Am Ende Des Weges Lukas 20,38 / Ewigkeitssonntag (24.11.2019)
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Am Ende des Weges Lukas 20,38 / Ewigkeitssonntag (24.11.2019) Ihr, die ihr mich geliebt habt, seht nicht auf das Leben, das ich beendet habe, sondern auf das, welches ich beginne. Aurelius Augustinus (354-430) I. Der Tod reißt eine Lücke, die – hier auf Erden – nicht zu schließen ist, weil jeder Mensch und jede Kreatur einzigartig ist. Dass jemand nicht mehr ist, nie mehr, und doch zu uns gehörte und selbstverständlicher Teil unseres Lebens war, macht traurig, immer wieder. Keiner muss sich seines Kummers darüber schä- men, seiner Klagen, seines Protests gegen die Endgültigkeit eines solchen Ver- lusts. Es hilft nicht, den Schmerz zu überspielen, zu sagen, die Zeit heile alle Wun- den. „Die Zeit heilt nicht alle Wunden, sie lehrt uns nur, mit dem Unbegreiflichen zu leben.“ (Rainer Maria Rilke). Dies aber braucht tatsächlich seine Zeit. So kommt für Trauernde zu dem Schmerz des Verlustes die Erfahrung der Un- gleichzeitigkeit hinzu. Sie erleben sich als nicht mehr zugehörig mit den anderen, den Freunden, ihren Kollegen, den Vereinskameraden, auch den Mitchristen. Für die geht das Leben in den gewohnten Bahnen weiter, selbst wenn sie innehalten und Mitgefühl zu bezeugen. Obwohl Freunde sich auf ihre Situation einlassen, bleiben Trauernde in einer anderen Welt. Was sie erleben – den Stillstand des Lebens, die Leere der Tage, den holen Klang der Worte, das Ende aller Vergnü- gungen –, dies berührt die anderen nur. Sie können dies lediglich von außen wahrnehmen. Der Lauf der Dinge, ihre Geschäfte, das Leben geht weiter. Wie lange noch...? Ich meine: Wie lange noch geht es für mich weiter – Tag für Tag, Jahr für Jahr? Schon wieder eine Woche rum, ein Sommer vorüber, noch mal ein Weihnachten, den nächsten Geburtstag nicht vergessen... Wir lieben diese Gleichförmigkeit. Dadurch fühlen wir uns sicher. Und zugleich wissen wir – dieser Sonntag und der Volkstrauertag zuvor erinnern uns –, kein irdisches Leben währt ewig. Irgendwann kommt das Ende des Weges in den Blick, auch wenn wir uns davor abwenden, selbst wenn wir das Schöne bewusst auskosten. Zwei Fra- gen stellen sich, wenn es ernst wird, wenn wir das Ende des Weges sehen: Wie gehen wir mit dem Tod um? Und was kommt nach dem Tode? II. Es gibt Abschiedsworte, die gehen einem zu Herzen, auch wenn sie nicht uns meinen. Leonard Cohen, der kanadische Dichter, der zum Sänger wurde und dann beides war, hat einen solchen geschrieben vor drei Jahren und ihn per E- Mail von Los Angeles aus an den Norweger Jan Christian Mollestad geschickt, einem engen Freund der Frau, mit der Cohen in den Sechzigerjahren zusammen war. Mollestad hatte Cohen aus Oslo berichtet, dass Marianne Ihlen dort im 1 Sterben liegt. Cohen, der ebenfalls schwerkrank war, antwortete aus dem fernen Amerika mit einigen ergreifenden Zeilen. Mollestad las Marianne Ihlen die Ab- schiedsworte ihres ehemaligen Liebhabers vor. Sie hat sie noch bei Bewusstsein gehört. Zwei Tage später, am 28. Juli 2016 starb sie. In dem amerikanischen Kulturmagazin The New Yorker zitierte der Chefredak- teur David Remnick den Abschiedsbrief in einem Porträt Leonard Cohens: "Liebste Marianne, ich bin nur ein kleines Stückchen hinter dir, nah genug, um deine Hand zu nehmen. Mein alter Körper hat aufgegeben, ganz so wie es deiner getan hat, und es kann nur noch Tage dauern, bis der Räumungsbefehl abge- schickt wird. Ich habe deine Liebe und deine Schönheit nie vergessen. Aber das weißt du. Ich muss nicht mehr sagen. Gute Reise, alte Freundin. Wir sehen uns am Ende der Straße. In Liebe und Dankbarkeit, Leonard.“ Das Bewegende dieser Worte ist: Sie schaffen eine Verbundenheit über räumli- che und zeitliche Entfernung hinweg. Als Überbringer der Botschaft stellt der Freund eine Verbindung her zwischen zwei Sterbenden, die sich geliebt haben. Was in den Jahrzehnten, seitdem sie sich trennten, in den Leben der sich einst- mals Liebenden geschehen ist, das wissen nicht einmal sie voneinander. Aber die Worte Leonard Cohens bezeugen: Du bist nicht allein. Mit dem Brief hat sich ein Kreis geschlossen, als sei der Dichter und Sänger erneut anwesend im Leben der Frau, die ihn einst liebte und der er 50 Jahre zuvor sein Lied widmete: "Now so long, Marianne, it's time that we began / To laugh and cry and cry and laugh about it all again.“ III. Zwei Fragen stellen sich, wenn es ernst wird, wenn wir das Ende des Weges ah- nen: Wie gehen wir mit dem Tod um? Und was kommt nach dem Tode? Es gehört zur Würde des Menschen, sich diesen Fragen stellen. Die Antwort auf die erste Frage lautet: Dass wir einander beistehen im Sterben, uns nicht abwenden, wenn der Abschied naht und das Gerede aufhört. Dies verbindet uns ja mit allen Krea- turen, dass wir sterbliche Wesen sind und welche Angst uns dies macht, wie trau- rig uns dies sein lässt. So zu empfinden, ist Ausdruck unserer Menschlichkeit. Wir sollen unsere Ohnmacht nicht leugnen, nicht überspielen, sondern einander die Hand reichen: „Ich bin nur ein kleines Stückchen hinter dir, nah genug, um deine Hand zu nehmen. ... Wir sehen uns am Ende der Straße.