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SWR2 Literatur Der Autor, der mit Bildern schrieb und seine Graphic Novels Von Silke Merten

Sendung: Dienstag, 21. Februar 2017 Redaktion: Walter Filz Produktion: SWR 2017

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Sprecher 1 (Erzähler - Zitat 1 aus "Ein Vertrag mit Gott"): Den ganzen Tag fiel strömender Regen gnadenlos auf die Bronx. Die Gullys konnten die Fluten nicht mehr fassen und das Wasser stieg über die Bordsteine.

(Männerschritte einblenden, die näher kommen)

O-Ton Andreas C. Knigge 1: Der Regen ist bei Will Eisner ne ganz interessante Geschichte! Denn es geht bei Will Eisner immer um Persönlichkeiten – nicht Figuren – die nicht mit der Außenwelt agieren, sondern deren Konflikte im Inneren stattfinden. Das ist eben dieser Regen, der runterprasselt, der von Treppengeländern, von Autos auf der Straße abspritzt und dadurch eine fast hermetische Atmosphäre schafft. Und – und das ist für mich das Entscheidende – eine Verbindung schafft zwischen den beiden Themen Will Eisners: der Person und ihrem Ort. Beides wird im Regen eins.

(Schritte werden lauter)

Sprecher 1 (Erzähler - Zitat 2 aus "Ein Vertrag mit Gott"): Das Haus in der Dropsie Avenue Nr. 55 schien sich von seinen Grundfesten zu lösen, als wolle es in der rauschenden Flut davonschwimmen. "Wie die Arche Noah", dachte Frimme Hersh, während er heimwärts schlurfte.

O-Ton Denis Kitchen 1: When Will started „“ it’s not done in conventional panels. With borders and gutters between them. There’s a lot of text, and you basically have illustrations with text. And this was also not the conventional way people told stories in comics.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Als Will den Anfang von "Ein Vertrag mit Gott" zeichnete, hat er es nicht in den konventionellen Einzelbildern getan, mit Rahmen und Lücken dazwischen. Da steht erst einmal nur Text und daneben Illustrationen. Und das war nicht die übliche Weise, in der im Comic erzählt wurde.

(Schritte nah, dann schwerfällig Stufen aufwärts)

Sprecher 1 (Erzähler - Zitat 3 aus "Ein Vertrag mit Gott"): Diese Sintflut... es konnten nur die Tränen von zehntausend weinenden Engeln sein! Und für ihn war es wohl auch genau das...denn dies war schließlich der Tag, an dem Frimme Hersh seine Tochter Rachele beerdigt hatte .

O-Ton Levitz 1: What makes “Contract”’s content a radical step forward is that the interlinked stories that are in it deal with the genuine issues that as a novelist you are empowered to talk about the human condition: death, religion, our relationship with God, our own mortality, the mortality of those around us that we love, sexuality not in a “gee, look at 1 those people and all the nice, naughty things they’re doing” but in the complications of what sexual relations and sexual behavior can do.

Sprecher 2 (Voice over Levitz): Der Inhalt von "Ein Vertrag mit Gott" ist ein so radikaler Schritt vorwärts, weil in den lose verbundenen Geschichten ein Erzähler die wesentlichen Dinge des menschlichen Daseins behandelt: Tod, Religion, unser Verhältnis zu Gott, unsere eigene Sterblichkeit und die der Menschen, die wir lieben, Sexualität, nicht im Sinne von "guck mal, was für ungezogene Dinge die da machen" sondern die Komplikationen, die sich aus unseren sexuellen Beziehungen ergeben.

O-Ton Will Eisner 1: And the dream essentially was that I would reach a point that this medium would achieve the status of literature. And that I would someday be regarded as a writer. As I like to think of myself as a writer who writes with pictures.

Sprecher 1 (Voice over Eisner): Und mein Traum war, dass ich irgendwann den Punkt erreichen würde, an dem das Medium den Status von Literatur hat. Und dass ich als Autor anerkannt werde. Denn ich betrachte mich als Autor, der mit Bildern schreibt.

Sprecherin 7 - Ansage Der Autor, der mit Bildern schrieb – Will Eisner und seine Graphic Novels - Ein Feature von Silke Merten

- Mit Paul Levitz, Eisner-Biograph und –Verleger

O-Ton Levitz 2: (freistehen lassen)) If you look at the graphic novel today, that’s his legacy!

Sprecherin 7 (Erzählerin): Andreas C. Knigge – Übersetzer

O-Ton Andreas C. Knigge 2: Was bleibt, ist einfach die Dropsie Avenue.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Denis Kitchen, Freund, Verleger und Nachlassverwalter.

O-Ton Kitchen 2 (freistehen lassen): Above all, he was a humanist.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Carl und Nancy Gropper

O-Ton Carl Gropper 1: (Achtung, dieser und alle anderen O-Töne der beiden wurden im Auto aufgenommen, Verkehrsgeräusche im Hintergrund!)

2

Will was our uncle. And as Will passed away Ann Eisner, his widow, asked if we would help.

Sprecher 4 (Voice over Carl): Will war unser Onkel. Und als er starb, hat uns seine Witwe Ann gebeten, ihr zu helfen

Sprecherin 7 (Erzählerin): Und Will Eisner.

Sprecher 1 (Voice over Eisner): I’m talking about heartbreak, I’m talking about the human experience – therefore I’m talking to adults.

O-Ton Eisner 2: Ich spreche über Liebeskummer, über menschliche Erfahrungen, darum wende ich mich an erwachsene Leser.

Sprecherin 7 (Erzählerin); William Erwin Eisner. Geboren am 6. März 1917 als Kind jüdischer Einwanderer in New York. Gestorben am 3. Januar 2005 in Lauderdale Lakes, Florida. Eröffnete als Teenager zusammen mit Jerry Iger sein erstes eigenes Zeichenstudio für Comics. Spezialität: Abenteuer- und Detektivgeschichten. Sprach schon zu Anfang der 40er Jahre über das literarische Potential des Comics. Berühmteste Figur: der „Spirit“, das maskierte Alter Ego des Privatdetektivs Denny Colt.

O-Ton Kitchen 3: Will had been sort of retired from the comic book scene, he had left The Spirit in 1952, he began doing educational comics for the army and also for private corporations, he was also doing comics for school children.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Will hatte sich zurückgezogen aus der Comicszene. 1952 hat er mit „The Spirit“ aufgehört. Er hat dann angefangen, für die Army und für Unternehmen Gebrauchsanweisungen zu zeichnen, außerdem hat er Comics für Schulkinder gemacht.

O-Ton Andreas C. Knigge 3: Natürlich schwelte dieser Gedanke, mehr zu machen als das, was Comics damals taten, weiter in ihm und als dann Ende der 60er Jahre in den USA die Undergroundcomix aufkamen – Robert Crumb und andere Zeichner – da sah er plötzlich, dass eine junge Generation von Comiczeichnern etwas anderes mit Comics macht.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Nämlich ohne Rücksicht auf Tabus erzählen. Schluss mit Superhelden. Die eigenen Erfahrungen zu Geschichten machen.

3

O-Ton Eisner 3: I don’t hesitate to point out that Jewish literature, Yiddish folklore remains very much inside of me and I think in these terms „A contract with God“ was written in a Yiddish story rhythm. It’s almost like the singsong of Yiddish storytelling.

Sprecher 1 (Voice over Eisner): Jüdische Literatur und yiddische Folklore sind tief in mir verwurzelt. Beides prägt mein Denken. Und „Ein Vertrag mit Gott“ habe ich in einem yiddischen Erzählrhythmus geschrieben, fast wie ein Singsang.

Spielszene/Ausschnitt „Ein Vertrag mit Gott“

Sprecher 1 (Erzähler): Im Jahr 1881 wurde Zar Alexander II. von Russland ermordet, und eine Welle schrecklicher Judenverfolgungen überzog das Land. Dies war auch das Jahr, in dem Frimme Hersh geboren wurde – in Piske, einem kleinen Dorf in der Nähe von Tiflis. Irgendwie überlebten seine Angehörigen das Massaker, und Frimmele – wie er zärtlich genannt wurde –wuchs heran .

Sprecher 5 (Ältester 1): Der nächste Überfall kann für uns alle das Ende sein, doch du sollst am Leben bleiben, denn wir glauben, dass Gott noch Großes mit dir vorhat.

Sprecher 2 (Rabbi): Mach dir keine Sorgen, Frimmele. Gott ist mit dir, Du wirst nach Amerika gehen.

Sprecher 1 (Erzähler): Und Hersh gehorchte. Zwei Nächte später, irgendwo in den Wäldern…

(unter Feuerknistern)

Sprecherin 8 (Junger Frimme): Rebbe…ist Gott gerecht?

Sprecher 2 (Rabbi): Wenn die Gerechtigkeit nicht in Gottes Händen ist – wo sollte sie sonst sein?

Sprecherin 8 (Junger Frimme): Und wenn ich Gutes tue – wird Gott es auch wissen?

Sprecher 2 (Rabbi) (müde) : Warum nicht? Heißt es nicht, dass Gott allwissend ist?

(kurze Pause)

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Sprecherin 8 (Junger Frimme) (laut, bestimmt): Dann mache ich einen Vertrag mit Gott!

O-Ton Kitchen 4: Will was proud of his Jewish heritage but he was noone who’s a fanatical Zionist. Above all, he was a humanist. And you see in story, it’s about humanism. And a character might be Jewish but it’s not Jewish in a sense that makes him superior to his neighbors or smarter or more successful, he’s just another character and Will knows that culture better. But it’s really about humans.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Will war stolz auf seine jüdischen Wurzeln, aber kein fanatischer Zionist. Er war vor allem Humanist und seine Geschichten sind humanistisch. Eine Figur mag jüdisch sein, aber nicht im Sinne, dass sie besser oder klüger oder erfolgreicher wäre. Will kannte einfach diese Kultur besser. Aber im Kern geht es um Menschen.

Spielszene/Ausschnitt „Ein Vertrag mit Gott“

(Regen)

Sprecher 4 (Arzt): Mr. Hersh, Ihre Tochter ist tot.

Sprecher 1 ( Frimme Hersh erwachsen) (schreit): NEIN!

(Donner)

DU HAST UNSEREN VERTRAG GEBROCHEN!

Genug!

O-Ton Levitz 3: Certainly my belief at heart is that the reason that “Contract” has the power it does is that it comes out of Will’s own sadness, anger, frustration, whether with God or the universe

Sprecher 2 (Voice over Levitz): Ich denke, dass die Kraft, die von „Ein Vertrag…“ ausgeht, ganz sicher aus Wills eigener Trauer und Frustration und seinem Zorn kam, ob nun auf Gott oder das Universum.

