HISTORISCHER ATLAS 8, 13

VON BADEN-WÜRTTEMBERG Erläuterungen

Beiwort zu den Karten 8,13

Jüdische Einwohner in Baden-Württemberg

VON PAUL SAUER

I. Historischer Überblick hatten, wurden ihnen nicht selten zum Verhängnis. Schon 1298 und 1335/37 hatte religiöser Fanatismus in Jüdische Siedlungen sind in Südwestdeutschland Franken und Schwaben blutige Judenverfolgungen wohl schon früh an wichtigen Verkehrs- und Handels- ausgelöst. Während der schrecklichen Pestepidemie mittelpunkten entstanden. Das älteste bis jetzt be- von 1348/49, dem Schwarzen Tod, verbündeten sich kannte Zeugnis, eine in Stein gehauene Inschrift, Aberglauben und soziale Mißgunst: Tod und Ver- stammt aus . Israelische Wissenschaftler derben brachen über die jüdischen Gemeinden Süd- weisen es der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts zu. westdeutschlands herein. Die Gemeinden, die sich in Für Schwäbisch Hall nimmt GERD WUNDER auf Grund der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und im 15. der modernen Stadtplanforschung eine jüdische Nie- Jahrhundert neu bildeten, gewannen kaum irgendwo derlassung gleichfalls schon für das 11. Jahrhundert die Bedeutung ihrer Vorgängerinnen. In den Reichs- an. Wenig später dürften Juden auch in Esslingen, städten erlangten zwar einzelne Juden im Geldgeschäft Schwäbisch Gmünd und Ulm aufgenommen worden nochmals eine führende Position. Die territoriale Ex- sein. Gesicherte urkundliche Nachrichten über jüdi- pansion der Stadt Ulm in der zweiten Hälfte des 14. sche Siedlungen haben wir freilich erst aus dem 13. Jahrhunderts wäre beispielsweise ohne die Finanzhilfe Jahrhundert, so etwa aus Esslingen (vor 1209), einiger jüdischer Bankiers nicht möglich gewesen. Grünsfeld (1218), Wertheim (1222), Überlingen Doch wuchs mit dem Erstarken der Zünfte die Ju- (1226), Freiburg im Breisgau (um 1230), Lauda denfeindschaft weiter an. Im Lauf des 15. Jahrhunderts (1235), Tauberbischofsheim (1235). Nach dem wiesen nach und nach die meisten südwestdeutschen Reichssteuerverzeichnis von 1241 bestanden damals Reichsstädte ihre jüdischen Einwohner aus. Abgesehen jüdische Gemeinden in folgenden Reichsstädten: von Wimpfen und Buchau gab es nach der Mitte des Bopfingen, Esslingen, , Schwäbisch Gmünd, 16. Jahrhunderts keine Reichsstadt im Bereich des Schwäbisch Hall, Überlingen und Ulm. Allerdings heutigen Baden-Württemberg mehr, die sie in ihren können diese Gemeinden nicht sehr groß gewesen Mauern duldete. Am Ende des Dreißigjährigen Kriegs sein, da ihr Steueraufkommen zwischen 1 Mark Silber bzw. in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts er- (Bopfingen) und 30 Mark Silber (Esslingen) betrug, laubten und Ulm ausnahmsweise einzelnen wogegen die jüdischen Siedlungen in den außerhalb besonders privilegierten Juden die Niederlassung. Die der Grenzen des heutigen Baden-Württemberg gele- Ausschließung der Juden beschränkte sich indessen genen Reichsstädten , Worms und Straßburg nicht auf die Reichsstädte. Steuern zwischen 80 und 200 Mark Silber aufzu- Viele Fürsten, Grafen und Herren entledigten sich bringen hatten. im 15. und 16. Jahrhundert gleichfalls ihrer Schutz- Um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert lebten juden und erließen strenge Verbote gegen ihre Wie- Juden unter zum Teil recht günstigen Bedingungen in deraufnahme. Im Herzogtum Württemberg etwa legte nahezu allen Reichsstädten sowie in zahlreichen die Regimentsordnung vom 14. Juni 1498 die Aus- landesherrlichen Städten. Die mosaische Religion, an schließung der Juden fest, die dann im wesentlichen der sie treu festhielten, wie der wirtschaftliche Erfolg mehr als dreihundert Jahre Gültigkeit behielt. Doch bzw. der Reichtum, zu dem sie es vielerorts gebracht

