Ausgabe 2.10

Denkmalpfle ge in Westfalen-Lippe

Bauten der 1920er bis 1950er Jahre © 2010 Ardey-Verlag Münster Alle Rechte vorbehalten Litho/Druck: DruckVerlag Kettler, Bönen Printed in ISSN 0947-8299 16.Jahrgang, Heft 2/10

Erscheinungsweise 2mal jährlich zum Preis von 4,50Euro (Einzelheft) zuzüglich Versand über den Ardey-Verlag Münster An den Speichern 6 48157 Münster

Herausgegeben vom LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe

Redaktion: Dr. Jost Schäfer (Leitung) Dr. Barbara Pankoke Dr. Thomas Spohn Dr. Dirk Strohmann

Anschrift: LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen Fürstenbergstr. 15 48147 Münster [email protected]

Die Autoren

Aus dem LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen: Wiss.-Bibl. Sabine Becker M.A. Dr. David Gropp Dr. Hans H. Hanke Dr. Christoph Heuter Dipl.Ing. Sybille Haseley Klaus Nenno M.A. Dr. Jost Schäfer Dipl.Ing. Saskia Schöfer Dr. Barbara Seifen Dr. Dirk Strohmann Dr. Thomas Spohn

Bärbel Michels Zum alten Forsthaus 4 57392 Schmallenberg-Rehsiepen

Claus Peter Starenweg 28 59069 Hamm Inhalt

Seite 43 Editorial

Aufsätze Seite 44 Neues Bauen in Westfalen – Wohnhäuser des modern movement in der Provinz Jost Schäfer Seite 53 Der sehr verrufene Schlieperblock – Notwohnungen von 1928 bis 1936 in Iserlohn Hans H. Hanke Seite 58 Scharfsinn für das Wesentliche – Energetische Analyse und Sanierungsvarianten für ein Stahlhaus in Dortmund Christoph Heuter Seite 62 Laube, Portikus, Arkade, Wandelgang – Varianten der in den 1920er bis 1950er Jahren besonders beliebten architektonischen und städtebaulichen Motive in Westfalen-Lippe Thomas Spohn Seite 71 Drei Glocken des 13.Jahrhunderts wieder vereinigt – Zur Restaurierung des Geläutes der Nikolaikirche zu Lemgo Claus Peter

Berichte Seite 77 Stiftung „Altes Forsthaus Rehsiepen“ in Schmallenberg-Mittelsorpe Bärbel Michels Seite 78 Teilfreilegung eines Wandgemäldes aus dem Zyklus „Heilkräfte der Natur“ im ehemaligen Standortlazarett in Münster Dirk Strohmann Seite 80 Brandheiß! – Brandschutz in Museen, Bibliotheken und Baudenkmälern (Tagungsbericht) Klaus Nenno Seite 81 Fremde Impulse – Baudenkmale im Ruhrgebiet (Tagungsbericht) Sybille Haseley / Saskia Schöfer / Barbara Seifen

Aus dem Bildarchiv Seite 82 Die sogenannte ‚Weiße Moderne‘ – Zur suggestiven Kraft des Abbilds

Buchvorstellung Seite 84 Leopold von Ledebur, Das Fürstentum Minden und die Grafschaft Ravensberg. Bielefeld 2009

Seite 85 Neuerscheinungen des Amtes

Seite 86 Neuerwerbungen der Bibliothek in Auswahl

Seite 87 Personalia

Seite 92 Verkäufliche Baudenkmäler Umschlag-Foto: Soest, Villa Plange, Thomaetor 3 –9, 2010. LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen: Schäfer 43

Editorial

Höhepunkt des Projektes „Fremde Impulse – Baudenkmale im Ruhrgebiet“ darstellte. Das fa - cettenreiche Kooperationsprojekt „Fremde Im - pulse“ der beiden Landschaftsverbände LWL und LVR präsentiert sich seit März dieses Jahres mit seinen verschiedenen Angeboten in der Öffent - lichkeit; es versteht sich als „feiner und wohl - durchdachter Mosaikstein“ – so LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch im August bei der Eröffnung der Wanderausstellung im Landeshaus – im großen „Opus musaicum“ zur Kulturhauptstadt RUHR.2010 . Ziel unseres Projektes ist es, vor der Folie der Frage „was steht für einen fremden Impuls“ an - hand von Gebäuden und Siedlungen des Ruhrge - bietes auf Wandel und Veränderung aufmerksam zu machen. Baudenkmale sind dabei zentrale Be - Dieses Heft legt einen Schwerpunkt auf „Neues legstücke für bedeutsame historische Vorgänge; Bauen“ im Profanbau der 1920er bis 1950er sie zeigen authentisch und direkt Geschehnisse Jahre in Westfalen. Der einleitende Beitrag von und Beziehungen, Erinnertes und Vergessenes. Jost Schäfer führt nicht nur qualitätvolle Bei - Die Fremdheit eines Impulses wurde manchmal spiele dieses „modern movement“ insbesondere bewusst gesucht, indem beispielsweise gezielt in - im großbürgerlichen Villenbau in Soest, Iserlohn ternationale Architekten oder Künstler beauf - und andernorts vor, sondern verdeutlicht darü - tragt wurden, großenteils entstand sie eher zufäl - ber hinaus, auf welche ästhetischen und ideologi - lig oder ungesteuert, beispielsweise im Bereich schen Vorbehalte das Flachdach und die redu - der Inkulturation von Einwanderern. Die ur - zierte Formensprache stieß. Hans Hankes Ab - sprüngliche Andersartigkeit eines Impulses ist handlung zum Schlieperblock in Iserlohn zeigt, mitunter auch heute noch leicht nachvollziehbar, dass eine ausschließlich bauhistorische Annähe - öfter aber braucht es die historische Anleitung, rung an dieses seltene Beispiel unmittelbarer Re - um die zeitgenössische Fremdheit zu erkennen, zeption der klassischen Bauhausmoderne in weil es längst zum „Eigenen“ assimiliert ist. Und Westfalen zu kurz greifen würde: Seit seiner Er - damit wird auch klar, dass dieses Projekt nicht richtung 1928 war die Siedlung ein sozialer „Fremdheit“ definieren will, im Gegenteil: Das Brennpunkt; das negative Image der Siedlung „Eigene“ zeigt sich bei genauer Betrachtung viel - wurde bis in jüngste Zeit durch verschiedene Vor - fach als Angeeignetes und Zugewachsenes. fälle verfestigt, was zum Abbruchantrag durch Die einführende Wanderausstellung des Projek - den Eigentümer und antipodisch zu Aktivitäten tes tourt noch bis Ende des Jahres durch das der Denkmalpflege zu deren Erhalt führte. Ruhrgebiet und ist – nach Bochum, Selm, Köln Energetische Probleme von Bauten der Moderne und Münster – noch in Duisburg, Castrop-Rauxel, und ihre Auswirkungen auf die Denkmaleigen - Gelsenkirchen, Witten und Oberhausen zu sehen. schaft untersucht der Beitrag von Christoph Heu - Alles Wissenswerte über die verschiedenen Me - ter am Beispiel des Sonderfalls Stahlhausbau: dien zu diesem Projekt – die Blechbox mit 80 Eine bauteilscharfe Analyse verhinderte eine Ver - Denkmalportraits, der Katalog, die Fahrradrou - unklärung durch die Aufbringung eines vollflä - ten – ist abzurufen auf unserer Internetseite: chigen Wärmedämmverbundsystems bei gleich - www.fremde-impulse.de. Die Resonanz auf die - zeitiger Optimierung der Energiebilanz. Die Her - ses Projekt ist ausgesprochen positiv; damit kunft, die Ikonographie und die vielfache Ab - wurde und wird ein wesentliches Ziel der Aktion wandlung der architekturgeschichtlichen Motive erreicht: Öffentlichkeit und Bewusstsein herzu - „Laube, Portikus, Arkade und Wandelgang“ zeigt stellen für die Denkmäler in Westfalen-Lippe! Thomas Spohn an sehr unterschiedlichen westfä - lischen Beispielen und hinterfragt dabei manch vorschnellen, scheinbaren Traditionsbezug. Dieses Heft beinhaltet auch einen kurzen Tagungsbericht zum 4. Westfälischen Tag für Denkmalpflege, der am 10. und 11. Juni 2010 auf Dr. Markus Harzenetter Schloss Cappenberg stattfand und zugleich einen Landeskonservator 44

Jost Schäfer Neues Bauen in Westfalen Wohnhäuser des modern movement in der Provinz Vor 91 Jahren, 1919, wurde das in gegründet und seitdem hat „Modernes“, „Funktionalistisches“ oder „Neues Bauen“ ein Gesicht in der Architektur. Sieht man einmal von der Ideologie und dem Programm des Bauhauses ab, so verbindet man damit sehr schnell ganz eindeutige Anschauungsdaten, die sich in variablen Kombinationen wie nach einem Baukastenprinzip als Erkennungsmerkmale wiederholen.

Solche Eigenschaften zeigen sich im flachen Dach errichten und damit der allgemeinen Wohnungs - ebenso wie in der – zumeist weiß – geputzten not entgegenzuwirken. Der Antrag auf Bau- Wand mit ihrer typischen Durchfensterung der erlaubnis dieses sehr bemerkenswerten Hauses Mauerkante unter absoluter Überwindung oder durch Kloppenburg wurde mit der Begründung Vermeidung jeglichen Zierats. Die ebenso cha - abgelehnt, das geplante Haus halte nicht genü - rakteristische wie verbindliche Arbeitsweise in gend Abstand zum Gemeindeweg, wozu sich aber der Verwendung seiner stereometrischen Grund - auch gestalterische Gründe gesellten: 1 Weiter ist formen über staatliche Grenzen hinaus, führte … in der Polizeiverordnung gesagt, daß in Ort - 1932 anlässlich einer großen Ausstellung in New schaften und Gemeinden mit vorwiegend ländli - York zur Definition des international style . Trotz - chem Charakter die äußere Nachahmung städti - dem war das Bauen in diesem Stil aber keine scher Bauweise zu vermeiden sei und daß sich Selbstverständlichkeit. Und Baugenehmigungen das Äußere baulicher Anlagen dem Orts- und für Häuser nach diesem Geschmack zu erhalten, Landschaftsbilde harmonisch einfügen und Bau - trafen auf häufig ähnliche Schwierigkeiten. Wel - art, Bauform und Farbe so beschaffen sein solle, cher Art diese sein konnten und welche Objekte daß die einheitliche Gestaltung des Straßenbildes trotzdem auch in Westfalen entstanden – das soll nicht gestört wird. Dieses scheint nach den vor - im Folgenden an ausgewählten Beispielen ge - gelegten Bauvorlagen nicht der Fall zu sein . Der schildert werden. Antrag ging an den Bauherrn zurück mit der Empfehlung, die Bauvorlagen den … Gesichts - Schwierigkeiten punkten entsprechend vervollständigen zu lassen Die Akzeptanz des Neuen Bauens war selbst ohne und alsdann zur erneuten Prüfung nach hier eine mitgelieferte Ideologie des Bauhauses und einzureichen . Die Vervollständigung hat sich auf auch in Westfalen nicht selbstverständlich. Als das störende, weil „fehlende“ Dach bezogen. anrüchig oder verdächtig galt zuweilen schon der Kloppenburg reichte eine Beschwerde ein und Versuch, als Bauherr oder Architekt Modernität wies darauf hin, dass seine Wahl eines Flach- mittels flachen Daches zeigen zu wollen. Und daches auf seine augenblicklich schlechte wirt - auch, wenn man in seinem Bauantrag bewusst schaftliche Lage zurückgehe. Seine Beschwerde darauf verzichtete, sich namentlich auf die Insti - ging dann über den Landrat zum Staatlichen tution Bauhaus zu beziehen, um damit von vor - Hochbauamt in Minden. Darin heißt es u. a.: neherein keiner Provokation ein Tor zu öffnen (Kloppenburg machte klar,) … daß gerade das und stattdessen wirtschaftliche Gründe vortrug, flache Dach ihm die Baukosten um mehrere tau - um ein Haus „ohne“ Dach genehmigt zu bekom - send RM verringere. Und ich habe ihm insoweit men, so musste man mit Ablehnung oder zumin - recht gegeben, als man in einer Zeit wie der heu - dest Widerständen rechnen. Drei aktenkundige tigen wohl in der Tat die ästhetischen Rücksich - Beispiele mögen das im Folgenden illustrieren: ten mehr als sonst zurücksetzen müsste, wenn Der Kaufmann Fritz Kloppenburg beantragte am auf diese Weise wirklich erhebliche Ersparnisse 29. August 1931 im ostwestfälischen Stemwede- möglich seien. Ob und inwieweit das aber in Levern den Entwurf eines kleinen Wohnhauses seinem Falle tatsächlich zutreffe, könnte ich … (Abb. 1), nachdem ihm eine Entschädigung für nicht beurteilen . Das vordergründig entgegen- sein zuvor abgebranntes Haus gezahlt worden gebrachte Verständnis täuscht aber zunächst, war. Er hatte den Architekten Richard Moelle aus denn der Landrat fährt sogleich unmissverständ - Minden {186 8–1945) mit dem Bauplan beauf - lich fort: Ich kann dem Herrn Bürgermeister nur tragt, den er nun beim Amt Levern einreichte. darin recht geben, daß alles … so schlecht wie Dieser Plan sah ein kleines, flach gedecktes und möglich passt und dort als Verunstaltung des verputztes Haus vor, dessen Gestalt sich eng an - Ortsbildes wirken muss . Das Hochbauamt Minden legte an die sparsamen „Versuchshäuser“, mit dagegen antwortete dem Landrat in seinem ab - denen bereits seit 1923 am Staatlichen Bauhaus schließenden Gutachten ganz im Sinne des Bau - in Weimar experimentiert worden war mit dem herren und schloss sich dessen Argumentation Ziel, auf einfache Weise und doch qualitätvollem der Kostenersparnis an. Darüber hinaus hielt Niveau Wohnraum zu erschwinglichen Preisen zu man einen Entwurf sogar ästhetisch für eher 45

1 Stemwede-Levern, Hügelstr. 167. 2009.

2 Burbach, Erzweg 3. 2010. interessant, wenn ein Gebäude mit steilem Dach so haben wir mit ihm auch heute noch ein schö - einen Anbau mit flachem Dach erhält; die Wir - nes Beispiel davon, was man am Bauhaus experi - kung braucht durchaus nicht unschön zu sein, sie mentierfreudig auch als „Muster-“ oder „Typen - kann einheitlich sein, wenn die Verhältnisse zuei - haus“ bezeichnet hatte. nander stimmen. Trotzdem kommt man noch Als Paradigma solcher Musterhäuser galt das dem Landrat beschwichtigend entgegen: Nach Haus „Am Horn“ in Weimar, das 1923 von Georg diesseitigem Erachten würde der Bauherr besser Muche – unter Mitwirkung von , daran tun, ein steiles Dach herzustellen, aber Adolf Meyer, Ernst Neufert und Walter March – zwingen dürfte man ihn nicht dazu. Der Landrat entworfen worden war. Von diesem Haus ent - wiederum schrieb dem Bürgermeister in Levern, stand im Jahre 1924 im westfälischen Burbach dass dieser dem Bauherrn doch klarmachen sogar eine eigene Variante nahezu als Kopie möge, dass die Einsparung von mehreren (Abb. 2). Dessen Baugeschichte allerdings liegt 1000 RM natürlich unzutreffend sei, und daß die noch im Dunkeln. 2 tatsächliche, weit geringere Ersparnis durch die Der Bauherr Fritz Köppe aus Gellershagen (Bie - Nachteile des flachen Daches (insbesondere feh - lefeld) musste bis zur Genehmigung seines Bau - lender Dachboden!) ausgeglichen werde, müßte antrages eines Wohnhauses noch andere Nagel - ihm doch zu denken geben und ihn zu einer noch - proben über sich ergehen lassen. Selber Bautech - maligen ernsten Nachprüfung des ihm von sei - niker, hatte Köppe sein Haus entworfen (Abb. 3) nem Architekten gegebenen Rats veranlassen. und erhielt eine prompte Ablehnung von der Der Bauherr zeigte sich allerdings nicht einsich - Stadt. Auch hier berief man sich kommentarlos tig, blieb bei seinem Begehren und erhielt letzt - auf § 1 des Gesetzes vom 15. 7. 1907 gegen die endlich die Bauerlaubnis. (Alle Zitate nach Haus - Verunstaltung von Ortschaften und landschaft - akte Hügelstraße 167, Gemeinde Stemwede- lich hervorragenden Gegenden .3 Man gab ihm Levern.) Das sparsame Haus wurde gebaut und noch den konstruktiven Hinweis, doch Zeichnun - 46

3 Bielefeld, Voltmannstr. 17. 2009. gen in anderer Form vorzulegen. Auch hier wen - rauf, am 15. Mai 1929, zu antworten. Darin be - dete man sich nach dem Einspruch des Bauherrn dauert Körner, dass nur ein geringer Teil der heu - an den Landrat, der seinerseits nicht selber rea - tigen Architekten … den allgemein anerkannten gierte, sondern ein Gutachten – von Kreisbau- Formgesetzen folgen, welche übrigens grundsätz - berater Architekt Kramer und dem damaligen lich jedes Detail verwerfen. Diese „allgemeinen Direktor der Kunstgewerbeschule Bielefeld, Prof. anerkannten Formgesetze“ im neuen Bauen gal - Wörnle – einforderte. In diesem äußerten die Gut - ten für Körner keineswegs als a priori verwerf - achter sich positiv, da das neue Haus in seiner lich, sondern in der konsequenten Anwendung Umgebung zwar fremd und eigenartig erscheinen als ein Qualitätsmerkmal. Allerdings im vorlie - werde, trotzdem aber bei guter Detaillierung u. genden Fall – so fährt er fort – handelt es sich nur anständiger Ausführung sehr gut aussehen kann. (um) ein modisches Mäntelchen um ein im Kern Diesem Gutachten schloss sich der Landrat an recht altmodisches Haus mit mangelhaftem und verfügte die Bauerlaubnis. Der Bürgermeis - Grundriss gehängt. Das alles würde jedoch wohl ter wiederum gab nicht auf, sondern wendete kein Grund sein, dem Bauvorhaben die Genehmi - sich mit der Bitte nach einer weiteren gutachtli - gung zu versagen. Denn über seinen Grundriss chen Stellungnahme gar an den Provinzialkon - muss der Bauherr entscheiden und andererseits servator in Münster, Johannes Körner (1921 bis wird vielfach den Häusern ein ebenso gesuchtes 1931). In seinem Anschreiben betont der Bürger - und gewolltes ‚bodenwüchsiges‘ Kleid angetan, meister, dass er den Entwurf keineswegs aus kon - das ebenso wenig das Bedürfnis nach klarer Or - servativer Haltung ablehne. Vielmehr sei er – der ganisation und einer für solche kleinen Bauten Entwurf – der Umgebung nicht angepasst und selbstverständlichen schlichten und anspruchslo - müsse insbesondere auf das flache Dach … ver - sen Haltung befriedigt wie der vorliegende prä - zichten. Ferner sei er entgegen der Meinung des tentiöse Entwurf. Ausschlaggebend ist hier aber Bauherrn mündlich mit dem Landrat einer Mei - folgendes: Wenn das Haus in eine Gruppe oder nung darin, dass die äußere Ansicht des Hauses Reihe anderer Häuser gestellt werden soll, wel - einfach scheußlich sei und wegen der drohenden che eine annähernd einheitliche und dabei gegen Verunstaltung der Gegend erbitte er eine gut - die Vorlage gerichtete Haltung aufweisen, (was achtliche Stellungnahme. Der Provinzialkonser - hier allerdings nicht der Fall war) so wird da - vator, eigentlich zuständig für die Pflege von durch gegen ein fundamentales Prinzip des Denkmälern, von denen sich aber auch in der Städtebaues verstoßen, welches die Unterord - weiteren Umgebung keine fanden, ließ es sich tat - nung des Einzelnen und die Rücksichtnahme auf sächlich nicht nehmen, sich auf das Gebiet der den Nachbarn fordert. In diesem Falle müßte auf Architekturkritik zu begeben und mit seiner er - Abänderung des Entwurfes bestanden werden. betenen Stellungnahme bereits sechs Tage da - Gez. Körner. 47

4 Telgte, Einener Str. 12a/b.

Körner war also keinesfalls ein Gegner des Neuen Beispiele Bauens. Er plädierte allerdings für mehr Qualität Bei all den Vorbehalten gegenüber dem moder - und für weniger oberflächliche Aufmerksamkeit nen Bauen in Westfalen war doch auch nicht im - erheischende Selbstgefälligkeit, wie er sie am mer die Skepsis gegenüber dem flachen Dach Entwurf des Bielefelder Hauses feststellen Auslöser für engstirniges und provinzielles, letz - konnte. Der Bürgermeister dagegen blieb gegen - tens aber dann doch gescheitertes Ablehnen mo - über dem Landrat bei seiner Ablehnung des Bau - derner Bauausführungen. Und so manch hervor - gesuches ( bin aber bereit, die Baugenehmigung ragendes Beispiel in Westfalen bezeugt auch zu erteilen, wenn er der äußeren Gestaltung des heute noch das Selbstbewusstsein einzelner Bau - Gebäudes eine Ansicht gibt, die sich der Umge - herren, sich gegen den Strom doch zumeist tradi - bung anpasst) , bis der Landrat schließlich am tioneller, heimatlich verwurzelter Bauweisen am 27. Mai 1929 die Diskussion mit der klaren An - eigenen Ort eine individuelle Haltung des Moder - weisung beendete, die nachgesuchte Bauerlaub - nen und Fortschrittlichen anzueignen und zu of - nis baldigst zu erteilen . fenbaren. Dieser Haltung kamen auf der anderen Das letzte Beispiel eines aus heutiger Sicht gleich - Seite und auf ebenso offene und wenig bürokrati - falls eigentlich harmlosen Entwurfes steht in sche Weise häufig auch die zuständigen Baube - Telgte (Abb. 4). Es handelt sich um das Vorhaben hörden entgegen. Dafür sollen im Folgenden ei - des damals in Münster lebenden Bildhauers Hans nige und auch für die formale Bandbreite der Mo - Dinnendahl, für den Architekt Emil Pfoser aus derne charakteristische Beispiele stehen. 5 Mülheim/Ruhr 1936 den Plan lieferte. Zwar er - Anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass West- folgte Ende März des Jahres schon die Bauer - falen, ohne Düsseldorf oder Köln, geschweige laubnis vom Landrat; dennoch wandte sich einen denn Frankfurt oder Berlin, keine vergleichbare Tag später der Bürgermeister der Stadt Telgte Metropole als Ballungsraum der Moderne hervor - persönlich ebenfalls an den Provinzialkonserva - bringen konnte. Die Folge war, dass die Architek - tor in Münster, Wilhelm Rave (1931 bis 1952), da ten der modernen Bewegung häufig zu Gastspie - das Doppelhaus – weil es eben ortsfremde , damit len nach Westfalen eingeladen wurden und ihre zugleich „verunstaltende“ Gestaltungelemente sichtbaren Zeugen eher spärlich und zuweilen an aufwies – nach seiner Meinung zu nahe am alten vielleicht unerwarteten Orten auftauchen – wie ja Passionsweg stehen sollte. Leider ist nicht akten - auch das o. g. Beispiel in Stemwede zeigt. kundig, welche Stellungnahme der Provinzialkon - Vordergründig scheint das auch im Falle von servator Rave abgab, doch widerrief der Landrat Häusern in Iserlohn so zu sein. Doch hatte hier recht bald darauf seinen eigenen Widerruf der der Vater des Unternehmers Otto Heutelbeck bereits erfolgten Baugenehmigung und das in schon 1903 den renommierten Kaufhausarchi - Frage stehende Doppelhaus wurde gebaut. 4 tekten Otto Engler dafür gewinnen können, einen 48

5 Iserlohn, Im Tückwinkel 7. 2010.

6 Iserlohn, An den Sieben Gäßchen 9. 2010. modernen und sehr bemerkenswerten Jugend - sich mit ihren ein-, zwei- und dreigeschossigen stilentwurf für sein Kaufhaus in Iserlohn zu ent - Baukuben entgegen der vorgegebenen Abwärts - werfen. Auch Otto Heutelbeck selbst suchte in richtung des hügeligen Geländes aus. Besonders den 1920er Jahren nach einem modernen Archi - die hohen Kaminzüge durchstoßen voller Absicht tekten für sein Wohnhaus in Iserlohn, den er in die doktrinären Vorschriften horizontal orientier - der Architektengemeinschaft Carl Georg Bensel ter Betonung durch Ineinanderschachteln von und Johann Kamps aus fand. Dieses klar umrissenen stereometrischen Bauelemen - Büro hatte sich in der Großstadt gerade profiliert, ten. Bensel koordiniert – nach seinen eigenen besonders mit Privathäusern und im kommuna - Vorstellungen – die Organisation des Hauses von len Wohnungsbau, und zählte dort zu den Prota - innen nach außen und um die Kamine herum. Er gonisten des Neuen Bauens. Die virtuose Verwen - war eben nicht doktrinär – aber trotzdem, wenn dung von Backstein mit seiner spröden Farbigkeit auch mit voller Absicht „abweichlerisch“, völlig und zeichnerischen Belebung seiner Fugen ver - modern. mittelte dem Büro seinen besonderen Ruf, auch Ganz anders löste Manfred Faber (1879–1942 mit diesem Material in der modernen Formen - [?]), Architekt aus Köln, seine Aufgabe, für den sprache bauen zu können. Bensel (1878–1949) Rechtsanwalt Dr. Klute, ebenfalls in Iserlohn, ein war aber nicht nur bekannter Architekt, sondern neues Wohnhaus zu entwerfen (Abb. 6). Faber auch in Iserlohn geboren und 1913 nach Ham - galt bis in die erste Hälfte der 1920 Jahre in Köln burg gegangen. als Vertreter traditionellen Bauens, dann aber – Die Villa Heutelbeck aus dem Jahr 1925 (Abb. 5) in der zweiten Hälfte der 20er Jahre – als „eifri - greift dieses „naturnahe“ Material auf und breitet ger Verfechter des Neuen Bauens“ 6. Die Villa 49

