Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 17/159

Deutscher

Stenografischer Bericht

159. Sitzung

Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Inhalt:

Absetzung des Tagesordnungspunktes 22 . . . 19021 A Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell, Tagesordnungspunkt 20: weiterer Abgeordneter und der Fraktion Unterrichtung durch die Bundesregierung: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rückho- Globalisierung gestalten – Partnerschaften lung des Atommülls aus der Asse be- ausbauen – Verantwortung teilen schleunigen (Drucksache 17/8600) ...... 19021 A (Drucksache 17/8497) ...... 19041 D Dr. , Bundesminister b) Beschlussempfehlung und Bericht des AA ...... 19021 B Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) ...... 19023 A geordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans- Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abge- Dr. h. c. (SPD) ...... 19024 B ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Beteiligung der Energie- Philipp Mißfelder (CDU/CSU) ...... 19025 D konzerne an den Kosten für das Atom- Dr. (SPD) ...... 19026 B mülllager Asse (Drucksachen 17/1599, 17/4487) ...... 19041 D Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 19028 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. (BÜNDNIS 90/ Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und DIE GRÜNEN) ...... 19029 D Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten , , Dr. Rainer Stinner (FDP) ...... 19030 D Heinz-Joachim Barchmann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 19032 B Rückholung der Atommüllfässer aus (CDU/CSU) ...... 19033 C der Asse II beschleunigen (Drucksachen 17/8351, 17/8588) ...... 19042 A Jan van Aken (DIE LINKE) ...... 19035 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 19042 B DIE GRÜNEN) ...... 19036 B Dr. (CDU/CSU) ...... 19043 C Joachim Spatz (FDP) ...... 19037 A Dr. (SPD) ...... 19045 A Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) ...... 19037 D Dr. Stefan Birkner, Minister (SPD) ...... 19039 B (Niedersachsen) ...... 19046 A Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) ...... 19040 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 19047 C II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin ordneten , , Petra BMU ...... 19048 D Pau, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Abzug deutscher Poli- Sigmar Gabriel (SPD) ...... 19050 A zisten aus Afghanistan (FDP) ...... 19052 A (Drucksachen 17/4879, 17/8443) ...... 19065 B (DIE LINKE) ...... 19053 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 19065 B Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 19066 B DIE GRÜNEN) ...... 19054 A (FDP) ...... 19068 A Dr. Michael Paul (CDU/CSU) ...... 19054 D Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Ute Vogt (SPD) ...... 19056 C DIE GRÜNEN) ...... 19069 C Franz Obermeier (CDU/CSU) ...... 19057 C Günter Baumann (CDU/CSU) ...... 19071 B

Nächste Sitzung ...... 19071 D Tagesordnungspunkt 23: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Anlage 1 der Abgeordneten Günter Gloser, Dietmar Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 19073 A Nietan, Klaus Brandner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Für einen Neubeginn der deutschen und Anlage 2 europäischen Mittelmeerpolitik (Drucksachen 17/5487, 17/6421) ...... 19058 D Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: b) Antrag der Abgeordneten Niema – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Movassat, Heike Hänsel, , Antrag: Für einen Neubeginn der deut- weiterer Abgeordneter und der Fraktion schen und europäischen Mittelmeerpolitik DIE LINKE: Selbstständige Entwick- – Antrag: Selbstständige Entwicklung för- lung fördern – Faire Handelsbeziehun- dern – Faire Handelsbeziehungen zu gen zu Ägypten, Jordanien, Marokko Ägypten, Jordanien, Marokko und Tune- und Tunesien aufbauen sien aufbauen (Drucksache 17/8582) ...... 19058 D (Tagesordnungspunkt 23 a und b) Dr. Rainer Stinner (FDP) ...... 19059 A Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) ...... 19073 D Günter Gloser (SPD) ...... 19060 B Joachim Hörster (CDU/CSU) ...... 19061 D Anlage 3 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 19063 A Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 19064 A – Große Anfrage: Deutsche Polizeiarbeit in Afghanistan – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Tagesordnungspunkt 24: Antrag: Abzug deutscher Polizisten aus a) Große Anfrage der Abgeordneten Ulla Afghanistan Jelpke, Jan Korte, , weiterer (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Deutsche Polizeiarbeit in Wolfgang Gunkel (SPD) ...... 19075 A Afghanistan (Drucksachen 17/1069, 17/2878) ...... 19065 A Anlage 4 b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- Amtliche Mitteilungen ...... 19075 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19021

(A) (C)

159. Sitzung

Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Beginn: 10.45 Uhr

Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Bundesminister, ich gebe Ihnen das Wort. Bitte Schönen Freitagmorgen zusammen! Liebe Kollegin- schön, Kollege Dr. Westerwelle. nen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Interfraktionell ist vereinbart worden, den Tagesord- nungspunkt 22 abzusetzen. Sind Sie damit einverstan- Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- den? – Sie widersprechen nicht. Dann ist das so be- wärtigen: schlossen. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- So rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf: ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst beim Deutschen Bundestag dafür bedanken, Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- dass wir seit einiger Zeit und aus Anlass des Konzeptes, gierung das die Bundesregierung am Mittwoch im Kabinett ver- (B) abschiedet hat, eine Debatte von eher grundsätzlicher (D) Globalisierung gestalten – Partnerschaften Bedeutung und Ausrichtung führen. Ich möchte mich bei ausbauen – Verantwortung teilen allen Fraktionen bedanken; denn dieser Gedanke ist bei – Drucksache 17/8600 – allen Fraktionen gewachsen. Ich möchte auch zum Aus- druck bringen, dass ich diese Debatte für notwendig Überweisungsvorschlag: halte; denn bei allem, was wir in Deutschland diskutie- Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss ren, bei allen wichtigen innenpolitischen Debatten, die Finanzausschuss wir zu führen haben, bei allen europäischen Problemen, Ausschuss für Wirtschaft und Technologie die wir derzeit lösen müssen – wir tragen eine große Ver- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und antwortung –, dürfen wir den Blick auf die Welt nicht Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales verlieren. Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wir dürfen nicht ignorieren, dass sich die Welt in ei- Ausschuss für Gesundheit nem rasanten Tempo verändert, dass sich die Gewichte Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in der Welt verschieben, dass neue Kraftzentren gewach- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe sen sind und neue Gestaltungsmächte auf die politische Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Bühne kommen, die nicht nur wirtschaftlichen Erfolg Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und haben, sondern auch politischen Einfluss. Das ist ganz Entwicklung augenscheinlich eine große Veränderung. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Wir leben in einer Zeit der Veränderung. Das, was als Wort Globalisierung in den letzten 15 Jahren in aller Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Munde war, ist in Wahrheit weit mehr als ein wirtschaft- Linke vor. licher Prozess. Die Globalisierung ist eine Vernetzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für der Welt. Die Globalisierung vernetzt nicht nur Wirt- die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Sie schaften und bringt nicht nur Handelspartner zueinander, widersprechen nicht. Dann haben wir das so beschlos- sondern es werden auch Werte globalisiert, es werden sen. Lebensstile globalisiert. Es ist eine große Chance für uns, eine werteorientierte und interessengeleitete Außen- Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in unserer politik zu formulieren und auch umzusetzen. Wir be- Debatte ist – so ist mir das gerade gesagt worden – unser trachten die Globalisierung als eine Chance, als eine Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle. Chance nicht nur für wirtschaftlichen Erfolg, sondern 19022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) ausdrücklich auch als eine Chance für unsere freiheitli- Für uns bleiben Europa und die Europäische Union das (C) chen Werte. Für diese treten wir weltweit ein. Fundament deutscher Außenpolitik. Für uns bleibt die transatlantische Partnerschaft das Fundament deutscher (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Außenpolitik. Das heißt, die alten Freundschaften werden Meine Damen und Herren, viele sind aufmerksam ge- nicht dadurch infrage gestellt, dass man neue strategische worden auf die Debatte in den Vereinigten Staaten von Partnerschaften eingeht. So wie die neue Ostpolitik die Amerika, als die amerikanische Außenministerin erklärt Westintegration nicht infrage gestellt hat, so stellt das hat, es sei notwendig, den asiatisch-pazifischen Raum Hinwenden zu neuen strategischen Partnern, zu neuen stärker zu beachten und die amerikanische Außenpolitik Gestaltungsmächten alte Partnerschaften nicht infrage. stärker auf den asiatisch-pazifischen Raum zu konzen- Wir wissen, was wir am Westen haben. Für uns war der trieren. In Wahrheit vollzieht sich hier nur eine reale Ent- Westen immer mehr als eine geografische Größe. Für uns wicklung nach. Wir leben in einer Welt mit 7 Milliarden war der Westen immer auch eine Wertegemeinschaft; so Menschen, und wir spüren, auch wenn wir im Westen verstehen wir ihn. immer noch glauben, den Taktstock fest in den Händen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zu halten, dass in Wahrheit immer mehr Gestaltungs- mächte ebenfalls nach diesem Taktstock greifen. Die Vernetzung der Welt findet in vielen Bereichen statt. Deswegen ist es wichtig, dass wir verstehen, dass Was sind die drei Merkmale dieser Gestaltungs- wir, vom Umweltschutz bis hin zur Bekämpfung des mächte, von denen ich hier spreche? Hungers in der Welt und zur präventiven Diplomatie, Erstens. Es ist eine atemberaubende wirtschaftliche also zur Konfliktvermeidung, alle Partner brauchen. Erfolgsgeschichte, die diese Gestaltungsmächte vorwei- Herzstück unserer Politik sind dabei die Vereinten Natio- sen können. nen. Aber ich sage hier auch klar: Die Vereinten Natio- nen werden nur dann auch in Zukunft eine entscheidende Zweitens. Aus dem großen wirtschaftlichen Erfolg Rolle in der Weltinnenpolitik spielen, wenn sie sich den dieser Mächte resultiert auch der Anspruch auf mehr neuen Entwicklungen in unserer Zeit anpassen. So wie politische Mitwirkung und mehr politischen Einfluss. die Gewichte in den Vereinten Nationen derzeit verteilt Drittens. Diese neuen Gestaltungsmächte wollen min- sind, spiegeln sie das Ergebnis einer Weltordnung nach destens regional Ordnungskräfte sein, das heißt sich dem Ende des Zweiten Weltkriegs wider. auch als Ordnungsmächte, mindestens regional, verste- Es ist aus unserer Sicht nicht das erste Ziel, dass hen. Deutschland als einer der größten Beitragszahler mit ei- Es ist deshalb notwendig, dass wir jetzt rechtzeitig nem ständigen Sitz im Sicherheitsrat vertreten ist. Ja, das (B) mit diesen neuen Gestaltungsmächten das Gespräch su- wollen wir, aber das ist nicht das Eigentliche, worum es (D) chen, uns auch politisch auseinandersetzen, verstehen, geht, sondern es geht darum, dass die Gewichte der Welt dass es mehr ist als China, Indien, Brasilien, Russland sich auch entsprechend widerspiegeln müssen. Dass La- oder Südafrika, also mehr ist als die BRICS-Staaten, teinamerika überhaupt nicht ständig im Sicherheitsrat dass längst eine lange Reihe von weiteren Staaten sich in der Vereinten Nationen vertreten ist, dass der gesamte der zweiten Reihe auf den Weg gemacht hat. Beispiel- asiatische Raum im Sicherheitsrat der Vereinten Natio- haft sind in dem Konzept, das wir in dieser Woche schon nen so unterrepräsentiert ist, dass Afrika überhaupt nicht vorgestellt haben, einige Staaten genannt, etwa Kolum- ständig im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertre- bien, Vietnam, Indonesien. Es wären noch viele mehr zu ten ist, das ist aus unserer Sicht falsch. Wir sind der nennen. Aber es ist nicht möglich, eine abschließende Überzeugung: Das spiegelt die Verhältnisse der Vergan- Liste der neuen Gestaltungsmächte vorzulegen. Allein in genheit wider, aber nicht die Gegenwart und erst recht den letzten zehn Jahren konnten wir beobachten, wie nicht die Zukunft. Deswegen liegt es im Interesse der schnell sich die Dinge verändern. Plötzlich sind Länder Vereinten Nationen, dass wir alle gemeinsam die Reform in der ersten Liga der Weltpolitik dabei, bei denen man der Vereinten Nationen voranbringen und vorantreiben. das vor kurzem noch nicht für möglich gehalten hat. Die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Umbrüche insbesondere in der südlichen Nachbarschaft Europas belegen dies eindeutig. Dabei wissen wir natürlich, dass es in vielen Berei- chen Unzulänglichkeiten und unterschiedliche Auffas- Ich will für die Bundesregierung klar sagen: Wir wol- sungen gibt. Ich sage dies auch vor dem Hintergrund der len die alten Freundschaften ausbauen und vertiefen, aktuellen Debatten. Es gibt schon viele Bereiche, wo wir aber wir wollen gleichzeitig auch neue Partnerschaften, international zusammenarbeiten; dort erkennt man, dass neue strategische Partnerschaften mit diesen neuen Ge- es Lichtblicke gibt. Aber es ist zum Beispiel nicht aus- staltungsmächten rechtzeitig eingehen und aufbauen. reichend, wenn man die Entscheidung des Sicherheits- Das ist unsere Ausgangsposition, das ist der Kern unse- rats der Vereinten Nationen vom vergangenen Samstag res Programms. ausschließlich auf das doppelte Veto von Russland und Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle- China reduziert. Sosehr wir kritisieren, dass es diese bei- ginnen und Kollegen, einen Widerspruch daraus heraus- den Vetos von Russland und China gegeben hat, so sehr zulesen, wie es in den politischen Diskussionen gelegent- sollten wir, wenn wir uns außenpolitisch wirklich ernst- lich getan wird, nämlich zu meinen, die Hinwendung zu haft damit auseinandersetzen, anerkennen, dass alle an- neuen Gestaltungsmächten gehe einher mit der Abwen- deren 13 Länder bei der Syrien-Resolution mit Ja ge- dung von alten Partnerschaften, das ist definitiv falsch. stimmt haben, darunter Länder wie Indien, Pakistan und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19023

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) Südafrika. Das zeigt, dass sehr wohl auch positive Ent- Es sind mehrere konkrete Dinge verabredet worden, (C) wicklungen zu verzeichnen sind. und mehrere konkrete Dinge werden derzeit diskutiert. Ich begrüße den Vorschlag einer gemeinsamen Beobach- Ich betrachte es als eine positive Entwicklung, dass termission der Arabischen Liga und der Vereinten Natio- im Hinblick auf Syrien, aber auch im Hinblick auf an- nen. Ich halte das für wichtig. Ich begrüße auch den Vor- dere Konflikte, die wir im Nahen und Mittleren Osten schlag der Arabischen Liga in Bezug auf die Einsetzung derzeit verzeichnen müssen und auch bewältigen wollen, eines eigenen Sondergesandten der Vereinten Nationen. die Arabische Liga eine zunehmende Rolle spielt. Es ist Ich halte es für unbedingt notwendig, dass wir eine Kon- bemerkenswert, dass die Arabische Liga sich in den letz- taktgruppe der Freunde eines demokratischen Syriens ten zwölf Monaten stärker als politische Einheit versteht gründen. Ich halte es für unbedingt erforderlich, dass wir und stärker politischen Einfluss nimmt. Wir werden als in Europa auch den politischen Druck auf das Assad-Re- deutsche Bundesregierung darauf reagieren. Ich beab- gime erhöhen, indem wir die Sanktionen verschärfen. sichtige, unsere diplomatischen Beziehungen zur Arabi- Auch kann ich ausdrücklich nicht ausschließen, dass wir schen Liga formell aufzuwerten. gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, dass es klug ist, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die Vereinten Nationen erneut damit zu befassen, sei es im Sicherheitsrat, sei es in der Vollversammlung der Denn wir erkennen, dass es neue regionale Kräfte gibt, Vereinten Nationen. mit denen wir bestens kooperieren können. (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Und zwar schnell!) Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen- Beides wird derzeit nicht ausgeschlossen; beides wird frage der Kollegin Wieczorek-Zeul? derzeit auch mit den Partnern erörtert und diskutiert. Da Sie ungeduldig mit den Händen gestikulieren – – Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- wärtigen: (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ja, die Bitte sehr. Menschen werden ja getötet!) – Ich bitte Sie, hinsichtlich des Schicksals der Menschen Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): in Syrien hat hier jeder dieselbe Betroffenheit wie Sie. Eine Zwischenbemerkung: Sie haben das Veto von (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Natür- Russland und China im UN-Sicherheitsrat erwähnt und lich!) zu Recht kritisiert. Gerade weil Sie sagen, die UN sind (B) besonders wichtig, möchte ich Sie auffordern, dazu bei- Ich glaube, davon kann man fest ausgehen. (D) zutragen, dass Deutschland, die Europäische Union und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die Arabische Liga vor die UN-Generalversammlung ge- hen, um dort eine Verurteilung Syriens wegen der anhal- Das gilt für jeden, Frau Kollegin, für absolut jeden. Der tenden Gewalt gegenüber der eigenen Bevölkerung zu Unterschied ist, dass wir handeln und wirklich etwas bewirken. Das ist der nächste Schritt, der schneller mög- verändern wollen. lich ist als die Einrichtung einer Kontaktgruppe. Deshalb (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das ist fordere ich Sie nachdrücklich dazu auf, vor die UN-Ge- kein Unterschied!) neralversammlung zu gehen, um dort ein Votum gegen Syrien zu erreichen. Deswegen ist es in meinen Augen ganz dringend not- wendig, Frau Kollegin – es geht nicht darum, dass ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hier als deutscher Außenminister etwas auf nationaler DIE GRÜNEN) Ebene ankündige –, dass wir zunächst einmal akzeptie- ren, dass die Arabische Liga hierbei eine ganz zentrale Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- Rolle spielt. In meinen Augen spielt die Arabische Liga wärtigen: eine Schlüsselrolle bei der Lösung des Konfliktes. Des- Frau Kollegin, ich habe vorgestern ein langes Ge- wegen möchte ich auch, dass Initiativen von der Arabi- spräch mit dem russischen Außenminister Sergej schen Liga ausgehen und mit der Arabischen Liga be- Lawrow nach seinem Besuch in Damaskus geführt. Ich sprochen werden. Das verstehe ich unter kooperativer habe gestern ein intensives und auch operatives Ge- Außenpolitik, Frau Kollegin. spräch mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nabil al-Arabi, geführt. Ich muss Ihnen sagen: Ich hielte es für klüger, wenn wir das, was wir tun, nicht nur unter Nachdem wir einen Ausflug zu einem ganz ernsten nationalen Gesichtspunkten diskutieren, sondern auch und wichtigen Problem gemacht haben, will ich noch engstens abstimmen, und zwar nicht nur mit den eine Schlussbemerkung zu dem machen, was uns als 13 Staaten, die im Sicherheitsrat mit Ja gestimmt haben, Antwort bevorsteht. Als Antwort ist nicht ausreichend, sondern ausdrücklich auch mit der Arabischen Liga und neue Partnerschaften anzustreben und zu finden, uns mit übrigens auch mit der Türkei. In diese Richtung arbeiten den aufstrebenden Gestaltungsmächten zusammenzutun wir. Ich glaube, entscheidend ist, dass wir das gemein- und engstens mit ihnen abzustimmen. Notwendig ist sam tun und gemeinsam in dieser Richtung weiterarbei- ausdrücklich auch die Erkenntnis, dass wir uns in ten. Europa gegenseitig brauchen. Ich glaube, die Antwort 19024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) auf die Umbrüche in der Welt ist eine stärkere Integra- zept der Bundesregierung beschließt, das in der Hausge- (C) tion Europas. Deutschland ist in der Welt viel kleiner, als brauchsversion für Abgeordnete – DIN A4 ohne Bilder – Deutschland in Europa ist. In Europa ist Deutschland re- auch schon circa 30 Seiten umfasst, dieses dann einen lativ groß; in der Welt ist Deutschland relativ klein. Wir Tag später im prall gefüllten Weltsaal des Auswärtigen haben heute Morgen in den Fraktionen über die Fragen Amtes mit großem Tamtam der Öffentlichkeit vorgestellt beraten, was das finanziell bedeutet, welche Fiskalpa- wird und sich heute im Bundestag – man beachte die kete verabredet werden müssen. Ich rate uns aber dazu, Reihenfolge – eine Unterrichtung durch die Bundes- auch die politische Debatte über die nächsten Integra- regierung und eine anderthalbstündige Debatte anschlie- tionsschritte in Europa in einen Zusammenhang mit den ßen. neuen Veränderungen in der Welt zu stellen. (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Am Ich bin der festen Überzeugung, liebe Kolleginnen Mittwoch hat die Unterrichtung stattgefun- und Kollegen, dass es unbedingt erforderlich ist, uns in den!) Europa zu versichern, dass niemand zurückbleibt, ein Angebot an alle europäischen Partner zu machen, auch Inzwischen wissen wir, dass diese Arbeit 18 Monate an diejenigen, die derzeit noch zögern, die im Dezember gedauert hat und dass alle 14 Bundesministerien an ihr noch nicht mitgestimmt haben, die derzeit noch an ande- beteiligt waren. Unter diesen Umständen kommt einem ren Stellen arbeiten, dass wir zusammenbleiben. der Titel „Globalisierung gestalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung teilen“ schon fast bescheiden Ich denke, dass es als Antwort auf die Veränderungen vor. Da greift man lieber zu dem idiomatisch innovati- in der Welt auch an der Zeit ist, in Deutschland für ven Titel „Gestaltungsmächtekonzept“. Das macht neu- Europa zu werben. Ich bin aber auch dafür, dass wir in gierig, das verführt zum Lesen. Europa für Deutschland werben. Wir befinden uns in ei- ner wirklichen Prägephase, was Europa angeht – in einer Je mehr man allerdings liest, desto mehr stößt man Prägephase, in der sich für viele Jahre nicht nur entschei- auf einige Auffälligkeiten dieses Konzepts der Bundes- den wird, wie das Bild Europas in Deutschland und das regierung. Schon die erste Kapitelüberschrift lautet: Bild Deutschlands in Europa sein wird, sondern auch, „Neue Gestaltungsmächte als Partner“. Zu gern wüsste wie das Bild Europas in der Welt sein wird. Deswegen man natürlich, welche Länder das namentlich sind. Man werbe ich dafür, dass wir uns in Europa kooperativ ver- erwartet, dass sie alsbald aufgezählt werden. Aber Fehl- abreden, dass wir gemeinsam vorgehen und dass wir ge- anzeige. Weder auf den 68 Seiten noch auf den knapp meinsam daran arbeiten, dass wir kein deutsches Europa 30 Seiten – je nach Version – erfährt man, was es denn bekommen, sondern ein europäisches Deutschland blei- für Länder sind, mit denen so viel gemacht werden soll. (B) ben. Das sollte in meinen Augen auch Teil unserer Über- Am weitesten haben Sie sich, Herr Außenminister, (D) legungen sein. noch bei der Vorstellungsrede im Weltsaal vorgewagt Wir müssen aufpassen, dass wir es mit unserem eige- und dies heute zum Teil wiederholt. Sie haben zum nen Auftritt in Europa nicht überziehen, sondern es ist Schluss Ihrer Rede gesagt, es seien nicht nur die BRICS- klug und sinnvoll, immer zu verstehen: Wir sind Teil Staaten, also Brasilien, Russland, Indien, China und Europas, Teil der Europäischen Union – nicht nur wegen Südafrika. Sie sind dann fortgefahren – ich zitiere –: der Geschichte, sondern ausdrücklich auch, weil wir in Eine Vielzahl anderer Länder hat sich auf den glei- Zeiten der Globalisierung nur so die Zukunft gemeinsam chen Weg gemacht, ob Mexiko, Indonesien, Viet- meistern können. nam, Kolumbien oder viele andere mehr. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Das Gestaltungsmächtekonzept ist also eine Strategie für (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) neun genannte Länder oder „viele andere mehr“. Das hinterlässt einen ein bisschen ratlos, Vizepräsident Eduard Oswald: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Der nächste DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Das Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege Gernot ist aber eher Ihr Problem!) Erler für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Kollege Erler. obwohl man ahnt, dass diese Vagheit etwas mit geopoli- tischer Höflichkeit zu tun haben könnte. Warum sollte (Beifall bei der SPD) man ein Land, das sich selbst als Gestaltungsmacht ein- ordnet, durch eine allzu geizige Aufzählung womöglich Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): vor den Kopf stoßen? Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Es ist nun leider so, dass diese Vagheit nicht nur an muss etwas Wichtiges in der deutschen Außenpolitik dieser Stelle besteht, sondern in dem ganzen Konzept zu passiert sein, finden ist. Hier wird buchstäblich über alles gesprochen: (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- internationale Zusammenarbeit und Global Governance, NEN) Kultur, Bildung, Wissenschaft, Frieden, Sicherheit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Finanzen, Res- wenn am Mittwoch dieser Woche das Bundeskabinett sourcen, Ernährung, Energie, Arbeit, Soziales, Gesund- eine reich bebilderte Broschüre von 64 Seiten als Kon- heit, Entwicklung und Nachhaltigkeit. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19025

Dr. h. c. Gernot Erler (A) Jedes Mal lesen wir einige unstrittige Sätze über Damals haben Sie, Herr Außenminister, proaktiv ge- (C) Ziele, die wir uns insgesamt in diesen Arbeitsbereichen gengehalten. Ich zitiere aus Zeit Online vom 25. August vorgenommen haben. Dann kommt wie ein ceterum cen- 2011: seo, dass wir diese Ziele im Dialog mit den neuen Ge- Es sei nicht nur entscheidend, „alte Partnerschaf- staltungsmächten ein Stückchen weiterbringen wollen. ten“ zu pflegen, sondern auch „die neuen Kraftzen- Diese Methode führt zu einem Produkt des unangreifba- tren der Welt ernst zu nehmen und neue strategische ren guten Willens und der jeden Widerspruch entmuti- Partnerschaften aufzubauen“. genden Schlichtheit. Ich widerspreche deswegen auch keinem einzigen Satz dieses Konzepts, stelle aber doch Das haben Sie eben noch einmal wiederholt. Das war da- die Frage, ob es überhaupt eines ist. mals Ihre Legitimation. Das war Ihre Antwort auf die Sorgen und die Kritik vom Altbundeskanzler und ande- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ren. Jetzt taucht dieses Thema wieder auf. Die neuen DIE GRÜNEN) Kraftzentren der Welt sind unbegreiflicherweise immer Die Antwort auf diese Frage findet sich auf Seite 26 noch – ich habe das zitiert – das große Aber zu unseren der Version ohne Bilder. Ich zitiere: historisch gewachsenen, nicht aufgebbaren Partnerschaf- ten. Ich sage Ihnen: Daraus kann nichts Gutes entstehen. Die Bundesregierung ist dem Ziel verpflichtet, die einzelnen Fachpolitiken zielgerichtet zu einem Ich sage Ihnen aber auch: Kompliment, dass Sie das übergreifenden und umfassenden Globalisierungs- ganze Bundeskabinett in dieses Konzept mit eingespannt konzept für die Zusammenarbeit mit den neuen Ge- haben. Mit uns wird Ihnen das nicht gelingen. Wir disku- staltungsmächten zu verzahnen. tieren gerne mit Ihnen über eine Welt im Wandel, in der es unbestritten Länder und Regionen gibt, deren Bedeu- „Ist dem Ziel verpflichtet“ heißt doch wohl: Da kommt tung zunimmt. erst noch die Arbeit; sie muss erst noch geleistet werden. Das ist wieder ein Satz, dem man nur zustimmen kann. (Patrick Döring [FDP]: Was wollen die Sozial- Es gibt also dieses Gestaltungsmächtekonzept noch gar demokraten? Das bleibt völlig im Dunkeln!) nicht, sondern eher eine Art Materialsammlung, aus der Es gibt aber auch Länder und Regionen, die an Bedeu- man künftig ein Konzept machen könnte. tung verlieren. Dann fragt man sich aber, warum es dann diesen enor- (Patrick Döring [FDP]: Was wollen Sie denn?) men Aufwand gibt. Hier stößt man auf eine ziemlich per- sönliche Motivationskette von Außenminister Westerwelle, Wir diskutieren aber nicht auf so einer unverbindlichen, wenn man noch einmal in seine Vorstellungsrede für das geradezu beliebigen und von der Entstehungsgeschichte (B) Gestaltungsmächtekonzept schaut. Gleich am Anfang ideologisch infizierten Grundlage. (D) finden wir da ein Bekenntnis zu Deutschlands Partner- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaften in Europa und über den Atlantik. Das haben Sie DIE GRÜNEN) eben auch noch einmal betont. Dann jedoch kommt ein lautes Aber. Das lautet so: Vizepräsident Eduard Oswald: Aber die Welt befindet sich auch im Wandel: Es Vielen Dank, Kollege Gernot Erler. – Nächster Red- entstehen neue Kraftzentren in der Welt, in Asien, ner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/ in Lateinamerika und anderswo. CSU unser Kollege Philipp Mißfelder. Bitte schön, Kol- Der Topos „Neue Kraftzentren“ kommt uns bekannt lege Philipp Mißfelder. vor. Wir erinnern uns: Er stammt aus einer mit harten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bandagen geführten Kontroverse über Grundausrichtun- gen und Prinzipien der deutschen Außenpolitik, die ih- ren Ausgangspunkt in der Entscheidung des Sicherheits- Philipp Mißfelder (CDU/CSU): rates der Vereinten Nationen in der Nacht vom 17. auf Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen den 18. März letzten Jahres hatte, wo Deutschland be- und Kollegen! Meine Damen und Herren! Geschätzter kanntlich eben nicht mit Frankreich und den Vereinigten Kollege Erler, in erster Linie wollte ich eigentlich zur Staaten, sondern gemeinsam mit Russland und China ge- Sache reden, aber ich kann es mir und Ihnen nicht erspa- stimmt hat. ren, etwas zu Ihren Ausführungen zu sagen. Wenn Sie sich anschauen, wie die Besuche ausländischer Gäste in (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Berlin momentan verlaufen, die nicht immer unproble- GRÜNEN]: Gestaltungsmächte! – Dr. Rainer matisch sind, wenn Sie die Taktfrequenz sehen, mit der Stinner [FDP]: Was Ihr Fraktionsvorsitzender europäische Partner Hilfe und Orientierung suchend ausdrücklich begrüßt hat, Herr Erler! Hier!) nach Deutschland kommen, In diese Debatte hat dann hinterher Altbundeskanzler (Edelgard Bulmahn [SPD]: Das ist kein mit mahnenden Worten eingegriffen. Er Tourismusministerium!) hat davor gewarnt, sich von den wichtigsten Partnern Frankreich und den Vereinigten Staaten abzuwenden. die Bundeskanzlerin und den Außenminister um Rat bit- ten, wenn Sie sehen, wie die Diskussionen bei nahezu al- (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Was sagt len wichtigen internationalen Konferenzen ablaufen, ob Herr Steinmeier dazu?) auf der UNO-Woche in New York, ob in Davos in der 19026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Philipp Mißfelder (A) Schweiz oder zuletzt auf der Münchener Sicherheitskon- wicklungsziele erreichen und Verantwortung partner- (C) ferenz, dann werden Sie feststellen, dass sich momentan schaftlich übernehmen zu wollen. alles um Deutschland dreht. Hierzu möchte ich zunächst kurz anmerken, dass ( [SPD]: Und es wird Deutschland seine internationalen Verpflichtungen ver- wieder deutsch gesprochen?) fehlt und seine Versprechen nicht eingelöst hat, nämlich die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit gemäß des Deshalb hat Minister Westerwelle zu Recht gesagt: sogenannten ODA-Stufenplans zu steigern. Obwohl Wir müssen mit dieser Verantwortung auch verantwor- mehr als 370 Abgeordnete des Hauses einen Aufwuchs tungsbewusst umgehen und an dieser Stelle Orientierung von über 1 Milliarde Euro gefordert haben, wurde nur bieten. Deshalb fand ich Ihren Beitrag heute – ich hoffe, ein ganz kläglicher Betrag zustande gebracht. Sie wissen, dass ich Ihre Beiträge sonst schätze – unpas- send und falsch. Sie sind auf das Thema Globalisierung, In Ihrem Konzept nimmt die Passage zur Rechtsstaat- wie Sie sich das vorstellen, inhaltlich nicht eingegangen. lichkeit und guten Regierungsführung einen großen Ihre Kritik, welcher Motivation sie auch entstammen Raum ein. Hierzu möchte ich von Ihnen wissen: Wenn Sie mag, war einfach falsch. Wie denn anders als im Dialog Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung einfor- mit den neuen sich herausbildenden Kraftzentren soll dern, dann ist es gut, mit gutem Beispiel voranzugehen. diese Globalisierung gestaltet werden? Herr Erler, diese Wenn Sie, Herr Mißfelder, in einem Entwicklungsland, in Frage haben Sie auch nicht beantwortet. Ich finde das dem Tourismus eine große Rolle spielt, beobachten wür- Konzept, wie es Minister Westerwelle auf den Weg ge- den, dass ein Wirtschaftsunternehmen, das im Tourismus- bracht hat, ambitioniert und auch richtig. bereich intensiv tätig ist, einer Partei eine große Spende – vielleicht in Höhe von 1 Million Euro – macht, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Patrick Döring [FDP]: Abartig, Herr Kollege! Ich glaube, die Alternative zum Dialog mit den neuen Abartig!) Kraftzentren wäre Konfrontation. So habe ich Ihre Schriften und Ihre Beiträge jedoch noch nie verstanden, und Sie weiterhin beobachten, dass danach ein Gesetz auch jetzt nicht, selbst wenn ich mir gewünscht habe, an erlassen wird, das der entsprechenden Branche hilft, dieser Stelle von Ihnen etwas dazu zu hören. Insofern über 1 Milliarde Euro einzusparen, wäre das dann für Sie weise ich das zurück und kann nur sagen, dass wir das Korruption und schlechte Regierungsführung? ambitionierte Konzept unterstützen. Hier möchte ich den Zweite Frage. Sie haben ja gerade die Beamten ge- Häusern, die sich daran beteiligt haben, herzlich danken lobt: Wenn in einem Entwicklungsland eine Regierung und vor allem den Beamten, die sehr viel Herzblut, die Beamtenstellen nur mit Parteifreunden besetzt und (B) (D) Engagement und zähes Ringen investiert haben. Das war nicht nach Fachlichkeit und Eignung, nicht immer ganz einfach. (Patrick Döring [FDP]: Sie müssen sich in Be- Einen Punkt möchte ich herausgreifen, Herr Minister. handlung begeben!) Die zukünftige Zusammenarbeit zwischen dem Auswär- tigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftli- wäre das für Sie schlechte Regierungsführung? Wäre che Zusammenarbeit und Entwicklung wird ein histori- dann – jetzt konkret auf diese Regierung bezogen – nicht scher Quantensprung sein; ich möchte sogar sagen, eine das, was die FDP mit der Senkung der Mehrwertsteuer historische Befreiung. Herzlichen Dank an Ihre Mitar- für Hoteliers gemacht hat, genauso zu bewerten? beiterinnen und Mitarbeiter, die sich durchgesetzt haben (Patrick Döring [FDP]: Unfassbar!) und damit für die Bundesregierung in Zukunft einen ganz neuen Schwerpunkt herausbilden. Im Hinblick auf das, was Minister Niebel in seinem Haus betreibt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Zurufe von der Regierungsbank) Vizepräsident Eduard Oswald: dass er nämlich neue Stellen schafft, den Apparat auf- Herr Kollege Mißfelder, gestatten Sie eine Zwischen- bläht, eine neue Abteilung bildet – die der Personalrat als frage unseres Kollegen Raabe? Wahlkampfabteilung bezeichnet –, um für die nächste Wahl Steuermittel und Personal zweckzuentfremden, Philipp Mißfelder (CDU/CSU): (Patrick Döring [FDP]: Einer im Saal muss der Ja, er ist Experte für dieses Thema. Dümmste sein!) frage ich Sie: Stimmen Sie mir zu, dass das von Ihnen Vizepräsident Eduard Oswald: gelobte Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Bitte schön. und Entwicklung mittlerweile zu einem Ministerium für Vetternwirtschaft und Abwicklung verkommen ist? Dr. Sascha Raabe (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sehr geehrter Herr Kollege Mißfelder, Sie sprachen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – das Entwicklungsministerium an. In dem Konzept gibt Patrick Döring [FDP]: Das ist die neue SPD! es einige Stellen, in denen sich dazu bekannt wird, Ent- Großartig!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19027

