOetting u. KLeinaU, Rechnungen, S. 47 Z. 19–29. 116 gOetting u. KLeinaU, Rechnungen, S. 108 Z. 21–29 (1397/98), S. 114 Z. 10–16 (1398/99). S. 190ff. (ab 1400). 117 Henningh Membringh, Berclingh, de Bornum, siehe dOLLe, UB Stadt BS 8, II (Indexband). 118 Siehe oben Anm. 116. – Im Blasianer Urbar von 1320 werden für Wendessen noch 19 geldzins- pflichtige und 17½ kornzinspflichtige Hufen genannt, siehe hOFFmann (wie Anm. 94), S. 259 bei Anm. 50, S. 263 bei Anm. 50; vgl. Urbar von ca. 1340 gOetting u. KLeinaU, Rechnungen, S. 47 Z. 11–19. 119 gOetting u. KLeinaU, Rechnungen, S. 115 Z. 25–31. Der Zins ging an die Stiftsvikare, siehe a.a.O. S. 239 Z. 17, Hinweis in GOV Nr. 1254, 4b. 120 dOLLe, UB Stadt BS 8 Nr. 672 S. 674, Nr. 676 S. 677. Die Hufen gingen vom Herzog zu Lehen. 121 Vgl. Wolfgang meibeyer: Dörfer und Wüstungen. Veränderungen im ländlichen Siedlungsraum zwischen hohem Mittelalter und früher Neuzeit, in: märtL u.a. (Hg.), Wirtschafts- und Sozial- geschichte 1 (wie Anm. 8), S. 601–661, hier S. 604ff. 122 GOV Nr. 20, 4b; Nr. 2251, 4b. Zu Ahlum vgl. hOFFmann (wie Anm. 94), S. 242f.

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Unser Kataster ist das Werk mehrerer Schreiber. Die Spalten über die genannten Dörfer wurden nicht von den beiden Haupthänden sondern von zwei Nebenhänden ausgefüllt. Damit mag die Inkonsequenz zusammenhängen, die darin liegt, dass hier nicht nur das Blasiusstift als Grundherr sondern auch etliche seiner Stiftsbauern er- fasst wurden. Die Schreiber arbeiteten offenbar eigenverantwortlich und wichen in ihrer Buchungstechnik voneinander ab. Auch die Kanoniker des zweiten herzoglichen Kollegiatstifts in Braunschweig, St. Cyriacus, treten als Grundherren im Braunschweiger Umland in Erscheinung, de heren up dem berghe oder abgekürzt uppe dem berch genannt, nach der er- höhten Lage des Stifts im Süden Braunschweigs außerhalb der Stadtmauer.123 Der Grundbesitz des Stifts ist früh in einem in die Jahre 1196/1197 zu datierenden Urbar bezeugt.124 Der in unserer Quelle ausgewiesene Hufenbesitz des Stifts ist eher geringfügig. Nur für Vallstedt (Nr. 31) ist eine große Zahl von Besitzanteilen zwischen 1 und 6 Hufen erfasst, in der Summe 19½ Hufen. Eine Zahl von 23 Hufen absque allodio sowie 19½ Hufen Propsteigut in Vallstedt im Besitz von St. Cyriacus ist bereits um 1200 im Urbar bezeugt.125 Die Stiftsherren von St. Cyriacus hatten in Vallstedt eine starke Stellung auch insofern, als ihnen die Vogtei über das Dorf zukam; außerdem stand die Pfarrkirche des Ortes unter dem Patronat des Stifts.126 Unsere Quelle zählt für Vallstedt im Anschluss an einige Braunschweiger Bürger eine Vielzahl von Hufenbesitzern auf, die oft nur eine oder eine halbe Hufe innehaben (ab 1½ hove Hake). Ihre Namen kehren fast alle in zwei zeitgenössischen Quellen wieder. Die eine, eine Urkunde von 1405, zählt die Namen von Vallstedter Bauern auf, die sich gegenüber dem Stift zur Abzahlung einer Schuld von 40 Mark verpfichteten.127 Die andere, eine Schadensliste in einer herzoglichen Klageschrift gegen den Bischof von Hildesheim, hält Übergriffe zweier stifthildesheimischer Adeliger auf die Be- wohner Vallstedts fest und nennt dabei ebenfalls die Namen der Stiftsbauern sowie herzoglicher Bauern und Art und Zahl des geraubten Viehs.128 In den Namen un- serer Quelle haben wir also zweifellos Einwohner des Dorfes vor uns, die als Klein- bauern ihre Hufen selbst bewirtschafteten. Das erinnert an die Art der Verbuchung in Ahlum und in Wendessen und in der Tat war hier derselbe Schreiber am Werk. Auch das herzogliche Kloster St. Ägidien in Braunschweig und die beiden Zister- zienserklöster vor den Toren der Stadt, nämlich das Männerkloster von Riddags- hausen und das Frauenkloster zum Hl. Kreuz up dem Rennelberch, sind in unserem

123 Zum Grundbesitz von St. Cyriacus döLL (wie Anm. 82), S. 245ff. 124 Bernd SchneidmüLLer: Welfische Kollegiatstifte und Stadtentstehung im hochmittelalterlichen Braunschweig, in: Rat und Verfassung im mittelalterlichen Braunschweig. Braunschweig 1986 (Braunschweiger Werkstücke A 21), S. 253–315, hier S. 309–315 125 SchneidmüLLer (wie Anm. 124), S. 310 bei Anm. 42 und ebd. S. 311 vor Anm. 12 (die Lücke bei Exponent mm ist aller Wahrscheinlichkeit nach mit den Wörtern Maiori Velezstede zu ergänzen). 126 GOV Nr. 2104, besonders 1b und 4b. Patronat des Propstes schon im Urbar s. SchneidmüLLer (wie Anm. 124), S. 312 nach Anm. 168. 127 NLA-StA WF, 8 Urk 172. Wenig später wurde die jährliche Bede von 10 Mark den Vallstedtern vom Herzog erlassen, Schwarz, Register, Nr. 162 S. 72f. (1406). 128 SUdendOrF, UB 10 Nr. 120 S. 45f. Auf diese Quelle wurde ich durch himmeLmann (wie Anm. 39), S. 39f., aufmerksam.

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Text mehrfach vertreten.129 Besitzkonzentrationen über 10 Hufen sind für St. Ägi- dien in Salzdahlum (Nr. 1) und Rautheim (Nr. 4), für Riddagshausen ebenfalls in Rautheim und für das Kloster Rennelberg in Gevensleben (hier sogar mit 21½ Hufen, in Nr.15) in unserer Quelle registriert.130 Das Kloster Riddagshausen ist als Zehntherr in den Dörfern Ahlum und Cremlingen verbucht.131 Die Braunschweiger Stadtpfarrkirchen und die städtischen Hospitäler haben fast sämtlich Besitzspuren hinterlassen: die Pfarrkirchen St. Martin, St. Peter, St. Mi- chael, St. Ulrich (sämtlich in der Altstadt), St. Andreas (Neustadt), St. Katharinen (Hagen), St. Magnus (Altewiek), die Hospitäler St. Marien, St. Thomas, St. Leon- hard, St. Jodocus.132 Außerdem tauchen die Johanniterkirche St. Johann und der St. Matthäuskaland auf.133 Für die Kirchen der Stadt Braunschweig verzeichnet das „Gotteshäuserbuch“ (Der Goddeshuse Bok) von 1404, das im Auftrag des Rates der Stadt Braunschweig entstand, nicht nur städtische Immobilien und Rechte der Pfarrkirchen und Hospitäler sondern auch Landbesitz buten der stad.134 Die Regis- trierung im Kataster und im Gotteshäuserbuch deckt sich im Großen und Ganzen, wenn auch nicht nicht immer, denn es fehlen in letzterem gelegentlich Hufen, die unsere Quelle aufführt (und umgekehrt). Das Gotteshäuserbuch führt anders als der Kataster die Namen der die Hufen bewirtschaftenden Bauern auf. So erfahren wir z.B., wer in Remlingen die Hufen des St. Leonhardspitals bearbeitete und wieviel Getreidezins er schuldete.135 Unsere Quelle verzeichnet aber nicht nur Hufenbesitz von Braunschweiger geistlichen Institutionen, sondern auch von solchen in der näheren Umgebung. Das Frauenstift Steterburg erscheint mit Hufenbesitz von einigem Umfang. Alter Villika- tionsbesitz des Stifts über 20 Hufen ist in Linden (Nr. 3) und Thiede (Nr. 29) ausge- wiesen; in Geitelde (Nr. 32) hatte das Stift im Lauf der Jahrhunderte beträchtlichen

129 Zu den genannten Klöstern jeweils Roderich pieKareK: Geschichte des Benediktinerklosters in der Kirche St. Ägidien: eine quellenkundliche Darstellung. Braunschweig 1979; A. vOn bOetticher (wie Anm. 75); Eva SchLOtheUber: Klostereintritt und Bildung. Die Lebenswelt der Nonnen. Mit einer Edition des „Konventstagebuchs“ einer Zisterzienserin von Heilig-Kreuz bei Braunschweig (1484–1507). Tübingen 2004 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 24). 130 GOV Nr. 1758, 4b; Nr. 1654, 4b; Nr. 689, 4b. 131 Der Zehnt in Cremlingen war erst 1386 angekauft worden. Zu den Zehnten des Klosters siehe A. vOn bOetticher (wie Anm. 75), S. 151ff. 132 Vgl. allgemein dürre (wie Anm. 111), S. 445ff., 580ff. Zu den Hospitälern siehe Annette bOLdt: Die Fürsorgepolitik des Braunschweiger Rates im 14. und 15. Jh. Eine Übersichtsskizze, in: Rat und Verfassung (wie Anm. 124), S. 1–38. 133 dürre (wie Anm. 111), S. 532ff., 553ff. Die Johanniter hatten unserer Quelle zufolge 19 Hufen in Broitzem (Nr. 33), vgl. GOV Nr. 339, 4b. Zum St. Matthäus-Kaland siehe Kerstin rahn: Religiöse Bruderschaften in der spätmittelalterlichen Stadt Braunschweig. Braunschweig 1994 (Braunschwei- ger Werkstücke A 38). 134 StadtA BS, B I 14 : 1. Dazu Bernd hergemöLLer: „Pfaffenkriege“ im mittelalterlichen Han- seraum. Quellen und Studien zu Braunschweig, Osnabrück, Lüneburg und Rostock. 1–2. Köln 1988, hier Bd. 1, S. 20f.; derS.: Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Klerus und Stadt im spätmittelalterlichen Braunschweig, in: Rat und Verfassung (wie Anm. 111), S. 149f., 185f. – Es handelt sich um eine 121 gezählte Seiten starke repräsentative Pergamenthandschrift in festem Buchdeckel. Das Vorwort, das eine ausgemalte Initiale aufweist, die Überschriften und die An- gaben über Erträge (Naturalien und Geldzinse) sind in roter Tinte geschrieben.. 135 StadtA BS, B I 14 : 1, S. 69.

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Besitz zusammengekauft.136 Besitzspuren geringen Umfangs sind für das Kloster in Königslutter (Nr. 22), die Deutschordenskommende Lucklum am Elm (Nr. 10, 11) und die herzogliche Burgkapelle St. Longinus in Wolfenbüttel (Nr. 2, 29) auszu- machen. Ins Gewicht fällt an einigen Orten der Fernbesitz von außerhalb des Landes Braunschweig gelegenen Klöstern und Stiften, besonders aus der Stadt Hildesheim. Die Hildesheimer Dompropstei hatte westlich von Braunschweig größere grund- herrschaftliche Komplexe um Beddingen, Barum und Söhlde, wie das Urbar von 1382 erkennen lässt.137 Von der Villikation Beddingen entfelen auf den Hauptort Beddingen ein Vorwerk von vier Hufen, 23 Hufen nach Latenrecht (mansi litonici) sowie fünfeinhalb und drei Hufen. Unsere Quelle nennt für Beddingen 40 Hufen, ferner drei Hufen in Sauingen, die zur Villikation gehörten (Nr. 28).138 Außer- dem nennt sie wie das Urbar den Dompropst in Beddingen und Sauingen als Zehnt- herren. Östlich der Oker besaß das St. Michaelskloster in Hildesheim alte Villikationen in Schöningen, Remlingen und Seinstedt.139 In unserer Quelle fnden sich davon Spuren in Remlingen (Nr. 23) und Seinstedt (Nr. 18). Für die neun Hufen in Sein- stedt werden sogar ausdrücklich die zinspfichtigen Bauern, meist mit Anteilen von einer halben bis anderthalb Hufen, aufgeführt: In dessen neghest(en) hoven hefft de abbet to sunte Mychaele to Hildensem tyns. Primo 3½ hove de Mathiese. ½hove Rokelen Vente. 1hove Fricke vor der Sadel. ½hove Hermen der Westene. 1½ hove Hermen Boten. 1hove Hanne Voghedes. ½hove Trereman. Die für Remlingen ge- nannten Hufengruppen erklären sich aus unterschiedlichen Rechtsformen und Leis- tungspfichten (z.B. von mansi litonici), wie die Urbare des Klosters zeigen.140 Aus Hildesheim begegnen an geistlichen Grundherren sonst noch das Kreuzstift (Nr. 28, 40) und das St. Johannesstift (Nr. 28). Das Reichsstift Gandersheim ist in der Umgebung Braunschweigs mit einem großen grundherrschaftlichen Komplex von 52 Hufen in Groß Denkte an der Asse und in Nachbarorten vertreten.141 Nach einem Urbar von 1412, in dem die Stifts- bauern namentlich und mit ihren Leistungen aufgeführt sind, verfügte die Äbtissin von Gandersheim in Klein Denkte über 6 Hufen.142 In unserer Quelle sind für Klein Denkte (Nr. 16) acht Hufen in Gemeinschaftsbesitz mit den Herren von Veltheim ausgewiesen. Vermutlich waren diese Lehnsträger des Reichsstifts.143 Für Klein

136 Silvia bUnSeLmeyer: Das Stift Steterburg im Mittelalter. Braunschweig 1983 (Beihefte zum Braunschweigischen Jahrbuch 2), S. 192ff., 201ff., 221ff. 137 Siehe oben Anm. 36. 138 Die Hufen in Klein Lafferde gehörten zur Villikation von Söhlde. 139 H. A. LüntzeL: Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim. Hildesheim 1858, S. 324ff. 140 UB des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe 4 Nr. 638 (1321) S. 345, Nr. 1336 (1333), S. 729. 141 Hans gOetting: Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim. Berlin 1973 (Germania Sacra. Das Bistum Hildesheim 1), S. 262. 142 NLA-StA WF, VII B Hs 43, S. 6. Hinweis auf diese Quelle bei gOetting (wie Anm. 141), S. 286; GOV Nr. 451, 4b. 143 Vgl. GOV Nr. 451, 4a.

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Lafferde (Nr. 40) sind fünfeinhalb Hufen notiert. In Klein Lafferde hatte auch das Benediktinerinnenkloster Lamspringe aus dem Hochstift Hildesheim einige Hufen. Schließlich können noch einige am nördlichen Harzrand beheimatete geistliche Grundherren benannt werden, die mit Besitzsplittern und Zinsberechtigungen vertreten sind: das Domkapitel in Halberstadt (Nr. 22), die Frauenklöster Stötter- lingenburg und Drübeck (Nr. 18) und das Reichsstift St. Simon und Judas in Goslar (Nr. 7). Nicht zu vergessen ist der Hufenbesitz der örtlichen Pfarreien. De pape, de perner, dat goddeshus oder de kercke des Dorfs werden fast immer als Inhaber von Hufen genannt, auch von Hufen, die auf der Feldmark von Nachdörfern liegen.144 Der Besitz bewegt sich meist zwischen einer und drei Hufen, aber auch Größen von fünf oder sechs Hufen kommen vor (z.B. Nr. 5, 20).145 Soweit der registrierte Besitz kirchlicher Institutionen. Auch wer Adelsfamilien der Region als Grundherren sucht, wird in unserer Quelle fündig. Da erscheinen die Herren von Ampleben, von der Asseburg, von Bortfeld, von Burgdorf, von Dahlum, von Geitelde, von Neindorf, von Salder, von Ütze, von Veltheim, von Weferling. Aber sie sind nur selten erwähnt und innerhalb der Dörfer erscheint ihr Hufenbesitz nicht von Gewicht.146 Das herzogliche Lehn- tagsregister von 1400 entwirft dagegen ein anderes Bild. Es dokumentiert z.B. für die Herren von der Asseburg und für Heinrich von Bortfeld reichen Streubesitz in der Umgebung von Braunschweig.147 Davon ist in unserer Quelle kaum etwas zu fnden. So fehlen etwa die fünf Hufen in Wittmar und die sechs Hufen in Remlingen, mit denen die Herren von der Asseburg belehnt waren.148 Die Hufen des Heinrich von Bortfeld in Ahlum, Rautheim, Thiede, Rüningen und Timmerlah haben gleich- falls keinen Niederschlag gefunden. Ob es daran liegt, dass die Lehnsnotizen einen veralteten Besitzstand wiedergeben oder ob die Adeligen diese Besitzstücke weiter- verlehnt hatten, also in diesen Fällen nicht mehr als Grundherren fungierten, bleibe dahingestellt. Die Aktivlehnregister der Herren von Bortfeld lassen erkennen, dass derartige Unterverlehnungen gang und gäbe waren.149 In unserer Quelle müssten solche Lehnstücke unter dem Namen der Lehnsträger verbucht sein. Das ist im Einzelnen nur schwer nachzuweisen. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass in Eigen-

144 In einigen Fällen wird der Terminus wedem = dos verwendet (Nr. 10, 33, 37). Einmal sind als Be- sitzer der Pfarrhufen de hilghen benannt (Nr. 5). 145 Zur Größe des Hufenlandes von Pfarreien vgl. Wolfgang petKe: Wie kam die Kirche ins Dorf? Mittelalterliche Niederkirchenstiftungen im Gebiet des heutigen Niedersachsen und Harburgs. In: Rainer hering u.a. (Hrsg.): Gottes Wort ins Leben verwandeln. Perspektiven der (nord-)deut- schen Kirchengeschichte. Festschrift für Inge Mager zum 65. Geburtstag. Hannover 2005, S. 33– 68, hier S. 56f. 146 Nur die Herren von Veltheim fallen mit 22 Hufen in ihrem namengebenden Stammort Veltheim an der Ohe heraus (Nr. 10). 147 Schwarz, Register, S. 39ff., hier Nr. 17, 26. 148 Die sechs Hufen in Remlingen bildeten die Keimzelle des frühneuzeitlichen Rittergutes, siehe GOV 1670, 4e. 149 dOLLe, UB Stadt BS 7 Nr. 256 (S. 248f.) (Ende des 13. Jh.); Annette vOn bOetticher: Ein Lehnsregister Heinrichs von Bortfeld aus dem Jahre 1475/1476, in: BsJb 68 (1987), S. 25–50.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 69 regie bewirtschaftete Hufen von Adeligen in den erfassten Dörfern nur in geringem Umfang anzutreffen sind. Wie sieht es mit den Braunschweiger Bürgern als Grundherren in unserer Quelle aus, so ist als nächstes zu fragen. Braunschweiger Bürger werden mit ihren Lehen im herzoglichen Lehntagsregister von 1400 in einem eigenen Abschnitt aufgezählt.150 Ihre Namen kehren fast alle im Kataster wieder und darüberhinaus erscheinen viele weitere Namen von Grundherren, die als Braunschweiger Bürger zu identifzieren sind. Sie entstammen fast alle bekannten ratsfähigen Geschlechtern, die in den ver- schiedenen Weichbilden der Stadt ansässig waren.151

Aus der Altstadt nenne ich (hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit) folgende Namen: Brokelde, Broistede, van dem Damm, Doring, Elers, Evensen, Gandersem, Gru- be, Gustede, van Hameln, van der Heide, van Holleghe, Holtnicker, Kale, Kalve, Kemme, Kerchoff, Kovot, Krull, Pawel, Remmeling, Salge, Senstede, Stapel, Strobeke, Ursleve, Vechelde, Velstede; aus der Neustadt: Lutherdes, Peters, Schene, Witte; aus dem Hagen: Horneborg, Kalm, Swalenberg, Schalling, Valberch, Wichman; aus der Altewiek: Bercling, Grashoff, Kalkberner, Schepenstede; und aus dem Sack: Horneborg.152

Die Dominanz der Geschlechter aus der Altstadt ist auffällig. Dieser Befund über- rascht nicht, wenn man ihn mit den Ereignissen der „Großen Schicht“ in der Stadt Braunschweig von 1374 in Beziehung setzt. Für die 22 alteingesessenen Familien der Altstadt, die Opfer des Umsturzes wurden und ins Exil gehen mussten, hat R. A. Rotz zusammengenommen einen weitaus umfangreicheren Besitz an Höfen und Hufen im Umland feststellen können als für die 62 Familien, die auf Seiten der Umstürzler standen und die überwiegend aus den übrigen Weichbilden stamm-

150 Schwarz, Register, S. 47ff., danach dOLLe, UB Stadt BS 8 Nr. 1469 (S. 1467ff.). 151 Möglichkeiten der Identifizierung in dOLLe, UB Stadt BS 8,2 (Index); Übersichten bei Sophie reidemeiSter: Genealogien Braunschweiger Patrizier- und Ratsherrengeschlechter, hg. von Werner SpieSS. Braunschweig 1948 (Werkstücke aus Museum, Archiv und Bibliothek der Stadt Braunschweig 12); Werner SpieSS, Die Ratsherren der Hansestadt Braunschweig 1231–1671. Braunschweig 1970 (Braunschweiger Werkstücke 42, A 5); Rhiman A. rOtz: Urban Uprisings in Fourteenth Century Germany: a Comparative Study of Brunswick (1374–1380) and Hamburg (1376). Diss. masch. Princeton 1970, S. 281ff.; Dietrich macK: Testamente der Stadt Braunschweig. Teil I–III: Altstadt 1314–1411. Göttingen 1988–1990 (Beiträge zu Genealogien Braunschweiger Familien 3); derS.: Testamente der Stadt Braunschweig 1412–1420. Göttingen 1993 (Beiträge zu Genealogien Braunschweiger Familien 4); derS.: Testamente der Stadt Braunschweig 1421–1432. Göttingen 1995 (Beiträge zu Genealogien Braunschweiger Familien 5). 152 Manche Familien sind in mehreren Weichbilden vertreten. Die Familie Bornum z.B. kommt in Neustadt, Hagen und Altewiek vor, siehe dOLLe, UB Stadt BS 8, 2 (Index).

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 70 Ulrich Schwarz ten.153 Nach 1380 waren die vertriebenen Familien zurückgekehrt und es war ein verfassungspolitischer Kompromiss erzielt worden.154 Dass es den Urhebern unserer Quelle besonders auf die Hufen in Bürgerhand ankam, zeigen die Merkpunkte, die in der Handschrift sowohl von der Hand A als auch von der Hand B am Rand der Spalten angebracht sind (in der Edition mit dem

Zeichen n wiedergegeben). Die Prüfung der Namen zeigt, dass wir über die oben aufgezählten Familien hinaus sämtliche mit Punkten versehenen weiteren Namen ebenfalls in Braunschweig lokalisieren können.155 Innerhalb der Ortstabellen hat man die Merkpunkte vor nahezu alle vorkommenden Bürgernamen gesetzt. Diese Konsequenz ist bemerkenswert.156 Viele Rubriken sind freilich ganz ohne Punkte geblieben und auch nicht alle von den Händen A und B geschriebenen Rubriken weisen sie auf. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das zufällig erhal- tene Konzeptblatt der Handschrift, das die Kumulation von Hufen eines einzelnen Bürgers erkennen lässt. In einer Überschrift wird der Name Herman van Vechtelde hervorgehoben und es werden Dörfer registriert, die Hufen in seinem Besitz auf- weisen.157 Vechelde ist vermutlich niemand anderes als der bekannte „Große Bür- germeister“ der Altstadt.158 Über den Landbesitz Braunschweiger Bürger geben unter anderem die in gro- ßer Zahl erhaltenen Testamente Auskunft. Im Kataster erscheint Gerwin (I.) von Hameln mit fünf Hufen in Remlingen (Nr. 23) und mit drei Hufen in Vallstedt (Nr. 31). Als Verleger der Beckenwerker gehörte er zu den zwölf reichsten Bürgern der Altstadt.159 Sein Testament von 1406 nennt dieselben Hufen und dazu noch

153 Rhiman A. rOtz: The Uprising of 1374: Source of Brunswick’s Institutions, in: BsJb 54 (1973), S. 61–73, hier S. 68. Die Zahlen von Rotz können jetzt mit Hilfe von dOLLe, UB Stadt BS 5–8, überprüft werden. 154 Manfred R. W. garzmann: Stadtherr und Gemeinde in Braunschweig im 13. und 14. Jahrhun- dert. Braunschweig 1976 (Braunschweiger Werkstücke A 53), S. 257f.; Matthias pUhLe: Die Braunschweiger Schichten des späten Mittelalters und ihre verfassungspolitischen Folgen, in: Rat und Verfassung (wie Anm. 124), S. 235–251, hier S. 240ff. 155 Dank dOLLe, UB 8, 2 (Indexband). Ich zähle die Namen in der Reihenfolge ihres Erscheinens auf: Hermen Gosler, de Memeringhe (Nr. 2); Hermen Cruse, de Kubbelinghe (Nr. 3); Borchtorpe, Al- gherstorpe, Hinrik und Diderik van Bornum (Nr. 5); de Bornum, de Kubbelinge (Nr. 7); Henning van Tyde (Nr. 8); de Husesche, Hinrik und Diderik Bornum, de Lessesche, Eykenrod (Nr. 10); De- nigh (Nr. 11); Meynardus, Ruscher, de Poldesche (Nr. 24); Henning Hedelendorp, Heyneke Mon- nekes (Nr. 26); Merten Hingestes (Nr. 28); Roden, Eggelingh Wacghe, Hans van Tyde (Nr. 29); Hans Ryke (Nr. 31); Symmenstede, Linde, van der Molen (Nr. 33); Kobbe (Nr. 42). Nicht im- mer sind die Personen mit ihren Vornamen nachzuweisen. Den Namen Kobbe habe ich nicht ge- funden. 156 Inkonsequenzen: In der Ortstabelle von Remlingen fehlen Punkte vor Hinrik Lutherdes und vor den Zehntherren (Nr. 23); für Köchingen bei Gandersem, Fallersleber Tor (Nr. 31); für Klein Lafferde vermutlich bei Crancken und Frederke Unvorsaget (Nr. 40). 157 Siehe unten S. 87f. 158 SpieSS (wie Anm. 151), S. 221 Nr. 11; Josef dOLLe, Hermann (II.) von Vechelde, in: BBL 2006, S. 341f. 159 Anette haUcap-naSS: Der Braunschweiger Stadtschreiber Gerwin von Hameln und seine Biblio- thek. Wiesbaden 1995 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 8), S. 7f. Gerwin I. war der Großvater des Stadtschreibers.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 71 weitere in Lehndorf, Ölper und Eitzum (zusammen sieben Hufen) sowie ein Gut in Evessen und Zehntrechte.160 Viele Bürger verschafften sich lehnsweise Grundbesitz im Umland Braun- schweigs, und dies nicht nur vom Landesherren. Das zeigen die Urkundenfonds bürgerlicher Familien und Lehnskopialbücher einzelner Familien, wie z.B. dasjenige der Familie Kalm aus dem Weichbild Hagen, das erst um 1465 angelegt wurde, aber Lehnbriefe schon von 1399 an enthält.161 Werneke Kalm, in unserer Quelle mit Hufen in Schöppenstedt (Nr. 11) verzeichnet, hatte diese 1402 vom Propst von St. Blasius in Braunschweig als Lehen erhalten.162 In der Folge ließ er sich vom Bischof von Halberstadt und von Adeligen aus den Familien von der Asseburg, von Veltheim und von Weferling belehnen.163 Unsere Quelle zeigt, wie stark die Bürger in den Dörfern Fuß gefasst hatten. Es gab Dörfer, in denen die Zahl der Hufen in Bürgerhand der Zahl der Hufen in Kirchenbesitz gleichkam oder sie sogar übertraf.164 Das Vordringen der Bürger auf das Land ist ein Prozess, den schon die seit 1318 überlieferten herzoglichen Lehnbü- cher deutlich erkennen lassen.165 Das Ausmaß dieses Vorgangs wird jedoch erstmals in unserer Quelle deutlich, wenn auch beschränkt auf die hufenmäßig registrierten Dörfer. Die Braunschweiger Bürger ließen ihre Hufen durch Bauern bewirtschaften, die sog. „Bürgermeier“.166 Diese liegen nicht im Blickfeld der Registrierung, es genügen die Namen der Grundherren aus der Stadt. Aber gelegentlich werden die Zinse genannt, die ihnen zustanden. So forderten die Pawel in Broitzem (Nr. 33) von 13 Hufen 30 Schillinge ein.167 Einige Bürger verfügten über den Zins von Kirchen- land, so die Salge über 10 Blasianer Stiftshufen in Sickte (Nr. 7), die Elers über fünf Hufen des Hildesheimer Michaelsklosters in Denstorf (Nr. 35) und die Kerchoffs über die sieben Hufen des Archidiakons in eben diesem Dorf. Es gab auch Braun- schweiger Bürger, die den Zins dem Blasiusstift zukommen lassen mussten.168 Den- noch lohnte sich ganz offenbar auch für sie die Bewirtschaftung der Stiftshufen.169

160 haUcap-naSS (wie Anm. 159), S. 281ff. Vgl. macK (wie Anm. 151), Teil I, S. 161ff., der in Ger- win I. einen Tuchhändler sieht. Die Angaben zum Zehnt in Vallstedt im Kataster und im Testament stimmen nicht überein. 161 [H.] meier: Quellen zur Genealogie der braunschweigischen Familie von Kalm, in: Zeitschrift des Harzvereins zur Geschichte und Altertumskunde 27 (1894), S. 440–482, hier S. 440f., S. 452ff. (tabellarisch erschlossen); Urkundenfonds der Familie Kalm im NLA-StA WF, 114 Urk. 162 Mitbelehnt war, wie auch in unserer Quelle angegeben, Ludeman Henen, in Schöppenstedt wohn- haft, siehe meier (wie Anm. 161), S. 452; KLeinaU, Drei Kapitel (wie Anm. 32), S. 34 (nach den Originalurkunden). 163 meier (wie Anm. 161), S. 452. 164 Linden Nr. 3, Stöckheim bei Braunschweig Nr. 5, Volzum Nr. 7, Cremlingen Nr. 10, Bansleben Nr. 11, Leiferde Nr. 24, Immendorf Nr. 26 etc. 165 Vgl. Schwarz, Älteste Register (wie Anm. 18), S. 291, 294ff. 166 Zur Definition der Bürgermeier siehe hOFFmann (wie Anm. 94), S. 246 Anm. 243: umme dere bor- gere meygere, de unse behorigen lude edder laten weren (1423) . Vgl. Oehr (wie Anm. 1), S. 17f. 167 In Sierße (Nr. 42) verfügten die Pawel über Einkünfte von rund zwei Pfund aus sechs Hufen, Ein- künfte, die sie damals von den Herren von Ampleben zu Lehen trugen, siehe Schwarz, Register, Nr. 116 S. 58. 168 In Ahlum und Wendessen, siehe oben Anm. 114, 117. 169 Vgl. hOFFmann (wie Anm. 94), S. 200 mit Anm. 86, S. 220f., 232f.

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Bei den Braunschweiger Bürgern waren die Dorfzehnten besonders begehrt. In nahezu der Hälfte der in unserer Quelle tabellenmäßig registrierten Dörfer, näm- lich in 22 Orten, war der Zehnt in Bürgerhand.170 Je größer die Hufenzahl desto ertragreicher der Zehnt.171 Unsere Quelle erlaubt die Korrelierung! Braunschweiger Bürger waren Zehntherren

in neun kleinen Dörfern mit Hufenzahlen zwischen 24 und 37, nämlich Wen- dessen (Nr. 2), Hachum, Gilzum (Nr. 8), Kneitlingen (Nr. 13), Klein Denkte (Nr. 16), Kalme (Nr. 22), Stiddien (Nr. 32), Klein Gleidingen (Nr. 36) und Lamme (Nr. 37),

in sieben Dörfern mittlerer Größe mit 42 bis 52 Hufen, nämlich Linden (Nr. 3), Braunschweig-Stöckheim (Nr. 5), Sickte, Volzum (Nr. 7), Geitelde (Nr. 32), Rüningen (Nr. 33), Timmerlah (Nr. 34) und

in fünf großen Dörfern zwischen 65 und 74 Hufen, nämlich Veltheim a.d. Ohe (Nr. 10), Remlingen (Nr. 23), Thiede (Nr. 29), Vallstedt (Nr. 31), Broitzem (Nr. 33).

Unabhängig von der Dorfgröße erscheint die Zehntberechtigung oft in zwei Hälften geteilt, vereinzelt kommen Viertelzehnten vor (Nr. 31, 32). Mit wenigen Ausnah- men gehören die Zehntherren den Geschlechtern und Bürgerfamilien der Altstadt an.172 Manche Bürger der Altstadt vereinigen mehrere Zehnten in ihrer Hand wie die Krull in Wendessen (Nr. 2), Volzum (Nr. 7) und Gilzum (Nr. 8); die Ursleve in Hachum (Nr. 8), Veltheim (Nr. 10), Rüningen (Nr. 33) und Lamme (Nr. 37) und die Salge in Sickte (Nr. 7), Kalme (Nr. 22) und Klein Gleidingen (Nr. 36). Der Wert eines Zehnten ist verschiedentlich aus zeitgenössischen Urkunden zu ermitteln. So ist bezeugt, dass der halbe Zehnt des Dorfes Geitelde 1378 für 120 Mark und der halbe Zehnt des Dorfes Kneitlingen 1384 für 40 Mark verkauft wurde.173 Die Unterschiede der Summen haben mit der wechselnden Dorfgröße zu tun und dementsprechend weisen nach unserer Quelle Geitelde (Nr. 32) 44 Hufen und Kneitlingen (Nr. 13) weit weniger, nämlich nur 24 Hufen auf. Der halbe Zehnt des Dorfes Linden, für das in unserer Quelle 46 Hufen benannt sind (Nr. 3), er- brachte vier Mark jährlich, er wurde 1396 für 50 Mark verpfändet.174 Die Zehnten dienten anscheinend recht häufg zur Versorgung von Frauen.175

170 In den Rubriken unserer Quelle sind die Zehnten nicht immer angegeben. Es gab auch zehntfreie Dörfer wie Wittmar (Nr. 20): Hir is neyn thegede. 171 Es sei denn, eine größere Zahl von Hufen war zehntfrei, vgl. Schwarz, Register, S. 123 (tegetvri); dOLLe, UB Stadt BS 8, II, S. 1827. 172 Ausnahmen: Familien Bornum, Swalenberg, Scheppenstede und de Giltzensche, außerdem Vale- berch. 173 dOLLe, UB Stadt BS 7 Nr. 201f., Nr. 1050. 174 dOLLe, UB Stadt BS 8 Nr. 890 (S. 889) (Im Regest muss es statt Salzgitter-Linden Wolfenbüttel- Linden heißen). 175 Siehe vorige Anm.; ferner dOLLe, UB Stadt BS 8 Nr. 407n (S. 392), Nr. 1398al (S. 1075). Hinweise

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Bauern, die ihr eigener Grundherr waren, wären als nächste Kategorie zu erwar- ten. Bei genauerem Hinsehen fnden sich in unserer Quelle durchaus Hinweise dar- auf. In diesem Sinne deute ich pauschale Angaben wie 3verndel der buren für Bans- leben (Nr. 11), 2hove der bur für Klein Denkte (Nr. 16) und (ohne Hufenzahl) Der men in dem dorpe für Sonnenberg (Nr. 35, Konzept), aber das sind Ausnahmen. Häufger trifft man Bauern als Grundherren unter Einzelpersonen, die mit ihrem ländlichen Wohnort aufgeführt werden. Für Gilzum (Nr. 8) ist das für neun Personen der Fall: 3½ hove Ludeke Hermens to Gilczum. 2hove Merten Kunne to Hachem (…). ½hove Luder Scitider to Euesem. ½hove Henning Gilczem to Hachem. 1hove Her(wig) Ludeger to Vogedesdalem. (…). 1hove Henning Berndes to Gilczem. ½hove Freder(ke) Luders to Euesem. 5hove Heyneke Bossen to Gil- zem. (…). 2hove Bernd Lampen to Weuerling. Von den aufgeführten Hufeninhabern sind Ludeke Hermens mit dreieinhalb Hufen und Heyneke Bossen mit fünf Hufen unter die Großbauern zu rechnen.176 Auch Merten Kunne aus Hachum gehört in diese Kategorie, denn er besitzt nicht nur in Gilzum zwei Hufen, sondern auch in Wendessen (Nr. 2) eine Hufe und in seinem Heimatort anderthalb Hufen (Nr. 8). Alle drei Dörfer sind nicht weit voneinander entfernt. Als Kleinbauern wird man die zitierten Inhaber einer halben und einer ganzen Hufe klassifzieren, es sei denn sie hätten im Umkreis noch andere Hufen besessen. Bernd Lampen aus Weferlingen hatte zwei Hufen. Mit insgesamt 16½ Hufen haben die Bauern in Gilzum fast die Hälfte des dörfichen Hufenbesitzes inne (insgesamt 36 Hufen). Für Sauingen (Nr. 28) lagen die Verhältnisse ähnlich wie in Gilzum. Hier wer- den sowohl ortsansässige Hufenbesitzer (in dem dorpe, in dem dorpe dar) als auch Bauern aus den Nachbardörfern Vallstedt und Bleckenstedt namhaft gemacht. Die Hufenzahlen bewegen sich zwischen einer halben Hufe und zwei Hufen. In der Sum- mierung ergeben sich zehn Hufen, was etwa ein Drittel des Hufenbesitzes in Sau- ingen ausmacht (insgesamt 29 Hufen). Diese Bauern sind nicht zu verwechseln mit den Kleinbauern unserer Quelle, denen wir in Ahlum, Wendessen und Vallstedt begegnet sind und die als Stifts- bauern zu identifzieren waren.177 Könnten die bäuerlichen Grundherren nicht ver- kappte Stiftsbauern sein? Das ist wenig wahrscheinlich, zu auffällig ist in unserer Quelle die Verbuchung mit der Angabe des Wohnortes, die sich bei ortsansässigen erbzinspfichtigen Stiftsbauern erübrigen würde. Außer in Gilzum und in Sauingen haben bäuerliche Hufeneigner im Kataster freilich nur geringe Spuren hinterlas- sen.178 Für Siersse (Nr. 42) ist ein ortsansässiger Zehntherr mit halbem Zehnten verbucht: Hans van Zirdesse dar in dem dorpe de anderen helffte. Er könnte aus

auf Versorgung durch Zehnten sind bes. in Testamenten zu erwarten, siehe macK (wie Anm. 151), passim. 176 Einen Großbauern in Schöppenstedt namens grote Hinrik mit zwei oder mehr Hufen, der Zins- bauer des Blasiusstifts war, arbeitet hOFFmann (wie Anm. 94), S. 235f., heraus. Vielleicht ist er personengleich mit Grotehene im Kataster (Nr. 11). 177 Siehe oben bei Anm. 113, 116. 178 In Wendessen (Nr. 2), Sickte (Nr. 7), Volzum (Nr. 8), Wittmar (Nr. 20, Kalme (Nr. 22), Köchingen (Nr. 31), Stiddien (Nr. 32), Geitelde (Nr. 32).

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 74 Ulrich Schwarz dem Ministerialengeschlecht der Herren von Sierße stammen, also eher ein Adeliger als ein Großbauer sein, aber die Übergänge waren bekanntlich fießend.179 Der Umstand, dass bäuerliche Grundherren zinsfreie Hufen besaßen, bedeutet nicht, dass sie in allen Fällen uneingeschränktes Besitzrecht hatten. Auf ihren Lehn- tagen verliehen die Herzöge des braunschweigischen Landes auch einige Bauern- lehen.180 Für das Jahr 1400 ist mit einer Hufe und einem Hof in Seinstedt ein Henning Papstorf verbucht, der in unserer Quelle mit 2 Hufen in Seinstedt (Nr. 18) erscheint. Papstorf ist aber vermutlich kein in Seinstedt ansässiger Bauer (es fehlt in unserer Quelle dazu auch der ausdrückliche Hinweis), sondern er ist eher mit dem Bürger gleichen Namens zu identifzieren, der 1390 vor dem Rat des Weichbildes Sack urkundet.181 Sein Besitz in Seinstedt ist im herzoglichen Lehntagsregister denn auch als Bürgerlehen eingetragen, aber nachträglich gestrichen.182 Das an den Hufen in Seinstedt haftende Besitzrecht war eben das eines bäuerlichen Lehens, auch wenn der damalige Besitzer Bürger war. Die Bauern im Dorf Sickte, die 1400 belehnt wurden, fehlen in unserer Quelle.183 Schließlich sei noch die Frage nach dem Landesherrn als Grundherrn gestellt. Von den landesherrlichen Grundherrschaften sind im Braunschweigischen die Gü- terkomplexe in Dettum und Bornum am Elm dank zweier Einkünfteverzeichnisse von ca. 1365 besser bekannt.184 Die beiden Grundherrschaften, für die in Urkunden der Terminus ammecht gebraucht wird, umfassten im Falle Dettums 32 Hufen und im Falle Bornums 19 Hufen. Die Grundherrschaften waren wiederholt an Adelige und Braunschweiger Bürger verpfändet worden.185 Da in unserer Quelle Eintragungen für Dettum und Bornum fehlen, haben wir keine Vergleichsmöglichkeiten. Ein Hinweis auf eine Zinspficht gegenüber dem Herzog fndet sich explizit nur ein einziges Mal für Sickte (Nr. 7): 1hove Wule to Tzicte, de gifft dem hertoghen tyns. Diese Angabe bezieht sich je- doch eher auf eine Vogteigeldpficht als auf einen grundherrlichen Zins.186 Herzoglicher Grundbesitz verbirgt sich hinter dem Eintrag für das Dorf Siersse (Nr. 42), der die Aufzählung der Hufen eröffnet: 16 hove der menne dar in dem dorpe, dar geven se van to cynse 8talenta to 1viccarie in der borch. Nutznießer der acht Pfund war der Vikar am Altar Mariens, des Apostels Thomas und des Hl. Longinus in der Blasiuskirche in Braunschweig, einer Stiftung des welfschen Lan- desherrn aus den Jahren 1370/71. Aus den beiden Stiftungsurkunden ist ersicht- lich, dass die acht Pfund, ein alter „Grafenzins“ (greventyns), von 19 verschiedenen

179 GOV Nr. 1922, 4d. 180 Schwarz, Register, S. 16f., 56f. 181 dOLLe, UB Stadt BS 8 Nr. 201 (S. 217). 182 Schwarz, Register, Nr. 59 (S. 49). 183 Schwarz, Register, Nr. 105–107, 112 (S. 57). 184 SUdendOrF, UB 3 Nr. 255, 256 (S. 168ff.). Die Einkünfteverzeichnisse führen die Zinspflichtigen namentlich auf. 185 GOV Nr. 293, 2c; Nr. 466; zu Bornum jetzt dOLLe, UB Stadt BS 5, Nr. 199 (S. 263), Nr. 415 (S. 490); derS., UB Stadt BS 6 Nr. 381 (S. 457) etc. 186 GOV Nr. 1917, 4a; vgl. auch Schwarz, Register, S. 48 Nr. 46. Wule ist auch in den Rechnun- gen des Blasiusstifts nachweisbar, siehe gOetting u. KLeinaU, Rechnungen, S. 113 Z. 3, S. 124 Z. 21.

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Bauern und ihren Familien (dazu noch von den alderluden des Ortes) zu erbringen war.187 Die Herzöge hatten sich das Patronat über die Vikarie vorbehalten, die Do- tierung blieb ein Sondervermögen, das nicht im Stiftsvermögen aufging. Die menne dar in dem dorpe sind also herzogliche Grundholden und nicht Stiftsbauern.188 Aus der herzoglichen Grundherrschaft in Sierße (ammecht) entwickelte sich im 16. Jahr- hundert der Mittelpunkt eines kleinen Amtes.189 Schließlich kann noch auf die 14 Hufen in Wittmar (Nr. 20) und die zwei Hufen in Kalme (Nr. 22) hingewiesen werden, die nach unserer Quelle dem slot to der Asseborch angehörten. Die Hufen gehörten zum Amtshaushalt des herzoglichen Vogtes, es handelt sich also im Prinzip um durch den Landesherren genutztes Gut.190 Freilich war die Asseburg seit 1331 nahezu durchgängig an die Stadt Braunschweig verpfändet (und von dieser häufg an Adelige weitergegeben), so dass der Herzog nicht mehr direkter Nutzer der Burg und ihrer Einkünfte war.191

Datierung und Entstehungszweck

Da unsere Quelle im Stadtarchiv Braunschweig überliefert ist, verknüpfte man ihren Entstehungszweck mit der Stadt. Schon Hermann Kleinau widerlegte indes die Annahme, unsere Quelle stelle ein Kataster der in städtischen Pfandbesitz über- gegangenen herzoglichen Amtsbezirke dar. „Vielleicht sollte ein Überblick über den Landbesitz der Braunschweiger Bürger geschaffen werden, nach deren Namen die Aufzeichnung um 1410–1420 erfolgt sein könnte“ lautet Kleinaus zurückhaltende Vermutung.192 Das Vorherrschen des Bürgerbesitzes ist in der Tat auffällig, wie wir gesehen haben. Die Urheber unserer Quelle haben die Bürgerhufen auch selbst durch Merkpunkte hervorgehoben. Zunächst ist jedoch zu fragen, ob die Quelle genauer datiert werden kann. Einen ersten terminus post quem stellt ein Lehnbrief vom 10. August 1402 über die Beleh- nung des Braunschweiger Bürgers Werneke Kalm und des in Schöppenstedt ansäs- sigen Ludeman Henen mit vier und zwei Hufen in Schöppenstedt und Westendorf dar, die zuvor die Braunschweiger Bürgerfamilie Holtnicker innehatten.193 Unter dem Namen der neuen Besitzer sind sieben Hufen im Kataster verzeichnet (Nr. 11). Der terminus post quem lässt sich jedoch noch weiter nach vorn, auf den 15. August 1404, vorrücken, weil zu diesem Zeitpunkt das Hospital St. Leonhard in Braun-

187 dOLLe, UB 6 Nr. 557 (S. 633), Nr. 637 (S. 669). Vgl. döLL (wie Anm. 82), S. 176. Die Hufenzahl ist in den Urkunden nicht genannt. 188 Die Dotierung umfasste auch Leistungen aus den Nachbardörfern. Vgl. auch allgemein döLL (wie Anm. 82), S. 164ff. 189 GOV Nr. 1923, danach GOV Peine Nr. 320. 190 germer (wie Anm. 11), S. 76ff.; GOV Nr. 2332, 4b (Wittmar). 191 Vgl. oben Anm. 34. In der Verpfändungsurkunde von 1367 sind 11 Hufen für Wittmar ausge- wiesen, dOLLe, UB 6 Nr. 380 (S. 455). 192 Siehe oben Anm. 11. 193 Siehe oben Anm. 162. Ludeman Henen war Mitbesitzer des Zehnten von Schöppenstedt, siehe dOLLe, UB Stadt BS 8 Nr. 701q S. 702.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 76 Ulrich Schwarz schweig den halben Zehnt in Kneitlingen erwarb.194 Der halbe Zehnt ist in unserer Quelle bereits für St. Leonhard verbucht (Nr. 13). Dagegen entfällt eine Urkun- de vom 18. September 1404, derzufolge der Bürger Hinrik van Tzimmenstede mit vier Hufen in Rüningen belehnt wurde (die zuvor ein gewisser Hans Rode besessen hatte), als terminus post quem, da der angeblich Neubelehnte schon 1396 zusam- men mit seinem gleichnamigen Vater (Hintze) mit den vier Hufen belehnt worden war.195 Hingewiesen sei noch auf den Umstand, dass in unserer Quelle zwei Frauen erscheinen, die Lessesche (Nr. 10) und die Schuttesche (Nr. 6), die Witwen der Braunschweiger Bürger Tile Lesse und Hermen Schutte waren. Tile Lesse war 1400 und Hermen Schutte 1402 noch am Leben.196 Schwieriger ist es, einen terminus ante quem festzulegen. Soll man den Verkauf von vier Hufen in Broitzem durch den Bürger Hans van Evensen an das Blasiusstift zum Nutzen der Vikare vom 30. November 1405 dafür in Anschlag bringen?197 In unserer Quelle sind diese Hufen noch van Evensen zugewiesen und das Blasiusstift ist mit altem Stiftsbesitz von 8½ Hufen verbucht (Nr. 33).198 Am 15. Januar 1406 verkauften die Herren von Salder den Viertelzehnt von Stiddien an den Braun- schweiger Bürger Cord von Broistedt und seine Frau Gese.199 Im Kataster sind noch die von Salder als Inhaber des Viertelzehnt angegeben (Nr. 32). Der mit sechs Hufen in Klein Denkte (Nr. 16) verbuchte her Jan van Tzerstede ist mit Sicherheit mit dem Stiftsherren und zeitweiligen Vizedominus des Blasiusstifts dieses Namens perso- nengleich. Er muss kurz vor dem 8. Oktober 1406 gestorben sein, denn zu diesem Zeitpunkt wurde sein Kanonikat neu besetzt.200 Da unsere Quelle vermutlich nicht in jeder Buchung aktuell war, so geben diese Belege (wie auch weitere noch aufzu- spürende Zeugnisse) keinen ganz sicheren terminus ante quem ihrer Entstehung, ihre Häufung ist aber doch auffällig. Es erscheint möglich, dass unserer Quelle vor

194 StadtA BS, A III 10 : 295. Oberlehnsherr des Zehnten war der Graf von Mansfeld, vgl. oben Anm. 173. 195 NLA-StA WF, 7 Urk 425 vom 18. Sept. 1404; dOLLe, UB Stadt BS 8 Nr. 853 (S. 864) (1396). 196 Schwarz, Register, Nr. 53 S. 48 (Lesse); gOetting u. KLeinaU, Rechnungen, S. 124 Z. 30 (Schutte). – In anderen Fällen ist unsere Quelle nicht ganz so aktuell: mester Verner tymmerman in Ahlum (Nr. 1) ist schon 1395 tot und Holtorp in Wendessen (Nr. 2) ebenfalls. Das ergibt sich aus dem Auftreten der Witwe des Verner (relicta carpentarii) und der Holtorpeschen seit dieser Zeit in den Blasianer Rechnungen, gOetting u. KLeinaU, a.a.O., S. 101 Z. 26 S. 190 Z. 33; S. 108 Z. 24, S. 198 Z. 7–8. 197 NLA-StA WF, 7 Urk 430, Hinweis bei gOetting u. KLeinaU, Rechnungen, S.414; vgl. GOV Nr. 339, 4a. 198 Neun Hufen schon im Urbar von 1320, hOFFmann (wie Anm. 94), S. 259 Anm. 55; GOV Nr. 339, 4b. Die vier Hufen erbrachten einen grevenschot von knapp 20 Schillingen jährlich. Im Lehn- tagsregister von 1400 sind jedoch 34 Schillinge und 2½ Pfennige grevenschot ausgewiesen., siehe Schwarz, Register, Nr. 87 S. 53. Sollte Hans van Evensen noch mehr Hufen in Broitzem besessen haben? 199 Otto grOteFend (Bearb.): Urkunden der Familie von Saldern. Bd. 2. Hildesheim 1938 (Ver- öffentlichungen der Historischen Kommission für Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaum- burg-Lippe und Bremen 13), Nr. 1171 (S. 144). 200 NLA StA WF, 7A Urk 215, 216; Vizedominus 1397–1399 siehe gOetting u. KLeinaU, Rech- nungen, S. 105, 112; döLL (wie Anm. 82), S. 307. Jan van Tzerstede war herzoglicher Notar und Rektor des St. Thomas-Hospitals in Braunschweig, siehe Annette bOLdt: Das Fürsorgewesen der Stadt Braunschweig in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Braunschweig 1988 (Braunschweiger Werkstücke A 24), S. 65.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 77 dem 30. November 1405 entstanden ist, und es ist sicher, dass die Niederschrift nach dem 15. August 1404 erfolgte. Um den Umständen, unter denen der Kataster zustandegekommen ist, auf die Spur zu kommen, empfehlt es sich, das nicht edierte Steuerverzeichnis im ersten Teil der Handschrift heranzuziehen.201 Das Verzeichnis beschränkt sich auf die Gerichtsbezirke Salzdahlum, Evessen, Schöppenstedt, Asseburg und Beddingen der Großvogtei Wolfenbüttel und führt im Unterschied zu unserer Quelle sämtliche Dörfer in den genannten Amtssprengeln mit genauen Angaben ihrer Steuerleistung auf.202 Angaben zu Hufen fehlen gänz- lich, Namen einzelner Dorfbewohner tauchen nur selten auf. Es geht den Urhebern des Verzeichnisses darum, die Arten der Leistungen und ihre Höhe rückwirkend für mehrere Jahre festzuhalten und zu summieren, wobei zwischen bisherigen re- gulären Steuern (olde plicht), der landesherrlichen Bede und zusätzlichen Steuer- leistungen unterschieden wird. Für Mönchevahlberg sind, um nur ein Beispiel zu nennen, Abgaben von Roggen und Hafer, von Schafen, Kühen und Hühnern sowie von Geldbeträgen sowie Fuhrleistungen benannt.203 Pro Haushalt war jährlich ein Rauchhuhn abzugeben. Die Zahl der Rauchhühner lässt Rückschlüsse auf die An- zahl der Haushalte zu. Für die Geschichte der Steuererhebung im Land Braunschweig ist dieses Ver- zeichnis deshalb besonders wertvoll, weil für die nachfolgende Zeit nur die beiden dürftigen Steuerlisten von 1422 und aus dem zweiten Gedenkbuch vorliegen, die lediglich die Gesamtleistung eines jeden Dorfes in Geldwert beziffern.204 Auch die aus dem Jahr 1450 überlieferte Einnahmerechnung der Großvogtei Wolfenbüttel verzeichnet für die Mai- und Herbstbede nur die Summe je Dorf.205 Steuerbücher mit namentlicher Angabe der steuerpfichtigen Bauern, wie sie aus dem lünebur- gischen Land vorliegen, sucht man für das Land Braunschweig vergebens.206

201 StadtA BS, B I 10: 3, S. 3–30. 202 Die Dörfer aufgezählt bei OhainSKi (wie Anm. 8), S. 132. 203 Im Wortlaut zitiert bei Schwarz, Wolfenbüttel. Die neue Residenz (wie Anm. 8), S. 494. – Für Groß Stöckheim hat Gesine Schwarz: Geschichte des Dorfes Groß Stöckheim. Wolfenbüttel 2003 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Wolfenbüttel 10), S. 25, 259 oben, die Angaben des Steuerver- zeichnisses berücksichtigt. 204 Siehe oben bei Anm. 28, 29. Zur Bede im 14. Jahrhundert s. Reinhard greSKy: Die Finanzen der Welfen im 13. und 14. Jahrhundert. Hildesheim 1984 (Veröffentlichungen des Instituts für Histo- rische Landesforschung der Universität Göttingen 22), S. 273ff., bes. S. 279. Vgl. zur Bede im Braunschweigischen allgemein Walter achiLLeS: Die steuerliche Belastung der braunschweigischen Landwirtschaft und ihr Beitrag zu den Staatseinnahmen im 17. und 18 Jahrhundert. Hildesheim 1972 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 82), S. 56ff.; derS., Die Land- wirtschaft (wie Anm. 1), S. 209f. 205 Schwarz, Rechnungen (wie Anm. 8), S. 374f. 206 Rudolf grieSer (Hg.): Das Schatzregister der Großvogtei Celle von 1438 und andere Quellen zur Bevölkerungsgeschichte der Kreise Celle, Fallingbostel, Soltau und Burgdorf zwischen 1428 und 1442. Hildesheim 1934 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 41); derS., Schatz- und Zinsverzeichnisse des 15. Jahrhundert aus dem Fürstentum Lüneburg. Quellen zur Bevölkerungsgeschichte der Kreise Harburg, Dannenberg, Gifhorn und Uelzen 1450–1497. Hil- desheim 1942 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 50). Vgl. für den Raum Göttingen demnächst die Edition der Schatzregister des 15. Jahrhunderts durch Josef Dolle. Es ist bezeichnend, dass diese Steuerbücher zum größten Teil in Stadtarchiven überliefert sind.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 78 Ulrich Schwarz

Das Steuerverzeichnis weist keinerlei Datum auf, aber es kann aufgrund inhalt- licher Kriterien mit Kriegshandlungen seiner Entsstehungszeit in Verbindung ge- bracht werden. So fndet die unter dem Namen „Mainzer Fehde“ bekannte Serie von Feldzügen, die die welfschen Herzöge Bernd und Heinrich in den Norden des Erzstifts Mainz in den Jahren 1401–1405 unternahmen, in unserem Verzeich- nis mehrfach beiläufgen Niederschlag.207 Denn sowohl der mainzische Amtssitz Gieboldehausen bei Duderstadt, der 1403 erobert wurde, kommt als Zielort von Wagenfuhren braunschweigischer Bauern vor als auch die mainzische Burg Bischof- stein im Eichsfeld. Und auch die beiden Burgen Alten- und Neuen-Gleichen bei Göttingen, die das Verzeichnis nennt, gehören vielleicht in den Zusammenhang mit der Mainzer Fehde.208 Außerdem hat eine zweite Fehde der Herzöge Bernd und Heinrich gegen die Edelherren von der Lippe, in der es um Ansprüche auf die Grafschaft Everstein (zwischen Hameln und Höxter) ging, im Steuerverzeichnis Spuren hinterlassen. Darauf weisen die Erwähnungen zweier weiterer Burgen als Bestimmungsort von Fuhren hin. Es handelt sich zum einen um die Burg Freden bei Alfeld, die als Auf- takt der Kampfhandlungen in der Pfngstwoche 1402 eingenommen wurde, und zum anderen um die welfsche Residenzburg Calenberg an der Leine, die im No- vember 1404 umkämpft war.209 Folgen wir den Angaben des Steuerverzeichnisses, so lagen die mit den genann- ten Burgen verbundenen Fuhrleistungen der Bauern im Braunschweigischen schon mehrere Jahre zurück. In welchem Jahr aber wurde das Steuerverzeichnis angelegt? Es liegt nahe, den Anlass dazu in der zuletzt genannten Lipper Fehde zu suchen. Mit der Gefangennahme des Herzogs Heinrich durch die Edelherren zur Lippe im November 1404 hatte die Fehde eine dramatische Wendung genommen. Die Edel-

207 Ursache der Fehde war der gewaltsame Tod des Bruders Friedrich im Juni 1400 gewesen, des regierenden Herzogs des braunschweigischen Landes, siehe Schwarz, Entstehung (wie Anm. 14), S. 238f. Zum Verlauf im einzelnen siehe Otto FeLSberg: Die Ermordung Herzog Friedrichs von Braunschweig im Jahre 1400. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte des XV. Jahrhunderts. Coburg 1888 (Programm des Herzoglichen Ernestinum zu Coburg), S. 19ff. Zum Prozess vor dem könig- lichen Hofgericht siehe Friedrich battenberg: Herrschaft und Verfahren. Politische Prozesse im mittelalterlichen Römisch-Deutschem Reich. Darmstadt 1995, S. 85–99. 208 StadtA BS, B I 10 : 3, S. 9, 12, 13, 14 etc. (Geueldehusen, Bischoppsteyn, de Lichen). Wichtig ist der Hinweis in einer Klageschrift des Bischofs von Hildesheim vom 23. Juni 1406, der sich wegen der Durchzüge braunschweigischer Heere durch seine Ämter in den vergangenen Jahren beschwert und dabei die vier Zielorte Nuwenborch, de Lichen, Gheueldehusen und Bischopessteen nennt, offenbar zeitlich aufeinanderfolgende Züge, SUdendOrF UB 10 Nr. 116 S. 271 unten. Die Nuwenborch ist mit der Naumburg bei Fritzlar zu identifizieren, die 1401 belagert wurde, siehe FeLSberg (wie Anm. 207), S. 20 Anm. 2. Gieboldehausen wurde im September 1403 erobert, siehe Schwarz, Rechnungen (wie Anm. 8), S. 291 Anm. 16; Sabine wehKing: Die Geschichte des Amtes Gieboldehausen. Duderstadt 1995, S. 43. Zu Bischofsstein vgl. auch SUdendOrF UB 10 Nr. 1 S. 3 Z. 20f., 31f. 209 StadtA BS, B I 10 : 3, S. 5, 9, 12, 14 (Freden, Nye Freden, Kalenberch); Paul barteLS: Der eversteinische Erbfolgekrieg zwischen Braunschweig-Lüneburg und Lippe 1404–1409. Göttingen 1881 (phil. Diss.), S. 20 (Freden); Ludwig hänSeLmann (Hg.): Die Chroniken der niedersäch- sischen Städte: Braunschweig. Bd. 1. Leipzig 1868 (Chroniken der deutschen Städte 6), S. 187 (Calenberg). Zu Freden (von Neu-Freden zu unterscheiden?) vgl. SUdendOrF UB 9 Nr. 216 S. 287 (1403) = Gustav Schmidt (Hg.): UB des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe 4, 1889, Nr. 3206 (S. 479).

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 79 herren forderten ein exorbitantes Lösegeld von 100.000 Gulden, die die Herzöge nach der Freilassung Heinrichs im Juli 1405 (in Raten über einen Zeitraum von fünf Jahren) aufzubringen sich verpfichtet hatten.210 Um die Gelder zu beschaf- fen, verhandelten die Herzöge zuerst Ende August 1405 mit den lüneburgischen Ständen in Lüneburg, was zu keinem Ergebnis führte. Anders liefen die Verhand- lungen im braunschweigischen Land. Hier erklärten sich die Städte Braunschweig und Helmstedt, die braunschweigische Ritterschaft und die Prälaten bereit, jährlich einen Beitrag zur Aufbringung der Gelder zu leisten, allerdings unter der Bedin- gung, dass künftig keine Bede mehr ohne ihre Zustimmung erhoben werden dürfe. Das geht aus Urkunden der Herzöge von Ende Oktober 1405 hervor.211 Unser Steuerverzeichnis, das die Leistungsfähigkeit des Landes in den zurückliegenden Jahren dokumentiert, ist demnach wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1405 erstellt worden. Wenn wir unterstellen, dass der Kataster in zeitlichem Zusammenhang mit dem Steuerverzeichnis entstanden ist (die Eingrenzung aufgrund inhaltlicher Indizien deutet in diese Richtung), so hat man zu fragen, welchen Sinn die Verbuchung der Hufen und Zehnten und ihrer Inhaber hatte, wenn die Besteuerung durch den Landesherren nach anderen Kriterien erfolgte, nämlich nach den bäuerlichen Haus- halten im Dorf? Hätte man nicht eher eine Registrierung der besetzten Hofstellen erwarten dürfen? Oder wollte man zusätzlich eine Grundsteuer einführen? Für eine auf Hufen bezogene Steuer fndet sich im Land Braunschweig im 16. Jahrhundert immerhin ein erster Beleg aus dem Jahre 1524, wenige Jahre nach dem Ende der Hildesheimer Stiftsfehde. Herzog Heinrich der Jüngere ließ in diesem Jahr eine sol- che Hufensteuer auf drei Jahre ausschreiben.212 Aber war der Kataster überhaupt als Grundlage der Besteuerung gedacht? Wie wir bei der Behandlung der Bürger als Grundherren gesehen haben, weisen die ausgefüllten Tabellen des Katasters am Rand Merkpunkte auf, die die Hufen und Zehnten in Bürgerhand hervorheben.213 Die Vielzahl der Merkpunkte zeigt, dass die wohlhabenden Bürger einen hohen Anteil an Hufen und Zehnten in den Dörfern des Umlandes besaßen. Die Besteuerung der Hufen durch den Landesherren konnte für die Hufenbesitzer in der Stadt zum Problem werden – und damit sind wir wieder in demselben zeitgeschichtlichen Kontext angelangt, in den uns die Betrachtung des Steuerverzeichnisses geführt hatte. Die Landesherren hatten infolge der Fehden von den „Bürgermeiern“, die die Hufen in Bürgerhand bewirtschafteten, eine jährliche Bede eingefordert – und dies obwohl die Bestimmungen des herzoglichen Hulde-

210 barteLS (wie Anm. 209), S. 40ff. 211 barteLS (wie Anm. 209), S. 48f.; hänSeLmann (wie Anm. 209), S. 187f. Verhandlungen mit dem Rat nach der „Heimlichen Rechenschaft“. Bartels kennt die Braunschweiger Quelle nicht. Die Urkunde vom 24. Okt. 1405 bei Schwarz, Register, Nr. 183 (S. 101). 212 Oehr (wie Anm. 1), S. 77; Urkunde bei Philipp Christian ribbentrOp: Sammlung der Land- tagsabschiede, fürstlichen Reversalen und anderer Urkunden … Helmstedt 1793, Nr. 13 S. 24 f. Von jeder Hufe waren zwei rheinische Gulden zu bezahlen, von jedem Zehnten der dritte Pfen- nig. – In späterer Zeit erscheint der Begriff „Hufenschatz“ siehe achiLLeS, Steuerliche Belastung (wie Anm. 204), S. 98ff.; derS., Die Landwirtschaft (wie Anm. 1), S. 207f. 213 Die Merkpunkte waren von den beiden Haupthänden A und B vermutlich schon bei der Anlage des Katasters angebracht worden, siehe unten S. 86.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 80 Ulrich Schwarz briefs vom 17. Juli 1400 für die Stadt Braunschweig den Bürgern und ihren Hinter- sassen Steuerfreiheit zubilligten. Angesichts neuerlicher Belastungen durch die zu erbringenden Lösegelder regte sich im Rat der Stadt nun Widerstand. Die Herzöge mussten sich, wie wir gesehen haben, im Oktober 1405 bereit erklären, künftig nur noch mit Zustimmung der braunschweigischen Stände Beden und Dienste einzu- fordern.214 Wir müssen uns vorstellen, dass die Lage der bäuerlichen Bevölkerung, die die Leistungen direkt erbringen mussten, verzweifelt war. Auch die Pest, die seit 1350 in mehreren Schüben gewütet hatte, war 1402 wieder aufgefammt.215 Obwohl sich für die Herzöge in der Auseinandersetzung mit den Herren zur Lippe bald das Blatt wendete und es bei einer Gesamtsumme von 5000 Gulden gezahltem Lösegeld blieb, war das Thema der Besteuerung auch späterhin aktu- ell. In einer Urkunde der Herzöge Bernd und Heinrich vom 3. Mai 1416 wird auf die den Bürgern und ihren Hintersassen aufgelasteten Bürden Bezug genommen.216 Die Herzöge bedangen sich in der Urkunde das Recht aus, die seit alters übliche olde bede und olde plicht sowie die Abgabe der Rauchhühner weiterhin einzufor- dern, und begrenzten die jährliche Kuhbede auf 42 Kühe und die Haferbede auf 336 Scheffel, und zwar in den Gerichtsbezirken der Großvogtei Wolfenbüttel, näm- lich Salzdahlum, Schöppenstedt, Evessen, Beddingen, im Eichgericht und in eini- gen Dörfern des „Halbgerichts“. Die Regelung galt nicht nur für die Hintersassen der Bürger sondern auch für die Bauern von kirchlichen Einrichtungen, wobei das Frauenkloster am Rennelberg und die Hospitäler Unser Lieben Frauen, St. Thomas, St. Jodocus und St. Leonhard besonders hervorgehoben werden. Der Frondienst für die Landesherren wurde für die Inhaber der Bauhöfe auf zwei Tage und für die Kötner auf sechs Tage im Jahr begrenzt. Nach Aussage der Urkunde war diese Regelung auf den Bereich der Großvogtei Wolfenbüttel beschränkt. Im Kataster sind ebenfalls im Wesentlichen nur die Rub- riken von Dörfern der Großvogtei ausgefüllt. Es stellt sich die Frage, in wessen Auftrag und zu wessen Nutzen unsere Quelle entstanden ist. Waren es die Landes- herren, die sich einen Überblick über die Besitzverhältnisse in den stadtnahen Dör- fern verschaffen wollten, oder war es der Rat der Stadt, der Gewissheit über die Hufen im Besitz der Bürger und der städtischen Pfarrkirchen und Hospitäler zu er- langen suchte?217 Den Urhebern unseres Katasters kam es jedenfalls auf die Ermitt-

214 hänSeLmann (wie Anm. 209), S. 188 („Heimliche Rechenschaft“). 215 Siehe oben bei Anm. 94; Jakob SchwaLm (Hg.): Die Chronica Novella des Hermann Korner. Göttingen 1895, S. 98 (1402). 216 Carl geSeniUS: Das Meierrecht mit vorzüglicher Hinsicht auf den Wolfenbüttelschen Teil des Her- zogthums Braunschweig-Lüneburg. 2. Wolfenbüttel 1803, Beylage 2, S. 76–78; dazu hOFFmann (wie Anm. 94), S. 245f. Vgl. schon die Urkunde vom 12. Mai 1406 für das Blasiusstift auf 10 Jahre bei Schwarz, Register, Nr. 163 (S. 73), und die Herzogsurkunde vom 10. April 1412, s. Philippus Julius rehtmeier: Braunschweigisch-Lüneburgische Chronica, Braunschweig 1722, S. 697f.; fer- ner OhainSKi (wie Anm. 8), S. 132f. mit Hinweis auf eine spätere Urkunde von 1425 mit genaue- ren Angaben zu den Dörfern. 217 Die Hand B hat in der Handschrift des Katasters nicht nur die Bürgerhufen mit Merkpunkten ver- sehen, sondern auch Hufenbesitz städtischer Pfarrkirchen, Hospitäler und des Klosters Rennelberg, siehe Nr. 4 (Stöckheim bei Braunschweig), Nr. 10 (Veltheim), Nr. 22 (Kalme), Nr. 29 (Thiede) etc. – Zum „Gotteshäuserbuch“ der Stadt von 1404, das nach Kirchen gegliedert ist, siehe oben bei Anm. 134.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 81 lung von Hufensummen nicht an. Man beschränkte sich darauf, nur die Dörfer der zwölf stadtnahen herzoglichen Amtsbezirke zu registrieren. Eine Ausweitung des Katasters auf das ganze Land Braunschweig zog man nicht in Betracht, obwohl die Handschrift noch genügend Raum geboten hätte. Vermutlich waren in stadtfernen Dörfern eben weniger Bürgerhufen zu erwarten. Letztendlich wurden dann nur die Spalten einzelner Dörfer der Großvogtei Wolfenbüttel ausgefüllt. Die Schreiber un- seres Katasters (es waren mehrere Hände am Werk) mögen geübte Stadtschreiber gewesen sein, die im städtischen oder herzoglichen Auftrag arbeiteten. Vielleicht ist es möglich, später einmal die Hände in Stadtbüchern der Zeit zu identifzieren.218 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die herzogliche Bede von 1422 vom Braunschweiger Kämmerer Hans Kale erhoben wurde und die Anlage der Steuer- liste dieses Jahres auf seine Veranlassung zurückging.219 Die Urheber des Katasters dürften in den Dörfern Erkundigungen eingezogen haben. Daneben benutzten sie auch schriftliche Unterlagen. Das lassen vor allem die Angaben zu den Stiftsbauern von St. Blasius vermuten, die nicht ganz auf aktuellem Stand waren.220 Es mag vermessen erscheinen, zum Abschluss noch einen Blick auf den be- rühmtesten Kataster des ausgehenden Mittelalters zu werfen, das Landbuch Kaiser Karls IV. für die Mark Brandenburg von 1375.221 Das lateinisch abgefasste Land- buch erfasst die Mittelmark, Uckermark und Altmark mit insgesamt ca. 730 Or- ten. Von diesen Gebieten liegt die Altmark (zwischen Elbe und Aller) dem Land Braunschweig geographisch nahe.222 Die Dorfregister des Landbuchs sind nach Landschaften gegliedert, Orte gleicher Grundherrschaft sind einander zugeordnet. Die teilweise sehr ausführlichen Dorfbeschreibungen beginnen im Prinzip mit der Hufensumme und schlüsseln anschließend die Hufen nach Grundherren auf, meist in der Reihenfolge: örtliche Pfarrei, sonstige geistliche Institutionen, Dorfschulze, Adelige. Registriert sind die den Grundherren geschuldeten Zinse und die Abgaben an den Landesherren (Zehnten, Bede). Die Zahl der Hofstellen wie auch die Namen der wirtschaftenden Bauern fehlen (mit Ausnahmen bei Teilen der Altmark). Dafür ist die Zahl der landlosen Bauern (Kossäten) benannt. Diese Feststellungen zei- gen, dass das brandenburgische Landbuch dem braunschweigischen Kataster nicht

218 Verschiedene Stadtschreiber in der Zeit um 1400 benennt heLLFaier (wie Anm. 13), S. 19ff. 219 KLeinaU, Gebietsentwicklung (wie Anm. 11), S. 43 und S. 40 mit Anm. 4. 220 Siehe oben Anm. 196. 221 Johannes SchULtze (Hg.): Das Landbuch der Mark Brandenburg von 1375. Berlin 1940 (Veröf- fentlichungen der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin VIII, 2). Vgl. Carl brinKmann: Die Entstehung des Märkischen Landbuchs Kaiser Karls IV., in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 21 (1908), S. 373–433; Helmut aSSing: Wie glaubwürdig ist das Landbuch Kaiser Karls IV.?, in: Evamaria engeL (Hg.): Karl IV. Politik und Ideologie im 14. Jahrhundert. Weimar 1982, S. 357–372; F. eScher: Land- buch der Mark Brandenburg, in: Lexikon des Mittelalters 5, 1991, Sp. 1642; Gerd heinrich: Bran- denburgische Besitzstandskarte des 14. Jahrhunderts. Der ritterschaftliche, geistliche, städtische und landesherrliche Besitz um 1375. Berlin 2002 (Historischer Atlas von Brandenburg, NF Lief. 3) (mit Erläuterungsheft). Eine Abbildung aus der Haupthandschrift bei Friedrich becK, Eckart henning: Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. 3. Aufl. Köln 2003, S. 55 Abb. 16 (Text bei SchULtze, a.a.O., S. 383f.). 222 SchULtze (wie Anm. 221), S. 285–411.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 82 Ulrich Schwarz als Vorbild gedient hat. Ein im Landbuch mitüberlieferter Fragenkatalog gab den markgräfichen Beamten bei der Bereisung der Dörfer im Einzelnen vor, worauf sie zu achten hatten, z.B. Quot mansi sunt in villa? (…). Quot sunt deserti, quos nullus possidet neque colit etc.223 Kaiser Karl IV. kam es auf eine umfassende Landesauf- nahme an, um die Leistungsfähigkeit des ihm zugefallenen Landes festzustellen.224 Schon zur Zeit der Markgrafen aus dem Hause Wittelsbach war für die Mark Brandenburg ein Kataster der Dörfer angelegt worden, der vermutlich als Grund- lage für die Erhebung einer außerordentlichen Steuer zur Einlösung der verpfände- ten Lausitz dienen sollte (1337).225 Das erhaltene Landbuch der Neumark (Gebiet östlich der Oder), ebenfalls in lateinischer Sprache, erfasst die Dörfer nach Land- schaften (terrae) gegliedert. In sehr knappen Angaben folgt auf den Ortsnamen die Hufensumme, die Zahl der Hufen für das Pfarrgut und für die Lehngüter der Ade- ligen. Angaben über den Zehnt und Abgaben von Krügen und Mühlen schließen sich an. Die genannten märkischen Landbücher zählen die Grundherren in immer glei- cher Reihenfolge auf. Darin sind sie konsequenter als der braunschweigische Ka- taster. Die Dorfregister der Altmark von 1375 zeigen im Übrigen, dass die Lan- desaufnahme keineswegs zum Abschluss gekommen war.226 So sind die Register für die Altkreise Arendsee und Salzwedel unvollständig, und Hufensummen sind überhaupt nur bei der Hälfte der altmärkischen Dörfer angegeben (bei 153 von 312 Orten).227 In ihrem unfertigen Charakter ähneln sich der altmärkische Teil des

223 SchULtze (wie Anm. 221), S. 67. 224 Vermutlich in Kenntnis des Landbuchs Kaiser Karls IV. wurde 1381 ein Landbuch der schlesischen Herrschaft Sorau mit ihren 55 Dörfern angelegt, siehe Johannes SchULtze (Hg.): Das Landbuch der Herrschaft Sorau von 1381. Berlin 1936 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin VIII, 1). Dazu und zu weiteren schlesi- schen Landbüchern siehe brinKmann (wie Anm. 221), S. 61ff. 225 L. gOLLmert: Das neumärkische Landbuch Markgraf Ludwigs des Aelteren vom Jahre 1337. Frankfurt a.O. 1862. Dazu brinKmann (wie Anm. 221), S. 56ff.; SchULtze (wie Anm. 221), S. XII; F. eScher: Landbuch der Neumark, in: Lexikon des Mittelalters 5, 1991, Sp. 1642f. 226 Evamaria engeL: Lehnbürger, Bauern und Feudalherren in der Altmark um 1375, in: dieS., Bene- dykt zientara: Feudalstruktur, Lehnbürgertum und Fernhandel im spätmittelalterlichen Branden- burg. Weimar 1967 (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 7), S. 29–220, hier S. 43. 227 Eckhard müLLer-mertenS: Hufenbauern und Herrschaftsverhältnisse in Brandenburgischen Dör- fern nach dem Landbuch Karls IV. von 1375, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Uni- versität Berlin 1 (1951–52). Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, Heft 1, S. 35–79, hier S. 38, 42. – Folgender Hinweis sei noch erlaubt. Die Forschung hat aufgrund dieser Dorf- register herausarbeiten können, dass in den stadtnahen Dörfern der Altmark, besonders im Um- kreis von Salzwedel und Stendal, bürgerlicher Grundbesitz in hoher Konzentration anzutreffen ist. Die Grundherren aus diesen Städten waren überwiegend Kaufleute und gehörten den ratsfähigen Familien an. engeL (wie Anm. 226), S. 175ff.; vgl. die beigegebene Karte „Bürgerlicher Lehnsbe- sitz in den Dörfern der Altmark im Jahr 1375“. Da die Art und Höhe der Grundzinse, die von den Bauern an die landbesitzenden Bürger abzuführen waren, im Landbuch angegeben sind, lassen sich Rückschlüsse auf das ökonomische Verhalten der Bürger ziehen. Als Zins floss ihnen überwiegend Getreide zu, das sie nicht für sich selbst verbrauchten, sondern über Hamburg in die Niederlande verhandelten, siehe engeL, a.a.O., S. 157ff., 162ff., 168ff.; dieS.: Bürgerlicher Lehnsbesitz, bäuer- liche Produktenrente und altmärkisch-hamburgische Handelsbeziehungen im 14. Jahrhundert, in: Hansische Geschichtsblätter 82 (1964), S. 21–41, hier S. 26ff. Für die Stadt Braunschweig ist die Frage des bürgerlichen Landbesitzes zuletzt im Zusammenhang mit der Großen Schicht von 1374 behandelt worden, siehe oben Anm. 153; vgl. hOFFmann (wie Anm. 94), S. 231 Anm. 189.

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Landbuchs und der braunschweigische Kataster, wenn auch die Gründe dafür un- terschiedlicher Natur waren.

Edition Beschreibung der Handschrift und ihres Inhaltes Die Handschrift des Stadtarchivs Braunschweig trägt die Signatur: B I 10 : 3. Sie gehört innerhalb des Bestandes Altes Ratsarchiv. Stadtbücher (B I) der Serie „Mar- stallbücher“ an.228 Die Hs. misst in ihrem Buchblock 29,5 cm Höhe, 21,5 cm Breite und ist 2,5 cm stark. Sie umfasst 228 von moderner Archivhand mit Bleistift ge- zählte Seiten (fehlende Seiten sind mitgezählt). Es fnden sich keinerlei Spuren einer älteren Seiten-, Blatt- oder Lagenzählung. Die Hs. ist in Pergament fexibel gebunden (Einbandform der Koperte)229. Eine halbrunde Vorderklappe, die vom Hinterdeckel über den Buchblock auf den Vor- derdeckel greift, ist mit einer Fadenschlaufe versehen, die über einen am Vorderde- ckel angebrachten Knopf gestülpt werden kann, so dass das Buch verschließbar ist. Die Hs. besteht aus acht ungezählten Lagen, die mit zwei Ausnahmen jeweils acht Bögen enthalten. Die zweite Lage enthält neun Bögen, die achte nur sechs. Bei der ersten Lage fehlt das letzte Blatt, bei der dritten Lage fehlen die ersten elf Blätter. Die Lagenformel lautet: (VIII-1)15 Bll. + IX33Bll. + (VIII-11)38Bll. + 4 VIII102Bll. + VI114Bll.. Am Ende der ersten Lage fndet sich ein loser kleiner beschrifteter Zettel von 4–5cm Höhe und 12,5 cm Breite (S. 30a); in der dritten Lage fndet sich eine lose Seite im Schmalformat von 31 cm Höhe und 11,2 cm Breite (Bl. 70a). Am oberen und unteren Rand ist das Blatt leicht beschädigt, da es in der Höhe über den Buchblock hinausragte (jetzt der Breite nach einmal gefaltet). Die erste Lage weist ein Wasserzeichen Typ Ochsenkopf mit einkonturiger Stan- ge mit Stern, Augen und Maul auf, ähnlich Piccard VIII 34. Das Papier stammt aus Oberitalien und ist 1403–1405 nachgewiesen. Die übrigen Lagen zeigen als Was- serzeichen einen Ochsenkopf mit einkonturiger Stange mit Blume, ähnlich Piccard XII 301. Das Papier stammt gleichfalls aus Oberitalien und ist 1403–1407 nachge- wiesen.230 Das erste Blatt der ersten Lage (S. 1–2) ist beidseitig von einer Hand aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit Notizen über verschiedene Erb- und Wurt-

228 Die Serie, die einerseits auf die „Verwaltung des städtischen Landgebiets“ bezügliche Stadtbü- cher, andererseits das Kriegswesen betr. Stadtbücher vereinigt, wurde 1939 durch den Stadtarchivar Werner Spiess gebildet. Der ehemals für beide Bereiche zuständige Amtmann hatte die Bücher auf dem Braunschweiger Marstall geführt. 229 Otto mazaL: Einbandkunde. Die Geschichte des Bucheinbandes. Wiesbaden 1997, S. 20; Roland Jäger (Hg.): Das Gewand des Buches. Historische Bucheinbände aus den Beständen der Univer- sitätsbibliothek Leipzig und des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Bücherei Leipzig. Leipzig 2002, S. 50 Abb. 9. Für Hinweise danke ich Frau Dr. Ute-Maria Etzold, Wolfen- büttel. 230 Gerhard piccard: Die Ochsenkopf-Wasserzeichen. 1.–3. Teil. Stuttgart 1966, hier 1. Teil, S.134, 188; 2. Teil, S. 455; 3. Teil S.594. Für freundliche Hilfe bei der Handschriftenbeschreibung sei Herrn Dr. Henning Steinführer, Braunschweig, gedankt.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Hufen und Zehnten in Rüningen (Hand B, mit Merkpunkten zu den Bürgerhufen) und in Broitzem (Hand A). Überschriften von Hand A.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 85 zinse der Stadt Braunschweig ausgefüllt (Überschrift: Ervetins unde worttins). Die vorkommenden Jahreszahlen 69 und 78 sind 1469 und 1478 aufzulösen. Es folgt das Steuerverzeichnis der Dörfer der Großvogtei Wolfenbüttel von verschiedenen Händen, die die Seiten 3 bis 30 gefüllt haben (S. 27 und 28 blieben leer). Vom letzten Blatt der Lage, das herausgeschnitten wurde, ist ein Falz von 2 cm Breite stehengeblieben, das Schriftreste zeigt. Die zweite Lage ist unbeschrieben. Der Text des Katasters füllt die Hs. lagenübergreifend von der dritten bis in die siebte Lage (S. 67–176). Er beginnt auf dem zwölften Blatt der dritten Lage; die vorangehenden elf Blätter sind aus der Hs. herausgeschnitten (von den Blättern sind nur noch vier mm schmale Falze zu sehen, so dass Schriftreste nicht zu erken- nen sind). Vielleicht hat man usprünglich mit unserem Text auf dem ersten Blatt dieser Lage begonnen und diese erste Niederschrift dann verworfen und entfernt. Auszuschließen ist, dass der Anfang des Katasters fehlt. Es spricht im Gegenteil alles dafür, dass wir mit dem Beginn unseres Textes (S. 67, rechtsstehend) eben den Beginn des Katasters vor uns haben, denn er setzt wie die Steuerliste von 1422 und diejenige aus dem zweiten Gedenkbuch mit den Gerichten der Großvogtei Wolfen- büttel ein, wenn auch in anderer Reihenfolge. Der Kataster weist am Anfang keinen Gesamttitel auf. Wir wissen nicht, wie unsere Quelle von den Zeitgenossen benannt wurde (es sei denn, es ließe sich in anderen Quellen eine Zitation feststellen). Der Text des Katasters endet in der siebten Lage (S. 176, linksstehend), kaum dass diese begonnen hat: nur die ersten beiden Blätter dieser Lage wurden noch beschriftet. Der Rest der Lage sowie auch die folgende Lage sind unbeschrieben. Die Blätter der dritten bis einschließlich der achten Lage sind am oberen und unteren Rand pungiert. Die beiden Einstichlöcher (Abstand: 1, 3 cm) haben den Zweck, eine regelmäßige Spalteneinteilung des Textes zu ermöglichen. Zwischen den beiden rechten Einstichlöchern am oberen und unteren Rand ist gelegentlich von oben nach unten durchgehend eine feine Linie gezogen worden, um damit den linken Rand der zweiten Spalte zu markieren. Der linke Rand der ersten Spalte ist ebenfalls gelegentlich durch eine durchgehende Linie von oben nach unten markiert, ohne dass es hier einer vorbreitenden Pungierung bedurft hätte. Zwischen Schrift und Seitenrand ist ein mindestens 1 cm breiter Abstand gewahrt, so dass sich ein regelmäßiger Schriftspiegel ergibt. Eine anlegende Hand (A) hat sämtliche Seiten und Spalten mit Überschriften versehen. Ganz oben am oberen Rand ist als Seitenüberschrift der jeweilige Namen des Amtsbezirks (Gerichts) gesetzt. Knapp darunter sind links und rechts die Namen von jeweils zwei Dörfern eines Gerichts als Überschriften über die auszufüllenden Spalten gesetzt. Sämtliche Seiten- und Spaltenüberschriften sind in nach rechts ge- neigte Rechtecke gefasst. Damit wird ihre Funktion als Überschriften verdeutlicht. Nachdem alle Dörfer eines Gerichtsbezirks in den Überschriften spaltenweise re- gistriert waren, wurde in der Regel eine Seite frei gelassen, bevor mit einem neuen Gerichtsbezirk und seinen Dörfern begonnen wurde (keine leere Seiten nur bei S. 71/72 und S. 89/90). Durch dieses Verfahren ist die Gliederung des Katasters in verschiedene Gerichtsbezirke betont.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 86 Ulrich Schwarz

Insgesamt sind 198 Orte durch Spaltenüberschriften ausgewiesen. Nur 39 Spal- ten wurden ausgefüllt, so dass sich ein Leerstand von 159 Spalten ergibt. Nur in zehn Fällen sind beide Spalten eines Blattes ausgefüllt (S. 68, 73, 74, 78, 80, 113, 116, 117, 119, 120). Die Spalteneinteilung wurde beim Ausfüllen strikt respektiert.231 Die Hand A zeichnet sich durch ausgeprägte formschöne Großbuchstaben aus. Angesichts der Vielzahl der Ortsnamen überrascht es nicht, dass nahezu alle Groß- buchstaben des Alphabets vertreten sind. Die Hand A schreibt Großbuchstaben nicht etwa, um damit Eigennamen hervorzuheben, sondern es kommt ihr nur darauf an, den Überschriftscharakter zu betonen. So heißt es: Dat richte to schepenstede aber Schepenstede im Kolumnentitel oder Dat richte to der pesere aber To der pesere im Kolumnentitel. Die Hand A hat nicht nur die Überschriften geschrieben sondern selbst auch Spalten ausgefüllt. Sie zeigt beim anlautenden h (hove) rechts von der Schaftspit- ze einen relativ geraden Strich, so dass sich eine eckige Form ergibt.232 Ich zähle mindestens 14 von ihr ausgefüllte Spalten: S. 69 (Linden), S. 73 (Volzum), S. 74 (Gilzum), S. 80 (Schöppenstedt), S. 81 (Allum), S. 96 (Klein Denkte), S. 101 (Seinstedt), S. 104 (Wittmar), S. 107 (Remlingen), S. 111 (Immendorf), S. 117 (Stiddien), S. 119 (Broitzem), S. 120 (Klein Gleidingen), S. 133 (Sierße). S. 68 (Atzum) erscheint mir die Identität etwas zweifelhaft, S. 83 (Kneitlingen) hat die Hand A nur den Eintrag über den Zehnten geschrieben. Zwischen der Hufentabelle und der Zehntangabe lässt die Hand A oft eine Leerzeile stehen. Braunschweiger Bürger als Grund- und Zehntherren sind von der Hand A oft durch Merkpunkte am linken Rand der Spalte gekennzeichnet. S. 101 (Seinstedt) fehlen die Merkpunkte, stattdessen heißt es am Ende der Tabelle: Summa 70 hove, der horet 20 hove der borghere. Die Hand B hat ebenso viele Spalten ausgefüllt wie die Hand A. Die Schrift ist gedrungener und runder als die von Hand A. Beim anlautenden Buchstaben h ist der rechte Strich an der Schaftsspitze nahezu durchgängig gerundet.233 Die Hand B füllte folgende Spalten aus: S. 71 (Stöckheim b. Braunschweig), S. 73 (Sickte), S. 74 (Hachum), S. 78 (Veltheim, Cremlingen), S. 80 (Bansleben), S. 106 (Kalme), S. 109 (Leiferde), S. 113 (Sauingen), S. 114 (Thiede), S. 116 (Köchingen), S. 117 (Geitelde), S. 119 (Rüningen), S. 121 (Denstorf), S. 131 (Klein Lafferde). Zur Kennzeichnung Braunschweiger Bürger, aber auch von Braunschweiger Stadtpfarr- kirchen, Hospitälern und des Klosters Rennelberg hat die Hand B Merkpunkte an den linken Spaltenrand gesetzt. Die Hand C schreibt klein und spitzig, beim Buchstaben h führt sie einen An- strich von links unten zur Schaftspitze nach rechts oben und formt einen runden Bogen. Sie hat die Spalten S. 67 (Ahlum), S. 68 (Wendessen), S. 70 (Rautheim) und

231 Auf S. 71 sind beim Ausfüllen der linken Spalte die Wörter wyves moyme versehentlich in die rechte Spalte hineingeschrieben worden, sie wurden ausradiert und in der nächsten Zeile der linken Spalte wiederholt. 232 Es bleibt zu überprüfen, ob die Hand A auch im Steuerverzeichnis der gleichen Hs. identifiziert werden kann, z.B. S. 22, oder auch im „Gotteshäuserbuch“, siehe oben Anm. 134. 233 Solche Rundungen finden sich auch bei der Hand, die große Teile des Steuerverzeichnisses in der gleichen Hs. geschrieben hat, z.B. S. 3 und 4.

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S. 116 (Vallstedt) gefüllt. Bei Ahlum hat sie am Ende der Spalte eine Hufensumme eingetragen. Die Schrift der Hand D erscheint eher langgestreckt, beim Buchstaben m im Wortinneren reichen manchmal Schäfte unter das Mittelband. Die Hand hat die Spalten S. 113 (Beddingen), S. 120 (Timmerlah) und S. 123 (Lamme) ausgefüllt. Die Hand E hat nur eine einzige Spalte ausgefüllt, S. 83 (Kneitlingen). Bei den Buchstaben h, k und l weist sie ausladende Schlingen auf. Der Eintrag über den Kneitlinger Zehnten ist von der Hand A geschrieben. Von besonderem Interesse ist das beidseitig beschriftete Konzeptblatt in Schmal- form, das der Hs. lose beiliegt (Blatt 70a) und das inhaltlich den Text unseres Ka- tasters ergänzt. Betrachten wir zunächst die Rückseite des Blattes 70a, die ganz am oberen Rand mittig den Personennamen Herman van Vechtelde als Überschrift auf- weist und darunter die Ortsnamen Soltdalem, Bantsleue, Gheuensleue Wyrte im Ab- stand von jeweils 5–7 cm zeigt. Diese als Überschriften gedachten Namen stammen von der Hand F, die ausgeprägte Großbuchstaben und spinnwebartige Unterlängen aufweist. Die Zwischenräume waren für eine tabellarische Ausfüllung vorgesehen. Während der Raum unter Soltdalem und Gheuensleue, frei blieb, setzte eine andere Hand unter den Namen Bantsleue folgende tabellarischen Angaben: 48½ hove. Hord 7 Agacius. 7 Deringh. 6 Valeb(erch). 7 1 v(erndel) Rol(eff) Sche- penstede. 16½ hove Dam. 2 hove Lukkelem. 2 perner darsulves. 3 verndel der bure. Unter den Namen Wyrte fügte sie die Angaben ein: 22 hove. Hord Her(men) Vech(telde) 1. De h(e)r(e)n [Lesung unsicher] Diese Hand G formt ein doppelstöckiges a und weist eine charakteristische De- Ligatur auf. Die Angaben zu dem Ort Bansleben wurden später von der Hand B in die Reinschrift übertragen (Nr. 11), nicht aber die unvollständigen Notizen zu Wierthe (Nr. 30). Auf der Vorderseite des Konzeptblattes hat die Hand F die Ortsnamen Sunnen- berghe und Veltstidde als Überschriften mittig geschrieben, sie aber nicht für Eintra- gungen genutzt. Stattdessen ist die Seite vollständig von der Hand G mit Angaben zu anderen Dörfern (darunter auch Vallstedt) gefüllt, und zwar dergestalt, dass die Überschriften Sunnenberghe und Veltstidde auf den Kopf gestellt erscheinen. Die tabellarisch untereinander gesetzten Notizen der Hand G mit den Ortsnamen an der Spitze lauten: To Gheuensle(ue) liged 84 hove, der sint 21½ des provest(es) Rennenb(erch). Unde 6 Vorsters. Unde 5 de Sciltremensz. Unde 2½ H(ermen) Vech(telde). Unde 1 perner Katerinen. Unde [folgt spatium] Hinr(ik) Luthert. Unde 6 Kram(er) to Helmest(ede). Dat ander heren in de borch. Unde utluden [lies ut in den?]. Sunnenberge liged 40 hove. Der sint 8 hove David Sunnenberg. 4 hove Her(men) Vech(telde) (über d.Z. Hinrik Doring). 2 kalant. [folgt spatium] Rene- berch. 4 der heren borch. [folgt spatium]. Der men in dem dorpe. 5 heren berch. 1to Denst(orp). Dalem 100 hove 1 minus. De hord 10½ hove Hermens Vech(telde) unde 5 H(enning) Holtniker. 6 Lud(eke) Valeb(erg). Broddu(sen) [Lesung unsicher] 6. Ab-

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 88 Ulrich Schwarz bet s(unte) Illigen 17½. Heren berch 2½. Perner to s(unte) Merten 4. Lud(elf) Velt(em) 6. Boltvin Dalem. Valst(ede) 82 ½. Hord Gherwens. Die Notizen wurden nicht in die Reinschrift übernommen (siehe Nr. 1, 15, 35). Der Ort Vallstedt ist in der Reinschrift ausgefüllt, dort fehlt die Hufensumme (Nr. 31). Es fällt auf, dass in den drei Orten Gevensleben, Sonnenberg und Salz- dahlum jeweils der Braunschweiger Bürger Hermen van Vechelde als Grundherr ge- nannt ist. Sein Name steht als Überschrift ganz oben auf der Vorderseite des Blattes und kommt dort auch ganz unten in den Notizen zum Ort Wierthe vor. Es besteht also ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen heutiger Vorderseite und Rückseite des Konzeptblattes.

Einrichtung der Edition

Maßgebend sind die „Richtlinien für die Edition mittelalterlicher Amtsbücher“.234 Ich weise nur auf folgende Punkte hin: Abkürzungen werden in der Regel ohne Kennzeichnung aufgelöst, Schreiberversehen werden kommentarlos verbessert (sehr selten notwendig).235 Bei buchstabengetreuer Wiedergabe erfolgt konsequent u/v- Ausgleich, nur nicht bei Eigennamen (z.B. Vrde). Anlautendes Doppel-F (Ff) wird zu F vereinfacht. Die Ziffern der Vorlage sind durchweg römisch, sie werden in arabischen Zahlen wiedergegeben. Der Text des in der Hs. auf 99 Seiten angelegten Katasters wird in der Edition auf nur 20 Druckseiten zusammengedrängt geboten. Die Einträge über Zehnten und Hufen erscheinen nicht wie in der Vorlage in Tabellenform untereinander-, sondern platzsparend nebeneinandergesetzt und durch Punkte, die in der Vorlage völlig fehlen, getrennt. Die Edition zeigt den Text also in einer anderen Form als die handschriftliche Vorlage.236 Zusätze des Bearbeiters sind kursiv gesetzt, Ortsidentifzierungen sind in eckigen Klammern in den Text eingeschaltet. Die halbfett gesetzten Überschriften, die die Amtsbezirke kennzeichnen, stammen vom Bearbeiter, ebenso die durchlaufende Num- merierung in halbfett (Nr. 1–47), die keine inhaltliche oder gliedernde Bedeutung hat sondern dazu dient, die Quelle zitierfähig zu machen und Indices aufzubauen. Die Spaltenüberschriften der Hs. (Ortsnamen) werden in der Reihenfolge ihres Erscheinens vollständig wiedergegeben, auch wenn die Spalten leergeblieben sind, worauf in jedem einzelnen Fall hingewiesen wird. Abweichend von den Richtlinien werden die Seitenüberschriften vorlagegemäß jeweils wiederholt, um die Anlage des Werkes zu verdeutlichen. Das Konzeptblatt 70a ist oben beschrieben und im Wort- laut wiedergegeben. Darüberhinaus werden die Abschnitte des Konzeptblatts in

234 Walter heinemeyer (Hg.): Richtlinien für die Edition landesgeschichtlicher Quellen. 2. Aufl. Mar- burg 2000, S. 19–25. 235 Für Hilfe bei einigen kniffligen Lesungen, besonders auf dem Konzeptblatt, danke ich Herrn Dr. Josef Dolle, Braunschweig. 236 Bei der Edition der Wolfenbütteler Amtsrechnungen von 1445 bis 1450 wurde ebenso verfahren, siehe Schwarz, Rechnungen (wie Anm. 8), S. 319.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 89 den Editionstext dort eingereiht, wo sie hingehören, nämlich unter dem Ortsnamen, wobei jeweils klar ersichtlich bleibt, dass es sich um nicht zur Reinschrift gehörende Textabschnitte handelt (siehe Nr. 1, 11, 15, 30, 31, 35). Auf diese Weise konnten die Angaben des Konzeptblatts in die Indices integriert werden. Die Seiten- und Spaltenüberschriften der Hs. sind durchgängig von der Hand A geschrieben, was im Editionstext nicht eigens angegeben ist. Diese Überschriften erscheinen in der Edition zur besseren Kennzeichnung unterstrichen. Die in der Hs. vorkommenden Merkpunkte am Rand der Spalten werden mit dem Zeichen n wie- dergegeben. Abkürzungen: s = solidus, Brsg = Braunschweig.

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Text

Die Dörfer des Gerichts Salzdahlum

1 /S. 67/Dat richte to Dalem [Salzdahlum].

Soltdalem [Salzdahlum]. Folgt leere Spalte.

/Konzeptblatt 70a recto, Hand G/Dalem 100 hove 1 minus. De hord 10½ hove Hermens Vech(telde) unde 5 H(enning) Holtniker. 6 Lud(eke) Valeb(erch). Broddus(en) a 6. Abbet s(unte) Illigen [Kloster St. Ägidien in Brsg] 17½. Heren berch [St. Cyriacusstift vor Brsg] 2½. Perner to s(unte) Merten 4 [St. Martin in Brsg]. Lud(elf) Velt(em) 6. Boltvin Dalem [fehlt Hufenzahl]. a Lesung unsicher

Adelem [Ahlum]. [Hand C] 7 hove to Riddarshusen [Kloster Riddagshausen vor Brsg]. 4 hove Vri- cke Remmelinghe. 5 hove de heren ut der borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 1 hove eyn here ut der borch. 1 hove der Detmerschen. ½ hove Heneke Ebberdes. 1 hove Westerman. 7 hove Hans Horneborch. 1 hove der kerken to Ampleue [Ample- ben]. 6hove unser leven Vruwen to dem spettale [St. Marienspital in Brsg]. 2 hove Hermen Holtnicker. 7 hove her Jan Knokenhauwer monick. ½ hove Hans Stapel. 1hove Henningh Went. ½ hove Bernd Mollenberch. ½ hove der Reynderschen. 1hove Herman Reyndes. 1 hove de pape darsulves. 1 hove Clawes hogreve. 1 hove Hans Kolde. 4 hove der heren ut der borch. 1 hove Ludeke Witten. 3 hove der heren ut der borch. 1 hove Ludeke Valeberch. 1 hove mester Verner tymmerman. 1½ hove Heyne Westphal. 1 hove Brant Grashoff. 2 hove Bertram Aldach. 1 hove Gheysmer. 1 hove Heneke Ebberdes. 1½ hove Clawes hogreve. 1 hove Ludeke Meus. 1 hove Bertelt van Bornum. 1 hove Henemanne Monneke. 1 hove Heneke Tilen. 1½ hove Arnde Piper. 1 hove des papen to Atzem [Atzum]. Summa 73 hove. [Am Rand:] Item de teghe (!) der van Riddershusen.

2 /S. 68/Dalem.

Atelsem [Atzum]. [Hand A?] 5 hove de pape darsulves. 7½ hove Hermen van Adelem. 1½ hove Heyneke Roleues. 1½ hove Bertram unde Bernd Bertrammes. 4 hove her Hauea in de borch [Burg in Brsg]. 3½ hove de heren in der borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 3 hove Ludegher Sterneberch. 1 hove Brand unde Knorre van Atelsem. 2 hove go- greven kyndere. 2 hove dat goddeshus van Adelem [Ahlum]. ½ hove Ludeke Meus.

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n 1 hove Fricke van dem Damme. n 2 hove Hermen Gosler. n 2 hove de Memeringhe. n 13½ hove Hans Horneborch. a Lies Hane?

Wendessem [Wendessen]. [Hand C] 6 hove in de borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 7½ hove Hans Ghust(ede). ½ hove Henningh Membringh. 1 hove Bernd Hertzen. 1½ hove de Kritersche. 1 hove de Hune. 1 hove Leppelt. 1 hove de Holtorpesche. 2 hove in de kerken darsulves. 1 hove Berclingh. 3 hove Tile Ebelinges. 1 hove Buringh to Volczem [Volzum]. ½ hove Bernd Bertram to Atzem [Atzum]. 1 hove Merten Kunnen to Hachem [Hachum]. 1 hove Heneman Ebberdes to Adelem [Ahlum]. 1 hove de Oldendorpesche to Neyndorpe [Neindorf]. ½ hove sunte Longini to Wulffelbutel [St. Longinuskapelle in Wolfenbüttel]. 1 hove de Bornum. 1 hove de Meyeringhoue. De Holtorpes hove 1. Dusser hove is boven 20, dar de heren in der borch hebben an isliker 1 schepel wetes unde 6 s dar to tynsse an ore hove. De teghede halff der Crulle, de ander helff [Name fehlt].

3 /S. 69/Dalem.

Lyndem [Linden].

[Hand A] 24 hove to Stederborch [Stift Steterburg]. n 4 hove Hermen van Vech- telde. n 4 hove Hermen Cruse. n 4 hove Hans van Gustede. n 5 hove de Kubbelinghe. a n ½ hove Hinrik Lutherdes. 2½ hove Hinr(ik). 1½ hove. ½ hove . Boldewyn van Dalem ½ thegheden. Hans Kale ½ thegheden. a In der Hs. erscheinen die Einträge 1½ hove. ½ hove untereinander gesetzt.

Apelerstede [Apelnstedt]. Folgt leere Spalte.

4 /S. 70/Dalem.

Roten [Rautheim]. [Hand C] 4 hove Hinrik Lutterdes. 2 hove Kord Bansleue. 2 hove Roleff van Schepenst(ede). 1 hove Bertelt salunemeker. 1 hove Tile voghet. 3 verdeyl Alrucze sidensticker. ½ hove Myle. ½ hove Hinr(ik) van Ingheleue. 15 hove de van Rid- dershusen [Kloster Riddagshausen vor Brsg]. 12 hove de heren van sunte Egidien [Kloster St. Ägidien in Brsg]. 11 hove de heren ut der borch [St. Blasiusstift in Brsg], 2hove. 3hove de heren up dem berghe [St. Cyriacusstift vor Brsg]. 1 hove sunte Ol- rick [St. Ulrich in Brsg]. 3 hove sunte Thomas [St. Thomasspital in Brsg]. 1 hove sunte Lenard [St. Leonhardsspital vor Brsg]. 1 hove sunte Magnus [St. Magnus in Brsg].

Meluerode [Melverode]. Folgt leere Spalte.

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5 /S. 71/Dalem.

Capelstockem [Stöckheim b. Braunschweig].

[Hand B] n 7 hove de van der Heyde. n 4 hove Curd Elers unde de van der Heyde. n 4 hove Egghelingh Strobeke. n 8 hove Borchtorpe unde Algherstorpes wives moyme to orer beider lyve, de horen to Stidderborch [Stift Steterburg]. n 4½hove to sunte Tho- mase [St. Thomasspital in Brsg]. 6 hove der van sunte Ylien [Kloster St. Ägidien in Brsg]. 4 hove to Stidderborch. 5 hove den papen [St. Blasiusstift in Brsg]. 6 kothove unde 1 buhoff de van der Heyde. 2 kothove to sunte Ylien. 6 kothove to Stidder- borch. 2 kothove in de borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 2 kothove Eggeling(es) van Strobeke. 1 kothoff den papen [St. Blasiusstift in Brsg]. 1 kothoff to den hilghen. 3kothove to sunte Thomase [St. Thomasspital in Brsg]. Desser kothove sint 15 be- sat unde 9 is er wuste. 5 kothehove und(er) dessen heren in de stad, de sint besat. n Den ghantsen thegheden hort Curde unde Brande Elers, n Hinr(ik) unde Diderik van Bornum.

Die Dörfer des Gerichts Evessen

6 /S. 72/Dat richte to Euesem [Evessen]. Euesem. Folgt leere Spalte. Hotzelem [Hötzum]. Folgt leere Spalte.

7 /S. 73/Euesem.

Tzicte [Ober- und Niedersickte] [Hand B] 5 hove unde 3 vorling(e) in de borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 4 hove uppe den berch [St. Cyriacusstift vor Brsg]. 1½ hove de abbet to Riddershusen [Kloster Riddagshausen vor Brsg]. 1 hove de pape van Volcmerrode [Volkmarode]. 3 hove de Schuttesche, dar hebbet de papen uter borch [St. Blasiusstift in Brsg] 4 s to tynse an unde de papen van Gosler [Reichsstift St. Simon und Judas in Goslar] hebbet darane 13 s to tynse. 1 hove Hennig(es) molre, dar hebbet de papen uter borch tyns ane. 10 hove de papen uter borch, dar het He(ning) Salghe tyns ane, der ligghet en dels in dem overen dorpe. n 2 hove Curd Vrsleue. n 3 hove Hinrik Doring(es). n 4½ hove Hermen Vrsleue. n 4 hove de Bornum. n 1 hove de Kubbelinghe. 3 hove des Wrighen sone to Sicte. 1 hove Tile Kremmelig(es) to Tzicte. 1 hove Wuole to Tzicte, de gifft dem hertoghen tyns. 1 hove Schickelman, de is fry. 1 hove Hans Lud- dinghers. ½ hove Greten Curdes to Tzicte. n Den halven thegheden heff (!) Hinrik Doring(es), Curd Doring(es) unde He(ning) Zalghe hebben de anderen helffte de thegeden.

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Voltzem [Volzum] [Hand A] 5 hove Tile van Calue. 3 hove Hinr(ik) Doring. 3 hove Ludeke Lynde. 2hove de Bornum. 2 hove Heyne van Zegherde. 2 hove Bernd van Voltzem. 1hove Torney. 1 hove Hoyer Kruse. ½ hove Ludeke Valberch. 2 hove hern Wilken, de perner in der borch [Burg in Brsg]. 3 hove to dem hospitale to unser Fruwen [St. Marienspital in Brsg]. 1½ hove to sunte Ylien [Kloster St. Ägidien in Brsg]. 1hove dat swarte cruce in der borch [Imervard-Kreuz1 im St. Blasiusstift in Brsg]. 1 hove Hans van Voltzem. 5 hove to Riddagheshusen [Kloster Riddagshausen]. 4hove Bosse van Voltzem. 3 hove in de kerken darsulves. ½ hove in de kercken to Gerdessem [Gardessen]. ½ hove in de kercken to Honleghe [Hondelage]. 1 hove in de kercken to Monneke Valb(e)r(ge) [Mönchevahlberg]. 1 hove in de ker- cken to Wendessem [Wendessen]. ½ hove Boring to Voltzem. 1 hove de alderlude to Voltzem. 1½ hove Heyneke Bossen to Hachem [Hachum]. 1 hove de Krulle. ½hove Bernd unde Hinrik to Tzicte [Ober- oder Niedersickte]. Den halven thegheden de Krulle. De anderen helffte de Cramers.

1 Am Imervardkreuz wurde ein Ewiges Licht unterhalten, siehe oben Anm. 111.

8 /S. 74/Euesem.

Hachem [Hachum]. [Hand B] 8 hove to Riddershusen [Kloster Riddagshausen vor Brsg]. 4 hove de uter borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 1 hove dat goddeshus to Hachem. ½ hove Gilsem. 1 hove Velegut. ½ hove de Runighessche. ½ hove de Buringessche. ½ hove Hans Borchardes. 2 hove Merten unde Heneke Bosse. 1 hove Vrederik. 1½ hove Merten

Kunnen. 4½ hove Haubom. n 2 hove de Vrsleue. n 4 hove He(ning) van Tyde. n 1 hove de Elerssche. n 1 hove Eggeling(es) Schalling(es) kindere. n Den gantsen thegeden Vrsleue unde Kerchoff.

Gylczem [Gilzum]. [Hand A] 3½hove Ludeke Hermens to Gilczum. 2 hove Merten Kunne to Hachem [Hachum]. 1 hove sunte Merten [St. Martin in Brsg]. 5 hove in de borch [St. Bla- siusstift in Brsg]. 4 hove Hans unde Wedege Pawel. ½ hove Luder Scitider to Euesem [Evessen]. ½ hove Henning Gilczem to Hachem. 1 hove Her(wig) Ludeger to Vogedes Dalem [Groß Dahlum]. 5 hove to Riddagheshusen [Kloster Riddags- hausen vor Brsg]. 1 hove Henning Berndes to Gilczem. ½ hove Freder(ke) Luders to Euesem. 5 hove Heyneke Bossen to Gilzem. ½ hove in de kercken to Odelem [Eilum]. 2 hove in de kercken to Gilczem. 2 hove Bernd Lampen to Weuerling [Weferlingen]. 3 hove Luder Wynneken unde Grellenord. Den halven thegheden de Krulle. De anderen helffte de Gyltzensche.

9 /S. 75/Euesem. Weuerling [Weferlingen]. Folgt leere Spalte. Odelem [Eilum]. Folgt leere Spalte.

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/S. 76/Euesem. Detten [Dettum]. Folgt leere Spalte. Erkeroda [Erkerode]. Folgt leere Spalte. a Die Überschrift Erkerod ist in der rechten Spalte etwas nach unten gerückt, vielleicht um für die Eintragungen zu Dettum über die linke Spalte hinaus Raum zu gewinnen.

/S. 77/Euesem. Hemekenrod [Hemkenrode]. Folgt leere Spalte. Schulenrod [Schulenrode]. Folgt leere Spalte.

10 /S. 78/Euesem.

Veltem [Veltheim]. [Hand B] 3 hove de wedeme. 1 hove in de borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 4½ hove uppe dem berch [St. Cyriacusstift vor Brsg]. 2 hove de perner to Honleghe [Hondelage]. 2 hove to Lukkelum [Deutschordenskommende Lucklum]. ½ hove de perner to Abbenrode [Abbenrode]. n 4 hove to sunte Joste [St. Jodocusspital vor o Brsg]. 22 hove de van Veltem. n 5 hove Hans Kale. n 7 hove de Husessche. n 7 hove

Hilmer Strobeke. n 2 hove Hermen Vrsleue. n ½ hove de Veltemesche. 2 hove Jan Went. 2 hove Curd Gheuerdes. ½ hove Hennigh Roleues. n De gantse theghede Vrsleue unde Calue.

Kremmelinghe [Cremlingen].

[Hand B] n 3 hove Hinrik unde Diderik Bornum. n 3 hove de Lessessche. n 5 hove

Hinrik Peters. n 4½ hove Eykenrod. n 2 hove Curd unde Brant Elers. 7 hove to Rid- dershusen [Kloster Riddagshausen vor Brsg]. 4½ hove de van Veltem. 3 hove den papen [St. Blasiusstift in Brsg]. 1 hove Hans Sanne. 14 kothove der van Veltem, der sint 5 besat. 2 kothove der van Luckelum [Deutschordenskommende Lucklum], de synt besat. 1 kothoff Hinrik Peteres, de is besat. 2 kothove der van Riddershusen besat. 3 kothove Eykenrod, der sint 2 besat. 1 kothoff de Lessessche, de is wuo ste. 1 buhoff Curd unde Brant Elers unde 1 kothoff, de is wuste. 1 wort, de hort in dat godeshus. 1 wort, de hort Ludelues van Veltem. De gantse theghede hort to Riddershusen.

Die Dörfer des Gerichts Schöppenstedt

/S. 79 leer/ 11 /S. 80/Dat richte to Schepenstede [Schöppenstedt].

Schepenstede. [Hand A] To dem westeren dorpe [Westendorf] to Schepenstede synd 52 hove landes. Der horen 8 hove der heren in der borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 4 hove Grotehene. 4½ hove to sunte Berwardes altare to dem hospitale to Brunsw(ik) [St. Marienspital in Brsg]. 4½ hove unde 16 morgen Roleff van Schepenstede.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 95

3hove to der capellen [St. Peterskapelle in Schöppenstedt] darsulves. 7 hove Wer- neke Kalm unde Ludeman Henen. 1 hove Ludeman Henen. 4½ hove Fricke van dem Damme. 2 hove de perner to Schepenstede.

Bantsleue [Bansleben].

[Hand B] n 7 hove Achacius Grube. n 7 hove Denigh. n 6 hove Valeberch. n 7 hove 1 v(erndel) Roleff Scheppenstede. n 16½ hove Dam. 2 hove to Luckelum [Deutsch- ordenskommende Lucklum]. 2 hove de perner darsulves. 3 verndel der bure.

/Konzeptblatt 70a verso, Hand G/Bantsleue. 48½ hove. Hord 7 Agacius. 7 De- ringh. 6 Valeb(erch). 7 1 v(erndel) Rol(eff) Schepenstede. 16½ hove Dam. 2 hove Lukkelem. 2 perner darsulves. 3 verndel der bure.

12 /S. 81/Schepenstede.

Aluenuelt [Allum, wüst]. [Hand A] 9 hove Ludeke Valberch unde sine vedderen to Schepenstede. 4 hove Ludeke van Lynde. 1 hove de Kalemeyer.

Vrde [Uehrde]. Folgt leere Spalte.

/S. 82/Schepenstede. Wadexem [Watzum]. Folgt leere Spalte. Werle [Warle]. Folgt leere Spalte.

13 /S. 83/Schepenstede. Slistede [Schliestedt]. Folgt leere Spalte.

Kletlinghe [Kneitlingen]. [Hand E] 4 hou ve Jan van Ampeleue. 3½ hove alle de van Ampleue. 2 hove Hol- torp to Cletlinge. 7 hou ve hern Hak(en) sone to Cletlinge. 4 hove in de kerken to

Cletlinge. n 3 hove Kalckborner in der Olden Wik [Alte Wiek in Brsg]. 2½ hove Herwich van Vtze.

[Hand A] Den halven thegheden sunte Lenerd [Leonhardsspital vor Brsg]. n De anderen helffte Bertram Velstede.

14 /S. 84/Schepenstede. Eytzem [Eitzum]. Folgt leere Spalte. Kubbelinghe [Küblingen]. Folgt leere Spalte.

/S. 85/Schepenstede. Neyndorpe [Neindorf, wüst]. Folgt leere Spalte. Tzampleue [Sambleben]. Folgt leere Spalte.

/S. 86/Schepenstede. Twelken [Twelken, wüst]. Folgt leere Spalte.Bistorpe [Bistorf, wüst]. Folgt leere Spalte.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 96 Ulrich Schwarz

/S. 87/Schepenstede. Holtorpe [Holtorf, wüst]. Folgt leere Spalte. Bernstorpe [Barnstorf]. Folgt leere Spalte.

/S. 88/Schepenstede. Berclinghe [Berklingen]. Folgt leere Spalte. Voghedes Dalem [Groß Dahlum]. Folgt leere Spalte.

/S. 89/Schepenstede. Lutken Dalem [Klein Dahlum]. Folgt leere Spalte.

Die Dörfer des Gerichts Jerxheim

15 /S. 90/Dat richte to Jerxem. Watenstede [Watenstedt]. Folgt leere Spalte. Beyerstede [Beierstedt]. Folgt leere Spalte.

/S. 91/Jerxem. Solinghe [Söllingen]. Folgt leere Spalte. Neynstede [Hohen-Neinstedt, wüst]. Folgt leere Spalte.