7 Soest, Rosskampfsgasse 6. 1992.

8 Soest, Thomaetor 3–9. 2010.

Klute aus dem Jahr 1930 kann so als ein Höhe - höheren Bürgertum. Die drei Unternehmervillen, punkt dieses seines Strebens während dieser die hier entstanden, sind den privaten Verbin - Phase stehen. Sie zeichnet sich aus durch Vielan - dungen einer der Familien – genauer: der Gattin sichtigkeit der geputzten und hell gefassten Fas - des Kommerzienrates Plange – zu verdanken. So saden, die das Ergebnis plastischer Anordnungen entstand hier zwischen 1924 und 1930 die einzig - ineinandergesteckter und sich gegenseitig über - artige Folge von Häusern für Plange, Sternberg ragender, sich aussparender und geschlossener, und Jahn. Die kleinste der drei, die Villa Plange sowie kantiger und gerundeter Elemente mit ih - (Abb. 8), wurde im Krieg teilzerstört, aber wieder ren individuellen Linienführungen sind. Die Villa hergerichtet und ihre verstreute Ausstattung spielt mit der raum-zeitlichen Wahrnehmung des fand zu einem guten Teil im vergangenen Jahr Betrachters wie eine dreidimensionale Skulptur, den Weg zurück. Die Villa Jahn besticht im Innern deren plastische Dynamik sich nur durch dessen besonders durch die Vielfalt verwendeter exoti - eigene körperliche Erfahrung erschließt. scher Furnierhölzer ihrer Ausstattung. Und das Bruno Paul (1874–1968) zählt zu den Pionieren Haus Sternberg (Abb. 7) beherbergt auch heute unter anderem der Bewegung des Deutschen noch weitgehend das originale Mobiliar, das Paul Werkbundes, zu dessen Gründungsmitgliedern er selber entworfen und über das Richmodishaus in neben Muthesius, Behrens und Poelzig 1907 ge - Köln nach Soest geliefert hat. Die Architektur hörte. Als Architekt Autodidakt – zu seiner Zeit folgt dabei bei aller Schlichtheit im Äußeren einer nichts völlig Ungewöhnliches – findet Paul von ei - Entwurfsorganisation von innen nach außen – im ner „klassizistisch geprägten Landhausarchitek - Kern eigentlich der Raumentwicklung um einen tur“ zu einer „urbanen Architektur“ 7 der Groß - vorhandenen zentralen und großen Kamin in den stadt. Er arbeitete in Berlin (von ihm stammt u. a. Villen herum und in den umgebenden Land - mit dem Kathreiner-Haus das erste Hochhaus in schaftspark hinein, der wiederum durch hohe Berlin) ebenso wie in Köln (als Begründer des Fenstertüren einen „organischen“ Zugang in die Richmodishauses), wo das Disch-Haus auch Tektonik der Architektur erhält. Die zugrunde heute noch und zu Recht als Inkunabel des mo - liegende Auffassung einer solchen Architektur dern movement gilt. des Ineinanderschachtelns von Elementen, der Pauls Auftraggeber im westfälisch-provinziellen Entwicklung um eine Feuerstelle herum und der Soest rekrutierten sich standesgemäß aus dem Verschränkung von Architektur und Landschafts - 50

9 Lemgo, Slawertorwall 15. 2010.

10 Münster, Max-Winkelmann-Str. 10. 2010. raum geht – ganz verwandt ist darin auch Bensel in Düsseldorf betont dieser in seinen – frühen – – sicher auf den bedeutenden Einfluss von Frank Entwürfen die weiße Wand als Fläche, die es mit - L. Wright (1869–1959) zurück. tels der grafischen Wirkung von Fenstern und An anderem Orte in der Provinz – in Lemgo – ent - Fensterbändern zu bezeichnen gilt. Das Wohn - warf der Architekt Ernst Pethig (1892–1956) eine haus Cesarz in Münster aus dem Jahr 1932 Villa aus Stahlbeton unter Flachdach als Wohn - (Abb. 10) ist ein Beispiel für diese flächig-zeichne - haus mit Arztpraxis (Abb. 9) mit dem Ruf des rische, dabei zugleich auf Strenge angelegte Auf - einzigen und markanten Beispiels der Bauhaus- fassung vom Modernen Bauen. Architektur dieser Stadt. Pethig – eigentlich ohne Deutlich verspielter gingen Franz Mönig (?) und jeden nachweislichen persönlichen Kontakt zum Peter Strupp (1891–1992) in ihrem Entwurf für Bauhaus – gelang es, sich in die Moderne gekonnt das fast gleichzeitig (1931/32) entstandene Wohn - einzufühlen und ein bemerkenswert wohlpropor - haus Wiedemann in Münster (Abb. 11) vor: Sie tioniertes Haus zu entwerfen. brechen die geschlossenen, blockhaften Formen War es für jemanden wie Ernst Pethig eher ein auf, stellen sie in unterschiedlichen Höhen in- Ausflug in die Moderne für einen aufgeschlosse - einander und ergänzen sie zum Garten hin um nen Bauherrn, so folgten andere Architekten kon - einen elegant und sich bauchig heraus wölben - sequent den Wegen des eigenen Lehrers, wie z.B. den, rundum verglasten Erker mit Balkon. Bernhard Tönies (1906–1965). Als Absolvent der Aber nicht nur private Architekturbüros waren in Meisterklasse bei Emil Fahrenkamp (1885–1966) der Lage, qualitätvolle Architektur des modern 51 movements zu entwerfen. So erhielt die Stadt Dortmund 1929/30 den Neubau einer modernen Pädagogischen Akademie, die zusammen mit ei - nem Direktorenwohnhaus (Abb. 12) von der Preu - ßischen Staatshochbauverwaltung entworfen worden war. Als Block eines Würfels entworfen, dem ein Teil des Obergeschosses ausgespart und dem zum Garten hin ein gerundeter Erker ange - fügt ist, fehlt es dem einheitlich aus rötlich brau - nem Klinker errichteten Direktorenhaus nicht an distanzierter Strenge. Die gestalterische Kraft der eigentlich unscheinbaren waagerechten Fenstervergitterungen und die Konzentration der Fenster auf die Fassadenmitte der Straßenseite unterstreichen diesen Charakter. Zum Garten, dem privaten Gelände hin, geben dagegen viele Fenster dem Inneren des Hauses Licht. Vielfältig also sind die Beispiele aus dem Neuen Bauen in Westfalen, und nicht erwähnt sind hier andere etwa aus dem Bereich der Industrie. Auch im Kirchenbau gibt es vorzeigbare Beispiele der 11 Münster, Münzstr. 9. 2010. 1920er Moderne. Die ganze Breite ihrer Entwick - lung speziell im Westfälischen aufzuzeigen, wäre Dennoch: Für das Problem, die Wohnungsnot zu allerdings eine besondere Aufgabe, die an dieser bekämpfen, wie man es ähnlich mit den „Ver - Stelle nicht thematisiert werden kann. Doch suchshäusern“ des Bauhauses (s. o.) mit einfa - wurde die Bewegung der Moderne auch in West - chen Materialien, unter Aufwendung geringer fi - falen am stärksten und vor allem durch Bauauf - nanzieller Mittel und trotzdem auch individueller gaben des privaten Villen- und Wohnhauses ge - Gestaltungsqualität versucht hatte, fanden sich tragen. auch in den USA schon seit den 1940er Jahren ganz verwandte moderne Lösungen. Die „Case Nachklang Study Houses“ 8, die als Programm von Muster - Das Neue Bauen überlebte insbesondere durch häusern von der Zeitschrift „Arts of Architecture“ den Exodus seiner exponierten Vertreter vor al - ab dem Jahr 1945 veröffentlicht wurden, waren lem in die USA – es sei denn, man blieb und passte Entwürfe namhafter Gegenwartsarchitekten. sich den Verhältnissen an. Nach dem Kriege und Diese wurden hier jedem Interessenten eines während der Wiederaufbauzeit versuchte man Neubaus zur Verfügung gestellt, gleichsam wie bei uns häufig, an die konservativere Tradition das Schnittmuster eines Kostüms, das sich eine der 1930er Jahre, besonders im Siedlungsbau, näherfahrene deutsche Hausfrau in einer ein - anzuknüpfen. Direkte Nachfolger der Moderne schlägigen Zeitschrift kostenlos zu eigen machen der 1920er Jahre dagegen findet man im Westfa - konnte. Einfachheit, Erschwinglichkeit und Mo - len der 1950er Jahre nicht. dernität waren dabei die Vorgaben, und es ist

12 Dortmund, Lindemannstr. 84. 2009. 52 nicht unwahrscheinlich, dass sich die jüngere Ar - Einer solchen Orientierung an der Ferne folgte chitektengeneration auch bei uns an solchen oder auch die Siedlung in der Schlesienstraße in Müns - ähnlichen Zeitschriften orientierte – wenn man ter (Abb. 14) von 1963/65 vom Architektenteam nicht sogar gleich die Möglichkeit hatte, selber in Max von Hausen (1919–1995) und Ortwin Rave die Neue Welt zu reisen. Das prominente Beispiel (1921–1992). Denn sie macht durchaus den Ein - der Architekten Hentrich & Petschnigg, die an - druck, als sei den Architekten das Konzept z.B. lässlich ihres Entwurfes für das Phoenix-Rhein - des Case Study House Nr. 21 (1958/60) in der Zeit - rohr-Hochhaus („Dreischeibenhaus“) in Düssel - schrift „Arts of Architecture“ bekannt gewesen dorf 1957 nach New York flogen, um sich dort ih - (Abb. 13). Die Verwendung von Stahl/Beton und res eigenen Entwurfes sicher zu werden, kann in Glas bei einfachster Zusammensetzung, die Ver - dieser Hinsicht ein Schlaglicht auf die neue west - hältnisse von Innen und Außen und die einge - liche Orientierung der Nachkriegsarchitektur schossige Flachbauweise legen eine solche werfen. Kenntnis schon recht nahe und lassen das Voka - bular des „alten“ Neuen Bauens, wie es am Bau - haus begonnen war, in Münster im Sinne einer neuen, jungen Moderne noch einmal deutlich auf - scheinen.

Anmerkungen 1 Die folgenden Zitate nach Hausakte Hügelstr. 167, Ge - meinde Stemwede-Levern. 2 Vgl. Hanke 2005. 3 Die folgenden Zitate nach Hausakte Voltmannstr. 17, Stadt Bielefeld. 4 Nach: Hausakte Einener Str. 12a/b, Stadt Telgte. 5 Für die einzelnen Beispiele s. Quellen und Literatur. 6 Hagspiel 1996, S.826. 7 Pehnt 2005, S.123. 8 Vgl. Smith 2006.

Quellen und Literatur Neben den Hausakten bei den Städten und Gemeinden so - wie den Objektakten im LWL-Amt für Denkmalpflege, sei u. a. folgende benutzte Literatur erwähnt.: Werner Durth, Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900– 1970. – Ursula Richard-Wiegandt, Das neue Münster. 50 Jahre Wiederaufbau und Stadtentwicklung 1945–1995. Münster 1996. – Hans H. Hanke, Weimarer „Haus am Horn“ 13 Case Study House Nr. 21 von 1958–1960. in: Die Denkmalpflege 1/2005, S.75 f. – Jost Schäfer, Neues

14 Münster, Schlesienstr. 40. 2010. 53

Bauen. Die ehemalige Taubstummenanstalt in Soest, in Neue Sachlichkeit. Stuttgart 1994. – John Zukowsky, Archi - Soester Zeitschrift 101. Soest 1989, S.174–183. – Jost tektur in Deutschland 1919 –1939. München/New York Schäfer, Bruno Paul in Soest. Villen der 20er Jahre und ihre 1994. – Henry-Russel Hitchcock/Philip Johnson, Der inter - Ausstattung. Bonn 1993. – Jost Schäfer, Neues Bauen in nationale Stil 1932. Braunschweig 1985. – Wolfgang Pehnt, Westfalen – Wohnhäuser der 20er Jahre, in: Westfalen 72. Deutsche Architektur 1900 bis heute. Stuttgart 2005. – Mar - Münster 1994, S.489–519. – Jost Schäfer, Wohnhäuser aus kante Köpfe aus dem Märkischen Kreis. Iserlohn 1997. – der Tradition der Moderne. Beispiele zur Vielfältigkeit eines Jan Lubitz, Architektenportrait: Carl Gustav Bensel (1878– Ideals, in: basis – bauhaus – …westfalen. Münster 1995, S. 1949) (= unveröff. Manuskript; freundlicherweise von Frau 39–47. – Jost Schäfer, Neuheiten in Damenconfection. Otto Dr. Seemann, Denkmalbehörde Hamburg, zur Verfügung Englers Jugendstilkaufhaus in Iserlohn, in: Denkmalpflege gestellt). – Wolfram Hagspiel, Köln. Marienburg (= Stadt - in Westfalen-Lippe 2/97, S. 65–70. – Joseph Lammers, spuren Bd. II). Köln 1996. – Sylvaine Hänsel/Stefan Reth - Wohnen in den Sechzigern. Siedlung Schlesienstraße in feld, Architekturführer Münster. Berlin 2008. – Elisabeth A. T. Münster, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 2000, Smith, Case Study Houses 1945 –1966. Der kalifornische S. 60 –71: – Christoph Heuter, Zwei ungleiche Schwestern. Impuls. Köln 2006. Ernst Pethig in Lemgo, in: Denkmalpflege in Westfalen- Lippe 2/03, S. 49–58. – Ilse Maas, Raumkunst des Architek - Bildnachweis ten Bruno Paul an seinen Bestimmungsort zurückgekehrt, LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen: 1–3, 8–10, 12, 14 in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 1/09, S. 22 f. – Vittorio (Schäfer); 7, 13 (Dülberg); 11 (Nieland) – Telgte, Hausakte M. Lampugnani/Romana Schneider (Hg.), Moderne Archi - Einener Str.: 4. – Stadt Iserlohn (Knaack): 5, 6. – Repro aus: tektur in Deutschland 1900 bis 1950. Expressionismus und Case Study Houses, S.64: 13.

Hans H. Hanke Der sehr verrufene Schlieperblock Notwohnungen von 1928 bis 1936 in Iserlohn Eines der bekanntesten Wohngebiete in Iserlohn ist der „Schlieperblock“. Zuletzt wurde er im Magazin „Der Spiegel“ als einer der Ausgangsorte der Popgruppe „Tic Tac Toe“ 1 be - schrieben. An Anker- und Kreuzstraße, an Meisen-, Drossel- und Grünem Weg wurde die Siedlung in drei Abschnitten 1928 bis 1930, 1930 bis 1932 und 1936 nach dem Entwurf des Architekten Theodor Hennemann aus dem Stadtbauamt Iserlohn errichtet. Ein Ladenlokal an der Kreuzstraße mit Wohnhaus wurde 1950/51 ergänzt, ein eingeschossiger Anbau wurde am südlichen Ende der Ankerstraße 1952 errichtet. In diesem Zustand ist die Siedlung noch heute als nahezu geschlossene Gesamtanlage erhalten. Es handelt sich um Notwohnungen für Erwerbslose.

Eigentümerin war die Stadt Iserlohn, bis die Woh - Zwei Kopfbauten am Grünen Weg wurden 1936 nungen um 1941 an die Iserlohner gemeinnützige als Einzelobjekte errichtet. Die Siedlung umfasst Wohnungsgesellschaft GmbH (IGW) übergingen. eine große Rasenfläche, die früher wohl für Wä - Die Bezeichnung „Schlieperblock“ ist den Bauak - schepflege und Freizeit diente. In den Gebäude - ten von 1935 zu entnehmen. Die Ankerstraße hieß zeilen, die in leichter Hanglage errichtet wurden, bis 1939 Schlieperstraße, in der Nachbarschaft sind die Einzelhäuser mit einem Versatz von etwa der Notwohnungsbauten war „Heinr. Schlieper“ 70 cm gestaffelt. Die Häuser sind zweigeschossig, als ein Grundstückseigentümer verzeichnet, die unterkellert und mit Flachdach gedeckt. In jedem „Kettenwerke Schlieper“ lagen 1000 m entfernt. Geschoss befinden sich zwei Wohnungen. Bis auf Ein ursprünglich vermuteter Bezug der Siedlung geringfügige Größenunterschiede wurden Woh - zu diesen Iserlohner „Schlieperwerken“ besteht nungen mit zwei Zimmern bis 29 m² oder drei nicht. Im Gegenteil bat Admiral Schlieper den Zimmern bis 40 m² ausgeführt. Die Wohnungen Oberbürgermeister bereits 1930 zu erwägen, ob im Sockelgeschoss werden über eine Außen - man der Schlieperstraße nicht einen anderen Na - treppe erschlossen und die in den Obergeschos - men geben möchte, da die nunmehr an der Schlie - sen über eine separate hausinterne Treppenan - perstraße sich zeigenden Verhältnisse nicht dazu lage mit eigenem Zugang von der gegenüberlie - beitrügen, ihren Familiennamen zu heben. 2 Insbe - genden Hausseite. In jedem Stockwerk stand je sondere betonte er, dass er seine umliegenden zwei Wohnungen eine Toilette zur Verfügung, die Ländereien nicht mehr verpachten könne, da die vom Gemeinschaftsflur zugänglich war. Im jüngs - gärtnerischen Anlagen von Kindern aus der ten, südöstlichen Siedlungsteil am Drosselweg Schlieperstraße immer wieder zerstört würden. hatte jede Wohnung ein WC. Alle Wohnungen ver - Die Gebäude sind als Reihenhäuser in Zeilen zu fügten über Spülstein und Ofenheizung – aller - drei, fünf und sechs Einheiten zusammengefasst. dings liegen über die Häuser am Grünen Weg 54

1 Iserlohn, Schlieperblock. Siedlung mit Notwohnungen, erbaut 1928–1936. Meisenweg von 1925 bis 1930. 2010. keine besonders genauen Informationen vor. Der tauscht worden sind. Die Wohnungen wurden im „Schlieperblock“ besaß ursprünglich 100 Woh - Inneren mehrfach modernisiert und für den Ein - nungen. bau von Bädern in der Raumaufteilung etwas ge - Die Kellergeschosse sind aus Ziegelsteinen ge - ändert. Die beiden Häuser am Grünen Weg befin - baut, die anderen Geschosse aus Schwemmstein - den sich in privatem Eigentum und sind zwar mauerwerk und Luftschicht-Isolierung, die De - stärker modernisiert, ihre ursprüngliche Gestalt cken im Kellergeschoss aus Splittbeton zwischen ist aber klar erkennbar geblieben. T-Eisen, die Decken über dem Erdgeschoss aus Die Siedlung gehört in Westfalen, in dem über - Holzbalken, Spalierdeckenputz und Schutzde - wiegend konservative Architekturformen rezi - cken. Die Bedachung ist ein 2-lagiges Bitumen- piert wurden, zu den ganz seltenen Baugruppen, Pappdach mit rund 40 cm Vorkragung und 3 % die sich an der Moderne der Zwanziger Jahre des Neigung. 20.Jahrhunderts orientieren. Das Objekt, das für Die Gebäude werden von zwei Seiten erschlossen die äußere Gestaltung und Bautechnik als Vorbild und weisen darum auf beiden Seiten schlichte gedient haben könnte, ist die von Walter Gropius drei- bis fünfachsige Putzfassaden auf. Den Mit - 1926 bis 1928 errichtete Siedlung Dessau-Törten. telachsen aus Haustür und Flurfenster sind an ei - Diese Siedlung war bekanntlich eine viel beach - ner Hausseite kleine Toilettenfenster zugeordnet. tete Versuchssiedlung rationeller Baumethoden In der älteren Baugruppe am Meisenweg werden für ärmere Bevölkerungsschichten. Von daher ist die oberen Fenster durch Simse gekoppelt, an anzunehmen, dass sie auch im Iserlohner Stadt - Ankerstraße und Drosselweg sind die Häuser bauamt bekannt und interessant sein konnte. Die durch die Überdachung des Hauseingangs ge - Bauunterlagen zeigen, dass man sich deutsch - ziert. Nur die jüngsten Häuser am Drosselweg landlandweit nach dem Bau von Notwohnungen weisen quadratische Lüftungsöffnungen am erkundigte. Um für die Raumaufteilung Ver - Dachgesims auf, die wohl auch als Bauschmuck gleichsbeispiele zu finden, muss man Ernst Mays gedacht waren. Hier sind auch die Fassaden Frankfurter Siedlungen berücksichtigen, insbe - streng symmetrisch, weil in dieser Hausreihe die sondere zur Erwerbslosensiedlung Goldstein in WC-Fenster rechts und links der Eingangsachse Frankfurt-Schwanheim, die 1926/27 entworfen, angeordnet sind. Die Fenster des ersten Bauab - aber erst 1932 gebaut wurde. 3 In Westfalen ist schnittes am Meisenweg hatten Hochformat und der „Schlieperblock“ am stärksten mit der Gel - waren sprossengeteilt, im zweiten Bauabschnitt senkirchener Genossenschaftssiedlung „Spinn - wurden dreigeteilte Fenster in liegendem Format stuhl“ verwandt, wobei in Gelsenkirchen 1926 bis verwendet. 1928 mit dem Architekten Josef Heinrich Rings Obwohl die Gebäude einige Veränderungen er - eindeutig der erfahrenere Architekt für eine fahren haben, wiegen diese jedoch nicht so überdies anspruchsvollere Bauaufgabe tätig schwer, als dass der Denkmalwert erloschen wurde, 4 was schon darum nicht erstaunt, weil wäre. Die gravierendsten Veränderungen betref - Rings 23 Jahre älter war als Hennemann. Jeden - fen die Fenster, die nahezu ausnahmslos ausge - falls zeigen die Vergleiche mit Dessau, Frankfurt 55 und Gelsenkirchen, dass Iserlohn auf dem neues - ten Stand des Wissens war. Wie dort haben die Häuser in Iserlohn durchgehend ein Flachdach und entsprechen in ihrer schlichten, verputzten Form, die nur einige Simsbänder als Schmuck aufweist, den modernsten Gestaltungsauffassun - gen der damaligen Zeit. Ihre Anordnung um die Grünfläche, die Staffelung in den Gebäudezeilen sowie die vorkragenden Flachdächer zeigen, dass auch bei schwächeren Entwürfen der Moderne die städtebauliche Figur unverwechselbar und ansprechend bleibt. Notwohnungen der 1920er Jahre sind nach jetzigem Kenntnisstand in West - falen kaum überliefert. Das einzige zeitlich und typologisch vergleichbare Beispiel sind die vom städtischen Bauamt 1930 gebauten zweigeschos - 2 Iserlohn, Schlieperblock. Eingangssituation Drosselweg sigen Laubenganghäuser an der Schulstr. 12 und von 1932. 2010. 14 in Bochum – Wattenscheid. Der junge Architekt Theodor Hennemann (geb. 21. 1. 1901 in Darmstadt) war erst 1928 von Dort - mund als Regierungsbaumeister nach Iserlohn gekommen. Studiert hatte er an der TH Darm - stadt, wo er im Mai 1923 sein Diplom erhielt. So - dann beantragte er seine Zulassung als Regie - rungsbaurat. Ob damit auch seine Entwurfsnähe zur Frankfurter Moderne erklärbar ist, bleibt Spekulation. Belegt ist, dass er mit einem von Ernst Mays Typenhäusern beeinflussten Entwurf nach Iserlohn kam. 5 1934 verließ er Iserlohn und wurde Leiter des Stadtbauamtes Minden. Er war dort insbesondere mit Großbauvorhaben der Zeit betraut wie etwa den Siedlungsvorhaben Kuhlen - kamp sowie den Stadterweiterungen in der Min - dener Heide und in Rodenbeck. Von den Zeitge - 3 Iserlohn, Schlieperblock. Siedlung mit Notwohnungen, nossen wurde insbesondere gelobt, dass er neben erbaut 1928 –1936. Meisenweg. 2010. seinen Fähigkeiten als Baubeamter ein guter Ar - chitekt sei. 1941 bis 1942 wurde er zur Wehr - ihre alten Wohnungen eingewiesen werden, was macht eingezogen, kam dann aber wieder zur erheblichen Unfrieden und Mietkosten für die Stadtverwaltung Minden. Ab Mai 1943 wurde er Stadt mit sich gebracht haben wird. Anlass der zur Bearbeitung von Sofort-Maßnahmen nach Siedlungserweiterung wurde Ende 1928 der Ab - Fliegerschäden zur Stadtverwaltung Düsseldorf riss einer Reithalle an der Baarstraße für den Bau abgeordnet und mit der Leitung des neu einge - des Finanzamtes. Die Halle diente bis dahin als richteten Kriegsbauamtes betraut, aber zugleich Notunterkunft, die Ausgewiesenen zogen dann in auch zur Stadt Krefeld abgeordnet, um dort als die ergänzten Neubauten an der Schlieperstraße. kommissarischer Baudezernent die Planungen in In diesem unerwartet notwendig werdenden der seit dem 22. 6. 1943 weitgehend zerstörten zweiten Bauabschnitt der Notwohnungen ent - Stadt zu übernehmen. 6 schied man sich für die erweiterbare Zeilenbau - Der Architekt Hennemann war offensichtlich weise in aufgelockertem Siedlungsgrundriss, um qualifiziert für seine Aufgaben in Iserlohn. So war für nicht vorhersehbaren neuen Bedarf Ergän - es für ihn wohl auch kein Problem, dass dem ers - zungsmöglichkeiten zu haben. Die Notwohnun - ten Bauabschnitt nicht der später verwirklichte gen mussten gegen die Proteste von Anrainern als Gesamtplan zugrunde lag. 1928 war wohl nur an Ergänzung der bestehenden Häuser errichtet einen normalen neuen Straßenzug mit Reihen - werden, da die Finanzierung zum großen Teil häusern gedacht, orientiert zwischen moderner, über die Programme des Reichsarbeitsministers zugleich preiswerter Kubatur und gängigen De - lief, der nur geschlossene Anlagen unterstützte. 7 tails wie eher althergebrachten Sprossenfenstern Fensterformen und Fassadengestaltung sieht in stehendem Format. Gebaut wurde damals für man an, dass man sich im zweiten und dritten einen konkreten Bedarf, denn 42 Iserlohner Fa - Bauabschnitt noch stärker um die Proportionen milien waren zur Räumung ihrer Wohnungen ge - der Moderne bemühte. Am „Schlieperblock“ ist richtlich verurteilt worden. Sie mussten aber die allmähliche Durchdringung des Baugesche - mangels Unterbringungsmöglichkeiten wieder in hens von Gedanken der Moderne ablesbar. 56

