BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks

Sendung vom 01.12.1998

Lothar Loewe Fernsehjournalist im Gespräch mit Werner Reuß

Reuß: Herzlich willkommen bei Alpha-Forum, zu Gast ist heute Lothar Loewe, ehemaliger Intendant des Senders Freies und langjähriger Korrespondent der ARD. Herzlich willkommen, Herr Loewe. Sie standen als Journalist und Korrespondent jahrzehntelang mitten im Geschehen und haben selbst einmal gesagt: "Für mich ist der Journalismus vor allem ein großer Spaß an der Sache, ein Hobby, auf das ich nicht verzichten möchte." Üben Sie Ihr Hobby heute immer noch aus – wenigstens ab und an? Oder haben Sie sich inzwischen ein anderes Hobby gesucht? Loewe: Nein, das ist immer noch mein Hobby, denn ein Hobby gibt man ja lebenslänglich nicht auf. Der Journalismus interessiert mich auch heute noch: Ich schreibe noch, aber die Fernsehtätigkeit ist zu Ende. Ich schreibe für Zeitungen, ich schreibe gelegentlich Kommentare in einem Millionenblatt, ich schreibe Gastkommentare mit anderen Kollegen wie Klaus Bölling in Berlin in der "Morgenpost", und gelegentlich schreibe ich auch noch Rundfunkkommentare. Das heißt, ich bin immer noch journalistisch tätig, und das bereitet mir sehr viel Spaß. Reuß: Sie haben einmal gesagt, Sie könnten nicht ohne Nachrichten sein: Zeitungen, Hörfunk, Fernsehen – Sie müßten das alles mitnehmen, denn ohne Nachrichten würden Sie sich wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlen. Ist das immer noch so? Loewe: Das ist immer noch so. Obwohl ich mich in der Versorgung mit Nachrichten etwas eingeschränkt habe. Ich lese nicht mehr alle Zeitungen, höre nicht mehr alle Nachrichten und sehe mir auch nicht mehr alle Fernsehnachrichtensendungen an. Aber ich informiere mich täglich doch sehr gründlich. Ich lese noch vier bis fünf Zeitungen täglich – und da muß auch die "International Herald Tribune" dabei sein. Ich sehe natürlich die "Tagesschau" und auch die Konkurrenz, also unsere freundlichen Kollegen vom ZDF, und ich höre natürlich immer noch gelegentlich die BBC. Ich bin also schon noch auf dem Laufenden, obwohl es auch Zeiten gibt, wenn ich beispielsweise an der Ostsee bin, zu denen ich mich auf vielleicht nur eine oder zwei Zeitungen beschränke. Reuß: Sie haben auch geschrieben, daß Sie früher auf Ihren Auslandsreisen immer ein Kurzwellenradio mitgenommen hätten. Ist das heute auch noch so? Loewe: Das ist immer noch so. Das nehme ich eigentlich auch bei Privatreisen mit. Wenn ich nach Amerika reise – was ich ein- oder zweimal im Jahr aus Interesse und alter Anhänglichkeit mache und weil ich Amerika einfach schön finde –, habe ich mein Kurzwellenradio mit dabei: wegen der BBC und der Deutschen Welle. Und einmal am Tag höre ich dann auch rein. Reuß: Als Vollblutjournalist, so haben Sie gesagt, hätten Sie den Drang, immer auf dem Laufenden zu sein. Sie wollten immer wissen, was los ist, um Ihr Publikum auch entsprechend informieren zu können. Wenn heute ein junger Mensch zu Ihnen käme und sagen würde, "Herr Loewe, ich möchte gerne Journalist werden": Welche Fähigkeiten – außer einer unersättlichen Neugier – sollte und müßte er mitbringen? Loewe: Er muß natürlich ein Talent zum Schreiben haben. Ich würde niemandem empfehlen, zum Fernsehen und zum Rundfunk zu gehen, ohne vorher schon geschrieben zu haben. Die meisten Journalisten aus meiner Generation kommen ja von der Zeitung: Wir haben alle bei der Zeitung oder bei Nachrichtenagenturen angefangen. Ich halte ein gewisses Talent fürs Schreiben schon für eine wichtige Voraussetzung. Neugier alleine genügt nicht, es ist auch noch eine große Portion Gründlichkeit vonnöten: Man muß darauf achten, daß die Fakten, die man zusammenträgt, auch stimmen. Und man muß – und das halte ich in diesem Beruf für wesentlich – die Fakten von der Meinung trennen. Das Nicht-Vermischen von Tatsachen und Meinungen ist eine wichtige angelsächsische und amerikanische Regel. Die Engländer, aber mehr noch die Amerikaner, haben diesen Stil geprägt. Der angelsächsische und amerikanische Journalismus hat eben auch mich geprägt. Ich habe immer versucht, mich daran zu halten. Reuß: Lassen Sie uns einen großen Schritt zurück tun. Sie sind am 9. Februar 1929 in Berlin geboren. Wie sind Sie aufgewachsen, wie war Ihre Kindheit? Loewe: Ich bin der Sohn eines Beamten. Mein Vater war Beamter der Reichspost im Telegraphendienst. Ich bin in Berlin geboren und auch dort aufgewachsen. Ich habe bis 1936 in Berlin gelebt und damit die Olympischen Spiele noch miterlebt. Mein Vater wurde dann aber in die Provinz versetzt - aus Gründen, die mir noch heute etwas unerfindlich sind –, in eine kleinere Stadt östlich von Berlin, nach Landsberg an der Warthe. Das ist eine Stadt, die heute Gorzow heißt und in Polen liegt. Dort habe ich meine Jugend verbracht, in der der Krieg - vor allem in den ersten Jahren - keine entscheidende Rolle gespielt hat. Das lag hauptsächlich daran, daß es in dieser Stadt keine Bombenangriffe