(A) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): aus unserer wirtschaftlichen Stärke heraus unsere politi- (C) Ich danke Ihnen für diese Fragen, weil sie Ihre Nicht- sche Konzeption so glaubwürdig vertreten, dass sie als regierungsfähigkeit zeigen. das attraktivste Lebensmodell der Welt erscheint und da- mit nachahmenswert wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das muss man so sagen. Ich weiß nicht, wie man in so (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kurzer Zeit in der Opposition so schnell die Regierungs- Um dieses Engagement geht es im Kern. Wenn wir in fähigkeit verlieren kann. Ich hoffe, dass es in Ihrer Frak- den besagten Regionen oberlehrerhaft auftreten, werden tion noch andere Leute gibt, die im Blick haben, was wir nichts erreichen. beim strukturellen Umbau eines Ministeriums notwen- dig ist. Wir schöpfen aus der Zeit von 1989, als die Zeiten- wende in Deutschland unser Leben nachhaltig beeinflusst Nehmen Sie einmal eine Nachhilfestunde bei Franz hat. In sehr kurzer Zeit mussten wir verantwortungsbe- Müntefering. Er hat 2005 in der Großen Koalition seinen wusst einen sehr schweren Transformationsprozess Personalapparat neu strukturiert, um den Anforderungen bewältigen, und zwar sowohl wirtschaftlicher als auch der Großen Koalition gerecht werden zu können. Das politischer Natur. Deshalb sind wir gefragter Gesprächs- wäre der Erörterung an einer anderen Stelle sicherlich partner, wenn es darum geht, jetzt denjenigen behilflich noch einmal wert; es zeigt aber vor allem, dass die Inte- zu sein, die selber die Chancen ihres Landes identifizie- ressen der Hausleitung nicht außer Acht gelassen werden ren, die Konflikte in ihrem Land sehen, die wirtschaftli- können, wenn politische Programme durchgesetzt wer- chen Herausforderungen im Blick haben und verantwor- den. Das haben Sie so gemacht, und das haben Vorgän- tungsbewusst versuchen, ihr Land in eine neue, bessere gerregierungen so gemacht, Zukunft zu führen. (Patrick Döring [FDP], an den Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD] gewandt: Da braucht man gar Wir leben in einer Zeit, die nicht sicherer geworden nicht den Kopf zu schütteln!) ist, trotz des Endes des Kalten Krieges und den damit zunehmenden partnerschaftlichen Verbindungen bei- und das werden Sie, wenn Sie irgendwann einmal wie- spielsweise mit Russland, auf der Basis unserer stabilen der Regierungsverantwortung tragen sollten, ebenso ma- transatlantischen Partnerschaft, die wir fortsetzen und chen. Wir sind beide jung genug, dass wir das vielleicht intensivieren wollen. Die Welt vor unserer Haustür ist erleben werden. Dann werde ich Sie daran erinnern. nach wie vor unsicher. Denken Sie an die Verbrechen Ansonsten muss ich zum Thema „Schlechte Regie- von Srebrenica im Jahr 1995, an die zuletzt aufgekom- rungsführung“ sagen: Ich stimme Ihnen nicht zu und menen Fragen um Libyen, an den Irak-Krieg, an die ak- (B) (D) halte Ihre Einlassung für falsch. tuellen Fragen um Syrien und – das will ich besonders hervorheben – an die Großkonflikte in Afrika, etwa im (Beifall bei der CDU/CSU) Kongo oder in Somalia, die das Chaos fest im Griff hat und die wir deshalb nicht bei den Fragen, die uns wichtig Ich hoffe, dass ich damit Ihre Frage zur Zufriedenheit sind, vernachlässigen dürfen. Deshalb möchte ich aus- beantwortet habe. drücklich das Streben unserer Regierung unterstützen, Jetzt zum Thema: Wir wollen die Globalisierung ge- dass Afrika eine eigene Repräsentanz in den ständigen stalten. Wenn ich kurz das bilanzieren darf, was diese Gremien der Vereinten Nationen bekommt. Anders wird Bundesregierung und wir als die sie tragenden Fraktio- eine internationale Einbindung nicht möglich sein. Des- nen bisher als unsere Schwerpunkte herausgebildet ha- halb unterstütze ich unsere Regierung ausdrücklich. ben, dann muss man sagen, dass wir uns den Herausfor- derungen der Globalisierung sehr konkret stellen. Das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gilt zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit Ländern, Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wie gelingt die auf der Weltbühne neu auftrumpfen, nämlich China, es uns, Asien nicht nur in eine wirtschaftliche Koopera- Indien, Südafrika oder Brasilien. tion, sondern auch in Sicherheitsstrukturen und in politi- Alleine dieser kleine Überblick zeigt, wie schwierig sche Transformation einzubinden? Dort sind unsere Ak- das Spannungsfeld zwischen unserer wertegebundenen tivitäten, die Aktivitäten vieler einzelner Parlamentarier, und gleichzeitig interessengeleiteten Außenpolitik an sehr weit gediehen. Wenn man sich anschaut, mit wel- manchen Stellen sein kann. Denken Sie in dem Zusam- cher Expertise dieses Haus dazu beiträgt, dass der Aus- menhang beispielsweise an China und die Menschen- tausch mit zentralasiatischen Ländern, aber auch mit den rechtsverletzungen. Gleichzeitig muss man die großen Großmächten in Asien gelingt, dann muss man sagen: historischen wirtschaftlichen Herausforderungen beden- Das ist wirklich bemerkenswert. Vergleichen Sie das ken, die die neuen Emerging Markets uns bieten. Diese einmal mit anderen Parlamenten. Das ist etwas, wo wir dürfen wir als Exportnation natürlich nicht außer Acht auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen kön- lassen. nen, wo wir ein sehr gefragter Gesprächspartner sind, wenn es darum geht, zu zeigen, wie wir – ich habe es Gleichzeitig müssen wir in diesen Regionen mit dem vorhin schon erwähnt – unsere Herausforderungen nach Export unserer politischen Ideen wirken. Minister 1989 gemeistert haben und wie wir momentan unserer Westerwelle hat zu Recht gesagt: Die Welt wartet doch führenden Rolle in Europa gerecht werden. gar nicht darauf, dass wir sie belehren und ihr erklären, was wir für den besten Weg halten; vielmehr müssen wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 19028 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Philipp Mißfelder (A) Ich setze beispielsweise auch im Zusammenhang mit Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): (C) China eindeutig in erster Linie auf Dialog statt auf Kon- Danke sehr, Herr Präsident. – Verehrte Kolleginnen frontation. Ich glaube, dieses Alleinstellungsmerkmal und Kollegen! Der Außenminister hat eine außenpoliti- sollte ganz Europa im Blick haben. Dort mit dem erho- sche Grundsatzdebatte angekündigt. Ich finde, sie ist benen Zeigefinger aufzutreten, wird wenig bringen. Ich schon lange überfällig. Ich will sie führen, die Fraktion glaube, die Strahlkraft unseres Modells muss so groß Die Linke auch; also müssen wir sie führen. und so positiv sein und der Erfolg muss einfach so über- Anders als der Kollege Erler stoße ich mich nicht an zeugend sein, dass sich der Reformprozess, der sich in einzelnen Sätzen des Konzeptes. Die interessieren mich den vergangenen Jahrzehnten in China entwickelt hat, nicht, das Ambiente finde ich nebensächlich. Ich bin der weiter stabilisiert. Es geht darum, diesen Prozess zu un- Auffassung, dass das ganze Wesen des Konzeptes falsch terstützen, damit auf lange Sicht tatsächlich weitere not- ist und in die falsche Richtung geht. wendige Reformen eingeleitet werden. (Beifall bei der LINKEN) Dahin gehend hat sich unsere politische Arbeit schon massiv verändert, meine Damen und Herren. Es ist nicht Deswegen muss man das Wesen des Konzeptes angrei- mehr so, dass in erster Linie der Austausch von Depe- fen. Es geht um die inhaltlichen Differenzen und nicht schen eine große Rolle spielt. Vielmehr spielt eine multi- darum, wie Sie das Konzept vorgestellt haben. mediale Dauerpräsenz eine große Rolle. Das, was sich Ich habe den Eindruck, dass Ihr Konzept dem Wesen heute aus einzelnen Unterausschüssen des Deutschen nach kein Gestaltungskonzept, sondern ein Zerstörungs- Bundestages über Facebook und Twitter verbreitet, kann konzept ist. für die außenpolitische Darstellung relevant sein. Des- halb hat das Gewicht des außenpolitischen Diskurses (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Wie hier im Parlament eine neue Stufe erreicht; das müssen kommen Sie denn darauf?) wir sehr ernst nehmen. Das nehme ich sehr ernst. Ich bin der Meinung: Wer Dieser Entwicklung wird die Bundesregierung dan- heute auf solche Art und Weise mit anderen europäi- kenswerterweise gerecht. Ich kann mich nicht erinnern schen Ländern, zum Beispiel Griechenland, umgeht, wer – auch nicht in Bezug auf die Vorgängerregierung, an diktiert, dass Löhne und Renten sinken sollen, wer dik- der meine Partei beteiligt war –, dass uns das Auswärtige tiert, welches Steuersystem in den jeweiligen europäi- Amt und die Bundesregierung so umfassend über jeden schen Ländern durchgesetzt werden soll, einzelnen Schritt informiert haben, der gegangen wird. (Patrick Döring [FDP]: Ein Zerrbild der Reali- Das gilt auch für das vorliegende Konzept. Deshalb geht tät!) (B) mein herzlicher Dank an Sie, Herr Minister, (D) wer den Sparkommissar schicken will, der zerstört die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Strahlkraft von Europa und die europäische Idee. Das ist keine Gestaltung, das ist Zerstörung. dass Sie sich nicht nur die Mühe gemacht und die Zeit genommen haben, sich mit uns darüber auszutauschen, (Beifall bei der LINKEN) sondern auch viele Anregungen unsererseits aufgenom- Herr Westerwelle, Sie werden es schwer haben, neue men haben. strategische Partner in der Welt zu finden, wenn Sie alte Partner so schlecht behandeln. Wie die Bundesregierung Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, glauben, dass in Europa derzeit vorgeht, das ist Zerstörung pur. wir mit dem vorliegenden Konzept unserer Verantwor- tung gerecht werden. Wir glauben, dass wir gerade in Zei- In Ihrem Konzept wird deutlich – darin scheiden sich ten der Sparsamkeit, in denen wir jeden Euro, den wir die Geister, das gebe ich zu; ich sage: mit uns nicht! –, ausgeben wollen, hinterfragen und gegenüber den Bürge- dass Ihre außenpolitische Philosophie die des freien rinnen und Bürgern rechtfertigen müssen, gezielt auf ef- Welthandels ist. Dem wird alles untergeordnet, auch in fizientere und schlankere Strukturen setzen sollten. Des- dem vorliegenden politischen Konzept. Ich werfe Ihnen halb haben wir Doppelstrukturen infrage gestellt und das gar nicht vor. Aber man darf es doch wohl sagen. damit einen Beitrag zu einer effizienten und innovativen Ihre Werte sind die Werte einer weltweiten, kapitalisti- Außenpolitik geleistet. schen Gesellschaft: Bereicherung, Konkurrenz, Aneig- nung fremder Arbeit. Um es zugespitzt zu formulieren: Herzlichen Dank. Ihre wichtigste Gestaltungskraft ist die Macht und die Kraft des Geldes. Das durchzieht Ihr ganzes Konzept. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Globalisierungskritiker und auch wir wollen den sozialen Ausgleich, wir wollen Solidarität statt Konkur- Vizepräsident Eduard Oswald: renz, Gerechtigkeit statt Vorteilsnahme. Vielen Dank, Kollege Philipp Mißfelder. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Und Sozialis- Linke unser Kollege Wolfgang Gehrcke. Bitte schön, mus!) Kollege Wolfgang Gehrcke. – Und Sozialismus. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19029

Wolfgang Gehrcke (A) Danke sehr, Herr Kollege Mißfelder, wie konnte ich das Ich denke, wenn man Globalisierung gestalten will, (C) vergessen. Das ist das Wesen des Sozialismus. muss man auch einmal darüber nachdenken, wie man verhindern kann, dass auf pflanzliche und menschliche ( [CDU/CSU]: Darauf wartet Gene Patente erhoben werden, wie man verhindern die ganze Welt!) kann, dass Nahrungsmittel zu Spekulationsobjekten wer- Um es deutlich zu sagen: Unsere Wege gehen völlig den, wie man weltweit Bodenreform befördern kann, auseinander. Das, was Sie vorgelegt haben, ist nicht wie man die Privatisierung von Wasser und anderen Ge- Ausdruck neuen Denkens – das war ein Begriff, der die meinschaftsgütern verhindern kann. Das sind heute glo- Außenpolitik früher einmal geprägt hat –, sondern es ist bale Aufgaben. im Kern altes Denken. Sie beschäftigen sich in Ihrem (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Da haben Sie Konzept nicht mit der Frage, wie das Überleben der recht!) Menschen zu sichern ist: Sie sprechen in Ihrem Konzept an – ich sage das, um (Manfred Grund [CDU/CSU]: Alter Wein in fair zu bleiben –, welche Staaten vor allen Dingen Ihre alten Schläuchen!) Gestaltungspartner sein sollen. Allerdings nehmen Sie Stopp der Rüstungsspirale, Abrüstung, Stopp der Um- da eine andere Gewichtung als ich vor. Ich habe mich weltzerstörung, Kampf gegen Armut und Hunger und gestern mit Studierenden, die in Chile protestieren, ge- vor allen Dingen – das muss in ein solches Konzept hi- troffen. Diese jungen Frauen sind für mich die Gestal- nein – konsequentes Nein zu allen Kriegen. tungspartner in einer neuen Welt wie auch die Indios in Bolivien, die Wanderarbeiter in China, die Jugendlichen (Beifall bei der LINKEN) auf dem Tahrir-Platz, die Frauen in Afrika, die sich zu Produktionsgenossenschaften zusammenschließen und Ohne eine Antwort auf die großen Fragen der Mensch- – ich will das noch einmal wiederholen – die Streiken- heit ist jedes Konzept ein Konzept von gestern. den in Griechenland, Spanien und Frankreich. Sie hätten schon bei Herrn Gorbatschow nachlesen (Manfred Grund [CDU/CSU]: Haben Sie auch je- können, was neues Denken ist; was immer man von manden in Nordkorea und in Kuba dabei?) Gorbatschow hält. Gestaltungspartner in dieser Welt sind die Kräfte, die (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Das aus Ih- die Welt tatsächlich verändern. Wenn Sie schauen, wer rem Munde! Das war doch kein Freund von in den letzten Monaten und Jahren die Welt wirklich ver- Ihnen! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Er hat ändert hat, stellen Sie fest, dass das am wenigsten Staa- (B) den Sozialismus in der Sowjetunion beendet! ten waren, sondern solche Kräfte. Mit ihnen müssen wir (D) Den können Sie doch nicht gut finden! – Hei- kooperieren, mit ihnen müssen wir eine neue Form der terkeit) Zusammenarbeit finden. Sie müssen gründlicher darüber nachdenken, auf wel- Deswegen sage ich: Ihr Aufschlag ist gut. Eine che Art und Weise Sie Deutschland präsentieren. Ihr scharfe Debatte ist notwendig. Sie aufzurufen, sich vom Kollege, der Verteidigungsminister, hat auf der Münch- Weg des Geldes abzuwenden, ist verschwendete Kraft. ner Konferenz einen weltweiten Führungsanspruch für Deutschland reklamiert. Auch beim Kollegen Mißfelder (Manfred Grund [CDU/CSU]: Kehret um und konnte man eben hören: Wir sind wieder wer, wir be- tuet Buße!) stimmen, wir müssen mit der gewachsenen Verantwor- Ich möchte, dass wir einen Grundsatzstreit über das We- tung umgehen. sen des Konzeptes führen. Ich möchte nicht, dass es so (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ja!) bleibt, wie es vorgestellt wurde. Thomas de Maizière hat in München gesagt, Deutsch- Schönen Dank. land sei in der Lage, zu kämpfen und zu führen. Ich (Beifall bei der LINKEN) finde, das ist ein markanter Satz, der meinen Eindruck verstärkt. Ich sage in aller Deutlichkeit: Deutsche Groß- machtallüren und deutsche Großmachtpolitik waren we- Vizepräsident Eduard Oswald: der für die Welt noch für unser Land noch für Europa ir- Vielen Dank, Kollege Gehrcke. – Nächster Redner in gendwann gut. unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Dr. Frithjof Schmidt. Bitte schön, (Beifall bei der LINKEN) Kollege Dr. Schmidt. In Europa und in der Welt werden viele Sprachen ge- sprochen. Ich möchte, dass das so bleibt. Wir leben den Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gedanken einer vielfältigen Welt mit unterschiedlichsten NEN): Akteuren. Eine Welt, in der nur Deutsch gesprochen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der wird, ist schändlich, eine solche Welt lehnen wir ab. Das schwarz-gelbe Koalitionsvertrag bezieht keine Position wäre eine einfältige Welt, das wollen wir doch nicht zu der Frage, wie die deutsche Außenpolitik auf den ernsthaft anstreben. Vielmehr geht es darum, für Partner- Aufstieg neuer Akteure reagieren soll. Das war eine schaft und Gleichberechtigung zu sorgen. Leerstelle in Ihrer Politik. Es hat jetzt zwei Jahre gedau- 19030 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Dr. Frithjof Schmidt (A) ert, bis Sie Ihre politischen Hausaufgaben gemacht ha- rade auch im internationalen Wettbewerb. So richtig es (C) ben. Aber immerhin, Sie haben jetzt etwas vorgelegt. ist, dass es guter Beziehungen zu den aufstrebenden Mächten in allen Weltregionen bedarf, so falsch ist es, Sie listen viele Grundsätze und Ziele auf, die wir tei- Außenpolitik auf Außenwirtschaftspolitik zu reduzieren. len. Doch eines ist auffällig: Das Wort Gerechtigkeit kommt in diesem Konzept nicht ein Mal vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Leider bekommt man bei diesem Konzept schnell den Eindruck, Außenpolitik ist bei Ihnen vor allem die Vor- Das kann bei einem FDP-Minister kein Versehen sein. hut für deutsche Wirtschaftsinteressen; denn konkrete (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorschläge für eine Bindung der Außenwirtschaftsförde- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) rung an Menschenrechtskriterien sucht man vergebens. Wer über die Gestaltung der Globalisierung redet und Wer über einen neuen Dialog redet, der muss auch zu dabei internationale Gerechtigkeit außen vor lässt, der seinen internationalen Verpflichtungen stehen. Es ist un- hat die Größe der Aufgabe nicht wirklich verstanden. glaubwürdig, in einem solchen Konzept kein Wort da- rüber zu verlieren, dass Deutschland seiner internationa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len Verpflichtung zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels Es geht dabei um einen gerechten globalen Interessen- bei der Hunger- und Armutsbekämpfung ebenso wenig ausgleich. Dazu gehört auch politische Selbstverpflich- nachkommt wie bei der Bereitstellung der Mittel für die tung. Anpassung an den internationalen Klimawandel. Ganz deutlich wird das beim Thema Klima. Sie be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kennen sich zur Reduzierung der globalen Emissionen und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der von Klimagas bis 2050 um mindestens 50 Prozent. Nur, LINKEN) Sie verschweigen, dass, um dieses Ziel zu erreichen, die Industriestaaten ihre Emissionen um mindestens 80 Pro- Auch wenn Sie es immer wieder ignorieren: Das sind zent reduzieren müssen. Ihr Konzept enthält kein Wort zentrale Fragen der Globalisierung. zur deutschen Selbstverpflichtung. Sie werden keine Er- Sie haben den europäischen Stufenplan zur Entwick- folge im Dialog haben, wenn Sie vor den notwendigen lungsfinanzierung politisch aufgekündigt. Das war und Selbstverpflichtungen zurückschrecken. Genau das tun ist ein Affront gegen zentrale Vereinbarungen der UNO Sie aber. und der Europäischen Union. Wer global gestalten will, (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) muss wenigstens seine internationalen Verpflichtungen (D) erfüllen. So aber präsentieren Sie uns hier ein Konzept Ich hätte mir gewünscht, heute zu hören, welche Län- von 67 Seiten mit vielen leeren Versprechungen und we- der Sie zu den neuen Gestaltungsmächten zählen wollen nig Substanz. und welche nicht. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Edelgard Bulmahn [SPD]: Das hätte ich auch gerne gewusst!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Sie wollen das offenlassen. Der Grund liegt auf der Hand. Sie würden damit vielen Ländern de facto die Ge- Vizepräsident Eduard Oswald: staltungsfähigkeit absprechen und sie regierungsoffi- ziell in die zweite Klasse der internationalen Politik ein- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schmidt – Nächster ordnen. Das zeigt, dass dieser Begriff ein diplomatischer Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Fehlgriff ist. FDP unser Kollege Dr. Rainer Stinner. Bitte schön, Kol- lege Dr. Stinner. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben in den vergangenen Jahren einen deutli- chen Machtzuwachs der G 20 erlebt. Die G 20 stehen of- Dr. Rainer Stinner (FDP): fensichtlich zunehmend in Konkurrenz zu den Vereinten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nationen; denn circa 170 Länder sind eben nicht Mit- Kurz zwei Sätze zu den Einlassungen der Kollegen der glied der G 20 und dabei dann außen vor. Wir hätten SPD; denn sie haben sich ein weiteres Mal von ernsthaf- Vorschläge erwartet, wie Sie die G 20 in die Vereinten ten Diskussionen verabschiedet. Nationen einbinden wollen. Doch darüber ist in diesem Konzept nichts zu lesen. Herr Erler, Sie können doch die Libyen-Entscheidung nicht in den Mittelpunkt Ihrer Argumentation stellen. Ähnliches gilt für zentrale Politikfelder, zum Beispiel Wir kommen gerne darauf zurück und halten Ihnen in für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Sie sehen in ei- diesem Zusammenhang vor, dass Ihr Fraktionsvorsitzen- ner Politik der konsequenten Marktöffnung eine Lösung der an dem Abend der Entscheidung die Entscheidung für fast alle Probleme. Dass in diesem Zusammenhang ausdrücklich begrüßt hat. aber auch Umwelt- und Sozialstandards eine zentrale Rolle einnehmen müssen, verfällt bei Ihnen zu einer Herr Raabe, wir können uns nur wünschen, dass Ihre Randnotiz. Dabei ist das aber das zentrale Problem, ge- Einlassungen in dieser wichtigen außenpolitischen De- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19031

Dr. Rainer Stinner (A) batte im deutschen Fernsehen Tag und Nacht in einer nehmen, die uns nicht hundertprozentig recht ist. Auch (C) Endlosschleife gezeigt werden, um zu dokumentieren, das ist ein Lernprozess, den wir entsprechend vollziehen was die SPD auf der Pfanne hat. Sie sind nicht satisfak- müssen. tionsfähig. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Darauf der CDU/CSU – Zurufe von der SPD) komme ich noch zurück!) – Herr Mützenich, Sie kommen nach mir. Sie können das Zum Thema Globale Governance. Ich habe die Frage noch richtigstellen. der deutschen Beteiligung am UN-Sicherheitsrat immer ganz locker gesehen. Historisch zeigt sich: Wenn in einer Da ist mir Herr Gehrcke noch lieber. Er hat wenigs- Organisation die Kluft zwischen dem Beitrag, den sie tens eine Meinung und sagt sie auch. Die ist zwar völlig zum Weltgeschehen liefern muss, und dem, was sie zu falsch; denn er hat ein völlig anderes Weltbild als wir. Er sagen hat, auf Dauer nicht geschlossen wird, dann wird kann aber seine Meinung wenigstens erklären. Herr die Organisation als solche delegitimiert und verliert ihre Gehrcke, da sind Sie mir zehnmal lieber als die Kamera- Schlagkraft. Von daher ist völlig richtig, was hier ange- den, die nichts zu sagen haben. Gleichwohl ist Ihre An- sprochen worden ist: Wir müssen dafür sorgen, globale sicht konsequent falsch. Governance den heutigen Bedingungen anzupassen. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der Die zweite Frage lautet: Wie kann sich Deutschland CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist eine positionieren? Hier ist von Herrn Gehrcke angesprochen schlichte Argumentation!) worden – das war völlig unsäglich –, wir hätten Groß- Das Konzept der Bundesregierung geht von einem mannssucht. Nein, das stimmt nicht. Auch Sie merken, Weltbild aus, das vor einigen Jahren nicht unumstritten wenn Sie in Israel, in Ägypten, im Iran, in Pakistan oder war. Es geht nämlich von einer multipolaren Welt aus, wo auch immer sind, dass viele auf der Welt uns als ein nicht davon, dass wir in Zukunft einen Hegemon haben. wichtiges Land wahrnehmen und von uns erwarten, dass wir uns wie ein großes, wichtiges Land in Europa beneh- (Edelgard Bulmahn [SPD]: Das wissen wir men. Das ist ein Lernprozess, den wir in Deutschland aber schon länger!) vollziehen müssen. Es geht auch nicht von einer G-2-Welt mit Amerika und (Manfred Grund [CDU/CSU]: Ja! Richtig!) China aus, sondern von einer multipolaren Welt. In die- ser multipolaren Welt wollen wir unseren Platz finden. Der deutsche Ohnemichel ist ja nicht grundlos ein Sym- bol deutschen Selbstverständnisses. Dieses müssen wir (Edelgard Bulmahn [SPD]: Haben wir schon!) (B) gemeinsam, Gesellschaft und Politik, in den nächsten (D) Es ist sehr wichtig, zu bestätigen, was auch in dem Kon- Jahren deutlich verändern. zept steht: Diesen Platz finden wir nur im Rahmen Euro- Herr Gehrcke, wir haben in vielen Teilen der Welt pas. Das ist eine ganz wichtige Determinante, die in die- – das wissen Sie genauso wie ich; denn Sie reisen ähn- sem Konzept nochmals vorgestellt wird. lich viel herum – zum Glück das Image eines ehrlichen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Maklers. Das ist ein Pfund, mit dem wir als Deutsche durchaus unseren Einfluss in der Europäischen Union Im Prinzip haben wir jetzt eigentlich „nur“ zwei Auf- einbringen. gaben: Erstens müssen wir versuchen, mit der sich än- dernden Welt fertigzuwerden. Zweitens müssen wir defi- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das gerade nieren, wie Deutschland seinen Platz darin findet. will ich nicht verspielen!) Zum ersten Punkt: Die Welt ändert sich. Das brauche Dieses Konzept ist deshalb darauf angelegt, die deut- ich hier nicht im Detail zu erläutern. Ich habe das Ge- schen Instrumente auf breiter Basis einzuführen. Ich will fühl, dass wir vor einem großen Lernprozess stehen. Wir nur zwei nennen. – Deutsche, Europäer, der Westen, Gesellschaft und Das eine ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspoli- Politik – müssen lernen, mit der neuen Welt umzugehen. tik, die wir als FDP-Fraktion und als Koalition für ganz Wir müssen lernen, dass die bisherige Annahme bzw. wichtig halten. Das hat dazu geführt, dass der Etat für der Gedanke, dass sich die Welt in einer gewissen die AKBP, für die Auswärtige Kultur- und Bildungspoli- Zwangsläufigkeit zu europäischen Werten, zu europäi- tik, im Haushalt 2012 so hoch ist wie noch nie zuvor in schen Systemen hin entwickeln wird, falsch ist. Wir dieser schönen Bundesrepublik Deutschland. Das ist müssen lernen, in Zukunft mit Systemen zu leben, die Ausdruck eines bewussten politischen Entscheidungs- eine eigene Legitimität entwickeln und diese aus der prozesses dieser Koalition, den wir ausdrücklich begrü- Sicht der Bevölkerung auch haben, die aber anders ti- ßen. cken als wir und zum Beispiel nicht von dem Modell ei- nes laizistischen Staates ausgehen. Das müssen wir ler- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nen. Ich glaube, dieser Lernprozess hat erst begonnen. Es wurde dann oft gesagt, zum Beispiel von Herrn In dem Konzept steht völlig zu Recht: Wir erwarten Gehrcke und von Herrn Schmidt, wir würden uns nur auf und befördern, dass auch andere Verantwortung über- die Wirtschaft konzentrieren. Herr Schmidt, im Zusam- nehmen. Dann müssen wir aber auch akzeptieren, dass menhang mit der deutschen Handlungsfähigkeit, den sie diese Verantwortung vielleicht in einer Weise über- Handlungsmöglichkeiten und dem Handlungswillen 19032 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Dr. Rainer Stinner (A) kann man über vieles reden, aber wir wissen doch – auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) Sie, Herr Schmidt, wissen das –, dass die Handlungsfä- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) higkeit auf internationaler Ebene in einem ganz großen Meiner Meinung nach müssen wir insbesondere auf Maße von der wirtschaftlichen Potenz eines Landes ab- folgende Punkte hinweisen: hängig ist. Das mag man lieben oder hassen – Herr Gehrcke findet das wahrscheinlich furchtbar –, aber es Erstens. Wir nähern uns in Europa wieder einem ist doch Tatsache, dass wir deshalb wahrgenommen wer- neuen Sicherheitsdilemma; das haben wir alle, die wir in den, dass unser Wort deshalb gehört wird, weil wir eine München auf der Sicherheitskonferenz waren, auch gesunde wirtschaftliche Basis haben. Somit wird dieses atmosphärisch gespürt. Eine neue Eiszeit beginnt, wenn Thema zu Recht in diesem Konzept angesprochen. uns ein russischer Außenminister nicht nur die Syrien- Frage, sondern insbesondere auch das Problem der Ra- Trotz all des Streites im Deutschen Bundestag finde ketenabwehr, das möglicherweise eine neue Grenzzie- ich es gut, dass es hier – vielleicht mit Ausnahme der hung in Europa zur Folge hat, vor Augen führt. Ich frage Linken, die ein anderes Weltbild haben – hinsichtlich der mich: Wo ist da die deutsche Außen- und Sicherheits- großen Linien nach wie vor einen außenpolitischen Kon- politik? Wollen Sie uns wirklich sagen, dass uns neue sens gibt. Da gehe ich über manche Nickligkeiten der Gestaltungsmächte in der Welt bei der Lösung dieses Si- Opposition hinweg, die ich innenpolitisch verstehe, au- cherheitsdilemmas helfen werden? Nein, dafür braucht ßenpolitisch aber nicht. Wir glauben, dass die Bundes- es Tatkraft, und zwar in Kooperation mit den alten Part- regierung einen wichtigen Aufschlag gemacht hat. Wir nern. Wir müssen den USA, insbesondere den Senatoren alle wissen – der Außenminister weiß das, und wir wis- im Kongress, deutlich machen, um was es letztlich geht, sen das –, dass das natürlich nicht das Ende des Prozes- dass wir nämlich vertragsbasiert versuchen wollen, das ses ist, sondern dass das der Beginn eines Diskussions- Thema Raketenabwehr wieder einzufangen. Darüber prozesses, den wir in Deutschland dringend brauchen, wäre es in der Tat notwendig gewesen eine außenpoliti- ist. Wir, die FDP, werden die Bundesregierung dabei sche Debatte zu führen, statt wolkig von Gestaltungs- nach vollen Kräften unterstützen. mächten, die irgendwo am Horizont auftauchen, zu spre- Vielen Dank. chen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zweiter Punkt. Von einem Sicherheitsdilemma ist auch eine andere Weltregion betroffen. Wir wissen, dass Vizepräsident Eduard Oswald: im pazifischen Raum ein Sicherheitsdilemma entsteht, Vielen Dank, Kollege Dr. Stinner. – Nächster Redner weil es dort Fehlwahrnehmungen gibt. Die USA behaup- für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege ten, sie seien eine pazifische Macht, und China rüstet (B) Dr. Rolf Mützenich. Bitte schön, Kollege Dr. Mützenich. maritim auf. Beide Staaten handeln aufgrund unter- (D) schiedlicher Erwägungen. Die Chinesen etwa sagen: Wir (Beifall bei der SPD) müssen diese Wege aufgrund der Situation, in der wir uns befinden, und aus nationalem Interesse beschrei- Dr. Rolf Mützenich (SPD): ten. – Deutschlands Beitrag als Mitglied der NATO Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sollte angesichts dessen darin bestehen, endlich die De- Herr Bundesaußenminister, ich glaube, das, was Sie auf- batte darüber, ob wir eine globale NATO brauchen, zu geschrieben haben, stellt teilweise eigentlich eine Bin- beenden. Doch selbst die Bundeskanzlerin spricht immer senweisheit dar. Für die Erkenntnis, dass neue Länder, wieder von der globalen NATO. Indem wir dieses dass neue Gestaltungsmächte auch einen Gestaltungsan- Thema, das in China ganz anders wahrgenommen wird, spruch haben, ist kein umfangreiches Papier notwendig; ansprechen, befördern wir allerdings eher ein Sicher- heitsdilemma, als dass wir zu seiner Lösung beitragen. (Edelgard Bulmahn [SPD]: Wohl wahr!) Solche außenpolitischen Debatten brauchen wir also. denn im Grunde genommen ist dies der Kern der Ge- Eine dritte Frage lautet: Glauben Sie wirklich, dass schichte internationaler Politik. uns neue Gestaltungsmächte dabei unterstützen, die Nor- men und Regeln des Völkerrechts besser zu verankern Ich hätte als Anstoß für eine grundsätzliche Debatte oder unsere Partner davon zu überzeugen, das Völker- über Außenpolitik viel interessanter gefunden, zu lesen, recht besser zu beachten? Den Mut, eine Debatte darüber was Sie in den kommenden wenigen Monaten überhaupt zu führen, müssen Sie gegenüber den jetzigen, den alten noch erreichen wollen, was den Kern der deutschen Au- Partnern aufbringen. Die Frage des Völkerrechts, auch ßen- und Sicherheitspolitik da ausmachen soll. Dazu fin- der Einsatz von Drohnen, betrifft nicht die Gestaltungs- det man in diesem Konzept nichts. mächte; sie betrifft die alten Partner. Das in der Außen- (Edelgard Bulmahn [SPD]: Das ist leider so!) politik anzusprechen, dazu gehört nach meinem Dafür- halten Mut; aber was das betrifft, ist in diesem Konzept Eine weitere interessante Frage wäre: Bei der Bewäl- überhaupt nichts zu finden. tigung welcher Probleme werden Ihnen die neuen Ge- staltungsmächte – gesetzt den Fall, dass Sie auf diesem Viertens. Ich sagte, es werden keine großen, neuen Konzept beharren – behilflich sein? Bei denen, vor de- Antworten gegeben; deshalb verweise ich auf alte Kon- nen wir stehen, bei denen, vor denen Europa steht, oder zepte. Der Ansatz von Frank-Walter Steinmeier, die Be- bei denen, vor denen sozusagen die internationale Politik arbeitung des Wasserkonflikts in Zentralasien als ge- steht? Auf diese Fragen gehen Sie überhaupt nicht ein. meinsame europäische Herausforderung in die Debatte Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19033