4 Iserlohn, Schlieperblock. Siedlung mit Notwohnungen, erbaut 1928–1936. Ankerstraße von 1930. 2010.

Auch als sozialpolitisches Beispiel einer Architek - Architektur wurde in der Presse von der Rezep - tur, die sich der Moderne durch Bauaufgabe, tion des Ereignisses bestimmt und die Siedlung städtebauliche Anordnung und schlichte Formen eben so schlicht wie falsch beschrieben als „drei zuordnen lässt, ist die Siedlung außergewöhnlich Straßen, in denen sich einstöckige Sozialbauten in Westfalen. Sie gehört zu den gut ablesbaren Er - aneinanderreihen“. 9 gebnissen der Suche nach neuen Formen des Bau - Die Verunglimpfung der Gebäude lässt sich weit ens für ärmere Schichten. Die wesentliche Kos - zurückverfolgen. Der „Schlieperblock“ wurde teneinsparung scheint in dem Verzicht auf einen stets auch „Land der flachen Dächer“ oder „Block Dachstuhl und aufwändige Schmuckformen zu Maroc“ genannt – entsprechend der Weißenhof- liegen, vielleicht auch in der Wahl des Baumateri - Siedlung in Stuttgart, der Siedlung Dessau-Törten als und natürlich in der kargen, aber zweckmäßi - und etlichen anderen flach gedeckten Siedlungen gen Ausstattung der Wohnungen. Dass hier aber der Moderne, die inzwischen hoch geschätzt wer - auch an ein angenehmes Wohnklima gedacht war, den. Das Baudenkmal in Iserlohn hat sich als so - belegt die Anweisung, Decken- und Wandflächen zialer Brennpunkt mit unterschiedlichen Pro - in Leimfarbe zu streichen und mit Friesen oder blemlagen und teilweise bestürzenden Ereignis - Strichen mehrfarbig abzugrenzen 8 und die Anord - sen tief in das Bewusstsein der Iserlohner Bevöl - nung der Häuser um einen begrünten Platz. Es sei kerung eingeprägt und kann aufgrund seiner So - hier angemerkt, dass der Siedlungsbau auch die zialgeschichte von Vielen nicht mehr als baukul - Bauwirtschaft fördern und die Arbeitslosigkeit turelles Erbe wahrgenommen werden – obwohl senken sollte, was in Iserlohn von der Handwerk - gerade in der Sozialgeschichte ein wichtiger As - erschaft sehr aufmerksam gewürdigt wurde. pekt des Denkmalwertes der Anlage zu sehen ist. Die meisten Bauten des „Schlieperblocks“ gehö - Allerdings hat sich 2010 eine Gruppe von Iserloh - ren noch heute der Iserlohner Gemeinnützigen ner Bürgern gefunden, die den seit 1982 mehr - Wohnungsgesellschaft. Ein besonderes Problem fach begründeten Denkmalwert erkannt hat und der Siedlung ist ihr außerordentlich schlechtes sich für eine Neunutzung einsetzt. Image in der Stadt. Die Siedlung war seit dem ers - Der nicht völlig grundlosen Distanz zu den Sied - ten Bezug 1928 durch Wohnungs- und Erwerbs - lungsbewohnern stehen bisher nicht gewürdigte lose ein sozialer Brennpunkt, ein räumlicher und unerforschte sozialgeschichtliche Aspekte Schwerpunkt der Sozialarbeit der Stadt Iserlohn entgegen. Da wird zum einen in Internetforen und Gegenstand der öffentlichen Diskussion – wie und im erwähnten Spiegel-Beitrag die über Jahr - der anfangs erwähnte Spiegel-Beitrag drastisch zehnte intakte, wenn auch eigentümlich agie - belegt, der sich 1997 unter der Überschrift „Der rende Notgemeinschaft in der Siedlung gelobt. Block kennt keine Gnade“ mit einem tragischen Zum anderen ist es nahezu unbekannt, dass die Ereignis bei der Popgruppe „Tic Tac Toe“ be - Siedlung einer der wenigen Iserlohner Orte des fasste. In so einem Zusammenhang wurden die Widerstandes gegen den Nationalsozialismus architektonischen Qualitäten des „Blocks“ selbst - war. 10 Bekanntlich wurde Hitler am 30. 1. 1933 verständlich nicht gedeutet. Die Rezeption der zum Reichskanzler ernannt. Am 26. 2. 1933 57 wurde in der Schlieperstraße ein Kinderzug ge - 10 Ein Abgleich des Einwohnerverzeichnisses mit Informa - bildet und durch die Straßen geführt. An die Kin - tionen zu Verfolgten des NS-Regimes kann hier nicht ge - der wurde dabei andauernd die Frage gerichtet: leistet werden. Als „NS-Unrechtsstätten“ werden von Ste - „Was machen wir mit Hitler?“, worauf die Kinder fan Kraus für Iserlohn die Gefängnisse an Alexanderstraße antworteten: „Aufhängen! Nieder mit Hitler! Hit - und Grunertalstraße genannt. Bekannt und mit einem Denk - ler verrecke!“. Drei Mitgliedern der KPD wurden mal am Poth in Nähe des Bahnhofes gewürdigt ist der als angebliche Anführer dieser Demonstration Mordanschlag auf den führenden Nationalsozialisten Hans nach mehrmonatiger, sicherlich mit Folter ver - Bernsau vor dem Bahnhof am 16. Januar 1933, danach kam bundener „Schutzhaft“ am 31. 8. 1933 zu vier bis es zu Hetzkampagnen gegen Kommunisten. Ein tatver - acht Monaten Gefängnis verurteilt. 11 Bereits am dächtiger Bewohner des Schlieperblocks wurde im Sep - 29. 3. 1933 war der „Schlieperblock“ durch die tember 1933 hingerichtet. (Wikipedia, Art. Iserlohn). Kriminalpolizei abgeriegelt und durchsucht wor - 11 Stadtarchiv Iserlohn. Iserlohner Kreis – Zeitung 1. 9. den. Es wurden laut Bericht der zensierten 1933, Tagespost für den Stadt- und Landkreis Iserlohn 1. 9. Presse geladene Schusswaffen sowie Hieb- und 1933. Es handelte sich um die Verurteilten Bauarbeiter Karl Stichwaffen gefunden. 12 Weitere Belege fehlen, Galeza (36), Schleifer Beinrich (sic) Neuhaus (22) und Kern - aber es ist anzunehmen, dass das NS-Regime den macher Walter Geitz (19). schlechten Ruf des Viertels weiter zu Propaganda 12 Stadtarchiv Iserlohn. Iserlohner Kreis – Zeitung 29. 3. und Terror gegen diesen vermeintlichen Wohnort 1933. von „Staatsfeinden“ 13 nutzte. Auch der die herab - 13 Stadtarchiv Iserlohn. Iserlohner Kreis – Zeitung 1. 9. würdigende Beiname „Block“ taucht anscheinend 1933, Tagespost für den Stadt- und Landkreis Iserlohn 1. 9. erst in der NS-Zeit auf. 1933. Die andauernde negative Außenwirkung des „Schlieperblocks“ hat vor einigen Jahren zu der Quellen und Literatur Entscheidung der IGW geführt, die Siedlung frei - Stadtarchiv Iserlohn: Akten A2/2851, StA Is 1 / 82 Nr. 781. – zuziehen und 2010 ihren Abriss zu beantragen. Stadtarchiv Iserlohn: Zgg 2/77 Nr. 102, 11. 4. 1930 und Die Bausubstanz selbst ist weitgehend in Ord - 7. 11. 1930. – Stadt Iserlohn: Bauakte Ankerstraße. – S-Pro - nung. Ob also ein Abriss wirklich zwingend not - bis GmbH, Konzept: Wohnen am Ackenbrock, Iserlohn wendig, eine Imageänderung denkbar und eine 2009/2010. – S-Probis GmbH, Ergebnisprotokoll Werkstatt - andere Nutzung machbar ist, wird zur Zeit kon - gespräch „Schlieperblock“, 18. 3. 2010. – S-Probis GmbH, struktiv in Workshops mit Architekten, Wirt - Machbarkeitsstudie „Wohnen am Ackenbrock – Nutzung schaftlichkeitsuntersuchungen und einem Bür - des Schlieper-Blocks“, 21. 5. 2010. gerforum hinterfragt. Leo Adler (Hg.), Neuzeitliche Miethäuser und Siedlungen. Berlin 1931 (Nachdruck München 1981). – Martin Ebel, Anmerkungen Wohnungsbau der Nachkriegszeit in Deutschland. Bd. 1. 1 Tic Tac Toe war eine 1995 gegründete deutsche Pop- Wohnungsnot und Wohnungsbau. Berlin o. J. (ca. 1927). – Rap-Gruppe, bestehrend aus drei Frauen aus Iserlohn, Gel - Die vorstädtische Kleinsiedlung Goldstein, Sonderdruck senkirchen und Dortmund. Sie waren mit Titeln wie „Ich find aus: Frankfurter Wochenschau 43/1937. – W. Avieny, Die Dich scheiße“ auf Provokation hin konzipiert. Nach zwei er - volkswirtschaftliche Leistung einer Kleinsiedlung. Aufbau folgreichen Alben trennte sich die Gruppe 2007. und Ertragsgestaltung der Siedlung Goldstein bei Frank - 2 Stadtarchiv Iserlohn Zgg 2/77 Nr. 102, 11. 4. 1930 und furt/M. Frankfurt 1938. – Klaus Novy u. a., Reformführer 7. 11. 1930. NRW. Köln–Wien 1991. – Thomas Hüetlin, Der Block kennt 3 Siedlung Goldstein 1932 am Sauerackerweg 56 begon - keine Gnade, in: DER SPIEGEL 15/1997. – Stiftung Bau - nen. Der erste Bauabschnitt umfasste 380 Siedlerstellen. haus Dessau (Hg.)/Andreas Schwarting (Red.), Die Siedlung 4 Barbara Seifen, Siedlung Spinnstuhl, Gelsenkirchen von Dessau – Törten, Dessau 2001. – Barbara Seifen, Siedlung Josef Rings 1928: „Bauen als Ausdruck des Gemein - Spinnstuhl Gelsenkirchen von Josef Rings 1928: „Bauen als schaftsbewusstseins“, in: Denkmalpflege in Westfalen- Ausdruck des Gemeinschaftsbewusstseins“, in: Denkmal - Lippe 1/05, S.18 ff. pflege in Westfalen-Lippe 1/2005, S. 18 ff. – Stefan Kraus, 5 Stadtarchiv Iserlohn, A2/2851, Baurat 27. 3. 1928, Archi - NS-Unrechtsstätten in Nordrhein-Westfalen. Essen 1999 tekt J. W. Muhm, Frankfurt/M. 12. 7. 1930. (Nachdruck Essen 2007). 6 Stadtarchiv Iserlohn, Melderegister. – Fred Kaspar/Ulf- Dietrich Korn (Bearb.), Bau- und Kunstdenkmäler von West - Medien falen. Stadt Minden. Registerband. Essen 2007. – TH Darm - LWL-Medienzentrum, Kolonnen und Kulissen. Der National - stadt, Archiv, Sign. UA 102, Nr. 3724. Frdl. Auskunft v. Peter sozialismus im Film – Iserlohn 1933–1939, Reihe: Westfalen Trendt, Iserlohn. in historischen Filmen. DVD mit Begleitheft. Münster 2009. 7 Stadtarchiv Iserlohn, A2/2851, Protestschreiben von 80 – www.wikipedia, Artikel „Iserlohn“ (Stand 28. 7. 2010). – Anwohnern vom 24. 3. 1931. – Reichsarbeitsminister/Regie - www.spiegel.de, Artikel „Der Block kennt keine Gnade“ rungspräsident Arnsberg, Ausführungserläuterungen zum (Stand 28. 7. 2010). Wohnungsbauprogramm des Reiches 14. 7. 1930. 8 Stadtarchiv Iserlohn, A2/2851, Ausschreibung 9. 11 . 1928. Bildnachweis 9 Thomas Hüetlin, Der Block kennt keine Gnade, in: DER LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen (Hanke). SPIEGEL 15/1997. 58

Christoph Heuter Scharfsinn für das Wesentliche 1 Energetische Analyse und Sanierungsvarianten für ein Stahlhaus in Dortmund Mit dem Antrag auf Außendämmung des Siedlungshauses An den Stahlhäusern 11 in Dort - mund-Eving stand der Verlust der Denkmalqualität des Gebäudes auf dem Spiel, liegt doch die Besonderheit des Gebäudes in der von außen ablesbaren Bauweise aus Stahltafeln. Folgeanträge der Nachbarn wären zu erwarten gewesen, und dies in einer Siedlung – be - stehend aus sechs Reihenhäusern, zwei Einfamilienhäusern und einem Doppelhaus –, die noch im Jahr 2000 von Ulrike Robeck als „denkmalpflegerisches Vorzeigeobjekt“ bezeich - net wurde. 2

Das Anliegen auf Verbesserung der energetischen Stahlhäuser als Konzept zur Minderung der Bilanz des Gebäudes ist legitim, und schon beim Wohnungsnot ersten Gespräch war das Bedürfnis nachvollzieh - Erbaut wurde die Evinger Siedlung „An den bar: Es zog aus allen Ecken und Ritzen. In einer Stahlhäusern“ im Jahr 1929, zu einer Zeit, in der Außendämmung sah die Eigentümerfamilie die die Wohnungsfrage zu den drängendsten gesell - einzige Lösung, war doch das Innere in den letz - schaftlichen Problemen zählte: Ein künstlich ten Jahren liebevoll ausgestaltet und eingerichtet niedrig gehaltenes Wohnungsangebot nach der worden – hier schienen Baumaßnahmen undenk - Bevölkerungsexplosion des 19.Jahrhunderts, bar. überfüllte Wohnungen in veralteter und mangel - Somit war es ein Anliegen, den berechtigten hafter Bausubstanz, die Wohnungsnot nach dem Wünschen der Eigentümer entgegenzukommen, Ersten Weltkrieg und die Lockerung der Mieter - ohne die Denkmalqualität des Gebäudes zu min - schutzbestimmungen machten den Wohnungs- dern und ohne bei der zweischaligen Bauweise und Siedlungsbau zur zentralen Aufgabe von bauphysikalische Probleme durch eine unsachge - Stadtplanung und Architektur. 4 Die Massen- mäße Dämmung zu bewirken. Die Lösung der arbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise ver - energetischen Fragen musste aus den konkreten schärfte einen strukturell schon lange bestehen - Bedingungen des Gebäudes heraus völlig neu ent - den Missstand. Mit neuen Baustoffen wurde seit wickelt werden: Eine Analyse der Konstruktion dem Krieg experimentiert: In Normierung, Typi - und der klimatischen Eigenschaften aller Bauele - sierung und Präfabrikation sah man die Möglich - mente war erforderlich. Mit der Erarbeitung ei - keit, in großem Umfang preiswerten Wohnraum nes derartigen Konzeptes, das die Aspekte von zu erstellen. Hierbei wurde immer wieder über Denkmalverträglichkeit und energetischer Effek - die Erstellung von Wohnhäusern auch aus Stahl tivität einander gegenüberstellt, beauftragte das diskutiert. LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen das Eines der prominentesten Beispiele im Stahl - Zentrum für Denkmalpflege Schloss Raesfeld. 3 hausbau ist das vom Duisburger Architekten

1 Dortmund-Eving, An den Stahlhäusern 11 –5. Gesamtansicht Februar 2009. 59

Heinrich Blecken (1885–1965) entwickelte und nach ihm benannte „System Blecken“. Heinrich Blecken hatte 1922–24 als Baudirektor der Rheinstahl-Werke deren Hauptverwaltung in Duisburg-Ruhrort, das sogenannte 1000-Fenster- Haus, erbaut. Seine Beziehungen zur Stahlin- dustrie nutzend, wurde er Geschäftsführer der am 13. März 1928 von den Vereinigten Stahlwer - ken, Hoesch, Henschel und anderen Unterneh - men gegründeten Stahlhaus AG mit Sitz in Duis - burg. Nach einigen Prototypen entwickelte Ble - cken ein System in Tafelbauweise. (Abb.3) Die Wandlamellen bestehen aus 3 mm starken ge - kupferten Thomasstahlplatten von 1,15 m Breite und 2,8 m Höhe, mit allseitig 8 cm breiten Innen - borden zur Befestigung untereinander sowie mit dem Kopf- und dem Fußblech. Neben dem Grund - element gibt es Eck-, Fenster- und Türlamellen. Als Fußblech fungiert ein vorgelochtes Stabeisen von 8 cm Breite, das zwischen Fundament und Wandelementen eingefügt wird. Das winkelför - mige Kopfblech dient gleichzeitig als Traufgesims sowie als Auflager für die Deckenbalken. Innen - seitig ist eine Wärmedämmwand eingefügt. Man experimentierte hierbei mit Baustoffen wie Bims - beton, Heraklith oder – wie in Dortmund – Holz - wolleleichtbauplatten. Lüftungslöcher in Kopf- 2 Dortmund-Eving, An den Stahlhäusern 11. Detail der und Fußblech sowie in den Lamellen dienen der Stahlfassade Oktober 2007.

3 Konstruktionsprinzip des Systems Blecken. 60

und Präfabrikation neue Wege im Massenwoh - nungsbau zu finden – und es blieben die 909 er - bauten Stahlhäuser: Mit der Siedlung Habing - horst in Castrop-Rauxel und der Evinger Siedlung stehen allein in Westfalen zwei Siedlungen unter Denkmalschutz, als wichtige Zeugnisse für die experimentellen Bestrebungen der 1920er Jahre, die Wohnungsfrage zu lösen.

Konzept zur energetischen Verbesserung der Stahlhäuser Das Gutachten des Zentrums für Denkmalpflege Schloss Raesfeld, bearbeitet und verfasst von Eberhard Berg, Torben Hartlef und Eckart Zur - heide, stellt eine Bestandsaufnahme und Analyse voran: Aus dem geschichtlichen Abriss des Stahl - 4 Dortmund-Eving, An den Stahlhäusern 11. hausbaues und des Systems Blecken sowie der Außenwände des Systems Blecken. Hausansicht von Bau- und Umbaugeschichte des Hauses An den Nordwest, gelbe Linien zeigen die Lamellenstöße. Stahlhäusern 11 in Dortmund-Eving entwickeln die Autoren die baukonstruktive und energeti - Luftzirkulation und damit der Vermeidung von sche Analyse aller Bauteile. Kondenswasserbildung. Das ziegelgedeckte Als wichtige Erkenntnis – und durchaus als Über - Walmdach hat einen vormontierten hölzernen raschung – kann gewertet werden, dass der Wär - Stuhl. meverlust an den Außenwänden lediglich 16,6 % Aus den Lamellen konnten fünf Haustypen von des gesamten Wärmeverlustes des Gebäudes aus - identischer Tiefe (sieben Lamellen entsprechen macht, ein Wärmedämmverbundsystem (WDVS) 8,05 m) und differierender Breite (3,5 bis 10 La - also nur eine relativ geringe Verbesserung der mellen) als Einzel-, Doppel- oder Reihenhäuser Energiebilanz bewirken würde. (Abb.5) gebildet werden, auf weitere architektonische Zudem wäre ein WDVS für den zweischaligen Gestaltung oder Gliederung wurde verzichtet. Aufbau problematisch, denn die Hinterlüftung (Abb.4) Die über einem konventionell ausgeführ - müsste unterbunden werden, und dadurch wäre ten Keller errichteten Bauten sind nahezu durch - die Rostbildung an den Stahlwänden kaum mehr weg eingeschossig, lediglich ein einziges zweige - kontrollierbar. schossiges Haus ist durch eine Photographie aus Ein viel größerer Anteil der Wärme geht dagegen den 1920er Jahren für Duisburg-Laar belegt. 5 durch die Kelleraußenwände verloren, nämlich Die Erwartungen waren hoch, man hielt eine Jah - 26 %. Und die größten Einsparpotentiale mit ge - resproduktion von über 40.000 Häusern für rea - ringen Investitionskosten bei geringer Einschrän - listisch. Tatsächlich wurden 1928/29 insgesamt kung der Wohnnutzung während der Bauphase nur 886 Wohnhäuser und 23 Bauten für andere bieten die Dämmung der Dachflächen und der Zwecke aus Stahl erbaut. 846 der Wohnungen Dachgeschossdecke. finden sich in 15 Siedlungen, fast ausschließlich Für alle Bauteile wurden im Gutachten die mögli - in Düsseldorf (576) und im Ruhrgebiet, hier koor - chen Einsparpotentiale bei den Energiekosten in diniert durch die Ruhrwohnungsbau AG, die im Relation zu den Investitionskosten gesetzt. März 1928 von den Montanunternehmen mit der Aus dieser Analyse haben die Verfasser viele Ein - Westfälischen Heimstätte und der Rheinischen zelmaßnahmen und zwei aus diesen Bausteinen Wohnungsfürsorgegesellschaft gegründet wor - gefügte, einander polarisierte Konzepte entwi - den war. ckelt und hierbei denkmalpflegerische, funktio - Schon am 4. Oktober 1929 wurde die Liquidation nale und technologische Fragen abgewogen. der Stahlhaus AG eingeleitet. Einen wesentlichen Das aus denkmalpflegerischer Sicht nicht akzep - Grund für das Scheitern des Stahlbaukonzeptes table Konzept 1 mit Außendämmung von Keller- tragen die erhaltenen Bauten in sich: Die energe - und Erdgeschosswänden, das letztlich den Aus - tischen Probleme bewirkten schon zur Bauzeit gangspunkt für das Gutachten bildet, wäre tech - eine mangelhafte Akzeptanz. Man bekam die nologisch weitgehend unproblematisch, da die Rostproblematik nicht in den Griff, die vielen un - gebräuchliche Technik der Außendämmung von verbindlichen Nachfragen waren zu optimistisch Altbauten die EnEV-Anforderungen erfüllt; aller - interpretiert worden und die Häuser wurden ent - dings wäre durch Abdichtung der Hinterlüftung gegen den Erwartungen teurer als vergleichbare für die Stahlplatten eine ernsthafte Gefahr gege - Steinbauten. ben. Da die Maßnahmen zumeist außen ansetzen, Es blieben die in der Weltwirtschaftskrise ver - wären die Hausbewohner funktional wenig be - schärften Probleme der Wohnungsfrage, es blieb einträchtigt und müssten wenig jüngere Moderni - die Bestrebung über Typisierung, Normierung sierungen entfernen. Mit Investitionskosten von 61

5 Dortmund-Eving, An den Stahlhäusern 11. Schematische Darstellung der Wärmeverluste. rund 26.000 Euro könnte eine Reduktion des und nicht zuletzt wohl auch der erwartungsvollen Heizwärmebedarfs von 31,8 % erzielt werden. Bei Neugierde der Eigentümer besteht Aussicht, dass einer Reduktion der Energiekosten von 23 % Haus und Siedlung auch weiterhin als „denkmal - hätte sich diese Maßnahme in 68 Jahren amorti - pflegerische Vorzeigeobjekte“ bezeichnet werden siert. können. Das hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes denkmalverträgliche Konzept 2 sieht bauteilbe - Anmerkungen zogene Maßnahmen vor, die technologisch 1 Mit diesen Worten leitet Rudolf Brackmeyer, Verfasser ebenso wirkungsvoll sind, allerdings den Eigentü - der Monographie „Das Stahlhaus“, o. O., 1928, sein Plä - mern mehr Aufwändungen und Einschränkungen doyer für Heinrich Blecken als Geschäftsführer der Stahl - abverlangen. Durch Maßnahmen im Inneren und haus AG ein. Zit. n. Ulrike Robeck, Alles Blech: Wohnhäuser den Verlust der historischen inneren Dämmebene aus Stahl. Essen 2000, S.37 f. würden die Räume zeitweise unbewohnbar und 2 Robeck, wie Anm. 1, S. 56. es müssten jüngere Modernisierungen entfernt 3 Gutachten: Klimaschutz und Denkmalpflege am Beispiel werden. Zudem liegen die Investitionskosten des eines Stahlhauses. Eine Objektuntersuchung des Zentrums Gesamtpaketes mit 48.000 Euro höher; durch die für Denkmalpflege Schloss Raesfeld im Jahre 2009. Typo - wesentlich größere Einsparung beim Heizener - skript November 2009 in Objektakte LWL-AfDW. giebedarf von 51 % und eine Reduktion der Ener - 4 Vgl. hierzu Christoph Heuter, StadtSchöpfung. Siedlun - giekosten um 46,2 % wäre die Amortisierung in gen der 1920er Jahre in (Wuppertal-) Barmen. Wuppertal 61 Jahren erreicht. 1995, bes. S. 68–71 und 76–81. Konzept 2 stellt somit ein denkmalverträgliches 5 Robeck, wie Anm. 1, S. 43, Abb. 25. Idealziel vor, von dem erste Schritte sofort um - setzbar sind – Dach und Keller – und das in wei - Bildnachweis teren Teilmaßnahmen sukzessive Raum für Raum LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen: 1, 2 (Heuter); realisiert werden kann. Diesen Weg zu beschrei - Zentrum für Denkmalpflege Schloss Raesfeld, Gutachten ten, die Einzelmaßnahmen abzustimmen, ist Auf - S. 16 (Umzeichnung nach: Heinrich Blecken Hg., Das deut - gabe des Jahres 2010. sche Stahlhaus, Berlin 1929, S.9): 3; Zentrum für Denkmal - Dank der detaillierten Arbeit des Zentrums für pflege Schloss Raesfeld, Gutachten S. 27 (kommentierte Denkmalpflege Schloss Raesfeld sowie besonders Fotografie): 4; Zentrum für Denkmalpflege Schloss Raes - dank der Kooperationsbereitschaft, der Geduld feld, Gutachten S. 63: 5. 62

Thomas Spohn Laube, Portikus, Arkade, Wandelgang Varianten der in den 1920er bis 1950er Jahren besonders beliebten architektonischen und städtebaulichen Motive in Westfalen-Lippe Auch die Bezeichnungen Kolonnade, Vorhalle oder Loggia, Bogen- oder Säulengang 1 fallen, wenn von überbauten, erdgeschossigen 2 Räumen die Rede ist, die sich in ganzer Breite des Baukörpers zum öffentlichen Raum der Straße oder des Platzes öffnen, von dort jederzeit betretbar sind und ein witterungsgeschütztes Verweilen oder Durchschreiten ermöglichen. Fast ebenso vielfältig wie die Bauausführung in Material – vom schweren Bruchsteinpfeiler bis zur filigranen Metallsäule – und Gestalt – vom Spitzbogen der Gotik oder später des Ex - pressionismus bis zum geraden Betonsturz – sind die Quellen, aus denen das Motiv sich speist.