/S. 92/Jerxem. Zekere [Secker, wüst]. Folgt leere Spalte. Jerxem dat dorp. Folgt leere Spalte.

/S. 93/Jerxem. Gheuensleue [Gevensleben]. Folgt leere Spalte.

/Konzeptblatt 70a recto, Hand G/To Gheuensle(ue) liged 84 hove, der sint 21½ des provest(es) Rennenb(erch) [Kloster Rennelberg vor Brsg]. Unde 6 Vorsters. Unde 5 de Sciltreme(n)sz. Unde 2½ H(ermen) Vech(telde). Unde 1 perner Katerinen [St. Katharinen in Brsg]. Unde [folgt spatium] Hinr(ik) Luthert. Unde 6Kram(er) to Helmest(ede) [Helmstedt]. Dat ander heren in de borch [St. Blasiusstift in Brsg]. Unde utludena. a lies ut in den?

Ingheleue [Ingeleben]. Folgt leere Spalte.

/S. 94/Jerxem. Ventsleue [Vensleben, wüst]. Folgt leere Spalte. Krelinghe [Kreitlingen, wüst]. Folgt leere Spalte.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 97

Die Dörfer des Gerichts Asseburg

/S. 95 leer/ 16 /S. 96/Dat richte to der Asseborch. Groten Denckte [Groß Denkte]. Folgt leere Spalte.

Lutken Denckte [Klein Denkte]. [Hand A] 4 hove Ghereke Pawel. 3 hove Tile van Calue. 2 hove Vit van Stockem. 6hove her Jan Tzerstede. 1 hove Santgroue. 8 hove de van Veltem unde de ebbe- desse van Gandersem [Reichsstift Gandersheim]. 2 hove der bur. De theghede is der Remmeling(e).

17 /S. 97/Asseborch. Monneke Valberg(e) [Mönchevahlberg]. Folgt leere Spalte. Groten Valberghe [Groß Vahlberg]. Folgt leere Spalte.

/S. 98/Asseborch. Lutken Valberghe [Klein Vahlberg]. Folgt leere Spalte. Groten Wynningstede [Groß Winnigstedt]. Folgt leere Spalte.

/S. 99/Asseborch. Lutken Wynningstede [Klein Winnigstedt]. Folgt leere Spalte. Rokele [Roklum]. Folgt leere Spalte.

/S. 100/Asseborch. Wettesleue [Wetzleben]. Folgt leere Spalte. Hedebere [Hedeper]. Folgt leere Spalte.

18 /S. 101/Asseborch.

Zenstede [Seinstedt]. [Hand Aa] 7 hove de van Drubeke [Kloster Drübeck]. 3 hove sunte Lenerd [St. Leon- hardsspital vor Brsg]. 6 hove sunte Ylyen [Kloster St. Ägidien in Brsg]. 3½ hove Henning Meyers kyndere. 1 hove de sulve. 3 hove de Rokelen Vente. 3½ hove Betman unde Hermen Zenstede. 2 hove Hermen Ebbertes. 2 hove Didersing. 1½ hove Bosse Wrampe. 1 hove Alerd Borchtorp. 1 hove Ludeke Helmestede. 2hove Papestorp. 4 hove de perner darsulves. 1 hove de Helmoldes des papen. 1 hove de alter hove des papen. In dessen neghest(en) hoven hefft de abbet to sunte Mychaele to Hil- densem tyns [Kloster St. Michael in Hildesheim]. Primo 3½ hove de Mathiese. ½hove Rokelen Vente. 1 hove Fricke vor der Sadel. ½ hove Hermen der Westene. 1½ hove Hermen Boten. 1 hove Hanne Voghedes. ½ hove Trereman. Dyt hord in de stad: 3½hove Wulff. 3 hove Henning Bercling. 1½hove de Woyen. 1 hove Hermen Zenstede. 1½ hove Henning Gris. 2 hove Hermen Kok. 2 hove

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 98 Ulrich Schwarz de Ruschersche. 1½ hove Cord Doring. 1 hove Bertram Velstede. 1 hove de olde Gabbenstotesche. 2 hove Tidericus Zenstede. Summa 70 hove, der horet 20 hove der borghere. a Die Hand Agliedert den Text durch horizontale Linien in drei Absätze.

Achem [Achim]. Folgt leere Spalte.

19 /S. 102/Asseborch. Borsene [Börssum]. Folgt leere Spalte. Bornum [Bornum]. Folgt leere Spalte.

/S. 103/Asseborch. Kissenbrucghe [Kissenbrück]. Neyndorpe [Neindorf].

20 /S. 104/Asseborch. Sotmer [Sottmar]. Folgt leere Spalte.

Witmer [Wittmar]. [Hand A] 14 hove to der Asseborch. 6 hove de van Weuerling(e). 6 hove de perner a darsulves. n 2 hove Tile Kouot. 5 hove to Riddagheshusen [Kloster Riddagshausen vor Brsg]. ½ hove Santgroue to Denckte [Klein Denkte]. Hir is neyn theghede. a II korr. aus VI?

21 /S. 105/Asseborch. Osterbywende [Klein Biewende]. Folgt leere Spalte. Westerbywende [Groß Biewende]. Folgt leere Spalte.

22 /S. 106/Asseborch. Tymbern [Timmern]. Folgt leere Spalte.

Kalm [Kalme].

[Hand B] n 3 hove to unser Fruwen to dem spettale [St. Marienspital in Brsg]. 1hove her Bosse van der Asseborch. 3½ hove de perner in dem dorpe dar. ½hove de abbet van sunte Ylien [Kloster St. Ägidien in Brsg]. ½ hove de pape to Sen- stede [Seinstedt]. n 3½ hove dat closter up dem Rennelberch [Kloster Rennelberg vor Brsg]. 4 hove Tile Picht, dar hefft de provest van Stotterlingheborch [Kloster Stötterlingenburg], de domheren van Halberstad [Domkapitel in Halberstadt] unde Eylerd van der Heyde den tyns an. 1 hove de abbet van Lutter [Kloster Königs- lutter]. 2 hove de domheren to Halberstad. 2 hove dat slot to der Asseborch [Asse- burg]. n 2½ hove Hermen van Vechtelde. n 1 hove Eylerd van der Heide. n 2½ hove

He(nning) Bercling(es) in der Olden Wik [Weichbild Alte Wiek in Brsg]. n 1½ hove Tile Bercling(es) vor dem Steyndore [Steintor in Brsg]. 1 hove He(nning) Picht to

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Kalem [Kalme]. 1 hove Bertolt Rokel to Senstede [Seinstedt]. ½ hove eyn ander man, de wonet in dem dorpe to Kalem. n De gantse theghede hort des Zalghen.

23 /S. 107/Asseborch. Remmelinghe [Remlingen]. [Hand Aa] 4 hove de abbet to sunte Mychaele to Hildensem [Kloster St. Michael in Hildesheim]. 2 hove to sunte Katherinen to Brunsw(ik) [St. Katharinen in Brsg].

1 hove uppe dem berch [St. Cyriacusstift vor Brsg]. n 1 hove Eylerd Gustede. 2½ hove Henning Fricken. 5 hove to sunte Ylien [Kloster St. Ägidien in Brsg]. 3½ hove to sunte Ylien. 3½ hove echt uppe dem berch. 3½ hove to sunte Lenerde [St. Leonhardsspital vor Brsg]. 3 hove echt to sunte Lenerde. 4½hove echt to sunte

Lenerde. Item 3 hove uppe dem berch. n 5 hove Gherwen van Hamelen. 6½ hove, dar hefft Hinrik Lutherdes tyns an unde horet n 5½ hove de Kubbelinghe. 3½ hove in de borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 1 hove in de borch. Item 6 hove de abbet to sunte Mychaele. 4 hove, dar hefft Hinrik Lutherdes tyns an. 3 hove sunte Merten to Brunsw(ik) [St. Martin in Brsg]. 3 hove sunte Mychael to Hildensem. Eyn verndel des thegheden Hans Kale. Eyn verndel Hans Gustede. Eyn verndel Eylerd Gustede. Eyn verndel de Doringhe. a Die Hand Agliedert die Hufenaufzählung in zwei Absätze.

Tzymmenstede [Semmenstedt]. Folgt leere Spalte.

Die Dörfer des Gerichts Beddingen

/S. 108 leer/ 24 /S. 109/Dat richte to Beddinghe.

Leyfforde [Leiferde]. [Hand B] 6 hove her Hinrik van Bortuelde. 2 hove de van Stidderborch [Stift Steter- burg]. n 6 hove Meynardus. n 9 hove de Euensen. n 4 hove Eggheling(es) Schallinghes. o n 2 hove Ruscher. n 6 hove de Poldesche. 2 hove de pape darsulves.

Groten Stockem [Groß Stöckheim]. Folgt leere Spalte.

25 /S. 110/Beddinghe. Halchter [Halchter]. Folgt leere Spalte. Vymmelsen [Fümmelse]. Folgt leere Spalte.

26 /S. 111/Beddinghe. Adersem [Adersheim]. Folgt leere Spalte.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 100 Ulrich Schwarz

Ymmendorpe [Immendorf].

[Hand A] n 5 hove Lubbert van Brokelde. n 1 hove Henning Hedelendorp. n 6 hove

Bertram Velstede. n 3 hoven Henning Fricken.½ hove Henning Wichman. 4 hove

Borchard van Neyndorpe. n 3 hove Heyneke Monnekes. 2½ hove de perner dar- sulves. ½ hove de Rennelberch [Kloster Rennelberg vor Brsg]. ½ hove Cord van a Zalder. n ½ hove Hermen Tydemans. ½ hove Ludeman Lenghedes. 2½ hove Hen- ning Drewes. ½ hove Henning Klot. n 5 hove de Doringhe. n 1 hove Fredeken. 1 hove Beyersteden. De halve theghede des perners to sunte Petere [St. Peter in Brsg]. De andere helffte uppe dem Rennel(berch). a folgt gestrichen Ludeman

27 /S. 112/Beddinghe. Drutte [Drütte]. Folgt leere Spalte. Blekenstede [Bleckenstedt]. Folgt leere Spalte.

28 /S. 113/Beddinghe.

Sowinghe [Sauingen].

[Hand B] n 6½ hove der Doringhe. 3 hove dem domproveste [von Hildesheim]. 4 hove den heren to sunte Johanne to Hildensem [Stift St. Johann in Hildesheim]. 2 hove, de horet eynes papen. 3 hove to Stidderborch [Stift Steterburg]. 1 hove Her- vechta to Vreden [Freden]. 2 hove horen der Tympen. 2 hove horen Tilen Rickelen in dem dorpe. n 1 hove Merten Hingestes. n 2½hove der Evense(n). 2 hove, de horet der Hardewige to Blekenstede [Bleckenstedt]. ½ hove Gustede in dem dorpe dar. ½ hove Louwen in dem dorpe dar. ½ hove Hans Ernstes to Velstidde [Vallstedt]. 1 hove Tornberghes in dem dorpe. 2½ hove hort mennen to Blekenstidde, Hans Hoyers, Hen(ing) Werners unde Witte Moller(es). De ghantse theghede hort dem domproveste to Hildensem [Dompropst zu Hildesheim]. a Lesung unsicher, korr. aus Herbordes

Beddinghe [Beddingen]. [Hand D] 40 hove dem domprovest to Hildensem [Dompropst zu Hildesheim]. 15½ hove de van Stidderborch [Stift Steterburg]. 4 hove sunte Andreas [St. An- dreas in Brsg]. 3 hove to dem hilghen Cruce to Hildensem [Stift zum Hl. Kreuz in Hildesheim]. 3 hove in de kerken darsulves. De ghantse theghede hort des domprovestes to Hildensem.

29 /S. 114/Beddinghe. Uuinghe [Üfngen]. Folgt leere Spalte.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 101

Tyde [Thiede]. [Hand B] 7 hove dat closter to Stederborch [Stift Steterburg]. Itema 1 hove. Item

6 hove. Item 1 hove. Item 7 hove. Item 4 hove. Item 1 hove. 4 hove de pape. n 2 hove des Roden. 4 hove Snelrad. n 4 hove Arnd Ghandersem. 1 hove de Ilbertes. n 4 hove Ecgheling(es) Wacghe. 4 hove Hinrik van Stockem. n 2 hove de perner to sunte Katherinen [St. Katharinen in Brsg]. n 4 hove de perner to sunte Magnus [St.

Magnus in Brsg]. 3½ hove uppe den berch [St. Cyriacusstift vor Brsg]. n 3 hove

Hans van Tyde. n 4 hove de Schallingessche. 2 hove Henninges Klawes. ½ hove Hinrikes. 1 hove in de kercken. 1 hove to sunte Longine [Kapelle St. Longinus in Wolfenbüttel] n De gantse thegede hort Euens(en) unde Ghandersemmes. a In der Hs. erscheinen die mit Item beginnenden Einträge in Zweiergruppen untereinander gesetzt.

30 /S. 115/Beddinghe. Wirthe [Wierthe]. Folgt leere Spalte.

/Konzeptblatt 70a verso, Hand G/Wyrte. 22 hove. Hord Her(men) Vech(telde) 1. De h(e)r(e)na a Lesung unsicher

Aluedesse [Alvesse]. Folgt leere Spalte.

31 /S. 116/Beddinghe.

Velstede [Vallstedt]. [Hand C] 6 hove de heren up dem berghe [St. Cyriacusstift vor Brsg]. Item 4 hove. Item 4 hove. Item 1 hove. 3 hove de diaken up dem berghe. 1½hove de slapscholer up dem berghe. 6½ hove de heren in der borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 2 hove Bulteman. 3 hove Gherwyn Hamelen. ½ hove Hermen Schene unde Haghenbrughe. 1½ hove Hake. 2½ hove Ludeke Tilen. 1 hove Ludeke Ekleue. 1 hove Ludeke Berndes. 2 hove Ludeke Pil. 2 hove Henningh van Dunghen(en). 1 hove Henningh Tymmen. 3 verndeyl in de kerken. 1 hove Heneke Scaper unde Bredekop. 1 hove Ludeke Ghummers. 1 hove Bertram Granena unde Henningh Tymmen. 2½ hove Johan Alberdingh. 3 hove Cord Sastingh. ½ hove Eghelingh Suthoff. ½ hove Hinrik Sitster. 4 hove Henningh Neddermeyer. ½ hove de smed. 1 hove de Ghoslersche. ½ hove Hinrik Jutten. 1 hove Ludeman Groper. ½ hove Grete Lampen. ½ hove Heneman Lampen. ½ hove sin broder. ½ hove Heneke Berteldes. 3 verdeyl Ghum- mers. 1 hove Berteld van Dudinghe unde Heneman Czastingh. 1 verdeyl Hermen Granena. De thegeden 3 verdeyl Wasmod van Kemme.1 verdeyl Luder van Brokelde.

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/Konzeptblatt 70a recto, Hand G/Valst(ede) 82½. Hord Gherwens. a lies Grauen?

Koe chinghe [Köchingen].

[Hand B] n 2 hove de Elersche. n 5 hove de perner to sunte Merten [St. Martin in Brsg]. 3 hove de perner darsulves. 11 hove de heren uter borch [St. Blasiusstift in

Brsg]. n 4 hove unser lewe Frowe dem spetal(e) [St. Marienspital in Brsg]. 4 hove de pape to Leyfferde [Leiferde]. 1 hove de pape to Wirte [Wierthe]. 1 hove to Sun- nenberge [Sonnenberg] in de kerken. 1 hove Bremer van Kochinge. 1 hove Ghan- dersem vor dem Vallersleueschen dore [Fallersleber Tor in Brsg]. 2 hove minus 1 verndel Pile to Velstede [Vallstedt]. 1 hove Hillebrant to Kochinghe. 3 hove de perner to Smedenstede [Groß oder Klein Schmedenstedt]. ½ hove Bertram Grane.

½ hove to Gadenstede [Gadenstedt] in de kerken. n 1½ hove Hans Rike. 2 hove to Velstede [Vallstedt] in de kerken. 1 hove Hintsen Ghesen to Welde [Wahle]. ½ hove to Denstorpe [Denstorf] in de kerken. 1 hove de deken uppem berch [St. Cyriacusstift vor Brsg]. ½ hove to Munstede [Münstedt, wüst] in de kerken. ½ hove in de kerken to Welde. 1 hove Dungman. 1 hove de Marchgreue.

De halve theghede hort in de borch [St. Blasiusstift in Brsg]. n De ander helffte hort sunte Thomase [St. Thomasspital in Brsg].

32 /S. 117/Beddinghe.

Stydium [Stiddien]. [Hand A] 8 hove Ludeke van Wendessem. 5 hove Cord van Brostede. 4 hove Hans Horneborg in dem Zacke [Weichbild Sack in Brsg]. 3 hove Schalling. 3 hove Lu- degher to Stydiem. ½ hove in de borch [St. Blasiusstift in Brsg]. ½ hove in de kercken darsulves. Den halven thegheden Wichman van Holleghe. Eyn verndel de van Zalder. Eyn verndel eyn pape.

Ghetelde [Geitelde]. [Hand B] 6 hove de papen uter borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 23½ hove to Stid- derborch [Stift Steterburg]. n 6 hove unde 1 verndel He(nning) Zalghe. n 5 hove Hans van Euensen. 2 hove de perner in dem dorpe. 1 hove unde 1 verndel Ebeling(es) dar in dem dorpe.

De theghede halff hort eynes papen in der borch unde de ander helffte des n thege- den Hanse van Euense.

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Die Dörfer des Gerichts Eich

/S. 118 leer/ 33 /S. 119/Dat richte to der Eek.

Runinghe [Rüningen]. [Hand B] 3 hove in de borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 3½ hove uppe den berch

[St. Cyriacusstift vor Brsg]. n 6 hove de perner to sunte Peter [Petruskirche in Brsg]. 4 hove to der wedeme. 2 hove to Stidderborch [Stift Steterburg]. ½ hove Ghetelde.

½ hove Wenden. 3 vorlinghe Groten Stockem [Groß Stöckheim]. n 6 hove Hinrik

Doring(es). n 7½ hove de Vrsleue. n 6 hove Symmenstede. n 3 hove Stapel. n 4 hove

Linde. n 1 hove Kerchoff. n 1 hove van der Molen. 1 hove Curd Gheuerdes.

De halve thegede hort in de borch. n De ander helffte hort Vrsleuen.

Brotzem [Broitzem]. [Hand A] 10 hove de Pawelsche unde 3 hove, de geven 30 s to tynse. 6 hove Cord Becker. 4 hove Hans van Euensen. 4 hove sunte Ylien [Kloster St. Ägidien in Brsg]. 5 hove to der wedemen. 19 hove sunte Johan to Brunsw(ik) [Johanniterkirche in Brsg]. 6 hove uppe de(m) Rennelb(erch) [Kloster Rennelberg vor Brsg]. 2 hove to sunte Marien Magdalenen altarea. 8½ hove in de borch [St. Blasiusstift in Brsg]. ½hove de Sweneken. 2 hove [Name fehlt]. Den halven thegheden Ghereke unde Hans Pawel. De anderen helffte de Strobeke- sche. a Die Angabe der Kirche fehlt. Für Braunschweig kommen in Frage die Kirchen St. Andreas, St. Mi- chael, St. Ulrich, St. Cyriacus. Für St. Blasius ist ein eigenes Kapellengebäude bezeugt.

34 /S. 120/To der Eek.

Tymberla [Timmerlah]. [Hand D] 2 hove Cord Brostede. 2 hove Velstede, Notberch. 6 hove sunte Johan- nes to Brunsw(ik) [Johanniterkirche in Brsg]. 3 hove Teysel. 6 hove de heren ut der borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 4 hove Bertram Schutten kindere. 2 hove to Denstorpe [Denstorf] in de kerken. 2 hove to sunte Mychele [St. Michael in Brsg]. 3 hove sunte Merten [St. Martin in Brsg]. 2 hove dar in de kercken. 1 hove de deken uter borch. 1 hove de perner up dem berch [St. Cyriacusstift vor Brsg]. 9 hove to user Fruwen tom spetale [St. Marienspital in Brsg]. 7 hove de Meyrig(es). 2 hove Roleff. De halve theghede hort Bertram van Velstede. De ander helffte hort Hinrik Swalenberg(es).

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 104 Ulrich Schwarz

Sutgledinghe [Groß Gleidingen] [Hand A] 9 hove Hermen Reyneken. 9 hove Henning Reyners. 4 hove Grotejan van Denstorpe. 1½ hove Brand Abbenrodes. 1 hove Witten Vente. 1½ hove Ludeke Bossen. ½ hove de perner to sunte Andrease [St. Andreas in Brsg].

35 /S.121/To der Eek. Sunnenberghe [Sonnenberg]. Folgt leere Spalte.

/Konzeptblatt 70a recto, Hand G/Sunnenberge liged 40 hove. Der sint 8 hove Da- vid Sunnenberg. 4 hove Her(men) Vech(telde) (über d.Z. Hinrik Doring). 2 kalant [St. Matthäuskaland in Brsg]. [Folgt spatium] Reneberch [Kloster Rennelberg vor Brsg]. 4 der heren borch [St. Blasiusstift in Brsg]. [Folgt spatium] Der men in dem dorpe. 5 heren berch [St. Cyriacusstift vor Brsg]. 1 to Denst(orp).

Denstorpe [Denstorf]. [Hand B] 5 hove de abbet van sunte Mychael to Hilden(sem) [Kloster St. Michael in Hildesheim], dar hebbet de Eylerde den tyns an. 7 hove de archidiaken, dar hefft Kerchoff den tyns ane. 5 hove eyn pape in der borch, de het her Bernt to eynen altare [St. Blasiusstift in Brsg, St. Stephanus-Altar1]. 2 hove dat closter to Stidder- borch [Steterburg]. n 1½hove dat closter up dem Rennelberghe [Kloster Rennelberg vor Brsg]. n 3 hove de Zalghe. n 4 hove Kerchoff. n 2 hove Roleff van Scheppenstede. ½ hove, de hefft dar eyn knecht in dem dorpe. De gantse thegede hort dem archidiaken.

1Zur Identifizierung siehe oben Anm. 111; her Bernt ist mit Bernhardus Valeberch personengleich, siehe ebd.

36 /S. 122/To der Eek.

Nortgledinghe [Klein Gleidingen].

[Hand B] n 1 hove dat closter up dem Rennelberch [Kloster Rennelberg vor Brsg]. 10 hove sunte Thomas [St. Thomasspital in Brsg]. 6 hove de papen uter borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 2 hove to Stidderborch [Stift Steterburg]. 2 hove de pape to

Wetlemstede [Wedtlenstedt]. n 4 hove Curd Doring(es). n 5 hove Hennig(es) Zalghe. n 2 hove Schene in der Nyenstad [Weichbild Neustadt in Brsg]. n De ghantse thegede hort Hennig(es) Zalghen unde Roleff van Scheppenstede.

Wetlenstede [Wedtlenstedt]. Folgt leere Spalte.

37 /S. 123/To der Eek.

Lamme [Lamme]. [Hand D] 4 hove Curd Vrsleue. 7 hove dat closter upem Rennelb(erch) [Kloster Rennelberg vor Brsg]. 3 hove Palman. 1½ hove Wilken Fricke. 1 hove Reneke. 1 hove Hermen Schaper. 2 hove de deken uter borch [St. Blasiusstift in Brsg]. 3

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Amtsbezirke, Dörfer, Grundherren und Zehntherren 105 morghen Hans Westual. Item 6 morghen Westual. Item 6 morghen Hermen Meyer. Item 2 morghen Bertol. Item 4 morghen der Houemesterschen. Item Heneke Lode- wighes 12 morghen. Desse hove gifft 8 s den heren in der borch. 1 hove de heren uter borch. 1 hove Fricke Bodenstede. 1 hove [Name fehlt]. ½ hove de pape van Bortuelde [Bortfeld]. 1 hove de Cruse. 1 hove Hermen Houemester. 1½ hove de Recke. 3 hove Reyben. ½ hove de papen to Wetlenstede [Wedtlenstedt]. 1 hove de wedeme. Desser hove 12, de ghevet tyns den heren uter borch unde Hermen Bantsleue. De halve theghede hort Curde Vrsleuen.

Bortfelde [Bortfeld]. Folgt leere Spalte.

38 /S. 124/To der Eek. Twedorpe [Zweidorf]. Folgt leere Spalte. Glynt [Glinde, wüst]. Folgt leere Spalte.

/S. 125/To der Eek. Wendeborch [Wendeburg]. Folgt leere Spalte. Wendetzelle [Wendezelle]. Folgt leere Spalte.

/S. 126/To der Eek. Volklingherode [Völkenrode]. Folgt leere Spalte. Risschaw [Rischau, wüst]. Folgt leere Spalte.

/S. 127/To der Eek. Watenbutle [Watenbüttel]. Folgt leere Spalte. Elber [Ölper]. Folgt leere Spalte.

/S. 128/To der Eek. Lendorpe [Lehndorf]. Folgt leere Spalte.

Die Dörfer des Halbgerichts Bettmar

/S. 129/ leer 39 /S. 130/Dat richte to der Pesere [Pisserbach]. Vechtelde [Vechelde]. Folgt leere Spalte. Bonstede [Bodenstedt].Folgt leere Spalte.

40 /S. 131/To der Pesere. Lydinghe [Liedingen]. Folgt leere Spalte.

Lutken Lafferde [Klein Lafferde].

[Hand B] n 4 hove Hinrik Doring(es). 2 hove Arnt Gandersem. 1 hove Crancken. 1 hove Frederke Vnuorsaget. 3 hove in de capellen to Peyne [Peine]. 8 hove des provestes tom hilghen Cruce to Hildensem [Kreuzstift in Hildesheim]. 7½ hove des closters to dem Lamspringe [Kloster Lamspringe]. 5½ hove der ebbedesche

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 106 Ulrich Schwarz van Gandersem [Reichsstift Gandersheim]. 3 hove dem domproveste to Hildensem. 5½ hove Bernt Lodewig(es) unde synem veddere. 1 hove in de kerken to Lenghede [Lengede]. 2 hove in de kerken darsulves. ½ hove in de kerken to Munstede [Mün- stedt, wüst]. De halve theghede hort der heren uppe den berch [St. Cyriacusstift vor Brsg] unde de ander helffte n des thegheden, de hort Tylen van Calue unde der Ghanderseme- schen.

41 /S. 132/To der Pesere. Groten Lafferde [Groß Lafferde]. Folgt leere Spalte. Betmer [Bettmar]. Folgt leere Spalte.

42 /S. 133/To der Pesere.

Sirdesse [Sierße]. [Hand A] 16 hove de menne dar in dem dorpe, dar geven se van to cynse 8 talenta to 1 viccarie in der borch [St. Blasiusstift in Brsg, St. Thomas-Altar1]. 6 hove echt de menne darsulves, dar geven se van to tynse den Pawelen n 2 talenta 1 s minus unde 40 honre. n 2 hove Kobbe. 2 hove des hogreven sone van Zirdesse [Siersse]. 2hove to Stederborch [Stift Steterburg]. De halve theghede, de priorinne to Stederborch [Stift Steterburg] to orem lyve. Hans van Zirdesse dar in dem dorpe de anderen helffte.

1 Zur Identifizierung des St. Thomas-Altars siehe oben Anm. 187.

Munstede [Münstedt, wüst]. Folgt leere Spalte.

43 /S. 134/To der Pesere. Groten Smedenstede [Groß Schmedenstedt]. Folgt leere Spalte. Lutken Smedenste- de [Klein Schmedenstedt, wüst]. Folgt leere Spalte.

/S. 135/To der Pesere. Dunghelbeke [Dungelbeck].Folgt leere Spalte. Welde [Wahle].Folgt leere Spalte.

/S. 136/To der Pesere. Woltorpe [Woltorf]. Folgt leere Spalte. Hasler [Haselhof, wüst]. Folgt leere Spalte.

Die Dörfer des Gerichts Lichtenberg

/S. 137 leer/ 44 /S. 138/Dat richte to Lechtenberghe. Watenstede [Watenstedt]. Folgt leere Spalte. Enghelmestede [Engelnstedt]. Folgt leere Spalte.

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/S. 139/Lechtenberghe. Barem [Barum]. Folgt leere Spalte. Heerte [Heerte]. Folgt leere Spalte.

/S. 140/Lechtenberge. Heerte secundoa [Klein Heerte, wüst]. Folgt leere Spalte. Machtersem [Bruch- machtersen].Folgt leere Spalte. a 2o Hs.

/S. 141/Lechtenberge. Leende [Leinde]. Folgt leere Spalte. Kramme [Cramme]. Folgt leere Spalte.

/S. 142/Lechtenberge. Broe stede [Broistedt]. Folgt leere Spalte. Hedelendorpe [Hallendorf]. Folgt leere Spalte.

/S. 143/Lechtenberge. Dusem [Dutzum, wüst]. Folgt leere Spalte. Leuenstede [Lebenstedt]. Folgt leere Spalte.

/S. 144/Lechtenberge. Salder [Salder]. Folgt leere Spalte. Wedeme [Wedem, wüst]. Folgt leere Spalte.

/S. 145/Lechtenberge. Eddingherode [Engerode, wüst]. Folgt leere Spalte. Kalbicht [Calbecht]. Folgt leere Spalte.

/S. 146/Lechtenberge. Freden [Freden]. Folgt leere Spalte. Repener [Reppner]. Folgt leere Spalte.

/S. 147/Lechtenberge. Lesse [Lesse]. Folgt leere Spalte. Berbeke [Barbecke]. Folgt leere Spalte.

/S. 148/Lechtenberge. Woltwisch [Woltwiesche]. Folgt leere Spalte. Zolde [Söhlde]. Folgt leere Spalte.

/S. 149/Lechtenberge. Borchtorpe [Burgdorf]. Folgt leere Spalte. Lydem (!) [Osterlinde]. Folgt leere Spalte.

/S. 150/Lechtenberge. Item Lyndem [Westerlinde]. Folgt leere Spalte. Beerle [Berel]. Folgt leere Spalte.

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/S. 151/Lechtenberghe. Lokmachtersem (!) [Lobmachtersen]. Folgt leere Spalte.

Die Dörfer des Gerichts Campen

/S. 152 leer/ 45 /S. 153/Dat richte to dem Kampe [Gericht Campen]. Marquerderode [Marquarderode, wüst]. Folgt leere Spalte. Ruden [Rühme]. Folgt leere Spalte.

/S. 154/Camp. Honrode [Honrode, wüst]. Folgt leere Spalte. Wenden [Wenden]. Folgt leere Spalte.

/S. 155/Camp. Glismerode [Gliesmarode]. Folgt leere Spalte.Quernum [Querum]. Folgt leere Spalte.

/S. 156/Camp. Dibbekestorpe [Dibbesdorf]. Folgt leere Spalte. Volkmerode [Volkmarode]. Folgt leere Spalte.

/S. 157/Camp. Hordorpe [Hordorf]. Folgt leere Spalte. Wenthusen [Wendhausen]. Folgt leere Spalte.

/S. 158/Camp. Leere [Lehre]. Folgt leere Spalte. Vlechtorpe [Flechtorf]. Folgt leere Spalte.

/S. 159/Camp. Bodenrode [Beienrode]. Folgt leere Spalte. Hattorpe [Hattorf]. Folgt leere Spalte.

/S. 160/Camp. Boyenstorpe [Boimstorf]. Folgt leere Spalte. Schepaw [Scheppau]. Folgt leere Spalte.

/S. 161/Camp. Glentorpe [Glentorf]. Folgt leere Spalte. Gerdessem [Gardessen]. Folgt leere Spalte.

/S. 162/Camp. Abbenrode [Abbenrode]. Folgt leere Spalte. Schapen [Schapen]. Folgt leere Spalte.

/S. 163/Camp. Wedele [Weddel]. Folgt leere Spalte. Rodekamp [Rotenkamp]. Folgt leere Spalte.

/S. 164 Camp. Schallinghe [Schandelah]. Folgt leere Spalte.Honleghe [Hondelage]. Folgt leere Spalte.

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Die Dörfer des Gerichts Königslutter

/S. 165 leer/ 46 /S. 166/Dat richte to Luttere. Bornum [Bornum am Elm]. Folgt leere Spalte. Schodderstede [Schoderstedt, wüst]. Folgt leere Spalte.

/S. 167/Luttere. Sunstede [Sunstedt]. Folgt leere Spalte. Lawynghe [Lauingen]. Folgt leere Spalte.

/S. 168/Luttere. Rottorpe [Rottorf]. Folgt leere Spalte. Risberch [Rieseberg]. Folgt leere Spalte.

/S. 169/Luttere. Lellem [Lelm]. Folgt leere Spalte. Horeghensupplingen [Süpplingen]. Folgt leere Spalte.

/S. 170/Luttere. Luttere [Königslutter]. Folgt leere Spalte.

Dörfer im Papenteich

/S. 171 leer/ 47 /S. 172/De Poppendik. Edzenrode [Essenrode]. Folgt leere Spalte. Kutwacghen [Waggum]. Folgt leere Spalte.

/S. 173/De Poppendik. Gr(e)uenhorst [Gravenhorst]. Folgt leere Spalte. Almersbutle [Allenbüttel]. Folgt leere Spalte.

/S: 174/De Poppendik. Nyebrucghe [Neubrück]. Folgt leere Spalte. Groten Beuenrode [Bevenrode]. Folgt leere Spalte.

/S. 175/De Poppendik. Meynum [Meine]. Folgt leere Spalte. Stapleghe [Stapel, wüst]. Folgt leere Spalte.

/S. 176/De Poppendik. Vordorpe [Vordorf]. Folgt leere Spalte. Vringhe [Uhry]. Folgt leere Spalte. /S. 177–228 leer/

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Index der Personennamen

Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Nummerierung im Quellentext. Die Na- men begegnen in der Quelle oft auch in Flexionsformen, diese werden im Index in der Regel unverändert wiedergegeben. Varianten von Vornamen sind nicht berück- sichtigt. Braunschweiger Bürger sind im Ortsindex unter Braunschweig ausgewor- fen. Abkürzung: Brsg = Braunschweig.

A Boring siehe Buringh Abbenrodes, Brand 34 Bornum, de 2, 7 Adelem, Hermen van 2 Bornum, Bertelt van 1 Alberdingh, Johan 31 Bornum, Diderik (van) 5, 10 Aldach, Bertram 1 Bornum, Hinrik (van) 5, 10 Algherstorpes 5 Bortuelde, her Hinrik 24 Alrucze, sidensticker 4 Bossen, Heyneke, Gilzum 8 Ampeleue, de van 13 Bosse(n), Heyneke, Hachum 7, 8 Ampeleue, Jan van 13 Bossen, Ludeke 34 Asseborch, her Bosse van der 22 Bosse, Merten 8 Atelsem, Brand van 2 Bote, Hermen 18 Atelsem, Knorre van 2 Bredekop 31 Bremer, Köchingen 31 Broddusen 1 B Brokelde, Lubbert van 26 Bansleue, Cord 4 Brokelde, Luder van 31 Bantsleue, Hermen 37 Brostede, Cord (van) 32, 34 Becker, Cord 33 Bulteman 31 Beyersteden 26 Buringessche, de 8 Berclingh 2 Buringh (Boring), Volzum 2, 7 Bercling, Henning 18 Berclinges, Henning, Brsg Alte Wiek 22 Csiehe K Berclinges, Tile, Brsg vor dem Steintor 22 Bernd, Sickte 7 Berndes, Henning, Gilzum 8 D Berndes, Ludeke 31 Dalem, Boldewin (van) 1, 3 Bernt, her siehe Valeberch Dam 11 Berteldes, Heneke 31 Damme, Fricke van dem 2, 11 Bertelt, salunemeker 4 Denigh (Deringh) 11 Bertol 37 Denstorpe, Grotejan van 34 Bertram, Bernd, Atzum 2 Detmersche, de 1 Bertrammes, Bernd 2 Didersing 18 Bertrammes, Bertram 2 Doringhe, de 23, 26, 28 Bodenstede, Fricke 37 Doring(es), Cord 7, 18, 25, 36 Borchardes, Hans 8 Doring(es), Hinrik 7, 33, 35, 40 Borchtorp 5 Drewes, Henning 26 Borchtorp, Alerd 18 Dudinghe, Berteld van 31

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Dunghenen, Henning van 31 Ghandersem, Arnd 29, 40 Dungman 31 Ghandersem, Brsg vor dem Fallersleber Tor 31 E Ghandersemesche, de 40 Ebberdes, Heneke 1 Gheysmer 1 Ebberdes, Heneman, Ahlum 2 Gherwens 31 Ebbertes, Hermen 18 Ghesen, Hinz, Wahle 31 Ebeling 32 Ghetelde 33 Ebelinges, Tile 2 Gheuerdes, Cord 10, 33 Eykenrod 10 Gilczem, Henning, Hachum 8 Eylerde, de 35 Gilsem, Hachum 8 Ekleue, Ludeke 31 Gyltzensche, de 8 Elers(s)che, de 8, 31 Gogreve (Familienname?) 2 Elers, Brand 5, 10 Gosler, Hermen 2 Elers, Curd 5, 10 Ghoslersche, de 31 Ernst, Hans, Vallstedt 28 Grane(n) (Grauen?), Bertram 31 Euensen, de 24, 28, 29 Granen (Grauen?), Hermen 31 Euense(n), Hans van 32, 33 Grashoff, Brant 1 Grellenord 8 Fund V Gris, Henning 18 Groper, Ludeman 31 Valeberch 11 Grotehene 11 [Valeberch], Bernt, her 35 Grube, Achacius 11 Val(e)berch, Ludeke 1, 7, 12 Ghummers 31 Vechtelde, Hermen (van) S. 87, 1, 3, 15, 22, Ghummers, Ludeke 31 30, 35 Velegut 8 Gustede 28 Velstede 34 Gustede, Eylerd 23 Velstede, Bertram (van) 13, 18, 26, 34 G(h)ustede, Hans (van) 2, 3, 23 Veltem, de van 10, 16 Veltem, Ludelf 1, 10 H Veltemesche, de 10 Haghenbrughe 31 Vente, Rokel 18 Haken, hern H. sone 13 Vente, Witte 34 Hake 31 Verner siehe Werner Hamelen, Gerwin (van) 23, 31 Voghedes, Hanne 18 Hardewig, de, Bleckenstedt 28 Voghet (Amtsbez.?), siehe Tile Haubom 8 Voltzem, Bernd van 7 Haue (Hane?), her 2 Voltzem, Bosse van 7 Hedelendorp, Henning 26 Voltzem, Hans van 7 Heyde, de van der 5 Vorsters 15 Heyde, Eylerd van der 22 Fredeken 26 Helmestede, Ludeke 18 Vrederik 8 Helmold, pape 18 Fricke(n), Henning 23, 26 Henen, Ludeman 11 Fricke, Wilke 37 Henning, molre 7 Herbordes, Freden 28 G Hervecht, Freden 28 Gabbenstotesche, de olde 18 Hermens, Ludeke, Gilzum 8 Ghandersem 29 Hertzen, Bernd 2

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Hillebrant, Köchingen 31 Krulle (Crulle), de 2, 7, 8 Hingestes, Merten 28 Cruse, de 37 Hinrik (Linden) 3 Cruse, Hermen 3 Hinrik (Sickte) 7 Kruse, Hoyer 7 Hinrik (Thiede) 29 Kubbelinghe, de 3, 7, 23 Hogreve (Familienname?) siehe Clawes Kunnen, Merten, Hachum 2, 8 Holleghe, Wichman van 32 Curdes, Grete 7 Holtnicker, Henning 1 Holtnicker, Hermen 1 Holtorp, Kneitlingen 13 L Holtorpes, de 2 Lampen, Bernd, Weferlingen 8 Holtorpesche, de 2 Lampen, Grete 31 Horneborch, Hans 1, 2 Lampen, Heneman 31 Horneborg, Hans, Brsg Sack 32 Lenghedes, Ludeman 26 Houemester, Hermen 37 Leppelt 2 Houemestersche, de 37 Lessessche, de 10 Hoyer, Hans 28 Linde 33 Hune, de 2 Lynde, Ludeke (van) 7, 12 Huo sessche, de 10 Lodewighes, Bernd 40 Lodewighes, Heneke 37 I Louwen 28 Ilbert 29 Luddinghers, Hans 7 Ingheleue, Hinrik van 4 Ludeger, Herwig, Groß Dahlum 8 Jutten, Hinrik 31 Ludegher, Stiddien 32 Luders, Frederke, Evessen 8 Kund C Lutherdes (Lutterdes, Luthert), Hinrik 3, 4, Kalckborner, Brsg Altewiek 13 15, 23 Kale, Hans 3, 10, 23 Kalemeyer, de 12 M Kalm, Werneke 11 Calue 10 Marchgreue, de 31 Calue, Tile van 7, 16, 40 Mathiese, de 18 Czastingh siehe S Meyer, Herman 37 Kemme, Wasmod van 31 Meyeringhoue, de 2 Kerchoff 8, 33, 35 Meyers, Henning (Kinder) 18 Klawes, Henning 29 Meynardus 24 Clawes, hogreve 1 Meyriges 34 Klot, Henning 26 Membringh, Henning 2 Knokenhauwer, Jan, Mönch 1 Memeringhe, de 2 Kobbe 42 Meus, Ludeke 1, 2 Kok, Herman 18 Myle 4 Kolde, Hans 1 Kouot, Tile 20 Molen, van der 33 Cramers, de 7 Mollenberch, Bernd 1 Kramer, Helmstedt 15 Molleres, Witte 28 Crancken 40 Molre (hier Berufsbez.?) siehe Henning Kremmeliges, Tile, Sickte 7 Monneke, Heneman 1 Kritersche, de 2 Monnekes, Heyneke 26

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N Zalder, Cord van 26 Neddermeyer, Henning 31 Zalghe de 22, 35 Neyndorpe, Borchard van 26 Zalghe (Salghe), Henning 7, 32, 36 Notberch 34 Salunemeker (hier Berufsbez.), siehe Bertelt Sanne, Hans 10 O Santgroue 16 Santgroue, Klein Denkte 20 Oldendorpesche, de, Neindorf 2 Sastingh, Cord 31 Czasting, Heneman 31 P Schalling 32 Palman 37 Schallinghes, Eggheling (Kinder) 8, 24 Papestorp 18 Schallingessche, de 29 Pawelen, de 42 Scaper, Heneke 31 Pawel, Ghereke 16, 33 Schaper, Hermen 37 Pawel, Hans 8, 33 Schene, Brsg Neustadt 36 Pawel, Wedege 8 Schene, Hermen 31 Pawelsche, de 33 Schep(p)enstede, Rolef (van) 4, 11, 35, 36 Peteres, Hinrik 10 Schickelman 7 Picht, Henning, Kalm 22 Picht, Tile 22 Sciltremensz, de 15 Pil(e), Ludeke, Vallstedt 31 Scitider, Luder, Evessen 8 Piper, Arnd 1 Schuttesche, de 7 Poldesche, de 24 Schutte, Bertram (Kinder) 34 Swalenberges, Hinrik 34 R Sweneken, de 33 Zegherde, Heyne van 7 Recke, de 37 Zenstede, Betman 18 Reyben 37 Zenstede, Hermen 18 Reyndersche, de 1 Zenstede, Tidericus 18 Reyndes, Herman 1 Reyneken, Hermen 34 Tzerstede, her Jan 16 Reyners, Henning 34 Sidensticker (hier Berufsbez.) siehe Alrucze Remmelinge, de 16 Symmenstede 33 Remmelingh, Vricke 1 Zirdesse, Hans van 42 Reneke 37 Zirdesse, des hogreven sone 42 Rike, Hans 31 Sitster, Hinrik 31 Rickele, Tile 28 Smed (Familienname?), de 31 Roden 29 Snelrad 29 Rokel, Bertolt, Seinstedt 22 Stapel 33 Roleff 34 Stapel, Hans 1 Roleues, Heyneke 2 Sterneberch, Ludegher 2 Roleues, Henning 10 Stockem, Hinrik van 29 Runighessche, de 8 Stockem, Vit van 16 o Ruscher 24 Strobeke, Eggeling van 5 Ruschersche, de 18 Strobeke, Hilmer 10 Strobekesche, de 33 S Sunnenberg, David 35 Sadel, Fricke vor der 18 Suthoff, Eggeling 31 Zalder, de van 32 Sw siehe Sch

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T Wendessem, Ludeke van 32 Teysel 34 Went, Henning 1 Tyde, Hans van 29 Went, Jan 10 Tyde, Henning van 8 Werner, Henning 28 Tydemans, Hermen 26 Werner (Verner), mester, tymmerman 1 Tilen, Heneke 1 Westene, Hermen der 18 Tile, Ludeke 31 Westerman 1 Tile, voghet 4 Westual 37 Tymme, Henning 31 Westual, Hans 37 Tymmerman (hier Berufsbez.) siehe Werner Westphal, Heyne 1 Tympen, de 28 Weuerlinge, de van 20 Tornbergh 28 Wichman, Henning 26 Torney 7 Wilke, her, perner in der borch 7 Trereman 18 Wynneken, Luder 8 Tzerstede siehe S Witte, Ludeke 1 Woyen, de 18 Wrampe, Bosse 18 U Wrighen, sone, Sickte 7 Vnuorsaget, Frederke 40 Wule, Sickte 7 Vrsleue, de 8, 33 Wulff 18 Vrsleue(n) 10, 33 Vrsleue, Curd 7, 37 Vrsleue, Hermen 7, 10 Vtze, Herwich van 13 Z Czasting siehe S Vsiehe F Zalder siehe S Zalghe siehe S W Zegherde siehe S Wacghe, Eggeling 29 Zenstede siehe S Wenden 33 Zirdesse siehe S

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Index der Ortsnamen

Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Nummerierung im Quellentext. Die Identi- fzierung der Orte wird durch eine Vielzahl von Hilfsmitteln erleichtert, siehe GOV, GOV Gifhorn, GOV Peine; dOLLe, UB Stadt BS 8, 2; Kirstin caSemir, Die Orts- namen des Landkreises Wolfenbüttel und der Stadt Salzgitter (Niedersächsisches Ortsnamenbuch 3), Bielefeld 2003; Abkürzungen: Gm = Gemeinde, HE = Helm- stedt, Krs. = Landkreis, OT = Ortsteil, Brsg = Braunschweig, WF = Wolfenbüttel.

A Bleckenstedt (Blekenstede, Blekenstidde), Abbenrode, Gm Cremlingen 10, 45 OT Salzgitter 27, 28 Achim (Achem), Krs. WF 18 Bodenstedt (Bonstede), Gm Vechelde 39 Adersheim (Adersem), OT WF 26 Boimstorf (Boyenstorpe), OT Königslutter Ahlum (Adelem), OT WF 1, 2 45 Allenbüttel (Almersbutle), Gm Calberlah Bornum, Gm Börssum 19 47 Bornum (am Elm), OT Königslutter 46 Allum (Aluenuelt), wüst GOV 38 12 Börssum (Borsene), Krs. WF 19 Alvesse (Aluedesse), Gm Vechelde 30 Bortfeld (Bortfelde, Bortuelde), OT Brsg 37 Ampleben (Ampleue), Gm Kneitlingen 1 e Apelnstedt (Apelerstede), Gm Sickte 3 Broistedt (Brostede), Gm Lengede 44 Asseburg (Asseborch), wüst GOV 131 20, Broitzem (Brotzem), OT Brsg 33 22 Braunschweig (Brunswik) Asseburg (Asseborch), Gericht 16–23 – Stadtteile, Tore Atzum (Atzem, Atelsem), OT WF 1, 2 –Altewiek 13, 22 –Fallersleber Tor 31 –Neustadt 36 B –Sack 32 Bansleben (Bantsleue), Gm Kneitlingen 11 –Steintor 22 Barbecke (Berbeke), Gm Lengede 44 – Kirchen, Klöster, Stifte Barnstorf (Bernstorpe), Gm Uehrde 14 –St. Ägidien 1, 4, 5, 7, 18, 22, 23, 28, 33, Barum (Barem), OT Salzgitter 44 34 Beddingen (Beddinghe), OT Salzgitter 28 –St. Andreas 28, 34 Beddingen (Beddinghe), Gericht 24–32 –St. Blasius 1, 2, 4, 5, 7, 8, 10, 11, 15, 23, Beienrode (Bodenrode), OT Königslutter 31–37, 42 45 –Dekan 34 Beierstedt (Beyerstede), Krs. HE 15 –her Wilken, Pfarrer 7 Berel (Beerle), Gm Burgdorf 44 –Kanoniker siehe: Valeberch, Haue, Berklingen (Berclinghe), Gm Vahlberg 14 Helmoldes, Tzerstede, Wilke Bettmar (Betmer), Gm Vechelde 41 –Altäre Bettmar, Halbgericht s. Pisser –St. Stephanus-Altar 35 Bevenrode (Groten Beuenrode), OT BS 47 – St. Thomas-Altar und Vikarie 42 Biewende, Groß (Westerbywende), Gm –Imervard-Kreuz 7 Remlingen 21 –St. Cyriacus 1, 4, 7, 10, 23, 29, 31, 33– Biewende, Klein (Osterbywende), Gm 35, 40 Remlingen 21 –Dekan 31 Bistorf (Bistorpe), wüst GOV 240 14 –Diakon 31

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–Pfarrer 34 Bruchmachtersen (Machtersem), OT Salz- –Scholaren (slapscholer) 31 gitter 44 – St. Johann 33, 34 Burgdorf (Borchtorpe), Krs. WF 44 – St. Katharinen 15, 23, 29 – St. Magnus 4, 29 Csiehe K – St. Martin 1, 8, 23, 31, 34 – St. Michael 34 – St. Peter 26, 33 D – St. Ulrich 4 Dahlum, Groß (Vog(h)edes Dalem), Gm –[Kirche nicht identifziert] Dahlum 8, 14 –St. Maria Magdalenen-Altar 33 Dahlum, Klein (Lutken Dalem), Gm Dah- – Hospitäler lum 14 – St. Jodocus 10 Denkte, Groß (Groten Denckte), Gm Denk- – St. Leonhard 4, 13, 18, 23 te 16 – St. Marien 1, 7, 11, 22, 31, 34 Denkte, Klein (Lutken Denckte), Gm Denk- –Altar St. Bernward 11 te 16, 20 –St. Thomas 4, 5, 31, 36 Denstorf (Denstorpe), Gm Vechelde 31, 34, – Kaland 35 – St. Matthäus 35 Dettum (Detten), Krs. WF 9 – siehe auch Rennelberg, Riddagshausen Dibbesdorf (Dibbekestorpe), OT Brsg 45 – Bürger, Einwohner (soweit zu ermitteln) Drübeck (Drubeke), Kloster, Krs. Harz 18 siehe Abbenrodes, Algherstorpe, Al- Drütte (Drutte), OT Salzgitter 27 rucz (sidensticker), Bansleue, Bercling, Dungelbeck (Dunghelbeke), OT Peine 43 Bertelt (salunemeker), Borchtorpe, van Dutzum (Dusem), wüst GOV 506 44 Bornum, Brokelde, Brostede, van dem Damm, Denigh, van Denstorpe, Doring, E Eykenrod, Elers, (van) Evensen, Val- Eich (to der Eek), Gericht 33–38 berch, (van) Vechtelde, (van) Velstede, Eilum (Odelem), Gm Kneitlingen 8, 9 Fredeken, Fricke, de Gabbenstote- Eitzum (Eytzem), OT Schöppenstedt 14 sche, Gandersem, Gyltzensche, Gosler, Engelnstedt (Enghelmestede), OT Salzgit- Grashoff, Gris, Grube, Gustede, Hagh- ter 44 enbrughe, van Hamelen, Hedelendorp, Engerode (Eddingherode), OT Salzgitter 44 van der Heide, Hingestes, van Holleghe, Erkerode (Erkerod), Krs. WF 9 Holtnicker, Horneborg, Husesche, Essenrode (Edzenrode), Gm Lehre 47 Kale, Kalkberner, Kalm, Kalve (Calve), Evessen (Euesem), Krs. WF 6, 8 Kemme, Kerchoff, Knokenhauwer, Evessen (Euesem), Gericht 6–10 Kobbe, Kok, Kovot, Crancken, Krulle (Crulle), Cruse, Kubbeling, Lessesche, Lynde, Lutherdes, Meynardus, Me- Fund V meringhe, van der Molen, Monnekes, Vahlberg, Groß (Groten Valberghe), Gm Notberch, Pawel, Peters, de Poldesche, Vahlberg 17 Reyneken, Remmelinghe, Rike, Ro- Vahlberg, Klein (Lutken Valberghe), Gm den, Ruscher, Salge, Schalling, Schene, Vahlberg 17 Schepenstede, Sciltremensz, Swalen- Vallstedt (Valstede, Velstede, Vel(t)stidde), berg, Schutte, Senstede, Symmenstede, Gm Vechelde S. 87f., 28, 31 Stapel, van Stockem, Strobeke, Sun- Vechelde (Vechtelde), Krs. Peine 39 nenberg, Tyde, Tydemans, Unvorsaget, Veltheim an der Ohe (Veltem), Krs. WF 10 Ursleve, Wacghe, Wichman, Witte, Vensleben (Ventsleue), wüst GOV 2119 15 Wulff Flechtorf (Vlechtorpe), Gm Lehre 45

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Völkenrode (Volklingherode), OT Brsg 38 – Kreuzstift 28, 40 Volkmarode (Volcmerrode, Volkmerode), – St. Michael, Kloster 18, 23, 35 OT Brsg 7, 45 Hötzum (Hotzelem), Gm Sickte 6 Volzum (Volczem, Voltzem), Gm Sickte 2, 7 Hohen-Neinstedt (Neynstede), wüst GOV Vordorf (Vordorpe), Krs. Gifhorn 47 1451 15 Freden siehe Lichtenberg Holtorf (Holtorpe), wüst GOV 1015 14 Fümmelse (Vymmelsen), OT WF 25 Hondelage (Honleghe), OT Brsg 7, 10, 45 Honrode, wüst GOV 1042 45 G Hordorf (Hordorpe), Gm Cremlingen 45 Gadenstedt (Gadenstede), Gm Lahstedt 31 Gandersheim, Bad (Gandersem) Iund J – Äbtissin 16, 40 Jerxheim (Jerxem), Krs. HE 15 Gardessen (Gerdessem), Gm Cremlingen Jerxheim (Jerxem), Gericht 15 7, 45 Immendorf (Ymmendorpe), OT Salzgitter 26 Geitelde (Ghetelde), OT Brsg 32, 33 (?) Ingeleben (Ingheleue), Krs. HE 15 Gevensleben (Gheuensleue), Krs. HE 15 Gilzum (Gylczem, Gilczem, Gilzem), Gm Kund C Evessen 8 Gleidingen, Groß (Sutgledinghe), Gm Ve- Calbecht (Kalbicht), OT Salzgitter 44 chelde 34 Kalme (Kalm, Kalem), Gm Achim 22 Gleidingen, Klein (Nortgledinghe), Gm Ve- Campen (to dem Kampe, Camp) Gericht 45 chelde 36 Kissenbrück (Kissenbrucghe), Krs. WF 19 Glentorf (Glentorpe), OT Königslutter 45 Kneitlingen (Kletlinghe, Cletlinge), Krs. WF 13 Gliesmarode (Glismerode), OT Brsg 45 e Glinde (Glynt), wüst GOV 711 38 Köchingen (Kochinghe, Kochinge, Kochin- Goslar (Gosler) ghe), Gm Vechelde 31 – Reichsstift St. Simon und Judas 7 Königslutter (Lutter, Luttere) Gravenhorst (Greuenhorst), Gm Meine 47 – Abt 22 – Stadt 46 H Königslutter (Luttere), Gericht 46 Cramme (Kramme), Krs. WF 44 Hachum (Hachem), Gm Evessen 2, 7, 8 Kreitlingen (Krelinghe), wüst GOV 1228 15 Halberstadt (Halberstad) Cremlingen (Kremmelinghe), Krs. WF 10 – Domkapitel 22 Küblingen (Kubbelinghe), OT Schöppen- Halchter, OT WF 25 stedt 14 Hallendorf (Hedelendorpe), OT Salzgitter 44 Haselhof (Hasler), wüst GOV 831 43 L Hattorf (Hattorpe), OT Wolfsburg 45 Lafferde, Groß (Groten Lafferde), Gm Lah- Hedeper (Hedebere), Krs. WF 17 stedt 41 Heerte, OT Salzgitter 44 Lafferde, Klein (Lutken Lafferde), Gm Len- Heerte, Klein (Heerte secundo), wüst GOV gede 40 892 44 Lamme, OT Brsg 37 Helmstedt (Helmestede) 15 Lamspringe (to dem Lamspringe), Kloster, Hemkenrode (Hemekenrod), Gm Cremlin- Krs. Hildesheim 40 gen 9 Lauingen (Lawynghe), OT Königslutter 46 Hildesheim (Hildensem) Lebenstedt (Leuenstede), OT Salzgitter 44 – Dompropst 28, 40 Lehndorf (Lendorpe), OT Brsg 38 – St. Johannstift 28 Lehre (Leere), Krs. HE 45

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Leiferde (Leyfforde, Leyfferde), OT Brsg R 24, 31 Rautheim (Roten), OT Brsg 4 Leinde (Leende), OT WF 44 Remlingen (Remmelinghe), Krs. WF 23 Lelm (Lellem), OT Königslutter 46 Rennelberg (Rennelberch, Rennelberghe, Lengede (Lenghede), Krs. Peine 40 Rennenberch, Reneberch), Kloster, Brsg Lesse, OT Salzgitter 44 15, 22, 26, 33, 35–37 Lichtenberg, OT Salzgitter Reppner (Repener), OT Salzgitter 44 –Freden (Freden, Vreden), Ober- oder Rieseberg (Risberch), OT Königslutter 46 Niederfreden 28, 44 Riddagshausen (Riddarshusen, Riddershu- Lichtenberg (Lechtenberg(h)e), Gericht 44 sen, Riddagheshusen), Kloster, Brsg 1, Liedingen (Lydinghe), Gm Vechelde 40 4, 7, 8, 10, 20 Linden (Lyndem), OT WF 3 Rischau (Risschaw), wüst GOV 1698 38 Roklum (Rokele), Krs. WF 17 Lobmachtersen (Lokmachtersem), OT Salz- Rotenkamp (Rodekamp), OT Königslut- gitter 44 ter 45 Lucklum (Lukkelum, Lukkelem), Deutsch- Rottorf (Rottorpe), OT Königslutter 46 ordenskommende, Gm Erkerode 10, 11 Rühme (Ruden), OT Brsg 45 Rüningen (Runinghe), OT Brsg 33 M Marquarderode (Marquerderode), wüst S GOV 1368 45 Salder, OT Salzgitter 44 Meine (Meynum), Krs. Gifhorn 47 Salzdahlum (Soltdalem, Dalem), OT WF 1 Melverode (Meluerode), OT Brsg 4 Salzdahlum (Dalem), Gericht 1–5 Mönchevahlberg (Monneke Valberge), Gm Sambleben (Tzampleue), OT Schöppen- Vahlberg 7, 17 stedt 14 Münstedt (Munstede), wüst GOV 1432 31, Sauingen (Sowinghe), OT Salzgitter 28 40, 42 Schandelah (Schallinghe), Gm Cremlingen 45 Schapen, OT Brsg 45 N Scheppau (Schepaw), OT Königslutter 45 Neindorf (am Ösel) (Neyndorpe), Gm Schliestedt (Slistede), OT Schöppenstedt 13 Denkte 2, 19 Schmedenstedt, Groß (Groten Smedenste- Neindorf (Neyndorpe), wüst GOV 1449 14 de), Gm Schmedenstedt 43 Neubrück (Nyebrucghe), Gm Wendeburg 47 Schmedenstedt, Klein (Lutken Smeden- stede), wüst GOV Peine 199 43 O Schmedenstedt, Gr. oder Kl. (Smedenstede) 31 Ölper (Elber), OT Brsg 38 Schoderstedt (Schodderstede), wüst GOV Osterlinde (Lydem), OT Salzgitter 44 1841 46 Schöppenstedt (Schepenstede) 11, 12 P – St. Peterskapelle 11 Papenteich (Poppendik), Gericht 47 – Westendorf (to dem westeren dorpe) Peine (Peyne) 40 11 Pisser (to der Pesere), Gericht 39–43 Schöppenstedt (Schepenstede), Gericht 11– 14 Schulenrode (Schulenrod), Gm Cremlin- Q gen 9 Querum (Quernum), OT Brsg 45 Secker (Zekere), wüst GOV 1892 15

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Seinstedt (Senstede, Zenstede), Gm Achim W 18, 22 Waggum (Kutwacghen), OT Brsg 47 Semmenstedt (Tzymmenstede), Krs. WF 23 Wahle (Welde), Gm Vechelde 31, 43 Sickte (Ober- und Niedersickte) (Tzicte, Warle (Werle), Gm Uehrde 12 Sicte), Gm Sickte 7 Watenbüttel (Watenbutle), OT Brsg 38 Sierße (Sirdesse, Zirdesse), Gm Vechelde 42 Watenstedt (Watenstede), Gemeinde Ge- Söhlde (Zolde), Krs. Hildesheim 44 vensleben 15 Söllingen (Solinghe), Krs. HE 15 Sonnenberg (Sunnenberg(h)e), Gm Vechel- Watenstedt (Watenstede), OT Salzgitter 44 de 31, 35 Watzum (Wadexem), Gm Uehrde 12 Sottmar (Sotmer), Gm Denkte 20 Weddel (Wedele), Gm Cremlingen 45 Stapel (Stapleghe), wüst GOV Gifhorn 553 Wedem (Wedeme), wüst GOV 2225 44 47 Wedtlenstedt (Wetlenstede), Gm Vechel- Steterburg (Stederborch, Stidderborch), de 36, 37 Kloster, OT Salzgitter 3, 5, 24, 28, 29, Weferlingen (Weuerling), Gm Dettum 8, 9 32, 33, 35, 36, 42 Wendeburg (Wendeborch), Krs. Peine 38 Stiddien (Stydium), OT Brsg 32 Wenden, OT Brsg 33 (?), 45 Stöckheim (Capelstockem), OT Brsg 5 Wendessen (Wendessem), OT WF 2, 7 Stöckheim, Groß (Groten Stockem, Sto- Wendezelle (Wendetzelle), Gm Wendeburg cken), OT WF 24, 33 38 Stötterlingenburg (Stotterlingheborch), Wendhausen (Wenthusen), Gm Lehre 45 Kloster, Gm Lüttgenrode, Krs. Harz 22 Westendorf siehe Schöppenstedt Sunstedt (Sunstede), OT Königslutter 46 Westerlinde (Lyndem), Gm Burgdorf 4 Süpplingen (Horeghensupplingen), Krs. HE Wetzleben (Wettesleue), Gm Hedeper 17 46 Winnigstedt, Groß (Groten Wynningstede), Gm Winnigstedt 17 T Winnigstedt, Klein (Lutken Wynningstede), Thiede (Tyde), OT Salzgitter 29 Gm Winnigstedt 17 Timmerlah (Tymberla) , OT Brsg 34 Wierthe (Wirthe, Wyrte, Wirte), Gm Ve- Timmern (Tymbern), Gm Semmenstedt 22 chelde 30, 31 Twelken, wüst GOV 2070 14 Wittmar (Witmer), Krs. WF 20 Wolfenbüttel (Wulffelbutel) U – Kapelle St. Longinus 2, 29 Üfngen (Uuinghe), OT Salzgitter 29 Woltorf (Woltorpe), OT Peine 43 Uehrde (Vrde), Krs. WF 12 Woltwiesche (Woltwisch), Gm Lengede 44 Uhry (Vringhe), OT Königslutter 47 Z Vsiehe F Zweidorf (Twedorpe), Gm Wendeburg 38

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Index ausgewählter Sachen

Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Nummerierung im Quellentext. Die Aus- beute ist sehr gering. Dennoch ist die Zusammenstellung nützlich, weil sie dem Su- chenden auf einen Blick anzeigt, was er nicht fnden kann. Wörter wie z.B. hove, kerke und pape wurden nicht aufgenommen.

alderlude 7 mester 1 altar 11, 18, 33, 35 molre 7 archidiaken 35 monick 1 borghere 18 morgen 11, 37 buhoff 5, 10 moyme 5 bur 11, 16 perner 1, 7, 10, 11, 15, 18, 20, 22, 26, 29, 34 deken 31, 34, 37 salunemeker 4 diaken 31 schepel 2 verndel, verdeyl 11, 23, 31, 32 sidensticker 4 vicarie 42 slapscholer 31 voget 4 slot 22 vorlink 7, 33 smed 31 goddeshus 2, 8, 10 spetal 1, 7, 11, 22, 31, 34 gogreve 2 stad 5, 18 hertog 7 summa 1, 18 hogreve 1, 42 tymmerman 1 honre 42 tyns 2, 7, 22, 23, 33, 35, 37, 42 capelle 11, 40 wedem 10, 33, 37 knecht 35 wet 2 kothoff 5, 10 wort 10 men 28, 35, 42 wust 5, 10

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Kanzler Ph. L. Probst von Wendhausen und das Anti-Pietisten-Edikt von 1692

von

Thomas Capelle

Angeregt durch das von der HAB durchgeführte Arbeitsgespräch „Der Pietismus im Fürstentum Wolfenbüttel“ vom 27. bis 29. August 2008, an dem ich als Gast teilnehmen durfte, habe ich eine Vorarbeit zu diesem Aufsatz, die ursprünglich für einen Vortrag in meiner Kirchengemeinde in Wendhau- sen bestimmt war, überarbeitet. Der Aufsatz möchte anregen, sich im Rah- men der Landesgeschichte noch näher mit Person und Wirken des Kanzlers Probst von Wendhausen auseinander- zusetzen und seine Bedeutung für das Fürstentum Wolfenbüttel zu untersu- chen.

1. Der Kanzler

Die Auseinandersetzung mit der Person des Philipp Ludwig Probst von Wend- Abb. 1: Phil. L. Probst v. Wendhausen hausen1, ist aus kirchengeschichtlicher Kupferstich von Joh. G. Baeck Sicht insofern bedeutungsvoll, als der Pfarr-Archiv Wendhausen Braunschweigische Kanzler zu seiner

1 Horst-Rüdiger JarcK: Probst (von Wendhausen). In: BBL 2006, S. 566f.; Paul zimmermann: Probst von Wendhausen. In: ADB 26 (1888), S. 619; Lebensbeschreibung des ehemaligen Braunschweigischen Premierministers und Kanzlers Philipp Ludewig Probst von Wendhausen, Erbherrn zu Wendhausen, Schöningen und Riddagshausen. In: Braunschweigische Anzeigen. 74. Stück. 1760, Sp. 1196–1199; C. Steinmann: Schloß Wendhausen. In: Braunschweigische Anzeigen 1879, Nr. 240 u. 241 vom 14. u. 15. Oktober; Fr. Aug. Th. beiSS: Wendhausen – Ge- schichte des Ortes Wendhausen/Geschichte der Kirche. In: Braunschweiger Schulblatt 1870, S. 220f., 1871, S. 103f.; Gesine Schwarz: Die Rittersitze des alten Landes Braunschweig. Braunschweig 2008, S. 240f.; Gottlieb Samuel treUer: Ein Ehren = Gedaechtnis Des Weyland Hoch=Wohlgebohrenen Herren/Herrn Philipp Ludewig von Wendhausen. Helmstedt 1719.

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Zeit nicht nur staatspolitisch für die Braunschweiger Herzöge tätig war und für sie die eigentlichen Regierungsgeschäfte über Jahrzehnte besorgte, sondern als Leiter und Direktor des Konsistoriums auch in kirchlichen Belangen bestimmenden Ein- fuss auf unsere Landeskirche ausübte. Als Konsistorialdirektor hat Kanzler Probst von Wendhausen nachhaltig, d.h. seit dem ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit hi- nein das geistliche Leben der Kirchengemeinden unserer Landeskirche und somit allgemein die Frömmigkeitsgeschichte im Braunschweiger Land nicht unwesentlich geprägt, insofern er archivalischen Quellen zufolge maßgeblicher Miturheber des sog. „Anti-Pietisten-Edikts“ von 16922 gewesen war. Dieses Edikt trug bekannt- lich zum Niedergang der pietistischen Frömmigkeitsbewegung innerhalb unserer Landeskirche bei, noch ehe sich diese Bewegung hierzulande überhaupt entfalten konnte. Der Kanzler Probst von Wendhausen, der 50 Jahre lang im Herzogtum Braun- schweig führende staatspolitische Funktionen ausübte, gehörte nicht von Geburt dem Adelsstand an. Sein ursprünglicher, bürgerlicher Name war vielmehr Philipp Ludwig Probst, Sohn des Georg Wilhelm Probst, Kanonikers und Seniors des kaiser- lichen Stiftes Gandersheim. Ein ausführliches biographisches Portrait von ihm fn- den wir in dem „Ehrengedächtnis“3, das 1719 der Helmstedter Professor für Moral und Politik, Gottlieb Samuel Treuer4, aus Anlass seines Todes verfasst hat. Philipp Ludwig Probst wurde am 25. März 1633 in Gandersheim geboren. Er erblickte damit im gleichen Jahr das Licht der Welt wie Herzog Anton Ulrich, des- sen Staatsminister er später werden sollte. Früh verwaist, besuchte Philipp Ludwig Probst bereits mit 16 Jahren die Landesuniversität Helmstedt, studierte dort sowie an anderen bedeutenden europäischen Hochschulen Rechtswissenschaft und er- warb 1658 in Helmstedt die juristische Doktorwürde. Unter Herzog August trat er als Landsyndicus 1660 in den Dienst der Braunschweigischen Landstände. Herzog Rudolf August ernannte ihn 1678 zum Geheimrat, nachdem er zuvor bereits seit 1669 als Rat im persönlichen Dienst des Prinzen Anton Ulrich gestanden hatte. 1680 wurde er zum Premier-Minister und Kanzler ernannt. Daneben hatte er viel- fältige andere Ämter in Stadt und Land Braunschweig inne, die ihn zu einem hoch- angesehenen Staatsmann werden ließen. Im Laufe seiner 50-jährigen Karriere am Wolfenbüttler Hof diente Ludwig Probst vier Landesherren: den Herzögen August, Rudolf August, Anton Ulrich und August Wilhelm. 1678 wurde Probst von Wendhausen zum Konsistorial- und Klosterrat ernannt. Mit dieser Ernennung wurde zum ersten Mal im Fürstentum Braunschweig-Wolfen- büttel der erste Jurist des Landes auch als Leiter der Kirchenbehörde berufen – ein Jurist, der gleichzeitig Premierminister und Staatskanzler war! Die Führung in den

2NLA StA WF 2 Alt Nr. 14970, 104–107; Edict und Verordnung wie Bey denen hin und wieder sich ereugenden Newerungen und Sectareyen … Braunschweig 1692. – Dieser durch Randglossen kommentierte Druck scheint das persönliche Handexemplar von Generalsuperintendent und Kon- sistorialrat Barthold Meyer (Meier) gewesen zu sein. – Im folgenden wird dieses Edikt weiter „Anti-Pietisten-Edikt“ genannt. 3Vgl. Anm. 1 4Vgl. W. hagena: Gottlieb Samuel, Dr. jur. Prof. In: BBL 2006, S. 707f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Der Kanzler und die Kirche 123 weltlichen Regierungsgeschäften und die Leitung im geistlichen Kirchenregiment waren damit in einer Person vereinigt – eine bemerkenswerte Variante des alten Caesero-Papismus im Zeitalter des beginnenden Absolutismus! Diese Entwicklung war bereits durch den Vorgänger, Kanzler Schwartzkopf5, vorbereitet worden. Dieser hatte schon danach gestrebt, das bisherige Episkopal- system durch das absolutistische Territorialsystem in Braunschweig-Wolfenbüttel zu ersetzen. Im Episkopalsystem bekleidete der Landesherr zwei Ämter in einer Person: das weltliche und das geistliche Regierungsamt. Kanzlei und Konsistorium existierten dabei zwar auf einander bezogen aber doch selbstständig und nebenein- ander. In der Person des Landesherrn waren die Ämter zwar vereinigt, aber der Aufgabe und Sache nach von einander geschieden. Schwartzkopf bahnte dagegen eine Veränderung dieses Systems an. Er vertrat das Territorialsystem, „danach ge- hört das staatliche und das kirchliche Gebiet so eng zusammen, dass das letztere völlig im erstern liegt. Der Landesfürst ist nicht Herr im Staate und daneben Herr in der Kirche, sondern weil er das erstere ist, ist er ganz von selbst auch das letztere. Die Kirche hat keine selbstständige Stellung in oder gar neben dem Staate, sondern ist eine besondere Abteilung innerhalb der Staatsverwaltung …“; Schwartzkopf ver- trat den Standpunkt, dass es „hohe Zeit [sei], das Konsistorium in seine Schranken zurückzuweisen und die staatlichen Gewalten – also das Geheimrats-Kollegium und vor allem den Kanzler – wieder in die allein leitende Stellung zu bringen, auf die sie ein unveräußerliches Recht besäßen.“6 Diese Gedanken hatte Kanzler Schwartzkopf in einer Denkschrift von 1657 schriftlich formuliert und Herzog August gewidmet. Sein Nachfolger, Kanzler Probst, konnte offenkundig diese Grundsätze in seiner Amtszeit vollständig in die Praxis umsetzen. 1688 wurde der Jurist und Geheimrat Busso von Münchhausen zum offziellen Direktor des Konsistoriums ernannt. Zug um Zug wurde die Zahl der weltlichen Räte im Konsistorium erweitert, so dass diese zuletzt mehr Sitze (5:3) als die Geistlichen in der Kirchenbehörde einnahmen. Das entsprach den Tendenzen der Zeit, wie es denn auch Kirchenrechtler gab, die fragten, ob Theologen im Kon- sistorium, das ja seinem Kern nach eine Gerichtsbehörde war, überhaupt notwendig seien.7 Nach Busso von Münchhausen übernahm 1697 der Kanzler Probst von Wend- hausen in eigener Person den Vorsitz im Konsistorium und nannte sich auch Kon- sistorialpräsident. In seiner Eigenschaft als Vertreter des Herzogs und des Geheimen Rates war er ohnehin schon immer Leiter in den Sitzungen dieser Behörde. Diese neuen staatsrechtlichen Verhältnisse im Konsistorium spiegeln sich in der Vorrede zur Kirchenordnung von 1709 wider, indem festgestellt wird, dass die landesfürst- liche Regierung mit dem Jus sacrorum und den davon abhängigen Episkopal-Rech- ten auf unzertrennliche Weise verknüpft sei und dem Landesherrn die Cura ecclesiae

5Vgl. H. D. Lange: Schwartzkopf, Johann (von), Dr. jur. In: BBL 2006, S. 643f. 6V. dettmar: Das Konsistorium zu Wolfenbüttel. Braunschweig 1922, S. 47. 7Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste … Fünffter Band. Halle 1733, Sp. 1035/36.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 124 Thomas Capelle zustehe und gebühre; in Ausübung derselben schütze und bewahre der Landesherr die Kirche und erlasse entsprechende Gesetze und Verordnungen.8 Als Dank für seine großen Leistungen im Dienst des Braunschweigischen Landes- herrn belehnte Rudolf August 1681 Philipp Ludwig Probst mit der Burg(ruine) Wendhausen samt dem Dorf und Gericht sowie dem Pfarrpatronat. Aufgrund seiner bedeutenden Verdienste als Staatsdiener wurde Philipp Ludwig Probst 1683 auch durch Kaiser Leopold gewürdigt, indem er von diesem in den Adelstand erhoben wurde. Der Braunschweigische Kanzler nannte sich von da ab Philipp Ludwig Probst von Wendhausen. Seiner neuen Würde entsprechend ließ er 1688 die alte Burgruine in seinem Dorf an der Schunter zu einem repräsentativen Schloss aufführen und einen Lustgarten anlegen.9 Kanzler Probst von Wendhausen galt damals nicht allein als der einfussreichste, sondern auch als der reichste Mann im Fürstentum. Er war Erbherr auf Wendhausen, sowie auch auf Schöningen und Riddagshausen.

2. Der Kanzler und die Pietisten

Das kirchliche Leben zu der Zeit, in welcher der Kanzler Probst von Wendhausen lebte und wirkte, war damals sehr erstarrt. In seiner „Geschichte der Braunschwei- gischen Landeskirche“ schreibt Johannes Beste über diese Epoche: „Die unbestreit- bare Wahrheit, dass das Christentum zunächst Leben ist, war von der im 17. Jahr- hundert herrschenden streng lutherischen Richtung oft vergessen. Eine kaltsinnige, verstandesnüchterne, nur auf Reinheit der Lehre bedachte und daher bald verknö- chernde Schule führte in der Kirche das große Wort. Die Religion wurde nur zu oft erwürgt durch die Theologie, die Gemeinden schliefen ein, während die Theolo- gen sich zankten; die Predigten waren so trocken, dass man hie und da besondere Wecker für die Kirchenschläfer anstellen musste und es einem Johann Gerhard in seinem Leichensermon als etwas Großes nachgerühmt wurde, dass man ihn niemals in der Kirche schlafen gesehen. … Wie traurig, dass reine Lehre oft mit unreiner Ge- sinnung gepaart war, dass die Prediger, die zu Recht bestehende Lehre auswendig lernten, wie ein Schüler sein Exerzitium, ohne wahre Erneuerung des Herzens, und nur durch verdoppelten leidenschaftlichen Eifer die geistige Leerheit und Hohlheit, den brennenden Vorwurf der inneren Unwahrhaftigkeit zu vergessen oder doch zu betäuben versuchten.“10 Der Kanzler und Vorsitzende des Konsistoriums, Probst von Wendhausen, war in Glaubenssachen ganz ein Anhänger des Helmstedter Calixtinismus, der in Braun- schweig-Wolfenbüttel damals vorherrschend war und dem Pietismus genauso ab- lehnend gegenüberstand wie die klassische Wittenberger lutherische Orthodoxie11.

8Vgl. Erneuerte Kirchenordnung von 1709, Vorrede. Ausgabe: Braunschweig 1862. 9Vgl. Schwarz (wie Anm. 1), S. 5–8. 10 Johannes beSte: Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche von der Reformation bis auf unsere Tage. Wolfenbüttel 1889, S. 271. 11 Ebd., S. 270, 282.

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Im „Ehrengedächtnis“ von Treuer wird sein leidenschaftliches Engagement hervor- gehoben, mit welchem Probst von Wendhausen für die reine Kirchenlehre eintrat: „Mit was für Eyffer suchte er nicht die reine evangelische Lehre zu erhalten? Hat man ihm doch die Augen/welche bey allen andern Unglück ihr Feuer behielten/voll Wasser stehen sehen/wenn er hörte/dass sie sollte angefochten werden.“12 Gegen die geistliche Verödung bei gleichzeitig hohem wissenschaftlichem Niveau dieser „Theologie der reinen Lehre“ hat es freilich nicht an Opposition innerhalb der Kirche gefehlt. Die lutherische Orthodoxie aber ebenso auch der calixtinistische Intellektualismus der Helmstedter Hochschule riefen den Pietismus als seine Gegen- bewegung hervor. Weithin war man unzufrieden geworden mit einer Kirche, deren Angebot an Lehre, Predigt und Unterweisung die Seelen der Gläubigen unterer- nährt ließ; das Auseinanderklaffen von Lehre und Lebenspraxis wurde nicht weni- gen zum Anstoß. Das streitbare Verfechten der reinen Lehre in jenem Zeitalter ließ auf vielen Kanzeln keinen warmen Herzton aufkommen, man fühlte sich durch die Verkündigung nur selten erbaut. Von der Ehefrau des Wolfenbütteler Theologen Georg Nitsch13, Pastor in Wolfenbüttel zwischen 1693–1709, wird die Aussage überliefert: „Die im Kopfe ruhenden Wahrheiten können uns eben so wenig selig machen, als das Brot, welches im Eßschranke liegt, uns sättigen kann.“14 Die Ehefrau von Georg Nitsch war übrigens Tochter des Wolfenbütteler Lieder- dichters und Pietisten Gottfried Wilhelm Sacer, Kammer- und Amtsadvokat in Wolfenbüttel; Johannes Beste schreibt von ihm: „sein Haus war Mittelpunkt der Pietisten“15 . Georg Nitsch selbst klagt über die Theologen seiner Zeit und deren Widerspruch von Lehre und Leben: „Man will lieber gelehrt als gottesfürchtig, lieber witzig als geistlich, lieber be- rühmt als um des Gekreuzigten willen verachtet seyn, kurz, jene rechtschaffene und ungeheuchelte Frömmigkeit läßt sich ringsherum gar wenig spüren.“16 „Man hat niemals Leute gehabt, die gelehrter von geistlichen Dingen zu reden gewußt und schlechter in der Gottesfurcht gewesen, als jetzo.“17 „Wahre Religion ist nicht in die oberste Gegend des Gehirns gesetzet, sondern in das Herz, den Sitz der Liebesneigung, den Brunnen der Handlung … Wer nur mit Naphtali schöne Rede gibt (1 Mose 49, 21), das aber, was er in solcher Rede vorbringet, mit seinem Leben wieder umstößet, dessen Gottesdienst ist nur ein an- dächtiges Kompliment.“18 Das eifersüchtige Pochen des Kirchenregiments auf Autorität und Gehorsam ließ dem Laienengagement, dem allgemeinen Priestertum in den Gemeinden damals keinen Raum. Das Unbehagen an der lutherischen Orthodoxie und dem Calixtinis-

12 treUer (wie Anm. 1), S. 28. 13 Klaus JürgenS: Nitsch, Georg. In: BBL 2006, S. 526. 14 Georg nitSch: Uebung in der Heiligung. Theologische Sendschreiben, hrsg. v. W. F. Besser. Halle 1856, S. XVII. 15 beSte (wie Anm. 10), S. 281. 16 nitSch (wie Anm. 14), S. IX. 17 Ebd., S. 174. 18 Ebd., S. 266ff.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 126 Thomas Capelle mus brachte mithin die pietistische Bewegung hervor. Denn im Gegensatz zu diesen beiden theologischen Schulen drängte die Erneuerungsbewegung des Pietismus auf einen persönlich gelebten Glauben, also auf ein inwendiges und praktisches Chris- tentum, das in überschaubaren Gemeinschaftsbildungen neben dem Gottesdienst (nicht separat davon!) vertieft werden sollte. Seine spezielle Prägung erhielt der lutherische Pietismus durch Philipp Jakob Spener (1635–1705)19, der seine Anhän- ger auch im Herzogtum Wolfenbüttel hatte; von dem Wolfenbütteler Georg Nitsch wurde gesagt, er sei ein „Erbe Luthers, ein Nachfolger Arnd’s und ein Mitzeuge Spener’s“.20 Spener nannte die Missstände der evangelischen Kirche in seinem 1675 erschie- nenen Traktat „Pia desideria“ (Fromme Anliegen) beim Namen und drückte darin sein „herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirche“21 aus. In diesem Traktat wurde die Verweltlichung und Veräußerlichung des kirchlichen Lebens schonungslos angesprochen. Spener forderte u.a. eine intensivere Beschäftigung mit dem Wort Gottes, die Wiederaufrichtung des sog. „geistlichen Priestertums aller Gläubigen“ (also das Laien-Engagement in den Kirchengemeinden), wahres Herzens- und Lebenschristen- tum gegenüber dem bloßen Wissen von der christlichen Religion und eine bessere Vorbereitung der künftigen Prediger, die vor allem durch ihr sittliches Leben der Gemeinde ein leuchtendes Vorbild sein sollten. Die Herausgabe dieser „frommen Anliegen“ fand in der gesamten evangelischen Kirche Deutschlands ein lebhaftes Echo; es entstand die innerkirchliche, pietistische Erneuerungsbewegung. Innerkirchlich war die Bewegung deshalb, weil Spener fest- hielt an seiner „Hoffnung für bessere Zeiten“ innerhalb der Kirche und so die Ent- stehung eines anti-institutionell gerichteten Christentums verhinderte – gab es zu der Zeit doch auch seperatistische Tendenzen, wo man sich wegen der zahlreichen Missstände aus der Kirche zurückziehen und lösen wollte. Das Anliegen des Spener’schen Pietismus war es von Anfang an, innerkirchlich echte Herzensfrömmigkeit im Alltagsleben der Gläubigen umzusetzen; man sprach von der „Praxis pietatis“ und meinte damit die persönlich gelebte Frömmigkeit. In frommen Versammlungen, den „Collegia pietatis“, die ergänzend zum sonntäglichen Gottesdienst in Pfarr- oder Privathäusern stattfanden, versuchte man, die Laien zu mündigen Christen heranzubilden und ihren persönlichen Glauben zu vertiefen. Die kirchliche Orthodoxie ebenso wie die akademische Theologie fühlte sich von dieser auf Gefühl und Innerlichkeit sowie christliche Lebenspraxis setzende Be- wegung vorgeführt und – in Frage gestellt. Der staatlichen wie kirchlichen Obrig- keit kamen die selbstbewussten, erweckten Christen und die pietistischen Privatver- sammlungen verdächtig vor.

19 Vgl. M. Schmidt, Spener, Philipp Jakob. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Aufl. Bd. 6. Tübingen 1962, Sp. 238f.; Johannes waLLmann: Spener, Philipp Jakob. In: Theologische Realenzyklopädie. Band XXXI. Berlin 2000, S. 652–666 (mit weiterer Literatur). 20 W. F. beSSer, in: nitSch (wie Anm. 14), Vorrede. 21 So der Untertitel des Reformprogramms, hrsg. v. Kurt aLand. Berlin 1964 (KLT 170), S. 1

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Auch in dem kleinen Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel hatte in der zwei- ten Hälfte des 18. Jahrhunderts die pietistische Bewegung zunächst Fuß gefasst und erlebte sogar für einige Jahre eine Blütezeit.22 Herzog Rudolf August war selbst ein begeisterter Anhänger des Pietismus und galt als der frömmste aller Braunschwei- gischen Fürsten.23 Er stand in persönlicher Verbindung zu Ph. J. Spener, der ihm einige theologische Schriften widmete. Rudolf August sah dabei die Praktizierung der pietistischen Frömmigkeit nicht als Herausforderung nur für einzelne, sondern sprach in einem Brief im Blick auf die Pietisten die Hoffnung aus: wollte Gott wir wärens alle!24 Der pietistisch gesonnene Herzog ließ sogar auf seine Kosten eine Gebetssammlung von Spener drucken … sonderlich vor die, welche vorgedachtes Buch nicht bezahlen können25 und sorgte damit persönlich für die Ausbreitung pie- tistischer Schriften unter den fnanziell Unvermögenden. Führende Pastoren, darun- ter auch der Hofprediger und Konsistorialrat Justus Lüders, wirkten in Wolfenbüttel und Braunschweig im Sinne des Pietismus. Der bekannteste Pietist im Herzogtum war Joachim J. Breithaupt, der spätere Mitstreiter von August Hermann Franke in Halle. Durch Breithaupt wurden in Wolfenbüttel die sog. Konventikel, die Erbau- ungsstunden als Privatversammlungen, eingeführt. Zu diesem Wolfenbüttler Kreis von Pietisten gehörte neben anderen auch der Liederdichter Heinrich Georg Neuß, Pastor (Adjunkt) an der Hauptkirche BMV.26 Die weitere Entwicklung des Pietismus im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüt- tel wurde jedoch gebremst, als Herzog Anton Ulrich, der seit 1685 Mitregent seines Bruders Rudolf August war, immer stärker die Geschicke des Landes in seine Hand nahm. Seine höfsche Lebensweise stand in starkem Gegensatz zur gelebten Inner- lichkeit seines Bruders. Die barocke Lebenslust des Anton Ulrich musste zwangsläu- fg in Gegensatz treten zu der praktisch gelebten Frömmigkeit des Pietismus. So gingen die beiden regierenden Herzöge, Rudolf August und Anton Ulrich, hinsichtlich des Pietismus getrennte Wege. Aber auch das Konsistorium war in sei- ner Stellung zur pietistischen Bewegung gespalten: zwei der vier geistlichen Räte, der Generalsuperintendent Barthold Meier und der Hofprediger Justus Lüders, waren erklärte Pietisten; ihnen gegenüber standen Lucas Pestorf und Friedrich Ulrich Calixt, welche Anhänger des Helmstedter Calixtinismus und damit gegen den Pietismus eingenommen waren.27 Trotz dieser Patt-ähnlichen Situation in Sachen Glaube und Frömmigkeit sowohl im Fürstenhaus wie unter den Theologen im Kon- sistorium wurde jedoch in Braunschweig-Wolfenbüttel unter dem 9. März 1692 von Rudolf August und Anton Ulrich das fürstliche „Anti-Pietisten-Edikt“ erlassen,

22 beSte (wie Anm. 10), S. 271ff.; vgl. Martin brecht u.a.: Geschichte des Pietismus. Bd. 2: Der Pietismus im achtzehnten Jahrhundert. Göttingen 1995; Hans Walter KrUmwiede: Kirchen- geschichte Niedersachsens. Band 1. Göttingen 1995, S. 226ff. 23 Vgl. Friedrich wagnitz: Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel (1627–1704)– „Der Pietist auf dem Welfenthron“. Wolfenbüttel 1991 (Manuskript im Landeskirchliches Archiv Wolfenbüttel und im NLA-StA WF). 24 Herzog August Bibliothek, Extravagantes 126.1 Nr 86. 25 Herzog August Bibliothek, Extravagantes 126.2 Nr 101. 26 Vgl. beSte (wie Anm. 10), S. 271ff. 27 Ebd., S. 286f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 128 Thomas Capelle welches den Titel trug: „Edict und Verordnung, wie bey denen hin und wieder sich ereugenden Newerungen und Sectareyen alle und jede Prediger und Lehrer in dero Landen sich vorsichtiglich halten und sowohl sich selbsten als ihre Gemeinen und Zuhörer dafür bewahren sollen. Publiciret in Gegenwart der gnädigsten Herrschaft denen citirten hiesigen Predigern und Schulbedienten in dem Fürstlichen Consisto- rio Wolfenbüttel den 9. Mart.1692“.28 Wie konnte es angesichts der geistlichen und theologischen Gespaltenheit so- wohl des Fürstenhauses als auch der geistlichen Räte im Konsistorium zur Heraus- gabe dieses „Anti-Pietisten-Ediktes“ kommen? Der äußere Anlass zu diesem Edikt bot zweifellos das Auftreten des radikal- pietistischen Predigers Johann Wilhelm Petersen29, der seine Anschauungen in den welfschen Landen zu verbreiten suchte. Das Lüneburger Konsistorium warnte in einem Schreiben vom 26. Januar 1692 die Kollegen in Wolfenbüttel und sprach da- bei das Vertrauen aus, „es werden die Herren Vorsorge tragen, damit derselbe seine unbegründeten Meinungen und Lehren so wenig in Schriften, als auch sonst weiter ausbreiten dürfe“.30 Man fügte diesem Schreiben eine Kopie der Absetzungsurkun- de Petersens vom 21. Januar 1692 bei, worin man die Vorwürfe beschrieb, die dazu geführt hatten, dass Petersen sich seines bey der Christlichen Gemeinde zu Lüne- burg bißher gehaltenen Ambts und aller anderer Geistlichen functionen in diesem Fürstenthum und Landen hinfüro unfähig und verlustig gemachet.31 Der Vorfall Petersen wurde in Wolfenbüttel zum Anlass genommen, umgehend mittels des „Anti-Pietisten-Edikts“ zu reagieren und dabei sich nicht nur vor Peter- sen zu schützen, sondern damit grundsätzlich gegen den Pietismus im eigenen Lande vorzugehen. „Probst von Wendhausen und Lukas Pestorf, der erste Jurist und der erste Theologe des Landes, befürworteten die Herausgabe eines fürstlichen Edikts. Trotz der pietistenfreundlichen Gesinnung des regierenden Herzogs Rudolf August wurde dasselbe durchgesetzt.“32 In den Braunschweigischen Anzeigen von 1760 wird von Generalsuperintendent Franz Anton Knittel eine Lebensbeschreibung des ehemaligen Braunschweigischen Premier-Ministers und Kanzlers Probst von Wendhausen veröffentlicht, worin die sich gegenseitig ergänzende Zusammenarbeit von Pestorf und Probst von Wendhau- sen bei der Herausgabe des Edikts bestätigt wird: „Wie groß der Eifer für die Auf- rechterhaltung der einzigen wahren Kirche, und wie ausnehmend die Wissenschaft in den göttlichen Wahrheiten bey diesem Minister gewesen, zeuget nicht allein die durch seine und des berühmten Abts Pestorff Veranlassung publicirte Verordnung, welche den herumschleichenden sectarischen Gift zeitig vorkommen, mithin auch allen bösen Verdacht von der Kirche dieses Landes abwenden sollte, sondern auch

28 NLA-StA WF 2 Alt Nr. 14970, 104–107. 29 Vgl. beSte (wie Anm. 10), S. 286f.; KrUmwiede (wie Anm. 22), S. 231. Zu Petersen s. Dietrich bLaUFUSS: Petersen, Johann Wilhelm. In: Theologische Realenzyklopädie. Band. XXVI. Berlin 1996, S. 248–254 (mit weiterer Literatur). 30 Zit. nach beSte, S. 287. 31 NLA-StA WF 2 Alt Nr. 14970, 10f. 32 beSte (wie Anm. 10), S. 287.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Der Kanzler und die Kirche 129 die Schrift, welche er zu einem gewissen Endzweck herausgegeben hat, und den Titul führet: Purae religionis characteres …“33 In diesem Hinweis bescheinigt Knittel in der Sache dem Kanzler sogar eine beson- dere Leidenschaft („großen Eifer“) und bemerkenswert ist, dass Knittel den Kanzler dabei an erster Stelle erwähnt und auffälliger Weise die regierenden Herzöge in der Angelegenheit ganz unerwähnt lässt. Der an zweiter Stelle genannte Johann Lucas Pestorf (1638–1693)34 war seit 1688 als Hof- und Domprediger am Stift S. Blasius in Braunschweig angestellt, dessen Dekan Probst von Wendhausen seit 1673 gewe- sen ist. Beide standen wohl in einem engen Verhältnis zu einander, ist doch Pestorf nicht nur Theologe, sondern auch wie Probst von Wendhausen Jurist gewesen. 1689 wurde Pestorf Oberhofprediger, Obersuperintendent (Generalissimus), Abt von Riddagshausen und eben auch geistlicher Konsistorialrat. Das Für und Wider in der Pietismus-Frage am Hof wie im Konsistorium wurde Knittel zufolge offenkundig durch das Gewicht des Kanzlers in der Kirchenbehörde entschieden: Zusammen mit Pestorf und Fr. U. Calixt scheint Probst von Wendhau- sen gegen die Befürworter des Pietismus, Lüders und Meier, das „Anti-Pietisten- Edikt“ innerhalb der Kirchenleitung sowie im Fürstenhaus durchgesetzt zu haben, wobei alles dafür spricht, dass Kanzler Probst von Wendhausen der Betreiber und Pestorf der Verfasser des Ediktes gewesen ist. Die weltlichen Räte im Konsistorium dürften ohne Zweifel auf der Seite des Kanzlers gestanden und mit für das Edikt votiert haben. In der „Neuen Fortsetzung der Meibomschen Chronik des Klosters Riddagshausen“ schreibt Knittel über die Rolle des Abtes Pestorf bei der Entste- hung des Anti-Pietisten-Edikts: „Wie er über die reine Lehre gehalten habe, ist aus dem Edicte wider die Sectirer, so aus seiner Feder gefossen, zu ersehen.“35 Hier schreibt Knittel die redaktionelle Verfasserschaft des „Anti-Pietisten-Edik- tes“ eindeutig dem Abt Pestorf zu. Wie sehr wir uns gleichwohl den Kanzler Probst von Wendhausen als den urhebenden Veranlasser des Ediktes vorstellen müssen, geht aus den biographischen Ausführungen von Treuer in seinem „Ehrengedächt- nis“ von 1719 hervor: „Ein jeder wird sich erinnern/was vor Missbräuche unter dem Nahmen der Pietät im Jahr 1692 diesem Lande droheten/welche desto gefährlicher zu werden begonnten/weil sie von einigen unterstützet wurden/die Gelegenheit hatten sie heimlich und öffentlich mit besonderem Nachdruck dem Volcke beyzu- bringen. Damit sie aber nicht nach und nach einschleichen und die Religion selbst affzieren noch verletzen möchten/besorgete der Herr Cantzler die publication einer besonderen Verordnung/welche dem herumschleichenden Sectarischen Gifft zeitig vorkommen/mit hin auch allen bösen Verdacht von der Kirche dieses Landes ab- wenden sollte. Unterschiedenen Ländern dienete sie zu einer Richtschnur/wonach sie ihre Verwahrung wieder dergleichen Irrthümer anstelleten: Denn sie konnten

33 Braunschweigische Anzeigen 1760, S. 1198f. 34 Vgl. beSte (wie Anm. 10), S. 284f.; Walter baUmann: Johann Lucas Pestorff (1638–1693). In: 300 Jahre Predigerseminar 1690–1990. Festschrift zum 300-jährigen Jubiläum des Predigersemi- nars der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig. Hrsg. v. W. theiLemann. Braunschweig 1990; N. M. pingeL: Pestorf, Johann Lucas, in: BBL 2006, S. 556f 35 Braunschweigische Anzeigen 1757, S. 975.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 130 Thomas Capelle nichts vollkommeners fnden/welches die irrigen Puncte eigentlicher hätte berühren und die Prediger des Landes zu ihrer Pficht besser anweisen können.“36 Es „besorgete der Herr Cantzler die publication einer besonderen Verord- nung“ – in dieser Aussage schreibt Treuer dem Kanzler Probst von Wendhausen die maßgebliche Initiative bei der Herausgabe des „Anti-Pietisten-Ediktes“ zu. Dieses Edikt von 1692 wurde dann erneut 1709 in die „Erneuerte Kirchenordnung“37 des Herzogs Anton Ullrich aufgenommen und damit zum bleibenden Bestandteil dieser Ordnung gemacht. Und offensichtlich hatte auch hier wiederum Probst von Wend- hausen als Kanzler und jetzt Konsistorialpräsident ursächlich daran mitgewirkt, dass das „Anti-Pietisten-Edikt“ bleibende kirchenrechtliche Bindungskraft durch die Aufnahme in die Erneuerte Kirchenordnung bekam. Treuer schreibt: „Wie er sich in denen letztern Zeiten des Kirchen-Staats dieses Landes angenommen/und was er vor glückliche Anschläge zu seiner erwünschten Verfassung beygebracht/davon kann die bey seinem hohen Alter auf Landes Fürstliche gnädige Instance größt- hentheils abgefassete erneuerte Kirchen-Ordnung Zeugniß geben. Thaten sich etwan Merckmahle hervor/dass dessen Zustand in Gefahr gerahten könnte/so redete er davon mit solchem Muht, wie die Vertheydigung der Sache Gottes erforderte/bey welcher seyn Fus fester stunde/als ein Fels/den keine stürmende Lufft beweglich machen kann.“38 Treuer spricht hier die große persönliche Leidenschaftlichkeit des Kanzlers an, mit welcher dieser offenbar die Ordnungsmaßgaben zur Abwehr des Pietismus in die neugestaltete Kirchenordnung von 1709 eingebracht und durchgesetzt hat. Wir erinnern dazu an die oben bereits zitierte Aussage,39 die Treuer ebenfalls im Zusam- menhang mit der erneuerten Kirchenordnung von 1709 machte: „Mit was für Eyffer suchte er nicht die reine evangelische Lehre zu erhalten? Hat man ihm doch die Augen/welche bey allen andern Unglück ihr Feuer behielten/voll Wasser stehen sehen/wenn er hörte/dass sie sollte angefochten werden.“40 Dieser Eifer in Sachen Pietismus-Abwehr, der hier Probst von Wendhausen be- scheinigt wird, steht in bemerkenswertem Kontrast zu seiner sonstigen Gelassen- heit, die ihm von seinem eigenen Dienstherrn, Herzog Anton Ulrich, bezeugt wird: „Über seine Affekten ist er dergestalt Herr, dass man ihm nie ansehen kann, ob er vergnügt, oder empfndlich.“41 Wer sonst gelassen und selbstbeherrscht auftritt, an anderer Stelle aber eine auffallende Leidenschaft an den Tag legt, zeigt damit, wie sehr er sich mit der be- treffenden Sache persönlich identifziert! Dies wirft ein Licht darauf, wie sehr die Auseinandersetzung mit dem Pietismus doch eine höchst persönliche des Kanzlers gewesen ist!

36 treUer (wie Anm. 1), S. 26f. 37 Vgl. Anm. 7. 38 Ebd., S. 28. 39 Vgl. Anm. 11. 40 treUer (wie Anm. 1), S. 28. 41 Zit. Nach beSte (wie Anm. 10), S. 363.

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Trotz des „Anti-Pietisten-Edikts“ von 1692 gab es in der Stadt Braunschweig seit 1703 dennoch einen einfussstarken pietistischen Prediger, Peter Schilling, der am Kreuzkloster wirkte und viele Menschen aus anderen Stadtgemeinden anzog; zur Unterdrückung dieser von Schilling ausgehenden pietistischen Bewegung er- schien am 10. August 1707 ein fürstliches Mandat, demzufolge die Prediger und Lehrer der Stadt das Edikt gegen die Pietisten von 1692 erneut unterschreiben soll- ten42. Bezug nehmend auf diesen Vorgang existiert ein persönliches Schreiben, das der Abt Gottlieb Treuer43 als erster Geistlicher des Landes am 6. August 1707 an Probst von Wendhausen richtet, worin er Gott anfeht, daß, weilen Er in den vorigen schweren Heuchel=Zeiten wider die Scheinheiligen undt ihrer bösen Pietät durch Sie so große Dinge befordert, Sie auch Ihre Hoch=Wohlgebohren Excell. itzo, da ihr schädlicher Same wieder in diesem Lande aufwachsen will, mit seinem guten Briefe kräfftig stärcke, Ihr Alter wie die Tugend mache undt Seiner Kirchen Bestes noch lange durch solchen Pfeiler unterstütze.“44 Auch aus diesem persönlichen Schreiben des Generalsuperintendenten und Oberhofpredigers Treuer geht die bedeutende Rolle und Initiative des Kanzlers Probst von Wendhausen in der Auseinandersetzung mit dem Pietismus hervor. Offenkundig hatte er in einer Korrespondenz an Herzog Anton Ulrich sich für ein stärkeres Vorgehen gegen die Pietisten eingesetzt und darüber Treuer in Kenntnis gesetzt, der sich für diese ergangene Mitteilung in seinem Schreiben bedankte: bin höchstens verbunden, dass Sie die bey kommende Sachen zu communicieren Ihnen gnädigst gefallen laßen.“45 Sowohl das ursprüngliche „Anti-Pietisten-Edikt“ von 1692 wie auch die „Er- neuerte Kirchenordnung“ von 1709 hatten alle Pastoren und Schuldiener im Land Braunschweig zu unterschreiben; wer aus Gewissensgründen nicht unterschreiben konnte und wollte, musste sein Amt aufgeben. Da die Pietisten im Konsistorium Barthold Meyer und Justus Lüders ihre Unterschrift unter das Edikt verweigerten, mussten sie ebenso wie der bekannte Kirchenliederdichter Georg Neuß das Land verlassen, obwohl sie einst von Herzog Rudolf August selbst in die Residenzstadt berufen worden waren. Damit endete in Wolfenbüttel die Phase des Pietismus be- reits zu einer Zeit, als er sich andernorts erst zu entfalten begann. Wer sich einige Zeit noch halten konnte, war Georg Nitsch, der das Edikt wohl unterschrieben hatte, jedoch bei passender Gelegenheit auch zum Verlassen des Landes gedrängt wurde. Übrigens müssen Barthold Meyer (Meier) und wohl auch Justus Lüders durch die Herausgabe des Ediktes vollkommen überrascht worden sein. Obwohl sie Mit- glieder des Konsistoriums waren, wurden sie in den Prozess der Herausgabe nicht mit einbezogen, sondern offenkundig von den übrigen anti-pietistisch eingestellten Konsistorialräten vor vollendete Tatsachen gestellt. Barthold Meyer jedenfalls be-

42 Ebd., S. 305. 43 Abt Gottlieb Treuer war der Vater des Helmstedter Prof. Dr. G. Samuel Treuer; er wurde 1707 von Herzog Anton Ulrich nach Wolfenbüttel als Konsistorialrat, Generalsuperintendent und Pastor primus an der Hauptkirche B.M.V. berufen und zugleich zum Abt von Riddagshausen ernannt. Vgl. K. JürgenS: Treuer, Gottlieb. In: BBL 2006, S. 706f. 44 NLA-StA WF 2 Alt 14971, 76f. 45 Ebd., 76.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 132 Thomas Capelle schwert sich in einem Schreiben vom 11.3.1792 in Sachen Edikt, welches ich nicht kann an meine Speciales Superintendentes und Herren Amtsbrüder senden, weil ich refectiren muß auff die gantze Evangelische Kirche, und mich nicht wenig betrü- bet, dass, da von meinen gnädigsten Fürsten als Consistorial =und Kirchen Raht in Gnaden bestellet, ich in einer so wichtigen Sache nicht bin gehöret worden, und doch die Verantwortung mit halten soll.46 So wurde durch das „Anti-Pietisten-Edikt“ der neuen Frömmigkeits- und Re- formbewegung im Braunschweiger Land der Untergang bereitet. Selbst der pietistisch gesonnene Herzog Rudolf August konnte sich gegenüber dem Kanzler offenkundig nicht durchsetzen, was ein Licht auf die bedeutende, ja einzigartige Machtstellung des Kanzlers im Fürstentum wirft. Über seinen Privatsekretär von der Hardt, dem Oberbibliothekar in Wolfenbüttel und späteren Professor für orientalische Sprachen in Helmstedt, ließ Herzog Rudolf August seinen Freund Spener ausdrücklich wis- sen, dass er persönlich am Zustandekommen des Ediktes unbeteiligt gewesen sei.47 Ganze Prediger- und Lehrergenerationen mussten im Fürstentum Braunschweig für lange Zeit das „Anti-Pietisten-Edikt“ unterschreiben. In seiner Arbeit über das Konsistorium zu Wolfenbüttel schreibt V. Dettmer dazu: „Im übrigen wurde die Unterschrift unter das Edikt von allen Geistlichen in Stadt und Land ohne Wider- spruch und Weigerung geleistet. Auch wurde von der Zeit an die Verpfichtung auf dasselbe mit in die Unterschriftenformel aufgenommen, mit welcher die Geistlichen sich auf die im Lande geltenden in dem Corpus doctrinae Julium zusammengefassten Bekenntnisschriften verpfichten mussten. Bis zur Abänderung dieser Unterschrifts- formel im Jahre 1832 sind alle Geistliche des Landes auf die strikte Befolgung jenes Ediktes eidlich verpfichtet worden.“48 So hatte sich die Braunschweigische Landes- kirche der geistlichen Reformbewegung des Pietismus nachhaltig verschlossen, was möglicherweise die spröde Kirchlichkeit, die im Braunschweiger Land bis heute spürbar ist, erklärt. Im Gegensatz zu Braunschweig-Wolfenbüttel hatten sich andere Landesherren in deutschen Landen dem Pietismus gegenüber offener gezeigt. Schon in der benach- barten Grafschaft Stolberg-Wernigerode ging man mit dem Pietismus viel wohlwol- lender um und berief 1695 Georg Neuß zum Superintendenten und Konsistorialrat.49 Die Harzzeitschrift berichtet von Erbauungsversammlungen der Pietisten, zu denen der Stolberger Graf auf den Brocken selbst einlud.50 Auch in Württemberg verfuhr man mit den Pietisten toleranter. 1743 wurde dort das „General-Rescript, betr. die Privat-Versammlungen der Pietisten“51 erlassen, was bekanntermaßen nachhaltig

46 NLA-StA WF 2 Alt 14970, 34. 47 Vgl. Herzog August Bibliothek, Extravagantes, 126.2.Nr. 78. 48 dettmer (wie Anm. 6), S. 62f. 49 Vgl. beSte (wie Anm. 10), S. 290. 50 Ed. JacObS: Die Brockenfahrten zur Pietistenzeit. In: Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde 32 (1899), S. 350–360. 51 Das Württembergische Pietisten-Reskript vom Jahr 1743. Hrsg. vom Evangelischen Oberkirchen- rat. Stuttgart 1977. Dem Faksimile des Pietisten-Reskripts liegt das im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart befindliche Exemplar dieses Reskripts zugrunde (Bestand A 26, Bund 464,1).

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Der Kanzler und die Kirche 133 die Weichen für einen konstruktiven Umgang mit der pietistischen Bewegung inner- halb der Württembergischen Landeskirche gestellt hat. Anders als etwa in Stolberg-Wernigerode oder Württemberg wurde in Braun- schweig-Wolfenbüttel leider nicht zwischen kirchlichen und radikalen Pietisten unterschieden. Das „Anti-Pietisten-Edikt“ von 1692, welches auch von Hannover übernommen wurde, listet in 16 Artikeln ohne Differenzierung die vermeintlichen Kennzeichen des Pietismus auf. Dabei werden typische Merkmale des spiritualisti- schen Separatismus (Erwartung des nahen Weltendes, Höherschätzung des „inne- ren Wortes“ gegenüber der Heiligen Schrift, nicht-reformatorische Sonderlehren, Loslösung von der verweltlichten Kirche) neben solche des Spener’schen Pietismus gestellt. Damit aber wurde der Pietismus insgesamt und unterschiedslos als eine kirchenfeindliche Richtung diskreditiert, und die Frage stellt sich, was die Grün- de waren, die in Braunschweig-Wolfenbüttel zu einem schroffen anti-pietistischen Vorgehen führten? Sicher wirkte sich hier nicht unwesentlich die anti-pietistische Haltung der calixtinistisch geprägten Theologen an der Landesuniversität in Helm- stedt aus, aber wir dürfen gerade im Zeitalter des Absolutismus auch nicht die Rolle und den Einfuss einzelner, individueller Persönlichkeiten in den staatslenkenden Funktionen unterschätzen. Möglicherweise hätte der Pietismus im Fürstentum Wol- fenbüttel einen anderen Verlauf genommen, wenn der Kanzler Probst von Wend- hausen stärker die Partei und die Haltung des Herzogs Rudolf August den Pietisten gegenüber eingenommen hätte.

3. Die Widersprüchlichkeit des Kanzlers Probst von Wendhausen

Die Rolle des Kanzlers Probst von Wendhausen als Verteidiger der „reinen evan- gelischen Lehre“ in den kirchenpolitischen Angelegenheiten des Braunschweiger Landes wirkt abseits von der Pietismus-Auseinandersetzung im Blick auf ande- re Felder der Kirchen- und Staatspolitik einigermaßen widersprüchlich. Dersel- be Kanzler und Konsistorialdirektor, der sich so vehement gegen die pietistische Reformbewegung im Braunschweiger Land aus Gründen der Verteidigung der reinen evangelischen Lehre einsetzte, besaß bemerkenswerter Weise keine Skrupel, Prinzessin Elisabeth Christine, die Großtochter Herzog Anton Ulrichs, gegen ihr Gewissen zum Konfessionswechsel, d.h. zum Übertritt zur katholischen Kirche zu drängen52. Elisabeth Christine sollte mit dem katholischen Karl, König von Spanien und späteren deutschen Kaiser, verheiratet werden, weil dies recht günstig in die staatspolitische Interessenlage Anton Ulrichs passte. Um der Enkelin seines Fürsten die deutsche Kaiserkrone zu verschaffen, hat Probst von Wendhausen die ehrgei- zigen Pläne Anton Ulrichs in dieser Sache aufs Energischste unterstützt und den Übertritt zum Katholizismus von Elisabeth Christine zielstrebig vorangetrieben. Die beiden Hofgeistlichen Johann Niekamp und Knopf, die öffentlich gegen den Konfessionswechsel der Braunschweiger Prinzessin auftraten, wurden kurzerhand

52 Vgl. beSte (wie Anm. 10), S. 333f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 134 Thomas Capelle des Amtes enthoben, wobei ganz davon auszugehen ist, dass der Braunschweiger Kanzler und Leiter der Kirchenbehörde an dieser Amtsenthebung nicht unbeteiligt gewesen war, sondern im Gegenteil dabei kräftig seine Hand mit im Spiel hatte. Am Ende konnte der Kanzler Probst von Wendhausen tatsächlich den Übertritt zum Katholizismus bei Elisabeth Christine trotz ihrer bleibenden Gewissensnot durchsetzen. Um die Gewissensbedenken der Prinzessin zu zerstreuen, wurde der Zuspruch des Generalsuperintendenten Christian Heinrich Behm aus Gandersheim bemüht. Er verfasste für Elisabeth Christine ein Glaubensbekenntnis, was die Über- trittsbedingungen ermäßigen sollte und auf die Gewissensbedenken der jungen Frau Rücksicht nahm. Doch die katholische Seite wollte sich darauf nicht einlassen und bestand auf die Übernahme des Tridentiner Bekenntnisses. Bezeichnender Weise wurden die katholischen Vertreter bei diesem Übertrittsvorgang von Kanzler Probst von Wendhausen besonders kräftig unterstützt. Er verfasste selbst ein Bekennt- nis, das sich weitgehend mit dem Tridentiner deckte. Behms Arbeit ließ er ganz unberücksichtigt. „Hierdurch gekränkt, bat Behm um seinen Abschied, doch da die Prinzessin großes Vertrauen zu ihm gefasst hatte, hielt ihn der Herzog fest und der Kanzler entschuldigte sich:‚Er wäre kein Theologus, sondern ein Politicus und bei dieser Sache von seines Herrn Seite, daß der hierin seine Intention und seinen Wil- len erreiche‘.“53 Mit anderen Worten: Probst von Wendhausen räumt hier ein, dass seine theologischen Ansätze in der Sache allein staatspolitisch motiviert waren. Am 1. Mai 1707 legte die Enkelin Anton Ulrichs, Prinzessin Elisabeth Christine, im Dom zu Bamberg schließlich das katholische Bekenntnis ab. Dagegen hatte der Kanzler an der Spitze des Geheimrates seinen Herzog Anton Ulrich 1710 in einem eindringlichen Schreiben von dem gleichen Schritt zum Katholizismus abzuhalten gestrebt.54 Und als einige Jahre später der erste Ehemann der einzigen Enkeltochter und Erbin des Kanzlers Probst von Wendhausen, der Geheimrat von Imhoff, auch zum Katholizismus übertrat, verfasste der Kanzler 1715 aus Sorge um seine Enkelin eigener Hand eine warnende Schrift mit dem Titel „purae religionis characteres oder der reinen Lehre Kennzeichen von einem christlichen Ministro Status … für dessen durch ihres Ehemanns Uebergang ins Pabsthum in Gefahr der religion gerathene Enkelin zum Schilde des reinen Glaubens und Schrifftmässiger Gegenwehr kurz und kräftig abgefasset“.55 In dieser Schrift wird in einer Ansammlung von Bibelzitaten (dicta probantia) vom Kanzler die Richtigkeit der evangelischen Lehraussagen be- wiesen, wodurch die Enkeltochter von einem möglichen Konfessionswechsel zum Katholizismus abgehalten werden sollte. Das Engagement des Kanzlers Probst von Wendhausen zeigt, wie in jener Zeit die religiösen Interessen oft hinter den politischen zurücktraten und die kirchlichen Formen oft nur gewahrt wurden zur Stütze des Thrones und zur besseren Kontrolle des Volkes. Wir können davon ausgehen, dass für Kanzler Probst von Wendhausen bei der Herausgabe des „Anti-Pietisten-Ediktes“ nicht so sehr in der Sorge um die reine evangelische Lehre im Vordergrund stand, wie denn von solcher Sorge im Zu-

53 beSte (wie Anm. 10), S. 339. 54 Ebd., S. 353f. 55 Als Kopie im Pfarrarchiv Wendhausen.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Der Kanzler und die Kirche 135 sammenhang des Konfessionswechsels der Prinzessin Elisabeth Christine auch nicht das Mindeste zu spüren gewesen war, jedenfalls besaß das evangelische Bekenntnis, also die reine Lehre, für den Kanzler in dieser Sache keine große Verpfichtungs- kraft; bei der Herausgabe des „Antipietisten-Edikts“ haben wohl wie bei dem Kon- fessionswechsel der Fürstenenkelin vielmehr politische als theologische Motive eine Rolle gespielt. Nach eigener Aussage verstand sich Probst v. Wendhausen zudem auch dann, wenn er auf kirchlichem Gebiet handelte, nicht als Theologe, sondern eben vor- rangig als Politiker, der für die Ziele seines Regenten arbeitete, nämlich für die Machterhaltung und Machterweiterung seines Landesherrn. Wir müssen also davon ausgehen, dass Probst v. Wendhausens auch in seiner Tätigkeit als Leiter der Kir- chenbehörde weniger von geistlich-theologischen Antrieben bestimmt war, als von politischen Zweckmäßigkeiten, die für ihn immer im Vordergrund und an erster Stelle standen.