gegeben hat. Es gab zwar Luftalarme und auch die üblichen Erscheinungen, die es damals in Deutschland während des Krieges gegeben hat, aber es gab keine direkte Betroffenheit. Ich war ein Einzelkind: Ich hatte also keine Geschwister, hatte keinen Bruder, der im Krieg war. Auch mein Vater hatte das Alter, in dem er hätte eingezogen werden können, schon überschritten. Reuß: Sie haben, sehr zum Ärger Ihres Vaters, während des Krieges heimlich die Nachrichtensendungen der BBC gehört. Loewe: Das ist richtig. Da begann aus irgendeinem Grund diese Neugier. Wie bin ich eigentlich darauf gekommen? Es gab zunächst einmal Störsender auf den reichsdeutschen Stationen: Der Moskauer Rundfunk peilte sich in Nachrichtensendungen des deutschen Rundfunks ein und sprach in diese Sendungen Kommentare hinein. Das machte mich zuerst einmal stutzig. Bei meinen Großeltern in Hinterpommern stand ein großes Rundfunkgerät mit einer wunderbaren Skala, auf der all diese Sender wie Beromünster aus der Schweiz und die englischen Sender standen. Da war alles verzeichnet: London, Paris usw. Da drehte ich herum und stieß zunächst einmal auf die Schweizerische Rundspruchgesellschaft, auf Beromünster. Radio Beromünster war interessant, weil sie dort alle Kriegsberichte verlasen, also die täglich veröffentlichen Frontberichte von allen beteiligten Seiten: den deutschen Wehrmachtsbericht, aber auch den englischen und den russischen Bericht. Das fand ich interessant, weil man da natürlich schon eine Vergleichsmöglichkeit bekam. Wobei am Anfang des Krieges, als der Krieg für die Nazis bzw. die Deutschen günstig verlief, die deutschen Nachrichten doch ziemlich zuverlässig waren. Später, als sich das Kriegsbild wandelte, veränderte sich das. Und so kam ich dann zur BBC und fand sie außerordentlich interessant. Die BBC war auch sehr geschickt, sie machte etwas, das sehr eindrucksvoll war: Sie sendete Ausschnitte von Hitler- oder Goebbelsreden, in denen Hitler oder Goebbels bestimmte Behauptungen aufgestellt hatten, und widerlegte das. Die BBC sagte, daß das ganz anders sei und daß in Berlin eigentlich jeder wüßte, daß es so ist – und eben nicht so, wie der Führer es behauptet hätte. Göring hatte z. B. behauptet, sollten jemals englische Bomber Berlin bombardieren, dann würde er Meier heißen. Das war eine Rede von Göring, die im Rundfunk ausgestrahlt worden war. Die BBC stellte dann einfach die Tatsachen dagegen, und jeder in Berlin wußte, daß Göring nun eigentlich tatsächlich Meier heißen müßte. Reuß: Das Abhören von Feindsendern war verboten, darauf stand die Todesstrafe. Waren Sie sich dieser Gefahr bewußt? Loewe: Ach, wissen Sie, wir haben das nicht so ernst genommen. Ich hatte Schulfreunde, und jeder hörte da für sich die Feindsender. Wir tauschten uns auch ein bißchen aus über diese Nachrichten. Offen gesagt, wir waren alle in der HJ oder im Jungvolk, und ich war auch Jungvolkführer gewesen: Meine grundsätzliche Auffassung war also gar nicht angekratzt. Aber dennoch hielt ich einfach für interessant, was die BBC sendete. Meine Eltern waren wegen dieser Sache natürlich sehr viel ängstlicher als ich, vor allem mein Vater. Ich nahm das eigentlich ziemlich unbefangen. Aber interessant ist dabei schon, daß ich die ersten Berichte über Konzentrationslager in der BBC gehört habe. Ich glaube sogar, ich habe im Januar 1945 einen Bericht über die Befreiung von Auschwitz gehört. Ich bin mir da nicht ganz sicher, aber Berichte über die Konzentrationslager habe ich dort zum ersten Mal gehört. Ich muß Ihnen aber ganz offen sagen, daß ich das nicht geglaubt habe. Ich habe nicht geglaubt, daß Deutsche zu solchen Verbrechen fähig wären. Reuß: Ihr Wunsch, Journalist zu werden, ist aber offenbar in dieser Zeit durch den Eindruck des Hörens von BBC und anderen Sendern entstanden. Nach Ihrer Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft haben Sie 1948 zunächst Ihr Abitur gemacht. Das war auch das Jahr der Berlinblockade. Politisch war da also sehr viel los. Hat sich diese politische Entwicklung auf Ihren Berufswunsch, Journalist werden zu wollen, ausgewirkt? Loewe: Wenn Sie wollen, ja, weil sich etwas sehr Interessantes entwickelte, das sich auf die ersten Zeitungen bezog, die nach dem Krieg in Berlin herauskamen. In der Gefangenschaft konnten wir die "Tägliche Rundschau" im Schaukasten wahrnehmen, also die Zeitung der sowjetischen Besatzungsmacht. Es war ganz klar, daß das die kommunistisch geprägte Stimme Moskaus war. Sie unterschied sich im Stil und in der Aufmachung auch nur sehr wenig vom "Völkischen Beobachter", also von der Nazi-Zeitung. Ich wurde dann entlassen und kam nach Westberlin. Da gab es auch andere Zeitungen. Die drei westlichen Besatzungsmächte gaben ja ebenfalls Zeitungen heraus: die Franzosen den "Kurier", die Engländer den "Telegraph", die Amerikaner den "Tagesspiegel" und die "Neue Zeitung". Diese Zeitungen unterschieden sich aber wirklich: Ich konnte zum ersten Mal ein unterschiedliches