Manche sind, wenn nicht autochthon hier ent - dürften stark genug gewesen sein. Dies versucht sprungen, so doch seit Jahrhunderten in Westfa - die folgende – wahrhaft unvollständige – Material - len zumindest fließend. Sie münden in bisweilen sammlung von Baudenkmalen und von (noch) kaum zu entwirrender Verflechtung der Ur - nicht als denkmalwert erkannten Beispielen zu sprünge in eine allgemeine Verfügbarkeit, die von skizzieren, und damit auf ein ergiebiges For - den 1920er Jahren bis in die Wiederaufbaujahre schungsfeld hinzuweisen. nach 1945 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Aber selbst als in den 1930er Jahren keine HJ- Würdeform Führerschule 3 und kein Wehrmachtsgebäude 4 Für die städtische Selbständigkeit ist von Beginn ohne Vorhalle blieb, und selbst die Autobahn - an die eigene Gerichtsbarkeit ein zentrales Ele - tankstellen 5 im Grundrissbild auffallend mykeni - ment. Deshalb ist die Schaffung eines konstant schen Grabanlagen zu ähneln begannen, dürften der Rechtsprechung dienenden Raumes nicht nur die wenigsten Entwerfenden „Die Laube als ost - eine der vorrangigen Anforderungen an das germanisches Baumerkmal“ 6 und damit „Die Vor - Raumprogramm der Rathäuser, sondern es hat halle als Urzelle des griechischen Haus- und Tem - mehr noch – sowohl aus Gründen der Repräsen - pelbaues“ 7 interpretiert haben. Die spätmittelal - tation städtischen Selbstbewusstseins als auch terlichen bis (früh-)neuzeitlichen Vorbilder allein der Teilnahme der Bürgerschaft an der Verkün -

2 Soest, Petrikirchhof mit dem Blick aus der Paradies- vorhalle der Patrokli-Kirche aus der Zeit um 1170 auf die Arkade des Rathausflügels von 1713–17 und die Bogen - 1 Dortmund, Rathaus der Zeit um 1240 in barocker Um - gänge zweier nach Kriegszerstörung wiederaufgebauter gestaltung des Jahres 1740. 1887. Wohn- und Geschäftshäuser. 2009. 63 dung der Rechtsgrundsätze – dessen öffentlich wirksame und öffentlich zugängliche Anordnung oberste Priorität in der Raumstruktur. Die Lösung war schon um 1240 beim Bau des Dortmunder Rathauses gefunden (Abb.1). 8 In dem giebelstän - digen Baukörper öffnet sich die im Erdgeschoss gelegene, mäßig tiefe Laube in ganzer Gebäude - breite mit zwei weiten Bögen unmittelbar zum Marktplatz. Diese Lösung verbreitete sich vom damals bedeutenden Dortmund zusammen mit seinem Stadtrecht im ganzen Norden, und hat auch in Westfalen vielfache Nachfolge gefunden. Ein Bogengang in ganzer Platz- oder Straßen - front findet sich allerdings auch bei traufenstän - digen Rathäusern Westfalens, wie dem Bau von 1532 in Hamm und dem Westflügel des Soester Rathauskomplexes von 1713–17 (Abb.2). Als Würdeform sind Laube oder Bogengang also schon im Mittelalter und der frühen Neuzeit etab - liert und folgerichtig kaum verzichtbarer Be - standteil öffentlicher und herrschaftlicher Ge - bäude, und in der Folge auch anderer, auf Reprä - 3 Attendorn (Kreis Olpe), Rathaus von 1953, Architekt Carl sentanz abzielender Architektur. Beckmann. 2010. Prägnant ist das Beispiel der Stadtväter Unnas, 9 denen der relativ geschlossene Kubus ihres trau - fenständigen, siebenachsigen Rathauses mit drei - achsigem Mittelrisalit, den zu Zeiten einge - schränkter städtischer Selbstverwaltung im Jahr 1833 ein preußischer Baumeister im kargen Klassizismus der Oberbaudeputation entworfen hatte, zu wenig nach Rathaus aussah, und die deshalb 1924 den Umbau des Erdgeschosses zu einer Bogenhalle veranlassten, die „bald ein be - liebter Treffpunkt“ wurde, wie der Chronist be - richtet. 10 Nachfolgebauten des mittelalterlichen Rathaustyps entstanden bis in die 1950er Jahre, wie – mit Giebel-Lauben – etwa das Amtshaus des ehemaligen Amtes, bzw. das heutige Rathaus der 4 Hamm, Sparkasse von 1951 an Stelle des kriegszer- Stadt Marsberg, das 1952 nach dem preisgekrön - störten Rathauses von 1532; allerdings wurde gegenüber ten Wettbewerbsentwurf des Dortmunder Archi - dem Vorgängerbau ein Geschoss aufgesetzt, auf das tekten Victor Sauer entstand, oder das Rathaus barocke Mansarddach verzichtet und die Zahl der Bögen der Stadt Attendorn aus dem Jahr 1953 nach Ent - von acht auf neun erhöht. 2010. wurf des Architekten Carl Beckmann (Düsseldorf/ Essen) (Abb.3). Von ähnlicher Qualität, jedoch mit einem lang gestreckten Bogengang des trau - fenständigen Baukörpers, war auch einer der Entwürfe von 1945 der Architekten Wolters/Ber - litz für den Neubau des Rathauses in Coesfeld; 11 diese Planung blieb allerdings unausgeführt. In Hamm entstand nach Kriegszerstörung an alter Stelle des Rathauses ein Neubau mit dem Motiv der dem Vorgängerbau entlehnten Bogenhalle in ganzer Länge (Abb.4); das neue Gebäude ent - stand jedoch nicht erneut als Rathaus, sondern als Hauptsitz der städtischen Sparkasse. 12 Und schließlich sei mit der einer Bogenhalle ähnlichen Eingangssituation des Reichsbank-Gebäudes in Formen des Backsteinexpressionismus von 1926– 27 in Gelsenkirchen ein weiteres Beispiel eines Geldinstituts angeführt (Abb.5), bei dem jene Würdeform zur Anwendung kam. 13 5 Gelsenkirchen, Reichsbank von 1926–27. Um 1980. 64

in Berlin-Staaken 15 von Paul Schmitthenner, an der Wolf mitgearbeitet hatte, zurückführen. Sie hat zahlreiche Vergleichsbeispiele 16 in der dem Heimatschutz verpflichteten 17 Architektur. Einen veritablen Stadteingang an Stelle des ehe - maligen Kölner Tors beschlossen 1949 die Stadt - väter Siegens für den Wiederaufbau der weitge - hend kriegszerstörten Stadt. Von den beiden drei - geschossigen Bauten in gemäßigt moderner For - mensprache, geputztes Mauerwerk unter Walm - dach und mit jeweils einem von Pfeilern getrage - nen Vorbau ,18 wurde jedoch nur einer fertig ge - stellt, der andere dagegen zu Gunsten für not - wendig erachteter Straßenverbreiterungen auf - gegeben. Ebenfalls nur auf einer Seite realisiert 6 Münster, Mauritztor von 1832. Photogravüre um 1870. wurden Kopfbauten mit Arkaden an der Bres - lauer Straße in Espelkamp. Sie ist die Hauptachse der nach 1945 auf dem Gelände der 1939 ge - gründeten Heeresmunitionsanstalt entstandenen und 1959 mit Stadtrechten versehenen Kommune im Kreis Minden-Lübbecke. Im Zuge der Stadt - werdung entstand in leichter Krümmung – zwi - schen dem Standort des erst geplanten Rathauses und der evangelischen Thomaskirche als opti - schem Bezugspunkt – eine zweigeschossige Laden- zeile. Mit Arkaden vortretende Kopfbauten bilde - ten 19 hier allerdings nicht nur Auftakt und End - punkt, sondern zusätzlich auch gliedernde Ele - mente der lang gezogenen Häuserreihe (Abb.8).

Flanierzone Während bisher Sonderbauten aufgelistet wur - 7 Münster, Siedlung Habichtshöhe von 1924–26, Architekt den, die sich durch das Vortreten aus der sonsti - Gustav Wolf. 2008. gen Bebauungsflucht der Plätze und Straßen aus - zeichnen, sind als weitere Gruppe jene überwie - Stadteingang gend privaten Häuser zu nennen, deren zu langen Weitere historische Bauaufgaben, bei denen ein Arkaden addierte Bogengänge im Gegensatz überdachter, teil-öffentlicher Raum fast obligato - dazu die Baufluchten markieren. Die Inkunabel risch war, sind die Wach- und die Akzise- bzw. einer solchen ‚Arkadenstadt‘ ist auf deutschem Torschreiberhäuser. Diese einstöckigen Gebäude Boden das 1599 gegründete Freudenstadt im wurden nach dem Abbruch der Stadtbefestigun - Schwarzwald. Der riesige Marktplatz in der geo - gen im frühen 19.Jahrhundert an Stelle der frü - metrischen Stadtanlage nach dem Plan von Hein - heren Stadttore errichtet. Wo man in den größe - rich Schickhardt – gedacht in den Vorstellungen ren und mittleren Städten gestalterischen Auf - der Renaissance als ‚ideale‘ neue Residenzstadt wand betrieb, erfolgte – wie etwa 1832 am Mau - Württembergs – wurde bis zur Kriegszerstörung ritztor in Münster (Abb.6) 14 – eine symmetrische 1945 von giebelständigen Häusern mit Arkaden Anlage mit zwei identischen Gebäuden, deren gesäumt. Der Wiederaufbau erfolgte im Geiste dreijochige, übergiebelte Portikus den Eingang in der Heimatschutz-Architektur unter Leitung des die Stadt markieren. Wetzel- und Schmitthenner-Schülers Ludwig Dieses Bild der beidseitig vor die übrige Gebäu - Schweizer mit nunmehr traufenständigen Häu - deflucht springenden Baukörper mit Arkade sern, die in geschlossener Reihe mit durchgängi - wurde schnell zum Symbol des ‚Eingangs‘, und gen Arkaden den Marktplatz rahmen. 20 blieb bis weit ins 20.Jahrhundert wirkungsmäch - Solche Bogengänge sind jedoch nicht nur ein Phä - tig. Das Motiv spielte nicht nur im Städte- sondern nomen der traditionellen Architektur alpenländi - auch im Siedlungsbau der 1920er Jahre eine scher Städte 21 oder des norditalienischen 22 und bedeutsame Rolle. Das wohl klarste Beispiel in französischen 23 Barocks, der klassizistischen Pla - Westfalen ist die von Gustav Wolf, damals Baudi - nungen in Residenzstädten des deutschen Süd - rektor der Westfälischen Heimstätte , entworfene westens 24 oder des traditionalistischen Wieder - Siedlung ‚Habichtshöhe‘ (1924–26) in Münster aufbaus in Ostpreußen nach 1915, 25 sondern ha - (Abb. 7); deren Eingangssituation lässt sich un - ben auch in Westfalen weit zurück reichende mittelbar auf die 1914–17 entstandene Siedlung Wurzeln. Deren bekannteste – der langgezogene 65 und seit dem Mittelalter von durchgängigen Bo - posanten Sakralbau als Bezugspunkt – geschaf - gengängen unter giebelständigen Häusern ge - fene Krämersdorf in Hattingen prägnantestes säumte Prinzipalmarkt zu Münster, der, wie Freu - Beispiel (Abb. 10). Der Entwurf des Stadtbaurats denstadt, im Wiederaufbau nachempfunden Ulrich schon aus dem Jahr 1946 wurde in mehre - wurde – ist so häufig gewürdigt, 26 dass hier der ren Bauabschnitten bis in die frühen 50er Jahre bloße Verweis genügt. Weniger geläufig ist das fertig gestellt. Auch in Soest, das entgegen der Wissen um die historischen Arkadenhäuser im landläufigen Meinung und dem flüchtigen Blick Zentrum von Soest. 27 zu etwa 60 % zerstört war, bilden die Bogengänge Neben dem Rathausflügel von 1713–17 (Abb.2) sind insgesamt fünf Privathäuser mit Bogengän - gen nachweisbar, darunter ein erhaltener Fach - werkbau von 1666 und ein Massivbau aus dem Jahr 1941; dieser weist hinsichtlich des Bogen - gangs durchaus Ähnlichkeit mit dem schon 1940 durch Bomben zerstörten Vorgängerbau auf. Alle standen bzw. stehen nahe des einstigen Stahlga - dums , das einen Teil des heutigen Marktplatzes einnahm. Anders als in Münster waren die Soester Bauten jedoch alle mit der Traufe zur Straße bzw. dem heutigen Platz orientiert sowie wenigstens durch einen Bauwich getrennt, so dass bis ins 20.Jahrhundert wohl keine durchge - henden Arkaden existiert haben dürften. Nach - weislich in den 1920er Jahren wird das Thema des Laubengangs in Soest wieder virulent. Mit ge - 8 Espelkamp (Kreis Minden-Lübbecke), Ladenzeile der putzten Wandflächen und Architekturgliedern 1950er Jahre an der Breslauer Straße. 2006. aus dem örtlichen Grünsandstein dem Heimat - schutzgedanken verpflichtet, entstanden Lauben nicht nur bei dem 1926 fertig gestellten Wärter - haus des Freibades und dem 1930 durch den städtischen Baupfleger Paul Schlipf im Stil eines Torschreiberhauses am Osthofentor entworfenen Transformatorenhaus, 28 sondern bereits 1925 beim Bau des Finanzamtes (Abb. 9). Hier paart sich die Laube als Würdeform einer (damals neuen) staatlichen Bauaufgabe mit dem Motiv des Eingangs: Der vorspringende Baukörper sucht den städtebaulich bedeutsamen Raum vor der Wiesenkirche zu fassen. Für diesen Versuch der Schaffung eines – beinahe intimen – innerstädti - schen Platzes ist das nach Kriegszerstörung gänzlich neu – und freilich ohne einen ähnlich im - 9 Soest, Finanzamt von 1925. 2009.

10 Hattingen (Kreis Ennepe-Ruhr), Krämersdorf von 1946–53 nach Kriegszerstörung der Vorgängerbebauung, Stadtbaurat Ulrich. 2010. 66

11 Unna, Nordseite der Wassserstraße nach Kriegszerstörung der Vorgängerbebauung; Entwurfsplan 1953.

12 Meschede (Hochsauerlandkreis), Ostseite der Ruhrstraße nach Kriegszerstörung der Vorgängerbebauung gegenüber der Kirche St. Walburga. 2009. einen zentralen Punkt der Wiederaufbaudiskus - nach einem Beschluss von 1949 die vier Häuser sionen. Einer der Befürworter war der langjäh - an der Nordseite der Wasserstraße dreigeschos - rige Vorsitzende des Vereins für Geschichte und sig mit ausgebauten Dachräumen und mit durch - Heimatpflege, Hubertus Schwartz, der von 1948 gängigen, rundbogigen Kolonnaden, ähnlich wie bis 1952 als Bürgermeister fungierte. Es müsse, am alten Rathaus wieder aufgebaut. Maßgeblich so schrieb er bereits im Mai 1945, in Soest viel für die Gesamtgestaltung der bis 1953 fertig ge - mehr mit Bogengängen gearbeitet werden, als stellten Bauten war der Unnaer Architekt Raba - das bisher geschehen ist. Es würde nicht nur nus (Abb.11). In anderen Fällen wurde fast kon - höchst reizvoll sein, die ganze älteste Stadt, um - sequent auf die historisierende Form des Bogens geben etwa von Markt, Puppenstraße, Jakobi - verzichtet, und die Öffnung stattdessen streng straße, Thomästraße, Kolkstraße, Damm, Witt - rechtwinklig in die Fassade eingeschnitten, wie in gasse mit Bogengängen zu haben, es würde auch Meschede gegenüber der ehemaligen Stiftskirche der oft beklagten Raumnot der Straße dadurch St. Walburga (Abb. 12). abgeholfen und für Soest ein neuer Anziehungs - Die städtebaulichen Entwicklungen der zweiten punkt geschaffen. … Das gleiche gilt von der Rat - Hälfte des 20. Jahrhunderts haben dazu geführt, hausstraße, wo beiderseits zwischen Kungel - dass – wie in Unna und Meschede – heute die markt und Jakobistraße Bogengänge anzulegen fahrzeugfreien Einkaufszonen zumeist fast flie - sind, die Rathaus und Patrokli-Münster heute ßend in die oftmals auch noch gleich gepflaster - schon haben .29 Diese weit reichenden Pläne wur - ten Arkaden übergehen. Es ist kaum mehr erleb - den jedoch nur in Teilen (Abb.2), bei Wiederauf - bar, dass in den 1950er Jahren ein zusätzliches bauten in traditioneller Formensprache und in ei - Motiv den Bau der Kolonnaden beförderte: So wie nigen Fällen auch durch Umbau erhaltener älte - in Unna und Soest die Arkaden die damals inner - rer Bürgerhäuser umgesetzt. städtischen Trassen der B 1, so säumten jene in In der Architektursprache durchaus nicht immer Warburg die B 7 und die in Meschede die B 55. 30 ‚moderner‘, findet sich das Motiv des Arkaden - Für die Flaneure entlang dieser – oftmals noch gangs im Wiederaufbaubestand zahlreicher In - durch fast vergessene Straßenbahnlinien ein- nenstädte und selbst in Kleinstädten Westfalens, geengten – bald völlig überfüllten Durchgangs - wie in Sundern oder Attendorn. In Unna wurden straßen galt es, in den Arkaden nicht mehr nur 67

Jackett oder Dauerwelle vor Regen, sondern das Leben selbst vor Unfällen zu schützen. Im Ge - wicht der städtebaulichen Diskussion und damit in den Entscheidungsprozessen für Laubengänge begannen Aspekte der Verkehrsplanung solche der Ästhetik zu überwiegen. Wie in Soest, so dürf - ten sich beide Belange auch in Siegen noch die Waage gehalten haben, denn dort ist neben Köl - ner und Marburger Straße im einstigen Verlauf der B 62 auch die verkehrlich eher abseitige Löhr - straße bis heute eine (einseitig) geschlossene Ar - kadenstraße in recht variantenreichen Formen (Abb. 13). Dass für die Entscheidungen des Jahres 1949 in Siegen durchaus nicht Münster oder gar Soest, sondern Bern explizit Vorbild war, sei im - merhin vermerkt. 31 13 Siegen, Löhrstraße nach Kriegszerstörung der Vorgängerbebauung. 2009. Wandelgang Der Wunsch nach witterungsgeschütztem Ein - kauf, dem schon in den 1920er Jahren manche westfälische Stadt – wie etwa Gütersloh (Abb.14) – ein bemerkenswertes Einzelbeispiel zu verdan - ken hatte, setzt sich in den späten 1950er und 60er Jahren fort: In ungezählten Vorortsiedlun - gen (Abb.15) tragen schmächtige Metall- oder Betonstützen die über die Schaufensterfronten der Ladenlokale vorkragenden Wohnungen der Betreiber. 32 Der zurückhaltende Charme der Konstruktionen erinnert an die wohlwollend als filigran zu be - schreibenden offenen Pausenhallen der ebenfalls noch ungezählten Volks- und sonstigen Schulen in den Jahren des sich entfaltenden Wirtschafts - wunders. Für dieses hatte man in den frühen 14 Gütersloh, Wohn- und Geschäftshaus von 1927 an der 1950er und ganz im Stil der 1930er Jahre optisch Strengerstraße. 1971.

15 Lippstadt (Kreis Soest), Landsberger Straße, Ladenzeile der Zeit um 1960 in einem neu erschlossenen Wohngebiet. 2009. 68

16 Fröndenberg-Warmen (Kreis Unna); Schulgebäude (links) und Hausmeisterwohnung (rechts) von 1950–51, verbunden durch eine ursprünglich neunjochig-offene Pausenhalle. 2009.

weitaus kräftigere, ‚bodenständigere‘ Lösungen gewählt (Abb.16). Allerdings unterscheiden sich diese Pausenhallen oder -gänge von den bisher beschriebenen Konstruktionen dadurch, dass sie zumeist nicht lediglich Teile des Erdgeschosses eines mehrstöckigen Gebäudes ausmachen, son - dern selbst ‚die Halle‘ sind. Dieses Merkmal sowie die einfachen Bauformen haben sie gemeinsam mit den Hochbauten der seit den 1920er Jahren selbst in den kleinsten Kommunen geschaffenen Freibäder. 33 Häufigste Bauform zumindest der einfachen Bäder, die bei Weitem die Überzahl stellen, ist bis gegen Ende des 20.Jahrhunderts die lang gezogene Reihung von Umkleide- und Sanitärräumen, getrennt 17 Lübbecke (Kreis Minden-Lübbecke), Hochbauten des nach Geschlecht beiderseits des hervorgehobe - Freibades von 1952. 2004. nen Eingangsbereichs. In Richtung der Becken greift das kaum geneigte Dach weit aus; es wird von rhythmisch stehenden Stützen abgefangen, für die erst in den 1950er Jahren gemauerte Pfei - ler anstatt der vordem gebräuchlichen schlanken Holzständer oder Metallrohre üblich werden. Diese technische Aufbesserung lässt das Grund - prinzip unverändert: Immer ist den abschließba - ren Räumen in ganzer Länge ein überdachter und damit vor Sonne und Gewitter schützender Gang vorgelagert (Abb.17). Die Genese des Bautyps Freibad in der Wandel - halle des seit dem 18.Jahrhunderts aufblühen - den Kurbades 34 suchen zu wollen, wäre abwegig, meint doch selbst der deckungsgleiche Teil beider Bezeichnungen (‚-bad‘) ganz unterschiedliche Vorgänge, von den ganz verschiedenen gesell - schaftlichen Bezügen und deshalb architektoni - schen Ansprüchen ganz zu schweigen. Im Ge - samtzusammenhang dieser knappen Skizze ver - dienen diese repräsentativen Bauten dennoch eine kurze Erwähnung. Zu ihrem Raumpro - gramm gehört neben nötigen Funktionsräumen nicht nur die zwar lichtdurchflutete, aber dennoch vor der Witterung abgeschirmte bzw. abschirmbare Halle mit dem Trinkbrunnen, son - dern oftmals auch der vorgelagerte offene Wan - delgang, der mit seinem Säulendekor eine der 18 Bad Oeynhausen (Kreis Minden-Lübbecke) Wandel - aufwändigsten Varianten im Themenspektrum halle von 1926–25 im Kurpark, Regierungsbaumeister ‚Laube, Portikus, Arkade, Wandelgang‘ bietet Müller. 1975. (Abb.18). 69

Fazit 11 Abb. bei Lammers 2004, S. 1860. Dieses Spektrum an Bauelementen ist in der Ar - 12 s. ähnlich schon den Sparkassenbau von 1937 in Gü - chitektur auch Westfalen-Lippes in allen Jahr - tersloh; Abb. bei Trutenau 1994, S. 17. hunderten und bis in die Gegenwart präsent. In 13 Ähnliche Bögen zeigte auch eine Wandelhalle des Ursu - der hier im Vordergrund stehenden Zeit größter linen-Gymnasiums von 1929–30 in (Arnsberg-)Neheim; s. Beliebtheit der Motive für die unterschiedlichsten Winter 1997. Bauaufgaben, also zwischen 1920 und 1955, d.h. 14 Vergl. Schreiner 1969, Abb. 22. in einer Zeit scheinbarer Beliebigkeit bei durch - 15 Zuletzt Kiem 1992. gängig traditionalistischer Grundhaltung, können 16 s. etwa Arndt 1994, S. 91. Auch Dorfplanungen folgten in den meisten Fällen nur detaillierte Nachfor - diesem Schema; s. Entwürfe von 1942 bei Gröning/ schungen der Bauvorgänge erhellen, aus welchen Wolschke 1981, S. 57. Quellen Planer und Bauherren schöpften bzw. auf 17 Zuletzt Krauskopf/Lippert/Zaschke 2009. welche der historischen Architekturelemente sie 18 Brökel o. J., S.18 f; dort (S. 19) auch eine Abbildung. sich berufen zu können glaubten. Ob dies mit den 19 Der Imperativ ist notwendig: Unter neuerlichem Aufgrei - ursprünglichen Bedeutungsgehalten in Überein - fen des Motivs wurde die Ladenzeile 2008–09 durch ein Ein - stimmung steht, wäre ebenfalls im Einzelfall zu kaufszentrum ersetzt. prüfen. 20 Ausführlich siehe Frank 1988. 21 Die beeindruckend geschlossenen Laubengänge ent - Anmerkungen lang der Hauptstraßen waren dort allerdings zumeist nicht 1 Für viele dieser Begriffe liegen Definitionen vor. So finden Bestandteile des Gründungskonzeptes (etwa der Zähringer- sich etwa bei Köpf 1968 folgende Einträge: „Arkade (S.27 f), Städte), sondern Ergebnis späterer Eingriffe, wie etwa in Bogenstellung, d. h. ein auf Stützgliedern (Pfeilern, Säulen) Bern nach dem Stadtbrand von 1405; s. jetzt ausführlich zur ruhender Bogen. Auch eine fortlaufende Reihe von Bogen - Genese Schröer 2009. stellungen (Arkatur) wird A. (doch meist Mz.) genannt, 22 Mandracci/Bardelli/Barghini 1990. ebenso ein Gang, dessen eine Seite von offenen Bogen - 23 Roze 1990. stellungen begrenzt wird. … Bogengang (S. 74), auf einer 24 s. die Entwürfe Weinbrenners für den Ausbau des Seite von einer Arkade begrenzter Gang. … Kolonnade Marktplatzes von Karlsruhe (Valdenaire 1926, S. 83) und (S. 234), Folge von Säulen mit Architrav zur Gliederung von speziell von 1805 für die Kanzlei (ebd. S. 251). Fassaden und Rahmung von Platzanlagen und Straßen im 25 Bildlich überliefert ist z.B. die Planung für den Markt - Gegensatz zu Arkaden (Bogenreihungen). … Laube (S. 251), platz in Goldap des Architekten Fritz Schopohl, der nach Halle (z.B. Gerichtslaube) oder offener Gang an der Front ei - 1945 in Münster tätig wurde; Frank 1988, S. 5. nes Gebäudes. … Loggia (S. 255), offene Laube bzw. Säu - 26 Auch auf Abbildungen kann angesichts des Bekannt - lenhalle eines Bauwerks. … Portikus (S. 299), eine von Säu - heitsgrades verzichtet werden; s. Rosinski 1987; Dietrich len, seltener von Pfeilern getragene Vorhalle vor der Haupt - 2008. front eines Gebäudes. … Säulengang (S. 326), ein Gang, 27 s. zuletzt Spohn 2008, S. 122–132. dessen Überdeckung von Säulen getragen wird, … kom - 28 Zu beiden Bauten Bartylla 2008. men z.B. … als Wandelhalle oder als Rahmung von Platz - 29 Nach Spohn 2008, S. 131. räumen, von Höfen in Wohnhäusern … vor. … Vorhalle 30 In Lippstadt wurde an der Langen Straße im Zug der (S. 407), Vorbau vor einem Hauseingang, z.B. ein Portikus.“ B55 in dem traufenständigen, geschlossenen Baukörper Schlüssige Abgrenzungen der Begriffe voneinander finden des als Hotel Köppelmann berühmten barocken Adelshofes sich also in der Literatur ebensowenig wie in Gedankenwelt im Zuge der Verkehrsbewältigung eine Bogenhalle einge - und Sprachgebrauch der westfälisch-lippischen Protago - baut, deren Bögen seit der Umleitung der Bundesstraße nisten aus Politik und Bauherrschaft, Bau- und – nicht zu und der Schaffung einer Fußgängerzone zu Schaufenstern vergessen – Denkmalverwaltung. ‚zurückgebaut‘ wurden. 2 Zu den hierzulande wenigen Lauben in bzw. an Oberge - 31 „Da waren sie nun: die Berner Arkaden, denen Siegen schossen, die freilich der privaten Nutzung der Bewohner die Gestaltung der Kölner Straße zu verdanken hat“, wie der vorbehalten sind, s. Seib 1991. Siegener Baurat Brökel in seinen Erinnerungen über eine 3 s. etwa die Entwürfe von Hanns Dustmann bei Krausse- Schweiz-Exkursion des Bundes Deutscher Architekten Jünnemann 2002. (BDA) im Jahr 1952 rückblickend ausruft; Brökel o. J., S. 34. 4 s. etwa das Luftkreiskommando von 1935–36 am Hohen - Man war – selbstverständlich – über Freudenstadt ange - zollernring in Münster; Abb. bei Schäfer 1995, S. 39. reist. 5 s. etwa die Entwürfe von Friedrich Tamms bei Wehner 32 s. bereits die Ladenarkade im nicht ausgeführten Ent - 1942. wurf der Bauabteilung der Deutschen Arbeitsfront für eine 6 So der Titel von Kulke 1939. Siedlung bei Porta Westfalica in Flagmeyer 2009, S. 528 f. 7 So eine Kapitelüberschrift in: ebd., S. 29. 33 Spohn 2003. 8 Das Rathaus wurde 1554 um eine Schreiberei erweitert, 34 Für Westfalen im Überblick Kaspar 1993. 1740 tiefgreifend umgestaltet, 1896–99 historistisch ‚rekon - struiert‘, 1945 von einer Bombe beschädigt und 1955 ab - Literatur gebrochen; hier wie im Folgenden nach Spohn 1997. Karl Arndt, Die Bautätigkeit des Nationalsozialismus in Nie - 9 s. schon Grunsky 1997, S. 19 f. dersachsen, in: Werner Durth/Winfried Nerdinger, Architek - 10 Timm 1984, S. 18. tur und Städtebau der 30er/40er Jahre. Bonn 1994, S. 90– 70