O-Ton Carl und Nancy Gropper 1: Carl: Writing the first story in “A contract with God” really was cathartic for him. Because of the experience he and his wife had with their daughter dying from leukemia.

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Nancy: And many people who worked with him and knew him didn’t know that his daughter had died. Until they read “Contract with God”. And he explained it in the introduction.

Sprecher 4 ( Voice over Carl Gropper): Die Titelgeschichte zu schreiben, war sehr kathartisch für ihn. Denn er und seine Frau haben erleben müssen, wie ihre Tochter an Leukämie starb.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): Und viele, die mit ihm zusammengearbeitet haben, wussten nicht, dass seine Tochter gestorben war. Er hat das in der Einleitung offenbart.

Sprecher 1 (Erzähler - Zitat Einleitung): Frimme Hershs Tochter ist nicht sein eigenes Kind, aber seine Qualen waren die meinen. Und ebenso sein Zwist mit Gott. Ich musste mir meinen Zorn auf einen Gott austreiben, der mein Vertrauen in ihn in meinen Augen verraten und meine geliebte 16-jährige Tochter aus dem Leben gerissen und sie um ihre Zukunft gebracht hatte. Dies ist heute das erste Mal, dass ich das nach 34 Jahren offen bekenne. – Will Eisner, in der Neu-Auflage von “Ein Vertrag mit Gott“, 2004.

O-Ton Kitchen 5: Again he takes a bit of truth and puts it into a fictional story about a young Jewish boy who starts out very moral and eventually becomes a slum lord who is not at all generous with his tenants.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Er nimmt also ein Stück Wahrheit und steckt es in eine Geschichte über einen jüdischen Jungen, der als grundguter Kerl beginnt und sich in einen Slum Lord verwandelt. Und der alles andere als großzügig ist gegenüber seinen Mietern.

Spielszene/Ausschnitt „Ein Vertrag mit Gott“

Sprecher 1 (Frimme Hersh erwachsen): Setzen Sie die Mieten um 10% rauf, Mr. Cragg!

Sprecher 2 (Cragg): Aber was ist mit der Witwe Kelly? Sie hat nur ne kleine Rente aus Irland…

Sprecher 1 (Frimme Hersh erwachsen): Keine Ausnahmen!

Sprecherin 7 (Erzählerin) Und doch ist das nur ein Wendepunkt im Leben des Frimme Hersh. Und „Ein Vertrag mit Gott“ nur die erste der vier Comic-Geschichten in diesem Band, die mit doppeltem Boden arbeitet.

O-Ton Kitchen 6 (freistehen lassen): The super. 6

O-Ton Nancy Gropper 1 (freistehen lassen): The super.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Der Super (gespr. mit scharfem S).

O-Ton Kitchen 7: The superintendent was typical of the guys who took care of the buildings, who worked for the landlord, who had to be very tough, who would never give tenants enough heat , would always be gruff, would be the guys you complained to but maybe you’d be afraid to complain. Because he just wanted you to pay the rent and be quiet. So this particular story is probably my favorite because he’s an unsympathetic character that nobody likes. And then when you see the young girl come into the picture and you can see that she is really the villain.

Sprecher 3 (Voice over – Kitchen): Der Superintendent (engl. Aussprache), also der Hauswart, steht für die Männer, die sich um die Mietshäuser kümmerten, die hart sein mussten, die den Mietern die Heizung nie genug aufdrehten, die immer unfreundlich waren. Sie waren die Ansprechpartner für Beschwerden, aber sich zu beschweren traute man sich vielleicht gar nicht, weil sie nur wollten, dass man die Miete bezahlt und sonst Ruhe gibt. Diese Geschichte ist eine meiner liebsten, weil diese Figur so unsympathisch ist. Keiner mag den Super. Und dann kommt dieses junge Mädchen ins Bild und man merkt: sie ist der Bösewicht.

Spielszene/Ausschnitt „Der Super“

Sprecherin 8 (Mädchen) (aufreizend): Na, wie wär’s? Fünf Cents?

Sprecher 5 (Super): Okay, okay.

Sprecherin 8 (Mädchen) : Aber bloß einmal, für fünf Cents. (Super lacht gierig.) Das reicht. Gib her!

(Super öffnet eine Geldkassette, kramt Geld heraus. Hecheln eines großen Hundes im Hintergrund.)

Darf ich deinem Hund ‘n Bonbon geben?

Sprecher 5 (Super): Da sind deine fünf Cents. Kommst du morgen wieder? Dann geb ich dir zehn! (Tür wird geöffnet) Warte… nicht, dass dich jemand sieht… (sie rennt davon) He! Gib meine Kasse her! Fang sie, Hugo!!! Hugo?? (Leise) 7

Sie hat ihn vergiftet.

O-Ton Levitz 4: The super is an unusual story both because of the surprise and because of the courage. To depict a child's sexuality in n1978 in comics was an outrageous thing! It’s still a thing that would require significant courage and most cartoonists would be very very nervous about doing, but depicting a child that is ultimately using its sexuality evilly before they’re even a fully sexual creature? A: it’s creepy as hell! Not to say it didn’t happen or doesn’t happen today I’m sure it has and does somewhere… but to be thinking of that, to be doing that was so far removed from what one was expecting of Will Eisner – or a comic! – was very very powerful.

Sprecher 2 (Voice over Levitz): „Der Super“ ist eine ungewöhnliche Geschichte, wegen des Überraschungsmoments und wegen des Muts als Erzähler. Die Sexualität eines Kindes darstellen, im Jahr 1978 – das war unerhört. Das würde noch heute erheblichen Mut erfordern und die meisten Comiczeichner wären sehr sehr nervös, wenn sie es tun. Ein Kind, das seine Sexualität bewusst für Böses einsetzt, bevor es sich überhaupt sexuell voll entwickelt hat? Erstens: das ist verdammt unheimlich! Nicht, dass so etwas nicht vielleicht passieren könnte, aber nur daran zu denken! Und das darzustellen, war so weit entfernt von dem, was man von Will Eisner erwartete. Oder von einem Comic. Das war ungeheuer kraftvoll.

O-Ton Kitchen 8a: One of the other stories it’s himself and his family.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): In einer der anderen Geschichten geht es um ihn und seine Familie.

O-Ton Kitchen 8b: In those days a lot of Jewish families would go up to the Catskills, mountains in Upper New York, and they would rent cabins and spend their vacation there. So Will tells the story of how he and his family went there and he was seduced by an older woman and he tells a story of other couples and their interactions.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): In seiner Jugend gab es viele jüdische Familien, die im Sommer in die Catskills fuhren, die Berge im Norden des Staates New York. Sie mieteten sich Hütten und verbrachten da ihren Urlaub. Will erzählt, wie er und seine Familie dort Urlaub machen und wie er von einer älteren Frau verführt wurde und was sich zwischen den anderen Paaren dort abspielte.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Und schließlich „Der Straßensänger“ – im New York der Weltwirtschaftskrise ein alltäglicher Anblick.

O-Ton Nancy Gropper 2: The street singer would go from street to street between alleys, there were tenements on either side. And he would sing and people would throw down pennies 8 or nickels. There was one woman, a diva, who was an operatic singer, and she heard him singing and threw down a note. And wanted him to come upstairs to see her. Which he did. And she seduced him, told him that they could team up , with his voice and she could be his coach and she would get him jobs. And in the end when he left he couldn’t remember her address, the building she lived in.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): Der Straßensänger singt in den Schächten zwischen den Mietshäusern und manchmal wirft ihm jemand Nickels oder Pennies herunter. Und dann wirft ihm diese ehemalige Operndiva einen Zettel herunter: er soll zu ihr heraufkommen. Und als er das tut, verführt sie ihn und verspricht ihm, dass sie ihm Auftritte verschafft – bei seiner Stimme…Aber am Ende geht er und vergisst ihre Adresse und kann sich nicht mehr an das Haus erinnern, in dem sie lebt.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Vier Geschichten, die das sprengten, was man in den 70ern als Comics kannte. Und verkaufte.

O-Ton Will Eisner 4: So I called the president of the largest publishing company in New York whom I knew. And who knew my work. And I called and I said „Look, I have a very novel thing here, an unusual thing here, it is a very serious subject matter. He said „What is it called?“ So I looked down at the thing and I could’nt say to him „It’s a comic“ so I said „It’s a graphic novel“and he said „this sounds very unusual, I’ve never heard that before, bring it up“ – so I did have a meeting with him and he looked at it and he said „Oh, it’s still a comic, you still have balloons“. I finally had to publish it with a very small publisher.

Sprecher 1 ( Voice over Eisner): Also rief ich den Geschäftsführer des größten New Yorker Verlags an, den ich kannte und der meine Arbeit kannte. Und ich sagte: „Ich habe hier etwas Neues, Ungewöhnliches hier, es geht um sehr ernsthafte Themen.“ Und er sagte: „Was ist es denn?“ Ich sah herunter auf die Zeichnungen und ich konnte nicht sagen „Es ist ein Comic“, also sagte ich „Es ist eine Graphic Novel“. Er meinte „“Klingt sehr ungewöhnlich, hab ich noch nie von gehört. Bring es mir doch mal vorbei.“ Und als ich ihn dann traf und er es sah, sagte er „Es ist ja doch ein Comic, mit Sprechblasen!“ Ich musste es schließlich bei einem sehr kleinen Verlag veröffentlichen.

O-Ton Levitz 5: The term graphic novel is a stupid term! And we’re pretty much all in agreement in America about the inherent difficulty of it. As a marketing term it encompasses text books, non-fiction, genuine novels, collections of what are inarguably short stories, even short stories, illustrated in that form! But the term novel at its heart at least implies writing about things that are important to the human condition. And “Contract” was a very powerful step in that direction.

Sprecher 2 (Voice over Levitz): „Graphic Novel“, grafischer Roman, ist ein dummer Begriff. Und hier in Amerika sind wir uns ziemlich einig darüber, wie problematisch er ist. Als Marketingbegriff fallen darunter Sachcomics, Comics in Romanlänge, illustrierte Texte, Bände mit Comic- 9

Geschichten, sogar Kurzgeschichten an sich! Aber der Begriff „Roman“ impliziert im Wesentlichen, dass es um die Fragen der menschlichen Existenz geht. Und „Ein Vertrag…“ war ein entscheidender Schritt in diese Richtung.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Für Will Eisner begann im Alter von 61 Jahren die zweite Karriere als Comicautor. Die meisten seiner Bücher hat Denis Kitchen als erster gesehen und verlegt.

