50

Die Geschichtswerkstatt Gallus berichtet Historisches und Aktuelles

Ausgabe: Februar 2017

Blicke übern Tellerrand 1 Das Heidenschloss im Griesheimer Wald

Meist werden die Waldungen südlich der Nidda, östlich von Nied, als Niedwald bezeichnet. Dies ist jedoch nicht ganz korrekt, da ein kleiner Teil im Osten zu Griesheim gehört. Hier gibt es einen Bereich, der auf alten Landkarten als ‚Heidenschloss’ bezeichnet wird. Bei dieser Beschreibung denkt man an einen geheimnisvollen mystischen Ort. Realistisch betrachtet lässt die Bezeichnung ähnlich wie andere überlieferte Begriffe (z.B. Heidenmauer, Heidenfeld, Heidenschanze, Heidenrain) darauf schließen, dass es sich um einen Ort aus vorchristlicher Zeit handelt. Der Name Schloss bezeichnet ein größeres Gebäude.

1870 Canalbaukarte, Ausschnitt ISG

Ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts beginnt man sich für die Hinterlassenschaften vorchristlicher Kulturen – besonders der Römer - zu interessieren. Beim Bau von Straßen, Häusern und später der Eisenbahn werden im Frankfurter Westen viele Artefakte entdeckt, die auf ehemalige römische Besiedlung hinweisen. Bei der Errichtung eines neuen Hofes auf dem Rebstöcker Feld findet man 1810 einen römischen Sarg aus Sandstein mit einem Skelett – so erhält dieser Hof den Namen Römerhof. Während der Arbeiten an einem Vicinalweg1 zwischen Nied und Rödelheim (heute: Oeserstraße) werden 1834 an einer Stelle, die ‚das Heidenschloß’ genannt wird, Gebäudereste durchschnitten und viele römische Ziegel gefunden. 1892 untersucht Professor Dr. Georg Wolff in einer neuntägigen Grabung das Heidenschloss und nimmt Vermessungen vor.

1 auch Vizinalweg, meint einen Nebenweg

Er stellt fest, dass der Weg „hier eine auf drei Seiten von einem alten Fluthbette begrenzte Sanddüne“ durchschneidet. „An beiden Seiten des Weges macht sich dieselbe durch sanft ansteigende und sich dann wieder senkende, ca. 1 ½ m hohe Böschungen bemerklich.“2

Abb. aus: Beilage zu Wolff (1900)

Seine Ergebnisse fasst Georg Wolff wie folgt zusammen: „Das Ergebniss der Nachgrabungen war folgendes: Quer über die Sanddüne lagen mit der Längsrichtung von SW. nach NO. die bis auf die untersten Lagen des grobkörnigen Mörtelbettes, bzw. Gussfundaments, ausgebrochenen Mauerreste eines länglich viereckigen Bauwerks von 31:25m (außen gemessen), mit 1,10-1,20 m breiten Fundamentgräben. Von den Schmalseiten war auf beiden Seiten die Mitte auf die Hälfte der Gesamtbreite durch den 9-10 m breiten, bis in die Tiefe der Fundamentsohlen eingeschnittenen Weg zerstört, so dass ein Vorhandensein von Eingängen hier nicht festzustellen war. Von den Langseiten war die südliche (genau: süd-süd-östliche) ununterbrochen, auch in der Mitte, vorhanden; die Südostecke zeigte sich mit einem Radius von 5 ½ m abgerundet, während die Nordwest- und Nordostecke rechtwinkelig waren. (...) Die nördliche Langseite war in der Mitte auf 8 m unterbrochen, an den Enden der beiden Mauerstücke setzten sich rechtwinkelig zwei gleich starke Quermauern an, die beide auf 6, bezw. 6,50 m bis zur Böschung des Weges verfolgt werden konnten.“ Die Vermessungen machen deutlich, dass die heutige Oeserstraße nicht den Verlauf einer ehemaligen Römerstraße wiedergibt, da diese sich nördlich der Einfahrt zum ‚Heidenschloss’ befunden haben muss. Bei der Sichtung der Fundstücke stellt Professor Wolff fest, dass es sich bei den ausgegrabenen Gefäßresten im Vergleich zu den Funden in Nied um minderwertigeres Material handelt. Auch die Ziegel zeigen eine „rohe Ausführung“. In der Südostecke der Anlage, die Brandschutt enthält, entdeckt Professor Wolff Gefäßreste von besserer Qualität. Er vermutet, dass sich „an dieser Stelle ein älteres, sehr einfaches und kleines Bauwerk befand.“ „Dass das Bauwerk aber militärischen Charakter hatte, dafür sprechen folgende Umstände: 1) Die Lage auf der sterilen Sanddüne zwischen Sümpfen, während ringsum fruchtbares Feld liegt, auf dem sich zahlreiche Spuren römischen Anbaues gefunden haben. 2) Die verhältnissmässig große Ausdehnung des Bauwerks bei gänzlichem Mangel an massiven Innenmauern und Keller- bzw.