4. Die Unverträglichkeit von Absolutismus und Pietismus im Fürstentum Wolfenbüttel Mehr also als die Sorge um die reine Lehre dürfte dem Kanzler und Konsistorial- direktor daher in jener Zeit des beginnenden Absolutismus vor allem die Unkontrol- lierbarkeit des Konventikelwesens, also der Privatversammlungen der Gläubigen, sowie die unerschrockene, vom Glauben gestärkte Obrigkeits- und Kirchenkritik in pietistischen Kreisen Schwierigkeiten bereitet haben. Die pietistische Bewegung vertrug sich offenkundig nicht mit dem absolutistischen Ordnungsdenken des Kanz- lers und seiner Anschauung über die Bezogenheit von Staat und Kirche, aus diesem Grund musste sie von ihm bereits im Ansatz unterdrückt werden. Die Verbindung von staatlichem und kirchlichem Regiment in der Person des Kanzlers und Konsistorialdirektors Probst von Wendhausen ließ diesen auch ganz mühelos die geistliche Vorherrschaft des Staates über die Kirche ausüben, wie sein Vorgänger Kanzler Schwartzkopf es sich schon zum Ziel gesetzt hatte. Über Jahr- zehnte genoß er zudem das uneingeschränkte Vertrauen seiner Landesherren, so dass von ihm mit viel größerem Recht gesagt werden kann, was der Historiker Spehr über den späteren Grafen Detlev von Dehn formulierte, „welcher als der eigentliche Regent des Landes anzusehen war.“56 Weniger die Cura religionis, die man einem Landesherrn als praecipuum membrum ecclesiae (der Fürst als sonderliches Glied der Kirche) seit Luther durchaus zugestand, als viel mehr die Sorge um die inneren Macht- und Sicherheitsverhältnisse in „seinem“ Fürstentum forderten den Staats- kanzler im Konsistorium angesichts der pietistischen Bewegung in Braunschweig- Wolfenbüttel heraus. Erhellend dazu sind die einführenden Hinweise zum „Anti-Pietisten-Edikt“, wo- rin genau diese Sorge ausgesprochen wird, nämlich „dass durch des Satans Trieb und

56 ADB 1(1875), S. 664.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 136 Thomas Capelle

Regung hin und wieder allerhand theils neue meistentheils aber alte vormahls durch Thomas Müntzern und seines gleichen geführete und ohnlängst wieder resuscutirte schädliche Lehren und Secten herfür brechen, wodurch die reine Lehre des Evangelii befecket, und die einfältige Christliche Hertzen verwirret werden, auch folglich so wol der Status Ecclesiasticus als Politicus darüber in Gefahr gerahten will …“.57 In dieser Vorrede des Edikts wird der Pietismus auffallender Weise in einen Zusammenhang mit Thomas Müntzer gerückt und damit zu einer staatsfeind- lichen und – gefährdenden Bewegung erklärt, wodurch eben nicht nur der Status ecclesiasticus, sondern ausdrücklich auch der Status politicus bedroht wird. Durch den direkten Rückgriff und Bezug auf Thomas Müntzer weckt das Edikt bei evange- lischen Theologen natürlich sofort entsprechende Erinnerungen an schwärmerische Bewegungen und die damit verbundenen Bauernaufstände während der Reforma- tionszeit im 16. Jahrhundert. Ob dabei das Thomas-Müntzer-Bedrohungsszena- rio durch Kanzler Wendhausen und Abt Pestorf nur künstlich, also aus taktischen Gründen hergestellt oder tatsächlich auch empfunden wurde, mag dahingestellt sein, jedenfalls half es, die Notwendigkeit der Herausgabe des Edikts zu begründen. In den alten Konsistorialakten befndet sich bis heute der handschriftliche Ent- wurf von Lukas Pestorf, an dem in ergänzenden Randbemerkungen zu ersehen ist, dass die Hinweise auf Thomas Müntzer und die Bedrohung des Status ecclesiasticus und politicus wie auch andere verschärfende Formulierungen erst nachträglich in diesen Entwurf eingetragen worden sind58. Möglicherweise gehen diese Ergän- zungen auf den Kanzler selbst zurück. Auch wenn der Radikalpietismus des 17. Jahrhunderts, wie er durch Petersen vertreten wurde, von separatistischen und enthusiastischen Auswüchsen bestimmt war, die durchaus einer Korrektur bedurften, so scheint die im „Anti-Pietisten- Edikt“ hergestellte Verbindung zu Thomas Müntzer doch erheblich überzogen; sie offenbart allerdings eindrücklich die staatspolitischen Ängste eines absolutistisch denkenden Regenten, der seine einzigartige Machtstellung in Staat und Kirche ge- brauchte, sich mithilfe scharfer juristischer Maßnahmen der empfundenen Bedro- hung zu erwehren. Wie sehr die Pietisten tatsächlich als staatsfeindliche Subjekte betrachtet wurden, geht auch aus den Schilderungen hervor, die Treuer über die 90er Jahre des 17. Jahr- hunderts rückblickend so beschreibt: „Es brüstet sich manchmahl der Ehrgeiz und Aberglaube mit einer verstelleten Frömmigkeit/durch die er sich demüthiget/auf dass er desto leichter herrschen möge. Das Ansehen/so ihm durch die Studi- en/durch Glück und Klugheit versaget worden/soll ihm der Schein einer beson- dern Heiligkeit geben/und er suchet die Hochachtung der Welt zu erlangen/unter dem Vorwand/als habe er solche bereits bey Gott erhalten: Wenn ihm die Fürsten ihre unverdiente Gnade entziehen/so hängt er sich an dem Pöbel/dem nichts eher die Augen blenden kann/als die Mine der Heuchler/welche sich scheinet aus dem Himmel herzu schreiben. So lange solche Scheinheiligkeit bey ihren Sclaven in denen

57 Edikt und Verordnung, in: Erneuerte Kirchenordnung. Braunschweig 1709, S. 92. 58 NLA-StA WF 2 Alt, Nr. 14970, 3ff.

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Schrancken ihres Gehirnes beschlossen bleibet und ihre verführende Irrthümer nicht weiter um sich greiffen/braucht ein gütiger Fürst ein gnädiges Mittleiden einen Fehler nach zu sehen/den das Gewissen eines jeden Unterthan verantworten muß. Wenn aber ihre Verführung der schleichenden Pestilenz ähnlich ist/die im Finstern verderbet und ein Haus nach dem andern mit gefährlichen Irrthümern anfüllet/so hat ein Regent ein wachendes Auge/der Unruhe vorzukommen/die aus solchem Aberglauben entstehen könnte.“59 Treuer bewertet die Pietisten hier als abergläubische, scheinheilige Aktivisten, welche nur die Absicht haben, den Landfrieden zu bedrohen. Dass sich Probst von Wendhausen daher für die Herausgabe des Anti-Pietisten-Edikts einsetzte, erkennt Treuer als Beitrag zur inneren Sicherheit des Landes an. Mögen Petersen und seine Anhänger radikal-pietistische Ansichten vertreten haben, wirkliche Unruhen wie zu Thomas Müntzers Zeiten gingen von ihnen jedenfalls nicht aus. Hier fehlte offen- kundig die nüchterne Unterscheidung zwischen gefühlter und tatsächlicher Gefahr. In einem erhaltenen Exemplar des Edikts, das der Handschrift nach wahrscheinlich von Barthold Meyer mit kritischen Anmerkungen versehen worden ist, wird der Zweifel an der beschworenen Gefahr auch durch eine entsprechende Randglosse angemerkt.60 Die Entwicklung des Pietismus etwa in Stolberg-Wernigerode oder in Württem- berg zeigt zudem, dass durch eine tolerantere Vorgehensweise der Obrigkeit der Pietismus kirchlich integriert und für die Gesamtkirche nachhaltig fruchtbar gemacht werden konnte. Weder der Status ecclesiasticus noch der Status politicus gerieten wirklich in Gefahr, wo man den kirchlichen Pietismus sich entfalten ließ und damit dem Radikal-Pietismus seine Anziehungskraft nahm. Mitunter wird von Historikern die Meinung vertreten61, die pietistische Bewe- gung im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel wurde auch deshalb unterdrückt, weil diese Bewegung sich u.a. nicht mit den Reunionsvorstellungen von Herzog Anton Ulrich vertrug; Vorstellungen, die besonders durch den Calixtinismus der Helmstedter Universität in Braunschweig-Wolfenbüttel verbreitet waren. Auf dem Weg zur Wiederherstelllung der Kircheneinheit fürchtete man vermeintlich die Gefahr neuer Kirchenspaltungen durch den separatistischen oder „sectarischen“ Pietismus. Das Reunionsdenken der Helmstedter Theologie und des Landesherrn Anton Ulrich dürften jedoch im Blick auf die schroffe Ablehnung des Pietismus keine allzu maßgebende Rolle gespielt haben. Die Gründe für die Abwehr der pietistischen Bewegung sind wohl eher in dem Widerspruch von Pietismus und jenem absolu- tistischen Geist zu suchen, welcher in der Zeit des Anti-Pietisten-Edikts durch die Person des Kanzlers und Konsistorialdirektors Probst von Wendhausen in exem- plarischer Weise verkörpert wurde: geistlich autonom gelebter Glaube und absolu- tistisches Ordnungs-Denken bildeten unversöhnliche Gegensätze.

59 Treuer (wie Anm. 1), S. 25f. 60 NLA-StA WF 2 Alt, Nr 14970, 104. 61 Vgl. Arbeitsgespräch der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel zum Thema „Der Pietismus im Fürstentum Wolfenbüttel“, 27.–29. August 2008.

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Die Begegnung und Erfahrung mit dem Pietismus ist für den Braunschweiger Kanzler sicher so etwas wie ein „clash of cultures“ gewesen. Das aristokratisch- hedonistische Milieu, in dem Herzog Anton Ulrich, der Kanzler und auch manch prominente Prediger, die dem Hofe nahe standen, lebten, ließ sich beim besten Willen nicht mit einem pietistischen Lebensstil vereinbaren. Der asketische, weltver- neinende Zug im Pietismus stand ohne Zweifel dem höfschen Leben, das Herzog Anton Ulrich und sein Premierminister bevorzugten, entgegen. Als reichster Privat- mann des Herzogtums, der nie etwa durch wohltätige Stiftungen hervorgetreten war, konnte sich Probst von Wendhausen mit seiner glänzenden, herrschaftlichen Lebens- führung sowie seinem Streben nach Vermehrung seiner Güter vom Pietismus nicht angezogen fühlen.62 Probst von Wendhausens stiller, aber nichtsdestoweniger zielstrebiger Ehrgeiz, sein Machtbewusstsein, die Fülle seiner Ämter, sein Reichtum und Besitz, sein Ver- haftetsein im absolutistischen Denken – all das stand in scharfem Kontrast zu dem Weltverhältnis, für das führende Pietisten der Residenzstadt wie Georg Nitsch in Predigten und Schrifttum eintraten: „Mein Freund, sammle dir doch keine Schät- ze auf Erden, da sie die Motten fressen und die Diebe stehlen. Die ganze Welt ist Nichts, als ein schmelzender Schneeball.“63 Probst von Wendhausen war zwar nicht der eigentliche Regent im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, aber er scheint doch Treuer zufolge die Regierungs- geschäfte seines Landesherrn in nahezu souveräner Weise und Machtvollkommen- heit geführt zu haben. Das ungewöhnliche Selbstbewusstsein, das dem braunschwei- gischen Kanzler eigen gewesen sein muss, kommt treffend in seinem Epitaph im Braunschweiger Dom und seiner dortigen Grablege zum Ausdruck. Er erhielt ein eigenes Grabgewölbe, das von der Welfengruft aus zugänglich ist. Offenbar fand er es durchaus gerechtfertigt, seine letzte Ruhestätte in ganz unmittelbarer Nähe zu Heinrich dem Löwen zu suchen! Der absolutistische Geist, wie er in Probst von Wendhausen verkörpert wurde, ertrug offenkundig keine Glaubenspraxis, bei der Menschen mehr und mehr ihren Glauben persönlich und geistlich eigenständig leben wollten: statt auf ein leitendes geistliches Amt zu hören, beriefen sich die Pietisten ja mitunter auf eine direkte Leitung durch den Geist Gottes sowie auf eigene, persönliche Erkenntnisse und Erfahrungen mit dem Wort Gottes. Diese geistliche Selbstständigkeit, dieses from- me Selbstbewusstsein der Pietisten, das man in den Privatversammlungen gewann, musste den absolutistisch denkenden Kanzler zwangsläufg verstören und sein Kon- trollbedürfnis herausfordern. Nicht nur das „Anti-Pietisten-Edikt“ bediente dabei dieses Kontrollbedürfnis über die Verhältnisse in der Kirche, auch war Treuer zufolge schon die Einrichtung des Predigerseminars in Riddagshausen die Idee des Kanzlers zum Zwecke der bes- seren Kontrolle der Predigerkandidaten gewesen; er hatte das Predigerseminar „als

62 Von Kanzler Probst von Wendhausen ist nur bekannt, dass er als Patron die Kirche seines Dorfes 1689 einer gründlichen Reparatur auf seine Kosten unterzog. Vgl. beiSS (wie Anm. 1), S. 103. Auch Treuer erwähnt keine weiteren wohltätigen Ausgaben des Kanzlers. 63 nitSch (wie Anm. 14), S. 11.

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Mittel ausgesonnen, wodurch diejenigen, die der Kirche im Lande dienen sollten, erst einige Zeit eine Probe geben müssen, was die Gemeinden von ihrer Lehre und Wandel zu gewarten haben … Er legte auf dem Kloster Riddagshausen eine Pfantz- schule guter Prediger an, welche, ehe sie einer Gemeinde vorgesetzet würden, so zu reden im Angesicht des gantzen Landes, sonderlich der Durchl. Herrschafft zeigen sollten, wie sie einer Kirche vorzustehen fähig wären: durch diesen Platz sollte allein der Weg zur Bestellung einer Cantzel im Lande gehen und daraus die Hirten gezo- hen werden, welche die Seelen der Unterthanen weiden sollten …“64 Absolutistisch denkende Regenten, die gewohnt waren, ihr Gewissen, wenn es sein musste, den Interessen des Staates zu opfern, mussten sich vor allem durch die Predigten der Pietisten vorgeführt fühlen, wenn diese immer wieder vor allem ge- rade die Gewissenstreue betonten. Unter Berufung auf sein Gewissen hatte Georg Nitsch seinen eigenen Vorgesetzten, Abt Specht, öffentlich in einer Predigt gestraft und dessen grobe Vernachlässigung im Amt kritisiert65; er äußert sich zu diesem Vorgang mit den Worten: „Ich weiß zwar wohl, dass ich wegen dieser Worte werde vor das Konsistorium gefordert werden, aber mein Gewissen nötigt mich, also zu reden.“66 Abt Christian Specht, der Oberhofprediger und Beichtvater von Herzog Anton Ulrich war und in vollen Zügen am höfschen Leben seines Landesherrn teilnahm, wurde vom Herzog gegen die berechtigten Vorwürfe von Nitsch in Schutz genom- men; Nitsch geriet bei Herzog Anton Ulrich durch den Angriff auf seinen Beicht- vater in Missgunst, was zur Ursache wurde, dass Nitsch 1709 Wolfenbüttel verlassen musste und in der Folge eine Stelle als Generalsuperintendent in Gotha annahm. Damit hatte Wolfenbüttel seinen letzten pietistischen Prediger verloren. Nicht die öffentliche Sicherheit oder die Ruhe des Landes war durch das Auf- treten der Pietisten bedroht gewesen, sondern vielmehr die Ruhe des Gewissens derer, die als Regenten, Hofbeamte und dem Fürstenhaus nahe stehende Theologen ihr christliches Gewissen den Staatsinteressen oder persönlichen Vorlieben nach- ordneten. Es war wohl das Gefühl, durch die geistlichen Ansprüche der Pietisten öffentlich vorgeführt zu werden (vor allem im Blick auf die Forderung einer kon- sequent-christlichen Lebenspraxis), was bei den Regenten im Fürstentum Braun- schweig-Wolfenbüttel zu einem unseligen anti-pietistischen Affekt führte. Sicher hatte Georg Nitsch nicht nur an sich selbst, sondern auch an seine pietisti- schen Freunde gedacht, die vor ihm schon aufgrund des „Anti-Pietisten-Edikts“ das Wolfenbütteler Land verlassen hatten, wenn er in dem Sendschreiben über „Die Verfolgung der Frommen“ schrieb: „Ach ja, Herr, Du weißest es, wie grausam und erschrecklich man mit Deinen Knechten und Mägden umgegangen! Denn je ge- waltiger Dein Geist aus ihnen geredet, desto mehr hat man gegen sie gewühtet und getobet; und an manchem Ort ist es so arg gewesen, dass es auch der Satan selbst in eigener Person nicht hätte ärger machen können. Wir haben in diesen trüben und wolkichten Tagen nicht nöthig, zu Türken und Tartaren hinzugehen, um von ihnen

64 treUer (wie Anm. 1), S. 26. 65 Vgl. beSte (wie Anm. 10), S. 317f 66 nitSch (wie Anm. 14), S. 328

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 140 Thomas Capelle verfolgt und geplagt zu werden; sondern wir können die Marterkrone schon zu Hau- se von denen, die einerlei ‚Glaubens‘ mit uns sind, empfangen und überkommen. Die – was ich jetzt schreibe, das schreibe ich mit Wehmut des Herzens – die, so mit großem Eifer rufen: Der Name des Herrn sei gelobt! hassen und verfolgen ihre eignen Brüder um seines Namens willen.“67 Es ist auch anzunehmen, dass das Bewusstsein einer jahrzehntelangen Vertrau- ensstellung, die der Kanzler gegenüber den Wolfenbütteler Landesherren (vor allem Anton Ulrich) genoss, keine Konkurrenz neben ihm im Rat gebenden Verhältnis zu den Herzögen ertrug. Pietistische Führungspersönlichkeiten konnten ja durch- aus auch in persönliche Vertrauensstellungen zu Landesherrn treten – entweder durch persönlichen Kontakt oder durch Korrespondenzen. Hier ergaben sich Mög- lichkeiten informeller Einfussnahme auf den Landesherrn, was einen langjährigen Ratgeber der Wolfenbütteler Regenten nur narzisstisch kränken konnte. Die weit- gehenden Folgen einer solchen Kränkung zeigt schon das Alte Testament höchst anschaulich am Beispiel des Ahitofel auf, des Ratgebers des Regenten David und seines Sohnes Absalom. Die Stellung des Ahitofel am Hofe Davids wird so beschrie- ben: „Wenn damals Ahitofel einen Rat gab, dann war das, als wenn man Gott um etwas gefragt hätte; soviel galten alle Ratschläge Ahitofels bei David und bei Absa- lom“ (2. Sam. 16:23). Als jedoch Absalom nur einmal auf den Rat eines anderen, nämlich des Arkiters Huschai hörte, war der Stolz des Ahitofel so tief gekränkt, dass er sich umgehend erhängte (2. Sam. 17:23). Dies Beispiel aus bereits alttesta- mentlicher Zeit zeigt, wie höfsche Ratgeber offenkundig nur schwer andere Bera- ter an der Seite ihrer Regenten ertragen können. Vielleicht auch in Anlehnung an Ahitofels Autorität gegenüber David und Absalom konnte man im 18. Jahrhundert einen fürstlichen Ratgeber in Braunschweig-Wolfenbüttel, nämlich Graf v. Dehn, als „kleinen Gott“ bezeichnen.68 Kanzler Probst v. Wendhausen, so etwas wie ein „kleiner Gott“ im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel? Probst v. Wendhausen konnte den Pietismus in Braun- schweig-Wolfenbüttel jedenfalls erfolgreich unterbinden und damit auch möglichen unerwünschten pietistischen Einfuss Dritter auf die Fürsten „seines“ Landes verhin- dern. Am 17. November 1718 starb der mächtige Kanzler Probst von Wendhausen auf seinem Wasserschloss in Wendhausen.

67 Ebd, S. 275. 68 Vgl. Gotthardt FrühSOrge: Vom Aufstieg und Fall des Grafen Konrad Detlev von Dehn: in: BsJb 88 (2007), S. 93.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werkberufsschule der Volkswagenwerk GmbH im Vorwerk Braunschweig 1938–1945/6

von

Friedrich Walz

Der Nationalsozialist weiß, daß alles handwerkliche Können und alle Klugheit des Kopfes nichts bedeuten … wenn sie nicht immer wieder durchpulst … werden von einem heiligen Feuer des Glaubens, des Glaubens an notwendige Ideale des Volkes und unserer Nation. (Robert Ley)

1938

Zum Jahresende 1937/38 befahl der Führer den Bau des Volkswagenwerkes.1 Im Februar 1938 erfolgten zeitgleich „Spatenstiche“ für den Bau von Werkhallen in Fallersleben und Braunschweig.2 Der Hausarchitekt des DAF-Amtes „Schönheit der Arbeit“ hatte für die Anlage des Vorwerkes eine Fläche von ca. 175000 m2 vorgesehen, die die Stadt Braunschweig zu einem sehr günstigen Pachtzins überließ. Im September 1942 schenkte die Stadt der Volkswagenwerk GmbH das Grund- stück, danach beantragte die Geschäftsführung, die Schenkungssteuer zu erlassen.3 Das Vorwerk war als vorbereitende Produktionsstätte für das Hauptwerk geplant. In Braunschweig sollten Produktionseinrichtungen und Spezialwerkzeuge hergestellt werden. Hauptaufgabe war allerdings, Lehrlinge der verschiedensten Berufsarten heranzubilden und außerdem durch eine systematische Schulung und Anlernung von Erwachsenen für den gesamten Facharbeiternachwuchs zu sorgen. Sorgfältige Auswahl, Erziehung und Ausrichtung der künftigen Gefolgschaftsmitglieder des Hauptwerks sollten damit gewährleistet sein.4 Schon am 23.02.1938 stellte die Geschäftsführung der Gesellschaft zur Vorbe- reitung des Volkswagens GmbH den Antrag, Trägerin einer eigenen Werkberufs- schule zu werden. Die Geschäftsführung setzte sich aus dem Leiter der NS-Gemein- schaft „Kraft durch Freude“ Bodo Lafferentz, dem persönlichen Berater Hitlers in Automobilfragen, dem Daimler-Benz-Vorstandsmitglied Jakob Werlin, Träger des

1 Deutsche Arbeitsfront (Hrsg.): Schönheit der Arbeit. Heft 8/1938, S. 336. 2 Braunschweiger Tageszeitung vom 12./13.02.1938, S. 19. 3 Vgl. mOmmSen, Hans; grieger, Manfred: Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich. Düsseldorf 1996, S. 228f. 4 Vgl. Die Nachwuchs-Erziehung im Volkswagen-Vorwerk Braunschweig, Anlage 3 zum Tätigkeits- bericht der Werkberufsschule der Volkswagenwerk G.m.b.H. im Vorwerk Braunschweig für die Zeit vom 08.07.1938 bis 31.03.1939. S. 1f; NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058.

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Goldenen Parteiabzeichens, sowie dem Konstrukteur Ferdinand Porsche, geschäfts- führendem Gesellschafter der Porsche KG, zusammen.5 Porsche hatte auf Drängen Hitlers 1934 als Sudetendeutscher seine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft aufgegeben, wurde NSDAP- und SS-Mitglied6 und ab 1939 Betriebsführer für beide Volkswagen-Werke.7 Die gemeinnützige Volkswagenwerk GmbH – die Umbenen- nung erfolgte am 13.10.1938 – wurde zunächst mit 50 Millionen RM Stammkapital ausgestattet und war Eigentum zweier Gesellschaften der Deutschen Arbeitsfront (DAF).8 Sie gehörte damit zu den mehr als 500 DAF-eigenen Wirtschaftsunterneh- men. Die Hauptaufgabe der DAF war jedoch die allgemeine soziale Betreuung und weltanschauliche Schulung ihrer rund 23 Millionen Zwangsmitglieder.9 In Anwesenheit von Dr. e. h. F. Porsche und Prof. Dr. Karl Arnhold wehte am 14.07.1938 der Richtkranz über der KdF-Halle. Arnhold, NS-Chefdeologe für Berufserziehung und Betriebsführung in der DAF bis 1942, stieg von 1930 bis 1938 zum hochrangigen Amtsleiter auf.10 Arnhold hatte das betriebliche Ausbildungs- wesen ab 1921 beim Schalker Verein wieder aufgebaut, wo er anfangs Lehrwerk- stattleiter, Werkberufsschulleiter und Sportlehrer in einer Person war.11 In seinem Referat fasste er zusammen: Doch hier im Vorwerk Braunschweig sollen die jungen Lehrlinge nicht nur eine fachliche Ausbildung genießen, sondern auch weltanschau- lich wie sportlich gestählt werden, damit sie einmal ihren Platz richtig ausfüllen können.12 Vor und in der einem Kirchenbau anmutenden KdF-Halle fanden später häufg Feierlichkeiten unter dem „anziehungskräftigen Hakenkreuz, dem Symbol der arischen Rasse, und dem Zeichen des Ältesten, Heiligsten und Geheimnisvolls- ten statt.13 Dieses „feindliche Kreuz“ (Pius XI.) wurde so ständig in den Gegensatz zum christlichen Kreuz gebracht. Die Architekten für Bau und Inneneinrichtung wurden von der HJ bestimmt, die an die erzieherische Macht des Raumes glaubte.14 Seine höchste Ausdrucksform fndet das Gemeinschaftsleben der Schule in ihren Feiern. So der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bern- hard Rust, in seinen Schulerlassen. Der Antrag wurde damit begründet, dass durch die enge Verbindung von Werk- berufsschule und Lehrwerkstatt der höchste berufserzieherische Erfolg erwartet und

5 Vgl. mOmmSen, H.; grieger, M. (wie Anm. 3), S. 908. 6 Ebd., S. 71. 7 Vgl. Der KdF-Wagen. Elternbriefe. Mitteilungen des Ausbildungswesens an die Eltern unserer Lehrlinge, 3. Jg. Heft 2/1940, S. 20; UVW Z 510 Nr. 134. 8 Vgl. mOmmSen, H.; grieger, M. (wie Anm. 3), S. 211ff. 9 Vgl. bUddrUS, Michael: Totale Erziehung für den totalen Krieg. Hitlerjugend und nationalsozia- listische Jugendpolitik. Hrsg. Institut für Zeitgeschichte. Texte und Materialien zur Zeitgeschichte. Band 13/1 u. 2. München 2003, Teil 1, S. 551. 10 Siehe arnhOLd, Karl: Industrielle Führerschaft im Sinne des Deutschen Instituts für technische Ar- beitsschulung. DINTA. In: brieFS, G. (Hrsg), Probleme der sozialen Betriebspolitik. Berlin 1930 und arnhOLd, K.: Das Ringen um die Arbeitsidee. Gesammelte Aufsätze. Berlin 1938. 11 Vgl. StricKer, Heinz: Werkschule und Berufserziehung. Jena 1941, S. 21 und deLLwig, Friedrich: Zwei Jahrzehnte planmäßige Berufserziehung. In: Die Lehrwerkstatt, Folge 3, 1939, S. 66–68. 12 S. R.: Der Richtkranz weht über dem Vorwerk. In: Braunschweiger Tageszeitung, 10. Jg., Nr. 163, vom 15.07.1938, S. 5. 13 Vgl. venner, Dominique: Söldner ohne Sold. Paris 1974, S. 234. 14 Vgl. bUddrUS (wie Anm. 9), S. 620f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 143 mit ihrer Hilfe in kürzester Frist ein hervorragend tüchtiger Facharbeiter ausge- bildet werden würde. Die Schule wirke außerdem mit an der Erziehung der Lehr- linge zu tüchtigen Volksgenossen und charakterlich gefestigten Menschen.15 Der „neue“ deutsche Facharbeiter sollte in sich die Qualität des Arbeitskämpfers und des politischen Soldaten vereinigen.16 Der Führer der DAF, Reichsorganisations- leiter der NSDAP Robert Ley, hatte den Begriff vom „Soldaten der Arbeit“ auch in Deutschland eingeführt,17 der von seinen italienischen Genossen geprägt worden war: Nicht zuerst den Begriff „Soldat der Arbeit“ gab Mussolini den faschistischen Kämpfern um neuen Boden und neues Siedlungsland …Diesen Ruhmestitel „Soldat der Arbeit“ durch Leistung errungen und vom Duce verliehen, hat der italienische Arbeitskamerad dann neben dem Soldaten des Faschismus auch bei der Bewälti- gung militärischer Aufgaben …neu erworben.“18 Der Braunschweigische Minister für Volksbildung war zuständige Aufsichts- behörde für die Genehmigung der Werkberufsschule. Unter Einschaltung des Ministerpräsidenten Dietrich Klagges wurde im Eilverfahren eine Satzung erlas- sen, nach der die Schulträgerin u.a. die Einstellungsunterlagen von Lehrern, die Stundenpläne und den Schulhaushaltsplan zur Überprüfung einzureichen hatte. Nach § 11 war ein Schulvorstand vorgesehen, der sich zusammensetzte aus dem Ausbildungsleiter als Vorsitzenden, dem Werkschulleiter, dem technischen Leiter der Ausbildungsstätten und einem Gefolgschaftsmitglied auf Vorschlag der DAF, das im Einvernehmen mit der zuständigen Gebietsführung der HJ bestimmt wur- de. Auch eine Schulordnung wurde von ihm beschlossen.19 Im Januar 1938 hatte der Reichserziehungsminister Rust in einem Erlass die grundsätzliche Aufgabe der Schulen bestimmt: Die deutsche Schule ist ein Teil der nationalsozialistischen Erzie- hungsordnung. Sie hat die Aufgabe, im Verein mit den anderen Erziehungsmächten des Volkes, aber mit den ihr eigentümlichen Erziehungsmitteln, den nationalsozia- listischen Menschen zu formen.20 Wie hoch die nationalsozialistische Führung des Reiches die weltanschaulich ausgerichtete Berufserziehung des Nachwuchses einschätzt, zeigt der Ausspruch des Generalfeldmarschalls Göring auf dem Reichsparteitag der Arbeit 1937: ‚Das Entscheidende ist überall, dass erst einmal der Charakter des deutschen Arbeiters gebildet wird, dass er unlöslich Deutschland verschworen ist. Es ist die Pficht jedes Unternehmers, unabläßlich dafür zu sorgen, dass der Lehrling als Nationalsozialist und Deutscher erzogen wird.‘ Die Gewähr für die Befolgung dieses Grundsatzes

15 NLA-StA Wolfenbüttel 12Neu 13 Nr. 23059. 16 Vgl. Kipp, Martin: Die Formung des „neuen“ deutschen Facharbeiters in der „Ordensburg der Arbeit“. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 84.3 (1988), S. 195f. 17 Ley, Robert: Soldaten der Arbeit. München 1938. 18 Nationalsozialistisches und faschistisches Arbeitertum marschiert in vorderster Front bei der Ge- staltung eines neuen Europas. In: Arbeitertum, 10. Jg., Aug. 1940, Folge 9, S. 13f. 19 Satzung für die Werkberufsschule, NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23059. 20 benze, Rudolf (Hrsg.): Deutsche Schulerziehung, Jahrbuch des Deutschen Zentralinstituts für Er- ziehung und Unterricht 1940, Bericht über die Entwicklung der deutschen Schule 1933–1939. Berlin 1940, S. 3.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 144 Friedrich Walz ist aber nur gegeben, wenn eine Stelle vorhanden ist, die die Berufslehre in diesem Sinne ordnet und ihre Durchführung überwacht.21 Zu diesem Zweck hatte das DAF-Amt für Berufserziehung und Berufsführung (AfBB) 1937 neue Grundsätze und Richtlinien bei der Ausgestaltung von Lehrver- trägen in Abstimmung mit der HJ-Reichsführung und dem Reichswirtschaftsminis- ter erarbeitet, die dann 1938 im DAF-eigenen Musterbetrieb Volkswagenwerk – Vorwerk Braunschweig – umgesetzt wurden.22 Das Volkswagenwerk war wohl auch der erste Betrieb, der schon am 31. Mai 1938 dreijährige Lehrverträge abschloss, die allerdings von der IHK erst im April 1939 in die Lehrlingsrolle eingetragen wur- den. Im VW-Lehrvertrag hatte der Lehrherr (Betriebsführer) als erste Pficht, den Jugendlichen im Geiste der nationalsozialistischen Weltanschauung zu erziehen und an zweiter Stelle, ihn zu einem tüchtigen Facharbeiter heranzubilden. Leistung ist Kampf und Kampf ist das Leben. Dein Leben gehört Deutschland. Dieser Spruch zierte jeden VW-Lehrvertrag.23 Jedem Lehrling wurde vom Ausbildungswesen die Schulordnung und ein Merkblatt „Ehrenwort“ zur Beherzigung überreicht. Die ers- ten drei und die letzten zwei Sätze seien daraus zitiert: Wer uns belügt, dem begegnen wir mit Misstrauen und Vorsicht, weil er damit beweist, daß er charakterfeige und ehrlos ist. Als Nationalsozialisten lehnen wir ihn ab, weil wir kein Zusammenleben mit ihm führen, ja nicht einmal gemeinsam mit ihm arbeiten können. Wir stoßen ihn aus unserer Volks- und Schicksalsgemeinschaft, weil wir nicht wollen, dass sie zur Truggemeinschaft werden soll. …Dein Charakter entscheidet über Dein Schick- sal, und Deine Ehre behauptet zuletzt das Feld. Dieser Satz verkündet den Geist, der den Nationalsozialismus durch Kampf zum Sieg führt und der ihn auch in der deutschen Wirtschaft siegen lassen wird.24 Die Lehrlinge erhielten ein Taschengeld von wöchentlich 1,40 RM im ersten, 2,30 RM im zweiten und 3,70 RM im dritten Lehrjahr, wovon noch Kleidergeld abgezogen wurde.25 Die ersten 250 Lehrlinge wurden reichsweit und international rekrutiert, wobei die Auswahl der Lehrlinge nach besonderen, im Einvernehmen mit dem Amt für Berufserziehung und Betriebsführung aufgestellten Grundsätzen, in Zusammen- arbeit mit der Reichsjugendführung, dem Arbeitsministerium und dem Jugendamt der DAF erfolgte.26 Hauptsächlich Volksschulabgänger wurden ausgewählt, die sich verpfichten mussten, der Hitlerjugend beizutreten. In der Haltung prägt sich der Stolz, das Ehrgefühl und das Pfichtbewußtsein aus. Vor allem: in der Haltung zeigt sich der formende Einfuß der nationalsozialistischen Weltanschauung. Darum for- dern wir bewußt, daß jeder Jugendliche in der HJ ist.27 1938 waren reichsweit „erst“

21 Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP (Hrsg.): Die Berufserziehung der Deutschen Arbeits- front, Leistungsbericht des Amtes für Berufserziehung und Betriebsführung f. d. Jahr 1937. Leipzig o. J., S. 22. 22 Ebd. 23 Lehrvertrag im Eigentum des ehemaligen Lehrlings Hans Maaß 1. Jg. 1938 und: Mustergültiger Lehrvertrag für das Volkswagenwerk. In: Die Lehrwerkstatt, Folge 6, 1938, S. 142–44. 24 Merkblatt „Ehrenwort“, im Besitz des Verfassers. 25 Lehrvertrag (wie Anm. 22). 26 Elternbriefe, 2. Jg., Heft 1, April 1939, S. 2. 27 arnOLd, Karl: Grundsätze nationalsozialistischer Berufserziehung. Berlin [1935], S. 12.

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78% der Jugendlichen Mitglied der HJ. Aus den Einstellungsjahrgängen 1938 und 1939 stammten auffallend viele Kinder aus besonders kinderreichen Familien.28 Die Gewerbelehrer, Meister und „Lehrgesellen“ (Ausbilder) waren fast ausnahmslos Parteimitglieder. Nach dem von Hitler am 28.05.1938 befohlenen raschen Ausbau des „Westwalls“ verzögerten sich die Fertigstellung des Lehrwerkstatt- und Verwal- tungsgebäudes sowie die vorschriftsmäßige Ausbildung erheblich. An einem ein- zigartigen Wall von Eisen und Beton soll in Zukunft zerschellen, wen es gelüstet, nach des Reiches Freiheit und Unabhängigkeit zu trachten. Deutsche Arbeiter aller Berufe … wetteifern (Westwallehrenzeichen) bei der Durchführung der vom Führer gestellten gewaltigen Aufgabe.29 Die ersten Lehrlinge des Volkswagenwerkes wurden am 08.07.1938 einberufen. Handwerkliche Übungen mit einfachsten Mitteln aus Holz und Eisen, „Robinson- Einfachstmethode“ genannt, und täglich zwei Stunden Zeichenunterricht fanden zunächst in 3 Zwischenlagern und in einem von der HJ organisierten Zeltlager auf Norderney statt.30 Der Zeichenunterricht: Wir haben fast jeden Nachmittag von 3 bis 5Uhr Zeichenunterricht. In jeder Zeichenstunde machen wir etwas Neues. Als allererstes zeichneten wir Linien. In der zweiten Stunde mußten wir Buchstaben und Zahlen schreiben. Die ersten drei Zeichenstunden verbrachten wir im Wald. Jetzt haben wir Tische und Bänke, an denen wir alles besser und schöner machen. Die Körper, die wir jetzt zeichnen müssen, sind alle an einer großen Tafel angezeichnet. Wir brauchen nur den Körper abzuzeichnen. Vor jeder Zeichenstunde fragt unser Zeichenlehrer verschiedenes, was wir an der Tafel zeigen müssen. Das Körperzeich- nen ist sehr leicht. Die Randlinien müssen dick und die Maßlinien müssen dünn gezeichnet werden. Die Maße müssen in derselben Schrift und in denselben Zahlen geschrieben werden, wie wir sie gelernt haben. Die Hauptsache beim Zeichnen ist, daß man genaue und gerade Linien zeichnet. Walter Henn.31 Am 16. September 1938 rückten die Lehrlinge in Braunschweig ein. Wir leben nun einmal in einer Zeit, die nach soldatischen Grundsätzen ausgerichtet wird.32 Auf dem Burgplatz wurden die „Auserwählten“ von Ministerpräsident Klagges, Kreisleiter Krebs, Gaujugendwalter Wettig und Stadtrat Kuhls empfangen, der die Hoffnung ausdrückte, dass Braunschweig ihnen zur neuen Heimat werde.33 Ein Teil der Werkanlagen war noch im Bau. Die Jungen wurden in 8 Kameradschaftshäusern (je 60 Jungen bildeten eine „Gefolgschaft“) kaserniert auf dem Werksgelände un- tergebracht, wo zunächst auch nur in zwei Räumen unterrichtet wurde. Als Schar- und Rottenführer setzte man die Lehrlinge ein, die sich sowohl im Formations- und

28 Kipp, Martin/miLLer-Kipp, Giesela: Erkundungen im Halbdunkel: Einundzwanzig Studien zur Berufserziehung und Pädagogik im Nationalsozialismus. 2. Aufl. Frankfurt am Main 1995, S. 333. 29 SchUmann, W.; heUn, H.; heUn, W.: Reichskunde für junge Deutsche. Darmstadt 1942, S. 143. 30 Vgl. Tätigkeitsbericht der Werkberufsschule der Volkswagenwerk G.m.b.H. im Vorwerk Braunschweig für die Zeit von 08.07.1938 bis 31.03.1939, S. 1–3; NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058. 31 Elternbriefe, 1. Jg., Heft 1, Dez. 1938, S. 28. 32 „Der Weg zum Musterbetrieb“ In: Arbeitertum, 1938, Folge 22, S. 13. (27a). 33 Braunschweiger Neueste Nachrichten/Braunschweigische Landeszeitung (BNN/BLZ), Jg. 42, vom 17./18.09.1938, S. 9.

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Heimdienst als auch in der Werkstatt und Werkberufsschule ausgezeichnet hat- ten.34 Alle halfen als Handlanger bei der Einrichtung der Heime, Lehrwerkstatt und Werkschulräume mit. So war man noch weit entfernt davon, dass die besten Kräfte zur Arbeit in der Volkswagenfabrik herangezogen werden, um durch ausgezeich- nete Werkarbeit das konstruktive Meisterwerk des KdF-Wagens zu dem so niedrigen Preis und in so hoher Qualität herstellen zu können.35 Am 05.10.1938 besuchte Robert Ley den Unterricht. Nichts ist mir gut genug für meinen deutschen Arbeiter, agitierte er bei der Besichtigung der Baustelle bei Fallersleben am gleichen Tag. Nach ihm „pilgerten“ noch mehr als 50 prominente inländische Nationalsozialisten sowie ausländische Faschisten aus Politik, Wirtschaft und Wehrmacht nach Braunschweig in die Ordensburg der Arbeit.36 Wenn wir für eine Reportage über das Vorwerk Braunschweig des Volkswagenwerkes den obigen Titel [„Ordensburg der Arbeit“] gewählt haben, so soll das nicht etwa bedeuten, dass auf den Ordensburgen Sonthofen, Vogelsang oder Crössinsee nicht gearbeitet wird. Der Unterschied liegt dabei auf einem anderen Gebiete. Während an diesen Ausbil- dungsstätten junge Nationalsozialisten zu politischen Führern und kompromisslosen Verfechtern unserer Weltanschauung erzogen werden, bildet das Braunschweiger Volkswagenwerk ebenfalls auf dem Wege kameradschaftlicher Gemeinschaftserzie- hung junge Männer zu hochwertigsten Facharbeitern, ja man kann schon sagen, zu Facharbeiterführern heran. Der Weg und die Methoden, die hierbei angewandt wer- den, decken sich, wie gesagt, in weitem Maße mit denen der Ordensburgen. Genau wie dort sind die Jungen in Kameradschaftshäusern untergebracht. Ihr Lehrplan sieht in weitem Maße sportliche Betätigung vor. Auch die weltanschauliche Schu- lung, die [nicht nur] in der Hand der HJ liegt, kommt zu ihrem Recht. Überhaupt entdeckt man, wenn man einen Tag unter diesen frischen, aufgeschlossenen Jungen verbringt, an allen Ecken und Enden Parallelen, die einen immer wieder an den Dienstbetrieb auf den Ordensburgen erinnern. Schon die Auswahl der Jungen, von der uns der Lagerleiter erzählte, wird nach ähnlichen Voraussetzungen wie die zu den Ordensburgen oder Adolf-Hitler-Schulen vorgenommen. So sind hier Jungen aus allen Volksschichten und Gauen zusammen gekommen.37 Die Besten aus den Adolf-Hitler-Schulen und dann aus den Ordensburgen und damit die Besten „un- seres Volkes“ sollen „groß im Wissen, blind im Gehorsam und fanatisch im Glau- ben“ sein“38 Diese Einrichtungen wurden auch als „Hochburgen des nationalsozia- listischen Glaubens“ bezeichnet. Die Braunschweiger Tageszeitung stellte der Öffentlichkeit in einem Artikel vom 25.10.1938 auch schematisch dar, welchen Werdegang die künftigen Arbeiter am Volkswagen durchmachen und wie sie in systematischer und sorgfältiger Aus- und Durchbildung jenes Höchstmaß an sachlich-technischem Wissen und handwerk-

34 Elternbriefe, Heft 1 April 1939, S. 10. 35 Vgl. hr.: Wo sie wohnen – wie sie arbeiten. In: Braunschweiger Neueste Nachrichten/Braunschwei- gische Landeszeitung, Jg. 42, Nr. 226, vom 27.09.1938, S. 9. 36 Vgl. Kipp, miLLer-Kipp (wie Anm. 28), S. 356f. 37 adam, E.: „Ordensburg der Arbeit.“ In: Arbeitertum. Amtliches Organ der Deutschen Arbeits- front einschl. NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“. 9. Jg., Juni 1939, Folge 5, S. 6f. 38 Vgl. Denkschrift Die Adolf-Hitler-Schule, S. 15; zit. nach bUddrUS (wie Anm. 9), S. 883.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 147 lichem Können vermittelt bekommen, das notwendig ist, um ihren Aufgaben an diesem Meisterwerk deutscher Ingenieurkunst in jeder Beziehung gerecht werden zu können. Die jungen Menschen sollen in einer ununterbrochenen Kette weltan- schaulicher und charakterlicher Bildung aus der Werksgemeinschaft hineinwach- sen in die große Erziehungsschule des Arbeits- und Wehrdienstes, um von dort aus wieder zurückzukehren in den Schoß des größten, aus echt sozialistischen[m] Geist heraus entstehenden Werkes der Welt, eben der Volkswagenfabrik.39 Damit war die nationalsozialistische Totalerziehung von der Braunschweiger Tageszeitung umris- sen worden. Diese wurde am 04.12.1938 in Reichenberg/Sudetenland, Porsches Geburtsstadt, in einer Rede von Hitler bekräftigt.Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes, als deutsch denken, deutsch handeln … dann kommen sie vier Jahre spä- ter vom Jungvolk in die Hitlerjugend, dort behalten wir sie wieder vier Jahre, und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern nehmen sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS …Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen … Und was dann …noch an Klassenbewusstsein oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre, und wenn sie …zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS usw. und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben. [Hervorhebung vom Verf.]. Die skizzierte „ideale“ Vorstellung von Berufsausbildung wurde im gleichen Monat von der Reichsführung im Zuge der gewaltigen Aufrüstung zunichte ge- macht.Zur Sicherstellung der nötigen Zahl von Fachkräften für die Durchführung des Vierjahresplans hat der Reichswirtschaftminister auf Anweisung des Beauftrag- ten für den Vierjahresplan, Ministerpräsident und Generalfeldmarschall Göring, verschiedene Maßnahmen auf dem Gebiet der Berufsausbildung angeordnet, die für die gesamte Wirtschaft von größter Bedeutung sind. Nach Göring sollten auf jede mögliche Weise Facharbeiter beschleunigt herangebildet werden. [Das] läßt sich nur ermöglichen, so der Reichswirtschaftsminister in seinem Erlass vom 22. Okto- ber 1938, durch eine außerordentliche Verschärfung des Ausbildungsganges unter Zurückstellung aller Anforderungen an die Jugendlichen und an die mit ihrer Aus- bildung betrauten Personen. Ab 1. April 1939 durften im Allgemeinen keine Lehr- verhältnisse über eine mehr als dreijährige Dauer begründet werden, durch Sonder- maßnahmen sollten die Betriebe den Ausbildungsstand der Lehrlinge insbesondere im dritten und vierten Lehrjahr beschleunigen und diejenigen, die vierjährige Ver- träge hatten, konnten bis zu einem Jahr verkürzen.40 Unsere Arbeitswelt mit der Landnot und der Rohstoffknappheit, der Aufrüstung und dem Vierjahresplan ist ein

39 Diesen Weg geht der Volkswagenarbeiter. In: Braunschweiger Tageszeitung Nr. 250 vom 25.10.38, S. 9. 40 Zit. nach und vgl. Braunschweigische Wirtschaft, Amtliches Organ der Industrie- und Handelskam- mer Braunschweig, November Nr.11/1938 S. 234. Ausführlicher: Albert müLLer: Die Lehrzeit wird verkürzt! In: Die Lehrwerkstatt, Folge 11, 1939, S. 241f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 148 Friedrich Walz politischer Erziehungsraum von ungeheurer Formkraft [geworden]. … Die Arbeit ist damit dem Waffendienst gleichgestellt.41 Spätestens jetzt wurde aus der Staatsbür- gerlichen Erziehung Kerschensteiners eine nach nationalsozialistischen Grundsätzen ausgerichtete Berufserziehung.42 Die HJ-Motorstandarte 58, eine Arbeitsgemeinschaft im HJ-Bann des Vorwerks, musste sich mit 15 Kleinkrafträdern begnügen, die Korpsführer des NSKK Adolf Hühnlein im Vorwerk am 01.11. 1938 im Beisein von F. Porsche, B. Lafferentz und leitenden Angestellten und Funktionären für eine gute fahrtechnische Ausbildung übergab und dabei die Lehrlinge aufforderte,Kämpfer und Streiter Adolf Hitlers zu sein.43 Ein Jahr später machte die HJ-Motorstandarte einen Ausfug nach Fallers- leben und schoss ein Gruppenfoto mit ihren Krafträdern vor der Cianetti-Halle.44 Der Präsident des Faschistischen Industriearbeiterverbandes, Trullio Cianetti, war das Pendant zu Robert Ley. Der Italiener hatte ihm für den Bau des Hauptwerkes den Einsatz mehrerer tausend Gastarbeiter aus Norditalien ermöglicht. Das wurde durch diese Namensgebung gewürdigt. Einen Volkswagen haben sie dort auf dem Hauptwerk-Gelände nicht bestaunen können, obwohl mehrere zugelassene Proto- typen davon im November 1938 vor der Cianetti-Halle an der Hauptwerk-Baustelle standen,45 den Kübel- und Schwimmwagen erst später im Krieg. Hans Maaß nahm die seltene Gelegenheit wahr und setzte sich im Herbst 1939 in einen vor der Turn- halle auf dem Vorwerkgelände abgestellten Käfer. Ein Kamerad fotograferte den 16jährigen Lehrling.46 Bis zur Kapitulation wurden 1194 „Käfer“ gebaut,47 aber vor allem von hohen NS-Führern aus Staat und Wirtschaft gefahren.48 Das Türschloss eines KdF-Wagens mit „Brezelfenster“ haben die Lehrlinge zu Ausbildungszwecken nie gebaut. Der Werkzeug- und Lehrenbau für „Käfer“-Teile erfolgte anfangs aller- dings unter Beteiligung der Lehrlinge im Vorwerk. Die Jungen wurden in zehn landsmannschaftlich gegliederten Klassen unterrich- tet. Zunächst mussten alle Lehrlinge in der Werkstatt den etwa halbjährigen Grund- lehrgang des Amtes für Berufserziehung und Betriebsführung (AfBB) „Eisen erzieht“ durchlaufen, also eine Grundausbildung als Maschinenschlosser, der Parallelen zum Grundwehrdienst hatte. Anhand der erreichten Leistungen in der Werkstatt und Schule und soweit möglich wurde unter Berücksichtigung seines Berufswunsches der endgültige Beruf eines jeden Lehrlings festgelegt.49 Dieser Vorbehalt war im Lehr-

41 magdebUrg, Ernst: Die Stellung und Aufgaben der Berufserziehung. In: Deutsche Schulerzie- hung. Berlin 1940 S. 264f. 42 Vgl. arnhOLd (wie Anm. 27); LOhL, Werner: Die Berufserziehung im völkisch-organischen Staat. Berlin und Leipzig 1938; magdebUrg (wie Anm. 41). 43 Vgl. Hühnlein besucht das Vorwerk. Fünfzehn Krafträder als Geschenk. In: BNN/BLZ v. 02.11.38, S. 9. 44 Elternbriefe 2. Jg., Heft 2, Oktober 1939, S. 14. 45 Schönheit der Arbeit (wie Anm. 1), S. 337. 46 Foto im Besitz des Verfassers. 47 Volkswagenwerk GmbH Wolfsburg Geschäftsbericht und Rechnungsabschlüsse für die Zeit vom 1. Januar 1943 bis 31. Dezember 1947, S. 2; UVW. 48 grieger, Manfred: Volkswagen: Von der Vision der automobilen „Volksgenossen“ zur betrieb- lichen Einbindung in die Kriegswirtschaft und das NS-Zwangsarbeitersystem, 1937–1945. In: StöLzL, H. (Hrsg.): Wolfsburg-Saga. Stuttgart 2008, S. 64. 49 Elternbriefe, Heft 1 April 1939, S. 3.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 149 vertrag festgeschrieben. Im Vorwerk wurde die Berufslenkung rigoros umgesetzt. Die Ausbildungsleitung hatte viel Überzeugungsarbeit bei Eltern und Lehrlingen zu leisten, wenn es darum ging, Lehrlinge in neuen Industriefacharbeiterberufen, wie z.B. Feinblechner, Schweißer oder Fräser weiter auszubilden.50 Dazu ein fremdge- steuerter Bericht eines „Konvertierten“: Ich lerne Dreher. Als ich ins Vorwerk kam, war mein Berufswunsch Elektriker. Durch den Lehrgang „Eisen erzieht“ habe ich aber eine große Lust und Liebe zum Metallberuf gefunden und mir gesagt: „Nein du mußt Dreher oder irgend einen anderen Beruf erlernen.“51 Auch bei fast allen anderen Beiträgen von Lehrlingen in den Ausgaben der Werkzeitung hatten die Erzieher oder Redakteure wohl inhaltlich „Formulierungshilfe“ geleistet. Mit neun Ausbildungsberufen wurde begonnen. Vier Maschinenschlosser- und zwei Werk- zeugmacher-Klassen waren mit 105 bzw. 51 Metallarbeiterlehrlingen die stärksten Gruppen; sechs Betriebselektrikerlehrlinge die kleinste Gruppe. In der Lehrwerk- statt wie auch in der Werkberufsschule musste weiterhin viel improvisiert werden. Unterrichtet wurde noch in den Hörsälen der Reichsschule für Ausbildungsleiter.In Staats- und Gemeinschaftskunde sind wir uns erst einmal klar geworden über den neuen Umfang unseres deutschen Vaterlandes und haben uns bei einem Rundgang um die Grenzen klar gemacht, wie weit der Punkt 1des Parteiprogramms in Erfül- lung gegangen ist.52 Im Dezember 1938 wandten sich der Betriebsführer Friedrich Hoyler und der Ausbildungsleiter Karl Friedrich Müller, Verständnis erwartend, in einem Brief An die Eltern unserer Lehrlinge!: „Auch in den nächsten Wochen kön- nen wir noch nicht mit der endgültigen Fertigstellung und Freigabe sämtlicher Ge- bäude rechnen. Aber eins wird unseren jungen Lehrlingen vom ersten Tage an klar geworden sein: daß sie hier in einem Werk Einzug halten durften, das nach seiner Fertigstellung alle bisherigen berufserzieherischen Einrichtungen und Möglichkeiten übertreffen wird. Unsere Lehrlinge werden aber auch begriffen haben, daß die bes- ten Maschinen und die vorbildlichsten Einrichtungen ihren Zweck nicht erfüllen können, wenn nicht frische, strebsame und von ihrer Aufgabe tief durchdrungene junge Menschen Werkstatt, Werkschule und Lehrlingsheime mit dem rechten Geist erfüllen; wenn nicht jeder Lehrling sich täglich immer wieder von neuem bewußt wird, daß erst die Befreiungstat des Führers und der damit verbundene wirtschaft- liche Aufstieg ihnen die Möglichkeit gegeben haben, sich zu den besten Fachar- beitern heranzubilden.“53 Vor Weihnachten beschäftigte man die Lehrlinge nach der Arbeitszeit bastelnderweise damit, von Braunschweigs Einwohnern gespendetes Spielzeug wieder herzurichten, um den sudetendeutschen Kindern eine Freude zu machen. Anschließend durften sie dann für ihre Angehörigen eine Weihnachtsarbeit anfertigen, um zu zeigen, was sie handwerklich bereits gelernt hatten.54

50 Ebd., S. 15. 51 Ebd., S. 44f. 52 Elternbriefe, Jg. 1 Heft 1, Dezember 1938, S. 19. 53 Ebd., S. 1. 54 Vgl. ebd., S. 14.

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1939

Zum 1. April erhielten die Lehrlinge erstmals ein Zeugnis für das stark verkürzte 1. Ausbildungsjahr. Schulleiter Carl Chrosciel erläuterte den Eltern die Notenfndung u.a. so: Wir tragen die Noten, die Werkstatt, Schule, Heim und Abt. Leibeserziehung geben, in ein gemeinsames Zeugnis ein. Das wirkt sich besonders auf die Zensuren in „Führung“ aus. Unter Führung verstehen wir alle Dinge, die für die charakterliche Entwicklung von Bedeutung sind. Die Führung setzt sich aus drei Noten zusammen: „Haltung“, „Fleiß“, „Ordnung“ … Die bisher besprochenen Führungsnoten bilden ein Sammelurteil, d.h. die 4 Abteilungen – wobei der persönliche Eindruck eines jeden Erziehers herangezogen wurde – reichten ihre Führungsnoten an die Klassenlehrer weiter, der einen Mittelwert bildete. So gaben für das Verhalten im HJ-Dienst Ord- nung in Spind und Stube sowie das kameradschaftliche Verhalten im Heim den Aus- schlag. Die Werkstatt- und Berufsschulleistungen wurden durch übliche Leistungs- nachweise beurteilt. Benotet wurde nach dem ab 1. Oktober 1938 für die gesamten Schulen Großdeutschlands eingeführten Zensuren-Schema 1 bis 6.55 Am 15. Mai 1939 rückte der 2. Jahrgang mit 283 Lehrlingen auf sechs Wochen in ein Zeltlager in Rieseberg bei Braunschweig ein. In der dortigen Gauschulungs- stätte des NS-Lehrerbundes, die bis 1933 in Gewerkschaftseigentum war und in der am 4. Juli 1933 die SS elf politische Morde verübte,56 erteilten drei Lehrkräfte täglich einen vierstündigen Unterricht. Vom 10. bis 15. Juni stießen dann noch die Lehrlinge des 2. Lehrjahres sowie alle Ausbilder und Lehrer hinzu, so dass in dieser Woche das gesamte Ausbildungswesen des Volkswagenwerkes eine große Lagerge- meinschaft bildete.57 Die Lagererziehung bildet[e] einen der Kernpunkte des natio- nalsozialistischen Erziehungssystems. Sie sollte die Werte der ‚Kameradschaft‘ und ‚Gemeinschaft‘ verwirklichen, wobei militärischer Drill und ein totale Durchdrin- gung der im Lager isolierten Jugendlichen mit nationalsozialistischem Gedankengut zur Anwendung kamen.58 127 Werkzeugmacher bildeten diesmal die stärkste Gruppe. Es folgten 104 Ma- schinenschlosser und 23 Schmelzschweißer. Die acht Wohnheime mit je 60 Plätzen waren jetzt voll belegt. Da der 2. Jahresbericht für beide Jahrgänge 550 Lehrlinge ausweist, sollen 70 Lehrlinge in dem sich auf dem Werksgelände befndenden Ge- bäude der Reichschule für Ausbildungsleiter mit untergebracht worden sein.59 1939 bestanden reichsweit 142 Heime für Lehrlinge mit 6679 Plätzen meist in betrieb- licher Trägerschaft und von der HJ geführt.60 Vor 1933 lag die Trägerschaft der

55 Vgl. chrOScieL, Karl: Die Zeugnisse. In: Elternbriefe, 2. Jg., Heft 1, April 1939, S. 21–25. 56 Ausführlich: OehL, Alfred: Der Massenmord in Rieseberg: Dokumentation. 2. Aufl. Hannover 2003. 57 Vgl. Volkswagenwerk G.m.b.H. Werkschule Vorwerk Braunschweig, 2. Jahresbericht vom 01.04.1939–31.03.1940, S. 8; NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058 58 Vgl. eiLerS, Rolf: Die nationalsozialistische Schulpolitik. Köln/Opladen, 1963, S. 37 und arn- hOLd, Karl: Vom Gesetz der Gemeinschaft, als Manuskript gedruckt. [Berlin-Zehlendorf] o. J. 59 Aussage von W. Sch. und Hans Maaß, Lehrlinge des 1. Jahrgangs gegenüber dem Verfasser in 2008/9. 60 Vgl. OSt, L.: Das Jugendwohnheim, S. 25; zit. nach bUddrUS (wie Anm. 9), S. 621.

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Jugendwohnheime, in denen auswärtige Lehrlinge und Jungarbeiter betreut wur- den, in konfessionellen oder in jugendwohlfahrtlichen Händen. Bis Ende 1944 hatte sich die Anzahl auf 976 Heime mit etwa 180 000 Jugendlichen drastisch erhöht, wovon 49% von Betrieben, 25% von der HJ und 24% von der Wehrmacht be- trieben wurden. Evakuierungen, Ausbombungen und die erweiterte Arbeitspficht für Hausfrauen hatten immer mehr Jugendliche aus ihren Familien herausgerissen oder zu Halb- oder Vollwaisen gemacht.61 Die Heimanlage im Vorwerk war damit bis 1945 die größte im Reich, was viele Besucher anzog. Dennoch war bei der An- werbung von Lehrlingen für die auswärtige Unterbringung in Heimen anfangs viel Überzeugungsarbeit zu leisten gegen herrschende Vorurteile bei Eltern gegenüber den Jugendwohnheimen als Stätten einer frühzeitigen Kasernierung der Jugend. Mit Unterstützung der HJ-Zentrale wurde den Eltern erklärt, dass erst durch diese Heime eine sinnvolle, den Anlagen ihrer Kinder entsprechende Ausbildung möglich sei. Es wurde außerdem mit hygienisch einwandfreien Verhältnissen, ausreichender und nahrhafter Verpfegung, sorgfältiger Gesundheitsführung, sinnvoller Freizeit- gestaltung, umfassender körperlicher Schulung und weltanschaulicher Erziehung geworben. Den Eltern wurde zudem garantiert, dass schwererziehbare, verwahrloste oder gar erbbiologisch minderwertige Jugendliche in diesen Heimen keine Aufnah- me fnden würden.62 Vorgesehen war, dass beide Jahrgänge in 22 Klassen von elf Berufsschullehrern einmal wöchentlich zehn Stunden, davon zwei Stunden Leibesübungen, unterrichtet werden sollten. Geräteturnen, Schwimmen, Leichtathletik, Boxen und Fünfkampf sollten auf dem Zeugnis benotet werden. Alle an der Erziehung der Lehrlinge betei- ligten Meister, Lehrer und HJ-Führer erstellten in Arbeitsgruppen einen gemeinsam umzusetzenden Gesamterziehungsplan63 nach den Erziehungsgrundsätzen Adolf Hitlers.Der völkische Staat hat in dieser Erkenntnis seine ganze Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbil- dung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wieder an der Spitze die Entwicklung des Charakters, besonders die Förderung der Willens- und Entschlusskraft, verbunden mit der Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit und erst als letztes die wissen- schaftliche Schulung.64 Schon 1933 hatte Kurt Schwedtke Hitlers Gedanken zur Erziehung und zum Unterricht für die deutschen Lehrer und Erzieher methodisch- didaktisch aufbereitet. Darüber hinaus fundierten insbesondere zwei pädagogische Chefdeologen diese in Büchern und Aufsätzen im NS-Sinn wissenschaftlich. Ernst Kriecks Nationalpolitische Erziehung und Alfred Bäumlers Veröffentlichungen, wie z.B. „Politische Leibeserziehung“ oder „Rasse als Grundbegriff der Erziehungswis- senschaft“ waren zusätzliche weltanschauliche Richtschnur für Dozenten, Lehrer,

61 Vgl. 180 000 Jugendliche in 976 Jugendwohnheimen. In: der Angriff, Nr. 48 vom 28.02.1945, S. 2. 62 Schaffende Jugend, Folge 8, August 1941; zit. nach bUddrUS (wie Anm. 9), S. 620. 63 Siehe: Die Nachwuchs-Erziehung (wie Anm. 4) S. 1–15. 64 hitLer, A.: Mein Kampf. München/Wien 1943. S. 452.

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DAF-Redakteure, HJ-Funktionäre u.a.65 Insbesondere der Sport sollte nach Leit- sätzen einschlägiger Ausbildungsrichtlinien den Angriffsgeist wecken, den Willen härten, die Selbstzucht fördern und damit die Erziehung zum einsatzbereiten Kämp- fer unterstützen. Desweiteren zwingt der Sport zur Unterordnung und stärkt den Zusammenhalt und Korpsgeist der Truppe.66 Geachtet wurde bei der Auswahl der zukünftigen Arbeitskameraden des Volks- wagenwerkes nicht nur auf fachliche, sondern genauso streng auf erbbiologische, rassische, gesundheitliche und charakterliche Gesichtspunkte.67 Dazu erinnerte sich der als Volksdeutscher getarnte Jude Schlomo S. Perel an eine Unterrichtsstunde: Doch eines Tages, wieder bei der Rassenkunde, erwartete auf mich eine angenehme Überraschung, durch welche meine dauernd abnehmende Selbstsicherheit eine wichtige moralische Verstaerkung bekommen hat. Wir lernten naemlich ueber die Rassenzusammensetzung des deutschen Volkes und das[ß] die nordische Rasse von bester Eigenschaften waere und das[ß] deshalb die Bestrebung besteht, im Laufe der kommenden Generationen, diese immer mehr zu bevorzugen. Als klassischer Typ dieser erstrebten Elitenrasse wurde ein Schueler erwaehlt, der hoch, blond, blauaeu- gig war und auch die anderen vorgeschriebenen Merkmale auf sich hatte. Doch es gab noch zusaetzliche Rassen unter den Deutschen, wie die Faelische, Romanische und Ostbaltische. Jetzt kam die Ueberraschung. ‚Perjell, stehe bitte auf‘ rief mir der Lehrer zu …Der Lehrer, sich an die Klasse wendend, stellte mich als Typ der Ost- baltischen Rasse vor! Fand das unerwartet und unglaublich! …lieber Nazilehrer, wenn du nur wuesstest welcher Rasse ich wirklich angehoere.68 Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muß ihre Krönung darin fnden, daß sie den Rassesinn und das Rassegefühl instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hineinbrennt. Es soll kein Knabe und kein Mädchen die Schule verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinheit geführt zu sein. Damit wird die Voraussetzung geschaffen für die Erhaltung der rassenmäßigen Grundlagen un- seres Volkstums und durch sie wiederum die Sicherung der Vorbedingungen für die spätere kulturelle Weiterentwicklung.69 Von der 3-jährigen Lehrzeit waren zwei Jahre Lehrwerkstattausbildung vorgese- hen. Im 3. Jahr sollte die Ausbildung in den Fertigungsbetrieben des Hauptwerkes in Fallersleben fortgesetzt werden, die Lehrlinge aber weiterhin in den Heimen wohnen, die Werkberufsschule besuchen und in ihrer Freizeit „betreut“ werden. Die ‚einheitliche Erziehungsführung‘ sei unbedingt notwendig, da sich in der Praxis

65 Hierzu ausführlicher: gieSecKe, H.: Hitlers Pädagogen. Weinheim/München 1993. 66 Vgl. RdErl. des SS-FHA/Kdo. d. WaffenSS v. 30.12.1940 betr. „Ausbildungsrichtlinien für die Leibeserziehung“, Teil I (MA:RS 4/113; zit. nach wegner, B.: Hitlers Politische Soldaten: Die Waffen-SS 1933–1945. Paderborn 1982, S. 169; sowie ausführlich: carLé, Rudolf: Die Bedeu- tung der Leibesübungen in der Berufserziehung. In: Die Lehrwerkstatt, Zeitschrift für betriebliche Berufserziehung in Industrie und Handwerk. Heft Jan.–Apr. 1938 67 Vgl. Die Nachwuchs-Erziehung, (wie Anm. 4) S. 2 und K. F. müLLer: Die Nachwuchserziehung im Volkswagen-Vorwerk Braunschweig. In: Die Lehrwerkstatt, Folge 3, 1939, S. 51ff. 68 pereL, Sally: Hitlerjunge Salomon. Givatayim 1986, S. 19. 69 hitLer (wie Anm. 64), S. 475f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 153 immer wieder gezeigt habe, dass bei mangelhafter Kontrolle der Lehrlinge während der Zeit der Betriebsausbildung alles, was die Lehrwerkstatt erzieherisch aufgebaut habe, in den Fertigungsbetrieben wieder zerstört oder doch stark gefährdet werde.70 Hier hielt man sich wieder an den Vorgaben Karl Arnholds:Die beste Einführung in das Betriebsleben, die natürlichste Eingliederung des Nachwuchses in die Arbeits- kameradschaft und Arbeitsgemeinschaft, ist die Lehr- und Anlernwerkstatt.71 Denn, so Arnhold an anderer Stelle: Die Arbeit ist Kampf, kein Spiel. Darum setzt die nationalsozialistische Berufserziehung grundsätzlich die Betriebsnähe voraus … Die Lehrwerkstatt ist gewissermaßen die Front der Berufserziehung, von der alles ab- hängt.72 Darüber hinaus wollte man einer sittlichen und seelischen Gefährdung oder gar Verwahrlosung durch ständige Beaufsichtigung, Lenkung und Mobilisierung vorbeugen, aber auch die Wirksamkeit der charakterlichen und weltanschaulichen Erziehung erhöhen und nicht zuletzt überragende Leistungsmenschen formen. Dazu galt die Kasernierung von Lehrlingen in Wohnheimen als günstige Methode. Finan- ziert wurden die Heime durch die einbehaltenen Erziehungsbeihilfen bis auf die im Lehrvertrag geregelte Taschengeldzahlung.73 Leistungsgemeinschaften – Mannschaft leistet – hatten das Ziel zu verhindern, dass in den Jungen falscher Ehrgeiz geweckt würde. Nur Gruppenleistungen wurden auf Kurventafeln ausgehängt. Auch hier galten Arnholds Richtlinien: Aber die Ge- meinschaft muß auch exerziert werden. Hierin liegt der Sinn der Betriebsappelle, der Feste der Arbeit, der Lehrwerkstatt, des Werkes ‚Kraft durch Freude‘. Das ist eben das Geheimnis der Gemeinschaft, daß die in ihr vereinigte und zusammengeballte Kraft unerwartete Erfolge zu zeitigen vermag.74 Gleichzeitig warb das „Begabten- förderungswerks der DAF“ durch Sinnsprüche für den berufichen Aufstieg, um den Unterführer-Nachwuchs zu sichern. Sie wurden wöchentlich ausgetauscht und gut sichtbar an der sogenannten ‚Kommandobrücke‘ der Lehrwerkstatt befestigt. Ein Beispiel: ‚Steig auf so hoch Du kannst, es führen Sprossen weiter aus allem was Du sannst –wir halten Dir die Leiter‘.75 Vorrangig aber sollten geeignete Sinnsprüche in Verbindung mit dem Arbeits- leben ein wertvolles Erziehungsmittel darstellen und ich habe anhand einer Reihe von Sinnspruchbesprechungen aufgezeigt wie man nationalsozialistisches Gedan- kengut mit der Arbeit verschmelzen kann.76 Ob in der Lehrwerkstatt, Werkberufs- schule oder im HJ-Dienst, die weltanschauliche Persönlichkeitserziehung wurde allgegenwärtig verfolgt. Es war der Versuch, allgemeine militärische wie auch ideo- logische Normen für den täglichen Arbeits- und Lebensalltag einzuüben. Sinnsprü- che wie Pfege Deine Maschine wie der Soldat sein Gewehr, Der Krieg ist nichts

70 Vgl. Die Nachwuchs-Erziehung (wie Anm. 4), S. 4. 71 arnhOLd (wie Anm. 10), S. 45. 72 arnhOLd (wie Anm. 27), S. 9 u. 19. 73 Vgl. bUddrUS (wie Anm. 9), S. 617ff. 74 arnhOLd (wie Anm. 10), S. 50 und später: W. bOLz: Die Lehrkameradschaft. In: Die Lehrwerk- statt, Folge 7, 1941, S. 79–81. 75 herOLd, Georg: Sinnsprüche aus dem Arbeitsleben. O. O, o. J.; Unternehmensarchiv Volkswagen (UVW) 403/30. 76 Ebd., Vorwort.

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Schreckhaftes sondern eine Belastungsprobe des Herzens oder Der Feigling hat kein Recht zu leben hingen bei Betriebsappellen und in Werkberufsschulräumen aus und mussten in den Wochenberichten aufgeführt werden.77 Den Verfassern des Standardwerkes zum Volkswagenwerk und seinen Arbei- tern Mommsen/Grieger kann nicht gefolgt werden, wenn sie resümieren, dass er- staunlicherweise der weltanschaulichen Indoktrination in der Berufsausbildung des VW-Vorwerkes nur wenig Raum gegeben wurde.78 Ebenso wenig trifft es zu, dass die weltanschauliche Erziehung nur von der HJ durchgeführt wurde.79 Seit 1938 wurden die „Defzite“ in der weltanschaulichen Erziehung, wie hier belegt wird, tatsächlich abgebaut, während die fachliche Berufsausbildung mehr und mehr an Bedeutung und Qualität verlor. Die weltanschauliche Erziehung erhielt Vorrang, was Theo Wolsing in der Schlussbetrachtung seiner umfangreichen Studie nicht ge- sehen hat.80 Gerade im DAF-eigenen vorbildlichen Volkswagen-Vorwerk Braun- schweig stand die weltanschauliche Erziehung im Vordergrund. Sie war Aufgabe der gesamten Erziehungsgemeinschaft, die mit revolutionärem Schwung dabei vorging. Die eigene Werkszeitung war u.a. dazu das gemeinsame Sprachrohr, um die Belegschaft insbesondere die Lehrlinge durch Indoktrination für das national- sozialistische Leben zu gewinnen. In seinem Artikel Die DAF.-Presse als geistiges Führungsinstrument brachte es Hans Eckensberger, der spätere Herausgeber der Braunschweiger Zeitung, auf den Punkt: Eines dieser Erziehungsmittel, dessen sich der Nationalsozialismus mit meisterhafter Virtuosität bedient, ist seit jeher die Pres- se.81 Das weltanschaulich-propagandistische Zusammenspiel auch mit den externen Stellen, wie mit der Landesregierung, Gauleitung, Industrie- und Handelskammer, Lokalpresse und den anderen „Ordensburgen“ lief hier, wie die Quellen zeigen, per- fekt ab. Den Erziehern standen „Der Schulungsbrief“, „Arbeitertum“, „Die Lehr- werkstatt“, die Tageszeitung „der Angriff“ und andere Presseorgane von NSDAP und DAF zur Verfügung, um aktuelles weltanschauliches Informationsmaterial für die Schulung in Werkstatt, HJ-Dienst und im Unterricht zur Verfügung zu haben.82 Sie waren ebenfalls Lieferanten zahlreicher Sinnsprüche, wie z.B. dieser: Der Zweck der Arbeit soll das Gemeinwohl sein, dann bringt Arbeit Segen, dann ist Arbeit Gebet. (Alfred Krupp.)83 Das Vorwerk Braunschweig sollte zu einer perfekten

77 Ebd.. Sinnspruchnummern 78, 66, 55. und 45 weitere bei Kipp, miLLer-Kipp (wie Anm. 28), S. 353f. Bereits seit dem 1. Mai 1937 erhielten die Betriebe und Dienststellen vom Propagan- da-Amt der NSDAP des Gaues Süd Hannover-Braunschweig laufend einen Wochenspruch zum Aushang mit der Absicht, jede Woche einen Gedanken des Führers oder eines führenden Mannes der Bewegung in das Volk hineinzutragen,… damit die propagandistische Absicht erreicht wird. Wir bitten die braunschweigische Wirtschaft, die neuartige Propaganda für Bewegung und Staat nach Kräften zu unterstützen. 78 mOmmSen, grieger (wie Anm. 3), S. 248f. 79 Vgl. Kipp, M. (wie Anm. 16), S. 203. 80 Vgl. wOLSing, Theo: Untersuchungen zur Berufsausbildung im Dritten Reich. Kastellaun 1977, S. 747f. 81 Hans ecKenSberger: Die DAF.-Presse als geistiges Führungsinstrument. In: Arbeitertum, 2. Dez.- Ausg. 1940 Fol. 18, S. 14. 82 Siehe hierzu: Der Schulungsbrief. Das Zentrale Monatsblatt der NSDAP/Hauptschulungsamt und Deutsche Arbeitsfront/Schulungsamt, Hrsg. Der Reichsorganisationsleiter, 1/1934 bis 11/1944. 83 Der Schulungsbrief (wie Anm. 82) 3. Heft 1943, 5./6. Folge S. 69.

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Gemeinschaftserziehungsstätte entwickelt werden mit dem Vorrang der Charakter- erziehung. Der Nationalsozialismus verlangt den disziplinierten Berufsträger, dessen charaktervolle Haltung die Krönung seiner Arbeitsleistung bildet.84 Die Aufstellung der Leistungsgemeinschaften erfolgte auch nach landsmann- schaftlicher Zugehörigkeit. Dieser Einteilung lag die Absicht zugrunde, zwischen rassischen Voraussetzungen einerseits und den einzelnen handwerklichen, sport- lichen und schulischen Fähigkeiten andererseits bestehende Zusammenhänge auf- zuzeigen85 und in einer Bewertungskartei für jeden Lehrling festzuhalten. Nach dem Gesamterziehungsplan sollten Lehrgesellen und Lehrer ihre Fertigkeiten- und Stoffvermittlung „synchronisieren“. Die Leibeserziehung im Volkswagenwerk sollte zunächst nur eine auf den Beruf ausgerichtete körperliche Ertüchtigung sein. Dazu wurden Erbanlagen wie Größe und Muskelumfang gemessen, Leistungen ermit- telt und Prüfungen der charakterlichen Haltung bei Mut- und Entschlossenheits- übungen sowie des Verhaltens in der sportlichen Gemeinschaft vorgenommen. Die Jungen sollten zu einer gesunden Lebens- und Leistungsführung überzeugt werden, theoretisch unterstützt durch Vermittlung von Lehrinhalten aus der Gemeinschafts- kunde: Grundphänomene des Lebens, Erblehre, Rassen- und Konstitutionskunde.86 Auch die Arbeit der acht Heimleiter und ihrer acht Heimhelfer, alle aus der HJ kommend, waren in den Gesamterziehungsplan einbezogen. Die Ordnung in einer so großen Lebensgemeinschaft war nur bei strengster Zeiteinteilung und straffer sol- datischer Führung aufrecht zu erhalten. Der Tagesdienstplan sah z.B. folgenderma- ßen aus:

5,25 Uhr Wecken 5,30–5,40 Frühsport, dann Innendienst 6,25 Abnahme der Stuben und Heime durch die Heimleiter 6,35 Flaggenhissen 6,45–7,15 Frühstück, 2Tischfolgen von je 15 Minuten 7,30–12,00 Werkberufschule bzw. Lehrwerkstatt mit ¼Std. Pause für 2. Frühstück 12,00–13,00 Mittagessen, 2Tischfolgen von je 30 Minuten Dauer 13,00–16,45 Lehrwerkstatt bzw. Unterricht nach Sonderplan 16,45–17,15 Nachmittagskaffee 18,30–19,30 Abendessen 21,00 Zapfenstreich.87

An die Stelle der sich sonst im Elternhaus ergebenden Erziehungsform trete mit der Gemeinschaftserziehung eine völlig andere Erziehungsweise, denn im Jugend- wohnheim greift die Gemeinschaftserziehung täglich, ja sogar stündlich und außer- dem jahrelang in allen Lebenslagen und vor allem in die persönliche Lebensform der Jugendlichen ein, und zwar bisweilen einschneidender, als es jemals bei der

84 UrbSchat, Fritz: Grundlagen einer Geschichte der Berufserziehung. Berlin/Leipzig 1937, S. 77. 85 Die Nachwuchs-Erziehung (wie Anm. 4), S. 6 sowie carLé, R. (wie Anm. 67). 86 Vgl. Ebd., S. 9f. 87 Ebd., S. 12f.

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Erziehung im Elternhaus der Fall sein könne.88 Allwöchentliche Besprechungen zwischen dem zuständigen HJ-Führer, der Heimleitung und dem Ausbildungsleiter dienten der Festlegung des Wochendienstplanes, um in enger Gemeinschaftsarbeit alle weltanschaulichen, erzieherischen und berufichen Gesichtspunkte auf das große Ziel hin, den neuen deutschen Facharbeitertyp zu formen, abzustimmen.89 Gera- de die HJ-Führer sollten der treibende Motor für eine revolutionär ausgerichtete neue einheitliche Erziehung sein. Reichsjugendführer Schirach hatte ihre Funktion 1939 so formuliert: Der Jugendführer und Erzieher der Zukunft muß ein Priester des nationalsozialistischen Glaubens und ein Priester des nationalsozialistischen Dienstes sein.90 Diese Zukunft hatte in Braunschweig begonnen. Der neue deutsche Erzieher- stand wurde in Braunschweig in der am 20. April 1939 eröffneten zweiten Ordens- burg, Akademie für Jugendführung der Hitlerjugend, ausgebildet. Hartmann Lau- terbacher, Stellvertreter Schirachs, erreichte es dank seiner guten Beziehungen zu Hitler, Hess und Goebbels, der sein Trauzeuge war,91 dass diese „Ordensburg Reichsakademie“ für den „nationalsozialistischen Neuadel“ in exklusiver Lage neben Schloss Richmond gebaut wurde.92 Lauterbacher, ein Kronprinz Hitlers, prä- zisierte die Anforderungen an einen HJ-Führer, der größere Einheiten der Hitler- jugend führen sollte: Nur der körperlich gewandte und gestählte Junge, nur der, der die Forderung des Führers an sich wahr macht, der rassisch und charakterlich wertvoll ist, kann höherer Führer der Hitlerjugend werden. …Dieser Führer wird im wahrsten Sinne des Wortes nationalsozialistisch leben müssen.93 Für die dritte „Ordensburg SS-Junkerschule“ in Braunschweig wurde sogar das Welfenschloss zu Schulungszwecken für die zukünftigen nationalsozialistischen Ritter „besetzt“. Der herzogliche Wohnstil musste acht Hörsälen, einem Vortragsraum, Führerheim u.a. weichen. Auch Ställe und eine Reitbahn wurden benötigt für die Ausbildung von 240 Junkern je Lehrgang.94 Die völkische Weltanschauung huldigt …dem aristo- kratischen Prinzip, den besten Köpfen die Führung und den höchsten Einfuß im Volke zu sichern. Der Grundsatz der festen ‚Verbindung von absoluter Verantwort- lichkeit mit absoluter Autorität‘ wird schließlich die Auslese der großen Führer- persönlichkeiten ermöglichen.95 Die vierte „Ordensburg“ war die Reichsschule für Ingenieure, in der die Lehrwerkstätten- und Ausbildungsleiter in besonderen 4- bis 12-wöchigen Lehrgängen ab 1938 auf dem Vorwerkgelände geschult wurden. Das Ziel dieser Lehrgänge war, den neuen Typ des Ausbildungsleiters zu schaffen,

88 Ott, L.: Das Wohnheim, S. 52, 74; zit. nach bUddrUS (wie Anm. 9), S. 622. 89 Vgl. Die Nachwuchs-Erziehung (wie Anm. 4), S. 13. 90 Zit. nach: bUddrUS (wie Anm. 9), S. 305. 91 SchULtz, Jürgen: Lauterbacher. In: BBL 1996, S. 371. 92 Näheres dazu: SchULtz, Jürgen: Die Akademie für Jugendführung der Hitlerjugend in Braunschweig. Braunschweig 1978 (Braunschweiger Werkstücke 15). 93 LaUterbacher, H.: Akademie für Jugendführung, S. 7; zit. nach BUDDRUS (wie Anm. 9), S. 326. 94 Vgl. SchULze-KOSSenS, Richard: Militärischer Führernachwuchs der Waffen-SS 1933–1945. 7. Aufl. Paderborn 2006. 95 SchwedtKe, Kurt: Adolf Hitlers Gedanken zur Erziehung und zum Unterricht. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1933, S. 7.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 157 der zielbewusst und körpergestählt, getragen von der nationalsozialistischen Weltan- schauung an seine Aufgabe herangeht und dem Jugendlichen der geborene Führer ist. Entsprechend wurden auch die Lehrgänge aufgebaut mit folgenden Fächern: Weltanschauliche Ausrichtung, Unterweisung in der Führung von Lehrwerkstät- ten, Biologie, Leibesübungen und Wehrsport, Erziehung zum soldatischen Men- schen, Sprecherziehung, Praktische Betriebstätigkeit und Betriebsbesichtigungen.96 Die Bernhard-Rust-Hochschule für Lehrerausbildung war die fünfte „Ordensburg“ Braunschweigs. Braunschweiger NS-Repräsentanten verwendeten gern den Begriff „Stadt der Jugend“ wie Landsberg ihn auch verwendete. Hitlers „zweites politisches Geburtsland“, seit 1932, der Freistaat Braunschweig und seine Hauptstadt, wurden damit insgesamt reichlich „gesegnet“. Mit diesen und weiteren Institutionen und Vergünstigungen konnte zu Recht behauptet werden, dass Braunschweig zu einer nationalsozialistischen Hochburg geworden war.97 Durch regelmäßige Berichte, Darlegungen und Bilder sollten auch die Eltern an der berufichen Entwicklung unserer Lehrlinge in ihren Heimgemeinschaften teil- nehmen. Die Versendung von Elternbriefen sollte der engen Verbundenheit des Elternhauses mit der Erziehungsgemeinschaft im Vorwerk Braunschweig dienen.98 Der erste erschien im Dezember 1938; ab 1940 wurden die Hefte in „Eltern- und Feldpostbriefe“ und ab 1942 in „Die Vorwerk-Fanfare“ umbenannt. Allerdings ver- öffentlichte man soweit erkennbar keine Briefe von Eltern, umso mehr Feldpost- briefe von Kriegsdienst leistenden Gefolgsleuten von allen Fronten Europas. Bis zum Kriegsbeginn konnte diese Erziehungsgemeinschaft ihren Gesamterziehungs- plan nur ansatzweise umsetzen, weil die Unterrichtsräume erst am 12.04.1939 voll nutzbar waren und wegen fehlender Lehrer lediglich Notunterricht erteilt wurde. In der Ausgabe vom April 1939 berichten die Erzieher über ihre Arbeit. Der Beitrag des Ausbilders Davidi soll hier wiedergegeben werden:

Liebe Eltern !

Ich möchte an dieser Stelle namens aller Ausbilder einige Worte an Euch richten. Als Ausbilder und Familienvater zugleich kann ich Eure Sorgen und Nöte, die Euch um Euren Sohn bewegen, verstehen. Der Mann ist sogar von Natur aus robuster und fndet sich damit ab, daß sein Junge fern vom Elternhaus lernt, auf eigenen Füßen zu stehen und sich somit eine Lebensgrundlage zu schaffen. Die Frau dagegen ist besorgter und deswegen sollen diese Zeilen auch besonders den Müttern gelten.

Um Euch nun etwas von unserer schönen und großen Aufgabe zu schildern, ist es not- wendig an die Vergangenheit zu denken. Leider hat sie manch einer von uns allzu schnell vergessen und betrachtet all das Große und Neue als eine Selbstverständlichkeit.

Wie war es doch früher ?

96 Die Berufserziehung der DAF… (wie Anm. 21), S. 35f. 97 Näheres dazu: SchULtz (wie Anm. 92), S. 130ff. 98 Vgl. Die Nachwuchs-Erziehung (wie Anm. 4), S. 14.

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Lehrjahre gab es früher auch schon, das besagt aber noch nicht, daß sie auch Lern- jahre waren, denn die Ausnutzung der Lehrjungen war fast überall die Regel geworden. Wir wissen alle, daß sich das bitter gerächt hat. Er mußte als Laufbursche des Meisters Besorgungen machen, die Wohnung säubern, das Kindermädchen ersetzen, wurde zu den vielseitigsten Arbeiten herangezogen, bei denen er vieles „lernen“ konnte, nur nichts für seinen Beruf.

Wie ist es heute ? Gesunde Arbeitsplätze, Lehrjahre, die im wahrsten Sinne des Wortes Lernjahre sind. Wir Ausbilder sind Berater der Lehrlinge ja sogar noch mehr: wir sind ihnen Kameraden in jeder Beziehung, und wenn der Junge das zu würdigen weiß, kann der Erfolg nicht ausblei- ben. Fern vom Elternhaus zu lernen, ist gewiss für den jungen Menschen eine harte Schule. Aber er lernt frühzeitig seinen Mann zu stehen, und um das geht es uns. Denn wir wollen aus ihm einen gesunden, anständigen und tüchtigen Kerl machen.

‚Deutschland braucht ganze Kerle‘. Ihr könnt es sicher verstehen, –und das wird Euer Vertrauen stärken –daß wir als Aus- bilder stolz darauf sind, an einer solch großen Aufgabe, die uns vom Führer gestellt wor- den ist, mitzuwirken. Haben wir doch das Heiligste zu betreuen, was Deutschland besitzt, nämlich den deutschen Jungen. Hier wird bereits deutlich, dass das Verbrauchen „von ganzen Kerlen“ für Kriegswirtschaft und Krieg alles in den Schatten stellte, was bis dahin an Ausnutzen von Jugendlichen geschah.

In seiner Ausgabe zum 15.August 1939 berichtete das Kampfblatt „Arbeiter- tum“ der DAF über die 5. Reichstagung der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freu- de“ in Hamburg und ihre „Errungenschaften“. Über diese gewaltige Leistungsschau wurde u.a. herausgestellt: Der KdF.-Wagen ist da. Zehntausende haben ihn bei seinen Fahrten durch die Gaue und durch die Betriebe gesehen. Es wird auch die letzten Zweifer in der Welt davon überzeugen, daß für den Nationalsozialismus das Bekenntnis zum Sozialismus keine Phrase, sondern eine ernste Angelegenheit ist. Der Bau der KdF.-Wagen-Fabrik in Fallersleben ist so weit vorgeschritten, daß die Produktion bereits Ende dieses Jahres beginnt. 1940 werden 100000 KdF.-Wagen ausgeliefert. 1941 wird die jährliche Produktion auf 200000 und 1942 auf 250000 gesteigert. Am 1. Juli dieses Jahres hat die Zahl der Volksgenossen, die für den KdF.-Wagen sparen, die Viertelmillion überschritten. Von diesen genau 253000 Sparern haben fast 100000 ihren Wagen ganz oder zum größten Teil bezahlt, so daß an Sparbeiträgen bereits über 110 Millionen eingegangen sind. Interessant ist die Zusammensetzung der Sparer für den KdF.-Wagen. Nach dem Leistungsbericht, den Dr. Lafferentz in Hamburg gab, sind nur 20 v. H. der Sparer Ledige, die übri- gen 80 v. H. haben Familie. 60 v. H. der KdF.-Wagen-Sparer haben Familien mit einem oder mehreren Kindern. 59 v. H. aller Sparer haben ein Einkommen, das unter 300.— RM. im Monat liegt. In Hamburg wurde darauf hingewiesen, daß die Betriebskosten für den KdF.-Wagen unter Berücksichtigung der Erfahrungen bei

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3Millionen Kilometer Versuchsfahrten sich bei 1000 gefahrenen Kilometern durch- schnittlich auf 35,– RM. belaufen. Am 1. September brach der Krieg aus. Schon am 17. Dezember 1936 hatte Her- mann Göring nach dem Beschluss über den Vierjahresplan verkündet: Wir stehen bereits in der Mobilmachung und im Krieg, es wird nur noch nicht geschossen!99 Und 1937 hatte Robert Ley den Eltern kinderreicher Familien zugerufen: Du bist ein Volk ohne Raum! Ehe wir diese Frage nicht gelöst haben, kann niemals die Sozialordnung vorhanden sein, die wir wünschen, und die wir haben müssen zum Leben und zur Ewigkeit unseres Volkes.100 Das Vorwerk [hatte] sein Aufbauprogramm für 1939 ändern müssen; durch Wehrmachtsaufträge wurde die Produktion durchweg auf den Lehrenbau [Teil- bereich des Werkzeugbaus] für das RLM [Reichsluftfahrtministerium] umgestellt. Außerdem richtete man ab Mitte November 1939 Umschulungskurse ein, um Ar- beitskräfte fremder Berufe auf den Metallarbeiterberuf für das Sonderprogramm umzuschulen (Umschüler).101 Ab jetzt waren Behelfspläne in Schule und Werkstatt „am laufenden Band“ zu erstellen. Schon ab August 1939 berief die Wehrmacht die ersten Meister, Gesellen und acht Lehrer zum Kriegsdienst ein, was Abstriche an den Ausbildungs- und Stundenplänen erforderte. Sieben Gewerbelehrer aus der städtischen gewerblichen Berufsschule am Inselwall gaben im 4. Quartal 1939 in der Werksberufsschule zusätzlichen Unterricht.102 Der Bannführer Gierlichs der Vorwerk-HJ gibt täglich 2Stunden Unterricht in Gemeinschaftskunde als unter- richtliche Mitwirkung in Vortragsform zum Aufgabengebiet der HJ gehörend, so die Mitteilung des Vorwerk-Ausbildungsleiters an den Minister für Volksbildung am 27.11.1939.103 Schon 1936 hatte der HJ-Gebietsführer der Gebietsführung Niedersachsen Blomquist die mannigfaltigen Aufgaben der HJ in einer Beiratssitzung der IHK Braunschweig umrissen. Die Partei habe durch ihre Lehrtätigkeit das den national- sozialistischen Staat tragende nationalsozialistische Volk zu erziehen. Die Hitler- Jugend als korporativer Bestandteil der Partei habe somit die hohe und verantwor- tungsvolle Aufgabe, die Jugend zu erziehen und zu schulen. Ihre Arbeit umfasse nicht nur die körperliche sondern auch die charakterliche, geistige und kulturelle Schulung. Es habe viele gegeben, die vor dem Totalitätsanspruch der HJ erschro- cken gewesen seien. Die HJ sei das junge und neue Leben und erfasse daher die gesamten Lebensgebiete des Volkes. Sie habe eine Tradition in der Partei, 21 Todes- opfer aus ihren Reihen ständen als leuchtende Fanale am Wege dieser jungen Gene- ration. Sie habe damit bewiesen, dass sie, wenn es sein müsse, im physischen Kampf ihren Mann stehe wie jede andere Formation der Partei.104

99 Zit. nach wySOcKi, Gerd: Zwangsarbeit im Stahlkonzern. Salzgitter und die Reichswerke „Her- mann Göring“ 1937–1945. Braunschweig 1982. S. 16. 100 Ley, R.: Wir Deutschen verlangen unseren Raum! In: Soldaten der Arbeit (wie Anm. 17), S. 221. 101 Bericht der Deutschen Treuhandgesellschaft mbH zum 31.12.1939, S. 2; UVW 61.10.015/1. 102 Vgl. 2. Jahresbericht, S. 4; NLA-StA WF 12Neu 13 Nr. 23058. 103 NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058. 104 Vgl. Braunschweigische Wirtschaft, 4/1936, S. 56.

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Der Wochenunterricht musste zeitweise auf fünf Stunden reduziert werden.Der im ersten Jahresbericht erwähnte Gesamterziehungsplan für das 1. Lehrjahr konnte nicht fertig gestellt werden, weil der ihm zugrunde liegende absolute Gleichlauf zwi- schen Lehrwerkstatt und Werkberufsschule auf unüberwindliche Schwierigkeiten stiess.105 Um nicht völlig ziellos zu unterrichten, wurde ein weiterer vorläufger Fachkundestoffplan aufgestellt.106 Dabei hatte das AfBB die Vorzüge von Werks- berufsschulen 1937 herausgestellt und das Volkswagenwerk deswegen eine Träger- schaft beantragt. Bei ihnen sei die Gliederung nach Fachklassen am besten durch- zuführen, so dass eine größere Konzentration der Lehrkräfte auf eng umgrenzte Aufgabengebiete erreicht werde. Vor allem aber sind hier die praktische Ausbildung im Betrieb und der Lehrplan in der Schule so eng miteinander verkoppelt, dass jede neu im Betrieb erlernte Fertigkeit auch gleichzeitig in der Schule geistig verarbeitet und vertieft wird. Die Werkberufsschule ist betriebsnahe, sie kann sich auch in den Werkstätten alle erforderlichen Lehrmittel leicht beschaffen. Lehrkräfte und Schüler [Lehrlinge] sind in der Betriebsgemeinschaft zusammengeschlossen, so dass alle die Voraussetzungen erfüllt sind, die jetzt für das öffentliche Berufsschulwesen angestrebt werden.107 Wer für die unüberwindlichen Schwierigkeiten verantwort- lich war, wurde nicht dokumentiert. Es könnte auch an der Kompetenz der Lehr- kräfte gelegen haben. Stricker, der 71 Werkberufsschulen untersuchte, erhielt bei der Befragung zum Thema Gleichlauf Schule – Werkstatt u.a. folgende Antwort: Eine Schule, bei der kleinliche Interessenkämpfe zwischen Ausbildungsleiter und Schulleiter an der Tagesordnung sind, ist schon von vornherein zur Minderleistung verurteilt.108 Sechs Schulleiter in acht Jahren führten die Werkberufsschule im Vorwerk, die der zunächst schwächste Partner der Gemeinschaftserzieher war.109 Der erste wur- de wegen persönlicher und fachlicher Differenzen entlassen, der zweite starb an Krebs, der dritte wurde nach 4 Wochen wieder abgelöst, der vierte, Jahrgang 1911, seit 1933 SS-Mitglied, von der Werkberufsschule des Opelwerks in Brandenburg abgeworben, fel 1944 in Italien als Soldat einer Waffen-SS-Einheit. Nach seiner Einstellung hatte die Schulbehörde am 15.10.1940 eine Anfrage an den Reichs- minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung gestellt, ob ein 29 Jahre alter Gewerbelehrer sich als Leiter einer Werkberufsschule betätigen dürfe.110 Sein hohes Gehalt löste im Januar 1944 bei den Beamten des Ministers für Volksbildung Empörung aus, zumal altgediente Schulleiter und der prüfende Schulrat Hugo Joël selbst mit Abstand weniger verdienten. Ministerpräsident Klagges lud die Ge- schäftsführung des Volkswagenwerkes in Berlin zu einem klärenden Gespräch nach Braunschweig ein, das protokolliert wurde: Dr. Anton Piëch, Schwiegersohn von

105 2. Jahresbericht (wie Anm. 102), S. 5. 106 Ebd., S. 5f. 107 Die Berufserziehung der DAF… (wie Anm. 21), S. 34f. 108 StricKer (wie Anm. 11), S. 152. 109 Allgemein hierzu bUddrUS (wie Anm. 9), Kap. 10.1, HJ und Schule, S. 852ff; spezieller: arnOLd, Karl: Die Werkberufsschule, ein unentbehrliches Glied in der deutschen Berufserziehung. In: Die Lehrwerkstatt, Heft Jan. 1939, S. 1–7. 110 NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23059.

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Ferdinand Porsche, begründete das hohe Gehalt damit, dass die Werkberufsschu- le eine Muster- und Versuchsanstalt sei. Solange die Lehrer der Werkberufsschule nicht unterbezahlt würden, müsse der Minister nicht rügen. Die hohe Bezahlung sei Sache der DAF.111 Der fünfte, Ausbildungs- und Schulleiter, Ingenieur und Gewerbelehrer Walter Lüthge, wurde Anfang März 1945 einberufen. Der sechste kommissarische war 1941 aufgrund einer politischen Auskunft als Jugenderzieher nicht einsetzbar gewesen und war zum 30.09.1941 entlassen worden. Er beantragte daraufhin ein Überprüfungsverfahren. Die Kanzlei des Führers der NSDAP teilte ihm am 23.02.1943 folgendes mit: Sowohl die Gauleitung Thüringen, als auch die Gauleitung Süd-Hannover Braunschweig haben keine weiteren Bedenken mehr ge- gen Ihre Beschäftigung als Leiter einer Lehrwerkstatt.112 Er war noch bis September 1945 mit der Aufösung der Werkberufsschule beschäftigt. Die starke Fluktuation von Lehrern und Ausbildern war wohl mit ein Grund dafür, dass das Vorwerk keine DAF-Auszeichnung für vorbildliche Berufserziehung erhielt wie etwa die Büssing NAG Nds. Motorenwerke G.m.b.H. 1941. Immerhin wurde das Vorwerk später mit dem Gau-Diplom ausgezeichnet.

1940

Am 10. Januar trat ein neuer Stundenplan wegen Veränderung im Lehrkörper (Ausscheiden, Krieg, Krankheit) und wegen der endgültigen Berufsfestsetzung im ersten Lehrjahr durch eine Kommission am 6. Januar in Kraft. Ab 20. März war keine weitere Beschäftigung von freistaatlichen Lehrkräften mehr nötig. Groß war die Enttäuschung über die Urlaubssperre Ostern 1940 für die Ein- stellungsjahrgänge 1938 und 1939.Der Bannführer machte allen Jungen klar, dass es jetzt im Krieg unmöglich für die Reichsbahn sei, soviel Menschen reibungslos an das Ziel der Reise zu bringen, da doch die Reichsbahn in der Hauptsache im Kampf um Deutschlands Freiheit für andere Aufgaben gebraucht wird. Wir verstan- den das.113 Die HJ-Führer hatten eine Überraschung parat. Karfreitag zog der Bann ins Manöver in die Umgebung von Gifhorn und spielte dort zwei Tage lang Krieg. Ostermontag um 8 Uhr war der Krieg aus und man rückte bald danach Richtung Braunschweig ab.114 Ergänzt wurde diese Aktion mit einer Übung, die ein Ausbil- der-Gefreiter, der stolz das Eiserne Kreuz vom Polenfeldzug trug, durchführte. Er nahm die Jungmannen des Vorwerkes ordentlich dran, die ihren Mann stellten.115 Von der VW-Betriebsführung erhielten die Kameraden, die unter den Waffen stan- den, im Februar und März die Feldausgabe von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ zu- gesandt. Zum 1. Mai 1940 wurden weitere 211 Lehrlinge eingestellt, so dass jetzt

111 NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058. 112 Ebd. 113 Elternbriefe 1/40, S. 4f. 114 Vgl. Ebd. 115 Vgl. Ebd., S. 5.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 162 Friedrich Walz fast 800 Jungen in Ausbildung waren, die von sechs hauptamtlichen Lehrkräften Unterricht erhielten. Die HJ-Einheit des Vorwerks wurde von der Reichsjugendführung zu einem eigenen Bann mit der Nr. 468 erhoben.116 Die Lehrwerkstatt war zu Beginn des Jahres immer noch im Aufbau und arbeitete wenig produktiv. Durch Hereinnahme von Fremdaufträgen ab Juni 1940 war es möglich, die Lehrwerkstatt in die Produk- tion einzuschalten. Nicht jeder Auftrag war für Ausbildungszwecke geeignet, was zu Schwierigkeiten führte.117 Dennoch wurde dieser Mangel im Abschnitt „Aus- bildungswesen“ des Geschäftsberichts positiv dargestellt. Während zu Anfang des Jahres noch größte Bedenken für die bevorstehende Facharbeiterprüfung unserer Lehrlinge bestand, konnten diese durch die in der Lehrwerkstatt eingeführte Pro- duktivarbeit sehr schnell behoben werden, da die Lehrlinge mit größtem Eifer an die Arbeiten gingen, sodaß der Einsatz der Lehrwerkstatt in der Produktionsarbeit als durchaus ausbildungsfördernd war.118 Am 1. Juli 1940 trat eine rigide Lehrlings-Erziehungsordnung in Kraft. Leich- te, schwerere und schwerste Vergehen wurden nach zehn Strafstufen geahndet. Es müssen auch ungewöhnlich schwere Vergehen wie Diebstahl oder mutwillige Be- schädigungen an Maschinen, Werkzeugen und Anlagen vorgekommen sein oder man befürchtete sie für die Zukunft.119 Bereits in der Ausgabe 1/40 der Eltern- briefe hatte der Werkschutzleiter, SS-Hauptsturmführer und stellvertretender Aus- bildungsleiter Felix Böhm, den 800 Lehrlingen sehr deutlich gemacht, wie wichtig es sei, über alle Einzelheiten des Betriebes zu schweigen. …Denkt immer, daß der Feind überall, wo Ihr Euch befndet, mithören könnte, also schweigt. Das Vorwerk hatte sich von einem Ausbildungszentrum zu einer „Waffenschmiede, in der Solda- ten der Arbeit kämpften“, gewandelt. Selbst die Lehrkräfte der Werkberufsschule arbeiteten freiwillig während der Schulferien an den Maschinen der vordringlichen Fertigung. [Auch] die Jungmänner des 3. Lehrjahres stell[t]en sich unter Verzicht auf die Ferien für die vordringliche Fertigung zur Verfügung.120 Die 3. Tagung der Gauarbeitsgemeinschaft für Ausbildungsleiter, veranstaltet von der DAF, fand am 20. Juli 1940 im Volkswagen-Vorwerk mit 150 Teilnehmern statt. Prof. Dr. Hische referierte über „Leistungssteigerung der Jugendlichen im Betrieb durch richtige Menschenführung“. Der Ausbildungsleiter habe die Kräfte in den Jugendlichen zu erkennen und danach die Anlagen zu entwickeln. Die Leistung müsse durch Unter- richt und Werkstatterziehung geformt werden, das Persönlichkeitsbild aber durch die weltanschauliche und die Leibeserziehung.121 Unser Hauptgeschäftsführer und Betriebsführer der gesamten Volkswagenwerk G.m.b.H. Dr. Ferdinand Porsche, vollendete am 3. September 1940 sein 65. Le-

116 Vgl. Ebd., S. 9. 117 Geschäftsbericht 1940 der Volkswagenwerk GmbH Vorwerk Braunschweig, S. 2; UVW Z 510, Nr. 134 und allgemein: Dr. a[rnhOLd]: Die Lehrwerkstatt als Produktionsfaktor im Kriege. In: Die Lehrwerkstatt, Folge 11,1939, S. 225–227. 118 Geschäftsbericht 1940 (wie Anm. 117) 119 Vgl. NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058. 120 Eltern- und Feldpostbriefe 1. Heft 1940, S. 12. 121 Eltern- und Feldpostbriefe, 2. Heft, (Okt.) 1940, S. 27.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 163 bensjahr. Aus allen Teilen des Reiches liefen beim Jubilar herzliche Glückwünsche ein, die von der Gratulation des Führers gekrönt wurden. In einem Handschrei- ben widmet der Führer Dr. Porsche anerkennende Worte und übermittelte ihm sein Bild.122 Die Titelseite dieser Ausgabe der Elternbriefe zeigt eine Musterfamilie, El- tern mit 4 Söhnen im Pimpf- und HJ-Alter, die Musikinstrumente haltend, im offe- nen Volkswagen-Cabriolet wohl in den Urlaub fahrend, den Betrachter anlachen. Nur virtuell konnten die Vorwerk-Lehrlinge mitfahren. Wirklich fahren durften sie den feldgrauen Volkswagen später als Waffenträger an der Front. Oft ging hier die Reise in den Tod. Die Werkberufsschule verursachte 1940 besondere Schwierigkeiten wegen der im Frühjahr 1941 anstehenden Abschlussprüfungen. Ab 1. Oktober mussten besondere Klassen eingerichtet werden, um die „Nachzügler“ zu fördern. Ende 1940 stand ein Barackenlager, Nibelungenlager genannt, von 5 Baracken mit je 72 Betten für 360 Mann zur Verfügung, um in der Umschulung befndliche Arbeitskräfte und wohl auch die 785 Lehrlinge mit unterzubringen. Um den im Gemeinschaftslager woh- nenden Lehrlingen und Arbeitskameraden die notwendige gesundheitliche Betreu- ung zu bieten, unterhielt das Vorwerk zur ständigen Beobachtung und ambulanten Behandlung ein Revier, das mit einem Arzt und drei Schwestern besetzt war.123 1940 wurden die ersten Ausländer vom Arbeitsamt zugewiesen. Die Zahl der Zwangs- arbeiter stieg bis Ende 1943 auf 498 und bis Ende 1944 auf 549 Personen, die hinter Stacheldraht in diesem Barackenlager untergebracht waren. Insbesondere die polnischen und sowjetischen nach Braunschweig deportierten ZwangsarbeiterInnen unterlagen einer menschenunwürdigen Reglementierung und Diskriminierung.124 Die deutsche Belegschaft wurde ständig gewarnt, Kontakte zu unterhalten. Dazu dienten ausgehängte Sprüche wie diese: Den Gegner mußt du mit ganzer Leiden- schaft hassen. Unterschätze ihn nie, du bleibst ihm trotzdem überlegen. Deutsche Ehre und Art müssen als höchstes Gut bewahrt werden. Daher achte überall auf den Abstand gegenüber Fremdvölkischen und Kriegsgefangenen.125 Am 16.11.1940 genehmigte der Minister für Volksbildung den Stundenplan für das Winterhalbjahr 40/41, stellte aber anheim, das Fach Staatsbürgerkunde zu ersetzen durch national- politischer Unterricht.

1941

Im Februar wurde die Werkberufsschule vom Minister als berufich ausgebaute Be- rufsschule anerkannt. Allerdings waren Privatschulleiter zur Führung des Direk- tortitels in Veröffentlichungen und Unterschriften nicht befugt. Am 29.03.1941

122 Ebd., S. 20. 123 Geschäftsbericht 1940 (wie Anm. 117) S. 6. 124 Vgl. gUtzmann, U.; LUpa, M.: Vom „Vorwerk“ zum FahrWerk, Eine Standortgeschichte des Volkswagen Werks Braunschweig. In: Historische Notate I 13; Schriftenreihe der Historischen Kommunikation der Volkswagen Aktiengesellschaft, Wolfsburg. Wolfsburg 2008, S. 20f. 125 Der Schulungsbrief, 10. Jg., 3. Heft 1943 (Folge 5./6.), S. 41.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 164 Friedrich Walz fand die erste Lehrabschlussfeier in der besonders ausgeschmückten KdF-Halle statt.126 220 Lehrlinge hatten unter schwierigsten Verhältnissen127 das Ziel der Fach- arbeiterprüfung, die große Bewährungsschlacht, erreicht. 30 Jungen waren seit dem Ausbildungsbeginn im Sommer 1938 auf der Strecke geblieben, das heißt es war eine größere Zahl von „Nachzüglern“ wegen mangelnder Leistungen und Kennt- nisse noch nicht zur Prüfung angemeldet worden. Man wollte sich nicht blamieren. Verspäteter Start, Mängel in der Ausstattung, fehlende Erzieher und Umstellung auf Kriegsproduktion hatten Ausbildungszeit und -qualität erheblich gemindert. Die Eltern mussten beruhigt werden.128 In intensiven Vorbereitungskursen vor allem am Samstag wurde das Versäumte nachgeholt, der HJ-Dienst war zurückgeschraubt worden und ein guter Stern stand über den Prüfungsausschüssen. So mußte die schriftliche Facharbeiterprüfung, die für den Vormittag des 11. Februar 1941 ange- setzt war, wegen Fliegeralarms auf den Nachmittag verschoben werden. Kaum hat- ten die Prüfinge eine halbe Stunde über ihren schriftlichen Arbeiten gebrütet, gab es wieder Fliegeralarm und alle stürmten in den Luftschutzkeller.129 Kein Wunder, dass hier 22 Lehrlinge mit 1/1 = Auszeichnung bestanden. Sie wurden noch zweimal ausgezeichnet: Unser Betriebsführer F. Porsche und unser Hauptgeschäftsführer B. Lafferentz sagten jedem eine Sparkarte für einen KdF.-Wagen mit einer Sparsumme von 100 RM zu. Der Geschäftsführer der IHK Alfred Schmidt überreichte jedem ein Buch,130 ein Brauch, den die IHK auch heute noch pfegt. Im Anschluss an die Lehrabschlussfeier fand in der KdF.-Halle ein Kameradschaftsabend statt. Schon in seinem Neujahrsgruß hatte Prof. Dr. Porsche seine Freude über den kommenden ersten Gesellenjahrgang zum Ausdruck gebracht. Die am Arbeitsplatz der Heimatfront –obnun an der Werkbank, in der Werk- berufsschule oder am Zeichenbrett –stehenden Mitarbeiter des Vorwerks sehen im neuen Jahr erstmals eine stattliche Anzahl unserer Lehrlinge als Gesellen hier und im Hauptwerk arbeiten. Ihnen und diesen gelten meine herzlichen Wünsche, besonders für ihre weiteren berufichen Erfolge. Schöner kann der Gedanke der Zusammenarbeit des Vorwerks und des Hauptwerks nicht zum Ausdruck gebracht werden.131 Im gleichen Heft beglückwünschte der ‚vorbildliche‘ Theo Terwesten, früherer Heimführer, HJ-Oberstammführer, z.Z. Leutnant im Felde, den Jahrgang zum erfolgreichen Lehrabschluss. Meine lieben Kameraden! …Als ich im August 1939 den grauen Rock des deutschen Soldaten anzog, standet Ihr im zweiten Lehr- jahr und jetzt habt Ihr Eure Lehrzeit bereits hinter Euch. Die erste Stufe der beruf- lichen Entwicklung ist damit erreicht, und Ihr seid junge Facharbeiter. Das bedeutet für Euch: Mehr Pfichten, mehr Verantwortung, aber auch mehr Freiheit und Selb- ständigkeit. Denn Ihr seid der Jugenderziehung nunmehr entwachsen. Zeigt immer und überall, daß diese richtig war und das Ihr das geworden seid, was Eure Führer

126 Eltern- und Feldpostbriefe, 2. Heft, 1941, S. 18. 127 Ebd., S. 21. 128 Eltern- und Feldpostbriefe, 1. Heft, 1941, S. 4. 129 Kipp, miLLer-Kipp (wie Anm. 28), S. 351. 130 Eltern- und Feldpostbriefe, 2. Heft, 1941, S. 18. 131 Eltern- und Feldpostbriefe, 1. Heft, 1941, S. 2.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 165 und Erzieher aus Euch machen wollten: Kerle, die überall ihren Mann stehen! Zeigt aber auch, daß Ihr nicht nur gute Facharbeiter, sondern auch gute Nationalsozia- listen, vollwertige Glieder der deutschen Volksgemeinschaft geworden seid. Es mag für manchen von Euch schwer gewesen sein, an der Werkbank auszuhalten, wäh- rend viele gleichaltrige Kameraden schon an der Front stehen! Vielleicht könnt Ihr auch jetzt noch nicht Soldat werden, da Eure Kraft im Betrieb dringend gebraucht wird. Haltet aus, wo man Euch hinstellt und mehr noch: Tut ganz Eure Pficht! Denn nicht jeder kann heute Waffenträger sein, es werden auch Soldaten der Arbeit gebraucht. Wir an der Front wissen sehr wohl, was wir in der Heimat wirkenden Sol- daten der Arbeit alles zu verdanken haben. Ihr habt an jedem Sieg unserer Waffen teil, denn Ihr habt geholfen, sie herzustellen. Der Führer verlangte einmal von den deutschen Jungen, daß sie fink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Krupp- stahl werden sollten. Eure Kameraden an der Front haben bewiesen, dass sie es sind. Zeigt fortan an der Werkbank, daß auch ihr es geworden seid.132 Die Werkzeitschrift berichtet etwas verspätet über eine „tolle Idee“ eines HJ- Heimleiters. Eines schönen Tages in diesem Frühjahr [1941],eswar bei der Neube- setzung unserer Lehrlingsheime, hat der Heimleiter von Heim 7den Vorschlag ge- macht, den Stuben Namen zu geben. ‚Wie wäre es, wenn Ihr Euch den Namen eines Ritterkreuzträgers sichert?‘ Gesagt, getan. Die Idee begeisterte unsere Jungen. Der Name eines Ritterkreuzträgers sollte über ihrer Stube stehen, der Name eines heldenhaften Mannes, der ihnen Vorbild sein sollte für die Lehre und fürs Leben. Sie waren unternehmungslustig genug, sich hinzusetzen, einen Brief zu schreiben und ihre Bitte vorzubringen. Als dann nach wenigen Wochen die Antwort und ein Einverständnis kam, waren sie stolz und glücklich. Dieser Erfolg hat auch unter den übrigen Jungen Schule gemacht und so gibt es heute im Vorwerk bereits 20 Stuben, die sich rühmen können, unter der Patenschaft eines Ritterkreuzträgers zu stehen. [Vom Generalfeldmarschall bis zum Gefreiten waren alle Dienstgrade vertreten] Wir freuen uns ganz besonders, über diese Unternehmung unserer Jungen berichten zu können, zeigt sie doch, wie stark das soldatische Ideal in unserer Jugend ver- ankert ist.133 Ein Feldpostbrief des Ausbildungsleiters K. F. Müller wird neben 11 anderen auszugsweise veröffentlicht. … Im übrigen haben wir jetzt unsere Winter- quartiere bezogen und warten ab, was nun kommen soll. Auf einen allzu strengen Winter brauchen wir uns hier nicht einzurichten. Frost oder gar Schnee gehören hier an der Atlantikküste zu den größten Seltenheiten. Wenn die Sonne scheint, ist es hier noch so warm, daß man draußen liegen kann. Meine Kompanie ist in einem großen Hotel untergebracht und fühlt sich darin recht wohl. Trotzdem sehnt jeder von uns wieder die Zeit der Bewegung herbei, wo es wieder etwas zu tun gibt. Allzulange Ruhe bekommt dem deutschen Soldaten nicht. Mit herzlichen Grüßen besonders an die ‚Jungmannschaft.‘ K. F. Müller134 Ostern 1941 gab es 204 Neueinstellungen, darunter 37 Lehrlinge aus Nieder- sachsen, 8 Auslandsdeutsche und 8 Norweger. Die Werkberufsschule bestand jetzt

132 Eltern- und Feldpostbriefe, 2. Heft, 1941, S. 28. 133 „Heim 7; General-Dietl-Stube“. In: Eltern- und Feldpostbriefe, 4. Heft, 1941, S. 50f. 134 Eltern- und Feldpostbriefe, 1. Heft, 1941, S. 13.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 166 Friedrich Walz aus einem Schulleiter, neun Lehrern, einem Volksschullehrer, zwei Fachlehrern mit vorläufger Genehmigung, sieben Hilfskräften, einem Schulmechaniker und einem Fotolaboranten. Im Herbst 1941 bekam die Werkberufsschule erstmals Gelegenheit, sich den Eltern in einem dreiseitigen Bericht vorzustellen. Der stellv. Schulleiter W. Lüthge erwähnte nebenbei, dass die Schule erst zwei Jahre alt sei, da das Schuljahr 1938/39 ohne ein vollständig ausgestattetes Schulgebäude abgelaufen war, wor- unter Berufsschüler und -lehrer zu leiden hatten. Jetzt waren vorübergehend aus- reichend Lehrkräfte vorhanden, die Gewerbelehrer zum Teil mit Ingenieur- oder Meisterprüfung. Die Schule war nun, mit der Einrichtung eines Lehrmittel- und Ausstellungsraumes, in dem sämtliche Lehrmittel untergebracht waren, bestens aus- gestattet. Eine Selbstverständlichkeit ist es ferner, daß zu dem Aufgabengebiet der Berufsschule auch die reichskundliche und politische Erziehung der Lehrlinge ge- hört. Der Junge soll ja nicht nur einseitig fachlich ausgebildet werden –das würde eine Einengung seiner geistigen Gesamtentwicklung bedeuten.135 Goebbels hatte Hitler am 25. September 1940 darüber informiert, dass es in der Schulfrage noch schlimm aussehe, die Lehrbücher in den Schulen noch von anno Tobak seien, wie z.B. Geschichtsbücher von 1905, und Rust gar nichts tue. Reichs- leiter Bouhler wurde von Hitler beauftragt, mit der Parteiamtlichen Prüfungskommis- sion und dem NS-Lehrerverband beschleunigt für die Abfassung von Schulbüchern zu sorgen, die der nationalsozialistischen Weltanschauung entsprachen.136 Am 21.11.1940 hatte der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Rust daraufhin folgendes erlassen: Ich halte eine reichseinheitliche Bezeichnung des Unterrichtsfaches Staatsbürgerkunde in den berufichen Schulen für notwendig und bestimme im Benehmen mit dem Stellvertreter des Führers [Hess], dass dieses Fach künftig „Reichskunde“ genannt wird.137 Es ging nicht nur um eine Neuetikettierung, sondern um eine Reichskunde mit noch mehr nationalsozialistischen Inhalten. Der stellv. Werkberufsschulleiter W. Lüthge hatte für dieses Fach in der Berufsausbil- dung zum Maschinenschlosser einen Stoffverteilungsplan für drei Jahre erstellt.138 Im Unterricht eingesetzt wurden die Merk- und Arbeitsblätter für Reichskunde von Spaethe/Tzebiatowsky, die schon 1941 hohe Aufagen erreichten. Tzebiatowsky war zeitweise Schulleiter an der Gewerblichen Berufsschule der Landeshauptstadt Braunschweig. Das Unterrichtsthema wurde mit passenden Sprüchen und Zitaten fast aus- schließlich aus Reden Hitlers und „Mein Kampf“ eingeleitet. Daraus drei Beispiele: 6. Halbjahr 14. Woche „Völkische Einheit Großdeutschland“ Als Einstieg diente: „Zum ersten Male seit es Deutsche auf der Welt gibt, ist ein Reich bewohnt von einem Volk, beherrscht von einer Weltanschauung, beschirmt von einer Armee, und

135 Vgl. LüthKe, W. in: Eltern- und Feldpostbriefe, 3. Heft, 1941, S. 40–42. 136 Vgl. bUddrUS (wie Anm. 9), S. 862f. 137 Siehe 626. Einheitliche Bezeichnung des Faches Staatsbürgerkunde in den Berufs-, Berufsfach- und Fachschulen. Erl. V. 21. Nov. 1940 Nr. E IV a 5018 EV. In: Deutsche Wissenschaft Erziehung. Volksbildung. 1940, S. 539. 138 Lehrplan für Maschinenschlosser 1.–3. Lehrjahr, Anlage zum Schreiben vom 16. Juni 1942 des Brg. Min. für Volksbildung an Berufsschuldirektor Achterberg in Goslar zwecks Stellungnahme, NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23059.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 167 das alles zusammen unter einer Fahne.“ (A. H.) Eröffnungsfrage: „Welche deutsche Siedlungsräume holte der Führer heim ins Reich?“ 4. Hj. 14. Woche: Schaffen- des Volk. Das deutsche Verkehrswesen. „Das Reichsautobahnnetz ist das grösste Bauwerk der Welt.“ (A. H.) „Wenn in Deutschland die Straßen Adolf Hitlers ent- stehen, so ist das ein Zeichen neuer Schöpfung und neuen Schönheitswillens.“ (Al- fred Rosenberg) 3. Hj. 11.–17. Woche: Rasse und Volk 13. Woche: Welche große Gefahr bedrohte den rassischen Bestand und damit die Zukunft unseres Volkes? Judenfrage (1) Thema: Das Rassengemisch der Juden, ein Ferment der Zersetzung in unserem Volk. Einstieg. „Die mosaische Religion ist nichts anderes als eine Lehre der Erhaltung der jüdischen Rasse. (A. H.)“139 Goebbels musste wohl mit diesem Reichskunde-Lehrplan zufrieden gewesen sein. Rust blieb im Amt, hatte aber im Dezember 1940 seinen Gauleiterposten Südhannover-Braunschweig an Hartmann Lauterbacher abgeben müssen. Betriebsführer Anton Piëch setzte im September 1941 – kriegswirtschaftlich be- dingt – die Kommerzialisierung im Bereich der Luftfahrtrüstung erfolgreich durch, indem er Aufträge hereinholte und damit eine Vollbeschäftigung erreichte.140 Die Lehrwerkstatt im Vorwerk wurde zu einer Fertigungshalle für Rüstungsgüter mit 32 neuen Drehbänken und Fräsmaschinen erweitert. Die praktische Ausbildung fand damit nur noch in der jetzt kriegswichtigen Produktion statt. Gefertigt wurden insbesondere Lehren und Vorrichtungen für das Hauptwerk, das Luftfahrtminis- terium sowie für die Firmen Porsche KG, Junkers, Heinkel, Fieseler Flugzeugbau u.a.141 Welchen Stellenwert die fachliche Ausbildung jetzt noch hatte, zeigt der folgende Bericht aus der letzten Ausgabe der Vorwerk-Fanfare in 1941 über den Besuch des Befehlshabers im Wehrkreis XI General Muff: Unter den Klängen des Präsentiermarsches schritt der General nach Meldung durch den Bannführer die Front ab. Dann gab der General seiner Freude darüber Ausdruck, wieder einmal in offene, klare Jungenaugen schauen zu können. Anschließend konnte der General sich von der vielseitigen Ausbildung und Betreuung der Jungen durch die Hitler- Jugend überzeugen. Motorradfahrer, Flugmodellbauer, Schwimmer, Turner, Musi- ker, Feuerwehrmänner, Sanitäter, Gasspürer –alle wetteiferten untereinander, um ihr Können zu zeigen. Gegen 19 Uhr war der gesamte Bann dann in der festlich geschmückten Feierhalle versammelt. Der General begann seine Aussprache mit den Worten: ‚Meine jungen Kameraden.‘ und unterstrich damit die enge Verbun- denheit der Wehrmacht mit der Hitler-Jugend. … Er erklärte ferner, er sei überzeugt, dass unsere Jungen durch diese Ausbildung zu einer wirklich soldatischen Haltung erzogen werden. Der General versprach, bei nächster Gelegenheit auch einmal die Lehrwerkstatt [die gerade zu einer Fertigungshalle für Rüstungsgüter geworden war] und Werkberufsschule zu besichtigen, um sich ein Bild von der fachlichen Ausbildung machen zu können. … In den Augen der Jungen blieb ein Leuchten zu-

139 Vgl. Lehrpläne (wie Anm. 138). 140 Zusammengefasster Geschäftsbericht über die Rechnungslegung 1938 – 42, S. 6 der Volkswagen- werk GmbH, Vorwerk Braunschweig, UVW 61/10255/2 und mOmmSen, grieger (wie Anm. 3), S. 911. 141 Geschäftsbericht 1941, S. 1; UVW Z 510, Nr. 134.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 168 Friedrich Walz rück, weil sie einmal Gelegenheit hatten, ihr Können dem General zu zeigen.142 Die Lehrlinge wurden jetzt von der Bannführung und der Wehrmacht verstärkt für den Kriegsdienst „reif gemacht“. Der Frontkämpfer im grauen Rock war jetzt nötiger als der Arbeitskämpfer im blauen Rock. Das Vaterland darf jedes Opfer fordern. Ein Sinnspruch, den ein Lehrling im Sommer 1941 kalligrafsch an eine Wand gemalt hatte.143 Als „vorbildlich“ wurde auch dieser Leitspruch verbreitet: Von euch erwar- te ich, daß ihr aufrechte, harte Männer werdet, die von vornherein wissen, daß ihnen nichts geschenkt wird! Adolf Hitler144 Im Geschäftsjahr 1941 wurden an die Lehrlinge rund 270000 Tagesverpfe- gungen verabreicht, und zwar zu einem Selbstkostenpreis von RM 1,75, die sich auf das Frühstück mit RPf 51,8, Mittagessen RPf 66,7 und Abendbrot RPf 56,5 verteilten.145 Am 13. Dez. 1941 hielten die Lehrlinge eine selbstgestaltete Weih- nachtsfeier in der KdF.-Halle ab, in der Lichterbäume strahlten. Jeder Junge erhielt einen bunten Teller mit leckeren Sachen und Adolf Hitlers Buch ‚Mein Kampf‘. Des deutschen Volkes größter Erzieher ließ seine „Bibel“ über 10 Millionen Mal dru- cken146 und an seine nationalsozialistische Glaubensgemeinschaft verteilen. Dieses „Lehrbuch“ mit seinen „Weisheiten“ konnte jetzt mit im Unterricht eingesetzt wer- den. Zum Thema „Was ist Weltanschauung?“ wurde das Zitat Christentum als art- fremde Weltanschauung löst heraus aus Sippe, Volk und Rasse. Ein Volk sein, ist das Sendungsbewußtsein und der Glaube unserer Zeit als Einstieg gewählt.147 Nun kam der Weihnachtsmann mit seinen Überraschungen. Er hatte ein Gewehr für den schießlustigen Bannführer, eine Schieblehre für den Ausbilder, einen Weiß- kohl oder Blumenstrauß für den Heimführer, ein Paar Gamaschen und eine große Urlaubsfahrkarte für alle Lehrlinge.148 Bevor sie abfuhren, kam am 20. Dezem- ber noch ein Weihnachtsgeschenk aus dem Hauptwerk angerollt. In einem Appell wurde den Lehrlingen ein Volkswagen (Kübelwagen oder Kabriolett?) übergeben. Diesmal war Hauptgeschäftsführer Dr. Anton Piëch der Weihnachtsmann gewesen. Alles in allem war das eine schöne Bescherung, von der berichtet wurde.149 Am 30.12.1941 starb Lehrling Fritz Scholz an einer Blinddarmentzündung im Herzogin Elisabeth Heim (HEH).