O-Ton Kitchen 9: He would tell me:“I’m working on something new.“ And I would always be curious and ask ”What’s this one about?” and he would say: “Well, it’s about New York in the 30s.” And I would laugh and say: “Will, it’s always about New York in the 30s. What’s different about this one?”

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Er sagte meistens: „Ich arbeite an etwas Neuem.“ Ich war immer neugierig und fragte, woran. Und er meinte nur: „Es geht um New York in den 30er Jahren.“ Und ich habe gelacht (lacht leise) und gesagt: "Will, es geht immer um New York in den 30ern. Was ist diesmal anders?"

O-Ton Levitz 6: That was his childhood! We’re going back to the child’s eye. The Depression is inseperable from his childhood. And he’s depending on how you wanna measure it a young man of twentysomething when it ends. All his formative years are that.

Sprecher 2 (Voice over Levitz): Das war die Zeit seiner Kindheit. Wir sehen sie durch das Auge eines Kindes. Die Weltwirtschaftskrise ist untrennbar Teil seiner Kindheit. Er war 12, als sie begann und egal, wie man sie zeitlich eingrenzen will, ein junger Mann, als sie endete. Das sind die Jahre, die ihn geprägt haben.

O-Ton Kitchen 10: They all take place in this tenement building on Dropsie Avenue which was a fictional place but it was the street where he grew up in the Bronx that became a very very tough neighborhood.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Die Geschichten spielen immer in diesem einen Mietshaus in der Dropsie Avenue. Eine fiktive Straße, aber sie ähnelt den Straßen in der Bronx, wo Will aufwuchs. Das wurde ein sehr hartes Pflaster.

(Fahrgeräusch unter Ton langsam aufblenden)

Stimme Navigationsgerät : Drive one mile on I 87 south.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Eine Autofahrt zu den Orten New Yorks, die Will Eisners Leben bestimmt haben. Von Manhattan, wo er seine Zeichenstudios hatte, geht es mit Carl und Nancy Gropper nordwärts – in die südliche Bronx. 10

O-Ton Nancy Gropper 3: It was a rough area where he was. In the neighborhoods where he was. And there was antisemitism. But the kids would play and they were very athletic. And Will was NOT. But he could draw. So he would draw on the sidewalk and got by that way.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): In den Gegenden, wo er gelebt hat, gab es viel Gewalt. Und Antisemitismus. Die Kinder waren körperlich sehr stark. Will nicht. Aber er konnte zeichnen. Also zeichnete er auf den Bürgersteig und kam so einigermaßen zurecht.

(Fahratmo unter Eisner-Ton ziehen)

O-Ton Eisner 5: Dropsie Avenue represents not only the places that I lived but the places that I saw. As time went on as I grew up we moved throughout the city to other places, my parents always moved closer to the edges of the city. They tried to get out of the heart of the cities as much as possible. Toward the years when I was in high school we lived on the outskirts of the Bronx.

Sprecher 1 (Voice over Eisner): Die Dropsie Avenue repräsentiert nicht nur die Orte, an denen ich gewohnt habe, sondern auch die, die ich gesehen habe. Wir sind innerhalb der Stadt oft umgezogen und im Laufe der Zeit versuchten meine Eltern, näher an den Stadtrand zu ziehen, weg vom Zentrum. Als ich in die Highschool kam, wohnten wir am Rand der Bronx.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Wer heute in die Bronx fährt, erlebt eine völlig andere als die Menschen, die in den 1920ern und 30er Jahren dorthin kamen. New Yorks Norden glich damals mehr einer Kleinstadt als dem Stadtteil einer Metropole.

(Fahratmo spätestens hier weg!)

O-Ton Lloyd Ultan 1a – (auf Englisch frei stehen lassen): It did not really urbanize until between 1915 and 1920 when New York City built most of the subways.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Lloyd Ultan, der offizielle Stadtteilhistoriker der Bronx.

O-Ton Lloyd Ultan 1b: And the subways really urbanized the Bronx. The purpose of the subways was to get the population of the Lower East Side – which had a density of population more than Calcutta in those days! – and disperse them around the 4 boroughs and many people came up to the Bronx. Now, there were a lot of Eastern European Jews that had lived at the Lower East Side, starting in the 1890s, reached the peak in 1906, but still were large numbers and they took the subways up to the Bronx because it was like – to use their language – „like country“. 11

Sprecher 5 (Voice over Ultan): Die Urbanisierung setzte erst zwischen 1915 und 1920 richtig ein, als die Stadt New York die meisten U-Bahn-Linien baute. Und die U-Bahn hat die Bronx zur Großstadt gemacht. Der Zweck der U-Bahnen war, die Bevölkerung der Lower East Side – die in dieser Zeit dichter bevölkert war als Kalkutta! – auf die anderen vier Stadtteile zu verteilen. Dadurch kamen viele Menschen in die Bronx. Die Welle der jüdischen Einwanderer aus Osteuropa aus der Lower East Side begann in den 1890ern, erreichte den Höhepunkt gegen 1906 und sogar danach zogen viele, viele Menschen mit der U-Bahn in den Norden, denn für sie war es – um es mit ihren Worten zu sagen – „wie auf dem Land“.

O-Ton Levitz 7: I made a comment about Will that he was the poet laureate of the Jewish immigrant experience in New York there was a very distinctive subculture of the Jewish immigrant population in New York. They clustered in groups, not because it was ghettoized in a formal fashion, but New York at the time had several different immigrant groups going through the process of assimilation. And there was a tendency to form these micro-cultures, sort of block by block, this is a Jewish block, this is an Italian block, this is an Irish block and sometimes whole neighborhood. So Will’s cartooning gave us all a time machine to see how our parents and grandparents lived.

Sprecher 2 (Voice over Levitz): Ich habe mal angemerkt, dass Will der "Poet Laureate" für die Erfahrungen der jüdischen Einwanderer in New York war. Sie ballten sich in Gruppen zusammen, nicht weil sie in Ghettos abgedrängt wurden, sondern weil sich in New York in dieser Zeit die Immigrantengruppen zu solchen Mikrokosmen ballten, sozusagen Block für Block, hier der jüdische Block, hier die Iren, hier die Italiener. Manchmal wurden daraus ganze Viertel. Wills Comics sind für uns alle eine Zeitmaschine: wir sehen, wie unsere Eltern und Großeltern gelebt haben.

(Fahrgeräusch einblenden)

Stimme Navigationsgerät : Turn right on Walton Avenue.

(Fahrgeräusch noch 2 Sekunden frei stehen lassen)

O-Ton Autorin und Nancy Gropper: Autorin: Some of them do look very much like the tenements he drew. Nancy: His didn’t have store fronts on the bottom but stoops! Where kids and tenants would sit, especially in the summertime, would play ball, throw a ball against the steps and catching it, come fly. Stoop ball!

Sprecherin 7 (Voice over Erzählerin): Einige hier sehen genauso aus wie die Mietshäuser, die er gezeichnet hat.

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Sprecherin 6 ( Voice over Nancy Gropper): Seine hatten keine Geschäfte im Erdgeschoss, sondern große Treppenaufgänge, wo die Kinder und die anderen Mieter saßen, vor allem im Sommer. Und die Kinder spielten Ball, warfen den Ball gegen die Stufen und fingen ihn wieder auf. Stoopball!

(Fahratmo unter folgendem O-Ton langsam ausblenden)

O-Ton Ultan 2: The stoops were people would congregate, especially at night on a hot day. This is where they would socialize. They might be playing cards with each other as well as gossiping. Each neighborhood and indeed each block in an urban setting was almost like a small town.

Sprecher 5 - Voice over Ultan: Auf den Treppenaufgängen haben sich die Leute getroffen und zusammengesessen, vor allem nach einem heißen Tag, manchmal haben sie Karten gespielt oder getratscht. Jede Nachbarschaft, eigentlich jeder Block im städtischen Umfeld war wie eine Kleinstadt.

O-Ton Levitz 8: The tenement world that Will grew up in was a very intense hive. You didn’t have enormous possession of your home. Will lived in many many different places, his family didn’t have the means to really give him a a secure home and that was just true of everybody around you.

Sprecher 2 (Voice over Levitz): Die Welt der Mietshäuser, in der Will lebte, war wie ein summender Bienenstock. Man lebte nicht sehr lange an einem Ort. Will ist ständig umgezogen, seine Familie hatte nicht genug Geld, um ihm ein sicheres Zuhause zu bieten. Und das galt auch für alle anderen in diesem Umfeld.

O-Ton Andreas C. Knigge 4: Was ich interessant finde, das ist bezeichnend für sein ganzes Spätwerk, dass wenn man diese Graphic Novels liest, bekommt man ein Bild von New York, das einem kein Film zeigt! Vom dem einem auch kaum eine Literatur erzählt. Man kriegt wirklich einen hautnahen Eindruck, wie beengt die Menschen gelebt haben, unter welchen Nöten sie gelitten haben, die Wohnungen waren klein und das führt dazu, dass jeder von jedem alles mitkriegte.

O-Ton Eisner 6: For me cities are big drama. Big theater. And there’s a neverending supply of stories.

Sprecher 1 (Voice over Eisner): Für mich sind Großstädte großes Drama, großes Theater. Ein unerschöpflicher Vorrat an Geschichten.

Zitate Schlagzeilen/Ausschnitt „Lebenskraft“ - Zwei Ausrufer, einander ins Wort fallend

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Sprecher 2 (Ausrufer 1): Kurseinbruch am Aktienmarkt! 15 Milliarden Verlust im schlimmsten Ausverkauf der Geschichte!

Sprecher 4 (Ausrufer 2): 300 New Yorker Gewerkschaftsvertreter treffen sich, um akute Arbeitslosigkeit zu bekämpfen!

Sprecher 2 (Ausrufer 1): New York City bittet Banken um Hilfe – mögliche Gehaltskürzungen um 20 Millionen Dollar!

Sprecher 4 (Ausrufer 2): Zwei Männer brechen vor Hunger im Rathaus zusammen!

O-Ton Kitchen 11: The Life Force’ is one of my favorites, it’s another one set in New York during the Great Depression.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): „Lebenskraft“ ist eines meiner Lieblingsbücher. Eines von vielen, die in der Zeit der Großen Depression spielen.

