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Portrait Der Kampf geht weiter

Nina Scheer ist zum ersten Mal in den eingezogen. Sie gilt beim Thema Energiewende als neue Hoffnung der SPD.

Von Tim Altegör

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uf Nina Scheers Homepage läuft kompatibel zu machen, und zwar über die Atomkraft und CO2-Emissionen. Auch die A Bach. Das Violinen-Stück hat die Rahmenbedingungen. Wenn im Wettbe- Gründung der Internationalen Organisati- neu in den Bundestag gewählte SPD-Po- werb immer der bevorteilt ist, der nicht auf on für Erneuerbare Energien IRENA geht litikerin selbst eingespielt. Musik und Po- Umweltstandards achtet, dann ist man eben auf sein Engagement zurück. Dafür wurde litik – eine eher untypische Kombina­ darauf angewiesen, dass die­se Standards er vielfach ausgezeichnet, unter anderem tion. Bei Scheer schlagen schon früh zwei verbindlich gesetzt werden. Sonst haben mit dem Alternativen Nobelpreis. Herzen in einer Brust. Nach der Schul- häufig die den Nachteil, die das Gemein- Wenn man Nina Scheer auf ihren Va- zeit in Bonn studiert sie zunächst an der schaftsprojekt voranbringen wollen oder ter anspricht, kann sie lange von seinen Folkwang-Hochschule in Violine die sich nachhaltig und Generationen-ver- Leistungen und seinem Einsatz schwär- und arbeitet danach einige Jahre als freie antwortlich verhalten.“ 2008 reicht sie zu- men: „Egal wo ich hinkomme, treffe ich Musikerin. Währenddessen absolviert sie dem ihre Doktorarbeit zum Thema „Welt- auf Menschen, die sagen, er ganz persön- ein zweites Studium, Jura, in Bonn. „Ich handelsfreiheit vor Umweltschutz?“ ein. lich, seine Anwesenheit hier vor Ort hat et- habe mich einerseits sehr stark über das Vor allem aber hat sich die Expertin für was bewirkt, uns Antrieb gegeben. Ganz Musizieren definiert, weil das in meiner Ju- nachhaltiges Wirtschaften einen Namen unabhängig davon, Tochter zu sein, nehme gend großen Raum eingenommen hat. Als als Verfechterin erneuerbarer Energien ge- ich , ich sage jetzt bewusst es aber darum ging, eine berufliche Iden- macht. Ihr 2012 veröffentlichtes Buch trägt ‚Hermann Scheer‘ und nicht ‚mein Vater‘, tität zu entwickeln, habe ich auch sehr den Titel „Energiewende Fortsetzen. Rege- als eine Person wahr, die Großartiges be- deutlich gespürt, dass mich die Musik al- nerative Vollversorgung vor dem Durch- wegt hat, mit einem vielleicht heute noch lein nicht ausfüllt“, erklärt sie. Es liege ihr, bruch“. Ein Stück weit wurde ihr diese Be- unschätzbaren Wert für nachfolgende Ge- Verantwortung zu übernehmen, gestalten geisterung wohl schon in die Wiege gelegt: nerationen.“ Nina Scheer ist die Tochter Mit Vorbildern tut sich Scheer, selbst von Hermann Scheer und Mutter einer bald zehnjährigen Tochter, Ich finde es wichtig, Wirtschaft Irm Scheer-Pontenagel, den aber dennoch schwer, in Politik wie Mu- umweltkompatibel zu machen.“ Mitbegründern und prä- sik. Entscheidend sei das geschaffene Werk, genden Köpfen der Erneuer- nicht so sehr die Personen. „Ich würde mich baren-Vereinigung Eurosolar. auch immer eher auf die Kompositionen zu können. „Das Gefühl, nützlich zu sein Gerade der 2010 im Alter von erst 66 Jah- beziehen als auf die Komponisten.“ Keines- für Dinge, die man für wichtig hält, ist für ren früh verstorbene Hermann Scheer gilt falls will sie auf die Tochter-Rolle reduziert mich Grundvoraussetzung, um Kräfte gut als visionärer Vordenker der Ener­gie­wende. werden oder gar den Eindruck erwecken, einzubringen.“ In seiner Zeit als Abgeordneter für die SPD davon profitieren zu wollen. Diesem Vor- Nach dem Jura-Abschluss geht es dann ab 1980 initiierte er eine Reihe von Geset- wurf ist sie durchaus schon einmal begeg- auch recht bald in Richtung Politikbetrieb, zen zur Erneuerbaren-Förderung und setzte net. Als im Raum steht, ob sie im ehema- zunächst als Mitarbeiterin im Bundestags- auch maßgeblich das Erneuerbare-Ener- ligen Baden-Württemberger Wahlkreis von büro ihres heutigen SPD-Kollegen Marco gien-Gesetz (EEG) gegen die Widerstän- Hermann Scheer für den Bundestag kandi- Bülow, dann ab 2007 als Geschäftsführe- de in der eigenen Fraktion durch. Zudem diert, ist von „Erbhöfen“ die Rede. rin von Unternehmensgrün, dem Bundes- warb er mit Büchern und bei unzähligen Dass sie jetzt als Abgeordnete aus verband der grünen Wirtschaft. „Ich finde Konferenzen und Treffen auf der ganzen Schleswig-Holstein ins Parlament einge- den Anspruch wichtig, Wirtschaft umwelt- Welt für eine Energieversorgung ohne zogen ist, kommt auch über die erneuer-

