Auf dem Stevensonweg durch die Cevennen Zur kargen

Heimatder Schriftsteller zu entdecken, ist reizvoll. Im französischen Zentralmassiv wanderte Camisarden Eberhard Neubronner (Text und Fotos) knapp zwei Wo- chen lang südwärts, auf der Spur von Robert Louis Steven- son, dem Autor des Romans „Die Schatzinsel“.

Wandern und Schauen: Die sanften, kaum bewachsenen Hügel der Cevennen bieten Sonne und Aussicht.

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gestartet, queren jetzt das Bächlein Gazeil- le und haben dreiundzwanzig Kilometer Strecke vor uns. Allons! Der Stevensonweg ist technisch leicht, doch man darf seinen Biss nicht unter- schätzen. Er geht mit bis zu dreißig Kilo- meter langen Tagesetappen durchaus an die Knochen und verlangt Zeit, denn es gibt zu sehen, was anderswo in Europa kaum mehr existiert: alte Bauernhöfe, verwun- schene Weiler mit trocken gemauerten Häusern, Burgruinen oder Ackerterrassen, er Fremde aus Edinburgh war die an eine tief verwurzelte ländliche Kul- 28, als er Mitte September 1878 tur erinnern. im Dorf Le Monastier-sur-Ga- Fast kein Mensch ist unterwegs, jetzt Dzeille unweit von Le Puy die Ende August, wenn man von diversen Leu- Esel-Dame Modestine von Père Adam für ten absieht, die demonstrativ eine Muschel 65 Francs und ein Glas Schnaps kaufte. am Rucksack tragen: Seht her, wir pilgern Das bäuerliche Publikum, notierte Robert zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago Louis Stevenson, „betrachtete mich mit de Compostela! Doch bald zweigt ihr Kurs geringschätzigem Mitleid wie einen, der ab, und wir sind so gut wie allein. Weit sich eine Mondreise vorgenommen hat“. schweift der Blick über bewaldete Höhen- Den Anlass kannte es nicht: Seine Geliebte züge. Mit jedem Schritt bleibt jene Unrast Fanny Osbourne fehl-­ zurück, der man da- te ihm, die verhei­­ra­ Fast kein Mensch heim nicht selten er- te­te Mutter zweier liegt. Kinder war auf Dis- ist hier Vom verschlafenen tanz gegangen. Saint-Martin-de-Fugè- Was nun? Robert res aus zickzackt der Louis wollte abgelenkt unterwegs Pfad nach zwei Stunden werden und suchte Neuland. Beides bot steil hinab ins Tal der jungen Loire und jenes karge Mittelgebirge namens Ceven- hinter (wo Stevenson kurz pausier- nen, wo protestantische Männer und te) wieder ebenso steil empor. Trittsicher- Frauen seit 1685 ihre Religion radikal ge- heit und Kondition werden getestet, süße gen den Katholizismus verteidigt hatten. Brombeeren verführen zu Stopps. Unter König Ludwig XIV. wurden schließ- Unsere Route reicht von der Region Au- lich 436 Siedlungen der „Camisarden“ (Hu- vergne bis zum Languedoc-Roussillon. Sie genotten) zerstört. Ihnen blieb, je nach ist mit rotweißen Strichen markiert und Geschlecht, ein Schicksal in Galeere oder wirkt stets authentisch, weil eine für den Kloster. Weg verantwortliche „Association Sur le Ein kühler Wind weht heute durch Le chemin de Robert Louis Stevenson“ sich Monastier-sur-Gazeille, das Baguette der konsequent an das hält, was der Schotte be- Bäckerei ragt aus dem Rucksack und duf- tet. Gestern waren wir in Le Puy, dessen grüne Linsen jeder Feinschmecker schätzt,