Zitat/Ausschnitt “Lebenskraft” (evtl. "When the deep purple falls" unter Zitat legen)

Sprecher 1 (Erzähler): Das Mietshaus Nr. 55 in der Dropsie Avenue lag ruhig vor Anker in einem Meer aus Beton. Nach und nach verstummten die Geräusche der Stadt. Aus einem Radio irgendwo im 2. Stock hörte man bereits Ross Columbo singen. Es war Freitag. Die Sonne ging unter und die letzten Gemeindemitglieder der nahe gelegenen Synagoge machten sich auf den Heimweg.

O-Ton Nancy Gropper 5: The protagonist Jacob Shtarkah has just finished working in a synagogue, he did the cabinetry and the woodwork, and they thought they would even name it for him. And was told that was the end of his work there. There was no more work to be had and he was totally devastated and heartbroken and he wanders home. And I think he suffers from heart attack or he collapses and he sees Izzy the cockroach. And he wonders what is the meaning of life if it’s not to accomplish something. Otherwise why are we any different from the cockroach?

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): Die Hauptfigur Jacob Shtarkah hat gerade seine Arbeit in einer Synagoge beendet, wo er die Einrichtung und die Schreinerarbeiten übernommen hat. Er macht sich sogar die Illusion, dass die Synagoge nach ihm benannt wird. Und dann wird ihm plötzlich gesagt, dass er dort nicht mehr gebraucht wird, es gibt keine Arbeit mehr. Er ist am Boden zerstört und schlendert nach hause. Und auf dem Weg bricht er zusammen und sieht die Küchenschabe, Izzy. Und fragt sich, was der Sinn des 14

Lebens sein soll, wenn nicht, etwas zu erreichen. Denn wenn nicht, wären wir dann anders als die Küchenschabe?

Spielszene/Ausschnitt „Lebenskraft“

Sprecher 4 (Jacob): Wie man es auch dreht und wendet, Mensch und Küchenschabe stecken gewaltig im Schlamassel! Denn letzten Endes wollen beide einfach nur am Leben bleiben!

(seufzt)

Sprecherin 6 (Rifka) ( von oben) : Jacob! Jacob!

Sprecher 4 (Jacob): Rifka…

Sprecherin 6 Rifka) (von oben) : Was machst du denn da unten?! Komm rauf, das Abendessen ist fertig!

Sprecher 4 (Jacob): Schon gut, schon gut. Ich komme ja, ich bin unterwegs.

(steht mühsam auf) (im Haus) (Männerschritte stufenaufwärts):

Sprecherin 6 (Rifka): Jacob, kommst du endlich??

Sprecher 4 (Jacob): Ja, ja, ich komme!

(Schritte werden langsamer und halten an unter O-Ton Eisner)

O-Ton Eisner 7: I impose my sense as though I’m a director of life theater. Each of the panels for me is a stage. I don’t think of movies, I think of life theater.

Sprecher 1 (Voice over Eisner): Ich stelle mir das Ganze vor, als ob ich ein Regisseur im Theater des Lebens wäre. Jedes Einzelbild ist für mich eine Bühne. Ich denke nicht filmisch, ich denke an das Leben als Theater.

Ausschnitt „Lebenskraft“

(im Zimmer, beim Essen)

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Sprecherin 6 (Rifka): Nu, Jacob,,, wie war dein Tag?

Sprecher 4 – (Jacob) (resigniert): Mein Tag? Ich hab heute einer Küchenschabe das Leben gerettet!

O-Ton Kitchen 12a: I like that one, too, because it’s also about an older man who has a romance, he’s in an unhappy marriage. He has a woman he used to love who’s coming from Germany and he thinks their old relationship will be rekindled, he’ll have a new life. And he tells his wife he’ going to leave her...

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Ich mag dieses Buch auch so, weil es um einen älteren Mann geht, der sich noch einmal verliebt. Er steckt in einer unglücklichen Ehe und eine Frau, die er als junger Mann geliebt hat, kommt nach New York, aus Deutschland. Er denkt, er kann mit ihr ein neues Leben beginnen und sagt seiner Frau, dass er sie verlässt…

Spielszene/Ausschnitt „Lebenskraft“

Sprecherin 8 (Rebecca) (junge Frau): Papa, ist das wahr??

Sprecherin 6 (Rifka) (laut, wütend): Na los, sag’s ihr, Jacob! Nach 30 Jahren Ehe will er auf einmal die Scheidung!

Sprecher 4 (Jacob ) (leise, zur Tür hinausgehend): Ich will keine Küchenschabe sein!

Sprecherin 6 (Rifka) (zum Fenster hinaus): Geh! Geh doch! Herr Küchenschabe! Ich brauche dich nicht… morgen bin ich vielleicht schon tot!

Sprecherin 8 (Rebecca) (neben ihr): Mama, nimm bitte ein Aspirin.

(im Nachbarhaus, aus der Distanz)

Sprecher 2 (Stimme 1): Was ist da los?

Sprecher 1 (Stimme 2): Die Shtarkas lassen sich scheiden!

Sprecher 5 ( Stimme 3): Hast du gehört, Gussie? Eine Scheidung!

O-Ton Kitchen 12b: And yet – as the story unravels you see it wasn’t meant to be and that dream is shattered. 16

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Und doch, als sich die Geschichte dem Ende nähert, sieht man, dass sein Traum zerbricht. Es hat nicht sollen sein.

Sprecherin 7 ( Erzählerin): Aber in dieser Graphic Novel geht es um mehr als eine Liebesgeschichte. Das Weltgeschehen dringt mit Macht in die Dropsie Avenue: jüdische Flüchtlinge kommen aus dem nationalsozialistischen Deutschland an, die Arbeiter in der Bronx liebäugeln mit dem Kommunismus, die Mafia erpresst Schutzgeld von Ladeninhabern und Spekulanten wittern schon wieder große Geschäfte. Eisner schickt einen Reigen von 25 Figuren - Izzy, die Küchenschabe, nicht eingerechnet - durch Tragödien und irrwitzige Zufälle.

O-Ton Andreas C: Knigge 5: Wenn man jetzt authentisch erzählen will, was man erzählen will und alles an einer Figur festmacht, kann es unrealistisch werden. Es entsteht ein viel kompakteres Bild der Zeit, wenn man das Geschehen verlagert auf unterschiedliche Figuren, die alle unter den gleichen Bedingungen leben, sie sind alle nur Kakerlaken! Aber sie kommen zusammen und dadurch entsteht etwas!

O-Ton Levitz 9: Will was lucky to live in NewYork at a moment when it was an extraordinary place. It’s still an extraordinary place but different. The New York he grew up in was changing its view of itself and changing its view of humanity very powerfully. Will comes of age in New York when you have massive waves of immigrants coming through. And for the first time you have a city that is in many ways creating engines of assimilation and engines of advancement. There were Jewish immigrants in Boston, there were Italian immigrants in Baltimore, both lovely cities. But the New York – particularly of Eisner’s youth – was a factory for taking raw material and processing them into being Americans. And even more processing them into being change agents for America. People who would change the culture, artistically, everything from the Irving Berlins of the world in music to the Will Eisners in cartooning, people who would change the language of America. It doesn’t happen the same way anywhere else.

Sprecher 2 (Voice over Levitz): Will hatte das Glück, in New York zu leben, als es ein außergewöhnlicher Ort war. Das ist es immer noch, aber anders. Sein New York war dabei, seinen Blick auf sich selbst und seine Menschen grundlegend zu ändern. In seiner Jugend ziehen große Wellen von Immigranten hindurch und zum ersten Mal wird die Stadt zum Katalysator für kulturelle Anpassung und persönlichen Erfolg. Es gab jüdische Einwanderer in Boston und italienische Einwanderer in Baltimore, beides tolle Städte. Aber das New York in Eisners Jugend war wie eine Fabrik: es schluckte Rohmaterial und produzierte Amerikaner, und zwar Schlüsselpersönlichkeiten für Amerika! Von den Irving Berlins in der Musik bis zu den Will Eisners im Comic, Menschen, die die Kultur prägten und die Sprache Amerikas. Nirgendwo sonst geschah das in diesem Ausmaß.

(unter folgendem O-Ton Straßenatmo hochziehen) 17

O-Ton Kitchen 13: Well… you know, he loved New York. And he finally retired in Florida. Reluctantly. His wife insisted they move in. He was a lifelong New Yorker and he loved the cacophony of noise and people and the fact you could walk down a busy street in Manhattan and you could see people in turbans and people of all colors and people who had just stepped off the boat and people who were millionaires. He loved that completely unpredictable nature of the big city that was a crossroad of the world.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Er liebte New York einfach. Als er in den Ruhestand ging, ist er sehr widerwillig nach Florida gezogen – seine Frau hat darauf bestanden. Aber er blieb New Yorker sein Leben lang. Er liebte das Durcheinander der Geräusche und Menschen und dass man eine belebte Straße in Manhattan gehen kann und Menschen im Turban und in allen Hautfarben sieht, und Menschen, die gerade eingewandert sind und Menschen, die Millionäre sind. Er liebte diese totale Unberechenbarkeit und dass die Stadt ein Knotenpunkt für die ganze Welt ist.

O-Ton Nancy und Carl Gropper 2: Nancy: He felt that New York was the center of the universe. (lacht) He just loved it. He loved what he saw, he loved what he observed, watching people and people interacting. (Sirenengeheul) Carl: And he’s able to see through his imagination so much about what was going on. (Sirene kommt näher, wird laut! ) That’s part of the city! (alle lachen) Nancy: The sounds of the city, the smells of the city, the rhythm of the city were all depicted in all those little vignettes that he drew for ‘New York, the Big City’ and also ‘City People Notebook’.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): Er fand, New York war das Zentrum des Universums. (lacht) Er liebte es, Menschen zu beobachten, wie sie sich benehmen und interagieren. (Sirenengeheul naht)

Sprecher 4 (Voice over Carl Gropper): Und er hatte Vorstellungskraft und Weisheit, das zu zeigen. (Sirene wird sehr laut) Das hier ist Teil der Stadt! (alle lachen)

Sprecherin 6 (Voice Over Nancy Gropper): Der Klang, die Gerüche, der Rhythmus der Stadt – das hat er eingefangen in kleinen Vignetten im Buch „New York. The Big City“ und auch in „City People Notebook.“

(Straßenatmo abblenden)

(Atmo Archivschrank, unter der Musik wird eine Schublade aufgezogen und wieder zugeschoben. Dasselbe freistehend nochmal. Plastik knistert.)

