Gutachten 05/2020

Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen Gutachten 05/2020

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung______1 2. Zwecke der quantitativen Analyse______3 2.1 Grundsätzliche Erwägungen______3 2.1.1 Gesetzgebungsprozess und demokratische Willensbildung______3 2.1.2 Steuervollzug______4 2.1.3 (Verfassungs-)rechtliche Kontrolle von Steuergesetzen______5 2.2 Konkrete Fragestellungen______6 2.2.1 Steuerschätzung______6 2.2.2 Quantifizierung der Effizienzkosten von Besteuerung______7 2.2.3 Heterogenität und Kanäle der Steuerwirkungen______8 2.2.4 Verteilungseffekte und Steuerinzidenz______10 2.2.5 Ökonomische Effekte von Steuerabzügen______10 2.2.6 Steueraufkommenseffekte______11 2.2.7 Steuerlücke und Steueradministration______12 2.2.8 Steuerliche Befolgungskosten______13 2.2.9 Weitere Fragestellungen______14 2.2.10 Resumee zur empirischen Forschung______15 3. Anforderungen an die Datengrundlagen und „Best Practice“___16 I: UK / HRMC______18 II: Skandinavien______18 III: Niederlande______19 IV: Frankreich______19 V: USA______19 4. Bestehende Praxis in Deutschland______19 4.1 Gesetzliche Vorgaben für die Nutzung der Steuerdaten______19 4.2 Bestehende Nutzungsmöglichkeiten der Mikrodaten______21 4.3 Defizite im bestehenden Datenangebot______22 4.4 Datenlage bei den Parafiski: IAB, Rentenversicherung______23 5. Empfehlungen______24 6. Literaturverzeichnis______29 Anhang Übersicht über bestehende administrative Mikrodatensätze_ 35 Mitgliederverzeichnis______44

Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Einleitung Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

1. Einleitung

Ein präzises Verständnis der Auswirkungen der evident, in denen Verhaltenswirkungen gesetz- Steuergesetzgebung ist für die politische Ent- lich intendiert sind, bspw. in der Umwelt- oder scheidungsfindung zentral. Im parlamentarischen Energiepolitik. Gesetzgebungsprozess kommt den finanziellen Auswirkungen von Steuergesetzen eine erhebliche Die Anforderungen an eine fundierte Gesetzesfol- Bedeutung zu.1 Allerdings sind die in Gesetzesvor- genabschätzung sind hoch und erfordern neben lagen enthaltenen Angaben in der Regel nicht von dem Zugang zu Steuerdaten Methodenexper- unabhängiger Seite überprüfbar. Mitunter wird tise und detailliertes Institutionenwissen. Darü- im Rahmen der Ressortforschung externe Exper- ber hinaus sind die Anforderungen im Zeitablauf tise eingeholt, eine zeitnahe und transparente stetig gestiegen. Zum einen erhöht sich in vielen Berichterstattung erfolgt indes nicht. Eine gegen Bereichen der Anpassungsspielraum der Akteure, politische Einflussnahme immune unabhängige der erfasst werden muss, wenn Gesetzesfolgen Abschätzung der Gesetzesfolgen ist damit nicht quantifiziert werden sollen. Viele große Unter- möglich. Zudem werden Verhaltensreaktionen nehmen agieren beispielsweise heute multinati- auf Steuergesetzänderungen bei der Bestimmung onal und Arbeitnehmer sind zunehmend inter- der finanziellen Implikationen regelmäßig ausge- national mobil. Steuergesetzänderungen können klammert, was zu erheblichen Verzerrungen bei damit über Landesgrenzen hinaus wirken. Zudem der Abschätzung der Gesetzesfolgen führen kann.2 ist im Zuge der wachsenden Internationalisierung Dass dies ein relevantes Problem ist, wurde dem das Steuerrecht erheblich komplizierter geworden Gesetzgeber deutlich vor Augen geführt durch und es bestehen schon bei der Diagnose der Aus- das überraschende negative Ergebnis beim Auf- wirkungen der bestehenden Regelungen erhebli- kommen der Körperschaftsteuer im Jahre 2001, che Defizite. das durch eine eigentlich vorhersehbare Verhal- tensreaktion auf die Unternehmenssteuerreform Die quantitative Erfassung des Steuersystems und 2001 verursacht worden ist.3 Dennoch wurde die seiner Wirkung ist auch mit Blick auf die Einhal- Praxis der ausschließlich internen Abschätzung tung von Fiskalregeln durch Bund, Länder und der Gesetzesfolgen nicht geändert. Die Relevanz Kommunen von Bedeutung, die für die Glaubwür- solcher Analysen ist vor allem in den Bereichen digkeit der Finanzpolitik zentral ist. Hierfür ist eine verlässliche und unabhängige Vorausschät- zung der Einnahmenentwicklung erforderlich, 1 Gem. § 43 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 44 Abs. 2 GGO (Gemeinsame gerade auch wenn Steuerreformen anstehen. Geschäftsordnung der Bundesministerien) ist notwendiger Inhalt der Gesetzesbegründung die Darstellung der Unabhängige Gesetzesfolgenabschätzungen sind Auswirkungen des Gesetzes auf die Einnahmen und Ausgaben in diesem Kontext von hohem Wert. Die Abschät- der öffentlichen Haushalte. zung der finanziellen Auswirkungen von Steuer- 2 In anderen Ländern, bspw. den USA, ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass Verhaltensanpassungen von rechtsänderungen hat zudem großen Einfluss auf Wirtschaftsakteuren in Reaktion auf Steuergesetzänderungen die Einhaltung der Regeln des europäischen Stabi- und gesamtwirtschaftliche Rückkopplungen quantifiziert litätspakts. Denn bei der Überprüfung der Vorga- werden, bevor Gesetzesänderungen implementiert werden können (s. bspw. Mankiw und Weinzierl, 2006; Barros et al. ben für die Ausgabenlinie werden die finanziellen 2018). Auswirkungen von steuerpolitischen Maßnah- 3 Das Körperschaftsteueraufkommen wurde kurzfristig men als Mehr- oder Minderausgaben berücksich- negativ, weil Kapitalgesellschaften zur Sicherung ihrer Körperschaftsteuerguthaben erwartungsgemäß ihre tigt. Dies erfordert, dass die von der Regierung vor- Ausschüttungen erhöhten (s. Werra, 2000). legten Schätzwerte auch extern bewertet werden

1 Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Einleitung Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

können. In der öffentlichen Debatte zu Steuerge- auslösen. Grundlage dieser Entwicklung ist, dass setzesänderungen spielen zudem Fragen der Steu- Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen ergerechtigkeit und Steuerhinterziehung eine Zugang zu hochwertigen anonymisierten Mikro- große Rolle. Zu beiden existieren für Deutsch- daten der Steuerverwaltung gewährt wurde (vgl. land kaum Erkenntnisse. In welchem Maß Trag- Chetty (2012)).5 Im Vergleich zur schnellen Ent- last und Zahllast von Steuern auseinanderfallen, wicklung im Ausland, ist der Zugang zu Steuerda- weil Steuerbelastungen über Preisänderungen an ten für Wissenschaftler und Wissenschaftlerin- andere Wirtschaftsakteure weitergegeben wer- nen in Deutschland trotz einiger Fortschritte in den, ist beispielsweise weitestgehend unklar. Seit den vergangenen Jahren nach wie vor stark einge- Jahrzehnten bestehen zudem Informationen über schränkt. Über die Wirkungen des deutschen Steu- erhebliche Ausfälle durch betrügerische Praktiken ersystems und seiner spezifischen Regelungen auf bei der Umsatzsteuer und noch immer gibt es über zentrale wirtschaftliche und soziale Zielgrößen das genaue Ausmaß nur Spekulationen.4 Ähnlich gibt es daher in vielen Bereichen nur Mutmaßun- ist die Sachlage beim Steuerbetrug im Zusam- gen. Dies gilt auch, weil Erkenntnisse aus anderen menhang mit Aktiengeschäften rund um den Ländern nicht ohne Weiteres auf den steuerrecht- Dividendenstichtag (Cum-Ex). Hinterziehungs- lichen, steueradministrativen und sozioökonomi- und Vermeidungspraktiken zu quantifizieren, ist schen Kontext in Deutschland übertragen werden methodisch anspruchsvoll, da sie im Verborgenen können. stattfinden. Belastbare Aussagen lassen sich aber gerade durch Analyse administrativer Daten auf Vor diesem Hintergrund befasst sich der Beirat Ebene der einzelnen Steuererklärungen und der in diesem Gutachten mit den Möglichkeiten für Anträge auf Steuererstattungen erzielen. eine Verbesserung der quantitativen Analyse der Besteuerung in Deutschland.6 Nach der Einlei- In der quantitativen Analyse der Besteuerung sind tung wird zunächst auf Funktion und Bedeutung in den vergangenen Jahrzehnten weltweit erheb- der quantitativen Erfassung des Steuersystems liche Fortschritte gemacht worden. Bis in die hingewiesen. Anschließend wird unter Berück- 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren sichtigung des aktuellen Forschungsstands auf- die Steuerwissenschaften noch weitgehend the- gezeigt, welche Erkenntnisse gewonnen werden oretisch ausgerichtet. Entsprechend beschränkte können, wenn Wissenschaftlern und Wissen- man sich seitens der Wissenschaft darauf, die Effi- schaftlerinnen Zugang zu administrativen Steuer- zienz der Steuerpolitik einzufordern und ein ins- daten gewährt wird. Die Abschnitte 3 und 4 dis- gesamt widerspruchsfreies Steuersystem zu ent- kutieren die Anforderungen, die an die statistische wickeln, das grundsätzlichen Anforderungen an Datenbasis zu stellen sind und zeigen auf, in wel- Verfassungsmäßigkeit, Gerechtigkeit und Effizi- chen Bereichen bei der Praxis der quantitativen enz Rechnung trägt und die Steuerbefolgungs- Analyse der Besteuerung in Deutschland Defi- kosten begrenzt. Seitdem hat die datenbasierte zite bestehen. In diesem Kontext wird auch auf Auswertung der tatsächlichen Erfahrungen mit die zu beachtenden rechtlichen Rahmenbedin- dem Steuersystem und seinen Wirkungen welt- gungen im Umgang mit Steuerdaten eingegangen weit ein immer größeres Gewicht gewonnen. Ins- und skizziert, wie andere Länder unter Wahrung besondere wird heute in vielen Ländern anhand des Steuergeheimnisses eine umfassende wissen- von Mikrodaten untersucht, welche Belastungs- schaftliche Nutzung administrativer Steuerdaten wirkungen sich für Steuerzahler ergeben und wel- möglich machen. Der fünfte Abschnitt beinhaltet che Verhaltensreaktionen steuerliche Regelungen Empfehlungen.

4 So lautet die Standardantwort der Bundesregierung zum Thema Unternehmenssteuervermeidung: „Hierzu liegen der 5 Chetty (2012). Bundesregierung keine Erkenntnisse vor“ (vgl. z. B. Bundestag Drucksache 18/1125 http://dipbt.bundestag.de/dip21/ 6 Siehe zu diesem Thema auch Peichl (2017), Drechsel-Grau et btd/18/011/1801125.pdf). al. (2015) sowie Almunia et al. (2019). 2

Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Zwecke der quantitativen Analyse Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Konkret spricht sich der Beirat für die Schaffung hinaus werden Ansatzpunkte zur Verbesserung eines eigenen Forschungsdatenzentrums für Steu- und Ausweitung der Statistiken genannt und Vor- ern aus, das speziell für die besonderen Anfor- schläge zur Verknüpfung von bestehenden Daten- derungen der Steuerdaten ausgelegt ist. Darüber sätzen gemacht.

2. Zwecke der quantitativen Analyse

2.1 Grundsätzliche Erwägungen jedoch personell nicht in der Lage.7 Ihr Einfluss im Gesetzgebungsverfahren ist gering.8 Eine dem 2.1.1 Gesetzgebungsprozess und Joint Committee on Taxation des US-Kongresses demokratische Willensbildung mit seinem umfangreichen Stab9 vergleichbare unabhängige Institution existiert in Deutschland Gesetzesvorlagen und Gesetzgebungsverfah- nicht. ren kranken vielfach daran, dass sie auf unklarer Tatsachenbasis ergehen. Oft fehlt es schon hin- Lediglich eine ex-ante Einschätzung der Bürokra- sichtlich des Ausgangssachverhalts an einer vali- tie- bzw. Folgekosten erfolgt standardmäßig. Sie den Datenbasis, dies gilt umso mehr für die Prog- ist auf den unabhängigen Nationalen Normen- nose möglicher Wirkungen der zu beschließenden kontrollrat übertragen. Dieser stellt allerdings Gesetze. Im eigentlichen Gesetzgebungsverfahren keine eigenen Datenerhebungen an, sondern fehlt es dann oft sowohl an Zeit als auch an Mitteln nimmt lediglich eine Plausibilitätskontrolle der für eine quantitative Analyse von Gesetzgebungs- von den Ministerien erarbeiteten Schätzungen der vorhaben. Verfahren zur umfassenden ex-ante Kostenfolgen für Bürger, Wirtschaft und Verwal- Analyse von Gesetzeswirkungen sind derzeit nur tung vor. Weitergehende Wirkungsanalysen sind ansatzweise vorhanden. vom gesetzlichen Arbeitsauftrag des Normenkon- trollrates nicht umfasst. Im Vorfeld von steuerlichen Gesetzgebungsini- tiativen kommt dem Bundesfinanzministerium Auch eine ex-post Evaluation der Gesetzeswirkun- eine zentrale Rolle für die Sachverhaltsermitt- gen ist nur bei bestimmten Zielsetzungen vorge- lung und Datenanalyse zu. § 44 der Gemeinsamen sehen, insbesondere wenn ein erheblicher Erfül- Geschäftsordnung der Bundesministerien enthält lungsaufwand konstatiert wird.10 Teilweise finden Vorgaben für die Erstellung von Gesetzentwür- sich Evaluationsabsichten in Gesetzesbegründun- fen. Danach sind in der Gesetzesvorlage auch die gen, selten sind gesetzliche Evaluationsklauseln Gesetzesfolgen, insbesondere die finanziellen Aus- wirkungen darzustellen. 7 Nach Blum (2004) waren im Jahr 2000 in allen Diensten Ein Gegengewicht zur Exekutive in der Gesetzes- zusammen 95 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, darunter 64 Wissenschaftler, davon 33 Juristen. vorbereitung bilden die allein den Abgeordne- 8 Schneider (2002), Rz. 93; Blum, (2004), 136 f. ten verpflichteten Wissenschaftlichen Dienste des 9 www.jct.gov/about-us/overview.html. Bundestages. Zur Erstellung quantitativer Analy- 10 Bei Änderungen der Steuergesetze ist dies im Regelfall sen und empirischer Erhebungen sind die Dienste nicht gegeben. So ist z. B. eine Evaluierung der Effekte der Reduktion des Solidaritätszuschlags nicht vorgesehen, vgl. Abschnitt VII des Gesetzentwurfs zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 (BT Drucksache 19/14103 vom 16.10.2019).