Dr. Rolf Mützenich (A) einfließen zu lassen, war richtig. Auch in Zukunft wird konkreten Herausforderungen deutscher Außen- und Si- (C) die Wasserfrage – auch Sie haben sie ja angesprochen – cherheitspolitik notwendig sind. wahrscheinlich eine große Herausforderung sein. Vor diesem Hintergrund wäre es besser gewesen, heute der Vielen Dank. Frage nachzugehen: „War das Konzept von Frank- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Walter Steinmeier richtig, und sind wir da vorangekom- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) men?“, statt von sogenannten Gestaltungsmächten zu sprechen und damit neue Schauplätze zu betreten. Vizepräsident Eduard Oswald: (Beifall bei der SPD) Vielen Dank, Kollege Dr. Mützenich. – Nächster Red- ner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Fünfte Frage: Werden Sie gemeinsam mit neuen Ge- Ruprecht Polenz. Bitte schön, Kollege Polenz. staltungsmächten die Herausforderungen im Bereich der Rüstungsexporte bewältigen: ja oder nein? Nein, ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- glaube nicht. Sie führen die Gestaltungsmächte ja gerade neten der FDP) deswegen an, um Rüstungsexporte zu legitimieren. Saudi-Arabien ist für Sie eine Gestaltungsmacht. Die Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Lieferung von Panzern nach Saudi-Arabien wurde damit Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! begründet, dass am Persischen Golf eine Gestaltungs- Herr Mützenich, es geht nicht in erster Linie um Ant- macht entsteht und dies möglicherweise in Konflikte worten auf aktuelle Krisen oder Fragen, die wir dauernd ausartet. Also: Wollen Sie wirklich sagen, dass uns Ge- im Auswärtigen Ausschuss und anderswo diskutieren; es staltungsmächte bei der Lösung dieses Problems und geht um unsere Rolle in der Welt und darum, welche beim Umgang mit solchen falschen Entscheidungen hel- Verantwortung wir haben; es geht um die strategische fen werden? Ich sage Ihnen: Nein. Orientierung der deutschen Außenpolitik in der multi- Das, was Sie aufgeschrieben haben, führt also in die polaren Welt des 21. Jahrhunderts, in der 1,3 Milliarden Irre. Es verlagert Ihre Verantwortung auf ein anderes Chinesen und 1,2 Milliarden Inder leben und in der Bra- Feld. Dazu kann man zwar ein paar schöne Sätze formu- silien, Südafrika, Mexiko, die USA und, wie wir durch lieren; aber hier muss es um konkretes Handeln gehen. das Veto im Sicherheitsrat gemerkt haben, natürlich auch Sie führen mit uns aber keine Debatte über konkretes Russland, das sich immer noch als Großmacht fühlt, eine Handeln. Dieser notwendigen Diskussion würde ich wichtige Rolle spielen. Diese Welt ist unübersichtlicher mich gerne stellen. Dazu haben Sie in Ihren zwölf Minu- als die geteilte, bipolare Welt des Kalten Krieges. Ange- sichts dessen ist es schon richtig, dass die Bundesregie- (B) ten Redezeit am Anfang dieser Debatte aber überhaupt (D) nichts gesagt. rung den Kompass justiert. Ich möchte Außenminister Westerwelle sehr dafür danken, dass wir diese Debatte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten über die strategische Orientierung der deutschen Außen- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) politik auf der Grundlage eines breit angelegten Posi- tionspapiers der Bundesregierung führen können. Herr Bundesaußenminister, ich will zum Schluss auf einen weiteren Aspekt eingehen. Ich glaube, dass dieses Ich finde, es ist ein Verdienst dieses Papiers, dass mit Papier bei unseren alten Partnern möglicherweise – ich dem irreführenden Begriff des Schwellenlandes aufge- will nicht sagen: verheerend – falsch ankommt. Das räumt wird. Es ist falsch, Länder wie China, Indien, Bra- wäre fatal und nicht hilfreich. Ich glaube, man bläst die silien oder Mexiko als Schwellenländer zu bezeichnen Backen wieder einmal etwas zu stark auf. Wenn ein und so zu tun, als ob sie knapp über dem Niveau eines deutscher Außenminister gewissermaßen sagt: „Ich al- Entwicklungslandes wären. Das Positionspapier der leine werde darüber bestimmen, welche Staaten Gestal- Bundesregierung nimmt das regionale und internationale tungsmächte sind und welche nicht und mit wem sich Gestaltungspotenzial und vor allen Dingen den Gestal- Deutschland zusammentut und mit wem nicht“, halte ich tungsanspruch dieser Länder in den Blick und versucht, das für ein großes Problem. Dies gilt insbesondere ange- Schlussfolgerungen für die deutsche Außenpolitik zu sichts der Debatte auf europäischer Ebene, in der ziehen. Das ist ein Verdienst dieses Papiers. Deutschland nicht mehr das Bild abgibt, das es sich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wirklich schwer erarbeitet hat, insbesondere während neten der FDP) des Kalten Krieges, aber auch während der Zeit der Ent- spannungspolitik. Damals hat sozusagen ein anderes Wie verhindern wir Blockademacht? Wie fördern wir Deutschland das Bild abgegeben. verantwortliche Mitgestaltung? Wo liegen die Möglich- keiten einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit, und Ich glaube, dass diese schön bebilderte Broschüre, die wo liegen die Grenzen? Dazu verhält sich das Papier. In- Sie uns vorgelegt haben, möglicherweise zu einer ganz sofern ist ein Teil der Kritik ein bisschen preiswert, weil anderen Wahrnehmung führt als zu der, die Sie beabsich- wohlfeil. Dem einen fehlt etwas, dem anderen ist an ei- tigt hatten. Das Papier ist wie Ihre Außenpolitik: etwas ner Stelle etwas zu viel. Das war keine besonders faire dick aufgetragen, dennoch an vielen Stellen vage und Kritik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. immer wieder sprunghaft. Das ist keine Grundlage für eine bessere Außenpolitik, die wir dringend brauchen. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: War auch nicht Deswegen glaube ich, dass weitere Debatten über die beabsichtigt!) 19034 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Ruprecht Polenz (A) Die Bundesregierung formuliert als anspruchsvolles Europa?“, sondern: „Was ist uns Europa wert?“. Hier ha- (C) Ziel: ben wir dann auch entsprechende Erwartungen. Die Bundesregierung will mit Partnern zusammen- An die Adresse derjenigen, Herr Mützenich und Herr arbeiten, um die globalisierte, interdependente und Gehrcke, die hier Dominanzstreben kritisiert haben, sage multipolare Welt durch eine regelbasierte sowie ich: Was erwarten denn die anderen von uns? Ich erin- multilateral und global ausgerichtete Ordnungspoli- nere an die Rede des polnischen Außenministers tik über legitime und effektive internationale Insti- Radoslaw Sikorski, der hier in Berlin gesagt hat: tutionen zu prägen. Sie Das klingt nicht nur anspruchsvoll, das ist anspruchsvoll. – damit meinte er Deutschland – (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So, dass das keiner versteht!) sind Europas unverzichtbare Nation geworden. Sie dürfen bei der Führung nicht versagen. Nicht domi- Man kann es auf folgende Kurzformel – das steht auch nieren, sondern bei Reformen führen. im Konzept – bringen: Es geht um eine faire Globalisie- rung. Wenn Sie John Rawls gelesen haben, dann wissen Wenn wir dieser Bitte nicht entsprechen, werden wir un- Sie, dass Gerechtigkeit als Fairness eine philosophische serer Verantwortung nicht gerecht. Grundhaltung ist, und das steht in diesem Papier. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Die Bundeskanzlerin, der Finanzminister und der Au- Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE ßenminister zeigen jeden Tag – gerade jetzt, in dieser GRÜNEN]: Eijeijei!) schwierigen Phase der europäischen Geschichte –, dass Allein wären wir sicher hoffnungslos überfordert, die- sie mit einer klugen Einbindung anderer und gemeinsam ses Ziel zu erreichen. Deshalb wird in diesem Papier mit Frankreich diesem Führungsanspruch, den andere an richtigerweise die Frage gestellt, wie Deutschland in die- uns haben, gerecht werden. ser veränderten Welt seine Interessen am besten durch- Das Risiko dieser Krise für Europa und die Europäi- setzen kann und wie wir unseren Werten Geltung ver- sche Union als politisches Projekt dürfen wir nicht unter- schaffen können. Dazu gibt es einen Schlüsselsatz in schätzen. Manchmal hat man den Eindruck und glaubt, diesem Konzept: „Deutschland wirkt mit und durch etwas Stagnation und ein paar Rückschritte bei der Inte- Europa.“ Über die Europäische Union hebeln wir unser gration seien nicht so schlimm. Europa ist aber keine In- politisches Gewicht. Das ist wie in der Physik. Die Euro- sel. Andere Akteure in der multipolaren Welt werden päische Union ist ein politischer Kraftwandler, übrigens handeln, ohne auf Europa zu warten. Europa hat in die- (B) nicht nur für Deutschland, sondern für alle 27 EU-Mit- ser multipolaren Welt nur die Wahl, entweder als Mit- (D) glieder. Wir alle verstärken unsere politische Kraft. Vo- spieler zu agieren oder Spielfeld zu sein, das sich die raussetzung ist allerdings, dass alle ihre Hebel gleichge- anderen untereinander aufteilen. Ein wachsender chine- richtet ansetzen, etwa wie beim Rudern; denn sonst dreht sischer Einfluss auf einzelne EU-Mitglieder im Zuge der man sich im Kreis, kommt nicht vom Fleck und wirkt jetzigen Staatsschuldenkrise kann beispielsweise dazu auch noch relativ komisch dabei. führen, dass damit die Forderung verbunden wird, bei Menschenrechtsverletzungen demnächst ein Auge zuzu- ( [SPD]: Aber beim Rudern drücken, und Russland ist ja immer dabei, die Energie- schaut man zurück!) politik auch als politischen Einflusshebel zu nutzen, um Aber man kommt vorwärts. die Europäische Union ein Stück auseinanderzutreiben. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Aber das beför- dern wir doch mit dem Papier!) Dass das politische Gewicht Deutschlands ganz we- sentlich von diesem Wirken in der und durch die Euro- Ich darf noch einmal den polnischen Außenminister päische Union abhängt, zeigt ein Vergleich mit Japan. zitieren. Er hat in seiner Rede gesagt: Japan ist vom Potenzial her durchaus mit Deutschland Wenn wir unsere jetzige Malaise überwinden, dann vergleichbar, verfügt aber international über weitaus we- haben wir die nötigen Fähigkeiten und die Kraft, niger Mitgestaltungsmöglichkeiten als wir, die wir in der um die uns die Welt beneidet. Wir haben nicht nur Europäischen Union verankert sind. die größte Wirtschaftsmacht, Europa steht wie Das entspricht im Übrigen auch unserer Wahrneh- keine andere Region dieser Welt für Frieden, De- mung von außen. Als Mitglieder des Auswärtigen Aus- mokratie und Menschenrechte. Für unsere Nach- schusses haben wir viele Delegationen als Gesprächs- barn im Osten und Süden sind wir eine Inspiration. partner zu Gast, die Berlin besuchen. Ganz oft fällt dabei Das sagt ein Pole, der die Europäische Union natürlich der Satz: „Ihr seid das stärkste Land in der EU“, und noch nicht als selbstverständlich wahrnimmt und des- dann werden Erwartungen und Wünsche formuliert. Das halb vielleicht auch den Wert etwas mehr schätzt als der Konzeptionspapier beinhaltet also keine abgehobene eine oder andere von uns. Theorie, auch wenn es natürlich generalisierende Formu- lierungen beinhalten muss, sondern es ist außerordentlich Never again, never alone: Mit diesem alten außen- praktisch und relevant. Denken Sie beispielsweise an un- politischen Grundsatz sind wir gut gefahren. In dem sere Diskussionen über die Staatsschuldenkrise. Wir dür- Konzept der deutschen Bundesregierung heißt es: „In fen eben nicht in erster Linie fragen: „Was kostet uns der globalisierten Welt wirkt Deutschland mit und durch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19035

Ruprecht Polenz (A) Europa.“ Das ist der gleiche Inhalt, nur anders formu- Wahlbeobachter gehen davon aus: Die Wahl war ge- (C) liert. fälscht. Nasarbajew, das ist genau der Mann, der im Dezember einen Streik von Ölarbeitern blutig zusam- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. mengeschossen hat. Aber Nasarbajew ist eben auch der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mann, in dessen Land es Öl, Gold und viele andere Roh- stoffe gibt. Deswegen gab es hier für ihn einen Fototer- Vizepräsident Eduard Oswald: min mit der Kanzlerin und einen Fototermin im Schloss Vielen Dank, Kollege Ruprecht Polenz. – Nächster Bellevue, damit er weiter exklusiv an Deutschland lie- Redner für die Fraktion Die Linke ist unser Kollege Jan fert. Das sind die traurigen Realitäten eines Konzepts, van Aken. Bitte schön, Kollege Jan van Aken. das aus sehr vielen schönen Worten, aber wenig Sub- stanz besteht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Vierter Punkt: gute Arbeitsbedingungen. In dem Pa- Westerwelle, ich muss ehrlich sagen: Ich habe das neue pier wird von dem Ziel gesprochen, weltweit menschen- außenpolitische Konzept mit Spannung und natürlich ei- würdige Arbeitsbedingungen zu gestalten. Das ist ein ner gewissen Skepsis erwartet. Jetzt lese ich das Papier sehr schönes Ziel. Ich habe Ihnen eine Tafel Schokolade und stelle fest, dass die Skepsis leider berechtigt war. Ich mitgebracht, ein nachträgliches Geschenk zu Ihrem run- möchte das an fünf Punkten zeigen. Das sind die Punkte den Geburtstag. Das hier ist eine fair gehandelte Bio- Frieden, Nahrungsmittelsicherheit, Menschenrechte, gute schokolade. Arbeitsbedingungen und Abrüstung. (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Die Fangen wir mit dem Frieden an. Da schreiben Sie haben Sie hoffentlich nicht seit meinem Ge- zum Beispiel, dass die neuen Gestaltungsmächte einen burtstag in der Tasche!) wichtigen Beitrag zur Vorbeugung von Konflikten leis- ten können. Das ist natürlich richtig. Aber welches kon- – Nein, sie ist relativ frisch, die habe ich nicht seit De- krete Beispiel nennen Sie dafür in dieser Hochglanzbro- zember in der Tasche. Aber ich habe Ihren Geburtstag schüre? Die militärische Zusammenarbeit zwischen im Kopf, weil auch ich im letzten Jahr 50 Jahre alt ge- Deutschland und Südafrika. Warum, Herr Westerwelle, worden bin. fällt Ihnen beim Thema Konfliktlösung immer nur die (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Das sieht Bundeswehr ein? man Ihnen gar nicht an!) (B) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (D) Da haben wir etwas gemeinsam. – Wissen Sie eigentlich, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wenn Sie über menschenwürdige Arbeitsbedingungen Ich finde, ein Außenminister, dem beim Thema Konflikt reden, wie viel ein Kakaobauer in Ghana verdient, wenn immer nur Militär einfällt, der hat seinen Job komplett er nicht vom fairen Handel profitiert? verfehlt. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Erst einmal Zweiter Punkt: die Nahrungsmittelsicherheit. In dem her mit der Schokolade!) Papier ist sehr viel von Hungerbekämpfung die Rede. All das ist wunderbar. Aber an einer anderen Stelle for- Einen halben Euro am Tag. Wissen Sie eigentlich, dass dern Sie den ungehinderten Zugang zu Ackerland für in der Elfenbeinküste 2 Millionen Kinder in der Kakao- sich und die Gestaltungsmächte. Heißt das: einen unge- ernte arbeiten? Diese Kinder helfen nicht ihren Eltern hinderten Zugang zu landwirtschaftlicher Nutzfläche einmal bei der Ernte, sondern das ist verbotene Kinder- auch in allen anderen Ländern, also weltweit? Heißt das arbeit. Wissen Sie, dass es in Westafrika und vielen Län- denn: Nahrungsmittelsicherheit nur für die Starken und dern noch Sklavenarbeit in der Kakaoernte gibt? Reichen? So werden Sie den Hunger in der Welt nicht Um das zu ändern, um hier menschenwürdige Bedin- bekämpfen, Herr Westerwelle. gungen zu schaffen, brauchen Sie keine Hochglanzbro- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten schüre. Dafür brauchen Sie auch nicht auf die UNO, die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ILO oder andere Regierungen zu warten. Das könnten Sie ganz einfach mit einem Gesetz in Deutschland re- Dritter Punkt: die Menschenrechte. An dem gleichen geln, indem Sie einen Herkunftsnachweis für den Kakao Tag, an dem Sie das hier veröffentlichten – darin steht verlangen. Wenn auf der Rückseite einer Tafel Schoko- gefühlte 500-mal das Wort Menschenrechte –, empfin- lade immer stehen müsste, aus welcher Provinz, aus wel- gen Sie hier in Berlin den kasachischen Präsidenten chem Land der Kakao kommt, dann wird kein einziger Nasarbajew und schlossen mit ihm einen Rohstoffver- deutscher Produzent mehr Kakao aus Kinder- oder Skla- trag ab. venarbeit kaufen. Deswegen haben Sie die Verantwor- (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ja, ge- tung hier in Deutschland, für menschenwürdige Bedin- nau!) gungen anderswo auf der Welt zu sorgen. Falls Sie es vergessen haben, Herr Westerwelle: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Nasarbajew ist der Mann, der gerade mit 80 Prozent der neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Stimmen in Kasachstan gewählt worden ist, und alle GRÜNEN) 19036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Jan van Aken (A) Wenn ich also all die politisch korrekten und hohlen globale Ordnung mitgestalten. Deshalb ist auch richtig: (C) Phrasen aus diesem Papier herausstreiche, dann bleibt Auf diese Veränderungen brauchen wir eine Antwort. von Ihrem außenpolitischen Konzept sehr wenig übrig. Welche Rolle will und soll Deutschland dabei einneh- Es bleibt vielleicht ein Konzept für eine knallharte Au- men? ßen- und Wirtschaftspolitik übrig. Das, Herr Westerwelle, finde ich ein Armutszeugnis. Ihren Versuch, die Außenpolitik der Bundesregierung kohärenter als bisher zu gestalten, kann man durchaus (Beifall bei der LINKEN) honorieren. Man könnte sagen: Mit der Vorlage des Fünfter und letzter Punkt: die Abrüstung. Im Übrigen Konzeptes wird zumindest auf dem Papier der Versuch unternommen, den realen Einflussverlust des Außen- bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte; denn eines muss man bedenken: ministers aufzuhalten. Denn noch nie wurde von einem Jede einzelne Waffe, die Sie an ein anderes Land verkau- Außenminister so viel Papier produziert – Lateinameri- kakonzept, Afrikakonzept und jetzt das Globalisierungs- fen, rüstet dieses Land auf und nicht ab. Ich finde es sehr bemerkenswert, dass auf diesen ganzen 68 Seiten nicht konzept –, aber in der Realität so wenig Einfluss in der ein einziges Mal das Wort Abrüstung vorkommt. Das Weltpolitik ausgeübt. muss man erst einmal schaffen. Bei einem außenpoliti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen Konzept nicht über Abrüstung zu reden, muss man und bei der SPD) erst mal schaffen. Das ist natürlich konsequent, wenn man nur an Wirtschaftspolitik denkt. Das ist aber auch Ich kann Ihnen auch jetzt das Beispiel Libyen nicht grundfalsch. ersparen. Damit hat die Bundesregierung Deutschland ins weltpolitische Abseits katapultiert. Das wird bei der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- UNO und der EU immer noch so gesehen, und das hat neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE auch Nachwirkungen. GRÜNEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Der Minister redet über Abrüstungspolitik! Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hätten in München zuhören sollen!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Trotzdem wünsche ich Ihnen guten Appetit beim Ver- Leider bleibt der Versuch einer neuen Strategieent- zehr der fair gehandelten Schokolade! wicklung, von der Sie gesprochen haben, Herr Polenz, schon im Ansatz stecken. Denn auf 67 Seiten wird leider (Abg. Jan van Aken [DIE LINKE] überreicht mit vielen Worten wenig gesagt: Frieden, Menschen- Außenminister Dr. Guido Westerwelle eine rechte, Wirtschaft, Ressourcen, Soziales und Nachhaltig- Tafel Schokolade – Wolfgang Gehrcke [DIE keit – alles kommt irgendwie vor. Aber wo setzen Sie (B) LINKE]: Ist das Zartbitter oder was? – Gegen- Ihre Prioritäten, Herr Westerwelle? Das geht aus dem (D) ruf des Abg. Jan van Aken [DIE LINKE]: Papier nicht hervor. So bleibt das Ganze ein Versuch, 85 Prozent Kakao! – Beifall bei der LINKEN) Ihre „wurschtelig wirkende“ Außenpolitik, wie es in der Presse hieß, schick zu verpacken. Inszenierung allein Vizepräsident Eduard Oswald: macht aber noch keine Außenpolitik und keinen Außen- Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in minister. Man muss vielmehr klare Prioritäten setzen. unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Kerstin Müller. Bitte schön, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Müller. sowie bei Abgeordneten der SPD) Wo Ihre eigentliche Priorität liegt, wurde bei der Vor- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stellung klarer: „Wandel durch Handel“ ist – das haben NEN): Sie mehrfach betont – Ihr neues und man sollte vielleicht Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auch sagen altes Credo. Damit wird klar: Ihre eigentliche Herr Westerwelle, eine Tafel Schokolade habe ich zwar Priorität ist die deutsche Wirtschaft. Es geht darum, ei- nicht anzubieten, aber auch ich bin der Meinung, dass nen politischen Rahmen zu schaffen, um Türen für neue das Konzept, das Sie am Mittwoch mit viel Tamtam und Märkte zu öffnen. Öffentlichkeit vorgestellt haben, nicht viel Neues ent- Gestaltungsmächte sind – das haben Sie noch einmal hält; es bezieht sich vielmehr auf etwas, das schon lange gesagt – für Sie in erster Linie Länder mit hohen Wachs- bekannt ist, nämlich dass sich die Kraftzentren der inter- tumsraten und seltenen Rohstoffen. Aber was das im Hin- nationalen Politik verschieben, weg vom starren Blick blick auf die Gestaltungsmächte heißt, bleibt unklar. Wol- auf Europa und die USA hin zu Ländern, die man ge- len Sie wirklich behaupten, dass Handel automatisch meinhin – Herr Polenz hat es angesprochen – als Ent- mehr Demokratie und Freiheit bringt, zum Beispiel in wicklungs- und Schwellenländer bezeichnete, die aber China oder Russland? Ist denn jeder, der wirtschaftlich inzwischen schon längst die Schwelle machtpolitischer stark ist, in Zukunft automatisch Ihr Partner, und für was Irrelevanz überschritten haben, zum Beispiel weil sie eigentlich? In der Syrien-Frage zum Beispiel sind die Ge- ökonomisch gewachsen sind wie Südafrika oder Brasi- staltungsmächte China und Russland keine Partner. Sie lien – davon sprechen Sie überwiegend – oder weil sie stehen auf der anderen Seite und haben in dieser Frage regionale Hegemonialmacht anstreben wie der Iran. eine völlig andere Position. Unklar ist auch – meine Vor- Ja, es ist richtig: Die Welt hat sich verändert, hin zu redner haben es schon angesprochen –: Ist diese Zusam- einer multipolaren Welt. Viele Länder wollen heute die menarbeit an irgendwelche Kriterien, zum Beispiel an Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19037

Kerstin Müller (Köln) (A) menschenrechtliche Standards oder Umwelt- und Sozial- vor, nachdem vor ein paar Tagen im wenige Kilometer (C) standards, gebunden? entfernten Bundeskanzleramt ein Rohstoffabkommen mit Kasachstan abgeschlossen wurde. Daran können wir Aber wie Sie selbst gesagt haben: Es kommt auf den erkennen, was das Konzept konkret bedeutet. Wir ver- Praxistest an. stehen uns gut mit der neuen Gestaltungsmacht Kasach- stan. Auf meine Frage gestern haben Sie geantwortet, Vizepräsident Eduard Oswald: Kasachstan sei auch eine Gestaltungsmacht; ganz gleich, Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer Zwi- ob ihr Präsident Nasarbajew auf demonstrierende Ölar- schenfrage aus der Fraktion der FDP. Unser Kollege beiter schießen lässt oder bei den letzten Wahlen von der Spatz will Sie etwas fragen. Gestatten Sie das? OSZE das Siegel des Antidemokraten erhalten hat. Der Praxistest zeigt: Hier fehlt der Bundesregierung der poli- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tische Kompass; denn Kompass müssen meiner Mei- NEN): nung nach ganz klar die Menschenrechte sein. Sie müs- Ja. Wie könnte ich das einem Kollegen verwehren? sen die Leitlinie der deutschen Außenpolitik sein und klar Priorität haben. Das ist bei Ihnen nicht der Fall. Vizepräsident Eduard Oswald: (Zuruf von der FDP) Bitte schön. Auch die Außenwirtschaftspolitik muss eine klare (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Genau zuhö- Bindung an Menschenrechtskriterien haben. Hier pas- ren, Frau Müller!) siert nichts, was wie ein Dialog mit der Industrie zum Thema Menschenrechte aussehen könnte. Nichts pas- Joachim Spatz (FDP): siert in der Frage, wie industrielle Entscheidungen an Frau Kollegin Müller, könnten Sie uns wenigstens zu- Sozial- und Umweltstandards gebunden werden können. gestehen, dass die Maxime „Wandel durch Handel“ bzw. Herr Heraeus gibt freimütig zu, dass das Thema Men- „Wandel durch Annäherung“, also der Prozess, mit den- schenrechte der Industrie immer Schwierigkeiten macht. jenigen zu sprechen, die unsere Ideale vielleicht noch Was passiert, wenn der Kompass fehlt, zeigt sich nicht teilen, mindestens zur Überwindung der Spaltung auch, wenn Deutschland trotz der schwierigen Men- Europas einen wichtigen Beitrag geleistet hat und viel- schenrechtslage Panzer nach Saudi-Arabien liefert. leicht auch als Rezept für die Welt taugt? Wenn die Wirtschaft vor den Menschenrechten steht, dann gehen Rüstungsmärkte vor. Ich sage Ihnen: So ver- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kommt jeder Menschenrechtsdialog zu einer reinen Fei- (B) NEN): genblattpolitik. (D) Herr Spatz, ich glaube nicht, dass dies als Rezept für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Welt taugt. Sie berufen sich hier auf die Ostpolitik Brandts. Wir sind der Meinung, die außenpolitischen Prioritä- ten müssen ganz andere sein. Wir wollen die UN stärken (Zuruf von der FDP: Brandts und Scheels!) und keine Parallelstrukturen wie die G 20. Für uns müs- Ich finde, diese Schuhe sind wirklich viel zu groß. sen die Menschenrechte Leitlinie jeder Außenpolitik sein, und wir wollen eine verantwortungsvolle Ressour- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cen- und Handelspolitik, die nur dann gerecht und nach- und bei der SPD) haltig ist, wenn sie an die Menschenrechte und den Schauen Sie sich das an. Russland ist ein Beispiel dafür. Rechtsstaat gebunden ist und Korruption bekämpft. Keiner hier kann sagen wollen, dass es durch eine Öff- Vielen Dank. nung der Märkte, durch zum Teil Manchesterkapitalis- mus und kapitalistische Verhältnisse in Russland mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Demokratie gibt. Im Gegenteil: Beides prallt völlig auf- und bei der SPD) einander. Auch in China stehen wir vor dieser Situation. China ist ein wichtiger Partner, aber wir sehen, dass Vizepräsident Eduard Oswald: Menschenrechte und Demokratie dort zum Teil mit Fü- Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Müller. – Nächs- ßen getreten werden. Daher glaube ich, dass diese These ter Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kol- nicht stimmt. Es braucht zusätzliche Anstrengungen, und lege Dr. Christian Ruck. Bitte schön, Kollege Dr. Ruck. es muss klar definiert werden, was wir für eine Art der Handelspolitik wollen. Wollen wir sie an Umwelt- und (Beifall bei der CDU/CSU) Sozialstandards binden? Wollen wir sie an Menschen- rechtskriterien binden? Dazu steht in dem Papier nichts. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Hier spricht Ihre reale Politik Bände. Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh über die Gelegen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heit zu dieser Debatte. Herr Westerwelle, ich fand es gut, sowie bei Abgeordneten der SPD) dass Sie eingangs gesagt haben, dass wir trotz der Euro- Der Praxistest ist entscheidend: The proof of the pud- Krise und trotz unserer anderen heimischen Krisen den ding is in the eating. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Blick auf die Welt nicht vergessen dürfen. Das ist völlig die Inszenierung zu kritisieren: Sie stellen das Konzept richtig, sage ich als Entwicklungspolitiker. Ab und zu 19038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Dr. Christian Ruck (A) sind wir als Entwicklungspolitiker mit den Außenpoliti- lung und für die Lösung der Zukunftsprobleme sind. Da- (C) kern in einem fruchtbaren und heftigen Dialog, daher für gibt es viele Beispiele. Ich nenne nur drei: finde ich es ein bisschen schade, dass viele Redner der Opposition die Gelegenheit haben verstreichen lassen, in Erstes Stichwort: Klimawandel. Ohne einen substan- der Sache zu diskutieren. ziellen Beitrag von Ländern wie China, Brasilien, Indien oder auch Saudi-Arabien können wir das 2-Grad-Ziel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – auch dann nicht mehr erreichen, wenn wir in Europa alle Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Emissionen einstellen; das ist völlig unmöglich. GRÜNEN]: Ach!) (Beifall bei der CDU/CSU) – Frau Müller, Sie habe ich nicht gemeint. Wenn zum Beispiel die Rio-Konferenz irgendeinen Fort- Es ist doch vollkommen klar, dass es sich bei dem, schritt bringen soll, dann müssen wir gerade mit diesen was Herr Westerwelle in dieser Woche vorgestellt hat, Gestaltungsmächten zusammenarbeiten und ihnen natür- um ein Gerüst handelt, das man noch ausfüllen und aus- lich auch etwas bieten im Sinne von entwicklungspoliti- arbeiten muss. scher Zusammenarbeit. (Edelgard Bulmahn [SPD]: Dafür haben Sie (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE zwei Jahre Zeit gehabt!) GRÜNEN]: Selbstverpflichtung!) Alles andere ist eine völlige Illusion. Ich glaube, hier ha- ben Verschwörungstheorien keinen Platz. Das ist nicht immer unumstritten gewesen. Das tun wir jetzt. Für uns Entwicklungspolitiker ist der Umgang mit den Gestaltungsländern oder Schwellenländern, wie sie Zweites Stichwort: Instabilität. Natürlich bewundern früher genannt wurden, von ausschlaggebender Bedeu- alle die Fortschritte der Brasilianer, Chinesen und Inder tung; denn aus der Sicht der Entwicklungspolitiker hat in Dimensionen wie Bruttosozialprodukt und Fähigkei- sich die Welt durch die Globalisierung fundamental ver- ten in technologischer Hinsicht. Die Wahrheit ist aber ändert. Die klassische Einteilung in Industrieländer und auch, dass zwei Drittel der Armen in diesen Ländern le- Entwicklungsländer stimmt nicht mehr. Auch das, was ben, dass diese Länder nach wie vor von großen politi- früher weit weg von uns war, am Hindukusch oder im schen Instabilitäten bedroht sein können und dass es in Innern Afrikas, ist plötzlich ganz nah, auch für unsere unserem Interesse ist, auch mit unserer Entwicklungs- Bevölkerung, für unseren Wohlstand und für unsere Si- politik, zumindest mit Beratungsleistungen, dem entge- cherheit. genzuwirken. (B) Die großen Herausforderungen zeichnen sich ab. Das Drittes Stichwort: Rohstoffe. Was sich in weiten Tei- (D) ist die Klima- und Energiefrage. Das ist die Frage der len der Welt, gerade in Afrika, in Sachen Rohstoffaus- Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen. Das ist beutung abspielt, ist schlichtweg ein Desaster. Wenn wir die demografische Entwicklung mit all den Konsequen- das in bessere Bahnen leiten wollen, dann müssen wir zen für die Ernährungslage und für die Wasserversor- uns vor allem mit den Gestaltungsmächten, die da be- gung. Das ist aber auch die Frage von politischen sonders beteiligt sind, vor allem mit China, irgendwie Umbrüchen, Instabilitäten, ökonomischen Ungleichge- auf einen Code of Conduct, auf einen Ehrenkodex, ver- wichten und daraus folgender politischer Radikalisie- ständigen. Verständigen müssen wir uns nicht nur unter rung. uns – das ist ebenfalls nötig –, sondern auch mit diesen Ländern und vor allem mit China; denn ohne eine solche Das alles zwingt uns in unserem ureigenen Interesse Absprache ist eine vernünftige Entwicklung in ärmeren, zu einer Entwicklungspolitik, die gleichzeitig hoch flexi- aber rohstoffreichen Ländern nicht möglich. Wir brau- bel, konsequent und langfristig angelegt sowie – das ist chen deswegen diese Zusammenarbeit mit China und gerade der Punkt dieses Konzepts – kohärent ist, das mit anderen Ländern, und wir brauchen sie auch in Ge- heißt, dass alle Bereiche des Außenhandels erfasst wer- stalt von Dreieckskooperationen. den, dass sie international abgestimmt sind, vor allem unter denen, die die gleichen Sicherheitsinteressen ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben wie wir. Diese Beispiele, glaube ich, zeigen, wie man die Das bedeutet zum Beispiel auch, dass sich die Ent- Grundgedanken des von Herrn Westerwelle vorgestell- wicklungspolitik in Zeiten der Globalisierung längst ten Konzepts mit Leben und auch mit Details erfüllen nicht mehr nur als Straßen- und Brunnenbauer versteht, kann. sondern sie versteht sich als eine Politik, die mithilft, dass die Welt tragfähige Strukturen entwickelt, mit denen sie Aber wir müssen in vielen Punkten natürlich auch die Herausforderungen, die ich genannt habe, in Zukunft noch bei uns selbst weiter voranschreiten. Dazu nenne meistern kann. Damit sind die Entwicklungspolitiker na- ich ebenfalls drei Punkte: türlich auch von der Kohärenz mit der Gesamtpolitik ab- Erstens. Wir müssen auf dem Weg weiter voran- hängig. Wir begrüßen es, dass ein solches kohärentes schreiten, die eigenen Kräfte zu bündeln, zum Beispiel Grundgerüst von der Bundesregierung vorgelegt worden durch schlagkräftige Durchführungsorganisationen – da- ist, in dem es vor allem um diese Gestaltungsmächte geht; bei sind wir –, denn auf Schritt und Tritt merken wir, dass diese Gestal- tungsmächte Schlüsselakteure für die globale Entwick- (Zuruf von der LINKEN: Vetternwirtschaft!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19039

Dr. Christian Ruck (A) zum Beispiel durch Ressortabstimmung. Dabei ist es (Beifall bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE (C) wichtig, auf die wertvolle Arbeit der Kirchen und Stif- LINKE]: Gerüste werden abgebaut!) tungen auf diesem Gebiet hinzuweisen. In dem Konzept wird angerissen, dass – auch dem Zweitens. Wir müssen die internationalen Organisa- stimme ich ausdrücklich zu – Außenpolitik heute mehr tionen so gestalten, dass sie effizienter und effektiver ar- ist, als es die traditionelle Außenpolitik war, mehr als beiten können, und zwar nicht nur die UNO – das wurde Diplomatie. Heute spielen Klimaschutz, der verantwort- schon angesprochen –, sondern auch die vielen anderen liche Umgang mit natürlichen Ressourcen, die weltweite Organisationen, die immer wichtiger werden, vor allem Sicherung der Nahrungsmittelversorgung, die Globali- die regionalen Organisationen wie die Arabische Liga sierung der Wirtschaft, die Verletzung von Menschen- oder die Afrikanische Union. rechten oder auch die Bedrohung durch den internationa- len Terrorismus eine wichtige Rolle. All das sind Drittens. Wir müssen – es wurde von einer Präge- Herausforderungen, die sich der klassischen Machtpoli- phase in Europa gesprochen – für einen schlüssigeren tik und damit den traditionellen Formen der Außenpoli- und kompakteren Außenauftritt der EU und der westli- tik entziehen. Dem werden wir wohl alle zustimmen. chen Wertegemeinschaft sorgen. Denn wir als Deutsche Aber wenn man feststellt, dass diese Beschreibung rich- sind allein nicht in der Lage, die Welt grundsätzlich zu tig ist, dass Außenpolitik heute viele Dimensionen hat, ändern. Aus diesem Grunde begrüßen wir das vorlie- dass sie eine Querschnittsaufgabe geworden ist und dass gende Konzept der Bundesregierung, das strategische sich mit ihr heute immer auch Fragen der Friedens- und Ziele richtig definiert. Wir alle sind aufgefordert, diese Sicherheitspolitik, der Menschenrechte, der Umwelt- Ziele umzusetzen. und Klimaschutzpolitik, der Zusammenarbeit in Bil- dung, Wissenschaft und Forschung, der Wirtschaftspoli- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tik und vieler anderer Felder verbinden, dann bedeutet das eben auch, dass man Außenpolitik so konzipieren Vizepräsident Eduard Oswald: muss, dass die Verbindung dieser Dimensionen klar be- Vielen Dank, Kollege Dr. Christian Ruck. – Nächste nannt und verstanden wird. Rednerin in unserer Debatte ist für die Fraktion der So- Das bedeutet dann auch, liebe Kolleginnen und Kolle- zialdemokraten unsere Kollegin Edelgard Bulmahn. gen, zu respektieren, dass sich in dieser neuen multipola- Bitte schön, Frau Kollegin Bulmahn. ren Welt neue regionale Strukturen entwickeln, die sich (Beifall bei der SPD) in den klassischen Formaten der internationalen Zusam- menarbeit bisher nicht ausreichend abbilden. Auch diese Wahrnehmung habe ich in dem Konzept der Bundesre- (B) (D) Edelgard Bulmahn (SPD): gierung vermisst. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- nen und Kollegen! Bei der Vorstellung des Konzepts der Ich hatte gehofft, dass wir in der Rede des Bundes- Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den soge- außenministers hierzu etwas Genaueres erfahren, welche nannten neuen Gestaltungsmächten haben Sie, Herr konkreten Auswirkungen diese Entwicklungen auf die Bundesaußenminister, immer wieder betont, dass die deutsche Außenpolitik haben. Aber auch hierzu habe ich neuen globalen Fragen nur im Zusammenspiel mit mehr nicht viel Neues gehört. Was bedeutet zum Beispiel und neuen Partnern zu beantworten sind. Das ist richtig; diese Herausbildung neuer regionaler Strukturen in keine Frage. Dass die Welt aber multipolar und nicht Asien, Afrika und Südamerika für die deutsche Politik? mehr bipolar ist, ist keine neue Erkenntnis. Diese Ent- Herr Außenminister Westerwelle, Sie haben zwar an- wicklung gibt es seit 20 Jahren. Die Frage, die sich da- gesprochen, dass diese neuen regionalen Strukturen exis- raus ableitet, ist: Was bedeutet es für die deutsche Au- tieren, aber welche Schlussfolgerungen ziehen Sie denn ßenpolitik, dass wir heute in einer multipolaren Welt daraus? Welche Konsequenzen hat das für die weitere leben? Auf diese Frage, Herr Außenminister, geben Sie Entwicklung der VN? Wie soll ein neuer Sicherheitsrat keine Antwort. Eine strategische Orientierung der deut- aussehen? Wie soll er zusammengesetzt sein? Das sind schen Außenpolitik bietet dieses Papier gerade nicht. doch Fragen, auf die wir Antworten geben müssen. Dazu müssen wir Vorschläge machen, über die wir dann natür- Welche außenpolitischen Ziele verfolgt die Bundesre- lich auch mit unseren Partnern verhandeln müssen. Ei- gierung? Welche Interessen hat sie? Welche Leitlinien gene Vorstellungen muss man aber schon haben, erst für außenpolitisches Handeln formulieren Sie? Welche dann kann man sie miteinander erörtern. Strategie leiten Sie daraus ab? Wo setzen Sie Schwer- punkte? Das sind Fragen, auf die ich in diesem Papier Welche Rolle sollen zukünftig regionale Sicherheits- eine Antwort erwartet hätte. Herr Ruck, wenn Sie sagen, und Wirtschaftsbündnisse in der deutschen Außenpolitik dass das, was hier vorgelegt wurde, ein Gerüst sei, dann haben? Ich nenne zum Beispiel die Afrikanische Union, finde ich das nach zwei Jahren zu wenig. Zwei Jahre die Arabische Liga und ASEAN. All diese neuen regio- hatte diese Bundesregierung Zeit, ein außenpolitisches nalen Strukturen spielen inzwischen in der internationa- Konzept vorzulegen. Das wäre gut gewesen, denn dann len Politik eine wichtige Rolle, und zwar in vielen Di- hätten wir über die Inhalte, Zielsetzungen, Strategien, mensionen. Wie spiegelt sich das in der deutschen Schwerpunkte miteinander diskutieren können. Das ist Außenpolitik wider? Welche Schlussfolgerungen ziehen auch notwendig. Aber über ein Gerüst kann man nicht wir daraus? Was bedeutet das – das wurde von einigen diskutieren. angesprochen – zum Beispiel für die Armutsbekämp- 19040 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Edelgard Bulmahn (A) fung? Wenn wir konkrete politische Zielsetzungen in der tegie Deutschlands in einer multipolaren Welt auseinan- (C) Armutsbekämpfung oder in der Klimapolitik verfolgen, dersetzen. Aber am Ende der heutigen Debatte möchte mit welchen Strategien geht das dann einher? Welche ich sagen: Das sollten wir im Parlament tun. Hoffentlich Rolle spielen dabei die regionalen Strukturen? hört die Bundesregierung dann auch auf das Parlament. Das alles wird in diesem Konzept nicht angesprochen. Vielen Dank. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss ich leider (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einfach feststellen, dass das Papier, über das wir hier dis- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kutieren, eben kein strategisches Konzept ist. Es ist nur eine Aneinanderreihung von Handlungsfeldern. Genau das löst auch die Kritik aus. Eine positiv verstandene, Vizepräsident Eduard Oswald: konkrete Beschreibung deutscher Interessen und Zielset- Vielen Dank, Frau Kollegin Bulmahn. – Letzter Red- zungen findet nicht statt. Genauso wenig gibt es eine kri- ner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/ tische Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln. CSU unser Kollege Karl-Georg Wellmann. Bitte schön, Man gewinnt den Eindruck, dass sehr viel Zeit darauf ver- Kollege Wellmann. wendet worden ist, die bisherige schwarz-gelbe Außen- politik in ein positives Licht zu rücken – auch das ist Ih- Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): nen jedoch nicht so richtig gelungen –, während die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Herausforderung, tatsächlich eine Strategie zu beschrei- Bulmahn, Ihre Rede war bezeichnend: Sie haben kein ben, nicht aufgegriffen worden ist. Konzept, und Sie haben wie Herr Erler nur Fragen ge- stellt. Aber Sie haben keine Antwort auf die Globalisie- Ich will einen letzten Aspekt nennen. Sie haben in Ih- rungsprobleme in dieser Welt. rem Konzept die Zusammenarbeit mit neuen Gestal- tungsmächten im Bereich der Krisenprävention, der Kon- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fliktlösung und der Friedenskonsolidierung vor allem in Anders Herr Gehrcke: Er hat auf Basis seines festen deren Rolle als Truppensteller für Friedensmissionen der Weltbildes und im Geiste des proletarischen Internatio- Vereinten Nationen gesehen. Dazu sage ich: Deren Rolle nalismus eine Antwort gegeben – vorgestrig, aber im- darauf zu beschränken, ist wirklich fahrlässig und bei merhin. weitem nicht ausreichend. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Es war (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin eine Alternative!) Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) – Das wäre eine Alternative, über die wir diskutieren (B) könnten. (D) Bangladesch und Jordanien stellen derzeit jeweils mehr als 2 000 Polizeikräfte für UN-Missionen zur Ver- Wir begrüßen das neue Konzept. Es ist gut, dass es fügung, Deutschland gerade einmal 18. Das heißt, dass nicht nur unsere Werteordnung, sondern vor allem auch Deutschland noch nicht einmal bei dem, was Sie als unsere Interessen benennt. Es gibt ein Spannungsfeld Aufgabe beschreiben, annähernd seiner Verantwortung zwischen Werten und Interessen. Dieses Spannungsfeld gerecht wird. Das, Herr Außenminister, ist eben keine muss aufgelöst werden. Wir müssen allerdings in der Grundlage für eine zukunftsfähige Außenpolitik im Praxis kohärent agieren und dürfen hinsichtlich der 21. Jahrhundert. Menschenrechtslage schwierige Länder nicht unter- schiedlich – abhängig von unseren Handelsinteressen – Es erstaunt mich schon, dass die Bundesregierung in behandeln. Wir können Länder, mit denen uns keine ihrem Konzept zu diesem wichtigen Themenfeld nicht Handelsinteressen verbinden, nicht mit einer Bestra- mehr sagt. Nur zu behaupten, dass zivile Krisen- und fungsrhetorik und mit Sanktionen belegen, während wir Konfliktprävention ein Schwerpunkt der Außenpolitik dies bei anderen Ländern nicht tun. Das würde uns un- sein soll, reicht nicht. Die konkreten Vorschläge – das glaubwürdig und unberechenbar machen. Unsere Inte- muss ich leider einfach einmal feststellen – kommen ressen – lassen Sie mich das noch einmal betonen – sind nicht von der Regierung, sie kommen aus dem zuständi- natürlich auch Handelsinteressen und betreffen auch gen Unterausschuss im Deutschen Bundestag, und zwar Handelswege. Deshalb sind wir am Horn von Afrika. fraktionsübergreifend. Ich finde das auch gut. Von der Bundesregierung ist da leider nichts gekommen. Wir wollen die Partner von unseren Werten überzeu- gen. So steht es im Konzept. Wir sollten unseren Part- (Zuruf von der CDU/CSU: Die werden be- nerländern deutlich machen, dass es auch ganz handfeste rücksichtigt!) Gründe dafür gibt, diese Werte zu beachten; denn ohne Da finde ich nur eine leere Stelle. Rechtssicherheit und mit Behördenwillkür und Korrup- tion würde die Entwicklung des so notwendigen freien Unternehmertums in diesen Ländern – ich denke an Vizepräsident Eduard Oswald: Russland – erstickt. Der Fall Chodorkowski ist nicht nur Sie denken an Ihre Redezeit? deshalb so bemerkenswert, weil hier rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden. Er ist auch deshalb bemer- Edelgard Bulmahn (SPD): kenswert, weil er für Russland selbstschädigend ist; Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist notwendig denn potenzielle Investoren werden von Russland abge- und wichtig, dass wir uns mit der außenpolitischen Stra- halten. Der Mittelständler aus Deutschland oder der EU, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19041