O-Ton Denis Kitchen 14: Again the bulk is here but there are pages missing that have been bought by collectors. This one is probably close to complete. The guy is apparently having a heart attack and everyone walks by. (Blättern) But then when he’s actually dying then they all gawk. In 4 panels he tells you. New Yorkers are too busy to get involved. Autorin: And did he do this only with a brush? These thin lines? 18

Kitchen: The lettering is a pen but everything else is a brush. You barely touch it and it’s thin and if you press harder it gets thicker and you just learn, you can do it very quickly. And Will was just a master at it. (Blättern und Knistern) And here we have again the overlay. Where he gets the musical notes. Because instead of voices all you hear is the street musicians and the rest is a pantomime … cause I think, the point he’s trying to get across is: this is the sounds of the city. They’re trying to talk. And all they hear is this loud, obnoxious music. So he finally pulls a coin out just to get rid of them. And then kids come along with boomboxes – it’s trying to find quiet in the city. (Schublade auf und mit Schwung zu)

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Das meiste ist hier, aber es fehlen Seiten. Die sind von Sammlern gekauft worden. Diese hier ist fast vollständig. Der Mann hat anscheinend einen Herzinfarkt und alle gehen weiter. (Blättern) Aber als er dann wirklich stirbt, bleiben alle stehen und gaffen. In vier Bildern erzählt er, dass die New Yorker zu beschäftigt sind, um sich um andere zu kümmern.

Sprecherin 7 (Erzählerin Voice over): Und das hat er mit Pinsel gemalt? Diese feinen Linien?

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Gelettert hat er mit dem Stift. Alles andere hat er mit Pinsel gemacht. Wenn man den kaum aufdrückt, ist der Strich dünn und mit mehr Druck wird er dicker. Das lernt man schnell und Will war darin ein Meister!

Und hier sieht man wieder das Deckblatt. Diesmal nutzt er es für Noten anstatt für Stimmen. Die Szene kommt ohne Worte aus, man sieht oder hört nur die Straßenmusiker. Hier will er wahrscheinlich zeigen: das ist der Klang der Stadt. Die beiden hier versuchen zu reden, aber alles was sie hören ist diese laute, aufdringliche Musik. Also spendet er eine Münze, um sie loszuwerden und hören zu können. Und dann kommen Kids mit Ghettoblaster vorbei! So versucht man in der Großstadt Ruhe zu finden.

Sprecher 1 (Erzähler - Ausschnitt/Zitat „City People Notebook“): Die wesentlichen Faktoren, die den großstädtischen Lebensraum charakterisieren, sind für mich: Zeit, Geruch, Rhythmus - und Raum.

Spielszene/Dialog „Raumordnung“ aus „City People Notebook“

Sprecher 2 (Henry): Was mach’n Sie ‘n da, Officer?

Sprecher 5 (Polizist): Wonach sieht’s denn aus?

Sprecher 2 (Henry): Das ist doch pure faschistische Repression! Der Wagen steht gar nicht vor dem Hydranten!

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Sprecher 5 (Polizist): Vorschrift sind vier Meter Abstand.

(Papier wird von einem Block abgerissen)

Sprecher 2 (Henry): Reinste Haarspalterei! Sie können mir keinen Strafzettel verpassen! Schließlich gibt es sowas wie Grundrechte! Ich protestiere, das ist Amtsmissbrauch!

Sprecher 5 (Polizist): Schaffen Sie Ihren Wagen hier weg!

Sprecher 2 (Henry): Könnte Ihnen so passen!

Sprecher 5 (Polizist): Okay, dann wird er abgeschleppt. Und zudem noch Widerstand gegen die Staatsgewalt!

Sprecher 2 (Henry?: Faschistenschwein! (wieder wird Papier von einem Block abgerissen und festgeklemmt, Schritte entfernen sich)

Sprecher 4 (Dritte männliche Stimme): Mensch, Henry, warum bist du nicht einfach weggefahren?

Sprecher 2 (Henry): Ist doch nicht mein Wagen!

(Schritte entfernen sich)

O-Ton Andreas C: Knigge 6: Seine kurzen Sachen, die sind ebenso wichtig, weil sie fokussiert sind und ganz spezielle Facetten behandeln, die in einer langen Geschichte keinen Raum hätten. Für mich sind diese Geschichten mehr Teile eines Puzzles. Erst in ihrer Gesamtheit kommt rüber, wovon er eigentlich erzählt, dann wird es eben wirklich dicht.

Spielszene/Ausschnitt aus “New York. The Big City” – Unser Block

Sprecherin 9 - Frau (unten): Rosa! Angelo! Da seid ihr ja wieder!

Sprecherin 6 - Rosa (unten): War mächtig laut da!

Sprecher 4 - Angelo (unten): Hey Maxey, wie geht’s?

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Sprecher 2 - Fahrer (unten rechts): He, fahr die Mühle weg, du blockierst ja die ganze Straße!

Sprecherin 8 - Frau von oben (nach oben brüllend): Ihr verdammtes Blumenwasser tropft auf meinen Teppich, Missis Rizzoli!

Sprecherin 7 - Frau von ganz oben (nach unten rufend): Was ist denn, Mrs. Reilly, warum brüllen Sie so?

Sprecher 3 - Joe (von oben): Ruhe, verdammt!

Sprecherin 10 - Joes Frau: Joe!

Sprecher 5 - Maxey (unten): Echt zu laut da draußen, Angelo?

Sprecher 4 - Angelo (unten): Das Landleben ist was für Vögel, Maxey!

O-Ton Levitz 10: Will captured the clutter of the city, the small moments of humanity in the city particularly well. Will’s New York was architecturally rich but spotlighted!

Sprecher 2 (Voice over Levitz): Will hat das Durcheinander der Großstadt und die kleinen Momente der Menschlichkeit besonders gut eingefangen. Sein New York war reich an architektonischen Details - aber immer wie mit Scheinwerferlicht ausgeleuchtet.

O-Ton Kitchen 15: He was after all a kind of guy who had been soaking in the detail. Because he had the kind of mind that could retain. For example, architectural detail, I saw him many times drawing without photo references and he would just draw buildings out of his head, and doorways and steps and it was amazing to me that he wasn’t copying from a reference. But I remember asking him about it and he pointed to his forehead with his fingers and he said: It’s all up here.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Er war der Typ, der Details aufsaugte. Und er hatte ein Gedächtnis dafür. Zum Beispiel Architektur: Ich habe ihn viele Male ohne Fotografievorlage zeichnen sehen. Er zeichnete Gebäude einfach so aus dem Kopf, Eingänge, Stufen - für mich war es erstaunlich, dass er das ohne Vorlage konnte. Ich erinnere mich, dass ich ihn danach gefragt habe und er tippte sich an die Stirn und meinte: "Ist alles hier drin."

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O-Ton Eisner 8: I’m a city boy. And I think that way. Just as my art work reflects my life in the city because my art work is always in strong shadow and in perspective.

Sprecher 1 (Voice over Eisner): Ich bin ein Junge der Großstadt. Das beeinflusst mein Denken so wie es meine künstlerischen Arbeiten beeinflusst. Vor allem darin, dass ich viele Schatten und aus verschiedenen Perspektiven zeichne.

O-Ton Kitchen 16: I think he liked the fact that if you take the light away things are automatically more mysterious and creepy or evocative and at the same time you shed light on things and it’s usually a positive thing but he played with light and dark all the time and it’s why he preferred his art to be black and white. There are several beautiful pastures he did, angry street and sad street and each one of them is wonderful. You see a self-portrait of Will himself in a street that is otherwise devoid of people and it’s just these large imposing buildings, giving a sense of sadness, loneliness. So those buildings were like characters and he loved playing with it to set a theme.

Sprecher 3 – Voice over Kitchen: Er mochte es, denke ich, dass die Dinge automatisch mysteriöser und unheimlicher oder atmosphärischer wirken, wenn man das Licht wegnimmt und freundlich, wenn sie voll im Licht liegen, er spielte die ganze Zeit mit Hell und Dunkel, und darum zeichnete er lieber in schwarzweiß. Es gibt einige wunderbare Einzelblätter, „wütende Straße“, „traurige Straße“ und so weiter, man sieht Will im Selbstporträt in einer sonst leeren Straße, um ihn herum nur diese großen, beeindruckenden Gebäude und das Ganze strahlt Traurigkeit und Einsamkeit aus. Diese Gebäude waren wie Figuren und er liebte es, damit zu spielen.

O-Ton Andreas C. Knigge 7: Je höher Häuser sind, je mehr Licht nehmen sie auch weg, sie parzellieren das Licht. Man guckt nach oben und hat nen Streifen, das ist das natürliche Licht, dann das künstliche Licht durch Lampen. Und Will Eisner ist von dieser Visualität geprägt: er sagt, das Licht kommt entweder von oben oder von unten. Das ist eine Ästhetik, die prägend geworden ist für seine Comic-Arbeiten. Das war schon so bei seiner Serie "The Spirit", wo er Licht-und Schatten-Effekte gewählt hat, die man im Comic einfach noch nicht gesehen hat. Bei seinen Graphic Novels wird es zum Prinzip. Und er hat dann an seiner Technik noch sehr viel gearbeitet, was auch damit zusammenhängt, dass seine frühen Sachen farbig sind und die Graphic Novels schwarzweiß.

O-Ton Kitchen 17: He did color but he preferred black and white. For him it was the boldness, the color sometimes diminishes the line. Color is sometimes what I call heavy handed and the panel becomes too dense. And it takes your brain an extra second to comprehend the image, it’s not as instant in your brain. And when he got older he became even better at the transition between panels. Usually you have a panel with lines around it and the next one has lines around it and then in between you have the white space, in English we call that gutter. And early on all comics had gutters and even Will’s. But as he grew more mature with his creations relatively few of his panels had this gutter between them. He would use whatever was happening in the next panel, it could be 22 smoke, it could be an horizon line or it could be a a cloud or just scratchy lines, but they would evolve in a more organic way from one panel to the next instead of a rigid demarcation. And some of his pages are just beautiful in that you may have four or five or six panels on a page without any lines but your eyes just follows them and it’s just a completely smooth transition, nothing abrupt. And those things came ver naturally to him, it was part of the storytelling technique.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Er hat auch Farbe benutzt, aber er zog schwarzweiß vor. Für ihn war die Klarheit wichtig. Farbe ist manchmal plump und das Einzelbild wird zu voll. Das Gehirn braucht eine Sekunde mehr Zeit, um das Bild zu entschlüsseln. Und je älter er wurde, desto müheloser sind ihm die Übergänge zwischen den Einzelbildern gelungen. Normalerweise hat im Comic jedes Bild einen Rahmen und dazwischen eine weiße Lücke. Im Englischen nennen wir sie 'Gutter'(engl. Aussprache!). Anfangs war das auch bei Will so, aber es änderte sich, je erfahrener er wurde. Er nahm etwas aus dem folgenden Einzelbild, Rauch, die Linie des Horizonts, eine Wolke, manchmal nur eine Schraffur, und verband damit die Bilder, so dass es wirkt, als ob eines aus dem anderen entsteht. Statt dass er sie mit einer Markierung trennt. Auf manchen Seiten hat man also vier, fünf, sechs Einzelbilder ohne Rahmen, aber das Auge folgt ihnen, weil die Übergänge vollkommen reibungslos sind. So etwas fiel ihm leicht und es war Teil seiner Erzähltechnik.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Das einzige, das Will Eisner nie subtil gezeichnet hat, sind seine Figuren. Mafia- Gangster tragen schwarzen Anzug und weißen Schal, Engländer haben längliche Gesichter, eine jüdische Mamme wirft sich in die Brust, wann immer sie kann.