97. – Lena Bartylla, Heimatschutzarchitektur in Soest, in: S. 133–142. – Barbara Pankoke, Zur jüngsten Umgestaltung Soester Zeitschrift 120, 2008, S. 79–110. – Rudolf Brökel, der Wandelhalle im Kurpark von Bad Oeynhausen, in: Denk - Vierzig Jahre Siegen – Erinnerungen. Siegen o. J. – Eva Die - malpflege in Westfalen-Lippe 15, 2009, S.24–26. – Roswi - trich, Die westfälische Denkmalpflege der Nachkriegszeit. tha Rosinski, Der Umgang mit der Geschichte beim Wie - Mainz 2008. – Michael Flagmeyer, Die Architekturen der deraufbau des Prinzipalmarktes in Münster/Westf. nach Deutschen Arbeitsfront. (Diss.) Braunschweig 2009. – Hart - dem 2. Weltkrieg. Bonn 1987. – Francine Roze, Die Ent - mut Frank, Auf der Suche nach der Alten Stadt. Zur Diskus - wicklung der Stadt Nancy zwischen dem 16. und 18.Jahr - sion um Heimatschutz und Stadtbaukunst beim Wiederauf - hundert, in: Himmelein 1990, S.149–158. – Jost Schäfer, bau von Freudenstadt, in: Hans-Günther Burkhardt/Hart - Wohnhäuser aus der Tradition der Bauhaus-Moderne in mut Frank u. a. (Hg.), Stadtgestalt und Heimatgefühl. Der Westfalen, in: Ulrich Hermanns (Hg.), Basis Bauhaus … Wiederaufbau von Freudenstadt 1945–1954. Hamburg westfalen. Münster 1995, S. 39–47. – Ludwig Schreiner, 1988, S. 1–31. – Gert Gröning/Joachim Wolschke, Die Lan - Westfalen (= Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk). München despflege als Instrument nationalsozialistischer Erobe - 1969. – Ulrike Schröer, Die Thuner Hochtrottoirs im städte - rungspolitik, in: arch+ 81, 1985, S. 46–59. – Eberhard Grun - baulichen Kontext. Eine Studie zur Entstehungsgeschichte sky, Denkmalpflege und der „Symbolwert“ von historischen im Vergleich mit Bern, Burgdorf und Erlach. (Diss.) Zürich Rathäusern, in: Lüpkes/Borggrefe 1997, S. 9–21. – Lutz Hei - 2009. – Gerhard Seib, Obergeschoßlauben. Beispiele aus demann, Backstein-Expressionismus (= Stadtprofile Gel - dem Hausbau im hessisch-thüringischen Grenzraum, in: G. senkirchen). Gelsenkirchen 2009 3. – Volker Himmelein (Hg.), Ulrich Großmann/Klaus Freckmann u.a. (Hg.), Zur Baufor - „Klar und lichtvoll wie die Regel“. Planstädte der Neuzeit schung über Spätmittelalter und frühe Neuzeit. Marburg vom 16. bis zum 18.Jahrhundert. (Ausstellungskatalog) 1991, S. 119–138. – Thomas Spohn, Die Rathausneubauten Karlsruhe 1990. – Fred Kaspar, Brunnenkur und Sommer - im Umkreis Dortmunds von den spätmittelalterlich-frühneu - lust. Gesundbrunnen und Kleinbäder in Westfalen. Bielefeld zeitlichen Anfängen bis zu den preußischen „rathäuslichen 1993. – Karl Kiem, Die Gartenstadt Staaken als Prototyp der Reglements“, in: Lüpkes/Borggrefe 1997, S. 123–143. – modernen deutschen Siedlung, in: Magnano Lampugnani/ Thomas Spohn, Über das Baden im Freien und über Frei - Romana Schneider, Moderne Architektur in Deutschland bäder in Westfalen. Zusammengestellt aus Unterlagen des 1900 bis 1950. Reform und Tradition. Stuttgart 1992, Westfälischen Amtes für Denkmalpflege, in: Westfalen 81, S. 133–150. – Hans Köpf, Bildwörterbuch der Architektur. 2003, S. 187–216. – Thomas Spohn, Hubertus Schwartz Stuttgart 1968. – Karl Krauskopf, Hans-Georg Lippert/Kers - (1883–1966) – „Soest in seinen Denkmälern“, in: Soester tin Zaschke (Hg.), Neue Tradition. Konzepte einer antimo - Zeitschrift 120, 2008, S. 111–134. – Willy Timm, Unna in al - dernen Moderne in Deutschland von 1920 bis 1960. Dres - ten Ansicht, Bd. 1. Zaltbommel 1984 6. – Bert Trutenau (Hg.), den 2009. – Eva-Maria Krausse-Jünemann, Hanns Dust - Traditionen im Kreis Gütersloh. Gütersloh 1994. – Arthur mann (1902–1979): Kontinuität und Wandel im Werk eines Valdenaire, Friedrich Weinbrenner. Sein Leben und Werk. Architekten von der Weimarer Republik bis Ende der fünfzi - Karlsruhe 1926. – Bruno Wehner, Hochbauten der Reichs - ger Jahre. Kiel 2002. – Erich Kulke, Die Laube als ostger - autobahnen, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 62, 1942, manisches Baumerkmal. München 1939. – Joseph Lam - Heft 1/12, S. 17–126. – Henning Winter, Das Ursulinen-Ly - mers, Zukunftsplanung und Krisenbewältigung. Stadtpla - zeum in Neheim-Hüsten, in: Denkmalpflege in Westfalen- nung und städtebauliche Entwicklung von 1900 bis um Lippe 1997, S. 58–64. 1970, in: Norbert Damberg (Hg.), Coesfeld 1197 – 1997. Beiträge zu 800 Jahren städtischer Geschichte. Coesfeld Bildnachweis 2004, S. 181–208. – Werner Lenz, Gütersloh – wie es war. LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen: 1 (Bildarchiv (Fo - Gütersloh 1969. – Vera Lüpkes/Heiner Borggrefe (Hg.), tograf C. Baumann, Dortmund)); 18 (Bathe); 5, 14 (Schnel - Rathäuser im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. linventarisation); 2–4, 7–11, 12, 13, 15–17 (Spohn). – Repro - Marburg 1997. – Vera Comoli Mandracci/Costanza Roggero duktion aus: Ludwig Schreiner, Westfalen (= Karl Friedrich Bardelli/Andrea Barghini, Turin. Die Erfindung einer baro - Schinkel Lebenswerk). München 1969, S. 27: 6. – Stadt cken Hauptstadt des Absolutismus, in: Himmelein 1990, Unna, Bauaktenkammer: 11. 71

Claus Peter Drei Glocken des 13.Jahrhunderts wieder vereinigt Zur Restaurierung des Geläutes der Nikolaikirche zu Lemgo Die heutige Doppelturmfront der Nikolaikirche mit zwei Türmen von nicht ganz gleichem Querschnitt entstand nach einer Planänderung an Stelle eines ursprünglich vorgesehenen kolossalen Westturmes. Da die Errichtung der Kirche zeitnah zur Gründung der Stadt erfolgte, könnte der nördliche Turm wohl von Anfang an der Stadt gehört haben, in deren Eigentum er sich noch heute befindet.

Zur Geschichte der Glocken von St. Nicolai denn keine Fensteröffnung im Turmschaft ist so Für das Hauptgeläute einer Stadtpfarrkirche sind groß, dass man sie von außen hätte einbringen vorzugsweise im nord- und ostdeutschen Raum können. Möglich ist aber, dass eine heute nur mit üblicherweise vier Glocken anzunehmen, denen einer dünnen, verputzten Fachwerkwand ge - jeweils bestimmte liturgische Funktionen zuge - schlossene Spitzbogenöffnung im ersten Oberge - wiesen sind; auch für St. Nicolai in Lemgo zeich - schoss des Turmes, oberhalb des Turmhallenge - net sich diese, den liturgischen Gegebenheiten wölbes, als Montageöffnung diente. Sie öffnete geschuldete Geläuteformierung trotz der – aufs sich früher nach Norden zum Innenraum der Kir - Ganze gesehen – dürftigen Quellenlage deutlich che (zwischen den beiden Türmen) und ist so ab. groß, dass die beiden in diesem Turm befindli - Im nördlichen der beiden Türme wohnte bis 1854 chen Glocken mühelos einzubringen waren, und der Wächter, hier hing auch die alte Bedeglocke 1 von dort aus innen im Turmschaft hochgezogen der Stadt und hier befand sich auch (und befindet werden konnten. sich noch heute) die 1577 erstmals erwähnte Von den mindestens zwei für den Nordturm vor- städtische Uhr (s. Denkmalpflege in Westfalen- auszusetzenden Glocken ist die eine jene, die ver - Lippe 1/04). Mit welcher der beiden, in diesem mutlich mit dem Bau der Renaissance-Haube auf Turm einst vorhandenen bzw. nachweisbaren dem Schaft dieses Turmes (1569) als Schlagglo - Glocken diese Bedeglocke identisch war oder ob cke für die 1577 erstmals erwähnte, damals aber es sich bei dieser um eine weitere Glocke han - delte, ist heute nicht mehr festzustellen. Falls das erstere zutrifft, bleibt auch die Frage offen, ob es sich bei dieser Bedeglocke um die später zur Schlagglocke im Nordturm umfunktionierte Glo - cke des ausgehenden 13.Jahrhunderts oder jene, 1862 verkaufte mittelalterliche Glocke aus der Zeit wohl um 1400 gehandelt hat (s. u.). Die beiden großen Glocken der Kirche hängen seit alters im sechsten Geschoss des Südturmes. Zuletzt wurden sie als Betglocke (große) und Feuerglocke (zweitgrößte) bezeichnet, Glocken- namen, die vor dem Hintergrund des liturgischen Funktionsspektrums der Glocken aber erst seit der Reformation üblich wurden. Nichts deutet da - rauf hin, dass in diesem Turm einst weitere Glo - cken gehangen haben, denn der Balkenrost, auf dem der heutige Glockenstuhl steht, ist durch alle vier darunter liegenden Geschosse mit einer Mit - telstütze unterfangen. Somit waren die beiden hier befindlichen Glocken mindestens seit Errich - tung dieser Holzkonstruktion die einzigen im Südturm, dessen Glockenstube übrigens von An - fang an aus Brandschutzgründen mit einem Ge - wölbe versehen war (und noch ist). Weitere Glo - cken müssen folglich im benachbarten Nordturm gehangen haben. Beide Glocken des Südturmes könnten noch wäh - rend der Turmbauarbeiten in der zweiten Hälfte 1 Die große Glocke (Betglocke) aus dem 13. Jh. des 13.Jahrhunderts an ihre Stelle gelangt sein, im Glockenstuhl des Südturmes. 72 sicher schon seit Langem bestehende Uhr in die handen. So verschwanden sie rasch aus dem Be - offene Laterne des neuen Turmaufsatzes gelangte wusstsein. Und selbst den beiden großen Glocken und im Jahre 2008 in einem neuen Glockenstuhl im Südturm wurde schließlich kaum noch Auf - im Südturm wieder ihrer einstigen Bestimmung merksamkeit zuteil, die, obzwar undatiert, heute als Läuteglocke zugeführt werden konnte. Die an - die ältesten ihrer Art in Lippe sind. dere der beiden Glocken des Nordturmes – die vierte im Geläute – wurde leider im Jahre 1862 Die große Glocke von St.Nicolai (Betglocke) an die Gemeinde Bad Salzuflen-Bergkirchen ver - Die seit alters größte Glocke der Kirche hängt kauft. Nachdem jedoch die Gemeinde sich im noch immer an alter Stelle im obersten Geschoss Jahre 1902 ein Gussstahlgeläute angeschafft des Südturmes, dessen Schaft wohl von Anbeginn hatte und sich nicht bereit zeigte, die kostbare an zum Schutz vor Feuer mit einem gemauerten alte Glocke in das neue Geläute zu integrieren, Gewölbe abgeschlossen war. Die Glocke heißt wurde sie für 898 Mark verkauft und ist seitdem heute Betglocke . Doch ist dies eine Bezeichnung verloren. erst aus nachreformatorischer Zeit. Sie wurde als Der Überlieferung nach handelte es sich um die solche aber nicht in Fortsetzung des Glockenzei - sogenannte Räumeglocke von St. Nicolai, jene chens zum vorreformatorischen Angelusgebet – Glocke, die zu Abend das öffentliche Leben in der ursprünglich zwei Mal täglich – geläutet, sondern Stadt beendete. 2 Sie trug reliefiert ein Kruzifix so - nur angeschlagen – die Betglocke stoßen , wie es wie ein Bildnis des Hl. Petrus mit dem Schlüssel. anderenorts des Öfteren heißt. Ursprünglich je - Die Inschrift, ein seit dem 14. Jahrhundert öfter doch diente die Glocke als größte dem Geläute an auf Glocken anzutreffender Text, lautete: Dum den hohen Feiertagen des Kirchenjahres. trahor audite vos voco ad gaudia vitae Amen. Lei - Die Betglocke ist eine inschriftlose Glocke in voll der gibt es zur Buchstabenform – Majuskeln oder ausgeprägter gotischer Rippe, deren Klanggestalt Minuskeln – keine Aussagen, doch dürfte außer sie als fast reine Oktavglocke sogar in besonderer Frage stehen, dass es sich aufgrund der überlie - Weise vertritt. Sie ist in einer besonders schweren ferten Kennzeichen um eine mittelalterliche Glo - Rippe gegossen und erreicht mit dem Schlagton cke handelte; nach der Aufmachung könnte sie es 1+3 ein Gewicht von 1750 kg. Ein Glücksfall ist aus dem gleichen regionalen Werkstattkreis die diese Glocke auszeichnende außerordentlich stammen wie die 1398 gegossene Glocke von lebendige Resonanz, so dass sie einen Klang von St. Johann zu Lemgo und weitere gleicher Prove - enormer Fülle entläßt, wie nur ganz wenige ih - nienz in Lemgo-Brake und Petershagen-Frille resgleichen weit und breit. (beide undatiert), sowie Schlangen (1412) und Bezüglich der äußeren Gestalt gehört die Glocke Kalletal-Hohenhausen (1446). zu den nicht wenigen ihrer Zeit, bei denen auf In - Noch einmal jedoch sollte der heute bis auf die schriften oder gar ornamentale oder figürliche geschossteilenden Balkenroste völlig entkernte Zier – die damals freilich nicht primär dekorative Nordturm kurzzeitig eine Läuteglocke beherber - Funktion hatten, sondern im liturgischen Bedeu - gen: Als nach dem Ersten Weltkrieg die lutheri - tungskontext des Glockengebrauchs standen – sche Gemeinde in Detmold sich ebenfalls ein vollkommen verzichtet wurde. Lediglich zwei Gussstahlgeläute anschaffte, gab sie die einzige ganz dünne, durch Einritzen in den Lehmmantel vom alten Geläute verbliebene Glocke an St.Nico - der Glockenform modellierte Weihekreuze „zie - lai ab. Doch war ihr hier nur ein kurzer Verbleib ren“ diese Glocke. vergönnt, denn schon im Zweiten Weltkrieg wurde sie eingezogen und vernichtet. Die zweite Glocke von St.Nicolai Wahrscheinlich gab es in vorreformatorischer (Feuerglocke) Zeit außer diesen vier Hauptglocken in St.Nicolai Zeitlich nicht allzu weit von der großen entfernt, auch noch eine oder mehrere kleinere Glocken in der Form ihrer Rippe aber ganz anders und da - für weitere liturgische Läuteanlässe – z.B. als her ziemlich sicher einem anderen – ebenfalls un - Wandlungsglocke für das seit dem 13.Jahrhun - bekannten – Meister zuzuweisen ist die zweite dert aufgekommene Glockenzeichen zur Eleva - Glocke; vermutlich war es ihr unverwechselbarer tion sowie als Chorglocke für die an der Kirche tä - Klang, der später diese Glocke zur Feuerglocke tigen Kleriker, die ja, wie die Konvente an Stifts - bestimmte. Ihre einstige Stellung im liturgischen kirchen und in Klöstern angehalten waren, das Gebrauch dürfte als zweitgrößte die der soge - regelmäßige Stundengebet zu pflegen; an St.Ni - nannten Apostelglocke gewesen sein. colai waren sie in der erstmals 1353 erwähnten Obgleich etwas kleiner als die große Glocke, ist Priester-Kalandsbruderschaft zusammenge - sie mit 1860 kg schwerer als diese und klingt eine schlossen. 3 Leider wissen wir über diese einst knappe kleine Terz höher (Schlagton ges 1−3). Da - wohl vorhandenen Glocken nichts; sie verloren raus ergibt sich eine noch wesentlich schwerere mit der Einführung der Reformation endgültig Rippenkonstruktion als bei der vorbeschriebenen ihre Funktion; vielleicht wurden sie im Nachgang Glocke. In der Form ihrer Rippe unterscheidet verkauft, zum Guss anderer Glocken verwendet sich die Glocke prägnant von der großen durch oder kamen auf andere Weise nach und nach ab - eine hohe und steile Form. Die Folge ist ein stark 73

als eine gewisse Ähnlichkeit in der Rippenform und der Kronengestalt mit weit auseinander di - vergierenden paarigen Henkeln, so könnte man mit aller gebotenen Vorsicht evtl. an einen Werk - stattkontext denken. Der Lemgoer Betglocke formal nahestehend sind aber auch weitere zeit - gleich oder zeitnah entstandene, teils inschrift - lose Glocken in Hamm-Rhynern (kath. Pfarr- kirche St.Regina), Hamm-Bockum-Hövel (kath. Pfarrkirche St.Stephanus), Nordkirchen (kath. Pfarrkirche St.Mauritius) u. a., die aber aus - nahmslos alle eine wesentliche leichtere Kon - struktion der Rippe zeigen. Da die Schmucklosig - keit der meisten dieser Glocken die Vergleichs - möglichkeiten auf wenige formale Parameter und klangliche Beobachtungen reduziert, bleiben alle weitergehenden Überlegungen zur Meister- bzw. Werkstattfrage Spekulation. Völlig offen ist die Frage nach der Provenienz der Feuerglocke. Ist schon allein der Septimentyp, dem diese Glocke angehört, für Westfalen eher untypisch, so gibt es hierzulande keine einzige Glocke mehr, die formal auch nur entfernt zum Vergleich herangezogen werden könnte. Was aber bleibt, ist die einzigartige Klangschön - heit dieser beiden Glocken, die, völlig unverän - dert, heute noch so klingen wie im 13.Jahrhun - 2 Die zweite Glocke (Feuerglocke) aus dem 13. Jh. im dert und daher zu den wertvollsten Musikdenk - Glockenstuhl des Südturmes. mälern dieser Zeit weit über den regionalen Be - reich hinaus zu rechnen sind. vertiefter Primvertreter, der dem Klang sein un - verwechselbares Gepräge verleiht (s. dazu die Ta - Die dritte Glocke belle mit den Klangdaten). Er strahlt in enormer Ein interessantes Gusswerk ist auch die ebenfalls Fülle, mit nicht enden wollendem Nachklang ab vollkommen inschriftlose kleinste der drei erhal - und übertrifft darin sogar die große Glocke. Wie tenen Glocken, deren Name nicht bekannt ist. diese trägt auch die Feuerglocke keinerlei In - Ihre steile, leicht kegelstumpfförmige Rippe mit schrift, und es fehlen bei ihr selbst die Weihe - fast senkrechter Flanke wirkt – vor allem im Ver - kreuze. gleich zu den beiden anderen Glocken – auf den ersten Blick etwas „ungeschickt“ und setzt sie in Zur Meisterfrage der beiden großen Glocken ihrer Gestalt und damit ihrem daraus folgenden Die Frage nach den Gießern oder dem Werkstatt - stark dissonanten Klang deutlich von den beiden kreis, die für den Guss dieser großartigen Glo - vorbesprochenen Glocken ab. Wie diese ist sie in cken verantwortlich zeichneten, ist auch trotz der einer recht schweren Rippe gegossen. Die forma - inzwischen sehr weit vorangekommenen Be - len Besonderheiten könnten durchaus auf eine standsaufnahme der westfälischen und lippi - uns unbekannte Vorgängerglocke zurückgehen; schen Glocken nach wie vor nicht zu beantwor - waren Glocken zu Schaden gekommen, so wur - ten. Sicher erscheint nur, dass beide Glocken we - den vielfach die Gießer vertraglich verpflichtet, gen ihrer völlig unterschiedlichen Rippenkon - die Glocken im alten Gewicht, in alter Form und struktion von verschiedenen Gießern bzw. aus mit dem „gleichen Klang“ wie zuvor neu zu gie - verschiedenen Werkstätten stammen, ihre Ent - ßen. Da Glocken im liturgischen Vollzug und in stehung zeitlich aber nicht weit auseinander lie - zweiter Linie auch im profanen Gebrauch vor - gen dürfte. Unter möglichen Vergleichsbeispielen zugsweise einzeln eingesetzt wurden, wollte man wird man hinsichtlich der großen Betglocke zual - auf diese Weise die Wiedererkennbarkeit des Glo - lererst an zwei Glocken des 13.Jahrhunderts im ckenklanges sicherstellen. Turm von St.Patrokli zu Soest denken, die beide Die Frage nach dem Gießer oder wenigstens ei - aufgrund zahlreicher identischer Formmerkmale nem Werkstattkontext, dem die Glocke zugeord - eindeutig ein und demselben Gießer zuzuweisen net werden könnte, läuft auch hier ins Leere, da sind. Er ist auf der größeren der beiden inschrift - – zumindest in Westfalen – bisher keinerlei Ver - lich als Hermannus de Lemego bezeichnet. gleichsbeispiele gefunden wurden. Wenn auch die Lemgoer Betglocke mit den Lange Zeit hing die Glocke, nur noch zum Uhr - Soester Glocken nicht viel mehr gemeinsam hat schlag bestimmt, in der Laterne des Nordturmes. 74