Karl-Georg Wellmann (A) der sich fragt: „Soll ich in Russland mehrere Millionen nen. Nach 1945 hätte es ohne Amerika den europäischen (C) Euro investieren?“, sagt sich: Auch ich gerate vielleicht Westen vermutlich nicht mehr gegeben. Nun ist viel die eines Tages in die Mühlen dieser Willkürjustiz. – Des- Rede von einer pazifischen Orientierung Amerikas. Der halb geht er nicht nach Russland, und deshalb ist es für Verteidigungsminister – der Staatssekretär ist nicht mehr Russland selbstschädigend, so zu handeln. Diesen Dia- da – hat in München etwas Kluges gesagt, nämlich: Las- log müssen wir mit unseren Partnern führen. sen Sie uns nicht auf die angebliche pazifische Orientie- rung fixieren; denn es gibt mit Amerika hier bei uns (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) noch viel Gemeinsames zu tun. – Ich finde, die globale Herr Außenminister, ich darf bei dieser Gelegenheit Strategie des Konzeptes ist richtig. Es muss aber völlig darauf hinweisen, dass das Konzept richtigerweise die unstreitig sein, dass die transatlantischen Beziehungen Bedeutung des Austausches mit den Zivilgesellschaften immer eine unverzichtbare Grundlage unserer deutschen und die Förderung von Stipendien und Besuchsprogram- Außenpolitik bleiben. men erwähnt. Da haben wir im Bereich der Visapolitik Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. noch ein gutes Stück zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ Vizepräsident Eduard Oswald: DIE GRÜNEN]: Genau! In der Tat!) Vielen Dank, Kollege Karl-Georg Wellmann. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Wir haben gemeinsam noch einen langen Weg vor uns, bevor wir zu einer echten Willkommenskultur, die wir Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf aus Eigeninteresse bitter nötig haben, kommen. Drucksache 17/8600 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit ein- Der Machtverlust des Westens ist erkennbar. Der Au- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung ßenminister hat es schon gesagt: Als Einzelstaaten haben so beschlossen. wir in der globalisierten Welt kaum noch Einfluss und spielen eine untergeordnete Rolle. – Das neue Konzept Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der will eine Antwort darauf geben. Das setzt natürlich eine Fraktion Die Linke. Interfraktionell ist vereinbart, über weitere europäische Integration voraus. Das braucht aber den Entschließungsantrag auf Wunsch der einbringen- nach meiner Auffassung noch mehr. Damit meine ich die den Fraktion abweichend von der Geschäftsordnung so- Beziehungen zu Russland. Die Bedeutung Russlands ist fort abzustimmen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist mit der erforderlichen Mehrheit der Fall. (B) uns allen bewusst. Sicherheit kann nicht gegen, sondern (D) nur mit Russland erreicht werden. Das gilt für Drogen- Dann verfahren wir so. bekämpfung, Terrorbekämpfung, für die Frage der Ver- Wir kommen also jetzt zur Abstimmung über den kehrswege und vieles mehr. Es ist evident, welche Be- Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck- deutung die Rohstoffbasis Russland für die westlichen sache 17/8624. Wer stimmt dafür? – Das ist die Fraktion Industrienationen hat. Die Linke. Gegenprobe! – Das ist die Koalition. Enthal- tungen? – Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten und Ich freue mich, Herr Außenminister, dass Sie an die- des Bündnisses 90/Die Grünen. Der Entschließungsan- ser Stelle gestern und auch heute sehr klargestellt haben, trag ist abgelehnt. welche Bedeutung Russland für uns hat. Wenn man das Papier genau liest, wird man erkennen, dass die G-8- ( [DIE LINKE]: Aber nur Länder nicht von diesem Papier erfasst werden. Russ- knapp!) land gehört aber zu den G 8. Dieser Sachverhalt sollte bei einer zukünftigen Fortschreibung des Konzepts be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages- rücksichtigt werden. ordnungspunkt 21 a bis c auf: Nach der Präsidentenwahl in Russland – ich glaube, a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia niemand erwartet eine Überraschung – sollten wir versu- Kotting-Uhl, Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell, chen, mit Russland in einen neuen strategischen Dialog weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- zu treten und Russland und die EU enger zu verzahnen. NIS 90/DIE GRÜNEN Ich denke dabei an eine echte Energiepartnerschaft. Rückholung des Atommülls aus der Asse be- Meine ganz persönliche Meinung ist, dass wir im Rah- schleunigen men einer solchen Partnerschaft nicht primär die Rolle des politischen Oberlehrers spielen, sondern in der Tat – Drucksache 17/8497 – mehr auf den Außenminister hören sollten, der die alte Überweisungsvorschlag: Erfahrung vom „Wandel durch Handel“ angeführt hat. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Lassen Sie mich zum Schluss, bevor hier die Atom- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- müllfässer rollen, noch etwas zu Amerika sagen. Ame- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz rika und wir haben eine echte Wertepartnerschaft. Eu- und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem ropa bzw. Westeuropa, Amerika und einige andere Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Länder repräsentieren das, was wir als Westen bezeich- Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeord- 19042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Vizepräsident Eduard Oswald (A) neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- niedersächsischen und im Bundesumweltministerium (C) NEN ausdrücklich dankbar, dass sie sich nach dem Hilferuf aus dem BfS und dem anschließenden Workshop der Beteiligung der Energiekonzerne an den Kos- Fachleute noch einmal klar zur Rückholung des Atom- ten für das Atommülllager Asse mülls bekannt haben. – Drucksachen 17/1599, 17/4487 – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Berichterstattung: bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]) Ute Vogt Nichts anderes wäre den zukünftigen Generationen Angelika Brunkhorst rund um die Asse zumutbar. Die Lage erfordert ein klar Dorothée Menzner erkennbares gemeinsames Vorgehen der drei verantwort- Sylvia Kotting-Uhl lichen Häuser BfS, NMU und BMU. Störfeuer im Sinn c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- von besorgten Nachfragen kann hilfreich sein; Störfeuer richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz mit dem Ziel der Verzögerung oder Diskreditierung han- und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem delnder Personen kann sich in dieser Situation niemand Antrag der Abgeordneten Sigmar Gabriel, Ute leisten. Vogt, Heinz-Joachim Barchmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD Was ist zu tun? Wir brauchen Beschleunigung in der Asse, Beschleunigung bei einem Verfahren, das sowohl Rückholung der Atommüllfässer aus der Asse II dem Bergrecht wie dem Atomrecht genügen muss und beschleunigen das in diesem Szenario ohne Lehrbeispiele ist – Neuland. Es geht darum, ein sich potenzierendes Regelwerk auszu- – Drucksachen 17/8351, 17/8588 – dünnen, ohne die Grundschutzstandards zu gefährden – Berichterstattung: weder die Sicherheit der dort arbeitenden Bergleute noch Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth die Langzeitsicherheit. Braucht es beispielsweise in ei- Ute Vogt nem Salzbergwerk wirklich einen Hochglanzklinikbo- Angelika Brunkhorst den, um jedes beim anstehenden Öffnen einer Kammer Dorothée Menzner eventuell auslaufende Tröpfchen rückstandslos aufwi- Sylvia Kotting-Uhl schen zu können? Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Man kann Sicherheit, die in einem solchen Fall jahr- (B) die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich zehntelanger Vernachlässigung niemals zu 100 Prozent (D) höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. erreichbar ist, natürlich ohne Ende zu erhöhen versu- chen. Der Preis ist allerdings irgendwann die Aufgabe Ich eröffne die Aussprache. des höchsten Schutzziels: der Langzeitsicherheit. Der Erste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak- prognostizierte Zeitraum für das Erreichen dieses höchs- tion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Sylvia ten Schutzziels, allein machbar durch die Rückholung Kotting-Uhl. Bitte schön, Frau Kollegin Kotting-Uhl, der 126 000 mehr oder weniger aufgelösten Fässer, um- Sie haben das Wort. fasst zwei bis fünf Jahrzehnte. Das ist lang, aber nicht unmöglich. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Stabilität der Grube, die lange als großes Risiko Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wir reden galt, ist nach Einschätzung offenbar aller Fachleute nicht heute über die Entsorgungskatastrophe Asse. Ich will mehr das Problem. Ein spontanes Zusammenbrechen ist nicht noch einmal die Gesamtgeschichte der Asse refe- schon gar nicht zu befürchten. Die Stabilität des Berg- rieren, obwohl sie ein gutes Lehrbeispiel dafür ist, was werks wird durch die seit Jahren durchgeführten Notfall- man mit mangelnder Sorgfalt und Transparenz bei der maßnahmen ständig erhöht. Das eigentliche Damokles- Auswahl eines Standortes für die Endlagerung von schwert, das seit Jahrzehnten über der Asse schwebt und Atommüll anrichten kann. auch weiterhin dort schweben wird, ist die spontane Zu- nahme des Wasserzutritts. Da man nicht weiß, woher die Im Jahr 2007 habe ich hier zum ersten Mal gefordert, seit vielen Jahren gleichbleibenden täglichen 12 Kubik- den Atommüll aus der Asse zurückzuholen. Die Zustim- meter Wasser kommen, kann es keine Prognose geben, mung im Haus war gering. Ein Jahr später wurden die ob und wann sich das ändert – vielleicht morgen, viel- kontaminierten Laugen bekannt. Nach dem Optionen- leicht nie. vergleich des inzwischen zuständigen Bundesamtes für Strahlenschutz war klar, dass um der Langzeitsicherheit Auch für diesen Fall werden seit der Zuständigkeit willen der Müll aus der Asse raus muss. Wer sich mit der des BfS Notfallmaßnahmen ausgeführt, die die mit Asse beschäftigt hat und weiß, auf welch fahrlässige Atommüll gefüllten Kammern so gut wie möglich si- Weise welche Mengen von Atommüll dort eingelagert chern. Diese Notfallmaßnahmen wurden von Anfang an wurden, dem ist klar, dass die Rückholung nicht einfach als Gefahrenabwehr betrachtet und entsprechend gesetz- wird. Dass man vor einer solchen Aufgabe auch ver- lich behandelt. Um der Lage in der Asse gerecht zu wer- zagen kann, ist für mich nachvollziehbar. Ich bin den den, müssen jetzt auch die Vorbereitungen zur Rück- Verantwortlichen im Bundesamt für Strahlenschutz, im holung als Gefahrenabwehr betrachtet werden. Ja, auch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19043

Sylvia Kotting-Uhl (A) die Rückholung ist Gefahrenabwehr, nicht nur Stabilisie- Vizepräsident Eduard Oswald: (C) rungsmaßnahmen. Vielen Dank, Frau Kollegin Sylvia Kotting-Uhl. – Nächste Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sere Kollegin Frau Dr. Maria Flachsbarth. Bitte schön, und bei der SPD) Frau Kollegin. In der Asse ist der Eintritt der Gefahr im Grundsatz (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) längst realisiert. Die Situation dort bedeutet eine perma- nente Störung des Rechtszustands. Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Darüber hinaus braucht der Sonderfall Asse ein eige- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die nes Regelwerk. Ein solches Regelwerk darf die Grund- außerordentlich problematische Lage im Endlager Asse schutzstandards des Atomrechts nicht unterlaufen und wird heute von niemandem mehr infrage gestellt. In den das lange unterdrückte Recht der Öffentlichkeit auf Be- 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts sind teiligung nicht beschneiden. Wenn aber selbst die Be- 126 000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem gleitgruppe Asse, die die betroffene Öffentlichkeit ver- Müll in das ehemalige Salzbergwerk eingelagert worden, tritt, eine Lex Asse zur Beschleunigung des Verfahrens ohne dass heute sicher bekannt wäre, welche Nuklide in fordert, dann ist genau diese Begleitgruppe der richtige welchen Mengen verbracht wurden. Zum Teil geschah Partner, um eine hinreichende Öffentlichkeitsbeteiligung das mit der sogenannten Versturztechnik, die dazu ge- führt hat, dass die Fässer beschädigt wurden und sich de- in einem beschleunigten Verfahren zu entwickeln. ren Inhalt mit Salzgrus vermischt hat. Aus heutiger Sicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der ist das jenseits jeglichen angemessenen Umgangs mit SPD, der eine dezidierte Änderung des Atomgesetzes atomaren Abfällen. Zur damaligen Zeit war es ein vorschlägt, wurde im Umweltausschuss von der Mehr- Schritt in die richtige Richtung; denn damals war es der heit abgelehnt. Wir müssen vielleicht wirklich noch Stand des Verfahrens, atomare Abfälle im Meer zu ver- nicht beschließen, mit welchen Worten wir die Lex Asse senken. im Atomgesetz verankern wollen, auch wenn der Vor- Über viele Jahre hinweg haben verschiedene Bundes- schlag der SPD klug war, wovon ich mich inzwischen und Landesregierungen die Problematik in der Asse überzeugen konnte. nicht wahrhaben wollen. Das hat das Vertrauen der Men- schen vor Ort in Politik und Wissenschaft in hohem Heute steht der Antrag von uns Grünen zur Beratung Maße gestört. Politische Schuldzuweisungen sind des- an. Wir fordern, der Rückholung des Atommülls durch halb nicht angebracht. Der sachliche Ton in der Sitzung (B) eine Änderung des Atomgesetzes eine höhere Priorität des Umweltausschusses am vergangenen Mittwoch war (D) beizumessen und bis zur Gültigkeit dieser Änderung alle sehr wohltuend. Ich erhoffe mir diesen Ton auch für die Maßnahmen zur Rückholung nach Gefahrenabwehr ge- heutige Debatte. mäß Atomrecht vorzunehmen. Wir müssen uns auch nicht auf den Wortlaut dieses Antrags einigen. Aber ich In der vergangenen Legislaturperiode hat der Bundes- appelliere an Sie alle, dass wir uns auf dieser Grundlage tag die Verantwortung für die Asse auf das BfS bzw. da- fraktionsübergreifend verständigen. mit auch auf das BMU übertragen. Eine Asse-Begleit- gruppe und ein Koordinationskreis sind eingerichtet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) worden. Das BMU hat die Sanierung der Asse ganz oben auf die politische Agenda gesetzt. Die Staatssekretärin Es wäre die angemessene Art, mit einem falsch ausge- ist regelmäßig vor Ort, um mit der betroffenen Bevölke- wählten und fatal gescheiterten Endlager umzugehen. rung einen vernünftigen Weg zu suchen. Sie alle wissen: Derzeit wird ein Endlagersuchgesetz 2009 hat das BfS die Ergebnisse des sogenannten Op- erarbeitet. Wir wollen eine vergleichende Endlagersuche tionenvergleichs Asse vorgelegt, der gezeigt hat, dass mit dem Ziel auf den Weg bringen, den bestgeeigneten die einzige Möglichkeit des Nachweises der Langzeit- Standort in Deutschland für die Endlagerung hochradio- sicherheit tatsächlich die Rückholung der Abfälle ist. aktiven Mülls für die nächste Million Jahre zu finden. Ein Gutachten von DMT und TÜV Nord hat damals be- Das ist eine Aufgabe, die, wenn sie tragfähig sein und sagt, dass die reine Rückholung acht Jahre dauern würde Regierungswechsel überstehen soll, nur im Konsens ge- und man mit dem Ganzen bis zum Jahre 2020 oder 2025 löst werden kann, weshalb man bei der Entwicklung des fertig sei. Dann hat ein Sachstandsbericht der zuständi- Gesetzes auf alle Besorgnisse achten muss. gen Abteilung des BfS aufgeschreckt, der angesichts der in bergrechtlicher und atomrechtlicher Hinsicht proble- Lassen Sie uns mit der Erarbeitung der Lex Asse ein matischen Situation Zweifel an der Realisierbarkeit der Zeichen setzen, dass wir zum Konsens in Endlagerfra- Planungen ausgedrückt hat. gen fähig sind. Es wäre ein Vertrauen schaffendes Zei- Deshalb gab es im Januar den Workshop, den Frau chen. Kollegin Kotting-Uhl eben schon angesprochen hat. Da Ich danke Ihnen. haben 100 Expertinnen und Experten darüber gespro- chen. Den Bericht, den das BfS dann erstellt hat, hat die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entsorgungskommission hinsichtlich der Möglichkeiten und bei der SPD) der Beschleunigung der Realisierung der Rückholung 19044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Dr. Maria Flachsbarth (A) ohne Abstriche bei der Sicherheit sowie der Beschleuni- der Landrat des Landkreises Wolfenbüttel, die beiden (C) gung der Realisierung der Planung bzw. Durchführung Staatssekretärinnen aus BMU und NMU sowie der Prä- von Notfall- und Vorsorgemaßnahmen bewertet. BfS sident des BfS angehören sollen, um Reibungsverluste und BMU haben dies am vergangenen Mittwoch im Um- zwischen den beteiligten Institutionen zu vermeiden und weltausschuss umfangreich vorgetragen. Diese Ergeb- pragmatische Entscheidungen auf dem kurzen Dienst- nisse – so bin ich überzeugt – bieten nun ein realistische- weg treffen zu können. Ich freue mich sehr, dass der res Bild für dieses weltweit beispiellose Vorhaben, ein neue niedersächsische Umweltminister Birkner die Sa- Endlager zu räumen. nierung der Asse ganz oben auf seine politische Agenda gesetzt hat und auch heute bei dieser Debatte das Wort Die gute Nachricht ist: Das Bergwerk ist nicht akut ergreifen wird. einsturzgefährdet. Aber es besteht jederzeit das Risiko eines unkontrollierten Laugeneinbruchs. Die Zeitdauer (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Rückholung war viel zu optimistisch geschätzt: Es der CDU/CSU) wird mehrere Jahrzehnte dauern, vermutlich 35 bis 40 Jahre. Weil es noch so lange dauert, ist es jetzt not- Bei allem Wunsch nach Beschleunigung gibt es den wendig, die Notfall- und Vorsorgemaßnahmen zu forcie- Konsens unter allen Beteiligten, dass es auf gar keinen ren. Nach Einschätzung der ESK und des BfS stehen die Fall Abstriche bei der Sicherheit geben darf, weder für Notfallmaßnahmen erst ab 2016, die Vorsorgemaßnah- die Anwohner noch für die Mitarbeiter noch für die Um- men erst ab 2019 vollständig zur Verfügung. Das muss welt. Dieses darf selbstverständlich auch nicht im Rah- aber jetzt forciert werden. men der Gefahrenabwehr stattfinden. Wir haben im Aus- schuss gehört: Auch wenn man das ganze Verfahren im Außerdem muss das Bergwerk, bei dem man eigent- Rahmen der Gefahrenabwehr betreiben würde, wäre lich vorhatte, es bis zum Jahr 2015 aufzugeben, umfang- fraglich, ob es dadurch tatsächlich zu einer wesentlichen reich saniert und modernisiert werden: Die Schächte Beschleunigung kommen könnte. müssen modernisiert und saniert werden. Es muss ein neuer Schacht gebaut werden, um die Rückholung über- Das BfS hat uns immer wieder mitgeteilt, dass es zur haupt zu ermöglichen. Es muss neue Infrastrukturräume Faktenerhebung nötig ist, dass die Kammern geöffnet geben; alte müssen aufgegeben werden, weil der Berg werden. Das große Risiko ist, dass es gerade in diesem dort drückt bzw. weil sie verfüllt werden müssen; denn Zeitraum, in dem die Kammern geöffnet worden sind, zu die Stabilisierung des Berges steht im Vordergrund. einem unkontrollierbaren Wassereinbruch kommen könnte. Was soll dann geschehen? Wie soll man mit die- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der technische Ab- sem Risiko umgehen? Ehrlich gesagt: Auf diese Fragen lauf der Sanierung gliedert sich in drei, eigentlich in fünf habe auch ich keine Antwort. Ich will damit nur deutlich (B) Schritte: die Bergung der Abfälle, der Transport der Ab- machen, dass es nicht etwa so lange dauert, Lösungen zu (D) fälle, die Pufferlagerung und Konditionierung, später die finden, weil man etwas verzögern will, sondern weil die Zwischenlagerung, anschließend die Endlagerung. Es Probleme tatsächlich riesengroß sind. Der vorliegende handelt sich also tatsächlich um ein riesiges Projekt; ich ESK-Bericht spricht diese Fragen mit schonungsloser glaube, das steht außer Frage. Offenheit an. Das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Die ESK führt aus, dass es bislang für keinen dieser Schritte eine antragsfähige Planung gebe. Die Planung Die ESK rät zudem ganz konkret, für die Beschleuni- ist im Moment die vordringliche Aufgabe des BfS. Doch gung des Verfahrens seien die Einrichtung einer leis- zunächst ist eine Faktenerhebung notwendig, das heißt tungsstärkeren Elektroversorgung, die Vereinfachung im das Anbohren von ausgewählten Einlagerungskammern Beschaffungswesen durch Verzicht auf umfangreiche sowie deren Öffnung und testweise Bergung, einfach um Ausschreibungen und zusätzliches Personal erforderlich. zu wissen, womit man eigentlich umgeht. Ich bitte insbesondere unsere Haushälter, diese Bitte wohlwollend zu prüfen. Ob allerdings die Änderung von Den Gesprächen, die wir als Ausschuss bei unserem § 57 b des Atomgesetzes, der in der letzten Legislatur- Besuch im September in der Asse, aber auch am vergan- periode unter der Federführung des damaligen Umwelt- genen Montag gemeinsam mit der Staatssekretärin und ministers Sigmar Gabriel in das Atomgesetz eingefügt der Frau Kollegin Brunkhorst mit Anwohnerinnen und wurde, wirklich hilft, ist aus meiner Sicht vor dem Hin- Anwohnern geführt haben, ist zu entnehmen: Die Men- tergrund der nicht anzutastenden Sicherheitsstandards schen sind ungeduldig. Sie wollen, dass endlich etwas zumindest fraglich. passiert, sie wollen, dass es endlich Fortschritte gibt, und sie haben Sorge, dass das Verfahren verzögert werden Zum Schluss möchte ich noch auf den zweiten Antrag könnte. Das BfS konnte diese Bedenken ausweislich des der Grünen eingehen, in dem gefordert wird, die Ener- Berichtes der ESK aber nicht bestätigen. Auch Präsident giekonzerne an der Sanierung der Asse zu beteiligen. König hat am Mittwoch im Umweltausschuss bestätigt, Das ist längst umgesetzt. Das stand auch im Koalitions- dass die Genehmigung, gemessen am Umfang des Pro- vertrag zwischen CDU, CSU und FDP. In der Begrün- jektes, auch durch das niedersächsische Umweltministe- dung des Kernbrennstoffsteuergesetzes ist explizit nach- rium zügig erfolgt sei. zulesen, dass die Einkünfte aus dieser Steuer auch für die Stilllegung verwendet werden sollen. Dennoch begrüße ich für meine Fraktion ausdrück- lich, dass auf Initiative des BMU ab sofort zu einer re- Ich habe den Eindruck, dass sich alle Beteiligten der gelmäßigen Gesprächsrunde eingeladen werden soll, der riesigen Dimension dieses Projektes bewusst sind und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19045

Dr. Maria Flachsbarth (A) die Problematik lösen wollen, und zwar durch Rückho- Bei unzähligen Besuchen vor Ort, aber auch in den (C) lung der Abfälle aus der Asse. Ich sage klar: Endlich! Debatten im Umweltausschuss wurde deutlich, was wir Gut, dass wir so weit sind. Die Menschen in der Region brauchen: ein klares Bekenntnis der Hausspitzen des haben einen Anspruch darauf, dass man ihre Sorgen Bundesumweltministeriums und des niedersächsischen ernst nimmt und so zügig wie nur eben möglich unter Umweltministeriums. Man darf die Beamten nicht im Berücksichtigung der Sicherheitsstandards angemessen Regen stehen lassen und ihnen – voller Sorge – Geneh- handelt. migungsverfahren auferlegen und sie Tausende von Sei- ten schreiben lassen. Es kann nicht sein, dass monate- Herzlichen Dank. lang darüber philosophiert wird, welche Fliesen an einer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bohrstelle angebracht werden müssen, mit der man fest- stellen will, in welchem Zustand die Fässer sind. Diese Beispiele sind mehrere Monate alt, aber es gibt bei die- Vizepräsident Eduard Oswald: ser Bundesregierung null Bewegung, um endlich den ge- Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Flachsbarth. – Nächs- setzlichen Rahmen anzupassen. ter Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist un- ser Kollege Dr. Matthias Miersch. Bitte schön, Kollege (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr. Miersch. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Meierhofer, ich glaube, wir kommen so nicht (Beifall bei der SPD) weiter. Sie sagen, dass das, was wir hier vorlegen, nicht weiterführt, aber dabei bleiben Sie stehen; Sie unterbrei- Dr. Matthias Miersch (SPD): ten keinen einzigen Gegenvorschlag. Sie unterbreiten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! keinen einzigen Kompromissvorschlag. Sie machen Fol- Frau Kollegin Flachsbarth, die Fakten, die Sie hier vor- gendes – das ist der Hauptvorwurf, den ich auch dem getragen haben, kennen wir alle, sowohl wir hier als Bundesumweltminister mache –: In der ersten Sitzung auch die Menschen, die von der Asse unmittelbar be- des Umweltausschusses in diesem Jahr ließen Sie Abtei- troffen sind. Die entscheidende Frage ist doch: Wie ver- lungsleiter Hennenhöfer, den Cheflobbyisten der Atom- hindern wir die Tatenlosigkeit und die organisierte industrie a. D., eine Hasstirade auf das Bundesamt für Unverantwortlichkeit, die wir die letzten zwei Jahre be- Strahlenschutz halten. Das ist kein Weg, um eine Lösung obachten konnten? für die Asse zu finden. Das ist kein Weg der Verantwor- tungsübernahme. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (B) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) SPD und Grüne haben Ihnen in ihren Anträgen Vor- schläge unterbreitet. In den letzten Wochen haben wir Deswegen brauchen wir tatsächlich so etwas wie eine aber in keiner Weise feststellen können, dass man sich Taskforce. Die Hausspitzen müssen Verantwortung über- dezidiert mit diesen Vorschlägen auseinandersetzt. Es ist nehmen. symptomatisch, dass der Bundesumweltminister auf ei- (Dr. Michael Paul [CDU/CSU]: Organisierte ner hinteren Bank Platz genommen hat und dieser De- Unverantwortlichkeit!) batte nur indirekt folgt. Er hat es auch in den vergange- nen Sitzungen des Umweltausschusses nicht für nötig – Genau die haben wir, Herr Paul. Diese organisierte Un- gehalten, sich bei diesem Thema in irgendeiner Form verantwortlichkeit könnten Sie heute beenden, wenn Sie einzubringen. Ja, er hat es in den Jahren seiner Amtszeit unserem Antrag zustimmen würden. nicht einmal für nötig gehalten, sich die Situation vor (Beifall bei der SPD) Ort anzuschauen. Wenn er einmal in den Schacht einge- fahren wäre, hätte er vielleicht eine andere Motivation, Was wir brauchen, ist Verantwortungsübernahme und dieser Debatte zu folgen. kein Herumlavieren und kein Abschieben von Verant- wortlichkeiten. (Beifall bei der SPD) (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das Ich glaube, den Menschen ist mit salbungsvollen passiert doch gar nicht!) Worten von uns nicht geholfen. Die Leute vor Ort ver- langen von uns, dass wir ein Instrumentarium bereitstel- Wir sehen, dass das bisherige Genehmigungsrecht len, das diesen Herausforderungen, die sicherlich einma- nicht den Beschleunigungseffekt hat, den wir brauchen. lig sind, gerecht wird. Lieber Herr Birkner, ich finde, Auf Gefahrenabwehr kann man bestimmt einiges stüt- dass das, was Sie angekündigt haben, in die richtige zen, liebe Kollegin Flachsbarth, aber das reicht nicht. Richtung geht. Sie verlassen damit den unseligen Pfad Deswegen schlagen wir vor, § 57 b des Atomgesetzes zu Ihres Vorgängers, Heinrich Sander, der durch Tatenlosig- verändern. Wenn Sie eine Alternative haben, bringen Sie keit geglänzt und das Thema Asse immer beiseitege- sie ein! Frau Staatssekretärin Reiche hat vor zweieinhalb schoben hat. Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie Wochen im Umweltausschuss gesagt, dass uns in dieser es ernst meinen. Woche ein dezidierter Gesetzentwurf der Bundesregie- rung vorgelegt wird. Was haben wir? Nichts. Wir haben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nichts! Das wird der Situation in der Asse nicht gerecht. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Insofern: Bitte überlegen Sie noch einmal, ob Sie unsere 19046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Dr. Matthias Miersch (A) Anträge hier einfach abbürsten oder endlich in die Pötte ankommen, dass die Rückholung für die Bevölkerung (C) kommen wollen. Die Leute in bzw. an der Asse haben es wie auch für die Beschäftigten aus radiologischen und verdient. anderen sicherheitsrelevanten Gründen vertretbar ist. Die Niedersächsische Landesregierung wird auch wei- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. terhin alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nutzen, um die Rückholung voranzubringen und die Klä- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der rung offener Fragen zu beschleunigen. Wir werden wei- LINKEN) terhin in fachlich fundierter Abstimmung mit den zu- ständigen Bundesbehörden konstruktiv und zielorientiert Vizepräsident Eduard Oswald: zusammenarbeiten. Vielen Dank, Kollege Dr. Matthias Miersch. – Nächs- Mit dem Betreiberwechsel der Asse hin zum Bundes- ter Redner in unserer Aussprache ist der Minister für amt für Strahlenschutz im Jahre 2009 wurde zugleich der Umwelt des Landes Niedersachsen, Dr. Stefan Birkner. hier schon erwähnte sogenannte Asse-Paragraf in das Bitte schön, Herr Minister Dr. Stefan Birkner. Atomgesetz eingebracht. Seitdem steht die Asse nicht (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mehr unter Bergrecht, sondern unter Atomrecht und wird somit wie eine kerntechnische Anlage behandelt, Dr. Stefan Birkner, Minister (Niedersachsen): also wie ein Kernkraftwerk. Dies war damals die ge- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- meinsam getragene Konsequenz aus den festgestellten ren! Als niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie Missständen in der Anlage. und Klimaschutz freue ich mich darüber, hier heute zu In den letzten beiden Jahren hat mein Haus, also das diesem Thema sprechen zu können. niedersächsische Umweltministerium, als zuständige Die sichere Stilllegung der Schachtanlage Asse II ist Behörde verschiedene Genehmigungen nach Atom- und aus niedersächsischer Sicht eine der größten Herausfor- Strahlenschutzrecht aufgrund dieser neuen Grundlage derungen in der Umweltpolitik. Dabei geht es darum, die für die Asse erteilt. Besonders hinweisen möchte ich da- Folgen von Fehlern und Versäumnissen der Vergangen- bei auf die Genehmigung für den ersten und wesentli- heit zu beheben und daraus die notwendigen Lehren zu chen Schritt der sogenannten Faktenerhebung. Das hier- ziehen. Die sichere Stilllegung – ein technisch einmali- bei anstehende Anbohren von mit radioaktiven Abfällen ges und komplexes Projekt – kann nur gelingen, wenn gefüllten Kammern, die auch Kernbrennstoffe enthalten alle Beteiligten an einem Strang ziehen, und zwar in die- können, ist zweifelsohne technisch sehr komplex und selbe Richtung. Die notwendige Akzeptanz bei den daher genehmigungsrechtlich anspruchsvoll. Trotzdem (B) Menschen in der Region wird nur durch Aufrichtigkeit, ist es uns gelungen, die Genehmigung in einer Rekord- (D) echte Beteiligungsmöglichkeiten und Transparenz er- zeit von weniger als einem halben Jahr – was für ein reicht werden können. atomrechtliches Verfahren sehr schnell ist – zu erteilen. Dabei haben wir immer im Auge gehabt, dass in der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Asse kein neues Endlager gebaut wird, sondern dass es bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE sich um eine bestehende Anlage handelt, die unter ganz GRÜNEN) anderen Rahmenbedingungen entstanden ist. Aus recht- Der Auftrag des Atomgesetzes ist eindeutig: Die Asse licher Sicht sind damit seit der Erteilung der Genehmi- ist unverzüglich stillzulegen. Der für die Stilllegung von gung im April 2011 alle Voraussetzungen für das Anboh- Endlagern zuständige Bund war und ist folglich zum un- ren der ersten Kammer gegeben. verzüglichen Handeln aufgefordert. Nichtsdestotrotz bin ich der Überzeugung, dass eine Das Bundesamt für Strahlenschutz – wir haben es Beschleunigung der Abläufe im Stilllegungsverfahren heute schon gehört – hatte vor zwei Jahren als Ergebnis bezüglich der Asse dringend geboten und auch möglich des sogenannten Optionenvergleichs erklärt, dass die ist. Die Rückholung wird nicht gelingen, wenn das bis- Rückholung der radioaktiven Abfälle gegenüber einer herige Tempo beibehalten wird, Umlagerung oder Vollverfüllung als anderer Variante als die langfristig sicherste Option für die Stilllegung der (Beifall bei der FDP) Schachtanlage Asse II gilt. Es hatte aber zugleich betont, dass die Durchführbarkeit der Rückholung aufgrund von zumal die Standfestigkeit des Grubengebäudes und Unwägbarkeiten zunächst im Rahmen einer sogenannten insbesondere die hier bereits genannte Gefahr eines un- Faktenerhebung geprüft werden müsse. kontrollierten Laugenzuflusses zeitlich begrenzende Faktoren sind. Aus diesem Grund müssen wir alle Be- Um die grundlegende Haltung Niedersachsens vor schleunigungsmöglichkeiten konsequent nutzen. diesem Hohen Haus zum Ausdruck zu bringen: Die Lan- desregierung verfolgt das Ziel der Rückholung aller Ab- Bezüglich der Faktenerhebung ist die Arbeit bei uns fälle aus der Asse. zunächst einmal getan. Wir haben, wie bereits gesagt, die genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen geschaf- (Beifall im ganzen Hause) fen. Alles Weitere liegt nun beim Betreiber der Asse, Ob und inwieweit dies tatsächlich möglich ist, muss wobei wir aus niedersächsischer Sicht deutlich machen schnellstmöglich geklärt werden. Dabei wird es neben – wir verstehen uns selbstverständlich als Anwalt der den technischen Fragestellungen insbesondere darauf Menschen in der Region –, dass wir nun endlich Taten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19047