O-Ton Kitchen 18: And his answer to that is: cartooning is about caricature. His feeling was you often have to convey who a character is by visual clues. And yes, I would say sometimes they could be more subtle. But it was that kind of belief in caricature that came from early on when comics were simple and you had an obvious villain and an obvious good guy.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Und seine Antwort darauf wäre: in Comics geht es ums Karikieren. Er sagte immer, man muss eine Figur sofort durch visuelle Hinweise erfassbar machen. Und ja, ich würde sagen, sie könnten subtiler sein. Aber dieser Glaube an die Karikatur stammt aus seinen frühen Tagen im Comic, als man den offensichtlichen Helden und den offensichtlichen Bösewicht hatte.

O-Ton Levitz 11: One of the common characteristics of most of Will’s characters is the small imperfections that make us human that people recognize. It’s the cartoonist’s gift for caricature, they are genuine characters or people, maybe they’re not real people but they’re people who walked through his head. Well, maybe they WERE real people he saw in the streets and made a mental photo of them and brought it to life later. The largest exception being his villainous women. Who came out of a very specific part of his imagination!

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Sprecher 2 (Voice over Levitz): Eine Gemeinsamkeit fast aller Figuren bei Will sind ihre kleinen Unvollkommenheiten, die uns menschlich machen und die wir sofort wiedererkennen. Das ist sein Talent als Karikaturist. Sie sind genuine Charaktere, vielleicht nicht real, aber real in seiner Vorstellung. Vielleicht waren sie sogar echte Menschen, die er auf der Straße sah. Und er machte ein mentales Foto von ihnen und hat ihm nachher Leben eingehaucht. Mit Ausnahme seiner durchtriebenen Frauenfiguren. Die kamen aus einem sehr speziellen Teil seiner Fantasie!

O-Ton Andreas C. Knigge 8: Figuren sind oftmals nicht so wichtig, wie sie sich nehmen und nicht so wichtig, dass sie ne durchgehende Rolle in einem Buch haben. Da findet er es viel interessanter, ein Haus zu haben im Mittelpunkt seiner Geschichte und einfach die verschiedensten Dinge zu zeigen, die in diesem Haus passieren.

O-Ton Eisner 9: When you live in the city you are very much a part of the buildings and the structures witihin the city. So for me buildings take on character. They have a kind of psychic quality. I did a book called The Building that deals with the demolition of a building and I always asked myself “How can this be that they took this building down and there is nothing left?” And I believe there’s a psychic debris that is left after the building comes down.

Sprecher 1 (Voice over Eisner): Wenn man in der Stadt lebt, wird man Bestandteil des Stadtbilds und seiner Gebäude. Ich finde, dadurch werden die Gebäude selbst zu Figuren, sie haben eine eigene Psyche. Ein Buch, das ich gezeichnet habe, heißt "The Building". Es handelt von der Zerstörung eines Gebäudes. Ich habe mich gefragt: wie kann es sein, dass sie ein Gebäude abreißen und nichts bleibt? Ich glaube, wenn es fort ist, bleibt der seelische Schutt.

Zitat/Ausschnitt "The Building"

Sprecher 1 - Erzähler: Nach etlichen Monaten wuchs aus der Mulde ein neues Gebäude empor. Heute dann erschienen im Verlauf des Vormittags vor seinem Eingang vier Geister...Monroe Mensh. Gilda Green. Antonio Tonatti. PJ Hammond .

O-Ton Nancy Gropper 6: They come back as ghosts. I think most of it takes place outside of the building. Right in front of it where two people meet, they’re lovers. And something tragic happens – a child is run over and a person who lived inside the building who saw it couldn’t save the child. And lived with that guilt. It’s all about the human emotions of the people who had something to do with the building, had some relationship to the building.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy): Sie kommen zurück als Geister. Das meiste passiert vor dem Gebäude. Mit einem Pärchen, das sich dort trifft und einem Mann, der mitansieht, wie ein Kind überfahren

24 wird und nichts dagegen tun kann und mit diesem Schuldgefühl weiterlebt. Es geht um die Emotionen der Figuren, die mit dem Gebäude zu tun haben.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Dazu ein glückloser Straßenmusiker und ein Millionär, der von der Idee, das Gebäude zu besitzen, regelrecht besessen ist. Alle scheitern an ihren hohen Ansprüchen an Liebe, Gerechtigkeit, Verantwortung und Glück. Erst als sie als Geister gemeinsam einen Fensterputzer vorm Sturz in den Tod retten, finden sie Frieden.

O-Ton Andreas C. Knigge 9: The Building ist der Fokus und bei Dropsie Avenue macht er die Kamera weit auf und gibt nicht Figuren eine Geschichte, sondern dem Ort, wo die Figuren agieren, zuhause sind oder durchreisen. Das sind die beiden Perspektiven, zwischen denen sein Stadtbild stattfindet.

Spielszene/Collage aus „Dropsie Avenue“

(Stimmgewirr Männer aufblenden, Räuspern)

Sprecher 2 - Mann 3: Hier mit erkläre ich die erste Eigentümerversammlung der Dropsie Avenue für eröffnet.

Sprecher 5 - Mann 4: Ach, komm schon, Kelly, erspar uns die Ansprache…kommen wir gleich zur Sache!

Sprecher 2 - Mann 3: Unsere Jungs kämpfen und sterben dort drüben! Massakriert von den Deutschen! (im Hintergrund: Genau! Verdammte Hunnen!) Und auch hier in der Drospie Avenue fallen diese Krauts ein… und wollen bei uns leben!

Sprecher 3 - Mann 5: In unserem Block haben Deutsche im letzten Jahr sechs Häuser gekauft!

Sprecherin 6 - Ältere Dame: Du liebe Zeit, wie die Dropsie Avenue in den letzten fünf Jahren gewachsen ist…all diese Mietshäuser!! Das ganze Viertel hat sich so verändert…das macht mich richtig traurig!

Sprecher 1 - Mann 6: Tja, Missis Shepard, Ihr Haus ist eines der wenigen verbliebenen Eigenheime.

Sprecherin 6 - Ältere Dame: All die schrecklichen Einwanderer… so laut, so unhöflich. (leicht überlappend Baulärm, darüber zwei Frauen)

Sprecherin 8 - Frau 1: Wer baut denn da? 25

Sprecherin 7 - Frau 2: Irgend so’n Italiener!

Sprecherin 8 - Frau 1: Jetzt machen sich hier also auch die Itaker breit – Dann kriegen wir als nächstes bestimmt die Juden…

O-Ton Kitchen 19: I think he was fascinated with the evolution of neighborhoods and the way one ethnic group pushes out another. Going from the Dutch to the English to the Irish , Italians, Jews… He tells it basically in the historical sequence that it happened and how each succeeding wave is resented by those who are already there. And are considered to be ruining the neighborhood. And again: he saw it in the neighborhoods he grew up in.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Ich glaube, er war fasziniert davon, wie Viertel eine Evolution erleben. Und wie eine ethnische Gruppe die andere verdrängt, von den Niederländern zu den Engländern, zu den Iren, dann die Italiener und Juden…er erzählt das in der historischen Reihenfolge und wie jede Gruppe von denen verachtet wird, die schon da sind. Und jede ruiniert vermeintlich das Viertel! Auch das hat er in den Gegenden gesehen, wo er aufwuchs.

Spielszene/Ausschnitt „Zum Herzen des Sturms“

Sprecherin 6 - Fannie, Wills Mutter (von oben rechts): Ich weiß nicht, warum dein Vater ausgerechnet dieses Viertel ausgesucht hat… nur Italiener und Iren und wer weiß was noch für Leute… sei vorsichtig da draußen! Pass auf deinen kleinen Bruder auf!

Sprecher 8 - Willie (unten): Ja, Ma!

Kind 1 – Junge 1: He, du da!

Kind 2 – Junge 2: Biste neu hier? Wie heißt’n?

Sprecherin 8 - Willie (von rechts): Willie!

Kind 1 – Junge 1: Biste wirklich ‘n Jude?

Kind 2 – Junge 2: Wir Katholiken woll’n keine Juden hier! 26

O-Ton Eisner 10: He says “And what’s his name?” I said “His name is Julian”! “Juuulian, Jew!!! He’s a Jew!” So I got angry and I hit him, they hit me back and they beat me up. They were 4 kids against me. And he was standing in the corner and wasn’t doing anything, he was a little kid. Anyway, we’re going upstairs, blood running down my nose and a blow on my cheek and my ear was beaten, and I said “Look, from now on your name is Pete!”

Sprecher 1 (Voice over Eisner): Und er sagte: „Wie heißt er ?“ Ich sagte: „Julian.“ Und sie lachten. “Julian –Jeeewlian – Er ist Juuuuude!” Ich wurde wütend und schlug ihn und sie gingen auf mich los und haben mich verprügelt. Vier gegen einen. Und mein Bruder stand an der Ecke und tat nichts, er war ein kleines Kind. Wir gehen also wieder rauf, mir läuft das Blut aus der Nase und mein Gesicht ist ganz zerschlagen. Und ich sagte zu ihm: „Von heute an heißt du Pete!“

Sprecherin 7 (Erzählerin): Eine von Will Eisners einprägsamsten Erinnerungen. Und eine der ersten Szenen in seinem Buch „Zum Herzen des Sturms“ .

