Plenarprotokoll 19/18

Deutscher

Stenografscher Bericht

18. Sitzung

Berlin, Freitag, den 2. März 2018

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung. 1513 A Tagesordnungspunkt 14: Berufung von mitwirkungsberechtigten Mit- Erste Beratung des von den Abgeordneten gliedern des Europäischen Parlaments. 1513 B , , Marcus Bühl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs eines Drei- Tagesordnungspunkt 13: undsechzigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Gesetz zur Festschreibung a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der deutschen Sprache als Landessprache) SPD: Den INF-Vertrag als Grundpfeiler Drucksache 19/951. 1521 D atomarer Sicherheitsarchitektur und Kernelement europäischer Sicherheit Stephan Brandner (AfD). 1522 A erhalten (CDU/CSU). 1524 A Drucksache 19/956. 1513 B (AfD). 1525 B b) Antrag der Abgeordneten , Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD)...... 1525 D , Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion (FDP). 1527 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Glaubhaf- Armin-Paulus Hampel (AfD). ter Einsatz für Nukleare Abrüstung – 1527 C Nationale Handlungsspielräume nutzen Detlev Spangenberg (AfD). 1528 A Drucksache 19/976. 1513 C (DIE LINKE). 1528 C Dr. Rolf Mützenich (SPD) . 1513 D (BÜNDNIS 90/ Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . 1515 A DIE GRÜNEN). 1529 C Dr. Anton Friesen (AfD). 1515 C (CDU/CSU) . 1531 A Alexander Müller (FDP). 1516 B (SPD). 1532 C Axel Müller (CDU/CSU). 1534 A Rüdiger Lucassen (AfD). 1517 B Alexander Müller (FDP). 1517 C Tagesordnungspunkt 15: Heike Hänsel (DIE LINKE). 1517 C a) Erste Beratung des von den Abgeordne- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 1518 C ten , Alexander Graf Jürgen Hardt (CDU/CSU). 1519 C Lambsdorff, , weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP (CDU/CSU). 1520 C eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Armin-Paulus Hampel (AfD). 1521 B zu dem umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen vom 30. Oktober Thomas Erndl (CDU/CSU). 1521 C 2016 zwischen Kanada einerseits und II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

der Europäischen Union und ihren Mit- (SPD). 1550 B gliedstaaten andererseits Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE). Drucksache 19/958. 1535 B 1551 C b) Antrag der Abgeordneten , Jan Ralf Nolte (AfD). 1551 C , , weite- (FDP). 1552 C rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den Rechtsstaat stärken – Mul- Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ tilateralen Investitionsgerichtshof ab- DIE GRÜNEN). 1553 D lehnen und Paralleljustiz für Konzerne Bettina Margarethe Wiesmann stoppen (CDU/CSU). 1554 C Drucksache 19/97. 1535 B (SPD). 1555 D (FDP) . 1535 C (CDU/CSU) . 1556 C (CDU/CSU). 1536 C Zaklin Nastic (DIE LINKE). 1557 A (SPD). 1538 A Tobias Pfüger (DIE LINKE) . 1557 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 1538 C Hansjörg Müller (AfD). 1539 B Tagesordnungspunkt 17: Alexander Hoffmann (CDU/CSU). 1539 D Antrag der Abgeordneten Beate Müller- Gemmeke, , Sven Lehmann, wei- Klaus Ernst (DIE LINKE) . 1540 D terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (FDP). 1541 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Perspektiven für langzeitarbeitslose Menschen durch ei- Dr. (CDU/CSU). 1541 D nen Sozialen Arbeitsmarkt ermöglichen Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/591. 1559 A DIE GRÜNEN). 1542 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Dr. (CDU/CSU). 1544 A DIE GRÜNEN). 1559 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . 1545 A (CDU/CSU). 1560 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 1545 D DIE GRÜNEN). 1560 C Fabio De Masi (DIE LINKE). 1546 B (SPD). 1562 A Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU). 1546 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Markus Töns (SPD) . 1547 A DIE GRÜNEN). 1562 D Kerstin Tack (SPD). 1563 B René Springer (AfD). 1563 C Tagesordnungspunkt 16: (FDP) . Antrag der Abgeordneten Norbert Müller 1564 C (Potsdam), , Dr. , Sabine Zimmermann (Zwickau) weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE (DIE LINKE) . 1565 C LINKE: Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden (CDU/CSU). 1566 C Drucksache 19/475. 1547 D (Wetzlar) (SPD) . 1567 C (CDU/CSU). 1568 B in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 6: Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Antrag der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, der AfD: Diesel: Motor der deutschen Indus- Agnieszka Brugger, Katja Keul, weiterer Ab- trie/Fahrverbote wegen Luftreinhaltungs- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ vorgaben. 1569 C DIE GRÜNEN: Keine Rekrutierung Min- derjähriger in die Bundeswehr Dr. Rainer Kraft (AfD). 1569 C Drucksache 19/979. 1548 A , Parl. Staatssekretär BMVI. 1570 D Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE). 1548 A Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin (CDU/CSU) . 1549 B BMUB. 1572 D Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018 III

Frank Sitta (FDP). 1574 C Berichtigung. 1587 D (DIE LINKE). 1575 C (BÜNDNIS 90/ Anlage 1 DIE GRÜNEN). 1576 D Liste der entschuldigten Abgeordneten. 1589 A (CDU/CSU). 1578 C Kirsten Lühmann (SPD). 1579 C Anlage 2 Dr. (AfD). 1580 D Neudruck der Ergebnisse und des Namens- verzeichnisses der Mitglieder des Deutschen (CDU/CSU). 1582 A Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des (SPD). 1583 B Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilge- nommen haben Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU). 1584 A (17. Sitzung, Tagesordnungspunkt 9 d, Anla- (SPD). 1585 C ge 4) . 1590 A (CDU/CSU). 1586 C Anlage 3 Nächste Sitzung . 1587 D Amtliche Mitteilungen. 1549 A

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18. Sitzung

Berlin, Freitag, den 2. März 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte NIS 90/DIE GRÜNEN nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Glaubhafter Einsatz für Nukleare Abrüs- tung – Nationale Handlungsspielräume nut- Interfraktionell ist vereinbart worden, die von der zen Fraktion der AfD verlangte Aktuelle Stunde mit dem Ti- tel „Diesel: Motor der deutschen Industrie/Fahrverbote Drucksache 19/976 wegen Luftreinhaltungsvorgaben“ als letzten Tagesord- Überweisungsvorschlag: nungspunkt aufzurufen. Sie sind damit einverstanden? – Auswärtiger Ausschuss (f) Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Verteidigungsausschuss sen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Gemäß § 93b Absatz 8 unserer Geschäftsordnung sind die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Sie sind damit (B) auf Vorschlag der Fraktionen deutsche Mitglieder des Eu- einverstanden? Dann ist das so beschlossen. (D) ropäischen Parlaments zu berufen, die an den Sitzungen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäi- Dr. Rolf Mützenich, SPD-Fraktion. schen Union teilnehmen können. Anzahl und Verteilung sind jedoch nicht vorgeschrieben, sondern müssen nach (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wahlen zum Europaparlament oder zum Deutschen Bun- der CDU/CSU) destag neu festgelegt werden. Die Fraktionen haben sich auf insgesamt 16 mitwirkungsberechtigte Mitglieder des Dr. Rolf Mützenich (SPD): Europäischen Parlaments verständigt. Davon entfallen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und auf die CDU/CSU sieben Mitglieder, auf die SPD fünf, Kollegen! Ein nuklearer Schatten legt sich erneut über auf Bündnis 90/Die Grünen zwei sowie auf die FDP und unsere Welt. In Hawaii gab es Fehlalarm. Menschen ver- Die Linke jeweils ein Mitglied. Sind Sie damit einver- abschiedeten sich von ihren Verwandten, von ihren Fa- standen? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch milien, weil man glaubte, eine nordkoreanische Atomra- das so beschlossen. kete sei im Anfug. In Japan gibt es wöchentlich Übungen Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b für Kinder, in Atombunker zu gehen. In den USA wird auf: eine neue Doktrin über einen Erstschlag durch Atomwaf- fen mit geringerer Sprengkraft erlassen. In Europa wird a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ angesichts der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim CSU und SPD durch Russland unser Nachbar Dänemark mit einem Atomschlag bedroht. Der russische Präsident fabuliert Den INF-Vertrag als Grundpfeiler atomarer von der Inkraftnahme der russischen Atomraketen. Wer Sicherheitsarchitektur und Kernelement eu- immer noch nicht glaubt, dass ein nuklearer Schatten auf ropäischer Sicherheit erhalten der Welt liegt, der muss sich nur noch einmal die Bilder von gestern Abend anschauen, als der russische Präsident Drucksache 19/956 vor dem Hintergrund von anfiegenden Raketen und Ani- Überweisungsvorschlag: mationen erneut über einen bevorstehenden Atomkrieg Auswärtiger Ausschuss (f) fabulierte. Verteidigungsausschuss Alles das sind Dinge, die Europa unmittelbar betref- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja fen. Ich befürchte, dass wir Zeitzeugen einer solchen Keul, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner, Auseinandersetzung werden können. Umso mehr muss 1514 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Dr. Rolf Mützenich (A) die Bundesregierung und muss der Deutsche Bundestag Russland Raum für vertrauensbildende Verhandlungen (C) alles dafür tun, dass es nicht dazu kommt. zu geben. Ich glaube, dass diese Probleme zwischen die- sen beiden Ländern bilateral gelöst werden können. Die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NATO darf nicht instrumentalisiert werden. der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Deswegen diskutieren wir heute über einen Antrag, der in diesem Kontext steht: Der INF-Vertrag hat einst Meine Damen und Herren, weitere Beiträge hier – da das Verbot und die Vernichtung von landgestützten Mit- bin ich mir relativ sicher – werden sich auch mit den telstreckenraketen möglich gemacht hat. Er ist wieder Kurzstreckenraketen in Deutschland befassen. In der Tat, in Gefahr. Ich bin dankbar, dass es nach den Koalitions- ich war einige Zeit für einseitige Schritte. Aber die Er- verhandlungen so schnell gelungen ist, einen gemeinsa- fahrungen des damaligen Bundesaußenministers Fischer, men Antrag auf den Weg zu bringen. Das deutet Gutes aber auch die Anstrengungen des ehemaligen und ver- an, nämlich dass wir dieses Thema auch in Zukunft be- storbenen Außenministers Westerwelle – großer Auf- sprechen werden. Aber ich würde mir wünschen, dass wand und geringer Erfolg – haben mich nicht nur eines wir versuchen, diesen Antrag später vielleicht auch ge- Besseren belehrt, sondern auch zu der Meinung geführt: meinsam zu bereichern, mit anderen Parteien; denn ich Wenn wir diesen Weg gehen und den einseitigen Abzug glaube, es gibt ein gemeinsames Interesse, und es darf aus unserem Land bewerben würden, löste dies keines der keine ideologischen Trennlinien geben, zumindest nicht Probleme, auch nicht auf russischer Seite. Ich befürchte in dieser Frage. vielmehr: Es brächte neue Unsicherheiten nach Europa. Wir sind immer wieder mit Nachrichten vonseiten der Meine Damen und Herren, warum haben wir uns dazu polnischen Regierung konfrontiert, und zwar des Inhalts, entschlossen, heute über den INF-Vertrag zu sprechen? dass sie diese Kurzstreckensysteme sehr gern in ihrem Weil er ein Vorbild und ein Anker für andere Abkommen Land stationieren würde, wenn sie denn aus Deutschland gewesen ist und insbesondere der Vertrauensbildung ge- abgezogen würden. Das brächte doch neue Unsicherheit. dient hat – ein hohes Gut für Europa! Dieser Vertrag hat das Dilemma auch von Abrüstung und Rüstungskontrolle (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) letztlich aufgelöst. Manchmal führen nämlich Abrüstung und Rüstungskontrolle auch zur Modernisierung von Das zeigt noch einmal: Die alleinige Fokussierung auf Waffensystemen. Der INF-Vertrag ist ein Nichtrüstungs- unser Land bringt am Ende nicht mehr Sicherheit für uns vertrag von hoher Qualität geworden, und das hat Stabi- alle. lität nach Europa gebracht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (B) Umso bedauerlicher und auch gefährlicher ist es, dass (D) sich die USA und Russland in den vergangenen Jahren Meine Damen und Herren, wir schlagen deswe- gegenseitig die Verletzung dieses Vertrages vorgeworfen gen einen anderen Weg vor. Wir müssen die taktischen haben. Alle, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz Atomwaffen in Europa als Problem der konventionellen waren, haben gemerkt, dass dieses Thema bei den Dis- Disparitäten sehen. Es war daher klug und richtig und kussionen eine große Rolle spielt. Auf der einen Seite wurde von uns Sozialdemokraten sofort und nachhal- werfen die USA Russland vor, neue Systeme an den eu- tig unterstützt, als der damalige Außenminister Frank- ropäischen Außengrenzen zu stationieren. Auf der ande- Walter Steinmeier gesagt hat: Innerhalb der OSZE muss ren Seite wird die Raketenabwehr von Russland in der über konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle Diskussion angeführt und gesagt, dass auch hierdurch gesprochen werden, um in diesem Korsett die Frage der eine Verletzung des INF-Vertrags passiert. Wir sollten vollständigen Abschaffung und Vernichtung von takti- uns daran erinnern, dass es in der Tat ein Fehler gewesen schen Atomwaffen zu behandeln. ist, dass es uns in Europa, nachdem Präsident Bush 2002 den ABM-Vertrag einseitig gekündigt hat, nicht gelun- Wir diskutieren heute über zwei Dinge. Es geht ers- gen ist, die USA von einem alternativen Vertrag zu über- tens darum, den INF-Vertrag zu sichern, weil er letztlich zeugen. Gestern hat die Pressekonferenz von Putin noch die Stabilität für Europa gewährleistet. Er ist ein Anker- einmal sehr deutlich gemacht, dass letztlich gerade die punkt für Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir müssen Raketenabwehr zu Unsicherheit in Europa führt. Ich for- zweitens der künftigen Bundesregierung deutlich ma- dere die Bundesregierung, aber auch den Bundestag auf, chen, dass sich Abrüstung und Rüstungskontrolle lohnen. in Zukunft noch viel stärker wieder über ein vertragsge- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. stütztes System für die Raketenabwehr zu sprechen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Umso mehr gilt, meine Damen und Herren: Wir wol- [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) len den INF-Vertrag verteidigen. Wir unterstützen keine Pläne für neue Forschung oder Entwicklung von Mit- telstreckenraketen. Wir Sozialdemokraten würden einer Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland Nächster Redner ist der Kollege Dr. , nicht zustimmen. Umso mehr werben wir Sozialdemo- CDU/CSU-Fraktion. kraten für eine geschlossene Haltung in Europa. Nach meinem Dafürhalten ist es das beste Mittel, den USA und (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1515

(A) Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): Was ist dort möglich? Was ist dort vorstellbar? Moskau (C) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- muss auch wissen, dass es im Zweifel auch eine Antwort ren! Ich will beginnen wie der Kollege Mützenich. Wir geben wird, die zwar nach unserer Vorstellung in keinem sind in einer außenpolitischen und sicherheitspolitischen Fall in einer neuen Rüstungsspirale enden soll, die aber Situation, die so kritisch ist wie noch nie seit 1990. Sie auch nicht aus einer falsch verstandenen Nachgiebigkeit haben die Ukraine erwähnt. Wir können auch nach Syrien bestehen darf. An dieser Stelle zu schweigen, wäre ein schauen, wo die Kriegshandlungen von russischer, von schwerer sicherheitspolitischer Fehler. Deshalb brau- iranischer und leider auch von türkischer Seite fortge- chen wir hier Klarheit, Offenheit und Vertragstreue von setzt werden. Wir haben das hier schon diskutiert. Es gibt Moskau sowie Standfestigkeit unsererseits im westlichen die Bedrohung von Japan, einem engen Bündnispartner Bündnis. unsererseits, durch Nordkorea. Wir haben gestern einen Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. russischen Präsidenten erlebt, der neue Waffensysteme vorgestellt hat, und das in einer Stimmung, die man fast (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- als diebische Freude bezeichnen kann. Es geht um intel- ordneten der SPD und der FDP) ligente, nuklearbestückte Waffensysteme zu Wasser und zu Luft. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: In dieser Situation muss man zweierlei sagen: Erstens. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Anton Friesen, Deutschlands und Europas Sicherheit hängt davon ab, AfD-Fraktion. dass wir fest im westlichen Bündnis stehen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der FDP) Dr. Anton Friesen (AfD): Zweitens. Deutschland sieht sich der Abrüstung und Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Rüstungskontrolle sowie vertraglichen Vereinbarungen, und Herren Abgeordneten! Liebe Bürger auf der Be- die wir eingegangen sind, verpfichtet. Jede Regelverlet- suchertribüne! Die Atomkriegsuhr steht auf zwei vor zung – ich nenne beispielsweise die Verletzung des Bu- zwölf. So hoch schätzen derzeit renommierte Experten dapester Vertrages durch Annexion der Krim oder eine und Atomphysiker die Gefahr eines Nuklearkrieges ein. Verletzung des INF-Vertrages – ist ein Beitrag zur Unsi- Nur ein einziges Mal stand die Menschheit so nah vor cherheit und muss von uns deshalb sanktioniert werden. dem Abgrund; das war 1953 mitten im beginnenden Wir dürfen im sicherheitspolitischen Bereich keine Ver- Kalten Krieg. Internationale Vertragswerke zur atoma- tragsverletzungen in Europa und in dieser Welt dulden. ren Abrüstung wie der INF-Vertrag, der die Abschaffung (B) von nuklearen und konventionellen Mittelstreckenra- (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- keten vorsieht, oder der zur Reduzierung strategischer ordneten der SPD und der FDP) Atomwaffen und ihrer Trägersysteme überlebenswichti- ge New-START-Vertrag stehen vor dem Scheitern bzw. Herr Kollege Mützenich, Sie sprachen davon, dass die drohen nach ihrem Auslaufen nicht verlängert zu werden. NATO nicht instrumentalisiert werden darf. In diesem Punkt unterscheide ich mich von Ihnen. Wenn es eine Die USA und Russland werfen sich gegenseitig Be- Lehre aus der Zeit des NATO-Doppelbeschlusses gibt – schuldigungen an den Kopf, wer durch was die Ver- er wurde ja sozusagen kreiert von Helmut Schmidt, dem tragswerke verletzt habe, und rüsten, wie die übrigen früheren Bundeskanzler aus Ihrer Partei –, dann ist es Atommächte dieser Welt, munter auf. Beispiele dafür die, dass Festigkeit im westlichen Bündnis und die Be- gibt es zur Genüge; wir hatten gestern eins. Als weitere reitschaft zur Sicherheitskooperation mit Russland und Beispiele nenne ich die Modernisierung der Atomwaffen mit anderen notwendig sind. Das ist das Konzept, mit der Vereinigten Staaten und die Entwicklung sogenann- dem wir Sicherheit gewährleisten können. Unsicher- ter Mini-Nukes. Der US-amerikanische Senat will weite- heit im eigenen Bündnis, sei es durch Infragestellen des re Gelder für die Entwicklung einer Mittelstreckenrakete 2-Prozent-Ziels, sei es durch Infragestellen der nuklearen bereitstellen. Auch dieses Vorhaben würde den INF-Ver- Teilhabe, sei es durch Infragestellen unserer Bündnisver- trag verletzen. Das Ganze fndet vor dem Hintergrund des pfichtungen, führt zu noch mehr Unsicherheit. Wir brau- konfikthaften Entstehens einer neuen multipolaren Welt- chen zwei Standbeine: die Offenheit zur Kooperation mit ordnung statt. Hinzu kommen neue Arten der Kriegsfüh- anderen und die Verankerung in der NATO. rung – ich denke an Cyberspace und automatisierte Waf- fensysteme –, die die Gefahr einer militärischen, auch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- nuklearen Konfrontation vervielfachen. wie bei Abgeordneten der SPD) Werden die hier vorliegenden Anträge der täglich Jetzt ist eine klare Reaktion notwendig. Es darf aber schrumpfenden Gernegroß-Koalition und der kleinsten keine einseitige Reaktion werden. Es ist schon bemer- Möchtegern-Regierungspartei dem Ernst der Lage wirk- kenswert, dass auf die mögliche Vertragsverletzung von lich gerecht? Nein, sie kommen über Allgemeinplätze russischer Seite nur die USA reagiert haben. Wir brau- nicht hinaus. Die Grünen erinnern die schon länger und chen aber auch eine europäische Reaktion. Moskau muss bald wieder Regierenden immerhin daran, dass sie ein- wissen, dass wir das beobachten. Moskau muss wissen, mal hoch und heilig versprochen haben, sich für den Ab- dass in unserem Koalitionsvertrag von „Achtsamkeit“ zug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen. und „Resilienz“ gesprochen wird. Wir wollen Aufklä- rung und Klarheit: Wofür sind diese Bataillone gedacht? (Beifall bei der AfD) 1516 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Dr. Anton Friesen (A) Übrigens hätten wir zu diesem Thema – zumindest sich militärisch irgendwo profliert, ob auf der Krim, in (C) war das in der Vergangenheit der Fall – einen breiten der Ostukraine, in Syrien oder, wie gestern gesehen, mit Konsens im Plenum; denn sowohl die Union, die SPD als der Präsentation neuer Waffen. Immer wenn es bei ihm auch wir sowie die FDP, die Grünen und Die Linke haben innenpolitisch schwierig wird, dann erkauft er sich auf sich in der Vergangenheit für den Abzug der US-Atom- Nebenkriegsschauplätzen wieder die nötige Popularität. waffen aus Deutschland ausgesprochen. Die drei baltischen Staaten passen ideal in dieses Sche- ma, haben sie doch einen Bevölkerungsanteil von etwa (Zuruf von der CDU: Nein!) einem Viertel russischer Bürger, und auch die Enklave Manche leiden an politischer Amnesie, und andere ha- Kaliningrad könnte für Russland leichter auf dem Land- ben für ein Pöstchen in der GroKo eine 180-Grad-Wende weg erreicht werden. Das Baltikum, Mitglied der Euro- vollbracht. päischen Union, ist sich dieser Gefahr sehr bewusst. Die Lebensversicherung für das Baltikum ist der starke Arm (Beifall bei der AfD) der NATO, dessen Stärke Russland abschreckt. Auch ein gewisser Herr Schulz darf sich angesprochen (Abg. Rüdiger Lucassen [AfD] meldet sich fühlen, selbst wenn es mit dem Pöstchen bekanntlich zu einer Zwischenfrage) nicht geklappt hat. Während Wendehälse wanken, stehen wir als AfD klar für den Abzug der US-Atomwaffen aus Selbstverständlich gehört auch die Einbeziehung des nu- Deutschland. klearen Potenzials zu diesem Schutzschirm. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der FDP) Um den INF-Vertrag zu retten, sollte Deutschland dafür eintreten, die seitens Russlands und der USA re- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: klamierten Vertragsbrüche umfassend aufzuklären und Entschuldigung, Herr Kollege. Gestatten Sie eine für vollständige Transparenz zu sorgen. Wir brauchen Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion? deutsche, russische und US-amerikanische Inspektoren, die sowohl zu den russischen SSC-8-Raketen als auch Alexander Müller (FDP): zu US-amerikanischen Abwehrraketen Zugang erhalten. Wir brauchen einen neuen weltumfassenden INF-Vertrag Bitte erst nach der Rede. unter Beteiligung aller Atommächte.

(Beifall bei der AfD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nach der Rede gibt es keine Zwischenfrage. Dann ist Nicht zuletzt brauchen wir auch eine wehrhafte Bun- (B) die Redezeit zu Ende. (D) deswehr. Statt Gender und Gedöns brauchen wir Panzer, die fahren, Flugzeuge, die fiegen, und U-Boote, die tau- (FDP): chen. Alexander Müller Dann lehne ich sie ab. – Was glauben Sie, wel- (Beifall bei der AfD) che Schockwelle durch ganz Osteuropa ginge, wenn Auch hier versagt die noch nicht und demnächst leider Deutschland einseitig aus der nuklearen Teilhabe ausstei- schon wieder Große Koalition. gen würde, so wie es die Grünen verlangen, wenn wir uns aus internationalen Vereinbarungen einfach vom Acker Deutschland, meine Herren, braucht eine Regierung, die machen und den anderen sagen würden: „Seht doch zu, seinen Interessen und seiner geopolitischen Stellung end- wo ihr bleibt“? Wir fangen gerade an, zusammen mit den lich gerecht wird. Die Welt wartet nicht. Die Atomuhr – europäischen Partnern unsere Verteidigung europäisch die tickt. zu denken und europäisch zu organisieren. Dazu gehört Vielen Dank. enorm viel Vertrauen, weil die einzelnen Nationalstaaten dafür nationale Souveränität abgeben müssen. Dieses (Beifall bei der AfD) Vertrauen würden wir konterkarieren. Wir würden diesen Aufbau einer europäischen Verteidigung im Keim ersti- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: cken, wenn wir einseitige Maßnahmen ergreifen würden Jetzt hat der Kollege Alexander Müller, FDP-Frakti- und uns aus den Bündnissen verabschieden würden. on, das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP) Ich habe schon vor einer Woche hier ausgeführt – ich will nicht alles wiederholen –, dass es wenig bringt, Alexander Müller (FDP): wenn die atomwaffenfreien Staaten verlangen, dass alle Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Russ- Nuklearmächte bitte ihre Atomwaffen vernichten sollen. land vor wenigen Jahren die Krim und die Ostukraine (Beifall bei der FDP) eingenommen hat, lautete die offzielle Begründung: Dort leben sehr viele russische Staatsbürger mit einem Der Antrag von Union und SPD greift ja genau diese Li- gewissen Sicherheitsbedürfnis, und dieses können wir nie auf, nämlich die bestehende Sicherheitsarchitektur in nur gewährleisten, wenn Russland selbst dort für Sicher- Europa nicht ohne Not zu gefährden, sondern im gemein- heit sorgt. Wir alle wissen, dass Präsident Putin regel- samen Dialog mit den USA und Russland darauf hinzuar- mäßig von innenpolitischen Problemen ablenkt, indem er beiten, Schritt für Schritt zu immer weniger Atomwaffen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1517

Alexander Müller (A) zu kommen. Unsere Aufgabe in Deutschland und in Eu- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) ropa ist es dabei, zu vermitteln, Unklarheiten auszuräu- Herr Kollege Müller, Sie können, wenn Sie wollen, men, gegenseitige Vorwürfe zu entkräften und mit dafür darauf antworten. zu sorgen, dass die Vereinbarungen aus dem INF-Vertrag, also das Verbot aller Mittelstreckenraketen, eingehalten Alexander Müller (FDP): werden und die Verträge weiterhin gelten. Herr Kollege Lucassen, ich würde Sie gerne fragen, Die Grünen verlangen in ihrem Antrag unter Punkt 3 woher Sie diese Erkenntnisse haben, aus welchem Ver- den einseitigen Ausstieg Deutschlands aus der nuklearen schwörungsblog. Hans-Dietrich Genscher kann sich lei- Teilhabe der NATO. Doch das entspricht genau dem Vor- der nicht mehr wehren, und wir können uns daran nicht gehen von Präsident Trump: Es interessiert einen nicht, erinnern. welche Bündnisse man eingegangen ist, welche Abspra- chen dabei getroffen wurden. Man macht sich einfach (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten vom Acker nach dem Motto „Nur meine Interessen sind der CDU/CSU) wichtig, die Osteuropäer sollen dann sehen, wie sie klar- kommen“. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Heike Hänsel (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten für die Fraktion Die Linke. der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, genau diese Methode Heike Hänsel (DIE LINKE): Trump kann doch nicht ernsthaft unsere Antwort auf Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor die Herausforderungen des Zeitalters der Globalisierung 30 Jahren einigten sich die USA und die Sowjetunion sein. Lassen Sie uns vielmehr daran arbeiten, das Ver- auf ein weitreichendes Abrüstungsabkommen, den soge- trauen zwischen den Atommächten zu verbessern, die nannten INF-Vertrag. Das war ein entscheidender Bei- bestehenden Abrüstungsverträge zu stärken, weiterzu- trag zur europäischen Sicherheit. Praktisch alle landge- entwickeln und gemeinsam im Verbund mit den europä- stützten Mittelstreckenraketen wurden zerstört, auch die ischen Partnern die Sicherheit in Europa zu verbessern. US-Pershing-Raketen, gegen die viele von uns damals Vielen Dank. demonstriert haben, zum Beispiel in Mutlangen in Ba- den-Württemberg. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Das fand in einem Klima des Vertrauens und der Verstän- (B) Dann erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Lucassen,­ digung in Europa statt. Deswegen, Herr Wadephul, muss (D) AfD, zu einer Kurzintervention. ich sagen: Wir brauchen keine neue Kalte-Krieg-Rheto- rik und Abschreckung, sondern wir brauchen wieder ein Rüdiger Lucassen (AfD): Klima des Vertrauens sowie Maßnahmen, die zu mehr Verständigung führen, um zu neuen Abrüstungsinitiati- Danke schön, Herr Präsident. – Auf die Rede des ge- ven zu kommen. schätzten Kollegen Müller möchte ich wie folgt einge- hen: Ich möchte Sie und die gesamte FDP-Fraktion daran (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- erinnern, dass es im Nachgang zum Zwei-plus-Vier-Ver- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) trag der damalige langjährige Außenminister und ihr Ich möchte daran erinnern: Damals wurde über die Parteimitglied Genscher war, der in Nebenerklärungen Idee eines gemeinsamen Hauses Europa gesprochen. Das deutlich gesagt hat, dass es keine NATO-Osterweiterung stand auf der Tagesordnung. Davon ist heute leider nichts geben wird, wenn die russischen Streitkräfte aus den neu- mehr zu hören; denn während sich der Warschauer Pakt en Bundesländern abgezogen sind, auföste, blieb die NATO als Militärbündnis bestehen. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das ist Legende!) Das ist ein historischer Fehler. Die NATO ist ein Relikt des Kalten Krieges. was bereits 1994 der Fall war. Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung dieser Friedenspolitik wurde Ende (Beifall bei der LINKEN) der 90er-Jahre der NATO-Russland-Rat eingerichtet. In Die Linke setzt sich dafür ein, dass die NATO endlich diesem Hause hat sich im Jahr 2001 Putin auf diese Zusa- ebenfalls aufgelöst wird und Deutschland aus den militä- gen bezogen. Aber die Bundesregierung hat diese Politik rischen Strukturen der NATO austritt. spätestens ab 2002 beendet. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Marco Busch- Können Sie zur Kenntnis nehmen, dass diese Politik mann [FDP]: Protest!) und nun auch die Stationierung von NATO-Streitkräften unter wesentlicher Beteiligung unserer Bundeswehr, zu- Wir wollen eine europäische Sicherheitsstruktur. Wir mindest mit dem, was noch einsetzbar ist, im Baltikum haben die NATO-Osterweiterung erlebt, die mittlerweile auch von der Russischen Föderation als eine Bedrohung bis zur Westgrenze Russlands vorgerückt ist. Die NATO wahrgenommen werden kann? hat sich zu einem weltweiten Kriegsbündnis entwickelt, das militärisch interveniert. Von Abrüstung im nuklearen Danke. oder konventionellen Bereich ist überhaupt keine Rede (Beifall bei der AfD) mehr. Die Mitgliedstaaten haben sich jetzt verpfichtet, 1518 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Heike Hänsel (A) ihre Rüstungsausgaben massiv zu steigern, auf 2 Pro- schaftlicher Ebene endlich den Aufbruch für ein „ge- (C) zent des Bruttoinlandsproduktes. Für Deutschland wären meinsames Haus Europa“ wagen. Dazu gehört Russland, das Rüstungsausgaben in Höhe von bis zu 70 Milliarden und nur gemeinsam mit Russland ist Frieden in Europa Euro. Wir fordern, dass dieser Rüstungswahnsinn ge- möglich. stoppt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) neten der AfD) Auch nuklear soll aufgerüstet werden durch die Mo- dernisierung der in Deutschland gelagerten US-Atom- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: waffen und die Entwicklung neuer kleiner Atomwaffen, sogenannte Mini-Nukes, die in der neuen US-Nuklear- Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul, Bünd- strategie angekündigt wurden und die einen Atomkrieg nis 90/Die Grünen. begrenzt führbar machen könnten. Das Pentagon argu- mentiert, die Sicherheit würde steigen, wenn man be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fürchten müsse, dass nukleare Atomschläge durchführ- bar wären. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich frage die Bundesregierung, ob sie diese US-Strate- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen gie allen Ernstes für einen Beitrag zu mehr Sicherheit in und Kollegen! Die gute Nachricht zuerst: Die zukünfti- Europa hält. Wir erwarten – und wir begrüßen die Aus- gen Regierungsparteien fordern sich selbst vorsorglich sagen von Herrn Mützenich dazu – von der künftigen schon einmal auf, als Regierung mehr für Abrüstung und Bundesregierung, dass sie deutlich sagt, dass keine neu- Rüstungskontrolle zu unternehmen. Das ist der positive en landgestützten Atomwaffen in Deutschland stationiert Teil. Das ist ein hehrer Vorsatz; aber mit Appellen an die werden. Atommächte allein wird es nicht gehen. Im Koalitions- (Beifall bei der LINKEN und der Abg. Katja vertrag steht dazu leider nur, dass Deutschland ein Inte- Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) resse an nuklearer Teilhabe hat. Schade eigentlich. Europa darf nicht zum atomaren Schlachtfeld werden. Dabei ist die Lageanalyse in Ihrem Antrag ja völlig Stattdessen muss sich die Bundesregierung endlich für zutreffend. Die Aufrüstungsspirale eskaliert, und die den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland stark- Abschreckungsdogmatik des Kalten Krieges dominiert machen – ich möchte daran erinnern: wir haben einen wieder die Debatten. Russland und die USA werfen sich Beschluss des Bundestages von 2010 dazu – und die nu- gegenseitig Verstöße gegen den INF-Vertag vor, mit dem (B) kleare Teilhabe im Rahmen der NATO aufkündigen. 1987 Mittelstreckenraketen aus Europa verbannt wur- (D) den. Die USA wollen künftig jährlich 40 Milliarden in (Beifall bei der LINKEN) den Erhalt und die Modernisierung ihrer Nuklearfähig- Die gestrige Vorstellung von Präsident Putins neuen keiten investieren und verweigern nach wie vor die Rati- strategischen Nuklear- und Interkontinentalraketen ist fzierung des Kernwaffenteststopp-Vertrages. Ausdruck einer besorgniserregenden neuen Rüstungs- spirale. Ja, der INF-Vertrag ist gefährdet. Und ja, wir Stattdessen entwickeln sie sogenannte Mini-Nukes, brauchen mehr Transparenz, wie sie auch in den Anträ- also kleine Atombomben, die durch eine vermeintlich gen gefordert wird. Das geht an Russland, aber es geht niedrigere Einsatzschwelle eine höhere Abschreckung vor allem auch an die NATO; denn es müssen auch die erzielen sollen. Putin wiederum präsentierte gestern erst russischen Sicherheitsinteressen diskutiert werden, wenn seine neuen strategischen Raketensysteme, sogenannte man gegenseitiges Vertrauen herstellen und Abrüstung Hyperschallwaffen, die von der US-Raketenabwehr an- erreichen will. geblich nicht erfassbar sein sollen. Was für ein Irrsinn! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Der atomare Raketenschild der NATO und die seege- LINKE]) stützten Raketenabwehrsysteme der USA, die es möglich machen könnten, Russland anzugreifen, widersprechen An dieser Stelle will ich schon noch mal betonen, dass dem INF-Vertrag. Wir fordern, dass dieser atomare Ra- wir Grünen den Aufbau der Raketenabwehr in Osteuropa ketenschild der NATO zurückgenommen, aufgekündigt von Anfang an für einen Fehler gehalten und auch kriti- wird. siert haben, weil er zu einer Aufrüstungsspirale führen (Beifall bei der LINKEN) würde. Genau das erleben wir jetzt. Wir müssen jetzt beginnen, und da können wir nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von der Ostpolitik Willy Brandts lernen. Wir müssen in sowie bei Abgeordneten der LINKEN) neue vertrauensbildende Maßnahmen einsteigen: diplo- matisch, wirtschaftlich und im Bereich der Rüstungskon- Dabei hat es doch gerade erst vor zehn Jahren noch trolle. Transparenz ist gefordert, das Aufeinander-Zuge- so viel Hoffnung gegeben. 2010 haben wir alle hier im hen. Dazu müssen auch die Sanktionen gegen Russland Bundestag den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland beendet werden; sie sind kein Schritt auf dem Weg zu gefordert. Ich sage es noch einmal: wir alle. Davon ist mehr Vertrauen. Wir müssen auf kultureller und wissen- jetzt in Ihrem Antrag leider nichts mehr zu lesen. Ja, die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1519

Katja Keul (A) Weltlage hat sich geändert; aber das spricht gerade nicht Vielen Dank. (C) gegen, sondern für neue Abrüstungsinitiativen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dem damaligen Außenminister Westerwelle nehmen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wir bis heute ab, dass er es ernst gemeint hatte mit dem Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, CDU/ Abzug der Atomwaffen. Ob er damit mehr an den Ameri- CSU. kanern oder der Kanzlerin gescheitert ist, bleibt eine of- (Beifall bei der CDU/CSU) fene Frage, zu der ich persönlich durchaus eine Meinung habe. Jürgen Hardt (CDU/CSU): Nunmehr hätte die FDP aber die Chance, an die Ära Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Westerwelle anzuknüpfen. Liebe Kolleginnen und Kol- Kollegin Keul hat den Koalitionsvertrag falsch gelesen legen von der FDP, stimmen Sie wieder mit uns – für und unvollständig zitiert. nukleare Abrüstung, für Global Zero und für den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland. (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein! Sehr unwahrscheinlich!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben in den Koalitionsvertrag ausdrücklich hi­ neingeschrieben: Ziel der Koalition ist die „nuklearwaf- Nun noch ein paar Worte zum Atomwaffenverbotsver- fenfreie Welt“. Ziel der Koalition ist die „verifzierbare trag, den die UN-Vollversammlung beschlossen hat und Abrüstung von allen Massenvernichtungswaffen“. für den die Initiatoren von ICAN sogar den Friedens- nobelpreis erhalten haben. Dazu fndet sich im Antrag (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE der Koalitionäre nicht ein einziges Wort. Kein Wunder; GRÜNEN]: Ja, aber Sie tun nichts!) denn Ihre Regierung hat ihn weder unterstützt noch hat Ich glaube, klarer kann man sich zu dieser Frage nicht sie sich enthalten. Sie ist bei den Verhandlungen nicht positionieren. einmal als Gast erschienen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dabei ist die Argumentation, der Verbotsvertrag wür- neten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: de den Nichtverbreitungsvertrag infrage stellen, gerade- Und konkret?) zu absurd. Der Nichtverbreitungsvertrag von 1970 beruht (B) auf einer gegenseitigen Verpfichtung: Die Staaten ohne Das Problem, vor dem wir im Augenblick angesichts (D) Nuklearwaffen verpfichten sich, keine solchen Waffen der möglichen Verletzung des INF-Vertrages stehen, ist herzustellen oder anzuschaffen, und die Nuklearstaaten eben auch nicht mit Wortbausteinen von der Bonner Hof- verpfichten sich, ihre Atomwaffen abzurüsten. Wenn gartenwiese zu lösen. also irgendetwas den Nichtverbreitungsvertrag gefähr- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – det, dann die Tatsache, dass die Nuklearstaaten ihrer Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist jetzt ganz Verpfichtung nicht nachkommen und nicht ab-, sondern schlecht, was Sie sagen!) aufrüsten. Das ist damals, in den 80er-Jahren, schon falsch gewe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen, und es ist heute falsch. und bei der LINKEN) (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Warum hat die Generalversammlung der UNO mit DIE GRÜNEN]: Das war absolut richtig!) großer Mehrheit für ein Atomwaffenverbot gestimmt? Weil die Überprüfungskonferenz 2015 gescheitert ist Denn wenn die Gutwilligen ihre Waffen abrüsten, wer- und sich die Atommächte nicht einen Millimeter bewegt den diejenigen, die diese Waffen aus bösen Gründen wei- haben. ter behalten wollen, sie keinesfalls hergeben – sei es Kim Jong Un in Nordkorea oder sonst jemand auf der Welt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abschaffung von Atomwaffen liegt in unser aller Sicherheitsinteresse (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und in dem unserer Kinder und Kindeskinder. Deutsch- Der INF-Vertrag war der größte diplomatische Abrüs- land hat in dieser Frage zwar nicht die Entscheidung in tungserfolg des 20. Jahrhunderts. Er ist möglich gewor- der Hand, aber völlig unbedeutend ist die Haltung der den, weil der Westen – allen voran Deutschland – den Bundesregierung innerhalb Europas und innerhalb der schwierigen, politisch hoch umstrittenen, mühsamen NATO auch nicht gerade. Machen Sie sich nicht kleiner, Weg des Doppelbeschlusses gegangen ist. als Sie sind! (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der Die Bundesregierung wäre nur dann glaubwürdig, LINKEN: Oh! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: wenn sie auch gegenüber dem eigenen Bündnispartner Er ist möglich geworden durch Gorbatschow!) Haltung zeigen würde. Dazu müsste sie den Atomwaf- fenverbotsvertrag unterstützen und den Abzug der Atom- Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung in waffen aus Deutschland fordern. Solange sie hierzu ein- Europa ist es schlicht und einfach falsch, die heutige Po- fach schweigt, laufen alle freundlichen Appelle ins Leere. litik mit den Argumenten von damals zu bekämpfen, mit 1520 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Jürgen Hardt (A) Argumenten, die schon damals ebenso falsch waren, wie Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) sie heute falsch sind. Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Thomas Erndl, CDU/CSU. Lassen Sie mich noch einen Gedanken vortragen, der sich an den Kollegen Müller von der FDP richtet. Sie (Beifall bei der CDU/CSU) haben die Frage gestellt: Warum erleben wir diese Ag- gression auf russischer, auf Putins Seite? Ich habe die Thomas Erndl (CDU/CSU): Einschätzung, dass der russische Präsident, der nun zwei Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Jahrzehnte lang die Geschicke seines Landes bestimmt, Wir führen eine sehr wichtige Debatte, geht es doch um bei einer sachlichen Analyse der innen-, gesellschafts- fundamentale Fragen von Freiheit und Sicherheit. und wirtschaftspolitischen Erfolge seines Landes zu ei- nem ernüchternden Schluss kommen muss. Denn es ist Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Bünd- in Russland nicht gelungen, die Wirtschaft zu diversif- nis 90/Die Grünen, Sie haben Ihren Antrag überschrie- zieren und den Haushalt ein Stück weit aus der enormen ben mit „Glaubhafter Einsatz für Nukleare Abrüstung“. Abhängigkeit von den Erlösen aus Öl- und Gasexporten Den Satz „Einsatz für Nukleare Abrüstung“ können wir zu befreien. Putin weiß, dass er das soziale Niveau und in diesem Hohen Hause sicher alle unterschreiben; aber die wirtschaftliche Entwicklung in seinem Land ebenso wenn Sie mit „glaubhaft“ meinen, nur Sie kennen den wie die Befriedigung von Oligarcheninteressen auf Dau- richtigen Weg, dann muss ich das scharf zurückweisen. er nicht gewährleisten kann, wenn der Öl- und Gaspreis (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr auf dem niedrigen Niveau bleibt, auf dem er heute ist. gut!) Er baut deswegen die Legende auf, die westliche Welt Ich respektiere grundsätzlich Ihren Einsatz für interna- sei schuld daran, dass Russland nicht so vorankommt, tionale Abrüstung; aber gerade der INF-Vertrag, der im wie andere Staaten nach dem Fall der Mauer bzw. des Mittelpunkt dieser Debatte steht, zeigt doch, dass wir mit Eisernen Vorhangs vorangekommen sind. Damit will er Papiertigern keinen Millimeter vorwärtskommen. vermeiden, dass die Menschen in Moskau vielleicht ei- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nes Tages auf die Straße gehen und gemäß dem Märchen Meinen Sie jetzt Ihren Antrag, oder?) der Gebrüder Grimm feststellen: Der Kaiser hat ja gar keine Kleider an. Wir alle wollen eine atomwaffenfreie Welt. Das ist un- ser und auch mein großer Wunsch, und daran müssen wir (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ weiter arbeiten. Aber in der Realität brauchen wir dafür (B) DIE GRÜNEN]: Andersen! Hans-Christian die Nuklearmächte. Sie wissen genau, dass das bisher bei (D) Andersen! – Zurufe von der AfD: Hans- allen wichtigen Abrüstungsabkommen der Fall war. Christian Andersen!) Deutschland engagiert sich in dieser nicht nur wichti- Wir müssen uns ganz nüchtern mit der Motivation des gen, sondern überlebenswichtigen Frage, ob mit der in- russischen Präsidenten auseinandersetzen, angefangen tensiven Werbung für den Atomwaffenteststopp-Vertrag, beim Einmarsch auf der Krim, über das, was wir 2015 im Zuge der Debatte über die UN-Resolution zum Verbot mit der enormen konventionellen Aufrüstung der neuen der Herstellung von spaltbarem Material oder durch un- Panzergeneration – 11 000 Panzer will Putin von den sere Rolle im aktuellen Überprüfungszyklus des Atom- neuen Armata-Panzern anschaffen, die am 9. Mai über waffensperrvertrags, um hier nur einige herausragende Initiativen zu nennen. den Roten Platz gerollt sind – erlebt haben, bis hin zu den Ereignissen der letzten Tage: das zynische Verhalten (Beifall bei der CDU/CSU) gegenüber den Bemühungen der UN, für die Menschen in Ost-Ghuta einen Waffenstillstand auszuhandeln, Wir wollen den INF-Vertrag unter allen Umständen be- wahren. Das ist hier auch Konsens. Deswegen haben wir (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Für mit unserem vorliegenden Antrag die Debatte angesto- ganz Syrien!) ßen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und und die Hackerangriffe, die möglicherweise, wie damals Kollegen, in seiner gestrigen Rede hat der russische Prä- 2015, ganz konkret von Servern, die in Russland stehen, sident neue atomare Waffensysteme angekündigt: neue ausgegangen sind, von Servern, die der russische Präsi- Waffentypen, die ohne großen Vorlauf zum Einsatz kom- dent schlicht abschalten könnte, ganz zu schweigen von men können, und Raketen mit praktisch unbegrenztem seiner gestrigen Rede, die an Martialität kaum zu über- Aktionsradius. Putin will die Welt in eine neue Aufrüs- bieten war. Ich glaube, er will von Versäumnissen im ei- tungsspirale zwingen. Das zeigt, dass ein verstärkter Di- genen Lande ablenken, und es ist ein Stück weit unsere alog dringend notwendig ist. Deutschland kann und muss Aufgabe, das vor der Präsidentenwahl in Russland in hier ein wichtiger Brückenbauer sein kann. 14 Tagen auch so zu benennen.

