Die „Fliegenden Züge“ – schon in den dreißiger Jahren eine Legende – hatten auch in Zeiten des Kalten Krieges nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Während die Die „Fliegenden Züge“ der (D)DR formschönen Schnelltriebwagen in der Nachkriegszeit noch Hoffnung auf bessere Zeiten und auf die Wiederver- einigung aller Besatzungszonen verbreiteten, wurden sie später zum Sehnsuchts-Vehikel für eingemauerte Bürger. Nur auf wenigen Relationen im Binnenverkehr durften auch Reisende aus der DDR ohne besondere Formalitä- ten den verblühenden Luxus der stromlinienförmigen Vorkriegsfahrzeuge nutzen. Den wenigsten wurde indes gewahr, dass viele Fahrzeuge, mit denen die um Anerken- nung ringende (D)DR ihre Schnelltriebwagen-Diplomatie von Malmö bis Wien betrieb, ausrangierten Beständen des westdeutschen Wirtschaftswunders entstammten …

ein Zweifel, gut vier Jahre nach Kriegsende ratterte Deutschland auf der Schiene zur globalen Ost-West-Entfremdung unter Volldampf voran. Obwohl vor wenigen Monaten überwunden, wirkte der Schock der K -Blockade noch nach. Die Entzweiung durch zwei Währungen bestimmte den interzonalen Alltag, der eigentlich keiner mehr war, da sich bereits die Staatsgründung zur Bundesrepublik Deutschland vollzog und die Schaffung des östlichen Pendants kurz bevorstand. Dennoch, auf der emoti- onalen Ebene wurde jede Bekräftigung, jedes Signal zur deutschen Einheit sehnsüchtig willkommen geheißen. Und so eine Geste, symbolträchtig und mit Händen zu greifen, brummte sonor am Morgen des 10. September 1949 auf Gleis 2 des Bahnhofs Friedrichstraße: In violett-cremefarbenem Lack glänzend und von Presse- und Rundfunkleuten bedrängt, wartete der strom- linienförmige VT 137 273 zur Abfahrt um 7.25 Uhr nach Hamburg-Altona. Die sowjetzonale Deutsche Reichsbahn, nach Etablierung der Deutschen Bun- desbahn in Offenbach vor drei Tagen mehr denn je eine „Reichsbahn ohne Reich“, schickte erstmals seit der Ein- stellung des „Fliegenden Hamburgers“ – zur Mobilmachung am Vorabend des Krieges zehn Jahre zuvor – wieder ei- nen Schnelltriebwagen auf seine Fahrt zwischen den beiden größten deutschen Städten. Es handelte sich überhaupt um den ersten Reisezug (FDt 66) zwischen Berlin und Hamburg, seitdem sich im April 1945 ein Sprengkommando der Wehrmacht der Brücke über den Elbe- Lübeck-Kanal östlich Büchen ange- nommen hatte. Ab September 1939 nutzten hö- here Wehrmachtsstellen und die NS- Regierung einige Schnelltriebwagen Titelmotiv nach dem Kauf ausran- sporadisch zu Sonderzwecken. Ließen gierter Schnelltriebwagen warb die sich deutsche Befehlshaber bis 1945 DR mit der nicht mehr ganz so fri- Bilderbuchszene im Berliner Ostbahnhof: die Aufsicht erteilt mit den modernen Fahrzeugen beför- schen Legende auf ihrem Kursbuch. den Abfahrauftrag mit der grünen Kelle, während ein kurzhosiger dern, begehrten sie anschließend die Bengel staunt, ein adretter Herr im hellen Kurzmantel vorbildlich Besatzungsmächte, allen voran die US-Militäradministration. Der zivile grüßt und die Zughostess hinter ihm gleich noch einsteigen wird Reiseverkehr war in den Nachkriegsjahren zwar stark eingeschränkt und mit – in den Schnelltriebwagen der Bauart Köln, dessen Motoren vielen Beschwernissen verbunden, unter sowjetischem Einfluss mehr als an- aufheulen und grau-bläuliche Abgasfahnen in das Hallenschiff dernorts, doch immerhin kam schon 1946 ein Triebwagenverkehr zwischen über Bahnsteig B schicken. Ex 21 NEPTUN beginnt am Morgen Chemnitz und Leipzig sowie von Dresden-Neustadt zum Anhalter Bahnhof des 12. August 1965 seine Fahrt. Er bleibt für den Binnenverkehr in Gang. Der Sommerfahrplan 1948 verzeichnete weitere Dt-Züge von Dres- gesperrt, fährt über Rostock nach Warnemünde, wo der Zug über den nach Bad Elster, Leipzig, Zittau und Görlitz. die Ostsee nach Gedser trajektiert wird, um seine Fahrt nach Ein Anekdote am Rande erzählte ein Triebwagenführer: Da die Versor- Kopenhagen fortzusetzen, dass er nach neun Stunden erreicht. gung in Berlin bescheiden war, wurden Lebensmittel in ländlichen Gebieten