142 Besichtigung des Bannes 468 Volkswagenvorwerk durch den stellv. Komm. General des XI. AK. und Befehlshaber im Wehrkreis XI, General der Infanterie Muff, in: Die Vorwerk-Fanfare, Heft 4/1941, S. 60. 143 Eltern-und Feldpostbriefe, 2. Heft, 1941 S. 26. 144 Vorbildliche Leitsprüche: In: Die Lehrwerkstatt, Heft Nov. 1941, S. 131. 145 Eltern- und Feldpostbriefe. (wie Anm. 143) S. 1. 146 Siehe hitLer, A. (wie Anm. 64); zu Hitler und Erzieher: KriecK, Ernst: Adolf Hitler als Erzieher. In: Volk im Werden, 1933, Heft 5, Leipzig 1933, S. 75–77 und höper, Wilhelm: Adolf Hitler der Erzieher der Deutschen. Breslau 1934. 147 Vgl. 6. Hj. 16. Woche Lehrplan Reichskunde für Maschinenschlosser (wie Anm. 138). 148 Die Vorwerk-Fanfare, Heft 1/1942, S. 13f. 149 Ebd.

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1942

Ab Heft 1/1942 berichtet die Werkzeitschrift unter dem Titel Die Vorwerk-Fanfare über das gesamte Betriebsleben. Sie gibt weiterhin den Eltern Einblicke in die Er- ziehungsarbeit und das Betriebsleben, hält seit Kriegsausbruch Verbindung mit den einberufenen Arbeitskameraden, geht auf die Aufgaben der HJ ein, ist treue Hel- ferin und Förderin der Betriebsgemeinschaft und dient den betriebsgemeinschaft- lichen Zielen: der Leistung, der Kameradschaft und der Disziplin. Die Lehrlinge, die jetzt in der Minderzahl waren, gaben allerdings mit ihren Fanfaren immer den Ton an. Die Betriebsführer Prof. Dr. Porsche, Dr. A. Piëch und Hauptgeschäftsführer Dr. Lafferentz führten sich mit folgenden Neujahrsgrüßen ein: Kameraden! Das vergangene Jahr war reich an Arbeit und Erfolgen. Wir in der Heimat verfolgten mit Stolz die Siege unserer Truppen und waren glücklich, den feldgrauen Volkswagen in den Einsatz schicken zu können. Jeder von Euch, ob bei der Waffe, am Schraub- stock oder Zeichentisch, ob als Lehrling oder Meister, steht heute an der Front im Kampf um Deutschlands Zukunft. Dieser Zukunft gilt weiter unser ganzes Schaffen und Kämpfen! Unsere herzlichsten Grüße und Glückwünsche begleiten Euch und die Eltern unserer Lehrlinge ins neue Jahr.150 Insbesondere für den erfolgreichen Einsatz der beiden Typen Kübel- und Schwimmwagen wurde Betriebsführer Prof. Dr. Ing. e. h. F. Porsche als „Pionier der Arbeit“ geehrt, die höchste Ehrung, die das nationalsozialistische Deutschland auf dem Felde wirtschaftlicher Organisation und erfolgreicher Arbeit zu vergeben hat.151 In einem Betriebsappell anlässlich die- ser Ehrung führte der Betriebsobmann und stellv. Betriebsführer Walter Krone im Hauptwerk u.a. aus:Diese technisch revolutionäre Tat, die ursprünglich unmittel- bar auf eine [einer] Erhöhung des Lebensniveaus des deutschen Arbeiter zugute kommen sollte, ist durch den uns aufgezwungenen Krieg zunächst auf militärischem Gebiet zur Auswirkung gelangt. Der Wagen des deutschen Arbeiters hat sich an allen Fronten in unübertrefficher Weise bewährt. …Aber nach 1000 Jahren wird man von dieser Generation sprechen, die Deutschland, Europa befreit hat. Und wenn Euch Eure Kindeskinder fragen werden: ‚Warst du auch dabei, Großvater‘? so soll jeder sagen können: ‚Ja, ich habe mit im Kampf gestanden in Treue und uner- schütterlichem Glauben zum Führer und seiner Idee‘.152 Sinnspruch dieser Ausgabe war: Unser Sozialismus heißt Leistung. (R. Ley). Der Appell zum nächsten Leis- tungskampf hieß Die Leistung ist unsere höchste Ehre.153 Karl Arnhold von der DAF-Zentrale liefert zum neuen Jahr ebenfalls einen ide- ologischen Beitrag unter dem Titel Männer und Waffen ab, der hier auszugsweise wiedergegeben wird: Der Soldat trägt das Blut seiner Väter in sich, die als deutsche Männer in Lebensauffassung wie Lebensführung seit undenklichen Zeiten Kämpfer waren. In Elternhaus, Schule und Lehre ist er vorgeformt und durch die Schule des Waffenhandwerks schließlich dann zum wirklichen Soldaten gemacht worden.

150 Ebd., S. 1. 151 Das Volkswagenwerk und wir, 1. Jg. 2. Folge, Mai/Juni 1942. 152 Ebd. 153 Ebd. Näheres: Ley, R.: Der Sinn eines Appells, In: Soldaten der Arbeit, S. 63ff.

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Unendlich viel Liebe, Fleiß, Energie und Kraft mußte für diesen menschlichen For- mungsprozeß aufgewandt werden, bis der deutsche Soldat in seiner heutigen Höchst- form entstand. In seiner Haltung und Gesinnung –inseinem Können wie in seinem Draufgängertum wird jetzt alles das sichtbar und lebendig, was ihm Eltern, Leh- rer, Lehrwerkmeister und soldatische Erzieher mit auf dem Lebensweg gaben. … Deutschland hat diesen Krieg nicht gewollt. Es hätte viel lieber seine ganze Kraft zum friedlichen Aufbau seines Sozialstaates verwandt. Die Vorsehung hat es anders gewollt und uns zu ihrem Arm ausersehen. Männer und Waffen bilden dabei ihr Werkzeug. So wird unser Volk seine Sendung erfüllen.154 Arnhold legte nach einem Streit mit Ley nach August 1942 alle Ämter nieder. Zu Jahresbeginn mussten alle Gefolgschaftsmitglieder des Vorwerks eine Er- klärung unterschreiben: I. Ich verpfichte mich, die mir im Interesse der Landes- verteidigung gegebenen Anweisungen zur Geheimhaltung gewissenhaft und treu zu befolgen. Dazu gehört im besonderen: … 2. Mir ist ausdrücklich verboten, Unbe- fugten Einblick in geheime Wehrmachtfertigung und deren Unterlagen zu geben oder sonstige mündliche und schriftliche Angaben zu machen, die Rückschlüsse auf geheimzuhaltende Wehrmachtsangelegenheiten ermöglichen. … II. Ich verpfichte mich jedes Anzeichen von Landes= oder Hochverrat einschließlich Zersetzungs- propaganda, Spionage, Sabotage (Wehrmittelbeschädigung) unverzüglich dem Be- triebsführer … zu melden. … III. Das Beschädigen oder Unbrauchbarmachen von Maschinen, Werkzeugen oder sonstigen Anlagen und Einrichtungen wird nach den gesetzlichen Bestimmungen über Wehrmittelbeschädigung (Sabotage) bestraft. Auch schlechte Arbeitsausführung an Wehrmachtgerät kann Bestrafung wegen Wehrmit- telbeschädigung nach sich ziehen. Die Nichtbeachtung dieser Verpfichtungen hat schärfste Bestrafung zur Folge. Die Strafen reichen je nach Lage des Einzelfalles von der fristlosen Entlassung über Geldstrafe, Gefängnis und Zuchthaus bis zur Todesstrafe. …155 Das Vorwerk fertigte jetzt auch Bauteile der V1-Flugbombe. Am 8. Februar fand die Prüfung für den Erwerb des Führerscheines Klasse IV statt. 27 Jungen krönten die Beendigung ihrer vormilitärischen Ausbildung durch den Erwerb des Kriegs-Kraftfahrscheins.156 Am 28. Februar 1942 sprach Ritter- kreuzträger Unteroffzier Pape vor den Jungen unseres Bannes. Mit offenen Herzen und glänzenden Augen lauschten die Jungen den Erlebnissen dieses tapferen Solda- ten, die er bei der Durchbrechung der von den Feindmächten als unüberwindlich gehaltenen Maginotlinie, beim Knacken von Bunkern durch geballte Ladungen und beim Mann-gegen-Mann-Kampf hatte.157 Die Schriftleitung hatte in der gleichen Ausgabe 11 Feldpostbriefe von kriegsdienstleistenden Vorwerk-Kameraden veröf- fentlicht, von denen zwei hier folgen: Von den Leistungen unserer Männer an der Ostfront berichtet Arbeitskamerad Hauptmann K. F. Müller: ‚An den eiskalten Tagen, an denen nicht einmal die Nasen- spitze ungeschützt gelassen durfte, habe ich besonders oft an das Vorwerk mit seinen

154 Die Vorwerk-Fanfare, Heft 1 1942, S. 4. 155 Verpflichtungserklärung im Besitz des Verfassers. 156 Die Vorwerkfanfare, Heft 1, 1942, S. 26. 157 Die Vorwerk-Fanfare, Heft 2/1942, S. 26.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 171 warmen gemütlichen Räumen gedacht. Bei 42 Grad Kälte habe ich Anfang Januar mit behelfsmäßigen Verladevorrichtungen die Fahrzeuge der Kompanie verladen. Meine Männer haben von 22 Uhr bis zum nächsten Morgen um 9Uhr bei Kälte und Wind aushalten müssen, bis uns dann ein mit einem Kanonenofen vorgewärmter Personenwagen aufnahm. Daß der Mensch dies aushalten kann, hätten wir vorher nicht für möglich gehalten. Bis auf einige leichte Erfrierungen ist alles glatt gegan- gen. Nach dieser überstandenen Nacht wurde mir erneut klar, daß der deutsche Soldat durch nichts in der Welt klein zu kriegen ist, er vielmehr neugestärkt aus diesem russischen Winter hervorgeht und härter denn je im kommenden Frühjahr den Kampf wieder von neuem aufnehmen wird. Vorübergehend war ich mit mei- ner Einheit am Asowschen Meer eingesetzt. Wir glaubten schon, den Frühling dort unten erwarten zu dürfen. Nach dreiwöchigem Aufenthalt am völlig zugefrorenen Meer sind wir wieder einige hundert Kilometer nach Norden gezogen, wo wir die ständigen und mit unvorstellbaren Blutopfern verbundenen Angriffe der Sowjets mit abwehren helfen. Seit einigen Tagen hat der Frost etwas nachgelassen, so daß wir hoffen, bald endgültig von ihm erlöst zu sein. Allen Kameraden und besonders den Männern vom Ausbildungswesen und den Jungmannen der Lehrwerkstatt herzliche Grüße!‘ Germanski schlafen nicht! Von dem harten Einsatz an der mittleren Ostfront berichtet Obergefreiter Hans Foltin: Da wir jetzt und die ganzen Wintermonate in Anspruch genommen worden sind, hatten wir wenig Zeit zu schreiben. Ich bin im mittleren Abschnitt und hier läßt uns der verfuchte Bolschewik nicht in Ruhe. Andauernd greift er an, denn er glaubt, uns jetzt im Winter kaputt zu machen, oder wer weiß wie weit zurückzujagen. Das alles gelingt ihm aber nicht, denn die Ger- manski schlafen nicht, wenn er mit seiner zerlumpten Horde sich uns nähert. Trotz der Kälte sind wir auf alles gefaßt und der Bolschewik muß von Hitler-Germanski viel einstecken. Die Hunde sind sehr frech, wenn man einen erschießt, stehen zwei andere auf und kämpfen weiter. Für uns heißt es doppelte Vorsicht. Was wir schon öfter festgestellt haben, er scheint nicht viel Waffen zu haben. Wir haben ein paar mal Gefangene gemacht und die Hälfte davon hatte nur Gewehre. Manchmal ging es auch uns sehr schlecht, aber bei den Deutschen wird das alles schnell vergessen. Wir sind auch noch bis heute im Einsatz und werden es auch noch weiter bleiben, bis die Sowjets nun ganz erledigt sind. Vielleicht, wenn wir Glück haben, werden wir zum Frühjahr herausgezogen. Aber vielleicht bleiben wir auch, denn sie brauchen hier viel Soldaten. Das gute ist, wir sind hier schon an alles gewöhnt. Wie’s kommt, wird’s gefressen!158 Die Hauptaufgabe des Vorwerks, die Fertigung von Vorrichtungen und Werk- zeugen, mußte bei zunehmendem Facharbeitermangel zurückgestellt werden und verschiedenen Serienfertigungen weichen, die für angelernte Arbeitskräfte geeigneter sind.159 Im Frühjahr 1942 wurden bedarfsorientiert, entsprechend der Rüstungsauf-

158 Die Vorwerk-Fanfare,Heft 1/1942, S. 28f. 159 Vgl. Geschäftsbericht 1942 der Volkswagenwerk GmbH, Vorwerk Braunschweig, S. 1; UVW Z 61, Nr. 11.319.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 172 Friedrich Walz träge 212 Maschinenschlosser-Lehrlinge eingestellt.160 Einer, der vom Berufsberater und Schulkameraden richtig orientiert wurde, beschreibt seinen Beginn im Vorwerk so: Nach einigen Prüfungen wurde mir zugesagt, daß ich vorläufg angenommen sei. Nach einiger Zeit bekam ich einen Stellungsbefehl, in dem es hieß, ich hätte mich am 20. April 1942 bis 20 Uhr im Volkswagenwerk Vorwerk Braunschweig zu melden.161 Gauleiter Lauterbacher gab am 29. März 1942 in der KdF-Halle des Vorwerks richtungsweisende Parolen an Parteigenossen und Funktionäre von 7 Ortsgruppen aus, die in der Vorwerk-Fanfare abgedruckt wurden: Eine harte Zeit der Bewährung ist für das deutsche Volk angebrochen und da ist es wieder notwendig, daß wir Natio- nalsozialisten der Kern, die Auslese, die Schule der Ordnung und Pfichterfüllung sind. …Jeder muß in seinem Wirkungskreis so vorbildlich arbeiten, dass er unseren Soldaten nach deren Rückkehr reinen Herzens entgegentreten kann, weil auch er an seinem Platz an der Sicherung der Nation für Jahrhunderte und Jahrtausende mitgeholfen hat.162 Noch waren diese Parteigenossen in der Heimat unabkömm- lich. Die Reichsjugendführung hatte das Vorwerk zur vorläufgen Ausbildungsstätte für HJ-Heimführer bestimmt. Bannführer Eggert wurde mit der Durchführung von 10 dreiwöchigen Lehrgängen in 1942 beauftragt.163 Ab Ostern 1942 wurde der Unterricht der Elektrolehrlinge, der vorher in der städtischen Berufsschule stattfand, von der Werkberufsschule aufgenommen.Der Unterricht konnte trotz weiterer Kriegseinberufungen ohne wesentliche Störung planmäßig mit 8Wochenstunden durchgeführt werden. Unter Aufsicht des Klassen- lehrers wurden direkt nach dem Unterricht noch 1½ Stunden für Schularbeiten verwendet.164 Infolge der Kriegsverhältnisse beteiligt sich auch unser Lehrkörper während der vorgesehenen fünfwöchentlichen [fünfwöchigen] Sommerferien teils am Ernteeinsatz, teils an anderen wichtigen Arbeiten.165 Mit 3-monatiger Verzögerung berichtete die Ausbildungsleitung in der Vor- werk-Fanfare über die 2. Lehrabschlussfeier vom 9. Mai 1942, die wieder in der ge- schmückten KdF.-Halle stattfand. Der Ausbildungsleiter Pg. Hans Schmidt konnte nur noch wenigen den Facharbeiterbrief persönlich übergeben, da die meisten ihre Ausbildung im grauen Rock gleich nach der Prüfung fortsetzen mussten oder woll- ten. Die 10 Lehrlinge, die mit Auszeichnung bestanden hatten, erhielten von ihm im Auftrage von Betriebsleiter Porsche wieder ein Sparbuch mit einem Guthaben von 100 Reichsmark. Danach hob das für die Berufsausbildung zuständige Vor- standsmitglied der IHK Braunschweig, NSDAP-Mitglied Ernst-August Oeding, die Defzite der fachlichen Ausbildung vertuschend, in seiner Rede folgendes hervor: Wieder hat sich gezeigt, wie sehr der im Vorwerk verwirklichte Dreiklang von Lehr-

160 NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23059. 161 Zwei Jungen aus dem neuen Lehrjahr erleben das Vorwerk. In: Die Vorwerk-Fanfare, Heft 3/1942, S. 36. 162 Die Vorwerk-Fanfare, 1/1942, S. 23. 163 Die Vorwerk-Fanfare, 2. Heft, 1942 S. 26. 164 Vgl. Geschäftsbericht 1942, S. 6. UVW Z 61, Nr. 11319. 165 Werkberufsschule an Minister vom 06.07.1942 wegen Verlegung von Schulferien, NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23059.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 173 werkstatt, Werkberufsschule und Lehrlingsheim geeignet ist, den jungen Menschen eine ideale Ausbildung zu geben. Das Erfolgsgeheimnis liegt in der hier durchge- führten Gestaltung der Freizeit durch die Hitlerjugend. Der Junge lernt den Geist der Kameradschaft kennen und wird selbst zum Kameraden, denn wir wollen keine Einzelgänger, sondern Gemeinschaftsmenschen, die sich einordnen. Auch Spitzen- könner sind nichts ohne die anderen und erst dann können sie als ganze Kerle gelten, wenn sie es verstehen, ihre Kameraden mit emporzureißen zu höherer Leistung. Bannführer und Betriebsjugendwalter Ernst Eggert hob anschließend ebenfalls den angeblich erfolgreichen Dreiklang der Vorwerk-Ausbildung hervor, der erhöhte Anforderungen stelle und beste Leistungen im HJ-Dienst erziele. Auch kann es als Kraft unserer jungen Gemeinschaft gelten, daß von allen, die die Prüfung hinter sich gebracht haben, im Chor gerufen wurde: ‚Einberufung!‘ …Erfüllt eure Pficht an dem Platz, an den ihr gestellt werdet, denn solche Zeiten bringen Pfichten und keine Rechte. Ebenfalls angetreten waren 270 Jungkameraden, die auf das Vorwerk verpfichtet wurden. Die schlichte Feier endete mit einem gemeinsam gesungenen Lied.166 Eine Lossprechungsfeier lief seit 1939 in der Regel in den IHK-Räumlich- keiten wie folgt ab: Eingeleitet wurde die Feier durch den Einmarsch der Fahnen der HJ und der DAF. In den Ansprachen war viel von soldatischem Geist die Rede, in dessen Dienst die Kammerprüfung gestellt wurde. Die Feier klang aus mit dem Deutschlandlied und Horst-Wessel-Lied.167 Dass die Prüfungsjahrgänge 1941 und 1942 ihre Prüfungen über dem Reichs- und IHK-Durchschnitt abgeschlossen hatten (z.B. keine Durchfaller und 22 bzw. 10 Auszeichnungen) lag insbesondere daran, dass die Werkberufsschullehrer die Prüfungsaufgaben mit erstellten, den Prüfungsstoff unterrichteten, Prüfungsvorbe- reitungskurse durchführten und ihre Schüler in den Ausschüssen der IHK mit prüf- ten. Im Übrigen fand die praktische Prüfung für alle Lehrlinge der Metallberufe des IHK-Bezirkes im Vorwerk statt, obwohl kein Lehrling die abzulegenden Arbeits- proben im eigenen Betrieb anfertigen sollte. Ein „Heimspiel“ (vertraute Umgebung) für die Vorwerker, ein „Auswärtsspiel“ für die anderen.168 Diesen „Wettbewerbs- vorteil“ hatten andere Betriebe im Reichs- und Gaugebiet so nicht. Ein weiterer Grund lag am § 3 der Satzung – Sinn und Zweck der Prüfung – für die Facharbei- terprüfungen im Bezirk der IHK Braunschweig:Ferner muß von dem Prüfing ge- fordert werden, daß er sich seiner Verantwortung gegenüber seinem Berufsstand und gegenüber Volk und Vaterland bewusst ist und damit den ernsten Willen beweist, im Geiste des Nationalsozialismus seine Pficht zu tun. Bei der Feststellung des Prü- fungsergebnisses ist hierauf besonderes Gewicht zu legen.169 Bereits 1938 hatte das AfBB festgestellt, daß unser heutiges Prüfungswesen völlig uneinheitlich gewach- sen ist und vor allem einer weltanschaulichen und auch fachlichen Über-

166 Das Vorwerk in der Bewährung. Unsere zweite Lehrabschlußfeier. In: Die Vorwerk-Fanfare, Heft 3/1942, S. 34f. 167 Vgl. Braunschweigische Wirtschaft, Amtliches Organ der Industrie- und Handelskammer, Nr. 5 1939, S. 93. 168 Vgl. Geschäftsbericht 1942, S. 7; UVW Z 61, Nr. 11319 und vgl. Schreiber, Rolf: 50 Jahre IHK- Prüfungen. Braunschweig 1986, S. 35. 169 Schreiber (wie Anm. 168), S. 37.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 174 Friedrich Walz holung bedarf.170 Also gingen auch weltanschauliche Haltung in Verbindung mit Charaktereigenschaften und Führerqualitäten während der Ausbildungsdauer mit in die Gesamtnote ein. Das bedeutete, dass Lehrlinge, die sich als ideologisch beson- ders gut geschulte und überzeugte nationalsozialistische Persönlichkeiten dargestellt und ausgewiesen hatten, in der theoretischen und mündlichen Prüfung ihre Gesamt- note noch wesentlich verbessern konnten. Gerade im Vorwerk Braunschweig wurde eine „ideale Rundumerziehung“ im Geiste des Nationalsozialismus von überzeugten hauptberufichen „vorbildlichen“ Führern geboten, was die „überdurchschnitt- lichen“ Prüfungsleistungen dort mit erklärt. Da der Reichskunde-Unterricht selten ausgefallen war, hatten die Lehrlinge hier überdurchschnittlich gute Kenntnisse zur Person Hitlers, zu Programm und Geschichte der NS-Bewegung sowie zu aktuellen innen- und außenpolitischen Entwicklungen. Schulleiter Schröter hatte 1941 einen Vergleich zwischen der Werkberufsschule und der öffentlichen (Berufsschule) die Prüfungsnoten im Fach Weltanschauung betreffend gezogen: Note 1 20% (2%); Note 2 70% (40%); Note 3 10% (29%); Note 4 0% (29%).171 Bei ungenü- genden weltanschaulichen oder theoretischen Kenntnissen, was in anderen IHK- Bezirken oft beklagt wurde, konnte man die gesamte Prüfung nicht bestehen. Die Prüfungsausschüsse konnten einem Erlass des Reichwirtschaftsministers gemäß die ihnen bekannt werdenden Verhältnisse des Prüfings zur Partei mit heranziehen. So konnte die Nichtmitgliedschaft in der HJ als grober Charakterfehler gewertet werden und das Prüfungsergebnis verschlechtern.172 Die Abschlussprüfung war also auch eine Gesinnungsprüfung:Wenn wir jetzt schon sagen, daß bei dieser Prüfung, [1941] wie bei anderen Prüfungen auch, die charakterliche Haltung des Lehrlings bewertet wird, … so glauben wir, damit etwas auszusprechen, was Ihnen bereits als selbstverständlich gilt, so der stellv. Betriebsführer Paul Kurz in einem Brief an die Eltern vor der ersten Facharbeiterprüfung. Daher kann die Zahl von 22 Auszeich- nungen in 1941 nach knapp zweieinhalb improvisierten Ausbildungsjahren nicht als Indikator für hohe Ausbildungsqualität gelten,173 und schon gar nicht als alleiniges Kriterium und mit heutigen Maßstäben. Bereits in der Herbstprüfung 1940 stellte man ein deutliches Absinken der Prü- fungsergebnisse fest. Sogar die schriftlichen Prüfungsaufgaben der Facharbeiter- prüfung wurden mit Rücksicht auf den durch die Kriegsverhältnisse bedingten verkürzten Berufsschulunterricht leichter gestaltet, wie den Betrieben durch die Kammer mitgeteilt wird. …1941 wurden bereits etliche Jugendliche aufgrund der bevorstehenden Einberufungen vorzeitig zur Facharbeiterprüfung zugelassen und 1942 wird die Prüfung schon als Notprüfung bezeichnet.174 Ab September 1944 wurde die Bewertung nach dem Punktsystem außer Kraft gesetzt. Stattdessen durfte

170 Die Berufserziehung der DAF… (wie Anm. 21), S. 29. 171 Schröter, W.: Die Werkberufsschule steigert die theoretischen Leistungen. In: Die Lehrwerkstatt, Jan. 1/1941, S. 7. 172 Vgl. Darf die Zulassung zur Facharbeiterprüfung von der Zugehörigkeit zur NSDAP oder einer ihrer Gliederungen abhängig gemacht werden? In: BHG, 15 (1940), 475. Zit. nach pätzOLd, G.: Die betriebliche Berufsbildung 1918–1945. Köln 1980, S. 313. 173 Kipp, M., 1988, S. 198. 174 Schreiber (wie Anm. 168) S. 37.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 175 für die Dauer des ‚totalen Krieges‘ nur das Prädikat ‚bestanden‘ und ‚nicht bestan- den‘ erteilt werden.175 Anfang Oktober 1944 wehrte sich der Leiter der Abteilung für Berufsausbildung und Leistungsertüchtigung in der Reichswirtschaftskammer, Prof. Dr.-Ing. Adolf Friedrich, gegen Forderungen, auf die Lehrabschlussprüfungen wegen der vorzeitigen Einziehungen zum Reichsarbeitsdienst und zur Wehrmacht ganz zu verzichten.176 Die als „Qualitätssiegel“ propagierten Facharbeiterbriefe wur- den mehr und mehr zum Etikettenschwindel. Im Juni 1942 ließ der Schulamtsdirektor Hugo Joël zu dem VW-Lehrplan für Maschinenschlosser gutachterlich von dem Berufsschuldirektor Achterberg in der Reichsbauernstadt Goslar und dem Direktor-Stellvertreter Lieberodt der Berufs- schule für das Aufbaugebiet der Reichswerke Hermann Göring in Immendorf Stel- lung beziehen. Ihr Resultat: Die Stundenaufteilung im Vergleich zur Lehrplanfülle, besonders in der Naturlehre, stempelt den Lehrplan zu einem Maximalplan, dessen Lehrziele praktisch kaum erreicht werden dürften.177 Der Geschäftsbericht erwähnt für 1942 noch folgendes. Infolge ausreichender Kartoffelversorgung konnten wir unseren Lehrlingen an 3Wochentagen zusätzlich warmes Abendessen verabreichen und auf diese Weise die Essenportionen für die Jugendlichen vergrößern. Durch landwirtschaftliche Ausnutzung unserer Grünfächen konnten der Küche zusätzlich 2200 kg Mohrrüben, 1000 kg Bohnen sowie weitere 300 kg verschiedenes Gemüse und Tomaten zugeführt werden.178 Infolge kurzfristiger Wehrmachtseinberufungen mussten in den letzten Monaten 39 Lehrlinge ihre Lehrzeit unterbrechen. Eine Notprüfung konnte nach Rückspra- che mit der IHK nicht abgelegt werden. …ImHerbst 1942 fand eine weitere Fach- arbeiterprüfung [nach zweieinhalb Jahren] statt, zu der 64 Lehrlinge des Jahrganges 1924 sowie des 25er-Jahrganges zugelassen waren, die zwecks einer baldigen Ein- berufung zur Wehrmacht ihre Prüfung vorzeitig abschließen konnten.179 Die hohen Zahlen der Einberufungen in den Monaten April und Oktober 1942 schließen die Jahrgänge 1923 und 1924 ein. In diesen Zahlen sind auch 106 Jugendliche ent- halten, die sich auf die Dauer von 12 Jahren für die Wehrmacht verpfichtet haben und somit aus unseren Diensten geschieden sind.180 Im April 1941 hatte Ritterkreuz- träger Kapitänleutnant Kladen über seine Erlebnisse bei der U-Boot-Jagd berichtet. Das persönliche Erleben dieses heldenhaften Kämpfers und Soldaten als leuchten- des Vorbild hatte seine Wirkung nicht verfehlt.181 Nicht nur die Verpfegung wur- de rationiert, sondern auch die HJ-Uniformen. Die an die Lehrlinge und der HJ. angehörende[n] Anlernlinge bisher verkauften Ausgehuniformen wurden im Be-

175 wOLSing (wie Anm. 80), S. 366. 176 Vgl. Berufsabschlußprüfung auch im Kriege. In: der Angriff, Nr. 241 vom 03.10.1944, S. 2. 177 Stellungnahmen der Direktoren vom 30.06. und 08.07.1942, NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23059. 178 Geschäftsbericht 1942, S. 14. UVW Z 61, Nr. 11319. 179 Ebd., S. 6. 180 Ebd., S. 9. 181 Vgl. Ritterkreuzträger im Vorwerk: In: der KdF.-wagen. Eltern- und Feldpostbriefe, 2. Heft 1941, S. 27.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 176 Friedrich Walz triebsjahr [1942] vom Werk wieder zurückgekauft, da eine Beschaffung von neuen Uniformen aus kriegsbedingten Gründen nicht mehr möglich war.182 1942 war wieder ein kampfbetontes Jahr gewesen. Es gibt keinen besseren Er- zieher zu dieser kämpferischen Auffassung vom Leben und zur Härte des Kampfes, als den Kampf selbst, so Bernhard Rust in einer Rede bei der Übernahme der Natio- nalpolitischen Erziehungsanstalten in Backnang am 22. April 1942. … Daß die Erde ein Kampfplatz ist, ist der Wille des Schöpfers. Denn nicht als Paradies hat er sie geschaffen. Es ist die tiefste Überzeugung Adolf Hitlers, dass kämpferischer Einsatz des Menschen die Erfüllung eines göttlichen Gebots ist, und daß nur der hoffen darf auf den Segen der Vorsehung, der dieses Gebot erfüllt, und auch nur das Volk, das dieses Gebot erfüllt.183

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Wehrwirtschaftsführer und Betriebsführer der Volkswagenwerke Ferdinand Por- sche lässt seine Neujahresgrüße wie folgt enden: Für das 11. Kampfjahr der natio- nalsozialistischen Revolution gilt auch weiterhin die Parole: Führer befehl, wir folgen!184 Der Führer fand am 30. Januar in völliger unrealistischer Einschätzung der Lage und im irrigen Glauben folgende prophetischen Worte: Jedes Menschen- leben, das in diesem Kampfe fällt, wird Generationen das Leben sichern. Auf der Titelseite der Januar/Februar-Ausgabe der Werkzeitschrift des Hauptwerkes „Das Volkswagenwerk und wir“ war der „motivierende“ Spruch Hitlers zu lesen: Es ist herrlich in einer Zeit zu leben, die ihren Menschen große Aufgaben stellt. Ab jetzt begann die totale Erziehung für den totalen Krieg.185 Bevor Goebbels seine berüch- tigte Brandrede mit der Frage Wollt ihr den totalen Krieg? im Berliner Sportpalast hielt, hatte Bäumler schon 1942 diesen Begriff des „totalen Krieges“ kreiert. Er folge aus dem der ‚totalen Gemeinschaft‘ und führe zur ‚totalen Offenbarung‘, d.h. in dieser Grenzsituation zeige sich, was für Kerle die Menschen im Verhältnis zur Gemeinschaft wirklich seien. … Mit unserer Jungmannschaft sind wir alle angetre- ten, um dorthin zu marschieren, wohin der Glaube des Führers uns weist.186 Der 33- jährige Gauleiter Hartmann Lauterbacher machte anlässlich der Eröffnungstagung der Gauwirtschaftskammer Südhannover-Braunschweig vor Wirtschaftsführern im April 1943 deutlich, was „totaler Krieg“ für die regionale Wirtschaft bedeutete. Im Zeichen des totalen Krieges und einer gewaltigen Aufrüstung hat auch der Rüstungs- inspekteur und der Vorsitzende der Rüstungskommission für die Gauwirtschafts- kammer [Lauterbacher] eine besondere Bedeutung. Ich brauche gerade in unserem Gau, der im Bereich der deutschen Rüstung eine besondere Stellung einnimmt, nicht ausdrücklich erwähnen, welche Bedeutung der Rüstungskommission zukommt. …

182 Geschäftsbericht 1942 (wie Anm. 178) S. 46. 183 rUSt, Bernhard: Erziehung zur Tat. In: Deutsche Schulerziehung, Berlin, 1943, S. 3. 184 Das Volkswagenwerk und Wir, 2. Jg. 1. Folge, Januar/Februar 1943, S. 2. 185 Siehe dazu ausführlich bUddrUS (wie Anm. 9). 186 bäUmLer, A.: Der totale Krieg, 1942, S. 32ff; zit. nach gieSecKe (wie Anm. 55), S. 85.

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Der Krieg ist einerseits ein großer Erzieher. Er lehrt uns gerade heute, da wir in- mitten der härtesten Auseinandersetzung stehen, daß im Rahmen dieser Entschei- dung das Neue im Kampf der Front und im Kampf der Heimat wächst. Wir dürfen davon überzeugt sein: Am Ende dieses Krieges wird das Neue nahezu vollendet vor uns treten. Neben dieser positiven Bedeutung des Krieges ist der Krieg aber auch gleichzeitig ein Lockerer der Sitten und Auffassungen. Es muß daher unsere gemeinsame Aufgabe sein, gerade jetzt im Zeichen der totalen Kriegsführung mit unserer nationalsozialistischen Anschauung allen artfremden Einfüssen, die einer klaren deutschen Entwicklung schädlich sein können, entgegenzutreten. Nachdem wir den leiblichen Juden ausgemerzt haben, müssen wir jetzt auch den geistigen Juden ausrotten und eine Arisierung der Auffassungen und Gefühle durchführen. Heute besteht die deutsche Führung aus Männern, die niemals kapitulieren werden. Es ist aber nur zu menschlich, dass irgendwo im Unterbewusstsein dieser oder je- ner Volksgenossen doch noch die artfremde Erziehung vergangener Zeiten spürbar wird. Daher müssen wir auf der Hut sein, dass sich nirgends der geistige Jude ein- fußmäßig geltend macht. Für die wirtschaftspolitische Führung des Gaues gilt es, die Auffassungen und Gesinnungen, die sich mit der Härte des totalen Krieges nicht vereinbaren lassen, rücksichtslos und restlos auszuschalten.187 Am 3. April 1943 wurde auf Veranlassung der HJ-Führung des Vorwerkes ein Ehrenmal für die gefallenen ehemaligen Lehrlinge enthüllt. In der Vorwerk-Fan- fare, 2. Heft 1943, wird über die Einweihung des Ehrenmals für die Gefallenen des Bannes 468 berichtet. Schon 1942 standen auf einem Gedenkstein 12 Namen von gefallenen ehemaligen Lehrlingen, erinnert sich 2008 Willi Scharna aus dem 3. Jahrgang, der seine Lehre im Frühjahr 1943 abschloss.188 Der Bericht von 1943 ist von Lehrling Jacob Persch abgefasst worden: ‚Wir starben, damit ihr lebet‘, so lautet die Inschrift des Ehrenmales auf dem Appellplatz unseres Bannes. Dieses Ehrenmal wurde auf Vorschlag des Bannführers Eggert von Heimführer Debert entworfen. Alle Heimführer halfen bei dem Bau mit. So entstand auf dem Appell- platz inmitten der Jugendwohnheime ein schlichtes Ehrenmal. Es soll uns täglich an die Gefallenen unseres Bannes erinnern, die ja für uns starben. Am 20. April, des Führers Geburtstag, fand nun die feierliche Einweihung statt. Vertreter der Partei und der Wehrmacht sowie Meister, Ausbilder, Lehrer und die Leiter unseres Be- triebes nahmen an der Feier teil. Der gesamte Bann und die Teilnehmer des Reichs- lehrganges für Heimerzieher waren in einem offenen Viereck angetreten. Inmitten des Viereckes hatte der Musikzug Aufstellung genommen. Nach der Meldung des Hauptstammführers Fiba erklang das Lied: „Heilig Vaterland in Gefahren, Deine Söhne sich um Dich scharen.“ Nun sprach der Bannführer. Er betonte den tausend- jährigen Osteinsatz unseres Volkes, in dem auch die meisten unserer Kameraden ihr Leben für Führer und Vaterland ließen. Vor allen Dingen grüßte er in seiner Rede die Mütter unserer Gefallenen mit den Worten von Hans Baumann:

187 Aufgaben und Aufbau der Wirtschaftskammer Braunschweig – 100 Jahre Selbstverwaltung der braunschweigischen Wirtschaft. Hrsg. Wirtschaftskammer. o. J. Zit. nach waLz, Friedrich: 125 Jahre Berufsbildende Schulen III der Stadt Braunschweig. Eine Chronik. Rinteln 2000, S. 240f. 188 Braunschweiger Zeitung vom 14. Juni 2008, S. 21.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 178 Friedrich Walz

‚Setzt ihr euren Helden Steine, baut ihr einem Mann das Mal, dann vergesst der Mütter keine, die da starben hundertmal. Hundertmal in bangen Stunden! Wenn die Söhne in der Schlacht einmal nur den Tod gefunden, fanden sie ihn jede Nacht. Und so fanden sie das Leben mitten aus Gewalt und Tod, und so konnten sie es geben einem Volk als Morgenrot‘.

Bei gesenkten Fahnen und unter den Klängen des Liedes vom guten Kameraden wurden nun durch den Betriebsobmann und den Bannführer Kränze niedergelegt. Die Führerehrung und die Lieder der Nation beschlossen eine erhebende Feierstun- de.189 Die Lieder der Nation waren das Deutschlandlied und das Horst-Wessel- Lied. Wehrwirtschaftsführer Ferdinand Porsche richtete einen Aufruf an die Lehrlinge vieler Rüstungsbetriebe des Reiches: Bedenkt, dass eure Lehrzeit Kriegsdienst ge- worden ist.190 Die Kriegsbegeisterung war unter den Vorwerk-Lehrlingen ungeheuer groß, erinnert sich Rudolf Jahn vom 3. Jahrgang,nur ganz wenige hätten sich da- mals nicht kriegsfreiwillig gemeldet.191 Vierzehn Tage später löst der neue Lehrlingsjahrgang den alten in einer Feier- stunde ab: Als am 19. April dieses Jahres [1943],morgens um 7Uhr, der Betriebs- jugendwalter dem stellv. Betriebsführer Kurz die auf dem Appellplatz der Lehrwerk- statt angetretenen Lehrlinge, unter ihnen die 163 neuen Jungen, meldete, schlug doch manches Herz etwas höher. Die mit den Fahnen der Bewegung, mit frischem Grün und Blumen ausgeschmückte Halle, die zur Feier erschienenen Gäste, der stellv. Präsident der Wirtschaftskammer Braunschweig, der Vertreter des Kreiswal- ters der DAF, der Kreisjugendwalter, alle Erzieher des Werkes und die mustergültige Ordnung der angetretenen Lehrlinge gaben der Feier einen würdigen Rahmen. Der Betriebsjugendwalter verpfichtete den Vertreter aller neuen Lehrlinge mit Handschlag über der Fahne auf die Betriebsgemeinschaft Volkswagen-Vorwerk. In eindringlichen Worten wusste der Betriebsobmann die Aufgaben der neuen Lehr- linge zu schildern und freudig erklärte der neue Jahrgang seine Bereitschaft zum Einsatz für Werk, Führer und Vaterland. Hell klangen die Schlussworte des jungen Sprechers durch den Raum:

‚Soldaten der Arbeit, Soldaten der Wende. Wir nehmen das Schicksal in unsere Hände. Wir spannen die Feder, wir treiben die Räder. Ein jeder ist Kämpfer –ein Bruder ein jeder. Und jeder ein Kerl und ein Kamerad: So wächst die Nation –und so wächst die Tat.‘

189 Die Vorwerk-Fanfare, 2. Heft 1943, S. 10. 190 mOmmSen, grieger (wie Anm. 3), S. 247. 191 Braunschweiger Zeitung vom 10.07.2008, S. 21.

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Nachdem nun der neue Jahrgang aufgenommen war, galt es nun die Facharbei- teranwärter freizusprechen. Der stellvertretende Präsident der Wirtschaftskammer Braunschweig, Oeding, fand in seiner Ansprache zu Herzen gehende Worte und wusste den Scheidenden ihre zukünftigen Aufgaben in packenden Ausführungen zu schildern. Das Lied: ‚Nur der Freiheit gehört unser Leben‘ leitete dann die Frei- sprechung des Jahrgangs 1940 ein. Der Vertreter der Facharbeiteranwärter trug sein Begehren um Freisprechung vor und bat die Meister und Ausbilder um Für- sprache. Der Betriebsjugendwalter stellte daraufhin fest, dass seitens der Lehrer, Meister und Ausbilder keine Bedenken vorlagen. Er nahm die Verpfichtung der Facharbeiteranwärter entgegen, allzeit pfichtbewusste Facharbeiter und einsatzbe- reite Volksgenossen zu sein. Die durch Handschlag über der Fahne und durch den Betriebsobmann vollzogene Freisprechung wird den jungen Facharbeitern eine stete Erinnerung an eine feierliche Stunde ihres Lebens sein. Mit stolzem Gefühl nah- men sie die ihnen durch den stellvertretenden Betriebsführer Kurz und durch den Betriebsobmann überreichten Facharbeiterbriefe entgegen. Freudig und dankbar sprach dann der Jungfacharbeiter Böhm allen Erziehern und der Betriebsführung den Dank aller Freigesprochenen aus.192 Am 10. Juli 1943 fand eine Wachablösung in der Bannführung statt, die nicht ohne Zeremonie und Propaganda mit ausführlicher Berichterstattung durch Haupt- gefolgschaftsführer W. Lüthge in der Vorwerk-Fanfare abging. Als dieser Krieg um Leben oder Tod unseres Volkes ausbrach, war es besonders das Führerkorps der Hitler-Jugend, das restlos zu den Fahnen eilte, um durch die Tat und den persön- lichen Einsatz an der Front das vorzuleben, was Inhalt und letztes Ziel der Erzie- hung in der Hitler-Jugend ist. Viele Banne waren plötzlich verwaist. Auf keinen Fall durfte die Erziehungsarbeit durch den Krieg lahmgelegt werden. Das war der Wunsch und Wille des Führers. Niemals durften Verhältnisse einreißen, wie sie im Verlauf des letzten Weltkrieges unter der Jugend zu beobachten waren. Gebiets- führer Sierk, Partei-, Wehrmachts- und Betriebsvertreter waren geladen, der ganze Bann war zugegen. Der Führerwechsel wurde in der mit Fahnen ausgeschmückten KdF-Halle feierlich vollzogen. Der scheidende Bannführer Eggert gab einen Re- chenschaftsbericht ab. Für ihn gäbe es kein schöneres Zeugnis als das freie Bekennt- nis unser Jungen zum Kämpfer, das durch die vielen Freiwilligenmeldungen zum Ausdruck kommt. Der neue Bannführer Harald Mordhorst, der schon Kriegsdienst geleistet hatte, bringt alle Voraussetzungen mit, um einen Bann wie den unsrigen, zielsicher weiterzusteuern. Mordhorst wollte unbedingt Vorbild sein, so enthielt er sich jeglichen Alkohol- und Nikotingenusses.193 1943 legten 234 Lehrlinge die Facharbeiterprüfung ab (2 mit mangelhaft), die nach der Prüfung sämtlich von der Wehrmacht einberufen wurden. Ende 1943 stan- den noch 393 Lehrlinge in der Ausbildung, 22 Kriegsdienstleistende der Jahrgänge 1922 – 1925 waren gefallen. Die fachliche Ausbildung litt weiter verstärkt unter dem Druck der Kriegsverhältnisse, weil weiterhin Ausbildungspersonal einberufen

192 Die Vorwerk-Fanfare, 2. Heft 1943, S. 7. 193 Siehe, LüthKe, W.: Hier spricht unsere Jugend – Wachablösung im Bann 468. In: Die Vorwerk- Fanfare (wie Anm. 196), S. 7.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 180 Friedrich Walz wurde, so u.a. auch der Schulleiter Werner Schröter zum 15.10.1943.194 Das Ergän- zungsamt der Waffen-SS (Ergänzungsstelle Mitte XI) Braunschweig führte in allen Berufschulen des Freistaates im August 1943 mit Plakataushang eine Anwerbeak- tion durch. „Vom Berufsschüler zum Führer der Waffen-SS“. Mit verkürzter Lehr- zeit und Aufstiegsmöglichkeiten wurde gelockt.195 Nach der Sommerarbeit fand der Herbstsportwettkampf statt. Obergefolgschafts- führer Steinert erläuterte sehr beschönigend in der Vorwerk-Fanfare den Stellen- wert des Sportes. Der Leibeserziehung kommt im Rahmen des Formationsdienstes der Hitlerjugend entscheidende Bedeutung zu, ist sie doch ein hervorragendes Mittel für die Gesunderhaltung [den meisten Werkarztbesuchen lagen Sportverletzungen zugrunde] und Kräftigung unserer Jungen. Darüber hinaus besitzen wir in den Leistungsübungen ein hervorragendes Mittel, die Jungen zu formen und zur Ge- meinschaft zu erziehen. Wir in der Jugendwohnheimanlage vermitteln die Grund- schule der Leibeserziehung einmal im Ausgleichssport während der Arbeitszeit, der im Jugendschutzgesetz verankert ist, und während unserer Sportstunden innerhalb des Hitlerjugenddienstes. Die Breitenarbeit ist dabei stets vorherrschend. Der Junge wird an alle erdenklichen Sportarten wie Fußball, Handball, Leichtathletik, Boxen, Geräteturnen und Schwimmen herangeführt.196 Die Sportleistungen der Berufs- schüler gingen nicht wie ursprünglich vorgesehen in eine Sportnote mit Unternoten für einzelne Disziplinen auf den Halbjahreszeugnissen ein,197 sondern „nur“ in die Kopfnote „Haltung“. Besondere Leistungen, wie Sportabzeichen, wurden auf der Bewertungskartei vermerkt. Dass die Leibeserziehung im Krieg in erster Linie der Wehrertüchtigung galt, wird in diesem Bericht unterschlagen. Immer häufger musste die Ausbildung unterbrochen werden, weil alle Lehr- linge tagelang zu Katastropheneinsätzen abkommandiert wurden. Wie der 84jährige Sally Perel dem Verfasser im November 2008 berichtete, war der Bann auch in der Gauhauptstadt Hannover eingesetzt worden. Vermehrt brachen auch Lehrlinge ihre Lehre ab und meldeten sich zum Wehrdienst. Wir wollten an den Fronten für Ehre und Orden kämpfen, das war jetzt wichtiger, so Helmut B., Lehrling des 5. Jahr- gangs, der 1944 seine Lehre nach zwei Jahren abbrach.198 Ein Besuch im Hauptwerk trug im Herbst 1943 wohl auch zu der Euphorie bei. Endlich war uns Lehrlingen vom Volkswagenvorwerk die Gelegenheit gegeben, das Volkswagenhauptwerk in der Stadt des KdF-Wagens kennenzulernen. Dazu mußten wir von Braunschweig aus über eine Stunde mit der Bahn fahren. ‚Rothenfelde- Wolfsburg‘ rief der Schaffner auf dem Bahnsteig. Wir stiegen aus und traten auf das Kommando des F. v. D. [Führer vom Dienst] in Marschordnung an. Nach einer ausführlichen Betriebsbesichtigung und einem Mittagessen aus der größten Küche

194 Geschäftsbericht 1943 d. Volkswagenwerk G.m.b.H. Vorwerk Braunschweig, S. 1. UVW Z 510, Nr. 134. 195 Vgl. Schreiben 01.08.43 an Schulrat Joël, NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 22851. 196 Steinert, W.: Unser Herbstsportwettkampf. In: Die Vorwerk-Fanfare, 6. Jg., 3. Heft Sep. 1943, S. 11. 197 Vgl. Die Nachwuchs-Erziehung, Anlage 1 Zeugnisformular-Muster (wie Anm. 4). 198 Aussage gegenüber d. Verfasser im Sept. 2008 auf dem Werksgelände VW-Braunschweig anl. der 70-Jahr-Feier.

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Europas ging es zur Sache:Nun kam für uns das spannendste Erlebnis. Wir sollten ein Erzeugnis des Hauptwerkes kennenlernen, ein Meisterwerk der Technik, den Schwimmwagen. Wir marschierten mit einem frohen und frischen Lied zum Ein- fahrgelände. Gab das einen Spaß, als fünf Wagen angefahren kamen. Immer fünf Jungen konnten einsteigen und schon begann die kleine „Hafenrundfahrt“.199 Be- reits 1942 hatte das Vorwerk die serienmäßige Schraubenantriebsfertigung für den Schwimmwagen vom Hauptwerk übernommen, so lange mussten die Lehrlinge war- ten, um das Endprodukt einmal noch ohne Feindberührung testen zu können.200 Wie erfolgreich ihr Hauptprodukt, der Volkswagen, bis 1943 war, konnten sie aus einem Artikel der Vorwerk-Fanfare entnehmen. Er sollte die Gefolgschaft zu noch mehr Leistung motivieren und die Vorbildfunktion von Betriebs- und Wehrwirtschafts- führer F. Porsche stärken:Mögen alle die in unserem Werke schaffen, den Wert ihrer Arbeit für den deutschen Soldaten und für den großdeutschen Freiheitskampf erkennen. …Auch die Soldaten haben tausendfach die unübertreffichen Eigen- schaften des Volkswagens schätzen gelernt, jenes Wagens, der schon bei seiner ersten Vorführung durch seinen genialen Erbauer das Erstaunen der Autokonstrukteure hervorrief. Der Volkswagen erreicht mit geringsten Werkstoff und Arbeitsaufwand ein Höchstmaß an Leistung, Geschwindigkeit und Lebensdauer bei verhältnismäßig wenig Reparaturen und geringem Treibstoffverbrauch. Das sind Eigenschaften, die im Frieden auch Tausende von Volkswagenbesitzern feststellen werden.201 Werkschulleiter W. Lüthge versuchte alles, um die Ausbildungsqualität wieder zu verbessern. Der Gesamtausbildungserfolg bei unseren Lehrlingen ist um so grö- ßer, wenn auch ihre erwachsenen Führer in der Werkstatt mindestens auf den Wis- sensstand ausgerichtet werden, den die Jugend in der Werkberufsschule vermittelt bekommt. Diesem freiwillig geäußerten Wunsch wurden zwei Erfüllungswege geöff- net. Einmal hat jeder Ausbilder Gelegenheit, als Gast dem Werkberufsschulunter- richt beizuwohnen, den seine Lehrlinge erhalten. Zum anderen wurden erstmalig im Rahmen des Leistungsertüchtigungswerkes der DAF, Kreisverband Braunschweig, im vergangenen Winterhalbjahr Lehrgemeinschaften in den Räumen der Werkbe- rufsschule durchgeführt.202 Vielleicht war das ein Einzelfall, dass ein Gewerbeleh- rer Ausbilder und ihre Lehrlinge gemeinsam unterrichtete. In der nächsten Ausga- be der Vorwerk-Fanfare berichtet Hauptgefolgschaftsführer und Ausbildungsleiter W. Lüthge über einen Sondereinsatz seiner Berufsschüler: Die Terrorangriffe der anglo-amerikanischen Luftpiraten auf die Gaue unseres Vaterlandes häufen sich. Wann werden wir drankommen? Ein Generalappell der Luftgemeinschaft sollte schlagartig die Bevölkerung am Sonnabend, 3. Juli 1943, auf die zu treffenden Vor- kehrungen und auf das richtige luftschutzmäßige Verhalten hinweisen. Im vierten Kriegsjahr ist es gewiss kein alltägliches Bild, eine größere HJ-Formation einheitlich

199 SUnde, H. ; LämmLer, F.: Ein Besuch im Volkswagenhauptwerk. In: Die Vorwerk-Fanfare, 7. Jg., 1. Heft, Januar 1944, S. 12. 200 Vgl. Geschäftsbericht 1942 (wie Anm. 178). 201 rOLOFF, Ewald: Das ist der Volkswagen. In: Die Vorwerk-Fanfare, 6. Jg., Heft 2, 1943, S. 1f. 202 LüthKe: Die Leistungsertüchtigung im VW-Vorwerk. In: Die Vorwerk-Fanfare (wie Anm. 201) S. 3f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 182 Friedrich Walz uniformiert mit eigenem MZ [Musikzug] marschieren zu sehen. Wir waren uns die- ser Sonderstellung als einziger kasernierter Bann Deutschlands bewußt und in straf- fer Disziplin ging es bei den fotten Marschweisen dem Stadtkern Braunschweigs entgegen. Ein besonderer Einfall war, eine Luftschutzsirene am Tage aufheulen zu lassen, um die Bevölkerung aufzurütteln. Lüthge schließt seinen Bericht, der wie immer auch an die Eltern gerichtet war: Dadurch haben wir wenigstens auch ein- mal außer unserer täglichen Pfichterfüllung am Arbeitsplatz in der Heimatfak im Werkluftschutz unseres Volkswagen-Vorwerkes einen besonderen Kriegseinsatz er- leben können.203 Der nächste öffentliche Auftritt des Bannes 468 bot der reichs- weite „Tag der Wehrertüchtigung“ am 3./4. Sept. 1943. Reichsauslesekandidat B. Elberskirch berichtete darüber so: Wir als kasernierte Jugendeinheit betrachten ja gerade diesen Wehrertüchtigungsdienst mit Stolz als unsere vornehmste Aufgabe, denn hierbei erhalten wir neben der täglichen Arbeit am Schraubstock und Dreh- bank, neben weltanschaulicher Schulung, Sport und Spiel die Grundlagen für den kommenden Waffendienst. Die Front fordert besten Nachwuchs und die bis heute in der Hitler-Jugend ausgerichteten Jungen bewähren sich bereits als Soldaten an der Front.204 Welche Grundlagen für den künftigen Kriegsdienst gelegt wurden, führt der Angriff in einem Artikel dazu näher aus. In der Wehrertüchtigung der Hitler- jugend, in der Schießausbildung, im Geländedienst und in den Leibes- übungen wird die handgreifiche Konsequenz gezogen, schon im Jugendalter für die Anforderungen des späteren Waffendienstes geübt und tüchtig zu werden. Es ist Ziel der Schießausbildung, jeden Hitlerjungen in seinen Schießergebnissen mit dem Kleinkalibergewehr zu einer guten Durchschnittsleistung zu bringen. Im Geländedienst soll jeder geländesicher werden. In allem kommen Führergeschick, Kameradschaftsgeist und die in den Eigenschaften des Mutes, der Entschlußkraft, Härte und Gewandtheit zur Geltung.205 Einen Monat später, am 18. Oktober hielt in einem Berliner Großbetrieb der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion sowie Baumeister und Archi- tekt des Führers Speer in Gegenwart von Reichsjugendführer Axmann den dritten Reichsappell der schaffenden Jugend mit großem Zeremoniell vor Lehrlingen ab. Er gab für die rund sechs Millionen im Arbeitsleben stehenden Jugendlichen die Parole für den weiteren Kriegseinsatz und führte u.a. dazu aus: Das Schicksal der Nation liegt in 10 bis 20 Jahren in euren Händen. Seid euch dessen bewußt und denkt daran, daß das Können der deutschen Qualitätsarbeiter, das technische Wissen unserer Ingenieure und die grundlegenden Forschungen unserer Wissenschaftler die tragenden Pfeiler sind, auf denen wir unsere Zukunft heute aufbauen. Dieser Krieg bringt technische Fortschritte von ungeahnten Ausmaßen. … Der Fortschritt in der Beherrschung der Naturgewalten ist in diesem Kriege beispiellos. Unsere Wissenschaft und unsere Technik haben ungeahnte Erfolge erzielt. … die euch und

203 LüthKe, W.: Bann 468 rüttelt Alt-Braunschweig auf. In: Die Vorwerk-Fanfare, 3. Heft 1943, S. 10. 204 eLberSKirch, Bernward: Der „Tag der Wehrertüchtigung“ im Bann 468. In: Die Vorwerk-Fanfare, 6. Jg., 3. Heft, September 1943, S. 10. 205 Dr. E.: Wehrtüchtige Jugend. In: der Angriff, Nr. 217, vom 7. Sep. 1943, S. 3.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 183 dem ganzen Volk nur Nutzen bringen, wenn die politische und geistige Erkenntnis des nationalen und sozialen Staates auch weiter das Denken und Fühlen unserer Rasse beherrscht. … An eurer Haltung in dieser Zeit liegt es, ob ihr dereinst dieser Verpfichtung und dieser Aufgabe nachkommen könnt. Von eurem Streben und Können auf fachlichem Gebiet hängt in nächster Zukunft das Schicksal der Nation ab. Auf euch kommt es entscheidend an! Lernt und arbeitet mit der Leidenschaft und Begeisterung, die die jetzt für euch kämpfende Generation verlangen kann und muß.206 Dieser Appell war nötig, da immer mehr Jungen die Lehre abbrachen, ange- heizt durch Wochenschauen, HJ- und Wehrmachtsvertreter, um an die „spannende“ Front zu kommen. Während des Jahres 1943 tauschten die zukünftigen Führer Adolf Hitlers (aus der SS-Junkerschule), die politischen Führer für Partei und Staat (aus der Reichs- akademie) sowie die Soldaten der Arbeit in der Ordensburg der Arbeit und deren Erzieher ihre Erfahrungen im Vorwerk Braunschweig bei dessen Besichtigungen häufger aus.207 Am 9. November 1943 wurde wieder eine Gedenkfeier vor dem Ehrenmal auf dem Appellplatz vor der KdF-Halle mit dem gesamten HJ-Bann zele- briert: Nach der Ansprache des Bannführers Harald Mordhorst erklangen die Na- men derer, die für Deutschland felen im Dienst des Führers, und all der Kameraden aus unserem Bann, die für die Größe des Reiches in diesem Kriege ihr Leben ließen. Dumpfer Trommelwirbel umrahmte jeden der einzelnen Namen. Vollkommene Stil- le, gesenkte Fahnen, die Flagge auf Halbmast, leise das Lied vom guten Kameraden, gespielt vom Musikzug, feierliche Kranzniederlegung durch den Bannführer, schloß sich zu einer kultischen Handlung, die ganz und gar Herzen und Gemüter in Bann schlug. Nochmals klangen Worte auf, die in dem Sinn gipfelten: Der Glaube lebt! Fest und zuversichtlich wurde ‚Deutschland –heiliges Wort‘ von der jungen Ge- meinschaft gesungen. Mit der Führerehrung und den Nationalhymnen fand eine Gedenkfeier ihren Abschluß, die dem Geist und der Haltung einer nationalsozialis- tischen Gemeinschaft entsprach.208 Der Reichsjugendführer hatte in seinem Aufruf zum Spielzeugwerk der Hitler- jugend 1943 gefordert, dass jeder wenigstens drei sorgfältig gearbeitete Spielzeuge an das Winterhilfswerk (WHW) abzuliefern habe, damit jedes Kind zu Weihnachten beschert werden könne und damit der Weihnachtsmann von einer Hauptkriegssorge befreit würde. In Form eines Wettrüstens wurden in 1941 1,5 Millionen und in 1942 bereits 8,5 Millionen Spielzeuge angefertigt. Die Betriebsjugend des Volkswa- genwerkes Vorwerk Braunschweig hatte sich mit aller der Jugend innewohnenden Begeisterung und allem Eifer für dieses Spielzeugwerk eingesetzt und wollte die vor- gegebene Stückzahl noch weit übertreffen, wie es der Bannführer als Parole ausgab. Die ca. 650 Lehrlinge hatten vor Weihnachten nach Feierabend nach neun Stunden Arbeit mehr als 2500 Spielzeuge gebastelt. Jede Heimgefolgschaft hatte besondere

206 „Die deutsche Jugend steht nicht beiseite“. In: der Angriff, Nr. 253 vom 19.10.1943, S. 2. 207 Volkswagen GmbH, Vorwerk Braunschweig, Werksberufsschule, Gewerbelehrer LüthKe, Walter: betr. Jahresbericht für das Schuljahr 1943/44, S. 5; NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058. 208 Heimführer rUdOLph, A.: Der 9. November bei uns. In: Die Vorwerk-Fanfare, 1. Heft, Jan. 1944, S. 12.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 184 Friedrich Walz

Aufgaben zu erfüllen. Das Heim 2schaffte der Zeit entsprechend richtige Rüstungs- arbeit. Dort entstanden Panzer, Kanonen sowie Kreuzer und Torpedoboote. … Am 12. Dezember 1943 konnte eine imposante Ausstellung von der Öffentlichkeit be- sichtigt werden. … In einer schönen Feier bescherte der Weihnachtsmann die Kinder der Werksangehörigen, dabei an erster Stelle die Kriegswaisen und Soldatenkinder. … Der größte Teil der Spielsachen aber konnte dem WHW zur Verteilung in Braun- schweig und vor allem in der schwergeprüften Gauhauptstadt [Hannover] zur Ver- fügung gestellt werden.209 Robert Ley ließ es sich nicht nehmen, dass zur fünften Kriegsweihnacht dieses Freiheitskampfes seine fünfte „Weihnachtsandacht“ im der Angriff abgedruckt wur- de. Ein Auszug daraus zeigt wie deterministisch seine Weltanschauung war: Diese Tage bringen die Menschen zur Besinnung und inneren Einkehr, zum Nachdenken über die letzten Dinge des Lebens und der Gemeinschaft. [nicht die Fanatiker] Alles hat einen göttlichen Sinn, alles läuft nach einem ewigen unabänderlichen göttlichen Gesetz ab. Gut bedeutet, dieses Gesetz zu erfüllen und Böse, dem Gesetz der Na- tur entgegenzuwirken. Es ist der Wille der Schöpfung, die Natur zu erkennen und danach zu handeln. Nichts ist ohne diesen natürlichen Willen und ebenso vermag dieser Wille alles. Der Wille der Vorsehung ist aber auch in uns Menschen. Er ist kein Gesetz von Buchstaben und zehn Paragraphen, sondern von Blut und Rasse, Boden und Vaterland, das ewige gottgegebene Gesetz der Nation. Kann es etwas Heiligeres geben, als diese Nation? Ich liebe dieses Volk –mein Volk –über alle Maßen, Frau und Mann, jung und alt, arm und reich, hoch und niedrig. Früher habe ich nicht ge- wußt, was Vaterlandsliebe Volkesliebe ist. ‚Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst‘, sagt man. Wer ist mein Nächster? Mein Volk, mein Blutsverwandter. Um das zu be- greifen, braucht man nicht Theologie studiert zu haben oder Philosoph zu sein. … Wir Deutschen der Gegenwart glauben an unsere Mission, wir glauben an unser Recht. Wir kämpfen für das junge nationalsozialistische Ideal, weil wir von der Vorsehung dafür befohlen sind. Uns ist ein Führer gesandt, der uns Deutsche diesen Weg in die Freiheit, in das Licht einer besseren Zukunft weist. Dieser Befehl des Schicksals ist unabänderlich. … Wir feiern Weihnacht 1943 in einer harten und stolzen Zeit unserer Geschichte. Schicksal du hast uns geprüft und gewogen. Nun segne uns und erfülle unser Streben. Wir wissen, am Ende unseres Kampfes steht der deutsche Sieg!210

1944

Ein glückliches neues Jahr wünschen wir allen Arbeitskameraden und Arbeitskame- radinnen! Ein Jahr schwerer und harter Pfichterfüllung liegt hinter uns, ein neues hat seine Pforten geöffnet. Was wird es bringen? Werden endlich nach Jahren so harten und blutigen Ringens die Friedensglocken läuten? Wird endlich die beispiels- lose Aufopferung eines 80-Millionen-Volkes für seine Existenz und seine national-

209 LüthKe, Walter: Ein Blick in die Kriegswirtschaft des Weihnachtsmannes. In: Die Vorwerk-Fanfare, 7. Jg., 1. Heft, Januar 1944, S. 8ff. 210 der Angriff, Nr. 311/312/313, vom 25./26./27.12.1943, S. 1.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 185 sozialistischen Ideale die verdiente Krönung durch den Sieg fnden? Dies fragten sich am 1. Januar 1944 Betriebsobmann Trautewig und stellv. Betriebsführer Kurz. Eine klare und eindeutige Antwort vermag niemand darauf zu geben. Nur eines wissen wir: Dieses größte und blutigste Ringen aller Zeiten kann nur mit einem deutschen Siege enden. Die Geschichte hätte ihren Sinn verloren, wenn dieser heroische Kampf eines vereinigten Volkes um seine Zukunft, dieses Sichaufbäumens einer lebensstar- ken Nation gegen seine Widersacher mit dem Triumph seiner Gegner enden würde. Dies kann nicht der Wille der Vorsehung sein trotz aller Rückschläge des letzten Jahres. Nur ein siegreiches Großdeutschland wird Europa und die Welt den Frieden bringen. Daran glauben wir, dafür wollen wir kämpfen und arbeiten.211 Der Führer hatte zum Kriegsberufswettkampf vom 15. Januar bis 15. Februar 1944 aufgerufen. Wir ‚Vorwerkknaben‘ wollen einmal zeigen, was wir auf dem Kas- ten haben. Daß wir Anfänger vom ersten und zweiten Lehrjahr auch etwas können, werden wir unseren Ausbildern, Lehrern und Heimführern schon beweisen. Vor- erst wird ja der Kampf in unserem Betriebsbereich ausgetragen. Wenn die fachliche Leistung in der Werkstatt während der Arbeitszeit festgestellt wird, daneben aber auch in kurzen, schriftlichen Arbeiten unser Wissen in Berufstheorie und Weltan- schauung zu beweisen ist, werden wir schon unseren Mann stehen. …Unser Einsatz soll ein Beweis für unseren unerschütterlichen Glauben an den Sieg sein.212 Heimführer Herbert Raab berichtet in der Januar-Ausgabe 1944 über eine An- gelegenheit, die heute unter „persönliche Kreativität“ fällt, damals aber unter „ge- setzlich genormtes Äußeres“ fel. Eines Tages erließ der K.-Führer des Gebietes Niedersachsens folgenden Befehl: ,Die gesamte deutsche Jugend ist außer im El- ternhaus und Schule in der Hitler-Jugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volke und der Volksgemeinschaft zu er- ziehen …Ich befehle daher: Jeder Jugendliche hat im Rahmen der Jugenddienst- pficht einen anständigen, jugendgemäßen Haarschnitt zu tragen. Die Haare sind über die Ohren mindestens 2,5 cm breit mit der Maschine kurz zu schneiden. Im Nacken dementsprechend. …Ich erwarte nunmehr von euch, daß Ihr euch durch ein anständiges Äußeres zu einer inneren Haltung bekennt, so daß wir in Zukunft den Tollenträger auch als einen Jugendgenossen erkennen können, der in seiner inneren Haltung nicht fest und klar ist. Wir können uns dann um diese Jugendge- nossen besonders bemühen und ihnen eine besondere Erziehung angedeihen lassen. Die Masse der Jugendlichen wird aber meinen Aufruf verstehen und ihre Ehre da- rein setzen, in diesem Kriege ein sauberes, freies Gesicht und eine tadelose innere und äußere Haltung zu zeigen, wie es unser eigenes Gesetz befehlt.‘ Die Beachtung dieses Befehls wurde unserem Werkfriseur zur strengen Pficht gemacht. HJ-Führer und Gefolgschaftsführer bestimmten, wer zum Friseur musste, um einen Vorwerk- schnitt verpasst zu bekommen.213

211 Die Vorwerk-Fanfare, 1. Heft 1944, S. 1. 212 hUppertz, A.: Zum Kriegseinsatz gehört die Leistung im Beruf. In: Die Vorwerk-Fanfare, 1/ 1944, S. 5. 213 raab, Herbert: Es geht um unseren Skalp. In: Die Vorwerk-Fanfare, 7. Jg., 1. Heft, Januar 1944, S. 13.

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Infolge der sich steigernden rüstungswichtigen Aufgaben des Werkes mussten die älteren Lehrlinge stärker eingesetzt werden. Mit Wirkung vom 7. Februar 1944 ha- ben die Lehrlinge vom 4. Lehrhalbjahr ab deshalb nur noch 7Wochenstunden Un- terricht, der sich vormittags erledigen lässt, so daß sie am Nachmittag der Werkstatt noch 3bis 4Stunden zur Verfügung stehen.214 Im Februar legten nur 33 Lehrlinge die Abschlussprüfung ab. Im Frühjahr 1944 begann man mit der Ausschmückung der Klassenräume. Sie stand unter dem Leitspruch Arbeit adelt. Auf die Rückwand eines Klassenraumes wurden das Porträt des 69-jährigen Betriebsführers Prof. Dr. Porsche sowie zwei große Bilder aus der Stahl- und Automobilindustrie gemalt. Die übrigen Wandfä- chen erhielten 2Sinnsprüche.215 Betriebsführer Ferdinand Porsche erhielt am 1. Mai 1944 aus der Hand R. Leys die von Hitler verliehene Auszeichnung „Nationalso- zialistischer Musterbetrieb“ überreicht, die auch das Vorwerk einschloss. Zur Iden- tifkation der zukünftigen Arbeiterelite mit dem Werk wurde im ersten Lehrjahr seit 1941 die Unterrichtseinheit Unsere Heimat das VW-Werk. Geschichte des Volks- wagens: Idee des Führers und Lebenswerk Prof. Dr. Porsches im Fach Reichskunde durchgenommen. Hier ging man über das Mindestziel des Reichslehrplans hinaus, indem man einen Exkurs zur Entstehungsgeschichte des Volkswagenwerkes machte und die Verdienste von Hitler, Ley und Porsche herausstellte. In 2 Unterrichtsstun- den in der 2. Woche behandelte man das Thema: Die Verwirklichung der Idee: Widerstände der Automobil-Industrie, der Auftrag an die DAF, Dr. Ley als Schirm- herr des Volkswagens, Entstehung der Werke bei Fallersleben und in Braunschweig, Verkehrslage. Sinnspruch für den Einstieg: „Das Werk soll entstehen aus der Kraft des ganzen Volkes, und es soll dienen der Freude des ganzen deutschen Volkes.“ (A[dolf].H[itler].). Lehrmittel: Führerrede bei der Grundsteinlegung, Bilder von der Grundsteinlegung und dem Werksaufbau und Karte von Niedersachsen.216 Der Werkberufsschulleiter berichtete u.a. noch, dass 6 Filme über Erbgesundheits-, Ras- sen- und Bevölkerungspolitik zerschnitten und dem Lehrplan der Schule entspre- chend neu zusammengestellt wurden. Den Lehrlingen des letzten 7. Jahrgangs, die ihre Lehre im April 1944 begannen, gaukelte man in völliger Fehleinschätzung nicht mehr einzuhaltende Versprechungen vor. Die Lehre sollte nur noch zweieinhalb Jahre dauern und sich eine zweijährige Ausbildung zum Ingenieur anschließen. Zwar führte man immer noch Gau- und Reichsausleseprüfungen für Begabte des Vorwerkes durch,217 nachweisbar aber hat- ten nur 4 Kameraden, die für die Reichsauslese vorgeschlagen wurden, die strengen Prüfungen 1943 im Reichsausleselager „Nordmark“ in der Gauführerschule Rissen bei Hamburg auch bestanden. Einer erhielt einen Förderbescheid zum Fachschul- Ingenieur und drei zum Werkmeister.218 Keiner von ihnen hatte wohl kriegsbedingt

214 LüthKe, Walter: Jahresbericht 1943/44, S. 1. NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058. 215 Vgl. ebd., S. 5. 216 Vgl. Lehrplan Maschinenschlosser, Fach Reichskunde.(wie Anm. 138). 217 Vgl. LüthKe, Walter: Jahresbericht 1943/44, S. 2f. NLA-StA WF 12Neu 13 Nr. 23058. 218 eLberSKirch, Bernward: Ein kleiner Sieg für uns alle! In: Die Vorwerk-Fanfare, 6. Jg., 2. Heft, 1943, S. 9.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 187 die Ausbildung auch begonnen. Alle wollten oder mussten an die Front. Mit 19 bist du Ingenieur, hatte man dem Jahrgang gesagt. Robert Neu aus diesem Jahrgang wollte Feinblechner werden. Es wurde nichts daraus, da die Ausbilder für diesen Beruf schon alle an der Front waren. Er begann eine Lehre als Universalfräser.219 Im März 1945 meldete sich der 15-jährige begeisterte Hitlerjunge Robert Neu zu einer HJ-Division, die die sowjetischen Panzer an Elbe und Havel vernichten sollte.220 Vielleicht hatten die allgegenwärtigen Sinnsprüche, laufenden Betriebsappelle, die ständige Indoktrination, wie der zum 20. April 1943 zu lesende Appell in der Vor- werk-Fanfare, ihn und andere zum Fanatiker gemacht: Der Glaube an den Führer –Gedanken zum 20. April. Noch nie war ein Sterblicher mit solchen Aufgaben betraut und mit solcher Verantwortung belastet. Noch nie hat ein Mensch aber auch seine Aufgabe so hervorragend gelöst und die ihm übertragene Verantwortung für das Wohl und Wehe von Millionen glänzender gerechtfertigt als der Führer. Das Wunder aber ist die Anerkennung der Vorsehung für das rastlose Ringen eines dä- monischen Willens, für ein „Nimmersichbeugen“ …„An seinem Geburtstag neigen wir uns in Ehrfurcht vor dem Genie Adolf Hitlers. Möge das Schicksal diesen größ- ten aller Deutschen weiter beschirmen und behüten, möge die Vorsehung ihn wei- terhin den rechten Weg fnden lassen, um Deutschland und die Welt einer besseren Ordnung entgegenzuführen.221 Selbst Sally Perel war gegen diesen „Virus des Glau- bens“ nicht gefeit. 1994 bekannte er in einem Interview mit Bryan M. Rigg: Um zu überleben, mußte ich mich verstellen, mußte ein anderer sein. Ein Nazi, …und so begann ich, ein deutscher Soldat zu sein. …Und ich begann, zu reagieren, wie es mir von den Nazis beigebracht wurde. Wie ein Nazi, und ich war wirklich einer [sic].222 „der Angriff“, die Tageszeitung der Deutschen Arbeitsfront erschien siebentäglich. Robert Ley nutzte den Sonntag für an Betriebsgemeinschaften gerichtete Kommen- tare, die den Charakter von Predigten, häufg von Hasspredigten hatten. Ein Bei- spiel aus dem Kommentar Nationalsozialismus vom 7. Mai 1944 mag hier genügen: Der Nationalsozialismus ist die Lehre von Blut und Boden, von Volksgemeinschaft und natürlicher Leistungsordnung, von Ehre, Wille und Glauben, von Deutschland schlechthin. Deshalb kann der Nationalsozialismus nie Exportware sein, die man anderen Völkern anpreist oder aufoktroyiert [oktroyiert].Der Nationalsozialismus ist eine deutsche Erfndung und deutsches Gedankengut, das nur dem deutschem Wesen gerecht wird. Er schließt so: Der revolutionäre Sturmwind wird das Kranke und Faule hinwegfegen und dafür das Junge und Starke zu vollem Leben und stolzer Entfaltung bringen. Wir werden nicht eher ruhen, bis der Jude vernichtet und seine Welt ausgerottet ist. Juda wird und muß sterben.223 Nach dem Attentat auf Hitler geht die NS-Führung zunächst publizistisch in die Offensive. Hitler, Göring und Ley bemühen wieder die Vorsehung und den gött-

219 Vgl. Braunschweiger Zeitung vom 17. Juli 2008, S. 21. 220 Aussage gegenüber dem Verfasser im September 2008 auf dem Gelände des „Vorwerkes“ Braunschweig. 221 Die Vorwerk-Fanfare, 6. Jg., 1/1943, S. 2. 222 Dazu ausführlich: Sally pereL: Ich war Hitlerjunge Salomon. 15. Aufl. München 2006; sowie rigg, B. M.: Hitlers Jüdische Soldaten. Paderborn 2003, S. 54. 223 der Angriff, Nr. 113 vom 7. Mai 1944, S. 1f

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 188 Friedrich Walz lichen Segen für Hitlers Überleben. Hitler ordnete am 25. Juli 1944 an, dass Göring das gesamte öffentliche Leben den Erfordernissen der totalen Kriegsführung in jeder Beziehung anzupassen hat, wobei die angeordneten einschneidenden Maßnahmen durch Einsatz der Partei tatkräftig unterstützt werden sollten.224 Das hieß, die Partei- funktionäre sollten, konnten und mussten sich in alle Lebensbereiche einmischen und Befehle erteilen. Der ganze Staatsapparat wurde jetzt ausschließlich für den eigentlichen Kriegszweck eingesetzt, um die restlose Konzentration der Kräfte und eine totale Ausschöpfung der Reserven des noch vorhandenen Kriegspotentials zu erreichen.225 Göbbels wurde auf Vorschlag von Göring von Hitler zum Reichsbevoll- mächtigten für den totalen Kriegseinsatz bestellt. Auf der Tagung der Reichsleiter, Gauleiter und Verbändeführer am 3. und 4. August hielt der von Hitler ernannte Befehlshaber des Heimatheeres, Reichsleiter SS Himmler, eine mehrstündige Rede. Seine neue Aufgabe im deutschen Heer wurde so dargestellt: Der gegenwärtige Kampf um das Schicksal unseres Reiches müsse ein heiliger Volkskrieg sein und als solcher geführt werden. Die Grundsätze der nationalsozialistischen Volks- armee seien Treue und Gehorsam, Tapferkeit und Standhaftigkeit, ihre einzige Auf- gabe und ihr Ziel den Krieg zu gewinnen.226 Je mehr der anglo-amerikanische Bombenterror zunahm, desto heftiger wur- den in den Betrieben agitatorische Geschütze aufgefahren und die Gefolgschaft mit „Gegenterror bombardiert“:

Deine heilige Verpfichtung! 1. In der Heimat bist du als Schaffender wie der Frontsoldat ein Gefolgsmann und Kämp- fer Adolf Hitlers. 2. Dein Betrieb ist der Frontabschnitt, in dem du bis zum letzten zu kämpfen und zu stehen hast. 3. Wenn du deinen Betrieb bei und nach Terrorangriffen eigenmächtig verläßt, machst du dich der Fahnenfucht aus der Front der Schaffenden schuldig. 4. Durch deine vorbildliche Haltung und Disziplin erhöhst du die Kampfkraft der Heimat- front. 5. Bei Nachlässigkeit in der Arbeit begehst du Sabotage und Verrat am deutschen Volk. 6. Ein Nachlassen deiner Leistung bedeutet Kapitulation vor dem Feinde und Verrat an deinen Frontkameraden. 7. Dein Glaube an den Sieg sei unerschütterlich, denn Deutschland wird siegen, weil wir einen Adolf Hitler als Führer haben, weil wir das schlagkräftigste und tapferste Heer besitzen, weil wir die besten zu jedem Opfer bereiten Arbeiter haben.227

Die Maßnahmen, die im Falle betrieblicher Teil- oder Totalschäden durch Flie- gerangriffe ergriffen wurden, mussten von der Gefolgschaft bedingungslos durch- geführt werden. Nur dann werden wir die dem Bombenterror des Feindes zugrunde-

224 Vgl. der Angriff, Nr. 183, vom 27. Juli. 1944, S. 1. 225 Vgl. der Angriff, Nr. 188, vom 02. Aug. 1944, S. 2. 226 Unüberwindliche Kraftreserven. In: der Angriff, Nr. 192 vom 06.08.1944, S. 2. 227 Das Volkswagenwerk und wir, 3. Jg., 2. Folge, März/April 1944, S. 7.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 189 liegende Absicht vereiteln: die Moral und Disziplin der Heimat zu brechen.228 Am 24. August 1944 starben vier Lehrlinge bei einem nächtlichen Fliegerangriff auf das Vorwerksgelände. Zum 1. August 1944 wurde der Gewerbelehrer Grau einberufen, was zur Folge hatte, dass der neue Stundenplan ab 21.08.1944 für die sechs Klassen des 1. Lehr- jahres 35, 34, 35, 38, 32 und 30 Schüler auswies. Insgesamt wurden 530 Schüler unterrichtet.229 Am 19.09.1944 rechtfertigte sich der kommissarische Ausbildungs- leiter und Schulleiter Walter Lüthge in einem Schreiben an den NSDAP-Kreisbe- auftragten für den totalen Kriegseinsatz: Als behördliche Kriegsmaßnahme wurde bisher das wöchentliche Arbeitspensum auf 30 Unterrichtsstunden erhöht. Seit Au- gust 1944 ist eine Erhöhung bis zu 40 Stunden genehmigt worden. Das entspricht einer 1,7 x40=68-stündigen Büroarbeitszeit. Damit geht das wöchentliche Ar- beitsmaß der Lehrkräfte der Werkberufsschule über die z.Zt. angeordnete 60-Stun- denwoche hinaus. Normalerweise würden 10 Lehrkräfte die jetzigen 550 Lehrlinge unterrichten. Durch die Heraufsetzung der Klassenschülerzahl, die Steigerung des Arbeitspensums der Lehrer und durch geringfügige Kürzung der Unterrichtszeit für Lehrlinge wird der gesamte Unterricht von 4Lehrkräften aufrechterhalten. Von den ehemals 12 Lehrkräften sind 8Soldat, wovon schon 2felen. Da auch im Zeichen des totalen Krieges nach wie vor die Berufsausbildung für sehr wichtig gehalten wird und insbesondere die Luftwaffenbetriebe noch einen sehr intensiven Berufsschulun- terricht erteilen und dafür die erforderlichen Freistellungen erhalten, ist eine weiterer Eingriff in den Betrieb unserer Werkberufsschule nicht mehr zu verantworten.230 Wegen des schweren Terrorangriffs, der die Innenstadt Braunschweigs am 14./15. Oktober 1944 fast vollständig zerstörte, fel der Unterricht eine Woche lang aus und begann erst wieder am 23.10.1944. Auch die KdF-Halle brannte ab, fer- ner wurden die Turnhalle und ein Wohnheim zerstört. Der gesamte Vorwerk-Bann 468 war zu Katastropheneinsätzen abkommandiert. Allein bei der Bekämpfung von Brandbomben in der KdF-Halle und von Hausbränden in der Stadt blieben zwei HJ-Feuerwehrgruppen 24 Stunden im Einsatz.231 Die Lage im Reich wurde immer prekärer. Eine Verzweifungstat war die Bildung des Deutschen Volkssturms. Heute nun, am 18. Oktober 1944, dem Gedenktag der Völkerschlacht bei Leipzig, hat unser Führer und Oberster Kriegsherr [Gefreiter im 1. Weltkrieg] Adolf Hitler alle noch zu Hause befndlichen deutschen Männer von 16 bis 60 Jahren zum Kampfeinsatz im Deutschen Volksturm zur Verteidigung des Heimatbodens aufgerufen.232 Der Aufruf war ein Befehl, der so begann: Nach fünfjährigem Kampf steht infolge des Versagens aller unserer europäischen Verbün- deten der Feind an einigen Fronten in der Nähe oder an den deutschen Grenzen. Er strengt seine Kräfte an, um unser Reich zu zerschlagen, das deutsche Volk und seine

228 rOLOFF, Ewald: Betriebsgemeinschaft gegen Bombenterror. In: Die Vorwerk-Fanfare, 6. Jg., 3. Heft, September 1944, S. 5. 229 Stundenplan Werkberufsschule, Anlage zum Schreiben vom 18.08.1944 an Brg. Min. f. Volksbil- dung.; NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23059. 230 NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058. 231 Vgl. gUtzmann,LUpa (wie Anm. 124), S. 23. 232 Die ersten Bataillone des Volkssturms traten an, in: der Angriff, Nr. 256, v. 19.10.44, S. 1.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 190 Friedrich Walz soziale Ordnung zu vernichten. Sein letztes Ziel ist die Ausrottung des deutschen Menschen.233 Hitler hatte nach dem Attentat auf ihn nur noch Vertrauen zu Funk- tionären seiner Partei, weswegen er die Aufstellung und Führung des Volkssturms dem Reichsführer SS Himmler und seinen Gauleitern unterstellte. In Punkt 9 seines Befehls heißt es: Die Nationalsozialistische Partei erfüllt vor dem deutschen Volk ihre höchste Ehrenpficht, indem sie in erster Linie ihre Organisationen als Haupt- träger dieses Kampfes einsetzt. Die Erfassung der aufgerufenen Jahrgänge erfolgte unbürokratisch durch die Ortsgruppen der NSDAP, bei den 16 bis 18-jährigen unter Mitwirkung von HJ-Funktionären.234 Ab Dezember kam im Rahmen des 3. Aufge- botes des Volkssturmes die Ausbildung mit der Waffe und im Gelände in den Wehr- ertüchtigungslagern der HJ hinzu. Der Reichsinspekteur für die Wehrertüchtigung der deutschen Jugend, der aus der HJ hervorgegangene Vorzeige-Ritterkreuzträger Bärenfänger führte u.a. dazu aus: Die Zahl der bisherigen Wehrertüchtigungslager ist vermehrt worden. Neue sogenannte Bann-Ausbildungslager sind hinzugekom- men. In ihnen werden die Jungen des Jahrganges 1928 monatlich einen viertägigen überholenden Lehrgang mitmachen, bevor sie in die Wehrertüchtigungslager gehen. Der Umgang mit der Waffe steht hier im Vordergrund, und zwar mit Gewehr, Ma- schinengewehr, Handgranate und Panzerfaust als den Grundwaffen der Infan- terie. Daran anschließend werden die Jungen dann in die Lager des RAD. gehen. … Im allgemeinen kann gesagt werden, daß unsere Jugend unbelastet ist durch die Schwere der Zeit. Sie hat im Gegenteil dadurch an Härte gewonnen. Unsere Jun- gens [Jungen] wissen, worum es geht!235 So wurde Bärenfänger ein letztes Mal als Rattenfänger dargestellt. Im Dezember 1944 gab es nach derzeitigem Quellenstand wohl die letzte Werk- zeitschrift-Ausgabe für beide Volkswagenwerk-Standorte, die mit Unterstützung der Hauptabteilung Werkzeitschriften im DAF-Presseamt erschien. Eine „Weih- nachtsandacht“ nationalsozialistisch-indoktrinärer Lesart wird hier in Auszügen wiedergegeben: Weihnachten das Fest der Freude, des Friedens, des trauten Beisam- menseins wird in diesem Jahr in vielen deutschen Herzen Leid und seelische Not aus- lösen. Eine Zeit harter Bewährung ist über Deutschland gekommen. Der Feind steht an den Grenzen. … Sinnbild des jungen sich ewig erneuernden Lebens ist das Kind in der Wiege. Es ist Lichtbringer, Träger der Zukunft. In dem Weihnachtsglauben, der von der wachsenden Sonne verkündet, ist die tiefe Verantwortung verborgen, die alle die tragen, die den Bestand unseres Volkes für unsere Kinder erhalten wollen. Damit ist diese Bestimmung auf die Tiefen unserer blutverbundenen Weltanschau- ung, die ihre Wurzeln in der Lebenskraft, in den Kindern unseres Volkes hat, gerade in der Weihnachtszeit eine erhöhte Verpfichtung. … Wie die Sonne die Dunkelheit überwindet, so wird ein zu größerer Leistung und höchstem Einsatz bereites Volk die Macht Alljudas überwinden und den Sieg erkämpfen.236

233 Der Führer ruft zum Kampf auf. In: der Angriff, Nr. 257, vom 21.10. 44, S. 1. 234 Vgl. Wie der Volkssturm gebildet wird. (wie Anm. 232), S. 2. 235 Zit. nach: Jungens an die Panzerfaust. In: der Angriff, Nr. 300 vom 10.12.1944, S. 2. 236 Weihnacht 1944. In: Werkzeitschrift unserer [Volkswagen-]Betriebsgemeinschaft, 3. Jg. Folge 3, Dezember 1944 [S. 2].

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 191

1945

Im letzten Heft „Arbeitertum“ schoss der NSDAP-Reichsleiter und Führer der Deut- schen Arbeitsfront Robert Ley in einem Appell Parole 1945 ein ideologisches Sperr- feuer auf die wenigen noch erreichbaren Betriebsgemeinschaften ab: Deutsche Arbeiter! Deutsche Unternehmer! … Es ist uns gelungen, in einer rastlosen und mühsamen Arbeit, einer ständigen Aufklärung und Erziehung, die Vernunft und die Einsicht zum Tragen zu bringen … Der Betrieb ist eine Einheit und eine Zelle lebendiger Kraft geworden. Lüge und Verhetzung mußten der Wahrheit und der Erkenntnis weichen. Falsche internationale Idole und gleißende Götzen mußten den hohen Idealen und dem wahren Gott von Blut und Rasse, Volk und Vaterland den Platz im Herzen der Deutschen einräumen. Vor allem aber: Unser Volk ist judenrein und unser Volkskörper frei von jüdischem Gift und jüdischen Bazillen geworden. Wir fanden zurück zum Ursprung unserer Kraft und zum Urquell unseres Seins. Wir wollen leben und wir werden leben! Das sei unsere Parole gestern, heute und morgen. Das ist Nationalsozialismus, das ist unser Sieg. … Der Herrgott gab uns denn auch bereits seinen ersten großen sichtbaren Segen: Er erhielt uns den Führer. Der Führer lebt, der Führer ist gesund, der Führer schlägt wieder zu. Schicksal, wir danken dir aus übervollem Herzen. Nun kann uns nichts mehr passieren. Es wird alles gut werden. … Wir werden dem Führer in bedingungslosem Gehorsam und nie wankendem Vertrauen folgen, wohin er führt. Wir werden beharrlich, tapfer und standhaft marschieren, kämpfen und arbeiten, bis der endgültige und totale Sieg unser ist. Wir werden niemals kapitulieren. Wir greifen an!237 Am 11. Januar zog sich SS-Oberführer (etwa Oberst/Generalmajor im Heer), Wehrwirtschaftsführer und Betriebsführer Prof. Dr. h. c. Ferdinand Porsche nach Gmünd/Niederösterreich zurück.238 Sein Stellvertreter Paul Kurz wird jetzt Be- triebsführer im Vorwerk bis April 1945.239 Er ist dann der erste Werkleiter unter amerikanischer, ab 6. Juni unter britischer Besatzung, bis er im Dezember 1945 wohl „Opfer“ eines Entnazifzierungsverfahrens wird. Der politischen Zäsur zuwi- der werden bei Gutzmann/Lupa von 1938 bis 2008 alle Leiter des Vorwerkes als Werkleiter bezeichnet,240 die Funktionen eines nationalsozialistischen Betriebsfüh- rers ignorierend. Der Nationalsozialismus fordert immer wieder den „Typ“ des Be- triebsführers, der in seinem ganzen Tun und Handeln, in seinem Denken und Wis- sen der nationalsozialistischen Weltanschauung verpfichtet ist. Darum wird auch mit Recht von einem „Offzier der Wirtschaft“ gesprochen.241 Die Betriebsratsvor- sitzenden werden ab 1945 aufgeführt, die Betriebsobleute von 1938 bis 1945 nicht, wie z.B. Beiersdorf oder Trautewig.

237 Arbeitertum, 1945 Folge 1, S. 1f. 238 Vgl. mOmmSen, grieger (wie Anm. 3), S. 926. 239 Ebd., S. 925. 240 Vgl. gUtzmann,LUpa (wie Anm. 124), Anhang, S. 124 und in gleichnamiger Ausstellung (2008) im Städtischen Museum Braunschweig. 241 arnhOLd, Karl (wie Anm. 10), S. 51; u. auch: Was verlangen wir vom Betriebsführer. In: Arbeiter- tum 8. Jg. 1938, Folge 22, S. 13.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 192 Friedrich Walz

Ende Januar ließ die Reichspost keine Fernbriefe mehr zu; die Eltern der Lehr- linge mussten sich mit Postkarten-Grüßen begnügen. Oft kamen auch diese nicht mehr an ihr Ziel. Zum 31.01.1945 sank die Zahl der Lehrlinge auf 310.242 An einer „Facharbeiterprüfung“ im Februar 1945 nahmen wahrscheinlich noch 22 VW- Lehrlinge teil.243 Schreiber berichtet allerdings, dass über das ganze Jahr 1945 kei- nerlei Prüfungen [von der IHK] mehr durchgeführt wurden.244 Möglich ist, dass das Vorwerk eine „selbstgemachte Notprüfung“ kurz vor Herannahen der Alliierten selbst abgenommen hatte. Schon seit Frühjahr 1940 bestand die Möglichkeit, dass Lehrlingen, die wegen ihrer Einberufung zur Wehrmacht aber an der Prüfung nicht teilnehmen konnten, auch ohne Prüfung ein besonderer Facharbeiterbrief ausge- händigt, wurde allerdings nur unter der Voraussetzung, daß eine Beurlaubung nicht ermöglicht werden konnte und die Lehrfrma ein Zeugnis ausstellte, wonach die Leistungen des Lehrlings zufriedenstellend waren.245 Mit Beginn der Osterferien am 29. März teilte die Werkberufsschulleitung dem Minister für Volksbildung mit, dass der Lehrer Alfred Herzog am 23. März 1945 zur Wehrmacht eingezogen wurde und reichte dem Ministerium deswegen einen neuen Stundenplan für 290 Lehrlinge zur Genehmigung ein. Vorgesehen waren jetzt noch 6 Klassen mit 189 Lehrlingen im 1. Lehrjahr, 5 Klassen mit 99 im 2., mit noch zwei Lehrlingen des 3. Lehrjahres, die alle von 2 Lehrkräften „Unter- richt“ erhalten sollten. Bereits am 07.03.1945 war der Ausbildungs- und Schulleiter (Hauptgefolgschaftsführer) W. Lüthge einberufen worden. Lehrer Burgdorf über- nahm als sechster die Geschäfte der Schulleitung.246 Außerdem wurde der Jahrgang 1929 für die Wehrhaftmachung im Rahmen des Deutschen Volkssturmes durch die Ausbildung in sechswöchigen Wehrertüchtigungslagern ab 6. März 1945 von der Schule beurlaubt.247 Am 19. März erging der sogenannte Nerobefehl Hitlers: ‚Alle militärischen Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebiets, die sich der Feind für die Fortsetzung sei- nes Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann, sind zu zerstören.‘ Und zur Erläuterung erklärte Hitler dem protestierenden Speer nach dessen Zeugnis ‚in eisigem Ton‘: ‚Wenn der Krieg verlorengeht, wird auch das Volk verloren sein. Es ist nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil ist es besser, selbst diese Dinge zu zerstören. Denn das Volk hat sich als das schwächere erwiesen, und dem stärkeren Ostvolk gehört ausschließlich die Zukunft. Was nach diesem Kampf übrigbleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten sind gefallen.248 Im Vorwerk Braunschweig unterließ man die Demontage von Ma-

242 mOmmSen, grieger (wie Anm. 3), S. 247. 243 Vgl. NLA-StA WF 12Neu 13 Nr. 28058 244 Schreiber (wie Anm. 168), S. 37. 245 Braunschweigische Wirtschaft, Juni 1940, Nr. 1, S. 4. 246 Schreiben vom 28.02.1945 an den Minister für Volksbildung, NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058. 247 Vgl. Schreiben des Reichsministers für Wiss., Erz. und Volksb. vom 05.03.1945 an die Unterrichts- verwaltungen der Länder, NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 22851. 248 haFFner, Sebastian: Anmerkungen zu Hitler. Frankfurt a. M. 1997, S. 181.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 193 schinen und Anlagen. Nur Werkzeuge wurden nach Aussage (Frühjahr 2009) von Sally Perel konserviert und vergraben. Das berufiche Ausbildungswesen im Vorwerk Braunschweig war insbesonde- re in den letzten beiden Kriegsjahren fast völlig ausgehöhlt. Von „vorbildlicher“ oder gar „herausragender“ Fachausbildung war nichts mehr übrig geblieben. Sie war nach den meist ungeschminkten Berichten gegenüber der Schulbehörde ohnehin im Berufspraktischen wie -theoretischen nicht besser als in den anderen Braunschwei- ger Rüstungsbetrieben und in der öffentlichen Gewerblichen Berufsschule gewesen. Die ideologische, vormilitärische und (wehr)sportliche Erziehung stach allerdings umso „mustergültiger“ heraus. Die fanatisch ideologische Einschwörung auf den Nationalsozialismus trat, wie hier belegt wurde, gerade nicht in die zweite Reihe.249 Die nationalsozialistische Versuchsanstalt, Ordensburg der Arbeit, Vorwerk Braun- schweig, war zu einem ideellen, materiellen und fnanziellen „Trümmerhaufen“ ge- worden. Die ständigen Appelle, für Führer, Volk und Endsieg Höchstleistungen zu vollbringen, und die vollständige Funktionalisierung der Leistungsbereitschaft [Ausbeutung] der Jugendlichen für die Kriegsanstrengungen entlarvte das ganzheit- liche Erziehungskonzept als vordergründiges soziales Täuschungsmanöver.250 Das Arbeiten und Leben im Vorwerk war gekennzeichnet von Anpassung, Ausrichtung, Auslese, Ausbeutung und Ausmerzung. Bis zur letzten Minute produzierten im Vorwerk ca. 450 Zwangsarbeiter, 500 Deutsche und 290 Lehrlinge Tellerminen, Panzerfäuste und Flugzeugteile – auch in der einst berühmtesten und größten Lehrwerkstatthalle des „Dritten Reiches“.251 Lieber tot als Sklav! war Gauleiter Lauterbachers letzter Kampfaufruf an die Braunschweiger Volksgenossen und die Gaubevölkerung am 6. April in allen Zei- tungsausgaben.252 Dann setzte sich der gebürtige Tiroler Lauterbacher, der Reichs- inspekteur für alle Luftschutzmaßnahmen, SS-Obergruppenführer (General), Trä- ger des Goldenen HJ-Abzeichens Nr. 1, HJ-Führerausweis Nr. 1 u.a. Anfang April nach Österreich ab, geriet in Gefangenschaft, wurde im Nürnberger Prozeß als Zeu- ge verhört und dann entlassen. Von den Militärgerichten in Hannover und Dachau 1946/47 freigesprochen, füchtete er nach Italien.253 Der vom Herrgott gesandte Adolf Hitler, der am 30. Januar 1939 an einen langen Frieden glaubte, erschoss sich am 30. April. Reichserziehungsminister Rust wählte am 8. Mai auch lieber den Freitod.254 Am 10. April 1945 besetzten amerikanische Truppen zu Ende der Osterferi- en das Vorwerk. Der uns aufgezwungene Krieg (stellv. Betriebsführer Krone) oder unser Freiheitskampf war beendet. Dazu Schlomo Selly Perel in „Hitlerjunge Salo- mon“: Nachts (…) Eine Einheit der US-Armee jagte uns [eine Volkssturmeinheit]

249 Vgl. mOmmSen, grieger (wie Anm. 3), S. 249. 250 Ebd. 251 Ebd., S. 1025, Tabelle 2. 252 Abdruck im Wortlaut. In: Kriegsende, Braunschweiger Zeitung. ,Spezial‘, Nr. 2 (2005) S. 62. 253 SchULtz, J.: Lauterbacher. In: BBL 1996, S. 371f. und bUddrUS (wie Anm. 9), S. 1177. Ausführ- licher: waSKe, Stefanie: Hartmann Lauterbacher. In: Braunschweiger Zeitung vom 26.01.2009, S. 3; 02.02.2009, S. 3; 13.02.2009, S. 3. 254 Vgl. Bernhard Rust, In: http://de.wikipedia. Org/wiki/Bernhard_Rust, 03.02.2009.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 194 Friedrich Walz mit Karabinerstoessen aus den Betten, um die Waffen und alles andere nur Mögliche, zu beschlagnahmen. Das Ende von Tausendfünfhundert Tagen und Nächte psy- chischer Belastung, seelischer Qual und …Todesgefahr. Gibt es etwas wertvolleres als Freiheit?255 Keine Blutopfer mehr für den nationalsozialistischen Glauben! Hun- dert für Großdeutschland gefallene Lehrlinge der Jahrgänge 21 bis 28 des Vorwerks waren bis Ende 1944 ermittelt worden.256 Man konnte in Zukunft wieder geistiger Jude sein! Der „leibliche Jude“ Sally Perel war noch 3 Tage in amerikanischer Ge- fangenschaft. Als er danach – noch in HJ-Scharführer-Uniform – sein Zimmer im Lehrlingswohnheim aufsuchen wollte, verprügelten ihn die befreiten sowjetischen Zwangsarbeiter. Er hauste zunächst im Barackenlager der Zwangsarbeiter. So S. Perel im Gespräch mit dem Verfasser am 4. Dezember 2008 in Braunschweig anläss- lich eines Vortrags vor über 500 Berufsschülern. Noch Anfang März hatte Reichs- leiter Alfred Rosenberg vor Vertretern der Partei, der Wehrmacht, des Staates und der Wissenschaft seinen tiefsten Glauben zum Ausdruck gebracht, dass aus diesem Kampf um das Reich und Europa einmal das alte Europa wiedergeboren, in neuer Blüte ein neues Zeitalter für sich und auch die übrigen Völker der Welt heraufführen wird!257 Der Weg war nun frei für einen bald 70-jährigen Frieden in einem fried- licheren Europa. Es hat die Bewährungsprobe ohne Diktatoren bestanden. Die Werkberufsschule wurde nach der Besetzung nicht wieder eröffnet.258 Mit 60 Mann begann im Mai 1945 die Belegschaft [des Werkes Braunschweig] wieder zu arbeiten, zunächst mit Aufräumungs- und Reparaturaufträgen und mit kleinen Aufträgen der Besatzungstruppe. Die damalige Betriebsleitung erhielt von der Mili- tärregierung eine Lizenz zur Herstellung von Dezimalwaagen, Kartoffelquetschen, Sackkarren und Baukarren. Die Serienfertigung dieser Erzeugnisse scheiterte aber an der mangelhaften Zuteilung von Material, so daß das Werk in fnanzielle Schwie- rigkeiten geriet.259 Der erste Versuch, „aus Schwertern Pfugscharen zu machen“, scheiterte. Im Juli 1945 forderte der Direktor der gewerblichen Berufsschule der Landes- hauptstadt Braunschweig, Hundertmark, Schuleinrichtungen und Lehrmittel aus dem Vorwerk. Er war 1933 als sozialdemokratischer Schulleiter abgesetzt und durch das NSDAP-Mitglied Hugo Joël ersetzt worden, der im Mai 1945 wiederum durch Hundertmark abgelöst wurde. Anfang Juni wurden ihm vom sechsten und letzten Werkberufsschulleiter Burgdorf und der Lehrkraft Herzog, die beide wohl als Mitläufer eingestuft und dienstbereit waren, die noch im Volkswagenvorwerk vorhandenen Schuleinrichtungen angeboten. Da ferner die ehemaligen Lehrlinge des Vorwerks für die Zukunft in den Fachklassen der Berufsschule unterrichtet wer- den müssen, ist die Übernahme der gesamten Sachen unbedingt erforderlich. Die Lehrkräfte der gewerblichen Berufsschule sind gern bereit, beim Transport helfend

255 pereL, Sally (wie Anm. 68), S. 33. 256 UVW, Z 174 Nr. 2058. 257 Vgl. Europas Bewährungsprobe, in: der Angriff, Nr. 52, vom 02.03.1945, S. 2 258 Vgl. Bericht des Wirtschaftsprüfers Dipl.-Kaufmann Lang, H. Braunschweig, über die Prüfung des Jahresabschlusses zum 31.12.1945 des Vorwerks Braunschweig, S. 4, UVW 61/10.106. 259 heering, Chronik des Werkes Braunschweig. Braunschweig 1960, S. 2, UVW 174/2058.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 195 einzugreifen, so Hundertmark in einem Schreiben vom 26.07.1945 an das Schulamt der Stadt Braunschweig. Der Kommandeur der Britischen Militärregierung, Major W. J. Gallagher, gab am 26. September 1945 die Genehmigung für eine Besich- tigung und Abholung des Inventars.Itwould be appreciated if the bearers Herren Burgdorf, Herzog, Bielstein, Wöbeking 1. of the Brunswick Vocational School were permitted to remove from the Volks- wagenwerk the teaching materials and furnishing items listed in 1073/45 dated Sep 10/45 (attached to this letter) 2. There [They] are required for the vocational Schools of Brunswick during the coming school year.260 Bei einer zum 31. Dezember 1945 durchgeführten Bestandsaufnahme wurde fest- gestellt, dass ein Teil der Maschinen, Ausstattungen und Einrichtungen nach Kriegs- ende geplündert oder requiriert worden ist.261 Das Schulgebäude der städtischen Berufsschule am Inselwall konnte allerdings bis auf zwei Räume nicht für Schul- zwecke genutzt werden, weil es noch als Lazarett diente. Dennoch wurden schon ab Oktober 1945 alle Lehrlinge Braunschweigs aufgerufen, den Berufsschulunterricht fortzusetzen. Auf mehrere Gebäude und Betriebe verteilt fand zunächst nur für das 3. Ausbildungsjahr mit dem ersten „entnazifzierten“ Lehrpersonal und nicht „inf- zierten“ Lehrbüchern Unterricht statt. Die ersten Lehrlinge des Vorwerks setzten Ende 1945 ebenfalls ihre Lehre fort und wurden der städtischen Berufsschule ge- meldet, um der Berufsschulpficht zu genügen. Anfang 1946 teilte der Klassenlehrer Burgdorf seiner vormaligen Arbeitgeberin, der Volkswagenwerk GmbH, mit, dass die Gewerbliche Berufsschule wieder Kohlen habe und den Unterricht fortsetzen könne.262 Burgdorf war kein NSDAP-Mitglied gewesen und konnte jetzt im Öffent- lichen Dienst weiter unterrichten. Im Verhör am 1. September 1945 erklärte Robert Ley, einer von Hitlers gläu- bigsten Anhängern seit 1924, 7 Jahre „Schirmherr“ über „seine“ „Kraft durch Freu- de“-Volkswagenwerke und Führer „seiner Arbeitsfrontkämpfer“: Ich möchte jetzt [aus] sagen, dass der Führer einer der größten Männer war, die jemals lebten. Ley ließ 1937 am Ende seiner Rede zur Hitler-Jugend ein „Glaubensbekenntnis“ (Ge- löbnis), das den christlichen Glauben durch den Nationalsozialismus verdrängen sollte, erneuern. Ley weiter:Und ich möchte gleichzeitig [aus] sagen, dass der posi- tive Aspekt, die positive Seite unserer Ideen etwas vom Größten war, was Menschen jemals erdachten. Aber was uns zerbrach (nicht nur äußerlich, sondern innerlich), das war unser Willensethos, [‚Die Politik ist nichts anderes …als die Wahrneh- mung der Lebensinteressen eines Volkes und die praktische Durchführung seines Lebenskampfes mit allen Mittel. A. H.‘] …und unser Antisemitismus. Diese beiden waren letztlich unser Verderben.263 Am 25.10.1945 erhängte er sich im Nürnberger Untersuchungsgefängnis.264 Der Nationalsozialismus nahm von Anfang an für sich

260 NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 23058. 261 Bericht Lang (wie Anm. 258), S. 4. 262 Siehe Schriftverkehr mit dem „Vorwerk“; UVW, Z 81, Nr. 178/1. 263 Vgl. SmeLSer, Ronald: Hitlers Mann an der „Arbeitsfront“: R. Ley. Paderborn 1989, S. 287. 264 Ebd., S. 290.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 196 Friedrich Walz in Anspruch, „Weltanschauung“ mit religiösem Einschlag zu sein und wollte als solche widerspruchslos anerkannt und gelebt werden. Darum versuchte er, wie jede Weltanschauung und Religion, den Menschen „total“ zu erfassen.265 Politische Par- teien sind zu Kompromissen geneigt, Weltanschauungen niemals. …Weltanschau- ungen proklamieren ihre Unfehlbarkeit.266 Hitler begriff sich als neuer Messias, der die heilsgeschichtliche Mission einer Erlösung von dem Bösen zu erfüllen habe. So glaubte er im Sinne des allmächtigen Schöpfers gehandelt zu haben, indem er sich des Juden erwehrte, kämpfte er für das Werk des Herrn. Die Aufgabe, mit der Christus begann, aber nicht vollendete, wollte er zu Ende führen.267 Die Betriebsführer der Volkswagenwerke, Porsche und Piëch, wurden am 16. Dezember 1945 in Frankreich inhaftiert. Sie wurden beschuldigt, u.a. Kriegs- verbrechen an Zwangsarbeitern begangen zu haben. Erst am 1. August 1947 entließ man sie gegen eine hohe Kaution aus der Untersuchungshaft. Ein Jahr später wur- de die eingeleitete Untersuchung eingestellt.268 Es wird die Zeit nach dem Kriege kommen, da ich mich hundertprozentig für das Volkswagenwerk einsetzen kann. So Porsche auf einem Betriebsappell anlässlich der Auszeichnung zum „Pionier der Arbeit“ im Hauptwerk am 21. Mai 1942.269 Dies wurde ihm von der britischen Besatzungsmacht nicht vergönnt. Wir vergessen nie, woher wir kommen. Wir sind sicherlich kein großes Unternehmen. Aber was für uns zählt, sind unsere Tradition und unsere Geschichte. (Porsche AG)270

1946

1946 wurde die Ausbildung im Vorwerk fortgesetzt. Im Frühjahr erfolgten die ers- ten drei Neueinstellungen. Betriebsrat Hubert Masurat erinnerte sich in seiner Rede am 4. März 1988 zum 50-jährigen Jubiläum des Vorwerks so: Wir –soeine Hand- voll vom Jahrgang 43 –die noch nicht ausgelernt hatten, waren bis zum April 1947 die einzigen[?] Lehrlinge. 1947 wurde ein neuer Anfang gesetzt mit der Ausbildung von 16 neuen Lehrlingen im Vorwerk.271 Immerhin hatten drei Lehrlinge des Vor- werkes an der ersten Nachkriegs-Facharbeiterprüfung der IHK am 7. März 1946 mit Erfolg teilgenommen. Einer davon hatte seine Lehre im April 1940 begonnen, im Oktober 1942 meldete er sich zur Wehrmacht, Ende Oktober 1945 setzte er die Ausbildung im Vorwerk fort und erhielt am 31. März 1946 ein Lehrabschluss- Zeugnis ausgehändigt. Im Herbst 1946 waren es schon zehn und im Frühjahr 1947

265 Vgl. StippeL, Fritz: Die Zerstörung der Person. Donauwörth, 1957, S. 34. 266 hitLer (wie Anm. 64), S. 507. 267 Vgl. Schmidt-SaLOmOn, Michael: Jenseits von Gut und Böse. München und Zürich 2009, S. 96 u. hitLer (wie Anm. 64) S. 70 u. 751. 268 mOmmSen, grieger (wie Anm. 3), S. 942ff. 269 Vgl. Unser Betriebsführer. Prof. Dr. h. c. Ferdinand Porsche – Pionier der Arbeit. In: Das Volks- wagenwerk und wir, 1. Jg., 2. Folge Mai/Juni 1942, S. 2. 270 SchieFLer, Janine, Kühne, Oliver: Gemeinsame Geschichte verbindet. In: History Marketing, MTP. Mehrwert, 2009, 10, S. 9. 271 Redemanuskript in Privatbesitz.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Werksberufsschule der Volkswagenwerk GmbH 197 dann acht Lehrlinge,272 wobei in diesen Prüfungen ebenfalls wie 1944/45 auf die erheblichen Ausbildungsdefzite Rücksicht genommen wurde. Dennoch ließen die Prüfungsergebnisse durchweg zu wünschen übrig.273 Der Belegschaftsbericht, Werk Braunschweig, weist zum 12. April 1946 schon einen Bestand von 32 Lehrlingen/ Praktikanten aus.274 Es müssen sich wohl auch Lehrlinge aus dem noch starken 7. Jahrgang 1944 zurückgemeldet haben oder nach erfolgtem Abbruch der Lehre wieder eingestellt worden sein. Der Betriebsrat hatte gegenüber der Werksleitung im Juni 1946 eingeräumt, dass die Entlassungen aufgrund von Entnazifzierungs- maßnahmen gerechtfertigt seien, stellte aber fest, dass die Behandlung einiger Per- sonen, insbesondere der Jugendlichen …zuhart sei.275 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch „die vom Glauben begeistertsten“ Lehrlinge aus dem Vorwerk davon betroffen waren. Auf Befehl der Alliierten mussten zur Gruppe I und II eingereihte Schar-, Gefolgschafts- und Stammführer der HJ entlassen werden oder wurden nicht eingestellt, auch wurde ihnen das Wahlrecht aberkannt. Auf Grund der Amnestieverordnung vom 20. Sept. 1946 wurden einer dieser ehrenamtlichen HJ-Führer des Vorwerkes im Februar 1947 und viele andere der Jahrgänge 1922 bis 1928 von den Spruchkammern „amnestiert“.276 Die NSDAP- und DAF-Propaganda-Presseorgane, die von 1938 bis 1945 über das Volkswagenwerk und seine Lehrlinge, Arbeiter und Produkte berichteten, lagen mit einer Prophezeiung beinahe einmal richtig. Sofort nach Beendigung des Krieges wird das Volkswagenwerk seine Aufgabe erfüllen und die Motorisierung des ganzen deutschen Volkes verwirklichen. … Alle Sparer sollen gewiß sein, daß das Fahrzeug, das sie später in die Hand bekommen werden, dem letzten Stand der Automobil- technik entsprechen wird.277 Zahlreiche Sparer mussten allerdings für ihren ersten „Käfer“ den Kaufpreis zweimal bezahlen. Der als Hitlerjunge unentdeckte Jude Sally Perel, Werkzeugmacherlehrling und Berufsschüler in der VW-Werkberufsschule, veröffentlichte 1986 seine Lebens- erinnerungen. Im September 2009 besuchte der in Israel lebende 85-jährige Perel Braunschweig. Dort hielt er Vorträge an zwei Berufsschulen und richtete ein Gruß- wort an die Belegschaft seines ehemaligen Ausbildungsbetriebes.