3 Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Zwecke der quantitativen Analyse Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

(z. B. § 17 Forschungszulagengesetz). Im Zweifel 2.1.2 Steuervollzug sind derartige Evaluationsversprechen nicht ein- klagbar. Gelegentlich werden Gesetze mit unsi- Sowohl verfassungsrechtlich als auch einfach- cheren Wirkungen befristet. Allerdings erfolgen gesetzlich (§ 85 AO) besteht die Pflicht der Finanz- Verlängerungen oftmals automatisch und ohne, verwaltung zum Vollzug der geltenden Steuer- dass zuvor eine Evaluation erfolgt. Selbst wenn gesetze; die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung ist eine Evaluation stattfindet, kann sie bei fehlender „sicherzustellen“. Strukturelle Erhebungsdefizite Dateninfrastruktur aber ohnehin nicht verlässlich können im Extremfall sogar die Verfassungswid- erfolgen bzw. nicht extern überprüft werden (siehe rigkeit der zugrundeliegenden materiellen Steu- zu den Anforderungen Abschnitt 3). errechtsnormen begründen, wie es im Fall der Zinsbesteuerung Anfang der 1990er Jahre vom Unabhängige ex-post-Kontrolle von Gesetzeswir- Bundesverfassungsgericht entschieden wurde.11 kungen leistet allenfalls der Bundesrechnungshof, dessen Beanstandungen allerdings keine gesetzge- Zur Beurteilung der Vollzugseffizienz einzelner berischen Abhilfe- bzw. Nachbesserungspflichten Normen muss das tatsächlich erzielte Steuerauf- begründen und in der Regel folgenlos bleiben. kommen ins Verhältnis zu den potentiell steu- erpflichtigen Sachverhalten gesetzt werden. Ein Vor dem Hintergrund, dass die Abgeordneten Zurückbleiben des tatsächlichen Steueraufkom- nicht über unabhängige Stellen verfügen, die sie mens hinter dem Aufkommenspotential kann auf mit der Einschätzung der Wirkungen der von legalen Ausweichgestaltungen oder auf Vollzugs- ihnen zu beschließenden Gesetze beauftragen defiziten beruhen. Letztere können auf Kapazitäts- können, kommt der vom Bundesfinanzministe- grenzen der Finanzverwaltung zurückzuführen rium erarbeiteten Gesetzesbegründung entschei- sein oder ihre Ursache in strukturellen Mängeln dende Bedeutung zu. Gesetzesbegründungen ent- der zu vollziehenden Normen (übergroße Kom- halten jedoch in der Regel keine ausreichenden plexität, schwer zu beschaffende Daten) liegen. So Sachverhaltsangaben, um Annahmen zur Wirk- wird beispielsweise die Vollzugstauglichkeit des samkeit der zu beschließenden Gesetze, zu Ver- deutschen Außensteuerrechts, insbesondere im waltungs- und Befolgungskosten und zu den Bereich der erweiterten Hinzurechnungsbesteue- erwarteten Steuermehr- oder -mindereinnah- rung für Einkünfte aus Kapitalanlagegesellschaf- men nachvollziehen zu können. Zudem fehlt es in ten (§ 7 Abs. 6 AStG) in Zweifel gezogen.12 Quantifi- der Regel an Angaben zu den Verteilungswirkun- zieren lassen sich diese Bedenken bisher nicht. Seit gen von Reformmaßnahmen, obwohl diese in der langem ist auch bekannt, dass es bei der Umsatz- politischen Auseinandersetzung häufig eine zent- steuer im Kontext grenzüberschreitender Trans- rale Rolle spielen. aktionen zum Teil systematisch zu Steuerbetrug kommt. Bei der Quantifizierung der Ausfälle kann Zum Teil ergeben sich in den Anhörungen im indes nicht zwischen den Konsequenzen durch Finanzausschuss zusätzliche Erkenntnisse zu den Insolvenzen und Betrug z. B. durch Karussellge- zugrundeliegenden Rechtstatsachen und erwar- schäfte unterschieden werden.13 teten Gesetzeswirkungen. Allerdings sind abwei- chende Sachverhaltseinschätzungen seitens der Verbände und Interessengruppen vielfach nicht hinreichend belegt und lassen sich im Gesetzge- bungsverfahren nicht empirisch absichern. 11 BVerfG v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (Zinsurteil); BVerfG v. 9. 3. 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 (Spekulationsgewinne). 12 Vgl. Waldhoff (2013). 13 Vgl. Gebauer (2008).

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Zwecke der quantitativen Analyse Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Um die begrenzten Sach- und Personalressour- Schließlich trifft den Gesetzgeber eine Beobach- cen der Finanzverwaltung möglichst effektiv ein- tungspflicht. Ändert sich der zugrunde gelegte setzen zu können, müssen Vollzugsdefizite lokali- Sachverhalt in wesentlichen Aspekten, so kann siert und quantifiziert werden. Dies wiederum ist ihn eine Anpassungspflicht treffen17; z. B. ist der Voraussetzung für einen verfassungskonformen Gesetzgeber verfassungsrechtlich zur permanen- Gesamtvollzug. ten Anpassung von Grund- und Kinderfreibeträ- gen in der Einkommensteuer an die steigenden 2.1.3 (Verfassungs-)rechtliche Kontrolle von Lebenshaltungskosten verpflichtet. Steuergesetzen Eine Überprüfung all dieser Vorgaben setzt Sach- Steuerwirkungen spielen auch bei der verfas- verhaltskenntnis voraus. Dabei billigt das Bun- sungsgerichtlichen Kontrolle von Steuergesetzen desverfassungsgericht dem Gesetzgeber im Rah- eine Rolle. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeits- men seiner sog. Einschätzungsprärogative18 prüfung kommt es zur Rechtfertigung steuerli- allerdings großzügige Beurteilungs- und Progno- cher Ungleichbehandlungen auf deren Geeignet- sespielräume19 zu. So wichtig eine sorgfältige vor- heit, Erforderlichkeit und Angemessenheit zur herige Sachverhaltsaufklärung für eine effektive Erreichung der gesetzgeberischen Ziele an. und effiziente Steuerpolitik auch sein mag, es gibt keine eigenständige verfassungsrechtliche Pflicht Die im Steuerrecht weit verbreiteten, der Vereinfa- zur vorherigen Sachverhaltsaufklärung. chung dienenden gesetzlichen Typisierungen und Pauschalierungen sind nur dann gleichheitssatz- Problematisch ist, dass eine Erfolgskontrolle auch konform, wenn der zugrundeliegende Sachver- im Nachhinein oftmals nicht stattfindet und auch halt realitätsgerecht erfasst wird. Dies setzt voraus, im Rahmen von verfassungsgerichtlichen Verfah- dass die gesetzlichen Verallgemeinerungen „von ren in der Regel unterbleibt. Dies liegt vor allem an einer möglichst breiten, alle betroffenen Grup- den eingeschränkten Möglichkeiten des Bundes- pen und Regelungsgegenstände einschließenden verfassungsgerichts zur Überprüfung der gesetz- Beobachtung ausgehen“14. Der Gesetzgeber darf geberischen Annahmen. Zwar ist das Gericht in sich für eine gesetzliche Typisierung keinen atypi- seiner Beweiserhebung grundsätzlich frei20 und schen Fall als Leitbild wählen, sondern muss den damit auch zur Überprüfung von Tatsachen und Durchschnittsfall als Maßstab zugrunde legen.15 Prognosen berechtigt. Eine eigene Beweiser- hebung findet aber regelmäßig aus Kapazitäts- Für steuerliche Lenkungsnormen und Steuerver- gründen nicht statt. Würden dem Gericht ent- günstigungen hat das Bundesverfassungsgericht sprechende Daten vorliegen, müsste es diese aber zudem das Gebot der Zielgenauigkeit aufgestellt.16 berücksichtigen.

14 BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (279); BVerfG v. 8.10.1991 – 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348 (359); BVerfG v. 17.11.1992 – 1 BvL 8/87, BVerfGE 87, 234 (255); BVerfG v. 10.4.1997 – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 (6). 15 StRspr., z. B. BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 (238); v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 (1096) m.w.N. 16 St. Rspr., BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 17 BVerfG v. 28.11.1984 – 1 BvR 1157/82, BVerfGE 68, 287 (309). 121 (147 f.); v. 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280 18 Hierzu z. B. Bickenbach (2014). (296); v. 20.4.2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 (293); v. 19 StRspr., z. B. BVerfG v. 24.10.2002 – 1 BvF 1/01, BVerfGE 106, 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (182); v. 7.11.2006 62 (150 f.). – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 (32 f.); BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, Rz. 124 ff. 20 Keine Beweismittelbeschränkung.

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2.2 Konkrete Fragestellungen 2.2.1 Steuerschätzung

Informationen zu Aufkommens-, Effizienz- und Die Vorhersage zukünftiger Steuereinnahmen ist Verteilungswirkungen von Steuern und ihren Grundlage der Aufstellung der Haushaltspläne Verwaltungs- und Befolgungskosten sind als des Bundes und der Länder. Auch die Gemeinden Grundlage steuerpolitischer Entscheidungen und Gemeindeverbände basieren ihren Haushalt von zentraler Bedeutung. Eine Quantifizierung auf Vorhersagen der Steuereinnahmen. Hierzu der genannten Effekte kann nicht modelltheore- gibt der Arbeitskreis Steuerschätzungen zwei- tisch erfolgen, sondern bedarf empirischer Ana- mal jährlich Prognosen zur zukünftigen Einnah- lysen, idealerweise auf Basis der Grundgesamtheit meentwicklung der verschiedenen Steuern ab.22 der Steuerzahler oder großer Zufallsstichproben. Die Schätzung fokussiert dabei auf die Entwick- Einzelfallbeispiele oder aggregierte Statistiken lung in Deutschland,23 sie ist Grundlage der Regi- auf Länder- oder Bundesebene eignen sich hier- onalisierung durch die Bundesländer. Ein Ausweis für wenig. Sie zeichnen ein verzerrtes Bild, wenn der Schätzmethodik und der zugrunde geleg- Anpassungsreaktionen heterogen sind und bieten ten Annahmen erfolgt nicht. Eine regelmäßige kaum Möglichkeiten zur empirischen Identifika- ex-post Evaluierung der Prognosen wird ebenfalls tion von Kausaleffekten.21 nicht durchgeführt.24 Kern der Prognosen ist eine Zeitreihenanalyse der Aufkommen nach Steuerar- Die Entwicklung in der weltweiten Forschung ten. Auf Mikrodaten basierende Schätzmethoden belegt eindrücklich, dass Daten der Steueradmi- kommen in Deutschland nicht zur Anwendung.25 nistration für eine verlässliche Quantifizierung der genannten Effekte essentiell sind; eine Quan- Die Verlässlichkeit der Prognosen hat in der Ver- tifizierung ist oftmals erst auf Basis solcher Daten gangenheit immer wieder Anlass zur Diskussion möglich. Sie bieten zudem, wie unten dargestellt, gegeben.26 Die empirische Literatur hat insbeson- eine Reihe von Vorteilen gegenüber traditionell dere die Vorgabe der vom Arbeitskreis zugrunde genutzten Befragungsdaten. Im Folgenden wer- gelegten Regierungsprognose des gesamtwirt- den Nutzungsmöglichkeiten dieser Daten und schaftlichen Wachstums kritisiert und einen Bei- deren Wert für (Steuer-)Politik, (Steuer-)Verwal- trag der von politischer Seite vorgenommenen tung und akademische Forschung dargestellt.

22 Der Arbeitskreis beinhaltet nicht nur Vertreter von Bundesregierung, Landesregierung und der kommunalen Spitzenverbände sondern auch Vertreter der Bundesbank, der Forschungsinstitute, des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und des Statistischen Bundesamts. Die Beteiligung regierungsexterner Institutionen soll die Informationsbasis verbessern. Sie dient auch dazu, eine politische Beeinflussung 21 Zentrale Herausforderung bei der Identifikation von zu erschweren. Kausaleffekten (steuer-)politischer Interventionen ist es, die Wirkung der Gesetzesänderung von anderen Einflussgrößen 23 Bis 2019 erfolgt ein getrennter Ausweis für Alte und Neue zu trennen, die ebenfalls auf das beobachtete Verhalten Länder (ohne Berlin). von Wirtschaftssubjekten einwirken. Soll bspw. der Effekt 24 Das Bundesfinanzministerium hat zuletzt im Jahre 2006 im einer Einkommensteuererhöhung auf das Arbeitsangebot Rahmen eines Forschungsauftrags eine Evaluierung veranlasst bestimmt werden, besteht das Problem, dass Änderungen im (Büttner und Kauder, 2008). Arbeitsverhalten reforminduziert sein können, möglicherweise 25 Gerade bei komplizierten steuerlichen Sachverhalten bieten aber auch allgemeine Zeittrends wie konjunkturelle sich Methoden der Mikrosimulation an. So setzt das Office Schwankungen reflektieren. Aggregierte Informationen for Budget Responsibility, Mikrosimulationen für Prognosen auf Länderebene bieten, im Gegensatz zu Daten auf des Einkommensteueraufkommens und anderer Steuern ein, Individualebene, nur eingeschränkte Möglichkeiten in der vgl. Office for Budget Responsibility (2011). Zur Methodik der empirischen Analyse vergleichbare, von der Steuerreform Steuerschätzung im internationalen Vergleich siehe Buettner nicht betroffene Kontrolleinheiten zu identifizieren, die und Kauder (2010). geeignet sind, allgemeine Zeittrends zu absorbieren und damit den Kausaleffekt der Reform zu bestimmen. 26 Z. B. Bundesrechnungshof (2005).

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Zwecke der quantitativen Analyse Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Prognosen auf die Schätzfehler nachgewie- Belastung mit persönlicher Einkommensteuer? sen.27 Seit 2018 erfolgt nun eine Überprüfung der Beschließen sie weniger in Bildung oder in ihre Wachstumsprognose durch die Gemeinschaftsdi- berufliche Produktivität zu investieren? Wenn agnose,28 so dass eine Beeinflussung über diesen dem so ist, ergeben sich hierdurch Wohlfahrts- Kanal schwieriger geworden ist. kosten. Die ökonomische Literatur hat gezeigt, dass diese Wohlfahrtskosten unter bestimm- Die Schätzwerte für die Aufkommenseffekte der ten Voraussetzungen durch die Elastizität gemes- Steuerrechtsänderungen werden im Rahmen des sen werden können, mit der das zu versteuernde Gesetzgebungsverfahrens vom Finanzministe- Einkommen eines Steuerzahlers auf Steuersatz- rium bereitgestellt und ebenfalls vom Arbeitskreis änderungen reagiert (da schlussendlich alle Ver- übernommen. Eine Analyse zeigt, dass die Mehr- haltensreaktionen auf Steuersatzänderungen zu einnahmen durch Steuererhöhungen und Minder- Anpassungen des steuerpflichtigen Einkommens einnahmen durch Steuersenkungen regelmäßig führen). In der Literatur wird vor dem Hinter- betragsmäßig überschätzt werden.29 Dieses Mus- grund der intensiven Befassung mit der Einkom- ter resultiert aus der Vernachlässigung von Ver- mensteuer von der „Elasticity of “ haltenseffekten der Steuerreformen in der quan- (ETI) gesprochen. Eine rationale Steuerpolitik titativen Folgenabschätzung.30 Eine systematische setzt daher die Kenntnis dieser Elastizität nicht ex-post Überprüfung der Schätzwerte erfolgt nur für eine fundierte Abschätzung der Aufkom- jedoch nicht. menseffekte, sondern auch für die Bewertung der Wohlfahrtseffekte voraus. 2.2.2 Quantifizierung der Effizienzkosten von Besteuerung Steuererklärungen bilden die ideale Grundlage, um die ETI zu quantifizieren. Erstens umfassen Bei der Ausgestaltung von Steuersystemen sind sie Informationen zum angegebenen steuerpflich- Fragen der Steuereffizienz von großer Bedeu- tigen Einkommen und damit exakt zu der Größe, tung. Es gilt zu quantifizieren, ob und in welchem die aus theoretischer Sicht von Interesse ist. Zwei- Ausmaß Besteuerung bei Individuen und Fir- tens existieren methodische Ansätze, die erlau- men Belastungen erzeugt, die über die Zahllast ben, auf Basis der Daten Kausaleffekte von Ände- der Steuer und mögliche Befolgungskosten hin- rungen im Einkommensteuersatz zu bestimmen. ausgehen. Wie stark reduzieren bspw. Individuen In der akademischen Literatur wird die ETI zum ihr Arbeitsangebot in Reaktion auf eine erhöhte einen über gesetzliche Steuersatzänderungen identifiziert. Hierbei wird die Entwicklung der 27 Vgl. Gebhardt (2001) und Büttner und Kauder (2015). steuerpflichtigen Einkommen von Individuen, die 28 Nachdem diese Praxis nicht im Einklang mit der von einer Steuersatzänderung betroffen sind, mit Two-Pack-Verordnung stand (Verordnung (EU) Nr. der von nicht betroffenen Individuen verglichen. 473/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates) hat die Bundesregierung per Verordnung (vgl. Letztere dienen als Kontrollgruppe und erlauben Vorausschätzungsverordnung – EgVV) festgelegt, dass es, allgemeine Zeittrends in der Einkommensent- eine gesonderte Bewertung dieser Prognose durch die wicklung zu berücksichtigen.31 Alternativ können Gemeinschaftsdiagnose erfolgt. Sprungstellen im Steuertarif, d.h. Änderungen der 29 Die Analyse von Büttner und Kauder (2015), ibid., zeigt unter anderem, dass der Vorhersagefehler regelmäßig höher marginalen oder durchschnittlichen Steuerbelas- ausfällt, je größer die dabei unterstellten prognostizierten tung an bestimmten Einkommensgrenzen, zur Aufkommenseffekte der Steuerrechtsänderungen sind. Das Ausmaß der geschätzten Verzerrung liegt dabei oberhalb empirischen Identifikation der ETI genutzt wer- von einem Viertel und unterhalb von einem Drittel – der den. Konkret ergeben sich durch die Sprungstellen Standardfehler des Schätzwertes liegt bei einem Achtel. 30 Zwar werden auch die gesamtwirtschaftlichen Rückwirkungen nicht berücksichtigt (vgl. Bundestagsdrucksache 13/5242, 31 Die Klassifizierung der Gruppen ergibt sich z. B. aus der Punkt 7). Der Vorhersagefehler für die gesamtwirtschaftliche Progression im Einkommensteuertarifs. Wird bspw. der Entwicklung ist indes bei Büttner und Kauder (2015) Spitzensteuersatz angehoben, sind nur Individuen mit berücksichtigt. Einkommen in der obersten Progressionszone betroffen.