3 Die dritte Glocke (13. Jh.) mit schadhafter Aufhängung in der Laterne des Nordturmes.

Wie jedoch die deutlichen Anschlagmarken am auf. Das bestätigt, wie oben bereits angedeutet, inneren Schlagring zeigen, ist sie zuvor über auch die deutlich sichtbare Abnutzung des einen beträchtlich langen Zeitraum geläutet wor - Schlagringes, die auf eine lange Nutzung der Glo - den. cke zum Läuten schließen ließ. Damit reifte der Entschluss der Verantwortlichen, Die Restaurierung der Glocke und der dem Vorschlag des Verfassers folgend, diese Glo - Wiederaufbau des Geläutes cke auch wieder zum Läuten heranzuziehen und An ihren neuen Bestimmungsort ist die vorbe - so das einst vierstimmige Geläute der Kirche dem sprochene Glocke zweifellos aus Gründen der Originalzustand wieder ein Stück näher zu brin - Sparsamkeit gelangt – man wollte wohl beim Ein - gen. Um auch aus klanglicher Sicht sicher zu ge - richten der Uhr im Zuge des Aufbaus der Renais - hen und nicht allein den Messwerten zu ver - sancehaube des Turmes den Guss einer neuen trauen, wurde die Glocke nach der Abnahme, Schlagglocke umgehen. In der neuen Turmla - noch am Kranhaken hängend zum Geläute der terne war die Glocke jedoch aus technischer Sicht beiden Südturmglocken angeschlagen. Das Zu - zu groß, so dass die Anschlagvorrichtung sogar, sammenwirken der drei Glocken bestätigte die von innen unzugänglich, außerhalb der Turmla - durch die Messwerte begründete Erwartung, terne angebracht werden musste. Da die Glocke dass sie ein überzeugend wirkendes Dreierge - den zur Verfügung stehenden Platz zwischen den läute formieren können. Ständern nahezu einnahm, war sie so gut wie un - Zunächst aber war die Glocke zu restaurieren, zugänglich und ihre Befestigung nicht zu kontrol - dabei der gerissene Kronenhenkel wieder zu ver - lieren. So verwundert es nicht, dass sich nach schweißen und verschiedene querschnittschwä - Einrüstung des Turmes herausstellte, dass die chende Fehlstellen an der Krone beizuschweißen. Aufhängebänder und -bolzen weitgehend durch - Jegliche weitere Schweißarbeiten zur Abglei - gerostet und ein Kronenhenkel gerissen war, so chung von Unebenheiten, kleiner Ausbrüche in dass die Glocke aus Sicherheitsgründen sofort in der Schärfe und sonstiger Fehlstellen wurde aber einer Notaktion aufgebockt werden musste. Ihre ausdrücklich unterlassen, um den überlieferten Demontage war nun unabwendbar. In diesem Zustand der Glocke, soweit wie irgend möglich, Kontext war nun erstmals eine detaillierte Unter - unverändert zu erhalten. Klanglich beurteilt, suchung der Glocke möglich, und die bisherige kam die Glocke nahezu so aus der Schweißung, Einschätzung, dass es sich um ein Gusswerk des wie sie zuvor gewesen war: Mit ihrer extrem 13., evtl. auch des 14. Jahrhunderts handeln schweren Rippe entfaltete sie ihren explizit disso - könnte, bestätigte sich. Damit stand fest, dass die nant wirkenden Klang in erstaunlicher Fülle. Die Glocke allein aufgrund ihres Alters nicht von An - Schlagtonhöhe blieb vollkommen konstant, we - beginn ihrer Existenz zum Uhrschlag bestimmt nige Teiltöne erfuhren ganz geringfügige Ände - gewesen sein kann – Uhrschlagglocken kamen rungen (vgl. hierzu die Messwerte in der Tabelle). mit der Fortentwicklung der mechanischen Zeit - Im nächsten Schritt wurde die Läutetechnik der messung erst im Verlauf des 14.Jahrhunderts beiden großen Glocken überholt, deren Platten 75

5 Beschädigte Krone der dritten Glocke (13. Jh.). Am linken der beiden paarigen Henkel ist der Riss erkennbar.

4 Die dritte Glocke (13. Jh.) nach der Abnahme vom Turm. Technische und musikalische Daten der Glocken von St. Nicolai und Hauben zur Befestigung am Joch mittels un - Glocke I II III förmiger Bolzen mehrfach durchbohrt worden Name Betglocke Feuer- ehemalige waren. Die beiden alten Holzjoche, wohl aus dem glocke Uhrglocke 19.Jahrhundert, wurden restauriert und die Glo - Gussjahr 13. Jh. 13. Jh. 13./14. Jh. cken mit neuen Beschlägen an diesen befestigt. Gießer ?? ? Dazu mussten die Glocken aus dem Lager geho - Gewicht 1715 kg* 1860 kg* 660 kg** ben und im Glockenstuhl abgesetzt werden. Diese Durch- Gelegenheit wurde genutzt, um das bisher nur messer 1382 mm 1364 mm 970 mm grob abzuschätzende Gewicht beider durch Wie - Schlagring- gen exakt zu ermitteln (s. Tabelle). Des Weiteren stärke 103,5 mm 111 mm 70 mm erhielten die Glocken neue, weichere Klöppel, Anschlag alt 94/89 mm 99/105 mm nicht erm. und die beiden noch funktionsfähigen elektri - Schräge schen Läutemaschinen wurden mit einer elektro - Höhe 1005 mm 1090 mm 800 mm nischen Steuerung versehen, um das Läutever - Höhe ohne halten der Glocken präziser einstellen zu können. Krone 1083 mm 1081 mm ~870 mm Für die dritte Glocke aus dem Nordturm wurde im Südturm ein Geschoss unterhalb der großen Teiltöne vor /nach Glocken ein neuer, von einem örtlichen Zimmer - Schweißung mannsbetrieb gefertigter Holzglockenstuhl auf - 2008 gerichtet, der wie in alter Zeit, in rein zimmer - Schlagton es 1+3 ges 1−3 as 1+7 /as 1+7 mannsmäßigem Abbund ohne Verwendung stäh - Unterton es°−1 g°−7 ges°−3,5 /ges°−7 lerner Verbindungsmittel hergestellt wurde. Prime es 1+7 es 1+4 a1+9 /a1+8 Nachdem die Glocke mit einigen Schwierigkeiten Terz ges 1+5 a1+2 ces 2±0 /ces 2−2 durch eine der zuvor etwas erweiterten Schallöff - Quinte b1+6 c2+6+ des 2+9 /des 2+5 nungen in den Turm gebracht und im Glocken - Oktave es 2+3 ges 2−3 as 2+7 /as 2+7 stuhl aufgehängt war, durfte sie erstmals seit Undezime as 2−1 Jahrhunderten ihren vollen Klang wieder entfal - Duodezime b2+1 c3+8 es 3+7 /es 3+7 ten. Sie erwies sich dabei als ein vollkommen c3+4,5 adäquater Partner der beiden großen Glocken d3+11+ und auch im Sologeläute trotz des spannungsrei - Doppel- chen Klanges als ein Instrument von unverwech - oktave es 3+8 selbarer klanglicher Faktur. Die enorme Klang - Bezugston: a 1=435 Hz; Abweichungen in 16tel Halbton. fülle jeder einzelnen Glocke für sich sowie aller Aufnahme: 7. 10. 1973 / 10. 8. 1976 / 2008 C. Peter. drei ließ vergessen, dass es sich eigentlich um ein * Im Jahr 2008 von der Fa. Perner (Passau) gewogen. für eine Stadtkirche dieser repräsentativen Größe ** Im Jahr 2008 von der Fa. Lachenmeyer (Nördlingen) ge - doch eher mäßig großes Geläute handelt. wogen. 76

Die drei Glocken von St. Nicolai, alle ziemlich zeit - maligen Glockenstube des städtischen Nordtur - nah wohl in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts mes Platz finden. Nachdem die Stadt Lemgo als von wahrscheinlich drei verschiedenen Gießern Eigentümer des Turmes dazu grundsätzlich ihr gefertigt, repräsentieren den hohen Stand der Einverständnis signalisiert hat, bleibt zu hoffen, Glockenkunst jener Zeit. Es ist, vielleicht nicht dass auch diese Maßnahme in absehbarer Zeit ganz zufällig, jene Epoche, in der auch die Sakral- zur Durchführung kommen kann. architektur mit Etablierung der Hallenkirche Dabei ist in aller Deutlichkeit festzuhalten: So einen Höhepunkt in der westfälischen Kunst er - sehr auch die Ergänzung des Geläutes aus vieler - reichte. So kommt diesem Geläute als unversehrt lei Gründen – musikalischen wie liturgischen – erhaltenem Ensemble mittelalterlicher Glocken, sinnvoll ist, so diente sie hier nicht in erster Linie die ihren Klang heute noch so präsentieren wie seiner Erweiterung und Verschönerung, sondern vor nunmehr sieben Jahrhunderten, eine heraus - an vorderster Stelle der Entlastung des Altbe - ragende Bedeutung weit über den westfälisch- stands. Sie kann damit als ergänzende Denkmal - lippischen Raum hinaus zu. Wenn sich auch an - pflegemaßnahme verstanden werden, weil sie derenorts bisweilen einzelne Glockenpaare, oder, maßgeblich dazu beiträgt, den Fortbestand der wie z.B. in der Petersberger Kirche zu Fulda oder alten Glocken zu sichern. der Neuwerkkirche zu komplett erhaltene Geläute des 13.Jahrhunderts finden, so präsen - Anmerkungen tieren wohl nur wenige von ihnen sich in einer 1 Die Bede war eine vom Landes- (oder Stadt-)herrn erho - solch faszinierenden Klangschönheit wie die drei bene Grundbesitzabgabe (Steuer). Steuerzahlungstermine Lemgoer Glocken. Nachdem in Westfalen im durch ein Glockenzeichen bekannt zu machen war früher zweiten Weltkrieg die großen Glocken des vielerorts üblich. 13. Jahrhunderts in den Domen zu Münster und 2 Genannt auch Rumestrate (Utrecht Dom), slaapklok (Ut - Minden zerstört, und die gleichzeitig entstande - recht, Petersstift), Schlafglocke (, Dom). Das Läu - nen des Paderborner Domes bereits 1886 durch ten dieser Glocke hat wahrscheinlich liturgischen Ursprung Einschmelzen vernichtet wurden, verfügt im und geht wohl zurück auf das abendliche Glockenzeichen westfälischen-lippischen Raum nur noch die Kir - zur Komplet (vgl. Claus Peter, Glocken, Geläute und Turm - che St.Nicolai in Lippstadt über ein komplettes uhren in Bamberg. Bamberg 2008, S.103, 104). Dreier-Ensemble aus Glocken dieser Epoche. Als 3 Als Kaland bezeichnete man (seit dem 13. Jh. nachweis - Denkmäler des Kunsthandwerks und der Musik bar) eine Gebetsbruderschaft, die ihre Zusammenkünfte an ihrer Zeit gleichermaßen sind diese Glocken da - den Kalenden eines jeden Monats hielt (daher ihre Bezeich - mit heute um so wertvoller und bilden in Lemgo nung). Für diese Bruderschaft gab es z.B. an der Münster - einen würdigen Gegenpol zur berühmten Orgel kirche zu Herford eine eigene Glocke. der Marienkirche. Die nach einer Vorlage des Verfassers neu erar - Literatur beitete Läuteordnung sorgt künftig für einen Wilhelm Müller, Die Nikolaikirche in Lemgo, in: Westfalen, maßvollen Einsatz des vollen Geläutes, weist da - 11. Sonderheft. Münster 1949. – Bernhard Meyer, Die alten bei aber jeder Glocke eine liturgische Aufgabe zu Glocken des Lipperlandes, sowie: Wilhelm Pecher, Ver - und lässt so die unverwechselbare Klangschön - zeichnis der im Jahre 1917 im Fürstentum Lippe noch vor - heit einer jeden zur Wirkung kommen. handenen Kirchenglocken, in: Jahresbericht des Lippischen Bundes für Heimatschutz und Heimatpflege, Jg. 11 (1918). Ausblick – Ernst Wiesekoppsieker, Glocken in Lippe, Mscr. (Archiv Der erfolgreiche Abschluss der Maßnahme darf Landeskirchenamt Detmold). – Denkmalpflegebericht nun nicht darüber hinwegsehen lassen, dass es 1956/57, in: Westfalen 41 (1963), S.138. – Bau und Kunst - sich bei diesen Glocken um Jahrhunderte alte In - denkmäler von Westfalen, Stadt Lemgo, Münster 1983, strumente handelt, deren Lebensdauer – wie ihr S. 154–238. – C. Peter, Die Glockenlandschaft Westfalen Alter zeigt – zwar immens, wie neuere wissen - (1. Folge: Die deutschen Glockenlandschaften, hg. v. Kurt schaftliche Untersuchungen zeigten, aus werk - Kramer. München 1989), Tonkassette mit Begleitheft. – stoffbedingten Gründen letztendlich aber be - Claus Peter, die Turmuhr von St.Nicolai zu Lemgo und ihre grenzt ist. So darf die Gemeinde nicht aus den Au - Restaurierung. In: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 1/04, gen verlieren, diese unersetzlichen alten Glocken S.10–15. durch Beifügung zweier oder dreier kleinerer Glocken von besonders häufigen oder zeitintensi - Bildnachweis ven Läutediensten zu entlasten. Diese „Entlas - Architekturbüro Kramp (Lemgo): 3. – C. Peter: 1, 2, 4, 5. tungs“-Glocken könnten problemlos in der ehe - 77

Berichte

Stiftung „Altes Forsthaus Rehsiepen“ in Schmallenberg-Mittelsorpe Nach 85-jähriger Nutzung als Revierförster- Dienstgehöft wurde das Forsthaus Rehsiepen im Januar 1971 gegen schriftliches Meistgebot zum Verkauf angeboten. Dreizehn verschiedene Förs - ter hatten bisher mit ihren Familien und Nutztie - ren das Haus bewohnt. Zeitweise lebten oben - drein noch Fremdarbeiter und Vertriebene unter dem Dach des Forsthauses. Als 1969 ein erneuter Stellenwechsel anstand, der umfangreiche Reno - vierungsarbeiten und zeitgemäße Umbaumaß - nahmen erfordert hätte, entschloss sich die Obere Forstbehörde zum Bau eines neuen Forsthauses – des dritten in der Sorpetaler Forstgeschichte – und zum Verkauf des abseits gelegenen alten Forsthaus Rehsiepen. 2009. Dienstgebäudes. Hierbei handelt es sich um ein 1884 erbautes, so genanntes Quer-Dielenhaus in den Freiflächen mit dem Garten in historischer massiver Ausführung, also um ein kombiniertes Anlage und dem zeitgleich mit dem Forsthausbau Wohn-Wirtschaftsgebäude. Um 1970 verloren angepflanzten Baumbestand sowie den Feucht - auch zahlreiche andere „Amtswohnhäuser“ in wiesen und Weiden, die sowohl die Lebensfüh - Nordrhein-Westfalen ihre angestammte Nutzung. rung von Forstbediensteten als auch die zeitge - Sechs Monate nach der Veräußerung monierte nössischen Vorstellungen über die Gestaltung der ein Sacharbeiter der Höheren Forstbehörde Natur dokumentieren und somit – im Zusammen - Westfalen-Lippe den Verkauf des Hauses, das mit hang mit dem Gebäude – bedeutend sind in volks - seinem Grund und Boden als Enklave im Staats - kundlicher und wissenschaftlicher Hinsicht.“ forst liegt. Unter seiner Leitung wäre das Anwe - Bis zum November 1999 nutzten die neuen Ei - sen abgebrochen worden. gentümer die landwirtschaftlichen Flächen Dank ihres Höchstgebotes bei der Briefversteige - selbst. Danach überließen sie die Weiden einem rung erhielten die späteren Stifter Peter und Bär - Landwirt zur extensiven Nutzung. Die Liebe zur bel Michels den Zuschlag zum Kauf des Hauses Natur und ein gewisses Umweltbewusstsein wa - mit Garten und den umgebenden Freiflächen, die ren bei ihnen auch früher schon vorhanden. Rich - laut Vertrag landwirtschaftlich genutzt werden tig entfalten konnte sich beides aber erst durch müssen. das Leben im Alten Forsthaus Rehsiepen, durch 1990 wurde das Haus in die Denkmalliste der das Leben in und mit der Natur. Viele allgemein Stadt Schmallenberg eingetragen. Erfasst wurde gültige Maßstäbe von früher verloren ihren Wert. das gesamte Objekt außen wie innen, da es laut Zahlreiche Renovierungsarbeiten wurden selbst Gutachten des Westfälischen Amtes für Denkmal - ausgeführt. Mit jedem Pinselstrich und Handgriff pflege „nicht nur gepflegt, sondern in vielen Tei - wurde das Haus vertrauter. Die kleinen Risse in len sachkundig auf den ursprünglichen Bestand den Decken, die unebenen Wände, die Kerben in zurückgeführt wurde.“ Dazu gehörten z.B. das den Fußböden, die Ritzen in den Türfüllungen Öffnen des um 1950 zugesetzten Tores der Quer - und Schrammen an den Messing-Türklinken und diele, der Einbau des nach alten Vorlagen wieder Fenstergriffen sind stumme Zeugen einer beweg - angefertigten und angebrachten Schwebegiebels, ten Vergangenheit und prägen den Charakter ei - der fast als Synonym für Forsthäuser galt, sowie nes alten Hauses. Peter und Bärbel Michels hat - die großflächige Ausbesserung des Deelenbodens ten sich bewusst dafür entschieden, das Haus mit Bachkieseln im Fischgrätmuster. Weiter heißt möglichst authentisch zu erhalten und verzichte - es im Gutachten: „Das Gebäude ist mit der Viel - ten – zunächst notgedrungen, später aus Über - zahl historischer Elemente des Bauens und Woh - zeugung – auf grundlegende Veränderungen, was nens – bis hin zu dem Backofen im Keller und der allerdings auch eine relativ einfache, beschei - Räucherkammer im Dachraum – ein Baudenk - dene Lebensführung erfordert. mal, das aufgrund seiner hohen Authentizität von Dieses Leben „wie in früherer Zeit“ förderte das überdurchschnittlicher Bedeutung nicht nur im Interesse am ländlichen Alltagsleben der Vergan - Bestand der Stadt Schmallenberg, sondern des genheit. So entstanden hier im Laufe der Jahre gesamten Sauerlandes ist.“ populärwissenschaftliche Veröffentlichungen Im Jahr 2007 wurde der Eintragungsbescheid in über das Sorpetal, über Kinderleben, Frauenle - die Denkmalliste ausgeweitet „auf die umgeben - ben, Haus- und Nutztierhaltung, Weihnachten 78 und Wintersport sowie zahlreiche Aufsätze rund dabei die im Haus vorhandenen Hausunterlagen, um den sauerländischen Alltag in früherer Zeit. die Fachbibliothek und die z. T. digitalisierte Da das Ehepaar keine Nachkommen hat, ent - Sammlung historischer Fotos sein, die das All - schied es sich, seinen Nachlass in eine Stiftung tagsleben im Sauerland dokumentieren. einzubringen. Nach vielen informellen Gesprä - Das Stiftungskapital wurde nach Absprache mit chen und langwierigen Verhandlungen erhielten dem Kuratorium bei der GLS Bank (Gemein - Peter und Bärbel Michels am 20. November 2009 schaftsbank für Leihen und Schenken) in Bochum die Anerkennung der „als selbstständige Stiftung angelegt. Diese Bank ist Genossenschaftsbanken bürgerlichen Rechts errichteten Stiftung Altes angeschlossen und vergibt – vorzugsweise in der Forsthaus Rehsiepen.“ Dritten Welt – Minikredite überwiegend an Zentrale Aufgabe der Stiftung soll die dauerhafte Frauen. Da Rehsiepen als früheres Köhler- und Erhaltung und Nutzung des Alten Forsthauses Waldarbeiterdorf ein Standort des „kleinen Man - Rehsiepen nebst Garten und den umgebenden nes“ ist, passt die Geldanlage bei dieser Bank, Freiflächen in ihrer historischen Erscheinung weil mit der Geldanlage der Stiftung gleichzeitig sein. Die Stiftung befindet sich noch im Aufbau. „kleinen Leuten“ geholfen werden kann. Bärbel Michels arbeitet z. Zt. an einer Dokumen - Das Stiftungskapital konnte durch Fleiß sowie tation über die Anfänge der Forstwirtschaft in eine bewusste und sparsame Lebensführung er - Mittelsorpe im Sorpetal und über die Geschichte wirtschaftet werden. So scheint es dem Stifter - des Forsthauses Rehsiepen und seiner Bewohner. ehepaar nahe liegend und konsequent, nachfol - Eine Nutzung eines zum Anwesen gehörenden genden interessierten Generationen zu ermögli - 100 qm großen Gebäudes soll als weiteres Ziel an - chen, den von ihnen beschrittenen Weg fortzu - gegangen werden. Es könnte als Ausstellungs- führen. oder Schulungsraum dienen. Da das malerisch Die Vorstands- und Beiratsmitglieder, die die Ar - gelegene Haus an das FFH-Gebiet (Schutzgebiet beit der Stiftung unterstützen und begleiten, sind nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) grenzt, mit den regionalen Verhältnissen vertraut und bieten sich verschiedene Themen an, die hier be - kommen aus den Bereichen der Denkmalpflege, handelt werden könnten: Die Förderung der der Volkskunde, der Naturkunde und der Kultur - Denkmalpflege und des Denkmalschutzes, das wissenschaft . Wissen um vergangene Bauformen und die bauli - Bewahren, schützen und pflegen im Einklang mit che Veränderung der Dörfer, das Leben in einem der Natur, das sind die Ziele der beiden Stifter Forsthaus im Einklang mit der Natur, Verände - und ihrer „Mitstreiter“. Wenn es gelingt, weitere rungen in der Waldbewirtschaftung, Waldarbeit Zustifter zu gewinnen, kann nicht nur das En - früher und heute, dörfliche und kleinstädtische semble langfristig bewahrt, sondern es können Lebens-, Wohn- und Wirtschaftsformen in Süd - auch weitere Projekte im regionalen Denkmal- westfalen, Naturschutz, Fauna und Flora auf na - und Naturschutzbereich unterstützt werden. turschutzwürdigen Flächen. So könnte das Anwe - Bärbel Michels sen zur Nahtstelle von Kulturgeschichte, Denk - Bildnachweis mal- und Naturschutz werden. Hilfreich könnten B. Michels.

Teilfreilegung eines Wandgemäldes aus dem Planck-Institut für molekulare Biomedizin 2010 Zyklus „Heilkräfte der Natur“ im ehemaligen auf die Reste der Wandbilder Bahns. Restaurator Standortlazarett in Münster, Von-Esmarch- Ralf Kampmann-Wilsker aus Münster befreite Straße 54 Der Kunstmaler Ernst Bahn (1901–1978) erhielt 1937 den Auftrag, den Eingangsbereich im Ost - flügel des im Bau befindlichen zentralen Stand - ortlazaretts seiner Heimatstadt Münster mit de - korativen Wandgemälden auszustatten. 1 An den Flurwänden zu beiden Seiten des Eingangskorri - dors und in dem gegenüberliegenden Empfangs - raum entstanden insgesamt sechs monumentale figürliche Wandbilder zum Thema „Heilkräfte der Natur“ (Abb.1). Diese überdauerten den Zweiten Weltkrieg, wurden dann aber nach der Übernahme des Lazaretts durch die britischen Streitkräfte mehrfach mit weißer Wandfarbe 1 Grundriss mit Verteilung der Wandbilder: A: Heilkräfte überstrichen. Seitdem zwar nicht ganz vergessen, der Natur/Meer, B: Heilkräfte der Natur/Wasserfall, aber unsichtbar, stieß man bei den jüngsten Bau - C: Heilkräfte der Natur/Heiltrunk, D: Heilkräfte der arbeiten zur Herrichtung des zuletzt als Haut- Natur/Gebirge, E: Heilkräfte der Natur/Familie, F: Heilkräfte klinik genutzten Gebäudeflügels für das Max- der Natur/Wald. 79

3 Wandbild „Heilkräfte der Natur“ – Wald, 1938, rechts die heute sichtbare Figur.

2 Freigelegte weibliche Figur aus dem Wandbild „Heilkräfte der Natur“ – Wald. 2010. daraufhin vorsichtig eine der am besten erhalte - nen Figuren von den aufliegenden jüngeren An - strichen. Die Malschicht wurde gefestigt, Kratzer im Verputz und nicht zu entfernende Anstrich - reste wurden beruhigt, ganz bewusst verzichtete man aber auf Retuschen und Ergänzungen. Das Resultat ist auf der Wandfläche rechts vom 4 Wandbild „Heilkräfte der Natur“ – Meer, 1938, in der Haupteingang neben der dortigen Tür zu sehen. Empfangshalle noch unter den jüngeren Anstrichen Eine junge blonde Frau in einem lang fallenden verborgen. schlichten Gewand steht im Profil vor einem Baum (Abb.2). Ihr Blick richtet sich nach links Der an der Kölner Werkschule ausgebildete auf einen Ast des blühenden Baumes, den sie mit Rheinländer Ernst Bahn kam 1922 nach Münster, der ausgestreckten rechten Hand etwas herun - wo er bis zu seinem Lebensende der kurz zuvor terbiegt. Das noch unter den Wandanstrichen gegründeten „Freien Künstlergemeinschaft verborgene Gegenstück, eine weitere weibliche Schanze“ angehörte. In Münster bildete er seinen Figur auf der linken Seite der Tür, hält einen eigenen, der Neuen Sachlichkeit nahe stehenden Strauß mit blühenden Heilkräutern. Oberhalb des Stil aus. Bahn schuf zwischen 1927 und 1934 Türbogens öffnet sich, zur Hälfte noch verdeckt, mehrere monumentale Altarbilder und Wandge - zwischen weiteren Bäumen der Durchblick auf mälde in Kirchen. Nach dem Zweiten Weltkrieg eine stilisierte Landschaft. Die junge Frau symbo - arbeitete er vornehmlich als Kunsterzieher und lisiert also – heute im Ausschnitt stellvertretend Restaurator. Obwohl Bahn in kleineren Formaten für das gesamte Wandbild – die „Heilkräfte der durchaus Distanz bewahrte, stellte er in der gro - Natur“ in Gestalt der Pflanzen des Waldes ßen Auftragsarbeit „Heilkräfte der Natur“ seine (Abb. 3). Kunst 1937 in den Dienst der nationalsozialisti - Die übrigen, wegen ihres schlechteren Erhal - schen Ideologie und des daraus abgeleiteten Mot - tungszustands nicht freigelegten Wandgemälde tos: Der heldische (nordische) Mensch ist im Ein - widmen sich weiteren Naturheilkräften: Die bei - klang mit der Natur gesund. 2 Die jugendlichen, den größten Darstellungen an den Seitenwänden idealisierten und heroisierten Menschen der des Empfangsraums mit Figurengruppen am Wandbilder sollen keinen Gedanken an den Alltag Meeresstrand und in den Bergen verbildlichen im Lazarett, an Krankheit, Verwundung, Alter z. B. die heilsame Wirkung von Wasser und Luft und Tod aufkommen lassen. Als künstlerisches auf den Menschen (Abb.4). Zeitdokument und anschauliche Spur der Ge - 80 schichte des Hauses hält die jetzt freigelegte 2 Zitiert nach: Rita Kauder-Steiniger, Zum Gebäude der weibliche Figur die Erinnerung daran wach, dass Universitäts-Hautklinik: Das Standortlazarett von 1938, in: das ehemalige Lazarett ein Baustein jener gewal - Sonja Ständer/Hartmut Ständer/Thomas A. Luger, Die Uni - tigen militärischen Aufrüstung des NS-Regimes versitäts-Hautklinik Münster. Heidelberg 2006, S.17–22, seit 1933 war, die schließlich in Weltkrieg, Ver - hier S.22. nichtung und unermesslichem Leid endete. Dirk Strohmann Bildnachweis Anmerkungen Pfeiffer Ellermann Preckel Architekten und Stadtplaner, 1 Ernst Bahn. Gemälde-Grafik-Zeichnungen. Ausstel - Münster: 1. – LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen: 2 lungskatalog. Bearb. von Rita Kauder-Steiniger. Münster (Nieland). – Stadtmuseum Münster, Nachlass Ernst Bahn: 3, 2001, S.26–27. 4.