272 Vgl. gUtzmann,LUpa (wie Anm. 124), S. 35. 273 Vgl. Schreiber (wie Anm. 168), 1986, S. 38. 274 Belegschaftsberichte Werk Braunschweig, 30.05.45 – 31.12.50. UVW 61/8.001. 275 Vgl. Betriebsrat an Münch vom 25.06.1946. UVW Z 69, Nr. 152. Zit. nach: LUpa, M.: Das Werk der Briten. Wolfsburg 1999, S. 16. 276 Ein Bescheid im Besitz des Verfassers. 277 Unser KdF Wagen. In: Arbeitertum, 8. Jg. 1938/39, Folge 14, S. 21.

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von

Horst A. Wessel

Als Karl Karmarsch 1831 in Hannover seine höhere Gewerbeschule, die Vorläufe- rin der Technischen Hochschule von 1879 und der heutigen Universität, gründete, wähnte sich der gebürtige Wiener in der Provinz. Seine nach der Bereisung des Königreichs erstellten Berichte zeigen einen wirtschaftlich und gesellschaftlich durch und durch landwirtschaftlich geprägten Staat. Für die Industrialisierung herrschten hier wie im benachbarten Herzogtum Braunschweig lokal recht unterschiedliche Voraussetzungen; die unternehmerischen Ansätze, die es hier und da gab, bauten meistens auf der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse auf.1 Seit 1838 ver- band die erste deutsche Staatseisenbahn Braunschweig und Wolfenbüttel, 1844 er- folgte die Inbetriebnahme der Strecke Hannover-Braunschweig, an der auch Peine liegt, und nachdem 1847 die Köln-Mindener Eisenbahn eröffnet worden war, be- stand eine durchgehende Verbindung ins Rheinland.2 Nach Osnabrück fuhr aller- dings weiterhin die Postkutsche, die viermal die Zollgrenze (mit Gepäck- und Per- sonenkontrolle) passierte; sie brauchte für die Strecke Osnabrück-Hannover volle drei Tage!3 Die Handweberei, die als Nebengewerbe zur Landwirtschaft vor allem in den Wintermonaten betrieben wurde, büßte seit den 1830er Jahren ihre Konkurrenz- fähigkeit ein.4 Der Maschinenbau-Pionier Georg Egestorff musste wiederholt fest- stellen, dass seine Erzeugnisse weder hinsichtlich Qualität und Leistung noch der Preise wettbewerbsfähig waren. Das ist bemerkenswert, weil Hannover aufgrund seiner engen Beziehungen zu England viele Neuerungen früh erprobte. So erhielt

1 Wilhelm treUe: Niedersachsens Wirtschaft seit 1760. Von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Hannover 1964; Birgit pOLLmann: Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Braunschweig seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Strukturen und Probleme. In: BsJb 63 (1982), S. 89–109; Karl Heinrich KaUFhOLd: Zur wirtschaftlichen Entwicklung im Königreich Hannover – Überlegung zu einer Revision eines überkommenen Bildes. In: Herrschaftspraxis und soziale Ordnungen im Mittel- alter und in der frühen Neuzeit. Ernst Schubert zum Gedenken. Hannover 2006, S. 531–542; Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Braunschweigischen Landes vom Mittelalter bis zur Gegen- wart. Band III: Neuzeit. Hrsg. von Karl Heinrich KaUFhOLd, Jörg LeUSchner, Claudia märtL. Hildesheim 2008. 2 Sabine meSchKat-peterS: Eisenbahnen und Eisenbahnindustrie in Hannover 1835–1914. Han- nover 2001 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 119). 3 Gerhard Lucas meyer, Begründer des Peiner Walzwerkes und „Vater“ der Ilseder Hütte: Erinne- rungen aus meinem Leben. 1830–1916. Peine 1995 (Schriftenreihe des Kreismuseums Peine 12), 1995, S. 34 u. 35. 4 Ebd., S. 42. Vgl. Johannes LaUFer: Zwischen Heimgewerbe und Fabrik. Der Strukturwandel des Textilgewerbes im südlichen Niedersachsen im 19. Jahrhundert. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 71 (1999), S. 201–222.

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Hannover als erste Stadt bereits 1825 – vor Berlin und Hamburg – eine moderne Gasbeleuchtung.5 Das Königreich Hannover und das Herzogtum Braunschweig wa- ren allerdings Mitte des 19. Jahrhunderts, als Sachsen und Oberschlesien sowie das Bergische Land (im Osten von Düsseldorf) und das Siegerland in wirtschaftlicher Blüte standen, das Saarland und das Ruhrgebiet zum großen industriellen Sprung angesetzt hatten, Städte wie Berlin, Stuttgart, München, Nürnberg, Augsburg und Karlsruhe schon einen bedeutenden Maschinenbau besaßen, noch keine Industrie- staaten. Die Böden waren ertragreich, und die Landeserzeugnisse fanden, wenn auch meist außerhalb der Region, guten Absatz; die Bevölkerungszahlen stiegen deutlich an. Wer keinen Hof erbte oder durch Heirat erwarb, der blieb, ohne eine Familie gründen zu können, auf dem Hof des Bruders oder musste abwandern.6 Nach der Jahrhundertmitte änderten sich die Verhältnisse grundlegend. Etwa zur gleichen Zeit, als in Osnabrück die Georgs-Marienhütte gegründete wurde, plante ein Bankier aus Celle die Zukunft der Region Ilsede-Peine. Er beabsichtigte, die seit langem bekannten, wenn auch wenig eisenreichen, jedoch mit Phosphor belasteten Erze mit der, wie Gutachter versichert hatten, gleichfalls hier sowie im Braunschwei- gischen vorhandenen Steinkohle zu verhütten und das dabei gewonnene Roheisen an die Harzhütten und weiter ostwärts zu verkaufen. Die Erzgewinnung im Tage- bau und der Frachtvorsprung gegenüber den Ruhrhütten versprachen einträgliche Geschäfte. Er beantragte Konzessionen für den Bergbau sowie für die Errichtung und den Betrieb eines Hüttenwerkes. Dieser Mann plante Großes – etwas, was es in Deutschland noch nicht gab: Das Hüttenwerk in Groß Ilsede sollte acht Hochöfen mit allen Nebenanlagen umfassen, außerdem eine Gießerei, ein Walzwerk und eine Maschinenfabrik betreiben. Dafür war eine Investitionssumme in der damals unvor- stellbaren Höhe von fünf Millionen Talern veranschlagt. Den Investoren wurden Dividenden in Höhe von 25 bis 30 Prozent in Aussicht gestellt und der Gemeinde Groß Ilsede ein jährlicher Zuschuss von 1000 Talern zugesichert.7 Zwar gab es warnende Stimmen, die die Pläne als hochfiegend, die Steinkohle als nicht vorhanden und die Erze als ungeeignet bezeichneten, aber einige Wage- mutige waren bereit, in die Zukunft zu investieren; selbst einige Hamburger Banken gewährten Kredite ohne entsprechende Sicherheiten. Die reichten jedoch bei wei- tem nicht aus; dennoch begann der Bankier noch vor der Konzessionserteilung mit dem Bau des Hüttenwerkes und geriet prompt nach dem Ausbruch der so genann- ten ersten „Weltwirtschaftskrise“ von 1857 in große fnanzielle Bedrängnis. Als die Kredite nicht mehr bedient werden konnten, ging er ins Wasser.8

5 Horst A. weSSeL: Die Versorgung von Kommunen mit Gas, Wasser und elektrischer Energie von etwa 1840 bis 1914. In: wySOcKi, J. (Hsg.): Kommunalisierung im Spannungsfeld von Regulierung und Deregulierung im 19. und 20. Jahrhundert. Berlin 1995 (Schriften des Vereins für Socialpoli- tik, Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften NF 240), S. 49–89. 6 Wilhelm treUe: Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit. Das Zeitalter der technisch-industriellen Re- volution 1700 bis 1966. 2. Aufl. Stuttgart 1966 (Kröners Taschenausgabe 208), S. 512–560; vgl. a. Anm. 1. 7 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 917 (Gründungsgeschichte). 8 Joachim StUdtmann: Carl Hostmann und die Bergbau- und Hütten-Gesellschaft zu Peine. Han- nover 1953 (Schriften der Wirtschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens NF 35), S. 8–16.

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Abb. 1: Aktie Ilseder Hütte, 1859

Die Kreditgeber und Anteilseigner standen vor einem Hüttenplatz, auf dem sich erst in Umrissen ein Hüttenwerk abzeichnete. Nicht einmal die Erzkonzessionen gehörten ihnen; sie waren auf den Namen des gescheiterten Bankiers ausgestellt und befanden sich nun im Besitz der Witwe. Weil auch noch keine staatliche Ge- nehmigung für das Werk erteilt worden war, galt die Gründung als nicht zustande gekommen. Um nicht sämtliches Kapital zu verlieren, beschloss eine Aktionärsgrup- pe unter der Leitung von Carl Haarmann, dem Schwiegersohn des gescheiterten Pioniers, die Gründung einer Hüttengesellschaft und den Erwerb der Erzkonzes- sion. Die dabei bleibenden Aktionäre wurden für den Verlust – nach Bereitstellung von neuem Kapital – teilweise durch Vorzugsanteile entschädigt.9 Die Gesellschaft konstituierte sich am 6. September 1858 unter der Firma „Actien-Gesellschaft Ilseder Hütte“ (Abb. 1). Es war weniger Kapital zusammen-

9 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 3510 (Verwaltungsrat); Nr. 3489 (Konkurs und Kom- mission); Nr. 3490 (Finanzministerium); Nr. 3491 (Angaben 1858–1860); Nr. 970 (revidiertes Statut); Nr. 2 (Geschäftsbericht für 1865).

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 202 Horst A. Wessel gekommen, als man für den Bau und die Inbetriebnahme brauchte. Deshalb war man auf weitere Bankkredite angewiesen, die im Königreich nicht zu erhalten waren und die man mangels Vertrauens in die Gründung nur unter schlechten Konditionen in Hamburg und in Süddeutschland erhielt. Trotzdem gelang es, die Anlagen inner- halb von zwei Jahren so weit zu vervollständigen, dass der Betrieb mit zwei Hoch- öfen am 21. September 1860 eröffnet werden konnte. Im Frühjahr 1861 wurden 212 Arbeiter beschäftigt; damit war das Hochofenwerk im ländlichen Groß Ilsede der mit Abstand größte Gewerbebetrieb im weiten Umkreis.10 Die Aktionäre kamen zum überwiegenden Teil aus der Region, hauptsächlich aus Celle und dessen Umgebung, vereinzelt auch aus Hamburg, wie der Inhaber der Berenberg-Bank, die dem Unternehmen (wie die Familie Gossler und viele andere Anteilseigner auch) über Generationen verbunden blieb. Der bereits erwähnte Carl Haarmann übernahm den Vorsitz im Verwaltungsrat der Gesellschaft und blieb in dieser Funktion bis zu seinem Tod für das Unternehmen tätig. Er war es auch gewe- sen, der Gerhard Lucas Meyer für die Mitwirkung im Verwaltungsrat und insbeson- dere als Delegierten dieses Kontrollgremiums im Vorstand der Gesellschaft gewon- nen hatte. Gerhard Lucas Meyer war der erste der vielköpfgen Meyer-Dynastie, die über drei Generationen hinweg im Unternehmen leitend tätig sein sollte.11 Gerhard Lucas war zweifellos der mächtigste und erfolgreichste. Obwohl Mitglied des Ver- waltungsrats, brachte er quasi als Generaldirektor die Gesellschaft auf Erfolgskurs. Er ließ eine Eisenbahnverbindung zwischen dem Hüttenwerk und den Erzgruben auf der einen sowie auf der anderen Seite zwischen der Staatsbahnstation in Peine errichten; er ordnete die Finanzen, kontrollierte das Leitungspersonal und schrieb sogar, wie er in seinen Erinnerungen stolz bekannte, die Geschäftsberichte.12 Die Belegschaft stammte, von einigen Fachkräften abgesehen, aus der Regi- on Ilsede-Peine. Dabei handelte es sich meist um kleine Landeigentümer oder um grundbesitzlose Landarbeiter. Während erstere nun neben ihren Rüben auch Erz „ernteten“, erhielten die anderen durch eine industrielle Tätigkeit erst die Möglich- keit, eine eigene Existenz aufzubauen und zu sichern. Die Gesellschaft zahlte nicht nur gute Löhne, sondern bot auch für die damalige Zeit einzigartige Absicherungen gegen die Wechselfälle des Lebens, großzügige Wohnungen zu günstigen Mietbedin- gungen13 und bereits damals schon eine Gewinnbeteiligung für alle Beschäftigten: Die Einlagen bei der Werkssparkasse wurden nicht nur mit fünf Prozent vergütet, sondern erhielten darüber hinaus einen Überzins in Höhe der jeweils gezahlten Divi- dende (erst die Nationalsozialisten haben diese ebenso segensreiche wie vorbildliche Einrichtung abgeschafft).14 Die Inhaber großer Höfe waren über die Lohn- und Sozialpolitik des Unter- nehmens nicht begeistert; denn um gute Leute zu halten, mussten sie nun höhere

10 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 2 (Bericht vom 19.03.1859). 11 Wilhelm treUe: Die Geschichte der Ilseder Hütte. Peine 1960, S. 56–63; vgl. a. Arnim pLett: Hamburg-Ilsede und zurück: Die Ilseder Hütte und die Berenberg-Bank Hamburg – zur Geschich- te einer Geschäftsbeziehung. In: BsJb 88 (2007); vgl. a. Anm. 3. 12 meyer (wie Anm. 3), S. 74. 13 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 7367 (Entwicklungsgeschichte der Ilseder Hütte). 14 Ebd., Nr. 3767 (Geschäftsbericht für 1872).

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Löhne zahlen und andere Vergünstigungen bieten. Andererseits wussten sie jedoch die Vorteile zu schätzen, die ihnen die Industrialisierung bescherte: Sie verdienten durch den Abbau und den Transport von Erzen, die Verpachtung bzw. den Verkauf von Grundstücken; sie zogen Vorteile aus dem Bau von Straßen und Eisenbahn- strecken, proftierten von der gestiegenen Kaufkraft der Bevölkerung und dem rasch wachsenden Abnehmerkreis in ihrer näheren Umgebung.15 In den ersten Jahren litt das Unternehmen unter der knappen Kapitalausstattung, technischen Problemen, dem Mangel an Fachkräften, insbesondere in den Leitungs- funktionen, sowie unter der allgemein schlechten Wirtschaftslage. Es war wiederholt in seiner Existenz bedroht, hat jedoch schließlich durch besondere Anstrengungen die Krisen überwunden.16 Der hohe Phosphorgehalt des Roheisens erschwerte dessen Absatz. Die dadurch niedrigeren Verkaufspreise konnte man sich leisten, weil man nicht nur auf dem Erz „saß“, sondern dieses auch ohne großen Aufwand im Tagebau gewonnen werden konnte. Der Steinkohle- bzw. Koksverbrauch war schließlich weitaus geringer, als die Fachleute ursprünglich veranschlagt hatten. Der Ausbau des Werkes, der Erz- gruben und der Verkehrsanlagen wurde nicht durch die Erhöhung des Aktienka- pitals fnanziert, sondern durch Gewinneinbehaltung. Die erste Dividende wurde, abgesehen von der nicht verdienten des Jahres 1861, für das Geschäftsjahr 1865 gezahlt; dann wurden jedoch regelmäßig Dividenden verteilt – allerdings bei weitem nicht in dem Umfang, wie der gescheiterte Gründer versprochen und die der erwirt- schaftete Gewinn möglich gemacht hätte; dies geschah mit Zustimmung durch die Anteilseigner und unter Steigerung des Börsenkurses.17 Produziert wurde inzwischen mit vier Hochöfen, wobei einer jeweils in Reserve gehalten bzw. neu zugestellt wurde; außerdem wurde in Groß Ilsede eine Kokerei eingerichtet, die eine weitere Kostensenkung beim Einsatzmaterial brachte und da- rüber hinaus preiswerte Energie bereitstellte. Anfang der 1870er Jahre konnte die Existenz des Unternehmens als gesichert angesehen werden. Die Strategie, nämlich die Verhüttung des Erzes in der Region, war aufgegangen und erfolgreich. 1872 und 1873 schütte das Unternehmen Dividenden aus, von denen wir heute nicht einmal träumen: 20 und 36 Prozent – davon proftierten, wie erwähnt, auch alle Beschäftigten (soweit sie Sparkapital gebildet hatten).18 Weil man sich zu Recht einen Mehrgewinn von der Weiterverarbeitung des Roheisens versprach, errichteten Aktionäre der Ilseder Hütte im benachbarten Peine ein Stahl- und Walzwerk, das 1873 in Betrieb ging (Abb. 2). Hier wurde bald die gesamte Ilseder Roheisenerzeu- gung verarbeitet.19 In den 1880er Jahren wurde die Stahlerzeugung auf das damals moderne Thomas-Stahlverfahren umgestellt und der zeit- und personalaufwändige

15 Ebd., Nr. 2 (Geschäftsbericht für 1867). 16 Ebd., Nr. 2 (Geschäftsbericht für 1862/1863); Nr. 2 (Geschäftsbericht für 1864); ferner Horst A. weSSeL: Stahl und Technologie. Die Geschichte der Salzgitter AG 1858–2008. Salzgitter 2008, S. 23–56. 17 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 2 (Geschäftsbericht für 1864 und 1865). 18 Ebd., für die genannten Jahre. 19 Ebd., Nr. 497 (Geschäftsbericht für 1873); Nr. 977.

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Abb. 2: Peine, Verladeeinrichtung für Trägermaterial, 1902

Puddelprozess beendet.20 Mit der Umstellung auf das saure Flüssigstahl-Verfahren ließ sich auch das Phosphorproblem endgültig lösen. Man gewann sogar einen neu- en Wertstoff; denn der in der Schlacke gebundene Phosphor wurde gemahlen und zu einem guten Preis als Dünger an die Landwirtschaft verkauft. Dafür wurde eine eigene Fabrik in Peine errichtet, die später – wie das Stahl- und Walzwerk sowie ein Walzwerk in Marienhagen auf die Ilseder Hütte überging.21 Für den Betrieb des Stahl- und Walzwerks benötigte man im großen Umfang Fachkräfte, die zum überwiegenden Teil auswärts angeworben werden mussten. Die Siedlungen wuchsen; desgleichen die Ansprüche an Bildungs-, Kultur-, Freizeit- und Gesundheitseinrichtungen.22 Das Unternehmen versagte sich auch hier nicht. Neben weiteren Siedlungen entstanden auch werkseigene oder werksseitig geförderte Schul- einrichtungen. Der Verwaltungsrat stellte dazu fest: „Wenngleich die Leistungen der Gesellschaft für die betriebenen humanitären Einrichtungen einen ansehnlichen Be- trag ausmachen, so ist die Verwaltung doch darüber nicht im Zweifel, dass sie darauf

20 Ebd., Nr. 970 (Geschäftsbericht für 1878–1882); ferner weSSeL (wie Anm. 16), S. 71–75. 21 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 979, für die genannten Jahre; Nr. 1746 (Personalakte Dr. Gerhard Meyer); Nr. 556; vgl. a. Wilhelm meyer: 50 Jahre Ilseder Hütte. 1858–1909. Groß Ilsede 1908, S. 86–87, 98–99; meyer (wie Anm. 3), S. 87; ferner weSSeL (wie Anm. 16), S. 108– 110. 22 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 978 (Geschäftsbericht für 1881); Nr. 496 (Geschäfts- bericht für 1873/74); vgl. a. meyer (wie Anm. 3), S. 81–82, 87.

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Abb. 3: P-Trägerprogramm, undatiert nicht nur eine soziale Pficht erfüllt, sondern dass sie auch damit die Interessen der Gesellschaft wesentlich gefördert hat …“23 Die folgenden Jahrzehnte bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nahm das Unternehmen eine fast ungestörte, erfolgreiche Entwicklung. Kein deutsches Un- ternehmen der Montanindustrie zahlte höhere Dividenden und gewährte der Be- legschaft höhere Erfolgsbeteiligungen. Im Durchschnitt der 30 Jahre waren es 37,5 Prozent – in einem Falle sogar 70 Prozent! (also weitaus mehr, als selbst der allzu optimistische Pionier des gescheiterten Hüttenprojekts prognostiziert hatte).24 Be- reits 1876 waren kleine Trägerprofle gewalzt worden. In den folgenden Jahrzehnten wurden Walzwerk und Walzprogramm erweitert. Insbesondere das schwere Material fand im Hochbau der rasch wachsenden Städte guten Absatz. Das Peiner Walzwerk erarbeitete sich damals einen Ruf als leistungsstarker Partner für die Herstellung von Eisenträgern und stand bald an der Spitze der Wettbewerber; der Peiner Träger wurde zum Synonym für Qualitätsträger – wie zur selben Zeit das Mannesmannrohr für nahtlose Stahlrohre (Abb. 3). Aus den Vertriebsabteilungen, die zunächst den Produktionsbetrieben zugeordnet gewesen waren, gingen rechtlich und wirtschaft- lich selbständige Handelsgesellschaften hervor, die Vorgänger des heutigen Salzgit- ter Mannesmann Handels.25 Nach dem Ersten Weltkrieg machte die Reichsregierung – entgegen den getrof- fenen Abmachungen – die Aufwendungen, die zur verstärkten Eigenversorgung der deutschen Hüttenwerke aus den Gruben der Ilseder Hütte gemacht worden waren, geltend und drohte mit Verstaatlichung. Zwar ließ sich diese mit Hilfe auch

23 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 799 (Geschäftsbericht für 1883). 24 Ebd., Nr. 978 und Nr. 979, für die genannten Geschäftsjahre; meyer (wie Anm. 21); weSSeL (wie Anm. 16), S. 98–135. 25 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 799; Nr. 911; Nr. 1007, für die genannten Geschäftsjahre; Erich cOrdS: Die technische Entwicklung des Peiner Walzwerks. 1872–1952. Düsseldorf 1952.

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Abb. 4: Hüttenwerk Salzgitter, ca. 1937 der Belegschaft und der Gewerkschaften verhindern – dabei wurden die freiwilli- gen Sozialleistungen besonders hervorgehoben. Aber eine mehr als 25-prozentige Beteiligung des Reiches und dessen Mitwirkung im Aufsichtsrat ließen sich nicht vermeiden. Allerdings hat sich die anfangs als „Überfremdung“ empfundene Betei- ligung des Reiches bzw. der reichseigenen Vereinigten Industrie-Unternehmungen (VIAG), auf die die Reichsbeteiligung übertragen wurde, nicht nachteilig auf die weitere Entwicklung des Unternehmens ausgewirkt.26 Mit dem Erwerb einer Zeche im Ruhrrevier sicherte sich die Ilseder Hütte ihren Steinkohle- bzw. Koksbedarf.27

26 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 2084 (Protokolle der Aufsichtsratssitzungen vom 26.02.1919, 12.07,1919, 17.07.1919, 23.08.1919, 06.10.1919, 28.02.1921, 30.05.1923 und 16.09.1930); Nr. 7367 (1916–1930); Nr. 5 (Aufsichtsratssitzung vom Juni/Juli 1925); Nr. 1008 (außerordentliche Generalversammlung vom 25.11.1919); Rechtsabteilung der Salzgitter AG, Aktenorder „VIAG“; vgl. a. Arnim pLett: Ein Mann (in) seiner Zeit – Ewald Hecker, Vorsit- zender des Aufsichtsrats der Ilseder Hütte (1929–1945). In: BsJb 86 (2005), S. 109–127; ferner weSSeL (wie Anm. 16), S. 149–159. 27 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 2084 (Protokolle der Aufsichtsratssitzungen vom 02.02.1921 und 29.05.1922); Nr. 556 (Protokoll der Vorstandssitzung vom 21.11.1921); Nr. 2260, (1918 bis 1922); Nr. 2084 (Protokolle der Aufsichtsratssitzungen vom 28.02.1921, 24.02.1921 und 12.04.1921); Nr. 7367 (1921); Nr. 556 (Protokolle der Vorstandssitzungen vom 04.04.1921 und 11.11.1924); Nr. 2084 (Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 25.03.1920); Nr. 7367 (1923/24); Nr. 613 (Erwerb 1919–1921).

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Einen großen Einschnitt bedeutete die Gründung der Reichswerke Hermann Göring im Jahr 1937, insbesondere der Bau und die Inbetriebnahme des Hütten- werkes in der nahen Salzgitter-Region. Wichtige Investitionsvorhaben mussten zu- rück- und schließlich ganz eingestellt, wertvoller Erzbesitz, die Existenzgrundlage der Ilseder Hütte, abgetreten werden; selbst bei der Versorgung mit Energie und Arbeitskräften sah man sich plötzlich im Wettbewerb und aus politischen Gründen sogar unterlegen. Widerstand war wegen des totalitären Machtanspruchs der nati- onalsozialistischen Regierung und ihres Prestigehüttenwerkes nicht nur zwecklos, sondern gefährlich und u.U. sogar lebensbedrohlich.28 Was innerhalb von Monaten in der Salzgitter-Region an Industrie- und Wohn- anlagen entstand und buchstäblich auf den Acker gestellt wurde (Abb. 4), das hatte kein Vorbild und setzte selbst bedeutende Stahlindustrielle wie Ernst Poensgen, den Vorstandsvorsitzenden des größten Stahlkonzerns in Europa, in Erstaunen. Das Zu- sammenleben so vieler Menschen, davon knapp die Hälfte aus dem Ausland, war nicht einfach – zumal in den Barackensiedlungen. Da sich die Polizei außer Stande sah, der fast täglichen Trunkenheitsexzesse und Gewalttaten Herr zu werden, wurden die Wohnlager unter die Aufsicht der Deutschen Arbeitsfront, der SA und der SS ge- stellt. Ein Teil der neuen Stammbelegschaft konnte bald vorbildlich angelegte Wohn- siedlungen beziehen.29 Als nach dem Scheitern der deutschen Wehrmacht vor Mos- kau, 1941, immer mehr deutsche Arbeitskräfte eingezogen wurden, traten an deren Stelle in rasch wachsender Zahl Kriegsgefangene, ausländische Zivilarbeiter und in Salzgitter sogar KZ-Häftlinge. Ende 1939 hatten mehr als 25000 ausländische Zivil- arbeiter verschiedener Nationalität sowie deutsche Männer und Frauen, überwiegend freiwillig, im Hüttenwerk in Salzgitter gearbeitet. 1941 stammte mehr als die Hälfte der Belegschaft aus dem Ausland – in der Mehrheit zwangsweise. Im Juni 1944 beschäftigte die Gesellschaft mehr als 15000 Kriegsgefangene, 2000 Wehrmachts- gefangene und mehr als 11000 KZ-Häftlinge. In der Region gab es drei Außenlager des KZ Neuengamme, eines davon auf dem Hüttengelände – die jüngsten KZ-Insas- sen waren nicht älter als 15 Jahre alt. Die Arbeitsbedingungen waren unmenschlich, die Versorgung in jeder Hinsicht unzureichend. Es kam zu Hungerrevolten und Auf- ständen gegen die ungerechte Behandlung. Mehr als 7500 Menschen sind im Hüt- tenwerk Salzgitter und in den angegliederten Betrieben ums Leben gekommen – die meisten von ihnen durch Luftangriffe auf die ungeschützten Wohnlager (Abb. 5). Viele der gegen Kriegsende in Güterzügen abtransportierten rd. 2500 KZ-Häftlinge starben bei einem Tieffiegerangriff auf den Bahnhof Celle.30

28 Ebd., Nr. 4357 (Erzvertrag); Nr. 993 (abgetretene Erzfelder, 1937); Nr. 994 (Enteignung und Zu- sammenschluss, 1937/38); Nr. 2085 (Aufsichtsratssitzung vom 28.09.1937, Investitionen); Nr. 6 (Aufsichtsrat); Nr. 2085 (Aufsichtsratssitzungen vom 11.01.1938 und vom 24.01.1938); Nr. 4034 (Übergabe von Grundstücken). 29 Ebd.; Niedersächsisches Wirtschaftsarchiv Braunschweig (zukünftig NWA) 2, Nr. 9962–Nr. 9964 (Arbeitskräfte, 1938–1942); Nr. 2354 (Personalfragen); Ebd., Nr. 11291 (Planung v. 14.07.1938); Nr. 1758; Nr. 3894; Nr. 2711; Nr. 2707; Nr. 5363; Nr. 4656; Nr. 2713; Nr. 4657; Nr. 2734 (Woh- nungs-AG, Gründung, Bauprogramm, Finanzierung, 1938–1945); ebd., Nr. 30ff (Plansammlung von Häusern, Schulen etc.); vgl. a. Frankfurter Zeitung vom 26.08.1940; ferner weSSeL (wie Anm. 16), S. 202–217. 30 NWA 2, Nr. 9959, Nr. 9960 und Nr. 10636 (sowjet. Kriegsgefangene, 1940–1943); Nr. 9961

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Abb. 5: Wohnlager in Watenstedt nach Fliegerangriff, 5.7.1941

(franz. Kriegsgefangene, 1942–1944); Nr. 8929, Nr. 10633–Nr. 10636 und Nr. 11504 (Ostarbeiter, 1942–1944); Nr. 9958 (ukrain. Facharbeiter, 1943); Nr. 11291 (Arbeitskräfte); Nr. 9979 (Arbeits- erziehung von „Bummelanten“ und Flüchtlingen, 1943–1945); Nr. 9589, 2 und 3 (Vermietung des Arbeitserziehungslagers Hallendorf an die Gestapo, 1941–1945); Nr. 4870 (Gestapo-Krankenhaus Lager 21 in Watenstedt); Nr. 10634 (KZ-Häftlinge aus Neuengamme und Oranienburg auf der Hütte, 1942–1945); Nr. 11291 (Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge); Nr. 5551 (Prozess gegen Pleiger in Nürnberg, 1947–1949); Nr. 2974 (Errichtung eines Krematoriums für russ. Kriegsgefan- gene, 1942); Ebd., 1009 N Zg 55/2001, Nr. 2566 (Ostarbeiterinnen), Nr. 4106 (sowjet. Kriegs- gefangene im Erzbergbau, 1941–1943); Nr. 2274 (Kriegsgefangene / Ostarbeiter / franz. Zivil- arbeiter, 1940–1945); Nr. 2276 (Statistik der beschäftigten Arbeitskräfte, 1941–1943); Nr. 1790 (franz. Zivilarbeiter für die Hollerithmaschine, 1943); Nr. 5319 (Verzeichnis der Kriegsgefangenen in Lengede); National Archives (NA) London, WO 309/201 (Bericht H. Weingartner über Ar- beitserziehungslager 21 und Befragung von Dr. G. Kühl, Obersturmbandführer); WO 301/200 (KZ Drütte); vgl. a. Martina marKUS: Die Opfer sind immer die anderen. Zur Notwendigkeit einer Gedenk- und Dokumentationsstelle im ehemaligen KZ Drütte Salzgitter. Salzgitter 1984; vgl. a. Gerd wySOcKi: Zwangsarbeit im Stahlkonzern: Salzgitter und die Reichswerke Hermann Göring 1937–1945. Braunschweig 1982 und derS.: Arbeit für den Krieg: Herrschaftsmechanis- men in der Rüstungsindustrie des „Dritten Reiches“. Arbeitseinsatz, Sozialpolitk und staatspolizei- liche Repression bei den Reichswerken „Hermann Göring“ im Salzgitter-Gebiet 1937/38 bis 1945. Braunschweig 1992 [Diss. Oldenburg 1991]; derS.: Das Konzentrationslager Drütte. Sklavenarbeit für die Reichswerke. In: Wolfgang benz (Hrsg.): Salzgitter. Geschichte und Gegenwart einer deutschen Stadt. 1942–1992. München 1992, S. 111–130; ferner Gudrun FiedLer, Hans-Ulrich LUdewig: Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft im Lande Braunschweig 1939–1945. Braunschweig 2003 (Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Landesgeschichte 39); Elke zachariaS: Ein Ort mit Geschichte: „Ausländerfriedhof“ Jammertal in Salzgitter-Lebenstedt. Salzgitter 2006.

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Die Werke, d.h. die Produktionsanlagen in Salzgitter, in Groß Ilsede und in Peine, haben während des Krieges nur vergleichsweise geringe Schäden erlitten,31 sogar die Ausbildung von Facharbeitern war während des Krieges in Peine weiter- betrieben worden.32 Abgesehen vom Mangel an Kohle waren die Anlagen nach Einstellung der Kampfhandlungen betriebsbereit. Dennoch sollten viele Monate, in Salzgitter sogar Jahre vergehen, bis die Militärverwaltung die Wiederaufnahme des Betriebs erlaubte. Zeitweise waren beide Gesellschaften in Gefahr, der Volldemon- tage zu verfallen und für immer stillgelegt zu werden. Dann jedoch erhielt die Ilseder Hütte das schon lange erwartete Permit, während im Hüttenwerk in Salzgitter nur die Energiebetriebe und die Hauptwerkstatt arbeiten durften. Dabei hatten Tausen- de von Flüchtlingen und Vertriebenen die von den ausländischen Arbeitskräften verlassenen Baracken bezogen, die sehnlichst auf Arbeit im Hüttenwerk, dem ein- zigen industriellen Arbeitgeber der Stadt, warteten.33 Stattdessen wurden auf Befehl der Alliierten die Anlagen demontiert und zusätzlich die Fundamente gesprengt. Die Alliierten nannten dieses sinnlose Zerstörungswerk „Entmilitarisierung“. Da- gegen richtete sich der Protest der Menschen an vielen Orten in Deutschland und der Widerstand der Belegschaft sowie der übrigen auf Arbeit wartenden Menschen. Durch teilweise körperlichen Widerstand der Belegschaft gelang es nicht nur, einige Produktionsanlagen vor der Zerstörung zu bewahren, sondern vor allem auch die Erlaubnis zum Wiederaufbau zu erlangen. Dieser wurde öffentlich gefördert, weil das Hüttenwerk in Salzgitter mit den Reichswerken in den Besitz der Bundesrepub- lik übergegangen war.34 Allerdings haben das späte Wiederanfahren und die sparsame Finanzierung durch die Bundesregierung die Entwicklung der Gesellschaft stark beeinträchtigt. Trotz großer Anstrengungen gelang es nicht, den Betrieb proftabel zu gestalten. Fachleute rechneten sogar noch Ende der 1960er Jahre genau vor, dass eine „tro- ckene Hütte“ ohne Zugang zum Seeverkehr keine Zukunftsperspektive habe und

31 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 2610 (Schadensmeldung vom 22.02.1945); Nr. 1785 (Kriegsschäden); Nr. 6 (Aufsichtsrat, Schreiben von Hecker an von Gossler vom 25.04.1944, betr. Fliegerangriff auf Peine); Nr. 1785 (Kriegsschäden); Nr. 6 (Meldungen vom 03.02.1944, 11.01.1944); Nr. 2571 und Nr. 2572 (Luftschutzmaßnahmen, 1940–1944); Nr. 2610 (Schadens- meldungen vom 22.02.1945); ferner weSSeL (wie Anm. 16), S. 270, 297–298. 32 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 5 (Aufsichtsrat, 1933–1945); Nr. 6 (Aufsichtsratssitzung vom Mai 1939, Lehrwerkstatt); NLA-StA WF, NWA 2, Nr. 2220–Nr. 2228 (Geschäftsberichte); Nr. 2271 (Umschulungs- und Anlernmaßnahmen, 1939–1941). 33 Ebd., NWA 2, Nr. 6316 (Arbeitsbeschaffung, Aussiedlung von Ostflüchtlingen); ferner weSSeL (wie Anm. 16), S. 271–272. 34 National Archives London, FO 1062/102 (Summary of events); FO 1030/233 (Berichte über die Unruhen); FO 1029/38 (Proteste); FO 1032 (Unruhen); FO 1050/486 (dito); FO 1030/233 (Berichte und Stellungnahmen); FO 1050/486 („unreliability of German Police“); FO 1062/100 (Proteste Adenauer, Erhard, Schumacher, Böckler, Seebohm); FO 1030/233 (Robertson-Ade- nauer); Air 48/195 (Schumacher, Adenauer, Erhard); Air 48/195 (Ereignisse am 06.–08. März 1950); NLA-StA WF, NWA 2, Nr. 148 (Übernahme durch den Bund); Nr. 11291 (Bericht an die britische Militärbehörde); vgl. a. Erich bünte u.a.: Zwischen Gesetz und Gewissen. Die Polizei und die Demontage der Reichswerke in Salzgitter 1950. Braunschweig 2006; Rainer SchULze: Salzgitter aus britischer Sicht. In: benz (wie Anm. 30), S. 325–334; IG Metall (Hrsg.): 90 Jahre Industriegewerkschaft 1891–1981. Vom Deutschen Metallarbeiter-Verband zur Industriegewerk- schaft Metall. Köln 1981, S. 370–376.

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noch vor der Jahrtausendwende die Hüt- tenbetriebe in Salzgitter sowie in Ilsede und Peine allesamt verschwunden seien. (Wie gut, dass auch Fachleute irren können und glatte Rechnungen nicht immer aufgehen!) Damals befand sich die europäische Stah- lindustrie in einer großen Krise. Der Wie- deraufbau war vollendet, überall in der Welt waren neue Stahl- und Walzkapazitäten ent- standen. Die deutschen Werke arbeiteten mit hohen Personalkosten.35 Um im Wettbewerb bestehen zu können, mussten neue, größere, möglichst automatisierte Anlagen gebaut werden; das erforderte hohe Investitionen, zumal nicht nur die Hüttenwerke, sondern auch die zu den Unternehmen gehörenden Eisenerz- und Steinkohlenbetriebe moderni- siert werden mussten. Die Steinkohle war als Abb. 6: „Das Wunder von Lengede“ – erste bereits Ende der 1950er Jahre in eine Sonderausgabe der „Ilseder Hütte“ wirtschaftliche Schiefage geraten; beide Gesellschaften haben sich deshalb rd. zehn Jahre später von ihr getrennt. Auch die Abbaubedingungen im Erzbergbau ver- schlechterten sich; denn das Erz musste aus immer größeren Tiefen gewonnen wer- den. Salzgitter und Ilsede waren ohnehin die letzten Hüttenwerke in Deutschland, die Erze überwiegend aus eigenen Gruben in der Region verhütteten. In Erinnerung geblieben ist das Unglück, das die Grube in Lengede 1963 betroffen hat (Abb. 6). 29 Bergleute verloren damals ihr Leben; jedoch elf weitere konnten nach 14 langen Tagen auf spektakuläre Weise gerettet werden.36 Die Werke in Groß Ilsede und Peine waren umgeben von Wohnsiedlungen, Verkehrs- und weiteren Gewerbeanlagen; sie litten unter Platzmangel und zuneh- menden Umweltschutzaufagen. Auch letztere verursachten hohe Kosten für Anlage und Betrieb.37 In den 1960er Jahren bildeten die deutschen Walzwerke mit Billigung

35 NLA-StA WF, NWA 2, Nr. 537 (Wiederaufbau Stahlwerk, 1950/51); Nr. 2043 (Inbetriebnah- me Stahlwerk/Ansprachen); Nr. 12124 (Film); Nr. 7263 (Geschichte, 1953/54); Nr. 2230 (Ge- schäftsbericht für 1953); Nr. 1311 (Daten); Ebd., Nr. 1311 (Daten); Nr. 624 und 625 (Neu- ordnung); Nr. 204 (Betriebsführungsvertrag); Nr. 565–567 (Wirtschaftlichkeit, 1951); Nr. 2728 (Gutachten Frei, 1950); ebd., 1009 N Zg 55/2001, Nr. 2084 (Protokolle der Aufsichtsratssitzungen vom 26.02.1919, 12.07,1919, 17.07.1919, 23.08.1919, 06.10.1919, 28.02.1921, 30.05.1923 und 16.09.1930); Nr. 7367 (1916–1930); Nr. 5 (Aufsichtsratssitzung vom Juni/Juli 1925); Nr. 1008 (außerordentliche Generalversammlung vom 25.11.1919); Nr. 2084 (Protokoll der Aufsichts- ratssitzung vom 25.03.1920); Nr. 7367 (Entwicklung des Aktienkapitals); Rechtsabteilung der Salzgitter AG, Aktenorder „VIAG“; Salzgitter AG-Konzernarchiv/Mannesmann-Archiv (MA), PR 7.7095.1 (Geschäftsbericht für 1953/54); vgl. a. Gisela ecKert: Das Konzern-Archiv der Salzgitter AG. In: Archiv und Wirtschaft 1/2 (1970), S. 8–23; ferner weSSeL (wie Anm. 16), S. 279–290, 338–345, 369–373. 36 Ebd., S. 319, 325, 334–335, 350, 399. 37 Ebd., S. 315, 326, 376–377.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Von der Ilseder Hütte zum Salzgitter-Konzern 211 durch die Bundesregierung und die Montanunion so genannte Walzstahlkontore. Diese übernahmen den Vertrieb und hatten außerdem die Funktion von Rationa- lisierungskartellen. Im Stahlkontor Nord arbeiteten u.a. die Salzgitter Hüttenwerk AG, die Ilseder Hütte und die Klöckner-Werke zusammen. Langwierige Verhand- lungen, die einen Zusammenschluss der drei Gesellschaften in einer neu zu grün- denden Nordstahl AG betrafen, scheiterten.38 Der mit dem Bau der Mauer in Berlin, 1961, versiegende Zustrom von Flücht- lingen verursachte bei den Werken einen akuten Arbeitskräftemangel. Er wurde hauptsächlich durch die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften gedeckt. Rund zehn Prozent der Belegschaften kamen aus Süd- und Südosteuropa, aus Nordafrika und aus der Türkei. Auch hier waren besondere Anstrengungen erfor- derlich, um die neuen Kräfte einzuarbeiten.39 1970 fanden die Hüttenwerke in Ilsede, Peine und in Salzgitter endlich zusam- men. Aufnehmende Gesellschaft war die Ilseder Hütte, die anschließend in Stahl- werke Peine-Salzgitter AG umbenannt wurde – deshalb konnte im Jahre 2008 nicht nur das Jubiläum des Standorts Ilsede, sondern des gesamten Konzerns ge- feiert werden. Die Mehrheit der Anteile an der neuen Gesellschaft befand sich im Bundesbesitz.40 In den folgenden Jahrzehnten wurde das Unternehmen durch die Einrichtung neuer, leistungsstärkerer Anlagen modernisiert. Von 1974 bis 1985 er- folgte eine grundlegende Umstrukturierung der Produktionsanlagen. Während die Standorte Salzgitter und Peine ausgebaut wurden, kamen in Groß Ilsede erst die Hochöfen, später auch die Kokerei u.a. Anlagen zum Stillstand. Trotz hoher Investitionsanstrengungen litt die Gesellschaft, wie andere deutsche Hüttenwerke auch, unter den Folgen der größten und längsten Krise, die die Stahl- industrie je erlebt hat. Es waren hauptsächlich die weltweiten Überkapazitäten und die staatlichen Subventionen, die sogar Regierungen aus Mitgliedstaaten der Mon- tan-Union ihren Not leidenden Hüttenwerken gewährten, die zu einer Verschär- fung der Krise für die deutschen Werke geführt hatten. In dieser Situation einigte man sich europaweit auf Lieferquoten. Außerdem berief die Bundesregierung ein Moderatorenteam, das Vorschläge zur Restrukturierung der deutschen Stahlindus- trie erarbeiten sollte. Diese liefen auf die Bildung größerer, spezialisierter Einheiten durch Zusammenschluss hinaus. Peine-Salzgitter sollte gemeinsam mit Hoesch und den Klöckner-Werken die „Gruppe Ruhr“ bilden. Sitz des neuen Konzerns sollte Dortmund sein; die Werke in Peine und in Salzgitter sollten nur örtliche Betriebs- gesellschaften – ohne jede Unternehmensfunktion – bilden.41

38 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 9342 (4er Kooperation, 1965–1966); Nr. 7573 (Ko- operation, 1966); Nr. 7270 (Ilseder Hütte 1969/70); Nr. 9342 (4er Kooperation, 1965/66); Nr. 9342 (4er Kooperation, 1965/66); Mannesmann-Archiv, PR 7.7100.1 (Geschäftsbericht für 1967, S. 10 und Geschäftsbericht für 1968, S. 12). 39 MA, PR 7.7101 (für die genannten Geschäftsjahre); ferner weSSeL (wie Anm. 16), S. 296–297, 329–332. 40 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 6850 (Fusion); ebd., NWA 2, Nr. 11737 (Fusion). 41 NLA-StA WF, 1009 N Zg 55/2001, Nr. 3136 (Vertrag mit Klöckner, Mai 1966); ebd., NWA 2, Nr. 3194 (Gutachten KfW); ferner weSSeL (wie Anm. 16), S. 340–345.

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Management und Belegschaftsvertretungen waren sich in der Ablehnung des Vorschlags weitgehend einig. Er hätte langfristig eine Stilllegung der Standorte be- deutet. Die Region Peine-Salzgitter wäre zum „Armenhaus“ der Bundesrepublik geworden; denn die Monostruktur der Wirtschaft in dieser Gegend bot praktisch keine Ausweichmöglichkeiten für die, die ihren Arbeitsplatz in den Hüttenwerken verlieren würden. Es kam zu Demonstrationen, an denen sich bis zu 20000 Men- schen beteiligten.42 Ernst Pieper, der Vorstandsvorsitzende der Salzgitter AG sowie Aufsichtsratsvorsitzende der Tochtergesellschaft Peine-Salzgitter, überzeugte die Bundesregierung von der Untauglichkeit dieses Vorschlags. Stattdessen präsentierte er 1989 die Lösung einer Vereinigung mit der Preussag und die Privatisierung u.a. der Hüttenwerke Peine-Salzgitter AG, die später in Preussag Stahl AG umbenannt wurde. Auch jetzt mussten die Anstrengungen, die Hüttenwerke wettbewerbsfähig zu halten, fortgesetzt werden, denn die Krise war noch keineswegs ausgestanden.43 Sie verschärfte sich für die deutschen Hüttenwerke nach Abklingen der boomartigen Wiedervereinigungsnachfrage. Hauptursache war der Zusammenbruch der osteuro- päischen Märkte und der Wettbewerb der osteuropäischen Produzenten mit nied- rigpreisigen Angeboten.44 In dieser Zeit erwarb die Preussag Stahl AG von der Treuhandverwaltung das Grobblechwalzwerk in Ilsenburg am Harz – nicht, um es zu schießen, sondern um es zu modernisieren und auszubauen. Das Grobblechwalz- werk in Salzgitter wurde dagegen aufgegeben.45 Als die Preussag den Schwerpunkt ihrer Unternehmenstätigkeit auf die Touristik verlagerte, empfand man den Stahlbereich als störend. Es folgten Verkaufsverhand- lungen mit deutschen und ausländischen Interessenten. Als die Verhandlungen nicht vorankamen, machte der Vorstand der Preussag Stahl AG den Vorschlag, die Hüt- tengesellschaft zu verselbständigen und deren Anteile an der Börse zu platzieren. Obwohl dieser Vorschlag auch von der Muttergesellschaft und deren Hauptbetei- ligten gebilligt und zügig Vorbereitungen zur Börseneinführung getroffen wurden, überraschte der Vertreter eines ausländischen Wettbewerbsunternehmens Manage- ment und Belegschaft der Preussag Stahl mit der Information, er habe sie gekauft; der Vertrag sei bereits unterzeichnet. Rechtlich war dagegen nichts auszurichten, denn die Gesellschaft gehörte schließlich der Preussag. Dennoch leisteten Vorstand und Belegschaften der Preussag Stahl energischen Widerstand. Und wie durch ein Wunder schaffte es der Vorstand mit Hilfe der niedersächsischen Landesregierung und der Nord/LB, nicht nur die Vollziehung des Kaufvertrags zu vereiteln, sondern sogar die angestrebte Eigenständigkeit doch noch zu realisieren. Innerhalb weniger Monate gelang 1998 die Börseneinführung unter der Firma Salzgitter AG (neu).46 Allerdings blieb der unter gewaltigen Anstrengungen aller Belegschaftsmit- glieder errungene Erfolg nicht ungetrübt, und der Neubeginn drohte ins Stocken zu

42 NWA 2, Nr. 10761 (Aktionen gegen die Stilllegung des Hochofenwerks in Groß Ilsede, 1978); ferner weSSeL (wie Anm. 16), S. 385–388. 43 NWA 2, Nr. 10763 (Widerstand gegen die Privatisierung des Salzgitter-Konzerns, 1989). 44 weSSeL (wie Anm. 16), S. 390–396. 45 Ebd., S. 416–419. 46 Ebd., S. 435–441, 481–482.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Von der Ilseder Hütte zum Salzgitter-Konzern 213 geraten, wenn nicht gar in neuen Ungewissheiten und Unruhen zu ersticken. Einige einfussreiche Anteilseigner waren wegen der schwierigen Wirtschaftslage in Zwei- fel geraten, ob der Alleingang bewältigt werden könnte und hatten Verhandlungen über einen Zusammenschluss mit einem luxemburgischen Konzern angeregt. Als das bekannt wurde, bemächtigte sich der Belegschaft eine große Unruhe. Diese war sicherlich verständlich, aber in ihren Auswirkungen gingen einige, z.B. in Salzgitter, über das hinaus, was der Anstand im Umgang miteinander gebietet. Die Vorsitzen- den des Aufsichtsrats und des Vorstands schieden aus. Das war in einer Zeit, in der Geschlossenheit und Führungsstärke in besonderem Maße gefordert waren, eine zusätzliche Herausforderung, die jedoch vom Unternehmen, insbesondere von den verbliebenen Führungsleuten, in bewundernswerter Weise bestanden wurde.47 Mit Wilfried Lochte als neuem Aufsichtsratsvorsitzenden und bald darauf mit Dr. Wolfgang Leese als neuem Vorstandsvorsitzenden fand man zu normalen Ver- hältnissen zurück. Man baute auf dem auf, was seit 1998 vorbereitet und teilweise bereits umgesetzt worden war und setzte neue Akzente.48 Die Unternehmensstruk- tur veränderten v.a. der Erwerb der Mannesmannröhren-Werke im Jahr 200049 und die Übernahme der Klöckner-Werke im Jahre 2007.50 Neben dem überwiegend neuen Zweig der Stahlweiterverarbeitung zu Röhren und dem vom Stahlzyklus ab- gekoppelten Spezialmaschinenbau stärkten die Neuerwerbungen nachhaltig die glo- bale Ausrichtung. Der Konzern, der seinen Sitz im niedersächsischen Salzgitter hat, wurde Global Player – konsequenterweise wurde beispielsweise der traditionsreiche Stahlhandel ausgebaut und in Salzgitter Mannesmann Handel umbenannt.51 Trotz aller Differenzierungen hat das Unternehmen – über die Standorttreue hinaus – eine erstaunliche Kontinuität bewahrt. Die Stahlerzeugung und -weiter- verarbeitung sowie der Handel mit Stahlerzeugnissen waren und sind Kerngeschäft. Mit Erstaunen stellt man fest, unter welchem fortwährenden Wettbewerbsdruck das Unternehmen während dieser 150 Jahre gestanden hat. Neue, immer größere und leistungsstärkere Anlagen, noch wirtschaftlichere Prozesse, in der Qualität gestei- gerte Produkte und Serviceleistungen, die von einem erst nationalen, bald interna- tionalen Konkurrenten realisiert bzw. aus anderen Gründen preiswerter angeboten wurden, erzwangen eine entsprechende Reaktion aller anderen. Als einzelne Un- ternehmen nicht mehr über die Voraussetzungen dafür verfügten oder Überkapazi- täten die Existenz in Frage stellten, wurden Kooperationen vereinbart und Fusionen geschlossen. Auch dabei bewies das niedersächsische Unternehmen Selbstbewusst- sein – in einigen Fällen bis zur Sturheit – und Kreativität. Auffällig ist der ständig wachsende Qualifzierungsgrad der Beschäftigten; vor allem einfache und anspruchslose Tätigkeiten felen weg und damit die Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften. Gefordert ist seit Jahren der gut ausgebildete, fort-

47 Ebd., S. 447–448. 48 Ebd., S. 449–450. 49 Ebd., S. 403–404, 451–454, 479–482; derS.: Mit Engagement und Kompetenz. Für eine runde Sache. Mannesmannröhren-Werke GmbH 1846–2005. Salzgitter 2006, S. 151–159. 50 derS. (wie Anm. 16), S. 456. 51 Ebd., S. 455, 476–478.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 214 Horst A. Wessel bildungswillige und fexible sowie verantwortungsbewusste, möglichst auf mehreren Arbeitsplätzen einsetzbare Mitarbeiter. Qualifzierte und motivierte Mitarbeiter er- wiesen sich als ein entscheidender Standortfaktor. Salzgitter ist heute wieder ein Name, der eine positive Ausstrahlung hat und zu dem sich die Mitarbeiter selbstbewusst bekennen – und zwar ohne unterdrücken zu müssen, dass sie als „Peiner“, „Ilsenburger“, „Mannesmänner“ oder bei den „Klöck- ner-Werken“ tätig sind.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle in Braunschweig vom Mittelalter bis zu ihrem Abbruch im Jahre 1955

von

Torsten Priem

Abb. 1: Die Maria-Magdalenen-Kapelle um 1905 (Stadtarchiv Braunschweig (künftig StadtA BS) HXVI: BI21.)

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I. Vom Glück und Unglück deutscher Städte im 20. Jahrhundert – Einstieg in die Thematik

„In Deutschland ist nach dem Kriege mehr Schutzwürdiges zerstört worden als während des Krieges.“ (Walter Scheel)1

Der Zweite Weltkrieg prägte maßgeblich das Gesicht der deutschen Städte nach 1945. Kaum eine Großstadt auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hat den Krieg unbeschadet überstanden und kann noch heute eine über Jahrhunderte gewachsene Stadtstruktur vorweisen.2 Die Städte, die ihre historische Struktur nicht verloren haben, hatten häufg Glück im Unglück, und das nicht nur während des Krieges, sondern auch noch in den Jahren und Jahrzehnten danach. Es gäbe viele unterschiedliche Städte, die an dieser Stelle Erwähnung fnden könnten. Exempla- risch für all diese sollen hier drei genannt werden. So zunächst Lüneburg, welches im Krieg unzerstört blieb, und nur engagierten Bürgern zu verdanken hat, dass die his- torische Bausubstanz seit den 1960er Jahren vornehmlich saniert und rekonstruiert und nicht, wie beabsichtigt, durch Neubebauung ersetzt wurde3. Auch die Hanse- stadt Greifswald eignet sich in dieser exemplarischen Betrachtung als Anschauungs- objekt: Überstand sie den Krieg durch das Engagement des Rektors der Universität Carl Engel und des Stadtkommandanten Rudolf Petershagen ohne Zerstörungen, verfel sie jedoch im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte zusehends. Erst nach der politischen Wende 1989/90 konnten schließlich weite Teile dieses hanseatischen städtebaulichen Ensembles in alter Schönheit wieder entstehen4. Glück hatte auch Wolfenbüttel. Es überstand nicht nur den Krieg unbeschadet, sondern sein Zen- trum konnte sich auch weitgehend dem Trend funktionaler, vor allem autogerechter Stadtplanungen der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entgegenstellen und so den Charme einer von Fachwerkhäusern geprägten Innenstadt bewahren5. Glück im Sinne einer Verschonung von kriegsbedingten Zerstörungen, bzw. einer die alten Stadtstrukturen verändernden Nachkriegsstadtplanung hatte Braun- schweig hingegen nicht. Im 11. Jahrhundert gegründet6, entwickelte sich Braunschweig im Laufe der Zeit zu einer Stadt mit homogenen Strukturen, deren Straßenzüge im Großen und

1 beSeLer, Hartwig, gUtSchOw, Niels: Kriegsschicksale deutscher Architektur. Verluste – Schäden – Wiederaufbau. Eine Dokumentation für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Bd. I: Nord. Neumünster 1988, S. IX. 2 Vgl. ebd., S. 200 bis 327: Alphabetische Liste zerstörter Objekte in Orten in Niedersachsen (S. 202 bis 231: Land Braunschweig); „Laut Statistik sind rund 66% des heutigen Baubestandes in der Bundesrepublik erst nach 1948 entstanden.“ (Stand 1985!). Ebd., S. XXXVII. 3 Vgl. pOmp, Curt H.: Rettung der westlichen Altstadt. In: preUSS, Werner H. (Hrsg.): Stadtent- wicklung und Architektur – Lüneburg im 20. Jahrhundert. Husum 2001, S. 199–206. 4 Vgl. OberdörFer, Eckard, binder, Peter: Greifswald. Universitäts- und Hansestadt an der Ostsee. Greifswald 2006. 5 Vgl. möLLer, Hans-Herbert: Baudenkmal Wolfenbüttel. Grundgedanken und Möglichkeiten mo- derner Denkmalpflege in einer alten Stadt. In: König, Joseph (Hrsg): Beiträge zur Geschichte der Stadt Wolfenbüttel, Wolfenbüttel 1970, S. 161–178. 6 mOderhacK, Richard: Braunschweiger Stadtgeschichte. 2. Aufl. Braunschweig 1997, S. 20. In der

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Ganzen seit dem Mittelalter Bestand hatten. Der Stadtbaumeister, Architekt und Kunsthistoriker Hermann Flesche7 war der Ansicht, dass diese „für Braunschweig den wertvollsten Schatz an wahrer Baukunst dar[stellten].“ 8 Die Vielzahl erhaltener Fachwerkbauten ließ der Stadt zudem die Bezeichnung „Nürnberg des Nordens“ 9 zukommen. Inmitten dieser von Holzarchitektur geprägten Straßenzüge und Plätze erhoben sich die zahlreichen Braunschweiger Stadtkirchen.10 Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird die Silhouette der Stadt Braunschweig noch immer von die- sen Kirchtürmen, welche schon aus der Ferne auf die lange Geschichte der Stadt hinweisen, geprägt. Das zwanzigste Jahrhundert sollte der Stadt schließlich die von Flesche ge- priesenen Strukturen rauben, nachdem kurze Zeit zuvor, in den 1930er Jahren, im Rahmen einer Altstadtsanierung11 der Versuch unternommen worden war, die mittelalterlichen Straßenzüge zu sanieren und zu erhalten, dabei aber den modernen Wohnbedürfnissen Rechnung zu tragen. Aufgrund zunehmender militärischer Bedeutung der Stadt durch die Ansiedlung kriegswichtiger Industrien in und um Braunschweig, wurde sie im Zweiten Weltkrieg das Ziel vieler alliierter Bombenangriffe. In der Chronik der Stadt Braunschweig sind zwischen dem 17. August 1940 und dem 31. März 1945 insgesamt 51 Luft- angriffe aufgeführt,12 Fliegeralarm wurde im Ganzen sogar 885 Mal ausgelöst.13 Seit 1944 nahm die Intensität der Angriffe stetig zu. So kam es allein zwischen dem 1. Januar und dem 5. Juni zu 13 Angriffen.14 In der Nacht vom 14. auf den 15. Ok- tober 1944 erlebte Braunschweig den schwersten Luftangriff:15

Literatur ist verschiedentlich auch die Zahl 861 zu finden. Erste Urkunden sind jedoch erst für das 11. Jahrhundert belegt. 7 Vgl. LUFFt, Peter: Hermann Flesche. In: BBL 1996, S. 180. 8 FLeSche, Hermann: Die Gesundung der Altstadt Braunschweig. In: Braunschweiger Kalender auf das Jahr Christi Geburt 1935, S. 45. 9 heiteFUSS, Dieter: Aus Trümmern auferstanden. Braunschweig und sein Wiederaufbau nach 1945. Eine Bilddokumentation. Braunschweig 2006, S. 7. 10 wedemeyer, Bernd: Architektur. In: camerer, Luitgard u.a. (Hrsg.): Braunschweiger Stadtlexi- kon. Braunschweig 1992, S. 22. 11 Vgl. pingeL, Norman-Mathias: Altstadtsanierung. In: Braunschweiger Stadtlexikon (wie Anm. 10), S. 16. 12 Chronik der Stadt Braunschweig 1934–1950: StadtA BS HIII2: 107 vol. 2. Die Quellenlage hin- sichtlich des Angriffszeitraumes und der Anzahl der Angriffe auf Braunschweig ist nicht eindeutig. In der Stadtgeschichte Richard Moderhacks von 1997 werden 40 Luftangriffe genannt, von denen der erste am 10. Februar 1941 und der letzte am 31. März 1945 erfolgte. Diese Angaben sind nicht identisch mit denen der Chronik der Stadt Braunschweig. Daselbst werden 51 Luftangriffe benannt, welche sich zwischen dem 17. August 1940 und 31. März 1945 ereigneten. Rudolf Prescher schließt sich in seinen Ausführungen Moderhacks Zahlenangaben an, allerdings benennt auch er im Unter- schied zu diesem den 17. August 1940 als ersten Angriffstag. Bezüglich des letzten Bombardements auf Braunschweig weicht er von beiden bisher benannten Quellen ab und gibt hierfür den 10. April 1945 an. Vgl. preScher, Rudolf: Der rote Hahn über Braunschweig. Braunschweig 1955, S. 111; mOderhacK (wie Anm. 6), S. 306. 13 Lent, Dieter: Kriegsgeschehen und Verluste im Zweiten Weltkrieg. In: JarcK, Horst-Rüdiger, SchiLdt, Gerhard (Hrsg.): Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region. Braunschweig 2001, S. 1029. 14 hampe, Erich: Der zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg. Frankfurt am Main 1963, S. 129. 15 mOderhacK (wie Anm. 6), S. 307.

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„32. Luftangriff (2.20 bis 2.45). Die Innenstadt zum weitaus größten Teil vernichtet. Insbes. die altertümlichen Fachwerkhäuser bis auf den Grund niedergebrannt. Vom Alt- stadtrathaus u. Gewandhaus sind nur noch die Umfassungsmauern erhalten geblieben. Von den steingebauten Patrizierhäusern blieben nur noch Trümmer erhalten. Dom und Michaeliskirche nur wenig beschädigt. Alle übrigen alten Kirchen stark mitgenommen, am meisten St. Andreas, St. Katharinen und bes. die Brüdernkirche. Die Martini-, St. Andreas- und St. Katharinenkirche verloren ihre Turmspitzen. Die Nicolaikirche wurde völlig zer- stört. Das Ministerialgebäude und das neue Rathaus wurden ziemlich schwer beschädigt. Schwerste Beschädigungen auch in den Industrie- und Wohnvierteln der Außenstadt. Viel- fach sind ganze Straßenzüge unbewohnbar geworden.“ 16

In diesen wenigen Zeilen der Stadtchronik wird das Ausmaß des nächtlichen An- griffes deutlich: große Teile der Innenstadt waren vernichtet. Allein von den 20 evangelischen Kirchen wurden eine zerstört, acht schwer beschädigt, fünf weniger schwer beschädigt und drei leicht beschädigt. Lediglich drei weitere blieben unver- sehrt.17 Die einzige katholische Kirche der Stadt, St. Nicolai, brannte bis auf die Grundmauern nieder18 und auch die Kirche der evangelisch-reformierten Gemein- de St. Bartholomäus wurde zerstört19. St. Aegidien, das bereits im 19. Jahrhun- dert einer weltlichen Nutzung, zunächst ab 1811 als Militärdepot und ab 1902 als Vaterländisches Museum, zugeführt worden war20, erfuhr ebenfalls starke Beschädi- gungen21. Diese Kirchengebäude wurden im Laufe der Jahre und Jahrzehnte nach dem Krieg, bis auf den Fachwerkbau der katholischen Kirche, alle wieder aufgebaut und einer kirchlichen Nutzung zugeführt. Inmitten der von großfächigen Zerstörungen gekennzeichneten Stadt, blieb ein kleines Gotteshaus nahezu unversehrt als Relikt vergangener Zeiten erhalten: die Maria-Magdalenen-Kapelle des Stiftes St. Aegidii22.23

16 Chronik der Stadt Braunschweig 1934–1950: StadtA BS HIII2: 107 vol. 2. 17 Vom Wiederaufbau der Braunschweiger evangelischen Stadtkirchen, Vortrag vom 5.12.1948: Lan- deskirchliches Archiv Wolfenbüttel OA StKV BS 4. 18 FreSe, Franz: Propst und Dechant Johannes Stuke – Sorgenvolle Kriegs- und Nachkriegsjahre. In: 250 Jahre Katholische Kirchengemeinde Braunschweig 1708–1958. Braunschweig 1958, S. 90. 19 FUhrich-grUbert, Ursula: „öffentlich und ungehindert“. 300 Jahre Evangelisch-reformierte Gemeinde Braunschweig. Wuppertal 2004, S. 145. 20 gieSaU, Peter: Aegidienkirche. In: Braunschweiger Stadtlexikon (wie Anm. 10), S. 10. 21 JünKe, Wolfgang A.: Zerstörte Kunst aus Braunschweigs Gotteshäusern. Innenstadtkirchen und Kapellen vor und nach 1944. Groß Oesingen 1994, S. 25f. 22 Die Maria-Magdalenen-Kapelle wird aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Stift St. Aegidii in einzel- nen Quellen auch Kapelle St. Aegidii genannt. 23 Zur vertiefenden Darstellung bezüglich Altstadtsanierung in Braunschweig, Braunschweigs Zer- störung im Zweiten Weltkrieg und dessen Wiederaufbau vgl. Priem, Torsten: Der Wiederaufbau deutscher Städte in zwei politischen Systemen nach dem Zweiten Weltkrieg – Braunschweig und Magdeburg im Vergleich (Hausarbeit für das Lehramt an Gymnasien im Rahmen der 1. Staatsprü- fung), Greifswald 2008. [unveröffentlicht; ein Exemplar befindet sich im NLA-StA WF, Dienst- bibliothek: 2° Zg. 234/2008]; für weitere Literaturhinweise zu dieser Thematik siehe zudem: mOderhacK (wie Anm. 6), S. 407ff.

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II. Die Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle von deren Ersterwähnung bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs

Die erste urkundliche Erwähnung der Maria-Magdalenen-Kapelle geht nach Her- mann Dürre auf das Jahr 1237 zurück. Danach überließ der Stiftsherr des St. Bla- sisusstiftes, Winandus, dem Gotteshaus eine Hufe Land in Börßum, verbunden mit der Verpfichtung, dass das Stift die dort erzielten Einkünfte nutze, einen ständigen Vikar anzustellen, der der Kapelle in der Funktion eines Rektors vorstehen solle.24 Im „Braunschweigischen Magazin“ des Jahres 1817 wird berichtet, dass sich nicht nachweisen lässt, „ob die jetzt zu dieser Präbende gehörenden Revenuen sämmtlich von gedachtem Stifter herrühren“. Sicher hingegen sei, dass diese Präbende im Er- scheinungsjahr des Magazins noch in Betrieb gewesen war und sich deren Einkünfte aus sieben Ortschaften wie folgt zusammensetzten:

„a. aus Kleinen-Dahlum von den Hofen Nro. 12 und 23, 1 Hpt. Weißen und 30 Mgr. An Gelde; b. aus Repner von dem Hofe Nro. 20, 12 Hpt. Rocken; c. aus Borßum von dem Hofe Nr. 28, 6 Hpt. Weißen, 7 Hpt. Rocken, 6 Hpt. Hafern; d. aus Broitßum von dem Hofe Nr. 20, 15 Hpt. Rocken, 8 Hpt. Gersten, 2 Hahnen und 1 Schock Eyer; e. aus Waten- büttel von den Höfen Nro. 5 und 6 wegen 1 Hufe Landes an Erbenzins 12 Mgr. Und 2 Hahnen; f. aus der Stadt Braunschweig wegen 2 Häuser und 1½ Morgen Gartenlandes vor dem Hohenthore insgesamt 1 Thlr. 19 Mgr. 4 Pf. Erbenzins.“ 25

Rehtmeyer datierte bereits eineinhalb Jahrhunderte vor Dürre in seinem bedeu- tenden Werk ‚Antiquitates Ecclesiasticæ Inclytæ Urbis Brunsvigæ‘ das Baujahr der Kapelle. Jedoch nahm er an, dass es sich um das Jahr 1501 handele und begründete dies mit der im Mauerwerk befndlichen Inschrift „M V `I“.26 Dürre nahm direkten Bezug auf Rehtmeyers Darlegungen und widersprach diesen. Seiner Ansicht nach könnte sich die benannte Zahl nur auf eine Erneuerung oder Ergänzung des unter- halb der Inschrift befndlichen Fensters beziehen und es sei nicht davon auszugehen, dass es zu einem Neubau kam.27 Auch Meier und Steinacker benannten in ihrem 1926 in einer erweiterten Aufage erschienenen Werk „Die Bau- und Kunstdenk- mäler der Stadt Braunschweig“ einzig das Jahr 1237.28 In der neueren Literatur – bei Jühnke ebenso wie bei Dorn – wird hingegen davon ausgegangen, dass sich die Ersterwähnung auf einen Vorgängerbau beziehe,

24 dürre, Hermann: Die Geschichte der Stadt Braunschweig im Mittelalter. Braunschweig 1861, S. 415. Dürre bezieht sich auf die Ausführungen im Ordinarius ecclesiae St. Blasii de a 1157 bis 1482: NLA-StA WF VII B Hs 129 c 48. 25 NN: Versuch einer historischen Darstellung der successiven Entstehung der Vikariatsprapenden beim Stifte St. Blasii in Braunschweig. In: Braunschweigisches Magazin, 37stes Stück, 13.09.1817, S. 600f. 26 rehtmeyer, Philipp Julius, SchmidiUS, Johann Andreas: Antiquitates Ecclesiasticæ Inclytæ Urbis Brunsvigæ. Braunschweig 1707, S. 100. 27 dürre (wie Anm. 24). 28 meier, Paul Jonas, SteinacKer, Karl: Die Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Braunschweig. Braunschweig 21926, S. 38.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 220 Torsten Priem der im endenden 15. Jahrhundert durch einen Neubau ersetzt worden ist.29 Erst der während des Abrisses der Kapelle im Jahre 1955 mit der eingemeißelten Zahl 1489 gefundene Grundstein brachte diese Erkenntnis hervor. Insbesondere für die mittelalterliche Geschichte der Kapelle ist die Zahl der vorliegenden Quellen sehr begrenzt. Jedoch lassen sich mit Hilfe der vorhandenen Überreste grobe geschichtliche Strukturen nachzeichnen. Die ältesten Dokumente von einer im Bereich des Stiftes St. Blasii zeugenden Kapelle mit dem Namen Maria-Magdalenen sind die „Legenda Sanctorum St. Bla- sii“ 30, ein Codex membranaceus aus dem 13. Jahrhundert und eine Abschrift der von Dürre benannten Urkunde aus dem Jahre 1237 im „Ordinarius ecclesiae St. Blasii de a 1157 bis 1482“ 31. Des Weiteren sind im Degedingbuch des Sackes32 verein- zelt Hinweise auf die Kapelle zu fnden.33 In der Sammlung Carl Wilhelm Sacks fndet sich zudem eine Seite des ewigen Kalenders, die möglicherweise aus einem liturgischen Stundenbuch, einem sogenannten Brevier, der Maria-Magdalenen-Ka- pelle stammt. Darin werden die Monate November und Dezember dargestellt, wahr- scheinlich des Jahres 1422. Sicher ist zumindest, dass der Kalender aus der Zeit vor der gregorianischen Kalenderreform stammt.34 Werner Spiess stellte 1966 die These auf, dass das Gotteshaus „in der katholischen Zeit der Domgeistlichkeit als bequem gelegene Hauskapelle gedient haben könnte“.35 Das benannte Kalenderblatt unter- streicht diese Annahme, da ein Brevier von den Klerikern genutzt wurde, die nicht am eigentlichen Chorgebet teilnehmen konnten.36 Carl Wilhelm Sack hat weiterhin verschiedene handschriftliche Notizen über die Kapelle hinterlassen. Dort heißt es u. a. „In der Capelle sollen sich Begräbnisse fnden“.37 In einer anderen Quelle wird berichtet, dass in vorreformatorischer Zeit, im Jahre 1387, Hermann von Lengede, ein Rektor der Kapelle, einen an das Kapellengrundstück angrenzenden Hof vom Stiftsherrn Godeke von Mackenrode gekauft habe.38 Eine letzte bekannte Quelle aus dem 15. Jahrhundert ist das Testamentbuch von 1450. Aus diesem geht hervor, dass ein Mitglied der Familie „Broitzem“ verschiedenen Kapellen und Spitälern der Stadt je „1 Ferd“ vererbt hat.39

29 JünKe (wie Anm. 21), S. 212; dOrn, Reinhard: Mittelalterliche Kirchen in Braunschweig. Hameln 1978, S. 251. 30 Legenda Sanctorum St. Blasii: NLA-StA WF VII B Hs 204. 31 Ordinarius ecclesiae St. Blasii de a 1157 bis 1482: NLA-StA WF VII B Hs 129 c 48. 32 Die Degedingbücher der Stadt Braunschweig befinden sich im dortigen Stadtarchiv. 33 Das „degedingesbôk“ war das Stadtbuch, in dem Akte niederer Gerichtsbarkeit verzeichnet wur- den. Vgl. LaSch, Agathe, bOrchLing, Conrad: Mittelniederdeutsches Handwörterbuch. Bd. I A- F/V. Neumünster 1956, Sp. 404. 34 Sammlung Carl Wilhelm Sack: Seite aus einem liturgischen Stundenbuch: StadtA BS HV Nr. 6, fol. 273. 35 SpieSS, Werner: Geschichte der Stadt Braunschweig im Nachmittelalter. Vom Ausgang des Mittel- alters bis zum Ende der Stadtfreiheit (1491–1671). 2. Halbband. Braunschweig 1966, S. 640. 36 Vgl. braUn, Joseph: Liturgisches Handlexikon. 2. Aufl. Regenburg 1924, S. 51; nitSchKe, Horst: Lexikon Liturgie. Gottesdienst. Christliche Kunst. Kirchenmusik. Hannover 2001, S. 28. 37 Sammlung Carl Wilhelm Sack: StadtA BS HV Nr. 6, fol. 275. 38 NN: Das Aegidienstift und die Maria-Magdalenen-Kapelle. In: Braunschweigische Landeszeitung und Braunschweiger Tageblatt, 20. Jg., Nr. 113, 08.03.1899. 39 Testamentbuch 1450: StadtA BS BI 23, Bd. 12, f. 80.

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Die wenigen vorhandenen Quellen geben nur punktuelle Auskünfte über die Zeit bis zur Reformation Anfang des 16. Jahrhunderts. Die letzen mittelalterlichen Relikte, die von der Existenz der Kapelle zeugten, waren zum einen die benannte Inschrift „Anno domini m°vci°“ 40 sowie der 1955 gefundene Grundstein, mit dessen Hilfe die Erbauung des Gotteshauses zeitlich eingegrenzt werden konnte. Für die folgenden Jahrhunderte ist nach Spiess „über die Verwendung der Ka- pelle ... nichts bekannt“.41 Tatsächlich ist unklar, wie die Kapelle bis 1832 genutzt wurde. Erst ab diesem Jahr ist die Quellenlage weitaus detaillierter, sodass die Ge- schichte der Kapelle bis 1955 relativ genau nachvollzogen werden kann. Im Jahre 1810 wurden im Rahmen der Säkularisierung von Kirchengütern die Stifte der Stadt Braunschweig aufgelöst und nach Döll „ein großer Teil der Güter verkauft“. Alle nicht verkauften Güter, wie wohl auch das Stift auf dessen Gelände sich die Kapelle befand, wurden dem Kammergut übereignet.42 Demnach muss es zuvor den braunschweigischen Herzögen unterstanden haben, „die als evangelische Landeskirchenherren seit dem 16. Jahrhundert aus der Stellung eines allgemeinen Vogtes der auf ihrem Territorium angesiedelten Klöster in die eines Treuhänders der Klöster und Klostergüter hineingewachsen waren“.43 Somit war das Stiftsgelände ab 1832 Eigentum des Vereinigten Braunschweigischen Kloster- und Studienfonds. Im selben Jahr zog der Frauenkonvent zu St. Aegidien in die Räumlichkeiten der Kleinen Burg 8. Dieser Konvent war bis 1615 in der Klause bei St. Leonhard beheimatet und konnte nach deren Zerstörung44 bis 1832 im Aegidienkloster eine neue Heimstätte fnden. Da in dem benannten Jahr die dortigen Konventsgebäude in ein Gefängnis umgewandelt wurden, wurden die Stiftsdamen in die Kleine Burg 8 umquartiert. Dieses Damenstift hatte bis 1937/38 Bestand.45 Vom Aegidienkloster, das über 200 Jahre die Heimstätte des Konventes gewesen ist, stammt auch die Be- zeichnung für das Stift in der Kleinen Burg. In einem Zeitungsartikel aus dem Jahre 1931 heißt es dazu:

„Die Benennung des Damenstifts zu ‚St. Aegidien‘ ist übrigens nicht begründet; denn – wie wir eben gesehen haben – weist der Ursprung der Stiftung nach St. Leonhard, und es ist daher sonderbar und sachlich völlig unzutreffend, den Stiftsnamen abzuleiten, daß sich die Stiftung eine Zeit lang im Gebiet von St. Aegidien befunden hat. Die richtige Bezeichnung wäre deshalb ‚St. Leonhard‘ gewesen.“ 46

40 bOOKmann, Andrea: Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528. Wiesbaden 1993 (Die Deutschen Inschriften 35: Göttinger Reihe, Bd. 5). Wiesbaden 1993, S. 188. 41 SpieSS (wie Anm. 35). 42 döLL, Ernst: Die Kollegialstifte St. Blasius und St. Cyriacus zu Braunschweig. Braunschweig 1967 (Braunschweiger Werkstücke 36), S. 234. 43 Kamp, Norbert: Der Braunschweigische Vereinigte Kloster- und Studienfonds. Stifterauftrag und Stifterleistung im Spannungsfeld zwischen historischer Tradition und politischer Gegenwart. Braunschweig 1982, S. 4. 44 römer-JOhannSen, Ute, römer, Christof: 800 Jahre St. Aegidien. Liebfrauenmünster der Katho- lischen Propsteigemeinde St. Nicolei zu Braunschweig. Braunschweig 1979, S. 46. 45 Ebd., S. 57. 46 W. J.: Das Stift St. Aegidien und die Maria-Magdalenen-Kapelle. In: Braunschweigische Landes- zeitung, 51. Jg., Nr. 65, 06.03.1931.

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Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob die Damen, die zu Beginn des 19. Jahrhun- derts umgesiedelt wurden, sich nicht viel stärker mit St. Aegidien als mit St. Leon- hard verbunden sahen. Daher erscheint es nachvollziehbar, dass sie die Benennung des Stiftes in Tradition ihrer selbst erlebten Geschichte vornahmen. Während dieser mehr als 100 Jahre in der das Stift in der Kleinen Burg vom Frauenkonvent genutzt wurde, kam es in und im Umfeld der Kapelle zu einigen Veränderungen. Aus einem Schreiben an das Herzogliche Staatsministerium vom 20. Dezember 1842 geht hervor, dass „die neben dem Hauptwohnhause belegene Kapelle zu einem Versammlungssaale, sowie zu einem Registratur- und Leichen- zimmer eingerichtet werden soll.“ 47 Bereits drei Tage danach wurde dem Antrag zugestimmt.48 Die Arbeiten wurden in den ersten Monaten des folgenden Jahres unter der Leitung des Baumeisters Krahe49 begonnen. Dieser unterbrach diese je- doch, da seiner Ansicht nach umfangreichere Instandsetzungsmaßnahmen vorge- nommen werden mussten, als bisher angedacht waren. Daher wurde am 27. April 1843 erneut ein Antrag an das Staatsministerium gestellt, „der alten Capelle die ur- sprüngliche Form wiederzugeben, indem selbige sodann dem Kloster und der Stadt zur Zierde gereichen und in dieser Form alle Zwecke erfüllen würde, die mit dem fraglichen Gebäude beabsichtigt werden“.50 Auch dieser Antrag wurde bewilligt.51 Laut Braunschweigischer Landeszeitung des Jahres 1909 erfolgte die Renovierung durch den Baurat schließlich 1862.52 Die Braunschweiger Neuesten Nachrichten schrieben dagegen 1935, dass die Kapelle bereits „1851 ... für die Klosterdamen instand gesetzt“ wurde.53 Und noch im ausgehenden 19. Jahrhundert hieß es sogar: „Daß man ihrer Renovierung bisher so wenig Beachtung geschenkt hat, ist wohl dem Umstande zuzuschreiben, daß sie ausschließlich nur den Zwecken des Stiftes dient, bisher nur selten zur Anhaltung von Gottesdiensten benutzt wurde und der Oeffentlichkeit fast gänzlich entrückt ist.“ 54 Welche Angaben korrekt sind, ist frag- lich. Sicher hingegen ist, dass sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Umfeld der Kapelle zahlreiche Veränderungen vollzogen. „Die Maria-Magdalenen-Kapelle war weitgehend verborgen hinter zweigeschos- sigen, schmucklosen Wohnhäusern, niedrigen Ställen, alten Speichern und halb ho-

47 Schreiben der Direktion der Domänen an das Staatsministerium vom 20.12.1842: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 42602. 48 Schreiben des Staatsministeriums an die Direktion der Domänen vom 23.12.1842: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 42602. 49 Es handelt sich wahrscheinlich um den Sohn des bedeutenden Braunschweiger Architekten Peter Joseph Krahe (1758–1840), Friedrich Maria Krahe (1804 bis 1888); vgl. dOrn, Reinhard: Peter Joseph Krahe. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 12. Berlin 1980, S. 658. 50 Schreiben der Direktion der Domänen an das Staatsministerium vom 27.04.1843: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 42602. 51 Schreiben des Staatsministeriums an die Direktion der Domänen vom 05.05.1843: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 42602. 52 NN: Die Wiederherstellung der Maria-Magdalenen-Kapelle. In: Braunschweigische Landeszeitung, 30. Jg., Nr. 451, 26.09.1909. 53 NN: Das Kloster Stift St. Aegidien. Vom Siechenholze zur Magdalenen-Kapelle. In. Braunschwei- ger Neueste Nachrichten vom 10.07.1935: StadtA BS HXVA: B II 16. 54 NN: Das Aegidienstift und die Maria-Magdalenen-Kapelle. In: Braunschweigische Landeszeitung und Braunschweiger Tageblatt, 20. Jg., Nr. 113, 08.03.1899.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle 223 hen Schuppen und Wagenremisen, wohin eine enge, krumme Gasse, die Kleine Burg, mit Kopfsteinpfaster führte.“ 55 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in der Umgebung der Kapelle zahlreiche Baumaßnahmen vorgenommen, die das beschrie- bene städtebauliche Umfeld grundlegend verändern sollten. Es war beabsichtigt, in unmittelbarer Nähe der Kapelle eine Mädchenschule zu errichten. Diese Baupläne sowie die Übernahme der entstehenden Kosten bewilligten die „städtischen Behör- den“ im Oktober 1904.56 In diesem Zusammenhang wurden zahlreiche alte Bau- werke abgerissen, worüber in der Braunschweigischen Landeszeitung vom 1. Januar 1905 wie folgt berichtet wurde:

„Der Abbruch des alten Stadtkassengebäudes ist jetzt nahezu vollendet. Auch ein altes, efeubewachsenes Gartenhäuschen, sowie das sog. Pedellenhaus werden in nächster Zeit vom Erdboben verschwinden. Von all diesen Gebäulichkeiten sind mehrere photographische Aufnahmen gemacht worden, um die Erinnerung an diesen Teil Altbraunschweigs wach zu halten. Auf dem Grundstücke der Stadtkasse wird, wie bereits gemeldet, im Anschlusse an das Lehrerinnen-Seminar der Erweiterungsbau desselben ausgeführt werden.“ 57

Durch den Abriss des Stadtkassengebäudes wurde die Ostseite der Kapelle wieder sichtbar, was nach Birkholz eine besonders hoch einzuschätzende denkmalpfege- rische Leistung sei.58 1907 stellte die Direktion der Domänen beim Staatsministeri- um den Antrag auf Übernahme der Kosten für die Wiederherstellung „der vermau- erten Fenster, Instandsetzung des äusseren Mauerwerks, Verglasung der Fenster und Neuvermalung des Innern der Kapelle.“ 59 Die Abbildung auf Seite 217 zeigt den Zustand der Kapelle nach ihrer Freilegung und der Wiederherstellung der Fenster. Erst jetzt war es möglich, die Kapelle wieder in ihrer ganzen Schönheit zu betrachten und sie als eigenständigen Baukörper wahrzunehmen. Insbesondere ihr ungewöhnlicher Grundriss wurde nun wieder sichtbar. Der polygonal geschlossene Bau60 ist demnach durch die den Schulneubau betreffenden Neugestaltungen im unmittelbaren Umfeld aus dem „Verborgenen“ hervorgetreten. Eine sehr detaillierte Beschreibung der Architektur der Kapelle liegt von Meier und Steinacker vor. Demzufolge sei das Gotteshaus ein gewölbter Bau mit zwei Jo- chen und anschließender 3/8 Apsis gewesen, dessen westliche Außenmauern „stark ausweichend“ waren. Als gute Arbeiten hoben sie die Konsolköpfe und die beiden das Portal fankierenden Steinfguren der heiligen Maria Magdalena und eines hei- ligen Bischofs hervor.61 Die Grundmaße der Kapelle deuten jedoch daraufhin, dass

55 birKhOLz, Brigitte: „Lehrend lernen wir“ – ein Kapitel Stadtsanierung. In: Festschrift zur 125- Jahr-Feier Gymnasium Kleine Burg, Braunschweig 1988, S. 116. 56 Die Stadt Braunschweig in der Zeit vom 1. April 1901 bis 31. März 1906. Verwaltungsbericht des Stadtmagistrats, Braunschweig 1907, S. 27. 57 NN: Abbruch des alten Stadtkassengebäudes. In: Braunschweigische Landeszeitung und Braun- schweiger Tageblatt, 26. Jg., Nr. 1, 01.01.1905. 58 birKhOLz (wie Anm. 55), S. 118. 59 Antrag der Direktion der Domänen vom 18.06.1907: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 42602. 60 dOrn (wie Anm. 29). 61 meier/SteinacKer (wie Anm. 28).

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 224 Torsten Priem es sich um kein sehr großes Gotteshaus handelte. Aus einem maßstabsgetreuen Lage- plan der Grundstücke zwischen Schuhstraße und Hutfltern aus dem Jahre 1938 (Maßstab 1:250)62 geht hervor, dass die längste Seite gerade einmal 10 Meter maß. Insgesamt betrug der umbaute Raum der Kapelle 1419 m³63 und sie hatte eine Höhe von 7,15 Meter64.

schematische Darstellung65

Die Ausstattung der Kapelle, vornehmlich der Altar samt Kruzifx und das Ge- stühl, entstammte laut Braunschweigischer Landeszeitung von 1931 „einer jünge- ren Zeit“.66 Auf welches Jahrhundert oder welche Epoche sich diese Ausführungen beziehen, wird allerdings nicht näher dargelegt. Jedenfalls scheint es, dass sie nicht mittelalterlich war. Mindestens bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert wurde die Kapelle nicht für den täglichen Gottesdienst der Konventualinnen genutzt. Sie diente vorrangig „besonderen Anlässen“, zu denen unter anderem die Einführung der Stiftsdamen zählte. Die täglichen Andachten wurden in einem kleinen Betsaal vorgenommen, der durch eine Tür mit der Kapelle verbunden war.67

62 Lageplan der Grundstücke zwischen Schuhstraße und Hutfiltern vom 01.03.1938: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 63 Schreiben des Hochbauamtes Braunschweig an den Braunschweigischen Finanzminister, Hochbau- und Siedlungsabteilung vom 10.06.1943: NLA-StA WF 12 Neu 12 Nr. 45462. 64 Lageplan Kloster ST. Blasius Kleine Burg 8: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 65 Zeichnung des Verfassers auf Grundlage des Lageplans der Grundstücke zwischen Schuhstraße und Hutfiltern vom 01.03.1938: NLA-StA WF 12 Neu 13 45462. 66 W. J.: Das Stift St. Aegidien und die Maria-Magdalenen-Kapelle. In: In: Braunschweigische Lan- deszeitung, 51. Jg., Nr. 65, 06.03.1931. 67 NN: Das Aegidienstift und die Maria-Magdalenen-Kapelle. In: Braunschweigische Landeszeitung und Braunschweiger Tageblatt, 20. Jg., Nr. 113, 08.03.1899.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle 225

Von der Übersiedlung der Konventualinnen 1832 bis zu deren Auszug um 1945 war das Stift in der Regel von einer Domina und mehreren Stiftsdamen bewohnt. Um einen Überblick hinsichtlich der Zusammensetzung der Bewohnerschaft des Stiftes in der Kleinen Burg 8 zu erhalten, dient eine stichprobenartige Untersuchung der Adressbücher der Stadt Braunschweig zwischen 1845 und 1942 im Zehnjahres- rhythmus. Hierbei fällt auf, dass bis mindestens 1915 stets zwischen sechs und elf Stiftsdamen und eine Domina im Stift lebten. Im Adressbuch des Jahres 1925 hinge- gen ist keine Domina aufgeführt, und es lebten zu diesem Zeitpunkt auch nur noch eine Priorin, zwei Stiftsdamen, zwei Fräulein, ein Arbeiter und eine Frau in den Konventsgebäuden. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Räum- lichkeiten des Stiftes ihrer „Zweckbestimmung ... in weitem Umfange entzogen“, da diese unter anderem von der GmbH.Braunschweig und von der Braunschweig. Siedlungsgesellschaft genutzt wurden. Allerdings sollten alle Räumlichkeiten ab 1927 wieder dem Konvent übereignet werden.68 Ab 1930 wurde das Stift erneut von einer Domina geführt. Im Adressbuch des Jahres 1935 sind keine Stiftsdamen mehr aufgeführt – es lebten nur noch elf Fräulein und ein Wiegemeister im Kloster. Zwar wohnten über die Jahrzehnte hinweg stets auch Tagelöhner, Büroboten, Fräulein oder Hausmänner auf dem Gelände der Kleinen Burg 8, jedoch nie in solch großer Zahl wie in den Jahren vor und zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. Nach dem letz- ten vor dem Ende des Krieges 1942 erschienenen Adressbuch lebten noch immer zwölf Personen im Stift, von denen laut erstem Nachkriegsadressbuch 1950 noch drei in den dortigen Räumlichkeiten wohnten. Prominente Namen aus der braun- schweigischen Region der seit 1825 dort lebenden Personen waren unter anderem: von Schmidt-Phiseldeck, von Marenholz, von Schleinitz, Breithaupt, Ribbentrop, von Schwalenberg, von Praun, Pini, von Holwede, von Eichsen, von Cramm, von Preinen oder auch von Strombeck.69

III. Der Verkauf der Maria-Magdalenen-Kapelle an die Firma Albert Limbach (1940 bis 1951) Das Gelände des Stiftes St. Aegidii grenzte an das Grundstück Hutfltern 8, welches der Druck- und Verlagsgesellschaft Albert Limbach, die dort seit 1887 ihren Haupt- sitz hatte, gehörte.70 Diese Firma stellte 1940 erstmals einen Antrag auf „Verkauf des Grundstückes Kleine Burg 8 (Stift und Kapelle St. Aegidien) an Druckerei und Verlag Albert Limbach KG“. In diesem Schreiben an den Braunschweigischen Finanzminister hob Limbach insbesondere die Bedeutung seiner Firma für die Stadt Braunschweig

68 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an das Landesdomänenamt vom 28.02.1927: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 42604. 69 Als Grundlage für diese Darlegungen dienten die Adressbücher der Stadt Braunschweig der Jah- re: 1825, 1835, 1845, 1855, 1865, 1875, 1885, 1895, 1905, 1915, 1925, 1930, 1935, 1942 und 1950. 70 Camerer, Luitgard: Limbach, Albert Druck- u. Verlagsgesellschaft mbH u. Co. KG. In: Braunschwei- ger Stadtlexikon (wie Anm. 10), S. 145.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 226 Torsten Priem hervor und zeigte bestehende Mängel, wie unter anderem unzureichende Gemein- schaftsräume, Garderoben sowie Wasch- und Duschräume, auf, um die Notwen- digkeit einer Vergrößerung des Betriebsgeländes zu verdeutlichen. Die Kapelle des Stiftes sollte laut Limbach erhalten bleiben und „in künstlerisch vollkommener Wei- se für Feierstunden der Gefolgschaft umgestaltet werden“.71 Limbach stellte den Antrag an das Braunschweigische Finanzministerium, da das Stift weder Eigentum der evangelisch-lutherischen Kirche war, noch der Frauenkon- vent selbst Eigentümer der Kapelle und Stiftsgebäude gewesen ist. Vielmehr geht aus dem Eintrag für die Kleine Burg 8 im Braunschweigischen Adressbuch des Jah- res 1942 hervor, dass es sich um das Eigentum des Vereinigten Braunschweigischen Kloster- und Studienfonds handelte.72 Dieser Fonds, dessen Vermögen aus jenem der ehemaligen Klöster des Landes Braunschweig und einem Studienfonds der ehe- maligen Universität Helmstedt stammt, galt nie als reines Kirchen- oder Staatsgut und besaß vielmehr eine Sonderstellung.73 Einem undatierten Schreiben an den Ministerpräsidenten Klagges ist des Weiteren zu entnehmen, dass das Stift „keine eigene Recht-Persönlichkeit [hat]“ und „eine Aufhebung des Stiftes ... deshalb [im Falle des Verkaufs; Anm. d. V.] nicht erforderlich“ sei.74 Limbachs Antrag vom 12. Juli 1940 wurde am 15. August desselben Jahres vom Braunschweigischen Finanzminister abgelehnt.75 Aus dem Schriftverkehr zwi- schen dem Braunschweigischen Staat und der Stadt Braunschweig geht hervor, dass der Staat zunächst laut Weisung des Ministerpräsidenten der Stadt den Kauf des Grundstückes Kleine Burg 8 inklusive der Kapelle zur möglichen Erweiterung der angrenzenden Oberschule für Mädchen anbot.76 Diese Entwicklungen lassen darauf schließen, dass der Staat grundsätzlich keine Bedenken trug, das Grundstück Kleine Burg 8 zu veräußern. Der Antrag Limbachs hatte lediglich den Staat auf das Grund- stück aufmerksam gemacht und diesem die Möglichkeit des Verkaufs aufgezeigt. Der Erlös sollte dem Vereinigten Kloster- und Studienfonds zukommen77. Die Stadt war daran interessiert, das Grundstück in der Kleinen Burg 8 zu kau- fen, um dort stattdessen eine Gehörlosenschule78 einzurichten, damit der derzeitige Standort dieser Schule in ein Künstlerheim umgestaltet werden könnte.79 Da nun

71 Antrag auf Verkauf des Grundstückes Kleine Burg 8 (Stift und Kapelle St. Aegidien) an Druckerei und Verlag Albert Limbach KG, Braunschweig, Hutfiltern 8, gegen Barzahlung oder im Tauschwe- ge vom 12.07.1940: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 72 Braunschweigisches Adreßbuch für das Jahr 1942, 128. Ausgabe, Braunschweig 1942, S. 141. 73 Kamp (wie Anm. 43). Aus einem Schreiben an den Ministerpräsidenten Dietrich Klagges geht hervor, dass zur Zeit der Vertragsverhandlungen die Frage danach, ob die Stiftung selbstständig oder Eigentum des Staates war, nicht eindeutig geklärt gewesen ist. Vgl. Schreiben an Klagges vom [ ].5.1941: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 74 Schreiben an den Ministerpräsidenten Klagges [undatiert]: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 75 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an die Buchdruckerei und Verlag Limbach vom 15.08.1940: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 76 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an den Oberbürgermeister der Stadt Braun- schweig vom 29.07.1940: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 77 Schreiben an den Ministerpräsidenten Klagges [undatiert]: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 78 Vgl. SchUmacher, Klaus-Dieter: Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte. In: Braunschweiger Stadtlexikon (wie Anm. 10), S. 138. 79 Schreiben des Oberbürgermeisters – Grundstücksverwaltung an den Braunschweigischen Finanz-

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle 227 von Seiten des Staates der Verkauf und von Seiten der Stadt der Ankauf des Grund- stückes erwogen wurde, bestand die Notwendigkeit der Prüfung, welche Möglich- keiten der Umsiedlung der Stiftsdamen von St. Aegidii existierten. Angedacht wur- de deren Unterbringung im Kreuzkloster.80 Diese Variante zog jedoch eine Reihe von Unzuträglichkeiten, wie insbesondere Instandsetzungs- und Ausbauarbeiten am Kreuzkloster, nach sich, die laut eines Schreibens an den Ministerpräsidenten vom Oktober 1940 der Stadt auferlegt werden sollten, da „das Interesse der Stadt am Erwerb des Grundstückes Kleine Burg 8 groß genug“ war.81 Aus weiteren Doku- menten geht hervor, dass die Frage der Sanierung des Kreuzklosters und die Um- siedlung der Stiftsdamen noch vielfach diskutiert worden war, und schließlich die Umsiedlung an die Instandsetzung des Klosters geknüpft wurde82. Jedoch war auch erwogen worden, die Damen in andere Stiftungen oder Altenheime in der Stadt bzw. im Land Braunschweig unterzubringen.83 Für zwei im Stift St. Aegidii befnd- liche Wohnungen bestand zudem Mieterschutz. Somit war die Stadt, als eventu- eller neuer Eigentümer, ohnehin verpfichtet, für Ersatzwohnraum zu sorgen.84 Der Ministerpräsident forderte, dass die Arbeiten am Kreuzkloster „nach Möglichkeit sofort begonnen werden“ sollten.85 In der Folgezeit wurden verschiedene Wertgut- achten erstellt. In einer Gebäudeschätzung vom 22. Juli 1941 war für die Gebäude auf dem, laut dieses Gutachtens 2108 m² großen, Grundstück in der Kleinen Burg 8 ein Wert von 82797 RM ermittelt worden.86 Im November desselben Jahres bezif- ferte der Braunschweigische Finanzminister in einem Schreiben an den Oberbürger- meister der Stadt Braunschweig den Wert des Grundstücks, inklusive der sich darauf befndlichen Gebäude, auf 1119286 RM.87 Eine Schätzung des Hochbauamtes vom Oktober 1940 inklusive aller Gebäude und der Kapelle ging noch von 132000 RM aus.88 Um die Kosten für die Stadt in einem überschaubaren Rahmen zu halten und allen Beteiligten gerecht zu werden, wurde angedacht, das besagte Grundstück ge- gen jenes am Wilhelmtorwall 35 oder das zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel gelegene Sternhaus zu tauschen. Das Letztgenannte galt jedoch recht schnell als ungeeignet. Von Staatsseite wurde erwogen, das Gebäude für die Unterbringung

minister vom 30.07.1941: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 80 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an das Referat F IV vom 04.09.1940: NLA- StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 81 Schreiben an den Ministerpräsidenten Klagges vom Oktober 1940: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 82 Schreiben an den Ministerpräsidenten Klagges vom Mai 1941: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 83 Schreiben an den Regierungsoberrat Hoffmeister vom 07.06.1941: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 84 Schreiben des Hochbauamtes Braunschweig an den Braunschweigischen Finanzminister – Hoch- bau- und Siedlungsabteilung [undatiert]: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 85 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an das Referat F IV [undatiert; wahrscheinlich Juni/Juli 1941]: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 86 Gebäudeschätzung Grundstück Versicherungsnummer 11 in Braunschweig. Kleine Burg Nr. 8: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 87 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an den Oberbürgermeister der Stadt Braun- schweig vom 13.11.1941: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 88 Internes Schreiben des Braunschweigischen Finanzministeriums vom 04.10.1940: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 228 Torsten Priem von „Studentinnen des Staatsinstitutes für den landwirtschaftlichen Unterricht“ zu nutzen. Das Sternhaus diente zu der Zeit jedoch als Kriegsgefangenenlazarett89 und konnte daher diesem Zweck nicht in naher Zukunft zugeführt werden. Ein Tausch der Grundstücke Kleine Burg 8 und Wilhelmtorwall 35 erschien 1941 allerdings auch nicht möglich, da die Räumlichkeiten am Wilhelmtorwall zur Unterbringung der Studentinnen nicht ausreichten. Der Staat war jedoch daran interessiert, dieses Grundstück von der Stadt zu erwerben, um es gemeinsam mit dem Stiftgrundstück als besagte Unterbringungsmöglichkeit zu nutzen. Sobald andere Möglichkeiten der Unterbringung der Studentinnen vorhanden seien, wäre der Braunschweigische Finanzminister „zur Abgabe des Ägidienklosters an die Stadt Braunschweig in spä- terer Zeit ... bereit“.90 In einem Schreiben vom 26. November 1941 trat der Braun- schweiger Oberbürgermeister Hesse davon zurück, das Grundstück Kleine Burg 8 kaufen zu wollen, da ihm der Kaufpreis zu hoch erschien. Stattdessen strebte er an, das Gründstück Wilhelmtorwall 35 nicht an den Staat zu veräußern.91 Daher stand dem Staat nun lediglich das Stift zur Unterbringung der Studentinnen zur Verfü- gung. Bereits im Dezember 1941 waren die Instandsetzungsarbeiten im Kreuzkloster „ziemlich weit vorangeschritten“.92 Noch im Januar 1942 schrieb der Braunschwei- gische Finanzminister: „Wie bereits mitgeteilt, hat Herr Ministerpräsident Klagges angeordnet, daß das Ägidienkloster ab 1. April 1942 zur Einrichtung eines Studen- tinnenheims dem Referat V IV zur Verfügung zu stellen ist.“ 93 Im Februar stand jedoch fest, dass der angestrebte Termin nicht eingehalten werden konnte und sich der Zeitplan verschieben würde.94 Schließlich sollte das Stift nie seiner geplanten Funktion als Studentinnenwohnheim zugeführt werden. In der Zwischenzeit hatte sich der Eigentümer der Firma Limbach, Harald Voigt, an den Ministerialrat des Reichsluftfahrtministeriums Heinrich Steinmann95 mit der Bitte gewendet, dem Ministerpräsidenten nochmals das Anliegen der Firma näher- zubringen. Voigt hatte verschiedene Grundstücke als Tauschobjekte für das Grund- stück Kleine Burg 8 angeboten. Der Verfasser eines Vermerkes für den Regierungs- rat Liebs schlug in dieser Angelegenheit vor, dass, wenn das betreffende Grundstück

89 Schreiben an den Ministerpräsidenten Klagges vom 01.11.1941: NLA-StA WF 12 Neu 13 45462. 90 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an den Oberbürgermeister der Stadt Braun- schweig vom 13.11.1941: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. Der Oberbürgermeister lehnte in diesem Schreiben den Ankauf des Grundstückes Kleine Burg 8 aufgrund des seiner Ansicht nach zu hohen Kaufpreises ab, würde allerdings den Ankauf des Ägidienklosters zu einem späteren Zeitpunkt begrüßen. Wie auch ein Vermerk auf der Rückseite des Schreibens bestätigt, war dem Oberbürgermeister nicht bewusst, dass es sich um ein und dasselbe Grundstück handelte. 91 Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Braunschweig an den Braunschweigischen Finanz- minister z. Hd. dem Ministerpräsidenten Klagges vom 26.11.1941: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 92 Schreiben an Ministerpräsidenten Klagges vom 24. Dezember 1941: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 93 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an das Referat F IV vom 19.01.1942: NLA- StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 94 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an den Braunschweigischen Minister für Volks- bildung vom 16.02.1942: NLA-StA WF 12 Neu 12 Nr. 45462. 95 Prof. Dr. Heinrich Steinmann (1899–1969): Bedeutender deutscher Luftfahrtexperte aus Salzgitter. Vgl. hUmbUrg, Max: Heinrich Steinmann . In: BBL 1996, S. 589f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle 229 derzeit aus besagten Gründen nicht verkauft werden könne, der Firma doch zumin- dest ein Vorkaufsrecht eingeräumt werden solle, bzw. sprach er davon, dass „es der Landeszeitung [eventuell] genüge[n], wenn die baufällige Kapelle ihr übereignet würde“. Er war zudem der Ansicht, dass „die Kapelle ... abgerissen werden [könne], da sie keinen kunstgeschichtlichen Wert habe“.96 An dieser Stelle wurde erstmals von der Möglichkeit eines Abrisses der Kapelle gesprochen. Am 18. Mai 1942 stellte die Firma Limbach einen erneuten Kaufantrag für das Stift St. Aegidii und wendete sich diesmal direkt an den Ministerpräsidenten des Freistaates Braunschweig, Dietrich Klagges. In diesem Schreiben benannte Voigt zahlreiche weitere Gründe, die einen Kauf des Grundstückes Kleine Burg 8 für die Firma als unausweichlich erscheinen lassen sollten. Wie schon zwei Jahre zuvor, bot die Firma Limbach auch jetzt dem Staat im Tausch für das Grundstück zwei Immobilien an. Waren diese im ersten Antrag noch nicht benannt worden, wurden sie nun detailliert vorgestellt. Es handelte sich hierbei um „die beiden Hausgrund- stücke Altewiekring 36 und Wilhelm-Friedrich-Loeper-Strasse 60 mit insgesamt 10 Wohnungen“.97 Bereits im Juni wurde der Firma Limbach mitgeteilt, dass das Staatsministeri- um grundsätzlich bereit sei „einen Teil des Grundstücks Kleine Burg 8 mit einer Ausfahrtsmöglichkeit an die Firma Albert Limbach zu verkaufen“ – im Falle des gleichzeitigen Verkaufs der benannten Grundstücke an den Staat.98 Aus einer Art Dankschreiben Harald Voigts an Dietrich Klagges geht hervor, dass die nun erfolgte Zustimmung des Ministerpräsidenten zum Verkauf des Grundstücks vor allem öko- nomisch und politisch begründet war: „ ... im Falle einer nicht erfolgten Erweite- rung [würde ich die] unerlässliche Verlegung meines Zeitschriftenverlages Bernhard Thalacker nach Berlin ... nur sehr ungern durchgeführt haben.“ Hinsichtlich eines Tausches der Grundstücke schlug Voigt in diesem Schreiben jedoch nur vor, „wech- selseitig die Grundstücke Kleine Burg 8 und Friedrich Wilhelm Loeperstrasse 60“ zu tauschen.99 Das im zuvor gestellten Antrag benannte zweite Grundstück erfährt in diesem Schreiben keinerlei Erwähnung. Voigt korrigierte allerdings wenige Tage später seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass er „bezüglich des Grundstückes Kleine Burg 8 von Wertverhältnissen ausgegangen [war], die nach Ansicht [seines] Verlages einem früheren Verkaufs- angebot des Braunschweigischen Staates an die Stadt Braunschweig zugrunde ge- legen haben.“ 100 Des Weiteren legte er dar, dass sich „diese Annahme ... inzwi-

96 Vermerk für den Regierungsrat Liebs zur Rücksprache vom 14.05.1942: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 97 Schreiben des Druck- und Verlagshauses Albert Limbach an den Ministerpräsidenten Dietrich Klagges vom 18.05.1942: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 98 Schreiben Karl A. Eilerts an die Firma Limbach vom 06.06.1942: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 99 Schreiben Harald E. Voigts an den Ministerpräsidenten Dietrich Klagges vom 09.07.1942: NLA- StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 100 Die Zeile …einem früheren Verkaufsangebot des Braunschweigischen Staates an die Stadt Braun- schweig zugrunde gelegen haben ist in dem Schreiben unterstrichen und mit einem Fragezeichen versehen worden. Möglicherweise deutet dies auf eine Verwunderung des Lesers hin, wie Voigt zu einer solchen Annahme habe kommen können.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 230 Torsten Priem schen als irrtümlich herausgestellt“ habe und er seinen Vorschlag zum Tausch der Grundstücke derart korrigiere, dass, nach Ermittlung der Grundstückswerte durch die Preisprüfungsstelle, die „Übernahme im Tauschwege eines zweiten meinem Verlage Albert Limbach gehörenden Hausgrundstücks (Altewiekring 36) durch das Braunschweigische Staatsministerium“ erfolgen solle. Der Verlag sei nicht in der Lage das Stiftsgrundstück zu kaufen, da zum einen die Firma Limbach über keine ausreichende „Liquiditäts-Reserve“ verfüge und zum anderen ein Verkauf dieses zweiten zum Tausch angebotenen Grundstückes nicht möglich sei, da „das Grund- stück in der Infation erworben wurde und weit unter seinem wirklichen Wert zu Buche steht“.101 Stets wurde vom Verlagshaus Limbach der Wille zum Kauf des Nachbargrund- stückes mit der Notwendigkeit einer hinteren Ausfahrt begründet. Voigt stellte noch im Juni 1942 diesen Aspekt ins Zentrum seiner im Antragschreiben getroffenen Be- gründung. Ende Juli hieß es dann jedoch in einem Schriftstück an Klagges: „Im Vor- dergrund steht z.Zt. nicht so sehr die Notwendigkeit, eine hintere Ausfahrt für den Verlag zu schaffen, als die Sicherstellung der baulichen Erweiterung überhaupt.“ 102 Daher liegt die Vermutung nahe, dass Voigt bisher vorrangig aus taktischen Erwä- gungen heraus argumentierte. Der Braunschweigische Finanzminister stellte der Firma Limbach die Nutzung der Stiftsgebäude in Aussicht, sobald ein Ersatzbau auf Kosten des Verlages103 erbaut worden ist. „Die auf dem Grundstück stehende Kapelle, die kirchlichen Zwecken nicht mehr dient, [könnte] ... sofort zum Abbruch und Schaffung einer Durchfahrt oder zum anderweitigen Gebrauch überlassen werden.“ 104 Auch im Vorvertrag vom 29. September 1942 zwischen dem Vereinigten Braunschweigischen Kloster- und Studienfonds, vertreten durch das Braunschweigische Staatsministerium und der Firma Albert Limbach K.G., ist vermerkt worden, dass die „Kapelle ... dem Verlag ... sofort zur Verfügung“ stünde.105 Das Hochbauamt der Stadt Braunschweig erfuhr laut eines Schreibens vom 24. Oktober 1942 erst einen Tag zuvor von dem beabsichtigten Verkauf des Grund- stücks Kleine Burg 8 an die Firma Limbach – ein Umstand der im Hochbauamt an- scheinend Verwunderung hervorrief. Offensichtlich waren im Vorfeld Sanierungs- maßnahmen an den Stiftsgebäuden vorgenommen worden. In dem Schreiben wird dahingehend beklagt, dass „eine geordnete Bauverwaltung nicht möglich ist und die Gefahr einer Vergeudung von Staatsmitteln besteht, wenn ohne Kenntnis des Hoch- bauamtes Gebäude verkauft werden, die z.Zt. vom Hochbauamt auftragsmäßig um-

101 Schreiben Harald E. Voigts an den Ministerpräsidenten Dietrich Klagges vom 13.07.1942: NLA- StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 102 Schreiben an den Ministerpräsidenten Klagges vom 29.07.1942: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 103 Schreiben an den Ministerpräsidenten Klagges vom 29.07.1942: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 104 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an die Firma Albert Limbach K.-G. Verlag vom 10.08.1942: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 105 Vorvertrag zwischen dem Vereinigten Braunschweigischen Kloster- und Studienfonds, vertreten durch das Ministerium des Staates Braunschweig und der Firma Albert Limbach K.G.: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle 231 gebaut und instandgesetzt werden.“ Zudem äußerte der Verfasser des Schreibens, Hillebrecht, Verwunderung über den Umstand, dass „jetzt der Abbruch sämtlicher Gebäude gestattet werden soll, obwohl die dadurch geförderte Erweiterung des in der Stadtmitte gelegenen Druckereibetriebes aus Gründen des Städtebaus und des Luftschutzes unerwünscht ist.“ Insbesondere hob er hervor, dass bisher der Denk- malausschuss stets die Erhaltung der Kapelle forderte, was dazu führte, dass das Grundstück nicht veräußert werden konnte.106 Aus einem internen Schreiben des Braunschweigischen Finanzministeriums vom 4. Oktober 1940 geht hervor, dass auch dessen Verfasser Freist bereits zum damaligen Zeitpunkt der Ansicht war, dass die Kapelle unter Denkmalschutz stünde.107 Am 12. November 1942 schrieb der Braunschweigische Finanzminister an den Braunschweigischen Minister für Volksbildung: „Im Rahmen der notwendigen Planungen besteht keine Möglichkeit, die Kapelle irgendwie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach hiesigem Da- fürhalten kann sie auch nicht als so wertvoll angesehen werden, daß dadurch die erwähnten Planungen auf die Dauer unterbunden werden dürften.“ 108 In der Stel- lungnahme des Braunschweigischen Finanzministers bezüglich der Ausführungen des Hochbauamtes vom Oktober 1942 wies dieser allerdings daraufhin, dass die Kapelle nur abgerissen werden dürfe, wenn der Denkmalschutz aufgehoben werden würde.109 Der Minister für Volksbildung ebnete schließlich den sich abzeichnenden Weg, indem er dem Finanzministerium mitteilte, dass „die Kapelle ... nicht in dem Sinne unter Denkmalschutz wie eine Reihe von Wohnhäusern in Stadt und Land Braunschweig [steht], die in einem Denkmalbuch eingetragen sind. Eine Aufhe- bung des Denkmalschutzes ist also gegenstandslos.“ Spätestens dieser Umstand be- dingte die weiteren Entwicklungen. Der Minister stimme, wenn „zwingende Gründe vorliegen“, dem Abriss des Gotteshauses zu. Lediglich verlangte er, dass ihm dies rechtzeitig mitgeteilt würde, um die Bergung einzelner „kunsthistorisch wichtige[r] Bauteile“ durchführen zu können. Zudem müsse diese Forderung im zuvor zu un- terzeichnenden Vertrag festgehalten werden.110 Der Tauschvertrag zwischen dem Vereinigten Kloster- und Studienfonds und der Firma Albert Limbach K.G., Verlag wurde schließlich am 04. April 1944 ge- schlossen. Bezüglich der Kapelle ist dem Vertrag lediglich die benannte Forderung des Ministers für Volksbildung zu entnehmen. Falls das Gebäude „abgebrochen werden soll“, würde die Firma für alle an den Minister herausgegebenen Bau- und Inventar- teile demzufolge keine Entschädigung erhalten. Die Formulierung „falls die Kapelle

106 Schreiben des Hochbauamtes Braunschweig an den Braunschweigischen Finanzminister vom 24.10.1942: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 107 Internes Schreiben des Braunschweigischen Finanzministeriums vom 04.10.1940: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 108 Schreiben des Braunschweigischen Finanzministers an den Braunschweigischen Minister für Volks- bildung vom 12.11.1942: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 109 Internes Schreiben des Braunschweigischen Finanzministeriums vom 12.11.1942: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 110 Schreiben des Braunschweigischen Ministers für Volksbildung an den Braunschweigischen Finanz- minister Referat F II: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462.