7 Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Zwecke der quantitativen Analyse Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

lokale Unterschiede im Anreiz Einkommen zu Steuererklärungsdaten wichtige Vorteile gegen- erzielen und Aufwendungen abzusetzen. Über über Daten aus anderen Quellen, bspw. Bilanz- das resultierende „Bunching“ von Steuerzah- daten. So sind letztere häufig nur für große, an lern an den Sprungstellen kann die ETI bestimmt Börsen gelistete Unternehmen in systematischer werden.32 Weise verfügbar. Da sich steuerliche und bilanzi- elle Wertansätze zudem erheblich unterscheiden Administrative Steuerdaten bieten als Grund- können, stimmen handelsrechtliche Unterneh- lage für die Berechnung der ETI zentrale Vorteile mensergebnisse in der Regel nicht mit dem steu- gegenüber Befragungsdaten. Erstens bilden sie erpflichtigen Einkommen der Unternehmen über- die gesamte Population von Steuerzahlern ab und ein. Zuletzt muss bei Bilanzdaten auch häufig die umfassen nicht nur Stichproben. Zweitens sind Qualität der meist von privaten Datenanbietern Probleme wie ein systematisches Ausscheiden von bereitgestellten Informationen bemängelt wer- Individuen im Zeitablauf, systematische Nichtbe- den. Für eine exakte Quantifizierung der Effekte antwortung von Fragen oder Messfehler, wie sie der Gewinnverlagerung von Unternehmen auf in Befragungsdaten typischer Weise auftreten, bei das Steueraufkommen sind daher Daten der Steu- administrativen Steuerdaten nicht oder nur ein- erverwaltung heranzuziehen (siehe bspw. Bilicka geschränkt relevant (bspw. Card et al., 2011).33 Der 2019).36 große Datenumfang und die hohe Datenqualität erlauben zudem Kausaleffekte von Steuersatzän- Für Deutschland gibt es aufgrund der schwierigen derungen und anderen Politikreformen mit grö- Datenlage kaum Studien. Eine erste Untersuchung ßerer Zuverlässigkeit zu bestimmen. Empirische von Schellhorn (2005) nutzt Mikrodaten im Rah- Verfahren, die Sprungstellen im Steuertarif zur men des IAW-Einkommensteuerpanels. Dörren- Identifikation der ETI nutzen, sind darüber hin- berg et al. (2017) präsentieren eine Schätzung der aus praktisch nur auf Basis administrativer Steu- ETI für die Einkommensteuer anhand des - erdaten nutzbar, da exakte Informationen zum payer Panels.37 Fossen und Steiner (2018) untersu- steuerpflichtigen Einkommen und viele Beobach- chen die Gewerbesteuer anhand von Mikrodaten, tungen an den Sprungstellen im Steuertarif vor- müssen sich aufgrund der Datenbeschränkungen liegen müssen, um das Verfahren zu nutzen. In allerdings auf die Querschnitte der Jahre 2001 und den vergangenen Jahren wurde die ETI auf Basis 2004 konzentrieren.38 administrativer Daten für verschiedene Länder bestimmt. Siehe beispielsweise Saez et al. (2012), 2.2.3 Heterogenität und Kanäle der Kleven (2016) und Neisser (2018) für Überblicksar- Steuerwirkungen tikel.34 Zudem finden sich in der neueren Literatur verschiedene Arbeiten, die Elastizitäten der steu- Effizienzwirkungen von Steuern hängen aller- erlichen Bemessungsgrundlage auch für andere dings nicht nur von der durchschnittlichen Steuerarten bestimmen. Devereux et al. (2014) Reaktion von Steuerzahlern auf Steuersatzän- und Lediga et al. (2019) nutzen bspw. Informatio- derungen ab. Auch Heterogenität im Anpas- nen aus Körperschaftsteuererklärungen, um die sungsverhalten ist von Bedeutung. Wenn bspw. Elastizität des steuerpflichtigen Unternehmen- Männer und Frauen, Hoch- und Niedriglohnver- seinkommens auf Tarifänderungen bei der Kör- diener oder Menschen in verschiedenen Regionen perschaftsteuer zu bestimmen.35 Auch hier haben 36 Bilicka (2019. 32 Siehe Glogowsky (2018) für eine Analyse von Bunching an 37 Konkret wird das sogenannte Taxpayer Panel verwendet, das Freibetragsgrenzen und Sprungstellen in der Erbschaftsteuer. eine 5 % Stichprobe der Grundgesamtheit der Steuerzahler umfasst (Dörrenberg et al. 2017). 33 Card et al. (2011). 38 Fossen und Steiner (2018) zeigen dabei insbesondere, dass 34 Kleven (2016), Saez et al. (2012), Neisser (2018). ohne den Bezug auf Mikrodaten wie etwa in Buettner (2003) 35 Devereux et al. (2014) und Lediga et al. (2019). Fehlschätzungen resultieren.

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unterschiedlich stark auf Änderungen im per- andere Steuerbemessungsgrundlagen müssen bei sönlichen Einkommensteuersatz reagieren, kön- der Bestimmung der Wohlfahrtskosten von Steu- nen hieraus Implikationen für eine zielgerichtete ern berücksichtigt werden. Empirische Analy- Ausgestaltung von Steuergesetzen abgeleitet wer- sen in diesem Bereich erfordern in der Regel Ver- den. Analoge Beispiele lassen sich für andere Steu- knüpfungen von steueradministrativen Daten mit erarten nennen. Wenn multinationale und natio- anderen Datenquellen. Im Kontext der persönli- nale Unternehmen oder kleine und große Firmen chen Einkommensteuer kann beispielsweise nur unterschiedlich stark auf Anpassungen des Kör- dann zwischen Einkommensreaktionen durch perschaftsteuersatzes reagieren, hat das ebenfalls Anpassungen im Arbeitsangebot und im Hinter- Folgen für optimale Steuerpolitik. ziehungsverhalten unterschieden werden, wenn Steuererklärungsdaten mit Ergebnissen von Analysen der Heterogenität setzen voraus, dass Steuerprüfungen und Arbeitszeitinformationen Informationen zu Charakteristika der Steuerzah- zusammengeführt werden. ler vorliegen. Das ist im Kontext von Steuererklä- rungen häufig nicht der Fall und erfordert, dass Die ökonomische Literatur hat verschiedene Steuererklärungsdaten mit anderen Datenquellen Ansätze entwickelt, die eine entsprechende zusammengeführt und für Forschungszwecke zur Abschätzung möglich machen (siehe bspw. Bilicka Verfügung gestellt werden. Während eine solche 2019).39 Im Kontext der Körperschaftsteuer kann Verknüpfung in vielen Ländern möglich ist (siehe eine Unterscheidung von Steuervermeidungs- bspw. Chetty et al., 2011, Kleven und Schultz, 2014, reaktionen und realen Anpassungen erfolgen, Harju und Matikka, 2016, Harju et al., 2019), ist das wenn steueradministrative Daten um Informati- Verbinden von amtlichen Mikrodaten auf Perso- onen zur Realaktivität von Firmen erweitert wer- nenebene in Deutschland verboten, es sei denn ein den. Eine Reihe jüngerer Studien nutzt verknüpfte Gesetz erlaubt die Verknüpfung ausdrücklich. Im Daten, um solche Anpassungskanäle zu identifi- Bereich der Personen- und Haushaltsdaten exis- zieren (siehe bspw. Studien von Kleven et al. (2011), tiert ein solches Gesetz nicht. Devereux et al. (2014), Asatryan und Peichl (2017), sowie Asatryan et al. (2019) für Dänemark, Groß- Zudem ist nicht nur von Interesse, wie stark die britannien, Armenien und Österreich).40 Chen et Anpassung des steuerpflichtigen Einkommens in al. (2018) untersuchen die Wirkungen des Körper- Reaktion auf Steuersatzänderungen ist, sondern schaftsteuersatzes auf F&E Investitionen mit ver- auch über welche Kanäle die Anpassung erfolgt. knüpften Mikrodaten für chinesische Firmen. Ob Individuen in Reaktion auf Einkommensteu- ersatzerhöhungen ihr Arbeitsangebot reduzie- Für Deutschland sind entsprechende Verknüpfun- ren, ins Ausland abwandern oder vermehrt Steu- gen und Analysen bislang nicht, bzw. nur einge- ern hinterziehen, ist oftmals entscheidend für schränkt möglich. Insbesondere die Verknüpfung die Bewertung der Steuerpolitik und hat zudem von personen- und firmenbezogenen Statistiken Implikationen für die Steuerverwaltung. Zudem scheitert entweder an den rechtlichen Hürden muss analysiert werden, ob eine Veränderung in oder am pauschalen Einwand des Datenschutzes, der Steuerbasis anderer Steuern induziert wird. Wenn selbstständige Individuen in Reaktion auf erhöhte persönliche Einkommensteuersätze bspw. 39 Bilicka, K. (2019), Comparing UK tax returns of foreign inkorporierte Unternehmen gründen, über die sie multinationals to matched domestic firms, American Economic Review, 2019, 109(8), 2921-53. einen Teil ihrer wirtschaftlichen Aktivität abwi- 40 Teilweise können Anhaltspunkte zu Anpassungskanälen auch ckeln, sinkt ihr steuerpflichtiges Einkommen bei direkt aus Informationen der Steuererklärung gewonnen der persönlichen Einkommensteuer, aber ihr steu- werden. Bachas und Soto (2018) zeigen bspw. auf Basis von erpflichtiges Einkommen bei der Körperschaft- Daten für Unternehmenssteuererklärungen in Costa Rica, dass Steuerzahler in Reaktion auf Steuersatzänderungen v.a. steuer steigt an. Entsprechende Externalitäten auf Änderungen bei steuerlichen Abzügen vornehmen und nicht im Bereich der gemeldeten Umsätze.

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ohne dass Anonymisierungsstrategien geprüft die Mehrwertsteuerbelastung 1:1 weitergeben, würden. finden sich keine Anpassungen bei kleinen eigen- tümergeführten Restaurants. 2.2.4 Verteilungseffekte und Steuerinzidenz Auch zur Steuerinzidenz gibt es in Deutschland Zwar sind im Gesetzgebungsverfahren bei Steuer- wegen der Datenlage kaum aussagekräftige Stu- rechtsänderungen Aussagen zur Verteilungswir- dien. Dwenger et al. (2017) verknüpfen Daten zu kung nicht zwingend erforderlich, dennoch spie- Körperschaftsteuererklärungen in Deutschland – len sie im politischen Entscheidungsprozess eine über eine Aggregation auf Ebene von Wirtschafts- wichtige Rolle. Auch hier sind Mikrodaten der zweig und Region – mit Informationen zur Lohn- Steuerstatistik unverzichtbar, da sie viel genaue- höhe von Beschäftigten, und zeigen, dass die ren Aufschluss über die Verteilungswirkung von Unternehmenssteuerlast über niedrigere Löhne Steuern geben als andere Datenquellen. Sie erlau- teilweise an Beschäftigte weitergegeben wird. ben es bspw. im Kontext der Einkommensteuer Administrative Steuerdaten eröffnen damit auch abzuschätzen, wie Steuerlasten zwischen Steu- bei Fragen zur Steuerinzidenz Erkenntnismög- erzahlern verteilt sind und welche Effekte Ände- lichkeiten. In der Regel ist allerdings eine Ver- rungen steuerlicher Regeln auf die Belastungs- knüpfung mit anderen Datenquellen Vorausset- unterschiede zwischen den Steuerzahlern haben. zung für die Analyse. Selbige sollte auf Basis der Wier und Reynolds (2018) und Buyl und Rogge- Individualdaten und nicht auf aggregierter Ebene man (2019) zeigen bspw. anhand steueradminis- erfolgen (u.a. um verzerrte Schätzergebnisse auf- trativer Daten für Südafrika und Belgien, dass sich grund von Selektionseffekten zu vermeiden). die effektive Unternehmenssteuerlast von gro- Fuest et al. (2018) verknüpfen administrative Indi- ßen und kleinen Firmen systematisch unterschei- vidual- und Firmendaten der Bundesagentur für det. Eine ähnliche Thematik ist auch für die steu- Arbeit mit administrativen Gewerbesteuerhebe- erpolitische Debatte in Europa und in den OECD satzdaten auf Gemeindeebene um die Überwäl- Ländern bedeutsam, da multinationale Unterneh- zung der Gewerbesteuer auf Arbeitnehmerlöhne men aufgrund von Steuervermeidung oft weniger zu untersuchen. Wie Dwenger et al. (2017) fin- Steuern bezahlen als nationale Unternehmen.41 den sie Evidenz für eine Überwälzung auf Arbeit- Allgemein macht die für Verteilungsfragen wich- nehmerlöhne. Allerdings bleiben wichtige Fragen tige Betrachtung über längere Zeitperioden die offen, deren Beantwortung die Verknüpfung mit Verwendung sogenannter Paneldaten notwendig: Unternehmenssteuerdaten erfordern würde. Ins- sie ermöglichen es, die Belastung durch Steuern besondere können die Autoren nicht beantwor- über die Zeit zu beobachten. ten, welcher Anteil der Steuerlast auf die Anteils- eigner (Gewinne) und welcher an die Verbraucher Zudem können auf Basis administrativer Daten (über Preise) überwälzt wird. Fragen der Steuerinzidenz untersucht werden, d.h. es kann empirisch bestimmt werden, ob Zahl- 2.2.5 Ökonomische Effekte von last und Traglast von Steuern auseinanderfallen. Steuerabzügen Harju et al. (2018) nutzen u.a. Daten der adminis- trativen Steuerstatistik in Finnland und Schweden, Neben dem tariflichen Steuersatz ist die effek- um zu analysieren, ob Restaurants Mehrwertsteu- tive Steuerbelastung von Steuerzahlern auch eine erzahlungen über höhere Preise an ihre Kunden Funktion der steuerlichen Abzugsmöglichkeiten, weitergeben. Die Ergebnisse zeigen Heterogenität d.h. der Definition der Steuerbemessungsgrund- im Verhalten: Während große Restaurantketten lage. Bei der Gewährung von Abzugsmöglichkeiten stehen i.d.R. Überlegungen zur Steuergerechtig- keit und/oder zu Verhaltensanreizen im Vorder- 41 Finke (2014). grund. Hieraus ergeben sich aus steuerpolitischer

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Sicht zwei wichtige empirische Fragestellungen. mit den Bilanzdaten des Bureau von Dijk FAME Erstens, in welchem Maß profitieren Steuerzahler Datensatzes um die Wirkung von Abschreibungs- von gesetzlichen Steuerabzügen? Zweitens, indu- anreizen für Informations- und Kommunikati- zieren die Steuerabzüge die gewünschten Verhal- onstechnik auf die Beschäftigung je nach Art der tensreaktionen? In Bezug auf die erste Frage sind a Tätigkeit zu untersuchen. Maffini et al.(2019) nut- priori nicht intendierte Effekte in zwei Richtungen zen eine solche Verknüpfung mit britischen Steu- möglich. Auf der einen Seite ist denkbar, dass Steu- erdaten um die Stärke der Reaktion von Investiti- erzahler, denen gesetzlich ein Steuerabzug zusteht, onen auf bessere steuerliche Abschreibungen zu selbigen nicht nutzen, weil ihnen die notwendige bestimmen. Sie zeigen, dass steuerliche Abschrei- steuerrechtliche Information fehlt oder weil sie bungen im Hinblick auf die Investitionswirkun- vor Befolgungskosten (bspw. dem Sammeln von gen ähnlich stark wirken wie eine Senkung des Belegen) zurückschrecken. Auf der anderen Seite Steuersatzes. eröffnen Steuerabzüge ggf. aber auch Möglichkei- ten zur Steuerhinterziehung - d.h. Möglichkeiten 2.2.6 Steueraufkommenseffekte Steuerabzüge geltend zu machen, obwohl sie dem Steuerzahler gesetzlich nicht zustehen. Daten zu Bei der Bewertung von Steuerreformen sind Steuererklärungen erlauben, entsprechendes Ver- neben möglichen Effizienz- und Verteilungsim- halten von Steuerzahlern zu untersuchen. Gillitzer plikationen vor allem auch Effekte auf das Steu- und Skov (2018) finden bspw. für Dänemark, dass eraufkommen von Bedeutung. Auch hier kön- viele Steuerzahler Spendenabzugsmöglichkeiten nen steueradministrative Daten einen zentralen von der Steuerbasis nicht wahrnehmen. Es wird Beitrag zur Quantifizierung leisten. Aktuell ist gezeigt, dass aggregierte Spendenabzüge durch die es gängige Praxis, im Rahmen von politischen Einführungen von Meldepflichten für Drittpar- Debatten ebenso wie im Rahmen von Gesetzge- teien und eine elektronische Vorausfüllung der bungsverfahren, mögliche Aufkommenseffekte Spendenabzüge im Steuererklärungsformular sig- ausschließlich über Änderungen der Steuerpara- nifikant ansteigen. meter zu quantifizieren und von Verhaltensanpas- sungen der Wirtschaftssubjekte in Reaktion auf Auf Basis von Steuererklärungsdaten lassen sich Steueränderungen zu abstrahieren. Das Ausblen- zudem Anreizeffekte von Steuerabzügen unter- den von Verhaltensanpassungen führt hierbei zu suchen. Zwick und Mahon (2017) zeigen anhand systematischen Fehlern bei der Quantifizierung steueradministrativer Daten für die USA, dass Fir- der Aufkommenseffekte. Wird bspw. die Aufkom- meninvestitionen in relevantem Maß auf Ände- menswirkung einer möglichen Senkung des Kör- rungen in Abschreibungsregelungen reagieren, perschaftsteuersatzes quantifiziert, ohne dass die Reaktionen von kleinen Firmen aber signifi- positive Effekte der Reform auf Unternehmensin- kant stärker ausfallen als die von großen Unter- vestitionen und -profite berücksichtigt werden, nehmen. Ein anderes Beispiel sind Dechezlepretre kommt es zu einer Überschätzung der Aufkom- et al. (2016) und Guceri und Li (2019), die auf Basis menseffekte. Dies ist in Deutschland regelmäßig von Unternehmenssteuererklärungen in Groß- der Fall (siehe oben 2.2.1). britannien zeigen, wie steuerliche Sonderabzüge für Forschungs- und Entwicklungskosten die For- Aufkommenseffekte können dabei nicht nur schungs- und Entwicklungsaktivitäten von Unter- ex-post, sondern auch ex-ante bestimmt werden. nehmen beeinflussen. Für Hinweise auf konkrete Hierbei sind insbesondere Informationen aus Steu- realwirtschaftliche Sachverhalte werden dabei ererklärungen von großem Wert. Sie ermöglichen Verknüpfungen zwischen Steuerdaten und Bilanz- es, auf Basis von Zufallsstichproben Mikrosimu- daten von Unternehmen verwendet. Gaggl und lationsmodelle zu bauen, mit denen die Aufkom- Wright (2017) nutzen Verknüpfungen der Körper- menseffekte von Reformen oder Reformvorschlä- schaftsteuererklärungen britischer Unternehmen gen ex-ante quantifiziert werden können. Hierbei

