precode horror Geschichten aus der Nachbargruft

Die klassischen Horrorcomics der 1950er-Jahre 50er-Jahre-Umbruch- kamen nur zum Teil von EC. Ein Abriss über den so- stimmung der USA genannten „Precode-Horror“ von Tillmann Courth (Rock’n‘Roll, Fernse- hen, Playboy, Kommu- Die Tales From The Crypt waren das Flaggschiff nisten, Atomangst!) ge- von EC, sie stehen heute repräsentativ für ›alte‹ deckelt, zertreten und Gruselcomics – auch dank der HBO-Fernseh- zensiert. serie und diverser Kino-Adaptionen. Der clevere Erst zehn Jahre später Verlag Entertaining Comics hatte seinerzeit jedoch lebt der Horror wieder keinesfalls eine Monopolstellung für schockierende auf – mit den code-be- Heftchen. EC hatte es allerdings verstanden, sich freiten Schwarzweiß- bereits 1954 einen treuen Fanclub zu organisieren, Magazinen des Warren- deren Mitglieder dem Verlag selbst »postum« (der Verlags (Eery, Creepy, Laden löste sich – abgesehen von MAD – 1956 Vampirella). In meinen faktisch auf) die Stange hielten. Augen jedoch ist das oft EC warf die unbestritten besten Produkte des nur ein Abklatsch der späten Golden Age auf den Markt. Die Horror- Precode-Herrlichkeit. comics! Die Kriegshefte! Die Science Fiction- Nie wieder hat es sol- Serien! Die Krimis! Shock Suspenstories! Ihre Le- che vor Wildheit sprü- ser waren die loyalsten (ehe Marvel in den Sixties henden, von Wahnsinn seine Truppen fröhlich marschieren ließ…), und gebeutelten, von Seltsamkeit durchdrungenen, Die »Precoders« man darf mutmaßen, ob sich aus diesen Comic- vor Kreativität berstenden und vor Lächerlichkeit umfassen klar umrissen alle Süchtigen nicht das Fandom überhaupt rekrutierte strotzenden Bilderzählungen gegeben! Vor dem Horror-Heftchen (mit ersten Reprints, Fanzeitschriften und Comic- Code blendet uns ein atemberaubendes Spektrum: der Jahre Börsen in den frühen 1970er-Jahren). vom grafisch-literarischen Meisterwerk über iro- 1948-1954 Kurz: Dieser Ruf wie Donnerhall ist Nebenpro- nisch-charmante Horrorhäppchen bis hin zum be- links: dukt brillanter Public Relations. Es hat tatsächlich wusstlos-intuitivem Rotz. Nach dem Code waltet Weird Terror #3 40 Jahre gedauert, bis zwei Comic-Historiker die fast 20 Jahre lang Betulichkeit. Erst Gene Colans vom Januar 1953, EC-Konkurrenz beleuchtet haben. Mike Benton Tomb Of Dracula (ab 1972 bei Marvel) haucht Coverzeichnung und George Suarez veröffentlichten zeitgleich 1993 dem Medium Comic-Heft mit frischem Vampir- von Comic Media ihre Abhandlungen über Horrorcomics und fokus- grusel zaghaft neues Leben ein … © sierten sich dabei auf den sogenannten »Precode- Horror«. Gemeint sind damit alle Comics vor der Der Grusel-Boom der frühen Etablierung des Comics Code im Jahre 1955. Da der Code mit seinem Verbot von Gruselgestalten Fünfziger und Blutvergießen dem Genre den Todesstoß ver- Doch zurück zum Precode-Horror. Auch wenn EC setzte, umfassen die »Precoders« klar umrissen mit seinen drei Heftreihen Tales From The Crypt, alle Horrorheftchen der Jahre 1948-1954. Vorher Vault Of Horror und Haunt Of Fear die »Crème gibt es keine monothematischen Horrortitel, da- de la Crème« präsentiert, so werden sie doch imi- nach verwässert alles zu Mystery. tiert – und das zum Teil gar nicht schlecht. Der Nicht nur EC, sondern über zwei Dutzend Ver- Harvey-Verlag zum Beispiel bedient sich gewisser lage produzierten in dieser Phase ca. 1.400 Hefte. Motive von EC und gestaltet mit ironischem Touch Das ist ein enormer Ausstoß und veritabler Boom, knallige Eigenware. Die Redaktion bei Master/ der in den Jahren 1952-54 heißläuft – und am In- Story kopiert Handlungs–ideen und schlägt mit krafttreten des Code mitschuldig ist. Die Inhalte drastisch ausgestellter Gewalt in dieselbe Kerbe werden immer grotesker und grausamer, ein lust- wie der Horror-Marktführer. volles Grenzensprengen und Tabuverletzen do- Marvel (in jenen Tagen unter dem Signet miniert die knallbunten Seiten. Was im Nachhin- »Atlas« unterwegs) flutet die Kioske mit über ein wie ein vorzeitiges Aufblühen von Pop- und einem Dutzend austauschbarer Horrorserien Trashkultur wirkt, wurde in der hysterischen (Strange Tales, Uncanny Tales, Mystery Tales