Meinungs- und Informationsspektrum feststellen. Das steigerte meine Neugier. Beim Rundfunk war es ähnlich: Es gab den Ostrundfunk, d. h. den sowjetisch lizenzierten "", und es gab dann sehr schnell, in den Jahren 1946 und 1947, den RIAS. Der RIAS wurde von den Amerikanern mit deutschen Mitarbeitern aufgebaut. Es gab in Berlin aber auch ein Sendestudio des NWDR, der aus Hamburg und Köln kam. Auch hier konnte ich eine Vielfalt des Rundfunkprogramms erleben. Das interessierte mich, und insofern haben Sie schon recht: Das bestärkte meinen Impetus in dieser Richtung. Eigentlich hatte ich nämlich studieren wollen. Ich konnte das aber nicht machen, weil ich sofort nach der Währungsreform meine Mutter ernähren mußte. Ein weiterer Grund, warum ich nicht studierte, lag darin, daß das Studium in der Zulassung hinsichtlich früherer HJ- und Jungvolkführer eingeschränkt war. Ich wäre wahrscheinlich trotzdem zugelassen worden, denn als sechzehnjährigem Jungvolkführer konnte man mir eigentlich nicht ernsthaft irgendwelche Vorwürfe machen. So ergab sich das mit dem Studium einfach nicht. Eine Volontärsstelle bekam ich aber auch nicht, und so fing ich eben an, als Lokalreporter und freier Mitarbeiter meine ersten kleinen Reportagen zu schreiben. Ich fand beim "Abend" glücklicherweise einen älteren Redakteur, P. A. Otte, der vom "Berliner Tageblatt" gekommen war und dem ich meine ersten Berichte zeigte. Er hat dann gesagt: "Na ja, das ist ganz brauchbar, das eine oder andere werden wir wohl drucken." Ich kaufte mir dann jeden Tag eine Zeitung, um nachzuschauen, ob meine Reportage schon drin stehen würde. Und so entwickelte sich das. Das war also schon ein sehr mühseliges Geschäft. Ich glaube, ich habe am Anfang nicht mehr als 80 oder 100 Reichsmark bzw. Ostmark bekommen. Später – während der Blockade – wurde das dann in einem Verhältnis von 25 zu 75 Mark ausbezahlt. Das hieß, bei einem Honorar für eine kleine Reportage von 40 Mark wurden dann 25 Prozent in Westmark und der Rest in Ostmark ausbezahlt. Das war also schon ziemlich mühselig, und meine Mutter hatte gewisse Zweifel, ob das wirklich etwas Vernünftiges wäre und nicht etwa nur eine brotlose Kunst. Aber das änderte sich, als ich beim "Abend" in eine Redaktion kam und dort Fuß faßte. Reuß: Sie gingen 1953 als Austauschjournalist in die USA. Loewe: Ich bekam dieses Angebot von den Amerikanern und zögerte zunächst noch, weil es über ein Jahr ging und damit ziemlich lang war, wo ich doch gerade als Journalist Fuß gefaßt hatte. Ich war fester freier Mitarbeiter und hatte die Chance, Redakteur zu werden. Aber ich hatte einen Kollegen, Dr. Dietrich Bartens – er war übrigens später Korrespondent des Bayerischen Rundfunks in Berlin –, der eine Art journalistischer Ziehvater, Freund und Berater für mich war. Er war vor der Nazizeit in den dreißiger Jahren selbst in Amerika gewesen und sagte sofort zu mir: "Wenn du die Chance hast, nach Amerika zu gehen, dann mußt du sie unbedingt wahrnehmen." Gut, wir wurden vorher zunächst alle einer Aufnahmeprüfung unterzogen: wie unser Englisch war und wie es um unsere Allgemeinbildung stand. Kurzum, ich kam in dieses Programm hinein und ging für ein Jahr nach Amerika. Es war eine hochinteressante Zeit für mich. Ich ging nach Oregon: Wir hatten dort ein Studienprogramm, und ich arbeitete bei kleinen amerikanischen Wochenzeitungen, aber auch bei Tageszeitungen wie der "Atlanta Constitution". Ralph McGill war ein berühmter Herausgeber und Chefredakteur einer im Süden der USA erscheinenden Tageszeitung, die damals in der Rassenfrage eine liberale Position einnahm. Ich werde das nie vergessen: Als ich dort hospitierte, waren gerade die ersten schwarzen Polizisten in Atlanta, Georgia, in die Polizeimannschaft aufgenommen worden. Ich glaube, daß auch bei der Wahl zum Staatsparlament von Georgia zum ersten Mal ein Schwarzer angetreten war. Wenn ich mich richtig erinnere, ist der dann auch gewählt worden. Reuß: Der journalistische Durchbruch kam für Sie 1960, als der damalige Studioleiter des NWDR in Berlin, Thilo Koch, als Nachfolger von Peter von Zahn Korrespondent in den USA wurde. Er fragte Sie, ob Sie nicht mitgehen möchten: als Jungredakteur, als sein Assistent. Sie sagten dann innerhalb von 24 Stunden zu. Was waren in den USA Ihre ersten Aufgaben? Loewe: Zunächst einmal muß ich Ihnen folgendes sagen: Das Leben ist ja manchmal eigenartig, denn das war wirklich eine entscheidende Weichenstellung. Wenn Thilo Koch einen anderen jungen Kollegen gefragt hätte, dann wäre ich wahrscheinlich ewig Zeitungsredakteur und vermutlich auch immer in Berlin geblieben. Ich weiß nicht, was dann aus mir geworden wäre: vielleicht ein ganz ordentlicher Journalist, aber ich wäre nie zum Rundfunk oder Fernsehen gekommen. Insofern war also Thilo Koch eine wichtige Persönlichkeit für mich, weil er in meinem Leben eine wichtige Weiche gestellt hat. Das hatte aber, wenn ich das kurz sagen darf, einen Vorlauf gehabt. Ich hatte dem Berliner