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werden in der empirischen Literatur identifizierte Slemrod und Weber, 2012). Dasselbe gilt auch für Verhaltensreaktionen auch in ihrer Heterogenität Schätzungen der Steuerlücke auf Basis von Mak- über Wirtschaftssubjekte hinweg berücksichtigt. roindikatoren, die in der Regel auf starken und schwer verifizierbaren Annahmen fußen (siehe Angesichts gravierender Unterschiede in den Steu- bspw. Fuest und Riedel, 2009). Verschiedene Länder ersystemen, in den gesetzlichen Rahmenbedin- unterhalten daher Programme, um Steuerlücken gungen und in den Wirtschaftsstrukturen können anhand steueradministrativer Daten zu quantifi- Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Literatur, zieren (siehe u.a. die USA, Schweden und Großbri- denen Daten anderer Länder zugrunde liegen, nur tannien). Die US-Steuerbehörde IRS wählt seit den Anhaltspunkte für Voraussagen liefern. Verläss- 1960iger Jahren zufällig eine große Zahl von Ein- liche Schätzungen für Deutschland erfordern die kommensteuererklärungen aus und unterzieht sie eingehende Analyse der Besteuerung in Deutsch- einer intensiven Steuerprüfung.42 Für jede Posi- land anhand aussagefähiger Mikrodaten der Steu- tion in der Steuererklärung wird die Angabe des erstatistik. Zwar lassen sich bestimmte Verhalten- Steuerpflichtigen mit der gemäß der Prüfung kor- seffekte auch anhand anderer für Deutschland rekten Angabe verglichen. Ausgehend davon wird verfügbarer Datensätze untersuchen. Beispiels- die aggregierte Steuerlucke und ihre Zusammen- weise kann der Effekt der Steuern auf die Erwerbs- setzung berechnet (Slemrod und Weber, 2012). beteiligung mit Daten der Sozialversicherung Auch wissenschaftliche Studien haben in den ver- untersucht werden. Allerdings sind Einkommens- gangenen Jahren über eine Analyse von steuerad- informationen in den Sozialversicherungsdaten ministrativen Daten Anhaltspunkte zu Ausmaß nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze verfüg- und Anatomie von Steuerhinterziehungs- und bar. Für die Abschätzung der resultierenden Auf- vermeidungsverhalten geliefert. Grubert und kommenseffekte sind außerdem zumeist nicht Slemrod (1998), Grubert (2003), Wier und Reynolds eine, sondern zahlreiche Verhaltenseffekte von (2018) analysieren bspw. auf Basis steueradminist- Bedeutung. Anhand von Steuerdaten kann eine rativer Daten in den USA und in Südafrika, in wel- umfassende Bewertung der Aufkommenseffekte chem Umfang und über welche Kanäle multinati- erfolgen. Nur Informationen aus den Steuererklä- onale Unternehmen Steuervermeidung betreiben. rungen erlauben Anpassungen der Steuerzahlun- Kreiner et al. (2014) und Alstadsaeter et al. (2019) gen auf individueller Ebene zu bestimmen und zeigen für Dänemark und Norwegen, dass Steu- eine aggregierte Schätzung der Aufkommensef- ervermeidung und Steuerhinterziehung am obe- fekte abzuleiten. ren Ende der Einkommensverteilung konzentriert ist. Paetzold und Winner (2016) und Frimmel et al. 2.2.7 Steuerlücke und Steueradministration (2018) zeigen auf Basis österreichischer Steuerda- ten, dass Steuerhinterziehung und Steuervermei- Daten der Steueradministration werden zudem dung teilweise über Netzwerkeffekte erklärt wer- genutzt, um Steuerlücken, d.h. die Differenz zwi- den können. Alstadsaeter et al. (2018) untersuchen schen der gesetzlich geschuldeten Steuer und der mögliche Zusammenhänge zwischen Steuerhin- tatsächlich gezahlten Steuer, zu quantifizieren terziehung und Steuervermeidung. und Determinanten von Steuerlücken zu bestim- men. Steuerhinterziehung und -vermeidung sind Aus Sicht von Steuerpolitik und Steuerbehörden ist grundsätzlich schwer messbare Phänomene, da es zudem von zentraler Bedeutung zu verstehen, die Steuerpflichtigen natürlich versuchen, die ent- wie steuerpolitische und steueradministrative sprechenden Aktivitäten vor der Öffentlichkeit bzw. den Finanzämtern zu verbergen. Der Infor- 42 Entscheidend ist hierbei, dass Steuererklärungen zufällig mationsgehalt von Befragungsdaten zu Hinter- für die Steuerprüfung (und nicht wie in der ‚normalen‘ Steuerprüfung risikobasiert) ausgewählt werden. Nur so kann ziehungs- und Vermeidungsaktivitäten wird in über die Prüfergebnisse eine Schätzung für die aggregierte der Forschung als gering angesehen (siehe bspw. Steuerlücke abgeleitet werden.

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Instrumente ausgestaltet sein sollten, um Steu- (bspw. Kotakorpi und Laamanen (2016), Jouste et erhinterziehung und Steuervermeidung mög- al. (2019)).43 lichst effektiv zu begegnen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass eine Zusammenarbeit Die genannten Studien zur Steuerehrlichkeit wur- von Steueradministration und Wissenschaft hier den in Kooperation mit Steuerbehörden in ver- wichtige Einsichten liefern kann. So wurde der schiedenen Ländern durchgeführt. Neben der Forschung in manchen Ländern ermöglicht, Evaluierung bestehender steuerpolitischer oder Daten aus Steuererklärungen mit Informationen administrativer Reformen wurden sogenannte aus der Steuerprüfung zu verbinden. Hierdurch Feldexperimente durchgeführt, bei denen Steu- konnte z. B. gezeigt werden, dass Steuerzahler, die erbehörden in Kooperation mit Forschern zufäl- einer Steuerprüfung unterliegen, in Perioden nach lig ausgewählte Steuerzahler einer bestimmten der Steuerprüfung signifikant höhere zu versteu- administrativen Maßnahme aussetzen und Ver- ernde Einkommen ausweisen (Kleven et al., 2011, haltensreaktionen im Vergleich zu Kontrollgrup- Advani et al., 2017, und DeBacker et al., 2018) und pen untersuchen. Bis auf ein Pilotprojekt zur Kir- dass selbiges sogar für (selbst nicht geprüfte) Steu- chensteuer, gibt es keine analoge Zusammenarbeit erzahler im Netzwerk der geprüften Steuerzahler zwischen Wissenschaft und Steuerbehörden in gilt (Boning et al., 2018, Bohne und Nimczik, 2018, Deutschland.44 Lediga et al., 2019). Einnahmeeffekte von Steuer- prüfungen sind damit nicht auf die direkte Erhe- 2.2.8 Steuerliche Befolgungskosten bung der hinterzogen Steuern beschränkt und es ergeben sich Implikationen für die optimale Fall- Neben den bereits genannten Verwendungsmög- auswahl bei Steuerprüfungen. Die empirische Evi- lichkeiten können steueradministrative Daten denz bezieht sich dabei auch auf die Wirkung von auch genutzt werden, um Befolgungskosten auf Steuerprüfungen auf Steuervermeidung durch Seite der Steuerzahler abzuschätzen. Zur Illustra- Unternehmen (Hoopes et al., 2012). tion sei eine aktuelle Studie von Akcigit et al. (2017) genannt, die auf Basis von Steuererklärungen in Daneben wurde getestet, wie Kommunikation von Frankreich untersucht, wie Selbstständige zwi- Steuerbehörden auf das Verhalten von Steuerzah- schen Steuerregimen wählen, die sich unter ande- lern wirkt. Untersucht wurde u.a., ob Briefe, die rem in Bezug auf Befolgungskosten unterscheiden. Prüfungswahrscheinlichkeiten offenlegen, mora- Die Autoren nutzen Zugangsbeschränkungen in lische Appelle enthalten oder auf Verwendungs- diese Regime zur empirischen Identifikation und zwecke von Steuergeldern hinweisen, Steuerzah- zeigen, dass Individuen eine hohe Zahlungsbe- lerverhalten beeinflussen (siehe bspw. Slemrod et reitschaft für Steuereinfachheit haben. Auch hier al., 2001, Biddle et al., 2018, sowie Mascagni, 2018, bietet die Nutzung steueradministrativer Daten für einen Überblicksartikel). Neuere Studien ana- wichtige Vorteile gegenüber traditionell verwen- lysieren zudem die Rolle der Informationsumge- deten Befragungsinformationen.45 Bei Letzteren bung, vor allem der Weitergabe steuerrelevanter könnten Befolgungskosten bspw. systematisch Informationen durch Drittparteien für die Steu- zu hoch ausgewiesen werden, wenn die befragten erehrlichkeit (siehe bspw. Adhikari et al. (2017),

Brockmeyer und Hernandez (2018), Carillo et al. 43 Lediga et al. (2018) analysieren zudem, inwieweit (2017)). Zudem wurde untersucht, inwiefern tech- Informationen über Steuerzahler aus anderen öffentlich nologische Faktoren wie die Möglichkeit, Steuer- verfügbaren Registern genutzt werden können, um Steuerehrlichkeit zu erhöhen. erklärungen elektronisch einzureichen oder die 44 Zur Kirchensteuer Dwenger et al. (2016). Aufgrund der Vorausfüllung von Steuererklärungen durch die schwierigen Datenlage in Deutschland wenden sich deutsche Steuerbehörde auf die Steuerehrlichkeit wirken Forscher der Kooperation mit Steuerbehörden anderer Länder zu, siehe z. B. (Dörrenberg und Schmitz,, 2017, 2019). 45 Für Deutschland gibt es nur vereinzelte umfragebasierte Studien zu den Befolgungskosten (vgl. Blaufus, 2019).

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Steuerzahler sich dadurch Vorteile in der öffent- (2012), Giertz, S. und J. Mortenson (2013)).47 Saez lichen Debatte und bei politischen Entscheidun- und Zucman (2016) zeigen zudem, dass Einkom- gen erhoffen. Ein weiteres Beispiel ist Rees-Jones mensteuererklärungen auch genutzt werden kön- (2017), der mit US-amerikanischen Steuerdaten nen, um über die Vermögenserträge die Vermö- zeigt, dass die Befolgungskosten insbesondere bei gensverteilung zu messen (siehe auch Bricker et Steuernachzahlungen hoch sind.46 al. (2016), Slemrod (2016)). Alstadsaeter et al. (2017) verknüpfen verschiedene Datenquellen aus Nor- 2.2.9 Weitere Fragestellungen wegen um Einkommen und Vermögen aus Unter- nehmensbeteiligungen Individuen zuordnen zu Während die Nutzung von steueradministrativen können. Mit Hilfe dieser Daten können dann die Daten bisher mit Blick auf Fragen der optimalen Auswirkungen von Unternehmenssteuerrefor- Ausgestaltung von Steuerpolitik und Steuerad- men auf Ungleichheit untersucht werden. ministration diskutiert wurde, können steuerad- ministrative Daten auch genutzt werden, um Fra- In den USA wurden Einkommensteuererklärun- gestellungen außerhalb des Steuerkontextes zu gen zudem mit Informationen zu Eltern-Kind-Be- analysieren. Eine Besonderheit der Daten ist, dass ziehungen, Sterberegistern, Adressdaten und Einkommensinformationen für die Grundge- Bildungsinformationen verbunden, um verschie- samtheit der Steuerzahler der Volkswirtschaft dene Fragestellungen zu untersuchen. Chetty et al. enthalten sind. (2017) testen bspw., wie stark das Einkommen von Kindern mit dem Einkommen ihrer Eltern korre- Hierdurch können bspw. Verteilungsfragen ana- liert (‚intergenerationale Mobilität‘) und untersu- lysiert und Maße für Einkommensungleichheit chen wie sich diese Korrelation im 20. Jahrhun- abgeleitet werden. Steuererklärungsdaten haben dert verändert hat. Chetty und Hendren (2018) dabei den Vorteil, dass auch Einkommen am obe- analysieren auf Basis von Steuerdaten, inwiefern ren Ende der Einkommensverteilung abgebil- intergenerationale Mobilität und Einkommens- det sind, die in Befragungsdaten in der Regel nur unterschiede zwischen Männern und Frauen über unzureichend erfasst werden (siehe bspw. Burk- Charakteristika des Wohnortes der Kindheit deter- hauser et al., 2012, Drechsel-Grau et al., 2015, miniert sind.48 Chetty et al. (2016) zeigen auf Basis Burkhauser et al., 2018). Zudem gelten die bereits von Daten zu Steuererklärungen einen Zusam- oben angeführten Vorteile administrativer Daten menhang zwischen Einkommen und Lebenser- im Vergleich zu Befragungsdaten, insbesondere wartung. Für Deutschland können entsprechende in Bezug auf den größeren Datenumfang und die Analysen bislang nicht oder nur eingeschränkt höhere Datenqualität. In viel beachteten Aufsät- durchgeführt werden, da eine Verknüpfung von zen analysieren Piketty und Saez (2003), Piketty et al. (2018) und Auten und Splinter (2018) auf Basis von Daten aus US-Steuererklärungen die Ent- wicklung der Einkommen am oberen Ende der 47 In diesem Kontext muss allerdings beachtet werden, dass das im Rahmen von Steuererklärungen angegebene zu Einkommensverteilung in den USA im 20. Jahr- versteuernde Einkommen nicht notwendiger Weise mit hundert. Eine Verknüpfung von Steuererklä- dem über realwirtschaftliche Prozesse erwirtschafteten tatsächlichen Einkommen von Steuerzahlern zusammenfallen rungsdaten mit anderen US-Datenquellen erlaubt muss, sondern aufgrund von Steuerhinterziehung niedriger Treiber von Einkommenswachstum an unter- ausfallen kann. Korreliert Steuerhinterziehung systematisch schiedlichen Perzentilen der Einkommensver- mit dem Einkommen, weicht die auf Basis von Informationen in Steuererklärungen gemessene Einkommensungleichheit teilung zu identifizieren (siehe bspw. Bakija et al. von der tatsächlichen Einkommensungleichheit in einer Ökonomie ab (Alstadsaeter et al. (2019)). 48 In einer verwandten Studie finden Björklund et al (2012), dass 46 US Steuerzahler intensivieren ihre Anstrengungen, die insbesondere das Familienvermögen und nicht etwa kognitive Steuerzahlungen durch Absetzungen zu verringern, Fähigkeiten - am oberen Ende der Einkommensverteilung - insbesondere dann, wenn eine Nachzahlung droht (Rees- für die hohe Korrelation von Einkommen über Generationen Jones, 2017). hinweg verantwortlich ist.