Danke schön. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Beifall bei der CDU/CSU) Kollegen Hampel von der AfD-Fraktion? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1521

(A) Thomas Erndl (CDU/CSU): war auf den Reisen nach Moskau und in den Kaukasus (C) Nein, er kann im Anschluss etwas sagen. dabei. Genau das war permanentes Gesprächsthema in diesen Tagen. Genau so wurde das der russischen Seite Umso erstaunlicher ist es, liebe Kolleginnen und Kol- kommuniziert. legen von den Grünen und auch von anderen Parteien, ernsthaft den Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe der (Beifall bei der AfD – Jürgen Trittin [BÜND- NATO zu fordern. Das stellt aus meiner Sicht ein großes, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren mit in der ja ein unverantwortbares Sicherheitsrisiko dar. Sauna? – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NEN) Das haben Sie doch selber beantragt 2010! Kollektive Amnesie!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Deshalb haben wir – und das ist der aktuelle Stand- Herr Kollege Erndl, Sie können darauf erwidern. punkt – mit der SPD im Koalitionsvertrag festgehalten, dass, solange Kernwaffen als Instrument der Abschre- ckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle Thomas Erndl (CDU/CSU): spielen, wir ein Interesse daran haben, an den strategi- Wir haben ja schon dargestellt, dass das Legenden schen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. sind. Ich weiß nicht, aus welchem Verschwörungsblog Aber wir haben gleichzeitig festgehalten, dass Rüstungs- Sie das haben. kontrolle und Abrüstung prioritäre Ziele verantwortlicher deutscher Außen- und Sicherheitspolitik bleiben. (Dr. [AfD]: Das sagt Herr Teltschik ganz laut! – Gegenruf des Abg. Diese Ziele erreichen wir nur aus einer selbstbe- Dr. [FDP]: Hans-Dietrich wussten Position der Stärke heraus. Deswegen ist für Genscher hat selber in einem Interview er- mich wichtig, dass wir Deutschland mit der vereinbar- klärt, dass das Unsinn ist! Der Mann ist tot und ten Steigerung des Verteidigungsetats stark und vertei- kann sich nicht mehr wehren! – Stefan Müller digungsfähig halten, dass wir in Europa mit PESCO in [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist alles Quatsch, der Verteidigung künftig gemeinsame Wege gehen, dass was Sie da sagen! Alles Quatsch! – Gegenruf der Abrüstungsdialog weiterhin im Zentrum unserer des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD]: Herr Handlungen steht, dass auch digitale Schlachtfelder – so Teltschik!) muss man das seit dieser Woche wohl leider nennen – in sicherheitspolitische Überlegungen einbezogen werden. Letztendlich hat der damalige russische Präsident ­Gorbatschow bestätigt, dass er in einer NATO-Osterwei- (B) So sieht verantwortungsvolle Sicherheitspolitik aus. (D) terung keinen Wortbruch sieht. Insofern ist unsere Positi- Meine Damen und Herren, vielen Dank. on klar. Das wollte ich hier noch einmal darstellen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Hampel zu ei- Damit schließe ich die Aussprache. ner Kurzintervention. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/956 und 19/976 an die in der Armin-Paulus Hampel (AfD): Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Danke sehr, Herr Vorsitzender. – Herr Kollege Erndl, Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann Sie haben die Rede des russischen Präsidenten Putin er- sind die Überweisungen so beschlossen. wähnt. Vielleicht ist Ihnen die geografsche Situation be- wusst. Soweit ich weiß, sind die NATO-Truppen an den Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Grenzen Russlands, und ist nicht Russland an der ameri- kanischen oder deutschen Grenze. Erste Beratung des von den Abgeordneten Stephan Brandner, Peter Boehringer, Marcus Zweitens möchte ich, um die kollektive Amnesie bei Bühl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU vielleicht etwas aufzuhellen – bei der FDP ist der AfD eingebrachten Entwurfs eines Drei- das ja schon der Fall – sagen: Die soeben von meinem undsechzigsten Gesetzes zur Änderung des Kollegen Lucassen erwähnten Gespräche mit Vertretern Grundgesetzes (Gesetz zur Festschreibung der damaligen Sowjetunion, in denen es um die deutsche der deutschen Sprache als Landessprache) Einheit ging, sind ja vielfältig verbrieft und wiedergege- ben. Die FDP erinnert sich nicht mehr daran. Aber erin- Drucksache 19/951 nert sich die CDU daran, dass es damals ausschließlich Überweisungsvorschlag: darum ging, Deutschland, also Gesamtdeutschland, in der Innenausschuss NATO zu behalten, dass es darum ging, ob auf dem Ter- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung ritorium der ehemaligen DDR überhaupt NATO-Truppen Ausschuss für Kultur und Medien zugelassen sind, und dass wir immer wieder versichert haben, dass wir keine Ausweitung der NATO nach Osten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für wollen? Ich kann Ihnen gerne Nachhilfe geben; denn ich die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Auch dazu 1522 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Zitat Ende. – Meine Damen und Herren, alleine das be- (C) sen. – Ich bitte, die Plätze einzunehmen. gründet schon die Aufnahme des Deutschen als Landes- sprache ins Grundgesetz. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Stephan Brandner, AfD. (Beifall bei der AfD) Nicht nur solche politischen Schwergewichte wie (Beifall bei der AfD) Herr Steinmeier und Herr Lammert haben sich dafür aus- gesprochen, (AfD): Stephan Brandner (Stephan Thomae [FDP]: Das alleine sagt Guten Morgen, meine Damen und Herren! Was gibt es noch nichts!) Schöneres, als an einem so sonnigen Tag vor den vollen Bänken der eigenen Fraktion sondern auch Schwergewichte wie Monika Grütters, Be- auftragte der Bundesregierung, Herr Wolfgang Thierse, (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) damals noch als Bundestagsvizepräsident, und so mäch- tige Nachwuchspolitiker wie von der Jun- über ein Thema zu sprechen, das nicht nur für Feingeister gen Union. Sogar die größte Volkspartei, die Deutsch- geeignet ist, sondern bei dem wir uns der Unterstützung land noch zu bieten hat, die CDU, hat im Jahr 2008 auf eines Großteils der gesellschaftlichen Schichten gewiss einem Bundesparteitag genau das beschlossen, was wir sein können? heute hier fordern. Wir werden Sie daran messen, meine Damen und Herren von der CDU, wie Sie sich heute hier Meine Damen und Herren, es geht um den Artikel 22 Ab- verhalten. satz 3 des Grundgesetzes, den es bislang nicht gibt. Wir wollen ihn einfügen mit dem schlichten Satz: (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, ja! Dann messen Sie mal!) Die Landessprache in der Bundesrepublik Deutsch- land ist Deutsch. Hinter dieser Forderung steht auch der Verein Deut- sche Sprache, der größte Sprachverein in Deutschland Dieser Satz soll in das Grundgesetz eingefügt werden. mit etwa 30 000 Mitgliedern, und nicht zuletzt – indi- rekt – die von uns hochgeschätzte Frau Özoğuz, (Beifall bei der AfD) (Zuruf von der SPD: Peinlich sind Sie!) Damit stehen wir nicht alleine. Das ist keine irre Idee die sinngemäß herausgearbeitet hat, dass sie jenseits der der AfD, deutschen Sprache keine kulturellen Verbindungen fn- (B) det. Frau Özoğuz, wenn sogar Sie erkennen, dass die (D) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Ausnahms- deutsche Sprache das einzige Element sein soll, das uns weise keine irre Idee der AfD? Das muss man verbindet, ist sie es doch wert, in die Verfassung aufge- erwähnen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ nommen zu werden. CSU]: Ausnahmsweise keine irre Idee der AfD! – Zurufe von der SPD: Doch! – Na klar!) (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was soll denn das „sogar“ hei- sondern wir stehen auf einem breiten Fundament mit vie- ßen? – Ulli Nissen [SPD]: Na, geht es jetzt len Persönlichkeiten. wieder los?) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aus- Warum wollen wir das tun, meine Damen und Herren? gerechnet die AfD? Das wäre ja mal was Neu- Die deutsche Sprache ist in Gefahr. es! – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie? Ach (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Gott!) DIE GRÜNEN]: Ja, durch Sie ist sie in Ge- Herr Steinmeier, der Bundespräsident, möchte eine Über- fahr!) futung der deutschen Sprache mit Anglizismen verhin- Sie ist in Gefahr durch eine Überfutung mit Anglizis- dern. Norbert Lammert – er saß bis vor kurzem auf dem men. Sie ist in Gefahr durch einen um sich greifenden Stuhl hinter mir – hat sich deutlich dazu geäußert, dass Englischwahn an Universitäten, wo ganze Studiengänge Deutsch ins Grundgesetz aufgenommen werden soll. Ich auf Englisch angeboten werden. zitiere aus seiner Rede am 11. November 2017 anläss- lich der Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache (Lachen bei der SPD – Matthias W. Birkwald in Kassel: [DIE LINKE]: Englisch ist die Lingua franca unserer Zeit! – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Deutsch ist zunächst eine von mehreren tausend Oh, sind Fremdsprachenkenntnisse denn so Sprachen, die auf diesem Globus gesprochen wer- gefährlich? – Zurufe von der SPD: Sie können den und insofern nichts Besonderes. wohl kein Englisch! – Wie furchtbar!) Da hat er recht. Sie ist in Gefahr in der Wirtschaft, wo aus vorauseilen- dem Gehorsam Englisch gesprochen wird. Walter Krämer­ Aber sie ist unsere Sprache. Die Sprache der Deut- zum Beispiel sagte: Nur Verlierer sprechen Englisch oder schen. Eine Sprache, die dem Land seinen Namen Denglisch. – Ich weiß gar nicht, warum ich da an die gegeben hat. Deutsche Bank denken muss. Aber Sie sehen: Auch die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1523

Stephan Brandner (A) Konzernsprachen haben teilweise etwas damit zu tun, ob niemandem verbieten, andere Sprachen zu Hause oder in (C) es in der Wirtschaft funktioniert oder nicht. Schließlich der Öffentlichkeit zu benutzen. ist die deutsche Sprache in Gefahr in der Wissenschaft, wo immer mehr auf Englisch publiziert wird. (Ulli Nissen [SPD]: Oh, wie großzügig! Das ist ja super!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, damit alle das verstehen!) Wir haben einen Artikel 22 Absatz 2 des Grundge- setzes. Darin ist vorgeschrieben, dass die Bundesfagge Sogar in Studiengängen wie Germanistik wird auf Eng- schwarz-rot-gold ist. Deshalb ist aber niemand gezwun- lisch publiziert. Dem müssen wir Einhalt gebieten. gen, sich eine Bundesfagge zu Hause ins Wohnzimmer (Beifall bei der AfD) zu hängen. Die deutsche Sprache ist auch in Gefahr durch eine (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) massive Zuwanderung. Wir haben in letzter Zeit mitbe- kommen: Die deutsche Polizei twittert, informiert und Genau so soll das auch hier gehandhabt werden. Es han- belehrt auf Arabisch und Türkisch. Die Thüringer Polizei delt sich um eine freiwillige Regelung im Bereich des wirbt auf Arabisch. Behörden informieren und kommu- Privaten. Also: Friesen und Sorben müssen sich auch kei- nizieren auf Türkisch und Arabisch. ne Sorgen machen. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Und Sie haben Haben Sie Mut zur Courage? Flugblätter auf Russisch gemacht!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Über- Meine Damen und Herren, das ist kein Beitrag zur In- setzen Sie mal „Courage“! Jetzt noch eine tegration. Da fehlt der Anpassungsdruck. Den wollen wir deutsche Rede! Chapeau, damit sind Sie herstellen. Dem können übrigens auch Sie zustimmen. wieder in der „heute-show“! – Steff Lemke Es ist nämlich eine Maßnahme im Sinne der Integration, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unserem Antrag zuzustimmen. schlechtes Deutsch! – Mahmut Özdemir [Du- (Beifall bei der AfD – Johann Saathoff isburg] [SPD]: Lern mal Deutsch!) [SPD]: Nie im Leben!) Machen Sie etwas Gutes daraus, und versuchen Sie bit- Ich zitiere erneut aus Norbert Lammerts Rede vom te, in den anschließenden Reden ohne die vier deutschen 11. November 2017: Worte „Hass“, „Rassismus“, „Hetze“ und „völkisch“ auszukommen, meine Damen und Herren. Wir fnden im Grundgesetz inzwischen seitenlange (B) Verfahrensregeln für Asylbewerber, die, wenn sie (Beifall bei der AfD) (D) das Grundgesetz lesen könnten, zwar viel über das Regelsystem unseres Landes und seine Behörden Ihr Herumgebrülle lässt ja schon einiges befürchten, erführen, nicht aber in welcher Sprache hierzulande muss ich sagen. Ich bin ganz Ohr. Ich sitze hier vorne; Integration ... gelingt oder eben nicht gelingt. Die Sie müssen nicht so schreien. Landessprache ist Deutsch, (Zuruf von der LINKEN: Damit kommen Sie – sagt Lammert – noch nicht einmal in die „heute-show“!) Punkt. Ich gehe auch nicht wieder nach hinten und bin gespannt Sagt Lammert. auf die Reden. Ein solcher schlichter Satz hätte vor vielen Jahren Ein Versprechen will ich noch einlösen: manch hoch ideologischen Streit, um nicht zu sagen Quark, (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Einen Gag haben Sie noch?) – sagt Lammert – Lieber Benedict – das ist mein Sohn –, ich grüße dich von vermeiden können ... diesem Rednerpult! (Florian Hahn [CDU/CSU]: „Quark“ ist auch (Johann Saathoff [SPD]: Das war der beste ein deutscher Begriff!) Teil!) Meine Damen und Herren, dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD) (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) Wir haben zwar einfachgesetzliche Regelungen im Gerichtsverfassungsgesetz und im Verwaltungsverfah- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rensgesetz. Aber wir müssen das grundgesetzlich regeln, Jetzt erteile ich der Kollegin Gitta Connemann, CDU/ damit diese einfachgesetzlichen Regelungen nicht ir- CSU-Fraktion, das Wort. gendwann einfachgesetzlich außer Kraft gesetzt werden. Meine Damen und Herren, Sie müssen auch keine Angst (Beifall bei der CDU/CSU – Florian Hahn haben, wenn unser Gesetzentwurf durchgeht. Wir wollen [CDU/CSU]: Los geht’s, Gitta!) 1524 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Gitta Connemann (CDU/CSU): sondern um die Sprache. Wir wissen: Erstens. Sie muss (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich liebe gepfegt werden. Zweitens. Sie muss verständlich sein. die deutsche Sprache. Drittens. Sie soll verbinden und nicht trennen. (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der CDU/CSU) ordneten der SPD und der FDP) Sie hat mich geprägt; denn sie ist mehr als ein Instru- Genau das unterscheidet uns von der AfD. Ihnen geht ment. Sie ist Ausdruck unserer Kultur. Deutsch ist die es um eines nicht: die deutsche Sprache. Sprache der Philosophie, der Dichter, der Denker – we- (Jürgen Braun [AfD]: Unterstellungen! Nur gen ihrer Ausdruckskraft. „Zeitgeist“, „Weltschmerz“, Unterstellungen, Frau Connemann!) „Kindergarten“ oder „Gemütlichkeit“: Das geht in keiner anderen Sprache. Beweis gefällig? Ihr Gesetzentwurf strotzt nur so von Fremdwörtern. Ich zitiere: „deklamatorischen“, Ich liebe die deutsche Sprache. Deshalb ärgere ich „Hauptkommunikationsmedium“, „Identifkation“ und, mich über Anglizismen und Wichtigtuer, die ihre Reden und, und. Brauchen Sie das wirklich, oder wussten Sie mit Fremdwörtern spicken es nicht besser? Dabei gibt es einen Redaktionsstab der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bun- SPD, der AfD und der FDP) destag. Die freundlichen Mitarbeiter hätten Ihnen auch gerne geholfen. Bei Ihrem Kauderwelsch wäre Hilfe si- und von „Letter of Intent“ statt von „Absichtserklärung“ cherlich auch nötig gewesen. und von „obsolet“ statt von „überfüssig“ sprechen. Ich sage Ihnen: „Point of Sale“, „Hydration Creme“ oder (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem „Facility Manager“ kann man auch auf Deutsch sagen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- und Alt und Jung würde es verstehen. geordneten der FDP und der LINKEN) (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten Das gilt übrigens auch in Sachen Verständlichkeit. der CDU/CSU – Mahmut Özdemir [Duisburg] Wer Bandwurmsätze liebt, kommt bei Ihnen voll auf die [SPD]: „Facility Manager“ ist der Hausmeis- Kosten. ter!) ( [AfD]: Immerhin in Deshalb setzen sich die Mitglieder unserer Fraktion Deutsch! – [AfD]: Was hat das seit Jahren für die deutsche Sprache ein. Norbert Lammert damit zu tun? Gar nichts!) (B) wurde als Sprachwahrer des Jahres ausgezeichnet – übri- Ich zitiere: (D) gens auch , der eine Deutsch-Initiative im Bundesverkehrsministerium auf den Weg brachte. Die deutsche Sprache ist als das primäre Mittel zur Verständigung der Deutschen zugleich das Medium (Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unserer sprachlichen Kultur, der sprachlichen Per- NEN]: Schwer zu verstehen, aber okay!) sönlichkeitsbildung und der individuellen wie ge- Seitdem heißt es nicht mehr „Travel Management“, son- meinschaftlichen Identifkation ... dern „Reisestelle“. (Stephan Brandner [AfD]: Wie Sie das beto- (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) nen!) Die CDU Deutschlands hat sich mehrfach dafür aus- Verstehen Sie eigentlich Ihre Sprachpanscherei? Mein gesprochen, die deutsche Sprache im Grundgesetz zu Deutschlehrer hätte „A“ wie „Ausdruck“ hinter diesen verankern. Meine Damen und Herren – auch auf den Tri- Satz geschrieben. Gutes Deutsch? Weit gefehlt! bünen –, das fordert jetzt auch die AfD. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Es stellt sich die Frage: Warum nicht zustimmen? Sie haben zitiert, was in anderen Sprachen dargestellt Es gibt rechtliche Gründe. wird. Schauen Sie mal auf Ihren eigenen Internetauftritt! (Beatrix von Storch [AfD]: Rechtliche Grün- Da gibt es Ihr Grundsatzprogramm in russischer Sprache. de!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der Hierzu werden meine Kolleginnen und Kollegen etwas SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- sagen. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Stephan Brandner [AfD]: Parteitagsbe- Am schlimmsten ist aber Ihr eigentlicher Antrieb. Für schluss von Ihnen, Frau Connemann!) uns in der Union ist Sprache etwas Verbindendes. Sie nutzen Sprache, um zu enthemmen, um auszugrenzen, Mein Augenmerk liegt auf der Sprache. Unserer Frak- um zu spalten. tion geht es nämlich nicht um Deutschtümelei oder um Selbstdarstellung, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LIN- (Lachen bei der AfD) KEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1525

Gitta Connemann (A) Jürgen Braun [AfD]: Sinnlose Behauptungen, Detlev Spangenberg (AfD): (C) Frau Connemann!) Ich wiederhole die Frage, Frau Kollegin. Geben Sie mir recht, dass es, wenn auch die AfD solche Fehler Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: macht, gerade wichtig ist, Deutsch als Landessprache ins Grundgesetz aufzunehmen? Frau Kollegin Connemann. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wir sind doch Gitta Connemann (CDU/CSU): hier keine Therapiegruppe! – Weitere Zuru- fe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE Das beweist übrigens der Vorläufer zu diesem Gesetz- GRÜNEN) entwurf. Da steht keines der ach so schönen Worte über die Bedeutung unserer Sprache für Philosophie, Kultur und Wissenschaft. Nein, der Kollege Brandner zeichnet Gitta Connemann (CDU/CSU): in diesem Vorläufer vor allem ein Zerrbild von Migran- Jetzt macht Ihr Gesetzentwurf natürlich Sinn. Jetzt ten – und das in schlechtem Deutsch. verstehe ich ihn. Ich zitiere: (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Heiter- Spiegelbildlich zur gesellschaftlichen Segmentie- keit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der rung und Abkapselung der Migranten in ihren je- FDP) weiligen Milieus steigt die berechtigte Erwartungs- Aber bevor Sie dies ins Grundgesetz schreiben wollen, haltung der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die würde ich Ihnen empfehlen, erst einmal Deutsch zu ler- von ihnen zu Recht erwarten kann, sich den landes- nen. typischen Regularien anzupassen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Stephan Brandner [AfD]: Wir machen es für der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Sie in einfacher Sprache!) GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ich durfte gerade aus Ihrem vorläufgen Gesetzent- wurf zitieren; in die Endfassung hat es diese Stilblüte Frau Kollegin Connemann, der Kollege Spangenberg nicht geschafft. Die Vorlage ist weichgespült worden, um würde gerne eine Zwischenfrage stellen. sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben. Dankenswer- terweise hatte der Kollege Brandner den ursprünglichen (B) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zum (D) Thema Milieu!) Gesetzentwurf aber ins Netz gestellt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, Gitta Connemann (CDU/CSU): der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herzlich gerne. Sie hatten wohl kaum einen Sinneswandel, wenn ich mir Detlev Spangenberg (AfD): Ihre sonstige Sprache vor Augen führe, von „Volkskör- per“ bis „Migrassoren“. Auf gut Deutsch: Sie verschlei- Verehrte Kollegin, geben Sie mir nicht recht, dass es ern Ihre eigentliche Absicht. Sie sind Wölfe im Schafs- gerade notwendig ist, Deutsch als Landessprache ins pelz. Grundgesetz aufzunehmen, wenn auch die AfD solche Fehler macht? (Zurufe von Abgeordneten der AfD: Oh!) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. SPD, der FDP und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt macht der (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Gesetzentwurf Sinn! Jetzt verstehe ich den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Gesetzentwurf!) geordneten der FDP und der LINKEN)

Gitta Connemann (CDU/CSU): Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bitte? Ich habe Ihre Frage nicht verstanden. Nächster Redner ist der Kollege Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der SPD) Herr Kollege Spangenberg, würden Sie Ihre Frage bit- te wiederholen? Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte halten Sie den Sehr geehrter Präsident! Verehrte Kolleginnen und Lärmpegel so niedrig, dass die Rednerin die Frage ver- Kollegen! Ich habe mir als Schüler mit Nachhilfe in stehen kann. Nur dann kann sie darauf antworten. – Herr Deutsch ein paar Euros dazuverdient. Dass ich das als Kollege Spangenberg. Abgeordneter einmal in diesem Hohen Hause für eine 1526 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Mahmut Özdemir (Duisburg) (A) Fraktion tun würde, die neu hinzugekommen ist, hätte Ängste, die jeder Grundlage entbehren, Ängste, ohne die (C) ich mir nicht träumen lassen. eine AfD in Deutschland ihre Anhängerschaft verlöre.

(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE bei Abgeordneten der CDU/CSU) GRÜNEN)

Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von Der Gesetzentwurf zeichnet darüber hinaus ein un- seiner eigenen. wahres, ein düsteres Bild. Es klingt beinahe nach dem Was hätte Goethe, von dem dieser Ausspruch stammt, Eintritt des Verteidigungsfalles, wenn man Ihrer Sach- wohl zu Ihrem Gesetzentwurf gesagt? verhaltsdarstellung folgt, dass demnächst Anglizismen unsere deutsche Sprache übernehmen werden. Vielmehr (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Prima!) lösen Sie durch diese bösartigen Unterstellungen den demokratischen Verteidigungsfall aus. Mit der Mehr- Ich bin mir sicher, er hätte sich geschämt. heit dieses Hohen Hauses verteidigen wir die Menschen (Beifall bei der SPD) vor Ihnen, die mit ihrer eigenen deutschen Sprache die kulturelle Vielfalt, die Wissenschaft, das Miteinander in Sie sprechen von „Verdrängung der deutschen Sprache“ diesem Land fördern als Ausfuss ihres allgemeinen Per- und davon, dass Deutsch das „primäre Mittel zur Ver- sönlichkeitsrechtes. ständigung der Deutschen“ sei. Gerade deshalb sollte, wer das Grundgesetz nicht kennt, verdammt noch mal die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Finger davon lassen, daran Veränderungen vornehmen zu DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der wollen. LINKEN) (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Keiner der Anwesenden wird ernsthaft bestreiten bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE können, dass die deutsche Sprache schon jetzt verfas- GRÜNEN) sungsrechtliche Bedeutung hat. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist schließlich auf Deutsch Sie verkennen, dass das Grundgesetz Grundrechte verfasst. Auch da kann ich Ihnen gerne Nachhilfe geben, nicht nur für Deutsche, sondern für alle Menschen, die wenn Sie diese benötigen. in seinem Geltungsbereich leben, festschreibt. Auch ver- kennen Sie, dass Deutsch im In- und Ausland gesprochen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (B) (D) wird. Nicht umsonst ist das Goethe-Institut mit 159 Ein- LINKEN) richtungen in 98 Ländern gegenwärtig und vermittelt die deutsche Sprache und die deutsche Kultur. Die Geltung des deutschen Grundgesetzes bedeutet zu- gleich die Geltung der deutschen Sprache. Sie genießt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- somit Verfassungsrang. Lesen bildet. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Aber welches Deutsch eigentlich? Das Deutsch, das wir DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der heute sprechen, ist nicht einmal mehr das Deutsch von LINKEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: vor 20 Jahren, von den über 50 Mundarten mal ganz Wohl wahr!) zu schweigen. Unsere Sprache ist eine Summe aus den grundrechtlich zugestandenen Freiheiten, die eigene Per- Menschen, die im Geltungsbereich unseres Grundge- sönlichkeit frei zu entfalten. setzes leben, müssen sich daher die deutsche Sprache aneignen; denn ohne die deutsche Sprache sind sie vor (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Behörden, vor Gericht und in der demokratischen Aus- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einandersetzung unterlegen. Nur wer die Sprache der Verfassung des Landes, in dem er lebt, beherrscht, fndet Unsere Verfassung ist dem gesellschaftlichen Wandel Schutz und eine Heimat. Oder mit Goethe: gegenüber aufgeschlossen. Genauso ist es mit der deut- schen Sprache. Diese in einen idealen Zustand pressen Der Deutsche soll alle Sprachen lernen, damit ihm und bewahren zu wollen, käme der ungerechtfertigten zu Hause kein Fremder unbequem, er aber in der Einschränkung von Grundrechten gleich. Fremde überall zu Hause sei. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kurzum: Das Grundgesetz in deutscher Sprache DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der braucht einen solchen Zusatz nicht. Am Niederrhein hät- LINKEN) te man Ihnen wahrscheinlich nur gesagt: Da ham’ die Das Anliegen der AfD-Fraktion ist daher viel weniger Schwadronöres ma’ wieder Stuss zusammengefrickelt! redlich, als uns der Gesetzentwurf glauben zu machen versucht; denn er schürt Ängste, (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- (Zurufe von der AfD: Oh!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1527

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: (C) Jetzt erteile ich dem Kollegen Stephan Thomae, Na, na, na! – Weiterer Zuruf von der AfD: Was FDP-Fraktion, das Wort. denn noch alles?) (Beifall bei der FDP) Nicht jede Veränderung ist eine Degeneration. Spra- che ist ein hochkomplexes System. Lebendige Sprache Stephan Thomae (FDP): ist komplex. Ihr Ansatz aber, Sprachpfege zu betreiben, die Reinheit der Sprache zu bewahren und das im Grund- Quousque tandem abutere patientia nostra? Wie lange gesetz zu regeln, ist zutiefst unterkomplex. Das sieht man wollen Sie eigentlich noch die Geduld dieses Hauses mit schon daran, dass unsere Sprache Lehnwörter aus dem Ihren deutschtümelnden Anträgen missbrauchen? Lateinischen kennt, dass sie Fremdwörter aus dem Fran- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zösischen übernimmt, dass die Musik von lateinischer der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- und italienischer Sprache unterlegt ist; es gibt italieni- SES 90/DIE GRÜNEN) sche Opern und dergleichen mehr. Sprachkultur ist nicht retro, meine Damen und Herren! Heute haben wir es also mit einem Vorschlag zu ei- ner Grundgesetzänderung zu tun. Ich habe mich schon immer als Verfassungspurist – entschuldigen Sie das Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Fremdwort – Herr Kollege Thomae, der Kollege Hampel würde (Heiterkeit bei der FDP) gerne eine Zwischenfrage stellen. bekannt, der gegen jegliche Verfassungslyrik ankämpft, (FDP): auch gegen eine Banalisierung des Grundgesetzes, gegen Stephan Thomae Vorschriften, die keine weiterreichende Folge haben. Was Ja, sehr gerne. Bitte schön, wenn das meine Redezeit ist denn die Aufgabe unserer Verfassung? Die Verfassung zu verlängern imstande ist. soll den Staatsaufbau ordnen und die Freiheits- und Ab- wehrrechte der Bürger gegen den Staat und gegenüber Armin-Paulus Hampel (AfD): dem Staat defnieren. Herr Kollege Thomae, Sie haben gerade so schön dar- (Stephan Brandner [AfD]: Artikel 20a, was gestellt, dass Sprache immer im Wandel ist, sich immer sagen Sie dazu? – Gegenruf des Abg. Mahmut erneuert und dass sie deshalb im Grunde genommen von Özdemir [Duisburg] [SPD]: Zuhören und ler- einer gesetzlichen Regelung oder gar einer verfassungs- nen!) rechtlichen Regelung ausgeschlossen sein sollte. Kön- (B) nen Sie mir sagen, warum wir dann in Deutschland eine (D) Sie soll aber nicht die Lebensgewohnheiten der Men- Rechtschreibreform hatten? schen regeln; sie soll nicht die Entwicklungsmöglichkei- ten, das Entwicklungsstreben der Gesellschaft behindern, blockieren, einhegen oder bremsen. Stephan Thomae (FDP): Vor allem die Sprache ist etwas Lebendiges, etwas Zur Rechtschreibung gibt es in Deutschland kein Ge- Vitales, etwas, was sich ständig ändert, was sich weiter- setz. Rechtschreibung trägt natürlich dazu bei, dass uns entwickelt. Die Sprache ist auch aufnahmefähig; sie ist das Lesen leichter fällt. Sie ist auch ein Teil der Sprach- offen, sie ist ein offenes System. Sie haben uns selber kultur, aber sie ist nicht im Gesetz und vor allem nicht im aufgefordert, Courage zu haben und Ihrem Vorschlag Grundgesetz festgeschrieben. zuzustimmen. An diesem Fremdwort sieht man schon, (Beifall bei der FDP und der LINKEN) dass unsere Sprache so etwas aufnimmt, dass sie damit umgehen kann, ohne nachhaltigen Schaden nehmen zu Es gibt Staaten, in denen die Rechtschreibung ge- müssen. setzlich geregelt ist. Unser Nachbarland Frankreich etwa kennt das aus Richelieus Zeiten und aus Tradition, (Beifall bei der FDP) zum Beispiel bei der Akzentsetzung. Das kennen wir in Das ist der erste Grund, weshalb wir Ihrem Gesetzent- Deutschland nicht. Es gibt kein Gesetz zur Rechtschrei- wurf in der Sache nicht zustimmen werden. bung, und trotzdem kommen wir damit ganz gut zurecht. Es gibt Einrichtungen wie das Bibliographische Institut Ich will zum Zweiten aber noch etwas ganz Grund- in Mannheim und die Dudenredaktion, die uns Vorschlä- sätzliches sagen. Auch ich habe einen Sinn für Sprache, ge unterbreiten, wie wir zu schreiben haben. Aber wenn für das Schönklingende, für das Ästhetische unserer Sie diese nicht befolgen, müssen Sie keine Haftstrafe und Sprache. nicht einmal eine Geldstrafe durch die Gerichte fürchten. (Stephan Brandner [AfD]: Merkt man!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Auch wenn ich diesen Aspekt mit Ihnen teile, so trennt der LINKEN) uns doch eines: Von der ganzen Intonation her atmet Ihr Das zeigt: Wir kommen ganz gut damit zurecht. Die Gesetzentwurf die Angst vor dem Neuen. Und aus Angst Rechtschreibung verändert sich, auch durch entsprechen- wird Hass, und aus Hass kann Gewalt entstehen. de Reformen. Es gibt auch Länder, die andere Recht- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schreibungen pfegen, wie die Schweiz, ohne dass das der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE unserer Sprache Abbruch tut. 1528 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Simone Barrientos (DIE LINKE): (C) Herr Kollege Thomae, der Kollege Spangenberg wür- Sehr geehrter Präsident! Werte Kolleginnen und Kol- de auch gerne eine Zwischenfrage stellen. legen! Wir haben heute eine Delegation aus der Assem- blée Nationale zu Gast. Ich freue mich, dass ich nach- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er her einen der Kollegen treffe. Michel, bienvenido! Nos weiß ja selbst nicht, warum sie den Antrag ge- vemos después, me alegro mucho. stellt haben!) (Beifall bei der LINKEN)

Stephan Thomae (FDP): Unsere gemeinsame Sprache ist Spanisch. – Wenn ich nach rechts schaue, sieht man ziemlich deutlich, dass Sehr gerne. Dann verlängert sich meine Redezeit. Qualität und Quantität nicht viel miteinander zu tun ha- ben. Detlev Spangenberg (AfD): (Beifall bei der LINKEN) Verehrter Kollege, ist Ihnen bekannt, dass in der fran- Heute behandeln wir einen Gesetzentwurf, der wie so zösischen Verfassung der Satz steht: „Die Sprache der oft reinen Symbolcharakter hat. Diesmal will die AfD Republik ist Französisch“? dem Grundgesetz ans Eingemachte; denn die deutsche (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So Sprache sei in Gefahr. Dabei gehört Deutsch zu den zehn steht er da bestimmt nicht!) am meisten gesprochenen Sprachen weltweit. Sie kam deshalb 2006 ins Guiness-Buch der Rekorde. Wo bitte ist also die Gefahr? Stephan Thomae (FDP): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Das war mir bislang nicht bekannt – ich merke, man neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE kann heute auch etwas lernen –; aber das heißt nicht, dass GRÜNEN) wir auch so eine Regelung benötigen. Die Debatte, die man da anstoßen will, ist weder neu (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten noch zeitgemäß; denn in allen Zeiten gab es jene, die sich der CDU/CSU und der SPD) an Althergebrachtes klammerten, und solche, die begeis- tert die Entwicklung begrüßten. Sprache ist weder ein Ich habe gerade ausgeführt, dass die Franzosen eine an- starres Konstrukt, noch ist sie völlig losgelöst von Re- dere Tradition, eine andere Kultur haben. Das stammt geln. Den Gebrüdern Grimm sei an dieser Stelle Dank. noch aus absolutistischen Zeiten. Das heißt aber nicht, (B) dass auch wir das benötigen. In unserem Land wird die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (D) deutsche Sprache gesprochen und geschrieben, ohne dass neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) es irgendeiner Festschreibung im Grundgesetz oder in ei- Der AfD geht es weder um die Förderung der deut- nem Gesetz bedarf. schen Sprache noch um den Erhalt von Kultur. Ihr geht es Das zeigt uns aber, dass Sie Angst vor Veränderungen um Deutungshoheit; denn sonst würde sie einen Antrag haben. Das durchzieht Ihren ganzen Gesetzentwurf. Sie stellen, der zum Beispiel Bildung fördert. pfegen einen romantisch verklärten Kulturbegriff, den (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wir nicht benötigen. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Stephan Brandner [AfD]: Also romantische Mir stellen sich drei Fragen: Was sagt die AfD? Was Angst, oder wie?) meint die AfD? Was will die AfD? Sie haben Angst vor Veränderungen. Sie haben Angst (Stephan Brandner [AfD]: Sagen Sie es uns!) vor dem Neuen und vor der Zukunft. Dagegen setzen – Das sage ich Ihnen gerne. wir Vertrauen in die Zukunft, Optimismus und Mut zur Veränderung. Das braucht unser Land, meine Damen und (Stephan Brandner [AfD]: Ich bin gespannt!) Herren. Sie sagen Volk, meinen aber völkisch, und Sie wollen Vielen Dank. ausgrenzen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Dem SPD und der LINKEN) deutschen Volke!) Ein Geschmäckle hat dabei, dass es die AfD war, die mit Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: russischsprachiger Wahlwerbung in den Wahlkampf zog. Jetzt erteile ich der Kollegin Simone Barrientos, Frak- Das lässt nur den Schluss zu, dass es nicht um Sprache tion Die Linke, das Wort zu ihrer ersten Rede im Deut- geht. Nein, es geht um von der AfD defnierte völkische schen Bundestag. Zugehörigkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Beifall der Abg. [DIE Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]) LINKE]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1529

Simone Barrientos (A) Die AfD sagt, die deutsche Sprache müsse im Grund- Simone Barrientos (DIE LINKE): (C) gesetz verankert werden. Danke. Ich bin im Prinzip fertig. (Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD]) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Aber welche Sprache meint sie? Literarisches Deutsch? – Lassen Sie mich mit Heinrich Heine schließen: Ich glaube nicht. Gendergerechtes Deutsch? Fatal ist mir das Lumpenpack, (Beatrix von Storch [AfD]: Auf gar keinen das, um die Herzen zu rühren, Fall!) den Patriotismus trägt zur Schau, – Genau. – Um Amtsdeutsch kann es ihr nicht gehen; mit allen seinen Geschwüren. denn das ist bereits gesetzlich verankert. Ihr geht es um Vielen Dank. völkisches Deutsch, um Sprache als Mittel zur Ausgren- zung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- GRÜNEN) SES 90/DIE GRÜNEN)

Was soll dann bitte konkret folgen? Die Einsetzung ei- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ner Reichs- – Pardon, einer Bundeskulturkammer? Die Jetzt erteile ich dem Kollegen Erhard Grundl, Bünd- entscheidende Frage lautet nicht, welche Sprache man nis 90/Die Grünen, das Wort ebenfalls zu seiner ersten spricht, sondern, was man sagt und was man wieder sag- Rede im Deutschen Bundestag. bar macht. Da ist die AfD Vorreiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD) Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr Seit Jahren arbeitet sie daran, Unsägliches wieder sag- geehrte Gäste auf der Tribüne! Um es einmal mit den bar zu machen. Da wird völkisch schwadroniert, was das Worten des bayerischen Philosophen Gerhard Polt zu Zeug hält. fragen: Braucht’s des? An einer Stelle wird die Vorlage sogar ein bisschen (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ konkret. Die AfD will der Freiheit der Programmgestal- DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, (B) tung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ans Leder. der FDP und der LINKEN) (D) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?) Nach § 23 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bun- Da soll reguliert werden – im Sinne der AfD, versteht des ist Deutsch in Parlamenten und Gerichten längst ver- sich. Vielen Dank auch! pfichtend. Warum fordert die AfD trotz dieser Tatsache hier und heute eine Änderung des Grundgesetzes? (Beifall bei der LINKEN) (Stephan Brandner [AfD]: Das haben wir Ih- Es ist schon ein starkes Stück, dass ausgerechnet diese nen doch erklärt! Haben Sie nicht zugehört?) Partei, die Sprache vor allem nutzt, um Hass zu säen, Es ist das ewig gleiche Spiel. Noch in der letzten Wo- (Widerspruch bei der AfD – Zuruf von der che hat einer der Abgeordneten der AfD vom drohenden AfD: Oh! Sie haben „Hass“ gesagt!) Volkstod gesprochen. Heute malen Sie uns zur Abwechs- um den gesellschaftlichen Diskurs zu sabotieren, um aus- lung einmal den Niedergang der deutschen Sprache an zugrenzen und anzugreifen, um Frauen zu beleidigen, um Ihre Klagemauer der Ängstlichkeit. Homosexuelle verächtlich zu machen, um Zugewander- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN te zu diffamieren, um politische Gegner niederzubrüllen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und anzupöbeln, Sprache als Kulturgut im Grundgesetz verankern will. Unfassbar! Dass wir Deutsche eine anerkannte Wissenschaftsspra- che sowie eine vielfältige deutsche Literatur- und Me- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- diensprache haben, spielt da natürlich keine Rolle. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD) Acht der zehn erfolgreichsten Künstleralben des Jah- res 2017 in den deutschen Charts waren Produktionen in Wenn etwas im Grundgesetz fehlt, dann ist es Kultur deutscher Sprache. Produkte in deutscher Sprache boo- als Staatsziel, und zwar Kultur in all ihrer Buntheit. men in den Charts, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Stephan Brandner [AfD]: Super! Spitze!) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und das alles ganz ohne Ihre Bevormundung. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Kollegin, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit; sie bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. ist schon abgelaufen. Gitta Connemann [CDU/CSU]) 1530 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Erhard Grundl (A) Wenn Sie von der AfD in Ihrer Gesetzesbegründung setzen, haben sich gegen Ihren dumpfen Nationalismus (C) schon die Musikbranche bemühen, dann machen Sie sich gewandt. bitte faktenfest. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- SES 90/DIE GRÜNEN) geordneten der CDU/CSU und der FDP) Aber es geht der AfD nicht um das, was wirklich ist. Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, dass man Es geht wie immer nur um eines: Es geht darum, Angst seine Muttersprache nicht stärkt, indem man sie kleinre- zu schüren, Weltuntergangsszenarien zu entwerfen und det und wehleidig daherkommt, wie es die AfD tut. Wenn zu spalten. es Ihnen wirklich um unsere Sprache ginge, würden Sie sich selbstbewusst einsetzen für guten Sprachunterricht­ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Muttersprachler und für Migrantinnen und Migran- sowie bei Abgeordneten der SPD und der ten. LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Es geht der AfD darum, die eigene Kleinkariertheit unse- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie rem Land und seiner Bevölkerung überzustülpen. der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Außerdem: Welches Deutsch gehört für Sie per se bei der SPD und der LINKEN) dazu und welches nicht? Was ist mit der Sprache der Hip-Hopper, der Rapper? Was ist mit dem eigenwilligen Was die AfD hier vorlegt, ist nicht neu; es ist auch Deutsch der Trolle, die in den sozialen Netzwerken pö- nicht provokant. Es ist rückwärtsgewandt und kulturell beln, drohen und AfD-Positionen verbreiten? Ist das Ihre einfältig. „Landessprache“? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ sowie bei Abgeordneten der SPD und der DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN LINKEN) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Es ist eine Wagenburg, die die Weiterentwicklung un- der FDP) serer Sprache stärker bedroht, als es jede Veränderung Was ist mit den Minderheitensprachen in Deutschland, tun könnte. Warum sagen Sie eigentlich nicht, was Sie mit den angestammten und den zugewanderten? Sollen wirklich wollen? In Wahrheit wollen Sie eine deutsche wir denen, die Nordfriesisch, Dänisch oder Sorbisch, (B) Leitkultur ins Grundgesetz schreiben. Wendisch oder Romani schnacken, demnächst vorschrei- (D) ben, wie sie zu reden haben? (Stephan Brandner [AfD]: Der Antrag kommt auch noch! Der kommt später!) (Stephan Brandner [AfD]: Das habe ich Ihnen erklärt!) Aber ich kann Ihnen sagen, warum Sie das nicht tun: weil Sie gar nicht wissen, was diese deutsche Kultur aus- Wie schaut es mit extremen Dialekten wie etwa dem macht. Oberpfälzischen aus? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ sowie bei Abgeordneten der SPD und der DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN LINKEN) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Brandner, bei Ihnen weiß man nie, ob Sie morgens mit der Schmusedecke oder mit der Mache- Bei Türkisch erübrigt sich die Frage sicherlich für die te aufgewacht sind; ich weiß. AfD. Die AfD glaubt ganz augenscheinlich nicht an die Kraft und Stärke der deutschen Sprache, an ihre Kraft, (Stephan Brandner [AfD]: Heute war es die sich wandeln zu können und gerade dadurch einzigartig Schmusedecke!) zu sein. Aber ich würde Ihnen empfehlen, einfach einmal zuzu- Natürlich: Wir alle, von der Bundeskanzlerin – wenn hören und zu relaxen. sie da ist – bis zur 709. Parlamentarierin, chatten, twittern und liken; rechts außen wird wohl mehr gehatet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ LINKEN) DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie haben keinen positiven Begriff von unserer Kul- tur. Was ist denn dieses Eigene, das Sie verteidigen wol- Unsere Muttersprache entwickelt sich weiter im alltäg- len? Was ist Ihr positives Bild der deutschen Kultur, der lichen Gebrauch durch den Erfndungsreichtum in der deutschen Sprache? Welche deutschen Künstler könnten Jugendsprache, im Hip-Hop, in der Literatur und, ja, Sie anführen? Goethe, Heine, Thomas Mann, Funny van auch hier im Parlament. Wäre unsere Sprache nicht in Dannen, Rammstein, Die Ärzte? Alle diese Künstler, die der Lage, sich zu verändern, würde sie ihre Funktion auf- sich wirklich mit der deutschen Sprache auseinander- geben als Instrument der Kommunikation und der Iden- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1531

Erhard Grundl (A) tifkation mit unserer Zeit, mit unserem Land, mit den Wir fördern deshalb Sprachkitas, berufsbezogene sprach- (C) Menschen, die hier zusammen leben. liche Förderprogramme, Integrationskurse und vieles mehr. Ja, mit dem Bayerischen Integrationsgesetz ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, pfichten wir auch zur Teilnahme an Sprachkursen; denn bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der wir wollen keine Parallelgesellschaften in Deutschland. LINKEN) Hinter diesem Gesetzentwurf steht ein Kulturver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ständnis der Abschottung und Ausgrenzung. Kulturen ordneten der AfD) und Sprachen verändern sich; das macht sie spannend Solche Maßnahmen sind für den Schutz der deutschen und reich. Im Austausch der Kulturen entsteht Neues; Sprache in der Praxis grundsätzlich viel wichtiger als rei- dort fndet Inspiration statt. Nichts davon steht in diesem ne Symbolpolitik. Gesetzentwurf. „Braucht’s des?“, fragt Polt. Ich sage ganz klar: Nein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, Ihr Ge- setzentwurf ist wie üblich oberfächlich formuliert und Vielen Dank. bei der Lösung inhaltslos. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der (Widerspruch bei der AfD) LINKEN) Sie wollen die deutsche Sprache nicht als Symbol veran- kert wissen, sondern als Staatsziel, und Sie wollen damit Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: quasi Sprachpolizei spielen. Sie stehen im krassen Wi- Jetzt erteile ich der Kollegin Andrea Lindholz, CDU/ derspruch zu den meisten Rechtskommentaren und dem CSU-Fraktion, das Wort. Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich darf aus Ihrem Gesetzentwurf zitieren: ... Unternehmen nutzen die englische Sprache be- Andrea Lindholz (CDU/CSU): vorzugt nicht nur für ihre unternehmensinterne Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Kommunikation, sondern ebenso für Werbemaß- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD nahmen. will die deutsche Sprache im Grundgesetz verankern. Ja, CSU und CDU sowie der ehemalige Bundestagspräsi- Wollen Sie Unternehmen also allen Ernstes vorschrei- dent Norbert Lammert vertreten dies bereits seit langem. ben, wie sie ihre Werbung gestalten sollen, oder gar, wie (B) sie intern kommunizieren? (D) (Beifall bei der AfD) (Stephan Brandner [AfD]: Nein, das wollen Im Bundestag gab es dazu Anhörungen, Stellungnahmen wir nicht! – Mahmut Özdemir [Duisburg] und Petitionen, bisher aber keine Mehrheit. Das ist be- [SPD]: Nein, weil sie keine Ahnung vom dauerlich, aber sicher keine Katastrophe. Grundgesetz haben!) Die Rechtswissenschaft schreibt heute schon der deut- Sie schreiben weiter: schen Sprache ihren Verfassungsrang zu. Das ergibt sich aus unserer Verfassung: durch die Nennung des deut- Deutschsprachige Musiker sehen sich zunehmend schen Volkes, der deutschen Staatsangehörigkeit und gezwungen, auf Englisch zu singen ... durch die Tatsache, dass unser Grundgesetz auf Deutsch geschrieben wurde. Außerdem ist Deutsch unter anderem Wollen Sie unseren Radio- und Fernsehsendern vor- im Gerichtsverfassungsgesetz und im Verwaltungsver- schreiben, welche Musik sie spielen müssen, oder uns fahrensgesetz verankert. gar, welche Musik wir hören dürfen? (Stephan Brandner [AfD]: Das hatte ich be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU reits erwähnt!) und der LINKEN sowie des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]) Es wäre aber auch aus unserer Sicht ein wichtiges Si- gnal, die deutsche Sprache symbolisch im Grundgesetz Sie wollen in Ihrem Gesetzentwurf für die öffentliche explizit aufzuführen. Kommunikation staatlicher Institutionen über die bereits (Beifall bei der AfD) verankerte Festlegung der deutschen Sprache hinaus weitere Vorgaben machen. Sie sorgt für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Iden- tität. Es gibt viele Verfassungen in Europa, die die Lan- (Dr. [AfD]: Nur ins Grund- dessprache normiert haben. Deswegen ist die Forderung gesetz! Das wollen Sie doch auch!) per se auch nichts Schlechtes oder gar Schlimmes. Wollen Sie vielleicht bei wissenschaftlichen Kongressen Deutsch zu sprechen, ist Voraussetzung für Teilhabe in Deutschland den Wissenschaftlern aus aller Welt vor- in Deutschland. schreiben, dass sie nur deutsch zu sprechen haben? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich bin stolz auf die vie- AfD und der LINKEN) len jungen Leute in unserem Land, die in der Lage sind, 1532 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Andrea Lindholz (A) sich auf Englisch, Französisch und Spanisch zu verstän- Danke schön. (C) digen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Finde ich auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- gut!) geordneten der FDP und der LINKEN) und auch einen ganzen Artikel in den Sprachen zu ver- fassen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächster Redner ist der Kollege Johann Saathoff, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, SPD. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD – (Beifall bei der SPD) Abg. Jan Ralf Nolte [AfD] meldet sich zu ei- ner Zwischenfrage) Johann Saathoff (SPD): In der Arbeitswelt, in der Wissenschaft, in der Forschung Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ist die Vielsprachigkeit schlicht gar nicht mehr wegzu- Kollegen! Herr Brandner, ich muss schon sagen, dass es denken. eine beeindruckende Liste von Unterstützern ist, die Sie hier vorgelegt haben. Zu guter Letzt: Besonders enttäuschend ist, dass Ihr Gesetzentwurf mehr als scheinheilig ist – samt den (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Schaufensterreden, die Sie hier gehalten haben. Aber diese beeindruckende Liste ist nicht der Grund für Ihren Gesetzentwurf. Der wirkliche Grund für Ihren Ge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: setzentwurf ist nationale Abgrenzung, Frau Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine Zwischen- (Zurufe von der AfD: Oh!) frage? und das gehört auf die Tagesordnung gesetzt. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Ich sage an dieser Stelle mal: Sie haben Kolleginnen, Nein. die eine besonders alpine Affnität zur Schweiz haben. Dieses Land hat vier Amtssprachen. Ist das vielleicht der heimliche Grund, warum Sie diesen komischen Gesetz- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: entwurf hier eingebracht haben? (B) Nein. Sie gestatten keine Zwischenfrage. (D) (Beifall bei der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Da gibt es auch Volksabstimmungen!) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Brandner Nicht nur Ihr Programm ist auf Russisch veröffent- wünscht uns Mut zur Courage. Ich übersetze das einmal licht worden; die Kollegin Connemann hat bereits darauf nicht. Ich wünsche uns die Courage, anderen Sprachen hingewiesen. Sie haben im Bundestagswahlkampf und in mit Respekt zu begegnen, statt Angst davor zu haben. den Landtagswahlkämpfen in Nordrhein-Westfalen und in Berlin auch mit Flyern (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- (Stephan Brandner [AfD]: Flyern?) geordneten der CDU/CSU und der FDP) und auf Wahlplakaten auf Russisch geworben. Sie wollen den Wert der Muttersprache in den ge- (Stephan Brandner [AfD]: Da sehen Sie die sellschaftlichen Fokus rücken. Meine Muttersprache ist Vielfalt!) Plattdeutsch. Un as ik domaals Börgmester west bün in mien egen Gemeent, was ik domaals – wie jetzt – daarvan­ Wer sich hier als Polizei und großer Verteidiger der deut- overtüügt west, dat dat beter is, wenn man mit de Lüü, de schen Sprache aufspielt, der muss das erst einmal erklä- direkt mit een to doon hebben, ok in Plattdüütsch proten ren. Was Sie hier abliefern, ist an Scheinheiligkeit wirk- kann. lich nicht mehr zu überbieten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hansjörg Müller GRÜNEN) [AfD]) Ihnen geht es nicht darum, die deutsche Sprache als eine Ik will seggen – Se mögen de Wahrheid villicht neet schöne Sprache im Grundgesetz zu verankern. Ihnen geern hören –: Dat is so en Aard Slötelqualifkation; man geht es wie üblich darum, zu spalten. mutt en gemeensaam Spraak hebben, daarmit man sük tegensiedig ok unnerhollen kann un mitnanner ok proten Ich möchte mit Goethe schließen: kann un sük versteiht. Ein jeder, weil er spricht, glaubt, auch über die Spra- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem che sprechen zu können. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1533