Studio des NWDR gelegentlich schon Beiträge geliefert, die ich auch sprechen sollte. Ich bin nun einmal Berliner – man hört das sicher –, und Thilo sagte deshalb zu mir: "Weißt du, das wird, wie ich glaube, nie was." Ich hatte das also eigentlich schon aufgegeben. Aber trotzdem wollte er mich nach Amerika mitnehmen. Ich wurde dort ganz einfach ins Wasser geworfen. Ich fing an, Hörfunkberichte für das "Echo des Tages" zu schreiben, einer auf Mittelwelle ausgestrahlten Gemeinschaftssendung von NDR und WDR, so wie ich früher für die Zeitung meine Reportagen geschrieben hatte. Ich schrieb auch meine ersten Kommentare, bei denen mich Thilo anleitete und die er auch gegenlas. Ich ging dann ins Studio und habe sie auch selbst gesprochen. Manchmal brauchte ich dafür drei oder vier Anläufe, weil ich meine Versprecher drin hatte – das wurde damals ja noch nicht live gemacht. Aber so begann dieses Geschäft für mich. Ich sprach sehr gut englisch und kannte die USA auch schon: Deswegen hatte mich Thilo mitgenommen. Ich schwärmte also aus ins Pentagon, ins Weiße Haus und ins State Department, also ins Außenministerium, und erschloß mir dort meine Quellen. Es gab zu der Zeit das Berlin-Ultimatum von Chruschtschow. Und der Kalte Krieg war auch in vollem Gange. Es gab eben eine Vielzahl sehr interessanter Geschichten, Reportagen und Kommentare. Gelegentlich hatten wir auch Informationen, die unsere deutschen Zeitungskollegen in Washington nicht hatten. Wir hatten das, was man einen "Scoop" nannte. Das machte uns stolz: Thilo schätzte es, einen Scoop zu haben – und ich schätzte es auch. Und so war unsere Tätigkeit eben nicht unerfolgreich. Reuß: Das war eine politisch sehr spannende und bewegte Zeit: Es gab Rassenunruhen, John F. Kennedy wurde Präsident, und anschließend gab es die Kuba-Krise. Dann wurde John F. Kennedy ermordet. Wie haben Sie diese Zeit in den USA erlebt? Loewe: Das war schon einer der Höhepunkte in meiner Laufbahn. In Washington habe ich den Mauerbau in Berlin erlebt: Ich erlebte dabei vor allem die Ohnmacht, weil wir Deutschen doch erwartet hatten, daß die Amerikaner etwas dagegen unternehmen würden. Wir hielten es eigentlich nicht für möglich, daß den Russen bzw. der DDR gestattet werden würde, diese Mauer zu bauen. Wir mußten in diesem Punkt unsere Auffassung revidieren, und das war nicht immer einfach. Auf der anderen Seite hatte man als Berliner im Weißen Haus von John F. Kennedy einen guten Zugang. Pierre Salinger, der damalige Pressesekretär, mochte mich offenbar. Ich besaß seine private Telefonnummer und konnte ihn deshalb auch nachts oder abends anrufen. Ich lernte da schon vielerlei Leute kennen: George McBundy-Leute aus dem Sicherheitsstab des Weißen Hauses. Ich bin auch dem Präsidenten ein- oder zweimal begegnet. Die Pressekonferenzen von John F. Kennedy waren faszinierend: Er hatte diese Live-Pressekonferenzen eingeführt und stellte sich dort den Fragen der internationalen Presse. Das hatte vorher noch nie ein Präsident gemacht. Kennedy war eine faszinierende Persönlichkeit – sowohl politisch als auch persönlich –, die uns alle in seinen Bann zog. Diese Pressekonferenzen waren wirklich aufregend. Die schwerste und aufregendste Krise war sicherlich die Kuba-Krise gewesen. Wir wußten damals alle nicht, wie diese Konfrontation ausgehen würde. Das war, nach meiner Erfahrung, diejenige Krise gewesen, die uns alle beinahe das Leben gekostet hätte. Darüber gibt es für mich gar keinen Zweifel. Hier war es eben auch wieder Kennedys Zurückhaltung und seine politische Klugheit, die es ihm ermöglicht hat, diese Krise gemeinsam mit Chruschtschow zu entschärfen. Aber das war nicht vorherzusehen gewesen. Es wäre durchaus möglich gewesen, daß es zu einem schrecklichen Atomkrieg gekommen wäre. Diesen Atomkrieg hätten wir in Washington, Thilo Koch mit seiner Familie mit den zwei Kindern und ich als Junggeselle, vermutlich nicht überlebt. Wir haben uns damals in diesen Tagen schon ausgemalt, was geschehen würde, wenn der Atomalarm ausgelöst werden würde und vielleicht eine zehn Megatonnen schwere Bombe der Russen über Washington detonieren würde: Das hätte den Tod von Millionen von Menschen bedeutet – und auch den Tod der dortigen deutschen Korrespondenten. Reuß: Ich springe nun etwas in Ihrer Biographie, wenn Sie erlauben. Ihre Tätigkeit in Washington endete 1967. Sie wurden dann Korrespondent in Moskau und erlebten dort die ersten zarten Anfänge des Entspannungsdialogs zwischen Ost und West. 1970 begannen die Verhandlungen über einen Gewaltverzichtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion. Sie haben damals das eigentlich noch Undenkbare schon gedacht: daß im Rahmen des Entspannungsprozesses vielleicht westdeutsche Journalisten irgendwann einmal in der DDR tätig sein könnten. Was hat Sie da so sicher gemacht? Loewe: Zunächst einmal hat es mich nach 6 ½ Jahren in Washington im westlichen Zentrum der Macht – das war schon faszinierend genug gewesen – interessiert, Moskau als das andere Zentrum kennenzulernen. Das war ein kühner und vielleicht auch etwas naiver Entschluß, weil dort natürlich die Quellensituation eine ganz andere war: Man konnte ja nicht einfach in den Kreml gehen und mit den Leuten reden. Wir hatten dafür auch gar keinen Kremlausweis. All das war anders, es war eine geschlossene Gesellschaft. Am Anfang unterlagen wir – ich war dort mit Ulrich Schiller – auch noch der Zensur: Wir mußten unsere Hörfunkmanuskripte noch beim Zensor einreichen. Kurzum, es war eine außerordentlich schwierige Arbeit. Dann kamen zwei Krisen. Die erste – heute schon vergessene – Krise war der sowjetisch-chinesische Konflikt am Ussuri, mit bewaffneten Zwischenfällen zwischen sowjetischen und chinesischen Truppen. Wir saßen in Moskau, wußten reichlich wenig und hörten nur das, was uns die Russen sagten oder was uns die chinesische Botschaft sagte. Aber es war eine sehr aufregende und nicht ungefährliche Situation. Die zweite Krise, die ich in Moskau erlebt habe, war der sowjetische Einmarsch in die Tschechoslowakei. Dazu kam die damals beginnende Dissidentenbewegung: André Amalrik war einer der ersten, den ich aus dieser Bewegung kennengelernt habe. All das hat uns beschäftigt. Und dann kamen 1970 die Anfänge der Ostpolitik: Egon Bahr kam nach Moskau. Egon Bahr war damals gegenüber einigen von uns Journalisten relativ offen. Ich hatte lange Gespräche mit ihm. Er entwickelte mir eigentlich genau die Brandtsche Philosophie: zunächst einmal durch einen Gewaltverzichtsvertrag mit den Russen ein gutes Klima schaffen, um Berlin als Krisenpunkt neutralisieren zu können. Es ging darum, für die Transitwege Vereinbarungen zu treffen, um Berlin zu sichern und die Akzeptanz von Westberlin bei den Russen zu festigen. Darüber hinaus sollte dann auch durch z. B. einen verstärkten Besucher- und Telefonverkehr, durch kulturellen Austausch und wirtschaftliche Verbindungen das Verhältnis zur DDR gesamtdeutsch aufgelockert werden. Bei einem dieser langen Winterspaziergänge, die wir dort gemacht haben, fragte ich ihn: "Sind Sie denn nicht der Meinung, daß wir – so wie wir hier in Moskau Korrespondenten haben – auch in Ost-Berlin Korrespondenten haben müßten? Die ARD muß doch auch in Ost-Berlin vertreten sein." Er sagte darauf: "Genau das habe ich im Sinn, das muß sein, das gehört dazu, das ist Normalität." Da war für mich ziemlich klar, daß ich mich nach dieser Moskauer Zeit – mein Vertrag lief Ende 1970 bzw. Anfang 1971 ab –, dafür interessieren würde. Ich habe mich dann sehr frühzeitig beim damaligen Koordinator des ARD-Fernsehens, Heinz-Werner Hübner, gemeldet und gesagt: "Ich würde gerne als erster Korrespondent nach Ost-Berlin gehen, zumal ich Berliner bin und drüben auch noch sehr viele Freunde habe. Das wäre für mich nach Moskau eine faszinierende Aufgabe." Diese Auffassung teilten dann auch die Intendanten und die oberen Herren der ARD. Und so wurde ich der erste Studioleiter in Ost- Berlin. Reuß: Politisch ging dann ja zwischen den beiden deutschen Staaten alles ziemlich schnell, fast überraschend schnell, nachdem in den Jahrzehnten vorher fast nichts geschehen war. 1970 war der damalige Bundeskanzler Willy Brandt in Erfurt, und es wurde ihm zugejubelt. Dann gab es das Transitabkommen, das Verkehrsabkommen, und im Dezember 1972 folgte der Grundlagenvertrag. Sie haben damals auf der internationalen Pressekonferenz zum Grundlagenvertrag bereits das Aufsehen der DDR- Oberen erregt. Wissen Sie noch womit? Loewe: Ich weiß es noch ganz genau. Die Vorgeschichte dazu ist folgende: Die DDR betrachtete diesen Grundlagenvertrag als einen Vertrag, in dem sich die beiden deutschen Staaten als Ausland verstanden: Wir wurden ja auch wie ausländische Korrespondenten behandelt. Um das auf den Punkt zu bringen, fragte ich beim Vertragsabschluß Michael Kohl – das war der Ostunterhändler, der den Vertrag mit Egon Bahr ausgehandelt hatte –, wie er denn einen Deutschen in Frankfurt am Main im Vergleich zu einem Deutschen in Frankfurt an der Oder betrachten würde. Ich wollte von ihm als Antwort hören, daß das ein Ausländer ist. Das sagte er aber nicht. Statt dessen sagte er: "Wie betrachten Sie denn diesen Deutschen?" Ich sagte ihm: "Das will ich Ihnen gerne sagen, denn es gibt schon einen Unterschied. Beide Deutsche, der in Frankfurt an der Oder und der in Frankfurt am Main, sind Deutsche, die in zwei unterschiedlichen Staaten und Systemen leben. Aber der Unterschied besteht darin, daß dem Deutschen in Frankfurt am Main niemand in Westdeutschland ein Hindernis in den Weg legen wird, wenn er heute den Möbelwagen vorfahren läßt, seine Möbel einpackt und nach Ost-Berlin zieht. Wenn dies in Frankfurt an der Oder einst auch der Fall sei, dann haben wir endlich normale Beziehungen." So lautete in etwa die Antwort. Das ist mir natürlich später – auch in den Stasiakten, die ich gefunden habe – als eine besonders böswillige Provokation ausgelegt worden. Aber es traf