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Zwecke der quantitativen Analyse Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Einkommensteuerdaten mit anderen Datenquel- bspw. die Mehrheit der amerikanischen Bevöl- len aktuell nicht möglich ist. kerung an den „amerikanischen Traum“ glaubt und angibt, dass Menschen in den USA durch 2.2.10 Resumee zur empirischen Forschung harte Arbeit ökonomisch vorankommen (siehe bspw. Umfragen des Gallup-Instituts)49, zeigen Die vorangestellte Literaturübersicht belegt, dass Raj Chetty und Koautoren anhand US-amerika- die Nutzung von Steuererklärungsdaten sowie nischer Steuerdaten, dass das Einkommen stark deren Verknüpfungen mit anderen Datenquellen über unbeeinflussbare Faktoren wie das Einkom- die Voraussetzungen dafür sind, die Eigenschaften men der Eltern und den Wohnort der Kindheit des Steuersystems und seiner Wirkungen empi- determiniert ist und die Mehrheit der amerika- risch zu untersuchen. Die gewonnenen Informa- nischen Bevölkerung heute weniger Einkommen tionen und Erkenntnisse bilden eine essentielle bezieht als die Elterngeneration (siehe Raj Chettys Grundlage für sachgerechte politische Entschei- „Equal Opportunity Project“50 und die oben zitier- dungen. Entscheidungsträger müssen sich ohne ten Arbeiten).51 diese Informationen und Erkenntnisse auf Ver- mutungen und „anekdotische“ Evidenz verlassen, die von tatsächlichen empirischen Gegebenheiten erheblich abweichen kann. Dies sei an zwei Bei- spielen illustriert. Im Politikfeld Unternehmens- besteuerung erfordern politische Entscheidungen bspw. ein Verständnis darüber, wer die Unterneh- menssteuerlast tatsächlich trägt und wie stark Unternehmen in ihrem Investitions- und Steuer- vermeidungsverhalten auf Anpassungen von Unternehmenssteuersätzen reagieren. Umfra- gen zeigen, dass die meisten Menschen glauben, die effektive Last der Unternehmenssteuer werde von den Kapitaleignern der Firma getragen (siehe Fuest et al. (2018) und die hier zitierte Literatur). Neuere empirische Studien (auf Basis administra- tiver Daten) legen hingegen den Schluss nahe, dass ein signifikanter Teil der Unternehmenssteuerlast über niedrigere Löhne an Arbeitnehmer weiterge- geben wird (siehe Fuest et al. (2018), Dwenger et al. (2017)). Heinemann und Janeba (2011) zeigen, dass die Erwartungen deutscher Parlamentarier über die Reaktion von Unternehmen auf Steuersatzän- derungen von tatsächlich beobachteten Anpas- 49 https://news.gallup.com/poll/228980/americans-views- sungen abweichen, die in der Forschung doku- economic-mobility-economic-inequality-trends.aspx mentiert sind. 50 https://opportunityinsights.org 51 Diese Ergebnisse erhalten in der politischen Debatte in den Als weiteres Beispiel sei das Themenfeld „Chan- USA große Aufmerksamkeit und werden als überraschend cengerechtigkeit“ genannt. Damit die Politik ent- und einflussreich wahrgenommen (siehe bspw. The Wallstreet Journal Wall Street Journal (2015), Economist Raj Chetty’s scheiden kann, ob und wie Chancengerechtigkeit Proposals on Inequality Draw Interest on Both Sides of the gefördert werden sollte, müssen Entscheidungs- Political Aisle, Bob Davies, October 20, 2015 und Brookings (2018), Raj Chetty in 14 charts: Big findings on opportunity träger zunächst verstehen, ob ein Problem vorliegt and mobility we should all know, Richard Reeves und Eleanor und wie quantitativ bedeutend es ist. Während Krause, January 11, 2018).

15 Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Anforderungen an die Datengrundlagen und „Best Practice“ Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

3. Anforderungen an die Datengrundlagen und „Best Practice“

Begünstigt durch die technologische Entwicklung Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es folgende all- hat in der wirtschaftswissenschaftlichen For- gemeine und grundlegende Qualitätsanforderun- schung seit Mitte der 1990er Jahre ein kontinuier- gen an Daten und Datenzugang: licher Schwenk weg von Befragungsdaten und hin zu administrativen Prozessdaten stattgefunden (vgl. Chetty, 2012).

1) Qualitätsanforderungen der Wissenschaft an die Daten:

a) Repräsentativität der Stichproben (Grad der Abbildung der untersuchten Grundgesamtheit durch die Stichprobe); idealerweise Zugriff auf Vollerhebung (mit der Möglichkeit, eigene Stichproben zu ziehen)

b) Validität (Passung der Messwerte zum Untersuchungsgegenstand und damit die Gültigkeit der Interpretation)

c) Reliabilität (Maß, inwieweit sich beobachtbare Unterschiede zwischen Einheiten auf wahre (messfehlerfreie) Unterschiede zurückführen lassen)

d) Aktualität (Verfügbarkeit von Daten mit weitgehend aktuellem Stand der Steuergesetzgebung)

e) Sichere Anonymisierung und Datenschutz unter Wahrung des Analysepotentials

f) In Bereichen, in denen die Möglichkeiten einer faktischen Anonymisierung beschränkt sind, sind geeignete Vorgaben für die Analyse der Daten zu treffen, so dass Datenschutz und Steuergeheimnis gewahrt bleiben: Datennutzung an einem abgeschirmten Rechner bzw. Fernrechnung sowie geprüfte Ausgabe von Ergebnissen, so dass keine Werte einzelner Steuerzahler ausgegeben werden.

g) Bereitstellung von Daten im Längsschnitt (Paneldaten auf Ebene des Steuerzahlers), um empirisch fundierte Aussagen zu Entwicklungstrends zu ermöglichen und Kausalitäten untersuchen zu können. Neben dem Vorhandensein mehrerer Erhebungswellen sind hierzu eindeutige Identifikatoren notwendig, um die Wellen verknüpfen zu können.

h) Verknüpfung mit anderen Datensätzen (durch eindeutige Identifikatoren oder Pseudonyme) – beispielsweise Steuerdaten mit Sozialversicherungsstatistik, Rentenversicherungsstatistik, Handelsdaten, Direktinvestitionsstatistiken, etc.

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Anforderungen an die Datengrundlagen und „Best Practice“ Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

i) Dokumentation sowie Minimierung methodenspezifischer Effekte und geringe Anzahl an Fehlstellen (bspw. „item non responses“)

j) Beteiligung der Wissenschaft an der Bereitstellung von Daten (bereitstellende Institutionen beschäftigen eigene Wissenschaftler)

2) Qualitätsanforderungen der Wissenschaft an den Datenzugang:

a) Umfangreiche Dokumentation und Arbeitshilfen (bspw. Studienbeschreibungen, Auswertungs- und Nutzungshinweise, Datensatzbeschreibungen, Erhebungsinstrumente, Feldberichte, Codebücher, Variablenbeschreibungen/-dokumentationen, Merkmalsbeschreibungen, Syntax-Programmcodes und/oder Skalenhandbücher)

b) Langzeitarchivierung

c) Vollständige Metadaten (idealerweise nach einem Metadatenstandard wie Data Documentation Initiative (DDI))

d) Dokumentation zur Erhebungsmethode, zur Instrumentenentwicklung sowie zu etwaigen daten- verändernden Maßnahmen während der Datenaufbereitung und -bereitstellung

e) Zitationshilfen (z. B. persistente Identifikatoren, wie Digital Object Identifier (DOI), oder zitations- fähige Datensatzbeschreibungen)52

Verknüpfungen über Datensätze hinweg erlau- möglich. Vielfach geschah dies im Rahmen lang- ben auch Qualitätskontrollen und Kostensen- jähriger Prozesse. Finnland etwa hat im Zuge der kungen für administrative Prozesse. Thomsen Umsetzung der EU-Verordnung Nr. 223/2009 über und Holmøy (1998) zeigen etwa für Norwegen, europäische Statistiken große Schritte hin zu dass sich die Datenqualität durch die Verknüp- weitgehenden Datenzugangsmöglichkeiten unter- fung verschiedener Datensätze deutlich erhöht nommen (siehe dazu auch Almunia et al. (2019)). hat. Wegen datenschutzrechtlicher Bedenken gibt In der Folge wurde eine Kommission gegründet, es in Deutschland strenge Hürden bei der Daten- die insbesondere zum Ziel hatte, der Wissenschaft verknüpfung und beim Zugang zu sensiblen amt- besseren Datenzugang zu bieten, um auf die- lichen Informationen.52 ser Grundlage die wirtschaftspolitische Beratung zu verbessern. Auf dieser Grundlage wurde eine In anderen demokratischen Ländern mit Steu- Reform des Statistikgesetzes beschlossen, die der ergeheimnis und hohen Datenschutzstandards amtlichen Statistik explizit die Aufgabe auferlegt, sind oftmals mehr Daten zugänglich und insbe- der Wissenschaft Daten zur Verfügung zu stellen. sondere Verknüpfungen über Datensätze hinweg Zudem wurde eine Verknüpfung von Datensätzen für wissenschaftliche Zwecke unter Berücksichti- gung des Datenschutzes ermöglicht. 52 Für die Steuerdaten, die bereits jetzt über die FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder bereitgestellt werden, liegen DOI vor.

17 Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Anforderungen an die Datengrundlagen und „Best Practice“ Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Auch in Deutschland existiert mit dem Rat für Haushalts- und Unternehmenssteuerdaten zu Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) eine erhalten (siehe dazu auch Almunia et al. (2019)). Kommission, die Vorschläge zur Verbesserung Das Ziel des Forschungsdatenzentrums ist, eine der Dateninfrastruktur macht. Entsprechend hat fundierte und evidenzbasierte Politikberatung die Diskussion hierzu in Deutschland zwar bereits im Hinblick auf die Steuerpolitik in Großbritan- vor vielen Jahren eingesetzt,53 in den letzten zehn nien zu ermöglichen. Das HMRC gewährleis- Jahren hat es allerdings kaum Fortschritte bei der tet eine strikte Einhaltung aller datenschutz- Zusammenführung etwa von Steuerdaten für Fir- rechtlichen Vorgaben. Forschungsthemen, die men gegeben.54 mit den Daten des HMRC Datalab untersucht werden, beinhalten unter anderem Fragen der Großbritannien und die USA sind gute Beispiele Effizienz der Steuerverwaltung, Strategien zur für Länder mit hohen Geheimhaltungspflichten Eindämmung von Steuervermeidung und Steuer- und dennoch umfangreichen Datenzugängen. hinterziehung sowie Preis- und Verhaltenseffekte Erreicht wird dies in beiden Ländern etwa durch von Steuergesetzänderungen. hausintern von den Steuerbehörden selbst ein- gerichtete Datenzentren. Die Forschungsdaten- zentren der Bundesagentur für Arbeit haben hier II: Skandinavien bereits langjährige Erfahrung. Auch in Deutsch- land wären demnach Modelle denkbar, in denen In Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden die bestehenden Datensätze nur in speziellen z. B. sind umfassende Registerdaten verfügbar (siehe von der Finanzverwaltung bereitgestellten Daten- dazu auch Almunia et al. (2019)). Zudem besteht zentren unter Ausschluss eines Datenexports ein- die Möglichkeit verschiedene Datenquellen mit- sehbar sind. einander zu verbinden, beispielsweise Daten aus dem Einkommensregister mit Daten des Bil- Die in anderen Ländern gemachten Erfahrungen dungsregisters und Vermögensregisters wie in ermöglichen es „Best Practices“ zu identifizieren, Björklund et al. (2012) oder Daten aus Unterneh- die aufzeigen, wie der Datenzugang zu amtlichen mensbefragungen mit administrativen Informati- und Steuerstatistiken in Deutschland weiter ver- onen zu Firmencharakteristika wie in Harju et al. bessert werden kann, mit dem Ziel, die evidenzba- (2018). Die Verknüpfungen erlauben - wie bereits sierte Steuerpolitik zu stärken. oben dargestellt - wichtige empirische Fragen überzeugend zu beantworten. In Schweden kön- nen Wissenschaftler das statistische Bundesamt I: UK / HRMC (SCB) beauftragen, Datensätze aus verschiedenen Quellen zu verknüpfen und in geeigneter Weise zu Das HMRC Datalab mit Sitz in London wurde im anonymisieren. Eine weitere Besonderheit in Nor- Jahr 2011 als Forschungsdatenzentrum gegrün- wegen und Schweden ist, dass der Datenzugang det und bietet Forschern die Möglichkeit, nach für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler datenschutzrechtlicher Begutachtung eines For- zu Daten der administrativen Statistik „remote“ – schungsantrags, Zugriff auf anonymisierte also über sichere Server – erfolgt.

53 Siehe Bach et al. (2008) und Büttner (2009). 54 Eine Ausnahme stellen die für das Berichtsjahr 2004 bereitgesellten GKU-Daten und die für die Berichtsjahre 2007 und 2010 bereitgestellten GKUPV-Daten dar, die verschiedene Unternehmensdatensätze horizontal verknüpfen (https:// www.forschungsdatenzentrum.de/de/steuern/gkupv),. Eine Verknüpfung dieser Daten über die Zeit gibt es bisher jedoch nicht.

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Bestehende Praxis in Deutschland Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

III: Niederlande IV: Frankreich

In den Niederlanden können über eine persön- In Frankreich wurde in 2015 mit dem Centre d’ac- liche Identifikationsnummer der Steuerpflichti- cès sécurisé aux données (CASD) eine zentrale Stelle gen verschiedene amtliche Register untereinander geschaffen, die Daten aus unterschiedlichen Quel- verbunden und mit Befragungsdaten verknüpft len (administrative Register-, Steuer- und Gesund- werden. Die resultierenden Forschungsdaten wer- heitsdaten per Gesetz sowie optional private Fir- den anschließend wieder anonymisiert. Auf diese mendaten) sammelt, aufbereitet, verknüpft und Weise werden demographische Daten, adminis- Wissenschaftlern in anonymisierter Form Remote- trative Einkommens- und Steuerdaten, amtliche Zugang gewährt. Vorbild hierfür waren die skan- Arbeitsmarkt- und Bildungsinformationen und dinavischen Datenzugangsmöglichkeiten. bezogene Sozialleistungen zusammen mit Befra- gungsdaten verfügbar gemacht. Seit 2001 bietet der entstandene Datensatz auch die Grundlage für V: USA den so genannten Virtual Census, der die Durch- führungskosten des Zensus massiv senken konnte. In den USA haben in den letzten Jahren die Steuer- behörden Wissenschaftlern Zugriff auf sämtliche (miteinander verknüpften) Steuerdaten gewährt. Der Zugriff auf die „IRS data bank“ erfolgt in einem Secure Center. Oft gibt es hierbei eine Kooperation zwischen externen und internen Wissenschaft- lern (das US Treasury beschäftigt Doktoranden, die selbst Forschung betreiben).

4. Bestehende Praxis in Deutschland

4.1 Gesetzliche Vorgaben für die Neben das Steuergeheimnis tritt das allgemeine Nutzung der Steuerdaten Datenschutzrecht, das auf der Grundlage der EU-Datenschutzgrundverordnung weiterent- Dem Zugriff auf Steuerdaten setzt das Steuerge- wickelt wurde56. Steuerdaten als personenbezo- heimnis des § 30 AO rechtliche Grenzen. Die Nut- gene Daten dürfen gem. Art. 5 Abs. 1 Buchst. b zung für wissenschaftliche Zwecke fällt nicht EU-Datenschutzgrundverordnung nur zu gesetz- unter die in § 30 Absatz 4 AO geregelte befugte lich festgelegten, eindeutigen und legitimen Zwe- Offenbarung. Ein Anspruch auf Einsicht in nicht cken verwendet werden. Die Weiterverarbeitung, anonymisierte Steuerdaten besteht nicht. Auch d.h. auch die wissenschaftliche Aufarbeitung, auf der Grundlage der Informationsfreiheitsge- bedarf einer gesonderten gesetzlichen Grundlage. setze kann die Offenbarung von Steuerdaten nicht Für die Weiterverarbeitung durch die Finanz- durchgesetzt werden55. verwaltung wurde in § 29c AO die erforderliche

55 Im Einzelnen umstritten, s. Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO- 56 § 2a AO beschränkt den Rückgriff auf das Bundes- oder Kommentar, § 30 Rz. 5c (2019). Zudem ist das IFG gegenüber Landesdatenschutzrecht allerdings auf ausdrückliche Verweise den besonderen Zugangsnormen des § 7 Abs. 6a, 6b StSatG in der Abgabenordnung oder den Steuergesetzen. Zum sowie § 16 Abs. 6 BStatG subsidiär, soweit es um unter das Verhältnis zwischen § 30 AO und BDSG Drüen, in Tipke/Kruse, Statistikgeheimnis fallende Daten geht, s. Greb (2011). AO/FGO-Kommentar, § 30 Rz. 5a (2019).