Johann Saathoff (A) Un ik hebb Lüü beleevt in Iowa, de sünd 70 Jahr old, schen übrig; wir haben das heute erlebt. Ich lasse keine (C) de könen bestens Plattdüütsch proten, aver keen Woord Zwischenfrage zu. Hoogdüütsch. Dat sünd bestens integrierte Amerikaner. Un dat Engels kunn ok neet daarunner leden hebben, dat (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten de na Amerika utwannert sünd – dat kann ik Hör verge- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE wissern. GRÜNEN) Wenn man eine Fremdsprache spricht, dann heißt das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eben nicht, dass man weniger deutsch sprechen darf oder der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des muss. Die AfD sagt: Sprache ist Kulturgut. – Ich würde BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sagen: Nicht nur die deutsche Sprache ist Kulturgut, son- Sprachen, meine Damen und Herren, liebe Kollegin- dern alle Sprachen sind Kulturgut. nen und Kollegen, sind viel wert. Ich habe in der Schule (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Englisch gelernt. Meine Lehrerin würde sagen, nicht ger- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- ne. Ich würde das bestätigen. geordneten der CDU/CSU und der FDP) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nicht nur nichts von seiner eigenen Sprache, er weiß auch nichts von den Aber ich bin froh, dass ich es kann. Sprachen sind im anderen Ländern, deren Menschen und deren Beweg- Wandel. Auch die deutsche Sprache ist im Wandel – na- gründe. Wer nichts darüber weiß, der hat Angst. Und wer türlich. Fast niemand will so sprechen, wie man früher Angst hat, der igelt sich ein und zeigt dann nationalisti- im Mittelalter gesprochen hat. Sprachen entwickeln sich sche Tendenzen. Wozu das führt, Kolleginnen und Kolle- eben, und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen. gen, das wissen wir alle miteinander. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) SES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt nicht nur Deutsch. Die Vielfalt der Sprachen Angst is also de Grundlaag van Hör politisch Hanneln, aus den Regionen macht doch den Wert der deutschen leev Kollegen van de AfD. Se doon so, as of man Hör wat Sprache insgesamt aus. Se doon so, as wenn man Angst wegnehmen wüür, wenn wat anners daartokummt. Dat hebben mutt daarvör, dat irgendeen van buten noch sien Tegendeel is de Fall: Düütschland word neet armer dör Infuss in uns Spraak ringeven deit. anner Spraken, Düütschland word rieker. Daarup mutten (B) wi stolt ween. (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Düütschland profteert daarvan, dat wi ­tosamenwassen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- in de Welt. Tosamenwassen in de Welt geiht nur, wenn geordneten der CDU/CSU und der FDP) man sük tegensiedig unnerhollen un verstahn kann un wenn man de richtige Spraak proten kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig ist es, ver- standen zu werden. Bei den Autoren des Gesetzentwurfes (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, ist es, glaube ich, egal, ob ich Platt, Deutsch, Englisch der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE oder Kisuaheli spreche. Hören und Verstehen sind eben GRÜNEN) zwei verschiedene Dinge, oder wie wir in Ostfriesland sagen: Ik verstah di wall, man ik begriep di neet.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Herr Kollege Saathoff, abgesehen davon, dass Sie bit- GRÜNEN) te darauf achten, dass wir alle verstehen können, was Sie sagen, Ich möchte mich abschließend ganz herzlich beim Stenografschen Dienst entschuldigen. Ich gelobe Besse- (Heiterkeit – Mahmut Özdemir [Duisburg] rung. [SPD]: Wir verstehen den Kollegen immer!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/ wollte ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kol- CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- legen Spangenberg akzeptieren. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ten der AfD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nur auf Plattdeutsch!) Ich danke dem Präsidenten für das Verständnis. Besten Dank för ’t Tohören, leev Kolleginnen un Kol- Johann Saathoff (SPD): legen. Herr Präsident, die AfD vermutet, dass durch die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Quantität ihrer Zwischenfragen ihre Arbeit mehr wert- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE geschätzt wird. Die Qualität lässt aber deutlich zu wün- GRÜNEN) 1534 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: jeweils festgeschrieben, dass die Gerichts- und Amts- (C) Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Axel Müller, sprache Deutsch ist. Ich bin als Vorsitzender Richter ei- CDU/CSU-Fraktion, zu seiner ersten Rede. Ich gehe da- ner Strafkammer niemals davon abgewichen, abgesehen von aus, dass Sie nicht in dem Ausmaß wie Ihr Vorredner von vereinzeltem Abgleiten in den Dialekt. Plattdeutsch sprechen werden. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass es Ihnen darauf (Beifall bei der CDU/CSU) ankommt, die Sprache als Medium unserer sprachlichen Kultur zu erhalten. In Anbetracht der vielfach um sich Axel Müller (CDU/CSU): greifenden Anglizismen könnte dies sicherlich Sinn ma- chen. Frühere AfD-Anträge haben das in ihren Begrün- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten dungen ausdrücklich ausgeführt. Da muss ich Ihnen aber Kolleginnen und Kollegen! Nein, das werde ich nicht sagen, Herr Brandner: Fangen Sie bitte in Ihrem eigenen tun. Aber ich möchte vorwegschicken, dass ich mich als Wahlprogramm damit an! Dort fnden sich Worte wie Baden-Württemberger, als Schwabe darüber freue, hier „Bodycam“, „Taser“, „Failed States“, Genderstudies“. zu dem Thema „Deutsch als Landessprache“ sprechen zu dürfen; (Christian Dürr [FDP]: Was? Unglaublich! – (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ganzen Hause) gibt es doch nicht! Parteiausschlussverfah- ren!) denn wir können ja bekanntlich alles außer Hochdeutsch. Ja, eines Ihrer Mitglieder publiziert seit Jahren akade- Zur Sache. Die AfD hat beantragt, dass Deutsch als misch nur in englischer Sprache. Landessprache im Grundgesetz festgeschrieben wird. Inhaltsgleiche Anträge hat die AfD in den Landesparla- (Florian Hahn [CDU/CSU]: Hört! Hört!) menten von Baden-Württemberg, Thüringen und Bran- Überhaupt wird Ihr Wahlprogramm als Verständi- denburg gestellt, jeweils mit dem Ziel der Aufnahme in gungsmittel der deutschen Sprache nur unzureichend die jeweilige Landesverfassung. Diese Anträge sind ge- gerecht. Eine Überprüfung Ihres Programms im Rah- scheitert. men eines Vergleichs mit anderen Programmen durch (Stephan Brandner [AfD]: Schade!) die Universität Hohenheim im Jahr 2017 ergab, dass das AfD-Programm das am wenigsten verständliche ist. Auf Wenden wir uns dem heutigen Antrag zu. Im Grund- einer Skala von 0 bis 20 erreichte Ihr Programm gerade gesetz – ich versuche, die Debatte etwas zu versachli- einmal den Wert von 7,3. Gott sei Dank sind wir mit un- chen – fehlt eine ausdrückliche Nennung einer Gesetzge- (B) serem Programm an der Spitze gewesen. Das liegt viel- (D) bungskompetenz für Deutsch als Landessprache. leicht auch daran, dass wir keine Sätze mit 63 Wörtern (Stephan Brandner [AfD]: Genau deshalb bilden, um zu erklären, wie wir uns den Strafvollzug aus- wollen wir es aufnehmen, Herr Kollege!) ländischer Strafgefangener vorstellen. Die Sprache kann jedoch in Ergänzung zu Artikel 22 des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Grundgesetzes – das ist allgemeine Rechtsansicht, Herr ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Brandner; das müssten auch Sie wissen – neben dem Sitz NISSES 90/DIE GRÜNEN) der Landeshauptstadt und den Farben der Landesfagge aufgenommen werden. Ihr Verweis auf die Österreichi- In meiner Zweitausbildung als Mediator habe ich ir- sche Verfassung erübrigt sich; denn – ein Kollege hat es gendwann einmal gelernt, dass man immer nach dem vorhin schon gesagt –: Das Grundgesetz ist in Deutsch wahren Interesse eines Standpunktes oder einer Haltung geschrieben, es wendet sich in zahlreichen Artikeln fragen möge. Welche Ziele verfolgen Sie denn wirk- und an vielen Stellen an die Deutschen. Es ist also eine lich? Entgegen Ihrer Behauptung wollen Sie doch nicht Selbstverständlichkeit, dass das Grundgesetz dem Deut- die deutsche Sprache als verbindendes Element der in schen einen Verfassungsrang zubilligt. Deutschland lebenden Menschen in die Verfassung auf- nehmen; denn im besonderen Teil Ihres Antrags führen Es stellt sich die Frage, ob das, was Sie wollen, not- Sie aus, dass künftig in der öffentlichen Kommunika- wendig oder zweckmäßig ist, wenn damit lediglich – das tion staatlichen Handelns den Institutionen Vorgaben ist das Ergebnis meiner Untersuchungen – eine Symbo- gemacht werden können. Im gleichlautenden Antrag in lik verbunden ist. Darüber lässt sich sicher treffich strei- Baden-Württemberg haben Sie ausdrücklich vermerkt, ten. Die CDU kam bei zwei Bundesparteitagen – 2008 dass das die Rechtsgrundlage dafür bilden soll, dass bei- und 2016 – zu dem Ergebnis, dass man dieser Symbolik spielsweise Formulare staatlicher Behörden nicht mehr Rechnung tragen solle und Deutsch ins Grundgesetz auf- mehrsprachig ausgegeben werden. nehmen möge. Auch ich habe dem zugestimmt; das will ich nicht verhehlen. Ich habe damals zu Protokoll ange-

merkt, dass man dann Anglizismen bitte aus dem Partei- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: programm herausstreichen möge. Herr Kollege Müller, achten Sie bitte auf Ihre Rede- zeit. Eine Klarstellung, dass Deutsch Landessprache ist, ist aber nicht erforderlich; denn Deutsch ist die Sprache staatlichen Handelns. In § 184 des Gerichtsverfassungs- Axel Müller (CDU/CSU): gesetzes und § 23 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1535

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C) Danke. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Mangels Wi- derspruch ist das so beschlossen. Axel Müller (CDU/CSU): Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Ziel Ihres Antrags ist es also, die Menschen, die kein Kollegen Gerald Ullrich, FDP, zu seiner ersten Rede im oder nur unzureichend Deutsch sprechen, auszugrenzen, Deutschen Bundestag. sie fernzuhalten von den Einrichtungen oder Leistungen (Beifall bei der FDP) dieses Staates. Das ist aber genau das Gegenteil dessen, was Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes festschreibt. Gerald Ullrich (FDP): (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und NIS 90/DIE GRÜNEN) Kollegen! Liebe Gäste! Die FDP-Fraktion bringt heute einen Gesetzentwurf ein, bei dem es um Freihandel geht. Dort heißt es nämlich ausdrücklich, dass niemand wegen Warum liegt uns Freihandel so am Herzen? Wohlstand seiner Sprache benachteiligt werden darf. Daher unter- entsteht durch Freihandel, wie man am Beispiel der EU stützen wir Ihren Antrag, weil er so nicht verfassungs- sehen kann. Er brachte uns außerdem die längste Frie- konform ist, nicht. densperiode aller Zeiten in unserer Region. Freihandels- Vielen Dank. politik bedeutet Friedenspolitik, meine Damen und Her- ren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten GRÜNEN – Steff Lemke [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU) GRÜNEN]: War wohl ein Rohrkrepierer!) Deshalb ist es unser Ziel, weitere faire und rechtssi- chere Freihandelsabkommen auf den Weg zu bringen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wenn wir Handelshemmnisse abbauen und gleichzeitig Damit schließe ich die Aussprache. unsere hohen Standards bei Menschenrechten sowie Le- bensmittel- und Umweltsicherheit als Rechtsgrundlage Interfraktionell ist Überweisung des Gesetzentwurfs verteidigen, geben wir der Globalisierung gerechte Re- auf der Drucksache 19/951 an die in der Tagesordnung geln und sichern unseren Wohlstand und Frieden. Das aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe kei- Freihandelsabkommen mit Kanada erreicht genau das. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b der CDU/CSU) auf: Die alte Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD hat a) Erste Beratung des von den Abgeordneten bereits am 28. Oktober 2016 im Rat der Europäischen Christian Lindner, Alexander Graf Lambsdorff, Union CETA zugestimmt. Seit dem 21. September 2017 Michael Georg Link, weiteren Abgeordneten und wird CETA fast vollständig angewendet. Die bisherige der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs Anwendung umfasst das gesamte Abkommen außer dem eines Gesetzes zu dem umfassenden Wirt- Marktzugang für Portfolioinvestitionen, dem Streitbeile- schafts- und Handelsabkommen vom 30. Ok- gungsverfahren und den Regelungen zur strafrechtlichen tober 2016 zwischen Kanada einerseits und Durchsetzung von geistigen Eigentumsrechten. der Europäischen Union und ihren Mitglied- Nun stehe ich im Jahr 2018 vor Ihnen, um die Rati- staaten andererseits fzierung von CETA erneut einzufordern. Nach den Be- Drucksache 19/958 rechnungen im Auftrag der Europäischen Kommission von 2011 hat CETA für uns folgende Bedeutung: Rund Überweisungsvorschlag: 10 500 deutsche Unternehmen exportieren nach Kanada. Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss Drei Viertel davon sind kleine oder mittelständische Un- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen ternehmen. 865 000 Arbeitsplätze in der EU hängen von Union Exporten nach Kanada ab, 141 000 davon in Deutsch- land. Die EU-Exporte nach Kanada werden um 24,3 Pro- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus zent steigen. CETA erhöht also die jährliche europäische Ernst, Fabio De Masi, Susanne Ferschl, weiterer Wirtschaftsleistung in erheblichem Maße. Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der FDP) Den Rechtsstaat stärken – Multilateralen In- vestitionsgerichtshof ablehnen und Parallel- Im neuen Koalitionsvertrag – sofern er denn zustande justiz für Konzerne stoppen kommt – steht: „Wir wollen …, dass das CETA-Abkom- men umfassend in Kraft treten kann.“ Drucksache 19/97 Die EU hat Kanada für diese neue Generation von Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Abkommen ausgewählt, weil uns mit Kanada eine ge- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz meinsame Geschichte, Kultur und langjährige Partner- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union schaft verbindet. Wenn der Atlantik nicht dazwischen- 1536 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Gerald Ullrich (A) läge, wäre Kanada wahrscheinlich Teil der EU und des Bundesregierung: Übernehmen Sie Verantwortung und (C) Binnenmarktes. Deshalb frage ich die grünen und linken zeigen Sie Haltung! Freihandel gewährleistet Frieden Freihandelsskeptiker: Wovor habt ihr eigentlich Angst? und Wohlstand. Ein erster Schritt dazu ist es, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Danke. Wir Freien Demokraten wollen nicht länger zuschau- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. en und fordern die Ratifzierung von CETA. Nichtstun ist Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]) und bleibt Machtmissbrauch, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Stefan Acht EU-Mitgliedstaaten und Kanada haben CETA be- ­Rouenhoff, CDU/CSU-Fraktion. Auch für ihn ist es die reits ratifziert. Deutschland sollte hier als erfolgreiche erste Rede im Deutschen Bundestag. Exportnation nicht länger auf sich warten lassen. Die Ratifkation von CETA ist ein wichtiges Signal der EU (Beifall bei der CDU/CSU) an die Welt. Da die WTO blockiert ist, schreitet die EU mit willigen Partnern voran, unabhängig davon, wer im Stefan Rouenhoff (CDU/CSU): Weißen Haus sitzt. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der FDP) Kollegen! Meine Damen und Herren! Deutschland ist die Nach der Ratifzierung durch alle Mitgliedstaaten drittgrößte Handelsnation der Welt. Jeder vierte Arbeits- wird CETA vollständig in Kraft treten. Dazu gehört dann platz hängt hierzulande direkt oder indirekt vom Export auch das Streitbeilegungsverfahren in CETA, das den ab. Der Außenhandel hat entscheidend zu Wachstum, Be- modernsten Standard für das 21. Jahrhundert garantiert. schäftigung und Wohlstand in Deutschland beigetragen. Bei CETA können Investoren die Schiedsrichter nicht Das zeigt: Offene Märkte sind kein Selbstzweck. Wir mehr selbst auswählen. CETA etabliert einen neuarti- brauchen offene Märkte für wettbewerbsfähige Arbeits- gen Investitionsgerichtshof. Die EU und Kanada einigen plätze, für ein breites Angebot an Produkten und Dienst- sich je auf fünf Richter aus der EU, aus Kanada und aus leistungen und für wirtschaftlichen und gesellschaftli- Drittstaaten. Für jedes Verfahren werden die zuständigen chen Fortschritt. Für diese Grundhaltung steht die CDU/ Richter zufällig ausgewählt. Die Anforderungen an sie CSU-Fraktion. entsprechen den hohen Ansprüchen des Internationalen (Beifall bei der CDU/CSU) Gerichtshofes der Vereinten Nationen. (B) Die europäische Handelspolitik steht heute vor gewal- (D) Wie es sich für ein rechtstaatliches Verfahren gehört, tigen Herausforderungen. Protektionismus ist in einigen hat der Investitionsgerichtshof von CETA auch eine Be- Staaten wieder salonfähig geworden. Das sehen wir auch rufungsinstanz. Laut CETA werden Gerichtsunterlagen mit Blick auf die heutigen Nachrichten aus den USA. Na- im Internet zugänglich sein und mündliche Verhandlun- tionale Egoismen und politischer Populismus sind über- gen öffentlich geführt. Deutschland muss sich auch nicht all auf dem Vormarsch. Es liegt in unserer Verantwor- vor illegitimen Klagen von Investoren fürchten. CETA tung, diesen Entwicklungen mit aller Entschlossenheit garantiert Staaten das Recht, Regulierungen zum Schutze entgegenzutreten. von Gesundheit, Umwelt, Sitte, kultureller Vielfalt und zur Ausgestaltung der Sozialpolitik selbst zu erlassen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- auch wenn dadurch Gewinnerwartungen der Investoren ordneten der FDP) beeinträchtigt werden. Wer allerdings, wie es teilweise in den vergangenen CETA ändert auch nichts an nationalen Regeln für Jahren zu beobachten war, mit gezielten Falschbehaup- Produkte und Arbeitsstandards, wie gerne behauptet tungen oder aus bloßem Unwissen die Ängste und Sor- wird. Das Vorsorgeprinzip, eine Errungenschaft der EU, gen der Menschen vor Handel und Handelsabkommen bleibt gewährleistet. schürt, der befeuert genau diese Entwicklungen, der schwächt die europäische Handelspolitik und lähmt die (Beifall bei der FDP) Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Meine Damen und Herren, wir brauchen weder wirt-

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schaftlichen Nationalismus noch Populismus in der Han- Herr Kollege Ullrich, denken Sie an Ihre Redezeit. delspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerald Ullrich (FDP): Jawohl. – Die Interpretation des Standards der fairen Was wir brauchen, ist eine schlagkräftige europäische und gerechten Behandlung sowie der indirekten Enteig- Handelspolitik, die neue Absatzmärkte sichert, den nung ausländischer Investoren ist im Gegensatz zu frühe- Waren- und Dienstleistungsaustausch mit Drittstaaten ren Schiedsgerichten für den Investitionsgerichtshof von erleichtert und gleichzeitig die hohen europäischen Ar- CETA klar geregelt. beits-, Umwelt- und Sozialstandards gewährleistet. Sehr geehrte Damen und Herren, meine Ausführun- Die Bundesregierung hat sich deshalb mit Nachdruck gen bringen mich nun zu der Forderung an die zukünftige für den Abschluss des Freihandelsabkommens CETA Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1537

Stefan Rouenhoff (A) eingesetzt. Das im September 2017 vorläufg in Kraft stäbe für die Ausgestaltung globaler Handelsregeln set- (C) getretene Abkommen ist aus unserer Sicht ein handels- zen. Daran sollten wir alle ein Interesse haben. politischer Meilenstein. Die CDU/CSU-Fraktion steht deshalb auch voll und ganz hinter CETA. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gerald Ullrich [FDP]: Sagt (Beifall bei der CDU/CSU) das mal eurem Koalitionspartner!) Aber um der FDP hier und heute gleich jedwede Hoff- Nun zum Antrag der Linken. Ich bin schon erstaunt, nung zu nehmen: mit welcher Inbrunst sie jedweden Investitionsschutz ab- (Dr. [FDP]: Was?) lehnen. Egal ob es sich um die Investor-Staat-Schieds- verfahren, den in CETA verankerten bilateralen Inves- Wir lassen uns ganz sicher nicht von Ihnen aufs Glatteis titionsgerichtshof oder den nun von der Europäischen führen. Ihnen geht es mit der Vorlage des Entwurfs eines Kommission geplanten multilateralen Gerichtshof han- Vertragsgesetzes nicht darum, CETA zu ratifzieren und delt, für Sie scheint der Investitionsschutz ja echtes Teu- vollständig in Kraft zu setzen. felszeug zu sein. Aber vor 2014, also vor der Diskussi- ( [FDP]: Na klar! – Weitere on zum Investitionsschutz in TTIP und CETA, habe ich Zurufe von der FDP: Doch! Doch!) keine Kritik von den Linken an den rund 130 deutschen Investitionsschutzverträgen gehört, obwohl in vielen die- Ihnen geht es darum, einen Keil zwischen uns und die ser Investitionsschutzverträge ISDS verankert ist. Das SPD-Fraktion als unserem potenziellen Regierungspart- verwundert mich doch schon sehr. ner zu treiben; (Beifall bei der CDU/CSU) (Widerspruch bei der FDP) Sie kritisieren, der geplante multilaterale Investiti- denn Sie wissen nur zu gut, wie intensiv und kontrovers onsgerichtshof etabliere eine Paralleljustiz. Mit Verlaub: in der SPD um CETA gerungen wurde und wie sehr das Wenn Sie dieser Argumentationslogik folgen würden, Abkommen auf der Kippe stand. dann müssten Sie ab sofort auch den Internationalen Ge- Mit der SPD haben wir uns im Koalitionsvertrag da- richtshof in Den Haag als Paralleljustiz brandmarken. rauf verständigt, CETA umfassend in Kraft zu setzen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. der CDU/CSU – Dr. Gesine Lötzsch [DIE ( [FDP]: Was heißt denn das?) LINKE]: So ein Quatsch!) Dazu gehört auch, dass das Bundesverfassungsgericht im Was wir brauchen, sind keine populistischen Forde- (B) (D) Hauptsacheverfahren über die anhängigen Verfassungs- rungen, sondern einen funktionsfähigen und modernen klagen gegen CETA ablehnend entschieden hat. Investitionsschutz, der vor willkürlicher staatlicher Ent- eignung effektiv schützt. Deshalb unterstützen wir mit Es wundert mich doch sehr, dass gerade die FDP, die Nachdruck die Bemühungen der Europäischen Kommis- sich immer als Anwalt der Bürgerrechte präsentiert, es sion, einen multilateralen Gerichtshof zu schaffen. jetzt so eilig hat und nicht einmal das Urteil des Bundes- verfassungsgerichts abwarten kann. Das zeugt schon von Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion wenig Respekt gegenüber einem Verfassungsorgan der wird sich dafür einsetzen, dass die europäische Handels- Bundesrepublik Deutschland, politik wieder an Schlagkraft gewinnt. Wir werden im Gegensatz zu anderen Fraktionen nicht die Axt an diese (Konstantin Kuhle [FDP]: Da klatscht nicht zentrale Säule der Europäischen Union legen; mal Ihre Fraktion!) und es zeugt auch von einem fahrlässigen Umgang mit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) einem so wichtigen wirtschaftspolitischen Thema. denn wir wollen, dass der Außenhandel in unserem Land (Beifall bei der CDU/CSU) Motor für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand bleibt – In einem Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sind wir uns dann aber vermutlich einig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Zurufe von der FDP: Nein!) im Interesse von Arbeitnehmern, Verbrauchern und Un- ternehmen. Das erreichen wir nur mit einer starken Eu- – Nein? Da bin ich gespannt. – Von Beginn der Handels- ropäischen Union. verhandlungen mit Kanada bis zum vorläufgen Inkraft- treten von CETA sind mehr als acht Jahre vergangen. Das Vielen Dank. ist eindeutig zu lange. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn die Europäische Union und damit auch Deutsch- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: land im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsmächten Nächster Redner ist der Kollege Bernd Westphal, nicht ins Hintertreffen geraten will, dann müssen Freihan- SPD-Fraktion. delsverhandlungen mit Drittstaaten beschleunigt werden. Nur dann kann die Europäische Union auch künftig Maß- (Beifall bei der SPD) 1538 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Bernd Westphal (SPD): Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Herr Kollege Westphal, danke für das Zulassen der Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu- Zwischenfrage. – Ich habe im Entwurf des Koalitions- nächst einmal kann man der FDP dankbar sein, dass sie vertrags mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie diesen Gesetzentwurf einbringt, weil es uns die Möglich- CETA umfassend in Kraft setzen wollen. Wir haben ge- keit gibt, hier über Handelsfragen zu diskutieren. rade alle gelernt, dass das – mit Ausnahme der Ausgestal- tung der Streitbeilegung und zwei weiterer kleiner Punk- (Beifall bei der FDP) te – schon der Fall ist. Nun heben Sie darauf ab, dass der Präsident der Vereinigten Staaten – nicht zum ersten Deshalb glaube ich nicht, dass Sie einen Keil treiben. Mal – umfassende Strafzölle gegen Waschmaschinen Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Märkte sind wie aus Korea, gegen Flugzeuge aus Kanada und jetzt gegen Fallschirme: Sie funktionieren nur, wenn sie offen sind.“ Stahl und Aluminium aus Europa und China verhängt Deshalb unterstützt die SPD-Fraktion diese Anliegen. hat. Sie sagen, darüber muss man noch einmal reden. Wir haben uns beim Thema Freihandelsabkommen auf Was ist eigentlich Ihre Erwartungshaltung in dieser internationaler Ebene zusammen mit dem damaligen Frage? Halten Sie es wirklich für hinreichend, nachdem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und einer anspruchs- Europa durch die unilaterale Politik von Herrn Trump vollen diplomatischen Politik enorm für Verbesserungen im Bereich der Steuerpolitik massiv unter Druck gesetzt im CETA eingesetzt, die erst dafür gesorgt haben, dass worden ist, nun, wo der kernindustrielle Bereich der das Abkommen Zustimmung gefunden hat. Stahl- und Aluminiumindustrie mit Handelshemmnissen Wir haben mit CETA sicherlich eine kontroverse De- konfrontiert ist, zu sagen: Na ja, dann schauen wir ein- batte hier im Haus, im Wirtschaftsausschuss und gesell- mal, ob wir vielleicht Harley Davidson verbieten oder schaftspolitisch geführt, aber die Vorteile dieses Abkom- besteuern. Halten Sie das wirklich für eine hinreichende, mens überwiegen, gerade mit einem Land wie Kanada, kluge Antwort auf diese Herausforderung? Oder müsste mit dem wir eine gemeinsame Wertebasis teilen und mit die Antwort Europas auf eine solche Herausforderung dem uns viele identische Wertemaßstäbe, Ansichten und nicht sein, zu wirksamen Maßnahmen zu greifen, die politische Übereinkommen verbinden. CETA wird dazu tatsächlich den Kernbestand amerikanischer Interessen beitragen, diese Verbindungen zu vertiefen. berühren?

Es geht uns darum, mit den nahen Partnern Deutsch- Bernd Westphal (SPD): lands und der EU Außenhandel durch Handelsverträge Sehr geehrter Kollege Trittin, vielen Dank für Ihre zu vereinbaren, die genau das bewirken, was Nationa- (B) Frage. Was mich verwundert, ist, dass wir als EU- und (D) listen wie Trump, Le Pen und anderen zuwiderläuft: Wir NATO-Partner hinnehmen müssen, dass der Präsident die wollen eine enge Kooperation über nationale Grenzen Maßnahmen mit nationalen Sicherheitsinteressen gemäß hinweg und keinen Protektionismus. Sektion 232 begründet. Das kann ich nicht verstehen. (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Wir machen uns Sorgen um die Arbeitsplätze in der Abgeordneten der CDU/CSU) Aluminium- und Stahlindustrie. Unsere europäische Das, was wir seit gestern Nachmittag erleben müssen, Antwort auf die Vorhaben des amerikanischen Präsiden- dass der amerikanische Präsident die Produzenten von ten – darauf kann er sich verlassen – werden wirksame Aluminium und Stahl mit hohen Zöllen belasten will, Abwehrmechanismen sein. Es kann doch nicht sein, dass erfüllt uns als SPD-Fraktion mit großer Sorge, was Ar- diese Politik weiter verfolgt wird. beitsplätze in Europa angeht. Das, was Mister Trump Wir appellieren an den amerikanischen Präsidenten, auf den Weg bringen will, fördert keinen freien Handel. seine Entscheidung zu überdenken, und zwar aus folgen- Er trifft damit andere Länder und Nicht-NATO-Partner den Gründen: Erstens, seine Begründung ist fragwürdig, und die EU. Er hat mit diesen Instrumenten im Grunde und zum Zweiten wird es den Amerikanern nicht helfen, genommen einen Brand gelegt, den er sicherlich noch weil sie genau die treffen, die sie nicht meinen. Wir sind einmal überdenken muss. Eine solche Politik darf nicht in diesen beiden Branchen nicht mit Antidumpingzöllen zu einem Handelskrieg zwischen der EU und den USA und anderen Maßnahmen auf dem amerikanischen Markt führen. Diese Entscheidung muss noch einmal überdacht unterwegs. werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei der CDU/CSU) Abgeordneten der CDU/CSU) Zurück zu CETA, wenn Sie erlauben. Ich hatte darauf hingewiesen, dass gerade die Bemühungen Deutschlands Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dazu geführt haben, dass hohe Standards in CETA er- Herr Kollege Westphal, ich bitte um Entschuldigung. reicht werden konnten. Das setzt Benchmarks für andere Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Trittin? Handelsabkommen. Deshalb werden wir mit CETA eine weitere Intensivierung der Handelsbeziehungen mit Ka- nada im deutschen und europäischen Interesse verfolgen, Bernd Westphal (SPD): was gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen Sehr gerne. hilft. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1539

Bernd Westphal (A) Wir lehnen es allerdings ab, den Gesetzentwurf zu Aber die sogenannten Freihandelsabkommen sind die (C) diesem Zeitpunkt zu beschließen. Die vorläufge An- größten Nebelkerzen seit Lügenbaron Münchhausen. wendung gilt für jene Bereiche, die unstrittig in der Zu- (Beifall bei der AfD) ständigkeit der EU liegen. Zu den anderen Bereichen des Abkommens, die erst nach Ratifzierung durch die Mit- Egal ob bei TTIP oder beim CETA-Handelsabkommen gliedstaaten in Kraft treten, gehören unter anderen Re- mit Kanada: Dass es um freien Handel geht, ist doch nur gelungen zur Beilegung der Investor-Staat-Streitigkeiten noch Fassade. Im Hintergrund läuft ein völlig anderes, mit öffentlich legitimierten Investitionsgerichten. abgekartetes Spiel. Nach zwei für die Bundesregierung vorteilhaft ausge- ( [FDP]: Ach so, die Verschwö- gangenen Eilverfahren steht jetzt das Hauptverfahren an. rung!) Man sollte der Entscheidungshoheit des Bundesverfas- Was passiert? Großkonzerne im Verbund mit interna- sungsgerichtes mit gebührendem Respekt begegnen und tionalen Anwaltskanzleien unterwerfen Arbeiter, Ange- den Gesetzentwurf nicht im Vorfeld der Entscheidung stellte und mittelständische Unternehmer. Und wie tun beschließen. Ich appelliere an die FDP, den Respekt ge- sie das? Das tun sie, indem sie über demokratisch nicht genüber dem Bundesverfassungsgericht aufrechtzuerhal- legitimierte Sondergerichte, die von diesen Typen auch ten. noch abhängig sind, eine intransparente Paralleljustiz Da keine Eilbedürftigkeit bei der Verabschiedung des schaffen. Ich bedanke mich bei den Kollegen der Linken Gesetzes besteht, lehnen wir den vorliegenden Gesetz- dafür, dass sie diesen Punkt aus dem AfD-Grundsatzpro- entwurf ab. Eine entsprechende Beratung kann zu einem gramm vorantreiben. Der ist von uns. späteren Zeitpunkt noch einmal auf die Tagesordnung (Beifall bei der AfD) gesetzt werden. Bei Handelsfragen haben wir eine ganze Reihe übereinstimmender Positionen, aber diesen Ge- Demokratisch legitimierte Gesetzgeber, das heißt die setzentwurf zu dieser Zeit lehnen wir ab. nationalen Gesetzgeber, werden entmachtet, und in der Folge tritt die Willkür des Weltstaates an die Stelle des Vielen Dank. nationalen Rechtsstaates. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Was ist denn der CDU/CSU) ein „Weltstaat“, bitte?) Das ist die Abschaffung des Rechtsstaates, und das ist mit Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: uns nicht zu machen. Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege (B) (Beifall bei der AfD) (D) Hansjörg Müller, AfD-Fraktion. In der Folge werden die Staaten durch eine Welle an (Beifall bei der AfD) Klagen erpressbar. Es bildet sich doch jetzt schon eine Klageindustrie heraus. Das kann doch nicht im Interesse Hansjörg Müller (AfD): unserer Freunde von der FDP sein. Eine Klageindustrie Dobry den, damy i gospoda! – Jetzt sehen Sie selbst, würde doch im Endeffekt bedeuten, dass das freie Unter- wie sinnvoll es ist, Deutsch als Landessprache ins Grund- nehmertum mit einer Sonderjustiz belegt ist. Am Ende gesetz zu schreiben. werden wir eine monopolisierte Feudalwirtschaft haben, (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wir haben (Lachen bei Abgeordneten der FDP) das doch verstanden! Wo ist jetzt das Geheim- in der freie Bürger und freie Unternehmer keinen Platz nis?) mehr haben und Mittelständler schon gleich gar nicht. Hohes Präsidium! Verehrte Damen und Herren! Die Alternative für Deutschland ist die einzige freiheitliche Vizepräsident : Partei im Deutschen Bundestag. Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwi- schenfrage? (Beifall bei der AfD) Freiheitlich bedeutet, dass wir die Interessen der Bürger Hansjörg Müller (AfD): und der Unternehmer gleichermaßen durch einen fairen Ja, selbstverständlich. Ausgleich der Interessen schützen. Da wir eine freiheit- liche Partei sind, sind wir selbstverständlich für freien Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Handel und für freies Unternehmertum. Freier Handel zeichnet sich dadurch aus, dass er weder durch Zölle Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfra- noch durch Quoten behindert wird. Deutsche Firmen – ge zulassen. – Das, was Sie uns bis hierhin dargeboten das gilt gleichermaßen für Mittelstand und Konzerne – haben, hört sich bis zu dieser Stelle ja ganz profund an. erwirtschaften gemeinsam einen erheblichen Anteil un- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- seres Wohlstandes, indem sie ungehindert exportieren NEN]: Was für eine Rede haben Sie gehört?) können. Auch hier gilt: Freihandel ist gut. Ich würde Sie bitten – ich glaube, das wäre für die zu- (Beifall bei der AfD) künftigen Beratungen wichtig –, für all das, was Sie da 1540 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Alexander Hoffmann (A) gerade behaupten, die entsprechenden Seitenzahlen des und das ist eine Verletzung des Rechtsgrundsatzes „Ne (C) TTIP-Abkommens und des CETA-Abkommens zu nen- bis in idem“. nen. Die Texte liegen ja vor. Ich glaube, für uns alle wäre (Otto Fricke [FDP]: Das ist aber nicht es wahnsinnig wichtig, wenn Sie die Kritikpunkte, die deutsch! – Fabio De Masi [DIE LINKE]: Sie gerade angebracht haben, konkret machen könnten, Nein, in Deutschland gibt es kein Unterneh- mit der entsprechenden Fundstelle. Ich verspreche Ihnen, mensstrafrecht!) dass wir dann alle ein Interesse daran haben, das, was Sie konkret belegen können, unter Umständen noch einmal Ansonsten stellt der Antrag der Linken in unseren Au- nachzuverhandeln. gen die Zusammenhänge meistens richtig dar, weshalb wir als AfD ihn wohlwollend betrachten. Wir als AfD (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und betrachten nämlich alle Anträge wohlwollend, die inhalt- der FDP) lich gut sind, egal von wem sie kommen. (Beifall bei der AfD) Hansjörg Müller (AfD): Das ist der große Unterschied. Diese Nichtausgrenzung, Verehrter Herr Kollege, erst einmal danke für die Fra- diese Offenheit Andersdenkenden gegenüber ge. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die vollständi- gen Texte – ich spreche von vollständigen Texten – von (Bernd Westphal [SPD]: Oh Gott!) TTIP und CETA so lang sind, dass sie vom Boden bis unterscheidet uns, die demokratische AfD, von allen an- unter die Kuppel des Bundestages reichen deren fünf Fraktionen in diesem Hohen Hause. (Widerspruch bei der CDU/CSU – Markus (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Töns [SPD]: Quatsch!) NEN]: Guter Witz!) und auch nicht vollständig öffentlich eingesehen werden Ich bedanke mich. können. (Beifall bei der AfD – Dr. Joachim Pfeiffer (Konstantin Kuhle [FDP]: Woher wissen Sie [CDU/CSU]: Wirrköpfe aller Länder, verei- das dann alles?) nigt euch!)

Sie können das Gleiche machen, was wir gemacht haben: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sie können sich Sekundärliteratur besorgen. Vielen Dank. – Als nächstem Redner erteile ich dem (B) (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU, der Kollegen Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das (D) SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Wort. GRÜNEN: Oh!) (Beifall bei der LINKEN) Etwas anderes bleibt Ihnen nicht übrig. Klaus Ernst (DIE LINKE): (Konstantin Kuhle [FDP]: Kopp Verlag! – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- [CDU/CSU]: Compact Ver- ren! Also, wir waren diesmal nicht diejenigen, die das lag!) Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. – Und warum nicht von der „Welt“ oder von „Spiegel (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN, Online“? Können Sie mir das einmal erklären? – Egal, der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Otto Sie und ich, wir haben den gleichen Wissensstand. Fricke [FDP]: Stimmt!) (Markus Töns [SPD]: Nein, den haben wir Trotzdem ist es nett, dass wir darüber reden können. nicht!) Meine Damen und Herren, dass sich jetzt die FDP so massiv für die sofortige Ratifzierung von CETA einsetzt, Wir bewerten das so, und Sie bewerten das anders. Das ausgerechnet die FDP, ist schon ein Hinweis darauf, dass ist halt so. dieses Abkommen mehr den Großkonzernen nützen ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- könnte als dem einfachen Bürger. NEN]: Das war schwach! – Dr. Joachim (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der Pfeiffer [CDU/CSU]: Was für ein Wirrkopf!) FDP: Ah! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sie argumentieren wie die AfD!) Wir fnden Punkt 5 des Antrags der Linken sehr be- denklich, in dem sie dazu aufrufen, ein Unternehmens- Normalerweise bringt eine Regierung einen solchen Ge- strafrecht zu schaffen, und zwar mit dem Ziel, Verstöße setzentwurf ein. Die FDP wollte aber nicht regieren, wie deutscher Unternehmen im Ausland zu ahnden. Erstens wir wissen. Vielleicht haben das aber noch nicht alle ge- fnden wir das bedenklich, weil das eine Einmischung merkt. Denn so einen Gesetzentwurf einzubringen, ob- in die bestehende Rechtslage anderer souveräner Staa- wohl CETA ja in weiten Teilen bereits in Kraft ist – nur ten ist, und zweitens, weil daraus eine Doppelbestrafung wenige Abschnitte sind von der vorläufgen Anwendung erwachsen kann: Unternehmen können doppelt bestraft ausgenommen –, ist, wie gesagt, normalerweise Angele- werden, einmal in Deutschland und einmal im Ausland, genheit einer Regierung und nicht der Opposition. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1541

Klaus Ernst (A) Meine Damen und Herren, welche Bestandteile des Akteuren, EU und Kanada, geschaffenen Internationalen (C) CETA-Vertrages werden zurzeit nicht angewendet? Gerichtshof? Nicht angewendet wird vor allem der Investitionsschutz. Ich will nicht wissen, welche zweifelhaften Motive die Klaus Ernst (DIE LINKE): FDP dazu bringen, sich für die Sonderklagerechte für Danke für die Frage. Sie gibt mir Gelegenheit, noch ausländische Investoren im Rahmen von CETA starkzu- einmal aufzuzeigen, was in diesen Schiedsgerichten bis- machen. Warum ein Sondergericht für ausländische In- her verhandelt wurde. Dort haben einzelne Investoren – vestoren? Taugen denn unsere nationalen Gerichte nicht? teilweise war das sehr fragwürdig – den einzelnen Staat Trauen Sie unseren Richtern nicht? Oder sind Unterneh- auf Entschädigung verklagt. Mit Enteignung hatte das mensinteressen bei einem Sondergericht vielleicht leich- überhaupt nichts zu tun, sondern da war entgangener Ge- ter durchzusetzen als bei einem ordentlichen deutschen winn Gegenstand des Verfahrens. Gericht? ( [DIE LINKE]: Genau!) (Zuruf von der FDP: Quatsch!) Wenn Unternehmen künftig nicht mehr dadurch Gewinne Das ist die Kernfrage. Genau das wollen Sie nämlich. erzielen wollen, dass sie vernünftige Produkte herstellen, Wir haben unseren Antrag zur Verhinderung dieser Par- sondern dadurch, dass sie diese Klageindustrie benutzen, alleljustiz bereits vorgelegt. dann lehnen wir das eindeutig ab. Das ist der Punkt. Meine Damen und Herren, auch der Deutsche Rich- (Beifall bei der LINKEN – Gerald Ullrich terbund kritisiert diese Paralleljustiz. Er spricht von der [FDP]: Das ist doch nur eine Vermutung!) „Einrichtung eines Gerichts, dem auch weiterhin demo- kratisch gesetztes Recht als Entscheidungsbasis fehlt“. Zu Ihrer zweiten Frage: wo man möglicherweise eher Der Richterbund warnt, dass der Investitionsschutz – ich recht bekommt. Es geht nicht darum, wo man eher recht zitiere noch einmal – „zu einem Geschäftsmodell einer bekommt, sondern ob es Recht ist, was man da bekommt. Klageindustrie oder unlauterer Investoren verkommt“. Es ist einem kanadischen Unternehmen wie auch jedem Er prangert an, dass die staatliche Gerichtsbarkeit ge- deutschen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutsch- schwächt wird. Aufgrund ihrer Stellung seien Investiti- land zuzumuten, wenn es sich ungerecht behandelt fühlt, onsschiedsgerichte in der Lage, Entscheidungen nationa- ein deutsches Gericht zu bemühen. Dem deutschen Mit- ler Verwaltungen und Gerichte zugunsten eines Investors telständler steht genauso offen, ein kanadisches Gericht außer Kraft zu setzen. Meine Damen und Herren, der zu bemühen. Auch kanadische Unternehmen haben nicht Deutsche Richterbund warnt: die Möglichkeit, einen Internationalen Schiedsgerichts- hof zu bemühen. Dort müssen die nationalen Gerichte (B) Eine überzeugende Regelung des Investitionsschut- entscheiden. Warum dieses unterschiedliche Recht, mei- (D) zes kann jedoch nur gelingen, wenn auch der Gast- ne Damen und Herren? staat und seine Bürger äquivalenten Rechtsschutz (Beifall bei der LINKEN) vor dem Investor erhalten.

Genau das haben diese Gerichte nicht, und deshalb leh- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nen wir sie ab, meine Damen und Herren. So einfach ist Herr Kollege Ernst, gestatten Sie eine weitere Zwi- die Welt. schenfrage? Das verlängert logischerweise Ihre Redezeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der AfD) Klaus Ernst (DIE LINKE): Gerne. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege Ernst, gestatten Sie eine Zwischenfrage Vizepräsident Wolfgang Kubicki: des Herrn Abgeordneten Theurer? Bitte.