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hiesige Demokratieverständnis. Neben Eu- rosolar und dem Weltrat für Erneuerbare Energien ist sie wie ihr Vater auch in der parteiübergreifenden linken Denkwerkstatt Institut Solidarische Moderne aktiv. Nach dem Tod von Hermann Scheer übernimmt sie die Leitung der in seinem Namen ge- gründeten Stiftung. Und nun also der Sitz im Bundestag. Mittlerweile ist das Abgeordnetenbüro ge- genüber vom Kanzleramt bezogen, sind die Ausschüsse besetzt. Scheer vertritt die SPD im neu zusammengelegten Ausschuss für Wirtschaft und Energie, der sich in er- ster Linie mit der Energiewende befassen wird. Zudem ist sie stellvertretendes Mit- Neu im Parlament: Nina Scheer ist Expertin für nachhaltiges Wirtschaften – und glied im Umweltausschuss. Für Neulinge Verfechterin der Energiewende. in der Fraktion ist es nicht selbstverständ- lich, in die eigenen Wunschausschüsse ge- schickt zu werden. Alles andere hätte aller- baren Energien zustande. Scheer hilft beim werden will. Zugleich steht ihr nichts fer- dings im Falle Scheers die SPD ziemlich Landtagswahlkampf 2012 mit, als sie bei ner, als die Erfolge von Hermann Scheer schlecht aussehen lassen. Scheer spielt zwar einer Diskussionsrunde zu Ener­gie­themen klein zu reden. in der Bundespolitik noch nicht die erste von SPD-Mitgliedern aus dem Wahlkreis Geige, mischt aber bereits an prominenter / Stormarn-Süd ge- Faible für Demokratie­theorie Stelle mit: Als einzige Bundestagsabgeord- fragt wird, ob sie sich nicht eine Kandida- Allerdings sind die biografischen Parallelen nete aus Reihen der SPD hat sie in den Ge- tur vorstellen könne. Man sei schließlich augenscheinlich: Neben dem politischen sprächen der Arbeitsgruppe Energie über auch für die Energiewende. Scheer setzt Amt und dem Erneuerbaren-Fokus eint den späteren Koalitionsvertrag mitverhan- sich gegen zwei Mitkandidaten durch. Vater und Tochter etwa das Interesse für delt. Das Magazin ‚Der Spiegel‘ setzte sie Das Direktmandat kann sie zwar nicht ge- demokratische Strukturen und Prozesse. gleich mal auf eine Liste mit Nachwuchs- winnen, zieht aber über Listenplatz sechs Hermann Scheer hatte seine Promotion zur politikern, die man 2014 im Auge haben ins Parlament ein. Will sie also den Weg Parteiendemokratie verfasst und wiederholt sollte. ihres Vaters als Abgeordnete fortführen? dazu publiziert, Nina Scheer kommt auf Nicht zuletzt ist Nina Scheer aber auch Das würde ihr wieder zu sehr die automa- die Proteste in Thailand zu sprechen – und eine Hoffnung der Erneuerbaren-Branche, tische Nachfolge als Tochter andeuten. Ihr darauf, dass im Westen fast unkommen- die derzeit ansonsten wenig Gutes aus Ber- ist deutlich anzumerken, dass sie in ihrem tiert bleibt, dass die Demonstranten die lin erwartet. „Ich nehme diese Hoffnung Einsatz für die Energiewende als Politike- Abschaffung freier Wahlen fordern. Viel- schon wahr und möchte den Anspruch

Roland Horn Foto: rin mit eigenen Zielen wahrgenommen leicht sei das auch ein Barometer für das auch gerne erfüllen“, sagt sie. Die Frage