42 BAHN Epoche · Frühjahr 2015 Frühjahr 2015 · BAHN Epoche 43 „FLIEGENDE ZÜGE“

beitung ab Ende Februar 1949 für Sondereinsätze zur Verfügung. Ab dem 25. August 1949 fuhr er montags, mittwochs und sams- tags als FDt 79/80 zwischen Berlin und Probstzella, von wo nach Überquerung der Zonengrenze auf der Straße ab Falkenstein An- schluss nach München bestand. Vor der ersten Fahrt nach Ham- burg am Samstag, den 10. September 1949 wurde der Zug noch mal auf Hochglanz poliert und technisch durchgeprüft. Vor allem die Anbringung des Schildes und der Girlanden bereiteten den Ei- senbahnern Kopfzerbrechen. Die Außenhaut und der Lack durften nicht beschädigt werden. Der Schmuck sollte aber bei der Ankunft in Hamburg noch am rechten Platz sitzen. Es wurde entschieden, dass das Schild erst in Büchen angebracht wird. Irgendwie ist es Fliegender Pressehändler am „Fliegenden Hamburger“. Bei der mit viel Improvisationsgeschick jedenfalls gelungen die Fahrt zu zweiten Jungfernfahrt am 10. September 1949 nahmen außer leitenden einem vollen Erfolg werden zu lassen. Die Bevölkerung entlang Angestellten der Reichsbahnverwaltung zahlreiche Pressevertreter teil, die der Strecke feierte den Zug begeistert – in Ost wie in West.“ sich beim kurzen Aufenthalt im Bahnhof Zoo mit Reiselektüre versorgten. Mit einer Fahrzeit von 3 Stunden und 47 Minuten zwischen Berlin Zoo und Hamburg Hbf kam der FDt 66 zwar nicht an die kurzen Reisezeiten des „Fliegenden Hamburgers“ von 1933 bis 1939 heran, für das Jahr 1949 war es trotzdem ein großer Fort- schritt – vor allem, wenn man bedenkt, dass inzwischen etliche Streckenabschnitte durch den Abbau des zweiten Gleises in der sowjetischen Besatzungszone nur noch eingleisig befahrbar waren und dass in Schwanheide nun ein 37-minütiger Grenzaufenthalt ins Gewicht viel. Zwischen Berlin Zoo und Schwanheide erreichte der SVT mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 103,5 km/h je- denfalls einen erstaunlichen Wert. Damit war er im Sommer 1951 der zweitschnellste Zug in Europa. Sein Reisetempo, über weite Abschnitte 120 km/h, konnte er allerdings nur einige Fahrplanab- schnitte halten. Schlangenhafte Beweglichkeit bei nächtlicher Behandlung Im September 1949 war bei der DR ein buntes Sammelsurium an verschiedenen Verbrennungstriebwagen zu betreuen. Es wur- den 31 VT eingesetzt, wobei die Hälfte davon im Reisezugdienst lief. Andere Triebwagen wurden für Sonderdienste vorgehalten, liefen als Dienstwagen für die sowjetische Militäradministration (SMAD) oder für interne Zwecke der Reichsbahn. Mit weiteren In der Tradition des „Fliegenden Hamburgers“: Gefeierte Wiederaufnahme des durchgehenden Reisezugverkehrs Berlin – Hamburg am Buchfahrplan des FDt 65/66, gültig vom 2. Oktober 1949. Erstaunlich ist, 32 Triebwagen befand sich allerdings mehr als die Hälfte des Be- 10. September 1949. An diesem Tag symbolisierte der VT 137 273 als FDt 66 (hier nach Ankunft in Altona) sowohl den ersten zwischen dass nach der Demontage des zweiten Gleises auf Geheiß der Sowjets wei- triebsbestandes der DR in Ausbesserung. den beiden größten deutschen Städten seit dem Ende des Krieges als auch die erste zivile Schnelltriebwagen-Verbindung Deutschlands nach 1939. te Streckenabschnitte dennoch mit 120 km/h befahren werden konnten. Bis 1950 reihte die DR mit dem 137 154 und dem 137 278 eine zweite und dritte SVT-Garnitur in ihren Bestand ein. Am 21. De- gegen andere Waren eingetauscht. Auch die Eisenbahner beteilig- vorbehalten. Während der Berliner Blockade von Juni 1948 bis zember 1950, anlässlich Stalins Geburtstags, konnte damit die ers- ten sich an den verbotenen „Hamsterfahrten“. Eingetauschte Eier Mai 1949 hatte der Verkehr zwischen den Besatzungszonen einen te internationale Triebwagenverbindung der DR von Berlin nach sind auf der Fahrt nach Berlin gern hinter der Verkleidung der seit- weiteren Tiefpunkt erreicht. Erst ab dem 12. Mai 1949 verkehrte Prag aufgenommen werden. lichen Übersetzfenster im Führerstand versteckt worden, wo sie mit dem FD 111/112 Berlin – Köln wieder ein völlig überlaste- Durch den Einsatz aller SVT in Tagesverbindungen ergab es bei Kontrollen nicht so schnell gefunden werden konnten. Dumm tes Fernschnellzugpaar im Berlin-Verkehr. Angesichts dieser Er- sich, dass die Fahrzeuge in der Nacht behandelt werden mussten. war nur, wenn dann in alter Gewohnheit das Fenster herunterge- schwernisse verwundert die Euphorie bei der Wiedereröffnung des Ein Schreiben der VT-Gruppe Karlshorst, wohin auch die Kolle- lassen wurde … Schnelltriebwagenverkehrs zwischen Berlin und Hamburg nicht. gen vom Anhalter Bahnhof zu ziehen hatten, überliefert die Abläufe Im Winterfahrplan 1948/49 gab es gar schon einen Zug, der die Die Fahrt Frei berichtet über die erste Fahrt des „Fliegenden Ham- zur damaligen Zeit: „Der Prager Schnelltriebwagen signalisiert mit berühmte Zugnummer des „Fliegenden Hamburgers“ trug. Der burgers“ mit dem Untertitel „Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur dem dumpfen Ton seines Typhons die Einfahrt in den Schuppen. FDt 1/2 verkehrte nun zwischen Berlin und Schwerin. Im Einsatz Einheit Deutschlands“. Neben der Verbesserung der Reisebedin- Der Tankwart und sein Helfer müssen nun mit einer Handpumpe waren allerdings noch keine Schnelltriebwagen, sondern die der gungen spielte also am Vorabend der Gründung des zweiten deut- aus Fässern 1400 Liter Kraftstoff nachfüllen. Nach dem Tanken Bauart Stettin – für eine Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h aus- schen Staates auch die große Politik eine Rolle bei der Einrichtung müssen sämtliche Wasserbehälter der Toiletten, Waschräume, Mit- gelegt. Angesichts der geringen Geschwindigkeiten, die damals der Schnelltriebwagenverbindungen. Jede Seite – Ost, wie West ropa-Küche und vor allem die Kühl- und Heizkreisläufe aufgefüllt auf dem heruntergewirtschafteten und ihres zweiten Gleises be- – wollte ihren Einfluss möglichst ausdehnen. werden. Das VT-Personal hat inzwischen die beiden Maschinenan- raubten Hauptstreckennetz gefahren werden durften, kann dabei lagen untersucht. Weiterhin schließt sich die Überprüfung des Fahr- aber nur im Traum von „Fliegenden Zügen“ gesprochen werden. Endlich wieder ein SVT auf der gestells und der Bremsen an. Die festgestellten Schäden werden Sehr schwierig gestalteten sich Reisen über die Demarkations- dem Werkmeister übergeben, der die Arbeitsaufträge an einen Vor- linie. Sie waren oft nur unter Nutzung lokaler Reisezüge möglich, Stammstrecke Berlin – Hamburg schlosser und die Handwerker verteilt. In der Zwischenzeit ist auch die jeweils auf dem letzten Bahnhof in ihrer Zone endeten. Der Herbert Scheiber, damals Betriebsgruppenleiter der Triebwagen- der Schnelltriebwagen von Hamburg eingefahren und der SVT- Übergang in eine andere Besatzungszone erfolgte zu Fuß oder mit abteilung des Anhalter Bahnhofes, berichtet von der Aufregung Führer ruft dem Werkmeister schon von weitem seine Schmerzen dem Bus. Der erste Interzonenzug, der seit Mai 1946 zwischen im Vorfeld der hoch angebundenen Wiederinbetriebnahme der Deutsch-deutsche Zugführer – links DR, rechts DB – verständigen und Nöte an dem SVT der Bauart „Köln“ zu. Jetzt steigert sich der Berlin und Osnabrück verkehrte, war hauptsächlich Ausländern Hamburg-Relation: „Der SVT 137 273 stand nach seiner Aufar- am sich am FDt 66 (VT 137 278) in Büchen; 6. Juli 1952. Arbeitsanfall, denn schon nach kurzer Zeit trifft ein weiterer VT