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Rechtsgrundlage geschaffen. Hier ist insbeson- und den obersten Finanzbehörden der Länder die dere die Nutzung für die Gesetzesfolgenabschät- Übermittlung von Daten an von ihnen für die Ent- zung geregelt (§ 29c Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AO). Die wicklung von Mikrosimulationsmodellen beauf- Weiterverarbeitung durch Dritte ist hiervon nicht tragte Forschungseinrichtungen. Neben der Über- gedeckt57. mittlung durch die Finanzbehörden lässt § 7 Abs. 6b StStatG auch im Fall der Auftragsforschung die Das Steuergeheimnis hat allerdings keinen Verfas- Datenübermittlung direkt durch die Statistikbe- sungsrang58, weitergehende Ausnahmen zuguns- hörden zu. ten einer wissenschaftlichen Nutzung könnten daher normiert werden, insbesondere wenn Ver- Für die Durchführung unabhängiger wissen- fahren der Anonymisierung eingerichtet werden. schaftlicher Vorhaben erfolgt die Datenübermitt- lung auf der Grundlage von § 16 Abs. 6 BStatG Von zentraler Bedeutung für die Nutzung von durch die Statistikbehörden des Bundes und der Steuerdaten für wissenschaftliche Zwecke sind die Länder. Aus der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Statistikgesetze. Auf der Grundlage des Gesetzes Abs. 3 Satz 1 GG lässt sich ableiten, dass die Daten- über Steuerstatistiken59 werden Bundesstatistiken übermittlung ermessensfehlerfrei nur aus Grün- geführt über die folgenden Steuern: den eingeschränkter Kapazität abgelehnt werden kann, ansonsten aber ein Anspruch auf Datenbe- 1. die Umsatzsteuer, reitstellung besteht60. 2. die Lohn- und Einkommensteuer (inkl. der Statistik über die Personengesellschaften und Einzeldaten der oben aufgeführten Steuerstatis- Gemeinschaften), tiken sind aktuell bereits teilweise in Deutsch- 3. die Körperschaftsteuer, land für wissenschaftliche Zwecke eingeschränkt 4. die Vermögensteuer, zugänglich, u.a. für die persönliche Einkommen- steuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 5. die Einheitswerte (siehe Anhang). a) der Gewerbebetriebe (bis 1995), b) des land- und forstwirtschaftlichen Mit der Novellierung des Gesetzes über die Steuer- Vermögens, statistiken 1995 wurde die gesetzliche Grundlage c) des Grundvermögens (bis 1964), geschaffen, die Einzeldaten aus der Steuerstatis- tik zusammenzuführen und für Zusatz- und Son- 61 6. die Gewerbesteuer, deraufbereitungen zu nutzen. Dies beinhaltete zunächst die Bereitstellung der Lohn- und Ein- 7. die Erbschaft- und Schenkungsteuer kommensteuer-, der Körperschaftsteuer- und der Steuerstatistiken sollen „der Beurteilung von Umsatzsteuerstatistik für einzelne Jahre begin- Struktur und Wirkungsweise der Steuern und nend 1992. Die Gewerbesteuerstatistik ist ab 1995 ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung“ bzw. 2010 verfügbar, die Erbschaft- und Schen- dienen (§ 1 Abs. 1 StStatG). Wesentlicher Zweck kungsteuerstatistik ab 2002 bzw. 2007. Allerdings ist die Verwendung der Daten für die Durchfüh- wurden viele der Statistiken zunächst nicht jähr- rung des Finanzausgleichs (§ 1 Abs. 2 bis 4 StStatG). lich, sondern nur in bestimmten Zeitinterval- Die Steuerstatistiken können aber auch für For- len erstellt und es handelte sich zunächst nur um schungszwecke genutzt werden. § 7 Abs. 6a und 7 bloße Querschnitte, so dass Steuerzahlungen und StStatG erlauben dem Bundesfinanzministerium Merkmale nicht über die Zeit hinweg untersucht werden konnten. 57 Baum (2017). 58 BVerfG v. 17.7.1984 – 2 BvE 11/83, BVerfGE 67, 100 (142). 60 Greb (2011). 59 V. 11.10.1995, BGBl. I 1995, 1250 zuletzt geändert durch Art. 20 des Gesetzes vom 12.12.2019, BGBl. I S. 2451 61 Vgl. Zwick (1998).

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Bestehende Praxis in Deutschland Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Mittlerweile wurden zwar schon fast alle der Mikrodaten entweder über die Arbeit an einem bereitgestellten Steuerstatistiken auf eine jähr- Gastwissenschaftlerarbeitsplatz (GWAP) an einem liche Basis umgestellt. Über die Zeit verknüpfte der Standorte der FDZ oder per kontrollierter jährliche Paneldaten gibt es allerdings nur bei Datenfernverarbeitung (KDFV). Einkommensteuer, Erbschaftsteuer und Umsatz- steuer. Auch Verknüpfungen zwischen den Steu- Da anders als bei Befragungs- oder Zensusdaten erarten gibt es kaum. Einzige Ausnahme ist ein bei steueradministrativen Daten die wissenschaft- integrierter Datensatz („GKUVP“) für Steuern auf liche Nutzung nicht primäres Ziel der Datengene- Unternehmen. Diesen gibt es jedoch bisher nur für rierung und Datenverwaltung ist, sind notwen- drei, allerdings nicht aufeinander folgende Jahre dige Informationen zu Variablenbeschreibung, und eine zeitliche Verknüpfung erfolgt nicht. Codebooks etc. nicht oder nicht ausreichend vor- handen.64 Selbige müssten eigentlich von Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern der Steuerbehörden 4.2 Bestehende (ggf. in Kooperation mit Wissenschaftlern) erstellt Nutzungsmöglichkeiten der und für weitere Nutzung der Daten zur Verfügung Mikrodaten gestellt werden.

Die Forschungsdatenzentren der Statistischen Die Verantwortung der Steuerstatistiken liegt in Ämter des Bundes und der Länder (FDZ) bieten den jeweiligen Statistischen Landesämtern. Wird unterschiedliche Zugangswege zu absolut, faktisch eine Datennutzung in den FDZ beantragt, sind und formal anonymen Daten aus dem Bereich der daher die Standorte aller Bundesländer zu infor- Steuerstatistiken.62 Grundsätzlich wird unter- mieren und ggf. bestehende Anmerkungen und schieden zwischen Off-Site und On-Site Zugangs- Einwände zu berücksichtigen. Auch bei der Prü- wegen. Der Unterschied besteht im Wesentlichen fung von On-Site erzeugten Ergebnissen unter- im Grad der Anonymisierung und damit zusam- halb der Länderebene wünschen die Landesämter menhängend den Restriktionen bei der Beantra- eingebunden zu werden. gung bzw. der Nutzung des Zugangsweges. Über die Off-Site Zugangswege werden Daten entweder Im Bereich der Steuerdaten erfolgt der Daten- absolut anonym (§ 16 Abs. 1 Nr. 4 BStatG) in Form zugang normalerweise auf dem Wege der kon- von Public Use Files (PUF) oder Campus Files (CF) trollierten Datenfernverarbeitung oder am Gast- oder faktisch anonym (§ 16 Abs. 6 Nr. 1 BStatG) wissenschaftsarbeitsplatz.65 Die bestehende in Form von Scientific Use Files (SUF) angeboten. Bereitstellung von Daten krankt an der dezentra- Hierbei werden den Nutzenden die Daten für die len Verantwortung im föderalen Gefüge. Im Rah- Arbeit an ihrem Institut bereitgestellt. PUF und men der konkreten Beantragung eines Datensat- SUF werden in Form einer Daten-CD mit Pass- zes erfolgt regelmäßig eine fachliche Abstimmung wortverschlüsselung an die Einrichtung, mit der des Nutzungsantrages mit allen statischen Lan- der Nutzungsvertrag geschlossen wurde, ver- desämtern. In diesem Abstimmungsprozess gibt sandt.63 Die On-Site Zugangswege bieten Zugang es erfahrungsgemäß Auffassungsunterschiede zu formal anonymen (§ 16 Abs. 6 Nr. 2 BStatG) bezüglich der Möglichkeit einer Bereitstellung bestimmter Merkmale, die dann im Zweifel nicht bereitgestellt werden. 62 Erläuterungen zu den Bedingungen einer Datennutzung inklusive Verweis auf die rechtlichen Grundlagen zur Datenbereitstellung: https://www.forschungsdatenzentrum. 64 Überblick über die in den FDZ verfügbaren Metadaten zu den de/de/bedingungen, Erläuterungen der Zugangswege: Steuerstatistiken: https://www.forschungsdatenzentrum.de/ https://www.forschungsdatenzentrum.de/de/zugang de/steuern 63 Mit Ausnahme der Campus Files ist für jede Datennutzung 65 Für die Lohn- und Einkommensteuerstatistik existiert ein Antrag zu stellen. Die CF können nach einer Registrierung auch ein Scientific Use File der auch außerhalb des direkt über einen Link zum Download bezogen werden. Gastwissenschaftlerarbeitsplatzes genutzt werden kann.

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Die personellen und technischen Ressourcen in des einen Verfahrens die Nachteile des jeweils den FDZ sowie die föderalen Zuständigkeiten anderen Zugangswegs zwar abmildern, aber dies bei den Steuerstatistiken können zu erheblichen führt zu weiteren Verzögerungen, insbesondere Einschränkungen bzw. Verzögerungen bei der wenn die Ergebnisse der Stichprobe und des Voll- Datenanalyse führen.66 Bei der Bereitstellung am materials sich erheblich unterscheiden. Gastwissenschaftlerarbeitsplatz kann teilweise aufgrund des großen Datenumfangs in den Steu- erstatistiken und der vorhandenen technischen 4.3 Defizite im bestehenden Ressourcen an den Standorten nur auf Stichpro- Datenangebot67 ben zugegriffen werden (dies ist zum Beispiel beim Taxpayer-Panel auf eine 0,5 % Stichprobe Ein zentrales Defizit des Datenangebotes besteht begrenzt). Darüber hinaus ist es aufgrund der darin, dass die Steuerdaten i. d. R. weder zeit- Rechtsauffassung des Bayerischen Landesamts lich noch zwischen den Steuerarten verknüpft für Statistik erforderlich, bei einigen Statistiken sind.68 Insbesondere Fragen der Unternehmens- zusätzliche Anonymisierungsmaßnahmen für besteuerung können daher immer nur parti- die Bereitstellung am GWAP vorzunehmen oder ell untersucht werden. Dabei sind die Defizite im keine bayerischen Einzeldaten zur Auswertung Kenntnisstand gerade in diesem Themengebiet am GWAP zur Verfügung zu stellen. Wenn sich erheblich. So sind beispielsweise das genaue Aus- andere Ämter dieser Auffassung nicht anschlie- maß und die Ursachen der vor Jahren bereits diag- ßen, erfolgt mitunter gar keine Bereitstellung. nostizierten erheblichen Verlustvorträge im Rah- men von Einkommen- und Körperschaftsteuer Per kontrollierter Datenfernverarbeitung können nach wie vor unbekannt.69 Diese Verlustvorträge zwar formal anonyme Daten analysiert werden, haben gravierende Effekte auf das zukünftige allerdings erlaubt dieser Zugangsweg nur indi- Aufkommen insbesondere im Kontext von Geset- rekt die Arbeit mit den Daten. Hier müssen näm- zesänderungen. Ein anderes Beispiel ist die Steu- lich Programmroutinen eingesandt werden, die ervermeidung durch die Gestaltung internatio- dann von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern naler Sachverhalte. Obschon diese Thematik für der Forschungsdatenzentren geprüft und ausge- die Steuerreformen der Jahre 2001 und 2008 eine führt werden. Anschließend müssen die Ergeb- wesentliche Rolle spielte, verfügt die Bundesregie- nisse geprüft werden, bevor diese an die Nutzer rung bis heute nicht über Schätzwerte über den freigegeben werden. Aufgrund der geringen perso- Umfang der jährlichen Einnahmeverluste durch nellen Kapazitäten in den FDZs kann es mehrere Steuervermeidung. Wochen dauern, bis die geprüften Ergebnisse den Forscherinnen und Forschern übermittelt werden. Im Rahmen eines Forschungsprojektes mit vielen Einzelanalysen und komplexen Anfragen sum- miert sich der Aufwand und die Analyseabschnitte 67 Überblick über die derzeit verfügbaren Steuerstatistiken und ziehen sich oft über Monate hin. Außerdem ist auf den jeweiligen Unterseiten auch Links zu den zugehörigen Metadaten und DOI: https://www.forschungsdatenzentrum. aufgrund technischer Restriktionen die Anzahl de/de/steuern der selektierbaren Variablen beschränkt (z. B. auf 68 Ausnahmen sind das Taxpayer-Panel der ESt sowie die 25 von über 1000 beim Taxpayer-Panel). Die kom- GKUVP-Daten. binierte Nutzung der kontrollierten Datenfern- 69 Der in der aktuellen Datensammlung zur Steuerpolitik verarbeitung und des Gastwissenschaftlerarbeits- ausgewiesene Wert beläuft sich für die unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften auf 637,1 Mrd. Euro zum platzes kann in einigen Fällen durch die Vorteile 31.12.2013. Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort auf die parlamentarische Anfrage „Verlustverrechnung und Mindestbesteuerung in der Unternehmensbesteuerung“ (BT 66 Siehe https://www.forschungsdatenzentrum.de/ Drucksache 17/4279 vom 3.2.2011) auf eine Arbeitsgruppe, de#datennutzung die indes keine Ergebnisse erzielt hat.

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Bestehende Praxis in Deutschland Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Weiterhin fehlen für viele in der steuerpoliti- nur dann plausibel untersucht werden, wenn eine schen Diskussion wichtige Steuerarten aussage- Verknüpfung mit anderen (administrativen und/ kräftige statistische Informationen. Das gilt z. B. oder nicht-administrativen) Datenquellen mög- für die Kapitalertragsteuer, die im Zusammen- lich ist. hang mit der Besteuerung von Dividendener- trägen Erfassungsdefizite und Betrugsvorgänge Verknüpfungen zwischen den Steuerstatistiken aufweist. Ungeachtet der erheblichen Größenord- und mit externen Daten sind zwar technisch mög- nung der bekannt gewordenen Betrugsfälle bei- lich,70 aber bis auf einzelne Ausnahmen praktisch spielsweise bei Cum-Ex Transaktionen, fehlt bis- nicht verfügbar.71 Ein Grund hierfür ist, dass das lang eine Steuerstatistik der Kapitalertragsteuer. BStatG zwar erlaubt, Unternehmensdaten mit- Um das konkrete Ausmaß des Betrugs bei den einander zu verknüpfen, aber das Verknüpfen von Steuererstattungen zu quantifizieren, ist dabei Unternehmens- und Personendaten nicht erlaubt eine Verknüpfung mit den beim Bundeszent- ist. Ausnahmen müssten in einzelstatistischen ralamt für Steuern erfassten Erstattungsanträgen Gesetzen erlaubt werden. Ein anderer Grund sind erforderlich. Für andere bedeutsame Steuerarten fehlende technische und insbesondere personelle wie die Grunderwerbsteuer, die Grundsteuer und Ressourcen in den FDZ. die Energiesteuer werden bisher keine Einzeldaten bereitgestellt. 4.4 Datenlage bei den Parafiski: Da in steueradministrativen Daten häufig keine IAB, Rentenversicherung detaillierten demographischen Charakteristika (bei Personen- und Haushaltsdaten) bzw. Firmen- Daten der Sozialversicherungen sind der Wissen- charakteristika und keine Informationen zur schaft grundsätzlich zugänglich. Sowohl die Ren- realwirtschaftlichen Aktivität enthalten sind, ist tenversicherung also auch die Bundesagentur für für viele Fragestellungen eine Verknüpfung mit Arbeit (über das IAB) verfügen über Forschungs- externen Datenquellen erforderlich, wie oben in datenzentren.72 Die bereitgestellte Dateninfra- Abschnitt 2 gezeigt wurde. struktur in diesem Bereich kann für Deutschland als vorbildlich gelten. Die Daten enthalten sehr Das Erfordernis von Verknüpfungen ergibt sich detaillierte Informationen über die Arbeitsein- auch daraus, dass Steuerzahler Anreize haben, kommen und Arbeitsmarktbiografien von sozial- Angaben an Steuerbehörden systematisch zu versicherungspflichtig Beschäftigten. Der Daten- verzerren, um monetäre (oder ggf. auch nicht- zugang erfolgt auf dem Wege der kontrollierten monetäre) Vorteile zu erhalten. Das im Rahmen Datenfernverarbeitung oder am Gastwissen- von Steuererklärungen angegebene zu versteu- schaftsarbeitsplatz. Auch sind Verknüpfungen mit ernde Einkommen muss nicht notwendiger Weise anderen Datensätzen (wie z. B. Bureau van Dijk mit dem über realwirtschaftliche Prozesse erwirt- oder Creditreform Unternehmensdaten) möglich. schafteten tatsächlichen Einkommen zusam- menfallen, sondern kann aufgrund von Steu- erhinterziehung niedriger ausfallen. Korreliert Steuerhinterziehung systematisch mit dem Ein- kommen, weicht bspw. die auf Basis von Infor- 70 Siehe hierzu Biewen et al. (2012). mationen in Steuererklärungen gemessene Ein- 71 Eine Verknüpfung zwischen Gewerbesteuerstatistik, Körperschaftsteuerstatistik, Umsatzsteuerstatistik und kommensungleichheit von der tatsächlichen Einkommensteuer (Statistik der Personengesellschaften und Einkommensungleichheit in einer Ökonomie ab Gemeinschaften) existiert nur im Querschnitt für die Jahre 2004, 2007 und 2010. Personenbezogene Informationen der (Alstadsaeter et al., 2019, Johns und Slemrod 2010). Gesellschafter sind in diese Verknüpfung nicht einbezogen. Allgemein können Effekte auf reale ökonomische 72 Siehe http://forschung.deutsche-rentenversicherung.de/ Aktivität auf Basis von Steuererklärungen meist FdzPortalWeb/ und https://fdz.iab.de/