2 Diese und die folgenden Zitate sind entnommen aus: Wolff, Georg: Die römische Strasse von nach Nied und das Heidenschloss; aus: Verein für Geschichte und Alterthumskunde zu am Main: Mittheilungen über römische Funde in Heddernheim III, Frankfurt 1900

2

Heizräumen. 3) Die Technik des erhaltenen Mauerwerks. Ein Stück Kalkverputz, welches durch scharf und tief eingerissene Fugen mit roter Farbe in der dicken Kalklage offenbar eine regelmässige Quaderung imitiren sollte, entspricht der gleichen Erscheinung bei den Thürmen des Taunuslimes und mancher Castelle. 4) Der auffallende Mangel an Gebrauchsgegenständen gegenüber der Menge Ziegelreste. Für Spätzeitigkeit der Anlage spricht zunächst die Beschaffenheit der Ziegel und der Mangel an Stempeln; beide Umstände erklären sich bei der Nähe der Nieder Militär-Ziegeleien nur dann, wenn man annimmt, dass diese zur Zeit der Anlage als solche bereits aufgegeben waren.“ „Auch die Thatsache dürfte für die Chronologie der Anlage in Betracht kommen, dass das Steinmaterial den Basaltbrüchen bei Bockenheim, östlich der Fundstätte, entnommen ist, während die frühzeitigen Bauwerke bei Nied, auch die dortige Strasse, aus Süsswasserkalksteinen von Flörsheim am Untermain gebaut sind. Endlich entspricht die nachlässige Herstellung des Baumaterials, besonders des Mörtels, nicht den sonst beobachteten Gepflogenheiten in der ersten Zeit der Okkupation und des gesicherten Besitzes des Maingebietes.“ „Unter Berücksichtigung aller dieser Thatsachen komme ich zu dem Schlusse, dass das Bauwerk aus der letzten Zeit der bereits durch Angriffe der Germanen wieder bedrohten römischen Herrschaft stammt und den Zweck hatte, die wichtige Strassenkreuzung Hedderheim-Schwanheim-Gernsheim und Bergen-Nied-Höchst-Mainz vor der gänzlichen Räumung des Maingebietes zu decken.“

Rekonstruktionszeichnung Sammlung von Wilhelm Schmidt im HGV Nied

„Für diesen Zweck war die Lage auf der von Flutgräben umgebenen Sanddüne ebenso geeignet, wie sie für ein nach den dargestellten Massen doch stattliches Wohnhaus, etwa den Hauptbau eines Gutshofes, ungeeignet gewesen wäre. Dem üblichen Kastellschema entspricht die Anlage freilich nicht. Es fehlen (abgesehen von einer) die abgerundeten Ecken und die Gräben. Freilich könnte man bezüglich der letzteren darauf hinweisen, dass sie wegen der Fluthgräben überflüssig waren und dass die Anlegung der üblichen trockenen Spitzgräben durch die Beschaffenheit des Bodens und besonders das hochstehende Grundwasser erschwert wurde. Aber die Beschaffenheit der ganzen Anlage, insbesondere der Eingangsseite, lässt dieselbe mehr für die vorübergehende Aufnahme bedrohter Transporte als für den dauernden Aufenthalt einer kleinen Truppenabteilung geeignet erscheinen.“ Nach dieser Untersuchung von Georg Wolff gerät das Heidenschloss wieder in Vergessenheit. Das Schützenhaus wird Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut, dient Jahrzehnte als beliebte Ausflugsstätte. Nachdem es abgerissen wurde, entsteht auf dem Gelände das Ramada-Hotel. Diese weitere Zerstörung des Bodendenkmals geschieht wohl ohne Wissen des Denkmalamtes. Nur ein kleiner Teil der Ruine befindet sich noch gegenüber auf der südlichen Seite der Oeserstraße. Zwischendurch gab und gibt es immer auch mal wieder Menschen, die dieser Ort besonders anzieht.