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... abgebrochen werden soll“ impliziert, dass die Entscheidung dies zu tun einzig dem neuen Eigentümer, demnach der Firma Limbach, oblag. Dieses Faktum wurde nunmehr vertraglich festgeschrieben.111 Die ein Jahr vor Kriegsende geschlossenen Vereinbarungen sollten beide Ver- tragspartner noch in der Folgezeit beschäftigen. Insbesondere eine Formulierung im Paragraph 6 Absatz 5 führte zu Differenzen. Dort heißt es:

„Sind 3 Jahre nach Kriegsende verstrichen, ohne dass die Firma Limbach unter Übersen- dung eines verbindlichen Kostenanschlages aufgefordert wurde, sich für die Einrichtung des Wohnheims oder die Kostenübernahme zu entscheiden, so ist die Firma Limbach be- rechtigt, ersatzweise an den Kloster- und Studienfonds einen Abfndungsbetrag zu zahlen, mit dessen Leistung ihr alsdann endgültig die alleinige freie und uneingeschränkte Verfü- gung über das im § 1 Ziff. 1 benannte Grundstück zufällt. Mit der Zahlungsleistung erlischt das Wiederkaufsrecht des Kloster- und Studienfonds sofort, das Nutzungsrecht 2 Jahre später. Der Kloster- und Studienfonds erklärt sich bereit, in diesem Falle die Löschung der Eintragung einzuwilligen, die das Nutzungsrecht und Wiederkaufsrecht betreffen.“ 112

Die Ursache der Auseinandersetzungen lag darin begründet, dass beide Seiten einen unterschiedlichen Standpunkt in Hinblick auf die genaue zeitliche Festlegung des Kriegsendes hatten. Nach Limbachs Interpretation war dies der 8. Mai 1945. So wurde bereits in einem Schreiben der Firma vom 10. Mai 1948 die Umsetzung der vertraglich zu Gunsten Limbachs in Paragraph 6 Absatz 5 festgelegten Punkte ver- langt.113 Die Gegenseite dagegen sah „sich nicht in der Lage, der ... vorgenommenen Auslegung des Begriffes ‚Kriegsende‘ im Sinne des Vertrages vom 4. April 1944 zu- zustimmen“ und gedachte daher nicht der Aufforderung der Firma Limbach nach- zukommen.114 Limbach verklagte daraufhin den Kloster- und Studienfonds „wegen Löschung“. Das Urteil wurde am 5. November 1948 verkündet und die Klage ab- gewiesen. In dieser Verhandlung wurde allerdings der Zeitraum des Kriegsendes eingegrenzt: „Die Festlegung des Zeitpunktes erscheint schwierig. Man könnte wohl den 1. Oktober 1945 in Betracht ziehen, zumal etwa um diese Zeit die Wieder- eröffnung der Gerichte angeordnet und dadurch wieder ein allgemeiner Rechts- schutz gegeben worden ist.“ Wie das Gericht zudem selbst feststellte, war indessen auch in diesem Falle der Zeitraum von drei Jahren bereits verstrichen, „sodass die Klägerin nunmehr befugt [war], die Abfndungssumme in D-Mark anzubieten“.115 Ein im März 1949 aufgestellter Kostenanschlag über eine Baukostensumme von

111 Beglaubigte Abschrift der Urkundenrolle Nr. 17/1944 vom 22.05.1944, enthält Tauschvertrag und Auflassung vom 04.04.1944: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 112 Beglaubigte Abschrift der Urkundenrolle Nr. 17/1944 vom 22.05.1944, enthält Tauschvertrag und Auflassung vom 04.04.1944: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45462. 113 Schreiben der Firma Limbach an den Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks Braunschweig/Präsidial- und Finanzabteilung vom 10.05.1948: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 114 Schreiben des Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltungsbezirkes Braunschweig/Präsidial- und Finanzabteilung an die Firma Limbach vom 13.05.1948: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 115 Urteilsverkündung vom 05.11.1948: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle 233 insgesamt 450000,00 DM wurde Anfang April der Firma Limbach zugestellt116, die diesen aufgrund der im Urteil von November 1948 getätigten Feststellung zu- rückwies117. Zu Beginn des Jahres 1950 fand das Berufungsverfahren gegen den Vereinigten Kloster- und Studienfonds statt. In diesem wurde das im November 1948 ergangene Urteil bestätigt und somit die Klage ein weiteres Mal abgewiesen.118 Die Firma Limbach ging daraufhin in Revision und am 29. November 1951 wurde schließlich ein Vergleich zwischen der Firma und dem Vereinigten Kloster- und Studienfonds geschlossen. Gemäß diesem Vergleich zahlte die Firma alle im Ver- trag von 1944 festgelegten Forderungen an den Kloster- und Studienfonds. Dieser hatte im Gegenzug die Grundstücke Altewiekring 36 und Adolfstraße 60 der Firma rückzuübertragen. Zudem musste dieser bis 30. Juni 1953 alle Räumlichkeiten in der Kleinen Burg 8 verlassen.119

IV. Die evangelisch-reformierte Gemeinde in der Maria-Magdalenen-Kapelle (1946 bis 1954) In Bezug auf das Stift waren die ersten Nachkriegsjahre jedoch nicht nur von gericht- lichen Auseinandersetzungen, sondern auch von der Nutzung der Kapelle durch die evangelisch-reformierte Gemeinde geprägt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lag Braunschweigs Innenstadt in Trümmern und auch zahlreiche Kirchengemeinden hatten ihr Obdach durch Bom- bentreffer verloren. Nach Jünke „überstand [die Kapelle] unbeschädigt alle Luftangriffe des Krieges“.120 Er formuliert dies derart absolut, dass sich die Frage nach Zerstörun- gen des Stiftes St. Aegidii zu erübrigen scheint. Tatsächlich befand sich die Kapelle in einem Teil der zu 90% zerstörten Innenstadt, welcher weniger stark getroffen wurde.121 Jedoch existiert im Staatsarchiv Wolfenbüttel eine Akte mit dem Titel „Kriegsschäden Braunschweig, Kleine Burg“, in der auch das Grundstück Nummer acht verzeichnet ist. Allerdings geht aus diesem Schriftstück nicht hervor, welches Gebäude des Stiftes beschädigt wurde. Es wird einzig ersichtlich, dass es zu Schäden an Dachfächen und Fenstern auf dem Grundstück in Folge eines Bombentreffers

116 Kostenanschlag für den Ersatzbau für das Grundstück Kleine Burg 9, Braunschweig vom 23.03.1949: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 117 Schreiben des Rechtsanwalts und Notars Walter Hübner an den Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltunsgbezirks Braunschweig/Präsidial- und Finanzabteilung – Verwaltung des Braunschwei- gischen Vereinigten Kloster- und Studienfonds [undatiert]: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45453. 118 Urteilsverkündung im Berufungsverfahren vom 24.02.1950: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 119 Vergleich zwischen der Firma Limbach und dem Vereinigten Kloster- und Studienfonds vom 29.11.1951: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 120 JünKe (wie Anm. 21), S. 214. 121 Vgl. Bollmannplan. In: mertenS, Jürgen: Die neuere Geschichte der Stadt Braunschweig in Kar- ten. Pläne und Ansichten. Braunschweig 1981, Blatt 66.; ebd., Blatt 64 und 65: Luftangriffe und Kriegsschäden 1944 bis 1945.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 234 Torsten Priem gekommen war.122 Zudem ist dieser Antrag bereits am 23. Mai 1944 und somit vor dem schwersten Angriff auf die Stadt im Oktober 1944 und fast ein Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges gestellt worden. Weitere Quellen zu etwaigen Zer- störungen sind nicht bekannt. Seitdem der Frauenkonvent die Räumlichkeiten in der Kleinen Burg verlassen hatte, stand die Kapelle wahrscheinlich leer. Daher bot sich nach dem Krieg die Möglichkeit, dass eine Kirchengemeinde, die ihre Heimstätte verloren hatte, dort ein neues Domizil fnden konnte. Es ist aber nicht bekannt wie bzw. ob das Gottes- haus in den ersten beiden Nachkriegsjahren genutzt wurde, ob es Kirchgemeinden für Gottesdienste diente oder vielmehr ungenutzt die Zeit überdauerte, während Braunschweigs Innenstadt langsam ein neues Äußeres erhielt. Aus den Aufzeichnungen im Protokollbuch des Presbyteriums der evangelisch- reformierten Gemeinde zu Braunschweig geht hervor, dass „Herr Busmann ... we- gen der Ägidienkapelle vor der Burg Erkundigungen einziehen [will].“ 123 Dieser Eintrag stammt vom 17. Dezember 1946 und ist der Beginn einer hoffnungsvoll wirkenden Entwicklung für die Zukunft der Maria-Magdalenen-Kapelle. Das Gemeinde- und das Gotteshaus der evangelisch-reformierten Kirche St. Bartholomäus waren in Folge der Bombardierungen des 14./15. Oktober 1944 zerstört worden.124 Aus diesem Grund bestand die Notwendigkeit der Suche nach einer anderen Räumlichkeit, an der der Gottesdienst zelebriert werden könnte – ein Ort, der der Gemeinde als neue Heimstätte dienen sollte. Eine erste Besichtigung der Maria-Magdalenen-Kapelle durch die ein Obdach suchende Gemeinde fand am 30. Januar 1947 statt.125 Nachdem Professor Thulesi- us126 am 24. April 1947 mit dem Leiter des Verlages Limbach sprach127, beschleu- nigten sich die Entwicklungen zusehends. Bereits am 8. Mai, derweil zwei Jahre nach Beendigung des Krieges, hatte Presbyter Busmann mit Limbach die Einzelheiten des Vertrages verhandelt. Dieser sollte auf fünf bis zehn Jahre geschlossen werden und die jährliche Miete 900 Mark betragen.128 Im Juli 1947 begannen die Renovierungsmaßnahmen der Kapelle. Die Eintra- gungen von Pastor Frielinghaus im Protokollbuch des Presbyteriums zeugen von einer regen Betriebsamkeit:

122 Antrag auf Entschädigung nach der Kriegssachschädenverordnung vom 23.05.1944: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45177. 123 Eintrag im Protokollbuch des Presbyteriums der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braun- schweig vom 17.12.1946 (Archiv der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braunschweig). 124 FUhrich-grUbert (wie Anm. 19), S. 145. 125 Eintrag im Protokollbuch des Presbyteriums der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braun- schweig vom 30.01.1947 (Archiv der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braunschweig). 126 Johann Daniel Thulesius (1889–1967): Professor für Architektur an der Technischen Hochschule Braunschweig; vgl. LUFFt, Peter: Johann Daniel Thulesius. In: Braunschweiger Stadtlexikon (wie Anm. 10), S. 129. 127 Eintrag im Protokollbuch des Presbyteriums der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braun- schweig vom 24.04.1947 (Archiv der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braunschweig). 128 Eintrag im Protokollbuch des Presbyteriums der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braun- schweig vom 08.05.1947 (Archiv der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braunschweig).

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„Kapelle, Vor der Burg 8: ein Malermeister soll sofort den Anstrich beseitigen und Kalk spritzen (Bögen Werkstein); danach sogleich Umzug mit Orgel; Andreas Thulesius schmie- det Kettenglieder für den bronzenen Kronleuchter aus der alten Kirche (Kerzen stellt Presb. Meier); die Katharinen-Gemeinde vermietet uns Kirchenbänke. Empore, Gestühl, Wind- fang, Sakristei, Kanzel: allmähliche Beschaffung; sofort Material für Bau der eigenen Orgel ansammeln (Rücksprache mit der Firma Weißenborn und Duttkowsky); Herr Meier kann vielleicht für Holz sorgen ... Prof. Th. berichtet über die Kapelle: Prof. Th. hat selbst die letzte Hand an die Ausmalung gelegt, sein Sohn Andreas hat die selbstgeschmiedeten Kettenglieder für den Kronleuchter aufgehängt. – Die Beschaffung der Altarplatte und der 12 qm Stufenplatten aus Velpke bzw. Grasleben stößt auf Schwierigkeiten: beim Transport wollen die Herren Busmann und Lüdecke helfen. – Die Firma Peters in Ölper liefert die beiden Stützsteine für die Altarplat- te und die 8 m Schwelle für die Stufe ...“ 129

Am 29. Juli 1947 hatte die Firma Limbach den Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks davon in Kenntnis gesetzt, dass die Kapelle an die evangelisch- reformierte Gemeinde vermietet worden sei.130 Zwischenzeitlich kam es laut Frie- linghaus zu Mietnachzahlungsforderungen für die Kapelle durch die Firma Limbach. Worin diese Ansprüche begründet waren, ist dem Protokollbuch nicht zu entneh- men. Eventuell gibt es jedoch einen Zusammenhang mit der von Frielinghaus am selben Tag im Protokollbuch notierten Bitte der Landeskirchlichen Gemeinschaft, die Kapelle bei Zahlung des halben Mietpreises ebenfalls nutzen zu können.131 Ende September 1947 stimmte Limbach dem Antrag der Gemeinschaft zu und auch hin- sichtlich der benannten Forderungen scheint es zu einer Einigung gekommen zu sein. Dazu schrieb Frielinghaus: „Presb. Busmann hat mit der Firma Limbach wegen der geforderten Nachzahlung der Miete in DM verhandelt. Es ist anzunehmen, daß die Auffassung des Presbyteriums sich durchsetzt.“ 132 Am 25. Januar 1948 fand der erste Gottesdienst der evangelisch-reformierten Gemeinde in der renovierten Maria-Magdalenen-Kapelle statt. Laut Frielinghaus war die „Herrichtung dieser edlen, alten Kapelle unseren Presbytern ein Gottes- dienst“ und begründete die Form der Renovierung mit den Worten: „Demütig blei- ben wir bei der Schlichtheit unserer Väter“.133 Der Denkmalausschuss der Stadt Braunschweig besichtigte am 1. April neben weiteren Plätzen und Bauwerken auch die Maria-Magdalenen-Kapelle. In einem wenige Tage später verfassten Vermerk steht über die Kapelle geschrieben:

129 EintragimProtokollbuchdesPresbyteriumsderEvangelisch-reformiertenGemeindezuBraunschweig vom 18.07.1947 (Archiv der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braunschweig). 130 Schreiben der Firma Limbach an den Präsidenten des Niedersächischen Verwaltungsbezirks Braunschweig/Präsidialabteilung vom 29.07.1949: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 131 EintragimProtokollbuchdesPresbyteriumsderevangelisch-reformiertenGemeindezuBraunschweig vom 21.08.1947 (Archiv der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braunschweig). 132 EintragimProtokollbuchdesPresbyteriumsderevangelisch-reformiertenGemeindezuBraunschweig vom 22.09.1947 (Archiv der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braunschweig). 133 Zur Einweihung der Maria-Magdalenen-Kapelle durch die ev.-ref. Gemeinde am 25.01.1948 – Pre- digt von Pastor Frielinghaus (Archiv der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Braunschweig).

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„Magdalenen-Kapelle von Prof. Thulesius für die reformierte Gemeinde als erstes Bei- spiel der Wiederherstellung eines sakralen Innenraumes instandgesetzt. Die durchgeführten Maßnahmen werden als hervorragend empfunden.“ 134

War die Bedeutung des Gotteshauses bisher vielfach missachtet worden, so hätte sich dies spätestens seit der Zeit des Wiederaufbaus der Braunschweiger Innen- stadt ändern müssen. Nun war die Kapelle nicht mehr nur ein Relikt des späten Mittelalters, welches die Jahrhunderte und auch den Zweiten Weltkrieg überdau- erte, sondern vor allem war sie sichtbares Zeichen des beginnenden Wiederaufbaus Braunschweiger Gotteshäuser. Der starke Wille und das Engagement der evange- lisch-reformierten Gemeinde ermöglichte es, dass ein scheinbar in Vergessenheit geratenes Gebäude der Ort des ersten wieder hergerichteten sakralen Innenraumes der Stadt werden konnte. Die evangelisch-reformierte Gemeinde sah die Kapelle jedoch stets nur als Übergangsquartier an. So lehnte sie mehrfach Kaufangebote für das Grundstück der Bartholomäuskirche ab und forcierte vielmehr den Wiederaufbau ihres Gottes- hauses. St. Bartholomäus erhielt bereits 1950 ein neues Dach und am 21. März 1954 fand der Gottesdienst „zur Einweihung der evangelisch-reformierten Kirche auf der Schützenstraße“ statt.135 Nach sechs Jahren als Gast in der Maria-Magdalenen- Kapelle zog die Gemeinde 1954 wieder in ihr eigenes hergerichtetes Gotteshaus.136 Mit dem Auszug der Gemeinde war zugleich die kirchliche Nutzung der Kapelle vorüber – von nun an sollte nie mehr ein Gottesdienst in ihr stattfnden.

V. Der Abriss der Maria-Magdalenen-Kapelle 1955

Der Wiederaufbau der Stadt Braunschweig war Mitte der 1950er Jahre bereits weit vorangeschritten. Letzte Ruinen und Schuttmassen wurden beseitigt und neue Ge- bäude entstanden. Nach und nach fügte sich ein neues Braunschweiger Innenstadt- bild. In dieser Zeit des Wirtschaftsaufschwungs erwog auch die Firma Limbach, nun die zu Kriegszeiten gefassten Pläne zur Erweiterung des Betriebes umzusetzen. Zwar hätte aufgrund der durch die starken Zerstörungen entstandenen innerstädtischen Freifächen die Möglichkeit bestanden, auf nunmehr brachliegende Gebiete auszu- weichen – eine Option die vor 1944 nicht bestand – jedoch hielt die Firma an ihren alten Plänen fest. Am 4. November 1954 teilte die Firma Limbach dem Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltungsbezirkes Braunschweig, Hubert Schlebusch, mit, dass „die auf dem Grundstück Kleine Burg 8 befndliche Kapelle im nächsten Monat

134 Vermerk über die Besichtigungsfahrt des Denkmalausschusses am 01.04.1948 vom 07.04.1948: NLA-StA WF 319 N Zg. 8/1997 Nr. 32. 135 FUhrich-grUbert (wie Anm. 19), S. 146f. 136 JünKe (wie Anm. 21), S. 88.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle 237 aus baulichen Gründen“ abgerissen würde137. Der Landeskonservator Dr. Kurt See- leke138 äußerte sich zu dieser Problematik wie folgt:

„Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, daß zur Zeit der Vertragsschließung die Alt- stadt Braunschweig mit ihrer Fülle historischer Gebäude noch erhalten war, muss die be- denkenlose Preisgabe dieser Kapelle seitens der Vertreter des damaligen Staates als unver- ständlich und unverantwortlich bezeichnet werden. Der Vertrag ist ohne Anhörung des zuständigen Denkmalpfegers formuliert worden. Mit der Beseitigung der Maria-Magdalenen-Kapelle würde das in seiner Art einzig erhal- tene Beispiel eines städtischen Stiftes, das aus Kapelle, Wohn- und Wirtschaftsgebäuden zu bestehen pfegte, in seiner charakteristischen baulichen Struktur, auf die es in diesem Falle insbesondere ankommt, vernichtet.“ 139

Seeleke selbst war bereits seit 1943 Landesdenkmalpfeger im Braunschweigischen Landes- und Kulturverband. Inwieweit er von den Vorgängen vor 1945 bereits zu damaliger Zeit etwas wusste, ist den Quellen nicht zu entnehmen. Sicher ist jedoch, dass er 1954 den Umgang mit dem Stift St. Aegidii und der Maria-Magdalenen- Kapelle aufgrund ihrer kultur- und bauhistorischen Bedeutung verurteilte. Seeleke unterbreitete daher dem Inhaber des Verlagshauses Limbach, Hans Eckensberger, den Vorschlag, das Stiftsgründstück gegen ein anderes an das Verlagsgelände gren- zendes Grundstück zu tauschen, um die Kapelle erhalten zu können. Von Seiten des Verlages soll es gegenüber diesem Plan eine „grundsätzliche Bereitschaft“ gegeben haben.140 Auch wichtige Vertreter der Stadt, wie der Oberstadtdirektor Dr. Erich Walter Lotz und Stadtbaurat Willi Schütte sowie der Präsident des Verwaltungs- bezirks Braunschweig setzten sich für dieses Vorhaben ein.141 Trotz dieser Bemü- hungen stimmte der Planungsausschuss der Stadt Braunschweig dem Abriss der Kapelle zu, sodass die Firma Limbach im Januar 1955 mitteilte, dass sie „nunmehr unverzüglich mit dem Abbruch beginnen“ werde.142 Am 20. Januar 1955 erschien

137 Schreiben der Firma Albert Limbach an den Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks Braunschweig Hubert Schlebusch vom 4.11.1954: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 138 Kurt Seeleke (1912–2000): seit 1943 Landeskonservator beim Braunschweigischen Landes- und Kulturverband; in dieser Funktion war er für den Erhalt und die Sicherung zahlreicher Kulturgüter verantwortlich. Nach dem Krieg war Seeleke maßgeblich am Wiederaufbau der Stadt Braunschweig beteiligt. Vor allem auf ihn geht die Idee der Schaffung von sog. „Traditionsinseln“ in Braunschweig zurück. Vgl. NLA-StA WF Vorwort zum Findbuch 319 N (Nachlass Kurt Seeleke); bOecK, Urs: Nachruf auf einen engagierten Denkmalpfleger: Kurt Seeleke. In: Berichte zur Denkmalpfle- ge in Niedersachsen, Heft 3, Jg. 2000, S. 168. 1950 ging nach der Auflösung des Braunschwei- gischen Landeskulturverbandes die Zuständigkeit für die Denkmalpflege im Verwaltungsbezirk Braunschweig an das Land Niedersachsen (Landesdenkmalamt/Denkmalverwaltungsamt) über. 139 Schreiben des Amtes für Denkmalpflege, Dr. Kurt Seeleke, an den Präsidenten des Niedersäch- sischen Verwaltungsbezirks Braunschweig Abteilung I b Finanzen zu Hdn. Herrn Regierungsrat Keller vom 18.11.1954: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 140 Ebd. 141 Schreiben des Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks Braunschweig Abteilung Ib Finanzen – Verwaltung des Braunschweigischen Kloster- und Studienfonds – an die Firma Lim- bach vom 27.11.1954: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 142 Schreiben der Firma Limbach an den Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks Braunschweig vom 10.01.1955: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 238 Torsten Priem in den Braunschweiger Nachrichten ein Artikel mit dem Titel: „Was wird aus der Magdalenen-Kapelle? Wird man eine allgemein befriedigende Lösung fnden?“ Darin heißt es unter anderem:

„Wieder einmal stehen hier verschiedene Interessen gegeneinander, die nur die offene Aus- sprache der Einsichtigen zu einer allseitig befriedigenden Lösung führen könnte: das recht- lich untermauerte Interesse des Eigentümers auf bauliche Erweiterung, das ideelle Interesse der Allgemeinheit auf Erhaltung eines denkmalgeschützten Bauwerks, das Interesse der Stadt an einer dem Verkehr zu erschließenden Gesamtplanung des ganzen Quartiers und schließlich die baupolizeilichen Schranken der Wahrung vorgeschriebener Abmessungen von Gebäudehöhen und -abständen.“ 143

Während einer Besprechung am 25. Januar 1955 wurde schließlich generell bejaht, dass das „Interesse an der Erhaltung der Maria-Magdalenen-Kapelle so groß ist, dass der Staat die Abtretung des Grundstücks verlangen soll“. Im Falle eines Grund- stückstausches wurde angedacht, das Gelände der Mädchenoberschule dem Verlag zu überlassen, was allerdings die Verlegung der Schule bedeutet hätte. Während dieser Besprechung wurde indes hervorgehoben, dass die Stadt schon seit länge- rem beabsichtigte, die Schule an diesem Standort aufzugeben. Zu diesem Zeitpunkt entstand bereits ein Teilersatzbau in der Eulenstraße. Hinsichtlich der Finanzierung dieses Projektes gab es jedoch „erhebliche Bedenken“. Dennoch beabsichtigte der niedersächsische Landeskonservator Professor Oskar Karpa144 beim Kultus- und Finanzministerium für dieses Vorhaben einzutreten:

„Er bat das Landesamt für Denkmalpfege auf dem Dienstwege durch die Abteilung für Volksbildung, umgehend einen entsprechenden Antrag an den Nds. Kultusminister zu stellen und versprach, bis spätestens 15.4.1955 eine Entscheidung herbeizuführen, da der Verlag dann mit den Abbruch- und Bauarbeiten beginnen muss. Sollte eine Entscheidung zu diesem Termin nicht erreicht werden können, so gelte der Antrag als abgelehnt. Der Landeskonservator stimme dann dem Abbruch der Kapelle stillschweigend zu, und die Abbruchgenehmigung könne gem. Abbruch-VO vom 3.4.1937 gegeben werden.“ 145

Noch am 13. April 1955 wurde in den Braunschweiger Nachrichten der Plan zum Abriss des Schulgebäudes erwähnt.146 Eine handschriftliche Notiz vom 30. Juni 1955 auf dem Besprechungsprotokoll vom 25. Januar zeugt jedoch davon, dass

143 P. L.: Was wird aus der Magdalenen-Kapelle? Wird man eine allgemein befriedigende Lösung finden? In: Braunschweiger Nachrichten, 3. Jg., Nr. 16, 20.01.1955. 144 reUther, Hans: in memoriam Oskar Karpa [1899–1963]. In: Niedersachen, Jg. 1963, S. 566ff. 145 Vermerk über die Besprechung vom 25.1.1955 betr. Abbruch der Maria-Magdalenen-Kapelle in Braunschweig: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. Karpa agierte beim Ringen um den Erhalt/ Abriss des Braunschweiger Residenzschlosses 1960 ebenso zurückhaltend. Vgl. wedemeyer, Bernd: Das ehemalige Residenzschloß zu Braunschweig. Eine Dokumentation über das Gebäude und seinen Abbruch im Jahre 1960. Braunschweig 1993, S. 126, 131f., 163. 146 NN: Fachwerkhaus in neuem Glanz. In: Braunschweiger Nachrichten, 3. Jg., Nr. 85, 13.04.1955. Das Schulgebäude ist bis heute erhalten geblieben und wird noch immer als Schule genutzt.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Geschichte der Maria-Magdalenen-Kapelle 239 keine Entscheidung herbeigeführt wurde. Dort heißt es: „Die Angelegenheit ist er- ledigt. Kapelle wird abgebrochen. Regierungspräsident diktierte Pressenotiz. Die Liegenschaftsverwaltung hat nichts mehr zu veranlassen.“ 147 In der „summarischen Übersicht über die wichtigsten Objekte der denkmalpfe- gerischen Arbeit während des Rechnungsjahres 1954/55“ steht zu dieser Thema- tik abschließend geschrieben: „Anstrengendste Bemühungen um die Erhaltung der Maria-Magdalenen-Kapelle 15. Jh., die an der Unentschlossenheit der Verhand- lungspartner scheiterte.“ 148 Im Juli 1955 wurde das Gotteshaus schließlich abgebrochen.149 Nur einzelne Schmuckelemente der Kapelle wurden während der Arbeiten geborgen und blieben somit erhalten. Dazu zählen in erster Linie die Figur der Maria Magdalena150 und der bei den Abbrucharbeiten gefundene Grundstein.151 Aber auch das Portal der Kapelle blieb erhalten und wurde 1966 im Nachfolgebau des alten Zeughauses in der Südfront eingebaut.152 Andere anscheinend geborgene Bauelemente, wie das Maßwerk der Fenster und die Konsolen, sind jedoch seither verschollen.153 Aus dem Brandschutzversicherungsverzeichnis der Stadt Braunschweig geht her- vor, dass am 2. April 1957 ein Versicherungsantrag für ein neues Gebäude auf dem Grundstück Kleine Burg 8 gestellt wurde.154 Demnach war zwei Jahre nach dem Abriss der Kapelle und der angrenzenden Stiftsgebäude bereits der Erweiterungsbau des Pressehauses Limbach fertig gestellt worden. Genau 25 Jahre später verlegte die Firma Limbach ihren Stammsitz in die Hamburger Straße 277,155 so dass die nun zusammengehörigen Grundstücke Hutfltern 8 und Kleine Burg 8 einer ande- ren Nutzung zugeführt werden konnten. Nach einem knappen Vierteljahrhundert wurde der Neubau, für welchen die Kapelle abgerissen wurde, ebenfalls rückgebaut. 1983 eröffnete an diesem Ort die Burg-Passage,156 deren zentrale Kuppel sich an der Stelle erhebt, an der über mehrere Jahrhunderte hinweg die Maria-Magdalenen- Kapelle stand. Der Abriss der Kapelle wurde in den regionalen Zeitungen nicht thematisiert.157 Selbst die Braunschweiger Nachrichten, die noch im Januar die Zukunft der Ka- pelle hinterfragten, berichteten nicht über deren Abriss. Dass die führende örtliche Tageszeitung, die „Braunschweiger Zeitung“ nicht über den Abbruch informier-

147 Vermerk über die Besprechung vom 25.1.1955 betr. Abbruch der Maria-Magdalenen-Kapelle in Braunschweig: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 148 Summarische Übersicht über die wichtigsten Objekte der denkmalpflegerischen Arbeit während des Rechnungsjahres 1954/55, Blatt 2; NLA-StA WF 319 N Zg. 8/1997 Nr. 32. 149 Auf der Rückseite einer Fotographie der Maria-Magdalenen-Kapelle vermerkt: StadtA BS HXVI: HXI 1. 150 Die Figur soll sich in einer Vitrine aus „einbruchsicherem Glas“ im Verlagshaus Limbach befinden. Vgl. NN: Schöne alte Magdalenen-Kapelle. In: Braunschweiger Zeitung. Der Sonntag, 36. Jg., Nr. 11, 15.03.1981. 151 JünKe (wie Anm. 21), S. 217. 152 SpieSS (wie Anm. 35). 153 JünKe (wie Anm. 21), S. 219. 154 Versicherungsantrag vom 02.04.1957; NLA-StA WF 131 N Zg. 26/1978 Nr. 883. 155 camerer (wie Anm. 70). 156 pingeL, Norman-Mathias: Passagen. In: Braunschweiger Stadtlexikon (wie Anm. 10), S. 177. 157 Mithilfe ergebnisloser Recherchen des Verfassers nachgewiesen.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 240 Torsten Priem te, liegt höchstwahrscheinlich in der Tatsache begründet, dass sie vom Druckhaus Limbach selbst herausgegeben wurde und noch immer wird. Auch in deren 1965 erschienener Publikation zum 100jährigen Bestehen des Verlages fndet die Kapelle keine Erwähnung – lediglich die Erweiterung des Verlagsgebäudes wird benannt.158 Erst 1981 wurde in zwei Artikeln der „Braunschweiger Zeitung“ über die Kapelle berichtet. Zunächst bat eine Leserin um Informationen zur Geschichte der Kapelle. Zu deren Verbleib heißt es dort: „Die Kapelle ist 1955 abgebrochen worden, um einem modernen Industriebau Platz zu machen.“ 159 Im Juli 1981 erschien dann ein Artikel mit dem Titel „Erhaltene und verschwundene Zeugen Braunschweiger Kirchbaugeschichte“, in welchem in wenigen Worten auch die Maria-Magdalenen- Kapelle und ihr Abbruch erwähnt wurde.160 In selbiger Zeitung erschien schließlich 1997 ein Artikel mit dem Titel „Verschwundene Kapelle“. In diesem wurde erst- mals in einer Veröffentlichung der Druckerei Limbach ausführlich dargelegt, dass die Kapelle wie auch das nahe Stiftsgebäude einem Erweiterungsbau der Druckerei weichen musste.161

VI. Schlussbetrachtung

„Bei der im Juni 1945 einsetzenden und etwa bis 1950 dauernden, mitunter hektischen Trümmerräumung wurden, gegen den heftigen Widerstand der Denkmalpfege, Dutzende [sic] bedeutender und nach statischen Gutachten standfester Massivfassaden vorwiegend des Barock und Klassizismus ohne Not abgebrochen ... Stadtbaurat Johannes Göderitz schrieb 1949, die wertvollsten erhaltenen Fassaden des 18. Jh. ... harrten noch einer Wie- derherstellung. Keine dieser Fassaden ist erhalten worden.“ 162

Der Verlust Braunschweiger Innenstadtarchitektur liegt in erster Linie in den schweren Bombenangriffen auf die Stadt während des Zweiten Weltkrieges be- gründet. Jedoch prägte zudem die Zeit des Wiederaufbaus das heutige Stadtbild in großem Maße. Wie das Zitat verdeutlicht, wurden nicht nur Gebäude abgebrochen, die völlig zerstört worden sind, sondern auch zahlreiche, die wiederaufgebaut hät- ten werden können. Aus heutiger Sicht erscheint es unverständlich, einer Stadt, die durch die Kriegseinwirkungen schon derart stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, auch noch Teile ihrer Identität zu rauben, die hätten wiedererstehen können. Jedoch sollte in dieser Frage stets bedacht werden, dass der Wohnungsbau und die Schaf- fung eines intakten Stadtgefüges Vorrang hatten.

158 Vgl. Albert-Limbach KG (Hrsg.): 100 Jahre, trotzdem jung. zum 100jährigen Bestehen am 28. Okt. 1965. Braunschweig 1965. 159 NN: Schöne alte Magdalenen-Kapelle. In: Braunschweiger Zeitung. Der Sonntag, 36. Jg., Nr. 11, 15.03.1981. 160 Be: Erhaltene und verschwundene Zeugen Braunschweiger Kirchbaugeschichte. In: Braunschwei- ger Zeitung, 36. Jg., Nr. 156, 09.07.1981. 161 K. M.: Verschwundene Kapelle. In: Braunschweiger Zeitung, 52. Jg., Nr. 74, 29.03.1997. 162 beSeLer/gUtSchOw (wie Anm. 1), S. 205.

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Skandalös ist es allerdings, innerhalb eines solchen städtischen Milieus neben den benannten, wiederaufbaufähigen Gebäuden, auch noch Bauwerke abzureißen, die den Krieg unbeschadet überstanden hatten und von bauhistorischem Wert waren. In verschiedenen über die Maria-Magadalenen-Kapelle vor dem Zweiten Welt- krieg erschienenen Zeitungsartikeln ist fast durchgängig zu lesen, dass sie „die ein- zige des Blasiusstiftes ist, die die Stürme der Zeit überdauert hat“.163 Seeleke formu- lierte 1954 sogar, dass „die mit polygonalem Chorschluss aus dem 15. Jahrhundert stammend[e Kapelle], das interessanteste und einzig erhaltene Beispiel dieser Baugattung in der Braunschweiger Altstadt“ sei.164 Allein diese Aspekte verdeut- lichen, welche Bedeutung das Bauwerk für die Stadt Braunschweig und ihre ge- schichtliche und kulturelle Identität hatte. Aus heutiger Sicht ist der bewusste Abriss eines spätgotischen kirchlichen Bauwerks nach Kriegsende in der Braunschweiger Innenstadt rundweg unverständlich. Der Abriss der Maria-Magdalenen-Kapelle ist in Braunschweig zwar weniger bekannt, aber dennoch nicht weniger kritisch zu be- trachten als der 1960 erfolgte Abriss des Braunschweiger Stadtschlosses.165 Vor dem Hintergrund der beklemmend langen Listen im Zweiten Weltkrieg zerstörter nieder- sächsischer Baudenkmale,166 lassen sowohl der Schloss- als auch der Kapellenabriss Züge einer Art Wiederaufbau-Vandalismus erkennen. Schwerste Kulturgutverluste erlitten Stadt und Land Braunschweig schon 400 Jahre vor den beschriebenen Er- eignissen beim Reformatorischen Bildersturm.167 Die Beurteilung, ob der Abriss der Kapelle durch ein stärkeres Engagement des Amtes für Denkmalpfege und der Stadt Braunschweig hätte verhindert werden können, kann und soll an dieser Stelle nicht erfolgen. Sicher ist nur, dass die Mög- lichkeit zum Erhalt des Bauwerkes vorhanden war, aber nicht ergriffen worden ist.

163 NN: Das Aegidienstift und die Maria-Magdalenen-Kapelle. In: Braunschweigische Landeszeitung und Braunschweiger Tageblatt, 20. Jg., Nr. 113, 08.03.1899. 164 Schreiben Dr. Seelekes an den Stadtbaurat der Stadt Braunschweig, Willi Schütte, vom 18.11.1954: NLA-StA WF 12 Neu 13 Nr. 45463. 165 Die Außenmauern des Braunschweiger Stadtschlosses wurden 2005 bis 2007 wiedererrichtet und sind Teil der Schloss-Arkaden. 166 Vgl. Die Baudenkmale im Arbeitsgebiet der Historischen Kommission. Eine Übersicht über ihre Kriegsschicksale und den Stand ihrer Wiederherstellung, Teil I bis III. In: Niedersächsisches Jahr- buch für Landesgeschichte 21 (1949), S. 252–265; 22 (1950), S. 222–229; 23 (1951), S. 265– 268. 167 wanderSLeb, Martin: Luthertum und Bilderfrage im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel und in der Stadt Braunschweig im Reformationsjahrhundert. In: Jahrbuch der Gesellschaft für nieder- sächsische Kirchengeschichte 66 (1968), S. 18–80. Siehe auch Bd. 67 (1969), S. 24–90 und Bd. 68 (1970), S. 208–273. Demandt schreibt zu diesem Aspekt: „Im 16. Jahrhundert hat durch die Re- formation das biblische Gebot: ‚Du sollst dir kein Bildnis oder Gleichnis machen‘ einen Bildersturm ausgelöst, von dem nicht nur die leeren Konsolen zahlreicher Kirchen bis heute Zeugnis ablegen.“ Vgl. demandt, Alexander: Vandalismus. Gewalt gegen Kultur. Berlin 1997, S. 133f.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Pfarr- und Propsteiarchive im Landeskirchlichen Archiv in Wolfenbüttel

als Quelle für die Untersuchung des Dorfschulwesens im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel nach der Landschulordnung Herzog Karls I. von 1753

von

Victor-L. Siemers

Die „Ordnung für die Schulen auf dem Lande“1 vom 22. September 1753 gilt als eine der fortschrittlichsten Schulordnungen der Zeit. Sie ist sehr umfangreich: Ein Vorwort mit 23 §§ und ein Hauptteil mit 49 §§. Sie ist in der Literatur gewürdigt und braucht daher hier nicht im Detail vorgestellt werden. Die Durchsetzung dieser Schulordnung ist jedoch, abgesehen von den Berichten über das elende Dasein ein- zelner Schulmeister, bisher nicht untersucht worden.2 Sie enthält aber in den §§ 19 und 28 eingehende Vorschriften über ein Berichtswesen, das den jeweiligen Obrig- keiten, beginnend mit dem Prediger als Vorgesetztem des Schulmeisters über den Superintendenten, den (später eingerichteten) Generalsuperintendenten bis zum Konsistorium ein recht genaues Bild vom Zustand der Landschulen vermittelte. Das Konsistorium stand in enger Verbindung mit dem Herzog. Jede Ebene war befugt und aufgefordert, erkannte Mängel zu beheben.3 Die Reihe der auf den Erlass der Schulordnung folgenden Verordnungen lässt darauf schließen, dass die Umsetzung auf zahlreiche Schwierigkeiten gestoßen ist. Das hat seinen Grund nicht nur in der noch ziemlich schwerfälligen Bürokratie der Zeit, sondern auch in der Einstellung der Beamtenschaft zur Schulpficht auf dem Lande. „Außer der Landbevölkerung waren es auch viele fürstliche Beamte, welche dem neuen Schulgesetz ungünstig gegenüberstanden, offenbar deshalb, weil ihnen die geistige Bildung des Bauernstandes als überfüssig, wenn nicht gar als schäd- lich erschien,“ schreibt Koldewey;4 hinzu kamen die Auswirkungen des 7-jährigen Krieges, die dem Lande manche Last aufbürdeten, obwohl es nicht kriegsführende Partei war.

1 Vgl. KOLdewey, Friedrich: Schulordnungen des Herzogtums Braunschweig (mit Ausschluss der Hauptstadt des Landes) vom Jahre 1248–1826. Berlin 1890; peterSen, Walter: Verzeichnis der Einblattdrucke und Handschriften aus dem Rechtsleben des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg. Teil II. Wiesbaden 1984 (Repertorien zur Erforschung der frühen Neuzeit 9), S. 694, 1123. 2 Z.B. JürgenS, Klaus, KUhr, Hermann: Dorfschullehrer im Lande Braunschweig. Wolfenbüttel 2001. 3 Dieser Aufsatz ist entstanden bei der Verzeichnung von Pfarr- und Propsteiarchiven im Landes- kirchlichen Archiv in Wolfenbüttel. Für weitere Untersuchungen wäre die umfangreiche Komple- mentärüberlieferung im Staatsarchiv heranzuziehen. 4 KOLdewey (wie Anm. 1), S. XCVf.

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Weitere Verordnungen Karls I. nach Ende des 7-jährigen Krieges und besonders von seinem Sohn und Nachfolger, Herzog Karl Wilhelm Ferdinand (1780–1806), in den Jahren nach 18025 zeigen, dass die Umsetzung der Verordnung und besonders das Berichtswesen immer wieder eingeschärft bzw. angemahnt werden mussten. Soweit der Blick auf die Gesetze und Verordnungen. Über das Verhältnis von Norm und Wirklichkeit wissen wir nur wenig. Dabei gibt es dazu eine aussagefähige Quellengattung, nämlich die Akten der Pfarr- und Propsteiarchive, die in groß- er Anzahl im Landeskirchlichen Archiv in Wolfenbüttel verwahrt werden und zu einem großen Teil auch verzeichnet und damit zugänglich gemacht sind. Vergleichbare Untersuchungen gibt es für Ostfriesland am Beispiel des Dorfes Arle6 und für Nassau-Usingen.7 In beiden Fällen war jedoch das Berichtswesen nicht so umfassend organisiert wie im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, so dass dort mehr auf die obrigkeitlichen Verordnungen abgestellt wurde, als auf die Berichte der Involvierten. In den Akten in Wolfenbüttel dagegen fnden sich einzeln und reihenweise die von der Schulordnung von 1753 vorgeschriebenen Lektionstabellen, Schultabel- len, Absentenlisten und Schulberichte. Der Verfasser hat jedoch noch keine völlig durchgängige Reihe dieser Berichte über den gesamten Zeitraum der Geltung der Schulordnung (etwa bis 1850) gefunden. Die Schulordnung machte Vorschriften über die Aufbewahrung der Berichte nur für die Absentenlisten. Diese sollten nach Durchsicht durch den Superintendenten beim Prediger bis zur Konfrmation der betroffenen Jahrgänge aufbewahrt werden, um als Beweismittel bei der Nichtzu- lassung von Kindern zur Konfrmation wegen Unwissenheit als Folge fehlenden Schulbesuchs zu dienen. Für die anderen Berichte stand nichts in der Verordnung, es war also in das Ermessen des Predigers oder Superintendenten gestellt, ob er diese Papiere aufhob oder nicht. Generell ist das Vorhandensein oder Fehlen die- ser Berichte daher kein schlüssiger Beweis für deren Erstellung oder Weglassen. In Ausnahmefällen kann das jedoch aus dem Text der Zusammenfassungen durch die jeweilige Oberbehörde geschlossen werden. Im Folgenden soll mit einer Darstellung des Berichtswesens und anhand von Beispielen gezeigt werden, welch lebendiges Bild vom Zustand und der Entwick- lung des Dorfschulwesens in der Berichtszeit aus den Pfarr- und Propsteiarchiven gewonnen werden kann. Aufgrund dieser begrenzten Zielsetzung kann hier keine umfassende Darstellung des Dorfschulwesens geliefert werden. Was sind das nun für Berichte? Die Schulmeister hatten ihrem vorgesetzten Prediger jeweils vor Beginn des Halbjahres eine „Lektionstabelle“, wir würden heu- te sagen einen „Stundenplan“, vorzulegen und davon ein Exemplar an der Schultür sichtbar anzuheften.8 Monatlich hatten sie eine Absentenliste an den Prediger abzu-

5 Vom 13. März 1802, 20. Sept. 1802. 6 Brigitte müLLer: Dorfschule im 19. Jahrhundert. Oldenburg 1994. 7 Eldrid KaLLenbach: Die Dorfschulen in Nassau-Usingen 1659–1806. Diss. Frankfurt/M. 2000. Vgl. auch allgemein Wolfgang neUgebaUer: Niedere Schulen und Realschulen. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band II. Hrsg. von Notker hammerStein und Ulrich herrmann. München 2005, S. 213–261. 8 § 19 der Verordnung vom 22.09.1753.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Pfarr- und Propsteiarchive im Landeskirchlichen Archiv 245 liefern, nach der Verordnung9 sollte diese einen Vermerk über „entschuldigt“ oder „unentschuldigt“ tragen, der aber oft fehlt. Entschuldigungen durften nur vom Pre- diger ausgestellt werden. Alle drei Monate war eine summarische Zusammenfassung der Absentenlisten zu liefern. Ferner hatten die Schulmeister halbjährlich Schulbe- richte/Schultabellen nach einem der Verordnung beigefügten Muster zu erstellen. Diese Berichte enthielten, nach Klassen geordnet, die Namen der Schüler und Schü- lerinnen, das bewältigte Lehrpensum in den vier Kategorien Lesen, Katechismus, Schreiben und Rechnen sowie eine letzte Spalte, „Charakter“ überschrieben, in die eine Kurzbeurteilung des Schülers einzutragen war. Die Prediger sollten die Schulen möglichst einmal je Woche besuchen und da- rüber einen halbjährigen Bericht für den Superintendenten erstellen, dessen Auf- bau ebenfalls vorgegeben war. Diese Berichte sollten die Superintendenten zur Basis ihrer Visitationen machen und von denen wiederum Berichte an den General- superintendenten (nachdem diese installiert wurden) schreiben, die ihrerseits form- los das Konsistorium über das Schulwesen ihrer Inspektion zu informieren hatten. Das Konsistorium bestätigte den Eingang der Berichte, machte Verbesserungsvor- schläge und berichtete seinerseits an den Herzog bzw. Geheimen Rat. Auf allen diesen Ebenen sind Reaktionen auf die Berichte dokumentiert bis hin zum Herzog, der entweder das Konsistorium anwies, für Verbesserungen zu sorgen, oder sich direkt an die Superintendenten wandte. Die ersten Schulberichte und Absentenlisten sind schon seit 1754 überliefert, nach dem 7-jährigen Krieg wird die Überlieferung dichter, die Berichte erfolgten auf den vorgeschriebenen Formularen, von einem fächendeckenden Berichtswesen kann jedoch noch nicht gesprochen werden; auch wenn sich hier, wie oben gesagt, die Frage stellt, ob das eine Folge der fehlenden Überlieferung ist, oder ob wirk- lich noch keine Berichte geschrieben wurden. Die oben erwähnten Verordnungen des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand nach 1802 zeigten erkennbar Wirkung, das Konsistorium griff durch und mahnte rückständige Berichte an und die Berichte er- folgten auf den vorgesehenen Formularen; vor allem die Absentenlisten sind danach sorgfältig geführt und abgeliefert worden. Erkennbare Lücken bestehen für die Zeit von 1786 bis 1790, als Herzog Karl Wilhelm Ferdinand die Aufsicht über die Schulen dem Konsistorium entzogen und sie einem Schuldirektorium übertragen hatte, das aber in seiner kurzen Wirkungszeit keine erkennbaren Spuren im Landschulwesen hinterlassen hat. Einzelheiten hierzu folgen weiter unten. Wenig änderte sich in der „Franzosenzeit“ von 1806–1813. Im Königreich West- phalen waren die Schulen per Gesetz der weltlichen Obrigkeit unterstellt worden. Die Berichte liefen aber wie vorher vom Pfarrer über die Superintendenten an das Konsistorium, das sich nun „Königliches Konsistorium“ nannte, ohne erkennbare Einfussnahme der staatlichen Behörden. Nach der Wiederherstellung des Herzog- tums 1813 galten wieder die alten Strukturen; Prediger und Superintendenten haben ihre Besuchspfichten besser wahrgenommen und das Berichtswesen funktionierte

9 § 28 der Verordnung vom 22.09.1753.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 246 Victor-L. Siemers wie vorgesehen. Ganze Serien von Schulberichten, Lektionsverzeichnissen und Be- stätigungen des korrekten Eingangs der Visitationsberichte sind überliefert10. In ihren Grundzügen blieb die Landschulordnung Herzog Karls I. bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Kraft. Erst danach wurde die Bezahlung der Schullehrer ver- einheitlicht und verbessert und damit diesen eine bessere Stellung innerhalb der dörfichen Hierarchie verschafft. So viel zu dem durch die Landschulordnung Herzog Karls I. und die Folge- verordnungen gesetzten Rahmen. Im Folgenden soll anhand von Beispielen die Aussagefähigkeit der überlieferten Berichte demonstriert und damit eine Anregung gegeben werden, diesen Quellen eine höhere Aufmerksamkeit zu widmen. Wie weit und wie schnell sich die Landschulordnung durchsetzen ließ, ist nicht leicht zu beurteilen. Es hat jedoch erhebliche Widerstände gegeben. Die Einstellung der Beamtenschaft wurde oben schon erwähnt. Das hat sicher zur zögerlichen Ver- breitung der neuen Schulordnung beigetragen. Am 12. August 1755 hat daher der Herzog in einem Zirkularreskript an alle Amtsträger des Landes um Verbesserungs- vorschläge zur neuen Ordnung gebeten und darauf auch eine Menge Vorschläge erhalten. Zusätzliche Hinweise auf die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Land- schulordnung gibt eine schriftliche Antwort des Pfarrers Flach auf Synodalfragen nach dem Schulbesuch 1766. Flach schrieb:

Hindernisse I.) Armut, sonderlich bei kleinen Leuten a) wollen Schulgeld sparen b) [wollen] keine Dienstjungen, Kindermädchen etc. löhnen c) [wollen] des Winters Verdienst vom Spinnen etc. haben d) [wollen] des Sommers die Kinder vermieten e) Mangel der nötigen Kleidung, sonderlich Schuhe und Strümpfe im Winter II.) Arbeitshilfe, so im Sommer auf vielfache Art geschieht in Häusern, Garten, Feldern und durchs ganze Jahr mit Wartung der kleinsten Kinder, Verwahrung der Häuser etc. Dienstleistung in Krankheiten item Gesellschaft auf Hochzeiten III.) Beschaffenheit mancher Dörfer, die zum Teil der Überschwemmung unterworfen sind, und wo oft wegen des Kots für größere Leute kein Durchzukommen und Kinder, wie in Rautheim, auf Wagen zur Schule gebracht werden IV.) Eigensinn verschiedener Eltern, die sich ohne Not der Ordnung entziehen, daher wird auch von vielen Kindern Rechnen und Schreiben versäumt, wiewohl auch die unwis- senden Schulmeister Schuld daran haben V.) Wissenschaft des Katechismus bei größeren Kindern, die ad confrmationem noch nicht alt genug sind VI.) Ungewohnheit, im Sommer stille zu sitzen.11

10 Landeskirchliches Archiv Wolfenbüttel (in den folgenden Anmerkungen abgekürzt mit LAW be- zeichnet), Voges 1817, Propsteiarchiv Vorsfelde 797, Pfarrarchiv Beddingen und weitere. 11 LAW, Pra LehC 67.

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Um zu zeigen, wie vielfältig die Quellen über die Probleme bei der Durchsetzung der Landschulordnung berichten, sei hier ein weiteres Beispiel zitiert. Der Pfar- rer Westermeier aus Volkmarode berichtete Ostern 1757 über den Zustand der Schulen und seine Gewissensnöte. So beklagte er die Unterschiedlichkeit der in den Schulen verwendeten Bibeln und Katechismen, deren einzelne Aufagen selbst beim gleichen Verlag nicht gleichlautend seien. Und den Schullehrern warf er vor, aus Unkenntnis die Kinder mit Auswendiglernen zu beschäftigen, statt ihnen die Texte zu erklären. Besondere Sorgen machten ihm die Jungen aus armen Familien, die im Sommer in den Dörfern zum Viehhüten vermietet würden und entgegen der Zusage der Eltern und der Dienstherren weder zur Schule noch zum sonntäglichen Konfrmanden-Unterricht, damals Christenlehre genannt, geschickt würden. Auch fühle sich niemand dafür verantwortlich, für diese Kinder das Schulgeld zu bezahlen, so dass dafür die Armenkasse der Orte aufkommen müsse, wo sie gerade arbeiteten; und das sei unzumutbar. Folgen wir nunmehr dem oben beschriebenen Berichtswesen. Als erstes wird ein Lektionsverzeichnis vorgestellt, wie es der Schullehrer zu jedem Halbjahr zu erstel- len hatte. Auffällig scheint mir dabei, welch geringe Zeit auf das Rechnen verwandt wurde, nur zwei halbe Stunden in der Woche waren vorgesehen. Und die ersten bei- den Klassen mit den 5½bis 7-Jährigen wurden in der Nachmittagsschule überhaupt nur mit Singen, biblischer Geschichte und dem Katechismus beschäftigt. In dieser Tabelle werden die Jüngsten als erste, die Ältesten als vierte Klasse bezeichnet. Da das Original in der Verkleinerung schwer lesbar ist, hier eine Transkription.

Lektionsverzeichnis für das Sommerhalbjahr 1800 für die Schule Thune12 Stunden Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Von 7 bis 1) ein Mor- 1) ein Mor- 1) ein Mor- wie am desgl. wie am halb 8 Uhr gengesang gengesang gengesang Dienstag Mittwoch gesungen gesungen gesungen 2) die 1. bei- 2) die 1. bei- 2) die 1. bei- den Klassen den Klassen den Klassen beten den beten den beten einige Gesang aus Gesang aus kleine Ge- dem neuen dem neuen bete und Braunschw. Braunschw. das Vater- Gesangbuch Gesangbuch unser Nr. 632, Nr. 636, jedes Kind und das einen Vers, Vaterunser und das Vaterunser

12 LAW, Pa WenT 53.

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Stunden Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Von halb 8 die 1. bei- wie am die 1. bei- wie am desgl. wie am bis 9 Uhr den Klassen Montag den Klassen Montag Mittwoch lesen die üben sich 5 Bücher im Buchsta- Moses bieren und Abteilung schwerer Wörter und im Auf- schlagen biblischer Stellen Von 9 bis die 1. bei- wie am die 2. und wie am desgl. wie am halb 10 Uhr den Klassen Montag 4. Klasse Montag Mittwoch lesen den üben sich Katechis- im Buchsta- mus vom bieren, die Tag 1. Klasse schreibt Von halb 10 die 5. Klas- wie am wird ge- wie am desgl. wie am bis 10 Uhr se lernt die Montag rechnet und Montag Mittwoch Buchstaben zwar: und wird mit Gesang geschlossen Von 1 bis es werden 2 wie am wie am desgl. 2Uhr bis 3 Verse Montag Montag aus einem Lobgesang – – gesungen und danach biblische Geschichte Von 2 bis die 1. Klasse wie am wie am desgl. 3Uhr lernt den Montag Montag Katechismus von pag.: , die 2. von pag.: , die – – 3. von pag.: die 4. die 5 Hauptstü- cke, die 5. die 10 Ge- bote

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Erheblichen Zeitaufwand mussten die Lehrer für die halbjährlich zu erstellenden Lehrtabellen treiben. Diese sollten Aufschluss über den Lernfortschritt der Kinder geben und damit dem Prediger seine Aufsicht über die Schule und den Lehrer er- leichtern. Die Tabellen von Ende des 18. Jahrhunderts geben schon in ihrem Aufbau einen Hinweis auf die Gewichtung der Lehrstoffe: An erster Stelle steht das Lesen, dann folgt das Lernen (Auswendiglernen) des Katechismus, dann Schreiben und als Letztes Rechnen. Eine dieser Listen folgt hier als Transkription, da auch diese Tabellen bei einer Verkleinerung auf das Format dieses Aufsatzes unleserlich wären. Dabei wurden wegen des sachlichen Zusammenhanges die Spalten abweichend von der Vorlage gruppiert.13

Lehrtabelle für die Schule in Thune von Michaelis 1799 bis Ostern 1800 Spalten 1, 4, 5, 6und 7 Lesen Katechismus Schreiben Rechnen 1. Klasse haben gelesen die haben im Kate- schreiben haben addiert, Sprüche Salomo- chismus gebetet Vorschrift subtrahiert und nis und die Briefe von pag. 1bis 249 multipliziert der Apostel 2. Klasse haben mit den haben im Kate- die 1. beiden die 1. beiden Schülern der chismus gebetet Knaben schreiben Knaben rech- 1. Klasse zugleich von pag. 1bis 177 ABC nen Additions- gelesen Exempel 3. Klasse haben im Evange- haben im Kate- lium die auf jeden chismus die –– Sonntag bestimm- Sprüche von pag. te Parabel gelesen 1 bis 64 gebetet 4. Klasse buchstabieren beten die 5 Silben von 2–3 Hauptstücke – Buchstaben 5. Klasse lesen auf dem beten die 10 – ABC Gebote

Hier ist die Nummerierung der Klassen umgekehrt wie in Thune: 1. sind die Ältes- ten, 5. die Jüngsten. Das Lesen wurde mit Buchstabieren nach der Fibel begonnen, darauf wurde in der 3. Klasse in den Evangelien die Parabel des jeweiligen Sonntags gelesen, und die 11- bis 14-jährigen lasen dann in der Bibel. Mit Rücksicht auf die Heiligkeit der Bibel wurde im 19. Jahrhundert stattdessen aus dem Jesus Sirach gelesen. In der Katechismuslehre, die im Wesentlichen aus Auswendiglernen bestand, wurde mit den 10 Geboten begonnen, in der 2. Klasse folgten die fünf Hauptstücke und darauf der gesamte Katechismus mit seinen 248 Seiten. Dazu stand allerdings in der Verordnung,14 dass nichts auswendig gelernt werden sollte, was nicht vorher verstanden worden sei.

13 Vgl. LAW, Pa WenT 53. 14 § 20 der Landschulordnung.

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Schreibunterricht bekamen nur die über 10-jährigen, und die besten der 14-jäh- rigen konnten „Vorschrift“, also Texte schreiben, die übrigen aber immerhin zusam- mengesetzte Worte. Rechnen wurde ebenfalls nur den über 10-jährigen beigebracht, Die 11-jährigen addierten und die Ältesten kamen bis zum Multiplizieren. Bei einzelnen Kindern fnden sich Hinweise wie „soll nicht rechnen lernen“, was auf Wünsche der Eltern zurückgeht, die damit einen Teil des Schulgeldes sparen konnten. Die Lehrtabellen sollten jedoch nicht nur den Lernfortschritt für alle Kinder pau- schal darstellen, sondern auch eine Kurzbeurteilung jedes einzelnen Kindes enthal- ten. Die Spalte „Charakter“, auch „Aufführung“ genannt, besteht aus Urteilen, die sich heute wohl kein Lehrer erlauben würde: „leichtlernend aber bösartig“, „Nichts- nutz und schwerlernend“, „leichtsinnig und träge“ heißt es da, aber auch „eigen aber wissbegierig“, „einsichtsvoll und feißig“ oder „einsichtsvoll und gehorsam“. In einem Beispiel aus Thune von 1799 fällt auf, dass die Beurteilung mit steigendem Alter der Kinder deutlich kritischer wird. Es kam auch vor, dass der Lehrer die Be- urteilung der Kinder in Gruppen zusammenfasste. Auch der Schulbesuch sollte genau kontrolliert werden. Die Lehrer hatten monat- liche Schulabsenten-Listen zu führen, für die die Schulordnung ebenfalls eine Vorlage lieferte. Vorgeschrieben war, dass zu jedem Fehltag vermerkt wurde, ob entschuldigt oder unentschuldigt. Die überlieferten Listen zeigen allerdings, dass diese Vorschrift oft nicht beachtet wurde. Entschuldigungen durfte allein der Prediger ausstellen, einige solcher Entschuldigungszettel sind überliefert. Aufgrund dieser Meldungen sollte der Prediger die Eltern von Schulabsenten vermahnen. Vierteljährlich waren diese Listen für den Superintendenten tabellarisch zusammenzufassen. Den Schullehrern wurde somit eine Menge Schreibarbeit auferlegt. Dabei ist zu bedenken, dass die Lehrer zwar nur bis in die Mittagstunden Unterricht zu geben hatten, danach mussten sie sich aber bis in das 19. Jahrhundert hinein um ihren Broterwerb kümmern, da das Schulgeld zumeist einen ausreichenden Lebensunter- halt nicht gewährte. Zu manchen Schulstellen gehörte eine kleine Landwirtschaft, anderen war gestattet, ein Handwerk wie die Schneiderei auszuüben. Darüber hi- naus stammte aus der Zeit, da die Lehrer meist die Opfermänner waren, der Brauch, dass sie die Zirkularreskripte der Obrigkeit von Ort zu Ort zu tragen hatten. In einem eigenen Paragraphen schrieb daher die Landschulordnung vor: Die Zirkularbriefe der Superintendenten aber sollen von der Gemeinde der Rei- he nach von einem Ort zum anderen gebracht werden, weil es besser ist, dass ein Einwohner einige Stunden von seinen ordentliche Geschäften abbricht, als dass die Kinder des ganzen Dorfs, wenn der Schulmeister der Bote sein muss, versäumt und aufgehalten werden15. Die erste Aufsichtsfunktion in diesem Schulsystem hatten die Prediger als direk- te Vorgesetzte der Lehrer. Sie waren Adressaten von deren Berichten und sollten die Schulen mindestens einmal wöchentlich besuchen und dem Lehrer dabei hilf- reich zur Hand gehen. Die Prediger waren auch die erste Beschwerde-Instanz für

15 § 27 der Landschulordnung.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Pfarr- und Propsteiarchive im Landeskirchlichen Archiv 251 die Eltern, und Beschwerden wurden auch schon damals erhoben. So schrieb Pfarrer Toegel aus Wenden im Jahre 1797:

Der Schulmeister Osterloh zu Thune wird nach Maßgabe verschiedener bei mir einge- laufener Beschwerden über seine unzeitige und grenzenlose Härte mit der Schuljugend so- wohl beim Rezitieren des Katechismus oder Lesen der kleineren Kinder hierdurch deshalb nochmals Amtshalber ernstlich erinnert: 1. der ihm übertragenen Strafe und Zucht bei der Schuljugend vernunftmäßige Grenzen zu setzen, und dabei alle unüberlegte Hitze gänzlich zu vermeiden; sich des Werfens mit den Büchern und anderen Gegenständen nach den Köpfen der Kinder, wenn sie hie und da fehlen, oder aber unanständiger Schimpfworte gänzlich zu enthalten; dagegen die im Lernen Nachlässigen durch verhältnismäßige Beschimpfungen als z.B. Nachsitzen pp. oder wohl besser durch diese und jene Aufmunterung zum geduldigen Fleiß zu vermö- gen, und falls diese Mittel bei einem und dem anderen nicht wirksam genug sein sollten, sich nach Hochfürstlicher Landes-Schul-Ordnung an mich zu wenden verbunden sei. Widrigenfalls ich [usw.].16

Die Prediger ihrerseits hatten wiederum an den zuständigen Superintendenten zu berichten. Zunächst erfolgten diese Berichte formlos, seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde jedoch ein Formular verwendet, dessen Kopf folgende Spa- ten aufwies: Namen der Parochie und der darin befndlichen Schulen Namen, Alter, Dienstgeschäfte und Qualitäten der Schullehrer Anzahl der Schulkinder Patron des Schuldienstes und des damit verbundenen Kirchendienstes Jährliche Einkünfte der Stelle in barem Gelde/ in Naturalien Woher die Einkünfte erfolgen.

Zum Jahre 1842 hin wurde das Formular geändert: Es wurde gefragt: Des Schullehrers Name, Alter, Dienstjahre Leben und Wandel Fleiß und Methode Disziplin Nebengeschäfte Der Schulkinder Klassen, ob kombiniert oder separiert unterrichtet wird Zahl, a) überhaupt) die Schreib- und Rechenschüler besonders Schulgehen von welchem Alter an feißiges oder unfeißiges a) im Winter, b) im Sommer

16 LAW, Pa WenT 104.

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Fortschritte a) überhaupt, b) in besonderen Rücksichten Schulstunden, a) im Winter, b) im Sommer Schulbücher, a) gewöhnliche, b) nebenher eingeführte Schulgeld, in jeder Klasse und in jedem Ort Schulstube, ob eine vorhanden und wie sie beschaffen sei Schulprüfung und Konferenz, ob und wann sie gehalten worden Schulbesuche des Predigers, wie oft sie angestellt worden Schulvisitation des Superintendenten, wann sie zuletzt gehalten worden17

Auf dem Formular von Anfang des 19. Jahrhunderts überwiegen die Fragen nach der wirtschaftlichen Situation von Schule und Lehrer; offenbar gab es darüber keine aussagefähigen Unterlagen. 30 Jahre später wurden diese Dinge nicht mehr abgefragt, dafür ging es um die Qualität des Lehrers und seines Unterrichts. So heißt es über den Lehrer Moldenhauer in Wenden, dass sein Lebenswandel „untadelhaft“ sei, sein Fleiß „lobenswert“, aber seine Methode „manches zu wünschen übrig“ lasse und die Disziplin strenger sein könne. Der Lehrer treibt im Nebenberuf die Land- wirtschaft. Von 64 Kindern schreiben und rechnen 50, also wohl alle außer den Anfängern. Schon kurz nach Erlass der Schulordnung wurde von den Superintendenten die Erstattung dieser Schulberichte genau überwacht, bereits für 1753 und 1754 sind entsprechende Anmahnungen an die Prediger überliefert.18 Die Superintendenten hatten die Schulen ihrer Inspektion regelmäßig zu visitie- ren und sich dabei vom Lernfortschritt der Kinder zu überzeugen. Von diesen Visi- tationen waren zunächst formlose, später aber tabellarische, ausführliche Berichte an das Konsistorium zu erstatten. Dieses bestätigte den Eingang der Berichte, sparte dabei nicht mit Lob oder Tadel und machte Verbesserungsvorschläge. Die Super- intendenten sollten auch halbjährlich Schulexamina veranstalten, an denen neben Lehrer und Prediger auch die Eltern teilnehmen sollten.19 Dazu wurde sonntags die Gemeinde versammelt, der Lehrer hatte seine Lektionen vorzuführen und die Schreib- und Rechenbücher der Kinder vorzulegen. Berichte über diese Examina habe ich nur aus den ersten Jahren der Geltung der Landschulordnung gefunden und später wieder gegen Mitte des 19. Jahrhunderts. Dagegen sind zahlreiche Schulvisitations-Berichte erhalten. Deren Vergleich über die 100 Jahre der Geltung der Landschulordnung von 1753 lässt Rückschlüsse zu auf die Entwicklung des Schulwesens und mit Einschränkungen auch auf Fort- schritte, die Wissen und Fähigkeiten der Kinder auf dem Lande gemacht haben. Die Berichte zeigen, wie unterschiedlich die Durchsetzung der Landschulord- nung in den einzelnen Landesteilen geschah. Aus der Inspektion Lebenstedt zum Beispiel liegen seit 1777 Schulberichte vor, zunächst formlos, ab 1799 tabellarisch. Darin wird z.B. festgehalten, dass in Westerlinde 1777 eine Schulstube vorhanden war, im Winter ein ordentlicher Schulbesuch stattfand, im Frühsommer aber mor-

17 LAW, Pra LehC 243. 18 LAW, Pra LehC 135 19 § 41 der Landschulordnung

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Die Pfarr- und Propsteiarchive im Landeskirchlichen Archiv 253 gens etwa die Hälfte, nachmittags noch weniger Kinder zur Schule kamen. Von 26 Kindern lernten zwei Schreiben, keines Rechnen. 1799 hatte sich das so weit verbessert, dass vier von 30 Kindern schrieben und eines von 30 rechnete. Zur gleichen Zeit, 1799, berichtet der Superintendent Stalmann für die Inspek- tion Vorsfelde wie folgt:

Einen speziellen und tabellarischen Bericht abzustatten, ist mir für jetzt noch nicht möglich, denn 1) Ich habe noch nie einen Schulbericht von den Predigern bekommen, außer, dass mir der verstorbene Pastor Elten dergleichen einmal zugefertiget hat. Es scheint diese Anordnung hier abgekommen zu sein und ich muß erst versuchen, sie wieder in Gang zu bringen. 2) Schulvisitationen sind hier ganz aus der Mode gekommen, weil mein Vorgänger im Amte sie zu den Kirchenvisitationen zugezogen hat. Da es zu Schulvisitationen …wohl nicht die mehrste Zeit sein möchte, wenn die Kirchenvisitationen gehalten werden, weil gerade zu der Jahreszeit die Schulen nur wenig oder wohl gar nicht besucht werden, auch wenn beides auf einmal abgetan wird, eines oder das andere überstehen werde, [ich] die Schulvisitationen künftighin wieder besonders vorzunehmen. Das Schulwesen ist hier in dem traurigsten Zustande und geht noch immer mehr zu seinem Verfall hin, wenn nicht bald die nötigsten Maßgaben dagegen genommen werden. Wenn man einen dummen Menschen charakterisieren will, so nennet man ihn einen Drömlinger. Und dies Bild ist nicht unpassend. Noch wird aber die Dummheit wachsen, wenn das Schulwesen nicht auf einem anderen Fuß kommt [usw.]. Die Ursachen dieses über alle Maßen schlechten Zustandes der hiesigen Menschenerzie- hung sind vorzüglich 1) Roheit, Unwissenheit, Armseligkeit der meisten Schullehrer. Einige sind wirklich un- gebildeter als die Bauern selbst, und können nicht gehörig lesen und wenig oder nichts schreiben und etwas erklären und Begriffe zu wecken und zu berichtigen, dazu sind sie aber so ungeschickt als der Esel zum Lautenschlagen [usw.].20

Hier muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Inspektion Vorsfelde überwie- gend aus Ortschaften gebildet worden war, die erst 1742 nach dem Rückfall der von Bartenslebenschen Lehen an den Braunschweiger Herzog unter die Jurisdiktion des Konsistoriums gekommen waren.21 Es fällt auf, dass sich die Verhältnisse anschei- nend bis 1816 nicht wesentlich gebessert haben. Stalman berichtet am 20. August 1816.22

Mit dem Schulwesen in der hiesigen Gegend ist es noch ziemlich bei dem alten Bestande der Unvollkommenheit. Der Grund davon liegt hauptsächlich in den Lokalverhältnissen. Eine wenig ergiebige Natur des Erdbodens lässt dem Landmann bei vieler Arbeit und Mühe, die

20 LAW, Pra Vorsfelde 797. 21 Vgl. JOrnS, Annette: Die Superintendentur – Vorsfelde als kirchlicher Verwaltungssitz im 18. Jahr- hundert. In: SiegFried, Klaus-Jörg (Red.): Geschichte Vorsfeldes. Wolfsburg 1995, S. 70–91, hier S. 76. 22 LAW, Pra Vorsfelde 797.

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auf ihm selbst und seinen Kindern ruht und von ihm in ihrer Hilfe verrichtet werden muss, in einem unbegüterten, ja zum größten Teil armseligen Zustande.

Weitere Stichworte seines Berichts: Weite Entfernung zwischen Predigern und den Dörfern, in denen die Schulen sind; Weite Entfernungen für die Kinder zu den Schulen; Mangelhaftes Wissen und geringe Geschicklichkeit der Lehrer; Deren dürftiges Gehalt;

Lehrer gehen daher gern einem Broterwerb nach, wenn keine Kinder kommen. Erst 1818 werden von den Predigern der Inspektion Vorschläge gefordert und gelie- fert, wie die dürftige Bezahlung der Lehrer verbessert werden könnte. Diese laufen im Wesentlichen auf die Zuteilung von Äckern und Gärten hinaus, höhere Zah- lungen der Eltern oder der Gemeinden werden selten genannt. Ganz anders als Stalmann begründete der Superintendent Spohr aus Schöppen- stedt das Fehlen der Schulberichte. Das Konsistorium hatte mit einem Zirkularre- skript vom 9. März 1799 dieses Fehlen unter Nennung des Namens des Predigers als Vernachlässigung seiner Pficht gerügt, und der Prediger war beleidigt, weil das statt in einem persönlichen Verweis in einem Zirkular geschehen und damit auch seinen Kollegen zur Kenntnis gekommen war. Er fühlte sich völlig im Recht, da er durch das herzogliche Reskript vom 12. Juni 1786 darüber informiert worden war, dass hinfort alle Schulen des Landes der „alleinigen Aufsicht und Direktion des Schuldi- rektorii unterworfen sein sollten“ und daher alle das Schulwesen betreffenden Din- ge nicht wie vorher das Konsistorium, sondern das Schuldirektorium angingen. Er habe daher darauf gewartet, was dieses Direktorium zu den Schulberichten verfügen würde, eine solche Verfügung habe er jedoch bis dato nicht erhalten. Nachdem das Konsistorium die Schulaufsicht wieder übernommen habe, hätte er füglich erwarten können, mit neuen Anweisungen versehen zu werden, was jedoch nicht erfolgt sei. Hier ist zu erkennen, dass die von Herzog Karl Wilhelm Ferdinand 1786 durchge- setzte Entmachtung des Konsistoriums hinsichtlich der Schulaufsicht noch bis zum Superintendenten durchgedrungen war, nicht aber irgendwelche Aktivitäten des Schuldirektoriums und noch weniger die von den Landständen durchgesetzte Rück- nahme dieser Maßnahme.23 Auch innerhalb der Inspektionen zeigen die Berichte erhebliche Unterschiede. Für den Flecken Vorsfelde wird 1819 in einem Schulbericht das Jahreseinkommen des Lehrers der Töchterschule in bar und Naturalien mit 265 rth.16 ggr. genannt, während das für seinen Kollegen in Wahrstedt nur 70 rth. 16 ggr. waren.24

23 Vgl. LAW, Voges 1817. Vgl. im Übrigen Hanno Schmitt: Schulreform im aufgeklärten Abso- lutismus. Leistungen, Widersprüche und Grenzen philanthropischer Reformpraxis im Herzog- tum Braunschweig-Wolfenbüttel 1785–1790, mit einem umfassenden Quellenanhang. Weinheim 1979. 24 LAW, Pra Vorsfelde 797.

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Noch deutlicher sind die Unterschiede zu anderen Landesteilen. In der Propstei Salzgitter-Lebenstedt zum Beispiel wird in dem Bericht nach dem auf Seite 10 dieser Arbeit dargestellten Formular für 1810 u.a. gemeldet: Von 60 Kindern schreiben 18 und 17 lernen Rechnen; zum Schulbesuch: „Im Winter kommen sie, außer Not, ziemlich feißig, im Sommer aber hindern bei vielen die dringenden Geschäfte und besonders die Armut das Schule gehen“; zu den Fortschritten der Kinder: „a) über- haupt sind die Fortschritte der Kinder nicht schlecht, b) besonders im Lesen, Rech- nen und Schreiben, auch Erlernung des Katechismus“; als zusätzliche Schulbücher werden genannt: „Rochow & Schloz Kinderfreund, Helmuths Naturlehre“.25 Ver- glichen mit dem oben zitierten Bericht aus der Inspektion Vorsfelde klingt das wie ein Bericht aus einem ganz anderen Land. Diese Beispiele ließen sich vermehren. Schon zur Zeit des Königreichs Westpha- len besserten sich generell die Landschulverhältnisse. So konnte zum Beispiel der Superintendent Bötsch 1810 an das Konsistorium berichten:

Die dortige Schule ist etwa acht bis vierzehn Tage vorher, nämlich am 31. Oktober d.J. visitiert worden. Die Zahl der Schulkinder beläuft sich auf etwa 66, die im Ganzen zweck- mäßig unterrichtet werden26.

Etwa 10 Jahre später haben sich die Schulverhältnisse weiter verbessert. Aus den Reskripten des Konsistoriums an den Generalsuperintendenten Knittel vom 30. Ok- tober 1822 und 31. Januar 1824 hier zwei Ausschnitte:

7.) Die Schulkinder anlangend, ergeben die eingegangenen Absentenlisten zur Genüge, dass solche, nach den von den Fürstlichen Kreisämtern ergriffenen strengeren Maßregeln, die Schulen feißiger als vorhin besuchen, und an den meisten Örtern sie nicht ohne Er- laubnis versäumen … 4.) Die Schullehrer anlangend, sind, da die meisten derselben rühmliche Zeugnisse in An- sehung ihres Wandels sowohl als ihres Berufsfeißes erhalten haben, die wenigen, deren sitt- liches Betragen noch nicht tadellos befunden worden, als Kost zu Barum …, desto sorgfältiger zu beachten, damit sie wenigstens keine auffallende Unsittlichkeiten sich erlauben … 27

Wieder 25 Jahre später hat sich die Einstellung gegenüber den Schülern deutlich verändert. Der Pastor Abt bemerkte in seinem Bericht an das Konsistorium vom 4. Juli 1849:

4.) In den meisten Berichten wird der Denkkraft der Schüler kein günstiges Zeugnis erteilt. Nach der von mir gemachten Erfahrung muss ich diesem Urteil auch vollkommen beistim- men, und es möchte den Lehrern sehr zu empfehlen sein, durch zweckmäßige Übungen die Verstandesbildung ihrer Schüler zu fördern28.

25 LAW, Pra Salzgitter-Lebenstedt 278. 26 LAW, Voges 1817. 27 LAW, Voges 1817. 28 LAW, Voges 1817.

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Gerade dieses letzte Beispiel zeigt, dass die hier vorgestellte Quellengattung nicht nur die gesetzlichen Regelungen und die organisatorische Entwicklung des Landschulwesens, sondern auch die Erfolge in den 100 Jahren der Geltung von Herzog Karls I. Landschulordnung deutlich abbildet. Das ändert sich mit dem Erlass des Gesetzes über die Gemeindeschulen vom 8. Dezember 1851. Nunmehr wurde das Berichtswesen eingeschränkt, die Überwachung der Landschulen Schulinspek- toren, in der Regel den Superintendenten, übertragen und die formalen Berichte abgeschafft. Nur die Absentenlisten wurden in der bisherigen Form fortgeführt. Vor allem aber wurde die Besoldung der Lehrer verbessert, zuerst mit dem Gesetz vom 23. April 1840, das die Zahlung des Gehalts einer gemeindlichen Schulgeldkasse übertrug, weiter dann mit dem Gesetz vom 17. April 1873. Mit diesem Gesetz wurde die Abhängigkeit der Lehrereinkommen von der Schülerzahl aufgehoben, Basis war nun die Einwohnerzahl der Gemeinde, und alle fünf Jahre erfolgte eine Gehaltserhöhung. Mit diesen Einkommen konnten die Lehrer eine respektable Stel- lung innerhalb der dörfichen Hierarchien erreichen. Aus dieser Zeit sind zahlreiche Visitationsberichte der Superintendenten überliefert, die für diesen Aufsatz jedoch nicht untersucht wurden.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Begegnungen mit der geschichtlichen Welt

Bericht und geschichtsmethodische Überlegungen zu einer Fahrradexkursion des Historischen Seminars der TU Braunschweig in die Asse1

von

Matthias Steinbach

„Schlecht wandern, das heißt, als Mensch dabei unverändert bleiben. Ein solcher eben wechselt nur die Gegend, nicht auch sich selber an und mit ihr.“ Ernst Bloch

Im Rahmen der Exkursionswoche der TU Braunschweig – eine wunderbare Einrich- tung übrigens, die es so an anderen deutschen Universitäten kaum gibt – unternahm die Abteilung Geschichte und Geschichtsdidaktik des Historischen Seminars am 04. Juni 09 eine Fahrradexkursion von Wolfenbüttel in die Asse. Nietzsches Hin- weis: „Treibt und sucht die Dinge, die euch etwas angehen“ sowie Goethes Motto: „Im übrigen ist mir alles verhasst, was mich bloß belehrt, ohne meine Tätigkeit zu vermehren oder unmittelbar zu beleben“2 standen dabei Pate.

I.

Das Braunschweiger Land bietet dem historisch Interessierten ein breites Spektrum interepochaler Überlieferung. Es reicht von der Stein- und Römerzeit mit den jüngs- ten spektakulären Funden der Schöninger Speere oder den Überresten römischer Expansion bei Kalefeld im Harz, über das Mittelalter3 und die frühe Neuzeit, reprä- sentiert durch bedeutende Kirchen4, Burgen und Fachwerkhäuser – nicht zu verges-

1 Exkursion vom 04. Juni 2009. Ich danke Christian Sielaff für tätige Mitarbeit an der Vor- und Nachbereitung. 2 Zit. n. Friedrich nietzSche: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1874). In: derS.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Bd. 1. Neuausg. der 2. Aufl. München 2005, S. 243–334, hier S. 245 (Vorwort). 3 Für die älteren Zeiten instruktiv: Monika bernatzKy: Monumente der Steinzeit. Großsteingräber zwischen Dorm, Elm und Lappwald, die Lübbensteine bei Helmstedt, Lehrpfad „Baustelle Groß- steingrab zwischen Marienborn und Groß Steinum. Helmstedt 2006; Michael geSchwinde u.a.: Werlaburgdorf. Ein frühmittelalterliches Gräberfeld im Nordharzvorland. In: Braunschweigische Heimat 92 (2006), 2, S. 7–9; Dietrich bartmann: Der ‚Kaiserweg‘ zwischen der Reichspfalz Gos- lar und der Harzburg – Versuch einer Rekonstruktion. In: Unser Harz 54 (2006), S. 223–229. 4 Vgl. etwa: Kaiserdom Königslutter. Geschichte und Restaurierung. Hrsg. von Tobias henKeL. Petersberg 2008.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 258 Matthias Steinbach sen die literarisch wie historisch merkwürdige Gestalt des Till Eulenspiegel5 – bis hin zu den Schauplätzen der industriellen Moderne, etwa den Salzbergwerken oder der Stahl- und Autoindustrie. Zur Vorbereitung beschäftigten sich die ca. 20 Teil- nehmer mit der kleinen Broschüre „50 Jahre Heimat- und Verkehrsverein Asse“ (2002), die in Geologie, Geschichte und Infrastruktur des Landstriches einführt. Empirischen Untersuchungen zufolge sind es vor allem die „echten Begegnungen mit der geschichtlichen Welt“ (Hermann Heimpel), die eingehen und erinnert wer- den, ist es das lebensweltlich Bekannte und Greifbare, das sich tiefer ins Bewusstsein einsenkt.6 Im „Bildungswert der Heimatkunde“, wie ihn Eduard Spanger zuerst be- tonte und damit zugleich für Exkursion und Projekt als fächerübergreifende Metho- den plädierte, lebt Diesterwegs ewig frische Didaktik „vom Nahen zum Fernen“. Geschichte, jenseits professionell abstrahierender Intellektualität erkundet, käme so immer noch eine Basis- und Orientierungsfunktion für Anderes zu. Es ginge um einen Ausgangspunkt für ganzheitliches Erleben und um einen Unterfall existen- ziellen Begreifens.7 Von derartigen Vorüberlegungen geleitet, kreuzte die Exkursion Epochen und versuchte Auf- und Abstiege durch Zeiten und Räume. Gleich zu Beginn, auf dem Wolfenbütteler Marktplatz, setzte Regen ein, der aber bald nachließ. Optimismus und Glück mit dem Wettergott gehören dazu, wenn man Hörsäle und Klassenräume verlässt, um draußen vor der Tür zu forschen und zu lernen. Der abgestiegene Herzog, wie ich den Herzog-August-Brunnen gern nen- ne, war der erste historische Fixpunkt, der unser Sehen und unsere Fantasie heraus- forderte. Historiker sind nicht nur Textleser, sondern Augenmenschen, die genau und länger hinschauen. Das Denkmal aus dem Jahre 1904 zeigt den Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, August den Jüngeren (1579–1666), stehend neben seinem Pferd. Das hat Seltenheitswert, denn wo fndet man schon einmal einen in Stein gemeißelten Herrscher, der vom Pferd gestiegen ist?8 Die Pferd und Reiter überziehende Patina unterstreicht den irgendwie träumerisch-nachdenklichen Aus- druck der Szene. Am Beispiel des Herzogbrunnens wurde erörtert, wie ein Denkmal beschrieben und interpretiert, wie es befragt werden kann. In unserem konkreten Fall wurde überlegt: Warum ist der Kerl abgestiegen? Warum sitzt er nicht oben, so wie es sich für einen ordentlichen Herrscher und Krieger gehört? „Schaut euch die Herzöge vor dem Braunschweiger Schloss an. So hat das doch eigentlich aus- zusehen“ – könnte ein einleitender Impuls sein. Rasch kommt man auf die Idee des Friedens, des friedlichen Ortes und der Bücher, die dem Herzog offenbar mehr waren als Musketen und Kanonen. Detailfragen am Denkmal könnten ferner sein: Was denkt der Fürst in diesem Augenblick? Was unterscheidet diese von anderen

5 Lohnend das Museum in Schöppenstedt (www.eulenspiegelmuseum.de) und das Denkmal in Kneit- lingen. 6 Vgl. Bodo von bOrrieS: Das Geschichtsbewusstsein Jugendlicher. Weinheim 1995. 7 Reinhart KOSeLLecK, Hans-Georg gadamer: Historik, Sprache und Hermeneutik. Eine Rede und eine Antwort. Mit einem Nachwort hrsg. von Hans-Peter Schütt. 2. Aufl. Heidelberg 2000. 8 Joseph König: Zur Geschichte des Herzog-August-Brunnens auf dem Stadtmarkt zu Wolfenbüttel. In: raabe, Paul (Hrsg.): Sammler, Fürst, Gelehrter. Herzog August zu Braunschweig und Lüne- burg. 1579–1666. Ausstellung der Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel. Wolfenbüttel 1979. S. 403–407.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Begegnungen mit der geschichtlichen Welt 259

Herrscherdarstellungen, und was verrät sie uns über die Entstehungszeit und Ver- fasstheit des damaligen städtischen Milieus? Schön eine zeitgenössische Stimme:

„Der Herzog hat einen Ritt durch sein Land getan, überall traten ihm die Verwüstungen des Krieges vor die Augen; bange Sorgen um das Wohl seines Landes lagerten sich um seine Stirn. Ermüdet kam er an eine hell sprudelnde Quelle und er stieg ab, um seinem ebenfalls ermüdetem Pferde einen frischen, kühlen Trunk zu gewähren. Nun steht der Herzog da, in matter Stellung an sein treues Ross gelehnt und schaut zu, wie sein Ross das stärkende Nass einschlürft. Da erinnert ihn die lebendige Stärke des Quells daran, dass auch dieser all die Schrecknisse des Krieges durchgemacht und doch wieder mutig und frisch sein Wasser springen lässt, und der Quell wird dem Herzog zum Symbol!“9

Was würden Kinder erst dazu sagen? Und was würden sie dem Herzog für Fragen stellen? Auch die Gefühlslage des Pferdes spielte da gewiss eine Rolle.

II.

Zweite Station der Tagesfahrt war die Ortschaft Wendessen und ihr Kriegerdenk- mal. Der Weg führte von Wolfenbüttel über die alte Handelsstraße Braunschweig- Leipzig, heute Bundesstraße 79. Auf halber Strecke wurde auf einer Feldwegsein- fahrt kurz pausiert, um einen ersten Blick auf den Höhenzug der Asse und weiter südlich auf den in Nebelschwaden hängenden Brocken zu werfen. Der Stopp bot Gelegenheit, eine der vielen Legenden zur Namensgebung der Asse zu erzählen: Die „Asse“ als ursprünglich gebrochene „Achse“ eines bäuerlichen Gespanns – man kennt die Geschichte.10 Das Kriegerdenkmal in Wendessen befndet sich etwas versteckt am Straßenrand (Abb. 1). Man übersieht es leicht, auch weil direkt gegenüberliegend ein schöner kleiner Spielplatz den Blick des Passanten fängt. Der Krieg sei „der Vater aller Dinge“, sagt Heraklit, und das gilt für die Denkmäler, die ja ursprünglich dem Lob erfolgreicher Feldherren dienten, in besonderer Weise. Die Gemeinde Wendessen erinnerte mit ihrem Denkmal von 1925 zunächst an die gefallenen Soldaten des Ers- ten Weltkriegs, später auch an die militärischen und zivilen Opfer des Zweiten. Die Architektur entspricht dem Zeitgeist der Zwischenkriegsjahre, den Kurt Tucholsky mit den bitterbösen Worten kommentierte: „Die Zahl der deutschen Kriegerdenk- mäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist.“11 Doch bietet sich bei näherem Hinsehen und Betrachten aus verschiedenen Perspektiven ein durchaus differenzierteres Bild. An ein Triptychon erinnernd, macht vor allem die bekrönende Skulptur eines kniend betenden (auf die

9 Heinrich Scheermann: „Der Herzog August-Brunnen in Wolfenbüttel“. In: Neueste Nachrichten – unparteiisches Organ für Residenz und Herzogthum Braunschweig, 16. März 1902. 10 Ältere Literaturen und Legenden bei Theodor vOgeS: Die Asseburg. Braunschweig 1893. 11 Vgl. Bänkelbuch (1929). In: Kurt tUchOLSKy: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 7. Rein- bek bei Hamburg 1975, S. 127–131.

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Abb. 1: Kriegerdenkmal Wendessen (Seitenansicht)

Dorfkirche ausgerichteten) Soldaten Eindruck. Im Vergleich etwa mit den Krieger- denkmälern des Elmrandgebietes hat sie Seltenheitswert.12 Man fndet aber ähnliche Formen in anderen Landstrichen Niedersachsens. In voller Kampfausrüstung scheint der Infanterist in einer Gefechtspause zu verharren. Womöglich hat er die Schlacht noch vor sich, worauf sein tadelloses Äußeres schließen lässt. Jedenfalls trauert er und bittet vielleicht um göttlichen Beistand.13 In seiner Gestaltung für das Deutsch- land der Zwischenkriegszeit durchaus typisch, ist der durch die Gemeinde initiier- te „politische Totenkult“14 zugleich als eine stille Verneigung vor den Heroen in Zeiten kollektiver Erniedrigung zu lesen.15 Den Studenten wurde die Frage gestellt, welchen Eindruck das Szenario auf sie mache, und was ihnen am Mahnmal beson- ders auffalle. Dass die Anlage einem Kirchenaltar nachgestellt war, erkannten die meisten rasch. Die Deutungen der soldatischen Figur gingen hingegen sehr ausein- ander. So wurden der Gestalt Trauer und Nachdenklichkeit ebenso zugeschrieben

12 Vgl. Ina Lange: Untersuchungen zum politischen Totenkult am Beispiel der Kriegerdenkmäler des Ersten Weltkrieges in den Dörfern des Elmrandgebietes, Braunschweiger Staatsexamensarbeit 1997 (für den Hinweis danke ich meinem Kollegen Hans-Peter Harstick). 13 Vgl. Hubert höing: Unfähig zu trauern? Kriegerdenkmäler und das geplante Reichsehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges in Schaumburg. In: Schaumburg-Lippische Mitteilungen 33 (2001), S. 223–277, hier S. 234–236. 14 Vgl. Reinhart KOSeLLecK, Michael JeiSmann (Hrsg.): Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994. 15 Helke raUSch: Kultfigur und Nation. Öffentliche Denkmäler in Paris, Berlin und London. Mün- chen 2006, S. 660–665.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Begegnungen mit der geschichtlichen Welt 261 wie etwas Monumentales oder gar Faschistoides. Vergleiche mit anderen Krieger- denkmälern, etwa mit den Arbeiten des Bildhauers Ernst Barlach, eröffneten wei- tere Perspektiven. Barlachs unheroische, todtraurige und kriegsverneinende Figuren waren nach 1933 bekanntlich als „entartet“ diffamiert worden. Erinnert der betende Soldat von Wendessen, so fragten wir uns, nicht auch an Barlachsche Muster? Oder ging es bei derlei Trauerarbeit, wie sie im Wendesser Denkmal ihren Ausdruck fand, doch eher um nationale Sinngebung des Weltkriegssterbens und um eine kommende Vergeltung für die „Schmach von Versailles“? Wir spannten abschließend noch den Bogen zur Friedensbewegung der 1970er und -80er Jahre in der Bundesrepublik und zu Hannes Wader. „Weit in der Champagne im Mittsommergrün ...“ (wo viel- leicht auch Soldaten aus Wendessen liegen), wurde angestimmt und einer ideologie- kritischen Interpretation unterzogen. Der Song machte starken Eindruck auf die Studierenden, die den Ort im Ganzen als Warnung „vor den Gefahren des Krieges und Mahnung zum Miteinander“ empfanden.

III.

Von Wendessen ging die Fahrt weiter über Groß Denkte in die Asse. Das Wetter zeigte sich nun von seiner freundlichen Seite. Der Weg zum Bismarckturm, dem nächsten Ziel, hatte „Bergwertungscharakter“, und das Hinauf bis auf über 300 m (Philosophenweg) ließ die Teilnehmer kräftig schwitzen. An der Eulenspiegeltafel verzweigt sich der Weg. Linkerhand geht es hinauf zum Philosophenpfad und höchs- ten Punkt der Asse, rechterhand zu Bismarckturm und Asseburg, geradeaus hinunter zum Forsthaus nach Wittmar. Für die differenzierte Erschließung der historischen Schauplätze Bismarckturm und Asseburg16 empfehlt sich ein Stationsbetrieb, der geschichtliche und kunstgeschichtliche sowie literarische Themen zusammenbindet. Wir erprobten dies ansatzweise: Eine erste Gruppe verblieb zunächst am Fuße des Bismarckturmes (Höhe Ankunft „Liebesallee“), zeichnete den Turm und versuchte dessen Gestaltpsychologie in einem Sinnspruch zu erfassen, z. Bsp. klassisch und als tatsächliche Lebensmaxime Bismarcks: Patriae inserviendo consumor, oder: „Ich fühle mich klein und schwach angesichts dieses monumentalen Klotzes“ (Abb. 2). Aus der tatsächlichen Perspektive von unten entsteht ein Verständnis dafür, was charismatische Herrschaft (Max Weber) aus der Sicht des dienenden und vereh- renden Volkes bedeutet haben könnte. Die ins Inhaltliche führenden Fragen, die hier konkret zu stellen wären: Wer hat den Bau solcher Türme initiiert, wer fnan- ziert, wer realisiert? Welche Feste und Feiern wurden alljährlich unter ihren Mauern begangen und wie? Wer redete worüber? Was waren überhaupt die Gründe für Deutschlands Tränen nach Bismarcks Tod?17 Auf welche Weise erinnerte man sich des „Reichsgründers“ im Wandel der Zeit – etwa 1900, 1915, 1919 oder 1933? Dass in der Bismarckverehrung der Braunschweiger ein stark antipreußischer, antiwilhel-

16 Nähere Erläuterungen auf der Website des Heimat- und Verkehrsvereins Asse (www.hva-asse.de). 17 Vgl. Lothar machthan: Bismarcks Tod und Deutschlands Tränen. Reportage einer Tragödie. München 1998.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 262 Matthias Steinbach

minischer Zug lag, darf dabei nicht vergessen werden. Freilich sind zur Vorbereitung dazu Aktenstudien in den Archiven und die Lektüre der zeitgenössischen Presse uner- lässlich, wird also forschendes Ler- nen notwendig. Übergreifendes Ziel der An- nährung bliebe: Das Kaiserreich und die wilhelminische Mentalität im Bismarckturm auffnden, die Selbstmobilisierung für den Herr- scher von unten und die nationale Stimmung der Vorkriegszeit nach- vollziehen. Die Besonderheit des Wittmarer Turmes, der wie hun- derte andere nach dem Tod des „Reichsgründers“ (1898) um die Jahrhundertwende entstand18, ist das Postament für ein Bismarck- Standbild über dem Eingang, das wohl aus Kostengründen nicht mehr verwirklicht wurde. Hier böte sich bei entsprechenden Si- Abb. 2: Bismarckturm Wittmar/Asse (1901) cherheitsvorkehrungen die Mög- lichkeit, der Bismarckzeit und ihrer Zentralgestalt durch Pose und Pantomime auf die Spur zu kommen; den Grundton der Epoche einfühlend bis kritisch distanziert in der Haltung des Herrschers zu vergegenwärtigen – ein beliebtes Spiel angeheiterter Herren zu Himmelfahrt übri- gens.19 Eine zweite Gruppe begab sich auf den Turm. Bei herrlichem Ausblick in die Landschaft wurde in die Geschichte Bismarcks und des Bismarckkultes eingeführt, der Stararchitekt der Türme Wilhelm Kreis vorgestellt, die Frage nach einer Kon- tinuität von „Bismarck zu Hitler“20 sowie der Bedeutungsverlust Bismarcks nach 1945 diskutiert. Eine zeitgenössische Bismarckkritik, die sich zumindest durch Aus- tausch der Namen, aber gewiss auch in der Grundaussage leicht auf Hitler ummün- zen ließe, liefert der ironische Kommentar Nietzsches aus dem Jahre 1882:

18 Allgemein: Günter KLOSS, Sieglinde SeeLe: Bismarcktürme und Bismarcksäulen. Eine Bestands- aufnahme. Petersberg 1997. 19 Zur für den Geschichtsunterricht noch kaum fruchtbar gemachten Methode vgl. Ingo ScheLLer: Szenische Interpretation. Theorie und Praxis eines theorie- und erfahrungsbezogenen Literatur- unterrichts in Sekundarstufe I und II. 2. Aufl. Seelze-Velber 2008. 20 Vgl. Sebastian haFFner: Von Bismarck zu Hitler. Ein Rückblick. München 1987.

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Beim Anblick eines Schlafrockes Kam, trotz schlumpichtem Gewande, Einst der Deutsche zu Verstande, Weh‘, wie hat sich Das gewandt! Eingeknöpft in strenge Kleider Überließ er seinem Schneider, Seinem Bismarck--den Verstand! Von der 24 Meter hohen Aussichtsplattform, wo einst die Sonnenwendfeuer zu Bismarcks Ehren loderten, lassen sich noch die alten Gleise zu den Asseschäch- ten und in der Ferne die unverwechselbare Silhouette der Salzgitter-Stahlwerke er- kennen – Ikone des Industriezeitalters. Auch grüßen die Kirchen Wolfenbüttels. Eine dritte Gruppe begab sich zur nur wenige Minuten Fußweg entfernt gelegenen Asseburg, wo der „Ruinenzauber“ des 13. Jahrhunderts lockt.21 Die Überreste der oberhalb eines früheren Weinberges in strategisch exponierter Lage hoch über der alten Handelsstraße Braunschweig – Leipzig gelegenen Burg sollten zum Sprechen gebracht, Steine nach Wirklichkeiten und Legenden der Ritterzeit befragt werden. Auf den ersten Blick erschienen die Reste der Burg den Studierenden etwas dürftig und stark erläuterungsbedürftig. Dabei zählt sie mit ca. 7200 Quadratmetern Aus- dehnung zu den größten Höhenburgen Norddeutschlands. Zwischen 1218 und 1223 unter Gunzelin von Wolfenbüttel erbaut – der im kulturellen Gedächtnis der Region fälschlicherweise oft als „Raubritter“ gilt, wo er doch nur getreuer Anhänger der Staufer gegen die hier vorherrschenden Welfen und ihren (hierzulande wohl derzeit etwas überschätzten) Kaiser Otto IV. blieb22 – wurde die Burg im Jahre 1492 im Zuge einer Fehde aufgegeben und in Brand gesteckt, seitdem von den umliegenden Dörfern als Steinbruch benutzt. Der Ort in seinen Trümmern bietet zahlreiche Mög- lichkeiten der Geschichtsvermittlung. So können Schüler der unteren Schulklassen in die Rolle eines Ritters oder Knappen schlüpfen, entsprechende Rituale spielen und sogar klassische Balladen wie Schillers Handschuh imitieren. Was wird wohl eine Torwache zu jener Zeit von den Burgmauern aus gesehen haben? Selbst die Treppenüberreste könnten genutzt werden, um die Zeit des Mittelalters wieder le- bendig werden zu lassen. Wer hat die Stufen wohl alles benutzt? Was hätten sie, was hätten die Steine alles zu erzählen? Um einen Eindruck von der Größe der ehe- maligen Burganlage zu bekommen, müssten Karten, Abbildungen und Grundrisse einbezogen werden. Auch machte es Sinn, die Ruine im Ganzen abzulaufen und ihre Ausmaße zunächst schätzen zu lassen. Schließlich sollten die zahlreichen Sagen

21 An dieser Station wurde ein Experte, Herr Rainer Krämer, Leiter des Heimat- und Verkehrsvereins Asse, hinzugebeten, der freundlicherweise über die Geschichte der Burg und aktuelle Rekonstruk- tionsvorhaben berichtete. Herzlichen Dank dafür. 22 An den über der Asseburg wechselweise wehenden Panieren des Wolfes und des Löwen lässt sich der staufisch-welfische Thronkonflikt vergegenwärtigen. Vgl. Wolfgang petKe: Reichstruchseß Gunzelin (†1255) und die Ministerialen von Wolfenbüttel-Asseburg. In: Auf dem Weg zur her- zoglichen Residenz Wolfenbüttel im Mittelalter. Hrsg. von Ulrich Schwarz. Braunschweig 2003, S. 47–106.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 264 Matthias Steinbach zur Burg und ihren Besitzern als literarische Quellen thematisiert und vor allem am Ort erzählt werden.23

IV.

Nach dem Abstecher einiger Unentwegter hinauf zum Philosophenweg, wo 1000 Fuß über den Dingen die Kantschen Fragen24 aufgeworfen wurden, folgte eine wohlver- diente Mittagspause am Wittmarer Forsthaus. Im Eingangsbereich des Wirtshauses fndet sich linkerhand noch ein alter Glasschrank mit zahlreichen Ausgrabungsge- genständen aus dem Umfeld der Burg, darunter Tongefäße und Scherben, Hieb- und Stichwaffen sowie Kanonenkugeln, dazu ein ansehnliches Modell der Asseburg – ein versteckter, aber gerade für Kinderaugen in ihrer Entdeckerlust interessanter Fun- dus, den man leicht übersieht. Gestärkt und guter Stimmung ging es anschließend weiter zur letzten Station, dem ehemaligen Salzbergwerk und Asse-Schacht II. Die Region rückte als traditioneller Bergbaustandort, also in wirtschafts- und umwelt- geschichtlicher Hinsicht ins Zentrum des Exkursionsinteresses. Die Geschichte des Salzabbaus in der Asse, die beginnend am Ende des 19. Jahrhunderts kaum mehr als 50 Jahre dauerte, ist im Vergleich zu den Jahrhunderte langen Traditionen des Erz- und Silberbergbaus im Harz aus heutiger Sicht eher Episode, nicht so die tages- politisch brisante Endlagerung von Atommüll im inzwischen stillgelegten Schacht II. Das gelbe „A“ mit dem Logo „aufpASSEn“, das überall in der Region zu sehen ist, versinnbildlicht den Widerstand der Bürger gegen das Endlager und die Intranspa- renz seiner Nutzung. Ein engagierter studentischer Vortrag machte die tatsächlichen Gefahren insbesondere durch die Vermischung giftiger, zum Teil hochradioaktiver Laugen mit Grundwasser deutlich. Trotz einsetzenden Regens diskutierten die Stu- denten über das Endlager und das Thema Atomenergie überhaupt noch kontrovers, auch wenn die Aufmerksamkeit nun langsam nachließ. Mancher wäre aber gern noch eingefahren und hätte sich die Zustände unter Tage genauer angesehen. Abschließend galt die Aufmerksamkeit dem alten Bergwerksgebäude und dem hier noch gut sichtbaren Motto: „Glück auf“, in dem bergmännische Alltags- und Sozialgeschichte steckt. Den Wenigsten war die tiefere Bedeutung der Inschrift er- klärlich. Ich verwies darauf, dass der Bergmann die Gefahren seines Berufes kennt und hofft, den Schacht nach getaner Arbeit unversehrt verlassen zu können. Das Glück ist oben, also dort, wo das Licht und die Sonne sind, die der Hauer oft mo- natelang nicht zu Gesicht bekam! Vor Sonnenaufgang fuhr man ein, oder kletterte hunderte Meter kotbeschmierte Leitern hinunter in den Schacht – Heinrich Heine hat das in seiner Harzreise eindrucksvoll beschrieben –, und erst nach Sonnenun- tergang verließ man das schwarze Loch wieder. Zur Verdeutlichung sangen wir am Ende das „Steigerlied“, dessen um 1730 zuerst im Erzgebirge entstandener Text den Stolz und die Hoffnungen der einfachen Bergleute widerspiegelt.

23 Einige zu Entstehung und Belagerung bei vOgeS (wie Anm. 10). 24 Was darf ich hoffen? Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was ist der Mensch? Vgl. Friedrich deSSaUer: Was ist der Mensch? Die vier Fragen des Immanuel Kant. Frankfurt a.M. 1959.

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Insgesamt ließ die Exkursion erahnen, welche Möglichkeiten historische Lernorte der Region für die Geschichtsvermittlung bieten. Bei fachübergreifender Ausrich- tung, etwa im Zusammenwirken von historisch-kunsthistorischer mit geografsch- geologischer sowie botanischer Kompetenz, ließen sich ohne Weiteres auch schu- lische Tagesexkursionen, wenn nicht Projektwochen gut begründen. Dass Denkmä- ler nicht nur einen unverzichtbaren geschichtswissenschaftlichen Rohstoff bilden, sondern auch für die Vermittlungspraxis von hoher Relevanz sind, erschloss sich den Teilnehmern der Exkursion. Ein Studierender meinte noch, er habe an diesem Tag mehr gelernt als im ganzen Semester zusammen. Auch wenn das nur cum grano salis für bare Münze zu nehmen ist: Den Gang in die Landschaft mit dem Gang in die Geschichte zu verbinden, kann überaus bildsam sein. Und so wie einst für Schiller bei seinem „Spaziergang“ auf den Jenaer Jenzig, war es auch für uns eine beglücken- de Erfahrung, aus verschiedenen Höhen in die Vergangenheit zu blicken und dabei nicht nur Zeiten und Gegenden, sondern in und mit ihnen uns selber zu wechseln.

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Landesgeschichte 2008 – mit Nachträgen

bearbeitet von

Ewa Schmid

Allgemeines, Landeskunde

1. aLLner, Otfried: Der wirklich praktische Wanderer. Merkwürdiges und Lehr- reiches aus alten Harzführern. In: Unser Harz. Jg. 56. 2008. S. 70–72. 2. baLdzUhn, Kurt-Uwe: Die Sozialstruktur des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde im Vergleich mit anderen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert. In: Harz-Zs. Jg. 60. 2008. S. 197–208. 3. bönig, Wolfgang: Landkreis Holzminden. Die Mär vom „ewigen“ Armenhaus. In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden. Bd. 26. 2008. S. 53–58. 4. bOLte, Mario: Die Grafen und Fürsten zu Stolberg in Stolberg/Harz. Stolberg: Stolberger Geschichts- und Traditionsverein e.V. 2008. 36 S., Abb. 5. bOrnemann, Manfred: Torfhaus – Wegehaus, Forsthaus, Gasthaus, Poststation und Siedlung. In: Unser Harz. Jg. 56. 2008. S. 103–107, 7 Abb. 6. brandt, Arno, Claudia hahn: Wissensvernetzung – Wissenschaft und Wirtschaft als Impulsgeber regionaler Entwicklung am Beispiel der Region Hannover-Braun- schweig-Göttingen-Wolfsburg. In: Neues Archiv f. Nds. 2. 2008. S. 6–15, 3 Abb. 7. Das Braunschweigische Land im Blick von hundert Jahren. Denkmalpfege, Natur- schutz, Heimatpfege. [Hrsg.]: Rolf ahLerS. Braunschweig: Appelhans 2008. 224 S., Abb. 8. drangmeiSter, Bettina: Die Technik des Vermessungswesens. Eine Entwicklungs- geschichte. In: Landkr. Helmstedt. Kreisbuch 2009. [2008]. S. 171–176, Abb. 9. dümcKe, Cornelia: Präsentation der „Machbarkeitsstudie zur kulturellen und touristischen Erschließung der bedeutenden archäologischen Funde (Schöninger Speere) im Braunschweiger Land“. In: Berichte z. Denkmalpfege in Nds. Jg. 28. 2008. S. 116–117, Abb. 10. eder, Ekkehard: Aus der Geschichte des Hauses Abgunst 1 in Osterode. In: Hei- matbll. f. d. süd-westl. Harzrand. H. 64. 2008. S. 6–17, Abb. 11. enderS, Lieselott: Die Altmark. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft in der Frühneuzeit (Ende 15. bis Anfang des 19. Jahrhunderts). Berlin: Berliner Wissen- schafts-Verlag 2008. 1580 S., Abb., Kt. [Braunschweig-Bezug]

12. geOrge, Klaus: Harz grenzenlos. Entlang historischer Grenzwege durch Natur und Geschichte [Hrsg. vom Regionalverband Harz e.V.]. Nordhausen: Kartograph. Kommunale Verl.-Ges. [ca. 2008].–108 S., Abb., Kt.

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13. geOrge, Klaus: Mitten im Harz. Braunlage. In: Der Harz. 2008. H. 5. S. 6–7, Abb. 14. giLdhOFF, Christian: Konradsburg, Falkenstein und die Kaltenborner Fälschungen. Anmerkungen zu den Anfängen von Burg Falkenstein. In: Harz-Zs. Jg. 60. 2008. S. 41–91. 15. heeSe, Werner: Northeim im 20. Jahrhundert. Band 2. Northeim im Zweiten Weltkrieg. Krieg in der Heimat – 1939–1945 und die nachfolgende Besatzungs- zeit – befreit, besetzt und geteilt – 1945–1955. Northeim: Heimat- und Museums- verein f. Northeim u. Umgebung e.V. 2008. 154 S., Abb. 16. Helmstedt (Landkreis). Informationen über den Landkreis Helmstedt. 1. Auf. Osnabrück: anCos-Verl. 2008. 28 S., Abb. graph. Darst., Kt. 17. hiLLegeiSt, Hans-Heinrich: 825 Jahre Lutterberg/(Bad) Lauterberg. In: Heimatbll. f. d. süd-westl. Harzrand. H. 64. 2008. S. 121–130, Abb. 18. hOdemacher, Jürgen: Geschichte des Brockens. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 55. 2009. [2008]. S. 118–127, Abb. 19. hOdemacher, Jürgen: Die Lübbensteine bei Helmstedt. In: Landkr. Helmstedt. Kreisbuch 2009. [2008]. S. 139–143, Abb. 20. JOhanneSSen, Herbert: Braunschweiger Land. Tradition, Vergangenheit und Ge- genwart. 1. Auf. Clenze: Ed. Limosa, Agrimedia c 2008. 279 S., Abb. 21. KiehL, Ernst: 75 Jahre Heimatbund Oberharz – ein Rückblick auf das Polsterberg- treffen 2008. In: Unser Harz. Jg. 56. 2008. S. 209–212, 7 Abb. 22. KirStan, Ralf: Daß auch der Ort wegen darin befndlicher Gespenst sehr be- schryen ist. Die „Hohlwelten“ des Harzes im Spiegel chronikalischer Berichte des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Nds. Jb. f. Landesgesch. Bd. 80. 2008. S. 329–352. 23. KLaUbe, Manfred: Fundstücke zur Bockenemer Stadtgeschichte 1930 bis 1970. Bockenem: Verf. 2008. 154 S., Abb. 24. KrippendOrFF, Nora Susanne: Siedlungsentwicklung des Wohngebietes Fuchshalle in den letzten 100 Jahren. In: Heimatbll. f. d. süd-westl. Harzrand. H. 64. 2008. S. 110–118, Abb. 25. KUbiaK, Thorsten: Helmstedt – Grenzen, grenzenlos und verbindend. Eine Reise zwischen dem heutigen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. In: Berichte z. Denk- malpfege in Nds. Jg. 28. 2008. S. 142–144, Abb. 26. Kulturelle Leuchttürme in der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen. Rostock: Hinstorff 2008. 144 S., Abb., Kt. (Kultur u. Marketing 5). 27. KUtScher, Rainer: Im Rickert’s Hotel übernachteten vor 130 Jahren die ersten Feriengäste Lerbachs. In: Heimatbll. f. d. süd-westl. Harzrand. H. 64. 2008. S. 43– 48, Abb. 28. Kwan, Elisabeth E., Anna E. röhrig: Vergessene Frauen der Welfen. Göttingen: MatrixMedia-Verl. 2008. 196 S., Abb. 29. Lachmann, Günther: Von Not nach Elend. Eine Reise durch deutsche Land- schaften und Geisterstädte von morgen. München: Piper 2008. 279 S., Abb., Kt. [S. 107–141: Die Mitte. Harz und Nordhessen] 30. Landkreis Wolfenbüttel. Hrsg. in Zusammenarbeit mit der Kreisverwaltung (Deut- sche Landkreise im Portrait. Landschaft und Natur, Freizeit und Kultur, Wirtschaft, Soziales und Gesundheit. Landkreis Wolfenbüttel). Red.: Kornelia vOgt. 5., völlig

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neue Ausg. Oldenburg: Kommunikation und Wirtschaft 2008. 112 S., Abb., Kt. (Deutsche Landkreise im Portrait; Edition Städte – Kreise – Regionen). 31. LOmmatzSch, Herbert: Unterharz und Oberharz. In: Allgem. Harz-Berg-Kal. 2009. [2008]. S. 106–108, Abb. 32. maywaLd, Armin: Der Harz. Natur, Kultur und Mythen; [Deutschlands Land- schaften; von Goslar bis Quedlinburg]. 1. Auf. Steinfurt: Ed. Rasch & Röhring 2008. 135 S., Abb. 33. meibeyer, Wolfgang: Der historische Hintergrund des „Borwall“ bei Querum. In: Braunschw. Jb. f. Landesgesch. Bd. 89. 2008. S. 157–160. 34. meibeyer, Wolfgang: Die Klosterdörfer der Grauen Mönche. Siedlungskund- liches aus dem Umfeld von Zisterzen im Braunschweigischen. In: Braunschw. Jb. f. Landesgesch. Bd. 89. 2008. S. 29–42, 9 Abb. 35. meibeyer, Wolfgang: Zur Ortsentwicklung von Meine im Mittelalter. In: Gifhor- ner Kreiskal. 2009. [2008]. S. 73–80, Abb. 36. meLzer, Wolfgang, Klaus-Jürgen Schmidt: Der Jopst-Peter-Stein. In: Unser Harz. Jg. 56. 2008. S. 186–189, 7 Abb. 37. meweS, Jürgen: 125 Jahre Waldgaststätte Tetzelstein im Elm. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 55. 2009. [2008]. S. 151–155, Abb. 38. mittmann, Hans: 80 Jahre Wohnen am Amtshof in Osterode. In: Heimatbll. f. d. süd-westl. Harzrand. H. 64. 2008. S. 89–109, Abb. 39. OerteL, Ulrich: Arbeitserziehungslager und Luftschutz im Braunschweiger Land. Die vergessenen Luftschutzbauten im ehemaligen Lager 21 bei Salzgitter-Hallen- dorf eruiert unter dem speziellen Aspekt der verbliebenen Fragmente der Luft- schutzbauten im Hallendorfer Holz. Salzgitter: Verf. 2008. 79 S., Abb. 40. papendOrF, Charlotte: Eulenspiegel – Botschafter einer Region. Auf den Spuren Till Eulenspiegels im Braunschweiger Land. In: Braunschw. Kal. 2009. [2008]. S. 60–63, Abb. 41. Peine (Landkreis). Landkreis Peine, hrsg. in Zsarbeit mit der Kreisverwaltung. Red.: Katja Schröder. 2., völlig neue Ausg. Oldenburg: Kommunikation und Wirtschaft 2008. 144 S., Abb. (Deutsche Landkreise im Portrait). 42. pFeiFFer, Klaus: Die Flutkatastrophe vom 7. April 1808. In: Allgem. Harz-Berg- Kal. 2009. [2008]. S. 149–154, Abb. 43. preSia, Edgar: Der Berg und die Insel – eine deutsche Episode. In: Unser Harz. Jg. 56. 2008. S. 43–47, 10 Abb. 44. reinemann, Rolf: Romanik in der Deuregio Ostfalen. In: Berichte z. Denkmal- pfege in Nds. Jg. 28. 2008. S. 115–116, 3 Abb. 45. rOSe, Alexander: Das Amt Peine in der Zeit der Aufklärung und der Spätauf- klärung (um 1800). Mit Beiträgen über Johann Peter Hundeiker, Andreas Bahrs, Siegfried Rave und Ludwig Brakebusch. Hrsg. vom Heimat-Verein Oberg. Lah- stedt: Heimat-Verein Oberg [2008]. 170 S., Kt. 46. Schmidt, Kurt: Der Oberharz im Baedecker. In: Allgem. Harz-Berg-Kal. 2009. [2008]. S. 103–104. 47. Schramm, Johannes: Goslarer Bergkalender im 390. Jahrgang. In: Goslarer Berg- kal. Jg. 390. 2008. S. 33–38, Abb. 48. Schwarz, Gesine: Die Rittersitze des alten Landes Braunschweig. Fotos von Jutta brüdern. Göttingen: MatrixMedia-Verl. 2008. 373 S., Abb.