Minister Dr. Stefan Birkner (Niedersachsen) (A) sehen wollen, dass es mit der Faktenerhebung vorange- auch, dass auch alle anderen Beteiligten alles daranset- (C) hen muss. zen, diese Klärung herbeizuführen und alle Beschleuni- gungspotenziale konsequent zu nutzen. Es gibt neben den Genehmigungsverfahren, die mög- lichst zu beschleunigen sind, weitere Aspekte, bei denen Bei allen Schritten, die wir gehen, ist es unabdingbar, eine Beschleunigung möglich ist. Wir haben als Nieder- ein Höchstmaß an Transparenz und Beteiligung sicher- sächsische Landesregierung ein spezielles „Asse-Ge- zustellen. Nur so kann vor Ort das notwendige Vertrauen setz“ vorgeschlagen, um auch in materiell-rechtlicher in Politik und Verwaltung wiederhergestellt werden. Hinsicht Beschleunigungen zu bewirken. Im Atomge- Hierbei kommt der Asse-II-Begleitgruppe unter der Lei- setz sollte zum Beispiel klargestellt werden, dass die tung des Landrates Herrn Röhmann große Bedeutung zu, Rückholung der Fässer von der atomrechtlichen Plan- gerade wenn es um die Abwägung zwischen Beschleuni- feststellungspflicht ausgenommen wird. Damit würde gung und öffentlicher Beteiligung geht. Von diesem Pro- sichergestellt, dass das notwendige Abteufen eines zess können wir, wie ich meine, auch für das Endlager- Schachtes und die Einrichtung von Infrastrukturberei- suchgesetz lernen. chen bergrechtlich genehmigt werden können und nicht ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren durchlau- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. fen müssen. Außerdem müssen wir Voraussetzungen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie schaffen, dass bereits vor Genehmigungserteilung mit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und der Ausführung der genehmigungsbedürftigen Maßnah- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) men begonnen werden kann, wenn mit einer Entschei- dung zugunsten des Antragstellers zu rechnen ist. Damit Vizepräsidentin : würden wir eine Parallelisierung von Genehmigungsver- Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für fahren und Ausführung erreichen. die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der LINKEN)

Auch die Ausschreibungsbedürftigkeit und die Aus- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): schreibungsfristen müssen unter dem Gesichtspunkt der Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsi- Beschleunigung hinterfragt werden. Schließlich ist zu dentin! Ich habe das Geschenk, das ich im Umweltaus- klären, ob und inwieweit es unter Wahrung des Schutzes schuss dabei hatte, auch jetzt mitgebracht. Dieses Ge- der Bevölkerung und der Mitarbeiterinnen und Mitarbei- schenk haben uns Bürgerinitiativen im September ter über und unter Tage – das ist selbstverständlich – ver- letzten Jahres, als wir bei der Asse waren, gegeben. Es (B) tretbar ist, auf Anforderungen des Atomrechts, die für handelt sich um Asse-Wasser; dies ist natürlich nur sym- (D) Kernkraftwerke gelten, aber in der Asse möglicherweise bolisch. Ich lese Ihnen einmal vor, was auf der Wasser- nicht notwendig sind, zu verzichten. flasche steht: Strahlendes Wasser aus der Region für die Es ist erforderlich, dass die Politik hier Verantwor- Region. Nach Flutung des Atommülllagers Asse II bald tung übernimmt und diese nicht auf die Verwaltung ver- auch in Ihren Gewässern. Inhalt: Radioaktivität aus lagert. Deshalb wollen wir erreichen, dass eine entspre- Kernkraftwerksanlagen von Eon, RWE, EnBW und chende gesetzliche Änderung vorgenommen wird. Vattenfall 67 Prozent, aus Kernforschung 23 Prozent, aus kerntechnischer Industrie 8 Prozent, sonstiger Strah- Ich danke Herrn Bundesminister Dr. Röttgen aus- lungsmüll 2 Prozent. drücklich dafür, dass er unsere Anregung aufgenommen hat, eine Lenkungsgruppe auf Leitungsebene einzurich- (Zuruf von der FDP: Stellen Sie es schnell ten, was konkret zu einer Beschleunigung führen kann, weg!) indem Abstimmungsprobleme gelöst werden und im Dies zeigt, welche Probleme die Menschen vor Ort ha- Hause deutlich gemacht wird, dass dieses Thema hohe ben und welche Ängste sie plagen. Priorität hat und man hier vorankommen muss. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Lassen Sie mich noch kurz etwas zu der Forderung neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE sagen, in der Asse nach Gefahrenabwehrrecht vorzuge- GRÜNEN) hen. Wir glauben nicht, dass so eine entscheidende Be- schleunigung erreicht werden kann; denn auch im Ge- In der Asse lagern 126 000 Fässer Atommüll, davon fahrenabwehrrecht müssen die materiell-rechtlichen 1 293 Fässer mittelradioaktiver Müll – er stammt größ- Voraussetzungen eingehalten werden. Auch hier sind die tenteils aus der Wiederaufarbeitung in Karlsruhe – mit entsprechenden Unterlagen vorzulegen und die entspre- insgesamt 28 Kilo Plutonium, 102 Tonnen Uran, 87 Ton- chenden Gutachten und Prüfungen vorzunehmen. Des- nen Thorium und circa 500 Kilo Arsen, nicht zu verges- halb denken wir, dass dies nicht der richtige Weg ist, um sen die Leichenteile der zwei Mitarbeiter, die damals bei Beschleunigung zu erreichen. dem Unfall in Gundremmingen gestorben sind. Hinzu kommen 14 000 undeklarierte Fässer. Der Müll stammt Die Landesregierung vertritt die Interessen der Men- zum Teil aus illegaler Einlagerung durch die AKW-Be- schen in der Region. Wir wollen, dass die Abfälle aus treiber. der Asse herauskommen. Wir werden alles daransetzen, schnellstmöglich Klarheit darüber zu erlangen, ob und Was heißt das für uns? Natürlich müssen wir handeln; inwieweit dies tatsächlich möglich ist. Wir erwarten aber das haben wir gehört. Aber ich sage es noch einmal: 19048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Eva Bulling-Schröter (A) Atomkraft ist nicht beherrschbar. Dieser Müll wird kom- Mitarbeiter dürfen nicht abgesenkt werden. Wir brau- (C) menden Generationen vor die Füße fallen, und natürlich chen eine Personalaufstockung, weil Strahlung vorhan- haben sie auch die Kosten zu tragen. den ist und die Menschen nicht so lange in der Asse blei- ben dürfen. Eine Aufstockung kostet natürlich Geld. Spätestens seit 1993, also seit fast 20 Jahren, ist be- Darüber hinaus muss es sich um vernünftige Arbeits- kannt, dass es in der Asse zu Gebirgsbewegungen und plätze handeln. Es dürfen keine Leiharbeiter eingesetzt Laugenzuflüssen kommt. Ich wiederhole: seit fast werden. Natürlich brauchen wir auch ein Projektma- 20 Jahren! Erst 2008 wurde dem Helmholtz-Zentrum die nagement. Das ist in den Amtsstuben vielleicht noch Zuständigkeit entzogen, und es wurde durch das BfS er- nicht ganz durchgedrungen; aber ich denke, hier kann setzt. Jetzt findet ein Optionenvergleich statt: Vollverfül- man von der Industrie lernen. Außerdem brauchen wir lung und alle Fässer in der Asse belassen oder Rückho- Rechtssicherheit für die Mitarbeiter, wenn es um die lung. Die Mehrheit ist für eine Rückholung. Die Nutzung von Ermessensspielräumen geht; hier ist die Si- Menschen vor Ort wünschen sich eine Rückholung; sie tuation nicht ganz klar. sehen keine andere Chance. Sie sagen uns aber auch – am Montag waren die Bürgerinitiativen hier in Berlin –, Ich sage Ihnen, was die Bürgerinitiativen fordern. Be- dass sie zurzeit den Eindruck haben, dass die Arbeiten wusste Verzögerungen bei der Rückholung sollen zum zur Grubensicherung und zur Vorbereitung auf Notfall- strafrechtlich relevanten Tatbestand der Unterlassung er- maßnahmen – dass das Ganze also geflutet wird – Priori- klärt werden. Den Bürgerinitiativen ist es also wirklich tät haben. Es ist Ihre Aufgabe, ihnen zu sagen: Nein, sehr ernst. Sie fordern auch, unverzüglich Bergtechnik dem ist nicht so. – Wenn man sich den Bundeshaushalt anzuschaffen. Gibt es ein Problem mit der Ausschrei- anschaut, dann stellt man fest, dass der größte Teil der bung, wird es, wie ich denke, einige Möglichkeiten ge- Mittel für die Notfallvorsorge und nicht für die Vorberei- ben, es zu lösen. tung auf die Rückholung zur Verfügung gestellt wird. Daran müssen Sie natürlich etwas ändern, wenn Sie Ver- Ich denke, vor uns liegen große Aufgaben. In der trauen schaffen wollen. Asse lagern 100 000 Kubikmeter eingelagerter Stoffe. Wir wissen nicht, in welchem Zustand sie sich befinden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ich nenne Ihnen zum Vergleich eine Zahl: Wenn alle neten der SPD) AKW abgeschaltet sind, werden es – und zwar die gan- zen Fässer, der ganze Atommüll, der ganze Schrott – Wir brauchen hier eine Chefsache, die da heißt: Mis- 280 000 Kubikmeter sein. sion Rückholung und Vertrauen schaffen. Wir brauchen eine Chefsache von Umweltminister Röttgen, aber auch Große Aufgaben kommen auf uns zu. Die Menschen von Frau Merkel. vor Ort erwarten, dass wir sie lösen. Diese Erwartung (B) (D) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE sollten wir alle erfüllen. Dabei sind in erster Linie Sie GRÜNEN]: Der Chef spricht gerade!) von der Koalition gefragt – Chefsache. – Der Chef spricht gerade. Er hört nicht zu. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Ulrich Kelber [SPD]: Das macht er immer de- GRÜNEN) monstrativ, wenn die Opposition spricht! Er hatte keine Kinderstube! – Vizepräsidentin Petra Pau: [SPD]: Der Chef ist desinteressiert!) Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Die Menschen vor Ort haben das Gefühl, dass es zu Ursula Heinen-Esser. Verzögerungen kommt. Man glaubt, dass diese Verzöge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rungen entstehen, weil es kein konkretes Konzept für die Rückholung gibt. Sie sagen uns, Mitarbeiter in den zu- ständigen Ministerien nutzten den Dienstweg bei Anfra- Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim gen und Genehmigungsverfahren in der ganzen zeitli- Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- chen Länge aus, weil sich keiner aus dem Fenster lehnen sicherheit: will. Hinzu kommt, dass die Landessammelstelle in Nie- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- dersachsen das Wasser aus der Asse nicht mehr an- legen! Lassen Sie mich eines vorausschicken, weil es ein nimmt, wie wir am Mittwoch im Umweltausschuss ge- Stück weit Irritationen und Diskussionen gegeben hat, hört haben. So viel zum Thema Verantwortung. auch nach dem Vermerk des Bundesamts für Strahlen- schutz: Für uns – das ist die Haltung des Bundesumwelt- Es gibt also viele verschiedene Aspekte. Wir brau- ministers – hat die Rückholung der radioaktiven Abfälle chen ein Asse-Begleitgesetz; den entsprechenden Anträ- aus der Asse oberste Priorität. Wir haben uns dazu mehr- gen werden wir zustimmen. Wir brauchen eine Lex fach positioniert. Ich sage das hier noch einmal klipp Asse. Die Asse ist ein Sonderfall. Hier müssen wir neu und klar im Deutschen Bundestag. lernen. Wir sind der Meinung, dass dieses Thema atom- rechtlich behandelt werden sollte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt viele Forderungen kluger Menschen vor Ort. Aber so einfach, wie sich das anhört, ist die Sache eben So hat zum Beispiel die Asse-Begleitgruppe deutlich ge- nicht. Die Wege, wie wir das bewerkstelligen können, macht: Dieses Thema muss ganz oben auf die Tagesord- müssen sehr sorgfältig ausgelotet werden. Ich glaube, nung. Die Schutzziele im Hinblick auf Bevölkerung und über eines sind wir uns hier auch einig, nämlich dass es Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19049

Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser (A) keinerlei Abstriche an den materiellen Anforderungen chen, wie wir das Problem rechtlich lösen können. Das (C) des Strahlenschutzes und der Arbeitssicherheit geben habe ich auch im Ausschuss angekündigt. Sie haben uns darf. Das haben alle Rednerinnen und Redner vor mir in Ihren Anträgen schon Hinweise gegeben. Dabei deutlich gesagt. möchte ich Folgendes zu der Forderung zu bedenken ge- ben, die in Ihrem Antrag, Frau Kotting-Uhl, steht, näm- Vorrangig geht es jetzt um drei Dinge. Es geht zum lich alle Arbeiten und Maßnahmen zur Rückholung Ersten darum, die Grube selbst zu sichern, damit wir durch Gefahrenabwehr gemäß dem Atomrecht vorzu- zum Zweiten die Faktenerhebung weiter durchführen nehmen: Das kann man machen; aber wir müssen natür- und sehen können, was sich tatsächlich hinter den Kam- lich sehen, dass dann ein Mitspieler außen vor wäre, mern – wir haben zwei Kammern ausgewählt – verbirgt, nämlich das niedersächsische Umweltministerium, das und es geht zum Dritten darum, die Rückholung vor- wir hier gerne mit im Boot hätten, weil es als oberste zubereiten. Dazu gehört – ich komme gleich darauf zu Aufsichtsbehörde über viel mehr praktische Expertise sprechen –, beispielsweise den Schacht 5 zu bauen oder verfügt als wir und eher sagen kann, ob der eingeschla- ein Zwischenlager zu planen, was heute Nachmittag in gene Weg richtig ist oder nicht. Ein weiterer Punkt bei der Asse-Begleitgruppe besprochen wird. Erst dann kann der Gefahrenabwehr – das wissen wir alle; ich habe es endgültig gesagt werden, wie wir das alles managen wer- vorhin schon gesagt – ist die öffentliche Beteiligung. den. Das alles kann man natürlich über ein Sondergesetz Asse Die Stabilitätsprobleme des alten Grubengebäudes, regeln, und das werden wir auch tun. eingeschränkte Betriebsmöglichkeiten, die Vielzahl der technischen Herausforderungen und die ständige Gefahr Darüber hinaus müssen wir die Planungen für die – Frau Kotting-Uhl und Maria Flachsbarth hatten schon Rückholung schnell vorantreiben; da haben Sie recht. darauf hingewiesen – eines unbeherrschbaren Laugenzu- Wir stehen kurz vor dem ersten Schritt der Faktenerhe- tritts sind wesentliche Gründe für die aktuellen Verzöge- bung, nämlich der Anbohrung der Kammern. Wir brau- rungen, die wir zu benennen haben. chen aber auch die Schritte zwei und drei. Das heißt, wir müssen die Kammern öffnen und exemplarisch Abfall Im Augenblick ist es nicht so, dass uns die rechtliche herausholen, um festlegen zu können, mit welchem Ver- Situation behindert hätte. Wir haben in einem relativ zü- fahren wir die Rückholung bewerkstelligen. Das sind im gigen Verfahren unter Beteiligung des Bundesamtes für Übrigen Schritte, für die nach Aussage des Bundesamtes Strahlenschutz und des Landes Niedersachsen die Ge- für Strahlenschutz – das kann man hier offen sagen –, nehmigung für den ersten Schritt erreicht, die Fakten- das jetzige Rechtsregime nicht ausreicht. Wir brauchen erhebung. Es sind aber Auflagen erteilt worden – die für diese beiden Schritte vermutlich eine entsprechende eine oder andere ist schon aufgezählt worden –, die im Änderung der Gesetze, die wir jetzt erarbeiten werden. (B) praktischen Prozess sehr schwer zu erfüllen sind. Weil (D) sie so schwer zu erfüllen sind, bedeutet das in der Tat, So viel vielleicht noch kurz zur Technik: Die Rück- dass wir für die weiteren Schritte der Faktenerhebung, holung der Abfälle unter alleiniger Nutzung der vorhan- aber auch für die Rückholung darauf hinwirken müssen, denen Bergwerksanlagen ist schlicht nicht möglich. Der dass wir noch andere Instrumente, rechtliche Instru- Schacht ist über 100 Jahre alt; wir benötigen einen neuen mente, an die Hand bekommen, mit denen wir diese Pro- Schacht. Diesen Schacht – das ist eine Überlegung – bleme lösen können. könnten wir nach Bergrecht bauen; wir könnten damit zumindest auf der Grundlage des Bergrechts beginnen. Vielleicht ist es eine Lösung, die Rückholung nicht an Bis zur Rückholung dauert es ohnehin noch eine gewisse eine Planfeststellung zu binden. Einen solchen Passus Zeit. Ich glaube, das ist ein Vorschlag, Herr Dr. Birkner, können wir in das Atomgesetz einfügen, um ein schnel- der aus Niedersachsen gekommen ist. Wenn wir uns da- leres Verfahren zu gewährleisten. Das ist ein Vorschlag, rauf einigen können, dann glaube ich, dass wir einen den wir unterbreiten werden. Ich gebe dabei aber zwei großen Schritt weiterkommen. Dinge zu bedenken und komme damit zu einem Vor- schlag, den die Grünen in ihrem Antrag formuliert ha- Als zuständiger Abgeordneter weiß Herr Gabriel, ben. Es handelt sich um die Öffentlichkeitsbeteiligung. dass die eigentliche Herausforderung noch vor ihm steht, Wir sind uns, glaube ich, alle darüber einig, dass wir nämlich der Bau eines großen Zwischenlagers in der Re- exzellente Erfahrungen mit der Asse-Begleitgruppe ge- gion, das mehrere Fußballfelder groß sein wird. Wir macht haben und dass wir die Öffentlichkeit auch weiter brauchen dort eine große Konditionierungsanlage, weil so intensiv bei allen Schritten beteiligen wollen, wie wir wir unter Tage nicht in der Lage sind, den Abfall zu kon- es bisher getan haben. Der zweite Punkt, der eine Rolle ditionieren; wir wissen auch nicht, in welchem Zustand spielt, ist – das habe ich vorhin schon gesagt –, dass es er ist und ob er überhaupt noch in den Fässern ist. Wir nicht zu einer Absenkung der Standards kommen darf. sind zurzeit dabei, dieses Zwischenlager zu planen. Das klingt ein bisschen, wenn ich es salopp ausdrücken Wenn ich richtig informiert bin, werden heute Nachmit- darf, wie die Quadratur des Kreises. Wir werden auch tag die ersten Vorstellungen veröffentlicht und in der noch sehr viel Arbeit darauf verwenden müssen, dies Asse-Begleitgruppe diskutiert. rechtlich so zu fassen, dass alles abgewickelt werden Darüber hinaus benötigen wir – auch das dürfen wir kann. nicht unterschätzen – Stabilisierungsmaßnahmen. Wir Wir wollen mit dem niedersächsischen Umweltminis- können keinen Mitarbeiter hinunterschicken, um Abfälle terium und mit dem Bundesamt für Strahlenschutz sowie herauszuholen, ohne Stabilisierungsmaßnahmen, Vor- – das sage ich explizit – mit allen Fraktionen bespre- sorgemaßnahmen und Notfallmaßnahmen getroffen zu 19050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser (A) haben. Ich bitte alle darum, für diese Maßnahmen zu (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C) werben, um eine gute und sichere Rückholung vorzube- Der darf nicht mal mehr ins Plenum!) reiten. Die vorletzte Umweltausschusssitzung verlief nicht ganz In diesem Sinne lade ich Sie zu weiteren Diskussio- so freundlich; ich glaube, Frau Flachsbarth hat das so nen ein. In der nächsten Sitzungswoche werden wir die ausgedrückt. Es ist natürlich auch klar, dass sich jemand, Gesetzesvorschläge mit Ihnen besprechen. Heute Nach- der in seiner ganzen beruflichen Existenz damit zu tun mittag werden wir in der Begleitgruppe Asse über Geset- hatte, das Abkippen von Atommüll in der Asse zu recht- zesvorschläge diskutieren. Ich hoffe, dass wir die Asse fertigen, schwer damit tut, am Ende dafür zu sorgen, nicht zum Gegenstand einer parteipolitischen Auseinan- dass das Zeug wieder rausgeholt wird – obwohl das, ehr- dersetzung machen, sondern alle gemeinsam daran ar- lich gesagt, eine gelungene Form des Täter-Opfer-Aus- beiten, dieses Problem, das wir sonst nirgendwo in gleichs ist. Deutschland haben, zu lösen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Danke schön. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) [SPD]: Resozialisierung!) Dass Sie jetzt tun, was in der Region seit über einem Vizepräsidentin Petra Pau: Jahr gefordert wird, begrüße ich ausdrücklich. Seit über Das Wort hat der Kollege Sigmar Gabriel für die einem Jahr sagen wir in der Region: Sie müssen eine SPD-Fraktion. Taskforce einsetzen, mindestens auf Staatssekretär- (Beifall bei der SPD) ebene, wenn nötig auf Ministerebene. Das ist jetzt end- lich passiert. Sie nennen das Lenkungsgruppe; es ist egal, wie man das nennt. Sigmar Gabriel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Bei der Asse passiert nämlich Folgendes – und das ist Kollegin Heinen-Esser, machen Sie sich keine Sorgen, ganz menschlich –: Keine der Lösungen, die wir debat- was meine Fähigkeiten angeht, solche Zwischenlager zu tieren – da hat Frau Heinen-Esser völlig recht –, ist risi- genehmigen. Ich habe das bislang einzige Endlager in kolos. Nichts, was wir da in Gang setzen, beinhaltet kein Deutschland im eigenen Wahlkreis genehmigt. Eine He- Risiko. Daher besteht natürlich die Gefahr, dass, wenn rausforderung wird es übrigens sein, den Menschen zu die Öffentlichkeit einmal nicht so genau hinschaut, die erklären, dass nach der Zwischenlagerung die Wahr- Beteiligten versuchen, die Risiken hin- und herzuschie- scheinlichkeit relativ hoch ist, dass schwach- und mittel- ben. Genau das ist in den letzten zwei Jahren passiert. (B) radioaktiver Abfall in Richtung Konrad transportiert (D) wird. Ich sage das seit Monaten, auch im Wahlkampf. Die Menschen in der Region sind entsetzt und zornig, Machen Sie sich also um meine Fähigkeiten keine Sor- nicht nur über das, was die Atomwirtschaft dort gemacht gen. hat, sondern auch über das Zuschauen des Staates; denn er hat 40 Jahre lang nichts gemacht. Das hat dazu ge- Ich habe mir bis zur heutigen Debatte zugegebener- führt, dass die Menschen dieser Region in dieser Frage maßen eher ein bisschen Sorgen darüber gemacht, ob ei- sehr geringes Vertrauen in staatliches Handeln haben. In gentlich die notwendige politische Führung für die Be- den letzten Jahren der Großen Koalition haben wir viel wältigung des Problems vorhanden ist. Ich glaube aber, dafür getan, wieder Vertrauen aufzubauen, indem wir die dass die Debatte der letzten Wochen und auch die heu- Asse dem Atomrecht unterworfen haben, indem das tige Debatte optimistisch stimmen können; denn das, Schutzniveau an den Strahlenschutz im Atomrecht ange- was wir in den letzten zwei Jahren erleben mussten, passt wurde, indem Transparenz und Öffentlichkeitsbe- scheint sich jetzt ein bisschen aufzulösen. Herr Birkner, teiligung hergestellt wurden. Dann ist das Engagement zwei Jahre lang geschah in Niedersachsen das Gegenteil zwei Jahre lang abgesackt, ausdrücklich nicht wegen dessen, was Sie jetzt tun. Zwei Jahre lang hat Ihr Amts- mangelnden Engagements von Ihnen, Frau Heinen- vorgänger alles getan, um die Rückholung zu verhin- Esser. Es ist in der Region bekannt, dass Sie sich küm- dern. Er hat auch öffentlich erklärt, dass er die Rückho- mern. Aber bei den zu lösenden Problemen hat immer lung für falsch hält. So hat er sich auch verhalten. einer auf den anderen gezeigt: der Bund und das BfS auf Entsprechend sind die Genehmigungsverfahren in Nie- das Land Niedersachsen und Niedersachsen auf das BfS. dersachsen betrieben worden. Ich bin froh darüber, dass So ging das hin und her. Sie direkt nach Ihrem Amtsantritt eine 180-Grad-Wende vollzogen haben. Das war auch dringend erforderlich. Ich muss Ihnen offen sagen: Wenn Sie Jurist sind, Aber zwei Jahre lang ist Niedersachsen der große Brem- könnte es sein, dass Sie eine Begründung dafür finden, ser bei der Rückholung gewesen. warum es innerhalb von zwei Jahren nicht möglich war, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 20 oder 30 Container mit kontaminierter Lauge aus der DIE GRÜNEN) Asse zu holen. Das kann nur ein Jurist erklären. Mein Eindruck ist, dass der öffentliche Druck in den (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – letzten Wochen dazu geführt hat, dass auch im Hause Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Solche von Herrn Röttgen klar ist, dass nicht Herr Hennenhöfer Äußerungen sind nicht hilfreich, Herr Kol- die Politik bestimmt. lege!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19051

Sigmar Gabriel (A) Jeder mit normalem Menschenverstand sagt: Wenn Ihr tung nicht zu klären sein. Wir werden nicht jedes Risiko (C) vorhabt, 126 000 Fässer radioaktiven Müll aus dem ausschalten können, bevor wir loslegen. Dann ist der Bergwerk zu holen, und noch nicht einmal in der Lage Berg in der Tat irgendwann instabil, und wir können die seid, ein paar Container kontaminiertes Laugenwasser 126 Fässer nicht mehr herausholen. Darauf hat Herr herauszubringen, dann hört doch mit dieser öffentlichen Sander immer gesetzt. Er hat darauf gesetzt, dass die Debatte über den radioaktiven Müll auf. Dieser Eindruck Lage irgendwann so instabil ist, dass wir die Abfälle ist dort entstanden. nicht mehr herausholen können. Das wäre dann billiger, allerdings auch deutlich gefährlicher. Dieses Schwarze-Peter-Spiel kann man nur durch eine einzige Maßnahme beenden: indem man politische Ich glaube, dass es jetzt darum gehen muss, zu klären, Verantwortung für Entscheidungen übernimmt, weil die erstens welche Maßnahmen nach dem Gefahrenabwehr- Beamtinnen und Beamten das von sich heraus nur be- recht des Atomgesetzes möglich sind und zweitens wel- grenzt tun werden. Sie brauchen eine politische Führung. che Maßnahmen mit anderen Rechtsformen vorzuschal- Deswegen ist dieser Lenkungsausschuss bzw. diese ten sind, die man in das Atomrecht überführen muss, Taskforce genau das Richtige. Dort muss entschieden wenn es zur Rückholung kommt. Wenn der fünfte werden, und im Zweifel muss abgestuft entschieden Schacht abgeteuft und der Atommüll herausgeholt wer- werden. Deswegen schlage ich vor: Lassen Sie uns doch den soll, dann werden Sie es überführen müssen. nicht über die Frage reden, was wir brauchen, eine Lex (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das hat Asse oder ein Gefahrenabwehrrecht, oder darüber, dass er ja gerade gesagt!) alles so bleiben soll! Wir sollten uns vielmehr mit der Frage befassen, welches Problem mit welchem Instru- Drittens ist es notwendig – wir sind sofort bereit, da- ment am besten behoben werden kann. rüber zu reden; wir haben selbst einen Vorschlag einge- bracht –, § 57 b des Atomgesetzes zu ändern, um zu ei- (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Dann ner klareren und schnelleren Vollzugsmaßnahme zu sind wir doch schon weiter!) kommen. Wir sind sofort dafür, eine solche Lex Asse zu Wenn Sie dem zustimmen, Frau Heinen-Esser, dann machen. Wenn Sie unseren Gesetzesvorschlag nicht aus- muss ich Ihnen allerdings Folgendes sagen: Das Bundes- reichend finden, ist das kein Problem. Legen Sie selber amt für Strahlenschutz hat Ihnen am 4. August 2010 einen vor; dann beraten wir darüber. Bei der Frage der empfohlen, bei der Faktenerhebung, die Herr Birkner Formulierung geht es nicht um Parteipolitik, sondern so- eingeführt hat, nach dem Gefahrenabwehrrecht vorzuge- zusagen um juristische Sicherheit. Übrigens wird die hen, damit Sie die Maßnahmen durchführen können und Asse-Begleitgruppe vor Ort selbst einen Gesetzentwurf alle Auflagen erst im Anschluss erfüllen müssen. Das formulieren. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, sich gründ- (B) haben Sie mit Erlass des Bundesumweltministeriums lich damit zu befassen. Wenn er vor Ort klug erarbeitet (D) von Anfang Oktober 2010 abgelehnt. Jetzt hat Ihr beam- worden ist, dann kann man ihn auch übernehmen. teter Staatssekretär nachgefragt, ob das Bundesamt für Der Kollege Röttgen ist zwar anwesend, hat aber bis- Strahlenschutz immer noch der gleichen Meinung sei. lang offensichtlich nicht die Absicht, zu reden. Ich halte Überraschenderweise ist das der Fall. Das Bundesamt das, ehrlich gesagt, für einen einmaligen Vorgang, dass hat Ihnen vorgeschlagen, Ihre Ablehnung der Anwen- der zuständige Minister zu dem Problem nichts sagt. dung des Gefahrenabwehrrechts aus dem Jahr 2010 im Bundesumweltministerium neu zu bewerten. Meine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten herzliche Bitte ist: Tun Sie das! der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Wenn er hier sitzt, um etwas zu lernen, dann ist das aber LINKEN) auch okay. Hier wird der Eindruck erweckt, die Faktenerhebung Es war schwierig für mich. Ich habe mich zwei Jahre sei in vollem Gange. Nein, meine Damen und Herren, lang gar nicht zu diesem Thema geäußert, weil man als die Faktenerhebung ist nicht in vollem Gange, weil die ehemaliger zuständiger Minister nach dem Komment Kammern nicht angebohrt werden können. Selbst wenn des Hauses üblicherweise nicht feststellt, dass der Nach- wir jetzt alles hinbekommen, wird es vermutlich noch folger alles schlechter macht. Ich habe zwei Jahre nichts ein halbes Jahr dauern, bis es losgehen kann. Lassen Sie dazu gesagt. Aber jetzt möchte ich auf etwas hinweisen, uns deshalb lieber nicht zu viele Versprechungen ma- das Sie nachdenklich machen sollte. Sie waren noch nie chen. in der Asse, haben nur ein einziges Mal die Asse-Be- gleitgruppe für eine Stunde besucht und haben sich nie Die Haltung, die Sie damals eingenommen haben, der Öffentlichkeit gestellt. Die Menschen wollen, dass entspringt auch der Angst. Das verstehe ich. Ich habe man vor Ort ist und ihnen Rede und Antwort steht. Sie den Akten des BMU entnehmen können, dass das eine hören seit Jahren solche Sprüche wie „volle Transpa- gepflegte Übung des Hauses war, nach dem Motto: Lasst renz“ und „Wir ziehen alle an einem Strang“, erleben uns jetzt kein Risiko eingehen; wenn wir das Gefahren- aber seit zwei Jahren das Gegenteil. Deswegen kommt abwehrrecht anwenden und dann etwas passiert, bin ich es zu Aussagen wie der des Bürgermeisters der Stadt als Minister oder bist du als Staatssekretärin dran. – Das Wolfenbüttel, Thomas Pink, dass das Ganze, was er dort ist doch die Sorge, die dort existiert. Das Problem Asse erlebt habe, eine Riesensauerei sei. Das Verhalten des wird aber ohne die Übernahme einer solchen Verantwor- Bundesumweltministers sei – so Herr Pink – „unwürdig“ 19052 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Sigmar Gabriel (A) und dessen abwartende Haltung „völlig inakzeptabel“. In diesem Arbeitsprozess der Faktenerhebung gene- (C) Herr Pink gehört bekanntermaßen nicht der SPD, son- rieren die Experten ständig neues Wissen. Gute, aber dern der CDU an. Herr Röttgen, ich sage Ihnen: Gar auch problematische Erkenntnisse kommen zutage, mit keine Frage, das ist ein schwieriges Thema. Das ist aber denen sich die Politik, die Begleitgruppe, das nieder- das größte nukleare Problem, das wir in diesem Land sächsische Bergamt, das BfS und die Asse GmbH kon- und vermutlich weit über Deutschland hinaus haben. Als frontiert sehen. Sie müssen sich damit auseinanderset- zuständiger Minister müssen Sie Führung zeigen und zen, neue Ideen entwickeln und einen konstruktiven Verantwortung übernehmen. Das kann niemand anders. Dialog führen, den wir vonseiten der FDP-Fraktion un- Im Zweifel ist man Minister, um existierende Risiken terstützen. einzugehen. Sonst geht die Glaubwürdigkeit vor Ort ver- loren, die wir in den letzten Jahren erarbeitet haben. Herr Gabriel, Sie kennen wahrscheinlich die Akteure vor Ort aus Ihrem Wahlkreis. Der niedersächsische FDP- Mein Eindruck ist, dass wir in der heutigen Debatte Landtagsabgeordnete Björn Försterling setzt sich sehr ein gutes Stück vorangekommen sind. Herr Röttgen, ich stark für diese Sache ein. Er ist auch Mitglied der Be- habe die dringende Bitte, dass Sie sich als Person dieser gleitgruppe. Diesen Beitrag von uns Liberalen möchte Aufgabe annehmen. ich als positiven Aspekt diesem Plenum zur Kenntnis ge- ben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Ich denke, wir alle sind uns einig in dem Wunsch Vizepräsidentin Petra Pau: nach Beschleunigung. Es gibt aber auch konkurrierende Die Kollegin Angelika Brunkhorst hat nun für die Ziele. Eine Beschleunigung darf nicht zulasten der Si- FDP-Fraktion das Wort. cherheit gehen. Die Sicherheit der Bevölkerung in der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Region und der Mitarbeiter in der Asse wird nach wie der CDU/CSU) vor oberste Priorität haben. Es gibt eine Reihe neuer Erkenntnisse. Eine gute Angelika Brunkhorst (FDP): Nachricht ist, dass das Grubengebäude nicht durch einen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! spontanen Einsturz gefährdet ist. Machen wir uns aber Wie ist eigentlich die Gefühlslage? Wir sprechen über nichts vor: Das Bergwerk Asse ist 100 Jahre alt. Es ist normalen Menschenverstand und viel über das, was wir weiterhin in Bewegung. Durch den Gebirgsdruck könn- wissen und nicht wissen. Wie aber ist die Gefühlslage? ten neue Risse und somit neue Wasserwegsamkeiten ent- (B) Ich denke, alle Beteiligten, die an einer Lösung zur Ber- stehen. Beim Punkt Lösungszutritte bzw. der Wasserzu- (D) gung der Abfälle aus der Asse arbeiten, befinden sich in läufe wissen wir bis heute fast nichts über deren genauen einem Fadenkreuz aus Hoffen und Bangen und in einem Ursprung. Bisher wissen wir nur, dass die Lösungszutritte Wettlauf mit der Zeit. – zum Glück – zuhauf nur oberhalb der Einlagerungs- kammern und nicht in Masse auf der Höhe der eigentli- Wir haben gerade gehört, dass sich alle Experten in- chen Einlagerungssohle, der 750er-Sohle, vorkommen. zwischen darin einig sind, dass die Rückholung deutlich Unsere größte Sorge gilt einem spontanen Wasserein- länger dauern wird, als bisher angenommen wurde. bruch. Wir hoffen, dass das nicht eintritt; denn das machte Ebenso ist klar festzustellen: Die Bergung kann nur über unser Konzept zur Bergung zunichte. Das wäre auch fatal eine neu zu bauende Schachtanlage geschehen. In Bezug für die Bevölkerung vor Ort; denn die Bevölkerung vor auf diesen neuen Schacht sage ich als Sprecherin für Na- Ort weiß – das ist auch klar –, dass nur die Option der turschutz: Hier hat der Mensch Vorrang, hier hat die Be- Rückholung Langzeitsicherheit für die kommenden Ge- völkerung vor Ort Vorrang. Wenn die Rückholung durch nerationen in dieser Region gewährleistet. ein FFH-Gebiet gehen muss, weil es nicht anders geht, dann muss das Naturschutzrecht in diesem Fall einmal Jetzt komme ich noch zu den Anträgen. Die SPD will zurückstehen. Das ist dann so. das Atomgesetz ändern. Ich habe aus Herrn Gabriels Ausführungen schon eine etwas andere Richtung heraus- (Beifall bei der FDP) gehört. Wir brauchen dringend Möglichkeiten der Beschleu- (Sigmar Gabriel [SPD]: Nein!) nigung; alle Vorredner haben darauf hingewiesen. Es ist zu überprüfen und sehr schnell zu entscheiden, ob dies Für den Fall, dass die Genehmigung für Stilllegungs- zum Beispiel durch die Konkretisierung bei Vergabever- maßnahmen nicht rechtzeitig erfolgen kann, wollen Sie, fahren, durch eine parallele Bewerkstelligung von Auf- dass das NMU die Maßnahmen sozusagen selbst anord- gaben, wie es teilweise schon geschieht, oder – wie vom nen kann. Ich glaube, das ist ein Misstrauensvotum in niedersächsischen Umweltminister, Herrn Dr. Birkner, Richtung BfS. vorgeschlagen – durch ein Asse-Gesetz geschehen soll. (Sigmar Gabriel [SPD]: Sie haben das nicht Herr Dr. Birkner, an dieser Stelle sage ich: Vielen Dank, gelesen, Frau Kollegin!) dass Sie heute bei uns sind und zu uns gesprochen ha- ben. – Doch, ich habe es gelesen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Sigmar Gabriel [SPD]: Dann wüssten Sie, der CDU/CSU) dass es um das BMU geht!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19053