44 BAHN Epoche · Frühjahr 2015 Frühjahr 2015 · BAHN Epoche 45 „FLIEGENDE ZÜGE“ von der Strecke ein. Weiterhin wird noch ein zweiteiliger Trieb- wagen von Halle (Saale) und ein Triebwagen mit Steuerwagen von Fürstenwalde erwartet. Oft hat der Tankwart in einer Nacht mit seiner Handpumpe über 4000 Liter in die Triebwagen gepumpt. Die Bediensteten der Wagenreinigung haben in flottem Tempo die Reinigung der Fahrzeuge innen und außen durchgeführt. Es wer- den hohe Ansprüche an die Sauberkeit der Triebwagen gestellt, die nur von gewissenhaften Arbeitern und Arbeiterinnen erfüllt werden können. Die Handwerker sind nicht zur Ruhe gekommen. Auch die schlangenhafte Beweglichkeit und das Geschick der Handwerker, die in unmöglichen Körperhaltungen die Schäden unter dem Zug beheben, führen nicht immer zum Erfolg. Es ist ein Reservetrieb- wagen vorzubereiten. Die Dieselmotoren sind vorzuwärmen, die Mitropa-Küche muss sämtliche Vorräte umladen. Wenn es dann trotz aller Widerwärtigkeiten gelingt die Züge morgens wieder pünktlich bereitzustellen, atmet die gesamte Belegschaft auf.“ Das unter schwierigen Bedingungen zu leistende Arbeitspen- sum in Karlshorst führt immer wieder zu Beschwerden. Doch die Anlagen des ehemaligen Dampflokwerkes werden nur nach und nach modernisiert und den Gegebenheiten des Dieselbetriebes angepasst. Außerdem bereiteten die vielen Bauartunterschiede der Fahrzeuge den Eisenbahnern Kummer. In den vorhandenen Schnelltriebwagen waren viele verschiedene Motoren- bzw. Ge- triebetypen zu finden. Da es an Ersatzteilen mangelte, dauerte es recht lange, bis die Zahl der einsatzfähigen Fahrzeuge zunahm. Nicht mehr der letzten Schrei, aber immer noch im Radius junger Außerdem waren die betriebsfähigen Triebwagen recht störanfäl- technikinteressierter Männer, dieselt VT 137 233 (Bauart Leipzig) nach lig. So blieb der Generaldirektion der DR 1950 nichts anderes üb- Ankunft aus Berlin in die Abstellanlage von Hamburg-Altona. Im Ge- rig, als Devisen bereitzustellen um mit Hilfe der Firma Maybach in gensatz zur Bundesbahn bewies die Reichsbahn in der Beibehaltung der Friedrichshafen einige Ersatzteile aufzuarbeiten. Weiterhin sprach violett-cremefarbenen Lackierung ihrer SVT Kontinuität. ein Mitarbeiter der DR im Frühjahr 1950 bei der Hauptverwal- tung der DB wegen der Übernahme eines Maschinendrehgestells Fahrkarten- und Passkontrolle im Speiseraum des VT 137 278, für den SVT „Köln“ vor. Zu diesem Zeitpunkt wollte aber die DB unterwegs als FDt 66 Berlin – Hamburg, hier westlich Büchen (6.7.52). Vor ihre „Fliegenden Züge“ schon wieder selbst nutzen (siehe großen 1955 zählte die Verbindung zum Interzonenverkehr. Fahrkarten gab es nur Beitrag in BAHNEpoche 10), so dass man sich nicht einig wur- gegen Vorlage des Interzonenpasses. Daher entfiel die Platzkartenpflicht.

Blankes Metall und in Bakelit eingefasste Armaturen! Was, mit einiger Fantasie, wie die Steuergondel eines Zeppelins anmutet, ist doch der Blick über die Schulter eines Triebfahrzeugführers. Er bringt den neuen VT 12.14 aus ungarischer Produktion auf einer Probefahrt am tristen 3. Dezember 1954 von Berlin nach Leipzig.

Hohe Zeit der Schnell- triebwagen im Bf. Berlin- Friedrichstraße, bevor dieser zur Bastion von Teilung und Grenze im Alltag der Deutschen mutierte. Am Morgen des 5. Juli 1957 treffen sich ein VT 12.14 (links) als FDt 66 nach Hamburg-Altona (ab 7.16, an 11.34 Uhr) und ein VT 137 der Bauart Köln, (rechts) als FDt 54 nach Wien Südbahnhof (ab 7.17, an 19.44 Uhr).