Klaus Ernst (DIE LINKE): Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Aber gerne. Herr Kollege Ernst, ich möchte gerne an das anschlie- ßen, was der Kollege Theurer angesprochen hat. – Sie sagten gerade, entgangener Gewinn dürfe nicht vor Ge- Michael Theurer (FDP): richt geltend gemacht werden und Sie würden diese In- Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfra- stanzen ablehnen. ge gestatten. – Ist Ihnen bekannt, dass es bei internatio- nalen Investitionsstreitigkeiten nur darum geht, dass der Damit lehnen Sie beispielsweise auch ab, dass deut- Investor bei einem enteignungsgleichen Eingriff durch sche Stadtwerke, die sich in Spanien im Bereich „Erneu- die Gesetzgebung einen Anspruch darauf hat, gegebe- erbare Energien“ engagieren und dort investiert haben, nenfalls entschädigt zu werden? – Das ist die erste Frage. zu ihrem Recht kommen, nachdem Spanien im Nachhi- nein die Rechtsgrundlagen verändert hatte, wodurch die- Die zweite Frage ist: Glauben Sie, dass ein deutscher se Investition entwertet wurde. Über spanisches nationa- Mittelständler, der vor einem kanadischen Gericht Recht les Recht haben sie keine Entschädigung erhalten, aber einklagt, zum Beispiel eine Entschädigung, dort eher über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit innerhalb recht bekommt als vor einem gemeinsam von beiden der Europäischen Union wurde das letztlich erreicht. 1542 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Dr. Joachim Pfeiffer (A) Verstehe ich Sie also richtig, dass Sie es gut fnden, Ich weiß nicht, wer sich noch an das Beispiel „Rana (C) wenn deutschen mittelständischen Unternehmen oder so- Plaza“ erinnert. Ich stand an der Grube, wo dieses Werk – gar kommunal getragenen Unternehmen im Ausland die es war eigentlich gar kein Werk, sondern ein zusammen- Rechtsgrundlage entzogen wird? geschusterter Bau – zusammengefallen ist und mehrere Tausend Menschen ihr Leben verloren haben. Alle Un- ternehmen, die daran beteiligt waren, sind davongekom- Klaus Ernst (DIE LINKE): men. Das waren auch deutsche Unternehmen. Deshalb Herr Pfeiffer, das Problem ist Folgendes: In den bishe- sage ich Ihnen: Wir müssen dafür sorgen, dass die Unter- rigen Verfahren ging es immer um Fälle, nehmen für das verantwortlich sind, was sie im Ausland (Otto Fricke [FDP]: Sie können nicht auf treiben, zum Beispiel, welche Zulieferer sie dort haben. Fragen antworten!) (Beifall bei der LINKEN) in denen die klagenden Unternehmen letztendlich des- Das ist bedeutend wichtiger, als es Sondergerichte für halb geklagt haben, weil sie in Erwartung eines bestimm- deutsche Unternehmen im Ausland sind. ten Rechtszustandes eine Investition getätigt haben. Die Bürger haben hinsichtlich des Rechtszustandes dann Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. möglicherweise anders entschieden, wie zum Beispiel in (Beifall bei der LINKEN) Kanada. In Bezug auf Québec haben die Bürger gesagt: Nein, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wir wollen nicht, dass dort Fracking betrieben wird. – In Vielen Dank, Herr Kollege Ernst. – Zwischenfragen diesem Fall hat das Unternehmen, das noch gar nicht in- bieten die Möglichkeit, die Redezeit zu verdoppeln, wie vestiert, sondern nur Probebohrungen durchgeführt hatte, ich gerade habe feststellen können. Das ist aber kein dann gesagt: Jetzt können wir nicht mehr investieren, und Hinweis darauf, dass davon exzessiv Gebrauch gemacht deshalb haben wir einen Schaden, weil wir mit den künf- werden sollte. tigen Investitionen, die noch gar nicht getätigt wurden, kein Geld verdienen können. Als Nächstes für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katharina Dröge. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber nichts mit dem zu tun, was ich gefragt habe!) Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – Doch, Herr Pfeiffer, das hat genau damit zu tun, aber (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- (D) wenn Sie die Antwort nicht mehr hören wollen, dann nen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Ullrich, Sie haben müssen Sie sich wieder setzen. hier in Ihrer Rede das Hohelied des Freihandels gesun- Jetzt kommen wir zu dem konkreten Beispiel: In Be- gen. Das hat mich bei der FDP auch gar nicht verwun- zug auf Spanien stellt sich die Frage, ob die Investitionen dert. Weil es aber die erste Debatte in dieser Legislatur- für die Produktion, die erwartet wurde, dort schon getä- periode ist, die wir miteinander führen, will ich es einmal tigt wurden oder ob es dort um vorbereitete Dinge geht. klarstellen: Darum geht es in dieser Debatte nicht. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Sie sind (Otto Fricke [FDP]: Das entscheiden Sie?) schon getätigt worden!) – Ich erkläre Ihnen das auch. Wenn die Investitionen schon getätigt wurden, dann ist (Otto Fricke [FDP]: Ja, klar! Wollen Sie eine es, glaube ich, auch dem deutschen Unternehmen zuzu- Note geben?) muten, vor ein spanisches Gericht zu gehen und das dort und nicht vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof Ich würde sagen, fast alle Fraktionen in diesem Haus – einzuklagen. bei der AfD bin ich mir nicht so sicher; die Rede war etwas wirr – haben kein Problem damit, dass kanadische (Beifall bei der LINKEN) Waren auf dem europäischen Markt verkauft werden. Es geht hier um ein konkretes Abkommen und um die Frage, Das müsste nämlich auch der Spanier tun, der dort klagt. ob dieses Abkommen ein gutes Abkommen ist und ob es Auch der spanische Unternehmer müsste vor sein eige- geeignet ist, die Globalisierung gerecht zu gestalten. Das nes Gericht gehen. diskutieren wir hier. Weil in der Debatte schon so oft der Meine Damen und Herren, ich hatte gerade damit be- Vorwurf gefallen ist: Es geht nicht um die Frage pro oder gonnen, über die internationalen Strafgerichte zu reden, kontra Freihandel. die ja zur Debatte stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen keinen besonderen Rechtsschutz für Dass der Austausch von Waren eine sinnvolle Sache ist, Konzerne. Wir brauchen eher die Möglichkeit, Konzerne darin ist sich dieser Bundestag eigentlich einig. weltweit stärker zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie sich – insbesondere in den Entwicklungsländern – weder Ein zweiter Punkt, der an Sie gerichtet ist, Herr Kolle- um Umweltschutz noch um soziale Standards kümmern. ge Westphal. Ich bin Ihnen ausnahmsweise einmal dank- bar, und zwar dafür, dass Sie die Ratifzierung von CETA (Beifall bei der LINKEN) ganz offensichtlich verzögern werden. Das ist eine sehr Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1543

Katharina Dröge (A) gute Sache; denn es gibt uns die Chance, je nachdem, sem Haus darüber gesprochen, dass es nicht ausreichend (C) wie lange die GroKo-Verhandlungen dauern werden, ge- ist, wie Sie das Vorsorgeprinzip im Vertrag verankern? gebenenfalls im Rahmen von Koalitionsverhandlungen durchzusetzen, dass dieses Abkommen nicht ratifziert (Gerald Ullrich [FDP]: Das steht explizit wird. Das ist das, was wir hier tun müssen. Wir müssen drin!) CETA bewerten. Meine Fraktion hat CETA bewertet. Wir Wir haben Ihnen sogar einen konkreten Formulierungs- haben dieses Abkommen in diesem Bundestag vier Jahre vorschlag gemacht, wie man es besser machen kann. lang intensiv diskutiert. Ich sage Ihnen: Das, was Sie hier Nichts ist passiert. Sie stecken die Städte und Gemeinde vorlegen, ist ein schlechtes Abkommen. in die Zwangsjacke, wenn Sie die Dienstleistungen libe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ralisieren. Ich werde Ihnen auch gleich erläutern, welche Rege- (Bernd Westphal [SPD]: Unsinn!) lungen schlecht sind. Aber – das möchte ich vorher noch Ganz ehrlich: Wie naiv muss man sein, in Zeiten der Di- sagen – es ist außerdem ein Abkommen, das angesichts gitalisierung zu glauben, dass man eine Liste vorlegen dessen, was wir hier auf der Welt erleben, gerade auch im kann, in der man abschließend regeln will, was kommu- Bereich der Wirtschafts- und Handelspolitik, überhaupt nale Daseinsvorsorge ist? Genau das tun Sie mit CETA. nicht in der Lage ist, Globalisierung gerecht zu gestalten. Unter dieser Latte läuft es einfach durch. Es ist der wah- Sie können noch nicht einmal garantieren, dass wir re Skandal, dass Sie dieses Abkommen in dieser Form Parlamentarier, diejenigen, die gewählt wurden, um die vorlegen. Regeln in diesem Land mitzubestimmen, bei der Wei- terentwicklung des Abkommens in ausreichender Form (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beteiligt werden. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mich hat Ich bringe Ihnen einige Beispiele dafür, was in diesem es anderthalb Jahre gekostet, um Ihnen überhaupt erst Abkommen schlecht ist. Sie führen die Schaffung von einmal verständlich zu machen, dass es in diesem Ver- Schiedsgerichten ein. Wir haben hier im Deutschen Bun- tragstext ein Problem gibt. destag und auch in Anhörungen darüber gesprochen, dass (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie versucht haben, die Schiedsgerichte umzubenennen SES 90/DIE GRÜNEN) und aus ihnen einen Schiedsgerichtshof zu machen. Deswegen sage ich Ihnen: Es ist Zeit, dass Sie dieses (Markus Töns [SPD]: Quatsch!) Abkommen überarbeiten. Es ist Zeit, dass Sie nicht nur Es ist aber trotzdem das alte System der Schiedsgerichte die Probleme beheben. Vielmehr ist es Zeit, dass Sie rich- tig regulieren. Wir müssen den Menschen erklären, wa- (B) mit den missbrauchsanfälligen materiellen Rechtsgrund- (D) lagen; Stichwort: Fair and Equitable Treatment. rum Sie immer mit zweierlei Maß messen, wenn es um das tägliche Leben der Menschen auf der einen Seite und Wir hatten dazu eine Anhörung im Wirtschaftsaus- die Regulierung von großen Konzernen auf der anderen schuss des Deutschen Bundestages, in dem versucht Seite geht. wurde, zu erklären, was damit eigentlich gemeint ist. Alle Experten haben gesagt: Das kann man nicht kon- Gehen Sie doch einmal das Thema Geldwäsche an! kretisieren. Alle Versuche, dies zu konkretisieren, werfen Gehen Sie doch einmal das Thema Steuerhinterziehung weitere Fragen auf. an! Kein Mensch kann uns erklären, warum man mit Ka- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nada, einem Rechtsstaat, ein solches Schiedsgerichtssys- Gehen Sie doch einmal das Thema faire Regeln für den tem braucht. Sie haben sich in den letzten Jahren einen Wettbewerb gegen Marktmacht an! Machen Sie endlich abgebrochen, um uns zu erklären, dass es eine negati- einmal das Pariser Klimaschutzabkommen zum Gegen- ve Signalwirkung hätte, wenn man die Schaffung von stand der Handelspolitik. Schiedsgerichten in das Abkommen mit Kanada nicht aufnehmen würde, weil dann China und andere Länder kämen und auch in ihren Abkommen keine Schiedsge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: richte haben wollten. Und jetzt reden Sie über Mandate Frau Kollegin. mit Australien und Neuseeland, und die Schaffung von Schiedsgerichten ist in diesen Abkommen nicht vorgese- Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hen. Komisch! Da geht es auf einmal. Setzen Sie sich endlich einmal dafür ein, dass wir über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Produktionsstandards im sozialen Bereich, bei der Arbeit Bernd Westphal [SPD]: Das ist aber nicht ab- und bei der Umwelt sprechen. geschlossen!) Ich fnde, wenn man sich selbst ernst nimmt, dann sollte Vizepräsident Wolfgang Kubicki: man zumindest jetzt einmal darüber nachdenken, ob man Frau Kollegin. mit Blick auf Kanada vielleicht noch nachverhandeln muss. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie schwächen den Verbraucherschutz und das euro- Das würde nämlich wirklich zu fairen Wettbewerbsbe- päische Vorsorgeprinzip. Wie lange haben wir hier in die- dingungen in der Globalisierung führen. 1544 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Frau Kollegin. Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen De Masi? Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das alles haben Sie nicht geschafft. Daran müssen wir Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Sie messen. Sie haben gerade doch schon so viel gesprochen, das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kann er dann danach.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Auch wenn ich die Geschwindigkeit Ihres Redebei- Ich frage Sie ja, ob Sie das erlauben. Wenn Sie Nein trags bewundert habe, möchte ich, dass die Bitte, zum sagen, dann sagen Sie Nein. Ende zu kommen, gehört wird. Ich verfolge die Überzie- hung der Redezeit mit Langmut. Wir lassen allen immer Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): ein bisschen Spielraum. Aber wenn wir ihn zu sehr aus- Nein, im Moment nicht. Ich bin gerade in Fahrt und weiten, dann sitzen wir noch am Wochenende hier. möchte weitermachen. Ich denke gerade an die Rede des Der nächste Abgeordnete, dem ich das Wort erteile, ist Kollegen Ernst. Dazu möchte ich jetzt etwas sagen. Da- der Kollege Dr. Heribert Hirte von der CDU/CSU-Frak- nach kann er fragen. tion. Deshalb ist es richtig, dass das, was wir erreicht ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben, die Blaupause ist nicht nur für den Brexit – hier werden wir über Freihandelsabkommen möglicherweise noch reden müssen – und für andere Schiedsverfahren Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): in vergleichbaren Situationen, sondern dass diese unse- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das re Überlegungen in die Pläne eingehen, auf UN-Ebene einzig Schöne an der Rede von Katharina Dröge war, einen multilateralen Investitionsgerichtshof zu schaffen. dass sie gezeigt hat, dass sie mit Sicherheit den Text des Gesetzentwurfes gelesen hat. Das ist beruhigend, weil Jetzt komme ich zu Ihnen, Ihrem Antrag von der lin- wir so zu einer sachlichen Auseinandersetzung kommen ken Seite. Dann können Sie überlegen, ob die Zwischen- können. Sie hat in ihrer Rede viel gesagt. Das lag aber frage noch erforderlich ist. In Ihrem Antrag ist eigentlich an der Sprachgeschwindigkeit; da sind wir zurück beim jeder Satz falsch. Es geht damit los, dass Sie von Exklu- letzten Tagesordnungspunkt zur Festschreibung von sivrechten für bestimmte Investoren sprechen. Nein, es (B) Deutsch als Landessprache. Aber sie hat nicht so viel zur geht nicht um Exklusivrechte, es geht darum, eine Ver- (D) Sache gesagt, also über das Thema, zu dem wir hier ei- fahrensvereinfachung zu erreichen, damit nicht erst der gentlich reden wollen. Investor gegen seinen eigenen Staat und dann der Staat gegen den Gaststaat klagen muss. Das ist gelebte Subsi- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der diarität. Das ist richtig so. Das ist das, was wir wollen. FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Deshalb möchte ich jetzt zur Sache kommen. Wir re- ordneten der FDP) den über CETA. Es ist gut, dass wir darüber reden. Der Ansatz, den Sie hier vorgebracht haben, ist auch gut. Ich Es geht – zweitens – auch nicht um die Schaffung ei- will in Erinnerung rufen, dass wir in den langen Ver- ner Paralleljustiz; das ist in der Debatte eben auch schon handlungen eine ganze Menge erreicht haben. Gerade gesagt worden. Zwischenstaatlich gibt es nämlich über- beim Thema Schiedsgerichte – das war ja Ihr Leib- und haupt kein stehendes Gericht. Das schaffen wir erst. Des- Magenthema, liebe Katharina Dröge – haben wir viel halb geht es nicht um die Parallele zu irgendwelchen Ver- erreicht, vor allem durch den Druck, den wir als Re- fahren. Sie schreiben in Ihrem Antrag, es gehe darum, die gierungsfraktionen gemeinsam mit Wirtschaftsminister Möglichkeit von Klagen und Schadenersatzansprüchen Gabriel in der letzten Legislaturperiode aufgebaut haben, auszuschließen; denn das hätte einen Abkühlungs-, einen was wir an die EU-Kommission weitergegeben haben Chillingeffekt. Entschuldigen Sie mal, wenn Recht ver- und was dann in TTIP eingefossen ist. Die Kanadier ha- letzt wird, dann fnde ich es richtig, dass dagegen geklagt ben zugesagt, es so zu machen, die Amerikaner haben es werden kann. Was wollen Sie denn? Wollen Sie, dass nicht gemacht und stehen jetzt etwas dumm da. Recht unter Missachtung von Völkerrecht und Abkom- men einfach durchgesetzt werden kann? Nein, Rechts- Ich möchte insbesondere drei Punkte nennen. Es gibt schutz ist richtig. Wir müssen nur über die Ausgestaltung jetzt ein stehendes Gericht mit professionellen Richtern. dieses Rechtsschutzes nachdenken. Es wurde eine Berufungsinstanz eingerichtet. Die Ver- fahren sind transparent. (Beifall bei der CDU/CSU) Zum Thema „transparente Verfahren“ will ich sagen: Der dritte Punkt. Immer wieder wiederholen Sie, es Das, was in CETA und in diesen Schiedsverfahren ab- gehe um die Großkonzerne. Auch das ist falsch. Die läuft, ist deutlich transparenter als das, was in nationalen Großkonzerne können Niederlassungen gründen. Sie Prozessen abläuft. In diesen kann man die Gerichtsakten brauchen weder CETA noch andere Freihandelsabkom- nämlich nicht einsehen, anders als das in Amerika und in men. Sie müssen es umgekehrt sehen: Wir brauchen hier Kanada und in ebendiesen Schiedsverfahren der Fall ist. eine Unterstützung für die kleinen und mittelständischen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1545

Dr. Heribert Hirte (A) Unternehmen. Genau in diesem Punkt ist CETA gegen- Genau das ist der Grund, warum wir Schiedsgerichte (C) über den bisherigen Abkommen und den bisherigen In- brauchen. vestitionsschutzabkommen weiterentwickelt worden. Es (Lachen bei der LINKEN) geht um unsere Wirtschaft, deren Investitionen im Aus- land wir unterstützen, wir fördern wollen. – Na, stopp!

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege Hirte, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ich glaube, die Frage ist beantwortet. des Kollegen Ernst? Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Gerne. – Das ist auch der Grund, warum Sie eben die Das sofort. Jetzt hat er ja etwas zu sagen und zu me- beiden Zwischenfragen nicht beantwortet haben. Sie ha- ckern. Das wollen wir uns mal anhören. ben die Zwischenfragen der beiden Kollegen aus mei- ner Fraktion und der FDP-Fraktion deshalb nicht beant- ( (CDU/CSU): Ob er noch wortet, weil das eben in beide Richtungen geht. Es geht etwas zu sagen hat, wird sich herausstellen!) ja auch darum, deutsche Interessen bzw. die Interessen deutscher Investoren in Kanada und Spanien vor mögli- Klaus Ernst (DIE LINKE): cherweise diskriminierenden Akten Das hatte ich vorher auch schon. (Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Ich habe eine ganz kurze Frage an Sie. Wenn ein bun- – ich sage ja gar nicht, dass das missbräuchlich oder desdeutsches Unternehmen hier investiert, kann es auch diskriminierend ist – der ausländischen Verwaltung und durch staatliche Willkür oder Ähnliches Nachteile haben. der ausländischen Justiz zu schützen. Deshalb brauchen Das deutsche Unternehmen muss den deutschen Rechts- wir das. Die entsprechenden Fragen dazu haben Sie aber staat bemühen und kann gegen diese Vorgänge klagen. nicht beantwortet. Ich sage Ihnen, warum: weil Sie die Ein Unternehmen derselben Branche, das nun aus Ka- deutschen Arbeitnehmerinteressen bei Ihren Exporten nada kommt, muss das nicht, sondern kann einen inter- nicht im Blick haben. Das sollten gerade Sie als Linke nationalen Schiedsgerichtshof bemühen, wenn alles so sich wirklich einmal anhören. kommt, wie es geplant ist. Können Sie mir sagen, warum Sie ausländische Investoren gegenüber deutschen Inves- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- toren bevorzugen wollen? ordneten der FDP) (B) (D)

Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Darauf kann ich Ihnen gerne eine Antwort geben; das Herr Kollege Dr. Hirte, Sie scheinen sich zu kennen. verlängert meine Redezeit. Sonst hätte ich das noch von Frau Dröge hätte auch gerne noch eine Zwischenfrage. mir aus gesagt. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Ich kann Ihnen zunächst einmal sagen: Genau das ist Das ist nicht die erste Debatte in dieser Sache und mit der Grund, warum wir Schiedsgerichte brauchen: weil diesen Beteiligten. – Frau Dröge, ja. nämlich latent, immer wieder auch in nationalen juris- tischen Systemen, eine Voreingenommenheit gegenüber Ausländern besteht. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Hirte, dass auch ich noch fragen (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: darf. – Meine Frage schließt ein bisschen an Ihren Dia- Ach so!) log mit Herrn Ernst an. Sie haben ja gerade erklärt, dass Deshalb haben wir den Europäischen Gerichtshof ge- man aus Ihrer Sicht Schiedsgerichte braucht, um der Dis- schaffen, und deshalb ist gerade Ihre Fraktion so hinter- kriminierung von ausländischen Unternehmen im natio- her, dass Minderheiten und Ausländer gegen Diskrimi- nalen Rechtsrahmen vorzubeugen. Deswegen ist meine nierung vorgehen können. Gerade weil nationale Gerichte Frage: Was halten Sie von dem Vorschlag, die materielle dies nicht immer unvoreingenommen machen, brauchen Rechtsgrundlage bei den Schiedsgerichten alleine auf wir eine unabhängige Instanz, die dies überprüft. den Klagetatbestand Ausländerdiskriminierung zu be- grenzen Ich zitiere gerne, was der Richterbund in seiner Stel- lungnahme zu genau dieser Frage sagt: (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Das ist doch Unsinn!) Nur dort, wo sich unerwartet die Verhältnisse in ei- nem Land so ändern, dass der Investor unverdient und weitere Klagetatbestände wie zum Beispiel Fair rechtlos gestellt wird, kann die Völkergemeinschaft and Equal Treatment einfach außen vor zu lassen? Denn ein Interesse daran haben, einzugreifen. wenn es nur um die Diskriminierung ausländischer Unternehmen geht, könnte man damit – wie es einige Das muss von einer neutralen Instanz beurteilt werden, namhafte Juristen, unter anderem Professor Krajewski, und das kann natürlich nicht der Staat beurteilen, gegen der auch die Bundesregierung berät, auch vorschlagen – den Sie den entsprechenden Anspruch geltend machen. diesem Tatbestand Rechnung tragen und ansonsten die 1546 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Katharina Dröge (A) missbrauchsanfälligen zusätzlichen materiell-rechtlichen Handelsgerichte ausgesprochen hat. Ich fände es interes- (C) Grundlagen einfach weglassen. sant, zu erfahren, ob Sie da dem Deutschen Richterbund die rechtliche Kompetenz absprechen. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass ich in Ich sehe Fair and Equal Treatment und Diskriminie- meiner Zeit als Europaparlamentarier den kanadischen rung als zwei Seiten derselben Medaille. Equal Treat- Handelsminister Champagne – nicht zu verwechseln ment entspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz, und mit Champagner – angeschrieben und danach gefragt genau dieser Gleichbehandlungsgrundsatz soll für Inlän- habe, ob denn die kanadische Regierung auf der Veran- der und Ausländer Anwendung fnden. kerung dieser Handelsgerichtshöfe bestanden habe und (Beifall bei der CDU/CSU) ob sie auch für einen einklagbaren Arbeitnehmerschutz gewesen sei. Er hat mir in einem Brief im Mai 2017 ge- Ich mache weiter und komme noch einmal auf den antwortet, dass die kanadische Regierung erstens bereit Vorschlag der Linken zurück. Er enthält auch Ideen, über gewesen sei, auf die Handelsgerichtshöfe zu verzichten, die man reden kann. Sie haben zum Beispiel einen weite- und zweitens für einen einklagbaren Arbeitnehmerschutz ren Punkt aus der Stellungnahme des Richterbundes auf- gewesen sei. Die EU war dagegen. Ich möchte Sie fra- gegriffen, indem Sie sagen, wir bräuchten äquivalenten gen, was die Motive dafür waren. Rechtsschutz vor dem Investor und Abkommen über in- ternationale Rechtshilfe etwa zum Austausch von Infor- (Beifall bei der LINKEN) mationen. Damit haben Sie recht. Aber – deshalb werden wir den Antrag mit Sicherheit ablehnen – das ist keine Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frage, die einen direkten Bezug zu dem Schiedsabkom- Sie möchten antworten, Herr Hirte? men zum Investitionsschutz hat, sondern das gehört an eine andere Stelle; das gehört nicht in die Zuständigkeit des multilateralen Investitionsgerichtshofs, den wir eta- Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): blieren wollen und dessen Einrichtung wir in Anlehnung Das tue ich gerne. an CETA entsprechend unterstützen. Ich darf noch einen anderen Punkt ansprechen: Sie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: haben ja auch gesagt, es sei nicht in Ordnung, dass wir Bitte. erst die Personen aussuchen und erst dann das Recht geschaffen wird. Ehrlich gesagt, das ist der Normalfall. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Ein Blick auf 2 000 Jahre Rechtsgeschichte zeigt: In der (B) Zunächst einmal hatten Sie gefragt, was ich von der (D) Regel wurden erst die Personen bestellt, die dann das Expertise des Deutschen Richterbundes halte. Ich kann Recht geschaffen haben. Der größte Teil der Welt folgt nur sagen: sehr viel. Ich habe mich mit dem Deutschen dem Common Law. Da ist es genau so. Vielleicht sollten Richterbund über diese Sache intensiv beraten. Aber beim Sie auch das einmal nachlesen. Dann merken Sie irgend- Deutschen Richterbund merkt man auch, dass er sehr wann, dass das, was wir gemacht haben, eine gute Sache durch die Traditionen des deutschen Rechts geprägt ist. ist. Deshalb habe ich eben darauf hingewiesen, dass interna- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tional andere Traditionen eine Rolle spielen. Da spielt die der FDP) Tatsache eine Rolle, dass der größte Teil der Welt nicht von staatlich gesetztem, dem in Parlamenten verabschie- Deshalb werden wir in diese Richtung weitermachen und deten Recht geprägt ist – das ist nicht die Tradition der am Ende ein vernünftiges Abkommen ratifzieren. letzten vielen Hundert Jahre –, sondern dort Richterrecht Vielen Dank. etabliert wurde. Genau diese Tradition ist im Völkerrecht maßgeblich. Das muss sozusagen kompatibel gestaltet (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sich mit unseren Verhältnissen. Das passt nicht immer ordneten der FDP) zusammen. Wenn Sie aus der falschen ­Denkecke kom- men, dann haben Sie entsprechende Konfikte. Deshalb Vizepräsident Wolfgang Kubicki: glaube ich, dass der Deutsche Richterbund in diesem Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hirte. Sie werden aber Punkt nicht auf dem richtigen Weg ist. – So viel zum ers- gleich noch Gelegenheit haben, Ihren Beitrag fortzuset- ten Punkt. zen; denn der Kollege De Masi hat sich zu einer Kurzin- Der zweite Punkt. Ich habe nicht gesagt, dass wir tervention gemeldet. – Ich gebe Ihnen das Wort. zwingend überall Investitionsschutzabkommen brau- chen. Ich habe vielmehr gesagt, warum sie, wenn es sie Fabio De Masi (DIE LINKE): gibt, gut sind und welchen Zweck sie verfolgen. Wenn Herr Dr. Hirte, ich betrachte es jetzt einmal als Kom- Staaten beidseitig, etwa im Verhältnis der Europäischen pliment, dass Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen Union zu Kanada, darauf verzichten, dann ist das ein haben. Ich kann gar nicht aufhören, Ihnen zuzuhören. möglicher Ansatz. Aber Vertreter und Botschafter von Deswegen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, Staaten außerhalb der Europäischen Union haben mir dass der Deutsche Richterbund sich zwar sehr wohl für in vielen Gesprächen gesagt: Wenn Sie wollen, dass der internationale Streitbeilegungsmechanismen starkge- Handelsaustausch zwischen Kanada und der Europäi- macht hat, sich aber sehr explizit gegen die reformierten schen Union gefördert wird – wie es eben hieß, ist das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1547

Dr. Heribert Hirte (A) ein zentrales Element unserer Politik –, dann müssen Sie Ausweitung von Exklusivrechten. Das will ich noch ein- (C) bedenken, dass es europäische Staaten gibt, in denen der mal betonen, indem ich zitiere, was auf Seite 95 des CE- Rechtsschutz nicht so funktioniert wie in Deutschland. TA-Vertrags steht: Kanadische Unternehmen würden dann in manchen eu- Die bloße Tatsache, dass eine Vertragspartei – auch ropäischen Staaten nicht investieren. durch Änderung ihrer Gesetze – Regelungen in ei- Die Europäische Union hat uns daraufhin gesagt: Wir ner Art und Weise trifft, die sich auf eine Investition haben alle Interessen, insbesondere das gesamteuropä- negativ auswirkt oder die Erwartungen eines In- ische Interesse, in den Blick zu nehmen, nicht nur die vestors, einschließlich seiner Gewinnerwartungen, Funktionsweise der Gerichte in Deutschland. – Deshalb beeinträchtigt, stellt keinen Verstoß gegen eine Ver- ist es wichtig für uns, dass wir ein solches System im pfichtung aus diesem Abschnitt dar. Interesse von ganz Europa und insbesondere im Interes- se der europäischen Staaten etablieren, wo die Gerichte Noch einmal ganz deutlich gesagt: Es gibt kein Recht auf nicht so schnell und perfekt arbeiten wie bei uns. Entschädigung, wenn Gesetze nachteilig für die Unter- nehmensbilanz sind. Das ist also auch eine Klarstellung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- an dieser Stelle. ordneten der FDP) Ein multilateraler Investitionsgerichtshof ist nicht rückwärtsgewandt. Er ist der Einstieg in eine internatio- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nale gerechte Investitionsgerichtsbarkeit; das muss man Herzlichen Dank. – Ich erteile nunmehr dem letz- an dieser Stelle deutlich betonen. Wenn Sie das ableh- ten Redner in dieser Debatte das Wort, dem Kollegen nen – auch Sie, Frau Dröge, so wie Sie es ausdrücken –, Markus Töns von den Sozialdemokraten. dann stehen Sie für eine Rückkehr zu den intransparenten (Beifall bei der SPD) Verfahren, die die WTO bisher praktiziert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Markus Töns (SPD): CSU und der FDP – Katharina Dröge [BÜND- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den An- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Überhaupt nicht! trag der Linken fnde ich sehr interessant. Ich fand auch Quatsch!) die Debatte spannend, insbesondere wenn ich daran den- Für die Linken stellt sich angesichts der Logik, mit der ke, was Frau Dröge gesagt hat. Zur Position der Linken sie vorgeht, eindeutig die Frage, ob sie – ein Kollege hat ist festzustellen: Sie lehnen einen multilateralen Investi- es eben schon angesprochen – auch den Internationalen tionsgerichtshof ab; Sie befürchten, dass es dann eine Pa- Strafgerichtshof ablehnt. (B) ralleljustiz zulasten normaler rechtsstaatlicher Verfahren (D) gibt, und behaupten, dass es dann Exklusivrechte geben Vielen Dank. Glück auf! werde. All das wäre rückwärtsgewandt. Ich kann dazu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nur sagen: Das ist schon sehr abenteuerlich, insbesonde- der CDU/CSU und der FDP) re dann, wenn man sich internationale Zusammenhänge und internationales Recht vor Augen führt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Zurufe von der LINKEN) Herzlichen Dank, Herr Kollege Töns. – Ich sehe ei- Ich will auf CETA verweisen. CETA schafft erstmals nige Belustigungen über die Erscheinungsform des Prä- eine Investitionsgerichtsbarkeit. Damit geschieht eine sidiums: Für den Sonnenschein, der uns hier gerade be- Abkehr von intransparenten WTO-Schiedsverfahren. strahlt, sind wir nicht zuständig – noch nicht. (Beifall des Abg. Bernd Westphal [SPD]) (Heiterkeit) Wir alle wissen, dass solche Verfahren falsch waren. Ich schließe die Aussprache. CETA stellt einen deutlichen Fortschritt dar, weil es Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell wird transparente Gerichtsverfahren schafft und zum Rich- Überweisung der Vorlage auf den Drucksachen 19/958 teramt befähigte Richterinnen und Richter mit Kenntnis und 19/97 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- des Völkerrechts einsetzt, und zwar im Unterschied zur schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – WTO, wo es sich um nicht zum Richteramt befähigte Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen Richterinnen und Richter handelt. Alle Verfahrensdoku- so beschlossen. mente werden veröffentlicht. Es besteht außerdem die Möglichkeit einer Revision. Es ist anders, als Sie be- Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 16 sowie Zu- hauptet haben, Herr Ernst: Das alles dient dem Mittel- satzpunkt 5 auf: stand und eröffnet ihm faire Verfahren. Das alles gibt es 16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert in den WTO-Verfahren eben nicht; die sind intransparent. Müller (Potsdam), Christine Buchholz, Dr. Petra Die Erteilung eines Mandats zur Errichtung eines Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion multilateralen Investitionsgerichtshofes ist konsequen- DIE LINKE terweise richtig, und zwar allein schon deshalb, weil Rekrutierung von Minderjährigen für die die Einrichtung eines solchen Gerichtshofes schon im Bundeswehr sofort beenden CETA-Vertrag angelegt ist. Also ist das, was wir da auf den Weg bringen wollen, konsequent, und es ist keine Drucksache 19/475 1548 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Überweisungsvorschlag: den Schulen unterwegs und bieten dort Politikunterricht (C) Verteidigungsausschuss (f) an. Das Ganze trägt inzwischen regelrecht absurde Züge. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (Beifall bei der LINKEN) ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Der Wehrbeauftragte schreibt in seinem Bericht für Dr . Tobias Lindner, Agnieszka Brugger, Katja das Jahr 2016 – das ist beispielgebend für diese Art des Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Umgangs mit Kindern und Jugendlichen in der Personal- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werbung –: Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Ein weiterer schwerer Unfall ereignete sich an ei- Bundeswehr nem Tag der Bundeswehr, der im Rahmen des Fe- rienprogramms einer Gemeinde für Kinder veran- Drucksache 19/979 staltet wurde. Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) – Das muss man sich einmal vorstellen: Ferienprogramm Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für Kinder durch die Bundeswehr! – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Florian Hahn [CDU/CSU]: Reden Sie mal die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- zum Thema!) nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bei einer der im Programm vorgesehenen Gelände- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- fahrten in Bundeswehrfahrzeugen für Kinder und ner das Wort dem Kollegen Norbert Müller von der Frak- Jugendliche überschlug sich ein Geländewagen tion Die Linke. vom Typ WOLF. Drei Kinder im Alter von sieben bis 13 Jahren wurden laut Feldjägersofortmeldung (Beifall bei der LINKEN) zum Teil schwer verletzt. (Zurufe von der FDP: Oh! – Gegenruf des Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Abg. Niema Movassat [DIE LINKE]: Die Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- wurden verletzt! Da müssen Sie nicht „Oh!“ ren! Werte Gäste auf den Besuchertribünen! Die Linke sagen!) beantragt heute zwei Dinge: Erstens verlangen wir, ge- Wer 17-Jährige in Uniformen stecken will, der muss setzlich zu regeln, dass Minderjährige grundsätzlich nicht wohl auch Siebenjährige zu lebensgefährlichen Abenteu- mehr für die Streitkräfte rekrutiert werden, und zweitens erfahrten im Geländewagen einladen. (B) verlangen wir, bis zu diesem Zeitpunkt die Ausbildung (D) von Minderjährigen, die jetzt schon als Soldaten in der (Grigorios Aggelidis [FDP]: Das ist lebensge- Bundeswehr dienen, an Waffen unmittelbar einzustellen. fährlich?) (Beifall bei der LINKEN) Auch die SPD-Fraktion hat zu Beginn der letzten Sommerpause beschlossen, dass sie sich dem Ziel „Stra- Worum geht es? Die Zahl der minderjährigen Soldaten ight 18“, also keine Minderjährigen mehr an Waffen aus- in der Bundeswehr hat sich in den letzten Jahren mehr als zubilden und für die nationalen Streitkräfte zu werben, verdreifacht. Sie beträgt inzwischen nahezu 10 Prozent anschließt. Damit fordern in Deutschland das Deutsche der freiwillig Grundwehrdienstleistenden. Dabei sorgt Bündnis Kindersoldaten, UNICEF, die Gewerkschaft Er- sich die Bundeswehr regelrecht liebevoll um Kinder ziehung und Wissenschaft, die katholischen Jugendver- und Jugendliche, um sie für den Soldatenberuf zu inte- bände, aber eben auch Die Linke und die Grünen hier ressieren, wie sie das ausführt. Ein Sachverständiger des im Haus sowie jetzt auch die SPD-Fraktion, dass keine Bundesverteidigungsministeriums, Herr Nachtwey, hat Minderjährigen mehr für die nationalen Streitkräfte ge- in einer Anhörung der Kinderkommission des Deutschen worben oder an Waffen ausgebildet werden. Bundestages vor zwei Jahren Folgendes zu Protokoll ge- geben – ich zitiere –: (Beifall bei der LINKEN) Wir sprechen ja nicht gezielt ausschließlich die Auch der Wehrbeauftragte schließt sich ein Stück weit 17-Jährigen an, sondern wir sprechen junge Men- dieser Position an, indem er erstmals in seinen Berich- schen an und differenzieren dabei nun nicht, ob sie ten für die Jahre 2016 und 2017 – herzlich willkommen, 15 Jahre alt sind – und damit sozusagen zunächst Herr Bartels! – ausführt, dass die Heranziehung Minder- interessiert werden oder überhaupt die Werbung jähriger der Ausnahmefall sein sollte. Bei 9 Prozent oder mitbekommen ... 10 Prozent Minderjährigen bei den Grundwehrdienst- leistenden kann von Ausnahmefällen aber wohl gar nicht „Warum denn solche Zurückhaltung?“, frage ich mehr die Rede sein. mich; denn bei 15-Jährigen ist mit der Werbeansprache (Beifall bei der LINKEN – Florian Hahn durch die Bundeswehr noch lange nicht Schluss. Hun- [CDU/CSU]: Sagen Sie das, oder schreibt er derte Kooperationen mit Schulen, mit Kitas, ja sogar das?) mit Kinderheimen zeugen davon. Die Bundeswehr wirbt in Zeitschriften wie „Bravo“ und der Schülerzeitschrift 2019 muss die Bundesregierung Farbe bekennen. „Spicker“, die 17-Jährige nicht mehr lesen; das ist eher Warum? 2019 wird die Bundesregierung den nächsten etwas für 12-Jährige und Jüngere. Jugendoffziere sind in Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskon- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1549

Norbert Müller (Potsdam) (A) vention und ihres 2. Fakultativprotokolls, in denen die zur Bundeswehr geht und dort seinem Vaterland dienen (C) Frage von Minderjährigen in Streitkräften und bewaff- möchte. neten Konfikten geregelt werden, vorlegen, und zwar gegenüber den Vereinten Nationen. Der UN-Ausschuss (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- für die Rechte des Kindes in Genf wird diesen Bericht ordneten der FDP) zur Kenntnis nehmen. Er wird Verbände und Initiativen In den Jahren 2011 bis 2016, also seit Aussetzung der anhören, und er wird Handlungsempfehlungen ausspre- allgemeinen Wehrpficht, haben nach mir vorliegenden chen. Unterlagen 7 928 junge Männer und Frauen als Minder- jährige ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten. Dies Jetzt sage ich Ihnen: Ich weiß heute schon, wie die- stelle, je nach Jahr, einen prozentualen Anteil von 4,7 bis se Handlungsempfehlungen aussehen werden: Die wer- 8,1 Prozent aller Rekruten dar. Die Tendenz über die Jah- den genauso aussehen wie die Handlungsempfehlungen re sei leicht steigend. Im Jahr 2017 handele es sich um vor fünf Jahren, weil die Bundesregierung gar nichts 2 128 Soldatinnen und Soldaten, die zum Zeitpunkt ihres davon umgesetzt hat. Sie hat überhaupt nicht darauf re- Diensteintritts noch nicht volljährig waren. agiert, dass die Vereinten Nationen klare Empfehlungen ausgesprochen haben. Sie haben das schlichtweg nicht Erklären lässt sich dies aus meiner Sicht durch ver- umgesetzt. Ihnen ist das egal. Sie werden wieder einen schiedene Faktoren. Ja, die Bundeswehr steht in der Per- Staatenbericht vorlegen. Dieser Staatenbericht wird ein sonalgewinnung vor anderen Herausforderungen als zu zweites oder drittes oder viertes Mal mit Handlungs- Zeiten der allgemeinen Wehrpficht. Deren Aussetzung empfehlungen versehen werden, die Sie am Ende wieder und die damit verbundenen personellen Folgen spielen nicht umsetzen. Diese Blöße können wir uns durch die natürlich eine Rolle bei der Bewertung dieser Statistik. Annahme der Anträge von Grünen und Linken ersparen. Eine Rolle spielt sicherlich auch die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur. Wenn Abiturienten mit 17 Jah- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ren die Schule verlassen, können sie in der zeitlichen NIS 90/DIE GRÜNEN) Folge logischerweise zur Bundeswehr gehen und haben dann eben das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet. Da- Jetzt werden Sie sagen: Die Bundeswehr braucht Ju- bei handelt es sich jedoch um eine Entwicklung, die sich gendliche ganz dringend, weil man sonst die personellen auch wieder ändern wird; denn viele Bundesländer wech- Anforderungen nicht erfüllen kann. – Da haben Sie recht; seln mittlerweile von G 8 wieder zu G 9 zurück. Ich bitte das stimmt. Auch dafür hat Die Linke eine Lösung. also darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass minderjährige (Florian Hahn [CDU/CSU]: Bundeswehr Rekruten derzeit auch eine Folge der Entwicklung sind, abschaffen!) dass die Schulabgänger jünger geworden sind. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Sie ist ganz einfach: Ziehen Sie die Soldatinnen und Sol- der LINKEN) daten aus den anderthalb Dutzend Auslandseinsätzen ab! Insofern verbietet es sich an dieser Stelle, Vergleiche zur (Florian Hahn [CDU/CSU]: Oder ganz ab- Rekrutierung von Kindersoldaten beispielsweise in Bür- schaffen!) gerkriegskonfikten in Zentralafrika zu ziehen. Wenn Sie das machen, dann haben Sie nicht mehr so ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Personalproblem, und dann müssen Sie auch keine Min- ordneten der FDP) derjährigen mehr für die nationalen Streitkräfte werben. Vergleiche dieser Art sind absolut unzulässig und spie- Vielen Dank. geln ein völlig abstruses Bild vom Wesen der Bundes- wehr wider. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der AfD und der FDP) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird es somit Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Als Nächste für nicht zulassen, dass die deutschen Streitkräfte auf diese die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Kerstin Vieregge. Weise argumentativ in Misskredit gebracht werden, Es ist ihre erste Parlamentsrede. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der FDP) zumal auch klare Fakten aus der alltäglichen Ausbil- Kerstin ­Vieregge (CDU/CSU): dungspraxis eine andere Sprache sprechen: Noch nicht Herr Bundestagspräsident! Sehr geehrte Damen und volljährige Soldatinnen und Soldaten unterliegen wäh- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Christde- rend ihrer Ausbildung einem besonderen Schutz. Je- mokraten stehen dem Dienst in der Bundeswehr aufge- der Ausbilder und jeder Vorgesetze hat im Zuge seiner schlossen gegenüber. Nicht ohne Grund wurden in den Dienstaufsicht und seiner Fürsorgepficht ein Auge auf vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen zur Stei- diese Rekruten, die im Übrigen von bestimmten Aufga- gerung der Attraktivität des Dienstes in unseren Streit- ben und Ausbildungsinhalten zunächst ausgeschlossen kräften umgesetzt; denn wir freuen uns über jeden jun- sind. So nehmen noch nicht volljährige Soldatinnen und gen Menschen, der in Zeiten einer Freiwilligenarmee Soldaten weder an Wachdiensten noch an Auslandsein- 1550 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Kerstin Vieregge (A) sätzen teil. Auch dürfen sie die Waffe lediglich zu Aus- me; denn ich denke, dass diese Position Schwächen hat. (C) bildungszwecken verwenden, und dies ohnehin nur zu Ich will darauf eingehen. einem späteren Zeitpunkt der Grundausbildung. Erstens. Sie argumentieren: Dadurch, dass die Bun- Zu den unzweifelhaften Fakten gehört auch die Tat- deswehr bereits 17-Jährige rekrutiert, würde Deutsch- sache, dass Bewerberinnen und Bewerber frühestens mit land die Glaubwürdigkeit seiner diplomatischen Bemü- 17 Jahren eingestellt werden, sofern die Zustimmung der hungen auf internationaler Ebene gefährden. Es steht der Eltern vorliegt. Die Bundeswehr rekrutiert also keine Vorwurf im Raum, wir würden den Einsatz und die Re- jungen Leute mit wilden Versprechungen von der Straße krutierung von Minderjährigen für bewaffnete Konfikte weg wie in billigen Groschenromanen, sondern auf der nicht konsequent genug ächten. Grundlage eines seriösen Bewerberverfahrens. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich will Ihnen einmal ein paar Staaten nennen. Auf ordneten der FDP – Widerspruch des Abg. der einen Seite haben Länder wie Italien, Frankreich, Tobias Pfüger [DIE LINKE]) die Niederlande, Australien und Österreich wie die Bun- desrepublik von der Ausnahmeregelung des Fakultativ- Die Bundeswehr rekrutiert vielmehr verantwortungsbe- protokolls Gebrauch gemacht und eine Altersgrenze von wusste junge Erwachsene, die sich sehr bewusst für den 17 Jahren für die freiwillige Rekrutierung für ihre jewei- Dienst in der Bundeswehr entscheiden und von denen ligen Streitkräfte geltend gemacht. Auf der anderen Seite 96 Prozent während ihrer sechsmonatigen Probezeit voll- gibt es Länder wie Kolumbien, Libyen, den Sudan oder jährig werden. Dies ist übrigens ein Vorgehen, das bei Syrien, in denen laut Terre des Hommes Kindersoldaten der Polizei in ähnlicher Form angewendet wird, und dort eingesetzt werden. Aber diese Staaten haben das Fakul- sind die Herausforderungen mindestens ähnlich. tativprotokoll ohne eine solche Ausnahme unterzeichnet und damit einer Altersgrenze von 18 Jahren für ihre je- Sollte jungen Rekruten der Dienst nicht zusagen – aus weiligen Streitkräfte zugestimmt. Ich frage Sie: Welche welchen Gründen auch immer –, so können sie die Bun- der beiden Staatengruppen halten Sie für glaubwürdiger deswehr innerhalb einer sechsmonatigen Probezeit ohne im internationalen Kampf gegen Kindersolden? Ich mei- weitere Angabe von Gründen verlassen, egal ob sie 17 ne, es ist die erste Staatengruppe. oder 18 Jahre alt sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können also se- Darüber hinaus engagiert sich die Bundesrepublik, hen: Die Bundeswehr ist ein seriöser, guter Arbeitgeber, wie ich fnde, in vorbildlicher Weise gegen den Einsatz der verantwortungsbewusst mit den Herausforderungen von Kindersoldaten. Vor knapp drei Wochen am Interna- der Personalgewinnung umgeht. 17-Jährige sind in un- tionalen Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten hat (B) serer Armee mindestens genauso gut aufgehoben wie bei sich die Bundesregierung erneut gegen diese „besonders (D) jedem anderen Arbeitgeber in diesem Land, wenn nicht verabscheuungswürdige Verletzung der Rechte von Kin- besser. dern“ ausgesprochen. Viel wichtiger aber: Wir fnanzie- ren Projekte von UNICEF zur Reintegration ehemaliger Vielen Dank. Kindersoldaten in Nigeria, im Südsudan und im Sudan – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ja, genau in jenem Land, das die Erklärung zum Proto- ordneten der AfD und der FDP) koll der Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat und gleichzeitig bei Terre des Hommes auf der schwarzen Liste steht. Wir unterstützen mit unserer Finanzierung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die psychosoziale Betreuung von Kindern und Jugend- Herzlichen Dank, Frau Kollegin Vieregge. – Als lichen, die entweder selbst kämpfen mussten oder Opfer Nächster hat der Kollege Martin Gerster von der der Kämpfe wurden. Und wir unterstützen damit auch SPD-Fraktion das Wort. die Aufklärung über Bewältigungsstrategien zu Gewalt, (Beifall bei der SPD) besonders auch zu sexueller Gewalt in diesen Ländern Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vor allem die- Martin Gerster (SPD): ses Engagement, das uns im internationalen Kampf ge- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir gen den Einsatz von Kindersoldaten wirklich glaubwür- beraten heute zwei Anträge zu einem, wie ich fnde, in dig macht. der Tat sensiblen Thema. Diese Anträge machen es sich allerdings einfach. In ihnen wird gefordert: keine Min- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten derjährigen in die Bundeswehr. der CDU/CSU) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Ja, ist doch gut und vernünftig!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich fnde, diese Forderung ist sicher gut für schnellen Herr Kollege Gerster, gestatten Sie eine Zwischenfra- Applaus und große Schlagzeilen. Wir von der SPD-Frak- ge des Abgeordneten Müller? tion haben uns intensiv mit dieser Frage beschäftigt, und wir kommen nach reificher Überlegung zu der Position: (SPD): Minderjährige gehören nicht an die Waffe. Mit der Posi- Martin Gerster tion von Linken und Grünen habe ich aber meine Proble- Ja, sehr gerne. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1551

(A) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Herzlichen Dank. (C) Herr Kollege Gerster, herzlichen Dank, dass Sie die (Beifall bei der SPD) Zwischenfrage zulassen. Aber eigentlich haben Sie die Frage gestellt, und ich möchte Ihnen die Antwort geben. Sie haben gefragt: „Wer ist glaubwürdiger?“ Das möchte Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ich Ihnen sagen: Glaubwürdiger sind die drei Mitglied- Vielen Dank, Herr Kollege Gerster. – Herr Kollege staaten der Europäischen Union, darunter die Republik Müller, ich bedaure es wie Sie, dass Zwischenfrage und Irland, die in den letzten fünf Jahren nach ihren letzten Antwort nicht gleichberechtigt in der Geschäftsordnung Staatenberichten und den Handlungsempfehlungen des verankert sind. UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes auf die An- (Abg Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber werbung von zum Teil 16-Jährigen und 17-Jährigen für Zwischenbemerkung!) ihre nationalen Streitkräfte verzichtet haben. In Irland hat man nach einem ausgeprägten und vom Parlament – Ja, aber die muss angemeldet werden, wie Sie wissen; ausgehenden kinderrechtlichen Dialog bewusst gesagt: das nur als netten Hinweis von mir, weil heute Freitag ist. Man will Vorbild sein und die Empfehlung der Vereinten Als Nächstes erteile ich das Wort dem Abgeordneten Nationen umsetzen. – Diese Staaten sind glaubwürdiger von der AfD. als die Bundesrepublik Deutschland, weil sie die Hand- lungsempfehlungen umgesetzt haben. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der LINKEN) Jan Ralf Nolte (AfD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Martin Gerster (SPD): Weltfremde linke Ideen können im Deutschland des Herr Kollege Müller, ich will Ihnen unsere Position Jahres 2018 wohl keinen mehr überraschen. Dass Sie in noch einmal klarmachen. Wir sagen: Keine Minderjähri- Ihrem Antrag aber auf ein Übereinkommen verweisen, gen an der Waffe. das Sie offensichtlich überhaupt nicht gelesen haben, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) verwundert mich dann doch. Ich glaube, das ist die richtige Positionierung; denn Ihre (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Wider- Position greift meines Erachtens viel zu kurz. Wir wol- spruch bei der LINKEN) len, dass für minderjährige Bewerberinnen und Bewerber Zeit genug hätten Sie gehabt; denn Sie haben diesen An- bis zum Erreichen der Volljährigkeit ein ziviles Beschäf- trag im Jahr 2016 schon einmal eingebracht. (B) tigungsverhältnis bei der Bundeswehr geschaffen wird (D) und damit ein Ausbildungskonzept umgesetzt wird. Wir (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: wollen die Einführung einer erneuten Dienstverpfich- Richtig! Der kommt auch noch mal! – Sabine tung zum Zeitpunkt der Volljährigkeit, um die Freiwillig- Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Da keit der Rekrutierung sicherzustellen. Und: Wir wollen waren Sie noch gar nicht da!) die Schulung von speziellen Ansprechpartnerinnen und Wenn Sie hier Politik machen, indem Sie einfach alte An- Ansprechpartnern und eine getrennte Unterbringung von träge als Füllmasse einbringen, dann ist das ja fast so, als Minderjährigen und Volljährigen. sei Ihnen die Einführung des bedingungslosen Grundein- (Florian Hahn [CDU/CSU]: Das ist doch kommens für sich selbst nun doch gelungen. lächerlich!) (Beifall bei der AfD – Zurufe von der LIN- Natürlich soll es auch bei den bestehenden und den, KEN) wie ich fnde, bewährten Schutzmechanismen bleiben, Jetzt zu Ihren Anträgen. Wenn Sie davon sprechen, die Sie, Herr Müller, in Ihrem Antrag – ich weiß nicht, dass niemand unter 18 Jahren eingezogen werden sol- warum – gar nicht erwähnt haben. Dazu gehören die Ein- le – das betonen Sie ja besonders –, dann habe ich eine willigung der Erziehungsberechtigten, kein Nachtdienst, gute Nachricht für Sie: In Deutschland wird im Moment kein Dienst an der Waffe im Inland, keine Teilnahme an überhaupt niemand mehr eingezogen. Die Wehrpficht ist Auslandseinsätzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nämlich ausgesetzt. glaube, das ist eine richtige Positionierung, auch in An- betracht der Tatsache, dass die Bundeswehr als Arbeitge- (Beifall bei der AfD – Tobias Pfüger [DIE ber natürlich im Wettbewerb mit anderen Möglichkeiten LINKE]: Wer hat gerade gesagt, dass wir nicht für junge Leute, sich berufich zu entwickeln, steht. lesen können? Sie können nicht lesen!) Ich sage auch ganz klar: Wir möchten in den kommen- Leider ist sie ausgesetzt. Das ist nicht im Sinne der AfD. den Monaten mit der CDU/CSU-Fraktion entsprechend Auch davor war man erst mit 18 Jahren überhaupt ringen, dass wir zu der Position kommen: In der Bundes- wehrpfichtig. Genau wie im Übereinkommen gefordert, wehr soll es für Minderjährige keine Ausbildung an der nehmen Soldaten unter 18 Jahren an keinen Kampfhand- Waffe geben. lungen teil; weder Auslandseinsätze noch Wachdienste (Beifall bei Abgeordneten der SPD) machen sie mit. Minderjährige Soldaten dürfen ohne Er- laubnis ihrer Eltern noch nicht einmal geimpft werden. Ich glaube, das sind die richtige Positionierung und die Wenn diese Soldaten, über die wir hier reden, in irgend- richtige Haltung zu diesem Thema. welche Feindseligkeiten geraten, liebe Linke, dann ge- 1552 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Jan Ralf Nolte (A) hen diese meistens von Sympathisanten Ihrer Partei aus. Sie werden zu Selbstsicherheit, Hilfsbereitschaft, Mut (C) Vielleicht setzen Sie da einmal an. und Ehrlichkeit erzogen. Es ist doch wunderbar, wenn junge Menschen schon früh diese wertvollen Dinge ver- (Beifall bei der AfD – Tobias Pfüger [DIE innerlichen. Die Bundeswehr hat der Gesellschaft mit LINKE]: Ganz schlecht!) den soldatischen Tugenden einen Schatz bewahrt, der Der Vergleich mit Kindersoldaten ist Quatsch. Das viel zu wenig gewürdigt wird. Übereinkommen, das Sie hier zitieren, erfüllt Deutsch- (Beifall bei der AfD – Dr. land zu 100 Prozent. Mit Ihren Anträgen möchten Sie [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lernt man Probleme lösen, die es überhaupt nicht gibt. das so bei der Bundeswehr?) Trotzdem glaube ich, dass es wichtig ist, heute einmal Wir lehnen beide Anträge, die fast gleich sind, inhalt- über Kindersoldaten zu sprechen. Denn ich fnde, es ist lich ab. Alles Weitere erklären wir Ihnen gerne in den eine Schande, dass die PKK und ihr syrischer Ableger, Ausschüssen. die YPG, in großem Umfang Kindersoldaten rekrutieren. (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE (Niema Movassat [DIE LINKE]: Stramm LINKE]: Sie haben jedenfalls nicht viel bei an der Seite der AKP! AKP-Anhänger in der Bundeswehr gelernt!) Deutschland!)