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gab es in der frühen Neuzeit stets auch zahlreiche Breisach eine jüdische Gemeinde. Die dichteste jüdi- weltliche und geistliche Herrschaften, die Juden An- sche Bevölkerung wies das kurpfälzische Gebiet auf siedlung gewährten. Dabei waren meist finanzielle Er- (Oberämter Bretten, Heidelberg, Ladenburg und Mos- wägungen ausschlaggebend. Mancher kleine Adlige, bach). In Mannheim hatten die seit Mitte des 17. Jahr- aber auch mancher oder Reichsfürst vermochte hunderts von den pfälzischen Kurfürsten zu recht seine Einnahmen durch kräftige Besteuerung der Juden, günstigen Bedingungen aufgenommenen Juden Anteil die seinen Schutz genossen, nicht unerheblich am wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt im 18. aufzubessern. Jahrhundert. 1784 lebten dort bereits 274 jüdische Während, wie bereits erwähnt, die Juden im Mit- Familien. Eine Reihe jüdischer Gemeinden gab es telalter großenteils in den Städten ansässig gewesen schließlich in den beiden 1771 wiedervereinigten ba- waren und in deren Wirtschaftsleben, vornehmlich im dischen Markgrafschaften. Die bedeutendste mark- Geldhandel, eine wichtige Rolle gespielt hatten, mußten gräfliche Gemeinde hatte sich in Karlsruhe gebildet sie seit dem 16. Jahrhundert ihren Wohnsitz gewöhnlich (1801: 530 Juden). Die Schutzjuden der Kurpfalz, der auf dem Land nehmen. Da ihnen jedoch in der Regel badischen Markgrafschaften und einiger anderer der Erwerb von Grundbesitz wie auch die Betätigung in Territorien besaßen schon im 18. Jahrhundert eine Art landwirtschaftlichen und handwerklichen Berufen ver- Landesorganisation. Die Funktion religiöser Mittel- wehrt waren, hatten sie ihr Leben häufig mit arm- punkte, die für die weitgestreuten israelitischen Ge- seligem Schacherhandel zu fristen. Sie waren trotz der meinden von großer Bedeutung waren, erfüllten Privilegien, die ihnen eingeräumt wurden, im Grund Mannheim und Karlsruhe. 1817 lebten in Baden rechtlos, zumeist nicht nur der Willkür ihrer Herren, 15 642 Juden. Abgesehen von einer kleinen städti- sondern auch dem Spott und der Verachtung der schen Oberschicht, der es wirtschaftlich gut ging, christlichen Untertanen preisgegeben. Immer wieder waren für die jüdische Bevölkerung damals Armut und kam es vor, daß sie aus einer Herrschaft ausgetrieben Unbildung charakteristisch. Dazuhin zogen Scharen wurden und heimatlos umherziehen mußten, bis sie in heimatloser Betteljuden durch das Land. einer anderen wieder Aufnahme fanden. Aus der Masse Auch in einer ansehnlichen Zahl geistlicher und der zumeist in kümmerlichen Verhältnissen lebenden weltlicher Territorien, die im Königreich Württemberg Schutzjuden hob sich lediglich der kleine Kreis der aufgingen, bestanden am Ende des Alten Reiches sogenannten Hofjuden heraus, die es als Geldgeber jüdische Niederlassungen: im Erzstift (Kün- absolutistischer Fürsten zu