Angelika Brunkhorst (A) Das BfS ist dabei, alles zu tun, die Auflagen abzuarbei- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen (C) ten. Es ist auch die Aufgabe des BfS – das BfS hat im Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ausschuss berichtet –, einen konkreten Plan für die Der Bundesumweltminister bekennt sich nach dem Lan- Rückholung vorzulegen. desminister zu diesem Ziel, und zwar hier am Redner- Für meine Fraktion sichere ich Ihnen zu, dass wir pult. weiter den intensiven Dialog mit der Bevölkerung vor (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ute Ort führen werden. Sachverstand, Technik, kluge Ent- Vogt [SPD]) scheidungen und letztlich auch Glück werden hoffent- lich zu einem guten Ende führen. Wir sind trotz der Zweitens. Wenn man weiß, wie es in zwei Kammern schwierigen Lage ganz hoffnungsvoll und zuversicht- aussieht, weiß man immer noch nicht, wie es in den an- lich, dass uns das am Ende gelingen kann. deren elf aussieht. Aber nach zwei Jahren gibt es noch nicht einmal Erkenntnisse zur ersten Kammer. Deshalb Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. muss man vom schlimmsten anzunehmenden Fall in den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Kammern ausgehen. Man muss diesen Fall zur Grund- lage der Entwicklung von Technik zur Bergung nehmen. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN) Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Ralph Drittens. Weder die derzeitige Luftzufuhr noch die Lenkert das Wort. Transportmöglichkeiten reichen für eine zügige Bergung des Atommülls aus. Es muss deshalb sofort mit dem Pla- (Beifall bei der LINKEN) nen und anschließenden Bau eines neuen Schachtes, der diese Probleme löst, begonnen werden. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Viertens. Für den Atommüll wird ein Zwischenlager Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen in Asse-Nähe benötigt. Um späteren Zeitverzug zu ver- und Kollegen! Seit 1965 ist die Asse Versuchsbergwerk. meiden, müssen die Suche und Vorbereitung bereits jetzt Vor 45 Jahren wurde der erste Atommüll eingelagert, starten. und seitdem leben die Menschen an der Asse mit der Angst vor dem strahlenden Müll. Bis 2009 wurden die Fünftens. Behälter oder Verpackungssysteme, die das Probleme und Gefahren der Asse vertuscht und geleug- vermutlich undefinierte Gemisch aus verstrahltem Salz, net. Mit dem Betreiberwechsel 2009 wurde das Ausmaß kontaminierter Salzlauge, alten Behälterresten und dem des verantwortungslosen Vorgehens in der Asse offen eigentlichen Atommüll sicher aufnehmen, müssen sofort (B) sichtbar. Seitdem wird versucht, eine Umweltkatastro- entwickelt bzw. beschafft werden. (D) phe zu verhindern. (Beifall bei der LINKEN) Trotz der Erfolge bei der Stabilisierung des Bergwerks Sechstens. Fülltechnik für das unterirdische Einfüllen – nur die Rückholung des Atommülls bannt die Gefahr. der verstrahlten Masse in die Behälter muss passend zum Aber es geht einfach nicht vorwärts in der Asse. Deshalb Verpackungssystem und zu den Behältern entwickelt debattieren wir heute. Deshalb fand ein Zusammentref- werden. Damit muss jetzt begonnen werden, parallel zu fen zur Asse-Situation letzten Monat in Braunschweig allen anderen Aufgaben. statt. Erstmals trafen Geologen, Strahlenforscher, Be- amte aus verschiedenen Behörden und Ministerien sowie (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Mitglieder von Bürgerinitiativen zusammen – mit er- nüchterndem Ergebnis: Wenn man so weitermacht wie Siebtens. Es darf keine Aushöhlung von Sicherheits- seit 2009, sind Tests und Vorbereitungen zur Rückholung standards geben. Aber bei der Beschaffung und der des Atommülls frühestens 2025 abgeschlossen, die kom- Auftragsvergabe müssen die Kriterien lauten: beste tech- plette Rückholung gar erst im Jahr 2040. Gleichzeitig nische Lösung von einem zuverlässigen Partner in kür- wurde klar herausgestellt, dass es im Bergwerk jederzeit zester Zeit. Der Kaufpreis und die Ausschreibungsproze- einen Wassereinbruch geben kann. Dann ist eine Rück- duren sind zweitrangig. holung des Atommülls unmöglich, und dann kann man (Beifall bei der LINKEN) eine zukünftige Verstrahlung des Grundwassers der Braunschweiger Region nur noch verzögern, vielleicht Bei allen Punkten fordert die Linke, das Fachwissen abschwächen. Massiv wird deshalb derzeit an der Scha- der Bürgerinitiativen in die Entscheidungen einzubezie- densbegrenzung für den Fall des Wassereinbruchs gear- hen und maximale Transparenz herzustellen. beitet. Das ist richtig. Aber die Linke will, dass die Rück- (Beifall bei der LINKEN) holung mit dem gleichen Aufwand vorangetrieben wird. Der Müll muss raus aus der Asse! Das kostet Geld. Aber wenn man bedenkt, dass für die Sanierung des Uranbergbaus in Sachsen und Thüringen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten mehr als 7 Milliarden Euro notwendig waren, dann kann des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) man auch abschätzen, dass eine Verseuchung des Grund- wassers um Braunschweig ein Vielfaches an Geld ver- Konkret heißt das: Erstens. Bundestag und Landtag schlingen würde. Niedersachsen beschließen: Der Atommüll muss raus aus der Asse – ohne Kompromisse. (Johanna Voß [DIE LINKE]: Genau!) 19054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Ralph Lenkert (A) 86 Prozent des Atommülls der Asse stammen direkt oder ren teilweise Erfüllung allein schon dazu führen musste, (C) indirekt aus Atomkraftwerken. Deshalb fordert die dass nach fast zwei Jahren noch nicht einmal eine Linke, dass die Atomkonzerne mindestens 86 Prozent al- Kammer angebohrt werden konnte, um bei der Fakten- ler entstehenden Kosten tragen müssen. erhebung weiterzukommen. Von der Rolle des Landes- bergamtes in dieser Auseinandersetzung brauchen wir (Beifall bei der LINKEN) hier gar nicht zu reden. Kolleginnen und Kollegen, scheitert die Rückholung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN des Atommülls aus der Asse, dann haben wir nicht nur sowie bei Abgeordneten der SPD) ein Problem um Braunschweig; dann wird die Suche nach sicheren Atommülllagern in der Bundesrepublik Also Respekt, Herr Birkner, dass Sie die Position fun- unendlich erschwert. diert und kompetent geändert haben. Aber ein Birkner macht noch keinen Sommer. Der Worte sind genug gewechselt. Fangen wir an, das Asse-Problem zu lösen! Wir stehen als Bundestag in der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Pflicht. DIE GRÜNEN) Die Zustimmung hier im Parlament sollte BMU und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- den Betreiber BfS ermutigen, die Faktenerhebung zu be- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE schleunigen und die vorbereitenden Maßnahmen zur GRÜNEN) Rückholung unwiderruflich einzuleiten. Wir sollten nicht auf eine Lex Asse warten, die wir brauchen und Vizepräsidentin Petra Pau: auch nutzen müssen, sondern bereits jetzt im Rahmen Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die der Gefahrenabwehr auch außerhalb des § 19 des Atom- Kollegin Dorothea Steiner das Wort. gesetzes eine Beschleunigung der Maßnahmen errei- chen. Das geht sehr wohl, obwohl Frau Flachsbarth und Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Birkner das Gegenteil ausgeführt haben. Das ist auch notwendig, damit wir jetzt weiterkommen, die bei- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich den Kammern bis zum Sommer angebohrt werden kön- freue mich, dass alle Fraktionen hier die Rückholung des nen und die Glaubwürdigkeit des ganzen Vorhabens er- radioaktiven Inventars aus der Asse unterstützen. Ich halten bleibt. möchte aber unterstreichen, dass wir nicht an diesem Punkt angelangt wären, wenn nicht Bürgerinnen und Vielen Dank. Bürger in Remlingen im Landkreis Wolfenbüttel und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rund um die Region jahrzehntelang den Skandal in die (B) und bei der SPD) (D) Öffentlichkeit gebracht und die Politik unter Druck ge- setzt hätten. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Kollege Dr. Michael Paul spricht nun für die und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Unionsfraktion. der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Elemente dieses Skandals sind lange Zeit geleug- net worden. Denken Sie einmal zurück: Wie lange hat es Dr. Michael Paul (CDU/CSU): gedauert, bis die massiven Laugenzuflüsse öffentlich Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn diskutiert werden konnten, obwohl es sie schon seit 1988 man die Rednerinnen und Redner der Opposition hört, in großem Umfang gab? Noch 2007/2008 sollte die Lö- glaubt man, der Blick gehe zurück. Notwendig ist aber, sung der Probleme sein, die Schachtanlage zu verfüllen, dass wir nach vorne blicken. Deshalb sage ich direkt zu die Sünden der Vergangenheit in Magnesiumchlorid zu Beginn meiner Rede: Bei allem, was das Problem Asse ertränken und die Asse abzuschließen. Es bedurfte eines angeht, gilt: Die Sicherheit der Bevölkerung und der dort parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Nieder- Tätigen hat für uns oberste Priorität. sachsen und hartnäckiger, langandauernder Bürger- proteste, um die Bereitschaft zur Rückholung des radio- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aktiven Inventars zu erhöhen. Deshalb zollen wir dem Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen und mich zu Bundesumweltministerium Anerkennung für seine Ent- Beginn meiner Ausführungen bei den Mitarbeiterinnen scheidung und sein Engagement. Aber ich glaube, das und Mitarbeitern vor Ort und bei denen, die in den zu- geht nicht so sehr an die Adresse des Umweltministers, ständigen Behörden täglich mit großem Engagement an sondern eher an die Adresse der Staatssekretärin. der sicheren Stilllegung der Asse arbeiten, bedanken. Diejenigen, die die strahlenschutzrechtlichen Miss- Weil die Sicherheit vorgeht, ist es Ziel, die radioakti- stände zu verantworten haben, sitzen nach wie vor in ven Abfälle aus dem Bergwerk zurückzuholen. Denn die entscheidenden Positionen und können sich als Bremser Rückholung – das hat der sogenannten Optionenver- betätigen. Herr Birkner, es war das niedersächsische gleich des BfS aus dem Jahr 2009 gezeigt – ist die Umweltministerium unter Ihrem Vorgänger, dem „Ket- sicherheitstechnisch vorteilhafteste Lösung, was die tensägenminister“, das im Verbund mit dem TÜV ein Langzeitsicherheit angeht. Dieser Weg nach vorne in komplexes System von Auflagen ersonnen hat – 38 an Richtung Rückholung stellt uns aber vor große Heraus- der Zahl mit 1 000 Seiten Erfüllungsbedingungen –, de- forderungen. Das hat auch der vor wenigen Wochen in Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19055

Dr. Michael Paul (A) Braunschweig durchgeführte Fachworkshop des BfS Es wurde heute schon angesprochen: Das genehmigte (C) klargemacht. Zwar kann nach derzeitigen Erkenntnissen Endlager für leicht- und mittelradioaktive Abfälle, davon ausgegangen werden, dass es nicht zu einem Schacht Konrad, hat eine genehmigte Abfallmenge von plötzlichen Zusammenbrechen der Grube kommt. Aber 303 000 Kubikmetern. Davon werden 280 000 Kubik- ein unkontrolliertes Eindringen von Salzwasser, also von meter für den Abfall aus dem Rückbau der Kernkraft- Laugen, ist in dem alten Salzbergwerk jederzeit möglich. werke gebraucht. Sie sehen also: Die Herausforderungen Deswegen steht an erster Stelle – das möchte ich hier be- sind sehr groß. Sie müssen sehr schnell angegangen wer- tonen –, vorsorglich Notfallmaßnahmen vorzubereiten, den. Denkverbote darf es dabei nicht geben. damit auch in einem solchen Fall die Beschäftigten vor Ort und die Bevölkerung geschützt werden. Die unbe- Realitäten müssen wahrgenommen werden. Das Öko- queme Wahrheit an dieser Stelle ist: Die Verfüllung von Institut – sicherlich unverdächtig, Dinge zu verharmlo- Resthohlräumen in den Einlagerungskammern ist eine sen – prognostiziert, dass die Strahlenbelastung der Ar- solche Notfall- und Vorsorgemaßnahme. Aber durch beiter während der Rückholung 50- bis 1 000-mal höher eine solche Verfüllung – das sagt die Entsorgungskom- sein wird als die maximal denkbare Strahlenbelastung mission, die sicherlich unverdächtig ist, ein bestimmtes künftiger Generationen. Das gilt selbst für den Ziel zu verfolgen – kann die mögliche Strahlenbelastung schlimmsten Fall, dass die Asse unkontrolliert „absäuft“. der Bevölkerung auf ein Zehntel verringert werden. Im Solche Fakten darf man nicht ignorieren, sondern man Übrigen ist das keine Abkehr vom Ziel der Rückholung; muss sie eingehend prüfen. denn die Abfälle können auch danach geborgen werden. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zur Rückholung sind drei große Schritte notwendig. NEN]: Das sind keine Fakten! Das ist eine Erstens müssen die Abfälle aus den Einlagerungskam- Vermutung!) mern geborgen werden. Zweitens müssen sie aus dem Bergwerk an die Tagesoberfläche gebracht werden. Drit- Für eine abschließende Bewertung ist es sicherlich zu tens müssen sie in lagerfähige Behälter verpackt und früh. Da gebe ich Ihnen recht, Frau Steiner. Dazu müs- zwischengelagert werden. Aber keiner dieser drei sen wir insbesondere die Faktenerhebung abwarten. Das Schritte – darüber dürfen wir uns keine Illusionen ma- BfS hat für den Fall, dass es bei der Bergung zu unver- chen – ist unproblematisch. tretbaren Strahlenbelastungen der Beschäftigten kommt, Für die Beförderung der Abfälle an die Tagesoberflä- als Konsequenz gefordert, die Präferenz für die Rückho- che ist ein weiterer Schacht erforderlich. Nach Aussage lung neu zu bewerten. Das ist nachzulesen in der Presse- des Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz mitteilung des BfS zum Optionenvergleich vom 15. Ja- – auch er ist, denke ich, unverdächtig in dieser Debatte, nuar 2010. (B) wie die gestrige Sitzung des Umweltausschusses gezeigt (D) hat – Bevor ich nun auf die Anträge von SPD und Grünen im Einzelnen zu sprechen komme, gestatten Sie mir, (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass ich auf einen bemerkenswerten Umstand im Zu- NEN]: Und das von Ihnen!) sammenhang mit dem Vorschlag der SPD, das Atomge- kann wegen der komplizierten Geologie der neue setz zu ändern, hinweise. Beim Workshop des BfS haben Schacht wahrscheinlich nur in einem Gefrierbohrverfah- Vertreter einer Anwaltskanzlei im Auftrag des Bundes- ren errichtet werden. Was das heißt, haben wir in Gorle- amtes für Strahlenschutz einen Vorschlag zur Änderung ben gesehen. Da hat die Errichtung ungefähr zehn Jahre des Atomgesetzes vorgelegt, einen Vorschlag, der letzt- gedauert. lich auf Kosten des Steuerzahlers erarbeitet wurde. Das findet sich auch in den Unterlagen des Fachworkshops. Auch das eigentliche Zurückholen dauert wesentlich Diesen Vorschlag wiederum findet man nun wortwört- länger, als man es sich wohl vor zwei Jahren vorgestellt lich im Antragstext der SPD wieder. Das lässt nur zwei hat. Beim Workshop des BfS wurde eine Dauer von bis Schlüsse zu: Entweder haben Sie mit Zustimmung der zu 50 Jahren genannt. Grund dafür ist, dass es sich um Autoren abgeschrieben – ein enormes Volumen handelt. Denn die Abfälle sind wahrscheinlich in Salz eingewachsen; lagerfähige Be- (Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist bei Ihnen hälter gibt es dort nicht. Das Volumen beträgt mindes- üblich, nicht bei uns!) tens 100 000 Kubikmeter. Schätzungen von Gutachtern des BfS gehen sogar von bis zu 275 000 Kubikmetern dann haben Sie ein vom Geld der Steuerzahler finanzier- aus. Das entspricht ziemlich genau dem Volumen aller tes Gutachten des Bundesamtes für Strahlenschutz zu Abfälle, die beim Rückbau der deutschen Kernkraft- Fraktionszwecken verwandt –, werke zusammenkommen. Wegen dieses riesigen Volu- mens wird man auch obertage große Einrichtungen für (Ulrich Kelber [SPD]: Gesetzgebung soll ein Behandlung und Zwischenlagerung brauchen. Hier ge- Fraktionszweck sein?) hen die Gutachten von einer Größenordnung von bis zu 25 Hektar aus. oder Sie haben ohne Einverständnis der Autoren abge- schrieben; dann handelt es sich hier schlicht und ergrei- Im Übrigen – auch das müssen wir ganz klar sagen – fend um ein Plagiat. ist es für die örtliche Bevölkerung auf Dauer sicherlich unzumutbar, neben einem Zwischenlager für radioaktive (Beifall bei der CDU/CSU – Sigmar Gabriel Abfälle zu wohnen. Deshalb hat die Endlagerung der ra- [SPD]: Da sind Sie ja Experte! – Frank dioaktiven Abfälle Priorität. Schwabe [SPD]: Peinlich!) 19056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Dr. Michael Paul (A) So oder so, abgeschrieben haben Sie auf jeden Fall. Das Vizepräsidentin Petra Pau: (C) spricht nicht für Ihre juristische Kreativität. Herr Kollege Paul, da Sie die Hilfe des Kollegen Gabriel zur Verlängerung Ihrer Redezeit nicht angenom- Auch die Rolle der Anwaltskanzlei sollten wir noch men haben, muss ich Sie darauf aufmerksam machen, einmal hinterfragen. dass Sie jetzt einen Punkt setzen müssen. (Ulrich Kelber [SPD]: Wir sind in einem Ge- setzgebungsprozess! Mehr haben Sie nicht zu Dr. Michael Paul (CDU/CSU): bieten? Setzen Sie sich doch!) Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will zum Schluss sagen: Eine Absenkung des Schutzniveaus, die offen- Deren namensgebender Partner war übrigens Staats- sichtlich Bestandteil mancher Beschleunigungsvor- sekretär im ersten rot-grünen Berliner Senat. Diese schläge ist, wird es mit uns jedenfalls nicht geben. Kanzlei berät und vertritt auf der einen Seite den Bund und das Bundesamt für Strahlenschutz in zahlreichen Vielen Dank. atomrechtlichen Verfahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Unruhe bei der SPD) – Ich weiß gar nicht, worüber Sie sich aufregen. Das Vizepräsidentin Petra Pau: scheint ja wirklich wehgetan zu haben. Das Wort hat die Kollegin Ute Vogt für die SPD-Frak- tion. (Sigmar Gabriel [SPD]: Herr Paul, nur das Da- tum! – Ulrich Kelber [SPD]: Bei einer solchen (Beifall bei der SPD) Rede ist Fremdschämen angesagt!) Ute Vogt (SPD): Gleichzeitig vertritt sie SPD-regierte Länder gegen den Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Bund bei Verfassungsklagen gegen die Laufzeitverlän- Kollegen! Wir haben in dieser Debatte einen gemeinsa- gerung. men Erfolg zu feiern. Das ist die Tatsache, dass in die- (Sigmar Gabriel [SPD]: Sagen Sie einmal das sem Haus von keiner Fraktion und keinem Ministerium Datum!) mehr angezweifelt wird, dass es oberste Priorität hat, den Atommüll aus der Asse zu bergen. Das war vor wenigen Schließlich, wie man heute sieht, schreibt sie womöglich Wochen noch nicht selbstverständlich. Das ist ein Er- auch Antragstexte für die SPD-Bundestagsfraktion. Das folg. Ich bedauere, Herr Dr. Paul, dass Sie wieder in ei- ist aus meiner Sicht eine sehr eigenwillige Interpretation ner kleinkrämerischen Art und Weise versuchen, die Be- (B) anwaltlicher Unabhängigkeit. handlung dieses Themas – eigentlich beschreiten wir (D) gerade gemeinsam einen guten Weg – zu einem partei- Vizepräsidentin Petra Pau: politischen Hickhack werden zu lassen. Herr Kollege Paul, gestatten Sie eine Zwischenfrage (Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist ein Charakter- oder Zwischenbemerkung des Kollegen Gabriel? problem!) – Das mag ein Charakterproblem sein. Ich greife diesen Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Zwischenruf gerne auf. Ich glaube, er wird uns heute auch nicht weiterbrin- gen. Ich denke, es ist gelungen, Bewegung in die Sache zu bringen – Frau Kollegin Steiner hat es gesagt –, nicht zu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – letzt wegen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort, die an Lachen bei der SPD) diesem Thema beharrlichst drangeblieben sind. Aber auch viele Angehörige der Opposition – zuletzt hat der Nein, ich möchte weiter ausführen. Parteivorsitzende und Wahlkreisabgeordnete Sigmar (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Gabriel Anfang Januar die Asse besucht – haben den GRÜNEN]: Es war bisher eine so gute De- Druck verstärkt. Auch die anderen Oppositionsfraktio- batte! Sie machen alles kaputt! – Ulrich Kelber nen haben mit ihren Initiativen dazu beigetragen, dass es [SPD]: Feigling!) jetzt vorangehen kann. Wir freuen uns, dass sich Ihr Ministerium jetzt auf den Weg macht. Zum Schluss möchte ich auf die Anträge von Grünen und von SPD ganz konkret eingehen. Es ist erfreulich, wenn sich alle bekennen. Es ist er- mutigend, wenn Sie auch die Anregungen der Opposi- (Sigmar Gabriel [SPD]: Es ist gut, dass Sie in tion aufgreifen und wenn jetzt die Taskforce eingesetzt den Bundestag gewechselt sind und nicht beim wird, so wie es von der SPD beantragt wurde. Dass diese BMU sind! Das hilft dem BMU!) Taskforce „Lenkungsgruppe“ heißt, tut ihrer Effektivität hoffentlich keinen Abbruch. Ein Sondergesetz, eine Lex Asse – das hat die Entsor- gungskommission am 2. Februar eindeutig gesagt –, Das Thema „Rückholung der Abfälle“ ist nicht in we- bringt uns nicht weiter; denn es handelt sich im Kern da- nigen Jahren beendet, sondern es wird uns 35 bis 40 Jahre rum, wie das kerntechnische Regelwerk ausgelegt wer- begleiten. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier fraktions- den soll. und wahrscheinlich auch legislaturperiodenübergreifend Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19057

Ute Vogt (A) zusammenwirken, vermutlich unter verschiedenen Re- Das Vertrauen der betroffenen Region in die Politik (C) gierungen. ist ziemlich erschüttert. Wenn wir gemeinsam etwas auf den Weg brächten, könnte das helfen, dieses Vertrauen Bei einer so wichtigen Thematik finde ich es erstaun- wenigstens ein Stück weit zurückzugewinnen. lich, dass es der Minister fertigbringt, sich nachhaltig zu- rückzuhalten. Es ist ein durchaus gängiges Phänomen, (Beifall bei der SPD) dass ein Minister unbequeme Themen lieber den Staats- sekretären überlässt. Am Ende kann man nicht davon Vizepräsidentin Petra Pau: profitieren, dass man sich immer nur mit Wohlfühlthe- Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege men beschäftigt. Am Ende hat nur derjenige Respekt Franz Obermeier für die Unionsfraktion. und ein solches Führungsamt verdient, der bereit ist, sich in schwierigen Zeiten der Verantwortung zu stellen. Herr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Minister Röttgen wird dieser Verantwortung nicht ge- recht. Er zeigt Desinteresse. Es ist für die Menschen in Franz Obermeier (CDU/CSU): der betroffenen Region, aber auch für das Parlament be- Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich ver- schämend, einen solchen Umweltminister zu haben. suche, die Debatte zusammenzufassen: Bei den zentra- (Beifall bei der SPD – Dr. Maria Flachsbarth len Punkten gibt es einen breiten Konsens, eine Überein- [CDU/CSU] Was ist das für ein Ton?) stimmung in der Zielsetzung. Ich möchte nun einige Aspekte wiederholen, die be- In diesen Tagen ist es entscheidend, dass es politi- reits angesprochen wurden. schen Rückhalt gibt. Es gab schon jede Menge Runde Tische zum Thema Asse. Es gibt die Asse-Begleit- Selbstverständlich geht es in erster Linie darum, der gruppe, die gute Arbeit leistet. Alle Beteiligten haben betroffenen Bevölkerung rund um die Asse das Ver- sich oft getroffen, aber es ist wenig passiert. Manches trauen nicht nur in unsere Handlungsfähigkeit wiederzu- konnte nicht in Gang gesetzt werden, gerade weil der geben, sondern auch darin, dass für uns der Schutz der politische Rückhalt gefehlt hat. Menschen, der Mitarbeiter und der Umwelt absolut prio- ritär ist. In diesem Zusammenhang möchte ich Folgen- Wir haben erfreut festgestellt, dass sich jedenfalls in des anmerken: Der Präsident des BfS hat in der Sitzung Niedersachsen einiges verändert hat, sodass auch von des Umweltausschusses in dieser Woche bestätigt, dass dort mit Rückendeckung zu rechnen ist. Ein bemerkens- der Kontaminationsgehalt der Lauge in der Asse gerin- wertes Ergebnis des Workshops war, dass uns die Fach- ger ist, als die Grenzwerte für Trinkwasser es zulassen. leute, die dort zusammensaßen, gesagt haben: Das war das erste Mal seit vielen Monaten, dass wir den Eindruck (B) (Stefan Rebmann [SPD]: Also homöo- (D) hatten, wir haben die politische Rückendeckung, um die pathisch!) Abfälle aus der Asse herauszuholen, und es wird nicht mehr auf Zeit gespielt. – Das ist eine neue Situation. Das Wenn es darum geht, dass man Fakten benennt und die bedeutet, dass politische Rückendeckung nicht nur durch Dinge auf den Punkt bringt, sollte man die betroffene die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der zweiten Reihe, Bevölkerung auch über eine solche Tatsache informie- sondern auch von höchster Ebene gegeben wird. Das er- ren. warte ich von einem Umweltministerium. In diesem Zusammenhang bitte ich zu berücksichti- gen, dass es in den zurückliegenden zwei Jahren keine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nennenswerten Verzögerungen hinsichtlich der Erkun- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dung des Salzstocks gab, zumindest keine, die gesetzge- Jetzt geht es darum, das Verfahren zügig voranzubrin- berisch verursacht waren. gen. Es müssen die rechtlichen Bedingungen geschaffen (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden, schneller handeln zu können. Es geht nicht um NEN]: Es geht doch nicht um die Erkundung die Einrichtung eines Endlagers, sondern um die Ab- des Salzstocks!) wendung von Gefahren durch ein nicht genehmigungsfä- higes Endlager, also durch ein Lager, das so überhaupt Ich bin Landesumweltminister Dr. Birkner sehr dank- nicht hätte existieren dürfen. Maßnahmen auf dem Wege bar für seine ausgesprochen sachliche Bekundung der der Gefahrenabwehr einzuleiten und das Atomgesetz zu ganzen Angelegenheit. Wir müssen uns klar dazu beken- ändern, schließen sich möglicherweise nicht aus, son- nen, dass Voraussetzung für das weitere gesetzgeberi- dern es müssen jeweils fallbezogene Ergänzungen vor- sche Tun die Erhebung der Faktenlage ist. Wenn wir die genommen werden. Faktenlage nicht voranstellen, besteht die große Gefahr, dass wir im Wege eines Asse-Gesetzes in eine falsche Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Sinne der Men- Richtung gehen und uns dann seitens der Bevölkerung schen in der betroffenen Region und in Verantwortung der Vorwurf gemacht wird, dass wir nur auf gesetzgebe- für die Bürgerinnen und Bürger, die rund um die Asse le- rischem Gebiet schnell handeln. ben, ist es gut, wenn wir Solidarität mit ihnen zeigen. Es wäre zudem ein Zeichen von Verantwortung, wenn es Ich teile die Auffassung, dass das BfS in diesem Fall gelänge, im weiteren Verfahren einen gemeinsamen An- richtig vorgeht, indem es Fakten erhebt und dann auf- trag zu formulieren. Wenn sich dieses Haus im Wesentli- grund seiner wissenschaftlichen Erkundungen Konzepte chen geschlossen positioniert, dann kann man es auch entwickelt, wie wir unter Berücksichtigung der genann- schaffen, gemeinsam etwas zu Papier zu bringen. ten Prioritäten an die Rückholung der Fässer aus der 19058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Franz Obermeier (A) Grube Asse gehen können. Man muss berücksichtigen, turschutz und Reaktorsicherheit vorgeschlagen. Sind Sie (C) dass es sich hier um eine extrem komplizierte Arbeit damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die handelt, vor allem im Hinblick darauf, dass das Berg- Überweisung so beschlossen. werk, in dem dann neue Schächte angelegt werden sol- len, schon 100 Jahre alt ist. Dafür ist eine umfangreiche Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Erkundung des Materials zwingende Voraussetzung. empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Ich bin der Staatssekretärin sehr dankbar, dass sie die Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Beteiligung der Beschleunigungsmöglichkeiten angesprochen hat. Ich Energiekonzerne an den Kosten für das Atommülllager bin dankbar, dass wir in diesem Hause willens sind, die Asse“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- Beschleunigungsmöglichkeiten zu nutzen, also das fehlung auf Drucksache 17/4487, den Antrag der Fraktion Asse-Gesetz nach einer möglichst raschen Faktenerhe- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1599 abzu- bung zu verabschieden. Da ist es die eine Geschichte, lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – dass Sie die Lenkungsgruppe einsetzen, die Probleme Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be- beim Management des gesamten Prozedere tatsächlich schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfrak- bereinigen kann, und wir uns Gedanken machen, wie wir tion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD- die Beteiligung der Öffentlichkeit vor Ort so gestalten Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- können, dass die Bürger über das gesamte Vorgehen in- nis 90/Die Grünen angenommen. formiert sind. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit neten der FDP) zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch ein „Rückholung der Atommüllfässer aus der Asse II be- Wort zur Finanzierung der ganzen Angelegenheit sagen. schleunigen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Natürlich müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass schlussempfehlung auf Drucksache 17/8588, den Antrag diese Angelegenheit sehr teuer wird. Deswegen haben der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8351 abzuleh- wir die Brennelementesteuer eingeführt; sie wird ihren nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Sinn und Zweck erfüllen. Ich will hier vor der Öffent- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- lichkeit sagen, dass das Finanzgericht Baden-Württem- empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und berg vor wenigen Wochen eine Entscheidung gefällt hat, der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, mit der die Klage der EnBW zurückgewiesen wurde. der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Gemäß der gerichtlichen Entscheidung hat die EnBW Grünen angenommen. (B) keinen Anspruch auf Rückzahlung der Brennelemente- (D) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 a und b auf: steuer. Auch das ist eine vertrauensbildende Maßnahme: Wir stellen nicht ständig geltende Gesetze infrage, weil a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- das zu Misstrauen in der Bevölkerung führen würde. richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- (Beifall bei der CDU/CSU) schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Gloser, , Klaus Brandner, weiterer Zum Abschluss ein Wort an Sie, Frau Kollegin Vogt. Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sie haben versucht, dem Bundesumweltministerium hin- sichtlich der Behandlung dieses Falles Vorwürfe zu ma- Für einen Neubeginn der deutschen und euro- chen. Ich habe allerdings genau aufgepasst und festge- päischen Mittelmeerpolitik stellt, dass Sie bei den Vorwürfen, genauso wie eine – Drucksachen 17/5487, 17/6421 – ganze Reihe Ihrer Vorredner aus der Opposition, im Un- gefähren geblieben sind. Das bringt uns auch nicht wei- Berichterstattung: ter. Sie haben keinen einzigen konkreten Fall benannt, in Abgeordnete Joachim Hörster dem das Bundesumweltministerium zur Verzögerung der Günter Gloser Erkundung der Asse beigetragen hätte. Noch einmal: Das bringt uns nicht weiter. Das sollten wir unterlassen, Wolfgang Gehrcke wenn wir im Konsens beispielsweise ein Asse-Gesetz Kerstin Müller (Köln) verabschieden wollen. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema Herzlichen Dank. Movassat, Heike Hänsel, Annette Groth, weiterer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE ordneten der FDP – Dorothea Steiner [BÜND- Selbstständige Entwicklung fördern – Faire NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie nicht so Handelsbeziehungen zu Ägypten, Jordanien, genau zugehört! Beispiele wurden genannt!) Marokko und Tunesien aufbauen

Vizepräsidentin Petra Pau: – Drucksache 17/8582 – Ich schließe die Aussprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Drucksache 17/8497 an den Ausschuss für Umwelt, Na- keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19059