den Nerv der Geschichte, und damit komme ich zu einem weiteren Punkt: Für mich war nicht nur die journalistische Tätigkeit wichtig, sondern auch, einen Beitrag zu leisten, um den Zuschauern in der Bundesrepublik zum ersten Mal mit Hilfe des Fernsehens ein Bild von den Verhältnissen in der DDR, dem anderen Teil Deutschlands, zu vermitteln und zu demonstrieren. Insofern habe ich das immer als einen nicht nur journalistischen, sondern auch als einen historischen Auftrag empfunden: etwas für den Zusammenhalt der Deutschen, also die Einheit der Nation, so wie es Willy Brandt definiert hatte, zu tun. Ich wollte mit meiner Berichterstattung diesen Zusammenhalt und diese Einheit der Nation stärken. Nicht zu erkennen war zunächst, welche Bedeutung unsere Berichterstattung, die zunächst ja nur auf die Zuschauer im Westen abzielte, für die Zuschauer im Osten bekam. Weil wir uns zu Primärinformationsquellen entwickelten, wurden wir für das dortige System so ungeheuer gefährlich. Das hieß, wir berichteten über die Dinge, über die das DDR-Fernsehen – und auch das "Neue Deutschland" - nicht berichtete. Wir wurden eine wichtige Informationsquelle für unsere Zuschauer und unsere Landsleute zwischen Elbe und Oder. Das war ein Punkt, von dem ich heute weiß, daß er das Politbüro ab dem Jahr 1974/75 außerordentlich irritiert hat. Reuß: Sie haben die Mißstände in der DDR immer klar beim Namen genannt. Sie haben das Reiseverbot kritisiert, Sie haben die Unterdrückung von Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenrechten kritisiert. Hatten Sie sich eigentlich innerlich eine Grenze gesetzt und sich gesagt: "Soweit kann ich gehen"? Oder haben Sie die mit Ihrer Berichterstattung unweigerlich zusammenhängende Provokation der DDR-Führung billigend in Kauf genommen? Loewe: Ich hatte natürlich in Moskau schon einiges gelernt: Ich hatte dort ja z. B. auch die Ausweisung von Kollegen erlebt. Ich war immer der Auffassung gewesen, daß im Grunde genommen ein ausgewiesener Korrespondent ein Korrespondent ist, der seinen Auftrag nicht mehr erfüllen kann. Mir ist von einigen Leuten aus dem linken Lager im Westen später unterstellt worden, ich hätte diese Ausweisung provoziert. Das ist aber nicht wahr. Ich habe mich immer bemüht darzustellen, was ist – und damit alle kritischen Punkte, die Sie anführten. Aber ich habe es nie darauf angelegt, ausgewiesen zu werden. Ich habe schon immer versucht, die Grenze einzuhalten. Wobei ich aber sagen muß, daß die Russen einen besseren Warnmechanismus hatten als die DDR. Das heißt: Wenn ich in Moskau an die Grenze des für das sowjetische Regime Erträglichen ging – ich hatte einmal den "Obersten Sowjet" als das größte Scheinparlament der Welt bezeichnet –, dann wurde ich eben von bestimmten Leuten angerufen, die mir sagten, daß man über diesen oder jenen Ausdruck sehr unglücklich sei und ob ich in nächster Zeit nicht auch einmal wieder etwas Freundliches berichten könnte, denn man möchte doch nicht, daß ich verwarnt oder vielleicht auch ausgewiesen werde, wenn ich noch einmal so eine Geschichte loslassen würde. Man hatte da also schon eine gewisse Regulationsmöglichkeit. Das gab es in der DDR nicht. Da gab es niemanden, der einem Hinweise gegeben hätte. Die sowjetische Führung war z. B. immer bemüht, die westlichen Korrespondenten mit einem gewissen Mindestmaß an Information zu versorgen – auch wenn da oft eine gewisse Desinformation mit eingestreut war. Das, was man erfuhr, war auch nicht unwesentlich bei der Beurteilung der inneren Lage. In der DDR fehlte das. Das war aber nicht so wichtig, weil wir uns als Korrespondenten in der DDR natürlich sehr gut informieren konnten. Ich bewundere heute noch die unzähligen Menschen, die wirklich Kopf und Kragen riskiert haben, indem sie uns mit Informationen versorgt haben. Diesen Menschen bin ich heute noch dankbar. Das geschah auf der Straße, auf Reisen oder auch, indem sie zu uns ins Büro in Berlin kamen und aus ihren Betrieben, ihren LPGs oder von irgendwelchen Großbetrieben berichteten. Das gab uns natürlich schon ein sehr realistisches Bild der Lage. Es waren nicht immer nur kritische DDR-Bürger, die da zu uns gekommen sind, sondern gelegentlich auch SED-Leute, die ganz offen mit einem redeten. Reuß: Wenn Sie erlauben, würde ich nun gerne das Ende Ihrer Tätigkeit in der DDR vorwegnehmen, weil sich daraus sehr vieles erklärt – auch der Mut Ihrer Berichterstattung. Ein Punkt in Ihrer Berichterstattung war die Grenzsicherung in der DDR gewesen: An dieser Grenze kamen immer wieder Menschen zu Schaden oder sind Menschen auch erschossen worden. Sie haben das relativ deutlich beim Namen genannt. Im Dezember 1976 war im Bundestag von Helmut Schmidt gerade eine Regierungserklärung vorgetragen worden, auf die die DDR sehr heftig reagiert hatte, als Sie in der "Tagesschau" einen entscheidenden Bericht gesprochen haben, in dem Sie auch zur Grenzsicherung Stellung bezogen haben. Wenn Sie erlauben, schauen wir uns diesen