46 BAHN Epoche · Frühjahr 2015 Frühjahr 2015 · BAHN Epoche 47 „FLIEGENDE ZÜGE“ de. Erst im September 1951 wurde mit dem 137 233 wieder ein nicht nur Tomaten aus Ungarn importieren.“ 1954 kamen drei als SVT fertig gestellt. Der 137 225, ein Schnelltriebwagen der Bauart VT 14.12. bezeichnete Triebzüge zum VT-Bw Karlshorst nach Ber- Hamburg, kam dann 1952 in den Betriebspark der DR. Dieses zum lin. Nach der Durchführung von Versuchs- und Probefahrten wurden Salontriebwagen umgebaute Fahrzeug wurde allerdings dem zivi- die Züge zunächst innerhalb der DDR eingesetzt, ab Sommer 1955 len Reiseverkehr vorenthalten. auch nach Hamburg. Die DR war jedoch mit den Laufeigenschaften der Züge alles andere als zufrieden. Auch beim Werkstattpersonal Woher weitere Schnelltriebwagen beschaffen? war das mechanische Getriebe aufgrund des Wartungsaufwandes nicht beliebt. Das Fahrverhalten der Fahrzeuge hing auch sehr vom Bald nahm die DR Verhandlungen mit den Bahnen der benach- Geschick des Triebwagenführers ab. Diese Schwierigkeiten ließen barten Staaten auf, um von diesen weitere Vorkriegsfahrzeuge den Kauf weiterer Züge nicht geraten scheinen. übernehmen zu können. Da ein mit der DB angestrebtes Tausch- 1955 schrieb der Triebwagenführer Ernst Döhler für die DDR- geschäft bezüglich einiger Mittel- und Steuerwagen von SVT der Presse: „Der Triebwagenverkehr zwischen Prag und Berlin ist ein Bauart Berlin nicht zum Erfolg führte, wurden einige ehemals nicht mehr wegzudenkender Bestandteil des internationalen Rei- niederländische Elektrotriebwagen an den vorgefundenen Maschi- severkehrs geworden. Am 1. März 1954 trat insofern ein bemer- nenwagen 137 902 a angepasst. Doch der 1955 aufgebaute Zug kenswerter Wechsel ein, als die Tschechoslowakische Staatsbahn erwies sich laut Triebwagenexperte Günther Dietz als Fehlschlag. die in der Volksrepublik Ungarn gebauten dreiteiligen Ganz-Trieb- Nach nur 41500 Laufkilometern erlitt er Angang Juli 1959 einen wagenzüge einsetzte. Zwischen den tschechoslowakischen und Kurbelwellenschaden und wurde wieder abgestellt. den deutschen Triebwagenführern besteht ein herzliches und ka- Einige Triebwagen konnte die DR in den fünfziger Jahren meradschaftliches Verhältnis, das Ausdruck wahrer Freundschaft von anderen Bahnverwaltungen übernehmen. Aus Polen kam der zwischen den Völkern ist.“ VT 137 234 im Zuge eines Lokaustausches zur DR. Dieser Zug er- Die Züge im grenzüberschreitenden Verkehr wurden durchge- hielt bis Juni 1956 eine Generalreparatur, während der ein zusätz- hend von dem Personal gefahren, das den Triebwagen stellte. Auf liches Wagenteil eingefügt wurde. Von der ČSD erhielt die DR den dem Gebiet der jeweils anderen Bahnverwaltung wurde ein einhei- 137 852, zurück, der bis Januar 1957 aufgebaut werden konnte. mischer Lotse gestellt. Schon Anfang der fünfziger Jahre machte sich die DR Gedan- ken um die Anschaffung neuer Fahrzeuge. Projekte, Triebwagen DR-SVT auf deutsch-deutschen im eigenen Land zu beschaffen, mussten jedoch zunächst wieder verworfen werden. Die DDR-Industrie sah sich vorläufig außer- und internationalen Kursen stande, Triebzüge in ihr Produktionsprogramm aufzunehmen. Ein Nach der Beschaffung der ungarischen Triebwagen dehnte die DR für die Werbung gezeichneter Doppelstocktriebwagen blieb ange- das Netz ihrer internationalen Verbindungen weiter aus. Der ers- sichts der Probleme, die sich bezüglich der Konstruktion von Die- te neue Zug war der SaSSnitz-ExpreSS zwischen Saßnitz und sellokomotiven in der DDR abzeichneten, Utopie. München ab 1955. Die Triebwagen übernahmen die Reisenden Die ČSD beschafften ab 1953 in Ungarn neue dieselmechani- morgens in Saßnitz/Hafen von der Fähre und beförderten sie in sche Schnelltriebwagen. Die DR interessierte sich auch für diese nicht ganz 14 Stunden nach München Hbf. Es war kein planmä- Fahrzeuge. Auch das Außenhandelsministerium befürwortete auf- ßiger Zwischenhalt vorgesehen. Allerdings ist ein Betriebshalt des grund einer unausgeglichenen Handelsbilanz den Kauf von Trieb- Zuges in Schönefeld bei Berlin überliefert, der zum Tanken genutzt wagen aus Budapest. Überliefert ist die Äußerung: „Wir können ja wurde. Die Relation, die vor allem Transitreisende aus Skandinavi-

Freie Oberkörper am neuen Gleiskörper zeigt die Gleisbaurot- te am 29. August 1958 in Leipzig-Mockau, als der Fotograf der Es folgt der VINDOBONA (Berlin – Wien) zwischen Rathen und en anlocken sollte, ist nur drei Sommer lang mit Schnelltriebwagen Rbd Halle gekonnt Königstein dem Lauf der Elbe. Am Posten 24 erwartet ihn der Wärter befahren worden. die Vorbeifahrt mit weiß-roter Signalflagge (Sh1 – Sofort halten!), sollte er am Zug Im Jahre 1956 hatten sich die Bahnverwaltungen der DDR, eines Schnelltriebwa- gefahrdrohende Unregelmäßigkeiten wahrnehmen (3. Oktober 1959). der Tschechoslowakei und Österreichs über die Schaffung einer gens verewigt. Der später sehr erfolgreichen Tagesverbindung zwischen Berlin und dreiteilige VT 137 233 Gruppenbild vor dem im Grenzbahnhof Dĕčin, mit der Wien über Prag verständigt. 1957 konnte erstmals der FDt 54/55 (Bauart Leipzig) ist un- Mannschaft des 137 856 und dem Lotsen der CˇSD in ihrer Mitte (1960). verkehren. Der Zug erhielt den von der lateinischen Bezeichnung terwegs als Dt 38 von des Zielortes abgeleiteten Namen Vindobona. Bis 1960 setzte Berlin-Friedrichstraße die DR nun auf der Relation täglich je einen Schnelltriebwagen und wird in wenigen der Bauart Leipzig oder Köln in jeder Richtung ein; anschließend Minuten um kurz vor übernahmen die ČSD für einige Zeit die Stellung der Triebwagen. 2 Uhr nachmittags Von Mai 1962 bis Mai 1964 setzte aber auch die ÖBB ihre Trieb- Leipzig Hbf erreichen. wagen zwischen Wien und Berlin ein, so dass ein Naturalausgleich Hinterm Holzzaun stattfand. Die auf der Strecke eingesetzten Eisenbahner schwärmen steht ein Wagentyp noch heute von der angenehmen Atmosphäre in den Zügen. Es gab 22 der Leipziger Stra- wohl einige Stammgäste, für die nach vorheriger Ankündigung so- ßenbahn auf der Linie gar die Lieblingsspeise im Mitropa-Abteil zubereitet wurde. Auch 8 nach Kleinzschocher. die Beziehungen zu den Kontrollorganen an der Grenze waren gut. Nur nach dem „Prager Frühling“, an dessen Niederschlagung die DDR nicht unbeteiligt war, kam es zu Verstimmungen, als die tschechoslowakischen Zöllner anfingen die deutschen Eisenbahner zu schikanieren.