Macht und Ansehen gebracht zelsau-Nagelsberg), im Hochstift Würzburg (Brauns- hatten. Erst die Aufklärung im 18. Jahrhundert bereitete bach, Mulfingen), im Gebiet des Klosters Comburg die Wege für die gesellschaftliche wie politische (Schwäbisch Hall-Steinbach), in dem des Reichsstifts Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung. In Buchau (-Kappel) und dem der Abtei Frankreich zerbrach die Revolution von 1789 die Schöntal (Berlichingen zum Teil und Bieringen), in Ghettomauern, in Deutschland fielen sie nach und nach den Territorien des Deutschordens (Bad Mergentheim, im 19. Jahrhundert, so in den beiden durch die Neckarsulm, Heilbronn-Sontheim, usw.), napoleonische Flurbereinigung geschaffenen südwest- des Johanniterordens (Affaltrach, Rexingen), der deutschen Mittelstaaten, dem Großherzogtum Baden Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (Crailsheim, und dem Königreich Württemberg, sowie in den 1850 Gerabronn, Wiesenbach, Creglingen usw.), der an das Königreich Preußen übergegangenen Fürsten von Hohenlohe (Ernsbach, Hohebach, Fürstentümern Hohenzollern-Hechingen und Hohen- Hollenbach, Weikersheim), der Grafen von Neipperg zollern-. (Massenbachhausen), der Grafen und Fürsten von In vielen der in den Jahren 1803 bis 1810 zum Oettingen (Aufhausen, Oberdorf, Pflaumloch), in der Großherzogtum Baden vereinigten Territorien waren Reichsstadt Buchau am Federsee, in den der Reichs- am Anfang des 19. Jahrhunderts Juden ansässig. Zu ritterschaft zugehörigen Herrschaften, u.a. in denen nennen sind hier u. a. das Erzstift Mainz (Billigheim, der Herren von Berlichingen (Berlichingen zum Teil, Buchen, Krautheim, Tauberbischofsheim usw.), die Olnhausen), von Eyb (Dörzbach), von Oetinger Hochstifter Speyer (Bruchsal usw.), Straßburg (Etten- (Archshofen), von Gemmingen (Kochendorf, Bonfeld, heim) und Würzburg (Freudenberg, Grünsfeld usw.), Lehrensteinsfeld), der Schenk von Stauffenberg die Grafschaft Wertheim (Wertheim, Wenkheim), sowie (Baisingen), der Herren von Liebenstein (Butten- reichsritterschaftliche Herrschaften wie die der Herren hausen, Jebenhausen), von Welden (Laupheim), von von Adelsheim (Adelsheim), von Gemmingen Münch (Mühlen am Neckar und Mühringen). Die (Gemmingen, Hoffenheim, Hüffenhardt, Neckarzim- württembergischen Juden, deren soziale und wirt- mern), von Liebenfels (Gailingen), von Venningen schaftliche Verhältnisse sich in nichts von denen der (Eichtersheim, Grombach, Neidenstein) und von Wald- badischen Juden unterschieden, lebten um 1810 kirch (Binau, Kleineicholzheim). In den an Baden ge- nahezu ausschließlich auf dem Land. Mittelpunkte fallenen Teilen von Vorderösterreich bestand nur in religiösen Lebens, wie sie die badischen Juden in Mannheim und Karlsruhe besaßen, existierten im Gebiet des Kö-

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nigreichs Württemberg nicht. Abgesehen von der am bis 1925von 13 auf 566, in von 130 auf 4548. Rande liegenden Markgrafschaft Brandenburg-Ans- In Karlsruhe erhöhte sich die Zahl der Juden zwischen bach oder den Verhältnissen im Deutsch-Ordens-Ge- 1825 und 1925 von 893 auf 3386, in Mannheim von biet hatte es in den verschiedenen Territorien auch 1456 auf 6972. Um 1830 lebten beispielsweise 93% kaum Ansätze zu einer Landesorganisation gegeben. aller württembergischen Juden in dörflichen Siedlun- Die einzelnen Gemeinden lebten vielfach isoliert von- gen, 1930 nur noch wenig mehr als 20%. In den einander. 