Bericht noch einmal gemeinsam an. Ich darf die Regie bitten, uns diese MAZ einzuspielen. cher: "Die DDR-Führung in Ost-Berlin hat heute die Regierungserklärung von Bundeskanzler Schmidt scharf kritisiert. Im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" wurde Schmidt vorgeworfen, er habe sich mit seinen Ausführungen erneut in die inneren Angelegenheiten der DDR eingemischt." ar Loewe (1976): "Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR sind frostig wie lange nicht mehr. Zum zweiten Mal innerhalb von vier Monaten hat es die DDR-Führung für angemessen gehalten, Bundeskanzler Helmut Schmidt persönlich in massiver Form durch das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" angreifen zu lassen. Die Ausführungen des Bundeskanzlers zur Deutschlandfrage in der Regierungserklärung erregten offenbar das Mißfallen der SED-Führung. Besonders kritisiert werden im "Neuen Deutschland" Helmut Schmidts Äußerungen zur Einheit der deutschen Nation und zur erschreckenden Lage an der deutsch-deutschen Grenze. Dem Bundeskanzler wird von der SED-Führung Revanchismus und eine Politik der massiven Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR vorgeworfen. ‘Die Bundesregierung begebe sich auf einen gefährlichen Weg‘, heißt es in dem Kommentar. Politische Beobachter in Ost-Berlin meinen, eine Verhärtung der deutsch-deutschen Beziehungen könne auch das Verhältnis zwischen Bonn und Moskau erneut belasten. Es stellt sich die Frage, ob Honecker mit seinen Angriffen auf den Bundeskanzler im Einverständnis mit dem sowjetischen Parteichef Breschnew handelt. Die Menschen in der DDR verspüren die politische Kursverschärfung ganz deutlich. Die Zahl der Verhaftungen aus politischen Gründen nimmt im ganzen Land zu. Ausreiseanträge von DDR-Bürgern werden immer häufiger in drohender Form abgelehnt. Hier in der DDR weiß jedes Kind, daß die Grenztruppen den strikten Befehl haben, auf Menschen wie auf Hasen zu schießen." Reuß: Dieser Bericht ging als "Hasen-Bericht" oder "Hasen-Kommentar" in die Geschichte ein. Gesprochen wurde er am 21. Dezember 1976. Er hat dann zu Ihrer Ausweisung aus der DDR geführt: am 24. Dezember 1976, an Heiligabend, mußten Sie die DDR verlassen. DDR-offiziell hieß es, Sie müßten wegen "grober Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR" gehen. Würden Sie heute in einer ähnlichen Situation diesen Bericht noch einmal so sprechen? Loewe: Diese Frage ist mir schon oft gestellt worden. Natürlich ist diese ganze Geschichte nun schon 22 Jahre her: Ich würde vermutlich den Tatbestand etwas unangreifbarer formulieren. Aber die Grundaussage würde ich schon beibehalten: Es traf einfach zu und entsprach der Lage. Ich hatte 1976 natürlich die gehäuften Zwischenfälle, die Schüsse an der Grenze und die Toten, die da an der Grenze umgekommen waren, im Hinterkopf. Ich erinnerte mich an diesen italienischen Lastwagenfahrer, der hier an der bayerischen Grenze zur DDR auf der Werra-Brücke regelrecht abgeknallt worden war. All dies bewegte mich und bildete ganz einfach die Umstände der damaligen Situation: nach der Biermann-Ausweisung, nach dem Hausarrest von Havemann, der Verfolgung von jungen evangelischen Christen in der "Jungen Gemeinde". Es gab eine Vielzahl verzweifelter Menschen, die sich wegen der Schwierigkeiten mit ihren Ausreiseanträgen an mich gewandt und um Hilfe gebeten hatten. Darunter waren auch zwei Leute, die gedroht hatten, sich vor dem ZK selbst zu verbrennen: Ich mußte diesen Leuten das dann ausreden. Das heißt, dieser Satz sollte eigentlich die Dramatik und die Unerträglichkeit der Lage an der innerdeutschen Grenze unterstreichen. Ich wußte, daß dieser Satz brisant und nicht ungefährlich war: Ich sage Ihnen aber auch, daß ich die Ausweisung gar nicht deswegen erwartet hatte. Mir war schon Wochen vorher klar gewesen, daß die DDR einen Anlaß suchte, um mich ausweisen zu können: Die Überwachung und die Einschüchterung war schon sehr massiv gewesen. Es hatte ja auch schon andere dramatische Situationen gegeben - der Versuch, zu Professor Havemann vorzudringen, Interviews mit Stefan Heym –, die politisch sehr viel brisanter waren als jener Satz. Aber die DDR-Führung, das waren Honecker, Mielke und Werner Lambertz, ein damaliger ZK-Sekretär, hatte bereits im Oktober 1976 entschieden – das weiß ich aber erst heute aus den Stasi-Akten, damals wußte ich es nicht –, mich wegen der Berichterstattung und der "Einmischung" auszuweisen. Mielke befürchtete, daß meine Berichte und die meiner Kollegen im Fernsehen zu einem erneuten 17. Juni führen könnten, also zu einem neuen Volksaufstand in der DDR. Ich halte das für vermessen: Das war eine völlige Überschätzung unserer damaligen Tätigkeit. Aber es war Mielkes Vorstellung, wie sich aus der Aktenlage zeigt. Der Beschluß dieser Herren, mich auszuweisen, war also schon gefallen, und sie haben dann einfach einen passenden Moment abgewartet: Wenn es nicht der "Hasen-Satz" gewesen wäre, dann wäre es eben ein