48 BAHN Epoche · Frühjahr 2015 Frühjahr 2015 · BAHN Epoche 49 „FLIEGENDE ZÜGE“ Zugläufe der DR-Schnelltriebwagen (1949 –1985) Heimlicher Deal trotz Hallstein-Doktrin Internationale Relationen, deutsch-deutsche Verbindungen und Leistungen des Binnenverkehrs Zugnr. FDt 65/66 FDt 54/55 FDt 129/130 FDt 50/51 Ext 21/22 Ex 125/126 Ex 154/155 Ex 21/22 Ex 147/148 Ex 121/122 Dt 28/27 Dt 34/35, Dt 17/18 Dt 309/310 D 1170/1173 E 328/327 D 1195/314 D 260/261 Zugname MIR Sassnitz-Exp. VINDOBONA BEROLINA BEROLINA HUNGARIA NEPTUN KARLEX BERLINAREN 38/39 178/171 313/1196 Gerne hätte die DR ihr internationales Triebwagenetz weiter aus- Relation Berlin Berlin Saßnitz Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Dresden Berlin Berlin Berlin Berlin gebaut. Wahrscheinlich wurde sie auch von der Regierung dazu – – – – – – – – – – – – – – – – – – Hamburg Prag München Wien Brest Warschau Budapest Kopenhagen Karlsbad Malmö Erfurt Leipzig Rostock Frankfurt/O. Magdeburg Stendal Neubrandenb. Bautzen gedrängt. Die DDR war um internationale Anerkennung bemüht von 10.09.49 21.12.50 13.06.55 13.01.57 31.05.59 01.10.60 29.05.60 29.05.60 31.05.59 26.05.68 20.05.51 03.06.56 02.10.55 31.05.59 30.09.62 30.09.62 28.05.67 28.05.67 und wollte ihre Handelsbeziehungen ausbauen. Das war aufgrund bis 26.05.61 12.01.57 30.08.57 26.09.79 30.09.61 28.09.68 25.05.74 30.09.73 26.09.81 27.09.70 01.10.60 27.05.78 25.09.71 25.09.65 02.72 21.05.66 25.05.68 27.09.85 der Hallstein-Doktrin nur schwer möglich. Durch sie mühte sich ➊ ➊ ➊ ➊ ➊ ➊ ➊ ➊ 1949 1949 die BRD die internationale Anerkennung eines zweiten deutschen 1950 DR VT 137 1950 Köln, Leipzig, Staates zu verhindern. Umso erstaunlicher ist es, dass die DR 1951 DR VT 137 DR VT 137, 1951 1952 Ruhr Köln, Leipzig VT 12.14 1952 1958/59 ihren Fahrzeugbestand über Strohfirmen mit den bei der 1953 FDt 50/51 Köln, Leipzig, 1953 DB inzwischen durch die Inbetriebnahme der VT 08 und VT 115 1954 CˇSD M495.0 Ganz 1954 1955 DR VT 12.14 ab 1.3.54 FDt 143/144 1955 DR VT 137 DR VT 137, entbehrlichen VT 137 152, 227, 231, 232, 275, 853, 856 und 858 1956 Ganz Berlin 1956 Köln, Leipzig DR VT 137, VT 12.14 der Bauarten Hamburg und Köln auffüllen konnte. Außerdem wur- 1957 DR VT 137 VT 12.14 K, Lpz, Ganz 1957 1958 FDt 165/166 Köln, Leipzig Dt 143/144 Köln, Leipzig, 1958 den dringend benötigte Ersatzteile von der DB übernommen. Im 1959 Ex 54/55 ˇ Hamburg, 1959 DR VT 137, CSD M495.0 Ganz DR VT 137 1960 CˇSD M495.0 VT 12.14 Ganz 1960 Gegenzug lieferten die Leipziger Kirow-Werke drei Eisenbahn- DR VT 137, DR VT 137, DR VT 137 Leipzig, Ruhr 1961 Ganz Köln, Ganz Dt 34/39 1961 VT 12.14 VT 12.14 Hamburg kräne, die dann aber wohl bei der DB kaum im Einsatz waren. 1962 ÖBB 5045 ˇ 1962 PKP SN 61 CSD M495.0 DR VT 137 DR VT 137 1963 Blauer Blitz ab 5.62 nur 1963 Erst durch die Übernahme der Schnelltriebwagen von der DB Ganz Köln 1964 CˇSD M298.0 sonntags DR VT 137, Leipzig, Köln 1964 war es der DR möglich neue Verbindungen anzubieten. Nach der 1965 Ganz CˇSD M295.0 VT 18.16 1170/1173, 1965 E 330/335 Aufarbeitung dieser Fahrzeuge 1959 richtete die DR mit dem Be- 1966 DR VT 137, Ganz Köln, Görlitz 142/1171 1966 1967 VT 18.16 CˇSD M298.0 1967 DR VT 137 rolina eine neue Tagesverbindung auf der Strecke Berlin – War- 1968 Köln, Hamb., Ganz DR VT 18.16 1968 DR VT 18.16 1969 Görlitz Görlitz und DR VT 137, DR VT 137, Hamburg D 213/214, 1969 schau – Brest (704 km) ein. Ab 1960 fuhren Berliner Triebwagen Görlitz 215/216 1970 CˇSD M296.1 DSB MS/MB VT 18.16 Ex 2/3/6/7 VT 18.16 1970 DR VT 137, auch als Hungaria nach Budapest (1004 km). Im gleichen Jahr 1971 Studenka Lyntog Köln, Görlitz DR VT 137, D 313/314 1971 178/171 VT 18.16 1972 im Wechsel VT 18.16 1972 verbesserte sich die Anbindung Dänemarks mit Einführung des Köln, Ruhr, 1973 DR VT 18.16 Ex 311/312 Köln, Görlitz 1973 Görlitz Neptun nach Kopenhagen (521 km) mit der Fähre Warnemünde/ 1974 Görlitz 1974 Gedser. Das durch die Triebwagen der DR bediente Netz (siehe Ta- 1975 Ex 70/71 Ex 102/103, D580/587 1975 1976 108/109 D581/586 1976 belle auf der rechten Seite) erreichte damit die größte Ausdehnung 1977 1977 und die Streckenkarte der Fernverkehrsverbindungen im Ostblock 1978 Ex 162/163 1978 1979 1979 wurde der des TEE-Netzes im Westen ähnlicher. 1980 1980 1981 1981 Acht gebrauchte SVT von West nach Ost. 1982 1982 1983 1983 Dokument vom 3. August 1958 über die Abwicklung des wohl spekta- 1984 1984 kulärsten deutsch-deutschen Triebfahrzeughandels. 1985 1985

Kilometer 302 420 990 735 780 563 999 521 422 431 (324) 286 182 286 207 142 153 155 200 Zeit (Std.) 4 6,5 14 11,5 11,4 (10,8) 6,5 15 (13,8) 8 6,5 7,9 (3,9) 4,3 2,9 4 4 2 3,5 1,7 3 Ø 76 km/h 65 km/h 69 km/h 64 km/h 68 (73) km/h 87 km/h 67 (72) km/h 65 km/h 65 km/h 55 (83) km/h 67 km/h 63 km/h 72 km/h 52 km/h 71 km/h 44 km/h* 92 km/h 67 km/h Fahrplan 1950 1950 So 1955 So 1963 So 1959 So 1963 So 1963 1964 So 1971 Wi 69/70 So 1956 So 1957 Wi 1955/56 So 1959 Wi 1962/63 Wi 1965/66 So 1967 So 1967 * ab Rathe- Kilometer 302 383 735 563 1004 467 (419) 286 182 230 now Halt in 200 Zeit (Std.) 4,3 h 6,2 (5,6) 11,5 (10,3) 7,2 (7) 15 (13,5) 6,6 (4,6) 4,3 1,75 2,6 jedem Bf. 3,3 Ø 70 km/h 62 (69) km/h 64 (71) km/h 78 (80) km/h 67 (74) km/h 71 (91) km/h 67 km/h 104 km/h 88 km/h 61 km/h Fahrplan 1961 1964 1964 1964 1964 So 1971 So 1960 Wi 1974/75 Wi 1969/70 ©BAHN Epoche Wi 72/73

Anmerkungen: ➊ Zug verkehrte nicht über den gesamten Zeitraum als Triebwagen; der SASSNITZ-EXPRESS FDt 129/130 verkehrte z.B. nur 2x wöchentlich in den Sommerfahrplänen. Dt 309/310 lief in einigen Fahrplanperioden bis Angermünde (304,5 km), tageweise auch bis Stralsund (474,6 km). Kilometrierung, Zeit oder Reisegeschwindigkeit in Klammern: Werte ohne Grenzaufenthalt und ggf. Fährfahrt. Als Füllleistungen fuhren SVT auch Personenzüge, Sonderzüge für das Reisebüro der DDR oder zur Leipziger Messe.