Im Jahr 2015 starben innerhalb von sechs Monaten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: 44 Kindersoldaten der PKK. Human Rights Watch spricht Vielen Dank, Herr Nolte. – Als Nächster hat der Kol- von 29 gesicherten Fällen, in denen die PKK oder Able- lege Grigorios Aggelidis von den Freien Demokraten das ger im Nordirak Kinder entführten und zwangsrekrutier- Wort. ten. Das US-Außenministerium stellte im Jahr 2012 fest, dass etwa 38 Prozent der PKK-Kämpfer Kinder waren. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Florian Das alles klagen Sie mit keiner Silbe an, weil für Sie der Hahn [CDU/CSU]) Zweck die Mittel heiligt. (Beifall bei der AfD – Norbert Müller [Pots- Grigorios Aggelidis (FDP): dam] [DIE LINKE]: Das klagen wir jedes Jahr Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten an! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Darum Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! geht es heute auch gar nicht! Sie sind in der Danke, Frau Vieregge; Sie haben sehr gut die grundsätz- falschen Debatte!) lichen Überlegungen zu dieser Frage angeführt. (B) Es ist nicht lange her, da hat sich Ihre gesamte Frakti- Wir sind uns alle einig, dass der Schutz von Minderjäh- (D) on mit der YPG solidarisiert, und die PKK-Flagge wurde rigen und heranwachsenden Jugendlichen eine besonders aus Ihren Reihen heraus auch schon gezeigt. verantwortungsvolle Aufgabe für uns ist. Ihr einfallsloser Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, (Beifall bei der AfD – Dr. Bernd Baumann macht allerdings eine ganz andere Stoßrichtung deutlich. [AfD]: Das ist ja furchtbar!) Sie instrumentalisieren die freiwillige Entscheidung jun- Das muss hier gesagt werden; denn es zeigt, dass Ihr An- ger Menschen für eine verkappte Missbilligung an der sinnen nicht ehrlich ist. Sie wollen sich dieses Parlament Bundeswehr oder an ihren Einsätzen. Ihr Vorgehen ist einfach nur zur Bühne machen, um gegen die Bundes- daher besonders verantwortungslos. wehr auszuteilen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Stimmt doch überhaupt nicht! Wer Wenn Sie wirklich das Interesse junger Menschen im macht sich das Parlament hier zur Bühne?) Blick hätten, dann hätten Sie sich zumindest, wie der Kollege von der SPD, Gedanken darüber gemacht, wie Die Bundeswehr ist doch gar nicht so schlecht, wie Sie verantwortungsvolle Ansätze aussehen können. Das hat immer sagen. Sie hätten den Wehrdienst damals nicht Herr Gerster Ihnen gezeigt, auch wenn noch einiges zu alle verweigern sollen. besprechen ist. (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) Ein sachlicher Blick auf die Datenlage erlaubt eine Der Arbeitgeber Bundeswehr vermittelt nicht nur Einordnung: Mit gerade einmal 8 Prozent der Eintritte Kenntnisse, sondern auch Werte und stattet damit viele in die Bundeswehr ist die Zahl der Minderjährigen sehr junge Menschen mit einem Rüstzeug für das gesamte gering. Und von diesen wenigen Personen sind übrigens weitere Leben aus. Rekruten lernen in der Bundeswehr, 96 Prozent bereits nach der Probezeit volljährig. Verstärkt dass es nicht darauf ankommt, wer das bessere Schul- wurde diese Entwicklung in den letzten Jahren durch den zeugnis hat, wer aus der reicheren Familie kommt oder gesellschaftlichen Trend, wie zum Beispiel G 8, dass ob man dick oder dünn ist. Sie lernen durch eigene Er- junge Männer und Frauen immer häufger vor ihrer Voll- fahrung, dass es nur der eigene Wille ist, mit dem jeder jährigkeit die Schule abschließen. Ob sich dieser Trend Widerstand überwunden werden kann. gegebenenfalls durch die Wiedereinführung von G 9 bald wieder erledigt, werden wir in einigen Jahren wissen. (Beifall bei der AfD – Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Es ist der Bundeswehr peinlich, von So ist aber mittlerweile die deutliche Mehrheit der Ihnen vertreten zu werden!) Schulabgänger minderjährig. Unabhängig davon muss Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1553

Grigorios Aggelidis (A) die Einstellung Minderjähriger die Ausnahme bleiben, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) wie es bereits sorgsame Praxis der Bundeswehr ist. Ge- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. rade die verantwortungsvollen und somit einschränken- den Bestimmungen der Streitkräfte beweisen, dass kein Interesse an einer Erhöhung der Zahl minderjähriger Grigorios Aggelidis (FDP): Rekruten vorhanden ist. Zudem übernimmt die Bundes- Ich komme sofort zum Schluss. Das ist mein letzter wehr durch strenge Einstellungskriterien eine besondere Satz. Sorgfaltspficht für die Aufnahme von Minderjährigen. Exemplarisch sind hier sowohl das Verbot von Auslands- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: einsätzen wie auch keinerlei Dienst an der Waffe – ob Gut. Wachdienst oder was auch immer – zu nennen.

Für uns Freie Demokraten – und offensichtlich für Grigorios Aggelidis (FDP): die Mehrheit dieses Hauses und vor allem auch für die Den Soldatinnen und Soldaten ist für ihre Entschei- Bundeswehr – stehen die freie Entscheidung und die dung zum Dienst bei der Bundeswehr Wertschätzung persönliche Reife der jungen Menschen im Mittelpunkt. entgegenzubringen, Respekt zu zollen und vor allem Sie allerdings unterstellen den einwilligenden Eltern und Unterstützung zu geben. Ihre Anträge beinhalten leider Jugendlichen, ihre Entscheidung leichtfertig getroffen zu genau das Gegenteil. haben. Damit stellen Sie der bewussten Entscheidung, als Soldat Verantwortung zu übernehmen, Bevormundung Vielen Dank. entgegen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: So ein der CDU/CSU) Quatsch!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Warum sollte beim freiwillig ausgewählten Berufs- wunsch eines Jugendlichen eine Lebenslaufücke er- Vielen Dank. – Als Nächstes erteile ich das Wort der zwungen werden, nur weil Ihnen der Arbeitgeber oder Kollegin Beate Walter-Rosenheimer vom Bündnis 90/ dessen Einsätze nicht passen? Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das ist eben kein normaler Beruf!) Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE (B) – Ich komme gleich dazu. – Wir Freien Demokraten GRÜNEN): (D) vertrauen auf die Selbstbestimmung des Einzelnen und Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kollegen respektieren deshalb auch die individuellen Entscheidun- und Kolleginnen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf gen, ganz im Sinne der Berufsfreiheit nach Artikel 12 des den Tribünen! Es gibt viele Emotionen bei diesem The- Grundgesetzes. ma. Ich möchte noch einmal klarstellen, über was wir (Beifall bei der FDP) sprechen: Es geht um die Rekrutierung Minderjähriger, nicht um Kindersoldaten. Das ist uns klar. Anstatt an praktikablen Verbesserungen im Interesse jun- ger Menschen zu arbeiten, reagieren Sie mit Verboten. (Beifall der Abg. Ulrike Bahr [SPD]) Auch damit machen Sie deutlich: Diese Anträge sind nur – Danke; gerne klatschen. – Es geht schlicht darum, dass eine Scheindiskussion. wir für die Einhaltung des Ziels Straight 18 plädieren. Das bedeutet, dass keine Minderjährigen in der Bundes- Liebe Kolleginnen und Kollegen zu meiner Linken, wehr verpfichtet werden, klar und ohne Ausnahmen. Ihr Antrag unterstellt indirekt – das haben Sie in Ihren Ausführungen und auch im Ausschuss deutlich gemacht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Müller –, dass die Bundeswehr per se etwas Kriti- und bei der LINKEN) sches oder grundsätzlich Bedenkliches wäre. Sie müssen endlich erkennen, dass die Bundeswehr aus Bürgerinnen Wir wollen, dass der Militärdienst erst ab 18 Jahren und Bürgern unserer Mitte besteht. Sie haben recht: Es ist aufgenommen werden kann. Punkt! Damit wenden wir kein gewöhnlicher Beruf. Es ist nämlich ein ganz beson- uns nicht gegen die Bundeswehr, sondern setzen uns für derer. Sie haben aus Verantwortung für uns und unsere Minderjährige ein. Demokratie den Beruf des Soldaten gewählt. Denn un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sere Bundeswehr ist eine wichtige staatliche Institution, Davon spricht unser Antrag, und davon spricht der An- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten trag der Linken. der CDU/CSU) Es ist uns natürlich völlig klar, dass wir nicht über Kin- als Parlamentsarmee der Kontrolle dieses Hohen Hauses dersoldaten im klassischen Sinn sprechen, die aufgrund unterstellt und mit dem Konzept der Inneren Führung, ihrer Armut zum Militär gehen müssen, die in Kriegen das meines Erachtens seinesgleichen in der Welt sucht, eingesetzt werden. Wir sind in Deutschland glücklicher- dem Gewissen und den Werten des Grundgesetzes ver- weise in der Lage, dass Kinder in diesem Alter in die pfichtet. Schule gehen und in Frieden leben. 1554 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Beate Walter-Rosenheimer (A) Trotzdem sprechen wir heute über Jugendliche, die ein Interesse daran, unsere Parlamentsarmee zu unter- (C) unter 18 Jahre alt sind und sich bei der Bundeswehr ver- stützen –, so sehr appelliere ich immer und immer wie- pfichten. Wir sehen das kritisch. Die Bundeswehr ist der, junge Menschen bei der Bundeswehr erst unter Ver- eben kein Arbeitgeber wie alle anderen auch; denn junge trag zu nehmen, wenn sie 18 Jahre alt sind. Menschen werden dort zum Dienst an der Waffe ausge- Ich plädiere für eine klare Haltung. Dann ist die Bun- bildet. Das macht einen Unterschied. desregierung im Kampf gegen Kindersoldaten glaubhaft, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weil sie selbst konsequent handelt. und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gerade wenn es um so wichtige und weitreichende sowie des Abg. Tobias Pfüger [DIE LINKE]) Entscheidungen wie die Verpfichtung bei der Bundes- Wenn das in anderen Ländern wie zum Beispiel in Irland wehr geht, sind sich Jugendliche über die Konsequenzen geht – das haben wir gehört –, dann müssen wir nicht oft nicht bewusst. Das zeigt auch die hohe Abbrecher- hinterherhinken. Lassen Sie uns klare Kante zeigen: kein quote. Circa ein Viertel der Freiwilligen quittiert vorzei- Kind, kein Jugendlicher in die Armee, weder in Deutsch- tig den Dienst. land noch anderswo. Damit würde die Regierung die kla- Fakt ist aber natürlich auch – das weiß ich –: Die re Haltung zeigen, die sie sich von ihrer Truppe immer Bundeswehr hat seit der Aussetzung der Wehrpficht ein wünscht. Nachwuchsproblem und steht in Konkurrenz mit Aus- bildungsbetrieben, Fachhochschulen und Universitäten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir haben nun aber die Situation – das haben wir heute sowie bei Abgeordneten der LINKEN) oft gehört –, dass sich die Zahl der Minderjährigen bei der Bundeswehr seit 2011 mehr als verdreifacht hat; das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zeigt auch der aktuelle Bericht des Wehrbeauftragten. Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster erteile ich Das ist in unseren Augen keine gute Entwicklung. das Wort der Kollegin . Ich möchte da- rauf hinweisen: Es ist ihre erste Parlamentsrede. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) Wir haben in den letzten Jahren viel darüber gehört – Norbert Müller hat das auch gesagt –, dass auf allen mög- lichen Kanälen sehr viel für die Bundeswehr geworben Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU): wurde, dass unter 18-Jährige angeworben wurden, dass Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (B) es Abenteuercamps gab, die Lust auf eine Ausbildung Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tri- (D) machen und diese in schönen Farben schildern. Es gab büne! Die Anträge von Linken und Grünen – das wurde auch gezielte Werbung in Schulen, wo Videos gezeigt bereits gesagt – sind nicht neu, und so bleibt es auch bei wurden, die die Ausbildung als schön darstellen. Es ist unserer Antwort: Wir lehnen die Anhebung des Min- aber wenig über die Aufgabe und die Pfichten, die ein destalters bei der Bundeswehr auf 18 Jahre ab. Soldat oder eine Soldatin dann wirklich hat, gesagt wor- Sie argumentieren, liebe Fraktion der Linken, vor al- den. len Dingen mit den brutalen Vorkommnissen und Erfah- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: So rungen aus der Horrorwelt von Krieg und Gewalt. ist es!) (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ich sage das als Tochter eines Soldaten; ich bin als Solda- Lesen Sie doch mal den Antrag!) tenkind aufgewachsen: Es ist ja mehr als das, was in der Diese gibt es; das ist richtig. Geschildert wurden auch Werbung schön aussieht. dieser Tage wieder Schicksale von Heranwachsenden, Eine militärische Ausbildung, liebe Kolleginnen und die verschleppt und als Kindersoldaten zum Kriegsdienst Kollegen, ist eben kein Dschungelcamp, kein Computer- gezwungen wurden. Es sind furchtbare Schicksale von spiel, sondern eine ernste Angelegenheit. Hunderttausenden von Kindern und Jugendlichen, die wir tatsächlich verhindern müssen. Die Bundesrepublik (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN engagiert sich hier auch vollkommen zu Recht. und bei der LINKEN – Kerstin Vieregge [CDU/CSU]: Das stimmt!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Auch die Berichte über die Häufung von sexueller Beläs- tigung und rechtsextremen Strömungen sowie gewaltvol- Doch was hat dies mit jungen Rekruten in der Bun- len Initiationsriten deuten doch – das sage ich als Mutter deswehr zu tun? von fünf Kindern – nicht auf ein passendes Umfeld für (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Minderjährige hin. Internationale Verpfichtungen gelten immer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nur für die anderen, oder wie?) und bei der LINKEN) Ich sage Ihnen: rein gar nichts. In Deutschland wird kein So klar ich sehe, dass sich die Bundeswehr um Nach- Kind und kein Jugendlicher in den Militärdienst ver- wuchs bemühen muss, und so wenig ich eine schlechte schleppt. Er oder sie ist mindestens 17 Jahre alt und wird Absicht unterstelle – auch wir als grüne Fraktion haben vor der freiwillig zu bekundenden Teilnahme intensiv be- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1555

Bettina Margarethe Wiesmann (A) raten und vorbereitet, auf physische sowie mentale Taug- bewusst in die Nähe der ganz anderen Realität an hiesi- (C) lichkeit getestet. Vor allem müssen die Eltern dem Dienst gen Ausbildungsorten. in der Bundeswehr zustimmen. Als Familienpolitikerin ist mir dies besonders wichtig. Eltern kennen nämlich ihr Vielleicht ist es aber auch so, dass es dem einen oder Kind und können in diesem Alter noch zu-, aber auch anderen einfach nicht gefällt, dass sich die Bundeswehr abraten. Und – da bin ich mir sicher – sie nehmen diese aktiv um den Eintritt qualifzierter junger Leute bemüht, Verantwortung sehr ernst. die sonst woanders lernen und arbeiten würden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ordneten der FDP) Was ist mit der internationalen Verpfichtung, die wir eingegangen sind?) Auch wenn die Eltern zustimmen, darf dieser junge Mensch bis zur Volljährigkeit keinen bewaffneten Dienst Vielleicht sind Sie an einer einsatzfähigen und personell ausüben oder gar in einen Auslandseinsatz geschickt gut ausgestatteten Bundeswehr auch gar nicht so sehr in- werden. Er kann in der Probezeit seinen Dienst jeden Tag teressiert. sofort quittieren. Die Union und weite Teile des Hauses stehen zur Bun- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ja, deswehr als Parlamentsarmee, überwacht und geführt aber danach nicht mehr!) durch Institutionen unseres demokratischen Rechtsstaats, Deshalb ist die in Ihren Antrag eingearbeitete Beschrei- dem sie Rechenschaft ablegen muss. Es gibt keine Wehr- bung von Zuständen, in denen Kinder und Jugendliche – pficht – sie ist ausgesetzt – und keine Zwangsrekrutie- ich zitiere – „gewaltbasierte Handlungsstrategien bis hin rung. Aber es gibt einen sehr guten Jugendschutz für die zum Töten anderer Menschen erlernen und eigene Ge- kleine Gruppe noch minderjähriger Rekruten. walterfahrungen machen“, suggestiv, irreal und absolut Letzter Satz: Die Bundeswehr darf daher nicht dem nicht angebracht; Vergleich mit kinderraubenden Bürgerkriegsarmeen aus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gesetzt werden. Dieser Vergleich schadet ihrem Ansehen Grigorios Aggelidis [FDP]) und schmälert ihren Auftrag, der unsere Sicherheit ist. denn davon erleben 17-Jährige im Dienst der Bundes- (Widerspruch des Abg. Tobias Pfüger [DIE wehr nichts. LINKE]) Auch die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse, die Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Sie ins Feld führen, besagen nichts: Menschen unter (B) 20 Jahre hätten noch kein vollausgebildetes Hirn und sei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) en deshalb nicht in der Lage, dramatische Erfahrungen ordneten der FDP) zu verarbeiten. Das Schöne ist: Unsere jungen Rekruten wachsen nicht in Kriegsgebieten auf, und sie kommen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: auch nicht dorthin, solange sie minderjährig sind. Vielen Dank, Frau Kollegin Wiesmann. – Als Nächs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tes erteile ich das Wort der Abgeordneten Ulrike Bahr ordneten der FDP) von der SPD-Fraktion. Liebe Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, selbst Ihr Ar- (Beifall bei der SPD) gument im Antrag kann nicht verfangen. Sie sagen, unser Engagement gegen die Beteiligung von Kindern, also Ulrike Bahr (SPD): von bis zu 14-Jährigen, an bewaffneten Konfikten wäre nur dann glaubwürdig, wenn wir die Rekrutierung von Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Minderjährigen in unserem Land gesetzlich verböten. Kolleginnen! Soldatinnen und Soldaten üben inzwischen nicht mehr nur für einen rein hypothetischen Ernstfall. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Noch glaubwürdiger!) (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: So ist es!) Aber was hat das mit der Ausbildung von 17-Jährigen Auch das Üben war wegen eventueller Unfälle – das unter den beschriebenen vorbildlichen Bedingungen, wurde erwähnt – gar nicht so ungefährlich. Mittlerweile großartigem Jugendschutz und besonderer Fürsorge der werden sie von uns, dem Parlament, aber immer häufger Bundeswehr zu tun? Wiederum rein gar nichts. Also in Auslandseinsätze geschickt und sind dort sehr realen kann unser Umgang mit dem Thema unserer Arbeit in Gefahren ausgesetzt. den Gremien der UN und anderswo gar nicht im Wege stehen. (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: So ist es!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Allein im Afghanistan-Einsatz sind bislang 56 Personen sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP]) umgekommen. Deshalb sind – auch wenn Sie von Glaubwürdigkeit Wir alle wissen und haben es hier auch schon gehört: sprechen; ich will Ihnen Ihre Absicht natürlich nicht ab- Die Bundeswehr ist seit 2011 nicht länger eine Armee sprechen – Ihre Anträge eben nicht so glaubwürdig. Sie von Wehrpfichtigen, sondern eine Berufsarmee. Das rücken die dramatische Lage in anderen Weltgegenden schafft Rekrutierungsprobleme, denen wir aber nicht mit 1556 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Ulrike Bahr (A) einer verstärkten Anwerbung von Minderjährigen begeg- Ulrike Bahr (SPD): (C) nen dürfen. Ja, ich komme zum Ende. – Wenn wieder eine Gro- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ße Koalition zustande kommt, hoffe ich sehr, dass meine Kolleginnen und Kollegen von der Union hierzu doch Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hat noch Gesprächsbereitschaft zeigen werden. sich in der letzten Wahlperiode ausführlich mit diesem Vielen Dank. Thema befasst und empfohlen, das Mindestalter für den Dienstbeginn von 17 auf 18 Jahre anzuheben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Amira (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: ­Mohamed Ali [DIE LINKE]) Mit Stimmen von SPD und CDU/CSU!)

Ich habe großes Verständnis dafür, dass die Kollegin- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nen und Kollegen von der Linken ihren Antrag aus der Vielen Dank. – Wir kommen nun zum letzten Red- letzten Wahlperiode erneut einbringen; denn die Zahl der ner zu diesem Tagesordnungspunkt: der Kollege Florian minderjährigen Rekrutinnen und Rekruten ist wieder ge- Hahn von der CDU/CSU-Fraktion. stiegen – 2017 noch über die im Antrag genannte Zahl hinaus auf mehr als 2 100 minderjährige Rekruten. Der (Beifall bei der CDU/CSU) Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Rekrutierung von Minderjährigen Florian Hahn (CDU/CSU): eine Ausnahme bleiben muss. Inzwischen ist die Zahl so Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hoch, dass von einer Ausnahme nicht mehr gesprochen Wenn man die Beiträge von den Linken und den Grünen werden kann. in der heutigen Debatte verfolgt, könnte man meinen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundeswehr schicke Kindersoldaten in Kampfeinsätze. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist natürlich größter Unsinn. Besonders bei den jungen Frauen sind die Zuwachsraten (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE gewaltig. GRÜNEN]: Nein! Das hat keiner behauptet! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Hat Der Kollege Martin Gerster hat darauf hingewiesen, eigentlich irgendjemand zugehört?) dass wir uns unter den Unterzeichnern des Fakultativ- Das zeigt wieder einmal, wie unsachlich die Debatten protokolls zur Kinderrechtskonvention in guter Gesell- über die Bundeswehr von linker und grüner Seite geführt schaft befnden. Die Bundeswehr entspricht den dort ein- (B) werden. Ich würde Ihnen eine „grüne“ Grundausbildung (D) gegangenen Verpfichtungen, indem Minderjährige von bei der Bundeswehr anraten. Die würde Ihnen ganz gut bewaffneten Konfikten ferngehalten werden und auch tun. keine Wachdienste mit der Waffe leisten dürfen. Dennoch werden sie an der Waffe ausgebildet, und das halte ich für (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ nicht akzeptabel und unverantwortlich. DIE GRÜNEN]: Ihre Arroganz ist unmöglich! Hören Sie doch zu!) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist unerträglich, dass die Bundeswehr durch die vorliegenden Anträge in die Nähe von Warlords und Dik- Die Bundeswehr bietet zweifellos gute Ausbildungen tatoren gestellt wird. an und ist ein attraktiver Arbeitgeber. Da die Schulabgän- ger wegen früherer Einschulung und verkürzter Schulzeit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – für Gymnasiasten jünger werden, muss man sich etwas Niema Movassat [DIE LINKE]: Was? Lesen einfallen lassen. Für Jugendliche sind Warteschleifen Sie doch mal die Anträge! So schwer ist das eben nicht attraktiv. Darum hat die SPD-Bundestags- doch nicht!) fraktion in ihrem Positionspapier vom Juni 2017 vorge- Kindersoldaten werden weltweit zum Töten gezwungen; schlagen, Minderjährige sollten zunächst in ein ziviles die Bundeswehr jedoch verbietet explizit Situationen, Ausbildungsverhältnis bei der Bundeswehr übernommen in denen Rekruten unter 18 ihre Waffe gegen Menschen werden. Dort gibt es zahlreiche Ausbildungsmöglichkei- richten müssen. ten: im Handwerk, in der Logistik, im Bereich IT und Elektronik, im Bereich Medizin und Gesundheit und auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU im mittleren nichttechnischen oder naturwissenschaftli- sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP]) chen Dienst. 54 Ausbildungsberufe in 400 verschiedenen Jugendliche dürfen zwar ab 17 zur Bundeswehr, aber sie Ausbildungsstätten listet die Webseite der Bundeswehr. dürfen weder Dienst an der Waffe leisten noch an Bun- Möglich wäre auch ein spezieller Vorbereitungsdienst deswehrauslandseinsätzen teilnehmen. Minderjährige in mit einem eigenen Ausbildungskonzept. Die Übernahme der Bundeswehr mit Kindersoldaten gleichzusetzen, ist in ein militärisches Dienstverhältnis folgt dann erst mit deshalb unangemessen, unsachlich und unanständig. der Volljährigkeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich habe in der heutigen Debatte kein einziges sach- Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss? liches Argument gehört, das gegen 17-Jährige in der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1557

Florian Hahn (A) Bundeswehr spricht. Da hilft auch der Hinweis auf die – Hören Sie zu! – Die Defzite, die der Oberleutnant be- (C) Hirnforschung nicht. Wenn Sie das wirklich ernst mei- schreibt, sind genau der Grund, warum er dort ist: um nen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, politische Bildung zu leisten. dann können Sie nicht wirklich für Wahlen ab 16 sein, Zweitens. Ich bin sehr dafür, zu sagen: Es gibt eine es sei denn, Sie machen sich Hoffnung, besonders viele Bandbreite zwischen 17 und 18 Jahren. Der eine ist rei- Stimmen zu bekommen. fer und der andere weniger reif. Darüber entscheidet aber (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: eben nicht der 17-Jährige selber, sondern er wird, bevor Das ist doch Quatsch! Sie haben überhaupt er zur Bundeswehr zugelassen wird, entsprechend unter- keine Ahnung!) sucht. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Es Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gibt keine altersspezifschen Tests!) Herr Kollege Hahn, erlauben Sie eine Zwischenfrage Es fnden entsprechende Gespräche statt. Dann wird die von der Fraktion der Linken? Eignung festgestellt oder eben nicht. Genauso ist das bei dem Thema Wählen. Ich bin ge- Florian Hahn (CDU/CSU): gen das Wählen ab 16. Ich glaube, dass das zu früh ist. Ja, selbstverständlich. Beim Thema Führerschein bin ich für die Regelung, die wir haben, nämlich dass man mit 17 den Führerschein Vizepräsident Wolfgang Kubicki: machen kann, aber zunächst einmal nur in Begleitung ei- Bitte schön. nes Erwachsenen fahren darf und die volle Verantwor- tung erst ab 18 übernimmt. Da gibt es keine Diskrepanz Zaklin Nastic (DIE LINKE): zu den Aussagen, die ich getroffen habe. Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich verfolge die Debatte von Beginn an, und ich beschäf- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tige mich mit diesem Thema seit vielen Jahren auch auf Herr Kollege, erlauben Sie eine weitere Zwischenfra- kommunaler Ebene. ge? Sie sagen, wir führen die Debatte verantwortungslos. (CDU/CSU): Im Jugendoffziersbericht gab es vor einigen Jahren ei- Florian Hahn nen Passus, in dem explizit darüber berichtet wurde, dass Selbstverständlich, gerne. (B) den jungen Menschen, die in den Schulen aufgesucht (D) und rekrutiert werden, der komplexe Zusammenhang der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kriegshandlungen im Weltgeschehen überhaupt nicht be- Ich bitte die Fragesteller, bis zum Ende der Antwort wusst ist. Oberleutnant Kling aus Darmstadt sagte zum des Redners stehen zu bleiben. Beispiel: Vielen Freiwilligen ist in diesem jungen Alter nicht Tobias Pfüger (DIE LINKE): bewusst, worauf sie sich einlassen. Aus eigener Er- Herr Kollege, Sie kennen ebenso wie ich die Grund- fahrung kennen wir die Probleme sehr junger Solda- rechtseinschränkungen, die für Soldatinnen und Soldaten ten. Oft fehlt für den Dienst die notwendige Reife. gelten. Es ist interessant, dass Sie hier immer wieder ar- gumentieren: Die werden ja quasi nur rekrutiert, und erst Ich möchte Sie daher fragen: Werden Sie künftig auch wenn sie 18 sind, geht es richtig los. – Meine zentrale Fra- das Wahlalter absenken, damit Jugendliche wählen kön- ge ist: Warum gelten dann eigentlich diese Grundrechts- nen, oder das Alter für den Führerschein? Sie sagen, die einschränkungen auch für diejenigen, die sich schon vor jungen Menschen sind für den Wehrdienst reif genug, 18 von der Bundeswehr haben rekrutieren lassen? Da ist aber fürs Wählen oder fürs Autofahren nicht. keine Logik drin. Diese Grundrechtseinschränkungen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zeigen nämlich, dass sie in den ganz normalen Ablauf der neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bundeswehr eingebunden werden, außer ganz konkret hinsichtlich der Ausbildung an der Waffe. Beantworten Sie mir die Frage: Warum gelten diese Grundrechtsein- Florian Hahn (CDU/CSU): schränkungen auch bei unter 18-Jährigen? Frau Kollegin, erst einmal vielen Dank für diese Zwi- schenfrage. Sie gibt mir Gelegenheit, etwas klarzustellen: (Beifall bei der LINKEN) Erstens. Die Jugendoffziere rekrutieren nicht in Schulen, sondern sie machen dort politische Bildung. Florian Hahn (CDU/CSU): Wissen Sie, was ich beantworte oder nicht, das kön- (Beifall der Abg. Kerstin Vieregge [CDU/ nen Sie erstens mir überlassen. CSU] – Lachen bei Abgeordneten der LIN- KEN – Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Das wis- Zweitens zeigt Ihre Argumentation einmal mehr, dass sen wir alle! – Niema Movassat [DIE LINKE]: es Ihnen gar nicht um die Sache geht, sondern um et- Das kann man nicht so strikt trennen! Das ist was anderes. Sie wollen die Institution der Bundeswehr Rabulismus, was Sie tun!) insgesamt erschüttern. Deswegen scheuen Sie sich auch 1558 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Florian Hahn (A) nicht davor, einen Kontext zwischen Kindersoldaten und Das erste Beispiel ist das Deutsche Bündnis Kinder- (C) Bundeswehr herzustellen. Das haben Sie hier einmal soldaten, zu dem auch die Deutsche Friedensgesellschaft mehr bewiesen. gehört. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das war (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: überhaupt nicht die Frage! Haben Sie Kopfhö- Und die Kindernothilfe! Und Terre des rer drin und hören was anderes?) Hommes! Und UNICEF!) Ich sage Ihnen: Diese Scheinheiligkeit ist genau das, was Die sind natürlich gegen die Beschäftigung von 17-Jäh- ich Ihnen vorhalte. rigen bei der Bundeswehr. In ihren Leitlinien steht aber auch ganz klar das Ziel der Abschaffung der Bundeswehr. Herr Pfüger, Sie sind ja stellvertretender Parteivor- Das zweite Beispiel ist der Kinder- und Jugendring sitzender und verteidigungspolitischer Sprecher der Lin- Sachsen-Anhalt, der sich auf Antrag der Sozialistischen ken. Sie haben schon vor einigen Jahren zusammen mit Jugend in einer Grundposition gegen die Rekrutierung Frau Buchholz in einem Artikel in der „Jungen Welt“ die von Minderjährigen ausgesprochen hat. Abschaffung der Bundeswehr an sich gefordert. (Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) LINKE] – Niema Movassat [DIE LINKE]: Der Koalitionspartner!) Das zeigt, worum es Ihnen eigentlich geht: Sie wollen diese Institution erschüttern, weil Sie die Institution an Auch die Sozialistische Jugend Deutschlands – Sie wer- sich abschaffen wollen. den es erraten – will die Abschaffung der Bundeswehr. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Wir disku- (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Was Sie gerade tieren hier nicht die Abschaffung der Bundes- machen, ist Ablenkung von einem ganz kon- wehr! Wir diskutieren einen konkreten An- kreten Thema!) trag!) Wir sehen also: Es geht nicht um 17-Jährige bei der Bundeswehr, es geht auch nicht um Glaubwürdigkeit im Genauso ist das bei Ihrem Kollegen, dem Herrn Gehrcke, Kampf gegen Kindersoldaten, sondern es geht um Ideo- der auch hier im Plenum die Abschaffung der Bundes- logie. wehr gefordert hat. Ich sage Ihnen heute und hier: Wir werden die Bun- (Zuruf von der LINKEN: Ja, und? – Niema deswehr nicht abschaffen. Wir brauchen die Bundeswehr. Movassat [DIE LINKE]: Das ist keine Ant- (B) wort auf die Frage! Sonst kann er sich auch (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sagen Sie (D) hinsetzen! – Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Ihrem Büro nächstes Mal, dass es den Antrag Meine Frage war sehr konkret!) vorher lesen soll!) – Wie ich Ihre Frage beantworte, können Sie mir überlas- Ich danke allen jungen deutschen Menschen, die sich sen. Ich sage Ihnen: Ihre Argumentation ist scheinheilig, für den Dienst bei der Bundeswehr entscheiden. Wir weil Sie ein anderes Ziel verfolgen, als über diesen Sach- brauchen diese jungen Menschen, und wir haben gro- verhalt mit mir zu diskutieren. ßen Respekt vor ihrer Entscheidung, in die Bundeswehr einzutreten. Auch das sollten wir an diesem Tage einmal (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der sagen. AfD und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- wie der Abg. Ulrike Bahr [SPD] – Niema Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Movassat [DIE LINKE]: Am Thema komplett vorbei!) Herr Kollege Hahn, Sie haben zutreffend festgestellt: Sie beantworten die Fragen immer so, wie Sie das wol- len, auch wenn das dem Fragesteller nicht gefällt. Das ist Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dann einfach so. Herr Kollege Hahn, herzlichen Dank für Ihre Ausfüh- rungen. – Damit schließe ich die Aussprache. Florian Hahn (CDU/CSU): Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf So ist es. – Dieser Antrag ist ein weiterer Versuch, die den Drucksachen 19/475 und 19/979 an die in der Ta- Bundeswehr in der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. zu rücken, immer mit dem Ziel vor Augen, diese eines Die Vorlage auf Drucksache 19/475 – Tagesordnungs- Tages abzuschaffen. Das werden wir nicht zulassen. Wir punkt 16 – soll federführend an den Verteidigungs- stehen zur Bundeswehr und zu unseren Soldatinnen und ausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit ein- Soldaten. verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wissen Sie, auch den außerparlamentarischen Kriti- Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 17 auf: kern geht es nicht um die Sache. Die verfolgen dieselbe Agenda wie Sie. Lassen Sie sich einmal zwei Beispiele Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate auf der Zunge zergehen: Müller-Gemmeke, Anja Hajduk, Sven Lehmann, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1559

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- auch Stärken entsprechen. Deshalb muss das freiwillig (C) NIS 90/DIE GRÜNEN sein. Zwang und Sanktionen darf es nicht geben. Neue Perspektiven für langzeitarbeitslose (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschen durch einen Sozialen Arbeitsmarkt und bei der LINKEN) ermöglichen Zweitens. Im Koalitionsvertrag steht zu Recht, dass Drucksache 19/591 der soziale Arbeitsmarkt gemeinnützigen und auch ge- Überweisungsvorschlag: werblichen Betrieben offensteht. Es fehlt jedoch, dass die Ausschuss für Arbeit und Soziales bisherigen Kriterien „zusätzlich“, „im öffentlichen Inte- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für resse“ und „wettbewerbsneutral“ entfallen. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu (Pascal Kober [FDP]: Das ist richtig!) keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Das ist aber zentral und wichtig, damit sich wirklich alle Kollegin Beate Müller-Gemmeke für Bündnis 90/Die Betriebe an der sozialen Integration von langzeitarbeits- Grünen das Wort. losen Menschen beteiligen können. Hier müssen Sie un- bedingt nachbessern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Drittens – das ist ganz wichtig –: Damit der Arbeits- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- markt tatsächlich für alle offensteht, muss die geförderte nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Er- Beschäftigung zu einem dauerhaften Angebot werden. werbsarbeit sorgt nicht nur für Einkommen, sondern be- Das geht nur mit einem Passiv-Aktiv-Transfer. Das heißt, deutet mehr für die Menschen: gesellschaftliche Teilhabe, die passiven Leistungen – Arbeitslosengeld II und die soziale Kontakte, Würde, Anerkennung, Wertschätzung. Kosten der Unterkunft – werden in einen Lohnkostenzu- Deshalb darf ein Sozialstaat niemanden alleinlassen, nie- schuss umgewandelt; denn nur so wird statt Arbeitslosig- manden vergessen und auch niemanden aufgeben. Alle keit tatsächlich Erwerbsarbeit fnanziert. Menschen brauchen Chancen und Perspektiven. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) (B) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (D) SPD und der LINKEN) Aber genau das steht nicht – zumindest nicht klar – im Die Realität sieht aber anders aus. Die Beschäftigten- Koalitionsvertrag. quote ist hoch, und doch hat sich die Langzeitarbeitslo- (Kerstin Tack [SPD]: Na, na, na!) senzahl verfestigt. Wenn Menschen aber dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, dann hat das Folgen. Da steht nur, dass der Eingliederungstitel jährlich um Das macht auch etwas mit den Menschen. Sie werden 1 Milliarde Euro aufgestockt wird. Das ist aber gerade immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt, und einmal die Summe, die den Jobcentern fehlt, weil der viele empfnden das auch so. Darauf geben die bisheri- Verwaltungshaushalt chronisch unterfnanziert ist. gen arbeitsmarktpolitischen Instrumente keine Antwort. Genau das muss sich ändern. Ich kann nur sagen: Wenn ein sozialer Arbeitsmarkt ohne einen konsequenten Passiv-Aktiv-Transfer kommt, dann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist das nichts anderes als eine riesengroße Mogelpa- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten ckung, und das wäre nicht akzeptabel. der SPD) Es muss Schluss sein mit kurzfristigen Programmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch die Unterscheidung zwischen erstem, zweitem und sowie bei Abgeordneten der LINKEN – gar drittem Arbeitsmarkt ist nicht die Lösung. Notwendig Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Gut, dass ist endlich ein Perspektivwechsel hin zu einem Arbeits- es so nicht ist!) markt für alle. Genau darüber haben wir auch bei den Jahrelange und verfestigte Arbeitslosigkeit darf es Jamaika-Sondierungen verhandelt, und jetzt steht es im nicht geben. Deshalb wollen wir Grünen eine solidari- Koalitionsvertrag von Union und SPD. Aber viele Fra- sche Arbeitsmarktpolitik, einen Arbeitsmarkt für alle. gen bleiben offen. Die Idee vom sozialen Arbeitsmarkt Nur das entspricht einer inklusiven Gesellschaft, die funktioniert jedoch nur, wenn auch tatsächlich die Rah- nicht mehr ausschließt, sondern die Würde der Menschen menbedingungen stimmen. Deshalb geben wir Ihnen mit in den Mittelpunkt stellt, und genau daran werden wir Sie unserem heute vorliegenden Antrag die Anforderungen messen. an einen sozialen Arbeitsmarkt mit auf den Weg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Erstens. Die geförderte Beschäftigung muss zu den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschen passen, ihren Interessen, Fähigkeiten und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 1560 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Job fnden könnten. Stattdessen werden sie in ein System (C) Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes er- gesperrt, aus dem sie nur schwer wieder herauskommen. teile ich dem Kollegen Kai Whittaker von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden nicht eingesperrt! Das (Beifall bei der CDU/CSU) ist freiwillig! Einfach zuhören!)

Kai Whittaker (CDU/CSU): Das ist nicht meine Einzelmeinung, sondern das sehen Herr Präsident! Werte Kollegen! Wenn ein Mensch ar- auch andere so, zum Beispiel der Volkswirt Karl Brenke­ beitslos wird, dann ist das immer eine persönliche Tragö- vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Er die; da gebe ich der grünen Fraktion recht. Wer arbeitslos sagt – ich zitiere –: Viele würden sich dann wie bei den ist, der fühlt sich ausgegrenzt. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in „einer trügerischen (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Sicherheit wiegen, erst einmal untergekommen zu sein, GRÜNEN]: Ist ausgegrenzt!) und sich nicht mehr eine richtige Arbeit suchen“. Wer arbeitslos bleibt, der fühlt sich aufgegeben. Ob je- mand arbeitslos bleibt, hängt meistens von den persön- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: lichen Umständen des Betroffenen ab. Fortgeschrittenes Herr Whittaker, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Alter, mangelnde Sprachkenntnisse, fehlende Berufsaus- Kollegen Kurth aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- bildung, gesundheitliche Probleme: Die Liste ist lang, nen? und die Gründe sind immer individuell. Bei der Problembeschreibung sind wir uns also einig, Frau Müller-Gemmeke. Kai Whittaker (CDU/CSU): (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Das sorgt immer für Erhellung. GRÜNEN]: Aha! Das ist ein gesellschaftli- ches Problem!) (Jürgen Braun [AfD]: Für Erheiterung!) Wenn die Probleme individuell sind, dann verstehe ich aber nicht, warum Sie diese ausgerechnet mit einer Ein- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): heitslösung beheben wollen. Ich fnde, Sie machen mit Das ist aber nett, Herr Whittaker. – Ich möchte klar- Ihrem Vorschlag eines sozialen Arbeitsmarktes drei ka- (B) stellen, dass wir nicht alle Personen im Auge haben, die (D) pitale Fehler: länger als zwei Jahre arbeitslos sind, sondern dass die Erstens. Sie sind mit Ihrer Forderung völlig maßlos. fehlende Perspektive auf dem Arbeitsmarkt, also das Vorhandensein von sogenannten Vermittlungshemmnis- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE sen und Einschränkungen, ein zentrales Kriterium für GRÜNEN]: Was?) das Konzept ist, das wir an dieser Stelle vorschlagen. Sie fordern einen sozialen Arbeitsmarkt für Menschen, Insofern kann auch das zuletzt von Ihnen genannte Ar- die älter als 25 Jahre sind und seit mehr als zwei Jahren gument, das Sie zitiert haben, gar nicht greifen; denn der keine Arbeit haben. sogenannte Lock-in-Effekt, dieses Sich-Einrichten in der (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE geförderten Beschäftigung, anstatt eine – in Anführungs- GRÜNEN]: Nein, nein, nein! Keine Perspek- zeichen – richtige Stelle zu suchen, träfe ja nur auf die- tive auf dem Arbeitsmarkt haben!) jenigen Personen zu, die auch eine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Laut Bundesagentur für Arbeit sind das 479 000 Men- schen. Das ist mehr als die Hälfte aller Langzeitarbeits- Das, was wir als sozialen Arbeitsmarkt bezeichnen, losen und weit mehr als die Anzahl langzeitarbeitsloser richtet sich aber gezielt und erkennbar genau an die Per- Menschen, die in einen sozialen Arbeitsmarkt aufzu- sonengruppe, die auf absehbare Zeit gar keine Chance nehmen uns alle Experten bisher angeraten haben. Das hat, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Daher recht- Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt fertigen wir auch den sogenannten Passiv-Aktiv-Trans- in seinen Analysen zu folgendem Schluss: Maximal fer, also das Auszahlen des Arbeitslosengeldes II und der 300 000 Menschen, wenn überhaupt, kommen für einen Kosten der Unterkunft als Lohnkostenzuschuss. sozialen Arbeitsmarkt infrage. (Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Mich würde viel mehr interessieren, wie die Formu- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir ja lierung im Koalitionsvertrag zu verstehen ist, die Sie dort im Ausschuss bereden!) gewählt haben. Sie wollen den Ländern den Passiv-Ak- tiv-Transfer ermöglichen. Warum steht denn dort nicht, Diese Einschätzung ist eine Maximalforderung. In der dass der Bund den Passiv-Aktiv-Transfer mit den Leis- Vergangenheit hat das IAB diese Zahl eher bei 100 000 bis 200 000 Menschen eingegrenzt. tungen übernimmt? Das steht da nämlich nicht. Damit ist für mich und für uns als Union klar: Mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ihrer Forderung lassen Sie Menschen fallen, die einen Kerstin Tack [SPD]: Das steht da!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1561

(A) Kai Whittaker (CDU/CSU): dann sein ganzes Berufsleben nur noch Helfertätigkeiten (C) Also, was darunter zu verstehen ist und was wir den verrichten kann! Ländern ermöglichen werden, wird der Gesetzgeber in (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE diesem Plenum in seiner Weisheit genauer entscheiden. GRÜNEN]: Wenn man die Rede auf einer falschen Annahme geschrieben hat, muss man (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sie doch anpassen!) NEN]: Sie wissen es nicht!) Drittens. Sie schlagen – das, meine werten Kollegen, Darum können wir im Ausschuss gerne miteinander rin- ist das eigentlich Traurige an diesem ganzen Antrag – gen. nicht nur den 479 000 Langzeitarbeitslosen die Tür zu, Ein weiterer Punkt ist: Wissen Sie, Herr Kurth, Sie die nach Ihrem Programm keine Chance mehr auf dem schreiben in Ihrem Antrag, dass Sie all jenen, die über Arbeitsmarkt haben, sondern Sie schlagen auch den an- 25 Jahre alt und länger als 24 Monate arbeitslos sind, ei- deren 400 000 Langzeitarbeitslosen die Türe zu. nen Zugang zum sozialen Arbeitsmarkt eröffnen wollen. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Dann schreiben Sie etwas nebulös: „ohne absehbare Per- GRÜNEN]: Was? Wo denn?) spektive“. Diese Menschen haben Sie nämlich leider nicht im Blick. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie vergessen gerade die Menschen, die in absehbarer NEN]: Ja! – Beate Müller-Gemmeke [BÜND- Zeit eine Arbeit fnden könnten. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber Sie haben in keiner Weise defniert, was denn diese NEN]: Da gibt es andere Instrumente! Das ist Perspektive genau bedeutet. doch ganz einfach zu verstehen!) Da waren die Experten, die ich gerade zitiert habe, Für diese Menschen haben Sie kein Geld übrig. schon wesentlich weiter als Sie. Gerade von Ihnen, Herr Kurth, der im Ausschuss immer wieder zeigt, wie detail- Wir als Union wissen, dass wir mehr Geld ausgeben verliebt er ist, hätte ich wenigstens erwartet, dass in die- müssen, um Menschen in Arbeit zu bringen. Das ist keine sem Antrag konkret steht, was ich unter „ohne Perspekti- Frage. ve“ zu verstehen habe. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Das ist aber nicht das Thema heu- (B) NEN]: Das steht in unserem Gesetzentwurf! – te!) (D) Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Das haben wir übrigens auch mit der SPD verabredet. GRÜNEN]: „Ohne absehbare Perspektive auf Aber ich bin der Ansicht, dass wir dieses Geld dazu nut- dem Arbeitsmarkt“!) zen sollten, Menschen in Arbeit zu bringen, damit sie fnanziell wieder unabhängig werden. Ihr sozialer Ar- Das hier ist ein dünnes, sechsziffriges Forderungska- beitsmarkt hingegen macht Menschen dauerhaft zu Sozi- talögchen, das eigentlich die Beratung im Plenum nicht alfällen. Sie manövrieren sie in eine Sackgasse. wert ist. Aber gut. Wir als Union wollen den Menschen Wege aufzeigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um das zu schaffen, sollten wir Langzeitarbeitslose da- Wir als Union wollen, dass die Menschen einen Weg in rin unterstützen, eine Berufsausbildung zu machen. Ein den Arbeitsmarkt fnden und ihr Leben wieder selber ge- Land wie Deutschland braucht keine Hilfskräfte, sondern stalten können. Mit Ihren anvisierten knapp 500 000 Per- wir brauchen Fachkräfte. Um das zu schaffen, brauchen sonen schießen Sie leider weit über das Ziel hinaus. wir eine intensivere persönliche Betreuung. Die Union hat immer von einer Treppe in den ersten Arbeitsmarkt Zweitens. Sie schießen nicht nur über das Ziel hinaus. gesprochen. Sie verfehlen es, fnde ich, deutlich. Die Grünen haben (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE immer gesagt – das habe ich stets nachvollziehen kön- GRÜNEN]: Das steht übrigens auch in unse- nen –: Qualifzierung vor Arbeitsplatzvermittlung. Das rem Antrag!) ist selbstverständlich. Wer keinen Beruf gelernt hat, hat es schwerer, einen Job zu fnden. Das betrifft immerhin Eine solche Treppe müssen wir auch für die Berufsaus- die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen. Aber dann müssen bildung bauen, um so die Menschen Schritt für Schritt zu wir doch dafür sorgen, dass ein 25-jähriger Arbeitsloser befähigen. einen Beruf erlernt. Sie hingegen wollen diesen 25-Jähri- gen auf dem sozialen Arbeitsmarkt beschäftigen. Mir ist es wichtig, dass wir uns um jeden Einzelnen kümmern. Dass es sich lohnt, diesen Weg zu gehen, zeig- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE te mir neulich wieder ein Fall aus einem Berliner Job- GRÜNEN]: Das ist schwach, ganz schwach!) center. Anstatt diesem Menschen die Tür zum Arbeitsmarkt zu öffnen, schlagen Sie diese Tür zu. Was für ein verhee- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: rendes Signal geben Sie damit diesem 25-Jährigen, der Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. 1562 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Kai Whittaker (CDU/CSU): Ich glaube, dass dieser Satz sehr eindeutig ist und dass (C) Dort hat ein älterer Mann nach zwölf Jahren Arbeits- man so sehr gut arbeiten kann. losigkeit wieder einen festen Vollzeitjob als Gärtner ge- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- funden. Er arbeitet dort immer noch. NEN]: Und was steht davor? Das haben Sie nicht vorgelesen!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege Whittaker. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin Tack, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Kai Whittaker (CDU/CSU): Ich weiß, das ist ein Ausnahmefall. Ich möchte, dass Kerstin Tack (SPD): es der Regelfall wird. Nein, im Moment nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Beate Müller- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: GRÜNEN]: Schade! Ich hätte dann auch zi- Aber wie?) tiert!) Für uns ist die Frage der Finanzierung des Passiv-Ak-