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49. SeeLiger, Matthias: Bibliographie zur Geschichte des Landkreises Holzminden, 2006/2007 (mit Nachträgen). In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden. Bd. 26. 2008. S. 151–164. 50. Spektakel der Macht. Rituale im alten Europa 800–1800. [Hrsg.]: Barbara StOL- berg-riLinger. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 2008. 256 S., Abb. [Braunschweig-Bezug]

51. StecKhan, Peter: Welfenbericht. 150 Jahre Familiengeschichte der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg dokumentiert in Photographie und Film. Göttingen: MatrixMedia-Verl. 2008. 255 S., Abb., 1 DVD-Video. 52. wagner, Heidi, Fritz SchLimmer: 700 Jahre Siedlungsgeschichte im nördlichen Harzvorland. In: Unser Harz. Jg. 56. 2008. S. 107–111, 10 Abb. 53. wagner, Markus: Ländliche Hauskultur [Landkr. Helmstedt]. In: Berichte z. Denkmalpfege in Nds. Jg. 28. 2008. S. 137–138, 8 Abb. 54. weber, Karl-Friedrich, Henning zeLLmer: Der Geopark Harz. Braunschweiger Land. Ostfalen: Ein regionales Netzwerk mit überregionaler Anerkennung. In: Be- richte z. Denkmalpfege in Nds. Jg. 28. 2008. S. 110–111, 5 Abb. 55. weber, Karl-Friedrich, Henning zeLLmer: Zehn Jahre international anerkannte Projektarbeit im Landkreis Helmstedt: Das Freilicht- und Erlebnismuseum Ost- falen e.V. und der Nationale Geopark Harz.BraunschweigerLand.Ostfalen. In: Landkr. Helmstedt. Kreisbuch 2009. [2008]. S. 195–205, Abb. 56. weinerS, Horst: Wege, Steine und Gräben, Zeugnisse der Vergangenheit im Solling, Revier Nienover. Teil 1–2. In: Sollinger Heimatbll. 1–2. 2008. S. 9–21; 11–20, Abb. 57. witte, Dietrich: Wulftener Brandgeschichte(n). Von Feuersbrünsten, „Ortssprit- zen“, einer „goldenen Belohnung“, aber auch von „pfichtvergessenen Untertanen“. In: Heimatbll. f. d. süd-westl. Harzrand. H. 64. 2008. S. 49–63, Abb. 58. wUnderLing-weiLbier, Matthias: Mit der Vergangenheit in die Zukunft – Das Projekt „Schöninger Speere“. In: Braunschw. Kal. 2009. [2008]. S. 72–73, Abb.

Quellenkunde und Historische Hilfswissenschaften

59. bei der wieden, Brage: Ein regionales Wirtschaftsarchiv für Niedersachsen. In: Neues Archiv f. Nds. 1. 2008. S. 100–105. 60. bei der wieden, Brage: Die Urkunden der Welfen, verwahrt in Wolfenbüttel. In: Braunschw. Kal. 2009. [2008]. S. 107–109, 2 Abb. 61. FreSdOrF, Jörn: Nachweis archivalischer Quellen zur Geschichte der Braunschwei- gischen Staatsbank und der Braunschweigischen Landessparkasse. Wolfenbüttel: Nds. Wirtschaftsarchiv 2008. 75 S. 62. naSS, Klaus: De Vita beati Conradi de Herlsheim. Ein neuer Text aus dem Kloster Haina. In: Dt. Archiv f. Erforschung d. Mittelalters. Jg. 64. 2008. S. 15–63. 63. OhainSKi, Uwe: Die Lehnregister der Herrschaften Everstein und Homburg. Er- gänzt um einige weitere registerförmige Quellenstücke aus dem späten Mittelalter. Bielefeld: Verl. f. Regionalgesch. 2008. 184 S. (Göttinger Forschungen z. Landes- gesch. 13). 64. Urkundenbuch der Stadt Braunschweig. Bd. 8: 1388–1400 samt Nachträgen. Bearb.

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v. Josef dOLLe. Hannover: Hahn 2008. 1843 S. (2 Teilbände). (Veröff. d. Hist. Komm. f. Nds. u. Bremen 240). 65. Urkundenbuch des Klosters Walkenried Band 2: Von 1301 bis 1500. Bearb. v. Josef dOLLe unter Benutzung von Vorarbeiten von Walter baUmann. Hannover: Hahn 2008. 851 S. (Veröff. d. Hist. Komm. f. Nds. u. Bremen 241); (Quellen u. Forschungen z. Braunschw. Landesgesch. 45).

Allgemeine Geschichte in zeitlicher Reihenfolge

66. behrenS, Elke, Christa S. FUchS, Monika Lehmann: Im nassen Element – Die Dokumentation der Schöninger Speere. In: Berichte z. Denkmalpfege in Nds. Jg. 28. 2008. S. 70–73, 8 Abb. 67. Die Schöninger Speere. Mensch und Jagd vor 400 000 Jahren; Ausstellungs- dokumentation. [Braunschweigisches Landesmuseum, 24.11.2007–24.02.2008, Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, 28.03.2008–27.07.2008]. The Schö- ningen spears, hrsg. v. Martin Schmidt und Wolf-Dieter Steinmetz. Kerpen-Loogh (Eifel): Welt-und-Erde-Verl. 2008. 95 S., Abb. (Begleithefte z. Ausstellungen d. Fachbereiches Archäologie d. Nds.Landesmuseums Hannover 14). 68. heSKe, Immo: Identifzierung und Datierung von Bronzefragmenten aus Börssum, Kr. Wolfenbüttel. Zur Fundkonzentration der gegossenen Bronzebecken im Nord- harzvorland. In: Neue Ausgrabungen u. Forschungen in Niedersachsen. 27. 2008. S. 25–38, Abb., Kt. 69. bernatzKy, Monika: Das alte Dorf am Petersteich. Ausstellungsprojekt der Kreisarchäologie Helmstedt. In: Landkr. Helmstedt. Kreisbuch 2009. [2008]. S. 127–132, Abb. 70. mecKSeper, Cord: Neue Forschungen zur Königspfalz Goslar. In: Burgen und Schlösser. Jg. 49. 2008. S. 72–76, Abb. 71. henStra, Dirk Jan: Die Herkunft sächsischer Grafenrechte im westerlauwer- schen Friesland ca. 950–ca. 1150. Ein Beitrag zur Geschichte der Brunonen. In: Braunschw. Jb. f. Landesgesch. Bd. 89. 2008. S. 17–28. 72. geSchwinde, Michael: Die Steterburg. Mythos, Geschichte und Archäologie einer Burganlage des 10. Jahrhunderts. „… urbem quae dicitur Stedieraburg“. In: Nach- richten aus Niedersachsens Urgesch. Bd. 77. 2008. S. 125–146, Abb., Kt. 73. bernatzKy, Monika, Bernhard recKer: Auf den Spuren Kaiser Lothars III. von Süpplingenburg. In: Berichte z. Denkmalpfege in Nds. Jg. 28. 2008. S. 131–132, 6Abb. 74. winzer, Hans-Joachim: Wer beerbte Graf Dietrich III. von Katlenburg-Einbeck (†1106). In: Harz-Zs. Jg. 60. 2008. S. 93–121. 75. KrUppa, Nathalie: Illuminierte Herrscher. Bildliche Erinnerungen an die frühen Welfen in ihren süddeutschen Klöstern. In: Nds. Jb. f. Landesgesch. Bd. 80. 2008. S. 241–282, 11 Abb. [Braunschweig-Bezug]

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83. mUnding, Maria: Elisabeth und die Wolfenbütteler Welfen. In: Elisabeth von der Pfalz . Äbtissin von Herford, 1618–1680. Eine Biographie in Einzeldarstellungen, hrsg. v. Helge bei der wieden. Hannover: Hahn 2008. S. 147–167, 2 Abb. (Ver- öff. d. Hist. Komm. f. Nds. u. Bremen 245). 84. nOLde, Dorothea: Eléonore Desmier d‘Olbreuse (1639–1722) am Celler Hof als diplomatische, religiöse und kulturelle Mittlerin. In: Grenzüberschreitende Fami- lienbeziehungen: Akteure und Medien des Kulturtransfers in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Dorothea nOLde und Claudia Opitz. – Köln [u.a.]: Böhlau 2008. 107– 118. 85. Lange, Karin: Elisabeth Christine und Friedrich der Große – ein Frauenleben in Preußen. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 55. 2009. [2008]. S. 88– 96, Abb. 86. FimpeL, Martin: Württemberg und Braunschweig-Wolfenbüttel als Partner im Alten Reich. Eine Gesandtschaft am württembergischen Hof 1723. In: Florilegium Sue- vicum. Beitr. z. südwestdeutschen Landesgesch. Hrsg. v. Gerhard Fritz u. Daniel Kirn. Ostfldern: Thorbecke 2008. S. 139–155, 1 Abb. (Stuttgarter hist. Studien z. Landes- u. Wirtschaftsgesch. 12). 87. pUmpe, Anton: Heldenhafter Opfertod des Herzogs Leopold von Braunschweig 1785 in der Oder. Wahrheit oder Legende? Presse im Spannungsfeld zwischen Aufklärung und Propaganda, eine quellenkritische Studie. Wolfenbüttel: Braun- schw. Geschichtsverein 2008. 262 S., Abb. (Quellen u. Forschungen z. Braunschw. Landesgesch. 44). 88. König Lustik. Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen; [Hessische Landesausstellung 2008 MHK Kassel 19.3.–29.6.2008]. [Hrsg. Muse- umslandschaft Hessen Kassel, Michael eiSSenhaUer …]. München: Hirmer 2008. 567 S., Abb. 89. hiLLegeiSt, Hans-Heinrich: Jérôme und Katharina sind wieder vereint. In: Allgem. Harz-Berg-Kal. 2009. [2008]. S. 132–134, Abb. 90. gebhardt, Günter: Unter Napoleon gehörten die Harzer zum Königreich West- falen (1807–1813). In: Unser Harz. Jg. 56. 2008. S. 130–133, 3 Abb. 91. hOchbrUcK, Wolfgang: „Treu zur Union“. Braunschweiger Offziere und Schrift-

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98. hirt, Gerulf: „Wir wollen die Menschen solange bearbeiten, bis sie uns verfallen sind!“. Das Verhältnis von Wirtschaftswerbung und politischer Propaganda der NSDAP, 1925 bis 1938. Göttingen: Verf. 2008. 133 S. [Masch.schr.vervielf.]

99. wäLdner, Christian-Alexander: Homosexuelle Opfer des Nationalsozialismus am Beispiel des Gefängnisses Wolfenbüttel. Hannover: Verf. 2008. 31 S. 100. KieKenap, Bernhard: SS-Junkerschule. SS und SA in Braunschweig. Braunschweig: Appelhans 2008. 254 S., Abb. 101. Unerwünscht, verfolgt, ermordet. Ausgrenzung und Terror während der national- sozialistischen Diktatur in Magdeburg 1933 – 1945. [Begleitbuch zur Ausstellung „Unerwnüscht – verfolgt – ermordet“, Kulturhistorisches Museum Magdeburg, 28. Januar bis 3. August 2008]. [Hrsg.: Matthias pUhLe]. Magdeburg: Magde- burger Museen 2008. 387 S., Abb. (Magdeburger Museumsschriften 11). [Braunschweig-Bezug]

102. OwczarSKi, Rolf: Der Führer in einer Nische der Kreisverwaltung. In: Landkr. Helmstedt. Kreisbuch 2009. [2008]. S. 119–125, Abb. 103. rOcKStedt, Gerhard: Gegen das Vergessen. Vor den Toren des Harzes das KZ Langenstein-Zwieberge. In: Unser Harz. Jg. 56. 2008. S. 203–208, 9 Abb. 104. Lüder, Helmut: Arbeiten für Groß-Deutschland. Zwangsarbeit in Bad Lauter- berg. Clausthal-Zellerfeld: Papierfieger 2008. 116 S., Abb. (Spuren Harzer Zeit- gesch. 3). 105. KöhLer, Werner: Mein Freund Wassilie. Erzählung über meine Kindheit während des Krieges in Esbeck. In: Landkr. Helmstedt. Kreisbuch 2009. [2008]. S. 105– 112, Abb. 106. KLaUbe, Manfred: Kriegs- und Nachkriegsjahre in der Provinz. Bockenem und der Ambergau 1939 bis 1949. Bockenem: Verf. 2008. 256 S., Abb.

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107. mühLbaUer, Thaddäus: Flucht, Gefangenschaft und Vertreibung aus Ostpreußen. In: Gifhorner Kreiskal. 2009. [2008]. S. 39–41. 108. bOrnemann, Manfred: Erinnerungen an Ilsenburg und an das Kriegsjahr 1945. In: Unser Harz. Jg. 56. 2008. S. 183–186, Abb. 109. FiScher, Hermann: Wie ich das Kriegsende erlebte. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüttel. Jg. 55. 2009. [2008]. S. 184–189, Abb. 110. pOhL, Rosemarie: Der 8. Mai 1945 in Breslau. Erlebnisse einer 7-jährigen. In: Landkr. Helmstedt. Kreisbuch 2009. [2008]. S. 89–92, Abb. 111. becKer, Waldemar: Das Kriegsende 1945 in der Stadt Holzminden im Spiegel amerikanischer Berichte. Mit 3 Abb. In: Jb. f. d. Landkr. Holzminden. Bd. 26. 2008. S. 45–52. 112. KiehL, Ernst: Wurzeln in anderer Erde (1–2). Eine Würdigung der kulturellen Leistungen der Flüchtlinge und Vertriebenen nach 1945 im Harz. In: Unser Harz. Jg. 56. 2008. S. 143–147, 5 Abb.; 167–173, 16 Abb. 113. JahnS, Werner: Kriegserlebnisse von Schülern der Oberschule für Jungen in Holz- minden. Niedergeschrieben Ostern 1947. Mit 1 Abb. In: Jb. f. d. Landkr. Holzmin- den. Bd. 26. 2008. S. 31–44. 114. OwczarSKi, Rolf: Blick in die Vergangenheit 1959. In: Landkr. Helmstedt. Kreis- buch 2009. [2008]. S. 219–233, Abb. 115. gabrieL, Heinz: Die Grenzöffnung in Zicherie. Erinnerung an die Wiedervereini- gung vor 20 Jahren. In: Gifhorner Kreiskal. 2009 [2008]. S. 14–15, Abb.

Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte

116. baUmhaUer, Joachim F.: Hexenwahn im Atomzeitalter. Johann Kruse und die „Hexenprozesse“ der 1950er Jahre. In: Sozialwissenschaftliches Journal. Jg. 3. 2008. Nr. 6, S. 98–117. [S. 109–114: Der „Braunschweiger Mosesbuch-Prozess“ (1953–61), betr. den von dem Lehrer und Volkskundler Johann Kruse (1889–1983) angestrengten Prozess um das Buch: Das sechste und siebente Buch Moses. Das ist Moses magische Geisterkunst, das Geheimnis aller Geheim- nisse; wortgetreu nach einer alten Handschrift; mit alten Holzschnitten, neu überarb. von F. H. maSUch. Braunschweig: Planet-Verl., 1950].

117. drecKtrah, Volker Friedrich: Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Justiz in Niedersachsen. In: Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Justiz im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit, hrsg. v. Eva SchUmann. Göttingen: Wallstein-Verl. 2008. S. 271–299, Abb. [Braunschweig-Bezug]

118. LippeLt, Christian: Hoheitsträger und Wirtschaftsbetrieb. Die herzogliche Amts- verwaltung zur Zeit der Herzöge Heinrich der Jüngere, Julius und Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel 1547–1613. Hamburg: Dr. Kovac 2008. 514 S. (Schriften z. Sozial- u. Wirtschaftsgesch. 12). 119. matwiJOw, Klaus: Die Lonauerhammerhütte wurde vor gut 70 Jahren in die Stadt Herzberg eingemeindet. In: Allgem. Harz-Berg-Kal. 2009. [2008]. 144–145, Abb. 120. möLLer, Gerhard: Bemerkungen zur territorialen Zugehörigkeit der Stadt Bad Sachsa und ihrer Ortschaften. Von den Anfängen bis zur Gegenwart nebst einem

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Kirchengeschichte

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134. KrUggeL, Otto: Klösterliche Erziehung nach der Reformation. In: Landkr. Helm- stedt. Kreisbuch 2009. [2008]. S. 35–44. 135. padeL, Hartmut: Religionspädagogik auf neuen Wegen. Erinnerungen an fünf- zehn Jahre Katechetisches Amt in Braunschweig. Wolfenbüttel: Landeskirchenamt 2008. 71 S., Abb. (Quellen u. Beitr. z. Gesch. d. Ev.-luth. Landeskirche in Braun- schweig 18). 136. römer, Christof: Die Benediktiner zu Gröningen: Epochen einer Corveyer Propstei im Bistum Halberstadt. In: Harz-Zs. Jg. 60. 2008. S. 11–39, Abb. 137. römer, Christof: Das Ende des alten Reiches und das Ende des Benediktiner- klosters St. Ludgeri im Jahre 1803. T. 1–2. In: Altstadt-Kurier. Jg. 13. 2008. H. 1–2. S. 10–16; 20–22, Abb. 138. ScharF-wrede, Thomas: Weg durch wechselvolle Zeiten. Zur Geschichte der ka- tholischen Kirche in Braunschweig von der Reformation bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. In: Jb. f. Gesch. u. Kunst im Bistum Hildesheim. Jg. 75/76. 2007/2008. S. 349–372, 1 Abb. 139. Scheib, Otto: Die Chroniken des Benediktinerklosters Huysburg bei Halberstadt. Zu Inhalt, Geschichte und Fundorten besonders der Annalen von Franz Bouvelett OSB und Christian Franz Paullini. Freiburg: Verf. 2008. 27 S. 140. Schmidt, Hans: Missionierung des Nordharzvorlandes. In: Uhlenklippen-Spiegel. Nr. 86. 2008. S. 4–8; Nr. 87. 2008. S. 3–7. 141. StegeLmann, Uwe: Gethsemanekloster Goslar-Riechenberg. 1. Auf. In: Evange- lische Klöster in Niedersachsen. Rostock: Hinstorff 2008. S. 124–128, Abb. 142. StrObach, Berndt: Hebräischer Buchdruck zwischen Hofjuden-Mäzenatentum und christlicher Zensur. Wie die Harzstadt Blankenburg nicht zum jüdischen Publi- kationsort wurde. In: Zs. f. Religion- u. Geistesgesch. 60. 2008. H. 3. S. 235–252, Abb. 143. StrümpeL, Klaus-Joachim: Die Missionierung der ostfälischen Sachsen und die Ur- pfarrkirche St. Stephanus zu Kissenbrück. In: Heimatbuch f. d. Landkr. Wolfenbüt- tel. Jg. 55. 2009. [2008]. S. 128–133. 144. veLtheim, Mechtild von, Marga von dewitz: Kloster St. Marienberg in Helm- stedt. 1. Auf. In: Evangelische Klöster in Niedersachsen. Rostock: Hinstorff 2008. S. 134–139, Abb. 145. wedeKind, Hans-Hermann: Kloster Ilsenburg. In: Uhlenklippen-Spiegel. Nr. 85. 2008. S. 23–30, Abb. [Braunschweig-Bezug]

146. zieLKe, Carola: Leben im Zisterzienserkloster Mariental gestern und heute. In: Landkr. Helmstedt. Kreisbuch 2009. [2008]. S. 45–54, Abb.

Wirtschafts- und Verkehrsgeschichte 147. Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Braunschweigischen Landes. Hildes- heim: Olms 2008. Bd. 1. Mittelalter. Im Auftrag d. Braunschweigischen Landschaft hrsg. v. Claudia märtL, Karl Heinrich KaUFhOLd, Jörg LeUSchner unter Mitarb. v. Barbara KLöSSeL-LUcKhardt, Tanja StramieLLO. 836 S., Abb., Bd. 2. Früh- neuzeit. Hrsg. v. Karl Heinrich KaUFhOLd, Jörg LeUSchner, Claudia märtL unter Mitarb. v. Tanja StramieLLO, Barbara KLöSSeL-LUcKhard. 944 S., Abb., Bd. 3.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Bibliographie zur Braunschweigischen Landesgeschichte 277

Neuzeit. Hrsg. v. Jörg LeUSchner, Claudia märtL, Karl-Heinrich KaUFhOLd un- ter Mitarb. v. Barbara KLöSSeL-LUcKhard, Tanja StramieLLO. 952 S., Abb.

Bergbau, Hütten, Wasserwirtschaft

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Land- und Forstwirtschaft, Industrie, Handel, Handwerk

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Post, Verkehr, Tourismus

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Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens Universitäten, Schulen

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Architektur, Kunstgeschichte und Denkmalpfege

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Literatur, Buchwesen

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Theater, Musik

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Volkskunde, Sprachgeschichte, Namenkunde

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Natur, Umweltschutz

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Geschichte einzelner Orte

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426. müLLer, Georg: Georg ulrich – ein Zellerfelder Bergmannssohn. In: Allgem. Harz-Berg-Kal. 2009. [2008]. S. 52–53. 427. Krüger, Matthias: Der erste Landesminister mit Helmstedter Vergangenheit: Richard Voigt. In: Landkr. Helmstedt. Kreisbuch 2009. [2008]. S. 77–78. 428. Lange, Justus: Die wilkes. Eine Künstlerfamilie der Moderne aus Braunschweig. Braunschweig: Städtisches Museum 2008. 55 S., Abb. (Arbeitsberichte Veröff. aus dem Städt. Museum Braunschweig 73). 429. KUtScher, Rainer: Otto wolf (*1896 +1978). Ein Leben für das Harzer Brauch- tum – Am 15. Juli 2007 wäre er 111 Jahre alt geworden. In: Heimatbll. f. d. süd- westl. Harzrand. H. 64. 2008. S. 68–73, Abb. 430. Kapp, Maria: Pfarrer Johannes wosnitZA (1908–1995). In: Jb. f. Gesch. u. Kunst im Bistum Hildesheim. Jg. 75/76. 2007/2008. S. 157–181, Abb. 431. haUbitz, Bernd: Herwig ZAng siebzig Jahre. Die Vita (oder vitae?). In: Vogel- kundliche Berichte aus Niedersachsen. Bd. 40. 2008. S. 3–16, Abb.

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Peter Mortzfeld (Bearb.), Katalog der graphischen Porträts in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Reihe A Bd. l–28: Abbildungen A–Z, Bd. 29–37: Biogra- phische und bibliographische Beschreibungen (= Katalog) A–Z mit Künstlerregistern, Bd. 38–41: Suppl. Abbildungen, Bd. 42–43: Suppl. Beschreibungen, Bd. 44 Register 1– 3: Porträtierte, außerdeutsche Porträtierte, Verleger, Drucker und Kunstverleger, Bd. 45 Register 4: Maler, Zeichner, Stecher, Bd. 46–47 Register 5,1–2: A–L, M–Z, Bd. 48 Re- gister 6: Berufe, Bd. 49 Register 7–14: Realien, Bd. 50 Register 15–19: Porträtgedichte, Dichter, Widmer und Zitate. München/Berlin: K. G. Saur Verlag 1986–2008, 204,00 € pro Band In 50 Bänden hat Peter Mortzfeld die Sammlung von 28623 graphischen Porträts des 16. bis 19. Jahrhunderts der Herzog August Bibliothek abgebildet, beschrieben und durch vorbildlich erarbeitete Register erschlossen. Es ist das Lebenswerk eines gelern- ten Altphilologen geworden, das die Porträt-Forschung für lange Zeit bestimmen, ja sie in mancher Hinsicht erst ermöglichen wird. Ist die Qualität der Abbildungen erst für die Supplementbände hervorragend zu nennen, so erregen die Abbildungen doch die Aufmerksamkeit des Forschers, nicht nur wegen der Fragen nach der Authentizität des jeweiligen Bildnisses, sondern gleichermaßen wegen ihrer Form, wegen der Kostüme und der hochinteressanten, kunstwissenschaftlich noch nicht einmal im Ansatz diskutierten Frage nach der Rahmung: Welches sind nur Bilderrahmen, welche sind Epitaphrahmen, allegorische Rahmen, etc., oder sei es wegen der angewandten graphischen Techniken: Kupferstich, Radie- rung, Radierung/Kupferstich, Schabkunst, Aquatinta, Holzschnitt, Holzstich, Lithogra- phie, die ja selbst bereits einen Hinweis auf die Entstehungszeit eines Blattes geben, liefern dem Kenner in vielen Fällen Aufschluss über bisher nicht bekannte Zustände, Frühdrucke oder späte Verwendungen. Dass diese Technikangaben verlässlich sind, ist dem Verfasser nicht hoch genug anzurechnen. Dass ausgerechnet der letzte Band der Reihe, Band 50, die in den Porträtgraphi- ken versteckten literarischen Kostbarkeiten registriert und nach Dichtern aufistet, bleibt ein besonderes Verdienst des Verfassers. Seit Roger Paas in zwei schmalen Bändchen „Effgies and Poesis“, Wiesbaden 1988, auf das Bildgedicht im Porträt des Frühbarock hingewiesen hat, wusste man diese neuerschlossene Quelle nicht nur für die Literatur- geschichte zu nutzen. Mortzfeld gibt von allen Porträts außer der Abbildung auch eine detaillierte Beschrei- bung der Dargestellten und benutzt dafür eine eigene, methodisch durchgefeilte Nomen- klatur. Der Katalog erhält dadurch eine Prägnanz, wie sie sonst nur in Werkkatalogen zu fnden ist. Tatsächlich bietet sein Katalog für eine große Zahl von bekannten, aber bisher wenig bearbeiteten Kupferstechern ein Werkverzeichnis (z.B. Conrad Buno, Wolfenbüt- tel, 40 Porträtstiche; J. G. Beck, Braunschweig, 29 Porträtstiche; J. G. Schmidt, Braun- schweig, 39 Porträtstiche, Oehme und Müller, Braunschweig, 50 lithographische Por- träts; J. M. Bemigeroth, Leipzig, 499 Porträtstiche; M. Bemigeroth, Leipzig, fast 1000 Porträtstiche; Georg Fennitzer, Nürnberg, 497 Schabkunstporträts; Jacob von Sandrart, Frankfurt/Nürnberg, 303 Porträtstiche u.s.w.). Das Register 4 in Bd. 45 gibt genauen Aufschluss über Maler/Zeichner und Stecher und sollte nicht nur für lexikalische Arbei- ten nicht übersehen werden.

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Der lexikalische Nachweis von Lebensdaten der Porträtierten und ihre Aufarbeitung im Register 5.1–2 (Bd. 46/47) vermittelt dem Porträtkatalog Mortzfelds den Charak- ter eines illustrierten biographischen Lexikons. Angesichts der horrenden Zahl nicht im Team, sondern einzeln erarbeiteter Daten konnten nicht alle Angaben zutreffend sein: Errata et Corrigenda zu Bd. l–41 in Bd. 43, S. 331–357 (s.u.). Dass in Bd. 47 zum ersten Mal, soweit ich sehe, für graphische Blätter ein Verleger- register geschaffen worden ist, verdient besonders hervorgehoben zu werden. Die Kup- ferstichkunde hat über die Verleger bisher wenig Material beigebracht. Allein von Gott- fried Müller in Braunschweig z. B. beschreibt Mortzfeld 15 Porträts, von Peter Schenck, Amsterdam, der für Herzog Anton Ulrich tätig war, 89 gestochene und 66 verlegte Porträts. Man mag die Benutzung von Versalien für die Namen der ehemals regierenden Häuser als nostalgisch belächeln: für die Benutzung des Porträtkatalogs stellt sich die- se Maßnahme als außerordentliche Erleichterung dar. Ganz übersichtlich gliedern sich die Mitglieder der alten Adelshäuser und der Bistümer im beschreibenden Katalog un- ter den Ortsnamen. Für die Reihe der deutschen Kaiser wird >DEUTSCHES REICH, HL.RÖM.< benutzt. Für das Haus BRAUNSCHWEIG-LÜNEBURG kann man schnell feststellen, dass die Sammlung an die 500 Porträts der verschiedenen Linien bietet, also fast nebenbei die bisher vollständigste Erfassung und Abbildung graphischer Porträts der Welfen. Sind doch entsprechende, wenn auch kaum so umfangreiche Spezialsammlungen in den Braunschweiger Museen und Archiven und in der Nds. Staatbibliothek, dem Nds. Hauptstaatsarchiv Hannover und dem Historischen Museum der Stadt Hannover bisher unpubliziert geblieben. Der Nachweis von Quellen ermöglicht Mortzfeld vielfach die Datierung eines Por- trätstiches, falls dieser nicht selbst datiert oder datierbar ist. Doch bleibt im Katalog an anderen Stellen unklar, wie ein Porträt zu datieren ist. Erst ein Nachschlagen in den Registern ergibt die Lebensdaten der Stecher oder Verleger und ermöglicht damit die Feststellung des Erscheinens eines Blattes. Erst solche Recherchen führen dann zum „Urbild“, das immer wieder kopiert worden ist. Die Qualität der Darstellung allein ist aber noch kein Hinweis für ein solches „Urbild“. Vielmehr lag die Kunst der Porträt- stecher gerade im Ausgleich zwischen Vorbild und Nachbild. Die Geschichte der Porträtsammlung ist von Peter Mortzfeld kurz in Bd. 1, 1986, beschrieben, von ihm im >Lexikon zur Geschichte und Gegenwart der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Wiesbaden 1992<, S. 128 s.v. >Porträtstichsammlung< erwei- tert und anonym im Internet unter www.hab.de/bibliothek/sammlungen/bestaende/ ms … wiederholt und ergänzt. Die Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek setzt sich neben neueren Erwerbungen (ca. 6000 Blatt) aus hauptsächlich drei Sammlungen zusammen: einer schon von Herzog August erworbenen Sammlung von ca 2000 Nürn- berger Porträts, der 1833 von Bibliothekar C. Ph. Schönemann erworbenen Sammlung von Bildnissen des 17. und 18. Jahrhunderts des Wolfenbütteler Juristen Carl Gesenius (1746–1829) in ehemals 56 Klebebänden und den ehemals 13 Mappen der 1875 von Direktor v. Heinemann angekauften Sammlung des Barons G.G.A.H.K. von Berlepsch (1786–1877) (Lexikon, a.a.O., S. 25; Thomas Döring, in: Das Herzog Anton Ulrich- Museum und seine Sammlungen 1578–1754–2004, hrsg. v. J. Luckhardt, München 2004, S. 271ff. m. weit. Lit.). Diese Sammlungen sind in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts – leider ohne Provenienznachweis – aufgelöst, restauriert und zu- sammengeführt worden. Die mit biographischen Notizen versehenen alten Montierungen der Sammlungen Gesenius und Berlepsch sind aber erhalten geblieben. Die geplante Reihe B, Porträtstiche in Porträtswerken und in Büchern, ist begonnen, aber leider ab-

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Rezensionen und Anzeigen 299 gebrochen worden. Sie ist in einem Wolfenbütteler Symposion 1989 vorbereitet worden, dessen Vorträge in Bd. 63 der Wolfenbütteler Forschungen, hrsg. v. Peter Berghaus, unter dem Titel >Graphische Porträts in Büchern des 15.–19. Jahrhunderts<, Wies- baden 1995, gedruckt worden sind, wo aber nur der Beitrag von Wartmann bibliogra- phischen Aufschluss über drei gedruckte Porträtkataloge des 16. Jahrhunderts gibt. Für eine Bibliographie der gedruckten Porträtkataloge muss man also weiterhin auf A. M. Hind, A History of Engraving & Etching, London 1908, 1922. 3, (Dover Ed. 1963 u.ö., S. 410–411), zurückgreifen.

Zusätze zu den Errata et Corrigenda: A 9573 >Dr. H. Heusinger< ist der Braunschweiger Medizinalrath Prof. Dr. Heinrich Heusinger (1786–1863) (Hans Christian Brandenburg, Die Familien Heusinger vom 15. Jahrhundert bis heute, Veröff. d. Familienkundlichen Kommission für Niedersach- sen und Bremen Reihe A, Göttingen 1974, Bd. II S. 66 m. Lit.). Er ist das dritte Kind des Wolfenbütteler Rektors Konrad Heusinger (1752–1820), Nr. A 9574 (Brandenburg S. 45). Dessen Bruder war der Maler und Miniaturist Johann Heusinger (1769–1846) (Brandenburg S. 46). Ein Bildnis Johann Christian Friedrich Carl, gen. Carl Friedrich (seit 1872: von) Heusinger, Farnroda 1792–1883 Marburg/L (Brandenburg S. 63) befndet sich nicht in der Porträtsammlung der HAB. Dessen Vorfahren war Johann Christian Friedrich Heusinger (1724–1795), Nr. A 9572 (nicht: von Waldegg; Branden- burg S. 29; über die Familien Heusinger von Waldeck/Waldegg handelt Brandenburg in Bd. I. a.a.O.). A 9647–52 Diese fktiven Holzschnitt-Bildnisse der Hildesheimer Bischöfe stammen aus Nikolaus Gödike, Warhafftige und Gar eigentliche Beschreibunge, von dem Ersten Bischoff zu Hildesheimb, biß auf jetzigen Regierenden Bischoff, und Herrn Churfürsten zu Cölln …, Wolfenbüttel, Nikolaus Gödicke 1604. Die Holzschnitte sind von dem Wolfenbütteler Formschneider Georg Schar(f)fenberg monogrammiert (vgl. BBL 2006, S. 612f. m. Lit.). Christian von Heusinger

Dieter Rammler,Hinter jedem Hügel ein Kirchturm. Kleine Braunschweigische Kir- chengeschichte. Hannover: Lutherisches Verlagshaus 2009, 176 S., 86 Abb., 14,90 € Dieter Rammler, Leiter des Predigerseminars in Braunschweig, erzählt die braunschwei- gische Kirchengeschichte als Strang der Landesgeschichte: gut informiert, füssig formu- lierend, nicht selten pointiert in der Darstellung. Das Buch richtet sich an Besucher und Touristen des Braunschweiger Landes und an die Menschen, die sich in den Gemeinden dieses Landes engagieren. Es müssen daher an dieser Stelle nicht Fehler bekrittelt, son- dern Anlage und Tendenz des Ganzen charakterisiert werden. In dieser Hinsicht ist eine Aussage auf S. 71 bemerkenswert: „Nichts anderes begrün- det den territorialen Zuschnitt der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig noch heute als die geschichtliche Tatsache, dass sie sich weithin mit dem Gebiet des ehemaligen Herzogtums und späteren Freistaates Braunschweig deckt.“ Das lässt sich so verstehen, als habe die Braunschweigische Landeskirche nur in schwachem Maße eine historische Individualität entwickelt. Zwar wird sie S. 137 (etwas übertrieben) als „letzte echte Trä- gerin territorialer Identität mit dem historischen Herzogtum Braunschweig“ bezeichnet, doch besitzt das für Rammlers Argumentation keine Bedeutung. Entsprechend zeichnet er kein theologisches Profl seit der Reformation, keine Konti- nuitätslinie von den dogmatischen Streitigkeiten abholden Herzögen Julius und Heinrich

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Julius bis in die Gegenwart. Auch eine glänzende intellektuelle Erscheinung wie Johann Lorenz von Mosheim, den Heussi als „interessantesten Vertreter der gemilderten Ortho- doxie“ bezeichnete, verdient für Rammler offensichtlich deshalb keine Erwähnung, weil die Kleine Braunschweigische Kirchengeschichte eben nicht Braunschweig-spezifsches herausarbeiten, sondern allgemeine Kirchengeschichte anschaulich machen will. Das hat weiterhin zur Folge, dass die Frömmigkeitsgeschichte, z.B. die im Braun- schweigischen kaum von der Erweckungsbewegung aufgefangene Dechristianisierung, nur nebenbei behandelt wird. Daran ändert die Geschichte der kirchlichen Amtshand- lungen im Abschnitt „Evangelisch zwischen Tradition und Moderne“ nur wenig. Ramm- ler betont den Ausbau der Gemeindearbeit, das Werben um Mitglieder in Zeiten der Wahlfreiheit als aktuelle Aufgaben der Kirchen. Den Sinn der Beschäftigung mit Kir- chengeschichte sieht er (ebenso wie in seinem Vorwort der Landesbischof) darin, ne- gative historische Entwicklungen zu erkennen und zu kritisieren, die „Selbstkritik der Kirchen hinsichtlich ihres eigenen Gewaltpotentials als Mehrheit im Umgang mit Min- derheiten“ zu schärfen (S. 127). Man kann daher die kleine braunschweigische Kirchengeschichte, wenn man will, der alten Tradition der braunschweigischen theologischen Aufklärung zurechnen. Im Übri- gen handelt es sich um ein knappes und nützliches Kompendium, zu dessen Attraktivität erheblich die Fotos von Susanne Hübner und die von Liselotte Lüddecke gestalteten Karten beitragen. Brage Bei der Wieden

Dietrich Kuessner, Das Braunschweigische Gesangbuch. Anfragen und Beobach- tungen zu seiner Geschichte und Gestalt von der Reformation bis heute (Arbeiten zur Geschichte der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche im 19. und 20. Jahrhundert; 12). Eigenverlag 2007, 292 S., 9,00 € Dietrich Kuessner hat mit dieser Publikation ein Kompendium vorgelegt, das von 1698 bis 1994 eindrucksvoll die Entwicklung des kirchlichen Liedguts in der Braunschweigischen Landeskirche zusammenfasst. Kuessner selbst sieht in seiner Abhandlung in erster Linie einen Einstieg in die Geschichte des Singens in der Kirche. Er will vor allem anregen, sich bewusster mit dem Gesangbuch und seiner Rolle im kirchlichen Alltag auseinander- zusetzen und fordert in seinem Vorwort zu Ergänzungen und Widerspruch auf. Er will mit dem interessierten Leser ins Gespräch kommen, den er vorrangig in der Gemeinde und im Pfarramt sieht (S. 1f.). Kuessners Anliegen ist es, das Gesangbuch zunächst in seinem gottesdienstlichen Gebrauch historisch zu erfassen. Einen besonders breiten Raum nimmt daher auch der erste Teil der Darstellung ein, in dem Kuessner das Braun- schweigische Gesangbuch in seiner Entstehung und historischen Entwicklung beschreibt und dabei besonders den Aufbau und die Liedauswahl der Gesangbuchausgaben von 1698, 1780, 1902, 1950 und 1994 in den Blick nimmt. In einem zweiten Teil schließt der Autor eine vergleichende Betrachtung des Liedguts anhand des kirchlichen Festkalen- ders an und beendet seine Ausführungen mit einer speziellen Würdigung Paul Gerhardts, dessen Lieder er ebenfalls vergleichend über drei Jahrhunderte zusammenstellt und mit Empfehlungen für die Gestaltung eines Informationsgottesdienstes zu Person und Werk Gerhardts in der Gemeinde verbindet. An dieser Stelle wie auch im gesamten Buch ist es besonders die vergleichende Betrachtung des Liedbestandes innerhalb der einzelnen Gesangbuchgenerationen, die in tabellarischen Formen die gesamte Abhandlung durch- zieht (vgl. etwa S. 33 oder S. 78f.) und dem interessierten Leser Einblicke in den Entste- hungszusammenhang der verschiedenen Ausgaben, ihren historischen Hintergrund, den

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Zeitgeist (Aufklärung, S. 56f.), religiöse Strömungen (Pietismus, S. 35) und politische Determinanten (Nationalsozialismus, S. 88–95), vermittelt. Erhellend und interessant sind auch die kurzen biografschen Abrisse zu verschiedenen Gesangbuchautoren wie Johann Rist (S. 32) und zu Justus Gesenius und seinem Katechismus (S. 40). Der Untertitel: „Anfragen und Beobachtungen […]“, den Kuessner für seine Braun- schweigische Gesangbuchgeschichte formuliert, erscheint programmatisch und gibt den Gesamteindruck der vorliegenden Abhandlung treffend wieder. Der Leser wird in eine assoziative, sich gedanklich weiter entwickelnde Form der Argumentation eingeführt, die einerseits sehr anregend wirken, andererseits aber die Rezeption des Dargestellten auch erheblich erschweren kann. Interessante Details „verstecken“ sich häufg im Text und sind über das verwirrend feingliedrige Inhaltsverzeichnis kaum zu erschließen (vgl. etwa die für den Zeitraum 1696 bis 1774 überaus nützliche „Kleine unvollständige Übersicht über die Gesangbuchausgabe im erreichbaren Umkreis“, S. 45). Dem Leser bleibt zu- nächst nur der Zufallsfund, das „Aha-Erlebnis“ während des Lesens. Diese Feststellung würde an sich dem Anliegen des Autors wohl entsprechen, wäre da nicht der Gesamtum- fang und die Form der Publikation, die sie für ein Lesebuch weniger geeignet erscheinen lassen. Literatur und Quellen sind sorgfältig aufgelistet, und Zitate werden entsprechend nachgewiesen. Die nach den jeweiligen Kapiteln der historischen Darstellung eingefügte Abbildungssammlung ist sehr instruktiv und ergänzt und veranschaulicht mit ihren be- schreibenden Untertiteln die vorangegangene Argumentation. Der Materialreichtum der vorliegenden Abhandlung ist enorm. Dies zeigt sich vor allem in der vergleichenden Betrachtung des gesamten Liedbestandes orientiert an den Festen des Kirchenjahres (Teil 2: 206–246). Als ebenso verdienstvoll ist die exempla- rische Würdigung Paul Gerhardts hervorzuheben, die vor allem helfen soll, ihn im Bewusstsein der „singenden“ Gemeinde zu verankern (Teil 3: bes. S. 272–280). Die Kontinuität, aber auch den deutlichen Wandel in der Rezeption des Liedguts von Paul Gerhardt wertet der Autor als „Zeichen für einen lebendigen Umgang der Landeskirche mit ihrem Liederbe“ (S. 281). Kuessner hat ein ambitioniertes, materialgesättigtes Werk geschaffen, das für die Geschichte des Gottesdienstes in der Braunschweigischen Lan- deskirche zweifellos als Impulsgeber wirken und eine Grundlage für weitere Untersu- chungen werden kann. Roxane Berwinkel

Miriam Gepp, Tradition mit Zukunft – Textilrestaurierung in der Paramentenwerk- statt der von Veltheim-Stiftung beim Kloster St. Marienberg, Helmstedt, hrsg. v. d. Para- mentenwerkstatt der von Veltheim-Stiftung beim Kloster St. Marienberg. Braunschweig: Appelhans Verlag 2008, 79 S., 52 farbige Abb., 24,00 € Das 25jährige Bestehen der Textilrestaurierungswerkstatt der von Veltheim-Stiftung beim Kloster St. Marienberg in Helmstedt wurde im Jubiläumsjahr 2008 mit der Heraus- gabe eines ansprechenden Text- und Bildbands gewürdigt. Unter der Leitung der Domina Charlotte von Veltheim wurde, gemeinsam mit Anna Gräfn von der Schulenburg, 1862 der Niedersächsische Paramentenverein mit Sitz im Kloster St. Marienberg gegründet. Mehr als ein Jahrhundert existierten Konvent und Werkstatt in enger Verbindung, bis der fehlende Nachwuchs von Konventualinnen und wirtschaftliche Probleme 1978 eine Umstrukturierung in eine Stiftung notwendig mach- ten. 1983 wurde die Paramentenwerkstatt durch die Einrichtung der Werkstatt für Textil- restaurierung erweitert. Die Leitung übernahm Friederike Ebner von Eschenbach, die in

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 302 Rezensionen und Anzeigen den kommenden Jahren bis heute maßgeblich für die Entwicklung und Ausrichtung der Werkstätten verantwortlich zeichnet. Der Konvent sieht neben den karitativen und sozialen Aufgaben einen Schwerpunkt seines Engagements in der Unterstützung der modernen Paramentik. Daher wird in Helmstedt die Ausbildung qualifzierter Handstickerinnen gefördert sowie die Zusam- menarbeit mit Künstlern angestrebt, um bei der Entwurfsarbeit ein hohes Niveau zu garantieren. Als optimale Ergänzung wird die Arbeit der Textilrestaurierung gesehen. Das erste Kapitel des Buches, Zur Geschichte des Klosters St. Marienberg, stellt die kirchengeschichtliche und baugeschichtliche Entwicklung des Klosters dar. Der Nie- dergang des Klosters im Laufe der Säkularisation wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Domina Charlotte von Veltheim überwunden. Ihr gelang die Wiederbelebung des Konvents und seine Rückführung zu einem regen geistlichen Leben. Aber vor allen Dingen geht auf Charlotte von Veltheim und Gräfn Anna von Schulen- burg die Gründung des Niedersächsischen Paramentenvereins zurück. Mit der Gründung der „Domina Charlotte und Louise von Veltheim-Stiftung“ im Jahr 1921 konnte das Fortbestehen der Klosterschule und der Paramentenwerkstatt gesichert werden. 1987 feierte die Werkstatt in Helmstedt ihr 125jähriges Bestehen. Die heutige „von Veltheim- Stiftung beim Kloster St. Marienberg“ hat sich zur Aufgabe „die Förderung der Aus- schmückung gottesdienstlicher und anderer kirchlicher Räume durch Herstellung und Erhaltung von Textilien, vornehmlich von Paramenten“ gestellt. Im zweiten Kapitel Die Entstehung der Werkstatt für Textilrestaurierung wird die Beschreibung der Geschichte von Konvent und Stiftung fortgesetzt. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Erhaltung des um- fangreichen Textilschatzes erkannt. Konsequenterweise wurde auch die Stelle einer Tex- tilrestauratorin geschaffen, die im gleichen Jahr mit Friederike Ebner von Eschenbach besetzt wurde. In der weiteren Beschreibung kommt die Verfechtung der beiden Bereiche von Paramentenwerkstatt und Textilrestaurierung deutlich zum Ausdruck: Da die Restau- rierungswerkstatt als eine Unterabteilung der Paramentenwerkstatt besteht, werden die Mitarbeiterinnen, das heißt die Stickerinnen und Weberinnen je nach Auftragslage bei der Neuanfertigung von Paramenten oder bei restauratorischen Maßnahmen eingesetzt. Das dritte Kapitel Restaurierte Objekte bildet den eigentlichen Schwerpunkt des Bandes, ist aber gleichzeitig der problematischste und fragwürdigste Teil. Miriam Gepp übernimmt als Autorin die Rolle eines unabhängigen Beobachters beim Gang durch 25 Jahre Textilrestaurierung im Kloster St. Marienberg. Im Zeitraum von 25 Jahren wurden im Kloster St. Marienberg mehr als 300 Objekte restauratorisch bearbeitet. Zu Beginn stand als Aufgabe die Restaurierung und Präsen- tation des aus dem Kloster stammenden Textilschatzes, heute im Besitz des Braunschwei- gischen Kloster- und Studienfonds. In den folgenden Jahren gaben zahlreiche Institutio- nen wie die Klosterkammer Hannover, die Diözese Hildesheim, Kirchengemeinden und Museen ihre textilen Kunstobjekte zur Restaurierung in die Helmstedter Werkstatt. Die auf ca. 40 Seiten vorgestellten Restaurierungsprojekte sind in erster Linie nach dem Zeitpunkt ihrer Bearbeitung geordnet. Fast identisch mit dieser Abfolge ergibt sich auch eine chronologische Reihenfolge der Stücke, die aus dem Mittelalter bis zur Neu- zeit, vom 13. Jahrhundert bis um 1900 datieren. Die 19 für die Publikation ausgewählten Objekte und Projekte geben ein eindrucksvolles Bild von der Textilkunst im Laufe der Jahrhunderte und stellen einen repräsentativen Querschnitt aus der Bandbreite textiler Techniken, der Objektvielfalt und den wechselnden Stilrichtungen dar.

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Die restaurierten Objekte werden – in Art eines Restaurierungsberichts – in einzel- nen Abschnitten vorgestellt. Das optische Aussehen des textilen Stückes, seine Geschich- te und seine kunsthistorische Einordnung werden lebendig und anschaulich vermittelt. Der Stellenwert des Objekts, Vergleichsobjekte und vergleichende Fachliteratur sind umfangreich recherchiert. Nach meist knappen Angaben zu Material und Technik folgt eine Darstellung des vorgefundenen Erhaltungszustands, manchmal auch eine Erklä- rung zu den Schadensursachen. Nur bei wenigen Objekten wird ein Konzept oder Ziel der Restaurierung vorab näher erläutert. Die durchgeführten Restaurierungsmaßnahmen werden in einzelnen Arbeitsschritten aufgezählt, die Maßnahmen oftmals begründet und das Ergebnis kommentiert. Einzelne textiltechnische Angaben und ergänzende Details aus den Restaurierungsberichten fnden sich in den Anmerkungen. Der interessierte Laie mag zunächst von der Schönheit und der herausragenden Stel- lung der Objekte beeindruckt sein und die Verwandlung von „Vorher“ zu „Nachher“ be- staunen. Doch den Fachmann und der Fachfrau beschleicht beim Lesen mehr und mehr Unbehagen, das sich bis zur Fassungslosigkeit steigert angesichts der hier beschriebenen Restaurierungsmaßnahmen. Wie kann das sein? Der einleitende Satz dieses Kapitels betont, dass bei der Restaurierung mehr als 300 Objekte „nach strengen musealen Maßstäben sachgerecht bearbeitet und so für die Zukunft erhalten“ wurden. Doch scheint dieser Devise eine gänzlich andere Auffassung von sachgerechter Konservierung und Restaurierung zugrunde zu liegen als heutzutage in der modernen Textilrestaurierung üblich. Das Ziel einer Restaurierung ist die langfristige Erhaltung und Sicherung des Objekts. Dazu müssen Schadensursachen erkannt und behoben sowie geeignete Konsolidierungs- maßnahmen eingesetzt werden, jedoch immer unter dem Gesichtspunkt, die originale Substanz und ihre geschichtlich bedingten Veränderungen zu bewahren. Zu Authentizität und Geschichte eines textilen Objekts gehören auch originale Nähte und originales Zu- behör, schnitttechnische Veränderungen, Reparaturen oder Gebrauchsspuren. Sicherlich darf eine Restaurierungsmaßnahme ein ästhetisch befriedigendes Gesamtbild nicht außer Acht lassen, jedoch nicht auf Kosten der Identität und Individualität eines Objekts. Bei den durchgeführten Restaurierungen spielen die Originalität und die Geschichte der Kunstobjekte aber anscheinend eine untergeordnete Rolle. Ihre über Jahrhunderte gewachsenen Zustände werden ignoriert und gestört, wenn nicht sogar zerstört, mit dem gut gemeinten Ziel, weiteren Schäden vorzubeugen und sicherlich auch mit dem Anlie- gen, ein gefälliges Äußeres zu erzielen. Ich gebe zu, dass es kaum zulässig ist, ein Urteil über erfolgte Maßnahmen abzuge- ben, ohne das Objekt in seinem vorherigen Zustand gesehen zu haben, ohne den Anlass zur Restaurierung, die genauen Umstände und die späteren Möglichkeiten zur Lagerung oder Präsentation zu kennen. Und trotzdem – auffällig ist, dass bei den 19 vorgestellten Restaurierungsobjekten bei der Mehrzahl der Berichte die schädigende Wirkung von Spannungsunterschieden betont und dieser Problematik immer mit „Auftrennen“ be- gegnet wird: Auftrennen von Stopfstellen und Reparaturen, Auftrennen von ergänzten oder sogar originalen Nähten, Abtrennen von Objektteilen oder komplettes Trennen der Objekte in ihre einzelnen Bestandteile. Ich will nicht ausschließen, dass man bei einer Restaurierung gelegentlich nicht um- hin kann und sich für ein Auftrennen von Stopfstellen oder ein partielles Lösen origi- naler Verarbeitungstechniken entschließt. Jedoch die Radikalität, mit der hier die meis- ten der Objekte lediglich als Puzzle von erhaltenswerten Teilstücken angesehen werden, erschreckt.

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Die heutigen Methoden der Textilrestaurierung bieten viele Möglichkeiten zur Siche- rung und Konsolidierung von gefährdeten Textilien. Auch der Betrachter kann seine Sehgewohnheiten ändern und lernen, historisch bedingte Unregelmäßigkeiten wie krum- me Nähte, Falten und Verzüge, Fehlstellen, Ergänzungen oder Veränderungen zu akzep- tieren. Die Entwicklung der modernen Textilrestaurierung in Deutschland ist nicht viel älter als 60 Jahre. In dieser Zeit wurden Prinzipien im Umgang mit den textilen Kunst- und Kulturobjekten entwickelt, die vor allem von der Erhaltung der originalen Substanz aus- gehen. Zahlreiche Publikationen, breite Diskussionen in den Medien, Fachausstellungen und Fachtagungen propagieren immer wieder das Prinzip: „Restaurieren heißt nicht wie- der neu machen“ (Gleichnamige Ausstellung 1994). Konservierung und Restaurierung haben das Ziel, Dokumente der Geschichte in all ihren Aspekten für uns und unsere Nachwelt zu erhalten. Über den richtigen Weg zu die- sem Ziel lässt sich sicherlich im Detail streiten. In der Textilrestaurierungswerkstatt beim Kloster St. Marienberg scheint jedoch der Erfolg einer Restaurierung vordergründig am gefälligen Aussehen des historischen Objekts gemessen zu werden. In diesem Sinne ermöglicht die vorliegende Publikation einen interessanten Einblick in die Geschichte des Klosters und der Stiftung und bietet ein genussvolles Blättern und Lesen zu den Themen Textilkunst und Textilgeschichte. Doch die in diesem Buch dar- gestellten Methoden der Textilrestaurierung widersprechen vielfach einer Restaurierungs- ethik, die die Erhaltung und Bewahrung unseres Kulturgutes anstrebt. Brigitte Dreyspring

Gesine Schwarz, Die Rittersitze im alten Land Braunschweig. Hrsg. v. der Ritter- schaft des ehemaligen Landes Braunschweig. Göttingen: MatrixMedia-Verlag GmbH 2008, 373 S., Abb., 39,90 € Adelsgeschichte und damit auch die Geschichte der Rittergüter waren nach 1945 lan- ge keine Schwerpunkte der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die sich auch in West- deutschland auf Bürgertum, Arbeiter und Bauern konzentrierte. Insofern ist es nicht überraschend, dass eine Überblicksdarstellung über die Rittersitze auch im Braunschwei- ger Land bisher fehlte. Gesine Schwarz hat sich der Herausforderung gestellt, diese Lü- cke zu schließen. Es erfordert Mut und Durchhaltevermögen, sich mit einem so komple- xen Thema zu befassen. Wie groß diese Herausforderung war, lässt sich schon allein an der Zahl der zu behandelnden Güter belegen. Das Buch erfasst die braunschweigischen Rittersitze, welche seit dem Ende des 17. Jahrhunderts und überwiegend bis heute in der Rittermatrikel eingetragen sind. Nicht weniger als 66 größere Artikel und 25 Kurzartikel über die braunschweigischen Rittersitze sowie ein Artikel über das Damenstift Steterburg, das weitgehend mit Töchtern der Ritterschaft besetzt wurde, werden geboten. Das Werk lebt vom großen Engagement der Autorin. Denn sie schrieb das Werk nicht nur anhand der vorhandenen Literatur, sondern bereiste das Land, sprach mit den Rittergutsbesitzern und nutzte vor allem die vorhandenen Quellen in den Archiven. Jeder einzelne Rittersitz wirft viele Forschungsfragen auf, deren Antworten selbst ein ganzes Buch füllen könnte. Um den Stoff beherrschbar zu machen, bedarf es selbstverständlich der Konzentration und Schwerpunktsetzung. Nach dem Vorbild des Buchs von Armgard von Rheden- Dohna über die Rittersitze des ehemaligen Fürstentums Hildseheim geht den einzel- nen Artikeln jeweils eine schematische Aufistung von Informationen über Eigentümer, Vorbesitzer, geographische Lage, Besitzgröße und wirtschaftliche Nutzung voraus. Der sich anschließende Artikel konzentriert sich auf eine erzählende chronologische Skizze

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(vom Mittelalter bis in die Gegenwart) der Besitzerfolge, verbunden mit Anmerkungen zu bedeutenden Gebäuden und Persönlichkeiten. Aufgrund dieser Schwerpunktsetzung kommt die Rolle des Rittersitzes als Haupt einer ländlichen Gesellschaft von Adel, Bau- ern und Gesinde verständlicherweise zu kurz. Man bekommt aber eine Ahnung davon, wie sehr diese Rittergüter innerhalb der Territorien wie völlig selbständige Einheiten wirkten. Ganz nebenbei räumt das Werk mit einem Klischee auf: Der Adel ist auch heute noch ein ländliches Phänomen, könnte man meinen. Er hält an der Tradition des Grundbesitzes auf dem Lande fest. Nur dort sind Besitzgrößen möglich, die ihm auch optisch eine herausgehobene Stellung verschaffen. In Wahrheit sind aber die Mehrzahl der Rittergüter heute im nichtadeligen Besitz. Mitautoren sind Brage Bei der Wieden mit seiner wertvollen Einführung zur Bedeutung der Ritterschaft im Land Braunschweig; Ulrich Schwarz schrieb die Artikel zu den blankenburgischen Rittersitzen Timmenrode, Cattenstedt und Benzingerode und Peter Steckhan die Beiträge über Nordsteimke und Niedersickte. Im Blick auf Nordsteimke, aber auch exemplarisch für die Überlieferung im Bezug auf Rittergüter in unserer Region, sei auch auf die beim Stadtarchiv Wolfsburg zu beziehende CD mit der Erschließung von tausenden Archivalien zu den bedeutenden Adelsgeschlechtern Bartensleben und Schulenburg-Wolfsburg hingewiesen. Mit lesenswerten Texten und über 200 hochwertigen Bildern (Ansichten der Rit- tersitze und ihrer Gartenanlagen, Porträts von Besitzern, Lagepläne) von Jutta Brüdern macht der Band mit den nicht nur architektonisch sehr vielfältigen Rittersitzen vertraut. Es liegt damit eine gelungene Überblicksdarstellung vor, die den schwierigen Spagat schafft, in Optik und Sprache einem breiten Publikum zu gefallen und zugleich eine sehr gute Basis für weitere Forschungen zu legen. Martin Fimpel

Josef Dolle (Bearb.), Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Band 8/1 und 2 (1388–1400 samt Nachträgen) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 240). Hannover: Verlag Hahnsche Buchhandlung 2008, 1844 S., 79,90 € Wie wichtig das historische Erbe einer Stadt für das Selbstverständnis der Bürger und das Ansehen der Kommune ist, rückt in mancher geschichtsträchtigen Stadt erst in den Blickpunkt, wenn dieses Erbe plötzlich bedroht ist oder gar vernichtet wird. Dies gilt besonders für jene Teile der Hinterlassenschaft vergangener Zeiten, die nicht unmittel- bar den Tourismus fördern, wie sich erst vor wenigen Monaten beim Einsturz des Köl- ner Stadtarchivs erwiesen hat. Gerade angesichts dieser Katastrophe ist es besonders erfreulich, dass der Inhalt eines wichtigen Teils jener Quellen, die über das mittelalter- liche Braunschweig Auskunft geben, durch die Veröffentlichung im Rahmen des Urkun- denbuchs der Stadt für die Nachwelt gesichert und zugleich der Forschung zugänglich gemacht wurde. Mit dem hier vorliegenden achten Band ist das Unternehmen zu einem einstweiligen Abschluss gekommen. Die Fortführung ist angesichts der Quellenmassen, die für die Zeit ab 1400 erhalten sind, in elektronischer Form beabsichtigt. Die Arbeit des Bearbeiters ist beeindruckend: 1589 Urkunden sind hier auf fast ebenso vielen Seiten erfasst, die meisten werden sogar im Volltext wiedergegeben. Diese riesige Menge an historischen Informationen wird durch mehrere sorgfältige Register (Personen- und Ortsnamen; ausgewählte Sachen und Wörter; Siegel und Notariatszei- chen) erschlossen, die wiederum rund 300 Seiten umfassen und daher in einem zweiten Teilband zusammengefasst sind. Die Präsentation der Quellen folgt den höchst prak- tikablen und soliden Maßgaben, wie sie bei Urkundenbüchern, die in der Reihe der

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Historischen Kommission erscheinen, schon seit langem üblich sind. Stets überzeugen die handwerkliche Präzision, die Umsicht und die Sachkenntnis des Bearbeiters. Die veröffentlichten Texte zeigen die ganze bunte Vielfalt des vergangenen Lebens: Man fndet Bündnisse der Stadt mit anderen Kommunen, Fehdeansagen, Kleiderord- nungen, Abkommen über den Bau einer Landwehr zwischen Rüningen und Ölper, Ur- kunden über die Vergabe von Pfründen, über Renten- und Grundstücksgeschäfte, über Stiftungen und Schenkungen zu frommen Zwecken. Für die Untersuchung dieser The- men und vieler anderer mehr bietet diese vorzüglich Edition reiches Material. Immer wieder bildet sich darüber hinaus in einzelnen Urkunden der vergangene All- tag plastisch ab. So erhellt eine Vielzahl von Testamenten die materielle Kultur der Stadt, aber auch soziale Zusammenhänge, z. B. wenn Hermann Rike seinem Vetter Hans, wohl dem nächsten männlichen Verwandten, nicht nur Haushaltsgegenstände vermacht („[Fe- der]-Bett, Töpfe, Kessel, Tiegel“), sondern auch sein „Brauzeug“ sowie „Harnisch, Plat- ten, Panzer und was dazu gehört“ (Nr. 1401). Denn zum einen braute selbstverständlich jeder Bürger, der eine gewisse Steuerleistung erbrachte, sein Bier selbst, zum anderen musste er ebenso selbstverständlich in der Lage sein, zur Verteidigung der Stadt in den Kampf zu ziehen. Soziale Realitäten vermitteln auch die mehrfach vorkommenden Ur- kunden, in denen der Braunschweiger Rat die eheliche Geburt und den guten Leumund einzelner Kinder der Stadt bestätigte; der jeweilige Empfänger benötigte das Schriftstück wohl, um auswärts das Bürgerrecht zu erlangen oder in eine Zunft aufgenommen zu werden. Um den guten Ruf geht es auch in einem anderen Text. Im Jahr 1395 bestätigte der Rat für zwei Braunschweiger, dass sie je eine Glocke für die Katharinen- und für die Ulricikirche gegossen hätten und dass Rat wie Kirchenvorstand mit ihrer Arbeit zufrieden seien (Nr. 742). Offenbar handelte es sich um eine Art Empfehlungsschreiben, von dem sich die Glockengießer Vorteile bei der Akquisition weiterer Aufträge versprachen. Einblick in Gepfogenheiten des Handels wie des Ehelebens gewährt eine Urkunde, welche der Rat auf Bitten einer Braunschweigerin abfasste (Nr. 250). Der Ehemann dieser Frau hatte in Lübeck eine Tonne mit Heringen gekauft und nach Braunschweig bringen lassen. Dort stellte sich der Inhalt als ungenießbar heraus. Der Braunschweiger Rat ließ nun die Ware untersuchen, bestätigte, dass sie verdorben war, und ließ auf die Urkunde die Hausmarke des Verkäufers zeichnen, damit dieser identifziert werden konnte. Hier wie auch sonst kümmerte sich ein Ehepaar ganz selbstverständlich gemein- sam um den Broterwerb; während er auf Handelsreisen unterwegs war, führte sie daheim die Geschäfte. Zusammen mit seinen Vorgängern legt dieser vorzüglich edierte Band den Grund für weitere intensive Forschungen zur Braunschweiger Geschichte. Es bleibt zu hoffen, dass die Erschließung der reichen Quellen des Stadtarchivs auch weiterhin die notwendige Unterstützung erfährt und die reiche Vergangenheit der Stadt damit die ihr gebührende Würdigung erlangt. Malte Prietzel

Uwe Ohainski (Bearb.), Die Lehnregister der Herrschaften Everstein und Hom- burg (Göttinger Forschungen zur Landesgeschichte 13). Bielefeld: Verlag für Regional- geschichte 2008, 184 S., Abb., 19,00 € Die Grafen von Everstein und die Herren von Homburg waren zwei Dynastengeschlech- ter, die im 13. und 14. Jahrhundert im oberen Weserraum eine Rolle spielten, bis sie zu Anfang des 15. Jahrhunderts ausstarben. Besitznachfolger wurden im wesentlichen die

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Rezensionen und Anzeigen 307 welfschen Herzöge, was zur Folge hatte, dass die beiden Herrschaftsbildungen schließlich zum Kern des braunschweigischen Weserdistrikts (heute Landkreis Holzminden) wur- den. Die Welfen ließen nach Übernahme der Hoheits- und Besitzrechte in diesem Raum zu Zwecken der Rechtssicherung Kopialbücher und Register anlegen, die die älteren Lehnsaufzeichnungen der Grafen von Everstein und der Herren von Homburg Wort für Wort wiedergaben, aber auch Neubelehnungen festhielten. Der wichtigste Textzeuge, das Kopialbuch Cop X 5 des Hauptstaatsarchivs Hannover verbrannte 1943, aber es sind Abschriften im wissenschaftlichen Nachlass von Georg Schnath (†1989) erhalten, der sich im Rahmen seiner 1922 erschienenen Dissertation mit den Texten beschäftigt hatte. Es ist ein großes Verdienst von Uwe Ohainski, diese Quellen, die die von Spilcker und Dürre im 19. Jahrhundert publizierten Urkundentexte und Regesten zur Herrschaftsge- schichte der beiden Geschlechter ergänzen, endlich im Wortlaut bekannt zu machen. Das an erster Stelle wiedergegebene eversteinische Lehnsverzeichnis entstand zwischen 1350 und 1360 und enthält 82 lateinische Eintragungen, ergänzt um weitere 25 deutsche Einträge (S. 35–53). In die welfsche Zeit nach 1409 bis zur Jahrhundertmitte fallen 44 deutschsprachige Lehnsnotizen (S. 55–61). Anschließend werden ein Fragment aus der Mitte des 14. Jahrhunderts mit sechs lateinischen Eintragungen (S. 63f.) sowie ein Einnahmeverzeichnis der eversteinischen Burg Aerzen aus der gleichen Zeit (S. 65–67) geboten, die auf separaten Papierblättern aus vorwelfscher Zeit überliefert waren (im Oktav- und Quartformat, dem Kopialbuch beiliegend). Die homburgische Überlieferung ist noch deutlich reicher als die eversteinische. Das ältesten homburgische Lehnregister mit 111 lateinischen Eintragungen wird mit Schnath in die Zeit um 1300 datiert (S. 71–82). Das zweite Lehnbuch gleichen Umfangs mit 108 deutschen Eintragungen, das in einer Abschrift vom Ende des 15. Jahrhunderts überliefert war, stammt im wesentlichen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts (S. 83–96). Es folgt ein weiteres Lehnbuch mit 81 Lehnsnotizen aus den Jahren 1470 bis 1472, das in zwei 1943 zerstörten Handschriften der lüneburgischen Linie der Welfen überliefert war (S. 97–111; Ohainski folgt der Edition von Hodenberg von 1856). Schließlich werden die beiden welfschen Teilungsverträge über die Homburger Lehen von 1502 im Wort- laut ediert (S. 113–120), die von Gudrun Pischke nur in Tabellenform veröffentlicht worden waren (mit Kartierung, siehe dies., Die Landesteilungen der Welfen im Mittel- alter, 1987, Karte 10 nach S. 178). Ein Schnathsches Exzerpt aus einem Schadensver- zeichnis von 1498 beschließt den Band (S. 129f.). Das wichtige nach Vogteien territorial gegliederte Steuerbuch der Herren von Homburg aus der Zeit um 1400, das auch in einer Gandersheimer Handschrift des Staatsarchivs Wolfenbüttel überliefert ist, fehlt in dem Buch von Ohainski, da eine Edition von anderer Seite geplant ist. Bis auf weiteres ist die jetzt in der Einleitung veröffentlichte Übersicht über die Vogteien mit den identifzierten Orten hilfreich (S. 23–25). Die verschiedenen Textstücke in dem vorliegenden Buch sind überaus benutzer- freundlich ediert (mit Ortsidentifzierungen unter den Lehnsnotizen) und durch einen Gesamtindex vorzüglich erschlossen. Die Masse der verarbeiteten Orts- und Personen- namen ist beeindruckend. Zum Schluss folgt ein hilfreicher Sachindex. Lehnregister sind nicht nur besitzgeschichtliche Quellen sondern sie lassen vor allem auch die Personenkreise erkennen, die das Gefolge der Lehnsherren ausmachten. Urkun- den bieten dergleichen in der Regel nicht. Auf die Auswertung der Texte in dieser Hin- sicht durch die landesgeschichtliche Forschung darf man hoffen. Für die Geschichte der Ortsnamen im Landkreis Holzminden hat Ohainski zusammen mit seiner Frau Kirstin Casemir die Register schon vielfach herangezogen (Kirstin Casemir und Uwe Ohainski, Die Ortsnamen des Landkreises Holzminden, Niedersächsisches Ortsnamenbuch VI,

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Bielefeld 2007, siehe Braunschw. Jahrbuch 89, 2008, S. 207f.). Darüber hinaus bietet das Buch Stoff für eine überregionale Betrachtung der Lehnbücher, die im norddeut- schen Raum besonders vielgestaltig und dicht überliefert sind (vgl. zuletzt die Neuedi- tion der Lehnsverzeichnisse der Herren von Meinersen, siehe Braunschw. Jahrbuch ebd. S. 216). Ulrich Schwarz

Christian Lippelt,Hoheitsträger und Wirtschaftsbetrieb. Die herzogliche Amtsverwal- tung zur Zeit der Herzöge Heinrich der Jüngere, Julius und Heinrich Julius von Braun- schweig-Wolfenbüttel 1547–1613 (Schriften zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 12). Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2008, Abb., Graf., 514 S., 98,00 € Die vorliegende Publikation basiert auf einer von Prof. Dr. Ernst Hinrichs betreuten, an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Jahr 2005 angenommenen Dissertation. „Ziel dieser Untersuchung ist es, vor dem Hintergrund der Territorialstaatsentwicklung die Bedeutung der Amtsverwaltung und – vor allem – ihrer Trägerschaft für die natural- wirtschaftliche und fnanzielle Ausstattung sowie für den Ausbau und die Ausübung her- zoglicher Herrschaft des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel im 16. Jahrhundert herauszuarbeiten“ (S. 12). Im Zentrum der Abhandlung steht der Zeitraum zwischen dem Schmalkaldischen Krieg und dem Dreißigjährigen Krieg, in dem die Herzöge zu Braunschweig-Wolfenbüt- tel, Heinrich der Jüngere (reg. 1514–1568), Julius (reg. 1568–1589) und Heinrich Julius (reg. 1589–1613), die Zentral- und Lokalverwaltung ausbauten und zahlreiche Verwal- tungsordnungen erließen; ein friedlicher Zeitraum, in dem eine weitgehend einheitliche, der landesherrlichen Gewalt unterstellte Verwaltung „vor Ort“ entstand. Nach Darstellung des Forschungsstandes, der Quellenlage – die Untersuchung ba- siert vorrangig auf der Auswertung der Akten der fürstlichen Verwaltung, die in den Nie- dersächsischen Staatsarchiven Wolfenbüttel und Hannover überliefert sind, insbesondere der Amtsregister und Bestallungen – sowie des Untersuchungszeitraums und -gebiets untersucht Christian Lippelt die Eigentums- und Besitzverhältnisse sowie das äußere Erscheinungsbild der Amtshaushalte, die normativen Grundlagen der Amtsverwaltung, das heißt, die Amtsordnung von 1541 und die Bestallungen, sowie die allgemeinen Auf- gabenbereiche der Amtshaushalte – Justizverwaltung, Steuer-, Dienst- und Abgabenver- waltung, ordnungspolitische Aufgaben, Landesprospektion, Wegebesserung – und die speziellen Aufgabenbereiche der Amtleute bzw. Amtschreiber. Er betrachtet die Kom- munikationswege und -strukturen sowie das Verhältnis zwischen Amt und Pfarre. Doch der Verfasser untersucht nicht nur „die Struktur des ‚Amtes‘ als regionale her- zogliche Wirtschafts-, Verwaltungs- und Gerichtsorganisation“ und deren Wirkungen „auf das Leben innerhalb der Amtshaushalte“ (S. 13), sondern vor allem die handelnden Per- sonen: die Amtmänner und Amtschreiber. Sie werden im Hinblick auf Herkunft, Ausbil- dung, berufichen Werdegang, Familienverhältnisse und Besitzverhältnisse einer fundierten Betrachtung unterworfen. Die Ergebnisse sind in einer dem Textteil folgenden umfang- reichen Prosopographie zusammengefasst, 456 „Amtsdiener“ werden auf mehr als 200 Seiten vorgestellt: eine beachtenswerte Rechercheleistung! Schließlich wirft der Verfasser einen Blick auf die bedeutende herzogliche Bibliothek und fragt nach Zusammenhang und Wechselwirkungen zwischen Bucherwerb bzw. Buchbesitz und praktischem politischen Handeln, mit dem Ergebnis, dass die Rezeption der in der Bibliothek vorhandenen Werke durchaus die politischen Vorstellungen und das Regierungshandeln bestimmte.

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Ein ausführliches Verzeichnis der Quellen und Literatur und ein Register der Per- sonen- und Ortsnamen runden die Publikation ab. Christian Lippelt kommt zu folgenden Erkenntnissen (S. 243/244): Die Amtshaus- halte waren als grundherrschaftliche Wirtschaftsbetriebe und als Organe einer ‚guten Policey‘ ein wesentlicher Bestandteil der Landesverwaltung. Sie gewährleisteten die natural- und geldwirtschaftliche Ausstattung des sich entwickelnden frühneuzeitlichen Fürstenstaates. Gerade für die Durchsetzung von Landesherrschaft waren die Amtshaus- halte als ‚Staat vor Ort‘ unerlässlich. Die dem Herzog eidlich verpfichteten Amtsdiener stellten ein wesentliches Bindeglied zwischen herzoglicher Zentralverwaltung und Unter- tanenverband dar. Eine funktionierende Amtsverwaltung war notwendige Vorausset- zung für die Durchsetzung einer frühneuzeitlichen Fürstenherrschaft und damit für die Etablierung des frühneuzeitlichen Territorialstaates. Dies verständlich und überzeugend darzustellen, ist dem Verfasser auf vielfältige Weise gelungen. Neben die Strukturen und Aufgaben der Lokalverwaltung treten die handelnden Personen, neben die vorgegebene Norm die Wirklichkeit, soweit sie quellen- mäßig zu fassen war, neben Verwaltungsaufbau und -handeln die sich aus der Analyse des Buchbestandes der herzoglichen Bibliothek ergebenen herrschaftstheoretischen Maxi- men, die die Politik beeinfussten. Darüber hinaus ist das umfangreiche Personenver- zeichnis weit über das Untersuchungsgebiet hinaus eine hervorragende Quelle für die weitere Forschung. Der vorliegenden Publikation ist eine breite, interessierte Leserschaft zu wünschen. Beate-Christine Fiedler

Siegfried Vogelsänger (in Zusammenarbeit mit Winfried Elsner), Michael Prae- torius 1572–1621. Hofkapellmeister und Komponist zwischen Renaissance und Barock. Eine Einführung in sein Leben und Werk. Wolfenbüttel: Möseler Verlag 2008, 80 S., zahlreiche Abbildungen, 14,80 € Wer sich mit der Musik der Renaissance und des Barock beschäftigt, kommt kaum an Michael Praetorius vorbei. Die vierstimmigen Sätze seiner Weihnachtslieder gehö- ren zum klassischen Repertoire jedes Musikunterrichts; kaum eine musikgeschichtliche Darstellung kommt ohne Instrumentenabbildungen aus seinem Syntagma musicum aus. Doch sind der tatsächliche Umfang und Rang dieses in seiner Bedeutung für die deutsche Musikgeschichte nicht hoch genug zu schätzenden Komponisten, Musiktheoretikers, Organisators und welche Titel man ihm sonst noch geben will, nur dem eher kleinen Kreis der Fachwissenschaftler bekannt. Die hier anzuzeigende Praetorius-Biographie Siegfried Vogelsängers bietet nun die Voraussetzung dafür, diesem Missstand abzuhelfen. Praetorius, um 1572 in Creuzburg geboren, studierte – nach seiner Schulzeit in Tor- gau und Zerbst – Theologie in Frankfurt an der Oder und Helmstedt, brach dieses Stu- dium jedoch um 1593 ab, um als Kammerorganist in die Dienste Heinrich Julius’, des Bischofs zu Halberstadt und Herzogs zu Braunschweig und Lüneburgs, zu treten. 1604 wurde er Hofkapellmeister in Wolfenbüttel und behielt diese Stellung bis zu seinem Tod 1621 bei. Noch in die Zeit Heinrich Julius’ felen verschiedene Aufenthalte in Prag. Nach dem Tode Heinrich Julius’ 1613 blieb er zwar unter Friedrich Ulrich Hofkapellmeister in Wolfenbüttel, suchte aber sein Tätigkeitsfeld außerhalb Wolfenbüttels. So leitete er u. a. drei Jahre lang interimistisch die Hofkapelle in Dresden und leitete dort u.a. Heinrich Schütz in das Kapellmeisteramt ein. Daneben war er als Berater an verschiedenen wei- teren Fürstenhöfen tätig. Wir haben in diesen letzten Lebensjahren einen überregional hochgeachteten Komponisten und Organisator vor uns, der Verbindungen zur gesamten

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 310 Rezensionen und Anzeigen musikalischen Welt hielt. Hiervon zeugen verschiedene direkte und indirekte Hinweise in seinem Schriften, wie auch das Aufgreifen neuer Stilelemente besonders italienischer Provenienz in seinen Kompositionen. In seinen Werken versuchte Praetorius, die gesamte Musiktheorie und die musika- lische Praxis seiner Zeit enzyklopädisch und exemplarisch darzustellen – gigantische Pläne, die er jedoch nicht vollständig umsetzen konnte. Das lag sicher auch an den mu- sikgeschichtlichen Umbrüchen von der Renaissance zum Barock, deren Neuerungen Praetorius immer wieder als einer der ersten im norddeutschen Bereich nutzbringend anzuwenden wusste. Aber selbst wenn Praetorius seine Projekte nicht vollendete, ist nicht nur die Menge an Werken imposant und bis heute beeindruckend. Vogelsänger hat die Besprechung der einzelnen Werkkomplexe in die eigentliche Biographie integriert und den Lebenslauf Praetorius’ durch kleinere Exkurse zu ver- schiedenen Praetorius betreffenden Themen abgerundet, um so ein besseres Verständnis der Zeitumstände zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist auch die reichhaltige Bebilderung zu erwähnen. Im Anschluss an die eigentlichen Biographie hat der Verfasser dann im letzten Abschnitt Zitate verschiedener Musikwissenschaftler über die Bedeutung Praetorius’ unkommentiert zusammengestellt und damit – bewusst oder unbewusst – auch die Problematik der bisherigen Praetoriusforschung deutlich gemacht. Denn die meisten Zitate sagen zwar viel über die persönlichen oder zeitgeschichtlichen Ansichten ihrer Urheber aus, aber wenig über Praetorius selbst. Die vorliegende Arbeit setzt sich dagegen sorgfältig und mit eigenen Deutungen zurückhaltend mit dem überlieferten Ma- terial auseinander, darin wird eine ihrer Qualitäten nachdrücklich deutlich. So ist der Verfasser durchgängig bemüht, jeweils die quellenmäßig belegten Fakten und die – in der Forschung reichlich vorhandenen – Spekulationen als solche zu benennen und klar voneinander zu trennen. Dabei liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf den biographischen Aspekten, während die Werke Praetorius’ zwar genannt und beschrieben werden, aber auf eine eingehende Analyse verzichtet wird. Das macht dieses Buch erfreulicherwei- se auch schon mit geringen musikgeschichtlichen Kenntnissen verständlich und lässt es für die vom Verfasser anvisierte Zielgruppe der Musikliebhaber und Musikstudierenden gleichermaßen geeignet erscheinen. Birger Bei der Wieden

Hugh Barr Nisbet,Lessing. Eine Biographie. Aus dem Englischen übersetzt von Karl S. Guthke. München: C. H. Beck 2008, 1024 S., 45 Abb., 39,90 € Der englische Germanist Nisbet, bis zu seiner Emeritierung Professor für Germanistik an der University of Cambridge, hat in jahrelanger Gelehrtenarbeit 37 Jahre lang ein wahr- haft monumentales Werk vorgelegt, eine groß konzipierte wissenschaftliche Biographie Lessings. Im Vorfeld der lange erwarteten und neugierig begrüßten Biographie hat Nisbet in einer kurzen, aber überaus lesbaren theoretischen Darlegung „Probleme der Lessing- Biographie“ darauf hingewiesen, wie man heute eine Lessing-Biographie schreibt (in: Markus Fauser (Hrsg.): Gotthold Ephraim Lessing, Neue Wege der Forschung. Darm- stadt 2008, S. 18–38, auch öfter und separat: Wolfenbütteler Vortragsmanuskripte, hrsg. von der Lessing-Akademie 1, 2005, 14 S.). Danach soll sie enthalten: das Leben der Person, deren historischen und kulturellen Kontext, aber auch die Verbindung zwischen Leben und Werk. In mühsamer Arbeit ist jetzt eine seriöse, gut lesbare Darstellung des Lebens und Wirkens Lessings entstanden, in wohltuend nüchternem „englischen“ Stil, detailliert bis in kleinste Einzelheiten hinein. Der Leser von heute kann es auch als glück- haft empfnden, dass als Übersetzer ein führender Lessing-Forscher, der Germanist Karl

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S. Guthke, gewonnen werden konnte (aus Niedersachsen stammend, jahrelang Professor in Harvard, exzellenter Kenner von Lessings Werk, Zeit und Umwelt). So ist eine kon- geniale Übersetzung entstanden, schnörkellos wohltuend, einen „gedrechselten Stil“ à la Erich Schmidt vergessen lassend. Ein Vergleich mit Erich Schmidts ebenfalls voluminösem „Lessing – Geschichte sei- nes Lebens und seiner Schriften“ (2 Bde., 4 Aufagen Berlin 1884–1923, Nachdr. 1983), bisher maßgebend, drängt sich auf: Im Gegensatz zum englischen Gelehrten N. schrieb Schmidt für preußischen Geist und preußisches Gefühl, mit nationalistischer und hagio- graphischer Tendenz, viele Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts idealisierend (z.B. Friedrich II. von Preußen). Eine seriöse Biographie wie die von N. ist die von Schmidt sicherlich nicht, auch wenn sich deren Verfasser um „umfassende Kenntnisse seines Ge- genstandes und dessen historischen und kulturellen Kontextes“ (N., „Probleme“) be- müht hat. N.s Werk ist durchzuarbeiten, nicht nur durchzulesen. Es beginnt wie üblich mit „Ka- menz, Meißen, Leipzig 1729–1748“, um dann über Berlin, Wittenberg, Berlin mehrmals, Breslau, Hamburg, Wolfenbüttel zuzueilen, jeweils mit den in den jeweiligen Lebensab- schnitten verfassten bzw. herausgegebenen Werken. Der Verfasser bemüht sich dabei „um eine detaillierte Darstellung von Lessings Leben und Werken und deren wechselsei- tigem Zusammenwirken“ (S. 10). Er bespricht „die meisten seiner bedeutendsten Werke und die entsprechenden Lebensphasen getrennt voneinander“, indem er ihnen jeweils ein eigenes Kapitel oder einen eigenen Abschnitt innerhalb eines Kapitels einräumt (S. 14). Dabei legt N. zu Recht darauf Wert „die vielen Widersprüche in Lessings Persönlichkeit und Werk nicht zu vertuschen oder auszumerzen“ (S. 874) – ein Gesichtspunkt mit Zukunft für die Forschung. Dazu die Feststellung: „Dass der rote Faden in Lessings literarischen Projekten und in den aufeinanderfolgenden Episoden seines Lebens fehlt, hat seinen Grund jedoch nicht nur in seinem rastlosen und impulsiven Temperament. Es hat auch mit seinem ungewöhnlich breiten Interessenspektrum zu tun … Lessing war Dichter und Dramatiker, Literaturtheoretiker, Kritiker, Historiker der Literatur, Kunst und Religion, klassischer und mediävistischer Philologe, Paläograph [?], Bibliothekar und Archivar [?], Philosoph und Ästhetiker, gut informierter Amateur in Theologie und Patristik, Übersetzer aus mehreren Sprachen und außerordentlich produktiv als Rezen- sent und Herausgeber“ (S. 12). Aber auch ein Fürsprecher für ein tolerantes Religions- verständnis. Die Fülle der Darstellung lässt es nicht zu, auf Einzelheiten einzugehen. Nur einiges sei genannt: S. 612–627 bietet sehr eingehende Inhaltsangaben der Aufsätze in seiner Zeitschrift „Zur Geschichte und Litteratur – Aus den Schätzen der Herzoglichen Biblio- thek zu Wolfenbüttel“, 3 Bde. 1773–1781, wie man dies sonst nicht fndet. Die Vielzahl von Lessings Interessen lässt sich hier bestens erkennen. Außerdem: Lessings Zeitschrift ist die erste Bibliothekszeitschrift dieser Art, andere sollten bald folgen. Allerdings: Die hier gebrachte Ausführlichkeit dürfte zwar dem Kenner gefallen, während der an den Dichtungen Interessierte diese Seiten eher überschlagen dürfte. Immerhin: Im 3. Beitrag erschien – im Anschluss von Lessings Verteidigung des Häretikers Adam Neuser – das Fragment „Von Duldung der Deisten“. S. 701–744 folgen in Kapitel XVIII Darlegungen über „Reimarus, Goeze und die theologische Auseinandersetzung 1776–1779“. S. 820– 831 bringen Jacobis Gespräche mit Lessing über Spinoza: Die Frage, ob Jacobis Bericht von 1785 authentisch und wortgetreu sei oder frei erfunden, ist hier heute nicht ohne Widerspruch beantwortet (Eva Engel Holland; die griechische Formel in Gleims Garten- haus ist nicht eindeutig von Lessings Hand). Das Schlusskapitel XXII widmet sich sehr überblicksmäßig der Rezeption Lessings bis heute. Da zahlreiche Sammlungen der Zeug-

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 312 Rezensionen und Anzeigen nisse über dieses Thema vorliegen (Braun, Steinmetz, Daunicht u.a.), konnte Lessing von den verschiedensten geistigen Richtungen, vom 18. Jahrhundert an über Heinrich Heine, den preußischen Chauvinismus bis zum Marxismus vereinnahmt werden, vom Atheismus bis zum römischen Katholizismus. Doch ist aus Lessings Werk weder ein ide- ologisches Programm noch ein zusammenhängendes System abzuleiten, wie N. nüchtern bemerkt. Franz Mehrings polemische „Lessing-Legende“ (1893) ist für die philologische Lessing-Forschung, der sich N. verpfichtet weiß, wertlos (Rainer Gruenter 1972). Daher sind auch N.’s Bemerkungen über die Lessing-Forschung in der „DDR“ S. 862–863, die sich insbesondere auf Mehring gestützt hat (Rilla, Lukács), hier über- füssig (die überaus nützlichen Bibliographien von S. Seifert und D. Kuhle natürlich aus- genommen). Erst gegen Ende der „DDR“ hat namentlich der Hallenser Hans-Georg Werner mit anderen eine Gegenhaltung versucht: „Die Thesen Mehrings und Rillas wa- ren seit dem Ende der fünfziger Jahre für die Lessing-Forschung [in der „DDR“] kein Ansporn“ („Bausteine zu einer Wirkungsgeschichte Gotthold Ephraim Lessing“, 1984, S. 415). Ähnliches lässt sich auch von Horkheimer, Adorno, Foucauld, Straus u. a. sagen. Auch sie sind hier überfüssig. Gerade das imponierende Werk von N. zeigt, dass eine Vereinnahmung Lessings aus politischen Gründen, aus welchen auch immer, zum Schei- tern verurteilt ist. Lessing braucht immer wieder seriöse wissenschaftliche Forschung, keine ideologische Kurzzeitpfege. Es dürfte nicht verwundern, wenn dem Verfasser eines derartig ausführlichen Werkes gelegentlich kleinere Versehen unterliefen, so auf S. 19: Lessings Großvater Theophilus L. verfasste in Leipzig als Student eine „Disputatio politica“ (eine Art „Seminararbeit“), ob eine Obrigkeit verschiedene Religionen dulden könne und was sie mit deren Anhän- gern tun solle. Mit seinem Enkel hat diese schmale Schrift (10 Seiten) nichts zu tun (G. Gawlick u. W. Milde, Theophil L. 1991). In diesen Zusammenhang gehörte auch eine etwas ausführlichere Skizze der Familie Lessing, die, soziologisch sehr interessant, vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Armut bis zum heute immer noch recht unbekannten Schlossbesitzer (Meseberg) aufstieg, al- lerdings nicht über Gotthold Ephraim, sondern über seinen Bruder Karl Gotthelf und dessen Nachkommen. S. 46 das Zeugnis von Abraham Gotthelf Kästner 12.10.1746 „… so dass ich von seinen Studien nur das Treffichste erwarten kann“ (Daunicht, L. im Gespräch 1971, S. 23): Selten erhält ein siebzehnjähriger Student solch hohes Lob! Die gelegentlich erwähnten Handschriften sollten mit ihrer genauen Signatur genannt wer- den, sie gehört wie die Hausnummer zum Haus: S. 578 der Äsop-Kodex ist Wroclaw, Bibl, Uniwersytecka IV F 88 da (W. Milde, Gesamtverz. der Lessing-Hss 1982, S. 266); S. 609 Berengar-Kodex ist Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Cod. Guelf. 101 Weiss.; S. 622f. das Ms. „Artium schedula“ ist Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Cod. Guelf. 69 Gud. Lat. u.a. Diese und andere Hinweise mögen als überfüssige oder störende „Kleinigkeiten“ aufgefasst werden: Sie sind aber in Wirklichkeit Angaben, die wesentlich zu handschriftlichen Quellen gehören, auch zu deren Wiederauffnden. Lite- rarhistoriker stehen der Welt der mittelalterlichen Handschriften meistens fern, doch genügt das zuweilen nicht. S. 609–612 Berengar: Der Begriff „Transsubstantiation“ für die Wesensumwandlung bei der kath. Messe taucht erst im 12. Jahrhundert auf; S. 846 Ernestine Reiske erhielt ihre Briefe minus 4, die sich anderweitig erhalten haben. Schließlich: Die Seiten 600–609/Kap. XV über Lessings bibliothekarische Tätigkeit in Wolfenbüttel dürften bei einer Neuaufage eine Überarbeitung vertragen. N. hat Werke und Lebensphasen Lessings getrennt voneinander dargestellt, da er im Leben Lessings keine Entwicklung erkennt. Dem ist zuzustimmen, zumal dadurch auch die Übersicht über dieses nicht immer ungetrübte Leben, diese zahlreichen Tätigkeiten

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Rezensionen und Anzeigen 313 und Publikationen erleichtert wird. Der Verfasser garantiert philologische Arbeit, bringt eine Fülle von Details, auch neuen. Es ist das Werk eines profunden Lessing-Kenners, das zur Freude aller Lessing-Forscher und Lessing-Freunde zum Standardwerk über Les- sing werden wird. Dass es bereits heute sämtliche Lessing-Biographien der letzten Jahre (Hildebrandt 1979, Jasper 2001, Skoddow 2007) ersetzt hat, steht außer Frage. Der Preis von 39,90 € ist durchaus angemessen. Er sollte zum Kauf animieren. Wolfgang Milde

Anton Pumpe,Heldenhafter Opfertod des Herzogs Leopold 1785 in der Oder. Wahr- heit oder Legende? Presse im Spannungsfeld zwischen Aufklärung und Propaganda, eine quellenkritische Studie (Quellen und Forschungen zur Landesgeschichte 4). Braun- schweig: Selbstverlag des Braunschweigischen Geschichtsvereins 2008, 262 S., 14,00 € (für Mitglieder des Geschichtsvereins 7,00 €) Eigentlich sollte sich jeder Historiker über die vorliegende Veröffentlichung freuen. Der Autor räumt falsche Vorstellungen über eine ehemals häufg genannte Persönlichkeit aus, indem er sorgfältig Quellenkritik betreibt und die Überlieferung minutiös durch- leuchtet. Überdies bietet er seine Forschungen in gefälliger Sprache dar und nicht ohne eine gewisse Spannung – also ein verdienstvolles und ehrenwertes Werk, sollte man mei- nen. Trotzdem kann sich der Rezensent eines schalen Gefühls nicht erwehren. Worum geht es? Herzog Leopold von Braunschweig ist ein jüngerer Bruder von Karl Wilhelm Ferdi- nand, geboren 1752, in der Oder 1785 ertrunken. Dies ist geschehen bei dem Versuch des Herzogs, Menschen zu helfen, die durch ein Hochwasser bedroht waren. Eine ein- fache Frau soll ihn kniefällig angefeht haben, doch das Leben ihrer Kinder zu retten, die sie versehentlich auf der anderen Oderseite alleine zurückgelassen habe. Auf die War- nungen seiner Umgebung vor den Gefahren der Überfahrt soll er geantwortet haben: „Was bin ich mehr als ihr? Ich bin ein Mensch wie ihr, hier kommt es auf Menschenret- tung an.“ Das Tau, an dem der Kahn hing und das der Schiffseigner zu lösen zögerte, habe er mit seinem Degen durchschlagen. Diese und andere Geschichten wurden nach dem Tode des Herzogs kolportiert, variiert, ausgeschmückt und mit weiteren Details ver- sehen, immer unter der Hinzufügung, dass nichts als die reine Wahrheit berichtet werde. Ein Kupferstich von Chodowiecki, Denkmäler und Münzen illustrierten dieses Ereignis und feierten den mutmaßlichen Helden. Pumpe hat diese Überlieferung untersucht und festgestellt, dass alles dafür spricht, die berichteten Ereignisse seien der Phantasie der Berichterstatter entsprungen, die für die zeitgenössischen Zeitungen geschrieben haben. Vor allem zwei Berichterstatter kann Pumpe namhaft machen: einen Prediger Papin von der französisch reformierten Ge- meinde in Frankfurt/O. und einen Zollinspektor Seidel. Sicher ist nur, dass Leopold bei Hochwasser mit einem Kahn auf die Oder hinausfuhr oder sich hinausfahren ließ und ums Leben kam. Was sich tatsächlich ereignet hat, teilt uns Pumpe nicht mit. Er begnügt sich da- mit, die Überlieferung zu demontieren. Wie viele Personen sich in dem Kahn befanden, warum der Herzog über Bord fel und die anderen Personen nicht, ob die Fahrt nicht überfüssig war, weil sowieso zahlreiche Kähne den Fluss kreuzten und die Menschen auf dem anderen Ufer seit längerem gerettet und auf dem dort ansteigenden Gelände in Sicherheit waren – Pumpe deutet das hier und da mit einem Nebensatz an, aber er stellt es nicht eigens dar. Offensichtlich behält er es sich vor für eine Biographie Herzog Leopolds, die er schreibt oder zu schreiben beabsichtigt.

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Mit einem Wort: Pumpe schreibt ein ganzes Buch, um eine Legende zu zerstören, ohne uns das reale Geschehen mitzuteilen, so weit es heute noch zu ermitteln ist. Die beste Quelle wäre wahrscheinlich ein amtlicher Untersuchungsbericht mit beigefügten oder referierten Zeugenaussagen – freilich keine Zeitungsberichte, auf die sich Pumpe bisher gestützt hat. Und zusätzlich störend empfndet der Rezensent den geheimnisvollen Ton, den der Autor häufg anschlägt, um bei Abweichungen innerhalb der überlieferten Tradition uns gleichsam hinter vorgehaltener Hand zuzuraunen, dies lasse uns natürlich stutzen, und er werde später darauf zurückkommen, könne aber jetzt schon diese oder jene Andeutung machen. Einen wirklich interessanten Aspekt hat das Thema. Warum haben die Zeitgenossen die Berichte vom philanthropischen Heldentod so begierig aufgenommen? Warum haben sie Denkmäler errichtet und Sammlungen veranstaltet? Aus Fürstenverehrung? Oder handelte es sich darum, den Fürsten einen Spiegel vorzuhalten des Sinnes: „Hier seht ihr, wie ihr euch verhalten müsstet (wie ihr es aber leider nicht tut)!“? Dem Rezensenten scheint es, dass hinter der Leopold-Verehrung eine Kampfansage an die hochadelige Wertewelt steckt, eine Propaganda aufklärerisch-philanthropischer Ideale, unbewusst im einzelnen, im ganzen unübersehbar. Dies ist jedoch für den Autor ein kaum erörterter Nebenaspekt. So fragt es sich denn, ob hier nicht an eine unwichtige Detailfrage zu viel Fleiß und Sorgfalt verschwendet worden ist. Die öffentliche Meinung am Ende des 18. Jahrhun- derts ist von großer Bedeutung, aber viel weniger Herzog Leopold selbst, und die einzel- nen Berichterstatter sind noch bedeutungsloser. Gerhard Schildt

Gisela Bungarten u. Jochen Luckhardt (Hg.), Reiz der Antike. Die Braun- schweigischen Herzöge und die Schönheiten des Altertums im 18. Jahrhundert. Ausstel- lung im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, 21.8.–16.11.2008. Petersberg: Michael Imhof Verlag 2008, 255 S., 39,95 € Glücklicherweise erfreut sich seit einigen Jahren die Geschichte des Herzogtums Braun- schweig im 18. Jahrhundert gesteigerter Aufmerksamkeit. Publikationen und Ausstel- lungen widmen sich dazu nun auch den verschiedenen Aspekten des Kunstlebens dieser Zeit. So folgte drei Jahre nach der Würdigung des Braunschweiger Rokoko in einer Sonderausstellung durch das Städtische Museum Braunschweig im Jahre 2005 das Her- zog Anton Ulrich-Museum (HAUM) 2008 mit einer Darstellung der Antikenrezeption in der Zeit des Klassizismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ein Thema, das weit mehr noch als das Kunstkonzept Rokoko über die Kunst hinaus tief in die Kultur, das gesellschaftliche Bewusstsein und die Staatsauffassung des aufgeklärten Absolutis- mus wirkte, indem die Antike „durch Gelehrte zu einem das Bürgertum einschließenden gesamtgesellschaftlichen Ideal umgeformt“ wurde (10). Gerade der Braunschweiger Hof entwickelte sich bekanntlich zu einem Zentrum der Aufklärung, wobei mit Lessing, Campe oder Abt Jerusalem nur drei der wichtigen Ge- lehrten im Umfeld des Hofes genannt seien. Bezeichnend für die Bedeutung der Anti- kenrezeption für die Aufklärer ist etwa die vorgestellte Gutachtertätigkeit Lessings für eine „würklich antique“ Leuchterstatuette (162–166), dem Autor der einfussreichen kunsttheoretischen Schrift „Laokoon,“ wobei Laokoon und seine Söhne ebenfalls Vor- bilder verschiedenster Werke der Kleinplastik waren (83ff.). Auch wenn am Braun- schweig-Wolfenbüttelschen Hof keine große Antikensammlung entstanden war, so stel- len doch die Kuratoren und Hauptautoren Gisela Bungarten, Peter Seiler und Alfred

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Walz in ihrer Einleitung zu recht fest, dass „Schönheiten des Altertums in Braunschweig auf internationalem Niveau rezipiert, studiert und kreativ nachgeahmt wurden“ (9). In der Einleitung schildern die Ausstellungskuratoren die Entwicklung der Her- zoglichen Sammlungen, wie sie seit etwa dem letzten Drittel des 17. Jahrhundert im Lustschloss Salzdahlum oder auch mit dem berühmten und viel beschriebenen „Man- tuanischen Onyxgefäß“ des „Wunderlichen“ Herzogs Ferdinand Albrecht I. in Bevern (209–216) aufgebaut wurden und sich zu erfreulich großen Teilen heute im HAUM wiederfnden. Im ersten Kapitel schildert Gisela Bungarten die Kavalierstouren der Adeligen in die- ser Zeit, die vor allem Italien und das Studium der antiken Kultur zum Ziel hatten. Nach nicht immer zuverlässiger Reiseliteratur zur Vorbereitung dienten kundige Reiseführer, Ciceroni, dem Studium der Antike. Erbprinz Carl Wilhelm Ferdinand brach 1766 zur längsten Grand Tour eines Mitglieds des Welfenhauses auf. Als Ciceroni dienten ihm Johann Joachim Winkelmann, dessen berühmtes Portrait von Marons mit gutem Grund als Kopie eingangs zu sehen und auch auf Fürstenberger Porzellan verewigt war, und Sir William Hamilton, dessen dokumentierte antike Vasensammlung die Vasomanie der Zeit mit begründete. Von diesen berühmten Gelehrten inspiriert brachte der Erbprinz nach 16 Monaten nicht nur Frau Branconi mit an den Braunschweiger Hof, sondern gab neue Impulse für die Beschäftigung mit der Antike. Das Portrait Batonis, das der Erb- prinz von sich als Antikenkenner malen ließ, belegt eindrücklich in seinen Beziehungen zu den darauf abgebildeten und hier kundig von Gisela Bungarten beschriebenen antiken Vasen mit ihren Bezügen zu Winkelmann (139–142), wie intensiv die Aneignung antiker Kultur zumindest beim Erbprinzen war; allerdings trat er anders als sein Vater Herzog Carl I. wenig als Sammler in Erscheinung, wohl weil ihn der Sparzwang daran hinderte (13). Weitere Mitglieder des Hofes folgten ihm und so nimmt es nicht wunder, dass der „Reiz der Antike“ sich nicht nur im Sammlerfeiß der Begeisterten dokumentierte, sondern auch das Kunstgewerbe im Herzogtum anregte: Man stellte sich gern ein Stück Antike in den Salon, wenn nicht im Original, so doch in Form einer Replik oder einer Adaption all’antica. So ist das Interessante an Ausstellung und Katalog die Wahl der Objekte, mit de- nen das Thema dargestellt wurde: In der Hauptsache sind es Druckwerke und Grafken von Architekturen, Kleinkunstobjekte wie Statuetten, Reliefskulpturen, Instrumentaria, Gemmen, Inschriften, Münzen und Medaillen. Es sind Objekte, die wie in vielen anderen Museen auch im HAUM sonst großteils im Depot schlummern; dafür kaum Großplastik und Malerei. Die Struktur von Ausstellung und Katalog folgt mithin bewusst den anti- quarischen Ordnungskategorien der Zeit (9). Es sind antike Originale, kleinformatige Reproduktionen (von den Zeitgenossen teils als Originale erachtet) sowie künstlerische Antikenadaptionen, basierend auf den herzoglichen Sammlungen. Für den Rezensenten besonders beeindruckend ist die Art und Weise, wie die antiken und vermeintlich antiken Vorbilder die Zeitgenossen inspirierten. Sei es die Antiken- rezeption im barocken Schloss Salzdahlum, sei es mit Schloss Richmond, das sich des Erbprinzen Gattin Prinzessin Augusta ab 1768 bauen ließ, oder Peter Joseph Krahes Augusttorwache (45–51) oder sei es die kunstgewerbliche Serienfertigung von antiken oder antikisierenden Objekten der herzoglichen Porzellanmanufaktur in Fürstenberg mit ihren Büsten, Medaillons, Vasen und Geschirren. Gerade die Kunst der Skulptur zeigt hier spannende Parallelen und Bezüge in den unterschiedlichsten Interpretationen der Formen und Materialien. Erst in dieser Betrachtungsweise: antikes Original neben „Nippes“ aus Elfenbein, Bronze, Glas, Email, Gips, Porzellan, Holz bis hin zu bemal- ten Holzsäulen eines Zimmerdenkmals, die alle hier vereint und nicht nach modernen

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ästhetischen Kriterien solitär, damit aber aus ihrem Kontext gerissen dargestellt sind, werden Sinn und Bedeutung solcher „Steherchen“ deutlich. Historisch bedeutend ist in dieser Zusammenstellung nicht die Tatsache, dass viele der Werke zwar handwerklich Achtung verdienen, doch ästhetisch kaum überzeugen, sondern der Erkenntnisgewinn, wie es ein Zeitgenosse formulierte, dass der Betrachter darüber sinnieren konnte, „was ein jedwedes seye und mit sich bringe“ (110). Unter diesem Gedanken werden dem Betrachter und Leser auch so „trockene“ Objekte wie Gemmen, Münzen und Medaillen zu spannenden und faszinierenden Objekten. Sie waren das kulturelle Gedächtnis der Zeitgenossen – und sind es noch heute. Wenn heute das klassisch-humanistische Bildungsgut zugunsten von naturwissen- schaftlich-technischen Kenntnissen auch beim akademisch gebildeten Publikum zuneh- mend verdrängt wird und nicht mehr als bekannt vorausgesetzt werden kann – man mag das bedauern oder nicht –, so ist es um so mehr Aufgabe der Museen, diese Grundlagen unserer Kultur zu vermitteln. Ausstellung und der ansprechend gestaltete und mit durch- weg sehr guten Abbildungen ausgestattete Begleitband vermochten und vermögen glei- chermaßen, die Schätze des HAUM zu heben, dem Publikum interessant zu präsentieren und so den „Reiz der Antike“ im 18. Jahrhundert für die Gegenwart zu vermitteln. Es bleibt daher zu hoffen, dass in der Neuaufstellung der reichen Sammlungen des Herzog Anton Ulrich-Museums nach Fertigstellung von Neubau und Altbausanierung auch die- ser Kleinkunst ein größerer Raum gegeben werden kann, wo sie nach dem guten Beispiel der Sonderausstellung die Betrachter nun dauerhaft und didaktisch vermittelt bildet und ihnen einen tieferen Eindruck gewährt vom Beginn der neuzeitlichen Emanzipation des Menschengeschlechts auf den antiken Grundlagen. Thomas Krueger

Briefe von und an Joachim Heinrich Campe, Bd. 2: Briefe von 1789–1814. Hg. von Hanno Schmitt (Wolfenbütteler Forschungen, hg. von der Herzog August Bibliothek 71.2). Wiesbaden: Harrassowitz 2007, 840 S., 118,00 € Mit der Publikation des zweiten Bandes der Briefe von und an Joachim Heinrich Campe (Der erste Band erschien 1996, vgl. Annette Boldt-Stülzebach, 326f.: Braunschwei- gisches Jahrbuch 78 [1997].) sind nun insgesamt 993 Briefe eines der bedeutendsten Vertreter der Spätaufklärung in Deutschland ediert und damit der forschenden wie einer allgemein interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Mit seinen 457 Schreiben, die Campe mit 186 Briefpartnern wechselte, erschließt dieser Band einen interessanten und das Denken der Moderne fundamental prägenden Abschnitt europäischer Politik- und Geistesgeschichte. Campe reiste 1789 selbst nach Paris, um an den Schauplätzen der Französischen Revolution die einmalige Gelegenheit wahr- zunehmen, wie er sich ausdrückte, „den rührenden Sieg der Menschheit über den Despotismus anzusehen und ihn feiern zu helfen“ (S. 32f.). Er korrespondierte und knüpfte Kontakte zu bedeutenden französischen Intellektuellen und Schriftstellern, wie dem Marquis de Mirabeau (1749–1791) oder Louis Sebastian Mercier (1740–1814). 1790 erschienen seine „Briefe aus Paris zur Zeit der Revolution“, die er zunächst im Braunschweigischen Journal abgedruckt hatte. Das Echo war groß und die Reaktionen überwiegend positiv. Die Napoleonische Zeit begleitete Campe dagegen skeptisch. Eine Wandlung vom „Revolutionsenthusiasten zum Napoleonanhänger“ (S. 38) blieb in Campes Fall aus. Über das Selbstverständnis Campes als aufmerksamer Beobachter und Anteil nehmender Begleiter der historischen Ereignisse seiner Zeit hinaus vermit- telt die Korrespondenz der Jahre 1789 bis 1814 einen ebenso starken Eindruck von

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Campes rastloser Tätigkeit als Verleger und Sprachforscher. Die von ihm in Braun- schweig begründete „Schulbuchhandlung“ gehörte um 1800 zu den bedeutendsten Verlagen im deutschen Sprachraum und sollte zum Ausgangspunkt des später von sei- nem Schwiegersohn begründeten Verlagshauses Vieweg werden. Neben Informationen zum zeitgenössischen Verlagswesen spiegeln Campes Briefe auch seine philologischen Ambitionen und Projekte wider, vor allem in Hinsicht auf das von ihm begründete „Wörterbuch der Deutschen Sprache“. Hier wird der Aufklärer Campe fassbar. Es geht ihm um Erklärung und Vereinfachung der deutschen Sprache, um Emanzipation des Bürgers durch Spracherziehung. Die Zielsetzung des Herausgebers ist es, mit der vorliegenden Edition vor allem die „interdisziplinäre Forschungsrelevanz“ von Person und Werk Campes zu verdeutlichen. Dies drückt sich nicht zuletzt in dem Bemühen um einen breiten Rezipientenkreis aus und manifestiert sich besonders in den kompakten und auf das Nötigste beschränkten Editionsrichtlinien sowie einer sachlichen am historischen Überlieferungskontext orien- tierten Kommentierung. Der Umfang der Gesamtüberlieferung und die auf ein breiteres Publikum ausgerichteten Grundkonzeption dieses Werkes legen nahe, wie es der He- rausgeber auch selbst begründet, eine „Vorauswahl“ geeigneter, interessanter und für die Forschung relevanter Stücke für den Volltextabdruck zu treffen, d.h. zwischen Regest und Volltextabdruck pragmatisch abzuwägen. Neben einem ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis fndet sich auch ein Register der im Briefwechsel erwähnten Schriften Campes. So wird dem interessierten Leser auf diese Weise die Möglichkeit eröffnet, den Entstehungszusammenhang der Werke aus der Korrespondenz zu erschließen. Das Per- sonenregister identifziert nicht allein die einzelnen Korrespondenzpartner, sondern lässt auch zeitgenössische personale Netzwerke deutscher Bildungseliten in der Spätaufklä- rung erkennbar werden. Aber auch für die Geschichte des Landes Braunschweig hält der Briefwechsel Anregungen bereit, so etwa im Blick auf Campes Verhältnis zu Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (1775–1806). Die nun vollständig vorliegende Edition ist zweifellos ein bedeutender Beitrag zur Erforschung des Zeitalters der Aufklärung und wird der Beschäftigung gerade mit seinen späten Ausläufern einschließlich der Französischen Revolution neue Impulse geben. Die- se Briefe spiegeln nicht allein ein Zeitalter, sondern in erster Linie die historische Person Campe wieder. Darauf gründet sich ihr Quellenwert, und dies macht auch ihren Reiz für den Rezipienten aus. Roxane Berwinkel

König Lustik!?; Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen. Katalog der Museumslandschaft Hessen-Kassel zur Ausstellung im Museum Fridericianum, Kas- sel, 2008. München: Hirmer Verlag 2008, 567 S., 496 Farbabb., 45,00 € Zwischen 1807 und 1813 entstand unter der Herrschaft von Napoleons jüngstem Bruder Jérôme mit dem Königreich Westphalen ein wegweisender Modellstaat von europäischer Dimension. 200 Jahre später ging die Museumslandschaft Hessen Kassel mit der Lan- desausstellung »König Lustik!? Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Westphalen« der Bedeutung dieses kurzlebigen Königreichs nach, dessen Gebiet aus Teilen von Kurhes- sen sowie ehemaligen preußischen, hannoverschen und braunschweigischen Gebieten quasi auf dem Reißbrett zusammengefügt wurde. In seiner größten Ausdehnung reichte das neue Königreich von Marburg bis Stade und von Osnabrück bis Halle. Die Haupt- stadt dieses Reiches, das mit der geographischen Region Westfalen demnach nur wenig zu tun hatte, war Kassel.