Um internationale Anerkennung bemüht, dienten der DR ehemalige „Fliegende Züge“ zwischen Kopenhagen und Budapest als Pendant zum TEE- Verkehr der DB mit den westeuropäischen Nachbarbahnen (1960). Ausgesuchte Triebwagenführer Die Triebwagenführer, vor allem die im Ausland eingesetzten, wurden na- türlich besonders ausgewählt. Außerdem musste der Einsatz ins nichtso- zialistische Lager vom Staatssicherheitsdienst genehmigt werden. Die erforderlichen Personaldokumente sind zu Dienstbeginn ausgehändigt worden und waren am Ende des Einsatzes wieder abzugeben und im Tre- sor zu verschließen. Wer es geschafft hatte in den erlauchten Kreis aufgenommen zu werden, war natürlich besonders stolz. Manchmal führte die bevorzugte Behand- lung aber auch zu Leichtsinnigkeit. So ist überliefert, dass eine Mannschaft BEROLINA in Warschau. Bei dem VT mit DB- Die Trajektierung in Warnemünde wurde von den DDR-Bürgern immer sehnsüchtig des „Neptun“ manchmal auch größere Verspätungen herausfuhr. Das war Frontfenstern könnte es sich um den 1958 gekauften, beobachtet. Von der Mole aus konnte man das Schiff mit dem unerreichbaren Ziel gut sehen. bei den knappen Fahrzeiten nur durch Überschreitung der zugelassenen dieselhydraulischen 137 858 handeln. So verkehrte Bei der Auflassung des Triebwagenbahnbetriebswerkes Berlin-Karlshorst 1981 bekam das Geschwindigkeit möglich. Als der Dienststellenleiter davon gehört hatte, der BEROLINA im Winter 1960/61, wobei in der polni- Sehnsuchtsmotiv einen Ehrenplatz in einer Bildausstellung zur Geschichte der Dienststelle, wies er eines Tages den Fahrdienstleiter des Bahnhofes Fürstenberg/Havel schen Hauptstadt nur eine Wendezeit von 35 Minuten stellte doch der NEPTUN, der zwischen 1964 und 1971 mit Karlshorter Triebwagen der Bauarten an, die Einfahrt auf Halt zu lassen. Normalerweise hatten die wichtigen eingeplant war. Für die 1124 km-Tour hatten einige Köln und Görlitz gefahren worden war, eine der Paradeleistungen dar. Der Karton hat zwar an Züge ja Durchfahrt, aber unvorhergesehene Umstände konnten immer Züge zusätzliche Kraftstoffbehälter erhalten. Glanz verloren, trotzdem ist dem Dokument noch der Stolz der Eisenbahner anzusehen. einen Halt erfordern. Den genannten Bahnhof hatte der Vorsteher ausge-

50 BAHN Epoche · Frühjahr 2015 Frühjahr 2015 · BAHN Epoche 51 „FLIEGENDE ZÜGE“ Fliegende Züge der DDR-Reichsbahn Herkunft, Verwendung und Verbleib DR-Nummer Bauart Abnahme bei Kriegsende Verwendung, Besonderheiten DR-Einsatz DR-Nummer ab 1970 Verbleib

137 152 a/b Hamburg 16.07.33 US-Zone in US-Diensten (Lazarett-VT), DB: VT 04 102 31.10.61 – 19.10.67 183 001-7 1973 zerlegt 137 154 a/b/c Leipzig 03.05.36 SBZ 25.08.50 – 09.12.62 – 1970 zerlegt 137 155 a/b/c Kruckenberg Versuch SBZ 1946 in Dresden, später in Wittenberge schadhaft abg. – – 1967 zerl., 1 Drehgestell VMD 137 224 a/b Hamburg 08.07.35 Tschechien CˇSD: M 297.003; 1958 gekauft, Ersatzteilspender – – 1965 zerlegt 137 225 a/b Hamburg 08.08.35 SBZ als Salontriebwagen aufgebaut 05.02.52 – 10.01.81 183 252-6 1981 VMD, steht in Leipzig Hbf 137 226 a/b Hamburg 27.07.35 SBZ 1945 Dresden abg., 1956 wUmbau 137 226 b zu 137 234 d – – 1956 Umbau 137 227 a/b Hamburg 21.08.35 US-Zone DB: VT 04 105, ab 03.51 VT 04 501 (dieselhydraulisch) 01.07.59 – 22.07.64 – keine Ersatzteile, 1968 zerlegt

137 231 a/b Hamburg 15.10.35 US-Zone in US-Diensten (Lazarett-VT), DB: VT 04 106 01.08.59 – 15.05.69 – 1975 zerlegt 137 232 a/b Hamburg 08.04.36 US-Sektor Berlin in US-Diensten (Hq 7. US-Armee), DB: VT 04 107 01.06.60 –20.03.71 183 003-2 1976 zerlegt 137 233 a/b/c Leipzig 17.04.36 SBZ 1956/57 vierteilig im Einsatz mit Mittelteil 137 154 c 21.09.51 – 22.01.61 – 1969 zerlegt 137 234 a/b/c Leipzig 27.04.36 Polen PKP bis 1954/55; ab 1956 vierteilig mit 137 226 b, 06.06.56 – 06.12.73 183 251-8 1990 an EK, steht in Delitzsch ab 1961 Salon-Triebwagen dreiteilig

137 273 a/b/c Köln 25.05.38 SBZ ab 1966 zeitweise vierteilig im Einsatz 28.02.49 – 30.09.80 182 001-8/501-7/002-5 1990 zerlegt

137 275 a/b/c Köln 21.07.38 US-Sektor Berlin DB: VT 06 102, ab 03.51 VT 06 501 (dieselhydraulisch) 09.04.60 – 27.09.60 – Brandschaden, 1969 zerlegt

137 278 a/b/c Köln 06.10.38 SBZ ab 1966 zeitweise vierteilig im Einsatz 23.09.49 – 23.01.76 182 003-4/503-3/004-2 1980 zerlegt

137 852 a/b/c Köln 16.06.38 Tschechien CˇSD: M 494.001 12.01.57 – 11.02.69 – schlechter Zustand, 1971 zerl.