O-Ton Kitchen 20: Almost anything in his life, good or bad, could end up in a story. The Jewish experience became more important to him and some of that he weaved in with the autobiography like Heart of the Storm. It’s his own experience and his family with antisemitism, starting in Europe and then also in America.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): So gut wie alles in seinem Leben, schlecht oder gut, konnte in seinen Geschichten auftauchen. Seine Erfahrungen als Jude wurden für ihn immer wichtiger und einiges davon hat er in seiner Autobiographie „Zum Herzen des Sturms“ verarbeitet, seine eigenen Erfahrungen mit dem Antisemitismus und auch die seiner Eltern, zuerst in Europa und später in Amerika.

O-Ton Nancy Gropper 7: Will started out not thinking it was autobiographical but it turned into an autobiography. He’s going to war with a group of people, on a train. And the windows of the train become panels. When he looks out of the window – the panels become memories. Not only of his but of things his father told him, things his mother has told him, and his own personal experiences. He’s really exploring himself. And the antisemitism that he experienced is very strong. And you can see how it shaped him and his thinking and his memories. And the different kind of prejudices that he experienced, that he saw. And I think that is a really powerful book.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): Will begann mit der Arbeit an dem Buch und dachte erst gar nicht daran, eine Autobiografie zu zeichnen, aber es wurde eine daraus. Man sieht, wie er mit einer Gruppe von Leuten in den Krieg zieht, sie sitzen im Zug. Und die Fenster im Zug werden zu Comicbildern. Als er aus dem Fenster blickt, füllen sich die Bilder mit 27

Erinnerungen, nicht nur mit seinen, auch dem, was sein Vater ihm erzählt hat, was seine Mutter ihm erzählt hat und dem, was er selbst erlebt hat. Eine echte Reise ins Ich. Der Antisemitismus, mit dem er konfrontiert war, war sehr stark! Im Buch sieht man, wie ihn das geformt hat. Und die Vorurteile gegenüber anderen, die er miterlebt hat. Ein wirklich kraftvolles Buch.

Spielszene/Ausschnitt „Zum Herzen des Sturms“ - Mädchen und Junge

Sprecher 3 - Buck: Warum weinst du, Heidi?

Sprecherin 8 - Heidi (unter Tränen): Warum hast du mir das nicht gesagt, Buck? Wäre Joey nicht gewesen, hätte ich es nie erfahren?

Sprecher 3 - Buck: Was denn?

Sprecherin 8 - Heidi: Er ist Jude! Mein Gott! Und ich hab ihn und seine Eltern eingeladen… ich schäme mich so! Ich sterbe, wenn meine Eltern das je erfahren!

O-Ton Levitz 12: I don’t think it’s unusual for people to turn more to religion and more to the key events of their childhood in their later years. And certainly Will felt the sting of antisemitism on a practical level very much as a child. Part of it was he felt he had something to say better say it while he still could. He was perfectly healthy and expecting to stay around for a long time but he was very conscious that the clock was running.

Sprecher 2 (Voice over Levitz): Ich glaube, es ist nicht so ungewöhnlich, dass Menschen sich zu ihrem Lebensende hin mit dem Religiösen und mit ihrer Kindheit beschäftigen. Will hat den Stachel des Antisemitismus als Kind sehr eindrücklich erlebt. Und zum Teil fühlte er wohl, dass er sich dazu äußern sollte, solange er noch konnte. Er war kerngesund und hat damit gerechnet, lange zu leben, aber er war sich bewusst, dass seine Uhr tickt.

O-Ton Nancy Gropper 8: He was very sensitive to it. And I think stereotypes of Jews that were used were very disturbing to him. And I think that led him to write “Fagin the Jew” and also The Plot as a way of refuting the antisemitism that he had experienced.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): Jüdische Stereotype verstörten ihn zutiefst. Ich denke, das führte dazu, dass er „Ich bin Fagin“ und „Das Komplott“ schrieb. Es war ein Mittel, den Antisemitismus zu bekämpfen, den er erlebt hatte.

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Sprecher 1 (Erzähler - Zitat Vorwort „Ich bin Fagin“): Vor einigen Jahren, als ich Volkslegenden und literarische Klassiker auf der Suche nach möglichen Vorlagen für zeichnerische Adaptionen durchforstete, entdeckte ich die Ursprünge der ethnischen Klischees, die wir fraglos akzeptieren. Beim Sichten der Illustrationen der Originalausgabe von „Oliver Twist“ fand ich unzweifelhafte Beispiele optischer Diffamierung in der klassischen Literatur. (…) Dieses Buch ist daher keine Adaption von ‚Oliver Twist‘! Es ist die Geschichte von Fagin, dem Juden. - Will Eisner im Vorwort zu „Ich bin Fagin“, 2003

O-Ton Kitchen 21: For many people Fagin was typical of “a Jew”, that he was a dishonest person who taught kids to steal and had no redeeming characteristics. So it was a way for him to literally confront Dickens and call him on it. Will thought it was one example from literary history and just challenge it. And give Fagin a chance to tell his story. He wasn’t a saint, either. But he was a full human being.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Für viele war Fagin das Beispiel für „den Juden“: eine durchtriebene Person, die Kindern das Stehlen beibringt und ansonsten keine positiven Eigenschaften hat. Für Will war das Buch ein Mittel, Dickens sprichwörtlich damit zu konfrontieren. Ich weiß, er glaubte, er könne wenigstens ein Beispiel aus der Literaturgeschichte nehmen und es hinterfragen. Und Fagin die Chance geben, seine Geschichte zu erzählen: dass er wirklich kein Heiliger war, aber doch ein vielschichtiger Mensch.

Spielszene/Ausschnitt „Ich bin Fagin“

Sprecher 5 - Fagin: Bleibt doch ein wenig bei mir, Mr. Dickens, der alte Fagin will euch erzählen, wie er wirklich war und wie sich alles zugetragen hat. Meine Eltern trafen zusammen mit weiteren Juden, die aus Mitteleuropa geflohen waren, in London ein. Gott weiß, wie sie es geschafft haben. (…) Aber wir hatten es selbst in London nicht leicht. Ich ging bei meinem Vater in die „Schule“. Er hatte sich von andern Juden die Tricks abgeguckt, wie man sich auf der Straße durchschlägt.

Sprecher 2 – Fagins Vater (in gespielter Entrüstung): Euer Schilling ist nicht echt, Sir! Da habt ihr ihn zurück! Nen armen Juden betrügen, was? Komm, mein Sohn, wir wollen nichts mit Reichen zu tun haben, die arme Leute reinlegen!

Sprecherin 8 - Fagin jung (leise): Du hast den Schilling vertauscht, Papa…seiner war echt…hast ihm aber nen falschen zurückgegeben?!

Sprecher 2 – Fagins Vater: Genau!

(sie entfernen sich langsam vom Mikro) Ach, Moses, mein Junge, weißt du, man muss schlau sein, um in diesen Zeiten überleben zu können! 29

O-Ton Kitchen 22: This is basically after many years of accusations of using stereotypes himself! He realized it’s a delicate balance.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Dieses Buch erscheint Jahre, nachdem ihm selbst die Verwendung von Stereotypen vorgeworfen wurde. Er erkannte, dass man da eine sehr delikate Balance halten muss.

Sprecher 1 (Erzähler - Zitat Vorwort „Ich bin Fagin“): Im Juni 1940 begann ich mit “The Spirit”, einer Comicbeilage für verschiedene Zeitungen, die von einem maskierten Kämpfer gegen das Verbrechen handelte. Als komisches Gegenstück fungierte Ebony, ein afroamerikanischer Junge. Es war eine Ära unserer Kulturgeschichte, in der von ethnischen Minderheiten gesprochenes schlechtes Englisch als vorzeigbarer Humor galt. Ebony sprach den klassischen „Neger“-Dialekt und lieferte den milden Humor, der in den Geschichten als wärmender Ausgleich zur Kälte der Verbrechen diente. In meinem Bemühen um Leserschaft schien mir das eine gute Idee zu sein. - Will Eisner im Vorwort zu „Ich bin Fagin“

O-Ton Kitchen 23: He was coming under some criticism for Ebony, so he retired him for a while. And then a little white kid named Sammy becomes the sidekick. Ebony helped to solve crimes and sometimes was the hero of the story but apparently he was drawn in a way that exaggerated his lips and his accent. Will wasn’t the only one doing this, it was just common. And when he realized it around the late 40s he introduces other characters that were African American that were admirable.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Er geriet wegen Ebony in die Kritik, also ließ er ihn eine Weile weg. Und dann wurde ein kleiner weißer Junge namens Sammy die Nebenfigur. Ebony hat bei der Aufklärung der Verbrechen geholfen und war manchmal sogar der Held der Geschichte, aber er hatte übertrieben dick gezeichnete Lippen und einen übertriebenen Akzent. Will war nicht der einzige, der so etwas zeichnete, das war weit verbreitet. Als ihm in den späten 40ern klar wurde, was er da macht, hat er afroamerikanische Figuren eingeführt, die Vorbilder waren.

Sprecher 1 (Erzähler - Zitat Vorwort „Ich bin Fagin“): Wir befinden uns in einem Zeitalter, das von Porträtzeichnern eine gewisse Sensibilität gegenüber unfairen Klischees verlangt. (…) Diese zu bekämpfen geriet zu einer obsessiven Beschäftigung und mir wurde klar, dass mir keine andere Möglichkeit blieb, als ein wahrhaftigeres Porträt von Fagin anzufertigen, indem ich seine Lebensgeschichte auf die Art erzähle, die mir am besten liegt.

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Sprecherin 7 (Erzählerin): Will Eisners Fagin ist so mollig und gutmütig gezeichnet wie Santa Claus. Er wird durch schiere Existenznot zum Dieb. Nach einem Raub zu Zwangsarbeit in einer Strafkolonie verurteilt, kehrt er als früh gealterter Mann nach London zurück.

Zitat/Ausschnitt „Ich bin Fagin“

Sprecher 5 – Fagin (müde): Ich war nicht länger naiv. Das Versprechen, das meine Hoffnung auf eine prachtvolle Zukunft befeuert hatte, gab es nicht mehr. Ich war, was auch die Straßenkinder, die für mich arbeiteten, eines Tages sein würden.

Sprecherin 7 (Erzählerin): Erst jetzt mündet die Graphic Novel in die eigentliche Geschichte von Oliver Twist. Will Eisner zeigt im Anhang antisemitische Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts und erzählt die Rezeptionsgeschichte von „Oliver Twist“ – auch Charles Dickens stand wegen seiner Stereotype in der Kritik.