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tiv-Transfers zentral. Wir unterstützen damit diesen Ich bedanke mich herzlich, Herr Kollege Whittaker. – längst überfälligen Paradigmenwechsel. Als Nächstes die Abgeordnete Kerstin Tack für die Sozi- aldemokratie. Wir möchten, dass sich nicht nur öffentliche Träger oder die Wohlfahrt beteiligen und davon proftieren, son- (Beifall bei der SPD) dern wir möchten auch, dass sich die Privatwirtschaft sehr deutlich und einheitlich positioniert und die Mög- lichkeiten einer solchen Maßnahme aktiv in ihre Über- (SPD): Kerstin Tack legungen miteinbezieht und den Lohnkostenzuschuss Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- nutzt. Das ist für uns Bezahlung von Arbeit statt Arbeits- gen! Meine Damen und Herren! Es ist richtig und gut und losigkeit und überfällig. es ist überfällig, dass wir die Schaffung eines sozialen Arbeitsmarktes, also die dauerhaft öffentlich geförderte (Beifall bei der SPD) Beschäftigung inklusive des Passiv-Aktiv-Transfers, (B) Dass wir dafür im Koalitionsvertrag die Mittel des (D) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Eingliederungstitels bei den priorisierten Ausgaben als GRÜNEN]: Wo steht das?) größten Einzelposten etablieren konnten, nämlich 4 Mil- liarden Euro, ist ganz zentrale Klarstellung für die Not- in den Koalitionsvertrag für die nächsten vier Jahre, so- wendigkeit, die Wichtigkeit und die klare Priorität für ei- fern die Koalition ab der nächsten Woche Realität wird, nen sozialen Arbeitsmarkt, der in Deutschland schon seit hineinverhandeln konnten. langem überfällig ist und bisher keine Mehrheit hier in diesem Parlament gefunden hat. (Beifall bei der SPD) Auch deshalb ist es eine der ersten Maßnahmen, die Darüber freuen wir uns sehr; denn wir als SPD haben wir, sofern wir in eine Koalition eintreten, für Deutsch- in den letzten Jahren diese Forderung nach einem öffent- land, für die Menschen und insbesondere für einen guten lichen geförderten Beschäftigungssektor und vor allen öffentlichen Beschäftigungssektor umsetzen werden. Da- Dingen auch die Ermöglichung des Passiv-Aktiv-Trans- rüber freue ich mich ganz besonders. fers in der Koalition mehrfach durchsetzen wollen. Wir freuen uns, dass man bei der CDU/CSU zur Einsicht Herzlichen Dank. gekommen ist, dass diese Maßnahme – der soziale Ar- (Beifall bei der SPD) beitsmarkt – erforderlich, dass sie notwendig ist. Sie soll erst einmal für 150 000 Menschen in Deutschland zur Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Verfügung stehen. Vielen Dank, Frau Kollegin Tack. – Ich weiß, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bei diesem doch wichtigen Thema die Redezeit äußerst knapp bemessen ist. Weil das so ist, gebe ich Ihnen, Frau Er soll nicht als befristetes Modellprojekt, sondern als Kollegin Müller-Gemmeke, für eine Kurzintervention Regelinstrument im SGB II etabliert werden. Und ja, wir das Wort. wollen den Passiv-Aktiv-Transfer ermöglichen. Mit Er- laubnis des Präsidenten möchte ich einen Satz aus dem (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Koalitionsvertrag zitieren – da bildet Lesen in der Tat Beate Müller-Gemmeke NEN): und führt zu mehr Erkenntnissen –: Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich muss zu einem Der Bund stellt dazu die eingesparten Passiv-Leis- ganz konkreten Sachverhalt nachfragen. Sie haben eben tungen zusätzlich für die Finanzierung der Maßnah- aus dem Koalitionsvertrag zitiert. Vor dem Satz, den Sie men zur Verfügung. gerade zitiert haben, steht, dass es einen ersten und einen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1563

Beate Müller-Gemmeke (A) sozialen Arbeitsmarkt geben soll, dass der Eingliede- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) rungstitel um jährlich 1 Milliarde Euro aufgestockt wer- Herzlichen Dank. – Als Nächstes erhält der Abgeord- den soll, dass eine Beteiligung von bis zu 150 000 Be- nete René Springer von der AfD-Fraktion das Wort. schäftigten damit erreicht werden soll. Der Satz, der vor dem von Ihnen zitierten Satz steht, lautet dann: (Beifall bei der AfD)

Wir ermöglichen außerdem den Passiv-Aktiv-Trans- René Springer (AfD): fer in den Ländern. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Wenn Sie an dieser Stelle geschrieben hätten, dass Sie ren! Der vorliegende Antrag der Grünen erinnert mich ihn auch in den Ländern ermöglichen wollen, dann könn- ganz stark an die berühmten Arbeitsbeschaffungsmaß- te ich das verstehen. Aber hier steht ganz klar, dass Sie im nahmen, durch die Arbeit bis 2012 staatlich subventi- Bund den Eingliederungstitel erhöhen wollen und in den oniert wurde, mit teilweise grotesken Folgen. So hieß Ländern den Passiv-Aktiv-Transfer ermöglichen wol- es beispielsweise für ABM-Kräfte in Tierheimen: Tiere len. Vielleicht können Sie das noch einmal richtigstel- nicht füttern, nur streicheln! – So sollte verhindert wer- den, dass durch die staatlich subventionierte Beschäfti- len. Dann haben wir das auch im Protokoll und wissen, gung reguläre Jobs verdrängt werden. dass wir uns immer wieder darauf berufen können, dass es auch im Bund den Passiv-Aktiv-Transfer geben wird. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach mal den Antrag lesen!) Vielleicht können Sie uns dann noch sagen, ob es beim sozialen Arbeitsmarkt auch eine Übernahme von Over- Auch die Grünen wollen in ihrem Antrag staatlich headkosten geben soll, beispielsweise für die Beschäfti- subventionierte Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. gungsträger, und ob es – auch das ist ganz wichtig – eine Diese sollen Langzeitarbeitslosen offenstehen, die länger professionelle Begleitung der Betriebe geben soll, wenn als 24 Monate arbeitslos sind. Die Grünen nennen das sie langzeitarbeitslose Menschen einstellen. „Sozialer Arbeitsmarkt“. Groteske Folgen wie beim ABM-Programm wollen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Grünen jedoch vermeiden. Deshalb sagen sie, ihr so- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zialer Arbeitsmarkt soll explizit für alle Tätigkeiten in al- len Betrieben offenstehen. Ja, ginge es nach den Grünen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hätten wir bald staatlich subventionierte Jobs in direkter Konkurrenz zu bestehenden Arbeitsverhältnissen. Da (B) Sie wünschen zu antworten, Frau Tack? – Bitte, dann frage ich Sie: Was bitte soll daran sozial sein? (D) haben Sie das Wort. (Beifall bei der AfD)

Kerstin Tack (SPD): Um die Langzeitarbeitslosen für Arbeitgeber beson- ders attraktiv zu machen, soll der Staat bis zu 100 Pro- Ja, ich wünsche zu antworten. – Wir werden als Bund zent der Lohnkosten tragen. Hier müssten sogar die die Mittel zur Verfügung stellen, die der Bund an eige- Wirklichkeitsverweigerer der Linken erkennen, dass die- nen Kosten einspart. Das haben Sie in Ihrem Antrag sehr ses Programm vor allem Arbeitnehmer im Niedriglohn- deutlich gemacht. Das ist das Konzept, das auch wir um- sektor aus ihren Jobs verdrängen wird. Es ist die Reise zusetzen gedenken. So steht es im Koalitionsvertrag, so nach Jerusalem auf dem Arbeitsmarkt: Am Ende steht ist es auch gemeint, und so wird es umgesetzt werden. immer irgendjemand ohne Job da. Da wir das Programm zur sozialen Teilhabe als Re- (Beifall bei der AfD) gelinstrument verwirklichen, stellt sich damit auch nicht So stellt sich natürlich die Frage, was die Grünen zu mehr die Frage nach Übernahme der zusätzlichen Kos- diesem Unsinn bewegt. Wer soll eigentlich gewinnen, ten für die Unterstützung der Personen in der Privatwirt- wenn am Ende immer irgendjemand ohne Job dasteht? schaft und in den anderen Stellen, die Sie eben angespro- chen haben, weil auch hierfür die notwendigen Mittel zur (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Verfügung stehen. Denn wir betten das Programm in eine GRÜNEN]: Hä?) Regelförderung. Das Programm hat ein klares Konzept, und sie ist Teil des Programms. Das wissen Sie auch. Eine Antwort fndet man im Antrag der Grünen nicht, wohl aber in einem Gesetzentwurf der Grünen aus dem Von daher ist die Frage ganz eindeutig, wie wir den Jahr 2012 mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Kostentransfer an die Länder regeln, damit sie einheit- Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarktes“. Darin heißt lich einen entsprechenden Lohnkostenzuschuss auszah- es – ich zitiere –: len können. Das werden wir jetzt in der Aushandlung Personen, deren Arbeitsverhältnis mit bis zu und Konkretisierung des Programms angehen. Aber dass 100 Prozent förderfähig ist, müssen eine besonders Mittel für den Kostentransfer fießen werden, ist ausge- komplexe Problemlage aufweisen. handeltes Programm und wird dann auch ermöglicht. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Ja, genau!) 1564 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

René Springer (A) Darunter fallen den Grünen zufolge – auch das kann man Eine massenhafte Verdrängung deutscher Arbeiter durch (C) dort nachlesen – Menschen mit schweren persönlichen Zuwanderer werden wir nicht zulassen. Krisen und mit Migrationshintergrund. (Beifall bei der AfD – Beate Müller-Gemmeke (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so lä- GRÜNEN]: Jetzt haben wir es wieder!) cherlich! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Darum geht es heute doch gar nicht!) Mir fallen dazu mehr als 1,5 Millionen Menschen ein, auf die genau diese Kriterien zutreffen, meine Damen Hier im Deutschen Bundestag werden wir den kleinen und Herren. Mann mit allen Mitteln gegen solche Pläne verteidigen. Die Alternative für Deutschland ist die parlamentarische (Beifall bei der AfD) Bürgerwehr für den kleinen Mann. Richtig: Es sind die Migranten, die im Zuge der von (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE Merkel verursachten und von Ihnen allen beklatschen LINKE]: Aber nur für Deutsche!) Asylkrise zu uns kamen

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Wolfgang Kubicki: GRÜNEN]: Es ist so langweilig, die Schall- Herr Kollege Springer, Sie sind zu Ende und können platte! Mein Gott!) sich setzen. Ich möchte nur freundlicherweise darauf hin- und die nun zu einer unerträglichen Last für unser Sozi- weisen, dass die AfD noch nicht über die absolute Mehr- alsystem werden. heit im Deutschen Bundestag verfügt. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- ordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP Schon im kommenden Jahr werden die meisten dieser und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Migranten als Langzeitarbeitslose in den Statistiken auf- Niema Movassat [DIE LINKE]: Zum Glück!) tauchen und den Deutschen vor Augen führen, welches Unheil diese Bundesregierung über unser Land gebracht Als Nächster erhält für die Fraktion der Freien Demo- hat. kraten der Kollege Pascal Kober das Wort. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der FDP) Um dieses Unheil zu kaschieren und die Arbeitslosen- statistiken zu beschönigen, soll nun ein sozialer Arbeits- Pascal Kober (FDP): markt her, der wahrscheinlich unzählige Arbeitnehmer Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So (B) im Niedriglohnsektor aus ihren Jobs drängen wird: Ver- viele Menschen wie noch nie haben in unserem Land Ar- (D) käufer, Wachdienstmitarbeiter, Taxifahrer, Reinigungs- beit. Die Arbeitslosenzahlen sind auf einem historischen kräfte und Paketboten, herausgedrängt durch Zuwan- Tiefststand, und das ist gut so; darüber können wir uns derer, deren Jobs auch noch mit unseren Steuergeldern freuen. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt durch die klu- staatlich subventioniert werden sollen. ge und weitsichtige Wirtschafts-, Finanz- und Arbeits- marktpolitik der christlich-liberalen Koalition nach der (Beifall bei der AfD) Finanzkrise 2007/2008 in Gang gesetzt worden. Das ist kein sozialer Arbeitsmarkt. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Gleichzeitig erleben wir aber, dass nicht jeder von die- Das ist sozialer Sprengstoff, der das Potenzial hat, unsere ser positiven Entwicklung erfasst wird und nicht jedem Gesellschaft zu zerreißen. Der Verteilungskonfikt an der der Sprung in den ersten Arbeitsmarkt gelingt, und das Essener Tafel ist ein erster Vorbote einer solchen zerris- wiederum, obwohl viele Stellen unbesetzt sind, und zwar senen Gesellschaft. Dieses Risiko ist da, und dieses Risi- auch in den Bereichen, in denen es um angelernte, leicht ko ist realistisch, selbst wenn der Antrag der Grünen heu- erlernbare und einfache Tätigkeiten geht. Diese Situation te nicht durchgeht. Denn im Koalitionsvertrag von CDU/ kann uns nicht kaltlassen. Diese Situation ist unbefrie- CSU und SPD haben sich die Verursacher der Asylkrise digend. Dagegen wollen wir etwas tun. Die Situation ist bereits auf Folgendes beim Abbau der Langzeitarbeits- unbefriedigend zuerst und vor allem für die Betroffenen, losigkeit verständigt: „4 Milliarden Euro zusätzlich für nicht nur weil sie das, was sie für das Leben brauchen, neue Chancen in einem sozialen Arbeitsmarkt“. nicht eigenverantwortlich verdienen können, sondern auch weil ihnen durch die Arbeitslosigkeit und den Ver- Meine Damen und Herren, im letzten Bundestag wä- bleib im Hartz-IV-System ein hohes Maß an Selbstbe- ren Sie damit geräuschlos durchgekommen. Diese Zeiten stimmung genommen wird, sie weit weniger frei leben sind vorbei. können, als wir uns es für alle Menschen wünschen. Das (Beifall bei der AfD) müssen wir ändern, und das wollen wir auch ändern. Mit der AfD im Bundestag wird es keine staatlich sub- (Beifall bei der FDP) ventionierten Jobs für Zuwanderer in direkter Konkur- Geradezu tragisch ist Langzeitarbeitslosigkeit dann, renz zu deutschen Arbeitnehmern geben. wenn Familien mitbetroffen sind und wenn dadurch das (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Spal- Risiko der Kinder steigt, vielleicht selbst den Einstieg ter!) in das Berufsleben zu verpassen. Manche Studien legen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1565

Pascal Kober (A) nahe, dass Kinder von Eltern, die langzeitarbeitslos sind, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) ein höheres Risiko haben, den Berufseinstieg zu verpas- Vielen Dank, lieber Herr Kollege Kober. – Als Nächs- sen oder später selber einmal arbeitslos zu werden. Das tes rufe ich für die Fraktion Die Linke die Kollegin darf nicht passieren. Dagegen müssen wir etwas tun. Sabine Zimmermann auf. Dort werden wir politisch ansetzen. (Beifall bei der LINKEN) Problematisch ist Arbeitslosigkeit aber auch für die Unternehmen; denn sie können viele Stellen nicht beset- Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): zen. Arbeit kann nicht erledigt werden. Aufträge gehen Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und verloren. Unternehmen werden in ihrer Entwicklung Herren! Kollegin Tack, Sie haben eben mit voller Lei- gehemmt. Arbeitslosigkeit ist teuer und bindet sehr viel denschaft aus dem Koalitionspapier zitiert. Ich muss Geld, das für andere soziale Aufgaben sinnvoll oder viel- Ihnen ehrlich sagen: Beim Kollegen Whittaker habe ich leicht sogar sinnvoller eingesetzt werden könnte. diese Leidenschaft überhaupt nicht gespürt. Ich fnde, da werden sie noch ganz schön dicke Bretter zu bohren ha- Wir Freie Demokraten begrüßen, dass Sie, liebe Kol- ben; leginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, ei- nen Grundgedanken aufgreifen, den die FDP schon vor (Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker über 20 Jahren ausgearbeitet und formuliert hat und den [CDU/CSU]: Können Sie im Ausschuss alles ­Guido Westerwelle in seinem Buch „Neuland“ 1998 ei- noch haben!) ner breiteren Öffentlichkeit vorgestellt hat, dass es näm- denn diese Leidenschaft ist bei der CDU/CSU überhaupt lich besser ist, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu fnanzieren. nicht vorhanden. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Frau Merkel sagt: Deutschland geht es gut. Der Ar- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der beitsmarkt boomt. Es gibt so wenig Erwerbslose wie seit CDU/CSU und der SPD) 25 Jahren nicht mehr. – Das – dieses sonnige Bild vom Arbeitsmarkt – wollen gerade Sie von der CDU/CSU Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die uns jeden Monat weismachen. Aber Sie vergessen die Grünen, dieser Auffassung sind wir auch. Schattenseite, Sie weigern sich sogar, diese Schattenseite zu sehen: 3,5 Millionen Menschen in Deutschland sind Insofern wäre es richtig, dass wir das Geld, das wir heute erwerbslos. 900 000 Menschen sind langzeiterwerbslos. für Hartz IV ausgeben, in Zukunft in Lohnzuschüsse um- Das heißt, sie sind seit mindestens zwölf Monaten ohne wandeln können, um Arbeit zu fnanzieren und Menschen (B) Job. Wenn Sie einmal richtig zählen würden – Sie zählen (D) den Schritt zurück in die Arbeitswelt zu erleichtern. nämlich gar nicht richtig –, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU und der Abg. Dr. Franziska dann würden Sie bemerken, dass 945 000 Menschen von Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ihnen einfach unter den Tisch gekehrt werden. Das sind Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es sind diejenigen Menschen, die sich in Maßnahmen befnden, Millionen Menschen dabei, die arbeiten be- oder auch über 58-Jährige, die sozusagen kein Jobange- reits!) bot bekommen. Klar ist für uns allerdings auch – so verstehe ich Ihren Von Ihnen werden Menschen einfach in das Hartz-IV- Antrag –, dass für Sie geförderte Arbeit nahe am ersten System mit einem Regelsatz, von dem man nicht leben Arbeitsmarkt oder am besten im ersten Arbeitsmarkt er- kann, abgeschoben. Sie unterliegen Sanktionssystemen, folgen soll. Wenn Sie das unter „sozialem Arbeitsmarkt“ die menschenunwürdig sind. Das ist aus meiner Sicht verstehen, dann sind wir da bei Ihnen, dann streiten wir unchristlich und auch unsozial. Das kann so nicht wei- nur noch über Details. tergehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Sie haben in den letzten zehn Jahren – ich beziehe DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜND- mich nur auf diesen Zeitraum – Milliarden Euro in der NIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten wir zusam- Arbeitsmarktpolitik eingespart. Immer mehr Maßnah- men machen können!) men wurden gestrichen. Haushaltssanierungen fanden auf dem Rücken von Erwerbslosen statt. Das war Ihre Frau Müller-Gemmeke hat von einem Arbeitsmarkt Politik der letzten Jahre. Die Senkung der Arbeitslosig- für alle gesprochen. Genauso wollen auch wir das sehen. keit beruht doch zum großen Teil auf dem Übergang in Wir werden mit Ihnen beraten, und wir unterstützen das die Rente. Schauen Sie sich die Zahlen doch einmal an: Grundanliegen Ihres Antrages. Nur wenige Langzeiterwerbslose bekommen einen Job auf dem regulären Arbeitsmarkt. Deswegen haben wir als Vielen Dank. Linke schon im Jahre 2006 die Einrichtung eines öffent- lich geförderten Beschäftigungssektors gefordert. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) 1566 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) Dazu kann man auch „sozialer Arbeitsmarkt“ sagen. Was Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) man genau sagt, ist, glaube ich, erst einmal unwichtig. Noch nicht, Frau Kollegin; denn es kommen noch ei- Gerade die Einrichtung eines öffentlich geförderten Be- nige wichtige Rednerinnen und Redner. – Vielen Dank, schäftigungssektors ist ein wichtiges Instrument, um Sabine Zimmermann. Langzeiterwerbslosen endlich eine wirkliche Chance zu geben. Von mir aus erst einmal einen schönen sonnigen Tag! Der nächste Redner in der Debatte: Peter Aumer für (Beifall bei der LINKEN) die CDU/CSU-Fraktion. Nur, meine Damen und Herren der geschäftsführen- (Beifall bei der CDU/CSU) den Bundesregierung, Sie haben das ja immer abgelehnt. Aber nun sind Sie, wie sich in Ihrem Koalitionspapier Peter Aumer (CDU/CSU): zeigt, schlauer geworden – das muss man erst einmal Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und festhalten –: Sie möchten gern einen sozialen Arbeits- Kollegen! „Neue Perspektiven für langzeitarbeitslose markt einrichten. Aber wie der genau funktionieren soll, Menschen“, ich glaube, das ist ein Ziel, das die meisten das schreiben Sie eben nicht in diesem Koalitionspapier. hier im Hohen Hause verbindet. Die Bekämpfung der Da kann ich Ihnen versichern: Die Linke wird ganz ge- Langzeitarbeitslosigkeit ist ein wesentliches Ziel, das die nau hinschauen, wie Sie diesen Arbeitsmarkt einrichten meisten hier auch in dieser Wahlperiode angehen wollen. wollen. Es ist vor allem ein zentrales Anliegen von CDU und (Beifall bei der LINKEN) CSU. Wir wollen bis 2025 Vollbeschäftigung in unserem Land erreichen. Wir wollen die Langzeitarbeitslosigkeit Die Linke fordert einen öffentlich geförderten Be- weiter abbauen. Liebe Frau Zimmermann, ich denke, Sie schäftigungssektor mit 200 000 Arbeitsplätzen, voll ver- spüren die Leidenschaft, die die Union bei diesem Thema sicherungspfichtig und nicht unter dem Mindestlohn. hat. Damit meine ich nicht Ihren Mindestlohn von 8,84 Euro die Stunde, von dem man nicht leben kann, sondern ei- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da ist nen ordentlichen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde. noch Luft nach oben!) Wir haben in den letzten Jahrzehnten die Arbeitslosig- (Beifall bei der LINKEN) keit in Deutschland halbiert, und wir wollen das auch in Es ist doch gerade der Sinn von öffentlich geförderter dieser Legislaturperiode fortführen; denn das Wichtigste Beschäftigung, dass Menschen nicht länger auf Transfer- ist, dass die Menschen auf dem regulären Arbeitsmarkt (B) leistungen angewiesen sind; das ist doch das Wichtigste. arbeiten können. Das ist unser Ziel, und an dem müssen (D) Von Arbeit muss man leben können und natürlich auch wir arbeiten. von geförderter Arbeit; das ist doch selbstverständlich. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Wir wollen Angebote fnanzieren, für die sonst das Geld GRÜNEN]: Mit welchem Konzept?) fehlt: Stadtteilzentren, kulturelle Projekte, soziale Unter- stützungsdienste – alles Angebote, die in dieser Gesell- Man muss den Menschen, die länger arbeitslos sind, na- schaft dringend notwendig sind. türlich Instrumente an die Hand geben, damit der Ein- stieg funktioniert. Wir wollen, dass der Einstieg in den Schauen Sie nach Thüringen! Dort machen wir es Ih- ersten Arbeitsmarkt wieder möglich wird. Deswegen ist nen vor. Aber wir brauchen natürlich entsprechende Be- die Grundvoraussetzung eine gute Arbeitsmarktpolitik. dingungen – den Passiv-Aktiv-Transfer will ich an dieser Es geht darum, dass wir weiterhin Arbeitsplätze erhalten Stelle nur nennen –; dann wird das auch so funktionieren, und neue Arbeitsplätze in unserem Land schaffen kön- meine Damen und Herren. nen. Liebe Frau Kollegin, zurück zu Ihrem Antrag, den Sie (Beifall bei der LINKEN) heute eingebracht haben: Ich habe ein bisschen verwun- dert geschaut, als ich gelesen habe, welche Forderungen Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie stellen. Gemäß Ihrem Antrag soll der Bundestag die Bundesregierung auffordern, ein neues arbeitsmarktpoli- Denken Sie an Ihre Redezeit? tisches Instrument zur Integration von langzeitarbeitslo- sen Menschen vorzulegen. Dann habe ich mir den Koali- Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): tionsvertrag angeschaut und mir gedacht: Haben Sie den Koalitionsvertrag nicht gelesen, Ich komme jetzt zum Schluss, liebe Frau Präsidentin. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Wir werden genau darauf gucken, was die Große Ko- GRÜNEN]: Haben Sie mir vorhin zugehört?) alition in ihrem Vertrag versprochen hat. Wir werden das genau prüfen. Ein sozialer Arbeitsmarkt muss endlich oder haben Sie ihn gelesen und den Antrag trotzdem her, damit die Erwerbslosen eine Chance bekommen. gestellt? Wenn Sie ihn gelesen haben – die Interpreta- tionsgeschichte haben wir vorhin schon diskutiert – und Danke schön. Schönes Wochenende! den Antrag trotzdem gestellt haben, dann ist das eher Populismus. Populismus ist bei diesem wichtigen The- (Beifall bei der LINKEN) ma, das wir heute diskutieren, aber wirklich nicht ange- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1567

Peter Aumer (A) bracht. Wir müssen an der Sache arbeiten. Wir müssen Ein herzliches Dankeschön für die Aufmerksamkeit. (C) verantwortungsvoll mit diesem Thema umgehen und ein gemeinsames Ziel umsetzen, nämlich den Menschen, die (Beifall bei der CDU/CSU) lange arbeitslos sind, neue Perspektiven und neue Chan- cen zu geben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, Peter Aumer. – Nächste Red- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE nerin: Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion. GRÜNEN]: Ja, es kommt darauf an, wie wir das machen!) (Beifall bei der SPD) – Sie haben keine Antwort darauf gegeben, wie wir es denn machen sollen. Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Grünen haben GRÜNEN]: Doch!) ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt, das uns – es Das ist, glaube ich, auch das Problem Ihres Antrags. ist schon erwähnt worden –, sollten wir am Sonntag die Mehrheit der Mitglieder für eine Große Koalition gewon- Wir, CDU und CSU gemeinsam mit der SPD – hof- nen haben, ganz sicher in der nächsten Legislatur sehr fentlich, nach diesem Sonntag –, haben als gemeinsames intensiv beschäftigen wird. Ziel, in einer gemeinsam getragenen Bundesregierung Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt für langzeitarbeits- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lose Menschen zu schaffen. Wir haben vier Punkte in Das ist auch gut so; denn wir sind sehr stolz auf das, was einem ganzheitlichen Ansatz. Das geht von der Qualif- wir dort erreicht haben. zierung über die Vermittlung bis zur Reintegration von Menschen, die schon lange arbeitslos sind, und ein weite- (Beifall bei der SPD) rer wesentlicher Punkt ist die Betreuung der Familie. Das ist, glaube ich, ein Gesamtpaket, das die Thematik sehr Während wir in der letzten Legislatur über Modellvor- verantwortungsvoll abdeckt. haben nicht hinauskamen, schaffen wir jetzt ein Regelins- trument im SGB II. Wir erhöhen den Eingliederungstitel, Lieber Kollege der AfD, ich denke, man muss den wir erhöhen die Restmittelübertragung, und wir schaffen Blick manchmal weiten, die Zahlen ganz konkret an- den sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer – in Hessen hieß schauen und vielleicht auch wirklich mal ins konkrete das früher „Arbeit statt Sozialhilfe“. Leben der Menschen gucken, damit man über solche (Beifall bei der SPD) (B) Themen verantwortungsvoll reden kann. Es gibt auch (D) deutsche Menschen, die lange arbeitslos sind, die da- In der letzten Legislatur sind wir noch an den ideo- rauf hoffen, in Arbeit zu kommen, um verantwortungs- logischen Schranken, vor allem im Finanzministerium, voll ihre Familie ernähren zu können. Dass es so kommt, gescheitert. Jetzt ist anerkannt worden, dass eben nicht muss Ziel unserer Politik sein. Da hilft kein Populismus alle Menschen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt ge- von Ihrer Seite. Es ist schade und traurig, dass man in hen, aber trotzdem sinnvolle und produktive Arbeit leis- diesem Hohen Hause so populistisch diskutieren muss. ten können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wie sieht es aus in weiten Teilen des ersten Arbeits- ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- marktes? Früher war es doch so: Der Sohn, der den Eltern NISSES 90/DIE GRÜNEN) viele Sorgen gemacht hat, und auch die Mitarbeiterin, die Meine Zeit geht zu Ende. Ich habe noch 27 Sekunden; gesundheitliche Probleme hatte, hatten trotzdem ihren die werde ich nutzen, meine sehr geehrten Damen und Platz im Betrieb. Heute müssen die Mitarbeiterinnen und Herren. Mitarbeiter oft 150 Prozent geben. Viele davon schaffen das nicht. Psychische und körperliche Erkrankungen re- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur die sultieren aus Arbeitsverdichtung, zunehmendem Termin- Redezeit, Herr Kollege! Nur die Redezeit!) und Zeitdruck, Entgrenzung der Arbeit. Das alles sind Phänomene, die wir kennen und die wir hier auch schon Ich bitte Sie, gemeinsam einen Antrag auf den Weg zu diskutiert haben. bringen. Die Bundesregierung hat angekündigt, dieses Thema sehr schnell anzugehen, wenn die Koalition zu- Ich bin froh, dass wir das Thema heute mit dem An- stande kommen sollte. Es gilt, eine gemeinsame Lösung trag der Grünen, aber zukünftig sicher im Rahmen eines zu fnden, den Menschen, die länger in Arbeitslosigkeit umfassenden Gesetzesvorhabens diskutieren werden; verharren müssen, ganz konkrete Perspektiven zu geben, denn über den Koalitionsvertrag und über den Antrag sodass sie eine Zukunft haben und ihre Familie ernähren der Grünen hinaus werden uns viele Frage im Zusam- können. menhang mit dem sozialen Arbeitsmarkt im Detail noch beschäftigen. Jetzt ist meine Redezeit zu Ende. Deswegen komme ich zum Schluss. Ich würde Sie bitten, dass wir dieses Welchen Personenkreis wollen wir wie lange im sozi- Thema anders diskutieren, als es der Redner der AfD alen Arbeitsmarkt fördern und mit welchem Ziel? Immer gerade gemacht hat. Das war aus meiner Sicht nicht an- gleich in den ersten Arbeitsmarkt, oder müssen wir nicht gemessen. Manchmal muss man auch den richtigen Ton viel stärker als bisher auch das Ziel der sozialen Inte- treffen. gration und der gesellschaftlichen Teilhabe in den Blick 1568 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) nehmen? Das gilt für das gesamte SGB II. Welche ge- hält. Der Antrag heißt: Neue Perspektiven für langzeitar- (C) sellschaftliche Bedeutung kann ein sozialer Arbeitsmarkt beitslose Menschen. – Der Antrag ist aber nicht neu. Sie noch haben? Es gibt immer mehr Arbeit, die aber oftmals haben ihn so oft gestellt und zu einer Bundestagsdrucksa- nicht bezahlt wird: sei es bei mir vor Ort die Essensver- che gemacht, dass es selbst mir als neuem Bundestagsab- sorgung in den Schulen, die kein privater Caterer mehr geordneten aufgefallen ist, wie oft Sie sich wiederholen. übernimmt, weil es sich für ihn nicht rentiert, oder seien Besonders schal ist Ihr Ritual – meine Vorredner haben es haushaltsnahe Dienstleistungen in einer immer älter es gesagt –, da Sie weder die Koalitionsverhandlungen werdenden Gesellschaft, seien es Aufgaben im Umwelt- noch die Sondierungsvereinbarung mit irgendeinem bereich oder an vielen anderen Stellen. Da fallen Ihnen Wort erwähnen. Die Sondierungsvereinbarung ist sieben sicher selbst gute Beispiele von Arbeiten ein, die gesell- Wochen alt. Darin heißt es wörtlich: schaftlich sinnvoll und notwendig sind. Aber der Markt regelt diesen Bedarf nicht. Dazu schaffen wir … ein neues … Regelinstrument im Sozialgesetzbuch II „Teilhabe am Arbeitsmarkt Deshalb ist der Hinweis der Grünen auf das „Budget für alle“. für Arbeit“ für Menschen mit Behinderungen ganz rich- tig; denn es geht auch um einen inklusiven Arbeitsmarkt. Des Weiteren steht darin, dass wir 4 Milliarden Euro da- Ich würde noch weitergehen: Warum muss man erst den für ausgeben wollen. Ich frage mich: Wieso wiederholen Rechtskreis wechseln, um die vielleicht passende Unter- Sie eigentlich alte Anträge, ohne den aktuellen Stand zu stützung zu bekommen? berücksichtigen? Wem soll das eigentlich dienen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN) Sie alle wissen – das haben auch alle Vorredner ge- Wir haben so viele Akteure mit viel Erfahrung und viel sagt –: Wir wollen im Kern dasselbe. Wir wollen Lang- Kompetenz. Aber in unseren Betrieben geht die Fähig- zeitarbeitslose aus ihrem Kreislauf herausholen. Dabei keit, Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens müssen wir uns insbesondere um die schwierigen Ziel- stehen, zu integrieren, immer mehr verloren. Wer sich in gruppen kümmern. Das ist wichtig. Frau Zimmermann, den privaten Betrieben im Rahmen unserer Programme Sie sagen, wir würden nicht über die Schattenseiten re- auf den Weg macht, der muss besser und einfacher unter- den. stützt werden, als das bisher der Fall ist. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE (Beifall bei der SPD) LINKE]: Genau! Und Sie machen nichts!) Wir haben aber auch Integrationsbetriebe. Wir haben Doch, die kennen wir. Aber Sie reden nicht über die Er- (B) Werkstätten, soziale Beschäftigungsträger und Ausbil- folge. (D) dungsträger. Wir haben viele, die vieles können und dem (Beifall des Abg. Peter Aumer [CDU/CSU]) Leben vieler Menschen einen Sinn und Halt geben. Wie können wir das System öffnen und durchlässig machen, In den zehn Jahren vor 2006 pendelte die Zahl der Lang- und wie können wir es schaffen, unsere Ressourcen ef- zeitarbeitslosen zwischen 1,5 Millionen und 1,8 Millio- fzienter zu nutzen und keinen mehr im Gewirr der Zu- nen. Erst seit 2006 sinkt ihre Zahl signifkant. Im Antrag ständigkeiten und der Maßnahmen zurückzulassen? Wie der Grünen steht die korrekte Zahl: 850 000. Die Zahl fnden wir für jeden und jede einen guten Platz, um teil- der Langzeitarbeitslosen ist also von 1,6 Millionen auf zuhaben? Das wird die große Aufgabe sein. Mit dem Ko- 850 000 zurückgegangen. Das sind immer noch zu vie- alitionsvertrag werden wir erste Schritte gehen können. le. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist aber unter der In diesem Sinne: Los geht’s! Regierung Merkel besonders stark gesunken; auch das sollte man nicht verschweigen. Glück auf! (Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht! – der CDU/CSU) Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist nicht gesunken!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir verhehlen nicht, dass Zusätzliches getan werden Vielen Dank, Dagmar Schmidt. Sie haben sich auf die muss. Das haben wir auch vereinbart. Ich kann Sie von Sekunde an die Redezeit gehalten; damit legen Sie na- den Grünen also beruhigen: Eine Weiterentwicklung der türlich eine große Hürde für den letzten Redner in die- Instrumente im SGB II wird kommen. Deswegen brau- ser Debatte, dem ich das Wort zu seiner ersten Rede im chen wir weder Ihren Antrag noch Ihre Belehrungen da- Deutschen Bundestag gebe: Thomas Heilmann für die rüber, dass dieses Thema wichtig ist. Ihr Antrag ist im CDU/CSU-Fraktion. Kern doppelt so lang wie die entsprechende Passage (Beifall bei der CDU/CSU) im Koalitionsvertrag, aber irgendwie nur halb so wirk- sam, um Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren. Kai Whittaker hat es gesagt: Ihnen fehlt die Zielgruppenspe- Thomas Heilmann (CDU/CSU): zifzierung. – Insofern bringt Ihr Antrag leider nicht viel. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen Das gilt erst recht, Herr Springer, für Ihre Äußerun- seit 35 Minuten über Ihren Antrag, der aus meiner Sicht gen. Herr Springer, Sie haben sich in den „Potsdamer schon in der Überschrift eine kleine Mogelpackung ent- Neueste Nachrichten“ offen dazu bekannt, dass Sie Po- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1569

Thomas Heilmann (Berlin) (A) pulismus richtig fnden. Sie sprechen davon, er sei eine Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 6 auf: (C) hohe Kunst. Das fnde ich schon bedenklich. Schaut man in Ihr Wahlprogramm, wird es besonders erstaunlich. Sie Aktuelle Stunde schreiben dazu eine Viertelseite. Darin versprechen Sie auf Verlangen der Fraktion der AfD allen Langzeitarbeitslosen gemeinnützige Bürgerarbeit, die sozialversicherungspfichtig entlohnt werden soll. Diesel: Motor der deutschen Industrie/Fahr- verbote wegen Luftreinhaltungsvorgaben (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wer bezahlt denn das?) Bevor ich den ersten Redner aufrufe, warte ich, bis Ruhe eingekehrt ist. Falls Sie sich wundern – ich bin Zwei Spalten weiter sprechen Sie von Eigenverantwor- schon auf die Reihenfolge der Redebeiträge angespro- tung. Und noch eine Spalte weiter – es steht alles auf der- chen worden –: Gleich reden ein Regierungsvertreter selben Seite – steht, dass die Ausgaben des Staates stark und eine Regierungsvertreterin hintereinander, damit die sinken sollen. – Das ist nicht nur extrem kurz, sondern Fraktionen die Möglichkeit haben, auf diese Beiträge der auch extrem sinnfrei. Regierung zu reagieren. Ich bitte jetzt darum, die interes- santen Gespräche einzustellen und Platz zu nehmen. Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- betrifft auch die Grünen. ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Erster Redner in der Aktuellen Stunde: Dr. Rainer Kraft für die AfD-Fraktion. Sie versprechen nämlich einfach allen alles, obwohl (Beifall bei der AfD) es sich eindeutig widerspricht. Ich nenne das Pippi-­ Langstrumpf-Politik nach dem Motto: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt. Dr. Rainer Kraft (AfD): Sehr geehrte Frau Präsident! Ich bin sehr froh, dass (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der Sie heute hier sind, aus Augsburg, der Stadt, in der der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ Dieselmotor einst erfunden worden ist. DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Sin- gen!) Sehr geehrte Abgeordnete! Ende 2017 gab es für die Mitglieder des ADAC eigentlich einen Grund, sich zu – Singen kann ich leider nicht. – Herr Springer, das ist freuen. Ein Beitrag im klubeigenen Magazin zeigte in keine Kunst. Ich fnde, das ist ziemlich verantwortungs- anschaulichen Grafken eine deutliche Verbesserung der los. Sie versprechen Langzeitarbeitslosen Dinge, die Sie Stickoxidbelastungen der Außenluft in Deutschland. Die (B) nicht halten können und beschimpfen uns, die wir etwas Gesamtemissionen sind auf gut ein Drittel des Wertes (D) gegen die Langzeitarbeitslosigkeit tun, weil wir uns an- von 1990 zurückgegangen, die Jahresmittelwerte sanken geblich nur um Migration kümmern. in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um ein Drittel. Der Beitrag trägt den Titel „Das Diesel-Desas- Meine Damen und Herren, meine Rede ist nicht nur ter“. Das ist ein prophetischer Titel; denn die Politik, die der Abschluss dieses Tagesordnungspunktes, sondern aktuell um den Dieselmotor betrieben wird, ist genau auch – wenn man die letzte Debatte außen vor lässt – der das: ein Desaster. Schlusspunkt in einer bisher einmaligen Debattenzeit in diesem Parlament ohne eine stabile Koalition. Am Wo- (Beifall bei der AfD) chenende werden wir wissen, wie es weitergeht. Ihnen allen wünsche ich, mit Erlaubnis der Präsidentin, schon Zwar gibt es schon den Beweis, dass die politischen jetzt ein schönes Wochenende Entscheidungen der letzten 10 bis 20 Jahre tatsächlich zu einem positiven Ergebnis, nämlich einer deutlichen (Michael Theurer [FDP]: Jetzt kommt noch Verbesserung der Luftqualität im Lande geführt haben, die Aktuelle Stunde!) aber trotzdem stimmen die bekannten politischen Ak- teure grundlos eine hysterische Kakophonie irrwitziger und den Sozialdemokraten das richtige Ergebnis. Maßnahmen zur Hinrichtung einer bewährten wirtschaft- lichen und ökologisch vorteilhaften Technologie an. Wa- Vielen Dank. rum? Das ist ganz einfach: Ihnen läuft das Thema davon. Hält nämlich der nachgewiesene Trend der Luftverbes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- serung noch circa drei bis vier Jahre an – und alles sieht ordneten der SPD) danach aus –, dann wird die Liste der Städte, die die jähr- lichen Luftreinhaltungskriterien verfehlen, kürzer und Vizepräsidentin Claudia Roth: kürzer werden und schließlich ganz leer bleiben. Franz Beckenbauer hätte jetzt gesagt: Schaun mer (Kirsten Lühmann [SPD]: Das ist der Plan!) mal . – Vielen Dank, Thomas Heilmann. – Damit schließe ich die Aussprache. Allein von 2016 auf 2017 haben sich 20 von 90 Städten aus dieser Liste verabschiedet. Das ist ein Rückgang von Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf 22 Prozent in einem Jahr. Wenn das so weitergeht, wer- Drucksache 19/591 an den Ausschuss für Arbeit und den die Bürger womöglich erkennen, dass Sie einen le- Soziales vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – benswichtigen Industriezweig gefährden und Millionen Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dieselfahrer mehr oder minder enteignen, nur um das zu 1570 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Dr. Rainer Kraft

(A) tun, was Sie am besten können: grundlose Panik verbrei- ob sich NOx heute weiblich oder männlich fühlt. (C) ten. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Was bleibt also unter dem Brennglas nüchterner wis- Sie benutzen dazu ausgewählte Negativstandorte als senschaftlicher Betrachtungen von der alarmistischen solche, die mit Abstand die höchsten Stickoxidwerte zei- Antidieselkampagne der letzten Monate übrig? Eigent- gen, um damit einen akuten Notstand darzustellen, der lich nichts, außer dem Verdacht, dass viele Kollegen und faktisch überhaupt nicht existiert. mindestens eine ganze Partei ihre politische Daseinsbe- rechtigung in diesem Hause nur dadurch simulieren kön- (Kirsten Lühmann [SPD]: Für die Menschen, nen, dass sie uns immer neue Weltuntergangsszenarien die da leben, schon!) präsentieren, von denen sie dann den Wählern mit irrati- Als „zehnte Hölle“ der Stickoxidbelastung dient dabei onalem Aktionismus Erlösung versprechen. die Landshuter Allee in München, die im Jahr 2017 einen (Beifall bei der AfD) Jahresmittelwert von 78 Mikrogramm pro Kubikmeter statt der zugelassenen 40 aufwies. Das, meine Damen und Herren, braucht unser Land nicht, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE aber es braucht den Dieselmotor und eine Automobilin- GRÜNEN]: Das sagen Sie mal den Menschen, dustrie, die nicht von politischer Quacksalberei in ihrer die dort leben!) Existenz gefährdet wird. Das ist aber nicht repräsentativ für den Großraum Mün- Zum Abschluss: Es ist gerade einmal eine Woche her, chen. Betrachten wir doch einfach die Luftgüteleitlinien da haben Sie über die Freigabe von Cannabis diskutiert. der WHO. Dort wird festgestellt, dass Konzentrationen (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE jenseits von 1 880 Mikrogramm pro Kubikmeter nötig GRÜNEN]: Oh!) sind, um überhaupt Veränderungen der Lungenfunktion bei gesunden Erwachsenen hervorzurufen. Selbst bei Aber Cannabisrauch enthält Stickoxide genau wie Tabak­ Personen, die unter Asthma oder chronischer Bronchitis rauch, nämlich bis zu 300 000 bis 400 000 Mikrogramm leiden, konnten bei Werten bis 940 Mikrogramm pro Ku- pro Kubikmeter. bikmeter keine eindeutigen Nachweise über eine weiter (Heiterkeit des Abg. Dr. Bernd Baumann gehende Beeinträchtigung der Lungenfunktion gefunden [AfD]) werden. Interessant wird es bei den angeblichen Sterb- lichkeitsraten. Es kommen ja angeblich Zigtausende Das wollten Sie in Deutschland freigeben. durch Stickoxide ums Leben. Ich erinnere an vorgestern, (B) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie (D) als mein Kollege die Bundesumweltmi- lange brauchen Sie, um einen Kubikmeter zu nisterin – sie sitzt hier – nach den statistischen Sterblich- rauchen?) keitsnachweisen aus der Zeit der hohen Stickoxidbelas- tungen in den 90er-Jahren fragte. Sie konnte ihm keine Vielen Dank. Mahlzeit. Wir brauchen das nicht. nennen. Gott sei Dank, sonst wäre das schlimm. Aber auch dazu lesen wir in der WHO-Studie: Kein Zusam- Danke. menhang zwischen täglichen Stickoxidwerten und einer (Beifall bei der AfD) täglichen Sterblichkeitsrate wurde in Köln gefunden, bei jährlichen Mittelwerten von 45 Mikrogramm pro Kubikmeter und Spitzenwerten von 176 Mikrogramm Vizepräsidentin Claudia Roth: pro Kubikmeter. – Das Zahlenmaterial stammt aus dem Vielen Dank, Rainer Kraft. – Nächster Redner für die Jahr 1996. Bundesregierung: Norbert Barthle, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und di- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE gitale Infrastruktur. GRÜNEN]: Oh, das ist aber aktuell! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das (Beifall bei der CDU/CSU) ist sehr aktuell!) So konnte weder in Lyon, Paris oder Amsterdam noch in Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Rotterdam oder Helsinki irgendeine gesteigerte Sterbera- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: te mit den Stickoxidwerten in Zusammenhang gebracht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten werden; dank den epidemiologischen Studien der WHO. Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kraft von der AfD, auch wenn ich (Beifall bei der AfD) Ihre politischen Wertungen nicht teile, darf ich Ihnen in Echte toxikologische Studien wären natürlich besser einem Recht geben: Es gibt tatsächlich keine einzige me- gewesen. Aber dank Ihrer Hochschulpolitik ist die To- dizinische Studie, die einen kausalen Zusammenhang xikologie in Deutschland am Aussterben. Hauptsache, (Beifall bei der AfD) wir haben 250 Genderstudienlehrstühle, die sich darüber unterhalten können, zwischen den in Rede stehenden Grenzwerten und To- desfällen herstellt. Das ist so. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1571

Parl. Staatssekretär Norbert Barthle (A) In dieser Woche dürfen wir uns zum wiederholten Dieselmotoren – auch das will ich sagen – sind (C) Male mit dem Thema Diesel auseinandersetzen. Das, nach wie vor ein hervorragendes Produkt deutscher meine Damen und Herren, ist gar nicht so schlecht; denn Ingenieurs­kunst. davon sind viele Menschen betroffen, vor allem wenn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und es um die Frage der Zukunft dieser Technik geht: ent- der AfD – Dr. [AfD]: Das sieht weder als Dieselfahrer, als künftige Dieselkäufer, als die Kanzlerin aber anders!) Beschäftigte in der Automobilindustrie oder als Bürger und Bürgerinnen in einer der Städte, die von überhöhten Unsere Ingenieure haben es geschafft, alle relevanten Grenzwerten betroffen sind und in denen die Grenzwerte Schadstoffe aus den Dieselabgasen weitestgehend zu eli- noch – ich betone: noch – überschritten werden. Eines minieren. will ich vorab festhalten: Die Emissionswende in unseren (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Städten hat längst begonnen. NEN]: „Weitestgehend“!)