23 Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Empfehlungen Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Die Aussagekraft dieser Daten ist jedoch für den Datenquelle nicht erfasst werden und dass weder unteren bzw. oberen Rand der Einkommensver- Beamte noch Selbstständige, die nicht sozialver- teilung begrenzt. Am unteren Rand fehlen aus- sicherungspflichtig sind, berücksichtigt werden. schließliche Transferempfänger, während am Hinzu kommt, dass der Haushaltskontext nicht oberen Rand die Beitragsbemessungsgrenze eine erfasst wird. detaillierte Erfassung der Lohneinkommen ver- hindert. Als weitere Einschränkungen sind zu nennen, dass z. B. Kapitaleinkommen in dieser

5. Empfehlungen

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass ist die Verbesserung der Dateninfrastruktur eine in Deutschland erhebliche Defizite bei der Bereit- wesentliche Voraussetzung für eine effektive und stellung von Einzeldaten der amtlichen Steuersta- effiziente Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die tistik bestehen. Zwar werden die bei Besteuerung Einzeldaten der Steuerstatik bieten in Bezug auf zugrunde gelegten Sachverhalte längst digital Datenqualität und Datenabdeckung große Vor- erfasst und bearbeitet. Die verfügbare Datenin- teile im Vergleich zu anderen Datenquellen und frastruktur wird aber den Anforderungen nicht können, da die entsprechenden Informationen in gerecht, die an die quantitative Erfassung des elektronischer Form bei Steuerbehörden verfüg- Steuersystems im Gesetzgebungsprozess, im Pro- bar sind, vergleichsweise kostengünstig und ohne zess der demokratischen Willensbildung, im Steu- zusätzliche Belastung der Steuerzahler durch ervollzug und in der verfassungsrechtlichen Kon- Umfragen bereitgestellt werden. trolle der Steuergesetze gestellt werden. Zwar gibt es Ansätze für eine Nutzung administra- Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, tiver Steuerdaten in Deutschland, dennoch ist die muss Deutschland die Dateninfrastruktur für Analyse administrativer Steuerdaten in Deutsch- die Steuerpolitik so ausbauen, dass die vorhande- land im internationalen Vergleich deutlich unter- nen administrativen Daten auf Mikroebene, also entwickelt. Über die Wirkungen des deutschen der Ebene des Steuerzahlers, in geeigneter anony- Steuersystems und seiner spezifischen Regelungen misierter Form auch tatsächlich genutzt werden auf zentrale wirtschaftliche und soziale Zielgrö- können. Dies gilt für alle wesentlichen Bereiche ßen gibt es nach wie vor nur Mutmaßungen. Das der Finanz- und Steuerpolitik: die Schätzung der Potenzial für ein besseres Verständnis des Steuer- künftigen Steuereinnahmen, die Aufkommens- systems und seiner Wirkungen und die Möglich- schätzung bei Steuerreformen, die Identifikation keiten für eine evidenzbasierte Politikberatung ist von Defiziten im Vollzug, die Verteilungswirkung weitgehend ungenutzt. Hierfür gibt es eine Reihe des bestehenden Steuersystems und die Verände- von Ursachen. rung von Steuerlasten bei Reformen erfordern die Auswertung von Einzeldaten der Steuerstatistik. Erstens werden die Daten der Steuerstatistik Darüber hinaus ist die Verfügbarkeit der Mikro- i. d. R. nur mit relativ großer Zeitverzögerung für daten der Steuerstatistik und die Möglichkeit zur wissenschaftliche Zwecke bereitgestellt. Eine zeit- Verknüpfung mit anderen Daten für die Abschät- nahe wissenschaftliche Analyse von Steuerrefor- zung der realwirtschaftlichen Effekte der Besteue- men kann so nicht erfolgen. rung unverzichtbar. Über die Steuerpolitik hinaus

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Empfehlungen Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Zweitens ist es bislang nicht oder nur einge- Die Datenschutz-Grundverordnung enthält ein schränkt möglich, administrative Informatio- Forschungsprivileg75, würde einer derartigen Öff- nen aus Steuererklärungen mit anderen adminis- nung also nicht entgegenstehen. trativen und nicht administrativen Datenquellen zu verknüpfen. Wie oben dargestellt sind solche Für eine durchgreifende und nachhaltige Verbes- Datenverknüpfungen für eine Vielzahl von Fra- serung der Dateninfrastruktur für die Steuerpoli- gestellungen notwendige Voraussetzung für die tik schlägt der Beirat drei Maßnahmenpakete vor. empirische Analyse und in vielen Ländern auch Erstens sollte ein eigenes Forschungsdatenzent- längst gängige Praxis. rum für Steuern eingerichtet werden, das (anony- misierte) Einzeldaten auf Basis der Steuerstatisti- Drittens gibt es in Deutschland keine ausrei- ken zur Verfügung stellt und das speziell für die chende Kooperation zwischen Wissenschaft und besonderen Anforderungen der Steuerdaten aus- Steueradministration mit dem Ziel, administra- gelegt ist. Zweitens sollten der Katalog der beste- tive Prozesse der Steuerverwaltung und Steuer- henden Steuerstatistiken erweitert und die einzel- prüfung auf Effektivität, Kosten und die Belas- nen Statistiken verbessert werden. Drittens sollten tungen für Steuerzahler hin zu untersuchen. Wie Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Statistiken Beispiele aus anderen Ländern zeigen, ergeben geschaffen bzw. ausgeweitet werden. sich durch solche Kooperationen wichtige Ein- sichten zur Ausgestaltung von Instrumenten der Steuerdurchsetzung.

Viertens ist die Nutzung administrativer Steuer- daten in Deutschland immer noch mit erhebli- chen technischen Hürden verbunden. So können Forscher die Grundgesamtheit der Daten bei- spielsweise nur per kontrollierter Datenfernver- arbeitung nutzen und nicht an Wissenschaftler- Arbeitsplätzen oder über „remote“-Zugänge zu sicheren Datenservern, wie das in anderen Län- dern praktiziert wird. Natürlich stellt eine Ver- besserung der Zugangsmöglichkeiten erhöhte Anforderungen an Datensicherheit – hierfür exis- tieren jedoch geeignete Lösungsmöglichkeiten73. Wesentliche Hürden bestehen bei den gesetzli- chen Vorschriften. Die in § 30 Abs. 4 Nr. 2b und 2c AO geschaffenen Ausnahmen vom Steuergeheim- nis für Zwecke der Erfüllung der gesetzlichen Auf- gaben des Statistischen Bundesamtes und zur Gesetzesfolgenabschätzung müssten auf die Nut- zung für wissenschaftliche Forschungszwecke erstreckt werden; derzeit sind diese nicht erfasst74.

73 Siehe hierzu Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (2019): Remote Access zu Daten der amtlichen Statistik und der Sozialversicherungsträger. RatSWD Output 5 (6). Berlin. 74 BT-Drucks. 18/12611, 82; Myßen/Kraus, DB 2017, 1860 (1867); Drüen, in Tipke/Kruse, § 30 Rz. 107b (2019). 75 Dazu im Einzelnen Werkmeister/Schwaab, CR 2019, 85 ff.

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Zu den Vorschlägen im Einzelnen: 1) Einrichtung eines Forschungsdatenzentrums für Steuern

a. Zweck des Forschungsdatenzentrums für Steuern ist die Bereitstellung von anonymisierten Einzeldaten auf Basis der Steuerstatistiken.

b. Rechtliche Voraussetzung ist eine über § 21 Abs. 6 FVG hinausgehende Pflicht zur Weitergabe von Steuerdaten seitens der Landesfinanzbehörden an das Forschungsdatenzentrum für Steuern,

c. sowie die Aufnahme von Forschung als Rechtfertigungsgrund für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Finanzbehörden gemäß § 29c (1) Satz 5 der Abgabenordnung.

d. Im Gesetz über Steuerstatistiken sollte zudem eine Rechtsgrundlage für die Verknüpfung mit anderen Forschungsdatenzentren aufgenommen werden.76

e. Das Forschungsdatenzentrum für Steuern soll steuerliche Einzeldaten auf verschiedenen Zugangswegen je nach Grad der Anonymität bereitstellen. Dies beinhaltet Dateien zur wissenschaftlichen Nutzung (Scientific-Use-Files), die Nutzung der Daten in Datenzentren mit abgeschirmten Rechnern und die kontrollierte Datenfernverarbeitung, idealerweise über Remote- Zugriff. Alle Datenzugänge sind unter Verwendung einer nutzerfreundlichen Gebührenordnung zu ermöglichen.

f. Das Antragsverfahren soll auf transparenten Kriterien bezüglich Anonymität und Datenqualität basieren. Antragsberechtigt sollten Wissenschaftler und Forschungseinrichtungen, sowie Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen sein.

g. Rechtsbehelfe gegen abgelehnte Datenanträge sollten möglich sein.

h. Das Forschungsdatenzentrum für Steuern sollte eine wissenschaftliche Leitung haben (Stiftungsprofessuren), die nach wissenschaftlichen Standards auf Datenanforderungen (insbesondere auch mit Blick auf „Big Data“ / „KI“) der Steuerpolitik und der Wissenschaft reagieren kann und mit den beiden Stakeholdern, Wissenschaft und Steuerpolitik, in diesem Sinne eng kooperiert.

i. Das Forschungsdatenzentrum sollte mit wissenschaftlichem Personal ausgestattet sein, das in gewissem Umfang einer eigenen Forschungstätigkeit ggf. in Kooperation mit externen Wissenschaftlern nachgeht.

j. Ein eigener wissenschaftlicher Beirat sollte eingerichtet werden, der das Forschungsdatenzentrum für Steuern berät und die Einhaltung der Leitlinien für Gute Wissenschaftliche Praxis sichert.

k. Das Forschungsdatenzentrum für Steuern sollte mit ausreichenden Ressourcen durch den Bund und die Länder ausgestattet werden.

76 § 6 StStatG sieht bereits eine Auskunftspflicht der Länder für Statistikzwecke vor.

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Empfehlungen Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

2) Statistiken erweitern und verbessern

a. Der Katalog der bestehenden Steuerstatistiken sollte um weitere Steuern erweitert werden, z. B. Grunderwerbsteuer, Grundsteuer und Kapitalertragsteuer. Um den Betrug mit Steuererstattungen zu erfassen, ist bei der neu einzurichtenden Steuerstatistik der Kapitalertragsteuer eine Verknüpfung mit den beim Bundeszentralamt für Steuern erfassten Erstattungsanträgen erforderlich.

b. Die E-Bilanz-Daten sollten anonymisiert bereitgestellt werden.

c. Die detaillierte geografische Auswertung bestehender Steuerstatistiken sollte ermöglicht werden, sodass Analysen unter Nutzung von Informationen über die örtlichen Merkmale durchgeführt werden können.

d. Die Dateninfrastruktur ist durch eine registerbasierte Statistik auszubauen, mit der die Registerlandschaft (z. B. Handelsregister, Melderegister, Personenstandsregister) perspektivisch weitgehend digital geführt und vernetzt werden kann.77

e. Neue administrative Daten sind für die Forschung zugänglich zu machen: Die Angaben des Country-by-country Reporting für Zwecke der Forschung sollten ebenso verfügbar gemacht werden wie Informationen zur Nutzung der Forschungszulage.

3) Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Statistiken schaffen bzw. ausweiten

a. Die steuerlichen Einzeldaten der einzelnen Steuerstatistiken sollten auf Ebene der Steuerzahler (Unternehmen und Individuen) und auf Ebene der Regionen unter Wahrung der Anonymität zusammengeführt werden.

b. Bei den Unternehmensdaten betrifft dies folgende Punkte:

i. Erweiterung der integrierten Datengrundlage aus Gewerbe-, Körperschaft- und Umsatzsteuerstatistik (GKUVP), der Statistik der Personengesellschaften und Gemeinschaften (PEGE) und der Umsatzsteuerstatistik (Veranlagungen) um weitere Jahre sowie Verknüpfung mit Unternehmensregisterdaten (Handelsregister und Gewerbeanzeigenstatistik).

ii. Verknüpfung von Unternehmensdaten mit Auskünften über Eigentumsstruktur, z. B. für Personengesellschaften über eine Verknüpfung mit der Steueridentifikationsnummer der Anteilseigner.

77 Siehe hierzu auch die vom Nationalen Normenkontrollrat beauftragte Studie „Mehr Leistung für Bürger und Unternehmen: Verwaltung digitalisieren. Register modernisieren. “, http://www.normenkontrollrat.bund.de/resource/blob/72494/476004/12c91fffb877685f4771f34 b9a5e08fd/2017-10-06-download-nkr-gutachten-2017-data.pdf

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iii. Vertikale Verknüpfung von Unternehmensstatistiken, z. B. GKUVP, Umsatzsteuerstatistik, Statistik über die Personengesellschaften und Gemeinschaften und Unternehmensregisterdaten (Handelsregister und Gewerbeanzeigenstatistik).

c. Bei den Individualdaten sind folgende Verknüpfungen vordringlich:

i. Verknüpfung von Arbeitsmarkt- und Sozialversicherungsdaten mit Daten aus der Lohn- und Einkommensteuerstatistik (LEST) bzw. Daten des Taxpayer Panels (TPP), sowie deren Verknüp- fung mit Unternehmenssteuerdaten.

ii. Verknüpfung der Erbschaft- und Schenkungsstatistik mit Daten aus dem Taxpayer Panel, sowie Erweiterung der amtlichen Statistik um nicht-steuerpflichtige Fälle und Auswertung der Statistik nach Erblassern.

iii. Vertikale Verknüpfungen, z. B. die Lohn- und Einkommensteuerstatistik (Taxpayer Panel) über 2016 hinaus, Umsatzsteuerpanel über 2011 hinaus mit erweitertem Datenkatalog.

iv. Intergenerationelle Datenverknüpfungen.78

d. Im Hinblick auf Regionaldaten ist die Vereinheitlichung der Daten der Gutachterausschüsse (Bodenrichtwerte und Kaufpreissammlungen) und die Verknüpfung mit kommunalen georeferenzierten Grundsteuerdaten angezeigt.

e. Verknüpfungen sind auch im Hinblick auf nichtöffentliche Daten zu ermöglichen, z. B. die Verknüpfung von administrativen Daten mit Befragungsdaten, z. B. Soziooekonomisches Panel (SOEP), Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), Mikrozensus, mit Unternehmensdaten wie z. B. Erwartungsdaten aus der ifo Geschäftsklima-Index Befragung oder Bundesbankdaten oder mit nichtöffentlichen Daten anderer Datengeber (z. B. Förderdaten aus Ministerien oder öffentlichen Einrichtungen wie z. B. KfW zur Evaluation von Politikmaßnahmen). Durch Erweiterung des Anwendungsbereichs der in § 7a StStatG bereits vorgesehenen Zusammenführung von Einzeldaten aus verschiedenen Steuerstatistiken, könnte eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, die es erlaubt, Individual- oder Unternehmensdaten einer amtlichen Statistik mit anderen nicht öffentlich zugänglichen Daten zu kombinieren.

78 Vorbild könnte ein Projekt auf Basis spanischer Steuerdaten sein (“Atlas de Oportunidades”: https://www.cotec.es/ fundacionfelipegonzalez/oportunidades/datos-texto/). Die Verknüpfung der Eltern und Kindern basiert auf der Einkommenserklärung der Eltern, da dort Informationen zu Kindern über Kinderfreibetrag/-geld enthalten sind. Diese “Name matching“ Methode wurde insbesondere in den US Census Daten mit großem Erfolg angewandt.