DAV 2/2017 83 schrieben hat. Allerdings war er öfter zum Ziel liegt 1220 Meter hoch, Bäume sind rar. Biwak gezwungen – anders als jetzige Wan- Im Winter mag es hier sibirisch stürmen. derer, die auf jeder Etappe ein Hotel oder In der „Auberge Le Couvige“ serviert private Logements samt guter Kost finden. Andrée Pastural Wildpastete, Filet Mig- Stevensons 1879 publiziertes Buch „Tra- non, Sahnelinsen, Käse und Apfelkuchen. vels with a Donkey in the Cévennes“ schil- Dazu Côtes du Rhône, dessen Bukett be- dert nicht ohne Ironie manches Fiasko geistert. im Zusammenhang mit einer störrischen Seit Stevenson hier vom Wirt seiner Stute: Nahe Ussel, wo wir mittags lagern, „anspruchslosesten“ Herberge den obliga- „rutschte der Packsattel samt der ganzen ten Stachelstock bekam, trippelte Modes- Last herunter und schleif­ tine etwas flotter. Wir te im Staub … nur zu er- Esel sind tun es ihr gleich und freut blieb Modestine so- laufen via Pradelles, das fort stehen und schien zu geduldig als einer der schönsten lächeln“. Indes sind Esel französischen Orte gilt, geduldig und intelligent. und zur lebhaften Kleinstadt Wer fair bleibt, wird sie im Gebiet lieben. Man kann es aus- intelligent Gévaudan (romanische probieren, wenn man am Kirche St. Gervais, alter Weg einen Esel mietet; es gibt etliche An- Kornspeicher, freundliches „Hotel de la bieter dafür. Poste“ im Zentrum mit beachtlicher Kü- Starke Hitze vor Le Bouchet-Saint-Nico- che). Das Wetter ist tadellos, die Lust am las. Nachmittags flimmert die Luft, das Stevensonweg alias „GR 70“ wächst von Stunde zu Stunde. Da wir schweres Gepäck transportieren lassen, werden die Schul- tern geschont.

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Le Puy-en-Velay (u.), Startpunkt der Wan- derung, ist noch von Industrie und Jakobs- weg-Pilgern geprägt. Dann führt der GR 70, ob man ihn mit oder ohne Esel geht, durch eher stille Landschaften, die, wie etwa bei Pont-de-Montvert (M.) schon „eine nicht zu BLACK DIAMOND beschreibende südliche Note“ haben, wie EASY RIDER Stevenson schrieb. Artikel Nr. 343040 € 110,-

Vierter Tag: „Le Refuge du Moure“ bietet Habitus schaudern: 1702 folterte hier der Fassbier und schmucke Zimmer. Am Gäs- Erzpriester François du Chayla viele tetisch wird international geplaudert, zum „Falschgläubige“­ und wurde von ihnen Dessert liefert Patrick Ferreres’ Frau je ei- brutal ermordet. Ein zweijähriger Gueril- -60% nen Keks à la Modestine. Die Eselin

ist immer präsent, als Werbeobjekt Wald, Weide MARMOT sind sie wie ihr Alter Ego längst un- ANSGAR JACKET Burgen, Artikel Nr. 478900 verzichtbar. Das Tier rührt speziell weibliche Fans, sein Herr nannte € 150,- € 59,99 es „nicht viel größer als ein Hund, Landsitze und mausgrau, mit freundlich blicken- den Augen und einem energischen ein Kloster Kinn. Sie hatte etwas Adrettes an sich, eine lakrieg endete desaströs für jene Camisar- puritanische Eleganz und ein Air von gu- den, deren Name aufs weite Hemd deutet. tem Stall. Ich war auf der Stelle für sie ein- Le-Pont-de-Montvert liegt im Zentrum -35% genommen.“ des mehr als dreitausend Quadratkilome- GARMONT La Bastide-Puylaurent, Chasseradès und ter großen, vor sechsundvierzig Jahren er- 9.81 TRAIL PRO GTX Artikel Nr. 473451 Le Bleymard heißen die nächsten Statio- öffneten Cevennen-Nationalparks. Ste- nen. Wald, Weide, Burgen, Landsitze, das venson aß dort zu Mittag. Die rustikale € 169,99 € 109,99 Trappistenkloster Notre-Dame-des-Neiges „Auberge des Cévennes“ wirbt gern damit, – der nie monotone Kurs endet vorerst am doch dem schottischen Romancier hatten kahlen Scheitel des 1699 Meter hohen es auch die Menschen angetan: „Sie besa- € 10,- GUTSCHEIN1 Mont Lozère/Sommet de Finiels als Kopf ßen offene, ansprechende Gesichter und der Cevennen. Prähistorische Riesen ha- waren lebhaft in Umgang und Gespräch. Rabattcode: DAVMARZ17

ben Granit verstreut, tief unten im Tarn- Die Motive für meine Wanderung waren Gutschein gültig bis 23.05.2017 tal sehen wir Le-Pont-de-Montvert (Eco- ihnen nicht nur vollkommen verständ- ab einem Einkaufwert von € 99,- museum). Das Dorf lässt trotz heiterem lich, sondern mehr als einer erklärte gar,

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Über dem Tiefland des Gard erhe- ben sich die Cevennen noch einmal zum lautlosen Schlussakkord.