(Beifall bei der CDU/CSU) Feinstäube sind seit der Einführung des Rußpartikelfl- ters kein Problem mehr, und die Stickoxidprobleme sind Am Dienstag dieser Woche haben wir ein Gerichtsur- mit dem Durchbruch beim SCR-Katalysator ebenfalls in teil des Bundesverwaltungsgerichts zur Kenntnis genom- den Griff zu bekommen. men, das konkrete Wege aufzeigt, mit welchen Maßnah- Seit September 2017 erhält ein Dieselfahrzeug keine men die Luft weiter verbessert werden kann. Das Gericht Genehmigung bzw. keine Zulassung mehr, wenn es nicht hat aber ausdrücklich keine Fahrverbote angeordnet. Es den strengen Euro-6d-Temp-Normen genügt. hat sogar hohe Hürden für die Einführung von Fahrver- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- boten errichtet. Aus Leipzig kam ausdrücklich auch kein NEN]: Es kommen aber nur wenige auf die Votum für eine blaue Plakette. Straße! Wie viele gibt es davon im Markt? – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ GRÜNEN]: Wie viel gibt es davon?) CSU]) Mit dieser Norm sind diese Fahrzeuge, Herr Krischer, Aus unserer Sicht bleibt eine blaue Plakette das Gegen- auch RDE-fähig. Das heißt, dass die Schadstoffausstöße teil von gezielter Politik. Sie wäre nichts anderes als eine auch im Regelbetrieb, im Realbetrieb deutlich niedriger kalte Enteignung von Millionen von Dieselfahrern. sind. Deshalb muss man festhalten: Neue Dieselfahr- zeuge sind sauber. Mit jedem neuen Dieselfahrzeug, das (B) (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der in den Verkehr gebracht wird, wird die Luft wieder ein (D) FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Stück besser. NEN: Oh!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD) Davor, meine Damen und Herren, werden wir die Menschen schützen, zumal die Frage zu klären wäre, ob Ich sage es nochmals – die Zahl wurde schon ge- eine blaue Plakette überhaupt der erforderlichen Verhält- nannt –: Viele Städte stellen rückläufge Emissionswerte nismäßigkeit entspricht. Falls man doch Verbote braucht, fest. Von den 90 Städten, die die Grenzwerte überschrit- dann gibt es unserer Ansicht nach intelligentere Möglich- ten haben, überschreiten jetzt noch 70 Städte die Grenz- keiten für die Kontrolle ihrer Einhaltung als eine blaue werte. Und in einem großen Teil dieser 70 Städte werden Plakette. Das zeigt schon der Blick in andere europäische die Grenzwerte nur marginal, um wenige Mikrogramm Städte. pro Kubikmeter Luft, überschritten. In meiner Heimat- stadt Schwäbisch Gmünd sind es ganze 3 Mikrogramm. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- Ich bin überzeugt: Mit den intelligenten Maßnahmen, wie bei Abgeordneten der AfD) die wir auf den Weg gebracht haben, Lassen wir einmal die ideologischen Interpretationen (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE weg. Wir wollen nicht weiter das Schlechtreden des Die- GRÜNEN]: Welche Maßnahmen? – Oliver sels und das Schlechtreden einer ganzen Industrie vo- Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was rantreiben. Wir müssen festhalten: Die Luft in unseren denn?) Städten wird immer besser und besser, und zwar deutsch- wird es uns gelingen, die Luft auch in den Städten, die landweit. noch betroffen sind, bis 2020 so weit zu säubern, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Wir haben mit den Au- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- tokonzernen vereinbart, dass 5,3 Millionen Diesel-Pkw wie bei Abgeordneten der AfD) der Schadstoffklassen 5 und 6 nachgerüstet werden.

Kollege Oliver Wittke wird vielleicht nachher nochmals (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE die Werte nennen, die er in dieser Woche von dieser Stel- GRÜNEN]: Wie viele sind denn schon nach- le aus schon einmal gebracht hat, und sagen, wie sich die gerüstet worden?) Stickoxidwerte in den Städten verbessert haben. Das ist Damit werden wir allein für diese Fahrzeuge bis so zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen. Ende 2018 die Stickoxidemissionen um rund 30 Prozent 1572 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Parl. Staatssekretär Norbert Barthle (A) reduzieren können. Gleichzeitig haben wir Kaufanreize Ich wiederhole: Wir werden es bis 2020 schaffen, dass (C) für moderne Dieselfahrzeuge auf den Weg gebracht. Die unsere Städte die Grenzwerte einhalten. Wir wollen da- Hersteller haben sich bereit erklärt, Wechselprämien in mit mehr Mobilität mit weniger Emissionen erreichen. der Höhe von bis zu 10 000 Euro auszuloben, um damit Wir wollen weder Fahrverbote noch eine blaue Plakette. neue Dieselfahrzeuge besser und schneller in den Markt Wir wollen mit intelligenten Maßnahmen unseren Städ- zu bringen. ten und Gemeinden helfen, dass sich die Luft- und die Lebensqualität verbessern. Wir haben die bestehenden Förderkulissen aufge- stockt, das effektive und schlagkräftige „Sofortprogramm (Michael Theurer [FDP]: Wer ist „wir“?) Saubere Luft 2017 bis 2020“ gestartet. 1 Milliarde Euro steht zur Verfügung, um den Städten, die betroffen sind, Denn mehr Mobilität bedeutet mehr Lebensqualität, und gezielt helfen zu können. Wir wollen nicht diejenigen ohne Mobilität gibt es auch keine Prosperität. Bürgerinnen und Bürger treffen, die ab und zu in eine (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Stadt fahren, sondern wir wollen die Fahrzeuge, die sich müssen Sie übersetzen, sonst versteht es die tagtäglich in der Stadt bewegen, elektrifzieren oder de- AfD nicht!) ren Emissionen mindern; denn diese sind von morgens bis nachts in den Städten bzw. Ballungsräumen unter- Auch der Zusammenhang muss gewahrt bleiben; denn so wegs. Dabei geht es um Busse und Taxen. Es geht um sieht unserer Ansicht nach verantwortungsvolle Politik Liefer- und Entsorgungsfahrzeuge sowie Nutzfahrzeuge aus. usw. Deshalb müssen wir bei diesen das Ziel ins Auge fassen. Herzlichen Dank. Die Elektrifzierung unseres ÖPNV ist ein weiteres (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der Beispiel. Das gehen wir engagiert an – mit entsprechen- FDP – Dr. Alice Weidel [AfD]: Frau Merkel der Unterstützung und auch dem Aufbau einer fächen- sagt genau das Gegenteil!) deckenden Ladesäuleninfrastruktur. Beides gehört zu- sammen. Mit dem Sofortprogramm haben wir auch die Vizepräsidentin Claudia Roth: Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme auf den Vielen Dank, Norbert Barthle. – Jetzt kommt die Bun- Weg gebracht. Mit digitaler Verkehrslenkung können desministerin Dr. Barbara Hendricks. Verkehrsströme wesentlich intelligenter und effzienter gelenkt werden. (Beifall bei der SPD)

(B) Meine Damen und Herren, rollende Verkehre sind im- (D) mer weniger emissionsträchtig als Stop-and-go-Verkeh- Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um- re; das ist offenkundig. Deshalb muss es auch um intelli- welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: gente Verkehrslenkung gehen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Thema „Diesel und Luftreinhaltung“ geht es in All das, was ich kurz erwähnt habe, zeigt: Wir un- erster Linie um die Gesundheit von Bürgerinnen und terstützen unsere Städte und unsere Kommunen schnell Bürgern. und unbürokratisch, um dort die Luft besser machen zu können. Bessere Luft heißt auch bessere Lebensqualität. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deshalb wollen wir den Trend der vergangenen Jahre DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der fortsetzen und intensivieren. LINKEN und des Abg. Michael Theurer [FDP] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE Nochmals: Die Stickoxidbelastungen sind in den ver- GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Herrn Barthle!) gangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen, Wenn sich also die Bundesregierung, das Bundesverwal- (Dr . Alice Weidel [AfD]: Erklären Sie das tungsgericht oder die Europäische Kommission um das mal Frau Merkel!) Thema „saubere Luft“ kümmern, dann geht es nicht ge- gen irgendjemanden, nicht gegen Autofahrer, nicht gegen bzw. signifkant gesunken: im Straßenverkehr seit dem die Automobilindustrie, sondern es geht zunächst einmal Jahr 2000 um 70 Prozent. Wenn ich den Vergleichszeit- um den Gesundheitsschutz für Menschen. raum 1990 bis 2000 betrachte oder den Zeitraum vor 1990 wähle, dann stelle ich fest, dass die Werte damals (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wesentlich höher waren. Ich habe zehn Jahre lang direkt DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der am Neckartor in Stuttgart gearbeitet; ich müsste eigent- LINKEN und des Abg. Michael Theurer lich schon lungenkrank sein. Bin ich aber nicht. [FDP]) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/ Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Woche DIE GRÜNEN]: Das ist zynisch! – Oliver das Recht der Bevölkerung auf saubere Luft in den Städ- Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ten bekräftigt, und das Gericht hat keine Fahrverbote Was ist das denn? Das ist ja wohl das Aller- verhängt, sondern Rechtsklarheit darüber geschaffen, letzte! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: inwieweit Kommunen den Verkehr einschränken dür- Man nennt das „anekdotische Evidenz“, was fen, um die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu Sie hier vortragen!) schützen. Allerdings können die Kommunen Fahrverbo- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1573

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks (A) te verhängen, wenn das die einzige Möglichkeit ist, die Diesen Zeitraum muss auch die Autoindustrie nutzen: für (C) Grenzwerte einzuhalten. die Nachrüstung älterer Diesel,

(Oliver Wittke [CDU/CSU]: Nur dann!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das bedeutet: Länder und Gemeinden müssen bei der für die Weiterentwicklung sauberer Diesel und für einen Fortschreibung ihrer Luftreinhaltepläne Fahrverbote als Umstieg auf Elektromobilität und andere alternative An- letzte Möglichkeit künftig in ihre Maßnahmenkataloge triebe. aufnehmen. Ich hielte es für zutiefst ungerecht, wenn Autofahrer, Das heißt aber nicht, dass Fahrverbote von heute auf die sich mit gutem Gewissen noch vor kurzem einen morgen in Kraft treten. Ziel der Bundesregierung ist und neuen Diesel gekauft haben, jetzt das Problem ausbaden bleibt, dass Fahrverbote möglichst nie in Kraft treten müssten. müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ingrid Remmers der CDU/CSU) [DIE LINKE])

Nach dem Urteil haben mögliche, nicht auszuschließende Es kann sich auch nicht jeder einfach ein neues Auto Verbote verhältnismäßig zu sein; sie sind als Instrument leisten. Die Verursacher des Problems sind die Autoher- Ultima Ratio und nicht der erste Schritt. Wir werden mit steller – und die dürfen wir nicht aus der Verantwortung den Ländern und Kommunen schnellstmöglich bespre- entlassen. chen, welche Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sind, sobald die Begründung des Urteils vorliegt. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ingrid Remmers [DIE LINKE] – Oliver Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss jetzt da- Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ma- rum gehen, gerade den am meisten belasteten Städten – chen Sie das doch mal! Wann kommt das denn es sind etwa 20 – und ihren Bürgerinnen und Bürgern mal?) alle Unterstützung zu bieten, um das Problem zu lösen und die Verkehrssysteme sauberer zu machen. Als Bun- Darauf haben die Verbraucherinnen und Verbraucher ei- desregierung haben wir dafür schon vor einiger Zeit das nen Anspruch. „Sofortprogramm Saubere Luft“ gestartet. Darin enthal- Es liegt aber auch im Eigeninteresse der Unterneh- ten sind Förderprogramme, um die Schadstoffbelastung (B) men. Das betone ich gerade auch mit Blick auf die vielen (D) wirkungsvoll zu senken – zum Beispiel unser Förderpro- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Branche. gramm für Elektrobusse. Für sie geht es um gute Arbeitsplätze, aber auch für sie Bei solchen Maßnahmen werden wir es aber nicht be- geht es um Luftqualität und Gesundheit. lassen. Wir wollen neue Regeln für den Schadstoffausstoß Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen nicht von Taxis und Bussen festlegen, notfalls auf bestimmten nur Software-Updates, sondern auch technische Nach- Strecken Durchfahrverbote für ältere Lkw verhängen, die rüstungen von Dieselfahrzeugen, die so viel bringen, Elektromobilität weiter ausbauen und den öffentlichen dass der Stickoxidausstoß deutlich sinkt Nahverkehr attraktiver gestalten. (Beifall des Abg. Michael Theurer [FDP]) Wir wollen und brauchen eine echte Verkehrswende. und man damit weiter in die Innenstädte fahren kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN) der FDP) Wenn wir es schaffen, aus dieser Krise eine Chance zu Dann gibt es auch keinen Wertverlust. machen, wird das die Lebensqualität in unseren Städten Wer seinen Diesel nachrüsten will und kann, der sollte deutlich verbessern. Und wenn es die Automobilindus- darauf bauen können, dass der Hersteller das übernimmt. trie schafft, aus dieser Krise eine Chance zu machen, Ich hoffe sehr, dass jetzt alle an einem Strang ziehen, dann wird sie auch künftig noch Dieselfahrzeuge – als um die technische Nachrüstung gegenüber den Autoher- wichtige Brückentechnologie – verkaufen können. stellern durchzusetzen, selbstverständlich nur, wenn sie (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- technisch möglich und wirtschaftlich vernünftig ist. NEN]: Das hören wir aber schon seit drei Jah- (Michael Theurer [FDP]: Hört! Hört!) ren!) Ich habe das bereits seit dem letzten Sommer immer wie- Einen substanziellen Beitrag kann die technische der gefordert. Nachrüstung von Dieselfahrzeugen leisten, sofern sie (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist. Wir NEN]: Das ist das Problem: Sie fordern!) haben jetzt einen Zeitraum vor uns, bis wirklich Fahrver- bote kommen könnten. Diesen Zeitraum müssen wir nut- Wenn die Automobilindustrie damals schon eingelenkt zen, um solche Fahrverbote möglichst noch abzuwenden. hätte, wären wir heute weiter. Meine Prognose ist: Wenn 1574 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks (A) der Druck im letzten Jahr noch nicht groß genug war – Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) jetzt dürfte er es sein. Vielen Dank, Barbara Hendricks. – Nächster Redner in der Debatte: für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP) Auch die Handwerker haben sich gestern entsprechend geäußert. Frank Sitta (FDP): Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und mich abschließend festhalten: Sollten sich Fahrverbote Kollegen! Ich habe aufmerksam zugehört. Um ehrlich zu in der Folge des Gerichtsurteils nicht vermeiden lassen, sein: Eine stringente Richtung in der Argumentation der dann dürfen wir die Kommunen damit nicht alleine las- geschäftsführenden Bundesregierung erkenne ich noch sen. nicht. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auch die Autofahrerinnen und Autofahrer dürfen nicht die alleinigen Leidtragenden sein. Deshalb ist für mich Ich habe den Eindruck, als wären noch viel mehr Parteien die Reihenfolge des weiteren Vorgehens ganz klar vorge- neu im Deutschen Bundestag, die sich an die Lösung von geben: Die Autohersteller müssen die Verantwortung für aktuellen Problemen machen. die technische Nachrüstung übernehmen. Dann müssen Ich will Ihnen aus Sicht der Freien Demokraten zwei, wir verhindern, dass mögliche Fahrverbote zu paradoxen drei Worte dazu sagen. Erstens möchte ich ganz klar fest- Ergebnissen führen. Es wäre nicht zu vermitteln, wenn stellen, dass die Luftqualität in unseren Städten in den alle Dieselfahrzeuge aus den Städten ausgesperrt werden, letzten Jahrzehnten deutlich besser geworden ist. selbst wenn sie von ihren Besitzern nachgerüstet wurden oder es sich um besonders saubere neue Modelle handelt. (Oliver Grundmann [CDU/CSU]: Richtig!) Auch muss es möglich sein, soziale Härten zu vermeiden Zweitens. Es sind statistisch immer weniger Men- und Sonderregelungen, zum Beispiel für Handwerker, zu schen, deren Lebenszeit durch das Einatmen von Luft- fnden. schadstoffen aus dem Straßenverkehr verkürzt wird, und nicht mehr. (Beifall bei der SPD) Eines möchte ich hier auch ganz klar sagen, weil es In diese Richtung gehen auch die Hinweise des Ge- mir sehr wichtig ist: Für den Wohlstand in unserem Land richts, dass Fahrverbote verhältnismäßig sein müssen. spielt Technologieoffenheit bei Fahrzeugantrieben eine (B) Dabei hat das Gericht dargelegt, dass der Vollzug für die ganz entscheidende Rolle. (D) Kommunen auch ohne bundesweite Kennzeichnungsre- gelung möglich ist, eine solche Regelung den Vollzug (Beifall bei der FDP) aber vereinfachen würde. Dazu gehören nicht nur die Elektromotoren, sondern auch die hochentwickelten Verbrennungsmotoren, da- Überall dort, wo Kommunen von möglichen Fahr- runter der Diesel. verboten betroffen sind, hören wir, übrigens par- teiübergreifend, dass es für die Umsetzung einer Po- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sitivkennzeichnung bedarf. So hat sich ganz aktuell der AfD) Ihr Landesvorsitzender, der Innenminister aus Baden-­ Außerdem trägt die Automobilindustrie in einem nicht Württemberg, Herr Strobl, geäußert, lieber Kollege unerheblichen Maße zum Wohlstand bei, der in Deutsch- Barthle. Deshalb bin auch ich der Meinung, dass eine land dafür sorgt, dass die Menschen älter werden und solche Kennzeichnung für den Vollzug hilfreich wäre. nicht früher sterben. Um es den Skeptikern noch einmal ganz deutlich zu (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sagen: Eine Positivkennzeichnung führt nicht zu Fahr- NEN]: Das ist ja eine ganz spannende Argu- verboten, sondern umgekehrt: Dort, wo Fahrverbote als mentation!) letztes Mittel unvermeidlich sein sollten, brauchen wir eine Positivkennzeichnung, auch um Ungerechtigkeiten Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden – und Härten möglichst zu vermeiden. das hat Frau Dr. Hendricks richtig gesagt –, dass Ver- kehrsverbote für Dieselkraftfahrzeuge unter besonderen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Umständen möglich sind, dann nämlich, wenn sie sich des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zur Einhaltung der Grenzwerte als die einzig geeignete Maßnahme erweisen sollten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden schnell nach Vorliegen der Urteilsbegründung Länder und Kom- Erlauben Sie mir, an dieser Stelle ein Wort zu den munen zu einem Gespräch einladen; denn selbstverständ- Grenzwerten zu verlieren: Staatlich festgelegte Grenz- lich wollen wir ihnen bei der Umsetzung des Urteils und werte sind nicht gottgegeben, sondern selbstverständlich bei der Vermeidung von Fahrverboten helfen. menschengemacht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der AfD – [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf (Beifall bei der SPD) der Grundlage der Wissenschaft!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1575

Frank Sitta (A) Deshalb müssen sie – auf der Grundlage der Wissen- Problem zu lösen, das sich in zwei, drei Jahren vielleicht (C) schaft – auch regelmäßig wissenschaftlich überprüft ganz von alleine löst. werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Oliver (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kauft die FDP dann vielleicht ein neues Auto?) Die Freien Demokraten fordern deswegen die EU-Kom- mission dringend auf, die Außenluftgrenzwerte für Stick- Es wäre genauso absurd, Herr Krischer, jetzt Milliarden stoffdioxid erneut wissenschaftlich zu überprüfen. an Steuergeldern auszugeben, (Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Auf welcher Grundlage denn?) NEN]: Will ich nicht! Die Automobilindus- trie!) Es darf nämlich nicht sein, dass die Menschen in unse- rem Land zu Opfern zumindest fragwürdiger Grenzwer- um ein Problem zu lösen, das sich, wie gerade erläutert, te werden, die wissenschaftlichen Überprüfungen kaum in zwei bis drei Jahren weitestgehend von selbst lösen standhalten. wird. (Beifall bei der FDP und der AfD) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der AfD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie können die Maßnahmen aussehen, die uns in dieser Situation weiterbringen, mit denen wir die Situation bewältigen Vizepräsidentin Claudia Roth: können? Ich sage es für meine Fraktion ganz klar: Die Vielen Dank, Frank Sitta. – Nächste Rednerin: Ingrid Fahrzeughalter haben ihre Dieselfahrzeuge in Treu und Remmers für die Fraktion Die Linke. Glauben erworben, in dem Vertrauen, dass sie mit der Zulassung ihr Fahrzeug auf deutschen Straßen nutzen (Beifall bei der LINKEN) können. Flächendeckende Fahrverbote für Dieselfahr- zeuge müssen daher unbedingt vermieden werden; denn Ingrid Remmers (DIE LINKE): die Folge davon wäre eine Enteignung von Fahrzeughal- Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ministe- tern, und dagegen sprechen sich die Freien Demokraten rin Hendricks hat meine Worte vorweggenommen: Wo- explizit aus. rum es heute am wenigsten gehen sollte, ist die Zukunft des Dieselmotors. Worum es heute eigentlich gehen (Beifall bei der FDP und der AfD) muss, ist der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Es (B) Wir werben stattdessen für ein Bündel an Maßnah- geht um die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt, (D) men – ein paar sind schon genannt worden; ich nehme dass die europäischen Grenzwerte für Stickoxide acht positiv zur Kenntnis, dass die geschäftsführende Bun- Jahre nach Beginn ihrer Gültigkeit immer noch nicht ein- desregierung da auf dem richtigen Weg ist –: Wir wollen gehalten werden. Und es geht um die Frage, was man mit zum Beispiel Vorschriften abschaffen, die innovativen dieser im wahrsten Sinne des Wortes völlig verfahrenen Mobilitätslösungen wie Carsharing, Ridesharing usw. Lage anfängt. unnötig im Wege stehen. Wir wollen mehr intelligente (Beifall bei der LINKEN) Verkehrsleitsysteme, um Staus zu vermeiden. Wir wollen auch eine erhöhte Elektrifzierung des Nahverkehrs. Die Bundesregierung wusste schon früh, dass hier offensichtlich ein ganzer Industriezweig die Einstellung Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, entwickelt hat: Wir können tun und lassen, was wir wol- es gibt eine ganze Reihe von sinnvollen und noch dazu len. – Der Umgang der Autoindustrie mit Gesetzen und weniger drastischen Maßnahmen. Solange diese Mög- damit letztlich auch mit dem Leben und der Gesundheit lichkeiten nicht ausgereizt sind, darf es in Deutschland von Menschen, scheint so zu sein, dass man Gesetze als keine Fahrverbote geben. Vorschläge ansieht, und Vorschläge verändert man so (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lange, bis sie einem passen. der CDU/CSU und der AfD) Und was macht die Bundesregierung? Statt die Auto- Ein letztes gewichtiges Argument gegen das Fahrver- industrie endlich zu effektiven Maßnahmen zu zwingen, bot ist der Flottenaustausch. Die Dieselfotte wird stetig lässt sie sich auf lasche Vereinbarungen mit diesen Ge- neuer und abgasärmer, setzesbrechern ein. Es wird, wenn überhaupt, lediglich die Software verändert, und die Regierung verzichtet auf (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fällige Strafzahlungen. Was für ein schmutziger Deal! NEN]: Das erzählt man uns seit zehn Jahren!) (Beifall bei der LINKEN) weil sich die Menschen ganz selbstverständlich sukzes- Ein schmutziger Deal auf Kosten derer, die unter Atem- sive neuere Modelle kaufen. In nur wenigen Jahren wird wegserkrankungen leiden, ein schmutziger Deal zulasten sich also, auch durch die weiteren Maßnahmen, die ich der Gesundheit aller, auch wenn das heute kleingeredet gerade genannt habe, das Thema wahrscheinlich ganz worden ist. von alleine erledigt haben. Es wäre in der jetzigen Si- tuation also geradezu absurd, massiv in die Freiheit und Wenn Politik und Wirtschaft in einem so unglaub- die Eigentumsrechte der Autofahrer einzugreifen, um ein lichen Maße versagen, dann muss sich wohl eine Um- 1576 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Ingrid Remmers (A) weltorganisation auf den Weg durch die juristischen Das ist wirklich eine brillante Idee. Wir Linke ermutigen (C) Instanzen machen, um dem Recht zum Durchbruch zu Sie ausdrücklich, sich weiterhin ernsthaft mit dieser Idee verhelfen. Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit zu beschäftigen. nutzen, der Deutschen Umwelthilfe für ihr langjähriges, hartnäckiges und letztendlich erfolgreiches Engagement (Beifall bei der LINKEN) im Bereich der Luftreinheit zu danken. Das geht allerdings nur, wenn wir sicherstellen, dass in einem neuen Nahverkehrs- oder, besser, Mobilitätsplan (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- alle Verkehrsträger berücksichtigt werden. NIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der FDP – Carsten Müller (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Und wer soll das [Braunschweig] [CDU/CSU]: Gut, dass das bezahlen?) mitgeschrieben wird! – Zurufe von der FDP: Na, das war klar! – Das musste ja jetzt kom- Wenn wir diesen Weg gehen, dann müssen wir auch die men!) langfristige Finanzierung des kostenlosen ÖPNV ge- währleisten. Wir brauchen also einen umfassenden Plan Der wichtigste Teil der kurzfristigen Lösung ist also für eine soziale und ökologische Verkehrswende. Dazu klar: Die Autoindustrie muss die Fahrzeuge auf eigene muss auch der Umstieg auf das Rad und die eigenen Füße Kosten mit einer funktionierenden Abgasreinigung aus- attraktiver gestaltet werden. Das bedeutet, wir brauchen statten. viel mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger und für moderne – sprich: sozial-ökologische – Massenbeförde- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und rungsmittel; der FDP) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie können die betrogenen Käufer mit diesem Problem SES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: nicht alleinlassen. Die haben sich auf die Versprechen Kutschen und Esel vielleicht?) der Autoindustrie verlassen. Dann muss die Autoindus- trie auch liefern. wir haben ja eben schon einige Beispiele gehört. Dann sparen wir 100 Prozent der Emissionen ein und schaffen (Beifall bei der LINKEN) Städte mit hoher Lebensqualität. An dieser Stelle noch ein Wort zur AfD. Sie haben ein Es gibt da dieses schöne Zitat des ehemaligen Bürger- vormodernes Verständnis von Demokratie und Indust- meisters von Bogotá, Enrique Peñalosa. Er sagte: riepolitik. Ob eine Stadt zivilisiert ist, hängt nicht von der Zahl (B) (Lachen bei Abgeordneten der AfD) ihrer Schnellstraßen ab, sondern davon, ob ein Kind (D) auf einem Rad überall unbeschwert hinkommt. Sie meinen offenbar, mit „Grenzwerte rauf!“ und „Raus aus der EU!“ würden alle Probleme verschwinden. Wie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- mit all Ihren Politikansätzen werden Sie auch damit den neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Problemen unserer Gesellschaft nicht gerecht. Und Sie Zuruf von der FDP: Interessant! Aber Bogotá wollen ja auch gar keine Probleme lösen. Sie wollen pro- ist nicht Deutschland, glaube ich!) vozieren und sonst nichts. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass auch in (Beifall bei der LINKEN – Beatrix von Storch Deutschland jedes Kind mit seinem Rad unbeschwert [AfD]: Ja, und spalten! – Leif-Erik Holm überall hinkommt. Für eine solche Gesellschaft und eine [AfD]: Hetze! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Het- solche Mobilität setzt sich Die Linke ein. ze! Hass! Rassismus!) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Worum es heute also wirklich gehen muss, Kollegin- [FDP]: Kaufen Sie sich mal lieber ein neues nen und Kollegen, sind die Herausforderungen für die Zitatenbuch!) Mobilität im 21. Jahrhundert. Zu diesen Herausforde- rungen gehört das Thema Luftreinheit, dazu gehört aber Vizepräsidentin Claudia Roth: auch der Klimawandel insgesamt, dazu gehört notwendi- Vielen Dank, Ingrid Remmers. – Nächster Redner in ge und bezahlbare Mobilität für alle Menschen, und dazu der Debatte: Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen. gehört der überfällige Umbau unserer Städte in lebens- werte Städte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Oliver Krischer NEN]) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es in dieser Debatte? Ich bin ein bisschen Die Regierung hat im Feld der Luftreinheit in den letz- erstaunt, dass Frau Hendricks das gar nicht erwähnt hat. ten Jahren komplett versagt. Aber eine Idee war gut: Ihre Es gibt eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes, Idee eines kostenlosen ÖPNV. die besagt: In Deutschland sterben jedes Jahr mindestens 6 000 Menschen vorzeitig (Zurufe von der AfD: Das nennen Sie eine gute Idee? Na ja! – Warum denn „kostenlos“? (Florian Oßner [CDU/CSU]: Was heißt „vor- Wer bezahlt das denn?) zeitig“?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1577

Oliver Krischer (A) aufgrund von Stickoxidemissionen aus dem Straßenver- haben die Menschen betrogen, und sie sind damit verant- (C) kehr. wortlich für das Problem in unseren Innenstädten. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die haben beim letzten Mal noch von über und bei der LINKEN – Florian Oßner [CDU/ 10 000 geredet! Was ist denn da los?) CSU]: Man kann auch alles übertreiben! – Michael Theurer [FDP]: Die Hersteller!) Meine Damen und Herren, auch wenn es nur 600 oder nur 60 wären: Jede Bundesregierung müsste alles unterneh- Ich erwarte von einer Bundesregierung, dass sie da- men, damit es nicht zu diesen Todesfällen kommt, damit gegen etwas unternimmt. An dieser Stelle muss das Ver- diese Menschen gesund bleiben bzw. nicht krank werden ursacherprinzip gelten, und die Hersteller müssen dazu und damit nicht ein Teil von ihnen am Ende stirbt. gezwungen werden, dass die Fahrzeuge sauber gemacht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich fnde es, ehrlich gesagt, zynisch, wenn sich ein Mit- glied dieser Bundesregierung, Herr Barthle, hierhinstellt Frau Hendricks, ich höre hier von Ihnen seit drei Jah- und sagt: Ich wohne am Neckartor; ich bin nicht krank ren in nahezu jeder zweiten Sitzungswoche Forderungen. geworden. – Herr Barthle, reden Sie mal mit Menschen, Das hat nur leider überhaupt nichts mit der Politik die- die lungenkrank sind! Reden Sie mal mit Lungenärzten! ser Bundesregierung zu tun, und ich habe auch nicht den Reden Sie mal mit der Weltgesundheitsorganisation! Eindruck, dass sich daran bei der neuen kleinen GroKo etwas ändern wird. Gucken Sie sich den Koalitionsver- (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/ trag an! Daran ist nicht zu erkennen, dass endlich etwas CSU]: Machen Sie das mal!) für saubere Luft unternommen wird, sondern Sie wollen das Problem weiter aussitzen. Das ist die Wahrheit, und Ich bin gespannt, was die Ihnen zu diesem Thema sagen. das muss geändert werden. Wir führen hier keine Debatte über Grenzwerte. Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – stehen seit Jahren fest, und sie wurden von der Weltge- Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: sundheitsorganisation festgelegt. In den USA gelten dop- Sie sind ja ein Ausbund an Ignoranz! – Kirsten pelt so strenge Grenzwerte. Lühmann [SPD]: Lesen, Herr Krischer! Lesen Sie den Koalitionsvertrag! Dann wissen Sie, (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: dass das auch nicht stimmt!) (B) Das ist doch Unfug! Das Gegenteil ist rich- (D) tig! – Zuruf von der AfD: Das stimmt doch gar Ich will Ihnen jetzt einmal das neueste Beispiel nen- nicht!) nen, nämlich BMW. Wie lange wollen Sie sich von den Automobilkonzernen eigentlich noch auf der Nase he- Meine Damen und Herren, eines ist doch zynisch: Immer rumtanzen lassen? Nachdem man jahrelang gesagt hat, dann, wenn es konkret wird und wenn Grenzwerte nicht man hat nicht betrogen, muss man jetzt zugeben, dass eingehalten werden können, dann stellen Sie sie infrage. man irrtümlich eine illegale Software aufgespielt hat. Das ist interessant und für Ihre Umweltpolitik typisch. Wie kann man eine Software irrtümlich aufspielen, die Das würde ich mir von Ihnen in anderen Politikbereichen man angeblich gar nicht hat? wünschen. Die Herren in den Vorstandsetagen, die Manager, la- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen sich über so schwarze Nullen, wie Herrn Dobrindt, sowie bei Abgeordneten der LINKEN – oder die doppelte Null, Herrn Schmidt, doch tot. Das Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: kann doch, ehrlich gesagt, nicht sein. Voller Verdrehungen und Lügen! – Zuruf von der AfD: Sie spalten! Sie sind ein Spalter!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Frank Sitta [FDP]: Jetzt stellt sich die Frage: Wo kommt das Ganze her? Zum Thema!) 70 Prozent der Stickoxidemissionen kommen von Die- sel-Pkws, Jetzt liegt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vor. Es besagt, dass alle Maßnahmen ergriffen werden (Kirsten Lühmann [SPD]: Quatsch! Stimmt müssen, damit die Luft sauber ist. Es gäbe dieses Urteil doch nicht!) nicht, wenn Sie in den letzten Jahren, in denen Sie Be- scheid wussten, gehandelt hätten. Sie haben aber nichts und Herr Sitta hat gerade wieder beschrieben, was wir gemacht. Wenn es jetzt zu Fahrverboten kommt – ich seit zehn Jahren hören, dass sich das Problem nämlich höre ja, dass das in Hamburg ganz konkret ist –, dann dadurch erledigen wird, dass die Fahrzeuge immer neuer sind das Ihre Fahrverbote, weil Sie an dieser Stelle nicht werden. Herr Sitta, das haben wir vor zehn Jahren schon gehandelt haben. Sie laden das Problem bei den Men- gehört, aber das ist nicht passiert. schen in den Innenstädten, bei den Dieselbesitzern und bei den Kommunen ab. Was ist die Ursache? Die Hersteller tricksen und täu- schen. Sie haben den Leuten vorgeblich saubere Autos (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verkauft, in Wirklichkeit waren es Dreckschleudern. Sie sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 1578 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Oliver Krischer (A) Die allergrößte Krönung ist, fnde ich, ehrlich gesagt, Oliver Wittke (CDU/CSU): (C) dass der Vorturner der FDP, der ehemaligen Rechtsstaats- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- partei, dann auch noch Gerichtsschelte betreibt. Das soll- gen! Auch wenn sich mir nicht sofort erschließt, was an ten Sie sich an dieser Stelle lieber sparen. dieser Aktuellen Stunde aktuell sein soll, da wir doch in (Frank Sitta [FDP]: Ist doch nicht wahr! Was dieser Woche schon im Verkehrsausschuss, im Umwelt- denn für eine Gerichtsschelte?) ausschuss und auch im Plenum über genau diese Themen diskutiert haben, über die wir heute wieder diskutieren, Sie sollten endlich verstehen, dass das jetzt ein Weck- will ich mich doch noch einmal liebevoll dieses Themas ruf ist, endlich das zu tun, was Sie hier seit Jahren ver- annehmen. säumen, nämlich das Problem dahin zu geben, wo es hingehört, in die Verantwortung der Automobilindustrie, Herr Krischer, ich beginne mit Ihnen, weil das, was sodass nachgerüstet wird, die Fahrzeuge sauber gemacht Sie hier vorgetragen haben, schlicht falsch war. werden und am Ende eine blaue Plakette eingeführt wird, (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der wie es die Kommunen fordern, die dies wollen, die dies FDP) administrieren müssen. Das würde dazu führen, dass die Menschen auch weiterhin ohne Fahrverbote in den In- Sie können noch überlegen, ob Sie wider besseres Wis- nenstädten fahren könnten. sen oder vorsätzlich falsch vorgetragen haben; aber die Grenzwerte – da beißt die Maus keinen Faden ab – sind Sie werden nicht damit durchkommen, das Thema in den Vereinigten Staaten zweieinhalb Mal so hoch wie weiterhin auszusitzen. bei uns in Deutschland. Natürlich brauchen wir eine neue Verkehrspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP) Vizepräsidentin Claudia Roth: Damit haben Sie hier vor dem Parlament die Unwahr- Das führen wir jetzt aber nicht mehr aus. heit gesagt. Vielleicht haben Sie die Gelegenheit, das bei einer der nächsten Reden richtigzustellen. Es wäre Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): jedenfalls ein Nachweis von Größe, wenn Sie das täten. Es reicht aber nicht, nur Briefe nach Brüssel zu schrei- Wir werden sicherlich noch die Gelegenheit haben, das ben. eine oder andere Mal auf dieses Thema zu sprechen zu kommen. (Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: (B) Bei Ihnen muss man mal die Plakette abkrat- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) zen!) der AfD) Handeln Sie endlich mal! Investieren Sie in den Jetzt zum eigentlichen Thema, zum Bundesverwal- ÖPNV! tungsgerichtsurteil. Zuerst einmal ist ganz wichtig: Fahrverbote sind weder ausgesprochen noch angeordnet worden, noch ist die Einführung einer blauen Plakette Vizepräsidentin Claudia Roth: angeregt oder vorgeschrieben worden. Darum verstehe Herr Krischer! ich so manche Äußerung, die von diesem Pult aus getä- tigt worden ist, nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stattdessen großen Wert auf den Begriff der Verhältnis- mäßigkeit gelegt. Alleine viermal kommt das Wort „Ver- Machen Sie eine richtige neue Mobilitätspolitik! hältnismäßigkeit“ in der Pressemitteilung des Bundes- Danke schön. verwaltungsgerichtes vor. Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Krischer, war alles andere verhältnismäßig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es war das Gegenteil: Es war radikal und pauschal. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-

Vizepräsidentin Claudia Roth: ordneten der AfD und der FDP – Zuruf von Ich verstehe Ihre Emotionen, liebe Kollegen. der FDP: Es war Unsinn!) (Florian Oßner [CDU/CSU]: Er hat uns ange- Es ist von Frau Ministerin Hendricks richtigerweise schrien!) vorgetragen worden, dass nach Auffassung des Bundes- Ein Kollege von der AfD und ein Kollege von der FDP verwaltungsgerichtes Fahrverbote die Ultima Ratio sein hätten gerne Zwischenfragen gestellt. Laut Geschäfts- sollen. Das ist auch der Grund, warum wir als Große ordnung ist das in der Aktuellen Stunde nicht möglich. Koalition im Werden, wenn ich es einmal so bezeichnen Deswegen habe ich die Zwischenfragen natürlich nicht darf, gesagt haben: Wir wollen Fahrverbote, wo immer es zugelassen. geht, verhindern. Ich zitiere wörtlich aus dem Koalitions- vertrag. Da heißt es: Nächster Redner: Oliver Wittke für die CDU/ CSU-Fraktion. Wir wollen Fahrverbote vermeiden und die Luftrein- haltung verbessern. Die Kommunen wollen wir un- (Beifall bei der CDU/CSU) terstützen, die Emissionsgrenzwerte im Rahmen ih- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1579

Oliver Wittke (A) rer Luftreinhaltepläne mit anderen Maßnahmen als Wenn wir uns dann gemeinsam darüber freuen, dass wir (C) mit pauschalen Fahrverboten einzuhalten. diese Grenzwerte ohne Fahrverbote eingehalten haben, dann haben wir in der Tat einen guten Job gemacht. Ich Genau das werden wir tun, und genau das war die Politik hoffe, dass Sie dann die Größe haben, das anzuerkennen. der Großen Koalition in den letzten vier Jahren. Ansons- ten hätten wir es nicht geschafft, dass in über 20 Städten Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. in Deutschland, in denen die Grenzwerte 2016 nicht ein- gehalten wurden, die Grenzwerte mittlerweile eingehal- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten werden. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Durch die Politik dieser Bundesregierung werden Dut- Vielen Dank, Oliver Wittke. – Nächste Rednerin zende Städte hinzukommen. Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion. Weil ich gerade den Koalitionsvertrag zitiert habe, will (Beifall bei der SPD) ich noch eine weitere Bemerkung dazu machen. Wenn man Fahrverbote verhindern will, muss man Pauscha- lierung verhindern und dafür sorgen, dass unterschied- Kirsten Lühmann (SPD): liche Situationen in Hamburg und Stuttgart, in Köln und Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Düsseldorf mit unterschiedlichen Maßnahmen begleitet Sehr verehrte Anwesende! Als ich hörte, dass wir diese werden. Da hilft eine blaue Plakette nichts. Sie ist das Woche noch eine Verkehrsdebatte auf der Tagesordnung Gegenteil einer maßgeschneiderten Lösung. Sie ist eine haben, habe ich etwas erstaunt auf meinen Plenarplan Pauschalierung, die Öffnung eines Tores in einheitliche, geschaut. Dort war nämlich noch vorgesehen, dass wir fächendeckende Fahrverbote in Deutschland. Das ist heute über einen vermutlich ausländischen Cyberangriff das, was wir in der Großen Koalition nicht wollen. Da- auf die Bundesregierung reden. Das ist aktuell, und das rum lehnen wir die blaue Plakette ab. ist wichtig. Nun dachte ich: Wenn die AfD darüber nicht reden will, hat sie etwas noch Aktuelleres, etwas noch (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Christian Wichtigeres. Aber als ich das Thema gesehen habe, habe Jung [FDP]: Was will die Bundesregierung?) ich festgestellt: Wir reden zum vierten Mal in drei Wo- Im Übrigen bin ich dem Kollegen Klare dankbar da- chen über das Dieselfahrzeug. Das ist weiß Gott nicht für, dass er in der letzten Ausschusssitzung noch einmal originell, liebe Kolleginnen und Kollegen. vorgetragen hat, welche Alternativen es zur blauen Pla- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Daniela kette und damit zu einem fächendeckenden Fahrverbot Kluckert [FDP]) (B) gibt. Er hat viele unterschiedliche Strategien in europä- (D) ischen Ländern vorgetragen. Wir wollen eben nicht den Dann habe ich mir Ihr aktuelles Grundsatzprogramm einfachen Weg gehen. Wir wollen ganz im Gegenteil angesehen, um zu sehen, ob darin etwas Originelles steht. maßgeschneiderte Lösungen, um die Grenzwerte der Eu- Das habe ich gefunden. Es heißt darin: ropäischen Union möglichst schnell und möglichst effek- IPCC tiv einzuhalten. Das wird unser Ziel sein. Ich denke auch, dass wir das hinbekommen. – umgangssprachlich: Weltklimarat – (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Daniela und deutsche Regierung unterschlagen die positive Kluckert [FDP]: Da sind wir sehr gespannt!) Wirkung des CO2 auf das Pfanzenwachstum und Lassen Sie mich in der verbleibenden Minute mei- damit auf die Welternährung. ner Redezeit eine letzte Bemerkung machen, weil Herr (Lachen bei der LINKEN) Krischer auch das gerne verschweigt: Die Bundesregie- rung hat nicht nur mit ihrem Sofortprogramm „Saubere Je mehr es davon in der Atmosphäre gibt, umso Luft“, mit dem über 1 Milliarde Euro für Elektrifzie- kräftiger fällt das Pfanzenwachstum aus. rung, Digitalisierung und Nachrüstung von Dieselbussen Also Autofahren gegen den Hunger, liebe Kollegen und bereitgestellt wurde, den Weg bereitet. Wir haben auch Kolleginnen! über 700 Vorschläge von den Kommunen bekommen, die wir jetzt Stück für Stück abarbeiten und mit denen wir (Beifall bei der SPD) dafür Sorge tragen werden, dass die Grenzwerte auch in Erzählen Sie das mal den Menschen auf den Marshallin- den verbliebenen 70 Städten Deutschlands eingehalten seln, die jedes Jahr Häuser ans Meer verlieren, oder den werden. Menschen in Kenia, die hungern, weil sich die Wüsten Herr Krischer, ich biete Ihnen eine Wette an: 2020, ausbreiten! also noch in dieser Legislaturperiode, wird es in Deutsch- Diese Argumentation passt aber genau zu dem, was land keine fünf Städte mehr geben, in denen die Grenz- wir in dieser Woche gehört haben, nämlich zur Forde- werte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht einge- rung, wir sollten uns für höhere Grenzwerte einsetzen halten werden. statt für saubere Luft. Hört, hört! Warum sollen wir das (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- machen? Weil die Studie der Weltgesundheitsorganisa- NEN]: Diese Wette haben Sie mir vor zwei tion angeblich nicht medizinisch begründet ist, sondern Jahren auch schon angeboten!) nur auf epidemiologischen Berechnungen beruht. 1580 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Kirsten Lühmann (A) Zunächst einmal ist die Frage: Was ist Epidemiologie? wir im Abgas-Untersuchungsausschuss gehört –: Wenn (C) Epidemiologie ist die Lehre der Verbreitung von Krank- wir eine neue Dieseltechnologie haben, bei der die Mo- heiten über das ganze Volk. Das ist also ein Bereich der toren im Hinblick auf die CO2-Reduzierung optimiert Medizin, nicht der Mathematik. sind und das zusätzlich entstehende Stickoxid über den Katalysator zu über 90 Prozent reduziert wird, dann ist Ich habe die aktuelle Studie der WHO, nicht die aus das der sauberste Motor, den es derzeit gibt. Wir wissen den 90er-Jahren, sondern die von 2005, auf die sich un- natürlich, dass wir mittelfristig von fossilen Brennstoffen sere Grenzwerte stützen. Darin zeigt sich aufgrund von wegkommen müssen. Aber in der Zwischenzeit müssen Versuchen mit Menschen, die eine Stunde lang 200 Mi- die Menschen mobil sein, und die Luft muss sauberer krogramm Stickoxid pro Kilometer ausgesetzt wurden, werden. ganz deutlich, dass dies gesundheitliche Folgen hat; mit Tieren hat man auch Langzeitversuche gemacht. Festge- Jetzt habe ich nur ein klitzekleines Problem. Unsere stellt wurde zudem: Stickoxid tritt niemals alleine auf. deutsche Automobilindustrie hat nämlich nicht begriffen, Eine reine Stickoxidkonzentration gibt es nicht; es sind dass sie ein Problem mit dem Vertrauensverlust hat. immer auch andere schädliche Gase vorhanden. In einer Langzeitstudie ist festgestellt worden, dass insbesonde- Wenn ich mir die Liste der Fahrzeuge anschaue, die die re Kinder mit Asthma, die in einer Region gelebt haben, neuen Normen erfüllen, dann stelle ich fest, dass wir erst wo eine erhöhte Stickoxidkonzentration nachgewiesen im nächsten Monat solche Autos von deutschen Herstel- wurde, erheblich stärkere bronchiale Symptome gezeigt lern bestellen können. Das ist keine vertrauensbildende haben. Wer das als unwissenschaftlich bezeichnet, hat, Maßnahme; mein Kollege Arno Klare wird auf andere glaube ich, nicht begriffen, dass wir hier für die Men- vertrauensbildende Maßnahmen eingehen. Wir müssen schen und die Gesundheit der Menschen da sind. auch bedenken, dass Menschen, die ältere Euro-4-Fahr- zeuge fahren, zum Teil nicht das Geld haben, sich ein (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem neues Fahrzeug zu kaufen. Auch für diese sind wir da. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Danke schön. Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber die AfD ging noch weiter. Gestern forderte ein Frau Kollegin! Redner die Bundesregierung auf, Hamburg zu unter- sagen, in seinen Luftreinhalteplänen über Fahrverbote Kirsten Lühmann (SPD): nachzudenken. Die Bundesregierung soll also einem In diesem Sinne hoffe ich, dass wir den Koalitionsver- Land untersagen! trag umsetzen und allen Menschen in Deutschland saube- (B) (Ulli Nissen [SPD]: Super!) re Luft verschaffen. (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Barbara Hendricks Danke sehr. hat es ausgeführt: Unser Ziel ist, dass es keine Fahrver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bote gibt. Es wurde lang und breit ausgeführt, wie wir das der CDU/CSU) verhindern wollen. Aber wir müssen auch klar feststel- len: Wir haben Gesetze, und die Menschen, die in Berei- chen leben, wo diese Grenzwerte überschritten sind, und Vizepräsidentin Claudia Roth: zwar nicht knapp – in München gibt es Überschreitungen Vielen Dank, Kirsten Lühmann. – Der nächste Redner von 50 Prozent und mehr –, wollen nicht in drei oder vier in der Debatte: Dr. Dirk Spaniel für die AfD-Fraktion. Jahren saubere Luft haben. Sie haben Anspruch darauf, (Beifall bei der AfD) sofort saubere Luft zu bekommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr. Dirk Spaniel (AfD): des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Das heißt, die Kolleginnen und Kollegen von der AfD und Herren! Wir haben in den letzten Tagen viel über fordern die Regierung zu einem Rechtsbruch auf. Grenzwerte gehört. Die gestrigen Aussagen des Kollegen Hofreiter von den Grünen will ich an dieser Stelle nicht (Ulli Nissen [SPD]: Das passt doch wieder!) unkommentiert lassen. Deutsche Autohersteller hätten Ich frage Sie ernsthaft: Gibt es Gesetze, die Sie beach- gelogen und betrogen, und Grenzwerte seien um mehrere ten, und Gesetze, die Sie nicht beachten? Entscheiden Sie 100 Prozent überschritten. Da Herr Hofreiter und einige selber, ob Sie Gesetze beachten oder nicht? Das ist nicht andere offensichtlich Probleme haben, Informationen aus die Art und Weise, wie wir in diesem Hohen Haus mit Zeitungen inhaltlich korrekt zu verarbeiten, will ich Ih- Gesetzen und dem Recht umgehen, und ich möchte nicht, nen jetzt einmal kurz erklären, wie Fahrzeuge zertifziert dass sich das irgendwann einmal ändert. werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD – Oliver Krischer der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sprechen Sie GRÜNEN) hier eigentlich als Vertreter von Daimler?) Ich komme zum zweiten Thema der von Ihnen bean- Es gibt eine Vorschrift, in der steht, wie viele Schadstoffe tragten Debatte. Sie wollen über den Diesel als Motor pro Kilometer emittiert werden dürfen. Gleichzeitig ist der deutschen Industrie reden. Es ist richtig – das haben genau defniert, wie das zu messen ist. Sind diese Grenz- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1581