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Geld richtig angelegt ist. Ich glaube, nicht nur Deutsch- (C) Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion. land, sondern vor allen Dingen Europa muss in dieser Hinsicht einfach noch besser werden. Dr. Rainer Stinner (FDP): Die Union für das Mittelmeer hat zwar einige neue Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Programme aufgelegt, aber sie ist nicht schlagkräftig ge- Morgen jährt sich zum ersten Mal der Tag, an dem Präsi- nug. Es wurde die „Euro-Mediterranean Sustainable Ur- dent Mubarak vom ägyptischen Volk vom Throne gesto- ban Strategy“ entwickelt; eine Arbeitsgruppe trifft sich ßen worden ist. Wir erinnern uns alle an die Hoffnungen, zum ersten Mal im März dieses Jahres. Mit dem Projekt die wir mit diesem Tag verbunden hatten, nicht nur für LOGISMED wird ein Logistikverbund angestrebt. All Ägypten, sondern für die gesamte Region. Nun sind wir diese Projekte sind vom Prinzip her gut und richtig, ha- ein Jahr weiter. Viele unserer Erwartungen sind ent- ben aber noch nicht die Schlagkraft erreicht, die wir ei- täuscht worden. Wir stellen fest: Uns haben, was die gentlich brauchen. Entwicklung in dieser Region angeht, die Mühen der Ebene erreicht. In der Europäischen Nachbarschaftspolitik haben wir uns entschieden – wie ich finde, zu Recht –, uns auf ei- Vieles ist unklar. Eines aber ist klar – damit komme nige Länder stärker zu fokussieren, weil wir den Unter- ich auf das zurück, was wir vor einer Stunde diskutiert schieden gerecht werden müssen. Wir können Marokko, haben –: Es gibt deutliche Signale, auch von liberalen Tunesien, Ägypten, Libyen usw. zum gegenwärtigen Kräften. Man sagt: Es ist zwar schön, dass ihr uns unter- Zeitpunkt nicht in einen Topf werfen, weil die Situation stützt, aber geht nicht davon aus, dass wir euer System in diesen Ländern sehr unterschiedlich ist. Darauf müs- eins zu eins übernehmen werden. Man sagt uns auch: Ihr sen wir eingehen. müsst davon ausgehen, dass die Religion in unserem Staatswesen in Zukunft eine größere Rolle spielt, ob Unser Ziel ist die wirtschaftliche Integration. Bei- euch das passt oder nicht. – Damit müssen wir hier fer- spielsweise planen wir mit einigen Ländern, innerhalb tigwerden. Ich sage trotz all der Anstrengungen, die wir von 15 Jahren einen gemeinsamen Wirtschaftsraum auf- unternehmen müssen, ganz bewusst: Seien wir beschei- zubauen. Um das zu erreichen, muss nach Fähigkeiten den in dem, was wir erreichen wollen. und Bedarf vorgegangen werden. In diesem Zusammenhang stelle ich einen gewissen Wir haben eine sogenannte Transformationspartner- Widerspruch zu der vorigen Debatte fest. Vorhin ist der schaft mit Ägypten annonciert. Natürlich müssen wir Bundesregierung vorgeworfen worden, sie betreibe auch in der heutigen Debatte sehr deutlich sagen, dass Großmannssucht nach dem Motto: An deutschem Wesen das, was in Ägypten gegenwärtig passiert, und zwar so- (B) soll die Welt genesen. Und: Alle sollten sich nach wohl auf der Straße als auch in den Gefängnissen als (D) Deutschland richten. auch bei der Polizei als auch im Justizwesen, was zum Beispiel die Konrad-Adenauer-Stiftung angeht, alles an- (Inge Höger [DIE LINKE]: So ist es doch dere ist als das, was wir uns unter einer Transformations- auch!) partnerschaft vorgestellt haben. Deshalb müssen wir von hier aus sehr deutlich sagen: Liebe Leute in Ägypten, Nun werden wir vorwurfsvoll gefragt: Warum habt ihr wir wollen euch gerne helfen; aber dafür müsst ihr viel dieses oder jenes noch nicht erreicht? Das ist ein gewis- mehr tun, als ihr bisher getan habt. ser Widerspruch. Meine Damen und Herren von der Op- position, Sie müssen sich einmal Gedanken machen, in (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) welche Richtung Sie eigentlich gehen wollen. Wenn Sie So haben wir uns die Zusammenarbeit jedenfalls nicht von Deutschland verlangen, tatkräftig zu sein, dann kön- vorgestellt. nen Sie uns auf der anderen Seite nicht vorwerfen, Groß- mannssucht zu betreiben und wieder mehr in der Welt Die Europäische Union hat am 14. Dezember des sein zu wollen. Das passt irgendwie nicht zusammen. letzten Jahres angekündigt, umfassende Freihandelsab- kommen mit Tunesien, Ägypten, Marokko und Jorda- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nien abzuschließen. Das ist richtig. Tunesien hat den Sta- Ich hatte im April vorigen Jahres die Freude, eine tus eines privilegierten Partners. Hier wird also eine Rede zu diesem Thema zu halten. Wir haben schon da- ganze Reihe von Dingen gemacht. mals gesagt – das ist heute noch richtig –: Wir müssen Gerade an diesen Punkten setzt der Antrag der Linken uns fokussieren und die Instrumente, die uns für diese an. Die Linken schreiben in ihrem Antrag, dass man das Region zur Verfügung stehen, in stärkerem Maße anpas- alles nicht machen sollte, dass man keine Freihandelsab- sen – zum Beispiel bei den Themen Union für das Mit- kommen schließen sollte; denn sie dienten nur dazu, telmeer, Barcelona-Prozess und Europäische Nachbar- dass wir, der böse Westen, die armen Leute noch mehr schaftspolitik –; denn in diese Bereiche fließen enorme ausbeuten. Geldmengen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist auch Ich will in Erinnerung rufen, dass zwischen den Jah- so!) ren 2007 und 2012 allein im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik 8 Milliarden Euro in diese Region Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich kann geflossen sind; das ist nicht wenig Geld. Wir müssen ge- Ihnen – das habe ich auch vorhin schon gesagt – eine ge- meinsam eine Antwort auf die Frage finden, ob dieses wisse Konsequenz nicht absprechen. Mit Ihrer Politik 19060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Dr. Rainer Stinner (A) verfolgen Sie eine ganz konsequente Strategie der Ver- Von der Bundesregierung fordern wir seitens der (C) elendung in diesen Ländern. Sie sagen: Es ist schlecht, SPD-Fraktion in diesem Zusammenhang – wir haben da- dass wir unsere Märkte für diese Länder öffnen, weil rüber schon mehrfach diskutiert –: Setzen Sie sich in den Handel schlecht ist. Liebe Kollegen der Linken, das ha- Mitgliedstaaten der Europäischen Union für einen kom- ben Sie erfolgreich in der DDR praktiziert, und das prak- pletten Stopp der Abschiebungen nach Syrien ein. Das tiziert man in Kuba bis zum heutigen Tage. ist ein Gebot der Menschlichkeit. (Patrick Döring [FDP]: So ist es! Nordkorea! – (Beifall bei der SPD) Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie sind er- Der Antrag, über den wir heute debattieren, ist – das folgreich bei 3 Prozent angekommen!) ist richtig – bereits zehn Monate alt. Seither ist die arabi- Wir können nur sagen: Wir möchten den Leuten in Nord- sche Welt eine andere geworden. Die Region befindet afrika nicht zumuten, dass Ihre Rezepte auf ihre Länder sich gegenwärtig immer noch in einer epochalen Verän- angewendet werden. Wir werden das – das sage ich sehr derungsphase. Das bedeutet, dass sich vor allem in den deutlich – verhindern. Köpfen der Menschen eine Revolution vollzogen hat. Das mutige Beispiel der Tunesier, aber auch das der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ägypter haben den Menschen gezeigt, dass sie die der CDU/CSU) Macht und das Recht haben, Veränderungen zu fordern Uns liegt heute ein Antrag der SPD vor, der viel Rich- und auch durchzusetzen. Das ist eine wahre Revolution. tiges enthält. Ich darf aber bemerken: Dieser Antrag ist Selbst in den Ländern, in denen es keine Umstürze gab, schon ein bisschen älter. Ich glaube, dass es problema- versuchen Regierungen, den Menschen durch Reformen tisch ist, in der Politik mit Anträgen umzugehen, die ein entgegenzukommen. gewissermaßen antiquarisches Format haben. Viele der Mit den positiven Veränderungen geht es weiter. Ich Forderungen, die Sie im letzten April gestellt haben, sind möchte einige aufführen: realisiert worden. Daher möchte ich Sie ermuntern, sich in die Debatte einzubringen und an der aktuellen Diskus- Erstens. In Marokko wurde vom König ein Verfas- sion teilzunehmen. Wie gesagt, will ich gar nicht bestrei- sungsprozess angestoßen, der zu einem ersten Kompe- ten, dass viele Dinge, die Sie angesprochen haben, völlig tenzgewinn des Parlaments führte. richtig sind. Vieles ist aber auch schon realisiert. Wir Zweitens. Zu begrüßen ist auch die in den letzten Ta- werden auf diesem Entwicklungspfad voranschreiten. gen festzustellende Annäherung zwischen Algerien und Wir wissen, wie schwer das ist. In Deutschland und in Marokko. Auch das war in den letzten Jahren Thema. der Europäischen Union haben wir ein Commitment: Drittens. Die angekündigte Bildung einer palästinen- (B) Wir wollen den gesellschaftlichen Prozess, die Entwick- (D) lung in Richtung Rechtsstaat und die wirtschaftliche sischen Einheitsregierung ist ebenfalls ein positives Si- Entwicklung in der Region durch Transformationspart- gnal. Damit wird eine wichtige Vorbedingung für ein Vo- nerschaften fördern, weil das im Interesse der Region rankommen im Nahostfriedensprozess erfüllt. und im Interesse unseres eigenen Landes ist. Viertens. Die Arabische Liga vertrat in der Vergan- Vielen Dank. genheit eher die Interessen der Machthaber als der Be- völkerung ihrer Mitgliedstaaten. Auch sie definiert ihre (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Rolle derzeit neu und sucht den Anschluss an die Verein- ten Nationen, wie das aktuelle Beispiel ihres Vorschlags Vizepräsidentin Petra Pau: für eine gemeinsame Beobachtermission mit der UNO in Der Kollege Günter Gloser hat nun für die SPD-Frak- Syrien zeigt. tion das Wort. Bei aller Schmerzhaftigkeit der aktuellen Entwick- lung in Syrien: Die Gesamtentwicklung der Region be- Günter Gloser (SPD): deutet für uns einen großen Gewinn; denn sie gibt uns Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten erstmals Hoffnung auf eine nachhaltige Sicherheit in un- Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! serer südlichen Nachbarschaft, und das angesichts all der In einer Debatte zur Mittelmeerpolitik können die ge- Dinge, Herr Kollege Stinner, die Sie angesprochen ha- genwärtig dramatischen Ereignisse in Syrien nicht aus- ben; manchmal haben wir vielleicht andere Entwicklun- geblendet werden. Wir alle sind über das kaltblütige Ver- gen erwartet. Diese Hoffnung ist aber auch eine Ver- halten des syrischen Regimes entsetzt. Doch wir sind pflichtung, das Unsrige zu tun, um den Menschen in nicht nur darüber entsetzt. Auch das Verhalten Russlands dieser Region zu helfen, und zwar beim Aufbau ihrer In- und Chinas im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist stitutionen und ihrer Demokratien, aber auch bei der Lö- falsch und unverständlich. Ich appelliere daher nochmals sung der drängenden Probleme, bei der wirtschaftlichen in Richtung Moskau und Peking: Setzen Sie sich für eine Entwicklung, bei der Schaffung sozialer Sicherheit und Konfliktlösung bei den Vereinten Nationen ein und neh- zum Teil auch bei der Verbesserung der Infrastruktur. men Sie Einfluss auf das Assad-Regime – für einen Weg Was genau kann Europa anbieten? Frank-Walter der Deeskalation. Steinmeier und ich haben im Februar 2011 ein – zugege- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ben – kurzes Papier vorgelegt, in dem wir die Umrisse DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der eines Marshallplans für die arabische Welt gefordert ha- CDU/CSU und der FDP) ben. Das mag in manchen Ohren nach Einmischung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19061

Günter Gloser (A) klingen. Aber unser Ansatz bedeutet partnerschaftliche auch die im Süden produzierten Güter leichter in den (C) Kooperation auf gleicher Augenhöhe. Dieser Ansatz be- Norden exportiert werden können. Ich glaube, da sind ruht auf gegenseitigem Vertrauen zwischen Nord und noch einige Hausaufgaben zu machen. Süd. Lassen Sie mich abschließend noch etwas grundsätz- Einiges, was wir im letzten Februar gefordert haben, ist licher werden. In der Vergangenheit schien es in der umgesetzt worden. Ich will gar nicht damit hinter dem Europäischen Union eine Arbeitsteilung zu geben: Berg halten, dass einige Dinge in die Transformations- Deutschland, Polen, Österreich und noch einige andere partnerschaft eingeflossen sind. Aber die historischen Er- Länder waren für Osteuropa zuständig, Frankreich, aber eignisse von 2011 fordern uns nicht zu Einzelmaßnahmen auch Spanien und Italien für die südliche Nachbarschaft. auf. Wir müssen die europäische Mittelmeerpolitik neu Durch die arabischen Revolutionen ist diese Arbeits- ausrichten. Dabei müssen wir die eigenständige Ent- teilung obsolet geworden, nicht nur politisch, sondern wicklung der jungen Zivilgesellschaften der arabischen auch gesellschaftlich. Wir alle merken dies nicht zuletzt Welt respektieren, aber auch auf Gemeinsamkeiten hin- an den zahlreichen Veranstaltungen zum arabischen arbeiten. Frühling, zu den Umbrüchen in der arabischen Welt. Die Idee vom Mittelmeer als dem Mare Nostrum ist Dieses Interesse und der Mut der Menschen in der Re- nicht neu. Bereits die Römer sprachen von „unser gion sind für uns ein Auftrag. Um ihn zu erfüllen, müs- Meer“, aber gewiss mit Vorstellungen und Absichten sen wir, finde ich, unsere Kräfte bündeln; vor allem müs- verbunden, die anders sind als die, die wir heute haben. sen wir auf politischer Ebene die Kraft der Europäischen Wir wollen heute die um das Mittelmeer liegenden Staa- Union nutzen. ten als einen gemeinsamen politischen, wirtschaftlichen Ich rege an – Staatsminister Link ist ja anwesend –, und sozialen Raum gestalten. Doch die Flüchtlingskata- jetzt einmal ein klares Zeichen im Rahmen der EU und strophen mit ihren vielen Opfern im Mittelmeer zeigen der Arabischen Liga zu setzen; dies ist aufgrund der Ver- auf dramatische Weise, dass wir von diesem gemeinsa- änderung notwendig. Ich finde, ein entsprechendes Tref- men Raum noch weit entfernt sind. Daran muss Europa fen – wir haben uns schon zu ganz anderen, weniger be- unbedingt etwas ändern. Abschottung allein wird auf deutsamen Anlässen getroffen – wäre sinnvoll, auch um Dauer nicht die Lösung sein können. Wir wollen, ja wir deutlich zu machen, dass wir die Region stärken. müssen andere Wege gehen. Lassen Sie mich eine zweite Anregung geben. Viel- (Beifall bei der SPD) leicht wäre es sinnvoll, in Deutschland – in anderen Län- Die von der SPD in diesem Antrag geforderte Bil- dern ist dies schon geschehen – eine nationale For- schungs- und Beratungsstelle für Mittelmeerpolitik (B) dungsmigration ist sicherlich – dies weiß ich – ein um- (D) strittener Punkt. Aber ich möchte ihn hier dennoch einzurichten, welche die vorliegenden und die neu zu ausdrücklich erwähnen. Hier setzt unsere wichtigste Ver- entwickelnden Konzepte bündelt und der Öffentlichkeit antwortung an. Wenn wir es wirklich ernst meinen mit und der Politik präsentiert. einer neuen Mittelmeerpolitik und mit der Unterstützung Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Der Vor- für die Länder, die den Weg der Demokratie, der Verän- sitzende der tunesischen Verfassungsversammlung, derung und der Rechtsstaatlichkeit gehen, dann müssen Dr. Ben Jaffar, hat am Mittwoch auf einer gut besuchten wir eine größere Zahl von gut qualifizierten Menschen Konferenz der SPD-Fraktion zum Ausdruck gebracht, aus diesen Ländern für eine längere Zeit in der Europäi- was für die Menschen vor Ort von Bedeutung ist. Zitat: sche Union willkommen heißen. Wir müssen sie in unse- ren Arbeitsmarkt integrieren. Wir müssen sie nach drei Wir brauchen unsere Freunde in Deutschland. Wir oder fünf Jahren, wenn sie zurückwollen, mit Risikoka- haben uns befreien können von unserem Diktator, pital ausstatten, damit sie in ihrer Heimat Arbeitsplätze aber das hat Spuren hinterlassen, mit eurer Unter- schaffen können. stützung schaffen wir es. Die Botschaft an die Men- schen muss sein: Es gibt Hoffnung! Die Konzepte dafür liegen vor. Wie ich höre, bereitet Diese Hoffnung sollten wir nicht enttäuschen. auch die Bundesregierung solche Programme vor. Aber bislang konnten sich die zuständigen Ministerien noch Vielen Dank. nicht auf die Einzelheiten einigen. Ich fordere die Bun- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ desregierung daher auf, diese administrativen Fragen DIE GRÜNEN) schnell zu klären und dem Bundestag zu berichten, wie sie sich Lösungen für diese drängenden Probleme vor- stellt. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Joachim Hörster für die Wie schon vor einem Jahr fordern wir den Abbau von Unionsfraktion. Handelshemmnissen, die Errichtung von Freihandelszo- nen und den weiteren Ausbau der Zusammenarbeit mit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Region, vor allem in den Bereichen Landwirtschaft und Fischerei. Das sage ich ganz bewusst mit Blick auf Joachim Hörster (CDU/CSU): die Interessen der südlichen Länder. Nicht nur unsere Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor Güter sollen von einer Freihandelszone profitieren und knapp zehn Monaten, am 14. April 2011, haben wir hier in den Süden exportiert werden können; vielmehr sollen in diesem Hohen Hause über den Antrag der SPD-Frak- 19062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Joachim Hörster (A) tion diskutiert, der, wenn wir ihn heute lesen, in weiten tisch. Ich weiß nicht, ob es – gewissermaßen subkutan – (C) Teilen zumindest ergänzungsbedürftig ist, wenn nicht ein Agreement zwischen den Moslembrüdern und der sogar in die falsche Richtung weist. Ich hatte die Hoff- Armee gibt. Mir erscheint das, was dort vor sich geht, nung, dass zum Beispiel im Auswärtigen Ausschuss die sehr merkwürdig, auch was den Umgang mit konkurrie- Gelegenheit genutzt wird, diesen Antrag auf Initiative renden Parteien und konkurrierenden Kandidaten be- der SPD zu erneuern und à jour zu bringen. trifft. Wir werden mit großer Aufmerksamkeit verfolgen müssen, was in Ägypten geschieht. Wir müssen auf je- Wenn wir genau hinhören – wir haben die Reden von den Fall immer bereitstehen, wenn es darum geht, die Herrn Stinner und Herrn Gloser gehört; auch in meiner Demokratie zu fördern und zu helfen. Rede wird dies deutlich –, stellen wir fest, dass wir hin- sichtlich des Umgangs mit den Problemen im Mittel- Die Situation in Syrien ist schrecklich; die Kollegen meerraum politisch nicht sehr weit auseinanderliegen. Gloser und Stinner haben das angesprochen. Wir haben Ein Unterschied besteht vermutlich darin, dass die So- keine Möglichkeiten, dort in größerem Umfang einzu- zialdemokraten glauben, es könnte ein allgemeingültiges greifen; im Auswärtigen Ausschuss haben wir intensiv Konzept geben, wie wir als Europäer, aber auch als darüber diskutiert. Ich glaube, jetzt müssen wir folgen- Deutsche mit den Mittelmeeranrainern umgehen, wäh- den Weg beschreiten: Wir müssen Russland in die rend wir von der Koalition der Auffassung sind, dass wir Pflicht nehmen – nicht nur unter dem Gesichtspunkt ei- uns Land für Land anschauen und für jedes Land eigene ner UN-Resolution, sondern auch unter dem Gesichts- Konzepte entwickeln müssen. punkt der Zulassung humanitärer Hilfe –, um in dem schrecklichen Chaos, das zurzeit in Syrien herrscht, tätig Ich möchte unterstreichen, was der Bundesaußen- werden zu können. Russland muss seinen Verbündeten minister gesagt hat: Es kommt entscheidend darauf an, Syrien zwingen, dafür zu sorgen, dass zumindest huma- welche Art von Hilfen die Mittelmeeranrainer von uns nitäre Hilfe durch den Roten Halbmond und das Rote wollen. Das, was wir jetzt in Ägypten erleben, ist skan- Kreuz gewährleistet werden kann und die bewaffneten dalös. Wir gehen viel zu vornehm damit um. Es kann Auseinandersetzungen so schnell wie möglich einge- doch nicht sein, dass wir unsere Hilfe zur Installation der stellt werden. Ich denke, man muss die Russen, die im Demokratie und zur Förderung des Parlamentarismus Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Führungsver- anbieten, wir die Vorbereitungen von Wahlen erklären antwortung wahrnehmen, beim Portepee fassen und sa- und vieles andere mehr machen und dass dann die Stif- gen: Es ist jetzt eure Pflicht, das auf die Reihe zu bekom- tungen, die seit 30 Jahren unbehelligt in Ägypten arbei- men, um den europäischen Standards Genüge zu tun. ten, mit rückwirkender Verfügung auf einmal sozusagen kriminalisiert werden. Dadurch wird einem gewisserma- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) ßen der Stuhl vor die Tür gestellt. Dies ist keine Einla- (D) dung, zusammen etwas zu unternehmen, um die Demo- Die Russen wollen schließlich Teil Europas sein, und kratie in Ägypten zu fördern. auch wir wollen, dass sie es sind. Das ist für mich Anlass, noch einmal darauf hinzu- Ich glaube, wenn wir jedes Land für sich betrachten weisen, dass wir von Land zu Land unterscheiden soll- und mit offenen Augen die Besonderheiten wahrneh- ten. Das einzige Land, bei dem ich die Hoffnung habe, men, dann wird es uns gelingen, eine vernünftige Politik dass der arabische Frühling zu einem Erfolg der Demo- zu betreiben. Ich glaube nicht, dass wir eine neue Mittel- kratie wird, ist Tunesien. Alle anderen Länder haben meerpolitik mit festen Programmen, die überall in glei- eine ganze Reihe von kleinen Schritten gemacht, die wir cher Form angewendet werden, brauchen. Vielmehr soll- begrüßen sollten. Wir müssen uns allerdings auch eini- ten wir das tun, was der Bundesaußenminister gesagt gen, ob wir, wenn zum Beispiel in Marokko ein bisschen hat: Land für Land und Kooperationsmöglichkeit für mehr Parlamentarismus und Demokratie betrieben wird, Kooperationsmöglichkeit untersuchen und dann geeig- lauthals schreien, dass dies nicht genug ist, oder ob wir nete Maßnahmen ergreifen. Das hilft uns weiter. sagen: Ihr seid auf dem richtigen Weg, lasst uns zusam- Wir alle wissen: Das größte Problem in den betreffen- menarbeiten, um dies zu vertiefen. den Ländern ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Ich Wir müssen auch mit solchen Entwicklungen umge- glaube nicht, dass dieses Problem dadurch gelöst wird, hen, wie sie sich zum Beispiel bei den Monarchien in den dass man für Visafreiheit sorgt. arabischen Ländern zeigen. Es muss Aufmerksamkeit er- (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ wecken, wenn die Mitgliedstaaten des Golfkooperations- DIE GRÜNEN]: Natürlich! Auch!) rates darüber nachdenken, Jordanien und Marokko aufzu- nehmen; denn damit wären im Golfkooperationsrat alle Ich glaube, es wird dadurch gelöst, dass man den jungen arabischen Monarchien vereinigt. Dann könnten sie eine Leuten Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, das duale Aus- gemeinsame Politik betreiben. Es wäre spannend, zu un- bildungssystem exportiert und die mittelständische Wirt- tersuchen, wie wir uns dazu verhalten würden. Es wäre schaft, sofern sie in den arabischen Ländern vorhanden gut, wir würden uns dazu verhalten; denn es können auch ist, ermutigt, junge Leute auszubilden und sie als Ar- andere als revolutionäre Entwicklungen, die zur Förde- beitskräfte zu übernehmen. rung der Demokratie beitragen, stattfinden. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Die Situation in Ägypten – ich glaube, das brauchen wir nicht weiter zu erörtern – ist außerordentlich kri- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19063

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Sprich: Es ist die alte falsche Strategie. Sie wollen jeman- (C) Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin dem eine Medizin verabreichen, die zu einer schlimmen Sevim Dağdelen das Wort. Krankheit geführt hat, und jetzt wollen Sie auch noch die Dosis dieser falschen Medizin weiter erhöhen. (Beifall bei der LINKEN) (Günter Gloser [SPD]: Sie haben nicht zuge- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): hört!) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Allein die Linke will den Mittelmeerraum nicht weiter Herren! Die Situation in Syrien wurde angesprochen. mit Migrationsabwehr und Neoliberalismus beglücken. Die gegenwärtigen Kriegsdrohungen gegenüber Syrien Die Menschen rund um das Mittelmeer haben wirklich und der vorangegangene völkerrechtswidrige Überfall etwas Besseres verdient als Frontex und andere Abschot- der NATO auf Libyen zeigen eindrücklich, dass europäi- tungsinstrumente. sche Mittelmeerpolitik zurzeit nichts weiter ist als Au- ßenpolitik, die das Recht des Stärkeren durchsetzt. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Erschreckend ist an Ihrem Antrag auch, dass nicht ein- mal mit einem Wort die Tausenden von Toten an den Mit- Mit welch schlimmen Folgen: Mehr als 50 000 Tote im telmeergrenzen als Preis des gegenwärtigen Abschot- Libyen-Krieg! Jetzt werden in den Lagern in Libyen so- tungsregimes erwähnt werden. Sie strengen sich auch gar genannte Gaddafi-Anhänger zu Tode gefoltert. Erst nicht an. Es gibt keine ernsthaften Überlegungen in Ihrem Ende Januar dieses Jahres wurde der ehemalige libysche Antrag, wie man Menschenleben durch Lockerungen der Botschafter in Paris tot aufgefunden. Es kann einem Migrations- und Asylpolitik retten könnte. schlecht werden, wenn man sich die Ergebnisse dieser Ihrer humanitären Interventionen ansieht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Stattdessen sprechen Sie von Rückübernahmeabkom- men und Resettlement. Das ist einfach erbärmlich. Der Deshalb steht die Linke, auch mit Blick auf die Mittel- UNHCR hat erst letzte Woche die neuesten Zahlen für meerregion, ohne Wenn und Aber für Verhandlungen das Jahr 2011 bekanntgegeben. Noch nie war eine so statt Eskalation und – auch über die Mittelmeerregion hi- große Zahl von Menschen auf dem Weg nach Europa zu naus – für Sicherheitsgarantien statt Förderung von Ge- verzeichnen, die entweder noch als vermisst gelten oder waltspiralen. ertrunken sind. Über 1 500 Tote – und Sie sprechen hier (Beifall bei der LINKEN) von Resettlement und Rückübernahmeabkommen. Ich (B) finde, Sie sollten umkehren und Ihre Migrationsabwehr- (D) Ich möchte Sie daran erinnern – weil Sie so tun, als politik ändern. Dass Sie das nicht tun, haben Sie letztens sei das alles nicht geschehen –, dass Staatspräsidenten bewiesen, als Sie sich bei der Abstimmung über den An- wie Assad vor nicht allzu langer Zeit bei der Gründung trag der Linken zum Stopp der Abschiebungen nach Sy- der Mittelmeerunion in Paris – auch Sie haben sie unter- rien enthalten haben. stützt – noch auf der Ehrentribüne sitzen durften. Ich frage Sie, warum ein Weiter-so in Sachen Freihan- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Oh ja!) delspolitik der EU und Migrationsbekämpfung gelten Unter Rot-Grün wurden Häftlinge mit BKA-Beglei- soll. Hier wäre doch die Möglichkeit für einen wirkli- tung nach Syrien zum Foltern geflogen. Als einzige Par- chen Neubeginn gewesen. Die Linke findet, der wahre tei hat die Partei Die Linke dies immer wieder verurteilt Maßstab für einen wirklichen Neubeginn ist die Einlö- und kritisiert. Daran sollten Sie sich erinnern, wenn Sie sung des Versprechens von Freiheit, Gleichheit und Soli- jetzt über einen sogenannten Neubeginn sprechen. darität auch gegenüber den Menschen im Mittelmeer- raum. Die Linke will diesen Neubeginn. Wir finden – ich Die SPD beruft sich in ihrem Antrag auf die Ziele der bitte Sie, lassen Sie uns das einmal gemeinsam versu- europäischen Sicherheitsstrategie, nach der – ich zitie- chen –, dass man hier mit ganz konkreten Schritten be- re – „an den Mittelmeergrenzen ein Ring verantwor- ginnen könnte, nämlich indem man einfach beschließt, tungsvoll regierter Staaten“ entstehen soll. Sie ver- keine Rüstungsexporte in den Mittelmeerraum und keine schweigen, dass „verantwortungsvoll“ für die EU auch Abschiebungen von Migranten und Flüchtlingen aus der libysche Diktator Gaddafi und bis vor kurzem eben dem Mittelmeerraum zuzulassen. auch Assad gewesen sind, solange der eine Migration bekämpft hat und der andere bereit war, durch out- (Beifall bei der LINKEN) gesourcte Folter auch deutsche Sicherheitsbehörden im Solidarität statt Krieg und Ausbeutung – das sollte Kampf gegen den sogenannten Terrorismus mit Informa- unser Motto sein. Dafür steht jedenfalls die Linke. tionen zu beliefern. (Beifall bei der LINKEN – Patrick Döring Im Grunde handelt es sich bei den Forderungen der [FDP]: Ziemlich allein allerdings!) Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion um die üb- lichen Zutaten des EU-Gesamtansatzes, das heißt um Grenzsicherung, Migrationsbekämpfung, den Abbau von Vizepräsidentin Petra Pau: Handelshemmnissen und die Einrichtung von Freihan- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun delszonen. Herr Gloser hat das alles hier heruntergebetet. die Kollegin Viola von Cramon-Taubadel. 19064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

(A) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE müssen wir die häufig erwähnten Mobilitäts- und Bil- (C) GRÜNEN): dungsprogramme endlich auch umsetzen. Herr Hörster, Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- die Visafreiheit ist hierfür ein wichtiger Baustein. legen! Verehrte Damen und Herren! Jetzt blicken wir also (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nach einem Jahr – das haben meine Vorredner schon ge- macht – auf die Region rund um das südliche Mittelmeer. Ohne einen besseren Zugang für die Menschen nach Eu- Was ist von den überraschenden Aufständen in Tunesien, ropa wird es keine echte Mobilität geben. Das müssen Ägypten, Marokko oder auch in Libyen geblieben? In den wir einfach anerkennen. meisten Fällen ist der Ausgang – das haben auch Sie, Herr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stinner, gesagt – komplett unklar. Die Anfangseuphorie ist vielfach der Ernüchterung gewichen. In Syrien hält die Für uns ist die Zeit des Mauerbaus und des Zäune- Gewalt des brutalen Regimes an. Gleichzeitig müssen wir ziehens vorbei. Leider wurde in Libyen mit deutscher fragen – das hat wenig mit Großmannssucht zu tun, son- Rückendeckung – auch das wurde erwähnt – ein soge- dern mit Pragmatismus –, ob wir die notwendige Unter- nanntes Grenzsicherungssystem installiert und mit Ma- stützung für eine echte Transformation auf den Weg ge- rokko und Tunesien zunächst über Rücknahmeabkom- bracht haben. Wenn ich in Richtung Bundesregierung men für Flüchtlinge und erst dann über eine weitere schaue und mir die Panzerlieferungen in Erinnerung rufe, Unterstützung verhandelt. Das ist leider die Realität. dann sage ich: Das kann sicherlich nicht die Antwort sein. Was allerdings die Freihandelsfragen anbelangt – da- Die Hoffnungen richteten sich zunächst auf Ägypten mit komme ich zum Antrag der Linken –, sprechen Sie und Tunesien, wo es erstmals freie Wahlen gab. Doch viele wichtige Punkte an. Jeder wird den Titel „Faire nicht nur die Gewalteskalation im Stadion von Port Said Handelsbeziehungen zu Ägypten, Jordanien, Marokko in der letzten Woche zeigt, wie fragil die Situation insbe- und Tunesien aufbauen“ unterschreiben. Wir wollen uns sondere noch in Ägypten ist. allerdings erweiterten Handelsabkommen mit den südli- chen Ländern auf keinen Fall komplett verschließen. Wir Gestern haben wir über die Stellung der politischen wollen einen echten Pakt für Ausbildung und Arbeit und Stiftungen gesprochen. Herr Hörster hat gesagt, die Si- nicht die nationalen Grenzen verstärken. Wir wollen tuation sei skandalös. Wir wissen aber auch, dass es hohe Umwelt- und Sozialnormen in diesen Abkommen nicht nur die Konrad-Adenauer-Stiftung, sondern auch verankern und natürlich keine bilateralen Verhandlun- die nationalen Stiftungen trifft. Wir müssen natürlich gen, wie sie derzeit in der EU vorgesehen sind. Ich versuchen, in Zusammenarbeit mit dem Militärrat zu ei- glaube, im Rahmen des Agadir-Abkommens – das war ner Lösung zu kommen. Diese Eskalation auf diplomati- ja schon einmal angedacht – könnte man nicht nur die scher Ebene weist aber darauf hin, dass der Militärrat (B) Handelswege Richtung EU, sondern auch die Handels- (D) seine Macht nicht teilen, sondern vielmehr verfestigen ströme der Länder untereinander erleichtern. möchte. Jetzt komme ich zu dem Aspekt der echten Solidarität Wie lassen sich die Prozesse hin zu mehr Rechtsstaat- gegenüber den Freiheitsbewegungen. Diese können wir lichkeit und Demokratie aus unserer Sicht also beschleu- nur dort beweisen, wo die Staaten mit ihren Produkten nigen? Die Europäische Union hat hierfür im Rahmen bereits heute wettbewerbsfähig sind. Das ist bei sehr vie- ihrer neuen Nachbarschaftspolitik insgesamt 1,24 Mil- len Produkten im Agrarsektor der Fall. Wir müssen uns liarden Euro versprochen. Angesichts der Herausforde- hierüber mit unseren Partnern in den südlichen Ländern rung ist das eine angemessene Summe; auch das wurde auseinandersetzen, was wir im Moment zum Teil nicht bereits erwähnt. Allerdings kommt das Geld viel zu tun. langsam vor Ort an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nur in Tunesien – das ist auch unsere Hoffnung – hat sich das Engagement der EU sichtbar erhöht. Sie haben Wir wissen, dass sie krisengeschüttelt sind. An dieser es gesagt: Hier könnte die Hilfe wirken. Das Prinzip ins- Stelle würde ich mir wünschen, dass wir innerhalb der gesamt, das hinter der neuen Nachbarschaftspolitik steht EU etwas mehr Mut hätten und uns für einen freieren – „More for more“ –, konnte bisher aber in keinem die- Zugang für marokkanische oder tunesische Produkte ser Staaten wirklich neue Impulse geben. einsetzen würden. Deshalb plädieren wir für eine Öff- nung der EU-Agrarmärkte – zur Not auch mit einem Was muss unserer Meinung nach stattdessen gemacht Mehrheitsentscheid. werden? Wir sagen: Vor allem die Zivilgesellschaft muss gefördert werden. Dazu bietet sich eine europäische Stif- Vielen Dank. tung für Demokratie an, um den Wandel im südlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mittelmeerraum dynamisch zu unterstützen.