Brandheiß! – Brandschutz in Museen, Biblio - theken und Baudenkmälern: Interdisziplinäres Fachkolloquium des Hornemann Instituts und der Fakultät Erhaltung von Kulturgut der HAWK (Hochschule für angewandte Wissen - schaft und Kunst) am 22. Januar 2010 in Die Veranstaltungshalle war bis auf den letzten Platz belegt, was bereits auf ein großes Interesse und Informationsbedürfnis schließen ließ. Sowohl Plenum als auch Podium präsentierten sich inter - disziplinär. Ziel des Fachkolloquiums war es, mit - hilfe von ExpertInnen unterschiedlicher Berufs - gruppen einen praxisorientierten Überblick über die verschiedenen, zum Teil kreativen und zu - kunftsweisenden Problemlösungen zum Thema Anna Amalia Bibliothek Weimar – Brandnacht. zu geben und für gegenseitiges Verständnis aller Beteiligten zu sorgen. setzeslage, Auslegung und Anwendung der Richt - Nach der Begrüßung durch den Präsidenten der linien und DIN-Vorschriften entgegengewirkt HAWK, Prof. Dr. Martin Thren, gab Dr. Angela werden. Vor diesem Hintergrund lassen sich in Weyer, Kunsthistorikerin und Denkmalpflegerin der Regel im Konsens mit allen Beteiligten denk - am Hornemann Institut, eine Einführung in das malverträgliche Lösungen entwickeln. Thema des Kolloquiums. Sie wies insbesondere Dipl.-Rest. Christoph Schölzel, Gemälderestaura - darauf hin, dass viele Museen, Bibliotheken und tor an den Staatlichen Kunstsammlungen Dres - Archive selbst in historischen Gebäuden unterge - den, stellte die Gemäldegalerie Dresden vor als bracht und einem erhöhten Brandrisiko ausge - ein auch aus historischer Sicht gelungenes Bei - setzt sind. spiel vorausschauender und somit konzeptionell Prof. Dipl.-Ing. (BDA, DWB) Martin Thumm, ehe - präventiver musealer Praxis bezüglich des Schut - maliger Denkmalpfleger und Konservator am zes der Museumsgüter. Niedersächsischen Landesamt für Denkmal - Friedrich Hülsmann, Gottfried Wilhelm Leibniz pflege, Professor für Baugeschichte, Bauauf - Bibliothek, berichtete über den Regionalen Not - nahme und Denkmalpflege an der Fachhoch - fallverbund Hannover: In Stadt und Region Han - schule in Hildesheim, legte in seinem Vortrag dar, nover haben Kultureinrichtungen unterschiedli - dass der Nachweis des Brandschutzes der Rege - cher Träger einen Vertrag geschlossen, in dem sie lung durch die Landesbauordnungen unterliegt, sich gegenseitige Hilfe bei Notfällen zusichern. die auf Neubauten oder Veränderungen im Alt - Alleiniges Ziel dieses Vertrages ist, in Katastro - bau ausgerichtet sind, nicht aber auf die unver - phenfällen auch mit Hilfe einer umfangreichen änderte Erhaltung von Baudenkmalen. Den in Datenbank und speziell entwickeltem Bergungs - diesem Zusammenhang geforderten Änderungs- gerät schnelle und effektive Hilfe zu organisieren. oder Zusatzmaßnahmen durch die Bauaufsichts - Eine Kulturgutschutz-Beauftragte bündelt die behörden stehen die Belange des Denkmalschut - Aktivitäten des Verbundes und fungiert im Notfall zes in der Regel entgegen. Denn alle Denkmal - als Schnittstelle zwischen Verbund, Einzelein - schutzgesetze der Länder fordern gleicherma - richtung und Feuerwehr. ßen, dass Baudenkmale in ihrem Bestand zu si - Dipl.-Ing. Karsten Foth, hhpberlin – Ingenieure chern sind. Einem möglichen „verordneten“ Nie - für Brandschutz GmbH, gab einen Überblick über dergang eines Baudenkmals kann nur durch dif - die maßgeblichen Schutzziele des vorbeugenden ferenziertes Vorgehen und die Wahrnehmung des Brandschutzes. Da es in der Planung von be - Ermessensspielraums bei der Abwägung der Ge - stands- und denkmalgeschützten Gebäuden häu - 81 fig zu Konflikten mit bestehenden Regelwerken lungsleitfaden, Nachschlagewerk und Informati - kommt, wurden zudem Ingenieurmethoden im onsquelle für sämtliche Fragen der Sicherheit für Brandschutz aufgezeigt, mit denen sich oftmals Museen, Bibliotheken und Archive dienen soll. die Unbedenklichkeit bestehender Situationen Peter Hiller, Brandschutztechniker, lud nach sei - bzw. Abweichungen vom Baurecht belegen lässt. nem Referat ein, selbst praktische Löschübungen Dipl. Ing. Erhard Arnhold, selbst Augenzeuge des mit verschiedenen Geräten bei unterschiedlichen spektakulären Brandes des Stammhauses der Brandsituationen durchzuführen. Anna Amalia-Bibliothek in Weimar im September Die vielen Diskussionen machten einmal mehr 2004, berichtete umfassend über das Gebäude deutlich, wie vielschichtig die Problematik ist und und seine Ausgangssituation, Brandverlauf, zwar bereits in Bezug auf Ausgangslage und Fra - Brandschäden sowie Aufgabenstellung nach dem gestellung. Versicherungstechnische, juristische, Brand und stellte anschließend als Mitentwickler konservatorische, denkmalpflegerische und bau - das neue und wegweisende Brandschutzkonzept technische Belange – um nur einige zu nennen – für die Sanierung der Bibliothek vor. wurden von den jeweiligen Fachleuten zur Spra - Dr. Alke Dohrmann und Dipl.-Ing. Almut Siegel, che gebracht. Projekt „Sicherheit und Katastrophenschutz für Klaus Nenno Museen, Archive und Bibliotheken“ der Konfe - Bildnachweis renz Nationaler Kultureinrichtungen (KNK), führ - Maik Schuck, – Herzogin Anna ten eine Datenbank vor, die als Online-Hand - Amalia Bibliothek

Fremde Impulse – Baudenkmale im Ruhr- gebiet: 4. Westfälischer Tag für Denkmal - pflege auf Schloss Cappenberg am 10. und 11. Juni 2010 Zum 4. Westfälischen Tag für Denkmalpflege lud das LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen das interessierte öffentliche Publikum auf Schloss Cappenberg bei Selm ein. Die Veranstaltung war zugleich Bestandteil des Projekts „Fremde Im - pulse – Baudenkmale im Ruhrgebiet“ – eines Bei - trags der beiden Landschaftsverbände LWL und LVR zum Kulturhauptstadtjahr Ruhr.2010. Mit den Grußworten des Hausherrn Sebastian Graf von Kanitz, von Landrat Michael Makiolla, von LWL-Landesrätin Dr. Barbara Rüschoff-Thale 1 In der Bildmitte mit der Publikation „Fremde Impulse“ und LVR-Landesrätin Milena Karabaic startete die beiden Landesrätinnen Milena Karabaic (LVR) und die Tagung am Donnerstagnachmittag. Der Vor - Dr. Barbara Rüschoff-Thale (LWL), links außen Landes- trag des Journalisten Kay Bandermann richtete konservator im Rheinland Prof. Dr. Udo Mainzer, fünfter den Blick auf Aspekte der Vermittlung und Öf - von links Landrat Michael Makiolla, dritter von rechts fentlichkeitsarbeit im Bereich Denkmalpflege. Hausherr Sebastian Graf von Kanitz, vierter von rechts Jazzpianist Gregory Gaynair gab dem Abend den Landeskonservator von Westfalen Dr. Markus Harzenetter, passenden musikalischen Rahmen. Den Höhe - Tagungsteilnehmerinnen und Tagungsteilnehmer. punkt am Donnerstag bildete die Verleihung des Preises „scheinbar-unscheinbar“ der Stiftung „Kleines Bürgerhaus“. Als Preisträger wurde der Förderverein Haus Kirchstraße 14 (1465) Stein - furt e.V. ausgezeichnet. Je ein Anerkennungs - preis ging an die Mendener Stiftung für Denkmal - pflege und Kultur für die Rettung des Hauses An der Stadtmauer 5 in Menden und an Denkmal - pfleger Ulli Müller und weitere engagierte Bürger für das sogenannte Schiefe Haus, Krummacher Straße 3, in Tecklenburg im Kreis Steinfurt. Der Freitag (11. 6.) bot am Vormittag rund ein Dutzend Fachvorträge. Die Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger des LWL und weitere Exper - ten berichteten anhand von Denkmalbeispielen über die Beziehungen zwischen dem Ruhrgebiet 2 In der Wanderausstellung Fremde Impulse im Gelben und Europa, sowie über die Verflechtungen mit Saal in Cappenberg Dr. Holger Mertens, LWL-AfDW, im den benachbarten ländlichen Regionen Münster - Gespräch mit Tagungsteilnehmern. 82 land, Niederrhein, Sauerland und Bergisches Teilnehmern intensiv genutzt für Gespräche, Dis - Land. Neben aktuellen Beispielen der Denkmal - kussionen, Informationen, Kontakte und Weiter - pflege – Bahnhof Hamm, Wohnhaus des Künstlers bildung. Thorn-Prikker in Hagen, Geschwister-Scholl-Ge- Pünktlich zur Tagung ist im Coppenrath Verlag, samtschule in Lünen, „Goldenes Wunder“ in Münster, auch der Aufsatzband „Fremde Impulse Dortmund – wurden auch Fragen der kirchlichen – Baudenkmale im Ruhrgebiet“ erschienen. In Denkmalpflege im Ruhrgebiet und der Restaurie - ausführlichen Beiträgen und katalogartig präsen - rung von Betonverglasungen beleuchtet. Am tierten Einzelbeispielen wird darin dokumentiert, Nachmittag konnten Besucherinnen und Besu - wie sich Migration, Wandel und Veränderung im cher das Schloss und die Kirche in Cappenberg reichen Denkmalbestand der Region widerspie - genauer kennenlernen oder an Exkursionen in geln. Weitere Themen sind der ständige Aus - die Umgebung teilnehmen. Zur Auswahl standen tausch des Ruhrgebietes mit seinem Umland und Zechenkolonien in Lünen-Brambauer, die Syna - der Welt. Mit gleichem Titel ist schon im Frühjahr goge in Selm-Bork und die Innenstadt von Lünen, die Kartenbox mit 80 Denkmalporträts herausge - wo Bauten der 1950/60er Jahre besichtigt wur - kommen. den. An beiden Tagen war auch die Wanderaus - Der 5. Westfälische Tag für Denkmalpflege wird stellung „Fremde Impulse – Baudenkmale im im Jahr 2012 stattfinden. Ruhrgebiet“ im Gelben Saal des Schlosses Cap - Sybille Haseley / Saskia Schöfer / penberg zu sehen. Barbara Seifen Die beiden Tage des 4. Westfälischen Denkmalta - Bildnachweis ges wurden von rund 200 Teilnehmerinnen und LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen: 1, 2 (Dülberg)

Aus dem Bildarchiv

Die sogenannte ‚Weiße Moderne‘ – und wurde vor Allem über das aus ihr hervorge - zur suggestiven Kraft des Abbilds gangene gleichnamige Werk zum Sprachrohr des Der Schwarz-Weiß Fotografie haften bis heute Neuen Bauens. Obwohl im Text Angaben zur je - Attribute an wie ‚künstlerisch wertvoll‘, ‚rein‘, weiligen Farbigkeit der Bauwerke zu finden wa - ‚wahr‘, ‚authentisch‘ usw. Die Aufzählung ließe ren, prägte der visuelle Eindruck der Fotos die sich leicht fortführen. All dem liegt die Huldigung Vorstellung von der ‚Weißen Moderne‘ entschei - eines Purismus zu Grunde, der als Bedingung ei - dend mit. Die kühle Eleganz der Abbildungen ner Fokussierung auf den Kern der Bildaussage wurde zum Maßstab für die Beurteilung des Ab - und somit auf den künstlerischen Beitrag des Fo - gebildeten. Die Folgen schildert Norbert Huse: tografen angesehen wurde. Gestalterische und „So wesensfremd schien aber bald die Farbe, eine konzeptionelle Ansätze des Autors begeben sich Jugendsünde gewissermaßen, dass fast alle Bau - in einen Dialog mit dem Abgebildeten und blei - ten nachträglich so weiß gestrichen wurden, wie ben trotzdem transparent, was im Rahmen ge - die Fotos der zwanziger Jahre sie darstellen, und rade der Architekturfotografie von Relevanz ist. zwei Generationen später bedurfte es schon ar - Lange Zeit bedeutete der Verzicht auf Farbe auch chäologischer Anstrengungen, die Farbe rekon - einen Schutz vor Zerfall, Verfälschung und somit struierend in die Bauten und Stadträume der Verlust des dokumentarischen Charakters einer klassischen Moderne zurückzuholen.“ (Norbert Aufnahme. Auch heute noch sind die großen Bild - Huse, Geschichte der Architektur im 20.Jahrhun - archive mit Schwarz-Weiß Fotos ausgestattet. dert. München 2008, S.45) Unabhängig davon gab es zu Beginn die farbige Es liegt daher nahe, den tatsächlichen Vorzug des Alternative noch gar nicht, doch trotzdem wur - Einsatzes der Farbe Weiß für den Verputz der den qualitative Maßstäbe gesetzt, die mit späten Bauwerke dieser Epoche auch auf die Um - Schwarz-Weiß konnotiert und bis heute tradiert stände jener frühen, mit suggestiven und regres - sind. siven Impulsen genährten Rezeptionsgeschichte Die Rezeption der Architektur der klassischen zurückzuführen. Moderne fand in ihrer Breite über die einschlä - Das für den Kaufmann Leo Wiedemann durch die gige Literatur statt und war somit angewiesen auf Architekten Mönig und Strupp 1931 in Münster aussagekräftige Abbildungen, die sämtlich in gebaute Einfamilienhaus (Münzstraße 9) hat wohl Schwarz-Weiß gehalten waren. Die weltweit be - ursprünglich keinen farbigen Anstrich gehabt, achtete Ausstellung im Museum of Modern Art im wenn auch zwischenzeitlich eine Helligkeitsab - Jahre 1932, „The International Style: Archi - stufung von Turm und Baukörper durch einen tecture Since 1922“, war ein Ergebnis der Reisen Edelkratzputz mit Beimischung von Grau und in von Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson den 50er Jahren eine komplette Blautönung, die 83

‚Weiße Moderne‘ in Münster: Münzstraße 9 im Jahr 2007. jedoch 1981 wieder entfernt wurde, eine akzi - sein strahlendes Weiß. So findet der Betrachter dentelle Belebung evozieren wollte. 2006 umfas - seine Erwartungen bestätigt, was in diesem Fall send und fachgerecht restauriert, beschränkt der auch richtig ist. herausragende Vertreter der Klassischen Mo - Klaus Nenno derne seine Farbigkeit nun dezent auf architekto - Bildnachweis nische Details und belässt dem Gesamteindruck LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen (Schäfer) 84

Buchvorstellung

Leopold von Ledebur, Das Fürstentum Minden und die Grafschaft Ravensberg. Denkmäler der Geschichte, der Kunst und des Altertums. Hg. von Andreas Priever und Ulrich Henselmeyer unter Mitarbeit von Jan H. Sachers. Bielefeld 2009, 164 Seiten, ISBN 978-3-89534-661-3, 24 Euro.

Die Neuauflage des von Leopold von Ledebur 1825 vorgelegten Inventars der Denkmäler der Geschichte, der Kunst und des Altertums im Fürs - tentum Minden und in der Grafschaft Ravensberg ist in mehrfacher Hinsicht ein Glücksfall. Nicht nur, weil die von Gustav Heinrich Griese 1934 edierte Ausgabe schon lange vergriffen war, son - dern weil es sich um das früheste beschreibende und für die im Titel genannten Regionen flächen - deckende offizielle Denkmalinventar handelt. Es wurde von der preußischen Regierung in Auftrag gegeben, um geeignete Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung des Überlieferten ergreifen zu können. Aus Sicht eines Denkmalamtes stimmt es zuver - gend in Münster, Herford und Berlin, wo er eine sichtlich, wenn sich die historischen Wissenschaf - militärische Laufbahn beginnt. Nur elf Jahre spä - ten der Universitäten auf die regionalen For - ter muss er den Militärdienst aufgrund seiner schungsgebiete besinnen und Quellen aufarbei - Kurzsichtigkeit quittieren. Nach seinem Aus - ten, die für die angewandte Forschung überaus scheiden wird er „Vorsteher der Unterabteilung große Bedeutung haben. Zudem haben sich die für vaterländische Altertümer“ und nur zwei Herausgeber die Mühe gemacht, jeden Eintrag Jahre später, 1830, Direktor der Königlichen Ledeburs mit Fotos zu illustrieren, so dass der ab - Kunstkammer. Diese Stellung hat er für 43 Jahre bildungsverwöhnte Zeitgenosse die zum Teil inne und unter seiner Leitung zieht die Kunst - komplizierten Beschreibungen nachvollziehen kammer von Schloss Monbijou ins Neue Museum kann. um und wandelt sich damit von einer „privaten“ Die zeitgenössische Kritik an der ersten, von Gus - Kunstsammlung zu einer „Schausammlung“. Sein tav Heinrich Griese bearbeiteten Edition, der He - methodischer Ansatz, Kunstwerke und Denkmä - rausgeber habe den bloßen Wortlaut der Hand - ler als gegenständliche Urkunden der archivali - schrift wiedergegeben, wird bei der nun vorlie - schen Überlieferung gleichberechtigt zur Seite zu genden Neuedition durch die ausführliche Ein - stellen, kennzeichnet bereits seine sieben Jahre führung etwas gemildert, 1 zumal für die meisten früher erschienene und hier neu aufgelegte im Text beschriebenen Denkmäler mittlerweile Schrift über die Denkmäler im Fürstentum Min - weiterführende Literatur existiert. den und in der Grafschaft Ravensberg. So Die Einführung von Andreas Priever und Ulrich schreibt er in seiner Einleitung, dass er kein Henselmeyer ordnet den Text wissenschaftsge - Steinchen verschmähe, sei die Lücke, die es in schichtlich und historisch überaus sorgfältig ein. dem großen Bau der Geschichte auszufüllen ver - Gleich am Anfang wird deutlich, dass Ledeburs mag, auch noch so gering ; in diesem Sinne be - „Inventar der Denkmäler der Geschichte, der schäftigte er sich auch mit historischen Quellen, Kunst und des Altertums …“ als Inventarisation Wappen, Inschriften, Altarstiftungen und Grab - der Denkmäler in seiner umfassenden Herange - steinen etc. hensweise beispielgebend für die spätere Erfas - Priever und Henselmeyer schildern kurz, präg - sung von Denkmälern in Preußen war. Hierzu ge - nant und kenntnisreich die Voraussetzungen für hört auch die geografische Ordnung des Materi - die Beschäftigung mit Denkmälern, die dann in als gemäß der zeitgenössisch politischen Eintei - einen staatlich organisierten Denkmalschutz lung nach Kreisen und Kirchspielen, das in späte - mündete. Dabei wird auch die desolate Situation ren Inventaren weitergeführt wurde. der Archive beschrieben, die mit der Rückkehr Zunächst werden das Leben und die Persönlich - der staatlichen Ordnung nach der Säkularisation keit Leopold von Ledeburs nachgezeichnet und und der Napoleonischen Besetzung allmählich gewürdigt. 1799 geboren, verbringt er seine Ju - verbessert wurde. 85

Anhand von Beispielen verweisen sie aber auch Bezeichnend ist auch die Auswahl der beschrie - auf die Schwächen der künstlerischen und stilis - benen Denkmäler: Neben den Kirchen mit ihrer tischen Zuordnungen, die von Ledebur vornahm Ausstattung und Adelssitzen sind es nur wenige und zeigen dabei, wie unausgeprägt das verglei - Bauten der öffentlichen Verwaltung oder der In - chende Sehen und das spezifisch kunsthistorische frastruktur, die Erwähnung finden. In Minden Instrument der Formanalyse in der ersten Hälfte sind es beispielsweise das Rathaus und die We - des 19.Jahrhunderts noch waren. Aber hier liegt serbrücke, wobei letztere mit einer beachtlichen auch nicht der eigentliche Sinn eines Inventars; Konstruktionsbeschreibung dargestellt wird. Am wichtiger war es, die ortsgeschichtliche Bedeu - Schluss eines jeden Eintrages werden noch Pri - tung einzelner Objekte herauszuarbeiten und da - vatsammlungen mit ihrem Sammlungsschwer - mit ihren Erhalt vor Ort zu sichern. In dem Zu - punkt genannt. Da es die meisten Sammlungen in sammenhang war es von Ledebur auch ein Anlie - dieser Form nicht mehr gibt, sind solche Hin - gen, für eine staatliche Denkmalpflege einzutre - weise für die Provenienzforschung von besonde - ten, denn nur die konnte den fachgerechten Um - rer Bedeutung. gang mit den historischen Relikten gewährleis - Insgesamt ist die frühe Ledebur’sche Inventarisa - ten. tion bis heute eine wichtige, mit den Informatio - Obwohl die von den Herausgebern in den Text nen über Denkmäler der Geschichte, der Kunst eingefügten Fotos einer anderen Zeitschicht und des Altertums für die Region Minden-Lübbe - angehören und damit nicht unbedingt den be - cke und Ravensberg informative Beschreibung, schriebenen Zustand der Gebäude wiedergeben, die dankenswerterweise wieder zugänglich ge - erleichtern sie das Lesen der Einträge sehr. Die macht wurde. Fotos stammen überwiegend aus dem Bildarchiv Schließlich wurden mit dieser Publikation und des LWL-Amtes für Denkmalpflege in Westfalen auch mit den Aufsätzen von Eberhard Grunsky und sind zu einem großen Teil gegen Ende des 19. und Ursula Quednau über Ferdinand von Quast, Jahrhunderts entstanden. Hier zeigt sich wieder die beide in dieser Zeitschrift (Denkmalpflege in einmal, welchen historischen Stellenwert diese Westfalen-Lippe 2/07) erschienen sind, die An - Fotosammlung darstellt. Die hier vorgenommene fänge der staatlichen Denkmalpflege in Westfalen Kombination von erster wissenschaftlicher In - weiter ergründet. ventarisierung mit früher Fotodokumentation Es bleibt zu erwähnen, dass das Buch auch in darf als überaus gelungen angesehen werden. Form und Gestaltung sehr ansprechend gewor - Die Einträge für die kirchlichen Denkmäler sind den ist. So geht zur Freude des Lesers der in vielfacher Hinsicht erhellend. Neben einer Wunsch der Herausgeber in Erfüllung, ein hand - Schilderung der Quellenlage, die viel über den liches Nachschlagewerk zu schaffen, das nicht damaligen Zustand der Archive aussagt, ist es vor nur Fachleute, sondern auch interessierte Laien allem die aufschlussreiche Beschreibung der zur Hand nehmen werden. historischen Ausstattung. Die tiefe Kenntnis Leo - David Gropp pold von Ledeburs der geschichtlichen Zusam - Anmerkung menhänge wird besonders bei der Beschreibung 1 Johannes Bauermann, Westfalen und Lippe, in: Jahres - der Grabmonumente und der Deutung ihrer In - berichte für deutsche Geschichte 11 (1935), S.508–513. schriften offensichtlich. Schließlich werden die Retabel genannt, beschrieben und – zumindest die Größeren – auch skizzenhaft festgehalten. Diese häufig nicht sehr langen und nur beschrei - benden Einträge liefern wichtige Hinweise über frühere Erhaltungszustände oder legen das Au - genmerk auf heute nicht mehr vorhandene De - tails.

Neuerscheinungen des Amtes

Markus Harzenetter/Walter Hauser/ Udo Mainzer/Dirk Zache, Fremde Impulse – Baudenkmale im Ruhrgebiet. Münster 2010. 288 S., zahlr. col. Abb. ISBN 978-3-8157-1271-9. 19,95 Euro. 86

Wandel und Veränderungen, Migration, Aus - tausch und Kommunikation sind bestimmend für Menschen in jeder Gesellschaft und in jeder Kul - tur. Durch seine Geschichte ist das Ruhrgebiet mit zahlreichen Ländern und Regionen in ganz Europa verbunden: Rheinland, Westfalen, Hes - sen, Lothringen, Belgien, England, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Niederlande, Öster - reich, Polen, Portugal, Russland, Spanien, Türkei und andere. Wechselbeziehungen waren hier besonders im 19. und 20.Jahrhundert prägend und sind als sein herausragendes Merkmal zu verstehen. Zahlreiche Baudenkmale sind Zeugnis dafür und überliefern die Entwicklung dieser Kulturlandschaft seit dem Mittelalter. Fremde Impulse – Baudenkmale im Ruhrgebiet vermitteln die abwechslungsreichen Phänomene der Region RUHR. 2010.

Fremde Impulse (Box) – Baudenkmale im Ruhrgebiet. Metallbox mattsilber, 11,5 ×22 ×4cm, 2-fbg. (Neonfarbe), mit Scharnierdeckel / 80 Objektkarten, 10,5 ×21 cm, 4-fbg. mit UV-Lackierung / Booklet 12 S., 10,5 ×21 cm, Broschur / Land - Neben der Buchpublikation gibt es eine Karten - karte 94,5 ×63 cm. ISBN 978-3-8157-1193-4. box mit Objektkarten zu einzelnen Denkmälern 12,95 Euro (D) / 13,40 Euro (A) / 23,90 SFr der Region.