Dr. Dirk Spaniel (A) werte erreicht, ist die Vorschrift erfüllt, und die Typge- Seit wann muss ein Produkt rückwirkend geänderte Vor- (C) nehmigung wird durch das KBA erteilt. Jedes Auto, das schriften erfüllen? Wo ist denn da die Rechtssicherheit? eine Typgenehmigung erhalten hat, ist gesetzeskonform zugelassen. Dass es einen Hersteller gegeben hat, der (Beifall bei Abgeordneten der AfD) dort unlauter getrickst hat, ist bekannt. Dafür wurde die Übrigens fordern alle Altparteien Nachrüstungen nur von Typgenehmigung in einigen Einzelfällen entzogen bzw. den deutschen Herstellern. Ausländische Hersteller sol- wurden entsprechende Maßnahmen vorgeschrieben. len nicht belangt werden. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also wurde doch getrickst!) (Kirsten Lühmann [SPD]: Wer sagt das denn? – Dr. Franziska Brantner [BÜND- Gestern hat Herr Hofreiter die deutsche Autoindustrie NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was zahlt Ihnen pauschal verunglimpft. Daimler für diese Rede?) (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten Früher hat die SPD die Arbeitnehmerinteressen in die- der FDP) sem Land vertreten. Wo ist eigentlich die Arbeitnehmer- vertretung der SPD, die Ihnen Ihre Arbeitsplatzvernich- Die deutsche Autoindustrie erzeugt einen Umsatz von tungsstrategie ausredet? über 400 Milliarden Euro pro Jahr. Die vielen Tausend Mitarbeiter in der Autoindustrie sind das Rückgrat der (Beifall bei der AfD) deutschen Wirtschaft. In dem Brief von Ihnen, Frau Bundesministerin, und (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten zwei Unionsministern an den zuständigen EU-Kommis- der FDP) sar lese ich: Zusammen mit den Ländern und Kommu- Jahrelang haben Zehntausende Ingenieure in den Auto- nen denken wir über kostenlosen ÖPNV als Mittel zur konzernen und Zulieferunternehmen daran gearbeitet, Senkung der Anzahl der Privat-Pkws nach. – Hallo! Die die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Ihr Fraktionschef CDU/CSU unterstützt die Senkung der Anzahl der Pri- hat gezeigt, wie sehr Ihre Partei diese Menschen verach- vat-Pkws?! Sehr interessant! Wissen Ihre Noch-Wähler tet, eigentlich, dass Sie Privat-Pkws abschaffen wollen? (Beifall des Abg. Norbert Kleinwächter (Beifall bei der AfD) [AfD]) Die Regierungsparteien beschließen das Ende einer indem er erstens ihnen pauschal Betrug vorwirft und funktionierenden Technologie, ohne eine Alternative zu (B) zweitens ihre Arbeitsplätze mit unhaltbaren Argumenten haben. (D) vernichtet; so ist es. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten der FDP – Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE Das kenne ich irgendwoher; darüber habe ich neulich GRÜNEN]: Es gibt ein Gerichtsurteil!) schon einmal geredet. Die sogenannten Messungen der Umwelthilfe fanden Sie zerstören die ökologisch und wirtschaftlich sinn- unter völlig anderen Testbedingungen als unter den ge- vollste Antriebsform für Pkw, den Dieselmotor, durch setzlich vorgeschriebenen statt. Ich wiederhole: Zu einer utopische Abgasvorschriften. Das trifft vorwiegend die Messung gehört ein Messverfahren mit einem defnier- deutschen Autohersteller, da diese den Dieselmotor brau- ten Grenzwert. Wer ein anderes Messverfahren wählt, chen, um die CO2-Vorgaben der Zukunft zu erfüllen. kommt zu einem anderen Ergebnis, ganz einfach. Wer ist denn eigentlich diese Deutsche Umwelthilfe, die die Im internationalen Vergleich haben wir saubere Luft; deutsche Autoindustrie so massiv diffamiert? alle Messwerte bestätigen das. Wir brauchen gar keine Fahrverbote zur Luftreinhaltung, höchstens zur Schika- (Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ne. NEN]: Wer sind eigentlich Sie?) (Beifall bei der AfD) Weiß dieses Parlament, dass einer der Hauptsponsoren der Deutschen Umwelthilfe der japanische Autoherstel- Ja, ich freue mich, dass auch andere Parteien in diesem ler Toyota ist? Haus mittlerweile daran denken, Fahrverbote wissen- schaftlich zu hinterfragen, und diese Initiative der AfD (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten übernehmen. Vielen Dank! der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sind Sie eigentlich der Ver- (Beifall bei der AfD) treter der Automobilindustrie?) Wir wollen eine Politik, die einen Interessenausgleich Auch die SPD fordert von der Autoindustrie die Über- zwischen Umweltinteressen und anderen legitimen Inte- nahme der Kosten der Nachrüstung der Fahrzeuge mit ressen unserer Gesellschaft herstellt. älteren Abgasnormen. Vielen Dank. (Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Weltverschwörung!) (Beifall bei der AfD) 1582 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann passt es mehr! – Dieter Janecek [BÜND- (C) Danke, Dirk Spaniel. – Nächste Rednerin: Daniela NIS 90/DIE GRÜNEN]: Tiefschwarz!) Ludwig für die CDU/CSU-Fraktion. Was wir jetzt nicht brauchen, ist ein Wettlauf, wer mit (Beifall bei der CDU/CSU) der Verhängung von Fahrverboten am schnellsten ist. Wir sollten weiter daran arbeiten, das zu tun, was wir vor Daniela Ludwig (CDU/CSU): dem Urteil, also bereits ohne das Urteil, begonnen haben. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben immer schon gesagt, dass wir den öffentlichen Um es gleich eingangs festzuhalten: Fahrverbote sind Nahverkehr verbessern müssen; Stichwort „Koalitions- defnitiv kein Allheilmittel zur Einhaltung der Luftrein- vertrag: GVFG-Mittel-Erhöhung“. Das ist ein ganz star- haltevorgaben. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat kes Bekenntnis zum ÖPNV in Deutschland. Der Bund in seinem Urteil entgegen der vielfach veröffentlichten nimmt dafür noch einmal mehr Geld in die Hand. Auch Meinung weder angeordnet noch gesagt, es müssten das ist ein Mittel für bessere Luft in all unseren Städten, Fahrverbote erlassen werden. Auch hat das Bundesver- (Beifall bei der CDU/CSU) fassungsgericht den Bund nicht in die Pficht genommen, entsprechende Rechtsgrundlagen zu schaffen. Das Bun- genauso wie die Förderung von neuen, effzienten An- desverwaltungsgericht hat stattdessen sehr deutlich ge- trieben – auch das ist heute schon gesagt worden – und sagt: Fahrverbote sind letztlich nur Ultima Ratio, wenn selbstverständlich auch die Verbesserung des Dieselmo- alle anderen Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte tors. Ich kann nur dafür werben, diesen Weg weiterzu- nicht gewirkt haben; denn nichts anderes steckt in dem gehen. Gebot der Verhältnismäßigkeit des Bundesverwaltungs- gerichts. Das, glaube ich, muss man sich einfach einmal Das „Sofortprogramm Saubere Luft 2017–2020“ ist auf der Zunge zergehen lassen. bereits mehrfach erwähnt worden; die damit verbunde- nen Maßnahmen sind schon bekannt. Was passiert denn, wenn Dieselfahrzeuge mit einem Fahrverbot belegt werden? Das heißt ja nicht, dass sie (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ dann in der Garage stehen bleiben. Wenn Fahrverbote DIE GRÜNEN]: Aber noch nicht umgesetzt!) für bestimmte Strecken verhängt werden, dann heißt das letztlich nur, dass auf anderen Strecken gefahren wird und Es geht um die Elektrifzierung von ÖPNV-Bussen, die sich dann dort die Luft verschlechtert. Deswegen können Elektrifzierung von Taxen, Carsharingautos, Mietwa- wir nur festhalten: Auch eine blaue Plakette, die letztlich gen, die in den Städten angeboten werden, natürlich auch nichts anderes ist als ein Fahrverbot für viele und eine um die Nachrüstung von Dieselbussen in ÖPNV-Flotten (B) Fahrerlaubnis für wenige, hilft nicht, das Problem zu lö- und – nicht zuletzt, aber ganz besonders wichtig – um die (D) sen. Sie verlagert das Problem allenfalls und schafft neue zunehmende Verbesserung von Logistikkonzepten und Betroffenheiten. Deswegen lehnen wir sie ab. die zunehmende Digitalisierung von Verkehrsströmen; denn wir müssen dafür sorgen, dass der Verkehr in unse- (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer ren Städten fießt und nicht – womöglich bewusst – steht. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie das noch mal erklären? – Dr. Franziska In Zukunft wird natürlich auch der Dieselmotor einen Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Teil unserer Mobilität ausmachen müssen. Er ist weder Nennen Sie sie „rote Plakette“! Dann passt eine veraltete noch eine umweltfeindliche Technologie. es!) Es ist heute schon angesprochen worden: Die Dieselmo- Die Debatte, die seit dem Richterspruch geführt wird, toren verbrauchen im Schnitt 15 Prozent weniger Sprit ist in manchen Teilen schon absurd; das Beispiel Ham- als Benziner und stoßen dadurch weniger Kohlendioxid burg ist bereits genannt worden. Die Urteilsbegründung aus. Damit will ich das Stickoxidproblem nicht kleinre- ist kaum raus und auch noch gar nicht in Gänze veröf- den, aber wir führen auf der anderen Seite eine Debatte fentlicht, da kommt Hamburg um die Ecke und sagt: über die CO2-Reduktionsziele. Angesichts dessen kann „Wir werden an bestimmten Strecken Fahrverbotsschil- man die Augen natürlich nicht vor diesen Zahlen ver- der aufstellen“, obwohl der eigene Luftreinhalteplan der schließen, die für den Diesel sprechen, wenn er gut funk- Stadt Hamburg besagt: Wenn wir für diese beiden Stra- tioniert. ßen Fahrverbote erteilen, verlagern wir das Problem auf Nachdem hier fast schon der Untergang des Vater- zwei andere Straßen, für die wir konsequenterweise auch landes beschworen worden ist, meine sehr geehrten Fahrverbote erteilen müssten. – Also, ich empfehle al- Damen und Herren, fragen wir doch mal: Wie schaut es len, ihre Luftreinhaltepläne ernst zu nehmen und nicht in denn in der Realität aus? Von 1990 bis 2015 haben wir Übersprunghandlungen zu verfallen. in Deutschland einen Rückgang der NOx-Emissionen (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer um über 1,7 Millionen Tonnen zu verzeichnen – eine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind al- Reduzierung um 59 Prozent nur in diesem Zeitraum! –, les Argumente für die blaue Plakette, die Sie davon eine Reduzierung um 1 Million Tonnen allein im da bringen! – Dr. Franziska Brantner [BÜND- Verkehrsbereich. Der Verkehrsbereich trägt also erheb- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn lich zur Reduktion bei, muss er natürlich auch. Es wird eigentlich gegen die blaue Plakette? – Gegen- aber gern der Eindruck vermittelt, da herrsche komplet- ruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ ter Stillstand, da passiere nichts in diesem Land. Warum DIE GRÜNEN]: Sie müsste schwarz sein! passiert aber etwas? Weil von vielen Bundesregierungen, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1583

Daniela Ludwig (A) nicht nur von der letzten Bundesregierung, die richtigen Vielfaches dessen, was die Nachrüstung der Fahrzeuge (C) Schritte eingeleitet worden sind! kosten würde. Das Ganze ist der Tatsache geschuldet, dass man, um es vorsichtig zu formulieren, mit Ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. brauchs- und Emissionswerten nicht ganz ehrlich umge- [FDP]) gangen ist. Ich denke schon, dass man das auch in Rech- Wir werden nach dem Urteil – genauso wie vor dem nung stellen muss. Urteil – unsere Anstrengungen darauf richten, die be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) troffenen Städte bei der Überarbeitung ihrer Luftrein- haltepläne zu unterstützen. Bessere und saubere Luft Die Frage ist: Hat der Diesel als Motor eine Zukunft? zu erreichen, ist natürlich eine gesamtgesellschaftliche Zahlenmäßig, muss man sagen, hat er eine gewaltige Ge- Aufgabe. Ich möchte ganz ausdrücklich sagen: Wenn genwart. Von den 45,8 Millionen Pkw, die auf Deutsch- wir uns zusammensetzen, werden wir das nicht nur mit lands Straßen unterwegs sind, sind 15,089 Millionen Vertretern der Städte tun, sondern natürlich auch mit den Dieselfahrzeuge, also eine riesige Gegenwart. Die Frage, Automobilherstellern; denn auch die wollen wir in die die sich dann stellt, ist natürlich: Kann man den Diesel Pficht nehmen. Sie sind genauso daran beteiligt wie alle so sauber bekommen, dass der NOx-Impact, der Emis- anderen Player auf diesem Gebiet. Deswegen ist mir gar sions-Impact, wirklich erträglich wird? Ich halte in dem nicht bange. Ich denke, dass wir, wenn wir konsequent so Zusammenhang eine Debatte über Grenzwerte für po- weitermachen wie in den letzten Jahren – lieber Oliver litisch dysfunktional, um es mal ganz simpel auszudrü- Wittke, ich steige in deine Wette mit ein –, bis 2020 tat- cken. Ich bin schon sehr verwundert darüber, dass das sächlich viel besser dastehen als jetzt. Das muss unser Bundesverkehrsministerium diese Debatte auch noch be- aller Ziel sein. feuert. Ich glaube, das ist nicht gut. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Christian Jung [FDP]: (Beifall bei der CDU/CSU) Und was will die Regierung jetzt genau?)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Man könnte über Grenzwerte debattieren, wenn sie Vielen Dank, Daniela Ludwig. – Nächster Redner: nicht einhaltbar wären. Sie sind aber locker einhaltbar. Arno Klare für die SPD-Fraktion. Die Werte sind einhaltbar – Euro 6d TEMP zeigt das –, dort nämlich, wo die modernen Abgasreinigungssysteme (Beifall bei der SPD) installiert worden sind. Und genau diese Systeme – das ist übrigens keine Rocket Science, sondern zu 90 Prozent (B) Arno Klare (SPD): bestehende Technologie, die man aus den Ersatzteilla- (D) gern der OEMs, also der Originalausrüstungshersteller, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und kaufen kann – kann man nachrüsten. Das geht bei Euro 5 Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man und auch noch bei Euro 4; denn bei den Bussen machen fast am Ende einer Debatte redet, hat man schon vieles wir das in den entsprechenden Euroklassen schon. Die gelernt. Teile sind nur ein bisschen größer; das ist richtig. Diese (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hardwarenachrüstung funktioniert also rein technisch. NEN]: Echt?) Nachgewiesenermaßen kommt man, wenn diese Fahr- Ich zähle mal auf, was ich hier gelernt habe: zeuge nachgerüstet sind, deutlich unter die Limits, die man eigentlich einhalten müsste. Die Zukunft des Die- Erstens. Die Emissionswerte – das ist richtig; das sels als Motor unserer automotiven Wirtschaft – insofern deckt sich mit meinen Recherchen – sind in den letzten stimmt der Titel dieser Aktuellen Stunde schon – hängt Jahren deutlich besser geworden. Wenn man das mit daran, dass sich die Unternehmen bereit erklären, diese 1990 vergleicht, stellt man fest: Die Kurve geht nach un- Nachrüstung durchzuführen. Der Diesel wird nur dann ten. – Ich weiß nicht, wer darauf hingewiesen hat; Oliver eine Zukunft haben – ich wünsche dem Diesel diese Zu- Wittke, glaube ich. Das ist also richtig. kunft –, wenn die Bestandsfotte nachgerüstet wird. Zweitens. VW – diesen Konzern nenne ich jetzt bei- (Beifall bei der SPD) spielhaft – ist weniger durch irgendwelche Nachrüs- tungsdebatten bedroht als vielmehr dadurch, dass nicht Es reicht eben nicht, das über die Software zu machen; unerhebliche Strafzahlungen geleistet worden sind, in denn dann passiert im Motor Folgendes: Ich setze den den USA bereits über 20 Milliarden Euro, und das wohl- optimalen Betriebspunkt an die Stelle, wo in einem Die- gemerkt nicht, weil irgendeiner das VW nachgewiesen sel die Zündung erfolgt, die ich nicht beeinfussen kann, hätte, sondern weil VW den Betrug zugegeben hat. (Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Beim Diesel gibt es (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- keine Zündung!) NEN]: Nachdem sie es nicht mehr erklären konnten!) da sie über die Kompression läuft. Ich verlagere diesen Punkt um Bruchteile von Sekunden nach vorne. Das Es war nämlich gar nicht so leicht, das nachzuweisen. heißt, ich habe nicht mehr das Betriebsoptimum des Mo- Die Schadenersatzforderungen der Aktionäre in Deutsch- tors, was mehr Verbrauch bedeutet. Ich könnte beides land – das wird irgendwann in Braunschweig verhan- haben – Frau Lühmann hat darauf hingewiesen –, indem delt – summieren sich auf 9 Milliarden Euro. Das ist ein ich einen dahintergesetzten Abgasstrang nachrüste, mit 1584 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Arno Klare (A) dem gereinigt wird, und indem ich gleichzeitig den Mo- len. Das hat nicht so lange gehalten; nach fünf Tagen war (C) tor CO2-optimiert neu einstelle. der Spuk vorbei. (Beifall bei der SPD) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind ja neue Töne, dass Sie Ich appelliere an die Hersteller: Rüstet nach! Das ist in nicht mehr an die WHO glauben! Interessant, eurem Sinne; das trägt zu neuer Kundenbindung und zum interessant!) Aufbau neuen Vertrauens bei. – Das kann man rechtlich nicht herbeiführen; das weiß ich. Insofern ist es ein Ap- Aber man sollte schon die Quellen, auf die man sich be- pell. Ich hoffe, er wird gehört. zieht, checken. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, wenn Sie von Tausenden von Toten reden, dann ist das, ehrlich gesagt, absoluter Humbug. Sie fnden keinen seriösen Mathematiker, der Vizepräsidentin Claudia Roth: die zugrundeliegende Berechnungsmethode unterstützt. Vielen Dank, Arno Klare. – Nächster Redner: Carsten Es gibt hier zwei Welten, die wir heute kennengelernt Müller für die CDU/CSU-Fraktion. haben. Es gibt einmal den Parallelkosmos des Oliver Krischer und seiner Freunde. Darin passiert eines: Die (Beifall bei der CDU/CSU) Zahl der Toten aufgrund der Belastung mit Stickoxiden ist in den letzten Jahren dramatisch angestiegen. – Und dann gibt es das wirkliche Leben; aber dafür interessiert (Braunschweig) (CDU/CSU): Carsten Müller sich der Kollege Krischer bedauerlicherweise nicht. Da Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und haben wir nämlich folgende Situation: Wir haben eine Herren! Wir führen diese Debatte heute in einer Zeit, in dramatisch zurückgehende Schadstoffbelastung in der der – das kann und muss man so deutlich sagen – das Luft. Um es konkret zu machen: Wir haben die bemer- Vertrauen in die Automobilindustrie – im Übrigen nicht kenswerte Situation, dass die Lebenserwartung im hoch- nur in die deutsche, sondern auch in die anderer Länder – belasteten Stuttgart signifkant höher ist als im beschau- merkbar angeknackst ist. Man muss nicht drum herum- lichen Kurort Baden-Baden. Nanu, wie passt denn das reden: Die Verantwortung dafür trägt die Automobilin- zusammen? dustrie selbst. Ich komme auf die stark sinkenden Emissionen zu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rück: Bundesweit gibt es 519 Messstellen; im Übrigen befnden sich nur 87 davon an derselben Stelle wie im (B) Ich stelle jetzt keine großen Vermutungen an; aber Jahr 2006. Merkwürdigerweise werden immer die Mess- (D) ich glaube, dass man den Beitrag des letzten Redners stationen umgestellt, die einen besonders starken Rück- der AfD gerade in der Automobilindustrie mit einigem gang der Schadstoffe aufweisen – man nennt das auch Kopfschütteln verfolgt haben wird, erschlichene Signifkanzen –; aber selbst die 87 verblie- benen ortsfesten Messstationen zeigen den dramatischen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Rückgang. weil er genau das Gegenteil von richtig ist. Ich habe mir (Kirsten Lühmann [SPD]: Das Gesetz sagt, an eine kurze Sequenz aus der gestrigen Debatte angeschaut. jedem Punkt müssen die Grenzwerte eingehal- Erst dachte ich: Ach du meine Güte, was passiert da in ten werden!) dem Dialog zwischen dem Kollegen Spaniel und dem Kollegen Hofreiter. Ich muss aber sagen – das kommt Ich nenne das häufg diskutierte Neckartor in Stuttgart selten genug vor –, dass der Kollege Hofreiter mit seiner als konkretes Beispiel. Überschreitungen des Stunden- Empfehlung, einfach einmal in die Zeitung zu gucken, mittelwerts im Jahr 2006: 853; erlaubt waren damals 175. wahrscheinlich nicht so ganz falsch gelegen hat. Überschreitungen des Stundenmittelwerts von Stickoxi- den im Jahr 2017: 3. Insofern könnte man dieses Problem (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem als annähernd gelöst betrachten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Aber das war nicht die einzige bemerkenswerte Si- ordneten der AfD und der FDP) tuation. Ich will noch auf meinen Lieblingskollegen Krischer zu sprechen kommen. Um aktuell zu bleiben, schauen wir einmal auf die Messergebnisse von gestern. Neckartor in Stuttgart: (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE Als dort die Messungen im Jahr 2006 begannen, lag der GRÜNEN]: Alles andere hätte uns auch über- Durchschnittswert bei 121 Mikrogramm. Gestern lag er rascht!) bei 65 Mikrogramm. Im Übrigen haben die Messwerte in München an der Landshuter Allee diesen Wert gestern Er zitierte umfangreich die WHO. Ehrlich gesagt war das fast überholt. Dort wurden 63 Mikrogramm gemessen. in weiten Teilen fehl am Platze. Woran denkt man bei der WHO im Moment? Ich denke in erster Linie daran, dass Das ist natürlich noch deutlich zu hoch; aber es zeigt es die Organisation ist, die vor wenigen Monaten auf die die richtige Entwicklung. Und es zeigt: Das passiert nicht grandiose Idee gekommen ist, den großen Humanisten von ungefähr. Euro-6d-Temp ist erwähnt worden. Inso- Robert Mugabe zum Sonderbotschafter ernennen zu wol- fern sehen wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1585

Carsten Müller (Braunschweig) (A) will jetzt nicht über die Sinnhaftigkeit von Grenzwerten Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) sprechen; Danke, Carsten Müller. – Nächste Rednerin: Ulli Nissen für die SPD-Fraktion. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das tun Sie die ganze Zeit!) (Beifall bei der SPD)

aber man muss es entsprechend einordnen. Eines steht Ulli Nissen (SPD): aber auch fest: Fahrverbote sind in ihrer vermuteten Aus- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen wirkung stark überschätzt. Sie sind unsozial und wirt- und Kollegen! Das Bundesverwaltungsgericht hat die- schaftsfeindlich. se Woche entschieden, dass Fahrverbote in einzelnen Kommunen verhängt werden dürfen. Die schriftliche Schauen wir einmal auf Hamburg – die Vorrednerin Auswertung des Urteils liegt noch nicht vor. Aber eines hat darauf abgehoben –: Welche groteske Situation haben sollte deutlich sein: Länder, Kommunen und wir müssen wir denn da? Da gibt es einen grünen Umweltsenator, handeln. Ich glaube, es gibt niemanden unter uns, der so- der ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge erlassen will, und fortige Fahrverbote will. Wir alle wären froh, wenn wir im selben Moment wird die Innenstadt von Hamburg pro diese vermeiden könnten. Ich denke da insbesondere an Jahr von 220 Kreuzfahrtschiffen aufgesucht. die Menschen, die auf ihr Fahrzeug angewiesen sind und sich kein neues kaufen können. Auch die vielen Hand- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werker, die häufg einen Dieselfuhrpark haben, sind mir NEN]: „Müller fordert Fahrverbot für Kreuz- ein wichtiges Anliegen. fahrtschiffe“!) Wir alle wissen, wie gefährlich Stickoxide sind, die Ein solches Kreuzfahrtschiff stößt 5 Tonnen NOX pro Tag in großer Menge von Dieselfahrzeugen ausgestoßen wer- aus. Das passiert unter dem grünen Umweltsenator Jens den. Es gibt unterschiedliche Untersuchungen über To- Kerstan. Abenteuerlich! desfälle. Ich sage: Jeder Todesfall ist einer zu viel. Dazu kommen viele Menschen, die wegen schlechter Luft un- Was machen wir? Wir blicken in die Zukunft. Das ter schweren Erkrankungen leiden – viele Schicksale, die „Sofortprogramm Saubere Luft“ ist von der Ministerin uns deutlich machen, dass wir dringend handeln müssen, erwähnt worden. Wir unterstützen und fordern die Wei- damit die Luftqualität verbessert wird. Dazu zwingt uns terentwicklung von Benzin- und Dieselantrieben, der jetzt auch das Leipziger Urteil. öffentliche Personennahverkehr muss leistungsfähig entwickelt werden, und wir blicken auch auf alternative Erste Schritte haben wir mit dem „Sofortprogramm Antriebsarten. Saubere Luft“ eingeleitet. Zur Verminderung der Sticko- (B) xide in den Städten werden bis zu 1 Milliarde Euro zur (D) Meine Damen und Herren, ich will abschließend zu- Verfügung gestellt; 750 Millionen Euro kommen allein sammenfassend Folgendes sagen: Diejenigen, die über vom Bund. Mit diesem Programm sollen Maßnahmen für Fahrverbote diskutieren, legen die Axt an die Schlüsse- die Elektrifzierung des Stadtverkehrs, für den Ausbau lindustrie der deutschen und der europäischen Wirtschaft, einer Ladeinfrastruktur, für die Digitalisierung von Ver- kehrssystemen sowie zur Nachrüstung von Dieselbussen (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE im ÖPNV mit Abgasnachbehandlungssystemen ergriffen GRÜNEN]: Das Bundesverwaltungsgericht!) werden.

und zwar ausschließlich mit dem Ziel, die Automobil- Zur Verbesserung der Ladeinfrastruktur gibt es jetzt branche deutlich zurückzustutzen – die sich derzeit in ein spannendes Projekt der Deutschen Telekom. Der einer Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise befndet. Telefonriese will in den Städten Tausende von eigenen Es geht allerdings um Hunderttausende Arbeitsplätze. Schaltverteilern zu Tankstellen für Elektroautos aufrüs- Diese bilden die Grundlage für Wohlstand und sozialen ten. Aus meiner Sicht ist dies eine großartige Idee. Ausgleich. Die Deutsche Post ist auch ein Vorreiter. Sie hat schon jetzt mehr als 5 000 selbst entwickelte Streetscooter und (Kirsten Lühmann [SPD]: Dann muss man mehr als 10 000 Elektroräder auf den Straßen. Mittelfris- etwas tun gegen die Vertrauenskrise!) tig will das Unternehmen seine gesamte Brief- und Pa- ketzustellungsfotte durch Elektrofahrzeuge ersetzen, die mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden. Vizepräsidentin Claudia Roth: So sollten auch die anderen Paketriesen handeln, damit Kommen Sie bitte zum Schluss. der extrem stark gestiegene Lieferverkehr ohne Schad- stoffausstoß stattfnden kann. Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, das, was Sie vertreten, Wir müssen natürlich auch bei den anderen Fahrzeu- spricht dafür, dass Sie die Menschen bevormunden und gen ansetzen. Uns allen ist wohl klar, dass die von den ihnen die Mobilität nehmen wollen. Das ist mit der Uni- Autofrmen zugesagten Software-Updates nicht ausrei- onsfraktion nicht zu machen. chen. Sie taten bisher so, als ob technische Nachrüstun- gen eigentlich nicht machbar wären. In einem aktuellen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gutachten des ADAC wurde jetzt nachgewiesen, dass 1586 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

Ulli Nissen (A) Hardwarenachrüstungen nicht nur möglich, sondern Danke schön. (C) sogar hochwirksam sind. Die Untersuchungen ergaben, dass sich der Schadstoffausstoß durch Nachrüstungen an (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Florian den Fahrzeugen innerorts um bis zu 70 Prozent und au- Oßner [CDU/CSU]) ßerorts um bis zu 90 Prozent reduzieren lässt. Das kann in besonders belasteten Gebieten eine Reduzierung um Vizepräsidentin Claudia Roth: 25 Prozent bringen. Autos mit diesen technischen Nach- Danke, Ulli Nissen. – Der letzte Redner in der Debat- rüstungen könnten von den jetzt drohenden Fahrverboten te: Oliver Grundmann für die CDU/CSU-Fraktion. ausgenommen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Aus meiner Sicht ist auch klar, dass die Kosten für die Nachrüstungen nicht von den Verbrauchern, sondern von Oliver Grundmann (CDU/CSU): den Verursachern – der Automobilindustrie – getragen werden müssen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolle- ginnen und Kollegen! Das war heute eine aufgeregte De- (Beifall bei der SPD) batte. Das schrille Panikorchester, sowohl von rechts als auch von links, spielte wieder kräftig auf, klang schräg, Ein großer deutscher Automobilkonzern hat trotz des zeitweise auch ziemlich schief. Dieselskandals seinen Nettogewinn 2017 verdoppelt und erzielte ein Plus von rund 11 Milliarden Euro. Da dürfen (Ulli Nissen [SPD]: Wen meinen Sie jetzt? – die betroffenen Kunden nicht mit billigen Software-Up- Gegenruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- dates abgespeist werden, liebe Kolleginnen und Kolle- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Er meint mich!) gen. Einige Dinge waren auch schlichtweg falsch. Mir ist auch wichtig, dass wir den öffentlichen Perso- Allen hier muss klar sein: Gesetze und Grenzwerte nennahverkehr attraktiver machen, damit die Menschen sind nicht verhandelbar. Wir haben geltende Grenzwerte, umsteigen. Ein Anreiz dafür sind günstige Preise. Ich und daran haben wir uns auch zu halten. Ich denke, darü- muss es wieder hervorheben: Mein eigener Frankfurter ber sind wir uns hier im Parlament jedenfalls mehrheit- Wahlkreis geht vorbildlich voran. In Frankfurt sind auf lich einig, bis auf die Kollegen der AfD. Initiative unseres SPD-Oberbürgermeisters Peter Feld- mann die Preise für Einzeltickets und Tagestickets zum (Jürgen Braun [AfD]: So sind sie!) ersten Mal reduziert worden. Peter Feldmann hat sich Das war es dann auch heute zur AfD von meiner Seite. auch intensiv für das 1-Euro-Ticket eingesetzt. In einem (B) ersten Schritt können jetzt Schülerinnen und Schüler (Zurufe von der AfD: Oh!) (D) sowie Auszubildende für nur 1 Euro pro Tag das ganze Lieber kümmere ich mich um meine Lieblingskolle- Jahr in Hessen Busse und Bahnen nutzen. Das fnde ich gen. Die sind mir in den letzten Wochen irgendwie ein großartig. Stück weit vertrauter geworden, lieber Oliver Krischer. Der Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsver- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bunds, Knut Ringat, stellt die richtige Frage: Warum wird NEN]: Ja!) für das umweltfreundlichste Verkehrsmittel überhaupt Ökosteuer erhoben? Ich frage: Warum wird für Flugzeu- Lieber Olli, warum habt ihr euch in den letzten Tagen ge keine Kerosinsteuer erhoben? und Wochen wieder so verändert? Als ihr noch im Jamai- ka-Modus wart, war doch alles gut. Da haben wir uns in Grundsätzlich müssen die Bedingungen für den ÖPNV den letzten Wochen auf den Fluren häufg unterhalten: verbessert werden. Deshalb ist es gut, dass wir im Koa- sachorientiert, konstruktiv, echte Lösungen waren greif- litionsvertrag – wenn er denn von der SPD angenommen bar. Und jetzt wieder: stumpfer Oppositionsmodus mit wird – vereinbart haben, dass wir den öffentlichen Per- antrainierten Refexen, wie man es kannte. sonennahverkehr deutlich besser fördern wollen. Dazu werden die Mittel für das Gemeindeverkehrsfnanzie- (Beifall bei der CDU/CSU) rungsgesetz bis 2021 für Aus- und Neubaumaßnahmen Einmal unter uns: Ja, wir haben Überschreitungen von in zwei Schritten von derzeit 333 Millionen Euro auf Grenzwerten. Die sind aber nicht fächendeckend, die 1 Milliarde Euro pro Jahr erhöht. Auch dies wird dazu sind punktuell, und sie werden auch nicht mehr, sondern beitragen, dass sich die Luftqualität verbessert. sie werden immer weniger. Das sind nur einzelne Stra- Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, wir ßenabschnitte. Das ist schlimm genug – das ist überhaupt haben auch noch weitere gute Vereinbarungen getroffen. gar keine Frage – für die Anwohner. Aber tun wir doch Sie können sich sicher sein: Diese Regelungen wollen bitte nicht so, als sei ganz München, Stuttgart oder Ham- wir auch eins zu eins umsetzen. Das erwarten auch unse- burg fächendeckend mit Stickoxiden verseucht. Lasst re Mitglieder. die Kirche doch bitte im Dorf. Erzählt den Menschen da draußen doch keinen Unsinn. Das verunsichert Millionen (Beifall der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]) von Menschen in diesem Land, und das ist totale Panik- mache, meine sehr geehrten Damen und Herren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein wunderba- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- res Wochenende. ordneten der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 18. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2018 1587

Oliver Grundmann (A) Ich möchte hier ein konkretes Beispiel herausgreifen: wenn es um umweltfreundliche Innovationen geht wie (C) die Landshuter Allee in München. Ja, da gibt es eine zum Beispiel die Euro-6d-Dieselnorm? Überschreitung. Aber das ist auch kein Wunder. Mit täg- lich 130 000 Fahrzeugen ist es eine der meistbefahrenen Vizepräsidentin Claudia Roth: innerstädtischen Straßen Europas. Ganz viele Pendler kommen aus den ländlichen Räumen nach München hin- Darf ich Sie ganz leise an die Redezeit erinnern? eingefahren. Fakt ist aber auch: 60 Meter von der Mess- (Heiterkeit bei der SPD, der FDP und dem stelle an der Landshuter Allee entfernt gibt es überhaupt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gar keine Überschreitungen mehr. Wenn erst einmal die neuen Euro-6d-Dieselfahrzeuge fahren, dann wird es (CDU/CSU): dort überhaupt gar keine Überschreitungen mehr geben. Oliver Grundmann Ich will zum Schluss kommen, liebe Frau Präsiden- Wir sind auf einem guten Weg. Die Maßnahmen wir- tin . – Eine Umweltpolitik, die auf Verbote und Bevor- ken. Der Weg ist vorgeschrieben. Die Luftbelastung wird mundung der Menschen setzt, passt einfach nicht mehr zurückgehen. Das müssen wir jetzt beschleunigen. Der in die Zeit. Flächendeckende Fahrverbote sind für uns Innovationsmotor muss jetzt kräftig Fahrt aufnehmen. kaltherzige Enteignungen. Die wird es mit uns nicht ge- Ja, das ist auch eine Riesenchance. Es stehen 1 Milliarde ben. Wir wollen keine blauen Plaketten. Wir wollen In- Euro bereit: für neue Logistiksysteme, für Elektromobi- novation und Selbstbestimmung. Dafür kämpfen wir. lität im Nahverkehr, ( [SPD]: Und für Wasserstoff!) Vizepräsidentin Claudia Roth: für Wasserstoff – genau –, für Digitalisierung, für neue Und ich will, dass Sie jetzt wirklich zum Ende kom- Techniken der Abgasminderung, also für echte Zu- men. kunftstechnologien und Zukunftsinnovationen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, was mich Oliver Grundmann (CDU/CSU): persönlich traurig, wütend, ja so richtig wütend macht, Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist der sind Aktionen wie vom grünen Umweltsenator, der aus Schluss meiner Rede. Wir beschließen den Tag, wie wir PR-Gründen Verbotsschilder bestellt, Hauptsache ist, es ihn heute begonnen haben, auf Initiative der AfD. in die „Bild“-Schlagzeile zu schaffen. Ich sage Ihnen: Ein Wort somit zur deutschen Sprache als Kulturgut. Das ist verantwortungslos. Hier geht es nicht um Grenz- Meine sehr geehrten Damen und Herren aller im Par- werte. Das ist ein ideologischer Kampf gegen den Ver- lament vertretenen Parteien, ein Zitat meines Freundes brennungsmotor. Das ist Eigen-PR auf dem Rücken von Peter: (B) Angestellten, auf dem Rücken von Krankenschwestern, (D) Polizeibeamten, denen man den VW-Golf wegnehmen Wer mit Fremdworten nicht konfekt ist, sollte nicht will. Das wollen wir nicht. Das ist verantwortungslos. damit renovieren, ansonsten muss er die Konsonan- ten ziehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschen, die aus den Vororten in die Großstädte pendeln müssen, sind auf (Beifall bei der CDU/CSU) ihre Fahrzeuge angewiesen. Wenn es Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wirklich um eine nach-

haltige Verringerung der Stickoxidemission geht: Warum Vizepräsidentin Claudia Roth: blockieren Sie dann systematisch Pläne für Umfahrungs- Die Aktuelle Stunde ist beendet. und Ausweichstraßen oder auch für neue U-Bahn-Linien Wir sind am Schluss der heutigen Debatte angelangt. wie in München? Warum ist irgendwelches Krötengetier Ich wünsche Ihnen ein spannendes, erfolgreiches Wo- jedes Mal wichtiger als saubere Luft in unseren Innen- chenende – je nachdem, wie Erfolg bemessen wird. städten? Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der AfD und der tages auf Mittwoch, den 14. März 2018, 13 Uhr, ein. FDP) Die Sitzung ist geschlossen. Warum sind Sie immer so laut, wenn es um bürgerfeind- liche Verbote geht, und so leise, lieber Olli Krischer, (Schluss: 14.45 Uhr)

Berichtigung 17. Sitzung, Seite 1500 A: Die Zahl der für den Abge- ordneten Dr. abgegebenen Ja-Stimmen ist wie folgt zu lesen: 583

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018 1589

(A) (C) Anlagen zum Stenografschen Bericht

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Abercron, Dr. Michael CDU/CSU 02.03.2018 Marwitz, Hans-Georg CDU/CSU 02.03.2018 von von der Bellmann, Veronika CDU/CSU 02.03.2018 Möller, Siemtje SPD 02.03.2018 Burkert, Martin SPD 02.03.2018 Müller, Dr. Gerd CDU/CSU 02.03.2018 Cotar, Joana AfD 02.03.2018 Münzenmaier, Sebastian AfD 02.03.2018 Ferschl, Susanne DIE LINKE 02.03.2018 Petry, Dr. Frauke fraktionslos 02.03.2018 Fischer (Karlsru- CDU/CSU 02.03.2018 Riexinger, Bernd DIE LINKE 02.03.2018 he-Land), Axel E. Rosemann, Dr. Martin SPD 02.03.2018 Föst, Daniel FDP 02.03.2018 Roth (Heringen), SPD 02.03.2018 Gebhart, Dr. Thomas CDU/CSU 02.03.2018 Michael Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 02.03.2018 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ 02.03.2018 DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 02.03.2018 Ruppert, Dr. Stefan FDP 02.03.2018 (B) Hahn, Dr. André DIE LINKE 02.03.2018 Schieder, Marianne SPD 02.03.2018 (D) Held, Marcus SPD 02.03.2018 Schimke, Jana CDU/CSU 02.03.2018 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 02.03.2018 Schmidt (Fürth), CDU/CSU 02.03.2018 Christian Irmer, Hans-Jürgen CDU/CSU 02.03.2018 Schulz, Jimmy FDP 02.03.2018 Jung, Andreas CDU/CSU 02.03.2018 Schulz, Martin SPD 02.03.2018 Jung, Ingmar CDU/CSU 02.03.2018 Schwabe, Frank SPD 02.03.2018 Kemmer, Ronja CDU/CSU 02.03.2018 Sendker, Reinhold CDU/CSU 02.03.2018 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ 02.03.2018 DIE GRÜNEN Steineke, Sebastian CDU/CSU 02.03.2018 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/ 02.03.2018 Tauber, Dr. Peter CDU/CSU 02.03.2018 DIE GRÜNEN Träger, Carsten SPD 02.03.2018 Kühn (Tübingen), BÜNDNIS 90/ 02.03.2018 Christian DIE GRÜNEN Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ 02.03.2018 DIE GRÜNEN Kühne, Dr. Roy CDU/CSU 02.03.2018 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 02.03.2018 Lange (Backnang), SPD 02.03.2018 Christian Weinberg (Hamburg), CDU/CSU 02.03.2018 Marcus Leyen, Dr. Ursula von CDU/CSU 02.03.2018 der Weiß (Emmendingen), CDU/CSU 02.03.2018 Peter Lutze, Thomas DIE LINKE 02.03.2018 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 02.03.2018 Martens, Dr. Jürgen FDP 02.03.2018 1590 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Anlage 2 (C)

Neudruck der Ergebnisse und des Namensverzeichnisses

der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilgenommen haben (17. Sitzung, Tagesordnungspunkt 9 d, Anlage 4)

Abgegebene Stimmkarten: 663

Ergebnis der Wahl der ordentlichen Mitglieder

Ungültige Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Stimmen Axel E. Fischer 564 49 38 12 Alois Rainer 581 33 38 11 567 40 44 12 Johannes Kahrs 499 104 42 18 565 49 32 17 Peter Boehringer 308 246 78 31 Otto Fricke 556 50 41 16 Dr. Gesine Lötzsch 468 128 43 24

(B) Sven-Christian Kindler 504 105 30 24 (D)

*Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

Abgegebene Stimmkarten: 663

Ergebnis der Wahl der stellvertretenden Mitglieder

Ungültige Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Stimmen Axel E. Fischer 583 29 41 10 Alois Rainer 574 33 44 12 Eckhardt Rehberg 577 32 42 12 Johannes Kahrs 569 50 27 17 Swen Schulz 562 51 30 20 Peter Boehringer 314 223 91 35 Otto Fricke 548 46 52 17 Dr. Gesine Lötzsch 480 117 42 24 Sven-Christian Kindler 536 85 22 20

*Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018 1591

(A) Namensverzeichnis (C)

CDU/CSU Markus Grübel Dr. Monika Grütters Norbert Maria Altenkamp Johannes Röring Philipp Amthor Oliver Grundmann Dr. Dr. Norbert Röttgen Fritz Güntzler Dr. Stefan Rouenhoff Peter Aumer Dr. Erwin Rüddel Dorothee Bär Thomas Bareiß Florian Hahn Andrea Lindholz Norbert Barthle Dr. Dr. Anita Schäfer (Saalstadt) Jürgen Hardt Dr. Wolfgang Schäuble (Börde) Nikolas Löbel Dr. André Berghegger Dr. Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Daniela Ludwig Thomas Heilmann Nadine Schön (Chemnitz) Mark Helfrich Dr. Thomas de Maizière Dr. (Weil am Rhein) Michael Brand (Fulda) (Altötting) Dr. Reinhard Brandl Dr. Heribert Hirte Dr. Dr. Dr. Dr. Alexander Hoffmann Dr. h. c. Dr. Björn Simon Dr. Karsten Möring (B) (D) Hans-Jürgen Irmer Katrin Staffer Dr. Dr. Gitta Connemann Axel Müller Dr. Wolfgang Stefnger Sepp Müller Carsten Müller (Braun- Marie-Luise Dött schweig) (Rostock) Torbjörn Kartes Stefan Müller (Erlangen) Hansjörg Durz Dr. Thomas Erndl Dr. Stefan Kaufmann Christian Frhr. von Stetten Hermann Färber Dr. Georg Nüßlein Michael Kießling Dr. Dr. Florian Oßner Dr. Hans-Peter Friedrich Michael Stübgen (Hof) Dr. Hermann-Josef Tebroke Carsten Körber Hans-Jürgen Thies Hans-Joachim Fuchtel Dr. Joachim Pfeiffer Ingo Gädechens Alexander Krauß Dr. Gunther Krichbaum Dr. Christoph Ploß Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Volker Ullrich Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Andreas G. Lämmel Klaus-Dieter Gröhler Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Alois Rainer Kerstin Vieregge Michael Grosse-Brömer Dr. Peter Ramsauer (Kleinsaara) Astrid Grotelüschen Ulrich Lange Eckhardt Rehberg 1592 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Uli Grötsch (C) Dr. Johann David Wadephul Michael Groß Peter Boehringer Stephan Brandner Rita Hagl-Kehl (Minden) Jürgen Braun Dr. h. c. Marcus Bühl (Hamburg) Dr. Matthias Büttner Dr. Sabine Weiss (Wesel I) (Peine) Sönke Rix Dr. René Röspel Kai Whittaker Dr. Barbara Hendricks Annette Widmann-Mauz Gustav Herzog Dr. Dr. Bettina Margarethe Wies- Gabriele Hiller-Ohm Susann Rüthrich mann Bernd Rützel Klaus-Peter Willsch Dr. Eva Högl Dr. Anton Friesen Elisabeth Winkelmeier- Johann Saathoff Dr. Götz Frömming Becker Axel Schäfer (Bochum) Oliver Wittke Dr. Dr. Alexander Gauland Dr. Johannes Kahrs Paul Ziemiak Dr. Dr. (Aachen) SPD Dagmar Schmidt (Wetzlar) Ulrich Kelber (Erfurt) Armin-Paulus Hampel Ingrid Arndt-Brauer Mariana Iris Harder-Kühnel Arno Klare Dr. Dr. Manja Schüle Ulrike Bahr Dr. Bärbel Kofer Dr. Swen Schulz (Spandau) (B) Udo Theodor Hemmelgarn (D) Dr. Sören Bartol Rita Schwarzelühr-Sutter Bärbel Bas Dr. (Heidelberg) Dr. Heiko Heßenkemper Karsten Hilse Burkhard Lischka Martina Stamm-Fibich Dr. Karl-Heinz Brunner Kirsten Lühmann Nicole Höchst Sonja Amalie Steffen Marco Bülow Dr. Kerstin Tack Dr. Leif-Erik Holm Dr. Markus Töns Dr. Dr. Carsten Träger Marja-Liisa Völlers Norbert Kleinwächter Dirk Vöpel Dr. Jörn König Bettina Müller Steffen Kotré Bernd Westphal Dr. Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Rainer Kraft Dr. Michelle Müntefering Rüdiger Lucassen Gülistan Yüksel Dr. Dr. Rolf Mützenich Dr. Dr. Birgit Malsack- Dr. Jens Zimmermann Ulli Nissen Winkemann Martin Gerster Mahmut Özdemir (Duisburg) AfD Angelika Glöckner Dr. Bernd Baumann Volker Münz Marc Bernhard Jan Ralf Nolte Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018 1593

(A) Simone Barrientos (C) Dr. Lorenz Gösta Beutin Tobias Matthias Peterka Dr. Christian Jung Matthias W. Birkwald Andreas Wagner Paul Viktor Podolay Thomas L. Kemmerich Jürgen Pohl Dr. Christine Buchholz Katharina Kloke Birke Bull-Bischoff Sabine Zimmermann Martin Erwin Renner Jörg Cezanne (Zwickau) Roman Johannes Reusch Pascal Kober Sevim Dağdelen Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Lukas Köhler Fabio De Masi BÜNDNIS 90/ Dr. Dr. DIE GRÜNEN Wolfgang Kubicki Jörg Schneider Anke Domscheit-Berg Konstantin Kuhle Klaus Ernst Susanne Ferschl Alexander Graf Lambsdorff Detlev Spangenberg Christian Lindner Dr. Dirk Spaniel Michael Link (Heilbronn) Dr. René Springer Dr. Beatrix von Storch Heike Hänsel Till Mansmann Dr. Franziska Brantner Dr. Alice Weidel Dr. André Hahn Dr. Jürgen Martens Agnieszka Brugger Matthias Höhn Dr. Dr. Roman Müller-Böhm Ekin Deligöz Dr. Frank Müller-Rosentritt Katja Dörner Dr. Christian Wirth Dr. (Lau- Katharina Dröge Dr. sitz) Katja Kipping FDP (B) (D) Grigorios Aggelidis Dr. Dr. h. c. Katrin Göring-Eckardt Christine Aschenberg- Christian Sauter Erhard Grundl Frank Schäffer Dugnus Anja Hajduk Dr. Britta Haßelmann Matthias Seestern-Pauly Nicola Beer Dr. Bettina Hoffmann Frank Sitta Dr. Gesine Lötzsch Dr. Dr. (Rhein-Neckar) Dr. Cornelia Möhring Dieter Janecek Dr. Marco Buschmann Bettina Stark-Watzinger Dr. Kirsten Kappert-Gonther Dr. Marie-Agnes Niema Movassat Uwe Kekeritz Carl-Julius Cronenberg Strack-Zimmermann Norbert Müller (Potsdam) Katja Keul Britta Katharina Dassler Zaklin Nastic Sylvia Kotting-Uhl Bijan Djir-Sarai Dr. Alexander S. Neu Oliver Krischer Christian Dürr Stephan Kühn (Dresden) Michael Theurer Dr. Stephan Thomae Sören Pellmann Renate Künast Daniel Föst Markus Kurth Otto Fricke Dr. Tobias Pfüger Dr. Ingrid Remmers Sven Lehmann Katrin Helling-Plahr Gerald Ullrich Steff Lemke Johannes Vogel (Olpe) Eva-Maria Elisabeth Dr. Tobias Lindner Schreiber Dr. Petra Sitte Claudia Müller Dr. Gero Clemens Hocker Helin Beate Müller-Gemmeke Manuel Höferlin DIE LINKE. Dr. Christoph Hoffmann Dr. Gökay Akbulut Dr. 1594 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018

(A) Cem Özdemir Dr. Kordula Schulz-Asche (C) Dr. Wolfgang Strengmann- Beate Walter-Rosenheimer Kuhn Fraktionslos Dr. Tabea Rößner Dr. Jürgen Trittin Claudia Roth (Augsburg) Stefan Schmidt Dr. Dr.

Anlage 3 tel 632 07 – Ausgaben nach § 8 Absatz 1 des Unter- haltsvorschussgesetzes Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Drucksachen 19/318, 19/491 Nr. 1.13 Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Antrag Verbesserung der Entschä- – Unterrichtung durch die Bundesregierung digungsregelung für die Opfer antihomosexueller Straf- Vorläufge Haushaltsführung 2018 verfolgung nach 1945 in beiden deutschen Staaten auf Drucksache 19/985 zurückzieht. Unterrichtung über die Erteilung der Einwilligung in die Inanspruchnahme einer überplanmäßigen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Verpfichtungsermächtigung bei Kapitel 1607 Ti- gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von tel 894 02 – Zuschüsse für Investitionen zur Wie- einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen dererrichtung des Berliner Schlosses – Bau des absehen: Humboldt Forums im Schlossareal Berlin –

Haushaltsausschuss Drucksachen 19/501, 19/607 Nr. 4

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Haushaltsführung 2017 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur – Eisen- Mitteilung nach § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- bahnen 2016 haltsordnung über die Einwilligung in eine (B) (D) überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 1701 Ti- Drucksachen 19/160, 19/491 Nr. 1.6 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 18 Sitzung Berlin, Freitag, den 2 März 2018 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333