Der Stevensonweg Anfahrt: Zugverbindung nach Le Puy-en- Velay über Lyon und St. Etienne, zurück von Alès über Nîmes und Straßburg oder Paris. Beste Zeit: Frühsommer (wegen der Blumenpracht) und Herbst (weil dann wenig Betrieb herrscht). er würde gern dasselbe unternehmen, schmackvoll ausgestatteten Zimmern. Charakter: Tagesetappen bis zu acht Stunden, gesamte Strecke rund 240 wenn er wohlhabend genug wäre.“ In den Über dem Ort thront eine im klassizisti- Kilometer. Gute Kondition oft hilfreich. hundert Jahren bis 1970 verloren die Ce- schen Stil errichtete Kirche von 1835 – ein Unterkünfte: Besonders schön sind die vennen zwei Drittel ihrer Bevölkerung. Sie kühles Dokument innerer Einkehr ohne Privatpensionen „Le Mimentois“ bei Cas- entsiedelten sich dramatisch. Seither Kruzifix. sagnas und „La Dinierola“ in St. Etienne. hofft man, vielleicht zu Recht, auf den Zwischen und Saint-Jean-du- Führer: Véronique Kämper: „Cevennen- Stevensonweg GR 70“, Conrad Stein Verlag. sanften Tourismus. Gard erheben sich die Cevennen noch ein- Unverzichtbar, wenn auch nicht mehr ganz Trocken gemauerte Hütten, uralte Plat- mal wie zum lautlosen Schlussakkord. aktuell – Updates dazu im Internet. TopoGuide „Le Chemin de Stevenson“ tenwege und verwilderte Felder bilden ein Dies scheinen auch unsere Vorfahren ge- (französisch) mit exakten Karten 1:50.000. mehr oder minder schätzt zu haben, denn Literatur: R. L. mediterranes Milieu. Ein Pfad zwischen nahe dem Col de la Pier- Stevenson: „Reise mit Stevensons Pfad re Planté markiert ein dem Esel durch die Cevennen“, Editions La schlängelt zwischen Ginster und hüfthoher Menhir die Colombe, Moers. Alex Ginster, Hainbuchen Ruhestätte eines Ver- Capus: „Reisen im Licht und Heidekraut. Die storbenen aus der Mega- der Sterne“, btb-Ta- Heidekraut schenbuch (fesselnde Fantasie skizziert auf lithzeit vor rund vier- Mischung aus Fakten dem aussichtsreichen Kamm Bougès über tausendfünfhundert Jahren. Von dem und Fiktion zu Stevensons Lebensweg bis nach Samoa, Florac (Schloss von 1652) einen schnurrbär- schön gelegenen Platz aus ahnt man wo er 1894 starb). tigen Mann vor hellem Himmel, dessen schon das Mittelmeer. Fata Morgana? Tourist-Info: Pays Cévennes, 2 rue Michelet, Hand Modestines Hals krault. Das unglei- Manche Esskastanien platzen schon, F-30100 Alès, cevennes-tourisme.fr, che Paar hat nach hartem Kampf Freund- morgens funkelt betautes Gras. Am Fluss chemin-stevenson.org (mit ausführlicher Broschüre). schaft geschlossen. Gardon reift der Wein. Die Feigenbäume Zwei Versionen dieser Tour werden auch Seit Florac hat die Einsamkeit noch um hängen voller Früchte. In Saint-Jean spie- pauschal als Paket für individuelles Wandern etliche Grade zugenommen. Oberhalb des len Rentner ihr tägliches Boule unter Pla- plus Gepäcktransport angeboten: Wikinger Reisen GmbH, Kölner Str. 10, 58135 Hagen. früheren Bahnhofs von Cassagnas lassen tanen: klick-klack. „Zwei Pastis, bitte!“ Tel.: 02331/90 47 00, Fax: 02331/90 47 04, wir uns von Stevensons Worten nochmals „Gern, Monsieur.“ [email protected], entzücken, der „die wildeste Aussicht mei- wikinger.de Eberhard Neubronner (73) ner gesamten Wanderung“ lobte: „Gipfel schrieb als kulturhistorisch über Gipfel, Hügelkette über Hügelkette orientierter freier Schriftsteller verliefen brandend in Richtung Süden.“ unter anderem eine alpine Pie- mont-Trilogie mit den Titeln „Der Bei Cassagnas finden wir unsere bisher Weg“, „Das Schwarze Tal“ und beste Unterkunft, einen Holzbau mit ge- „Die Letzten löschen das Feuer“.

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