1828 wurden in Württemberg 9 991 jüdische Städten spielten Juden vor allem als Kaufleute, Fa- Einwohner gezählt. brikanten, Verleger, als Redakteure oder Bankiers eine In den hohenzollerischen Fürstentümern bestanden Rolle. Verhältnismäßig hoch war die Zahl der Aka- zu Beginn des 19. Jahrhunderts die jüdischen Gemein- demiker, unter ihnen viele Ärzte und Rechtsanwälte. den Haigerloch, Hechingen und Dettensee. Während Großes Ansehen erwarben sich jüdische Bürger in die Juden in Haigerloch und Hechingen durch ver- Wissenschaft und Kunst. Männer wie der Dichter schiedene Linien der Grafen bzw. Fürsten von Ho- Berthold Auerbach (1812-1882) und der Physiker henzollern vom 16. bis 18. Jahrhundert aufgenommen Albert Einstein (1879-1955) zählten zu ihnen. worden waren, war dies in Dettensee durch das Klo- Das rasche, mitunter geradezu explosiv erfolgende ster Muri in der Schweiz als Inhaber der Herrschaft Wachstum der jüdischen Bevölkerung in der ersten Glatt um 1720 geschehen. Die kleine jüdische Ge- Hälfte des 19. Jahrhunderts ebbte bald wieder ab, ja meinde in der 1803 an das Großherzogtum Hessen ge- wurde rückläufig. Bereits vor 1850 suchten und fanden fallenen Reichsstadt Wimpfen reichte sehr wahr- viele Auswanderer aus den israelitischen Land- scheinlich bis ins späte Mittelalter zurück. gemeinden in Amerika eine neue Heimat. Die Zahl der Die Emanzipation der Juden, d. h. ihre staatsbür- Geburten verminderte sich seit der Jahrhundertmitte gerliche Gleichstellung mit den christlichen Unter- zuerst langsam, seit den 1880er Jahren immer stärker. tanen, vollzog sich in mehreren Etappen. In Baden er- Nach dem Ersten Weltkrieg, der bereits einen langten die Juden 1862, in Württemberg zwei Jahre beträchtlichen Geburtenausfall bewirkt hatte, ver- darauf die uneingeschränkte bürgerliche Gleichbe- mochten die Geburten die Todesfälle nicht mehr aus- rechtigung, in Hohenzollern hatten sie diesen Status zugleichen (vgl. Tabellen A und B). Ums Jahr 1825 schon 1850 mit dem Übergang der Fürstentümer an lebten in Baden-Württemberg etwa 27000 Juden, ums Preußen erreicht. Jahr 1875 rund 40 000. Bis 1900 war die Zahl der Im Lauf des 19. Jahrhunderts wandelte sich das jüdischen Einwohner auf 38 580 abgesunken und bis soziale Bild des südwestdeutschen Judentums grund- 1925 weiter auf 35 226. Die Volkszählung vom 16. legend. Der Schacherjude verschwand, von Ausnah- Juni 1933 registrierte nur noch 30 941. Der rapide men abgesehen, nach und nach, ebenso der heimatlose Geburtenabfall seit der zweiten Hälfte des 19. Jahr- jüdische Bettler. Immer noch lebten viele Juden auf hunderts war ohne Frage zu einem guten Teil durch die dem Land in armseligen Verhältnissen, aber ein be- Verstädterung der jüdischen Bevölkerung, die der der trächtlicher Teil hatte es hauptsächlich durch seine nichtjüdischen Bevölkerung weit vorauseilte, und Tätigkeit im Vieh-, Grundstücks- oder Landespro- durch ihre einseitige Berufsstruktur bedingt. Den duktenhandel, wo er aufs Ganze gesehen, eine nicht Juden fehlte das Reservoir der geburtenfreudigeren unwichtige volkswirtschaftliche Funktion erfüllte, in- Landgemeinden. Eben diese Landgemeinden, von zwischen zu bescheidenem Wohlstand