“ Was kommt nach dem Tode? Wo endet unser Lebensweg? Im Nirgendwo? Mit- unter gibt es Sackgassen. Das sind Straßen, die nicht weiterführen. Sie enden an einem toten Punkt, in einem Dickicht, an einer Wand. Meint der Dichter und Sänger mit seinem Bild vom Ende der Straße eine solche Sackgasse? Oder denkt er eher an das Ziel, auch wenn er dieses nicht klar benennt? In der Regel führen Straßen zu einem Ziel. Deswegen machen wir uns ja auf den Weg, damit wir an- kommen, wo wir hinmöchten, manchmal auch hinmüssen, wo wir erwartet wer- den und Anderes erleben als dort, wo wir immer schon sind. Können wir davon 2 ausgehen: Da kommt noch etwas? Dürfen wir glauben: Überraschendes, Großes, ja Schönes erwartet uns „am Ende der Straße“? Die Frage, ob es am Ende der Straße weitergeht, in einen Morgen, der hell und herrlich ist, in ein Leben, das ewig, in ein Land, das keine Grenzen kennt, ist eine Glaubensfrage. Deshalb darf der Glaube auch eine Antwort geben: nicht besser- wisserisch, eher tastend, aber hoffnungsvoll. Auf die bange Frage, was aus denen wird, die gestorben, geht der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Thes- salonicher (4,14.18) ein. Er antwortet den Angehörigen der Gemeinde, die um ihre Toten trauern: „Wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die da entschlafen sind, durch Jesus mit ihm (in ein neues Leben) führen. ... So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.“ Mit anderen Worten: Wenn es Gott gibt, ist er Herr über Leben und Tod. Wenn er gerecht ist, wird er es am Ende recht machen. Wenn er gütig ist, wird seine Liebe stärker sein als die Furcht. Wenn er uns liebt, wird er an uns nachholen, was er an seinem Sohn Jesus Christus vorgemacht hat. – Wird er das? Ist er das? IV. Der Sänger und Poet Leonard Cohen, der Liebhaber und Liebling der Frauen, ein Künstler der Liebe und des Leidens (an einem Gott und an den Menschen), sang am Ende ein gebrochenes Halleluja („Broken Hallelujah“). Aber er sang das „Hal- leluja“, diesen hebräischen Imperativ, Gott zu loben. Inmitten seiner spirituellen Suche, die ihn für mehrere Jahre auch in ein buddhistisches Zen-Kloster führte, hat er mit dem Glauben seiner Väter nie gebrochen. Sein Ringen um Worte, um Liebe, um Gott ist geprägt von der jüdischen Religion. Er blieb religiös bis an sein Ende. Kurz nach dem Tod der Geliebten starb er selber, im Alter von 82 Jahren als Angehöriger des Volkes, das Gott als erstes erwählte. „Magnified, sanctified be thy holy name“, singt er auf einem seiner letzten Lieder. Seine Stimme hatte sich da längst in ein heißeres Brummen verwandelt. „Erhoben und geheiligt werde sein großer Name“, dies sind die Eröffnungsworte des Kaddisch *, des jüdischen Toten- und Trauergebets, das kein Wort über Ver- lust verliert, sondern nur die Herrlichkeit des Ewigen preist. Dieses wichtige jü- dische Gebet ist ein einziger Lobpreis Gottes! Es entspringt der Überzeugung: Gerade im Schatten des Todes und der Trauer muss Gott gepriesen und sein Name „vergrößert“ werden, weil der Tod eines Menschen die Schöpfung etwas weniger vollkommen macht. Und weil wir nicht Kinder des Todes, sondern Kin- der Gottes sind. „Gott (aber) ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden, denn in ihm leben sie alle“, heißt es im Neuen Testament (Lukas 20,38). Und so schließt das christliche Glaubensbekenntnis mit dem Glauben an die Auferste- hung: „Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“ Lied: EG 154, 1-5 „Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt“ 3 *Das Kaddisch ist ein Gebet, mit dem Juden Gott loben. Sie sprechen es in Gottesdiensten und am Lager eines gerade Verstorbenen. Darum heißt es auch Totengebet. Mit dem Kaddisch möchten Juden Gott nach ihrem Leben auf der Erde noch einmal für alles danken und ihn loben. Als Verstorbene können sie aber selbst natürlich nicht mehr beten. Daher spricht dann ein männlicher Verwandter oft das letzte Kaddisch für sie. Erhoben und geheiligt werde sein großer Name auf der Welt, die nach seinem Willen von ihm erschaffen wurde sein Reich soll in eurem Leben in den eurigen Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel schnell und in nächster Zeit erstehen. Und wir sprechen: Amen! Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten. Gepriesen sei und gerühmt, verherrlicht, erhoben, erhöht, gefeiert, hocherhoben und gepriesen sei Name des Heiligen, gelobt sei er, hoch über jedem Lob und Gesang, Verherrlichung und Trostverheißung, die je in der Welt gesprochen wurde, sprechet Amen! Fülle des Friedens und Leben möge vom Himmel herab uns und ganz Israel zuteilwerden, sprechet: Amen. Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, stifte Frieden unter uns und ganz Israel, sprechet: Amen.