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Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wurde die sogenannte „Franzosenzeit“ von der nationalen Geschichtsschreibung als Fremdherrschaft durchweg ausschließlich negativ beurteilt. Als „König Lustik“ wurde der vergnügungsfreudige und verschwenderische Jérôme Bonaparte schon von den Zeitgenossen verspottet. Dieses Bild änderte sich erst seit den 1970er Jahren, als zunehmend auch die von ihm in Angriff genommenen Re- formen und ihre Auswirkungen untersucht wurden. Die Kasseler Ausstellung sollte erstmals eine umfassende Darstellung des sechs Jahre existierenden Staates bieten und zeigte sowohl die Licht- als auch Schattenseiten eines jungen Herrschers und seines reformorientierten Staates am Beginn der Moderne. Weg- weisende politische Reformen gingen einher mit einer aufwändigen Inszenierung der neuen Monarchie und einer verschwenderischen höfschen Pracht. So besaß der neue Modellstaat die erste moderne Verfassung und das erste Parlament auf deutschem Boden. Auch die neue Gewerbefreiheit, die Einführung des Code civil, die Gleichheit aller vor dem Gesetz, auch der bis dahin benachteiligten Juden, sind hier als Beispiele zu nennen. Malerei, Kunsthandwerk, Architektur, Musik und Theater erlebten eine Blütezeit. Trotz seines frühen Endes löste das Königreich Westphalen einen nachhaltig wirksamen Mo- dernisierungsschub in politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht aus. Zu den Schattenseiten der westphälischen Herrschaft gehören dagegen die im Dienste Frankreichs gefallenen Untertanen; 26000 Soldaten ließ allein „König Lustik“ ausheben, als die Grande Armée ins Verderben des Russlandfeldzugs zog; nur wenige hundert Soldaten kehrten zurück. Die prunkvolle Hofhaltung Jérômes und die Ansprüche des Kaisers belasteten die Staatskasse. Besonders schmerzlich empfunden wurde auch der Raub wertvoller Kunstobjekte im Rahmen der napoleonischen Kunstpolitik. So wurde der Ausstellungstitel bewusst als Frage formuliert und das Urteil über Jérôme und sein Königreich offen gelassen: War er ein moderner, liberaler, jedoch für seine Zeit zu fort- schrittlicher Fürst, oder doch nur ein verschwendungs- und prunksüchtiger Vasall seines kaiserlichen Bruders in Paris? Begleitend zur Ausstellung ist der hier vorzustellende, in zwei Teile gegliederte Kata- log erschienen. Im ersten Teil folgen auf mehrere einleitende Beiträge 22 kurze Aufsätze zu den vier Gliederungspunkten „Voraussetzungen“, „Kunst und Kultur“, „Staat und Gesellschaft“ und „Nachleben“. Dabei wird jeder Teil mit einem übergreifenden Beitrag eröffnet, dem jeweils die Behandlung einzelner Aspekte folgt, so dass ein anschauliches Bild der behandelten Epochen auf breiter Quellenbasis gezeichnet wird. Ein Schwerpunkt von Ausstellung und Katalog liegt dabei auf der napoleonischen Kunstpolitik und dem Kunstraub. Behandelt werden die Themen Festarchitektur und Bauwesen, Tafelkultur, Musik/Theater und Mode, ferner im gesellschaftspolitischen Bereich die Aspekte Par- lament, Militär, Säkularisierung der Gesellschaft, jüdische Reformpolitik, naturwissen- schaftliche Bildung, Sprachpolitik, politischer Wandel und Traditionsbildung, schließlich auch die Rezeptionsgeschichte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Der zweite, eigentliche Katalogteil beschreibt die knapp 600 Exponate aus den Sammlungen von 180 Leihgebern, darunter auch einige der geraubten Kunstwerke, die vorübergehend nach Kassel zurückkehrten. Die auf mehrjähriger Forschungsarbeit ba- sierende Auswahl der Objekte reicht dabei von Meisterwerken der europäischen Kunst bis hin zu Alltagsobjekten. Erwartungsgemäß fnden sich zahlreiche Bezüge zur hiesigen Region, da auch das Herzogtum Braunschweig den einschneidenden Veränderungen der westphälischen Zeit unterworfen war. 1807 erfolgte die Eheschließung mit Katharina von Württemberg, der Enkelin des im Kampf gegen Napoleon gefallenen braunschweigischen Herzogs Carl

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Wilhelm Ferdinand. Damit heiratete Jérôme in eines der ältesten europäischen Herr- scherhäuser ein, was seiner Herrschaft zusätzliche Akzeptanz verleihen sollte. Da Jérôme vorhatte, zeitweilig auch in Braunschweig zu residieren, veranlasste er umfangreiche Arbeiten am „Grauen Hof“, der einstigen herzoglichen Residenz, die ein neues Gewand im Empirestil erhalten sollte; erhalten haben sich diverse Entwürfe des Architekten Peter Joseph Krahe. In der Hoffnung, den Monarchen an die Stadt zu bin- den, fnanzierte die Stadtverwaltung die immensen Umbaukosten. Das Ende des König- reiches verhinderte jedoch die Nutzung als Nebenresidenz durch Jérôme. Auf traurige Weise mit dem Namen des Königs verbunden blieb auch ein weiteres Schloss im Fürstentum, nämlich Salzdahlum. Durch den vorangegangenen napoleo- nischen Kunstraub fand Jérôme bei seiner Ankunft in Kassel nur noch einen Restbestand vor. So richtete sich sein Blick auf die noch nicht in diesem Maße geplünderte Gemäl- desammlung des vertriebenen Herzogs in Salzdahlum. Mit Salzdahlumer Bildern wurden die Schlossräume in Kassel bestückt. Von den etwa 700 Bildern konnten nach dem Ende der westphälischen Herrschaft lediglich etwa 450 Gemälde zurückgewonnen werden. Nicht näher geht die Ausstellung auf den aus braunschweigischer Sicht interessanten Umstand ein, dass der Abbruch des einst prächtigen Schlosses Salzdahlum ebenfalls eine Folge der westphälischen Herrschaft war, weil der neue König kein Interesse daran hat- te. Breiten Raum nimmt in Katalog und Ausstellung der aus Frankreich eingeführte neue Empire-Stil ein. In seiner schlichten Art verkörperte er den von Jérôme propa- gierten Bruch mit der absolutistischen Herrschaft und wurde gleichsam zum „Corporate Design“ des Königreichs Westphalen. Eine wichtige Rolle für seine Verbreitung spielte dabei die Porzellanmanufaktur Fürstenberg. Der König erhob das vormals herzoglich- braunschweigische Unternehmen zur Manufacture Royale. Dort wurden Tafelgeschirr und Büsten für den westphälischen Hof gefertigt, aber auch ein bürgerliches Publikum beliefert. Unter dem Titel „Weißes Gold für ‚König Lustik‘“ war der Produktion dieser Manufaktur und der prunkvollen Tafelkultur eine kleine Parallelausstellung mit Begleit- katalog im Schloss Wilhelmshöhe gewidmet. Von den vielen interessanten Exponaten mit braunschweigischem Bezug seien nur einige herausgegriffen, etwa das sogenannte „Schwarze Buch“ der westphälischen Polizei mit konspirativ gesammelten Nachrichten über 66 Personen aus dem Oker-Departement, das Taufkleid im Stil der Uniform des in weiten Bevölkerungskreisen verehrten „Schwar- zen Herzogs“ Friedrich Wilhelm, und auch die Gewehrkugel, durch die sein Vater Karl Wilhelm Ferdinand 1806 in der Schlacht bei Jena und Auerstedt tödlich getroffen wurde, fehlt nicht. Auf die Schließung der traditionsreichen Universität Helmstedt unter Jérôme verweist ein Vorlesungskommentar, ein Verzeichnis der 1814 in Kassel aufgefundenen Gemälde aus der Salzdahlumer Gemäldegalerie verdeutlicht die Ausmaße des Kunst- raubs. Im Abschnitt über die Juden wird der einstige braunschweigische Kammeragent Israel Jacobson gewürdigt, der sich als Präsident eines neu gegründeten Konsistoriums der intensiv für eine Verbesserung der rechtlichen Stellung der Juden einsetzte und auch als Gründer der Seesener Reformschule bekannt wurde. Mit dem prächtig ausgestatteten Katalog liegt eine umfassende Darstellung des König- reichs Westphalen und seines Herrschers vor, in der politische, kulturelle und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt werden. Die ausgezeichneten Abbildungen und Karten ermöglichen es, die Ausstellung bei der Lektüre noch einmal nachzuerleben und in die kurze, aber facettenreiche Regierungszeit Jérômes einzutauchen. Silke Wagener-Fimpel

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Peter Steckhan,Welfenbericht. 150 Jahre Familiengeschichte der Herzöge zu Braun- schweig und Lüneburg dokumentiert in Photographie und Film, herausgegeben von Heinrich Prinz von Hannover. Göttingen: Matrix Media Verlag 2008, 255 S., Abb., DVD, 29,90 € Aus Anlass der Ausstellung »Curiose Welfen – welfsche Curiositäten« im Braunschwei- gischen Landesmuseum erschien die hier vorzustellende Publikation, für die der Ver- leger, der Welfenprinz Heinrich von Hannover, sein umfangreiches privates Foto- und Filmarchiv zur Verfügung stellte. Den Text des Buches verfasste der Braunschweiger Historiker Peter Steckhan. Wie kaum ein anderes Medium geben gerade Fotografen den Blick frei in fremde Lebenswelten und eröffnen die Möglichkeit einer Annäherung an längst vergangene Epochen. Und so nimmt der „Welfenbericht“ den Leser/Betrachter mit auf eine Zeitreise durch anderthalb Jahrhunderte Familiengeschichte der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg. Die Welfen wussten schon früh die neue Technik für ihre Zwecke zu nutzen, bereits aus dem Jahr 1860 datiert ein gestochen scharfes, klein- formatiges Foto eines Angehörigen dieser Dynastie, damals Photo-Visit-Karte genannt, die gern für Steckalben gesammelt wurden. Es ist Königin Victoria von Großbritan- nien, die sich in würdevoller Pose für die Nachwelt auf Zelluloid bannen ließ. Es folgen weitere Porträtaufnahmen aus dieser Zeit von Mitgliedern des Welfenhauses wie die des menschenscheuen Herzogs Wilhelm von Braunschweig und des erblindeten Königs Georg V. von Hannover. Ferner fnden sich Fotodokumente von Familienfesten wie Taufen, Hochzeiten und Geburtstagen mit hochadliger Präsenz, die die engen verwandt- schaftlichen Verbindungen zu den Monarchen in England, Dänemark, Griechenland, Russland und Spanien widerspiegeln. Eine Fotoserie zeigt die spektakuläre Aussöhnung des Welfenhauses mit den Hohenzollern: Die Kaisertochter Prinzessin Victoria Luise von Preußen verlobte sich 1913 mit Prinz Ernst August, Herzog zu Braunschweig. Von diesem Zeitpunkt an entstanden so viele Aufnahmen von dem neuen Regenten und seiner Angehörigen wie nie zuvor und auch nicht danach. Es handelte sich zumeist um Postkarten, die, in Tabak- und Schreibwarenläden feilgeboten, massenhaft unter das Volk gebracht wurden. Das Buch folgt nun den weiteren Spuren dieser herzoglichen Familiengeschichte. Bilder zeigen den triumphalen Einzug des jungen Herzogspaares in die Residenzstadt Braunschweig, die Tauffeierlichkeiten des Erbprinzen, Staatsbesuche, den Herzog bei einem Besuch seiner Truppen im Ersten Weltkrieg, die versammelte her- zogliche Familie auf Schloss Blankenburg, wo sie seit 1933 ihr Domizil hatte. Daneben gibt es auch etliche Fotos von Angehörigen der Hofverwaltung, von Hofdamen und dem Personal sowie Bilder mit politischem Hintergrund, wie etwa eine Aufnahme vom Frank- furter Fürstentag 1863 oder Bilder der Verwundeten nach der Schlacht von Langensalza 1866. Bilddokumente von den Schlössern, (so auch vom Wiederaufbau des 1865 teilwei- se abgebrannten Braunschweiger Residenzschlosses) den Räumlichkeiten darin und an- deren Besitztümern der Welfen ergänzen die Bildzusammenstellung. Begleitende infor- mative Texte beschreiben ausführlich das Schicksal der Welfenfamilie während der Zeit des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und des demokratischen Deutschlands, als Erbprinz Ernst August (IV.) Chef des Welfenhauses wurde. Mit Farbfotos von Ernst August (V.) und seiner zweiten Frau Prinzessin Caroline von Hannover und der gro- ßen Geburtstagsgesellschaft der 80-jährigen Sophie Prinzessin von Hannover endet die mehr als 200 Abbildungen umfassende Bildersammlung. Ein Anmerkungsapparat, ein Literatur- und Filmverzeichnis und ein Stammbaum des Welfenhauses beschließen das Buch. Dem „Welfenbericht“ beigelegt ist eine DVD, die zu offziellen Anlässen entstan- dene sowie private Filme zeigt, die überwiegend von Familienmitgliedern des Welfen- hauses selbst aufgenommen wurden (mehr als 40 Filmbeiträge aus der Zeit von 1901 bis

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1951). „Fotos und Filmaufnahmen“, so das Vorwort, „führen in eine längst vergangene Zeit zurück und sollen diese versunkene Welt zu Leben und Erleben erwecken.“ Mit diesem »kommentierten Photoalbum« der Welfen ist das Autor und Verleger bestens gelungen. Joachim Schmid

Dietrich Kuessner,Maik Ohnezeit,Wulf Otte,Von der Monarchie zur Demo- kratie. Anmerkungen zur Novemberrevolution 1918/19 in Braunschweig und im Reich. Wendeburg: Verlag Uwe Krebs 2008, 244 S., 19,50 € Es ist recht still geworden um die Novemberrevolution, sowohl in der öffentlichen Er- innerung, als auch in den Debatten der Historiker. Es scheint etwas an dieser Novem- berrevolution zu sein, das sie in unserer Erinnerung wenig attraktiv macht. Sie hat sich in unserem historisch-politischen Bewusstsein nie so recht festgesetzt, obwohl sie die monarchische Herrschaftsordnung beseitigte und zur Geburtsstunde der ersten demokra- tischen Republik in Deutschland wurde. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass jetzt zur 90. Wiederkehr der Novemberrevolu- tion ein Sammelband erschienen ist, dessen Autoren diese für die Stadt und das Land Braunschweig turbulenten Monate mit neuen Fragestellungen untersuchen und dabei bisher in der Forschung wenig beachtete Aspekte in den Mittelpunkt stellen. Einleitend analysiert Dietrich Kuessner das Geschehen während der ersten Revolu- tionswochen bis zum Jahresende 1918 unter der Fragestellung „Mythos und Wirklich- keit“: die Anfang November einsetzende Streikbewegung, als Militärstreik charakteri- siert, die Abdankung des Herzogs und die Regierungsübergabe, die Bildung einer Revo- lutionsregierung und ihre ersten Maßnahmen (Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten, Einführung des gleichen Wahlrechts, Beendigung der geistlichen Schulaufsicht, Bildung einer Volkswehr, Verbesserung der Versorgungslage). Er schildert nicht nur die Ent- wicklung in der Stadt Braunschweig, sondern auch in den Kleinstädten und auf dem fachen Land. Der Blick über die Hauptstadt hinaus, der in dieser Systematik bisher in der hiesigen Landesforschung fehlte, zeigt dort einen eher unspektakulären Revolu- tionsverlauf. Die Arbeiter-und Soldatenräte kooperierten häufg mit den bestehenden Kommunalverwaltungen, in vielen Dörfern gab es überhaupt keine Räte. Die Revolution versickerte auf dem Land. Große Bedeutung misst Kuessner den Kommunalwahlen am 15.12.1918 zu, wobei er erneut auf die großen Unterschiede zwischen der Stadt Braun- schweig und dem Land verweist. Kuessner will die Revolution entmythologisieren. „Eine Revolution nicht aus der Kraft und Vollmacht des Volkes, sondern die regierende Gewalt aus den Händen des abdankenden Herzogs, ein legalistisches, eher kleinbürgerliches Revolutionsverständnis“ (S. 24). Zu fragen ist, ob bei dieser Sicht der spontane Massenprotest, Ergebnis konkreter Unzufriedenheit, aber auch die gerade in Braunschweig langfristig wirkenden Fehlent- wicklungen in Staat und Gesellschaft, zu wenig berücksichtigt werden. Dem Herzog blieb angesichts der demonstrierenden Massen gar nichts anders übrig als abzudanken. Die Arbeiter- und Soldatenräte sahen sich als Träger der staatlichen Gewalt Kraft revolu- tionären Rechts, nicht aufgrund herzoglicher Anordnung. Gleichwohl dürfte die vom Herzog gewählte Formulierung der Abdankungserklärung es den herzoglichen Beam- ten erleichtert haben, weiterzuarbeiten. Kuessner widerspricht auch der Auffassung, die Revolution sei in Braunschweig besonders radikal gewesen. Allerdings relativieren der frühe Ausbruch der Revolution, die Dominanz des linken Flügels der Arbeiterbewegung in den Revolutionsorganen, das links-sozialistische Programm der neuen Regierung, das

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 322 Rezensionen und Anzeigen allerdings nicht verwirklicht werden konnte, und die turbulenten Ereignisse in den ersten Monate des Jahres 1919 diese These doch ein wenig. Wulf Otte untersucht in seinem Beitrag die Berichterstattung in der Braunschwei- gischen Landeszeitung zu den Revolutionsereignissen. Sachlich und versachlichend sei die Berichterstattung gewesen, gekennzeichnet von einer „(national)liberalen“ Position, eintretend für die neue parlamentarische Ordnung, aber gegen die ihrer Meinung nach nicht legitimierte Revolutionsregierung Stellung beziehend. Die Landeszeitung kritisierte die Radikalisierung im Frühjahr 1919 und begrüßte ausdrücklich die Maßnahmen der Reichsregierung gegen Braunschweig, die Freikorpstruppen in die Stadt einrücken ließ. Maik Ohnezeit beschäftigt sich mit dem bürgerlich-konservativen Lager in der Re- volution. Er beschreibt Organisation- und Aktionsformen des Bürgertums – Bildung neuer Parteien, Bildung von Bürgerräten – und diskutiert die Ziele des bürgerlich-konser- vativen Lagers in dieser Umbruchzeit. Ohnezeit blickt vor allem auf die Entwicklung im Reich. Nur knapp streift er die Entwicklung in Braunschweig, für die eine frühe Politi- sierung des Bürgertums kennzeichnend war. Wissenschaftliches Neuland betritt Kuessner mit seinem Beitrag über die braun- schweigische Landeskirche in der Revolution. Er wertet neue Quellen aus, die Aufschluss geben über die Stimmung in der Pfarrerschaft, über das Agieren der Kirchenleitung in diesen unruhigen Zeiten und über die Auseinandersetzungen um die künftige Gestalt der Landeskirche. Spannend lesen sich die Abschnitte über die Kirchenpolitik der wechseln- den Revolutionsregierungen und die Grundsatzdebatten über das Verhältnis Kirche und Staat, das neu geregelt werden musste. Abschließend gibt Maik Ohnezeit einen Überblick über Tendenzen der Forschung zur Novemberrevolution im Reich und in Braunschweig während der letzten Jahrzehnte, ergänzt um eine ausgezeichnete Bibliographie. Der Sammelband kommt zur rechten Zeit. Die Fülle an Informationen, Anregungen und kontroversen Positionen fordern zu einer Weiterbeschäftigung mit diesem zentralen Thema der deutschen und braunschweigischen Geschichte geradezu heraus. Hans-Ulrich Ludewig

Andreas Linhardt,Die Technische Nothilfe in der Weimarer Republik. Norderstedt: Books on Demand GmbH 2006, 676 S., 37 Abb., 59,90 € Die 2006 an der TU Braunschweig entstandene Dissertation, die jetzt in Buchform vor- liegt, rückt mit der Technischen Nothilfe (TN) eine bisher von der Geschichtswissen- schaft wenig beachtete Massenorganisation der Weimarer Republik ins Blickfeld. Diese Organisation, die Mitte der zwanziger Jahre nahezu 500 000 Mitglieder umfasste, bewies eine bemerkenswerte Überlebensfähigkeit; sie überstand die Endphase der Republik, passte sich den Machtverhältnissen des Dritten Reichs an und entstand als Technisches Hilfswerk (THW) in der Bundesrepublik neu. Der Autor geht chronologisch vor: Er beschreibt Vorgeschichte und Frühzeit der TN (1918/19), ihre Tätigkeit in der Weimarer Republik und – als Ausblick – während der NS-Zeit und der frühen BRD. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den krisen- haften Jahren 1919 bis 1924. Eine dichte Beschreibung der Einsätze der Nothilfe in diesem Zeitraum verbindet sich mit der Analyse ihrer organisatorischen Strukturen, der personellen Zusammensetzung, ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Entstanden war die Technische Nothilfe in den ersten Monaten des Jahres 1919, als zahlreiche Streikaktionen die junge Republik erschütterten. Die Nothilfe sah es als ihre zentrale Aufgabe, die Arbeit bestreikter „lebenswichtiger“ Betriebe aufrechtzuerhalten.

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Als solche galten Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke, Verkehrsbetriebe, aber auch Agrarbetriebe. Mit der Existenz der TN drohte die wirksamste Waffe der Gewerkschaften, der Streik, stumpf zu werden. Hieraus resultierte die Gegnerschaft der Arbeiterbewegung. Für sie, besonders für den linken Flügel, war die Nothilfe eine Streikbrecherorganisation; der Wirtschaft und phasenweise auch den Regierenden galt sie dagegen als Machtmittel gegen den „roten Streikterror“. Diese politisch-gesellschaftliche Konfiktkonstellation, insbesondere das spannungsreiche Verhältnis zwischen der Arbeiterbewegung und der TN, beschreibt der Autor sehr eindrucksvoll anhand gut ausgewählter Beispiele. Beson- ders umstritten war ihr Einsatz im Frühjahr 1920, als sie viele durch den Abwehrstreik gegen den Kapp-Putsch stillgelegte Betriebe wieder in Gang setzte. Die Nothilfe, nicht unbedingt im demokratisch-republikanischen Lager anzusiedeln, erfreute sich vor allem der Unterstützung bürgerlich-konservativer Kreise. Mit nachlassender Streiktätigkeit in der Stabilisierungsphase der Republik fand die TN im Katastrophenschutz, später im Gas- und Luftschutz ein neues Betätigungsfeld. In der Bundesrepublik beschränkte sich das THW ausschließlich auf den Zivil- und Katastrophenschutz. Linhardt schildert auch die Aktivitäten der TN in der hiesigen Region. An der TH Hannover wurde nach Berlin im Juni 1919 die zweite Ortsgruppe im Reich gegründet, rasch folgte der Aufbau weiterer Ortsgruppen in den Hochschulstandorten Braunschweig und Clausthal. Es waren gerade Studenten und Dozenten an Technischen Hochschulen, die in den Dienst der TN traten. So waren in Braunschweig vier von fünf ihrer Ortsgrup- penführer in der Zeit von 1919 bis 1945 Angehörige der TH, davon drei Professoren (S. 345). Zum umstrittensten Einsatz kam die Nothilfe in Braunschweig im Zusammen- hang mit dem von den Arbeiterorganisationen gegen den Kapp-Putsch ausgerufenen Generalstreik. Das städtische Elektrizitätswerk, die Gas- und Wasserwerke wurden von der Nothilfe übernommen. Gegen die scharfe Kritik der Linksparteien verteidigte der sozialdemokratische Minister Heinrich Jasper den Einsatz der TN im Parlament. Insge- samt aber nahm in diesen Jahren die sozialdemokratische Landesregierung die TN an „besonders kurze Zügel“ (S. 246), da sie nach deren Verhalten beim Kapp-Putsch und der Affäre um das Verstecken beschlagnahmter Waffen dieser Organisation eher miss- trauisch gegenüberstand. In den folgenden Jahren fel die Braunschweiger TN mit keinen spektakulären Aktionen auf. Die Untersuchung stützt sich auf eine sehr breite Quellenbasis: Archivalien, zeitge- nössische Zeitungs- und Zeitschriftenartikel sowie die Verbandszeitschrift der TN, ‚Die Räder‘. Die Menge der verarbeiteten Literatur ist beeindruckend. Dem voluminösen Werk hätte eine inhaltliche Straffung gut getan. In dem anerkennenswerten Bestreben, das Thema sorgfältig historisch einzuordnen, möglichst alle Facetten zu beleuchten, geht zuweilen der rote Faden verloren. Der Leser erhält aber eine Fülle von Informationen über eine bisher wenig beachtete Organisation. Das Buch wirft darüber hinaus ein neues Licht auf die Streik- und Konfiktgeschichte der zwanziger Jahre und das Machtgefüge der Weimarer Republik. Hans-Ulrich Ludewig

Karin Ehrich, Die Ilseder Hütte. Erlebte Industriegeschichte. Hrsg. v. Förderverein „Haus der Geschichte“ Ilseder Hütte. Erfurt: Sutton 2006, 159 S., 80 Abb., 18,90 € Es ist eher selten, das untergegangenen Unternehmen posthum ganze Bücher gewidmet werden. Umso erfreulicher ist, dass der Förderverein „Haus der Geschichte“ Ilseder Hütte Karin Ehrich beauftragt hat, ehemalige Beschäftigte der seit den 1990er Jahre endgültig stillgelegten Ilseder Hütte nach ihren Erinnerungen zu befragen. Ergebnis ist

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 324 Rezensionen und Anzeigen ein Oral-History-Projekt, das sich sehen lassen kann. In der Regel blicken Geschichts- wissenschaftler allerdings besonders kritisch auf Arbeiten, die ausschließlich auf Zeitzeu- genbefragungen beruhen. Historiker vertrauen viel stärker auf schriftliche Quellen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Ihnen schreiben sie mit Recht die höchste Authentizität zu, weil sie eben nicht mit einem „Filter im Kopf“ verfasst sind, der sich automatisch einstellt, wenn man an ein Publikum denkt. Andererseits ist ihnen auch bewusst, dass diese authentische Überlieferung schmerzliche Lücken aufweisen kann. Schriftgut kann nicht alles transportieren, auch wenn sich der Interpret noch so scharf- sichtig bemüht, Lücken auszufüllen. Ausgewogenheit ist das Ziel, dass ein Historiker verfolgen sollte, wenn er Zeitzeugen befragt. Wichtig ist, dass mehrere Stimmen zu einem Thema gehört werden. Diese Ausgewogenheit ist im vorliegenden Band über die Ilseder Hütte gegeben. Aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens kommen 15 Zeit- zeugen zu Wort. Sie erzählen von ihrem Leben mit der Hütte. Entscheidungsträger, aber auch Menschen, die in der unternehmenseigenen Hierarchie weiter unten standen: Vor- standsmitglieder, Ingenieure, Hochöfner und nicht zuletzt Reinigungskräfte. Es ist das Verdienst des Herausgebers und der Autorin, diese Menschen zu einer erstaunlichen Offenheit bewogen zu haben. So kommt ein sehr differenziertes und bei der ganzen Summe der subjektiven Ansichten gerade ein anschauliches Bild der Ilseder Hütte in den letzten drei Jahrzehnten (von den 1950er bis 1980er Jahren) ihres Bestehens zum Aus- druck. Das Spektrum der Erinnerungen reicht von Wehmut über den verlorenen großen Arbeitgeber der Region bis zur harschen Kritik vor allem wegen der starken Umweltbe- lastung durch die Hütte. Ein Erzähler bricht sogar mit dem stärksten Tabu, indem er die angeblich etwas lasche Arbeitsmoral auf der Hütte kritisiert – ein Eindruck, den andere Zeitzeugen wohl vehement bestreiten würden. Auf engstem Raum treffen Welten aufein- ander, obwohl die Ilseder Hütte doch die eine Welt für die meisten war. Immer wieder wird erkennbar, welche Themen uns verbinden, aber doch auch trennen von der frühen Geschichte der Bundesrepublik. Sozialgeschichtlich höchst interessant ist beispielsweise die Sichtweise der befragten Frauen in dieser Männerwelt. Vor allem die Umkehrung in der Beurteilung der berufstätigen Frauen. Bis in die 70er Jahre hinein arbeiteten Frauen meist nur vor ihrer Eheschließung. Männer fanden es aufgrund der traditionellen Rollen- bilder peinlich, wenn ihre Frau nicht Hausfrau war. Dies hat sich völlig gewandelt. Wichtig bleibt der Hinweis, dass man bei der Ilseder Hütte keineswegs nur auf die oral history angewiesen ist. Es befnden sich nicht weniger als 17000 Archivalien im Staatsarchiv Wolfenbüttel (Akten, Karten, Pläne). Das Fotoarchiv wird im Stadtarchiv Peine und die Bibliothek im Kreisarchiv Peine verwahrt. Ein Teil dieser umfangreichen Überlieferung ist in dem Buch von Horst A. Wessel (2008), das ebenfalls hier in diesem Jahrbuch besprochen wird und auch bereits von Wilhelm Treue (1960) eingefossen. Dieses Buch ist umso wichtiger, weil es selten ist, dass auch sogenannte Normalbürger aus ihrem Arbeitsleben berichten. Arbeit gilt den Medien als langweilig und nicht ver- marktbar. Vorbilder werden vielmehr in der Unterhaltungsbranche und im Sport ge- sucht, allenfalls noch aus dem künstlerischen Bereich. Erfnder, Unternehmer oder auch „normale“ haben gegen diese Konkurrenz in den Medien scheinbar keine Chance. Desto wichtiger sind Bücher wie dieses. Martin Fimpel

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Horst A. Wessel,Stahl und Technologie. Salzgitter AG 1858–2008, hrsg. v. Salzgitter AG. Salzgitter 2008, 552 S. (erhältlich beim Kreisarchiv Peine) Die heute bestehende Salzgitter AG ist 1998 nach der Ausgliederung der Preussag Stahl AG aus dem Preussag-Konzern (heute TUI) entstanden. Sie ist damit ein sehr junger Konzern, dessen bestehende oder ehemalige Teilbereiche aber eine lange Tradition besit- zen. Der Konzern datiert den Beginn seiner Geschichte in das Jahr 1858, in dem die Ilse- der Hütte gegründet wurde, mit der die sogenannte alte Salzgitter AG 1970 fusionierte. Horst A. Wessel, bis 2008 Leiter des Mannesmann-Archivs, stellt sich in seinem Buch der schwierigen Aufgabe, diese 150 jährige Konzerngeschichte darzustellen. Schwierig ist sie vor allem deshalb, weil hier im Grunde die Geschichte nicht nur eines, sondern mehrerer Industrieriesen und ihrer unzähligen Tochterunternehmen geschrieben werden muss, die heute mit der Salzgitter AG verbunden sind oder es einst waren: Neben der Ilseder Hütte sind dies Mannesmann, Klöckner, die Reichswerke Hermann Göring und das Ilsenburger Großblechwalzwerk. Diesen fünf sind jeweils mehrere, chronologisch an- gelegte Kapitel gewidmet. Hier macht sich bezahlt, dass der Verf. einer der besten Ken- ner der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsgeschichte und nun nach der Übernahme der Mannesmannröhren-Werke (und damit des Mannesmann-Archivs) durch die Salzgitter AG auch der Wirtschaftsgeschichte der hiesigen Region ist. Wessel löst das Problem, eine so differenzierte und lange Konzerngeschichte zu schreiben, souverän und versteht es, neben vielen Detailfragen auch die großen Linien nicht aus den Augen zu verlieren. So ist ein lesenswertes Werk mit zahlreichen Abbildungen entstanden, das einen sehr wichtigen Teil nicht nur der braunschweigischen, sondern der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte aufarbeitet und verständlich präsentiert. Die vom Verf. kritisch gesehenen Staatsbeteiligungen machen die Konzerngeschichte auch zum Lehrbeispiel für das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft. Aufgrund des großen Zeitraums, den es in den Blick zu nehmen galt, blieb verständlicherweise etwas zu wenig Raum für die ge- nauere Analyse einzelner unternehmerischer Entscheidungen. Etwas verwundert nimmt man aber zur Kenntnis, wie wenig Platz insgesamt die Zeit des Zweiten Weltkriegs spe- ziell im Fall der Reichswerke in Wessels Buch einnimmt. Die Reichswerke zählten Mitte des Zweiten Weltkriegs aufgrund ihrer zahlreichen Standorte in den von den Deutschen besetzten Gebieten mit ca. 600000 Beschäftigten zu den größten Konzernen der Welt. Man schätzt, dass darunter mindestens die Hälfte Zwangsarbeiter waren. Die Geschichte der Reichswerke ist inzwischen wissenschaftlich gut aufgearbeitet und auf dem Konzern- gelände ist eine Gedenkstätte für die Opfer eingerichtet, so dass die Kürze in diesem Punkt tatsächlich überrascht. Wie bei unternehmenseigenen Jubiläumsschriften üblich geht der Verf. ausführlich auf die aktuelle Situation des Konzerns im Jahre 2008 ein. Dies ist auch der Euphorie des Augenblicks geschuldet. Optimistisch blickte der Konzern angesichts von immer neuen Rekordgewinnen in die Zukunft. Die amerikanische Immobilienkrise schien nur harm- lose Auswirkungen für Europa zu haben (S. 446). Wie schnell aber gute und schwache Konjunkturen einander ablösen, hat der Konzern in seiner Geschichte häufg erfahren. Und so auch jetzt: Dem aufsehenerregenden Aufstieg in den DAX Ende 2008 stand als Kontrast nur wenige Monate später die Kurzarbeit von tausenden Beschäftigten gegen- über (Stand: April 2009). Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man. Das Buch scheint diesen Satz an einigen Stellen zu widerlegen. Hier werden bei aller Dynamik Kontinui- täten sichtbar, die begreifich machen, wie lehrreich tatsächlich Geschichte zu jeder Zeit sein kann. Das Buch fußt zum größten Teil auf Archivalien des Staatsarchivs Wolfen- büttels und des dort ansässigen, erst 2005 eingerichteten Niedersächsischen Wirtschafts- archivs. Ersteres verwahrt die Überlieferung der Ilseder Hütte (über 17000 Archivalien)

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 326 Rezensionen und Anzeigen und das Wirtschaftsarchiv die Überlieferung der Reichswerke und der sogenannten alten Salzgitter AG (bis 1998). Es ist der Salzgitter AG sehr zu danken, dass sie für ihr Jubi- läum eine wissenschaftliche Aufarbeitung ihrer Geschichte dieser Qualität in Auftrag ge- geben hat und sich nicht nur mit einer oberfächlichen Betrachtung in einer „Festschrift“ begnügte. Im Blick auf die Ilseder Hütte hat Wessels Buch gegenüber der älteren Dar- stellung von Wilhelm Treue (1960) den entscheidenden Vorteil, dass es seine Quellen angibt. Das nicht nur wirtschaftsgeschichtlich Interessierten zu empfehlende Werk ist bisher nicht im Buchhandel, sondern direkt beim Kreisarchiv Peine zu beziehen. Martin Fimpel

Gunnhild Ruben, „Bitte mich als Untermieter bei Ihnen anzumelden!“ Hitler und Braunschweig 1932–1935. Die Brisanz der Braunschweiger Einbürgerung, Hitlers Über- raschungsbesuch 1935, das Lehndorfer Aufbauhaus. Norderstedt: Books on Demand 2004, 163 S., Abb., 14,80 € Da es der Schriftleitung des Jahrbuchs bisher nicht gelungen ist, einen geeigneten Re- zensenten für dieses problematische, aber zumindest vom Thema her interessante Werk zu gewinnen, unterzieht sich der Unterzeichnete dieser längst überfälligen Aufgabe und kann damit – sozusagen in eigener Sache – auch eine Richtigstellung vornehmen. Denn in der Danksagung (S. 131) erklärt Frau R., dass der Unterzeichnete das Manuskript dieses Buches „korrigiert“ habe. Das trifft so jedoch nicht zu, denn meine zahlreichen Korrekturvorschläge und Hinweise habe ich nur in die erste Fassung des Manuskript- textes anbringen können. Diese hat Frau R. nur zum geringen Teil berücksichtigt. Das endgültige Manuskript der Druckvorlage habe ich nicht gesehen. Auch hat die Verfas- serin die Warnungen anderer in der Danksagung genannter Fachhistoriker nicht alle beherzigt – mit voraussehbaren negativen Folgen. Mit ihrem Buch beansprucht sie, die Klärung eines besonders umstrittenen und brisanten Themas der braunschweigischen Zeitgeschichte zu liefern. Die in Braunschweig-Lehndorf wohnhafte Verfasserin ist Architektin (Dipl. Ing.). Sie hat sich aus solidem lokalgeschichtlichem Ansatz heraus als Laienhistorikerin mit die- sem Buch in das extrem komplizierte Forschungsgebiet der Hitler-Biographie vorgewagt und war damit trotz allen anerkennenswerten Fleißes natürlich überfordert. So bilden nicht nur fehlende Literaturkenntnisse, sondern auch zahlreiche formale Mängel, Un- klarheiten und Flüchtigkeiten insbesondere bei den Archivquellen- und Literaturzitaten Ansatzpunkte zu gravierender Kritik. Inhaltlich sind zwei der drei von R. aufgestellten Hauptthesen darüber hinaus sehr problematisch. Das beigegebene interessante und z.T. bisher unbekannte (Lehndorffahrt) Bildmaterial ist leider nur sehr fehlerhaft nachgewie- sen. Eine vollständige Aufistung aller Fotos vom Hitler-Besuch fehlt aber bei R. Meines Wissens ist auch bisher nicht bekannt, dass im Dom bei Hitlers Gruftbesichtigung der damalige braunschweigische Polizei- und SS-Führer Friedrich Jeckeln anwesend war, der ab 1941 einer der mörderischsten Judenliquidatoren wurde. Auch auf anderen Fotos des Hitlerbesuchs könnte er zu sehen sein, was zu prüfen wäre. Von der Zielsetzung her positiv zu werten ist der Versuch der Verfasserin, Hitlers immer noch merkwürdig erscheinendes Verhältnis zum Land Braunschweig im Zusammenhang ausführlich mo- nographisch zu behandeln, was bisher nie unternommen worden ist. Dabei hat sie nicht wenig Neues und Unbekanntes publik gemacht. Somit gibt sie einen durchaus notwen- digen wichtigen Anstoß für weitere Forschungen. Die Arbeit ist in drei Teile mit angehängtem Resümee gegliedert. Auf 46 Druck- seiten rekapituliert R. die sattsam bekannte Einbürgerung Hitlers in Braunschweig. Sie

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Rezensionen und Anzeigen 327 behauptet, dass die „Brisanz“ dieser Affäre für den Aufstieg des Nationalsozialismus in der Forschung bisher nicht angemessen erkannt worden sei, womit sie sich in Fragen verrannte, die aus der Lehndorfer Heimatforscherperspektive schwerlich zu klären sind. Verfasserin hat mit Recht bemerkt, dass Hitlers Einbürgerung in den gängigen Hitler- biographien nur als Marginalie erwähnt wird. Doch die von R. nicht herangezogene, inzwischen schier unübersehbare Literatur über den Aufstieg des Nationalsozialismus wäre auch zu dieser Problematik zu konsultieren. Zwiespältig, d.h. interessant und teilweise auch weiterführend, aber in der Haupt- these dubios, ist der zweite Teil, der den immer noch ziemlich rätselhaften zwölfstün- digen Blitzbesuch Hitlers am 16./17. Juli 1935 in Braunschweig (mit dem Abstecher nach Lehndorf) detailliert – u.a. aus Presseberichten – untersucht. Es war der achte und letzte Besuch in der Landeshauptstadt (ansonsten war Hitler u.a. in Harzburg und Goslar in der Region). Die bisherige Forschung (insbesondere der Braunschweiger NS- Spezialist Prof. Ernst August Roloff) vermutete, dass der Zweck dieses Besuches in der Kritisierung und Maßregelung der kirchen- und staatspolitischen Pläne von Klagges zu suchen sei (Neugestaltung der Grablege Heinrichs des Löwen sowie der Kultur um seine Person als Nationalheros, Erweiterung des Landes Braunschweig zum Gau „Ostfalen“, Kirchenbaupläne für die NS-Siedlung Lehndorf). Roloffs einschlägige Aufsätze zitiert R. auf S. 148 übrigens verworren (z.T. ohne Erscheinungsjahr!; es fehlt vor allem „Wie braun war Braunschweig?“ in: Braunschweiger Zeitung-Spezial [Nr. 3], 2003). Im Jahr 1935 waren vor Hitlers Besuch bereits mit dem Reichsjägerhof und der SS-Junkerschule nationalpropagandistisch reichsweit nutzbare Einrichtungen in Braunschweig geschaffen worden. Nach R. unternahm Hitler den ganz spontanen und ungeplanten Besuch aus rein privaten Gründen: wahrscheinlich um die ihm als Feriengäste auf dem Obersalzberg bekannte Familie Kuchen (Anneliese und Martina) in ihrem Siedlungshaus in Lehndorf zu besuchen. Die methodisch laienhafte Arbeitsweise der Verfasserin zeigt sich darin, dass sie die beiden Zeitzeugen Mutter und Tochter Kuchen nicht biographisch exakt vor- stellt. Die Tochter als Hauptinformantin war bei der Befragung 2001 (und öfter ?) durch R. übrigens bereits 80 Jahre alt. Dass dieser Privatbesuch des Reichskanzlers bei einer völlig unauffälligen Familie (Parteigenossen?) verwunderlich erscheinen muss, gesteht R. immerhin selbstkritisch zu. Die Besichtigung der Gruft Heinrichs des Löwen war nach R. nicht geplant, sondern ergab sich spontan. Das steht aber in eklatantem Widerspruch zu der von R. selbst auf S. 72 zitierten Briefaussage von Minister Alpers vom 19. Juli 1935 (Staatsarchiv Wolfenbüttel: 12 Neu 13 Nr. 37411). Darin erklärte Alpers wörtlich, dass dieser Besuch rein privat erfolge mit dem „Zweck“, „dass das Grab Heinrichs des Löwen besichtigt werden solle.“ In völlig falscher Interpretation oder aufgrund füch- tiger Quellenlektüre verneint R., dass in diesem Schreiben von Alpers der Wunsch nach Grabbesichtigung erwähnt würde! Eine Erklärung für die in der Forschung bisher als wichtig erachtete Teilnahme des am 16. Juli 1935 soeben zum Reichskirchenminister ernannten Ostniedersachsen Han(n)s Kerrl (u.a. heiratete dieser 1914 in Braunschweig) kann R. nicht beibringen. Ausführlich rekapituliert Verfasserin dann die Ausgestaltung von Herzogsgruft und Dom zum „Staatsdom“ bis 1940 sowie Hitlers Beteiligung daran. Sie kennt aber nicht J.-H. Kirschs Aufsatz über NS-Kirchenumbauten in Quedlinburg und Braunschweig (in: Widukind, hg. von S. Brakensiek, Bielefeld 1997, S. 33–93). Der Besichtigungsablauf in Braunschweig über Dom, Dankwarderode, Staatsministerium und Lehndorf war laut R. am Vormittag des 17. Juli mit etwa 1¾ Stunden extrem kurz. Verdienstlich ist, dass Verfasserin Zeitfolge und Fahrtroute des Hitleraufenthaltes in Braunschweig exakt eruiert hat, der ab Mittag dem 17. Juli über Wolfenbüttel, Braun- lage-Kyffhäuser fortgesetzt und in Weimar beendet wurde.

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Die von Roloff und anderen behauptete Einfussnahme Hitlers auf das Baugeschehen in der Siedlung Lehndorf (Gemeinschaftshaus anstelle einer [„Widukind“]-Kirche) im Zuge dieses Besuches lehnt R. ab. Der dritte Teil der Arbeit (mit 12 Druckseiten) über die Gestaltung des Zentrums von Lehndorf ist überzeugender ausgefallen. Entgegen der Lehrmeinung von der „NS-Siedlung Lehndorf“ war dieses Bauvorhaben laut R. schon seit 1923 vom Braunschweiger Stadtbaurat Flesche geplant worden. Da R. nachweisen kann, dass schon seit Februar 1935 anstelle einer Kirche ein nationalsozialistisches „Aufbau- haus“ geplant war, werden alle Spekulationen über Hitlers persönliche Anordnung dieser Planungsänderung bei seinem Blitzbesuch hinfällig. Unverständlicherweise kennt R. das Standardwerk über die Siedlung Lehndorf nicht (M. Mittmann, Bauen im Nationalsozia- lismus, Braunschweig die „Deutsche Siedlungsstadt“, 2003) und kann dementsprechend nicht die dort geschilderte herkömmliche Version des Hitlerbesuches kritisieren. Erwähnt sei abschließend ergänzend, da bei R. nicht hinreichend erwähnt, dass Hitler nach 1935 neben dem Salzgitterprojekt (Gebietsaustausch Goslar-Holzminden 1941) auch bei der Ablehnung eines von Klagges vorgeschlagenen Kirchenfnanzierungs- gesetzes im März 1941 mit braunschweigischen Landesbelangen persönlich befasst war. Das Thema „Braunschweig und Hitler“ hat R. zwar erstmals verdienstvoll ausführlicher monographisch mit mancherlei Erkenntnisfortschritten, aber weder vollständig noch wissenschaftlich zureichend behandelt (vgl. auch die Kritik von Prof. E. A. Roloff in: Braunschweiger Zeitung 22.05.2004). Für weitere Beschäftigungen mit dieser Thematik ist ihre Untersuchung zwar heranzuziehen, aber mit großer kritischer Vorsicht zu be- nutzen. Es fehlt meines Wissens auch bisher ein ausführliches Werk über das Verhältnis Hitlers zu den Regionen und Orten des Reiches, seine Reisen, die jeweiligen Begleiter usw., das eventuell deutlicheres Licht auf seine Beziehung zum Freistaat „Zwischen Harz und Heide“ werfen könnte. Dieter Lent

Lebenswege unter Zwangsherrschaft. Beiträge zur Geschichte Braunschweigs im Natio- nalsozialismus, hg. von Frank Ehrhardt im Auftrag des Arbeitskreises Andere Ge- schichte e.V. Braunschweig: Appelhans Verlag 2007, 191 S., Abb., 9,80 € Der sehr rührige 1985 gegründete „Arbeitskreis Andere Geschichte e.V.“ will in Gegen- position zu der das Gesamtgebiet der Historie erforschenden herkömmlichen etablierten professionellen Geschichtswissenschaft (an Universitäten, Archiven, Kulturinstituten, Geschichtsvereinen usw.) die von dieser angeblich vernachlässigte Geschichte der „klei- nen Leute“, der arbeitenden Bevölkerung, die Sozial- und Zeitgeschichte des ehemaligen Landes Braunschweig mit weiterbildender und wissenschaftlicher Zwecksetzung bearbei- ten, wobei auch Laien mitwirken können. In der stattlichen Reihe der Veröffentlichungen dieses Arbeitskreises ist der hier anzuzeigende Sammelband erschienen. Der Obertitel ist ungenau, da nur drei (oder vier) Aufsätze von insgesamt 6 Beiträgen biographisch orien- tiert sind. Ernst August Roloff untersucht die Geschichte der im 19. Jahrhundert in die braun- schweigische Oberschicht aufgestiegenen jüdischen Familie Mielziner, deren Mitglieder im Dritten Reich der Verfolgung durch Selbstmord oder Emigration zu entkommen suchten. Bernhild Vögel verfasste den umfangreichsten Aufsatz (S. 39–100) des Bandes über sozialistische Lehrer aus dem Land Braunschweig zwischen 1919 und etwa 1965, die ab 1931 entlassen, verfolgt und ab 1945 z.T. zurückgekehrt waren. Es ist ein Kapitel der hochinteressanten, durch sechs verschiedene Schulerlasse von rechts und links seit 1918 stark umkämpften widersprüchlichen braunschweigischen Schulpolitik. Im Land

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Braunschweig gab es 1931 rund 1860 Volks- und Mittelschullehrer, die großenteils im Braunschweigischen Landeslehrerverein organisiert waren und die christliche Gemein- schaftsschule favorisierten. Die etwa 100 überwiegend bekenntnisfreien sozialistischen Lehrer waren seit 1920 in der Freien Lehrergewerkschaft zusammengeschlossen. Sie unterrichteten seit 1926 in den vom „Weltlichen Elternbund“ inaugurierten sechs welt- lichen Schulen des Freistaates (in Braunschweig, Wolfenbüttel, Schöningen), wo anstelle des Fachs Religion „Lebenskunde“ gelehrt wurde und reformpädagogische Vorstellun- gen durchexperimentiert werden konnten („Pädagogik vom Kinde aus“ gegen die so- genannte „Kirchenschule“). Von der bürgerlich-nationalsozialistischen Landesregierung wurden ab 1932 die weltlichen Schulen abgebaut und etwa 35 dissidentische Lehrer entlassen (1933: fast 100 unliebsame Lehrer). Ausführlich werden Schicksale sozia- listischer Lehrer im Dritten Reich geschildert, die verfolgt und inhaftiert, aber dennoch (z.T. oppositionell politisch aktiv) im Untergrund, im Exil oder ganz zurückgezogen überlebten (1 Lehrer wurde ermordet und drei waren im KZ ums Leben gekommen). Im westlichen Nachkriegsdeutschland fanden die reformpädagogischen Ansätze der Wei- marer Zeit nach Meinung Vögels lange keine Realisierung. Zwei sozialistische braun- schweigische Lehrer erhielten – z.T. durch Mithilfe von Grotewohl – leitende Posten in der DDR. Auffallend und als nicht bedenklich von Vögel charakterisiert ist das Faktum, dass nicht wenige der sozialistischen braunschweigischen Reformpädagogen Affnitäten zum Kommunismus hatten (u.a. sogar auch Mitgliedschaften in der KPD!). Unverständ- lich ist, dass Vögel die ausführlichen Darlegungen zur braunschweigischen Schulpolitik nach 1918 in der umfangreichen Schrift „Der Braunschweigische Landeslehrerverein 1850–1930“ (hg. von A. Trapp 1931) nicht heranzieht und zitiert. Ebenso wenig wird das große Braunschweig-Kapitel im Standardwerk von G.-E. Tilly „Schule und Kirche in Niedersachsen 1918–1933“ (1987) genannt und benutzt. E. Lorenz behandelt den braunschweigischen Pädagogen Werner Buchheister (1901–1963), der als Sozialist von der KPD ausgehend im Exil in Schweden ab 1937 Widerstandsaktivist gegen das NS- Regime wurde. Reinhard Bein berichtet über eine in der Stadt Braunschweig agierende Jugendclique namens „Schreckensteiner“, die ab 1942/1943 in undeutlicher individu- alistischer Protesthaltung gegen das nationalsozialistische Ideal paramilitärischer „Za- ckigkeit“ der HJ usw. einen lässigen Lebensstil (u.a. Jazzmusik) pfegten. Karl Liedke behandelt auf S. 133 bis 150 das Außenlager des KZ Neuengamme in der damals leer- stehenden SS-Reitschule in Braunschweig, in dem etwa 800 Jüdinnen hauptsächlich aus Osteuropa von November/Dezember 1944 bis Ende Februar 1945 inhaftiert waren. Sie mussten mit mangelhafter Bekleidung und Ernährung in der Stadt Aufräumarbeiten leisten. Mindestens 17 Frauen starben. Die Evakuierungen nach Salzgitter, Beendorf, Ravensbrück und anderen Orten erfolgten unter katastrophalen Umständen (bis Mai 1945). Die lückenhafte Quellenlage zwang Liedke zu zahlreichen Zeitzeugeninterviews. Warum er den informativen Überblick über dieses KZ in dem topographischen Führer durch das NS-Braunschweig („Vernetztes Gedächtnis“, hg. von A. Hesse, 2003, S. 97ff.) nicht zitiert, ist nicht einzusehen. Frank Ehrhardt und Martina Staats widmen sich dem Thema „Das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes in der Erinnerungskultur der 1950er Jahre“ in Braunschweig (S. 151–188). Ein größeres Mahnmal mit Figuren usw. für den 1945 im KZ Bergen-Belsen verstorbenen Ministerpräsidenten Heinrich Jasper schrumpfte von 1947 bis 1951 in den Planungen auf eine schließlich realisierte Porträt- büste am Bohlweg. Die Geschichte der Mahnmale für die in Rieseberg 1933 ermordeten 10 Sozialisten in diesem Ort und nach der Umbettung der Opfer auf dem städtischen Ur- nenfriedhof in Braunschweig (Statue und Grabstelen 1958), die Gedenkveranstaltungen und die damit verbundenen politischen Auseinandersetzungen werden dargestellt. Auf

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 330 Rezensionen und Anzeigen dem jüdischen Friedhof in Braunschweig wurde 1958 ein Gedenkstein für die Braun- schweiger Holocaustopfer errichtet. Ehrhardts Einleitungsaufsatz „Braunschweig im Nationalsozialismus als Thema der Regionalgeschichte“ (S. 7–17) ist als Forschungsbilanz enttäuschend dürftig ausgefal- len. Es fehlen bei den dortigen Literaturnachweisen so viele unverzichtbare Standard- werke wie beispielsweise die vielen Monographien von Dietrich Kuessner (seit 1981) zur braunschweigischen Landeskirchengeschichte, dass die Grenze zur Unbrauchbar- keit vielfach überschritten wird. Eine Erklärung für dieses Manko liegt darin, dass der Interessenhorizont des Arbeitskreises Andere Geschichte schwerpunktmäßig auf die Sozialgeschichte gerichtet ist und übergreifende Aspekte beiseite bleiben, wie auch die Literaturauswahl von Vögel und Liedke erkennen lässt. Deswegen ist der inzwischen teil- weise veraltete entsprechende Forschungsüberblick von H.-U. Ludewig im vorliegenden Jahrbuch (Bd. 78, 1997) immer noch heranzuziehen. Dieter Lent

Joachim Klieme und Stephan Querfurth, Neuerkerode 1868–2008. Chronik. Daten und Dokumente zur Geschichte. 140 Jahre Neuerkerode (Neuerkeröder Beiträ- ge), hrsg. v. d. Evangelischen Stiftung Neuerkerode. Sickte-Neuerkerode 2008, 208 S., zahlr. Abb., 5,00 € Die vorliegende Veröffentlichung ist die erweiterte Neuausgabe von Joachim Klieme, Neuerkerode 1868–1993. Chronik. Daten und Dokumente zur Geschichte (Wolfenbüttel 1993, 180 S., Ill., graph. Darst. [v. Rez. nachstehend zit. als „Klieme 1993“]). Die „Vor- bemerkung“ und die Darstellung bis Sommer 1993 wurden inhaltlich unverändert über- nommen (S. 6–7; 9–150), die folgenden fünfzehn Jahre bearbeitete Stephan Querfurth (S. 150–191). Beide Verf. sind bzw. waren gute Kenner der Institution: Joachim Klieme war von 1972 bis 1989 Direktor in Neuerkerode, 1997 erschien seine Dissertation „Aus- grenzung aus der NS-‚Volksgemeinschaft‘. Die Neuerkeröder Anstalten in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945“ (Qu. u. Forsch. Bd. 31 [hier zit. als „Klieme 1997“], Rez. Erika Eschebach BrJb 79, 1998, S. 304–305). Er verstarb im Jahr 2000 (S. 169, 195), Hinweise darauf fehlen sowohl in der Titelei (z.B. durch „†“ am Verfassernamen) wie auch in Querfurths eigenem Vorwort („Randbemerkung“, S. 8). Der Co-Autor ist aktiv in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Stiftung Neuerkerode tätig (vgl. www.neuerkerode.de). Die Verf. setzen drei Schwerpunkte: Gründungs- und Ausbauphase bis 1914/18 – Nationalsozialismus – moderne Behindertenpolitik und Betreuung geistig behinderter Menschen. Der chronologische Aufbau ohne Untergliederung in Themenbereiche stellt Verwaltungsstrukturen und Satzungsfragen neben Entwicklungen im Betreuungskon- zept – der Band soll ausdrücklich ein Nachschlagewerk sein (S. 8). Diesen Charakter unterstützt ein neu hinzugefügtes Register (S. 201–206), das Namen und ausgewählte Begriffe des gesamten Textes erschließt. Die Gründung als „Idioten-Anstalt zu Erkerode“ in der Inneren Mission erfolgte auf private Initiative, mit Spenden und gegen Widerstände im Ort, durch Luise Löbbecke (Ehrenbürgerin von Braunschweig), Dr. Oswald Berkhan (Arzt ebenda) und Gustav Stutzer, Pfarrer in Erkerode (Weiteres zu ihm enthält der Anhang „Gustav Stutzer – biographische Daten“, S. 196–197). Ihr Ziel war die Förderung und Pfege geistig behinderter Kinder. Die Anzahl der Heimplätze stieg von 6 auf 477 – nun auch für Erwachsene – im Jahr 1914 (S. 20, 54). Raumnot erforderte neue Gebäude und bereits 1871 die Verlegung des Zentrums der Anstalt nach Neuerkerode (S. 22–23 und Anhang

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„Gebäude der Stiftung“ [bis 1993], S. 198–200). Schwierig von den Anfängen bis in die heutige Zeit war und ist die Finanzlage. Das Herzogtum Braunschweig nahm Neuerke- rode zunehmend in die Pficht, verlangte u.a. 1894 die Aufnahme schulpfichtiger geistig behinderter Kinder (S. 38) und berechtigte ab 1903 Fürsorgebehörden zu Zwangsein- weisungen in die Anstalten (S. 45–46, 59–60). Spätestens 1932, mit dem Aufbau der Braunschweiger Ortsgruppe der „Deutschen Gesellschaft zur Rassenhygiene“ (S. 62–63) und der „Verordnung zur Einsparung nutz- loser Fürsorgeerziehungskosten“ (S. 63), wurde deutlich, wie sehr sich seit 1868 die Ein- stellung zu Menschen mit geistiger Behinderung verändert hatte: Das am 1.1.1934 in Kraft getretene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, dem auch die Innere Mission positiv gegenüber stand (S. 65), forderte ihre Zwangssterilisation. Für Neuerkeröder Heim- bewohner wurden von der Anstaltsleitung 124 Anträge dazu gestellt, 2 von Angehörigen. In 109 Fällen beschied das Erbgesundheitsgericht Braunschweig auf Unfruchtbarmachung, 15 Anträge wurden abgelehnt, 2 bis Kriegsende nicht bearbeitet (S. 69). Staatliche Eingriffe in Verwaltung und Satzung seit 1935 (S. 72–77) gipfelten u.a. 1941 in der Unterstellung von Neuerkerode unter den Leiter der Landes-Heil- und Pfegeanstalt in Königslutter (S. 81–84) und der 1942 erzwungenen Einstellung eines „bewährten Nationalsozialisten“ als Vorsteher (S. 87), 1943 erfolgte die Herauslösung aus der Inneren Mission (S. 88–96). Diese Maßnahmen standen im Zusammenhang mit den als „Euthanasie“ bezeichneten Krankenmorden: Unter Hinweis auf die kriegsbedingt „sich steigernde Nachfrage nach Krankenhausbetten“ sollte in den Heil- und Pfegean- stalten durch die Verlegung von Bewohnern in andere Anstalten und ihren Tod Platz geschaffen werden für Kranke und verwundete Soldaten (S. 84). Über dieses schlimmste Kapitel in der Geschichte von Neuerkerode (S. 78–103) zieht eine Statistik (S. 102) erschütternde Bilanz: Zwischen 1940 und Februar 1945 wurden 180 Heimbewohner in andere Anstalten abtransportiert (außerdem 43 Frauen, die ihrerseits hierher verlegt worden waren). 125 von ihnen starben bis zum 8. Mai 1945 (58 wurden in Uchtspringe und Hadamar ermordet), 17 noch danach, 38 Menschen wurden entlassen (die Summe ist korrekt, in der Tabelle fehlt ein Fall aus Königslutter: vgl. Klieme 1997, S. 225). 1944 wurde Neuerkerode Ausweich-Altersheim und -Krankenhaus (S. 96–99, 103). Nach dem Krieg wurden die Neuerkeröder Anstalten in die Innere Mission zurück- geführt (S. 109), zusätzlich zur Betreuung geistig Behinderter und Epileptiker sorgten sie für Alte, Waisenkinder, Flüchtlinge, heimatlose Soldaten (S. 104–106, 112). Wichtig wurde die Ausbildung von Pfegekräften (S. 109, S. 127). 1960 lebten hier 939 Heimbe- wohner (S. 117), 829 im Jahr 2008 (S. 192), mehrfach kamen externe Nutzungsstätten hinzu (u.a. S. 115, 124, 132–133, 171). Insbesondere seit den 1980er-Jahren änderte sich das Konzept der Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung. In den Vorder- grund rückte nun die „Weiterentwicklung der Lebensbedingungen der Heimbewohner im Sinne eines ‚Ortes zum Leben‘“ (S. 150). Kennzeichen sind u. a. die Unterbringung in Wohngruppen „ohne Anstaltscharakter“ (S. 151), die Bildung einer Bewohnervertretung (S. 135) und einer Angehörigen-Selbsthilfegruppe (S. 160), selbst erstellte hausinterne Fernsehprogramme (S. 140) und eine Theatergruppe (S. 163). Informationsschriften, wissenschaftliche Veröffentlichungen (s.o.), Ausstellungen in Museen (S. 158–159, 164, 170), Werkschauen der Kunstwerkstatt (S. 167, 188) sowie die Internet-Homepage (S. 170) machen auch überregional auf die seit 1989 (S. 145) „Evangelische Stiftung Neuerkerode“ genannte Institution aufmerksam. Der die Chronik abschließende „Aus- blick“ (S. 190) kündigt den Ausbau verschiedener Einrichtungen an. Für die Neuausgabe tauschte Querfurth viele Fotos aus und verzichtete (ohne Be- gründung) ganz auf die 1993 im Faksimile abgedruckten archivalischen Quellen (vgl.

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S. 8). Leider auch nicht übernommen wurden Ansichten der bemerkenswerten Aus- dehnung der modernen Anlage in Neuerkerode (Klieme 1993, S. 156, 166–167). Neu sind Faksimiles gedruckter Vorlagen (S. 13, 67, 73, 79). Das beibehaltene Bildmaterial (S. 10, 11, 17, 21, 23, 35, 55 mit verbesserter Beschriftung) erweitern Fotos aus dem All- tag der Behinderten. Querfurth ergänzt alle Jahreseinträge durch „einige (ganz subjek- tiv ausgewählte) Ereignisse aus der Weltgeschichte, der Kulturgeschichte“, will so „eine Verknüpfung zu der Welt um Neuerkerode herum herstellen“ (S. 8). Der „Anhang“ (S. 192–208) enthält wie schon 1993 „Statistische Daten“ über die Bewohner (S. 192), „MitarbeiterInnen in Neuerkerode“ (S. 193–194), „Direktoren Neuerkerodes“ (S. 195) und „Mitglieder des Verwaltungsrates“ (S. 195), jeweils aktualisiert bis 2008, dazu die o.g. Daten zu Stutzer, das Gebäudeverzeichnis sowie das neue Register. Zwei Listen („Vorsitzende des Verwaltungsrates“ und „Vorstand“: Klieme 1993, S. 170, 171) fehlen jetzt. Querfurth erweitert Kliemes „Quellenangaben“ (S. 207–208 mit aktualisiertem „Fotonachweis“) um „Presseberichterstattung“ (S. 207), benennt im übrigen „diverse interne Arbeitspapiere, Rundschreiben und Protokolle, die ‚Neuerkeröder Blätter‘ und Presseartikel aus dem Berichtszeitraum“ als Grundlage für seinen eigenen Textbeitrag (S. 8). Die abwechslungsreich gestaltete und preisgünstige Neuausgabe der Chronik der Evangelischen Stiftung Neuerkerode gewährt in gut lesbarer Weise Erkenntnisse über den Wandel in der Behindertenpolitik in 140 Jahren und vermittelt dabei recht aus- führlich Verwaltungsvorgänge, Einblicke in den Alltag der behinderten Menschen sowie einen zuverlässigen Überblick über die dunkelste Epoche, die Jahre von 1933 bis 1945. Wer eine umfassende Darstellung Neuerkerodes zur Zeit des Nationalsozialismus sucht, sei auf Joachim Kliemes Dissertation von 1997 verwiesen. Ulrike Strauß

Die Wolfsburg-Saga. 70 Jahre Wolfsburg, hrsg. v. Christoph Stölzl.Stuttgart: Konrad Theiss 2008, 560 S. mit teilweise ca. 1500 farb. Abb. und teilweise s/w Abb., 29,90 € Das Buch fällt auf: Hardcover, Format 26 mal 30 cm, gut 4 cm dick, 3,5 kg Gewicht, warme rotbraune Farben auf dem Titelbild, ein springender Wolf im Zentrum. Mit Christoph Stölzl als Herausgeber wurde der langjährige Generaldirektor des Deutschen Historischen Museum sowie Kultur- und Wissenschaftssenator in Berlin, Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses und, seit 2004, Professor für Kulturmanagement und Kulturgeschichte, ein renommierter Fachmann, gewonnen. Stölzl hatte im Deutschen Historischen Museum bereits 1997 in einer Ausstellung Eisenhüttenstadt und Wolfsburg, beides Neugründungen im 20. Jahrhundert, miteinander verglichen. 70 Jahre Stadtgeschichte auf Hochglanzpapier und mit Bildern in bestechender Qua- lität zeigen so auf den ersten Blick, was Christoph Stölzl in seinem Vorwort schreibt: „Wolfsburg ist ein Phänomen.“ „einzigartig“ „Spiegelbild“ … Die „Wirtschaftswunder- stadt par excellence“. Von hier aus motorisierte „der Volkswagen … die Deutschen“. Das Signal ist nicht zu übersehen: Hier wird nicht irgendeine Stadt beschrieben. Hier geht es um die bundesdeutsche Ausnahmestadt, deren Geschichte bereits nach 70 Jahren als ‚Saga‘ erzählt werden, also als Geschichte von heldenhaften, mythischen Kämpfen. Der Jubiläumsband zum Geburtstag der 1938 inmitten von Feldern und kleinen Dörfern gegründeten Industriestadt ist keine Stadtgeschichte, die Ereignisse analysiert und gelas- sen Bilanz zieht. Im vorliegenden Buch geht es um nichts weniger als um den Triumph technisch-industriellen Denkens im 20. Jahrhundert. Was der Oberbürgermeister für Volkswagen reklamiert, das vermittelt der Band auch für diese Stadt vom Reißbrett:

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Große Ingenieurleistungen künden von der Schöpfungskraft des Menschen. So ist das erste Kapitel, das auch die Vor- und Gründungsgeschichte der Stadt umfasst, folgerichtig als ‚Genesis‘ bezeichnet. Schon im Vorfeld der Gründung wird von der „Erfnder Stadt“ (70) gesprochen, 1938 dann wird „die Stadt … geschaffen“, mit dem Wirtschaftswunder springt die „Stadtmaschine“ (106) an und die „Integrationsmaschine“ (131) schafft es, Flüchtlinge, Vertriebene, Gastarbeiter, Fremde einzubinden. Heute ist Wolfsburg „ein Ort purer Energie“ (402). Im Mittelpunkt stehen die Biographien und Leistungen von Menschen, die das Leben der Stadt beeinfusst haben oder die der Stadt ein gutes Leben verdanken. Wobei es indirekt auch immer um ‚das Werk‘ geht, das bis heute das Leben bestimmt. Die zahlreichen Autoren, darunter Historiker, Städtebauer, Architekten, Stadt- soziologen, sind unter den Artikeln nur klein geschrieben vermerkt und treten zurück vor der Komposition des Bandes als Meistererzählung für eine Modellstadt. Die Einleitungen zu den werbewirksam betitelten Großkapiteln hat Christoph Stölzl geschrieben. Deutlich wird hier, dass es sich um eine Geschichte der Kernstadt handelt. Die 1972/74 in die Stadt aufgenommenen, historisch gewachsenen Ortschaften und Städte wie Fallersleben, Vorsfelde treten in den Hintergrund. Wolfsburg: NS-Mustersiedlung und (KZ-)Lagerstandort sowie Schmuddelkind in der unmittelbaren Nachkriegszeit – Boomtown im Wirtschaftswunder – Ausnahmestadt- und Zukunftsstadt. In fünf Großkapiteln werden Wolfsburgs Facetten aufgeblättert. Es beginnt mit der Vorgeschichte, „Wolfsburgs Genesis“: mit der ländlichen Gesellschaft von Adel und Bauern vor Gründung der heutigen Stadt. Heinrich Büssing aus dem heutigen Ortsteil Nordsteimke – Gründer der ‚Heinrich Büssing Specialfabrik für Motor- lastwagen, Motoromnibusse und Motoren – und Heinrich Hoffmann von Fallerleben lebten hier. Die Stadt ist jung genug, um noch in Generationen zu denken. Zur ersten Generation (Großkapitel zwei) zählen die zwischen 1938 und 1945 zugezogenen deut- schen Arbeiter, dann bereits italienische „Fremdarbeiter“, ab 1940 russische Kriegsge- fangene sowie Frauen und Männer als Zwangsarbeiter, der Besatzungszeit sowie der Aufbau- und Ausbaugeneration in den Jahren 1948–1963: Vertriebene und Flüchtlinge, Zugewanderte, allesamt Glücksritter, die hier Arbeit suchten und nach den Wirren des Krieges eine neue Existenz aufbauen wollten („Alle wollten, dass aus Wolfsburg etwas wird“). Wie sehr das Heilsversprechen einer modernen Stadt und Gesellschaft mit hohen Einkommen und guten Wohnmöglichkeiten einer verunsicherten Bevölkerung Rückhalt gab, ist hier für die Geschichte der Bundesrepublik exemplarisch zu studieren. Davon kann auch die Rezensentin berichten, die als gebürtige Wolfsburgerin ihre Kindheit und Jugend in der Stadt am Mittellandkanal verlebte. Im Porträt u.a. die ‚Gründerväter‘: der Architekt Peter Koller als „Erfnder der Stadt“, der britische Major Ivan Hirst als Retter des Volkswagenwerks, der „König von Wolfsburg“ Heinrich Nordhoff – und eine Frau mit „Pioniergeist, Tatkraft und Weitsicht“: Margarete Schnellecke, die als Witwe nach dem Zweiten Weltkrieg eine internationale Spedition aufbaute. Für die Phase der ab 1963 (bis 1989) die Stadt prägenden zweiten Generation (Groß- kapitel drei) steht mit Citybildung und Festigung eines neuen städtischen Bewusstseins mehr als Auf- und Ausbau an. Die Stadt wollte nicht mehr nur Arbeits- und Schlafstadt sein. Sie wollte Urbanität, das hieß verdichtetes Bauen im Zentrum und an der Peri- pherie. Großzügig ausgestattete Schwimmbäder werden gebaut, die städtische Galerie entsteht, Wolfsburg richtet nationale und internationale Reitsportwettbewerbe aus, Hans Scharoun entwirft ein Theater. Die zwei in den 1960er und 1970er Jahren entstehen- den Stadtteile Detmerode und Westhagen demonstrieren „Urbanität durch Dichte“, Wolfsburg wird (Fach-)Hochschulstadt. Und wieder suchen ganze Menschengruppen ihr Glück in Wolfsburg, Gastarbeiter und Spätaussiedler. Leider ein Lapsus: Das Un-

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 334 Rezensionen und Anzeigen terkapitel „Erinnern für die Zukunft“, das sich mit der in den 1980er Jahren auch in Wolfsburg einsetzenden historischen Aufklärung über die Verbrechen der NS-Zeit aus- einandersetzt, steht unter der Kapitelüberschrift „1980 – 1989: Stadtbewusstsein und (!) Historisierung“. Mit der Phase der dritten Generation kommen die heutigen Entscheidungsträger zu Wort (Großkapitel vier). Sie berichten von Leuchttürmen wie dem phaeno- das deutsche science center – der Autostadt, von Städtepartnerschaften und neuen internationalen Beziehungen, von bürgerschaftlichem Engagement. Großkapitel fünf stellt die „Ge- neration Zukunft“ vor, der in der „Familienstadt“ gute Rahmenbedingungen geboten werden: Wohnen im Grünen, Kindertagesstätten, moderne Schulen, Bibliotheken und allgemeine Bildungszentren, Sport. Dieser Jubiläumsband bietet mit vielen erstklassigen Bildern und eingängigen, an einen breiten Kreis von Käufern gerichteten Texten schwungvolle Unterhaltung für ent- spannte Lesenachmittage. Auch kritische Aspekte, wie die NS-Zeit oder das Leben der ‚roten Ilse und ihrem Traum von der Revolution‘, werden nicht ausgespart. Wer tiefer einsteigen und sich über Hintergründe informieren will, dem sei zunächst das Literatur- verzeichnis im Anhang empfohlen. Mit Stolz erklärt Bürgermeister Schnellecke am Ende über seine Heimatstadt, dass Wolfsburg seine Vitalität behalten werde, auch „in 100 Jahren noch eine junge Stadt“ sei. Dennoch: Die Zukunft ist offen und die Herausforderungen eines postmodern ge- prägten 21. Jahrhunderts an diese von den Vorstellungen der klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts geformte Stadt nicht klein. Die Rezensentin wünscht ihrer Geburtsstadt nie erlahmende Wandlungsfähigkeit und Pioniergeist – und ist bereits jetzt gespannt auf den Umfang der Jubiläumsschrift zum hundertsten Geburtstag der Stadt Gudrun Fiedler

Volkswagen Chronik. Der Weg zum Global Player, hrsg. von der Historischen Kommuni- kation der Volkswagen Aktiengesellschaft, Manfred Grieger,Ulrike Gutzmann, Dirk Schlinkert (Historische Notate I 7). Wolfsburg: Volkswagen AG 2008, 260 S., 267 Abb., 14,90 € 1904 ist in einer Fachzeitschrift erstmals von einem Volkswagen die Rede. Entsprechend beginnt die Vorgeschichte der hier anzuzeigenden Volkswagen Chronik mit diesem Jahr. Bekanntlich dauerte es aber bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, ehe das geplante Serienauto realisiert werden konnte. Dieser vierzigjährigen Vorgeschichte des Volks- wagens ist in der zu besprechenden Chronik ein zusammenfassendes Eingangskapitel gewidmet. Im Hauptteil des Buches werden dann für jedes Jahr zwischen 1945 und 2007 zwei Seiten geboten, eine mit Textinformation und eine weitere mit Bildern und einem informativen Statistikteil, der über Produktion, Belegschaft, Absatz und Finanzen informiert. In Auswahl werden die wichtigsten Ereignisse und Unternehmensentschei- dungen sowie Personalia kurz für jedes Jahr im genannten Zeitraum skizziert und mit Bildmaterial illustriert. Die Chronik konzentriert sich dabei ganz auf die Entwicklung der Volkswagen AG. Den anderen Automarken des Konzerns, Audi, Lamborghini, Seat und Skoda sowie der Nutzfahrzeug- und dem VW Finanzdienstleistungsbereich wer- den aber immerhin im Schlusskapitel auch 50 Seiten gewidmet. Große Entwicklungen und Zusammenhänge kommen in einer Chronik häufg zu kurz, deshalb werden jeweils Zusammenhänge in Periodenartikeln dargestellt wie bspw. „1950–1960: Internationa- lisierung und Massenproduktion im Wirtschaftswunder“ oder „1961 bis 1972: Boom und Krise des Käfer-Unternehmens“. Die vorgenommene Periodisierung scheint gelun-

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Rezensionen und Anzeigen 335 gen und auch der Großteil der Ausführungen. In der Kürze des zur Verfügung stehenden Raumes kommen allerdings die Erfolgsgeschichte des Käfers und auch die Exporterfolge des Konzerns auf dem amerikanischen Markt zu kurz. In der Tat symbolisiert der Käfer wie kein anderes Produkt das Wirtschaftswunder. Der Käfer steht aber auch beispielhaft für den Weg der sozialen Marktwirtschaft in dieses Wirtschaftswunder. Ludwig Ehrhard hatte die Weichen für eine starke Exportorientierung der deutschen Wirtschaft gestellt und der Käfer wurde schnell zu dem bekanntesten deutschen Exportschlager, vor allem in den USA und in Südamerika. Die Bedeutung des USA-Exportes kommt in den Aus- führungen der Herausgeber zu kurz. Sie repräsentiert eine unternehmerische Meisterleis- tung, denn Konkurrent Renault erlitt, angespornt durch die Erfolge der Wolfsburger, bei seinem Versuch, in die USA zu exportieren, ein Desaster auf der ganzen Linie. Zugleich markiert die Stärke der deutschen Hersteller im USA-Geschäft einen der wichtigsten Unterschiede der deutschen Hersteller zu ihrer europäischen Konkurrenz (Ausnahme Volvo). Dies gilt heute vor allem für Audi, BMW und Mercedes. Vom Layout passt die handliche Chronik durch ihre sachliche Präsentation zum Stil von Volkswagen und insbesondere des Käfers. Der bekannt hochwertigen Ausführung und Verarbeitung des legendären Käfers entspricht die Chronik im Bezug auf die Auswahl und Zuordnung der Bilder allerdings nicht immer. Der zum Jahr 1973 abgebildete Passat (S. 99) ist zum Beispiel ein späteres Modell. Problematisch ist teilweise auch die drucktechnische Umsetzung einiger Bilder. Nicht ganz zutreffend ist die Textpassage für das Jahr 1984, Volkswagen sei „Vorreiter“ des Dreiwegekatalysators gewesen. Die Katalysatortechno- logie ist das Werk der Robert Bosch GmbH und die Hersteller Mercedes-Benz und vor allem Volvo setzten diese Technologie als erste Hersteller sowohl weltweit als auch in Deutschland um. Der Volvo 244 in seiner Ausführung für Kalifornien war weltweit das erste Serienauto mit Dreiwegekatalysator und Lambdasonde. Richtig ist allerdings, dass Volkswagen ambitioniert Nachrüstungsangebote im Katalysatorbereich aufegte. Nicht erwähnt wird auch die Tätigkeit von Ignacio Lopez als Leiter des Bereiches „Produkt- optimierung und Beschaffung“. Er kam 1993 von Opel zu Volkswagen – unter Umstän- den, die seinerzeit für Schlagzeilen sorgten. Sein Wirken sollte Sprachgeschichte schrei- ben, für einige Jahre machte das Wort vom „Lopez-Effekt“ die Runde. Die Chronik trägt vor allem für die Passagen ab 1981 (ab S. 119) den Charakter einer PR-Broschüre. Audi kommt im abschließenden Kapitel über die weiteren Marken des Konzerns insgesamt zu kurz. Der Leser erfährt nichts von der Bedeutung der technologischen Innovationen aus Ingolstadt für den Golf I. Mit dem im Juli 1972 präsentierten Audi 80 schuf Audi nicht nur die Gene für den im Mai 1973 vorgestellten VW Passat, sondern auch für die Generation Golf und ihre Ableger ab März 1974. Im Grunde vollzog die deutsche Automobilindustrie mit dem Audi 80 von 1972 einen technologischen Quantensprung, mit dem sie ihren technischen Rückstand im Bereich der Kompakt- und Mittelklasse- wagen gegenüber der französischen und italienischen Konkurrenz kompensierte. Die Karosseriestruktur des Audi 80, trotz Leichtbau mit Qualitäten auch im Bereich der pas- siven Sicherheit versehen, sein Motor (EA 827) und der Vorderradantrieb fand sich in Millionen von späteren Volkswagen wieder. Ein Konzern sollte auch zu den schwächeren Phasen seiner Geschichte stehen, vor allem wenn er diese so bravourös wie Volkswagen lösen konnte. Den Bearbeitern ist eine Chronik gelungen, die angesichts der zu berück- sichtigenden Stofffülle Respekt verdient, der man allerdings in der nächsten Aufage eine qualitativ hochwertigere äußere Aufmachung und die genannten Änderungen und Ergänzungen wünscht, damit der mitunter entstandene Eindruck einer bloßen Werbe- broschüre gemildert wird. Hans-Christian Herrmann

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Hendrik Gröttrup, Stadt im Aufbruch (Salzgitter-Sichten, hrsg. vom Fachdienst Kultur/Literaturbüro der Stadt Salzgitter, Band 1). Braunschweig: Appelhans Verlag 2007, 416 S., Abb., geb., 15,00 € Mit dem hier anzuzeigenden Band stellt die Stadt Salzgitter neben die bekannten „Salz- gitter-Forschungen“ eine neue Veröffentlichungsreihe: In den „Salzgitter-Sichten“ sollen Persönlichkeiten „in autobiographischen und biographischen Darstellungen“ zu Wort kommen, die die „gesellschaftlichen Vorgänge, die in Geschichte und Zeitgeschichte münden“, selbst prägten (S. 9, Grußwort des Oberbürgermeisters Frank Klingebiel). Wissenschaftliche Untersuchungen wie die Bände der „Salzgitter-Forschungen“ stüt- zen sich überwiegend auf schriftliche Quellen. Die historische Entwicklung z.B. einer Stadt bildet sich aber keineswegs nur in Akten, Ratsprotokollen oder Urkunden ab – Briefe, Tagebücher, Memoiren oder Zeitzeugeninterviews von Handelnden oder Beob- achtern können wichtige zusätzliche Erkenntnisse über das in der amtlichen Überliefe- rung dokumentierte Verwaltungshandeln beisteuern. Bei der Bewertung insbesondere von autobiographischen Aufzeichnungen ist freilich zu bedenken, dass sie Ereignisse und deren Hintergründe in subjektiver Auswahl vereinigen, dabei vielleicht sachlich weniger Wichtiges hervorheben oder Bedeutsames übergehen können, oft mit der Absicht der Rechtfertigung, immer aber mit der Kenntnis der weiteren Entwicklung aus der Rück- schau heraus formuliert werden. Dem Autor des ersten Bandes der „Salzgitter-Sichten“, Dr. Hendrik Gröttrup, ist die- ser mehrschichtige Quellenwert subjektiver Erinnerungen deutlich bewusst (vgl. S. 12). Als promovierter Jurist selbst Wissenschaftler und Verfasser wichtiger Publikationen zum Kommunalrecht, war er auch einer der Autoren der von dem Historiker Wolfgang Benz zum Gründungsjubiläum Salzgitters 1992 herausgegebenen Stadtgeschichte. Gröttrups Verdienste in seiner amtlichen Tätigkeit würdigt der Fachdienstleiter Kultur der Stadt, Dr. Jörg Leuschner („Über den Autor“, S. 10–11). In seinem eigenen „Vorwort“ (S. 12) stellt der Autor sein amtliches Wirken in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang und nennt seine Aufzeichnungen hier und auch im weiteren Text wiederholt einen „Bericht“. Er will zwanzig Jahre Stadtentwicklung Salzgitters und seinen Anteil daran darstellen, 1972 bis 1980 als Kämmerer, 1980 bis 1992 als Oberstadtdirektor und Kulturdezernent, nicht zuletzt (wie er mit sympathischer Selbstironie mit dem von ihm als Motto vorange- stellten Cicero-Zitat zugibt) „– um mich auch selbst ein wenig zu rühmen nach Art alter Leute“ (S. 12). Seine ehrenamtlichen Funktionen, u.a. als Vorsitzender des Kunstvereins und des Geschichtsvereins Salzgitter, fnden bei ihm eher knappe Erwähnung, der private Bereich wird nur ganz selten einmal gestreift, z.B. wenn er das Buch dem Andenken seiner verstorbenen Ehefrau widmet (S. 1). Gröttrup gliedert seine Ausarbeitung in sechs große Themenblöcke, auf die in die- ser Besprechung aus Platzgründen nur punktuell eingegangen werden kann: Kap. I. „Kommunalpolitik“ (S. 13–118) veranschaulicht u.a. die Bedingungen der Niedersäch- sischen Gemeindeordnung und das oft schwierige Zusammenspiel von Rat und Ver- waltung. Beachtung verdienen die Notizen zum Großraum Braunschweig (S. 91–98). Nicht einfach verliefen 1987/88 Verhandlungen über eine Städtepartnerschaft zwischen Salzgitter und Gotha, stieß sich doch die DDR-Seite an der seit 1961 in Salzgitter ange- siedelten Zentralen Erfassungsstelle der Justizverwaltungen der Länder zur Feststellung von Unrechtstaten des DDR-Regimes (S. 108–118). Kap. II. „Salzgitters Wirtschaft“ (S. 119–186) behandelt an erster Stelle den Salzgitter-Konzern (S. 119–143). Hier fn- det sich auch eine Schilderung der Schwierigkeiten bei der Einrichtung der Gedenkstätte unter der Hochstraße für die in der NS-Zeit im KZ-Außenkommando Drütte getöteten Häftlinge (S. 125–126). Weitere wichtige Industriebetriebe für Salzgitter waren bzw. sind

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Rezensionen und Anzeigen 337 die Volkswagen AG (S. 143–149), MAN (ehemals Büssing, S. 150–154) und Bosch- Blaupunkt (S. 155–160). Von durchaus aktuellem Interesse ist ein Blick auf die Ent- wicklung der Banken und des Handels, vor allem der Kaufhäuser, Supermärkte und Ein- kaufspassagen (S. 167–177, hierzu auch S. 248). Der Aufbau der Fachhochschule sowie die Ansiedlung des Bundesamtes für Strahlenschutz werden nur skizziert (S. 180–182), die heftigen Auseinandersetzungen um die Einrichtung des Atommüllendlagers Schacht Konrad fnden aber in Kap. V. „Die Umwelt“ (S. 295–330) ausführliche Berücksich- tigung (S. 317–330). In dem umfangreichen Kap. III. „Die Stadtentwicklung“ (S. 187–268) geht es u.a. um das Verhältnis der Orte zueinander, aus denen Salzgitter zusammengesetzt ist, um Wohnungsbau, Freizeiteinrichtungen, Infrastruktur usw., stets vor dem Hintergrund sich wandelnder wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen. Kap. IV. „Die Finanzpolitik“ (S. 269–294) greift u.a. einige schon zuvor behandelte Fragen erneut auf unter dem Aspekt der schlechter werdenden Finanzsituation. Das abschließende Kapitel VI. „Le- bensqualität“ (S. 331–407) ist insbesondere der Kultur gewidmet. Unübersehbar ist Gröttrups ganz persönliches Interesse am Musikleben (so an den „Musiktagen Salzgit- ter“, S. 364–367), am Theater, an der bildenden Kunst, an den Museen, am Stadtarchiv und der Stadtgeschichte. Herausgegriffen sei hier das Stadtjubiläum 1992, mit dem Salz- gitter sich sowohl in dem schon genannten, von Wolfgang Benz herausgegebenen wis- senschaftlichen Aufsatzband als auch in dem zu diesem Anlass von dem Braunschweiger Bildhauer Jürgen Weber als Auftragswerk geschaffenen Monument zur Stadtgeschichte („Turm der Arbeit“) der nationalsozialistischen Vergangenheit stellte. Es ist schade, dass dieses lesenswerte Buch etwas steif und monoton präsentiert wird. Die wenigen schwarz-weißen Fotos (Abbildungsnachweis S. 416) – manche davon förm- lich-offzielle Personenaufnahmen, einige eher klein, dunkel und unscharf reproduziert – können den gedanklich vorzüglich strukturierten, aber im Druckbild durch zu wenige Zwischenüberschriften gegliederten Text nicht wirksam aufockern. Gute zusätzliche In- formationen enthalten die Diagramme (S. 272, 273, 279, 290, 343, 359), zur besseren Veranschaulichung der Stadtentwicklung wären aber auch Karten oder Pläne hilfreich gewesen, auf deren Beigabe leider verzichtet wurde. Ein Personenregister (S. 408–415) ist sehr nützlich, wenngleich darin zumindest ein im Text genannter Name fehlt (die frühere Braunschweiger Kulturdezernentin Birgit Pollmann wird auf S. 98 erwähnt). Als unnötig empfndet Rez. Schreibfehler, die offenbar bei der Drucklegung übersehen wur- den (z.B. S. 89, 93, 111, 134, 182). Wer sich von dem spröden ersten Eindruck nicht abschrecken lässt, wird schnell entdecken, dass oft für trocken erachtetes Verwaltungshandeln und die vielfältigen Mög- lichkeiten, aber auch die Beschränkungen der Kommunalpolitik hier mit lockerer Hand und großer Sachkenntnis anschaulich, ja spannend geschildert werden. Leser, die sich über die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten einer „Stadt im Aufbruch“ von den 1970er-Jahren bis kurz nach der deutschen Vereinigung im früheren Zonenrandgebiet mit sich dramatisch wandelnder Wirtschafts- und Bevölkerungsstruk- tur informieren wollen, können diesen Band wie ein Nachschlagewerk verwenden. Gröt- trups „Bericht“ gewinnt aber darüber hinaus seinen Reiz nicht zuletzt aus seinen Anmer- kungen zu persönlichen Begegnungen und über die Zusammenarbeit mit Weggefährten: Warme menschliche Anerkennung steht hier durchaus neben Hinweisen auf schwierige Kontakte. „Stadt im Aufbruch“ bietet eine gelungene Ergänzung zu der im Stadtarchiv vor- handenen amtlichen Überlieferung und zu den bisher erschienenen Publikationen zu Salzgitters Geschichte. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die Ausarbeitung einem breiten

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Leserkreis zugänglich gemacht wird. Der erste Band der neuen Reihe setzt aber zugleich hohe Maßstäbe für die Fortsetzung der „Salzgitter-Sichten“. Ulrike Strauß

Georg Wagner–Kyora,Schloss ohne Geschichte. Der Braunschweiger Wiederauf- bau-Konfikt 1950–2007. Berlin: Vorwärts-Buch Verlag 2009, 288 S., 19,95 € Es gibt kaum ein Ereignis in der jüngsten Braunschweiger Stadtgeschichte, das von den politischen Entscheidungsträgern, den Medien und der Braunschweiger Bevölkerung leidenschaftlicher und kontroverser diskutiert wurde als der Abriss und der Wiederauf- bau des Residenzschlosses. Die Diskussion zog sich über fast 60 Jahre hin und hatte zeitlich zwei Schwerpunkte: die Abrissphase der Schlossruine 1959/60 und die Wieder- aufbau-Debatte in den frühen 2000er Jahren. Die Auseinandersetzung um diesen zentra- len Geschichts- und Erinnerungsort ist Gegenstand der Darstellung von Wagner-Kyora. Hierzu hat der Autor 2006 bereits einen umfangreichen Aufsatz veröffentlicht, der in der renommierten Zeitschrift ‚Archiv für Sozialgeschichte‘ erschienen ist. Das Thema ist im Zusammenhang eines DFG-Projektes an der Universität Hannover zu sehen, welches nach Gemeinsamkeiten in der Wiederaufbau-Politik bundesdeutscher Städte fragt. Der Titel des Buchs ist provokant, zumal in der Braunschweiger Schloss-Diskussion Geschichte bei jeder sich bietenden Gelegenheit beschworen wurde. Aber welche Ge- schichte? Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dann auch die Frage nach der Wahr- nehmung von Geschichte, nach den unterschiedlichen Geschichtsbildern und ihrer Ins- trumentalisierung in diesem kommunalpolitischen Entscheidungsprozess. Für den Autor ist das in den Jahren 2005 bis 2007 errichtete Bauwerk – die re- konstruierte Fassade des ehemaligen Residenzschlosses in Verbindung mit einem Ein- kaufszentrum – ein „Schloss ohne Geschichte“, weil sich seine Befürworter „mit einer bloß dekorativen Außenansicht von Geschichte“ zufrieden gaben, weil ihrem Handeln allenfalls ein „selektives Geschichtsbild“ zu Grunde lag. Aber auch in den Äußerungen der Abrissbefürworter sei 1959/60 die Tagespolitik wichtiger gewesen als die Auseinan- dersetzung mit der Geschichte (S. 22ff.). Wagner-Kyora geht bei seiner Beweisführung chronologisch vor. Er beschreibt zu- nächst die Situation in der Nachkriegszeit: die Trümmerverwertungsanlage auf dem Schlossplatz, die ständigen Plünderungen in und an der Schlossruine, die Überlassung des Schlosses in städtischen Besitz im Schlossvertrag 1955, die verschiedenen, von der Stadtregierung allesamt verworfenen Nutzungsvorschläge – Umbau zur Stadthal- le, Neubau eines Hörsaalgebäudes der TH – schließlich die „handstreichartige“ (S. 28) Abriss-Entscheidung 1959/60 und ihre Realisierung im Frühjahr 1960. Wer waren ihre Befürworter? Wagner-Kyora nennt die wichtigsten Lokalpolitiker der Braunschweiger SPD, den damaligen Oberstadtdirektor Lotz und seinen Nachfolger Weber sowie die SPD-Fraktion. Die erst seit 1959 amtierende Oberbürgermeisterin Martha Fuchs, die spätere Reizfgur für die Abrissgegner, habe die Entscheidung nicht machtpolitisch zu verantworten, sondern nur als Repräsentantin der Stadt vertreten müssen (S. 96). Die Braunschweiger SPD-Landtagsabgeordnete akzeptierten den Abriss-Kurs, ebenso der aus Braunschweig stammende Innenminister Otto Bennemann, bis Mai 1959 Braun- schweiger Oberbürgermeister. Der Braunschweiger Fall interessierte sogar den SPD-Par- teivorstand in Bonn, der vor einem Abriss mit dem Hinweis warnte, die SED betreibe zeitgleich die Sprengung der Ruine des Potsdamer Stadtschlosses.

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Kern der Abriss-Opposition war die lokale CDU-Fraktion, die Architektur-Profes- soren der TH mit F. W. Kraemer, der Unternehmer Richard Borek. Auffällig zurückge- halten in der Debatte habe sich die ehemalige Herzogin, Viktoria Luise (S. 67ff.) Im spannendsten Teil des Buches sucht Wagner-Kyora nach den Motiven der Abriss- befürworter. In den zeitgenössischen Quellen wird vor allem auf die fnanzielle Notlage verwiesen, der Bau von Wohnungen, Kindergärten, Schulen, des neuen Hauptbahnhofs stand auf der Prioritätenliste vorn. Doch für den Autor gibt es darüber hinaus tiefer liegende, nicht offengelegte, gleichwohl sehr wirkmächtige Motive für den Abriss. Da die Entscheidungsträger ihre eigentlichen Motive kaschieren wollten, gäbe es dafür keine schriftlichen Zeugnisse, bzw. in der hoch professionalisierten Schriftsprache allenfalls Andeutungen. Das aber ist für einen Historiker, der nach Quellenbelegen sucht, eine schwierige Situation. Angestrengt horcht der Autor nach Zwischentönen in den Schrift- stücken, neigt zuweilen zu ihrer Überinterpretation. Ergiebiger erweist sich für seine Fragestellung ein Interview, das er 2004 mit dem langjährigen Oberbürgermeister Bern- hard Ließ führte, der 1959/60 als junger SPD-Funktionär ein Wortführer des Abrisses war. Obwohl die Interpretation des geschichtspolitischen Hintergrundes des Abrisses einige überzogene Deutungen und manches Spekulative enthält, ist sie insgesamt plau- sibel. Sie lässt sich wie folgt wiedergeben: Für die Abrissstrategen war das Schloss mit negativen Geschichtsdeutungen aufgeladen. Schloss und Schlossplatz wurden in Ver- bindung gesehen mit dem SA-Aufmarsch 1931, den NS-Massenversammlungen 1933, der Bücherverbrennung, vor allem aber mit der SS-Junkerschule, die 1935 im Schloss eingerichtet wurde. Schloss und Schlossplatz waren für die SPD und für einen Teil der Braunschweiger Bevölkerung zu dem Schreckensort schlechthin geworden, sie waren irreversibel diskreditiert. Für sie bedeutete die Zerstörung des Schlosses im Krieg eine „zerstörerische Befreiung vom Nationalsozialismus“ (S. 139); die Beseitigung der Ruine war da nur konsequent. Verdrängt wurde in diesem sozialdemokratischen Geschichts- bild das Schloss als republikanischer Erinnerungsort, anknüpfend an die November- revolution und die vielfältige „demokratische“ Nutzung während der zwanziger Jahre. Die Erinnerung daran, so der Autor, hätte der SPD der fünfziger Jahre möglicherweise die Schloss-Rekonstruktion erleichtert. Der Wiederaufbau der Stadt wurde seitens der lokalen SPD vom Wiederaufbau des Schlosses entkoppelt. Zwar bekannte sie sich zu „Traditionsinseln“, aber zu ihnen gehörte nicht das Schloss. An seine Stelle sollte ein öffentlicher Park als Volkspark treten. Die Abriss-Gegner argumentierten vor allem kunsthistorisch, betonten den spezi- fschen Eigenwert des Schlosses, ohne die politikgeschichtlichen Bezüge zu bedenken. So mancher verankerte die symbolische Repräsentation seines „emphatisch übersteigerten Braunschweig-Seins in der Schlossruine“ (S. 113). Das Fazit des Autors: im Braunschweig der 50er Jahre gab es keinen geschichts- politischen Konsens; die Konfrontation gegeneinander gerichteter Sinndeutungen, wel- che die Gegensätze zweier verfeindeter politischer Lager wiederspiegelten, reichte bis in die zweite Wiederaufbau-Debatte seit 2002. Es war der ehemalige Oberbürgermeis- ter Glogowski, der als Vermittler zwischen den Lagern fungierte; ihm sei es gelungen, die SPD für den Wiederaufbau zu gewinnen aus der Erkenntnis heraus, die SPD nicht aus dem Prozess der Stiftung einer braunschweigischen Landesidentität auszuschließen (S. 181ff.) Die Schilderung dieser zweiten Wiederaufbau-Debatte erfolgt im letzten Drittel des Buches. Wagner-Kyora diskutiert das Handeln der Wiederaufbau-Befürworter und ihre Motive. Ausführlich geht er auf die Rolle der ‚Braunschweiger Zeitung‘ ein, de- ren Berichterstattung er als einseitige Lobbyarbeit für die Shopping-Mall charakterisiert

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(S. 174). Sein Hauptvorwurf: Das Einkaufszentrum mit Schlossfassade habe zu einer fast vollständigen Enthistorisierung des Erinnerungsortes Schloss geführt, Geschichte werde zu einer „gehobenen Spielart des Massenkonsums“ (S. 177). Gegenüber seinem Aufsatz hat er dieses harsche Urteil in der Buchpublikation relativiert: Das von der Mehrheit der Bevölkerung wohl akzeptierte Bauprojekt könne einen konsensstiftenden Platz im öffent- lichen Leben einnehmen. „Dazu gehört allerdings die Einsicht in seine Geschichte, nicht ihre Verdrängung“ (S. 11). Er sieht in dem zu errichtenden Schloss-Museum die Chance, den Gebäudekomplex doch noch zu einem produktiven Erinnerungsort zu machen, in dem braunschweigische Stadt- und Landesgeschichte aufgearbeitet werden kann. Dazu sei es notwendig, in dem Museum nicht nur die Geschichte der Welfen zu präsentieren, sondern auch und gerade die Revolutionstage 1918, die Weimarer Republik, die NS- Zeit, die unmittelbare Nachkriegszeit, die Abriss- und Wiederaufbau-Diskussion. Dieser Forderung möchte sich der Rezensent uneingeschränkt anschließen. Das Buch hat Stärken und Schwächen. Erstmals wird der jahrzehntelange Streit um den wichtigsten Braunschweiger Erinnerungsort zusammenhängend dargestellt. Der Autor arbeitet überzeugend heraus, dass der heftige Kampf um den Abriss der Schloss- ruine und den Wiederaufbau der Polarisierung zwischen Arbeiterbewegung und Bür- gertum geschuldet ist, die in Braunschweig besonders stark ausgeprägt war und die Geschichte der Stadt seit dem Kaiserreich prägte. Für die Abriss-Debatte der 1950er Jahre werden neu erschlossene, umfangreiche städtische Archivquellen ausgewertet. Sie hätten der Ergänzung durch Quellen aus dem Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfen- büttel bedurft. Die Auswertung der lokalen Presseorgane ist zu begrüßen, desgleichen die Interviews mit Zeitzeugen. Warum der Autor sie nicht auch mit den Abriss-Geg- nern und den Befürwortern eines Wiederaufbaus geführt hat, bleibt unerfndlich. Es fehlt übrigens ein Quellen- und Literaturverzeichnis. Die Stringenz der Argumentation leidet unter manchen Wiederholungen. Vor allem im Schlusskapitel macht sich ein unnötig komplizierter, zuweilen unverständlicher Sprachstil störend bemerkbar. Die Einordnung der Braunschweiger Schloss-Debatte in einen größeren, theoriegeleiteten Fragekontext öffnet den Blick für größere Zusammenhänge. Zuweilen aber werden die Vorgänge in Braunschweig zu sehr in das vorgegebene Interpretationskorsett gezwängt. In den letzten Kapiteln verfällt der Autor in unnötige Polemik und persönliche Verunglimpfungen, die zur Aufklärung nichts beitragen. Deshalb der Publikation den wissenschaftlichen Cha- rakter abzusprechen, geht mir zu weit. Die zugespitzten Thesen des Autors fordern zur Diskussion heraus. Sie ist leider bisher in Braunschweig ausgeblieben. Das ist schade, denn das Buch beschreibt nicht nur eine der faszinierendsten Auseinandersetzungen der Braunschweiger Zeitgeschichte, sondern auch einen Prozess, in dem der Wahrnehmung von Geschichte, in dem Geschichtsbildern und Geschichtspolitik ein hoher Stellenwert bei der Bildung einer Stadtidentität zukommt. Hans-Ulrich Ludewig

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Chronik des Braunschweigischen Geschichtsvereins

Oktober 2008 bis November 2009

von

Johannes Angel

1. Allgemeines

Die Mitgliederversammlung am 30. April 2009 im Roten Saal des Kulturinstituts Braunschweig (Schloss) wurde von 75 Mitgliedern und Gästen besucht. Der Vor- sitzende stellte die Beschlussfähigkeit fest und gedachte der seit der letzten Jahres- hauptversammlung verstorbenen Mitglieder. Er teilte mit, dass das Protokoll der Mitgliederversammlung vom 17. April 2008 mit dem Kassenbericht von 2007 zur Einsichtnahme ausliege. Dann informierte der Vorsitzende über die seit der letzten Mitgliederversamm- lung erschienenen Veröffentlichungen, über die Vorträge des Winterhalbjahres 2008/2009, über die Studienfahrten/Führungen des Sommerhalbjahres 2008 und über die geplanten Exkursionen des Sommerhalbjahres 2009. Der Schatzmeister Herr Köckeritz legte den Abschluss per 31. Dezember 2008 vor und erläuterte die Einnahmen und Ausgaben. Der Kassenbestand betrug am Jahresende 8328,70 €. Herr Dr. Albrecht berichtete dann über die Rechnungs- prüfung durch ihn und Herrn Dr. Siemers am 25. Februar 2009. Das Rechnungs- wesen sei mit der erforderlichen Sorgfalt geführt worden. Auf seinen Antrag wurde dem Vorstand einstimmig Entlastung erteilt. Die Vorstandsmitglieder enthielten sich der Stimme. Der Vorsitzende teilte mit, dass die Beisitzerin Dr. Gudrun Fiedler sowie die Bei- sitzer Dr. Manfred Garzmann, Dr. Hans-Ulrich Ludewig, Prof. Dr. Wolfgang Milde und Dr. Ulrich Schwarz aus dem Vorstand ausscheiden. Der Schatzmeister Sascha Köckeritz, der Geschäftsführer Johannes Angel sowie die Beisitzer Dr. Annette Boldt-Stülzebach, Dr. Hans-Henning Grote und Prof. Dr. Harmen Thies wurden wiedergewählt. Neu wurde als Beisitzer in den Vorstand Herr Dr. Christian Lippelt gewählt. Herr Dr. Manfred Garzmann wird aufgrund seiner besonderen Verdienste um den Verein als langjähriger Geschäftsführer, Leiter des Vortragsreferates und Beisitzer von der Mitgliederversammlung zum Ehrenmitglied ernannt. Unter dem Tagesordnungspunkt Verschiedenes berichtete der Vorsitzende 1) über die wissenschaftliche Erfassung der im Staatsarchiv Wolfenbüttel verwahr- ten mittelalterlichen Siegel des Klosters Walkenried als laufendes Projekt, 2) über die für den 26./27. November 2009 in Braunschweig geplante Tagung zur Landes-

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 342 Johannes Angel geschichte und 3) über den Workshop „Wir schreiben Geschichte“ mit dem Thema „Grenzerfahrungen. 20 Jahre Mauerfall“ Der Gesamtvorstand trat am 16. März und am 10. August 2009 zu Sitzungen zusammen. Die Mitgliederzahl betrug im Januar 542 Personen und Institutionen.

2. Veröffentlichungen

–Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte Band 89, 2008 Es umfasst 243 Seiten und enthält acht Aufsätze, vier kleinere Beiträge, die Bi- bliographie zur Braunschweigischen Landesgeschichte 2007, Rezensionen und Anzeigen und die Chronik des Vereins von Oktober 2007 bis November 2008. Die Herausgabe erfolgte erstmalig in Partnerschaft mit der Stiftung Braunschwei- gischer Kulturbesitz. –„Urkundenbuch des Klosters Walkenried Band 2 von 1301 bis 1500“, bear- beitet von Josef Dolle unter Benutzung von Vorarbeiten von Walter Baumann. Diese Veröffentlichung erschien als Band 45 der Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte und als Band 241 der Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen.

3. Vorträge

Donnerstag, 23. Oktober 2008 Dr. Manfred Garzmann, Braunschweig: „Otto Bennemann“

Donnerstag, 27. November 2008 Dr. Hans-Ulrich Ludewig, Braunschweig: „Die Novemberrevolution in Braun- schweig“

Donnerstag, 29. Januar 2009 Dr. Holger Berwinkel, Berlin: „Herzog Heinrich der Löwe als Feldherr“

Donnerstag, 19. Februar 2009 Prof. Dr. Jochen Luckhardt, Braunschweig: „Die Rückkehr des Herzogs. Die Bronze- statuette des Herzogs Heinrich Julius von Adrian de Vries“

Donnerstag, 19. März 2009 Dr. Michael Geschwinde, Braunschweig: „Ergebnisse der Schlossgrabung“

Donnerstag, 30. April 2009 (mit Jahreshauptversammlung von 19:30 bis 20:30 Uhr) Dr. Brage Bei der Wieden, Wolfenbüttel: „Aspekte der historischen Schwanen- forschung“

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4. Studienfahrten/Führungen

Sonnabend, 18. April 2009 Stadtrundgang zur Novemberrevolution 1918/19 Unter Leitung von Herrn Dr. Hans-Ulrich Ludewig wurden die wichtigsten, im Stadtzentrum gelegenen, Schauplätze dieser Revolution aufgesucht, um „vor Ort“ der erregten Atmosphäre dieser Wochen nachzuspüren.

Freitag, 24. April 2009 Tagesfahrt „Bergarchiv Clausthal-Zellerfeld, Lehrbergwerk Grube Roter Bär/Sil- berbergwerk Grube Samson; St. Andreasberg“ Führung: Herr Bergoberrat Lampe, Herr Dr. Ließmann, Herr Dr. Lippelt Zunächst wurde das Bergarchiv in Clausthal-Zellerfeld besucht, das seit 1999 in einem von dem renommierten Architekten Meinhard von Gerkan errichteten Neu- bau untergebracht ist. Die Bestände des Bergarchivs umfassen rund 4km Akten und reichen in der Hauptsache bis 1524 zurück. In Sankt Andreasberg bestanden nach einer gemeinsamen Einführung zur Montangeschichte zwei alternative Möglich- keiten, sich dem Thema Sankt Andreasberg über- und untertage zu nähern: 1. Be- such des historischen Silberbergwerks Grube Samson (1521–1910 in Betrieb) samt Bergwerksmuseum mit Mineraliensammlung und Harzer Roller-Kanarien-Museum. 2. Begehung des ehrenamtlich betriebenen Lehrbergwerks „Grube Roter Bär“ und Befahrung der historischen Bergwerke: „Grube Roter Bär“ (Eigenlehnerbergbau auf Brauneisenerz 1800–1850) und „Grube Wennsglückt“ (Silberbergbau aus dem 16. Jh. und von 1690 bis etwa 1760).

Sonnabend, 09. Mai 2009 Tagesfahrt „Alfeld und die Eisenbahn: Von Ackerbürgern und Industriearbeitern“, Industrieentwicklung in Südniedersachsen Leitung: Herr Krueger Nach einer Einführung in die Geschichte Alfelds im Stadtmuseum wurden auf einem Rundgang durch die Stadt u.a. die Nicolai-Kirche, das gotische Rathaus, der Marktplatz u.a. besichtigt. Besucht wurden auch das Bahnhofsterritorium unter dem Aspekt der „Spuren der Industrieentwicklung Alfelds“ und der Gropiusbau des Fagus-Werkes mit Führung.

Sonnabend, 16. Mai 2009 Tagesfahrt „Harly-Burg und Kloster Wöltingerode“ Leitung: Herr Prof. Dr. Meibeyer, Herr Dr. Grote Vom Parkplatz an der Oker am Fuße des Harliberges wurde zum Burgplatz hin- aufgewandert. Dort wurden die Wallanlagen (ehemalige Reichsfeste Ottos IV.) erkundet und die historischen Umstände ebenso wie die geologisch-morphologi- schen Verhältnisse vor Ort dargestellt. Nachmittags stand das ehemalige Kloster in Wöltingerode auf dem Programm. Im Jahre 1174 als Benediktinerkloster durch die Grafen von Wöltingerode auf ihrem Stammsitz gegründet, wurde es vor 1188 in ein

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Zisterzienserinnenkloster umgewandelt. Im 13. Jahrhundert, in der Zeit Ottos IV., gelang das Kloster durch sein Scriptorium zu überregionaler Bedeutung. Nach einem Brand im Jahr 1676 ist nur noch die ehemalige Klosterkirche der Zisterzienserinnen erhalten geblieben. Besonders sehenswert ist die Vorkirche mit einem hallenartigen Raum unter der Nonnenempore aus dem frühen 13. Jahrhundert. Die Pfeilerkapi- telle dieses Hallenraumes tragen mittelrheinische Merkmale und offenbaren damit enge Beziehungen zu den Bauhütten des Magdeburger Doms und der Goslarer Neu- werkskirche.

Sonnabend, 13. Juni 2009 Tagesfahrt „Auf den Spuren der Römer in Südniedersachsen“ Leitung: Herr Dr. Lent Militärische Eroberungs- bzw. Erkundungsvorstöße der Römer hinterließen auch sensationelle Spuren in Südniedersachsen. Zunächst wurde ein erst im vorigen Jahr entdecktes Areal eines Gefechtes zwischen Römern und Germanen beim „Harz- horn“ südöstlich Gandersheim aus dem 3. Jh. n. Chr. begangen, danach im Archä- ologischen Institut der Universität Göttingen die bedeutende Sammlung original- getreuer Abgüsse von rund 2.000 antiken Statuen besichtigt. Nachmittags ging die Fahrt entlang am 1945 errichteten Heimkehrerlager Friedland ins Werratal nach Hedemünden. Dort wurde vor 6 Jahren auf einer bewaldeten Bergkuppe oberhalb der Werra ein großes römisches Militärlager aus der Zeit um Christi Geburt ent- deckt und archäologisch ergraben. Dieser Lagerkomplex diente – als Stand-, Ver- sorgungs- und Marschlager – als Zwischenstation für die römischen Eroberungszüge in der Zeitspanne von 30 vor bis 30 n. Chr. ins nördliche Germanien und wurde vermutlich vom Feldherrn Drusus bei seinem Vorstoß an die Elbe im Jahre 9 v. Chr. errichtet.

Donnerstag, 18. Juni 2009 Führung „Niedersächsisches Landesarchiv – Staatsarchiv Wolfenbüttel“ Aufgrund der großen Nachfrage im Jahre 2008 bot der Geschichtsverein einen weiteren Führungstermin im Staatsarchiv Wolfenbüttel an. Anhand ausgewählter Archivalien zur Geschichte Kaiser Ottos IV. gab der Direktor des Hauses, Herr Dr. Brage Bei der Wieden, vielfältige Einblicke in die Arbeit des Archivs und so auch einen Blick hinter die Kulissen des Lesesaals.

Sonnabend, 15. August 2009 Tagesfahrt „Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover und Hannover Herren- hausen“ Leitung und Führung: Herr Dr. Grote Zunächst wurde das Niedersächsische Hauptstaatsarchiv Hannover besucht, das heute vor allem für die obersten Landesbehörden und die zentralen Fachbehörden im Land Niedersachsen zuständig ist. Herr Archivdirektor Dr. Manfred von Bötti- cher führte durch das zwischen 1713 und 1725 errichtete Archivgebäude und gab Einblick in besonders kostbare Archivalien und die Arbeit des Niedersächsischen

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Hauptstaatsarchivs. Der Nachmittag war der ehemaligen Sommerresidenz der ehe- maligen calenbergischen Herzöge und späteren Kurfürsten von Hannover gewidmet. Zentrum der weitläufgen Anlage stellte das 1943 durch Bomben zerstörte „Maison de Plaisance“, das Lustschloss, dar, das zukünftig wieder errichtet werden soll. Seit- lich des Schlosses entstand zwischen 1694 und 1698 das sogenannte Galeriegebäu- de, das mit einem prächtigen Saal und den kurfürstlichen Appartements mit reicher Freskendekoration versehen ist. Nach Besichtigung des Galeriegebäudes wurde der „Große Garten“ erwandert. Dieser dem Schloss vorgelagerte, im französisch-nieder- ländischen Stil zwischen 1696 und 1714 angelegte Garten stellt eines der besten Beispiele seiner Art in Deutschland dar. Den Abschluss bildete eine Besichtigung des Fürstenhaus-Museums Herrenhausen.

Sonnabend, 26. September 2009 Tagesfahrt nach Detmold – Die Nachwirkungen der römischen Expansion nach Germanien. Leitung und Führung: Herr Dr. Lippelt, Herr Dr. Matthes Anknüpfend an die Studienfahrt „Auf den Spuren der Römer in Südniedersach- sen“ stand das Nachleben des römischen Engagements in Germanien im Fokus. Nach dem Besuch des durch Hermann Bandel zwischen 1838 und 1875 errichte- ten Hermannsdenkmals schloss sich der Besuch der Ausstellung „Mythos“ – einem Teil des Ausstellungsprojektes „Imperium Konfikt Mythos“ – an, in deren Mittel- punkt sowohl Arminius und die Germanen wie auch der Mythos Varusschlacht und seine Wirkungsgeschichte standen. Den Abschluss bildete ein von Herrn Dr. Die- ter Matthes geführter Besuch der Externsteine, einem monumentalen Natur- und Kulturdenkmal, das nicht nur aufgrund seiner Steinreliefs bis heute Raum für viele Fragen und Spekulationen bietet. In Vorbereitung dieser Fahrt bot Herr Dr. Matthes am 17. September einen Licht- bildervortrag über die Externsteine an.

Donnerstag, 15. Oktober 2009 Tagesfahrt nach Leipzig – Leipzig als Zentrum der modernen Wissenschaften Leitung und Führung: Frau Dr. Berwinkel, Herr Dr. Steinführer, Herr Prof. Dr. Döring Die Stadt Leipzig beging mit dem 600. Jahrestag der Gründung ihrer Universität ein denkwürdiges Jubiläum. Die Einrichtung des Leipziger Studiums steht in engem Zusammenhang mit dem Auszug der deutschen Nationen aus der Prager Universität infolge des Kuttenberger Dekrets. Die am 2. Dezember 1409 feierlich im Refekto- rium des Thomasstiftes eröffnete Hohe Schule ist heute nach Heidelberg die zweit- älteste deutsche Universität, die ohne Unterbrechung bestanden hat. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum Jubiläum veranstaltete die Universität gemeinsam mit dem Freistaat Sachsen und der Stadt Leipzig eine Landesausstellung: „Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften“, die insbesondere dem Zeitalter der Aufklärung gewidmet war.

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Unter den Studenten der Universität lassen sich über die Jahrhunderte hinweg zahl- reiche Braunschweiger nachweisen. Im Rahmen der Exkursion gab es eine Führung durch die Ausstellung durch einen der Kuratoren, Prof. Dr. Thomas Döring, einen Rundgang durch die Innenstadt durch Dr. Roxane Berwinkel und Dr. Henning Steinführer und einen Besuch der Bibliotheca Albertina, wo wertvollste Handschrif- ten gezeigt und erläutert wurden. Diese Studienfahrt fand in Zusammenarbeit mit der Lessing-Akademie Wolfen- büttel statt.

Sonnabend, 24. Oktober 2009 und Sonntag, 25. Oktober 2009 Besuch der Niedersächsischen Landesausstellung „Otto IV. – Traum vom welf- schen Kaisertum“ Führung: Herr Dr. Derda Ausgangs- und Höhepunkt des Braunschweiger „Kaiserjahres 2009“ war die Nieder- sächsische Landesausstellung des Braunschweigischen Landesmuseums, die den „vergessenen Kaiser“ Otto IV. im Kontext der europäischen und deutschen Ge- schichte umfassend darstellte und würdigte und uns durch den Projektleiter und stell- vertretenden Direktor des Landesmuseums, Herrn Dr. Derda, präsentiert wurde.

Mittwoch, 04. November 2009 Tagesfahrt nach Magdeburg aus Anlass des 800. Jahrestages der Grundsteinlegung des Magdeburger Domes Leitung und Führungen: Herr Dr. Lippelt, Herr Dr. Grote, Herr Prof. Dr. Puhle Vormittags erfolgte der Besuch der Ausstellung „Aufbruch in die Gotik. Der Mag- deburger Dom und die späte Stauferzeit“. In einer Führung durch Herrn Prof. Dr. Matthias Puhle wurde eine Ausstellung präsentiert, die nicht nur den „europäischen Kulturtransfer in Architektur, Kunst und Kultur“ thematisierte, sondern erstmals auch die „Ergebnisse der langjährigen archäologischen Forschungsgrabung im Mag- deburger Dom“ vorstellte. Nachmittags führte der Weg zum ehemals erzbischöfichen Dom St. Mauritius und St. Katharina. Schwerpunkte der Besichtigungsroute waren Betrachtungen des Äußeren und Inneren des Kathedralchores sowie Querhauses und ihrer Bauplastik mit Einfüssen vom Ober- und Mittelrhein, vom Bamberger Dom und Zisterzienser- kloster in Maulbronn. Darüber hinaus wurde der sogenannte Bischofsgang, der obe- re Chorumgang, mit seiner frühgotischen Architektur besichtigt. Dann schloss sich ein Rundgang durch die ehemalige Prämonstratenser-Klosterkirche Unser Lieben Frauen an, deren Einwölbung deutlich Wirkungen der Bauphasen des Magdeburger Kathedralchores widerspiegelt.

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Verstorbene Mitglieder deren Namen seit dem Erscheinen des letzten Jahrbuchs 2008 der Redaktion bekannt wurden

Herr Frank Beier, Semmenstedt Frau Evamaria Cordes, Braunschweig Herr Dr. Ulrich Falkenroth, Braunschweig Herr Hermann Gräfe, Wolfsburg Herr Walter Hinz, Evessen Frau Theodore Thiel, Wolfenbüttel Herr Dr.-Ing. Claus Wiechmann, Braunschweig

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 Wir sammeln Lebensgeschichten aus dem Braunschweiger Land. Eine Initiative des Braunschweigischen Geschichtsvereins

Bericht zur Auftaktveranstaltung

von

Roxane Berwinkel

Am 24. Juni 2009 lud der Braunschweigische Geschichtsverein zu einer Veranstal- tung ein, die den Anstoß geben soll zu einem Projekt, das maßgeblich initiiert durch das Staatsarchiv Wolfenbüttel, Mitglieder und Interessierte anregen will, ihre Erin- nerungen und Erlebnisse aufzuschreiben und damit ein Stück ihrer Lebensgeschichte der Nachwelt zu überliefern. Angekündigt wurde dieser Termin dann auch mit dem Aufruf: „Wir schreiben Geschichte“ als Auftaktveranstaltung zum Aufbau eines Le- bensgeschichtlichen Archivs für das Land Braunschweig. Als thematischen Einstieg wählten die Initiatoren anlässlich des Jubiläumsjahres 1989 „20 Jahre Mauerfall und Deutsche Einheit“. Etwa 25 Mitglieder und Interessierte waren in den Roten Saal des Kulturinstituts in Braunschweig gekommen, um gemeinsam mit geladenen Gäs- ten über dieses Vorhaben und seine inhaltlichen Schwerpunkte zu diskutieren. Zunächst ging es darum, die Projektidee zu entwickeln und darzulegen. Nach einer Einführung durch den Vorsitzenden des Braunschweigischen Geschichts- vereins Herrn Dr. Bei der Wieden (Staatsarchiv Wolfenbüttel) stellte Herr Prof. Dr. Steinbach (Lehrstuhl für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der TU Braun- schweig) als zukünftiger Kooperationspartner des Geschichtsvereins als Träger des Lebensgeschichtlichen Archivs sein von den Stiftungen Braunschweigischer Kultur- besitz und NORD/LB-Öffentliche gefördertes Forschungsprojekt: „Geteilte Erin- nerung“. Grenzerfahrungen zwischen Harz und Heide, vor. Auf der Grundlage von Zeitzeugenbefragungen entlang der deutsch-deutschen Grenze sollen „kollektive und individuelle Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte“ erfasst und die Gren- ze als „Erinnerungsort“ thematisiert und analysiert werden. Dabei machte Steinbach deutlich, dass gerade diese sehr persönlichen und individuellen Erinnerungen für die kultur- und sozialwissenschaftlich ausgerichtete Forschung einen überaus großen Quellenwert besitzen. An dieser Stelle schloss Frau Dr. Berwinkel (Staatsarchiv Wolfenbüttel) an, die Idee und Konzeption des Projekts Lebensgeschichtliches Archiv zusammenfassend vorstellte. Geschichte ist kein Abstraktum, sie vollzieht sich nicht im nirgendwo, sondern sie ist ein Prozess in dem sich jeder einzelne wiederfndet. Geschichte erhält ihr Gesicht gerade erst durch die jeweils individuelle und persönliche Erinnerung. Der Verein, so Berwinkel, möchte seine Mitglieder motivieren, zu schreiben und ihre Erinnerungen zunächst zum Thema deutsch-deutsche Grenze zu Papier zu bringen.

https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202007241336-0 350 Roxane Berwinkel

Das Staatsarchiv Wolfenbüttel würde die so entstandenen „Lebensgeschichten“ in einem eigenen Bestand verwahren und fachkundig betreuen. Den Initiatoren aus dem Staatsarchiv ist es vor allem wichtig, nicht allein das Schriftgut von Behör- den, sondern auch Zeugnisse über die Lebenswirklichkeit in unserer Region als historische Quellen zu überliefern und zu erschließen. Eindringlich warb Berwinkel bei den Teilnehmern, die eigenen Erfahrungen und Erlebnisse nicht einfach ver- loren gehen zu lassen, sondern sie zu verschriftlichen und so den Nachgeborenen zugänglich zu machen. Die relativ enge thematische Verzahnung mit dem Projekt des Lehrstuhls Geschichtsdidaktik an der TU Braunschweig bietet darüber hinaus die Möglichkeit, Synergieeffekte zielgerichtet zu nutzen. Das Lebensgeschichtliche Archiv des Braunschweigischen Geschichtsvereins wäre damit zugleich eingebunden in die aktuelle Forschung in unserer Region. Langfristig ständen damit unmittelbar Quellen für die wissenschaftliche Auswertung zur Verfügung, auch der direkte Kon- takt zu den Autoren als potentielle Zeitzeugen könnte rasch und unproblematisch vermittelt werden – die Erarbeitung entsprechender Richtlinien und Kooperations- vereinbarungen zwischen beiden Projekte ist geplant. Das Jahr 1989 war ein Epochenjahr, doch das Leben mit der deutsch-deutschen Grenze vollzog sich über vier Jahrzehnte und hat das Leben der Menschen in unserer Region geprägt. Dies zeigte nicht zuletzt die bewegende Geschichte von Herrn Prof. Dr. Schildt, der über sein Fortgehen aus der DDR und seine ersten Erlebnisse in der Bundesrepublik sprach. Aber auch die Teilnehmer unserer Auftaktveranstaltung be- teiligten sich rege und hatten Spannendes zu erzählen, etwa über den Versuch einer Städtepartnerschaft zwischen Ost und West oder dem Braunkohletagebau diesseits und jenseits der Grenze im Raum Helmstedt. Die Veranstalter konnten sich über ein positives Echo freuen. So wurde unter anderem angeregt, mit der gerade entwickel- ten Projektidee möglichst bald an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber auch das von der TU initiierte Forschungsprojekt rief großes Interesse hervor. Viele Teilnehmer erklärten sich spontan bereit, für Befragungen zur Verfügung zu stehen. Am 24. Juni 2009 haben wir einen Anfang gemacht. Ein engagierter Interes- sentenkreis hat sich zusammengefunden. Der Mauerfall wird das erste Thema für die „Lebensgeschichten“ aus unserer Region sein, weitere Themen sollen folgen. Bereits am 10. September wird es weitergehen. Dann lädt der Braunschweigische Geschichtsverein zu einem Autorenworkshop ins Staatsarchiv Wolfenbüttel ein. Zunächst aber möchten wir an dieser Stelle allen Teilnehmern und Gästen un- serer Auftaktveranstaltung für ihr Kommen, ihr Interesse und ihre rege Beteiligung ganz herzlich danken.

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