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etc.) und hofft auf Ver- heute legal und kostenfrei im Internet (abgesehen drängungswettkampf. von EC und Atlas/Marvel, leider). Eine rege, meist Das damalige Schwer- USA-basierte Community scannt komplette Hefte gewicht Fawcett hat und stellt diese online (zu besichtigen im Digital den bei EC gefeuer- Comic Museum). In den letzten Jahren gehen Ver- ten Sheldon Moldoff lage dazu über, sich dieses Materials zu bedienen an Bord genommen, – und diese Hefte wieder im Druck zu veröffentli- der nun mehrere Gru- chen! Der Kreis schließt sich, die Retro-Nostalgie selprojekte lanciert verschafft diesen Fundstücken ihre Käuferschaft. (der Mann behaup- tet, das Horrorheft Der beste Horror aller Zeiten! erfunden zu haben – und verwirklicht Der Precode-Horror ist ein Reich der Wunder. seine Visionen nun Nicht nur werden hier die irrsten Ideen grafisch bei der Konkurrenz). umgesetzt, sondern oft von Giganten der Kunst Das in diesen Jah- wie , , Alex Toth, Har- ren unvermeidliche vey Kurtzman, Jack Davis, Bernard Krigstein, Iger-Zeichenstudio po- Reed Crandall, Al Williamson, Bill Everett, wert gleich sieben Se- , , , Don Heck, rien auf den Markt, Joe Kubert, Jack Cole oder Basil Wolverton. die bei den Verlagen Und das sind nur die Namen, die Sie schon mal Superior und Ajax- gehört haben. Ich kann Ihnen 20 weitere nennen, Farrell herauskom- die absolut entdeckenswert sind. men. Bei Prize ent- Hier entsteht Kunst zum Niederknien, Kunst Mister Mistery #13 wickelt Jack Kirby das Heft Black Magic. auch aus Rivalität. Denn die kameradschaftli- vom September Die Erfinder des ersten fortlaufenden Horror- che Stimmung in manchen Redaktionen feuert 1953, Cover- zeichnung von heftes, die American Comics Group, legen drei die Kollegen an, sich gegenseitig auszustechen. Bernard Baily weitere Heftreihen nach (und bescheren uns zau- Der Precode-Horror ist ein Urknall der Popkultur. © Key Publications berhafte Experimente wie die Pseudo-3-D-Technik Hier werden Layouts und grafische Innovationen »TrueVision«, in der aber bloß über den Panel- geboren, die teilweise schon die Psychedelik der rand gezeichnet wird!). Auf den Zug springen 1970er-Jahre vorwegnehmen. zudem etliche Kleinverlage auf, die jedoch meist Eine Beispielgeschichte auszuwählen (oder das untere Ende des Quali- gar nachzudrucken) ist jedoch nicht einfach. Die tätsspektrums abbilden. lieblose Kolorierung und der miserable Druck auf Der Precode-Horror be- billigstem Papier verwaschen die original art der mächtigt sich thematisch aller Künstler und genügen keinesfalls den Ansprüchen möglichen Kulturgüter und heutiger Reproduktion. Alle diese Hefte sind also verwurstet sie zu knacki- mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu gen Kurzgeschichten von im betrachten. Nicht umsonst boomt gerade der Markt Schnitt 7 Seiten Länge: Ra- für Artists Editions; Prachtbände, die mit Scans dioshows, Groschenromane, der Originalblätter auftrumpfen (Ralf Marczinczik Prosa von Poe über Maupas- berichtete in COMIXENE 119). sant bis Bradbury – selbst griechische Mythen mutieren COMIXENE präsentiert die einge- zu Harpyien-Terror über New deutschte, aufwendig restaurier- York und Stampeden von te Version von Amnesia! aus dem Zentauren. Es geht gar nicht Harvey-Heft Chamber Of Chills so oft um Vampire, Werwölfe, #17 vom Mai 1953. Der Zeichner Geister oder Zombies. Viel- ist Warren Kremer (1921–2003), mehr steht die Grausamkeit der nach dem Code Funnybooks des Menschen seiner Umwelt wie Casper The Friendly Ghost, Wendy The Good › gegenüber im Mittelpunkt. Little Witch sowie Hot Stuff The Little Devil (die Manische Killer, kalt kal- Ironie!) zeichnen musste. Detailzeichnung kulierende Mörder, aber auch verzweifelte Exis- aus Warfront #29 tenzen begehen grauenvolle Verbrechen (für die Tillmann Courth betreibt seit über fünf Jahren die deut- Seite 5) von sche Webseite FIFTIES HORROR (fifties-horror.de), die Warren Kremer sie am Ende fantasievoll und grausig zu Tode (Penciller) und kommen). Diese Comics kanalisieren auch die auf journalistische Weise sämtliche Aspekte dieses Howard Nostrand Abgründe der Gesellschaft, säen subversives Ge- Fachgebietes präsentiert. Courth steht in globalem Kon- (Inker), 1957 takt zu Sammlern, Historikern, Fans und Verlegern und dankengut und dürfen als Wegbereiter späterer gilt als Koryphäe für die ersten Gruselhefte der Comic-­ Underground-, Trash- und Splatter-Movies gelten. geschichte. Und wenn Sie ihm das nicht glauben, wird

Das Beste aber ist: Alle diese Comics finden Sie er Sie VERFLUCHEN! Rene Lehner Tillmann Courth/Lettering: Übersetzung: Publications © Harvey

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