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sei, wie das unter den Bedingungen der ten Formulierung sucht, suchen auch ihre Akteure und Kosten bewähren müssten. Großen Koalition am besten machbar sei. Hände, die Gesten versuchen den Gedan- Aus den gleichen Gründen sei dort keine Im Gegensatz etwa zu Marco Bülow und ken zu formen, ihr Blick konzentriert sich Rede von einem „atmenden Deckel“ für dem CSU-Energiepolitiker Josef Göppel auf einen Punkt abseits. Ein wichtiger Zu- Windkraftanlagen an Land. hat Scheer dem Koalitionsvertrag zuge- stimmungsgrund sei für sie die geplante stimmt. „Ich bin mir aber sicher, dass ich Mindestlohn-Einführung gewesen, mit der „Gehirnwäsche“ durch zu dem Projekt einer gelingenden, einer es vielen Menschen besser gehen werde. Im Lobby-Kampagnen beschleunigten Energiewende so auf jeden energiepolitischen Teil sei außerdem einiges Dass es zuletzt in der politischen Diskus­ Fall mehr beitragen kann. Das war mein noch Auslegungssache. Sie hätte die Ziele sion fast nur noch um die Kosten der Er- innerer Kompass. So muss man sich Schritt beim Ausbau erneuerbarer Energien anders neuerbaren ging, hat seinen Hintergrund für Schritt bei allen anstehenden Entschei- formuliert, die Sorge um eine Bremse mit für Scheer in öffentlichkeitswirksamen dungen immer fragen: Wie kann ich die- einem klaren Bekenntnis zur Energiewen- Kampagnen, die in ihren Augen nichts an- sem Ziel in diesem Moment, bei dieser de gar nicht erst aufkommen lassen. „Aber deres als „Gehirnwäsche“ sind. „Akteure Entscheidung am besten dienen?“ die Forderung nach einer sicheren, sau- wie die Initiative Neue Soziale Marktwirt- Als Parteilinke macht Scheer keinen beren, bezahlbaren Energieversorgung oder schaft haben in der öffentlichen Wahrneh- Hehl daraus, dass ihr ein Bündnis mit die Überschrift ‚Die Energiewende zum Er- mung eingepflanzt, dass die EEG-Umlage Grünen und Linken prinzipiell lieber wäre folg führen‘, das kann ich eins zu eins un- ein Kos­ten­pro­blem und die Energiewende als mit der Union. „Aber dafür hätten wir terschreiben.“ Es komme jetzt bei vielem nicht bezahlbar ist. Das ist Anti-Aufklä- auf die Interpreta­tion rung und führt dazu, dass sich die Volks- an. Das gelte auch für vertreter verleiten lassen, eine verfälschte die intern umstrittenen Position einzunehmen, um überhaupt ge- Kapazitätsmechanis- wählt zu werden“ (neue energie 01/2013). men, die man in der Sie erlebe das etwa an den Marktständen gefundenen Formulie- im Wahlkampf: Bevor ein konstruktives rung nicht automatisch Gespräch möglich sei, müssten zunächst als Bestandsgarantien oft unzählige Vorurteile ausgeräumt wer- für Kohlekraft verste- den. hen müsse. Neben den Erneuerbaren will Scheer im Bleibt die Frage, wie Bundestag auch anderen Themen treu blei- weit Scheers Einfluss ben, die sie bisher begleitet haben. So wer- als Erneuerbaren-Ex- de sie sich dafür einsetzen, dass mit dem pertin in der SPD-Frak- neu verhandelten Freihandelsabkommen tion reicht, wenn es ge- zwischen den USA und der Europäischen gen die Ministerpräsi- Union „nicht etwas geschaffen wird, das Sofort mittendrin: Scheer hat in der Arbeitsgruppe Energie denten unseren Vorstellungen von Umwelt- und den Koali­tionsvertrag mitverhandelt. und Dietmar Woidke Gesundheitsstandards widerspricht. Derzeit aus den Kohle-Ländern werden Klagerechte für Unternehmen dis- Nordrhein-Westfalen kutiert, die unserem Demokratieverständ- nicht die nötigen Mehrheiten bekommen.“ und Brandenburg geht. Im Energie-Aus- nis diametral entgegenstünden.“ Das gelte Letztlich müsse man Verantwortung für das schuss muss sie sich in Zukunft auch mit es unbedingt zu verhindern. Wahlergebnis übernehmen. Es gehe darum, dem Lausitzer Parteifreund und Braunkoh- Dass auch die erneuerbaren Energien Mehrheiten zu sammeln – sie aber auch zu le-Verfechter auseinander- noch genauso umkämpft sind wie zu respektieren gehöre zur Gewissensentschei- setzen. Was ihr Parteichef Zeiten ihres Vaters, überrascht Nina Scheer dung von Abgeordneten. Man merkt, dass jetzt an Reformen im Erneuerbaren-Sek- nicht. „Bei der Energiewende gibt es starke sich Scheer darüber mehr Gedanken ge- tor durchsetzen will (siehe Seite 12), kann Interessenkonflikte. Das wird immer so macht hat als viele ihrer Kollegen. Sie ist Scheer jedenfalls nicht gefallen. „Die Um- bleiben, sich vielleicht noch zuspitzen, je auch Mitglied der SPD-Grundwertekom- setzung des Koalitionsvertrags darf nicht zu stärker sich die Vertreter der konventio- mission, die vom Philosophie-Professor Systembrüchen führen, die sich nicht mit nellen Energiewirtschaft zurückgedrängt und ehemaligen Kulturstaatsminister Ju­ Blick auf das Ziel einer erfolgreichen und fühlen. Der hohe Widerstandsgrad heißt lian Nida-Rümelin geleitet wird. kosteneffizienten Energiewende rechtferti- nicht, dass man auf der falschen Fährte ist, Scheer spricht leise, will mit guten Argu- gen“, erklärt sie. Der Vertrag sehe bewusst sondern ganz im Gegenteil, dass es jetzt menten überzeugen, statt durch pure Laut- nur eine Erprobung von Ausschreibungen ans Eingemachte geht. Und dann muss

stärke zu trumpfen. Wenn sie nach der bes­ vor, die sich erst in Bezug auf Ausbauziele, man eben kämpfen.“ Roland Horn Foto:

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