Neuerwerbungen der Bibliothek in Auswahl

Bauhaus-Archiv Berlin (Hrsg.): Modell Bauhaus. [Anlässlich der Ausstellung „Modell Bauhaus“, veranstaltet von den drei Bauhaus-Institutionen Bauhaus-Archiv Berlin / Museum für Gestaltung, Stiftung und Klassik Stiftung Weimar in Kooperation mit dem Museum of Modern Art in New York; Martin-Gropius-Bau, Berlin, 22. Juli bis 4. Oktober 2009]. Anlass: 90 Jahre Bauhaus. Ostfildern: Hatje Cantz, 2009. ISBN 978-3-7757- 2414-2 / 978-3-7757-2415-9

Den ungeheuren Erfolg, den das Bauhaus in den nur vierzehn Jahren seiner Existenz erlangte, versuchte damit zu er - klären, „daß es eine Idee war. Eine solche Reso - nanz kann man nicht mit Organisation erreichen und nicht mit Propaganda. Nur eine Idee hat die Kraft, sich so weit zu verbreiten.“ Zum 90-jährigen Jubiläum der Gründung des Bauhauses will sich die Publikation dieser Idee nähern, indem sie im ersten Teil die Geschichte des Bauhauses von 1919 bis 1933 in 68 Aufsätzen und im anschließenden Essayteil dessen Rezep - tion unter verschiedenen Aspekten untersucht. Synopsen am Anfang der Jahreskapitel geben 87 eine zeithistorische Einordnung der Bauhausent - In Westfalen waren die bislang wenig erforschten wicklung innerhalb des politisch-kulturellen Kon - Stuttgarter Architekten Heinz und Bodo Rausch textes. Zudem sind beide Teile reich bebildert insbesondere in Hagen, Hattingen, Iserlohn und Bad Oeynhausen tätig. Die Dissertation von An - Kähler, Gert: Route der Moderne. Vom Welterbe nette Ludwig würdigt die Architekten erstmals Breslau zum Welterbe Dessau. Architektur 1900– ausführlich indem sie mit der Aufarbeitung der 1930. Wüstenrot Stiftung. Berlin: Jovis, 2009. ISBN beiden Nachlässe die Bauten und Projekte der 978-3-86859-008-1 Brüder Rasch vollständig dokumentiert und in den zeitgenössischen Kontext setzt. Die Brüder Ein Architekturführer auf den Spuren der Mo - waren nicht nur als Architekten tätig, sondern derne zwischen Breslau und Dessau. Vorgestellt entwarfen sowohl für industrielle Zwecke als werden die Städte Breslau/Wroclaw, Görlitz, auch als Innenraum- und Möbelgestalter Einrich - Niesky, Löbau, Dresden, Chemnitz, Leipzig, Halle tungs- und Gebrauchsgegenstände, beispiels - und Dessau. Alle Städte werden mit einem Stadt - weise für die Werkbund-Aussstellung (1927) auf plan und ausgewählten Daten zur Stadtge - dem Weißenhof. Daneben wirkten sie im Bereich schichte dargestellt, bevor eine Beschreibung der des Graphikdesigns und veröffentlichten als Au - modernen Architektur folgt. In Löbau zum Bei - toren und Architekturtheoretiker fünf eigenstän - spiel das Haus Schminke (in dem man nach Vor - dige Buchpublikationen. Ein Werk- und Schrif - anmeldung übernachten kann) von Hans Scha - tenverzeichnis zeigt die vielfältigen Aktivitäten roun und in Chemnitz Hans Poelzigs Textilfabrik der Brüder Rasch auf. Goeritz. Umfassende Informationen über unsere Neuerwerbungen Ludwig, Annette: Die Architekten Brüder Heinz erhalten Sie durch unsere aktuelle Neuerwerbungsliste, die und Bodo Rasch. Ein Beitrag zur Architekturge - wir monatlich per Email verschicken. Sie können die Liste schichte der zwanziger Jahre. Tübingen: Wasmuth, unter folgender Adresse abonnieren: [email protected] 2009. Zugl.: Karlsruhe, Techn. Hochschule, Diss., Öffnungszeiten der Bibliothek: Montag –Freitag 8.30–12.30 2007. ISBN 978-3-8030-0690-5 Uhr und Montag–Donnerstag 14 –15.30 Uhr. Anmeldung er - beten.

Personalia

Neuer Leiter der Inventarisation Am 1. Juni nahm Dr. Michael Huyer seinen Dienst als Leiter des Referats Inventarisation auf. Das Referat umfasst die Erfassung, Bewertung und Erforschung der Kulturdenkmäler, wobei letzte - res insbesondere durch die Bauforschung ge - währleistet wird. Ferner gehören zu diesem Refe - rat die Gartendenkmalpflege und die Redaktion der amtseigenen Publikationen. Michael Huyer studierte Kunstgeschichte, Ethno - logie, Deutsche Volkskunde/Kulturanthropologie und Politik in Mainz und Berlin. Ein Schwerpunkt innerhalb des Studiums war die Architekturge - schichte und hier wiederum vor allem die mittel - alterliche Baukunst. Die Promotion erfolgte 2000 bei Prof. Dethard von Winterfeld an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit einer Disserta - tion über die Baugeschichte von St.Nikolai in und die kunstgeschichtliche Stellung dieser monumentalen Backsteinkirche. Nach dem beruflichen Einstieg als wissenschaftli - cher Angestellter am Institut für Kunstgeschichte nach direktem, unmittelbarem Umgang mit den der Universität Mainz schloss Huyer ein wissen - Denkmälern. Direkt im Anschluss an das Volonta - schaftliches Volontariat bei der Landesdenkmal - riat bearbeitete er als Angestellter bei derselben pflege Rheinland-Pfalz an. Motivation für den Institution die Denkmaltopographie Neustadt an Wechsel zur Denkmalpflege war der Wunsch der Weinstraße, deren beide Bände 2008 veröf - 88 fentlicht wurden. Es folgte die Erstellung einer trag an der Universität Mainz zum Thema Denk - weiteren Denkmaltopographie, diesmal des malpflege und Architekturgeschichte wahr. Landkreises Alzey-Worms. Für Huyer ist die systematische Erfassung der Schon im Studium setzte seine Beschäftigung mit Kulturdenkmäler unabdingbare Voraussetzung denkmalpflegerischen Themen ein. Dies beinhal - für jedes denkmalpflegerische Handeln. Dabei tete auch die Teilnahme an archäologischen Gra - spielt für ihn die zeitgemäße Darstellung der Er - bungen und die Arbeit in einem Büro für Baufor - gebnisse eine wichtige Rolle, um möglichst weite schung. Neben der Erfassung der Denkmäler Kreise der Bevölkerung für die Belange des Denk - war es Huyer stets ein Anliegen, weiterführende malschutzes zu sensibilisieren und entspre - Fragestellungen zu entwickeln und diesen mit - chende Akzeptanz zu erzeugen. Neben dem Ein - tels bauhistorischer Untersuchungen nachzuspü - satz bewährter Methoden in der Denkmalkunde ren. Aufträge ließen ihn dabei nebenberuflich plädiert Huyer für eine pragmatische Offenheit auch im Saarland oder in Bayern aktiv werden, neuen Untersuchungsmethoden gegenüber, um wobei gerade die Zusammenarbeit mit Vermes - ergänzende Informationen zu erhalten. Im „Sys - sungs- und Restaurierungsbüros sehr produktiv tem Denkmalpflege“ stellt die Inventarisation und war. die unmittelbar nachfolgende vertiefte Erfor - Insbesondere durch die Arbeit an den Denkmal - schung des reichhaltigen und vielgestaltigen kul - topographien und den Bauforschungsprojekten turellen Erbes in Westfalen-Lippe eine zentrale erweiterten sich die thematischen Schwerpunkte Tätigkeit dar. Huyers, der zudem auf eine mehrjährige Be - In diesem Sinne freut sich Michael Huyer sehr auf schäftigung mit jüdischem Leben am Mittelrhein seine Aufgabe im Denkmalamt. zurückblickt und ferner Lektoratserfahrung auf - Bildnachweis weist. Von 2005 bis 2010 nahm er einen Lehrauf - LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen (Dülberg)

Holger Mertens studierte Kunstgeschichte, Mit - telalterliche Geschichte und Klassische Archäolo - gie in Köln und Münster. Mit seinem Studien - schwerpunkt auf der Architekturgeschichte des Mittelalters und einer Dissertation über die Bau - plastik der Dome von Speyer und Mainz bei Pro - fessor Günther Binding in Köln wurde die Grund - lage für sein späteres Berufsleben geschaffen. Auch mit dem Thema Denkmalpflege ist er be - reits während des Studiums intensiv in Kontakt gekommen, hatte doch Dr. Udo Mainzer – Leiter des Amtes für Denkmalpflege im Rheinland – be - reits in den 1980er Jahren eine Honorarprofessur an der Universität Köln inne. Nach der Promotion im Jahr 1993 folgten Tätig - keiten in der Stadtarchäologie Duisburg sowie beim Stadtkonservator in Köln, die Erfahrungen im Bereich der Archäologie, der Bauforschung und der Inventarisation mit sich brachten. Ein Volontariat beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in München führte im Frühjahr Neuer Leiter der Praktischen Denkmalpflege des Jahres 1997 zu einer Anstellung als Gebiets - Am 1. Februar 2010 hat Dr. Holger Mertens die referent in der Praktischen Denkmalpflege in der Leitung des Referates „Praktische Denkmal - Dienststelle Bamberg. Von Schloss Seehof aus be - pflege“ im LWL-Amt für Denkmalpflege in West - treute Holger Mertens bis zum Jahr 2008 zahlrei - falen übernommen. Das Referat leistet nicht nur che Kreise und Städte in Unter- und Oberfranken, die denkmalfachliche Begleitung aller Instandset - darunter Bad Kissingen, Schweinfurt, Bamberg, zungs- und Umbaumaßnahmen an Baudenkmä - Bayreuth, Forchheim, Hof, Kronach und Wunsie - lern und innerhalb von Denkmalbereichen, son - del. Dabei wurde er mit dem gesamten Spektrum dern umfasst im Bereich der Technischen Kultur - an denkmalpflegerischen Fragestellungen kon - denkmäler auch deren Erfassung und Erfor - frontiert und erarbeitete Konzepte „vom Flur - schung. Nicht zu vergessen sind Aufgaben, wel - denkmal bis zur Industrieanlage“. 2005 über - che die Praktische Denkmalpflege (vor allem ver - nahm er als stellvertretender Referatsleiter Füh - treten durch die Mitarbeiterinnen der städtebau - rungsverantwortung für die Praktische Denkmal - lichen Denkmalpflege) als Träger öffentlicher Be - pflege in Unter- und Oberfranken; 2008 folgte lange wahrnimmt. schließlich die Ernennung zum Referatsleiter im 89

Bereich Oberpfalz und Niederbayern. Diese war Holger Mertens dringendster Wunsch ist es, die verbunden mit einem Wechsel in die „Alte Kolleginnen und Kollegen der Praktischen Denk - Münze“, dem Zentralen Dienstsitz des Bayeri - malpflege bei ihrer Arbeit zu unterstützen. In die - schen Amtes in München. Direkt betreute er die sem Sinne will er seine Erfahrungen und seine Stadt , deren Altstadt im Jahr 2007 „Sicht von außen“ nutzen, um mit Geduld und Be - zum UNESCO -Welterbe erhoben wurde. harrlichkeit vorhandene Stärken zu stärken – Von der breiten und langjährigen Erfahrung in und Schwächen zu schwächen. Gleichzeitig der praktischen Denkmalpflege konnten auch möchte er allen amtlichen und freiberuflichen Studierende des Masterstudiengangs Denkmal - Partnern der Denkmalpflege als Ansprechpartner pflege in Bamberg profitieren, denen Herr Mer - zur Verfügung stehen und jede Gelegenheit nut - tens von 2002 bis 2009 im Rahmen eines Lehr - zen, Verständnis und Akzeptanz für die Ziele der auftrags die Rahmenbedingungen und fachlichen Denkmalpflege zu erwecken. Grundsätze denkmalpflegerischen Handelns ver - Bildnachweis mittelte. LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen (Dülberg)

besucht und sich dementsprechend fortgebildet. Um den beruflichen Horizont zu erweitern, zog es ihn 2003 in das Unternehmensarchiv der Deut - schen BP /Aral AG nach Bochum, wo er im Auf - trag von ThyssenKrupp als Archivar u. a. für die Organisation des Archivs, die Zusammenlegung der Außenarchive und die Neuorganisation der verschiedenen Bestände und Magazine verant - wortlich war. Im Jahr 2005 gelang der Wechsel zurück ins Stadtarchiv nach Dorsten. Zu den Aufgaben ge - hörten von nun an u. a. Recherchen und Beant - wortung von Anfragen, Betreuung und Beratung von Benutzern, sowie Mitwirkung bei der Öffent - lichkeitsarbeit des Stadtarchivs. Aufgrund der schlechten Haushaltslage der Kommunen fiel je - doch nach vier Jahren ein Teil der Vollzeitstelle dem Sparzwang zum Opfer. Die Tätigkeit als Archivar im LWL-Amt für Denk - malpflege bedeutet für Martin Köcher eine neue Herausforderung. Zwar ist die Tätigkeit hier Ein neuer Archivar fürs Amt nicht mit der in einem Kommunalarchiv zu ver - Seit dem 1. Juni ist Martin Köcher für die Archive gleichen, aber sie ist dadurch eben interessanter. und Registraturen im LWL-Amt für Denkmal - Wird in einem Kommunalarchiv das „Gedächt - pflege in Westfalen zuständig. Martin Köcher be - nis“ der Stadt in Form von Urkunden, Akten, Zei - gann nach dem Fachabitur 1999 eine Ausbildung tungen, Fotos etc. für die nachfolgenden Genera - als Fachangestellter für Medien- und Informati - tionen aufbewahrt, so ist auch das Bemühen um onsdienste mit der Fachrichtung Archiv im Stadt - die Bewahrung der Bau- und Kunstdenkmäler als archiv Dorsten, die er im Jahr 2002 erfolgreich Sachquellen mit der Sammlung vielfältiger Unter - abgeschlossen hat. Während der Ausbildung hat lagen zu den Objekten verbunden. er zahlreiche Praktika im LWL-Archivamt Müns - Bildnachweis ter absolviert, dort auch mehrere Seminare LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen (Dülberg)

Dr. Ulrich Barth im Ruhestand Seit 1978 galt es, die bisher weniger beachteten Zum 31. 7. 2010 trat Ulrich Barth als Oberkonser - städtischen und ländlichen Profanbauten in der vator im Referat Inventarisation des LWL-Amtes „Kulturguterfassung“ als Grundlage späterer, für Denkmalpflege in Westfalen in den Altersruhe - eingehender Prüfung möglicher Denkmalwerte stand. Seit 1978, zugleich das Jahr sowohl seiner aufzulisten. Barth hat mit seinen eigenen Erfas - Eheschließung als auch der Promotion, hat er in sungen und insbesondere mit seiner Liste des verschiedenen Verantwortlichkeiten die Arbeit der märkischen Kreises Maßstäbe gesetzt; das da - Inventarisation insgesamt sowie die zusätzlichen raus 1984 entstandene Werk (Kunst- und Ge - Tätigkeitsbereiche des Amtes in Vorbereitung und schichtsdenkmäler im Märkischen Kreis. Mit Vollzug des 1980 in Kraft getretenen Denkmal - amtlichen Denkmallisten. Beschreibungen und schutzgesetzes mit gestaltet und organisiert. Bildern) liegt – selten genug für ein denkmal - 90

Münster 1992) ist Barths Interessens- und Wis - sensspektrum nur höchst unvollständig umris - sen. Noch prägender scheint Barths unbändiges Inte - resse an der Erhellung von Zusammenhängen und Strukturen: Ein Objekt ist nicht interpretier - bar aus sich heraus, sondern nur in seinen viel - fältigen Bedingtheiten und Bezügen. Über Jahr - zehnte hat das Amt vielfältig vor allem von seiner wohl in die Wiege gelegten (Geburt in Iserlohn, aufgewachsen und fest verwurzelt im märkischen Gewerbefleiß) Neugier auf strukturierte Prozesse und technische Abläufe profitiert – von der mit - telalterlichen Verhüttung bis zur zeitgenössi - schen Digitalisierung. Barth hat 1981 das Gene - raldenkmälerverzeichnis als denkmalkundliche selbstkontrollierende Kartei und 1987 die Einfüh - rung der Datenverarbeitung in der Kulturguter - fassung konzipiert und besorgt; trotz mancher Vorbehalte im Kollegenkreis („nur wer sich nicht ins Gestrüpp begibt, verirrt sich nie“) sucht er bis kundliches Werk – mittlerweile in dritter Auflage heute (man munkelt von Experimenten mit vor. Folgerichtig wurde er zwischen 1989 und Spracherkennungsprogrammen) die jeweils neu - 1992 mit der Schulung, Betreuung und fachlichen esten digitalen Entwicklungen der Denkmal - Aufsicht über 44 ABM-Kräfte betraut, was die pflege nutzbar zu machen, und der Erfolg gibt Kulturguterfassung schließlich weitgehend zum ihm Recht: Digitale Karten z.B. – zuerst entwi - Abschluss brachte. Ebenso galt es, die seit den ckelt für sein Projekt der Denkmälertopographie 1970er Jahren verstärkt in den Blick geratenen des Kreises Recklinghausen – bekam man in je - Technischen Kulturdenkmäler zu erfassen, zu be - der gewünschten Ausführung eben bei Ulrich schreiben und in Hinblick auf ihre Bedeutung zu Barth. bewerten. Allein schon aufgrund der Komplexität Wir werden nimmermüde Hilfsbereitschaft, Rat - der zu durchdringenden Abläufe und Entwicklun - schläge und Beurteilungen Ulrich Barths ebenso gen wurde dazu der eigenständige Tätigkeitsbe - vermissen wie seine umfassende Kenntnis der reich ‚TKD‘ des Amtes notwendig, dem Barth für Baudenkmale Westfalen-Lippes, seinen hum - einige Jahre angehörte. boldt’schen Hintergrund und sein fotografisches Für dieses breite Tätigkeitsfeld hatte Barth schon Gedächtnis. Erst ab dem 1.8. 2010 werden wir 1978 die notwendigen Qualifikationen mitge - Wikipedia und Google einsetzen müssen, aber bei bracht. Er war im Fach Kunstgeschichte bei Max der Frage nach der frühesten geschwungenen Imdahl an der Ruhr-Universität Bochum mit der Stahlbetontreppe in Westfalen werden die Bild - Dissertation über „Die Profanbaukunst im märki - schirme leer, und ohne Barths hilfreiche Erläute - schen Sauerland, 1815 –1880“ promoviert wor - rungen der Gesetzmäßigkeiten und Methoden der den; das 1983 im Druck erschienene Werk wid - frühen preußischen Landesvermessung die Köpfe met sich nicht vorrangig den ‚Spitzenstücken‘ his - verwirrt bleiben. Die Inventarisation und das Amt toristischer Architektur, sondern zeichnet – bis insgesamt verlieren mit Ulrich Barth Kernkompe - heute unerreicht – die Verbreitung von Konzep - tenz in Beurteilung und Behandlung bauhistori - tionen und Einzelformen bis in den Bereich des scher Zeugnisse, also in der Betrachtung der „Ge - Massenwohnungsbaus nach. Mit Aufsätzen über schichte Westfalen-Lippes im Spiegel der Bau - „Die Ritterschen Pläne zum Wiederaufbau der denkmäler“ (mit herausgegeben von Ulrich Burg Altena im Vergleich zu anderen romanti - Barth, Münster 2010). Barth selbst sieht „auch schen Rekonstruktionen des 19.Jahrhunderts“ ein Denkmalpflegerleben nach dem LWL“. Möge (in: Der Märker 26/1977) oder „Dortmund-Innen - es lange dauern! stadt. Der Stadtgrundriß vom Mittelalter bis ins 20.Jahrhundert“ (in: Im Wandel der Zeit. 100 Bildnachweis Jahre Westfälisches Amt für Denkmalpflege. LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen (Nieland) 91

Dr. Iris Tillessen im Ruhestand Mit Ablauf des Monats August ist Dr. Iris Tillessen in den Ruhestand verabschiedet worden. Iris Tillessen stammt aus dem westfälischen Hamm. Schon seit 1971 ist sie eng mit unserem Amt ver - bunden, denn hier begann ihre Ausbildung zur Restauratorin, die sie 1974 abschloss. In dieser Zeit hatte die Restaurierungswerkstatt des Amtes ihre höchste Blüte. An vielen der damals hier er - forschten und restaurierten Werke hat sie mitge - wirkt, wie z.B. an dem romanischen Scheiben - kreuz aus der Soester Hohnekirche. Parallel lief das Studium an der Universität Müns - ter mit dem Hauptfach Klassische Archäologie, dazu Latein und Kunstgeschichte.1978 schloss sie ihr Studium mit der Dissertation über die Tri - umphalreliefs von Karthago ab. Davor schon hatte sie 1975 im Rahmen eines Zeitvertrages ei - nen Teil der romanischen Wandmalereien der Großen Marienkirche in Lippstadt restauriert. Von 1979 bis 2010 ist sie dann ununterbrochen als einzig richtigen Weg vermittelt und auch er - beim Denkmalamt tätig gewesen in einer Fülle kämpft. Sie hat dieses Ziel durchaus hartnäckig von Funktionen, die sie souverän gemeistert hat: und manchmal auch unbequem verteidigt. Von zuerst als stellvertretende Leiterin der Restaurie - den vielen Objekten seien Haus Herbede in Wit - rungswerkstatt, dann bis 1982 als wissenschaftli - ten, das alte Rathaus in Bad Driburg-Dringen - che Referentin bei der Kulturguterfassung und ab berg, das fürstliche Sommertheater in Detmold, 1983 als Referentin mit Zuständigkeit der Redak - die Oetkerhalle in Bielefeld, die Umnutzung der tion. Lippstädter Jakobikirche zur Konzerthalle und Als Konservatorin im Referat Inventarisation ging das romanische Wohnhaus in der Soester Daelen - der Weg durchs Amt weiter. Mit der Eintragungs - gasse herausgegriffen. Dabei erschöpfte sich ihr kampagne durch das Denkmalschutzgesetz von Interesse nicht allein in den betreuten Objekten 1980 und den folgenden Widersprüchen und Ge - und Orten. Wissen von den Kulturräumen des richtsverfahren war flächendeckend ganz West - Mittelmeers, des alten Orients und Indiens stärk - falen zu bearbeiten. 1985 erfolgte der Wechsel in ten sie, die historische Überlieferung Westfalens die Praktische Denkmalpflege zuerst in das Refe - nicht für den Nabel der Welt zu halten. rat, welches das Ruhrgebiet betreute, 1990 in das Mit dem Ruhestand, dessen erneuten Freiheits - für Ostwestfalen zuständige Referat. Von 1994 bis raum sie mit Freude entgegensieht, verbindet Iris 2003, dem Jahr der Neuorganisation des Amtes, Tillessen einen Ortswechsel nach Köln. Wir wün - betreute sie als Gebietsreferentin dieses Referat. schen ihr in der neu gewonnenen Freiheit, dass Ab 2004 waren dann der Kreis Soest und die die Kultur und die Menschen an anderen Orten Stadt Bielefeld in der praktischen Denkmalpflege für sie ihre Faszination behalten und das Reisen ihr Aufgabengebiet. in weite Fernen ihr lange Freude macht. Und 1989 erfolgte ihre Ernennung zur Oberkonserva - wenn sie sich vielleicht doch noch einen Hund an - torin. Aufgrund des Interesses und der großen schafft oder in Pension nimmt, würden wir uns fachlichen Kenntnis bei Restaurierungsfragen nicht sehr wundern. hat Iris Tillessen immer die behutsame, sub - Bildnachweis stanzschonende Restaurierung der Denkmäler LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen (Dülberg) 92

Verkäufliche Baudenkmäler

Aus diesem Zusammenhang ist das heute an der Südseite der Arnsberg-Beverunger-Chaussee ge - legene Haus Arnsberger Straße 29 eines der letz - ten erhaltenen Beispiele.

Ort: Meschede Kreis: Hochsauerlandkreis Objekt: Fachwerkgebäude Adresse: Arnsberger Straße 29, 59872 Meschede Datierung: 1. Hälfte 19.Jahrhundert Nutzung: leerstehend Bemerkungen: zentrale Lage im Stadtkern Me - schede Grundstücksgröße: 414 qm Fünfachsiges, zweistöckiges und traufenständi - Kosten: 65.000 Euro ges Fachwerkhaus der ersten Hälfte des 19. Jh. Trotz einiger jüngerer Veränderungen Baudenk - Kontaktadresse: mal aus wissenschaftlich-hauskundlichen, volks - Türkisch-Islamische Gemeinde zu Meschede e.V. kundlichen und ortsgeschichtlichen Gründen. Jahnstraße 3 Das Gebäude bezeugt die Stadterweiterungen 59872 Meschede Meschedes, die sich entlang der Ausfallstraßen Frau Gülay Kahraman nach deren Chaussierung in den Jahren um 1815 Mobil: 0 17 09 18 98 64 vollzogen haben.

zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Nach - welt zu überliefern. Der quer aufgeschlossene Fachwerkbau vereint einen zweigeschossigen Wohnteil mit vier Räumen pro Etage und die haushohe Wirtschaftsdiele unter einem Dach - werk, das aus gesundem Eichenholz mit tadello - ser Pfannendeckung besteht. Erhalten sind auch weite Teile der bescheidenen wandfesten Aus - stattung. Ein Abbau noch im Jahr 2010 ist wün - schenswert.

Ort: Bönen-Lenningsen Kreis: Unna Objekt: Fachwerkhaus Adresse: Heidestraße 1 Datierung: 1879 Nutzung: Wohn-Wirtschaftsgebäude Nutzfläche: ca. 150 qm Das eingetragene Baudenkmal ist auf seinem an - Kosten: nach Vereinbarung gestammten Platz in ländlicher Alleinlage nicht zu erhalten; ein Versetzen innerhalb des Kreises Kontaktadresse: Unna wäre die einzige Möglichkeit, dieses sowohl Gemeinde Bönen, Untere Denkmalbehörde bauhistorisch als auch bautechnisch gut erhal - Am Bahnhof 7 tene Beispiel eines Kleinbauernhauses aus der 59199 Bönen