137 853 a/b/c Köln 16.07.38 US-Zone in US-Diensten (Salon-VT), DB: VT 06 107 01.04.59 – 06.08.75 182 007-5/507-4/008-3 1978 zerlegt

137 856 a/b/c Köln 21.09.38 US-Zone in US-Diensten (Salon-VT), DB: VT 06 109 31.10.59 – 30.03.79 182 009-1/509-0/010-9 2000 SVT eV, in Aufarbeitung

137 858 a/b/c Köln 10.11.38 US-Zone DB: VT 06 111, ab 02.52 VT 06 502 (dieselhydraulisch) 08.12.59 – 17.12.64 – keine Ersatzteile, 1976 zerlegt 137 902 a Berlin Versuch SBZ Maschinenwagen, mit niederländischen Fz. gekuppelt 14.05.55 – 08.07.59 – Einzelbauart, 1969 zerlegt ©BAHN Epoche Abkürzungen Anmerkung VMD: Verkehrsmuseum Dresden Die DR hat den Zügen mit Jakobsdrehgestellen nach 1970 nur noch eine abg.: abgestellt, Fz: Fahrzeug(e) Nummer gegeben. Jedenfalls ist 137 152 a/b dann nur noch 183 001-7. wählt, weil das Vorsignal zur Einfahrt in einer Kurve, im Gefälle überfordert worden. 1960 fiel der 137 234 aus. Er wurde dann zu Generationswechsel im Ostbahnhof. Verkörpert der VT 137 (der und im verkürzten Abstand aufgestellt war. Da das Signal erst spät einem dreiteiligen Salontriebwagen umgestaltet. Auch die anderen Bauart Hamburg, hier als Ext 54 nach Wien) einen „Fliegender Zug“ der erkannt werden konnte, hatte der Lokführer des „Neptun“ bei über- beiden Fahrzeuge dieses Typs setzte man nicht mehr im interna- dreißiger Jahre, stellt VT 18.16.01 (der Bauart Görlitz, als Ext 21 nach Ko- höhter Geschwindigkeit keine Chance den Zug vor dem Einfahr- tionalen Dienst ein. Die Hauptlast des Verkehrs lag nun auf den penhagen) den Prototyp des DR-Schnelltriebwagens der sechziger Jahre signal anzuhalten. Es kam wie es kommen musste. Der Zug kam Zügen der Bauart Köln, die nur auf der Strecke nach Warnemünde dar; 16. September 1966. Trotzdem: auf den Schwellen abgelagertes Öl, Kohlegrus und Schweiß – das dunkle Sediment der Dampflokzeit. an diesem Tag erst weit hinter dem Hauptsignal zum Stehen. Der durch die SVT Hamburg und auf den Strecken nach Hamburg und Vorsteher ging zum Führerstand und löste den Lokführer ab. Da der Brest durch die Wagen der Bauart „Ganz“ unterstützt wurden. Gen Ostbahnhof dieseln 182 003-4/182 507-4/182 004-2 sowie Vorgang sich natürlich sofort herumsprach, war der Respekt vor Bald waren die Altbautriebwagen in einem Zustand, in dem kein 182 002-6/182 501-7/182 001-8 als D 580 aus Bautzen (genannt „die Sorben- dem Regelwerk auf eindrucksvolle Weise wiederhergestellt. wirtschaftlicher Betrieb der SVT mehr möglich war. Für die Bauart schleuder“) durch die Wuhlheide am Abzweig Ostendgestell, 17. Juni 1975. Es gab auch andere Gründe, die zu einer Versetzung der Trieb- Köln und Hamburg wäre eine Grundüberholung nötig geworden. wagenführer oder des Speisewagenpersonals führen konnten. So Ein in Erwägung gezogener Ankauf von Triebwagen aus Rumäni- ist überliefert, dass immer wieder geschmuggelt wurde. Zahngold en kam nicht zustande, da die angebotenen Fahrzeuge nicht dem Endlich ein würdiger Neubau-Triebwagen oder Schmuck konnte im Ausland in frei konvertierbare Währung aktuellen technischen Stand entsprachen und weil sie nicht den Ab 1963 konnte endlich die einheimische Industrie moderne Schnell- getauscht werden. Dafür kauften die Eisenbahner dann gern Waren, im internationalen Verkehr geforderten Reisekomfort aufwiesen. triebwagen liefern. Beim Waggonbau Görlitz entstanden in den fol- die in der DDR nicht zu bekommen oder sogar verboten waren. Wer Auch eine erstaunlicherweise noch im Juli 1961, also am Vorabend genden fünf Jahren insgesamt acht Triebzüge der Bauart Görlitz. Ab dabei ertappt wurde, bekam keine Dokumente mehr für den Ausland- des Mauerbaus, geplante Übernahme weiterer vier SVT der Bauart 31. Mai 1964 erfolgten die ersten Regeleinsätze des VT 18.16.01 seinsatz. Auch ein unangemessenes Verhalten im Ausland, negative „Köln“ und diverser Ersatzteile von der DB kam wohl aufgrund auf der neu eingerichteten Verbindung nach Kopenhagen, bei der der Äußerungen bezüglich der DDR, Hinweise auf Republikflucht oder der politischen Ereignisse nicht zustande. Neptun nun trajektiert wurde. Weil nur ein Zug der Bauart Görlitz sonstige Verstöße gegen die strengen Regeln führten sofort zum Aus- Da einige der Berliner SVT nach dem „Mauerbau“ außerdem zur Verfügung stand, wurde im Wechsel mit SVT „Köln“ gefahren. schluss aus dem Kreis der international eingesetzten Eisenbahner. völlig artfremde Leistungen auf den vom Rumpfnetz abgetrennten Um die internationalen Verkehrsverpflichtungen erfüllen zu können, Radialstrecken im Vorortverkehr des Berliner Umlandes überneh- mussten noch fünf SVT „Köln“ im Rahmen einer Generalreparatur Unübersehbare Alterserscheinungen men mussten, kam es der DR sicher gelegen, dass im Mai 1962 modernisiert werden. Für die ab 1966 erforderlichen Einsätze als wieder ausländische Bahnen einige internationale Verbindungen Vindobona, wurden die SVT „Köln“ für den vierteiligen Betrieb Die doch schon recht betagten Altbautriebwagen wurden bei den mit ihren Triebwagen übernahmen. Die DR konnte nun mit ihren hergerichtet: Da ein bestimmtes Platzangebot gefordert war, kuppel- angestrengten Einsätzen ins Ausland stark beansprucht. Vor allem SVT eine Eilzugverbindung E 327/328 von Berlin nach Stendal te die DR die vierteiligen „Kölner“ mit zweiteiligen „Hamburgern“. auf den Kursen nach Wien und Budapest dürfte den Wagen das anbieten. Im Winterfahrplan kamen mit dem „Städteschnellver- Der Triebwagenführer Conrad Schimmer berichtet in diesem Zu- letzte abverlangt worden sein. Die Triebwagen der Bauart Leip- kehr“ D 1170/1173 und D 142/1171 weitere Binnenverkehrsver- sammenhang von massiven Problemen, weil die umgebauten SVT zig, die einen zusätzlichen Mittelwagen erhalten hatten, sind damit bindungen zwischen Berlin und Magdeburg hinzu. „Köln“ schneller anzogen, als die etwas trägeren SVT Hamburg. Eine