gebracht. In denen es noch um 1925 eine Vielzahl gab, waren den 1870er und 1880er Jahren lagen in vielen Landge- durch die Abwanderung der jüngeren Altersgruppen in meinden die Vermögens- und Einkommensverhält- die größeren Städte hoffnungslos überaltert und lagen nisse der jüdischen Einwohner günstiger als die der in ihren Geburtenziffern noch unter denen der Städte. übrigen Bevölkerung. Das führte mancherorts zu Einsichtigen Beobachtern konnte in der Zeit der Wei- Spannungen. Da aber die Juden häufig nicht nur die marer Republik nicht zweifelhaft sein, daß das süd- größten Steuerzahler ihrer Heimatgemeinden waren, westdeutsche Landjudentum in einem raschen Auf- sondern diese auch zu gewerblichen Mittelpunkten für lösungsprozeß begriffen war, der sich kaum mehr auf- eine größere Umgebung machten, vermochte auf dem halten ließ (vgl. Tabellen C-E). Land eine judenfeindliche Stimmung nirgendwo die Doch welch furchtbares Schicksal über die jüdische Oberhand zu gewinnen. Bevölkerung in den Städten wie in den Dörfern mit Mit der Emanzipation setzte eine starke Landflucht dem 1933 in Deutschland zur Herrschaft gekommenen ein. Uralte Gemeinden entvölkerten sich, während in totalitären nationalsozialistischen Regime, in dessen den Städten, die sich erst jetzt ausnahmslos der jüdi- barbarischer Ideologie dem rassischen Antisemitismus schen Zuwanderung öffneten, allenthalben israeliti- eine zentrale Bedeutung zukam, hereinbrach, hätte sche Gemeinden entstanden oder die dort schon noch kurz zuvor niemand vorauszusagen vermocht. bestehenden Gemeinden ständig weiter anwuchsen. In Das Fazit von zwölf Jahren Nationalsozialismus steht Heilbronn wohnten 1824 keine Juden, 1925 waren es heute vor aller Augen: Die mit Diskriminierung, Ent- 900. In Ulm stieg die Zahl der jüdischen Einwohner rechtung und Beraubung einsetzende Verfolgung en- von 1824

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dete mit dem Massenmord an ungezählten unschuldigen zum Verlassen der Stadt gezwungen wurden. Bei der Opfern in Deutschland und in zahlreichen anderen ungünstigen Quellenlage zur Geschichte der Juden im Ländern Europas. Die aufstrebenden jüdischen Mittelalter sind eine vollständige Erfassung und eine Großgemeinden in den Städten sind damals ebenso zeitliche Abgrenzung der verschiedenen aufeinander- vernichtet worden wie die noch bestehenden traditions- folgenden jüdischen Siedlungen in einer Stadt oft nur reichen Landgemeinden. Mindestens: 8500 jüdische schwer oder überhaupt kaum möglich. Bürger, die 1933 in Baden-Württemberg wohnhaft waren oder die zwischen 1933 und 1945 noch hierher 2. Jüdische Bevölkerung 1825 zuzogen, haben durch nationalsozialistische Gewalt ihr Leben verloren. Viele tausend andere sind aus der Die kartographische Darstellung spiegelt den Zu- Heimat vertrieben worden. stand der Judensiedlungen in Baden und Württemberg am Beginn der Emanzipation wider. Die ausgefüllten Kreise, Quadrate und Rechtecke zeigen, in welchen II. Erläuterungen zu den Karten Gemeinden damals Juden ansässig waren. Die abso- 1. Jüdische Niederlassungen im Mittelalter lute Zahl der jüdischen Einwohner (Stand 1824/25) wird durch die unterschiedliche Größe bzw. äußere Die Karte versucht eine Vorstellung von der Ent- Gestalt der Symbole, der prozentuale Anteil der Juden stehung, der