O-Ton Kitchen 24: I think at that point in his life he was leaving fiction behind him. I think he had said what he had to say in that vain.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Ich glaube, an diesem Punkt seines Lebens ließ er die Fiktion hinter sich. Er hatte gesagt, was er in diesem Genre zu sagen hatte.

O-Ton Andreas C. Knigge 10 Sowohl „Fagin the Jew“ wie auch „Das Komplott“ sind in gewisser Weise in Anführungsstrichen „missionarische Bücher“.

Ausschnitt „Das Komplott“ – Collage mit 3 Männerstimmen

Sprecher 5 - Mann 1: Die Juden sind klug, aber wir können sie mit ihren eigenen Waffen schlagen…mit philosophischen Traktaten, Nachrichten und ähnlichem !

Sprecher 1 - Mann 2: Wenn nun ein Dokument auftauchte, das beweist, dass die Modernisierung Teil einer jüdischen Verschwörung ist?

Sprecher 2 - Mann 3 (empört): Russland wurde von Japan besiegt…400.000 Opfer, und wir verloren Milliarden Goldrubel in diesem Krieg! Durch die Straßen von Moskau strömt Blut…unser Volk begehrt auf! Der Zar muss wissen, wer hinter all dem steckt! (ab jetzt mit Echo verfremden) Die Juden! Die Juden! Mein Buch beweist es! (Echo kurz frei stehen lassen)

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O-Ton Kitchen 25: When Will was getting into his late 80s he wanted to do something more polemic, something more reality-based and it angered him very much like the hoax like The Protocol of the Elders of Zion was still being published, still being taken seriously, at least in the Middle East and with some racist organizations and so he thought the graphic novel would be an easy way to educate younger readers who didn’t know that history and that it would be a way to alert them. That over a century earlier it had been a fabricated hoax and it was still used to depict Jews behind this vast conspiracy.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): In seinen späten 80ern wollte Will etwas Polemischeres machen, etwas, das auf Fakten basierte und es ärgerte ihn maßlos, das ein gefälschtes Dokument wie die Protokolle der Weisen von Zion immer noch veröffentlicht wurden. Und für echt gehalten wurden, vor allem im Mittleren Osten und von rassistischen Organisationen. Er dachte, eine Graphic Novel wäre ein guter Weg, jüngere Leser, die nichts darüber wissen, zu informieren: es ist haarsträubend, dass es immer noch dieses gefälschte Dokument gibt, das aufzeigen soll, dass die Juden hinter einer riesigen Verschwörung stecken.

O-Ton Carl und Nancy Gropper 3: Carl: There’s also a parallel within the book that compares the protocols, which are horrible, anti-Semitic tome that was done in the beginning of the 20 th (falsch, 19. Jahrhundert ist korrekt!) century. Nancy: That was written in 1864 by Maurice Joly, a Frenchman. And it was about Napoleon III. And it was called “The dialogue in hell between Macchiavelli and Montesquieu” – and Napoleon III. was a tyrant. And Joly was an activist and wrote his feelings about him. What happened was that in 1905 the protocols were published, the protocols of the elders of Zion. It was plagiarism, a plagiarized version of the book by Maurice Joly. Carl: And so these 30 or 40 pages of the original dummy that Will showed Nancy were showing literally image by image how it was plagiarized.

Sprecher 4 (Voice over Carl Gropper): In seinem Buch vergleicht er die Protokolle – furchtbare, antisemitische Wälzer! – mit einem anderen Buch aus dem 19.(!) Jahrhundert.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): Es wurde 1864 von einem Franzosen namens Maurice Joly geschrieben – darin ging es um Napoleon III. Der Titel war “Gespräche in der Unterwelt zwischen Macchiavelli und Montesquieu”. Joly war ein politischer Aktivist und hat Napoleon darin offen kritisiert. Und die Protokolle der Weisen von Zion waren ein Plagiat von Maurice Jolys Buch.

Sprecher 4 ( Voice over Carl Gropper): Und auf 30, 40 Seiten zeigt Will beides nebeneinander und weist Bild für Bild nach, wie es plagiiert wurde.

Ausschnitt “Das Komplott’ – Satzanfänge übereinander legen, so dass das Kopieren deutlich wird – mit 2 männlichen Sprechern 32

Sprecher 5 - Sprecher 1: Was bedeutet es für den Proletarier, der von der Last seiner Arbeit niedergebeugt, von der Wucht seines Schicksals erdrückt wird, das sein paar Redner das Recht zu sprechen haben, das sein paar Journalisten (ab hier Sprecher 2 drüber) das Recht zu schreiben haben?

Sprecher 2 - Sprecher 2: Wie kann es dem armen Arbeiter, der sein Leben in harter Arbeit fristet, nützen, dass einige Schwätzer das Recht zum Reden erhalten haben und dass die Zeitungsschreiber (ab hier Sprecher 1 drüber) neben wahren Geschichten auch jeden Blödsinn zusammenschreiben dürfen.

Sprecher 5 - Sprecher 1: Kriecherisch vor Gewalt, erbarmungslos gegen jede Anwandlung von Schwäche, keinen harmlosen Fehltritt verzeihend, aber nachsichtig, wenn es sich um Verbrechen handelt (ab hier Sprecher 2 drüber) unfähig, die Unbequemlichkeiten eines freiheitlichen Regimes zu ertragen….

Sprecher 2 - Sprecher 2: Unsere unangreifbare Stellung wird durch die unendliche Niedertracht der Gojim gefördert, die vor der Macht kriechen, aber gegen die Schwachen unbarmherzig sind, die Vergehen unerbittlich bestrafen, Verbrechen dagegen nachsichtig beurteilen (ab hier Sprecher 1 drüber), die Widersprüche einer freien Gesellschaftsordnung nicht hinnehmen wollen…

Sprecher 5 - Sprecher 1: … denen sie Schändlichkeiten vergeben, für deren kleinste die 20 konstitutionelle Könige (ab hier Sprecher 2 drüber) enthauptet hätten.

Sprecher 2 - Sprecher 2: …dulden sie Missbräuche, für deren kleinste sie 20 Könige enthauptet hätten!

O-Ton Carl und Nancy Gropper 4: He would reach an audience that the London Times never was able to reach. Even though the London Times had shown that the protocols were totally false 60 years earlier. He was hoping a graphic novel would show the same thing. Nancy: He had expanded his repertoire to a polemic.

Sprecher 4 (Voice over Carl Gropper): Er wollte ein Publikum erreichen, das die London Times nie hätte erreichen können. Obwohl die London Times nach 60 Jahren nachgewiesen hatte, dass die Protokolle eine Fälschung waren. Er hoffte, seine Graphic Novel könnte es auch schaffen.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): Damit hat er sein Repertoire um eine Polemik erweitert. O-Ton Kitchen 26:

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After „The Plot“ was finished, shortly before he died, he told me the next thing he was considering doing was the Q’ran as a graphic novel. And I said “Will, that’s very dangerous, Muslims will be very angry if you depict Muhammed”. But he said: “I know, but I’m an old man, what can they do to me?” And again I don’t think he wanted to make fun of it. He wanted to illustrate it because it’s an important book.

Sprecher 3 (Voice over Kitchen): Es war kurz vor seinem Tod - er hatte gerade “Das Komplott” abgeschlossen – da hat er mir erzählt, dass er darüber nachdenkt, den Koran als Graphic Novel zu adaptieren. Ich sagte: “Will, das ist gefährlich, wenn du Muhammed zeichnest, bringst du die Muslime gegen dich auf.” Und er meinte: “ Ich weiß, aber ich bin ein alter Mann, was können sie mir schon antun?” Er wollte das Buch illustrieren, nicht um sich darüber lustig zu machen, sondern weil es ein wichtiges Buch ist.

O-Ton Nancy Gropper 9: N: I think the book that he was going to base a graphic novel on was called “If this is a man” , it was about the Holocaust and he was a prisoner in a camp and what he went through just to survive. And it does seem like a perfect work for Will to follow Plot. It would have been a great graphic novel and one that should have been.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): Ein Buch, das er als Graphic Novel adaptieren wollte, heißt “Ist das ein Mensch?”, ein Buch über den Holocaust und jemanden, der das Konzentrationslager überlebt hat. Ein perfekter Nachfolger für “Das Komplott”. Es wäre eine großartige Graphic Novel geworden. Und eine, die es hätte geben sollen! (Straßenatmo unter dem Rest lassen)

Sprecherin 7 - Erzählerin: Will Eisner starb mit 87 Jahren an den Folgen einer Herzoperation, völlig unerwartet für sein Umfeld, das ihn nur gesund kannte. Allein sein Alterswerk umfasst mehr als 20 Graphic Novels, dazu zahlreiche Literaturadaptionen – und er hat drei Bücher über das Handwerk des Comics gezeichnet und geschrieben.

O-Ton Eisner 11: For me comics was a true literary form. And it was my dream to spend my entire life in this medium.

Sprecher 1 (Voice over Eisner): Für mich waren Comics im Kern wie ein literarisches Genre. Und mein Traum war, mein ganzes Leben in diesem Medium zu arbeiten.

O-Ton Levitz 13: If you look at the graphic novel today that’s Will’s legacy. It’s not uniquely his. But he largely is the architect of what we got to do. He’s the one who said: it can be a literary form, it can be an art form, it can be taken seriously. That’s his legacy. That we have that graphic novel form.

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Sprecher 2 (Voice over Levitz): Die Graphic Novel heute – das ist sein Vermächtnis. Es ist nicht nur sein Verdienst, aber er ist der Architekt dessen, was wir heute tun. Er hat gesagt: sie kann wie Literatur sein, sie kann Kunst sein, sie ist ernst zu nehmen. Dass wir die Graphic Novel haben - das ist sein Vermächtnis.

O-Ton Nancy Gropper 10: When I see a tenement like this, attached buildings with stoops, I can picture the people coming and going, when I see crowds in New York I picture some of Will’s drawings of New Yorkers coming to work, coming back in droves but I also see his work in other people’s work. Which is exciting. It’s wonderful to see.

Sprecherin 6 (Voice over Nancy Gropper): Wenn ich das Menschengedränge in New York sehe, sehe ich vor mir Wills Zeichnungen der New Yorker, wie sie in Scharen auf dem Weg zur Arbeit sind oder zurückkommen. Und ich sehe seine Arbeit in der von anderen, seine Innovationen, die andere Comic-Künstler übernommen haben. Und das ist wunderbar. (Straßenatmo langsam abblenden)

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