anderer gewesen. Sie hätten die Ausweisung also in diesen Tagen gegen Ende des Jahres 1976 so oder so vollzogen. Reuß: Sie waren auch persönlich ziemlich unter Druck gestanden, denn es hatte immer wieder Einschüchterungsversuche gegeben. Sie haben einmal gesagt: "Ich setze mich dafür ein, daß es der Postbote ist, wenn es morgens klingelt." Wie kann sich der Journalist dafür einsetzen? Loewe: Das bezog sich natürlich auf die Berichterstattung aus der DDR: Der Journalist mußte, wie ich finde, in seiner Berichterstattung klar machen und den Zuschauern vor allem auch im Westen verdeutlichen, wozu das DDR- Regime in der Lage war und wie dieses Polizeiregime handelte. Und es war eben so, daß in der DDR morgens oft genug nicht der Postbote klingelte. Der Sinn der Berichterstattung bestand unter anderem darin, den Menschen im Westen klar zu machen, daß sie die Freiheit zu schätzen haben, in der sie leben und in der 17 Millionen Landsleute über Jahrzehnte hinweg nicht leben durften. Das hatte ich dabei im Auge. Reuß: Lassen Sie uns einen weiteren großen Sprung machen. Sie waren später erneut Korrespondent in Washington, und Sie haben – etwas überraschend – im Juli 1982 bei der Intendantenwahl für den Sender Freies Berlin kandidiert und wurden auch gewählt. Was hat den Vollblutjournalisten Lothar Loewe am Amt des Intendanten gereizt? Loewe: Das kam natürlich für mich völlig überraschend. Ich habe mir nie träumen lassen, Intendant zu werden. Ich bin von Richard von Weizsäcker gefragt worden, der damals Regierender Bürgermeister von Berlin war. Er hatte diesen Posten natürlich gar nicht zu vergeben, aber er hatte über den Rundfunkrat in dieser Sache einen gewissen Einfluß. Wir sprachen zunächst einmal gar nicht über die Intendanz, sondern über das Programm des SFB und die Rolle des SFB in diesem geteilten Deutschland als demjenigen Sender, der mitten in der DDR lag. Und wir sprachen darüber, daß die gesamtdeutsche Ausstrahlung dieses Programms stärker zur Geltung gebracht werden müßte. Dazu habe ich dann ein paar Gedanken entwickelt, und daraus erst ergab sich plötzlich die Frage, ob ich Intendant werden möchte. Ich war immer schon der Meinung gewesen, daß Intendanten nicht nur Juristen oder Techniker sein sollten, sondern gelegentlich auch Journalisten, weil sie als solche etwas vom Programm verstehen. Als einem gebürtigen Berliner reizte mich natürlich diese Aufgabe. Als ich dann gefragt wurde, hielt ich es für absurd, daß mich überhaupt jemand wählen würde. Ich erhielt aber die Antwort, daß die Chancen dafür doch gar nicht so schlecht seien. Ich bin dann nach Berlin gefahren und habe mich mit einer ganzen Anzahl von Rundfunkräten unterhalten – auch mit denen, die mich nicht gewählt haben. Dann erst habe ich mich zum Intendanten wählen lassen. Ich will Ihnen sogar sagen, daß ich sehr gerne Intendant gewesen bin, weil es da innerhalb meiner Tätigkeit viele Elemente gegeben hat, die mir sehr viel Freude bereitet haben. Weniger Freude hat mir das politische Hick-Hack bereitet, das sich daraus ergeben hat. Auch die Widerstände im Sender haben mir natürlich keine Freude bereitet. Es wurde mir klar, daß es schwer war, in diesem SFB etwas zu bewegen. Aber ich denke, daß ich in den 3 ½ Jahren, die ich dort gewesen bin, auf der Programmebene doch eine ganze Menge bewegen konnte. Wir haben dem SFB ein Profil von der Art gegeben, daß er in Deutschland zwischen Lindau am Bodensee und Rügen und zwischen Frankfurt an der Oder und Aachen wahrgenommen wurde. Es gab da eben Sendungen, bei denen man wußte, daß sie aus Berlin kamen: ob das Theatersendungen und große Opernsendungen wie "Orpheus in der Unterwelt" waren oder die Erfindung von "Liebling Kreuzberg". Ich erinnere mich auch daran, daß ich mit dem NDR zusammen die "Wanderungen durch die Mark", diese Fontane-Serie von vier oder fünf Sendungen, ermöglicht habe. Wir bildeten mit dem SFB einen Kontrast: Das hatte schon auch einen etwas anderen Charakter. Ein paar Dinge konnten wir schon erreichen, und insofern bereue ich es nicht. Aber es ist für mich ansonsten gar keine Frage: Ich habe auch eine Menge Fehler gemacht. Heute würde ich vieles anders machen. Die Vorstellung, einen solchen Sender wie ein Chefredakteur zu führen, ist eben falsch: Das war ein schwerwiegender Fehler. Dazu kommt, daß Geduld vermutlich auch nicht zu meinen starken Seiten zählt. Ich hätte auch ein bißchen mehr Geduld haben müssen – vielleicht auch mit manchen Mitarbeitern. Ich räume das heute ein, aber ich bereue überhaupt nicht, dieses Amt angetreten zu haben. Ich bin eigentlich immer sehr froh darüber, was wir damals im Programm bewegt haben. Reuß: Es gäbe noch so vieles zu besprechen, aber unsere Zeit geht leider zu Ende. Ich darf mich ganz herzlich für das sehr angenehme Gespräch und für Ihr Kommen bedanken. Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, das war Alpha-Forum, heute mit Lothar Loewe. Ich bedanke mich fürs Zuschauen und sage auf Wiedersehen.

©