Verbreitung und dem meist gewaltsamen an der Gesamtbevölkerung der betreffenden Ge- Ende der jüdischen Siedlungen während des Mittelalters meinden durch die unterschiedlichen Farben wieder- zu vermitteln. Die Quadrate bedeuten städtische, die gegeben. Die Namen der Dörfer sind kursiv gesetzt, Kreise ländliche Niederlassungen. Hierbei wird die Orte mit Rabbinatssitz unterstrichen. dokumentiert, daß die Juden im Hoch- und Spätmit- 1825 lebten 75% aller badischen Juden im nordba- telalter vornehmlich in den Städten lebten. Häufig war dischen Raum. Die Häufung von israelitischen Ge- die jüdische Siedlung ein Gradmesser für die wirt- meinden war hier wie zum Teil auch in den unmittel- schaftliche Bedeutung einer Stadt. In den Reichsstädten, bar angrenzenden württembergischen Oberämtern so aber auch in zahlreichen landesherrlichen Städten gab es groß, daß in der Karte, abgesehen von den wichtigsten vor der Katastrophe von 1348/49, der größten, die die Gemeinden, die verschiedenen Niederlassungen ledig- Juden in Südwestdeutschland im Mittelalter erlitten, lich durch Symbole markiert werden konnten. Für die Judensiedlungen. Über die Größe der einzelnen Nie- Ortsnamen war kein Platz. Es erschien daher ange- derlassungen lassen sich aus den Quellen nur selten zeigt, dieses Gebiet nochmals in einem vergrößerten nähere Anhaltspunkte gewinnen. Das Steueraufkommen Ausschnitt vorzustellen. Der Ausschnitt veranschau- nach dem Reichssteuerverzeichnis von 1241 gibt Auf- licht, in wie vielen kleinen Dörfern damals jüdische schluß über die Wirtschaftskraft der jüdischen Ge- Gemeinden bestanden. In den mittleren und südlichen meinden in einigen Reichsstädten. Bei der lückenhaften badischen wie württembergischen Landesteilen waren urkundlichen Überlieferung kann das Bild über Werden, die Judensiedlungen hingegen weit verstreut. Im alt- Bedeutung und Auflösung der Judensiedlungen nur sehr württembergischen Gebiet, im ehemaligen Vorder- unvollkommen sein. Vielfach erfahren wir von solchen österreich und in den früheren geistlichen Territorien Niederlassungen lediglich den Zeitpunkt ihrer Ver- Oberschwabens gab es nur ganz wenige. nichtung. Alles andere bleibt im Dunkeln. Manche Nicht berücksichtigt in der Karte sind die damaligen Nennungen sind unsicher, eine ganze Reihe jüdischer drei hohenzollerischen Judengemeinden Dettensee, Gemeinden läßt sich nur auf Grund archäologischer Haigerloch und Hechingen sowie die jüdische Ge- bzw. baugeschichtlicher Funde, mit Hilfe der modernen meinde der zum Großherzogtum Hessen gehörenden Stadtplanforschung oder der nach dem Untergang der ehemaligen Reichsstadt Wimpfen, weil für diese Nie- Siedlungen beibehaltenen Namen für Straßen, Gebäude, derlassungen für die Jahre 1824/25 keine Einwohner- Straßenbezirke usw. erschließen. Die kartographische zahlen zur Verfügung standen. In Dettensee waren Darstellung wollte auf solche unsicheren Bezeugungen übrigens 1830 173 Juden ansässig, in Haigerloch 1844 jedoch nicht verzichten; sie hat sie durch unausgefüllte 323, in Hechingen 1858 469 und in Wimpfen 1829 42 Symbole gekennzeichnet. In einer ganzen Reihe von jüdische Bürger. Städten, insbesondere in den größeren, sind während des Mittelalters wiederholt jüdische Niederlassungen ge- 3. Jüdische Bevölkerung 1925 gründet und zerstört worden. Die Karte