52 BAHN Epoche · Frühjahr 2015 Frühjahr 2015 · BAHN Epoche 53 „FLIEGENDE ZÜGE“

Fahrt in Vielfachsteuerung war nicht möglich. Die Triebwagenführer auf den beiden Zügen mussten die Züge feinfühlig steuern und sich dabei über Klingelsignale verständigen. Auch bei schonender Fahrweise waren die Fahrzeu- ge den Anforderungen auf der Strecke Berlin – Wien nicht gewachsen. Nach wenigen Mo- naten kamen nur noch SVT der Bauart Görlitz auf dieser Relation zum Einsatz. Mit Auslieferung weiterer SVT der Bauart Görlitz, wurden immer mehr Altbautriebwa- gen freigesetzt und konnten auf Inlandsver- bindungen genutzt werden. Ab 1967 kamen Letzte Fahrten in der neuen Farbgebung. In Creme-Rot ist 182 009/509/010 (ex VT 137 die Vorkriegs-SVT auch auf den Strecken 856) als Ex 162 von Leipzig in Flughafen Berlin-Schönefeld eingetroffen; Mai 1978. von Berlin nach Frankfurt/Oder, Neubran- denburg und auf der spöttisch auch als „Sor- benschleuder“ bezeichneten Verbindung zwischen Berlin und Bautzen (D 580/587) zum Einsatz. Ab 1. Juni 1969 setzte die DR die SVT „Köln“ noch für einige Wochen als Ex 147/148 Karlex nach Karlovy Vary. Mit Wegfall der Leistung nach Wien wurden diese aber dann von SVT „Görlitz“ abgelöst. Damit wurde kein Altbautriebwagen der DR mehr planmäßig im internationalen Dienst eingesetzt. Im Binnenverkehr kamen 1970 mit Ex 2/3 und Ex 6/7 zwei schnelle Verbin- dungen zwischen Berlin und Leipzig hinzu. Die Letzten der einst Stolzen In den siebziger Jahren wurden eine ganze Reihe teilweise schon jahrelang abgestellter Triebwagen ausgemustert. 1975 waren mit 137 225, 273, 278, 853 und 856 nur noch wenige SVT älterer Bauart im Einsatzbe- Drei „Fliegende“ Züge konnten am 30.08.2009 in Delitzsch im Rahmen einer Fahrzeugaus- stand. 1978 mussten die beiden „Kölner“ stellung besichtigt werden. Während der SVT 137 225 (m.) von der BSW-Gruppe Leipzug Süd be- 137 273 und 856 aufgrund der angespannten treut wurde und die Aufarbeitung des SVT 137 234 (l.) vom EK finanziert wurde, verrottete der Instandhaltungssituation nochmals für eini- 1992 als Ersatzteilspender nach Leipzig geschleppte 137 856 (r.) immer mehr. Eine kleine Gruppe ge Zeit als Ex 162/163 zwischen Berlin und von Eisenbahnenthusiasten wollte den Verfall nicht hinnehmen und gründete im Januar 2000 Leipzig für die SVT „Görlitz“ einspringen. den Förderverein „Diesel-Schnelltriebwagen (SVT)“. Hauptaufgabe des Vereins war und ist es, Dann dienten sie noch als Reserve, bis auch die Aufarbeitung der noch erhaltenen SVT zu unterstützen, ein Kontaktforum für alle am SVT sie 1979 und 1980 endgültig abgestellt wur- Interessierten zu bieten und Quellen- und Dokumente zum Thema für die Nachwelt bewahren. den. Später wurden sie noch etliche Jahre als fahrbare Büros und Ersatzteillager genutzt. Den Salontriebwagen 137 225 stellte die DR 1981 ab und über- geschützter Abstellort für das inzwischen kaltgestellte Fahrzeug eignete ihn dem Verkehrsmuseum Dresden. Zuvor diente er hoch- gefunden werden, das derzeit dem DB Museum Nürnberg gehört. rangigen Regierungsmitgliedern oder Eisenbahnern. Der Salontriebwagen 183 234 (ex 137 225) der Bauart Leipzig In meiner Lehrzeit erlebte ich eine Reparatur des Fahrzeugs: war schon seit 1973 nicht mehr von der DDR-Regierung genutzt Nachdem der SVT in den Triebwagenschuppen eingefahren war, worden, hatte aber jahrelang im S-Bahn-Schuppen Velten einen wurde er sofort von zwei Transportpolizisten mit Kalaschnikow- geschützten Abstellplatz. Nach 1990 konnte der Eisenbahn-Kurier Gewehren bewacht. Alle Handwerker, die an dem Zug arbeiten woll- Verlag das Fahrzeug übernehmen. Im Bw Leipzig Hbf Süd wurde ten, mussten einen Ausweis vorzeigen. Auch ich bekam vom TU- es äußerlich aufgearbeitet. Heute steht der SVT leider vor der Wit- Gruppenleiter einen Zettel, der mich zum Betreten des Triebwagens terung recht ungeschützt in Delitzsch. berechtigte. Ich war erstaunt, wie eng der Führerstand war. Am Die- Ein SVT der Bauart Köln, der 137 856 diente nach seiner Aus- selmotor war eine Muffe undicht, also mussten wir die Verkleidung musterung als Baubüro. Er wurde nach der Wende als Ersatzteil- abnehmen. Dann klemmte sich ein Schlosser zwischen Fahrzeugrah- spender für den 137 234 gekauft und anschließend zum Bw Leip- men und Motor um die Dichtung zu wechseln. Der Kühlkreislauf zig Hbf Süd überführt. Im Jahr 2000 ging er an den zum selben war bald wieder dicht. Der SVT ging wieder in den Einsatz. Zeitpunkt gegründeten Förderverein Dieselschnelltriebwagen e. V. 1991 konnte der 137 225 im Bw Leipzig Hbf Süd aufgearbeitet über. Im ehemaligen Raw Leipzig-Engelsdorf, später im „Schie- werden. Am 20. November absolvierte er seine Abnahmefahrt mit nenfahrzeugwerk“ (SFW) und bei der Euromaint Rail GmbH in Tempo 176 km/h (Hg 160 km/h plus 10 %) zwischen Hamburg- Delitzsch wurden alle Wagenteile aufgearbeitet und konserviert. Altona und Rotenburg (Wümme) auf der Bremer Schiene und war Der Förderverein hofft, die Sanierung des Triebwagens 2015 ab- dann einige Jahre als betriebsfähiges Museumsfahrzeug im Ein- schließen zu können, um ihn dann als betriebsfähigen Ausstellungs- satz. In der Halle des Leipziger Hauptbahnhofs konnte ein recht oder Konferenzzug anbieten zu können.  WOLFGANG DATH Weibliche Reinigungsbrigade beim Putzen eines Triebwagenkopfes (VT 137 der Bauart Köln) im Bahnhof Stendal; 14. März 1969.

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