3

„Wollen wir nicht einmal das s[o] g[enannte] Heidenschloß, aufschließen es wird so viel abenteuerliches davon erzählt und graben kann man. hier zu jeder Zeit ?“ so schrieb der Geometer Jost aus Griesheim im Jahre 1858 an Dr. Rossel vom Alterthumsverein in Wiesbaden. (Kubon 2011, S.84) Zwar bestand bei Herrn Jost und Herrn Rossel ein wissenschaftliches und fachkundiges Interesse an der Sache und damit verbundene Absicht die Funde gewissenhaft zu dokumentieren, aber das, was damals gesammelt wurde, ist in vielen Fällen verloren gegangen. Denn auch Bevölkerung und Bauarbeiter waren aufgefordert, nach Relikten der Vergangenheit Ausschau zu halten. Diese Funde wurden dann z.B. beim Höchster Alterthumsverein abgegeben. Vieles wurde ins Museum Wiesbaden oder an den Wiesbadener Verein für Nassauische Geschichte und Alterthumsforschung weitergeleitet, da Nied, Griesheim und Höchst damals zu Nassau und nicht zu Frankfurt gehörten. Die Funde beim Bau der Eisenbahn mussten dem Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin übersandt werden. Ein Teil der Funde verblieb auch in Höchst zum Bestücken eines Museums. Dieses musste nach dem II. Weltkrieg eilig geräumt werden, da die Amerikaner in das Höchster Schloss einzogen; Zeit, Objekt und Fundbeschreibung sachgemäß zu kennzeichnen, blieb keine Möglichkeit. Ein nicht geringer Teil wanderte aber auch in private Sammlungen und wurde nach dem Tod des Sammlers versteigert. Das Wissen über die genauen Fundorte oder gar ein Zusammenhang mit anderen Stücken wurde nicht dokumentiert und ging verloren.

Leider (oder zum Glück) sind diese Zeiten vorbei, wo man auf einem Gelände ungestraft und ungestört graben kann. Heute gibt es sehr strenge Vorschriften und Gesetze, um die sogenannte ‚Schatzgräberei’ zu verhindern. Und den Denkmalämtern fehlt es an Personal und Zeit, sich der Bodendenkmäler anzunehmen. So betont Frau Dr. Hampel, die Leiterin des Frankfurter Denkmalamtes, immer wieder, dass ihr Amt nur in den Notfällen eingreifen kann, wenn ein Areal neu bebaut werden soll. Aber auch Veränderungen in der Landschaft in den vergangenen 150 Jahren machen es meist unmöglich, noch Spuren dessen aufzufinden, was Herr Jost und andere Erkunder der Römerzeit in unserer Gegend einst fanden.

Quellen: Hammeran, A.: Urgeschichte von Frankfurt a.M. und der Taunusgegend, Frankfurt 1882 Kubon, Rolf: Forschung und Fundstellen der römischen Zeit in Ffm.-Höchst/Nied und Umgebung, unveröffentliches Manuskript im Geschichtsverein Nied, Frankfurt 2003 Kubon, Rolf: Forschungen zum römischen Höchst, Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt 2011 (Schriften des Archäologischen Museums Frankfurt; Bd. 23/1) Sammlung Wilhelm Schmidt im Geschichtsverein Nied (unveröffentlicht) Traband, Norbert: Das Heidenschloss im Nieder/Griesheimer Wald, Frankfurt 2004 (unveröffentlicht) Traband, Norbert: Als es Nied schon einmal gab; Teil 2 – Das Heidenschloss im Nieder/Griesheimer Wald, Frankfurt 2015 Wolff, Georg: Die römische Strasse von Heddernheim nach Nied und das Heidenschloss; aus: Verein für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt am Main: Mittheilungen über römische Funde in Heddernheim III, Frankfurt 1900 . Wolff, Georg: Die südliche Wetterau in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, Frankfurt 1912

Hanne Emrich

Herausgeber: Geschichtswerkstatt Gallus, Frankenallee 166, 60326 Frankfurt. V.i.S.d.P. sind die jeweiligen Verfasser der namentlich gezeichneten Artikel. Leseranfragen: E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] Der Druck des „INFOS“ wird vom Caritas Quartiersmanagement im Programm „Aktive Nachbarschaft“, der Druckerei „bueroundCopy.de“ und vom Autohaus Gruber GmbH unterstützt.

4