berücksichtigt diese verschiedenen zeitlich aufeinanderfolgenden Sied- Diese Karte und der ihr beigegebene vergrößerte lungen nicht, sie geht von der ersten urkundlichen Ausschnitt entsprechen nach Konzeption wie Ausfüh- Nennung einer Siedlung in der betreffenden Stadt aus rung der Karte und dem Ausschnitt für 1825. Der und gibt dann durch Unterstreichungen in unter- Vergleich der beiden kartographischen Darstellungen schiedlichen Farben an, wann die Juden endgültig soll zeigen, wie sehr sich die Verhältnisse im Lauf von hundert Jahren gewandelt hatten: Viele jüdische

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Landgemeinden waren gänzlich verschwunden, andere hatten nur noch einen Bruchteil der jüdischen Ein- wohner, die sie hundert Jahre zuvor besessen hatten. Die Rabbinatssitze waren ausnahmslos in die Städte verlegt worden. Über 500 jüdische Einwohner wiesen jetzt nur noch größere Städte auf. Von den 1825 nicht berücksichtigten vier israeliti- schen Gemeinden bestand Dettensee als eigenständige Gemeinde nicht mehr (1933 2 jüdische Einwohner). Von den drei anderen Gemeinden hatten 1925 Hai- gerloch 210, Hechingen 111 und Wimpfen 22 jüdische Bürger.

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III. Literatur Germania Judaica. 2. Von 1238 bis zur Mitte des 14. Jahr- hunderts. Hg. Z. AVERNI. 1968. Das Königreich Württemberg. Hg. Königliches Statistisches Topographisches Bureau. 1-4. Neue Ausgabe. 1904-1907. Handbuch der jüdischen Gemeindeverwaltung und Wohl- fahrtspflege 1924/25. Hg. von dem Deutsch-Israelitischen Badisches Städtebuch. Hg. E. KEYSER. 1959. Gemeindebund und von der Zentralwohlfahrtsstelle der Württembergisches Städtebuch. Unter Mitwirkung der Kom- deutschen Juden. 1925. mission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württem- HUNDSNURSCHER, F. und TADDEY, G.: Die jüdischen Gemein- berg und des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg den in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale (Veröffent- Hg. E. KEYSER. 1962. lichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Würt- Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohl- temberg 19). 1968. fahrtspflege. Hg. von der zentralen Wohlfahrtsstelle der Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe in Württemberg. Hg. vom deutschen Juden. 1933. Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft Würt- Gedenkbuch zum 150jährigen Bestehen des Oberrats der Is- tembergs. 1932. raeliten Badens. 1934. KLUGE, H.: Die Siedlungen der Juden im deutschen Südwesten zu Ende des 18. Jahrhunderts. In: Der deutsche Südwesten Germania Judaica. 1. Von den ältesten Zeiten bis 1238. Im am Ende des alten Reiches. Geschichtliche Karte und Bei- Auftrag der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des wort. Bearbeitet von E. HÖLZLE. 1938. Judentums nach dem Tode von M. BRAUN hg. I. ELBOGEN, A. FREIMANN und H. TYKOCINSKI. 1963 (Fotomechanischer LEWIN, A.: Geschichte der badischen Juden seit der Regierung Nachdruck der Ausgabe von 1934). Karl Friedrichs (1738 bis 1909). 1909.

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Historischer Atlas von Baden-Württemberg: Erläuterungen Herausgegeben von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg 2. Lieferung 1973 Druck der Erläuterungen: Offizin Chr. Scheufele, Stuttgart