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Anhang Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Anhang

Übersicht über bestehende administrative Mikrodatensätze

1. Lohn- und Einkommensteuerstatistik

Inhalt: (http://www.forschungsdatenzentrum.de/bestand/lest/index.asp)

Von den steuerpflichtigen natürlichen Personen Steuerpflichtige bis zu drei Jahre später ihre Steu- werden neben Bruttolohn, Einkünften, Einkom- ererklärung für das jeweilige Veranlagungsjahr men, zu versteuerndem Einkommen, Sonder- einreichen können. Die aktuellsten verfügbaren vergünstigungen, Lohn-, Einkommen- und Kir- Daten stammen aus dem Erhebungsjahr 2014 (seit chensteuer, vermögenswirksamen Leistungen Februar 2020). einschließlich Arbeitnehmer-Sparzulage, sons- tige Zulagen sowie Lohn- und Einkommenser- Die Haushaltssituation ist nur bei gemeinsamer satzleistungen auch Geschlecht, Geburtsjahr, Veranlagung von Ehe- oder Lebenspartner bzw. Religionszugehörigkeit, Stellung im Beruf, Kin- -partnerin ersichtlich. Informationen zu diesem derfreibeträge, Kindergeld, Wohnsitzgemeinde, Aspekt können z. B. bei getrennter Veranlagung Wirtschaftszweig/Art des freien Berufs, Art der oder unverheirateten Paaren nicht aus diesen Sta- Steuerpflicht, Steuerklasse und Veranlagungsart tistiken abgeleitet werden. erfasst. Mit der Einführung der auf Kapi- Der Scientific Use File der Lohn- und Einkommen- talerträge im Jahr 2009 wurde gleichzeitig die steuerstatistik ist auf Ebene der Bundesländer für Möglichkeit der Günstigerprüfung eingeräumt. die Wissenschaft verfügbar. Für die Beantwor- Dies bedeutet, dass Kapitalerträge entweder durch tung detaillierterer Forschungsfragen, für die eine die Abgeltungsteuer pauschal mit 25 % versteuert kleinräumige Ebene (z. B. Kommunen, Gemeinde, werden oder, falls dieser für die veranlagte Person Kreise etc.) notwendig ist, kann die On-Site-Nut- günstiger ist, der individuelle Einkommensteu- zung verwendet werden, bei der die Daten bis zur ersatz herangezogen wird. Somit „sind Aussagen Gemeindeebene zur Verfügung stehen. über die Kapitaleinkünfte der einkommensstärks- ten Haushalte seit 2009 faktisch kaum möglich“ Die Mikrodaten sind für jedes dritte Jahr von (ZEW 2015: 22). 1992-2012 und ab dann jährlich verfügbar auf- grund des administrativen Meldeverfahrens nur mit einer sehr hohen zeitlichen Verzögerung verfügbar. Diese ist u. a. dadurch bedingt, dass

35 Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Anhang Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

2. Taxpayer-Panel (TPP)

Inhalt: (http://www.forschungsdatenzentrum.de/bestand/taxpayer_panel/index.asp)

Die Wellen 2001 bis 2011 des Taxpayer-Panels (TPP) Einkünfte, Einkommen, zu versteuerndes Ein- wurden auf Basis der jährlichen Einkommensteu- kommen, Sondervergünstigungen, Lohn-, Ein- erstatistik (Geschäftsstatistik) erstellt. Diese Quer- kommen- und Kirchensteuer erfasst. Weiter- schnittsdaten enthalten die Angaben aus den Ein- hin enthält das Datenmaterial Angaben über kommensteuererklärungen der rund 27 Millionen Geschlecht, Geburtsjahr, Religion, Kinderfreibe- veranlagten deutschen Steuerpflichtigen und träge, Kindergeld, Art der Steuerpflicht, Steuer- wurden über die Steuernummern sowie indirekte klasse und Veranlagungsart. Identifikatoren zu einem Panel verknüpft. Aktuell sind die Daten für den Zeitraum 2001 bis Ab dem Veranlagungsjahr 2012 entfällt die 2016 verfügbar. Die zeitliche Verzögerung in der Geschäftsstatistik. Die bis dahin dreijährliche Bereitstellung der Daten ist also auch hier sehr Bundesstatistik zur Lohn- und Einkommensteuer groß und die Daten können somit nicht oder nur wird fortan jährlich erhoben. Das TPP wird des- sehr eingeschränkt für Analysen am aktuellen halb ab Welle 2012 mit den Daten der Bundes- Rand genutzt werden. Zudem kommt es durch den statistik fortgeführt. Die Bundesstatistik umfasst Wechsel der Datengrundlage (Bundes- anstelle neben den veranlagten Steuerpflichtigen auch Geschäftsstatistik) teilweise zu Verschiebungen rund 12 Millionen nicht veranlagte Steuerpflich- bei der Belegung der Kennzahlen ab Welle 2012. tige, die sogenannten Lohnsteuerfälle. Aufgrund von Verzögerungen bei der Lieferung dieser Fälle Für die Daten der Geschäftsstatistik (Wellen 2001 werden sie erst ab Veranlagungsjahr 2013 im TPP bis 2011) sind die Bundesländer als tiefste regi- enthalten sein. onale Gliederungsebene enthalten. Nach der Umstellung auf die Bundesstatistik (ab Welle 2012) Das Panel 2001 bis 2016 weist insgesamt über sind Auswertungen jedoch auch auf Kreisebene 40 Millionen Datensätze auf, zu denen Angaben möglich. für mindestens zwei Jahreswellen vorliegen. Von den Steuerpflichtigen werden u. a. Bruttolohn,

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Anhang Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

3. Lohndaten aus der Sozialversicherung

Rentenversicherung:

Inhalt: http://forschung.deutsche-rentenversicherung.de/FdzPortalWeb/ dispcontent.do?id=main_fdz_forschung&chmenu=ispvwNavEntriesByHierarchy27 – (Hinweis: die Seite lädt sehr sehr langsam)

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung:

Inhalt: https://fdz.iab.de/de/FDZ_Individual_Data/integrated_labour_market_ biographies.aspx

Die Stichprobe der Integrierten Arbeitsmarkt- unterliegt, werden niedrige Einkommen hier nicht biografien (SIAB) ist eine 2 %-Stichprobe aus der erfasst. Am oberen Rand verhindert die Beitrags- Grundgesamtheit der Integrierten Erwerbsbio- bemessungsgrenze eine detaillierte Erfassung der graphien (IEB) des Instituts für Arbeitsmarkt- Lohneinkommen. Als weitere Einschränkungen und Berufsforschung (IAB). Die IEB ermöglichen sind zu nennen, dass z. B. Kapitaleinkommen in es, den Erwerbsverlauf einer Person tagesgenau dieser Datenquelle nicht erfasst werden und dass nachzuvollziehen. Sie bestehen aus der Gesamt- weder Beamte noch Selbstständige, die nicht sozi- heit der Personen, die im Beobachtungszeitraum alversicherungspflichtig sind, berücksichtigt wer- mindestens einmal einen der folgenden Erwerbs- den. Hinzu kommt, dass der Haushaltskontext status aufweisen: sozialversicherungspflich- nicht erfasst wird. tige Beschäftigung (erfasst ab 1975), geringfügige Beschäftigung (erfasst ab 1999), Bezug von Leis- tungen nach dem Rechtskreis SGB III (erfasst ab 4. Vermögensteuer 1975) oder SGB II (erfasst ab 2005), bei der Bundes- agentur für Arbeit (BA) als arbeitsuchend gemel- Die Vermögensteuer wird in Deutschland seit 1997 det (erfasst ab 2000) oder (geplante) Teilnahme an nicht mehr erhoben, sodass keine entsprechenden arbeitsmarktpolitischer Maßnahme (erfasst ab Mikrodaten vorliegen. 2000). Diese aus unterschiedlichen Datenquellen stammenden Informationen werden in den IEB zusammengeführt.

Während es (mit Einschränkungen) möglich ist, mit den Lohndaten der Sozialversicherung die Lohnentwicklungen zwischen dem 15. und 85. Perzentil der Lohnverteilung abzubilden, ist die Aussagekraft für den unteren bzw. oberen Rand begrenzt. Aufgrund geringfügiger Beschäfti- gung, die nicht der Sozialversicherungspflicht

37 Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Anhang Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

5. Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik

Inhalt: (http://www.forschungsdatenzentrum.de/bestand/erbschaft/index.asp)

Die Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik ist Die Einzeldaten der Berichtsjahre ab 2007 werden eine Vollerhebung, die ursprünglich alle fünf Jahre aus dem Gesamtbestand der Berichtsjahre 2007 durchgeführt wurde. Die erste Erhebungsdurch- bis zum aktuell verfügbaren Berichtsjahr mit über führung fand für alle Erwerbe, die im Jahr 2002 alle Berichtsjahre einheitlich pseudoanonymisier- erstmals steuerpflichtig waren, statt. Die nächste ter Steuernummer bereitgestellt, sodass mehrere Erhebung erfolgte dementsprechend für das Jahr Steuerfälle eines Steuerpflichtigen – auch aus ver- 2007. Ab 2008 wurde der ursprünglich fünfjährige schiedenen Berichtsjahren – dem Steuerpflichti- Erhebungsrhythmus auf einen jährlichen umge- gen zugeordnet werden können („Erbschaft- und stellt. Es ist zu berücksichtigen, dass als Bericht- Schenkungsteuer-Panel”). jahr das Jahr gilt, in dem ein Erwerb erstmals steu- erpflichtig wurde. Das Datum des Sterbefalls bzw. Im Hinblick auf die Darstellung der Vermögenssi- der Tag der Zuwendung kann hierbei um mehrere tuation ist die zeitliche Verzögerung in der Bereit- Jahre zurückliegen. stellung der Daten eine Herausforderung. Aktu- ell sind im Panel Daten für den Zeitraum 2007 Erhebungsmerkmale der Statistik sind neben dem bis 2015 verfügbar. Ein grundsätzliches Problem steuerpflichtigen Erwerb nach Vermögensarten ist, dass Vermögensübertragungen, die unter die oder der Steuerklasse des Erwerbers auch der Steu- Freibeträge fallen (z. B. 500.000 Euro Schenkun- ersatz und die Erbschaft- oder Schenkungsteuer gen oder Erwerbe von Todes wegen für Ehegatten/ mit den im Besteuerungsverfahren festgestellten Lebenspartner), d. h. die nicht-steuerpflichtigen Angaben. Bei mehreren Erwerben aus dem Nach- Fälle, nicht erfasst werden. lass eines Inländers werden zusätzliche Angaben zum Nachlass, wie z. B. Nachlassgegenstände oder Verbindlichkeiten erhoben. Weiterhin sind das 6. Grundsteuer Jahr der Entstehung der Steuer sowie die Art der Steuerpflicht Inhalt dieser Statistik. Kleinste regi- Die Grundsteuer wird von den Gemeinden erho- onale Auswertungsebene sind die Bundesländer. ben. Administrative Daten zu Objekten und Eigentümern liegen somit in den entsprechenden Ämtern vor.

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Anhang Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

7. Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse

Inhalt: (http://www.gutachterausschuesse-online.de/)

Die Kaufpreissammlung beinhaltet Informatio- nen zu allen Verkaufsfällen von Grundstücken, Grundstücksteilen und grundstücksgleichen Rechten sowie die preis- und wertbestimmen- den Merkmale. Als Grundlage zur Führung der Kaufpreissammlung erhalten die Gutachteraus- schüsse gemäß § 195 des Baugesetzbuches (BauGB) eine Ausfertigung von allen Verträgen, mit denen Grundstücke, Grundstücksteile und grundstücks- gleiche Rechte gegen Entgelt übertragen werden.

Zu diesen Daten ist ein kostenpflichtiger Zugang für die Wissenschaft teils möglich. Allerdings sind die Daten für Deutschland weder einheitlich noch zentral verfügbar noch liegen Kaufpreissammlun- gen für alle Bundesländer vor.

8. Umsatzsteuerstatistik

Inhalt: (https://www.forschungsdatenzentrum.de/de/steuern/umsatzsteuer)

Die Umsatzsteuerstatistik basiert zeitnah auf Basis der Voranmeldungen. Mit größerem zeitlichen Abstand weist die Umsatzsteuer auch auf Werte auf Basis der Veranlagungen aus. Die Voranmel- dungen sind bei den Forschungsdatenzentren als Querschnittsdatensätze für die Jahre von 1996 bis 2017 verfügbar. Für die Jahre 2001-2011 sind die Daten mit reduziertem Merkmalskatalog als Panel verfügbar. Die uneingeschränkte Nutzung erfolgt gegenwärtig nur im Rahmen der kontrollierten Datenfernverarbeitung.

39 Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Anhang Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

9. Gewerbe-, Umsatz- und Körperschaftsteuerstatistik sowie Statistik über die Personengesellschaften und Gemeinschaften

Inhalt: (http://www.forschungsdatenzentrum.de/bestand/gkupv/index.asp)

Die GKUPV-Daten für die Berichtsjahre 2007 und Für das Berichtsjahr 2004 liegt eine integrierte 2010 setzen sich aus ausgewählten Merkmalen der Datengrundlage aus den ersten drei genannten folgenden fünf Steuerstatistiken Steuerstatistiken inklusive der sozialversiche- rungspflichtigen Beschäftigten aus dem Unter- • Gewerbesteuerstatistik nehmensregister vor (GKU-Daten 2004). Diese • Körperschaftsteuerstatistik Daten umfassen insgesamt 4.042.716 Unterneh- • Umsatzsteuerstatistik (Voranmeldungen) bzw. men. Für 418.897 Datensätze konnte eine Zusam- Umsatzsteuerpanel menführung über alle drei Statistiken erfolgen. • Statistik über die Personengesellschaften und Gemeinschaften Daten über das Betriebsvermögen könnten hier- mit abgebildet werden, allerdings ist eine Zuord- • Umsatzsteuerstatistik (Veranlagungen) nung zu Personen oder Haushalten nicht möglich, sowie dem Merkmal „sozialversicherungspflich- da Handelsregister und Gewerbeanzeigenstatistik tig Beschäftigte“ aus dem statistischen Unterneh- nicht auf Mikroebene vorliegen. mensregister zusammen, das hier durch die Nut- zung des Umsatzsteuerpanels erschlossen wird.

Die Zusammenführung der Einzeldatensätze aus den jeweiligen Statistiken erfolgte auf Grundlage der Steuernummern. Die Verknüpfung erfolgte ausschließlich im Querschnitt. Das Berichtsjahr 2010 umfasst 6.318.885 und das Berichtsjahr 2007 5.612.831 Unternehmen in den Daten. 2010 konn- ten bei ca. 9 % und 2007 bei ca. 12 % der Unter- nehmen die Angaben aus vier Steuerstatistiken zusammengeführt werden.

Die fünf genannten Steuerstatistiken sind Bun- desstatistiken, die als Vollerhebung durchgeführt werden. Es handelt sich um Sekundärerhebungen: Die zu erfassenden Erhebungsmerkmale werden aus den Voranmeldungs- und Veranlagungsbe- scheiden von der Finanzverwaltung entnommen und über deren Rechenzentren an die Statisti- schen Ämter der Länder übermittelt.

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Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Verzeichnis Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik

Verzeichnis der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen

Prof. Marcel Thum (Vorsitzender) Dresden Prof. Jörg Rocholl (Stellv. Vorsitzender) Berlin Prof. Klaus Adam Mannheim Prof. Dieter Brümmerhoff Rostock Prof. Thiess Büttner Nürnberg-Erlangen Prof. Lars P. Feld Freiburg/Br. Prof. Lutz Fischer Hamburg Prof. Nicola Fuchs-Schündeln Frankfurt/M. Prof. Clemens Fuest München Prof. Klaus Dirk Henke Berlin Prof. Joachim Hennrichs Köln Prof. Johanna Hey Köln Prof. Bernd Friedrich Huber München Prof. Wolfgang Kitterer Köln Prof. Kai A. Konrad München Prof. Jan Pieter Krahnen Frankfurt/M. Prof. Alois Oberhauser Freiburg/Br. Prof. Andreas Peichl München Prof. Helga Pollak Göttingen Prof. Wolfram F. Richter Dortmund Prof. Nadine Riedel Münster Prof. Kerstin Roeder Augsburg Prof. Ronnie Schöb Berlin Prof. Ulrich Schreiber Mannheim Prof. Hartmut Söhn Passau Prof. Christoph Spengel Mannheim Prof. Klaus Stern Köln Prof. Christoph Trebesch Kiel Prof. Christian Waldhoff Berlin Prof. Alfons Weichenrieder Frankfurt/M Prof. Dietmar Wellisch Hamburg Prof. Wolfgang Wiegard Regensburg Prof. Volker Wieland Frankfurt/M. Prof. Berthold Wigger Karlsruhe Prof. Horst Zimmermann Marburg/Lahn

Stand: 26.02.2020

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Impressum

Herausgeber Bundesministerium der Finanzen Referat L C 3 (Öffentlichkeitsarbeit) Wilhelmstraße 97, 10117 Berlin

Stand Oktober 2020

Redaktion Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen

Weitere Informationen im Internet unter www.bundesfinanzministerium.de www.bundesfinanzministerium.de/wissenschaftlicher-beirat

bmf-wissenschaftlicher-beirat.de