Die Kollegin von der Linken hat es richtig gesagt: Vizepräsidentin Petra Pau: (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nicht nur Den Beitrag des Kollegen Dr. Wolfgang Götzer aus 1) das!) der Unionsfraktion nehmen wir zu Protokoll. Bei der Migrationspolitik haben wir uns bisher viel zu Ich schließe die Aussprache. lange und viel zu viele wohlmeindende Phrasen geleis- tet. – Anstatt weiter Abwehrmaßnahmen zu praktizieren, 1) Anlage 3 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19065

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- (Beifall bei der LINKEN) (C) empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Viele Polizisten bedeuten nicht viel Sicherheit. Im trag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Für einen Gegenteil: Der UN-Flüchtlingskommissar hält fest – ich Neubeginn der deutschen und europäischen Mittelmeer- zitiere –: Die wachsende Zahl bewaffneter Pro- wie politik“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Antiregierungskräfte lässt das Gefühl von Unsicherheit, empfehlung auf Drucksache 17/6421, den Antrag der Anspannung und Furcht bei den afghanischen Zivilisten Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5487 abzulehnen. ansteigen. – Auch die Pro-Kräfte schaffen Unsicherheit. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Deshalb fordern wir, die deutsche Hilfe für den Polizei- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- aufbau endlich zu beenden. empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die (Beifall bei der LINKEN) Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen angenommen. Menschenrechtsorganisationen sind sich einig: Die afghanische Polizei ist korrupt und gewalttätig gegen die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke eigene Bevölkerung. Sie misshandelt und foltert Festge- mit dem Titel „Selbstständige Entwicklung fördern – nommene. Faire Handlungsbeziehungen zu Ägypten, Jordanien, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Marokko und Tunesien aufbauen“. Wer stimmt für den NEN]: Das wird alles besser, wenn wir die Antrag auf Drucksache 17/8582? – Wer stimmt dage- Ausbildung einstellen? Das ist eine Logik! gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stim- Unglaublich!) men der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Sie kassiert an Checkpoints Schmiergelder und Wege- SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gelder. Sie raubt und vergewaltigt und mordet bei Haus- abgelehnt. durchsuchungen. Sie steht im Dienst von Warlords. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 a und b auf: Selbst der US-Sondergeneralinspekteur stellt einen Konsens in der afghanischen Bevölkerung darüber fest, a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten dass die Polizei hochgradig korrupt und eng mit krimi- Ulla Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer nellen Machthabern verzahnt ist. Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deutsche Polizeiarbeit in Afghanistan NEN]: Na so was! Deswegen nehmen wir – Drucksachen 17/1069, 17/2878 – Reißaus!) (B) (D) – Das kann man nachlesen, Herr Wieland. – Sogar das b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schwedische Militär warnt mittlerweile, das Verhalten richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu der sogenannten Sicherheitskräfte treibe die Bevölke- dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan rung erst recht in die Arme der Aufständischen. Auch Korte, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der das zeigt, Herr Wieland: Die NATO-Politik ist auf gan- Fraktion DIE LINKE zer Linie gescheitert. Abzug deutscher Polizisten aus Afghanistan (Beifall bei der LINKEN – Günter Baumann – Drucksachen 17/4879, 17/8443 – [CDU/CSU]: So ein Blödsinn! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Berichterstattung: deutsche Polizei im NATO-Einsatz!) Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein) Wolfgang Gunkel Im deutschen Sektor in Nordafghanistan wurde vori- Gisela Piltz gen Sommer General Abdul Wahid Rahman, übrigens Ulla Jelpke auch als Baba Jan bekannt, zum Polizeikommandeur er- Wolfgang Wieland nannt. Die Frauenrechtsorganisation RAWA in Afgha- nistan kennt ihn – Zitat – als „brutalen Menschenrechts- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die verletzer, der an Plünderungen und Morden beteiligt Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre war“. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Watch beschuldigt ihn der Kriegsverbrechen an der Zi- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- vilbevölkerung. Die Bundesregierung verwies in der gin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. Antwort auf eine Anfrage von mir auf die Zuständigkeit der afghanischen Justiz. Das ist wirklich ein schlechter (Beifall bei der LINKEN) Witz. Schließlich beklagen Menschenrechtsorganisatio- nen und UNO-Instanzen unisono die allgemeine Straf- Ulla Jelpke (DIE LINKE): losigkeit. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Je län- Die Bild-Zeitung hat vor zwei Monaten einen inzwi- ger wir uns mit dem Polizeiaufbau in Afghanistan befas- schen ermordeten Polizeichef namens Daud Daud er- sen, desto mehr müssen wir erkennen: Er dient nicht wähnt, der nach Angaben des BND in Afghanistan eben- dem Schutz der dortigen Bevölkerung, sondern ist eine falls in Drogengeschäfte verwickelt ist. In der Zeitschrift Facette des Militäreinsatzes. Die Bundeswehr lese ich über einen Anführer der soge- 19066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Ulla Jelpke (A) nannten Afghanischen Lokalen Polizei – Zitat –: „Wer (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die NATO hat die (C) nicht spurt, den peitscht er aus.“ Das sei zwar „gewöh- Oberhand!) nungsbedürftig, aber da halten wir uns raus“. So sieht der angebliche Aufbau der Demokratie bzw. des Rechts- Das begrüßen wir insbesondere deshalb, weil Sie, Frau staats aus. Das können wir wirklich nicht mittragen. Da- Jelpke, noch auf Ihrem Parteitag am 15. und 16. Mai mit muss Schluss sein. 2010 in Rostock festgestellt haben, die Bundesrepublik Deutschland müsse zivile und selbstbestimmte Struktu- (Beifall bei der LINKEN) ren in Afghanistan unterstützen und beim Aufbau helfen. Genau das ist das Ziel unseres Einsatzes. Aber warum Diese Verbrechen sind kein Einzelfall, sondern liegen fordern Sie dann heute genau das Gegenteil von dem, in der Natur der Sache. Da werden junge Männer nach was Sie auf Parteitagen beschließen, nämlich einen voll- acht Wochen Kurzausbildung ohne Abschlussprüfung ständigen Rückzug aller Polizeibeamten? Das passt nicht mit Uniform und Waffen versehen. 90 Prozent von ihnen zusammen, Frau Jelpke. sind im Übrigen Analphabeten und sollen Gesetze durchsetzen, die sie noch nicht einmal lesen können. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Warum läuft das so? Weil die NATO das genau so haben NEN]: Das war der andere Flügel!) will. Sie will keine rechtsstaatliche Kraft aufbauen, son- dern bloß eine einheimische Truppe zur Intensivierung Meine Damen und Herren von den Linken, Ihr Parteitag des Bürgerkrieges. hatte recht: Der afghanische Staat kann die notwendige Aufbauhilfe nicht aus eigener Kraft schaffen. Deshalb en- (Günter Baumann [CDU/CSU]: So ein gagiert sich die internationale Staatengemeinschaft ge- Quatsch! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ nau in diesem Sinne in diesem Land. Dabei wurde der DIE GRÜNEN]: Die Rote Armee muss wie- zivile Wiederaufbau immer in den Vordergrund gestellt. derkommen! Die NATO kann das nicht!) Das von Deutschland verfolgte Konzept für eine zivil Auch die Bundesregierung – Herr Wieland, lesen Sie un- ausgerichtete demokratische Polizei ist geradezu bei- sere Große Anfrage – schreibt in ihrer Antwort, dass spielhaft für unser Agieren im Kontext dieser Strategie. eine Ausbildung im militärischen Sinne notwendig ist. Beteiligt sind BMI, Auswärtiges Amt und das BMZ. Da- Wir sprechen den deutschen Polizisten nicht ihre ehr- bei unterstützen die Deutschen übrigens gerade nicht af- lichen Absichten ab – damit das ganz klar ist –, ghanische Polizeieinheiten wie die ANCOP, die zugege- benermaßen eine paramilitärische Ausrichtung verfolgt, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Jelpke. Die Begründung, wir würden das unterstüt- NEN]: Aber es sind offenbar alles Trottel, die zen, geht völlig fehl. (B) da sind!) (D) Sie behaupten weiter, unser Einsatz sei zum Scheitern aber ihr Einsatz ist zum Scheitern verurteilt, weil die verurteilt und Rechtsstaatlichkeit sei nicht erreicht wor- NATO nicht auf Demokratie, sondern auf die Stärkung den. Das ist nicht nur grundlegend falsch, sondern es be- eines korrupten Regimes setzt. schädigt auch das Ansehen unserer Polizistinnen und (Beifall bei der LINKEN) Polizisten und deren hervorragende Arbeit in Afghanis- tan. Es gibt nur einen einzigen Weg aus dieser Situation: Es muss eine Antikriegspolitik geben. Ziehen Sie nicht (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist doch nur die Bundeswehr aus Afghanistan ab, sondern auch Quatsch!) die Polizei! Holen Sie die Polizisten aus Afghanistan zu- Vor allem unsere bilaterale Mission genießt interna- rück! Das ist die einzige Lösung, die es zurzeit gibt. tional und bei den Afghanen selbst hohe Wertschätzung. (Günter Baumann [CDU/CSU]: Das ist über- Der Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte haupt keine Lösung!) schreitet ebenso planmäßig voran wie die Vorbereitun- gen zur Übergabe der Sicherheitsverantwortung in den Danke schön. Distrikten. (Beifall bei der LINKEN) (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sprechen Sie von Herrn Karzai, oder von wem sprechen Sie?) Vizepräsidentin Petra Pau: Deutschland hat bisher rund 46 000 Polizisten ausgebil- Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die det. Die deutschen Polizeitrainingszentren in Masar-i- Unionsfraktion. Scharif, Kunduz, Faizabad und Kabul gelten landesweit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) als vorbildlich und werden gezielt auf die Übergabe in afghanische Verantwortung ab 2012 vorbereitet. Die Af- ghanen planen sogar, diese Zentren künftig für die ge- Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): samte Ausbildung im Norden Afghanistans zu nutzen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Wer wie Sie hier von einem Misserfolg spricht, stellt die nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Realität völlig auf den Kopf. Herren! Die Linke beschäftigt sich im vorliegenden An- trag mit unseren deutschen Polizeimissionen in Afgha- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nistan; dabei geht es weniger um die NATO. NEN]: Genau!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19067

Armin Schuster (Weil am Rhein) (A) Sie beklagen in Ihrem Antrag weiter, die Ausbildung und den Bau von Trainingszentren. Wir investieren in (C) der Polizei stehe unter militärischer Dominanz insbeson- die Aus- und Fortbildung der Führungskräfte – hier gel- dere der Amerikaner. Wie ist die Realität? In mehreren ten wir übrigens als führend –, in die politische Bildung internationalen Gremien werden landesweit vereinheit- und in Alphabetisierungskurse. All dies dient der Profes- lichte Curricula für die Ausbildung konzipiert, die na- sionalisierung. Daher möchte ich an dieser Stelle unse- hezu alle vom deutschen bilateralen Polizeiprojekt ent- ren Polizistinnen und Polizisten ganz herzlich für diesen wickelt und vom afghanischen Innenministerium als harten, aber erfolgreichen Einsatz danken. Grundlage der Polizeiausbildung in Gesamtafghanistan festgelegt werden. Auch auf diese Weise kann man übri- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP gens rechtsstaatliche Strukturen schaffen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass wir die Arbeit unserer Polizistinnen und Polizis- Meine Damen und Herren von den Linken, an ihnen ten unter den Schutz der Bundeswehr stellen, ist reine sollten Sie sich ein Beispiel nehmen. Sie kennen die Pro- Fürsorge; es ist aber kein Beleg dafür, dass wir eine pa- bleme wie Analphabetentum, zu hohe Fluktuationsraten ramilitärische Ausbildung gestalten. Ich empfehle Ihnen oder technische Rückständigkeit. Jedoch sehen sie diese einen Besuch vor Ort. Dann können Sie live miterleben, als Herausforderung und versuchen, jeden Tag einen dass die Amerikaner zu uns kommen und regelmäßig, kleinen Schritt weiterzukommen. Im Gesamtergebnis fast täglich, um Nachhilfe bitten, wie wir das machen, seit Jahren bezeichnen wir dies wirklich als einen tollen weil sie wissen, dass wir die Besten sind. Erfolg. Jetzt dort abzuziehen, wäre ein völlig falsches Signal. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es! – Ulla Jelpke [DIE (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist zy- LINKE]: Sie wissen doch selber, dass es eine nisch, was Sie als Erfolg bezeichnen!) Polizeiausbildung der NATO gibt!) Ich würde sogar gern über das Gegenteil mit Ihnen Ihre Behauptung, Afghanistan würde prioritär para- diskutieren. Wer Afghanistan stabilisieren will, der muss militärische Einheiten aufstellen – so kommt dies jeden- insbesondere nach dem Abzug der Soldaten die zivile falls in Ihrem Antrag zum Ausdruck –, ist völlig falsch. Aufbauhilfe verstärken. Die eher paramilitärisch ausgerichtete ANCOP hat (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem 5 000 Mann, die ANP hingegen hat 130 000 Mann. Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- entspricht also einem Anteil von nicht einmal 5 Prozent. geordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE Schließlich ziehen Sie in Ihrem Antrag den Schluss, LINKE]: Jeden Tag sterben dort Menschen!) es handele sich um ein Kriegsgebiet, in dem deutsche (B) (D) Polizisten nichts zu suchen hätten. Ob beim Aufbau der Polizei, des öffentlichen Diens- tes oder einer Good Governance: Probleme wie Korrup- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist auch so!) tion oder instabile politische Systeme haben uns, egal in Meine Damen und Herren, hier müssen wir es genau welchen Ländern wir geholfen haben, noch nie veran- nehmen. Es handelt sich um ein Bürgerkriegsgebiet. lasst, Reißaus zu nehmen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Da war der Vertei- Wie ist die Realität? Ich glaube, dass die internatio- digungsminister aber schon weiter in seiner nale Staatengemeinschaft in der Zukunft an Deutschland Einschätzung!) deutlich höhere Bündnisverpflichtungen stellen wird. Worüber, wenn nicht über die zivile und zivilmilitärische Wenn wir hier nicht tätig werden dürften, dann hätten Aufbauhilfe, könnten wir uns politisch schneller eini- wir auch niemals in Kambodscha, Bosnien-Herzego- gen? Ich würde hier gern von einer „German Quick Sta- wina, im Sudan oder von mir aus auch im Kosovo einen bilisation Force“ sprechen, die sich darauf konzentriert, Einsatz haben dürfen. nach Interventionen dabei zu helfen, Länder aufzubauen. (Inge Höger [DIE LINKE]: Hätten wir auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht!) neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Diese Einsätze waren aber erfolgreich, und wir haben GRÜNEN) unsere Ziele erreicht. Wer diese Vision hat, der denkt nicht an Rückzug. Im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gegenteil, er denkt darüber nach, wie man neue Strate- gien für ein stärkeres künftiges internationales Engage- Entscheidend für unseren Einsatz sind die Einstufung ment Deutschlands entwickeln könnte. als Bürgerkriegsregion und die konkret zu beurteilende tatsächliche Sicherheitslage vor Ort. Diese Lage wird Ein letzter Satz: Frau Jelpke, ich hätte nie zu träumen tagtäglich neu eingeschätzt. Unsere Beamten können gewagt, dass ich Ihnen einmal empfehle, auf Parteitags- deshalb seit Jahren dort erfolgreich trainieren, unterstüt- beschlüsse der Linken zu hören. In diesem Fall würde zen und beraten, und zwar rechtlich einwandfrei auf der ich Ihnen das aber wirklich empfehlen. Grundlage der §§ 8 und 65 BPolG. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie haben nicht Nach der Talibanherrschaft bauen wir ein für afghani- richtig gelesen! – Sevim Dağdelen [DIE sche Verhältnisse beachtliches demokratisch orientiertes LINKE]: Sie haben falsch gelesen, Herr Kol- Polizeisystem mit auf. Wir sorgen für eine Infrastruktur lege!) 19068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Armin Schuster (Weil am Rhein) (A) Das wäre eine tolle Sache. Dann hätten wir uns diesen Ja, es gibt dort Korruption und Misswirtschaft. Aber die (C) Antrag erspart, und ich wäre jetzt sicher auf dem Flug zu Lösung für diese Probleme kann doch nicht sein, dass meiner Fastnachtsveranstaltung. wir uns zurückziehen und sagen: Schlimm, aber wenigs- tens haben wir nichts mehr damit zu tun. Danke schön. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutsche Polizistinnen und Polizisten leisten einen essenziellen, einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau ei- Vizepräsidentin Petra Pau: nes Rechtsstaats, zum Aufbau geordneter Strukturen, zur Den Beitrag des Kollegen Wolfgang Gunkel von der langfristigen Stabilisierung des Landes und damit der SPD-Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat ganzen Region. Die FDP-Fraktion hat seit Jahren gefor- der Kollege Jimmy Schulz für die FDP-Fraktion. dert, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dass die afghanische Regierung zunehmend ihre Ei- genverantwortung wahrnehmen und perspektivisch selbst für die Sicherheit im Lande sorgen kann … Jimmy Schulz (FDP): Der Einsatz bewaffneter Streitkräfte … darf nicht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten über Gebühr ausgedehnt werden. Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße natürlich auch die Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen. Von zentraler Bedeutung für die Herstellung stabi- ler Verhältnisse … ist der Aufbau einer funktions- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tüchtigen sowie den rechtsstaatlichen Grundsätzen NEN]: Und an den Sendegeräten!) verpflichteten Polizei. – Jawohl, und an den Rundfunkempfangsgeräten. So weit der Antrag der FDP-Bundestagsfraktion aus der (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- letzten Legislaturperiode. Dazu stehen wir auch heute NEN]: Fast vergessen!) noch. Ich bin mir nicht ganz sicher, was die Kollegen von Wir haben den Abzug der Bundeswehr bereits einge- den Linken mit ihrem Antrag bezwecken. leitet. Vor diesem Hintergrund wollen Sie nun auch noch die Polizei abziehen? (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wir aber! Wir sind uns sicher!) (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ja klar!) Das ist verantwortungslos. Das ist menschenverachtend. (B) Scheinbar wollen Sie durch den Abzug der Polizeiaus- (D) bilder erreichen, dass in Afghanistan der Aufbau ziviler Ist Ihnen eigentlich völlig egal, was dort passiert? Nach Sicherheitsstrukturen dauerhaft verhindert und die Si- einhelliger Expertenmeinung wurde Afghanistan gerade cherheit dort grundsätzlich militarisiert wird. Aber auch deswegen zur Brutstätte von Instabilität, weil die inter- die Bundeswehr hätten Sie ja lieber gestern als heute ab- nationale Gemeinschaft das Land nach dem Abzug der gezogen. Wer soll Ihrer Meinung nach die Ausbildung Sowjets alleingelassen hat. afghanischer Sicherheitskräfte übernehmen? Oder sind (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie der Meinung, dass das Überleben von Mädchenschu- der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- len und öffentlichen Musikaufführungen bereits ausrei- SES 90/DIE GRÜNEN) chend abgesichert ist? Dieses Sicherheitsvakuum hat direkt zur Entstehung der (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wir sind der Mei- Taliban geführt. Und jetzt wollen Sie, dass sich dieser nung, dass Sie kaum etwas erreicht haben!) Kreislauf des Elends wiederholt? Ich würde mich sehr freuen, wenn sich der deutsche (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was haben Sie Beitrag zur afghanischen Polizeiausbildung eines Tages denn bisher verändert? Sagen Sie das doch auf die Ausstrahlung alter Derrick-Folgen beschränken mal!) könnte. – Im Gegensatz zu Ihnen, Frau Jelpke, war ich dort. Ich (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Alte Leier! war in Faizabad, ich war in Kunduz, und ich war auch in Seit Jahren dieselbe Leier!) Masar-i-Sharif. Ich habe vor Ort mit den Polizistinnen Dieser Tag ist aber noch lange nicht gekommen. Bis er und Polizisten gesprochen. Ich habe mich vor Ort selbst kommt, werden wir unseren Beitrag zur afghanischen davon überzeugen können, welche Erfolge sie dort fei- Selbsthilfe etwas konkreter gestalten müssen. ern und wie gut die Ausbildung dort mittlerweile funk- tioniert. Ich habe vor Ort auch mit einem afghanischen Die afghanische Polizei ist ein zentraler Faktor beim Dolmetscher gesprochen, der uns begleitet hat, als wir in Aufbau des Rechtsstaats dort. Ja, die afghanische Polizei den Dörfern unterwegs waren. Er hat mich explizit auf ist alles andere als perfekt. Folgendes hingewiesen: Wir brauchen in diesem Land (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: So nennt man das 20 Jahre Frieden, eine Generation, die in Frieden auf- jetzt: „alles andere als perfekt“!) wächst, ohne Waffen, (Inge Höger [DIE LINKE]: Aber es ist Krieg 1) Anlage 4 da!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19069

Jimmy Schulz (A) damit diese junge Generation die Chance hat, für dieses Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Land Verantwortung zu übernehmen. – Bei diesem Frie- Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland für die den müssen wir ihnen helfen, und das tun wir zum Bei- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. spiel mit der Ausbildung einer rechtsstaatlich orientier- ten Polizei. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- ja nun die letzte Debatte, bevor die närrischen Tage be- ginnen. Da haben Sie einen beachtlichen Vorgriff geleis- NISSES 90/DIE GRÜNEN) tet, Frau Kollegin Jelpke, Natürlich gibt es Probleme bei der Ausbildung und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, beim Aufbau der Polizei – das bestreitet auch niemand –; bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) aber die Lösung kann doch nicht sein, angesichts dieser Probleme den Kopf in den Sand zu stecken. Wir müssen sowohl durch Ihre Rede als auch durch Ihren Antrag. vielmehr die Ausbildung besser gestalten und die Ergeb- Vernunft und Logik wurden da einfach suspendiert. nisse besser kontrollieren. Wir werden natürlich nicht an Sie stellen sich hier allen Ernstes hin und sagen, Kor- den Punkt kommen, an dem sich die Polizei von Afgha- ruption ist ein Riesenproblem bei der afghanischen Poli- nistan und die von Deutschland wirklich vergleichen las- zei – da widerspricht Ihnen ja niemand –, und dieses sen – das ist, glaube ich, allen klar –; aber wir werden Problem werde dadurch gelöst, dass wir unsere Ausbil- nicht den Anspruch aufgeben, die Grundsätze eines der dort abziehen. Sie müssen mir einmal erklären, wo Rechtsstaats dort zu verankern. Das gilt insbesondere für da die Logik sein soll. Sie sagen, die USA haben ein das staatliche Gewaltmonopol. Die Stabilität Afghanis- eher paramilitärisches Bild von der Polizei, das nicht un- tans und die Sicherheit seiner Bevölkerung werden dann ser Bild ist. gesichert sein, wenn zukünftige Generationen von af- ghanischen Jungen nicht mehr mit der Überzeugung auf- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die NATO ist aber wachsen, ihre Familien mit der Kalaschnikow in der führend bei der Polizeiausbildung!) Hand verteidigen zu müssen. Nun erklären Sie einmal, warum das besser werden soll, wenn die Europäer, insbesondere die Deutschen, ihre Wir sind uns der Sicherheitslage in Afghanistan be- Polizeiausbildung dort beenden! wusst. Aber Ihre Behauptung, wir würden deutsche Poli- zisten in einen Krieg schicken, ist einfach nur falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) (B) (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das sagt sogar die (D) GdP!) Ihr ganzer Antrag ist schlechter Agitprop; das will ich Ihnen einmal sagen. Da war sogar der Arbeiterkampf Fortschritte sind durchaus messbar. Probleme werden er- noch vernünftiger. Ihnen wird ja immer vorgehalten, kannt, und in vielen Punkten werden Lösungen gefun- dass Sie über das Niveau nicht hinausgekommen sind. den. Bis 2009, bis zur Londoner Konferenz, wurde viel Aber Sie sind unter diesem Niveau gelandet. zu oft und ohne Maß und Ziel agiert. Jetzt aber wird mit (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das sitzt!) einem ordentlichen Konzept gearbeitet. Das zeigt Er- folge, und wir können mehr Verantwortung übergeben. Der Anfang dieser Polizeiausbildung war schwierig Die Zusammenarbeit mit unseren Partnern läuft eben- bis missglückt; das wissen wir alle. falls erheblich besser. Wir verzeichnen heute größere Er- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Hört! Hört!) folge als zu Beginn unseres Engagements. An dieser Stelle können und dürfen wir nicht umkehren. – Ja, er war schwierig bis missglückt. Wir müssen uns vielmehr dafür einsetzen, dass deut- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was habt ihr für sche Polizistinnen und Polizisten nicht mehr nach Konsequenzen daraus gezogen?) 18 verschiedenen Regeln nach Afghanistan geschickt Man hat das unterschätzt. Aber Sie merken noch nicht werden. Ebenso darf ein Auslandseinsatz kein Hindernis einmal, dass es besser geworden ist, dass es gerade in für die Karriere sein. Hier sind die Kollegen in den Län- letzter Zeit Fortschritte gibt, dern gefordert, sich dafür einzusetzen, dass den Polizis- tinnen und Polizisten, die sich für den Einsatz in Afgha- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Welche?) nistan entscheiden, kein Nachteil entsteht. denn die Antwort auf Ihre Große Anfrage ist von 2010. Die Polizeigewerkschaften, deren Statements Sie noch Von einem Abzug deutscher Polizisten aus Afghanis- nicht einmal verstehen, schildern natürlich die Schwie- tan kann heute keine Rede sein. Die Linke will Afgha- rigkeiten. Sie sagen aber: Wir als deutsche Polizei wol- nistan fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Gut, dass len nicht in den Krieg gehen. die Mehrheit in diesem Haus mehr Verantwortungsbe- wusstsein hat! (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Genau!) Vielen Dank. – Nein. Sie sagen auch nicht: Wir sind drin und wollen raus. Das sagen nur Sie. Alle deutschen Polizeibeamtin- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nen und Polizeibeamten sind dort freiwillig. Sie sind 19070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

Wolfgang Wieland (A) dort mit Unterstützung ihrer Gewerkschaften und Be- [FDP]: Wir glauben das (C) rufsverbände, und sie haben auch die Unterstützung des alle!) ganzen Hauses – mit Ausnahme der fünf Sektierer, die hier sitzen. – Ich glaube daran. – Auch mit anderen Anträgen haben Sie uns in der letzten Zeit beschäftigt. Ich denke an die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Kennzeichnungspflicht für Angehörige der Bundespoli- bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) zei – das war eine ähnliche Aktion – und an die Begren- zung des Einsatzes von Pfefferspray. Ihre Rede ist nachgerade unglaublich. Als ob die deutsche Polizei der NATO unterstellt und Teil des Mili- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) tärs wäre! Damit zeigen Sie immer wieder, dass Sie Probleme mit (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ist sie! Lesen Sie unserer Demokratie haben. es nach!) In Afghanistan – das muss man deutlich sagen – geht Wir haben immer um eine klare Trennung zwischen es um eine Friedensmission, die Hilfe für die Bevölke- Polizei und Militär gerungen. Wir haben keine Milizen rung bedeutet, welche seit Jahrzehnten unterdrückt wird bei uns. Wir haben keine paramilitärischen Polizeiein- und diese Hilfe gerne haben möchte. In dieser Mission heiten, keine Gendarmerie. Das wird so bleiben, weil wir leisten 47 Länder gemeinsam Hilfe. Das ist also keine und auch andere, zum Beispiel die Gewerkschaften, da- deutsche Aktion, wie Sie das zum Teil immer darstellen. rauf achten und weil es um die schwierige Frage – der Eine breite Mehrheit dieses Parlamentes hat diese Ein- Sie sich nicht stellen – geht: sätze beschlossen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie stellen sich (Inge Höger [DIE LINKE]: Aber die Mehrheit auch meinen Argumenten nicht!) der Bevölkerung ist dagegen!) Welche Grundbefriedung muss es in den verschiedenen Im Jahr 2011 waren rund 770 Beamte von Bundes- Regionen Afghanistans geben, damit Polizeiausbildung polizei, Bundeskriminalamt, Zoll und Länderpolizeien dort weiter möglich ist? an sieben verschiedenen Friedensmissionen der Europäi- Die Kollegen haben es gesagt: Wir werden sie quanti- schen Union, an vier Missionen der Vereinten Nationen tativ sogar noch verstärken müssen. Es wurde aus Feh- und an drei bilateralen Projekten an den verschiedensten lern schon gelernt, aber es kann noch weiter gelernt Krisenherden dieser Welt beteiligt. Es ist wichtig, dass werden. Ihre Argumentation – rauszugehen, weil die wir diese Hilfe leisten. (B) Schwierigkeiten so groß sind – ist die Argumentation ei- Es geht darum, demokratische Werte zu vermitteln (D) nes Autofahrers, der sagt: Ich sehe so schlecht durch und Freiheit und Sicherheit vor Ort zu fördern, um eine meine verschmierte Scheibe; da kann ich mir auch gleich Hilfe für die Menschen unmittelbar in der Region. Dass die Augen zubinden. – So argumentieren Sie. Das ist bar diese Hilfe unter oft schwierigen Bedingungen geleistet jeder Logik. wird, ist klar. Das wissen wir. Einige Beispiele, die Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, in diesem Zusammenhang genannt haben, sind durchaus bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) richtig. Aber das ist natürlich nicht die Mehrzahl. Sicher- lich gibt es Probleme, deswegen müssen wir auch – Herr Schuster hat es deutlich gesagt – ganz besonders unseren Vizepräsidentin Petra Pau: Polizistinnen und Polizisten, die diesen Einsatz im Aus- Ich gebe das Wort dem Kollegen Günter Baumann land unter schweren Bedingungen leisten, von dieser von der Unionsfraktion. Stelle aus ganz herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Günter Baumann (CDU/CSU): Deutschland hilft in Afghanistan seit 2002 beim Auf- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und bau einer Polizei. Eine funktionierende und rechtsstaatli- Kollegen! Mit dem an diesem Freitagnachmittag vorlie- che Polizei ist die Grundlage für Demokratie, für einen genden Antrag der Linken „Abzug deutscher Polizisten funktionierenden Staat. aus Afghanistan“ beweist die Fraktion Die Linke erneut, dass sie ein Problem mit unserer demokratischen Grund- Die Ausbildung afghanischer Polizeikräfte verläuft ordnung und mit den internationalen Verpflichtungen, keineswegs so desaströs, wie Sie es darstellen. Es ist ein- die wir weltweit eingehen, hat. fach eine schwierige Mission, die wir dort durchführen Ich möchte ausdrücklich betonen, Frau Jelpke: Ihr müssen, um dem Land zu helfen. Bisher – Stand Oktober Antrag ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die be- 2011 – gibt es rund 139 000 Polizisten in Afghanistan. reit sind, in Auslandsmissionen Hilfe zu leisten, die für Ziel ist es, diese Zahl bis Oktober dieses Jahres auf Freiheit und Demokratie stehen. 157 000 zu erhöhen. Dafür hat Deutschland gegenwärtig 200 Polizisten im Land, die dort die Ausbildung durch- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – führen. Das ist wichtig für den Staat. Deutschland leistet Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das glauben damit Entwicklungshilfe beim Staatsaufbau in Afghanis- Sie doch selber nicht! – Gegenruf des Abg. tan. Das muss man ganz deutlich sagen. Herr Schuster Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19071

Günter Baumann (A) hat bereits auf die Bedeutung hingewiesen; das kann ich sind eindeutig da. Beratung, Ausbildung, Personalent- (C) mir sparen. wicklung sind der richtige Weg, um ein Land in die Selbstständigkeit zu führen. Auch nach der Proklama- Das Train-the-Trainer-Programm, mit dem wir afgha- tion der Unabhängigkeit von 2008 ist im Kosovo nach nische Polizisten zu Trainern ausbilden, damit die Af- wie vor Unterstützungsarbeit erforderlich. Das dauert ghanen ihre Polizisten selbst ausbilden können, funktio- eben seine Zeit. Dies wird auch der Weg für Afghanistan niert sehr gut. Hier erzielen wir eine ganze Reihe von sein. Erfolgen. Auch wenn wir 2014 die Sicherheitsverantwortung an Meine Damen und Herren der Linksfraktion, Schwie- Afghanistan übergeben, werden wir und die internatio- rigkeiten, die es durchaus gibt, dürfen nicht zu der nale Staatengemeinschaft das Land weiter gemeinsam Schlussfolgerung führen, dass wir jetzt aufhören und die unterstützen müssen. Wir werden die afghanische Bevöl- Polizeiausbilder abziehen müssen. Das wäre der falsche kerung, Männer, Frauen und Kinder, nicht im Stich las- Weg. Wir müssen unseren internationalen Verpflichtun- sen. Wir werden auch nicht, wie es die Linken in ihrem gen gerecht werden und uns diesen Herausforderungen Antrag fordern, einfach davonrennen. stellen. Das tun wir auch. Vielen Dank. Es geht langfristig um einen geordneten Übergang, den Aufbau einer afghanischen Sicherheitsarchitektur im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Land, um die Souveränität des Landes Afghanistan her- zustellen. Das geht nun einmal nicht ohne Polizei. Des- Vizepräsidentin Petra Pau: wegen leisten wir diesen Beitrag. Konsequenz aus den Ich schließe die Aussprache. Schwierigkeiten kann nicht sein, aufzuhören. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- Wir leisten auch eine ganze Reihe anderer Hilfen, fehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion zum Beispiel durch Alphabetisierungskurse, Ausbil- Die Linke mit dem Titel „Abzug deutscher Polizisten aus dungseinheiten, die die Wahrung der Menschenrechte Afghanistan“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- zum Inhalt haben, sowie ein transparentes Lohnüberwei- schlussempfehlung auf Drucksache 17/8443, den Antrag sungssystem, um dem Thema Korruption entscheidend der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4879 abzuleh- zu begegnen. Alle Maßnahmen bringen Schritt für nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Schritt Erfolg, aber sie reichen bei weitem noch nicht stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- aus. Ein Rückzug wäre jetzt der absolut falsche Weg. empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktionen, Mit Blick auf die Geschichte dieses Landes – 30 Jahre der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Unterdrückung, 30 Jahre Bürgerkrieg – wird deutlich, (B) Bündnis 90/Die Grünen bei Ablehnung der Fraktion Die (D) dass wir weitermachen müssen, damit die positiven Ent- Linke angenommen. wicklungen fortgesetzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Der Polizeieinsatz verlangt Engagement und Geduld; Schluss unserer heutigen Tagesordnung. der Erfolg stellt sich nicht von heute auf morgen ein. Die Beispiele aus anderen Ländern dieser Welt, die Herr Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Schuster bereits angeführt hat, zeigen ja, dass es funktio- destages auf Montag, den 27. Februar 2012, 15 Uhr, ein. niert. Ich denke zum Beispiel an die EULEX-Mission im Die Sitzung ist geschlossen. Kosovo. Dort haben wir jahrelang gearbeitet und müssen auch heute noch Aufgaben erfüllen. Aber die Erfolge (Schluss: 15.21 Uhr)

Anlagen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19073

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Alpers, Agnes DIE LINKE 10.02.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ 10.02.2012 DIE GRÜNEN Becker, Dirk SPD 10.02.2012 Lange, Ulrich CDU/CSU 10.02.2012 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ 10.02.2012 DIE GRÜNEN Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 10.02.2012

Breil, Klaus FDP 10.02.2012 Luksic, Oliver FDP 10.02.2012

Brinkmann SPD 10.02.2012 Menzner, Dorothée DIE LINKE 10.02.2012 (Hildesheim), Bernhard Mücke, Jan FDP 10.02.2012

Burchardt, Ulla SPD 10.02.2012 Dr. Neumann (Lausitz), FDP 10.02.2012 , Martin SPD 10.02.2012 Paula, Heinz SPD 10.02.2012 Dreibus, Werner DIE LINKE 10.02.2012 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 10.02.2012 Friedhoff, Paul K. FDP 10.02.2012 Poß, Joachim SPD 10.02.2012 Dr. Geisen, Edmund FDP 10.02.2012 (B) Peter Remmers, Ingrid DIE LINKE 10.02.2012 (D)

Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 10.02.2012 Schmidt (Eisleben), SPD 10.02.2012 Silvia Glos, Michael CDU/CSU 10.02.2012 Steinbach, Erika CDU/CSU 10.02.2012 Günther (Plauen), FDP 10.02.2012 Joachim Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ 10.02.2012 DIE GRÜNEN Gutting, Olav CDU/CSU 10.02.2012 Zapf, Uta SPD 10.02.2012 Hempelmann, Rolf SPD 10.02.2012

Dr. Höll, Barbara DIE LINKE 10.02.2012 Anlage 2 Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 10.02.2012 Zu Protokoll gegebene Rede

Kipping, Katja DIE LINKE 10.02.2012 zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Körper, Fritz Rudolf SPD 10.02.2012 Antrag: Für einen Neubeginn der deutschen und europäischen Mittelmeerpolitik Kramme, Anette SPD 10.02.2012 – Antrag: Selbständige Entwicklung fördern – Krellmann, Jutta DIE LINKE 10.02.2012 Faire Handelsbeziehungen zu Ägypten, Jor- danien, Marokko und Tunesien aufbauen Kretschmer, Michael CDU/CSU 10.02.2012 (Tagesordnungspunkt 23 a und b) Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ 10.02.2012 DIE GRÜNEN Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Die Transforma- tionsprozesse in Nordafrika sind, wie die jüngsten Aus- Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ 10.02.2012 schreitungen in Ägypten mit über 70 Toten zeigen, teil- DIE GRÜNEN weise noch weit von einem friedlichen Ausgang 19074 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

(A) entfernt. Noch sind keine neuen Strategien für den Mit- So hat die europäische Kommission bereits sehr (C) telmeerraum gefragt, sondern konkrete Ad-hoc-Maßnah- schnell nach Beginn der arabischen Revolution ihre Eu- men, die die Transformationsprozesse begleiten und in ropäische Nachbarschaftspolitik neu auf die Bedürfnisse demokratische, rechtsstaatliche Bahnen lenken helfen. der Transformationsländer ausgerichtet und diese im Deshalb hat die Bundesregierung die Transformations- Lichte der fortschreitenden Umwälzungsprozesse konti- partnerschaften mit Tunesien und Ägypten ins Leben nuierlich weiterentwickelt. Erst letzten September hat gerufen. Deshalb hat auch die EU ihre Nachbarschafts- die EU erneut vier weitere Programme zur Unterstüt- politik überarbeitet und an die Erfordernisse der Trans- zung der Transformationsländer beschlossen, nämlich: formationsländer angepasst. ein Unterstützungsprogramm zur nachhaltigen Förde- rung demokratischer Transformation und wirtschaftli- Mit diesen Maßnahmen und Programmen haben wir cher Entwicklung mit einem Gesamtumfang von einen Neubeginn der deutschen und europäischen Mit- 350 Millionen Euro, Maßnahmen zur Förderung der är- telmeerpolitik in Gang gesetzt. Dabei haben die Bundes- meren Gebiete Tunesiens, Maßnahmen zur Förderung regierung und die EU strategische Weitsicht bewiesen. der Zivilgesellschaft sowie ein erweitertes „Erasmus Denn wenn es uns gelingt, Einfluss auf den Verlauf der Mundus Programm“ zur Förderung des wissenschaftli- Transformationsprozesse auszuüben und den Aufbau de- chen Austausches. mokratischer Staaten in Nordafrika zu unterstützen, ist das die beste Basis für eine EU-weite langfristig erfolg- Damit will die EU stärker Demokratie, Menschen- reiche Mittelmeerpolitik. rechte und Rechtstaatlichkeit fördern, die Zusammenar- beit mit der Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt rücken, Hierzu sind wir mit der gegenwärtigen deutschen sowie Hilfsgelder aufstocken und deren Vergabe ver- Mittelmeerpolitik auf dem besten Weg. Im Rahmen von stärkt an die Einhaltung demokratischer Werte und Nor- Transformationspartnerschaften mit Tunesien und Ägyp- men binden. Ferner wird sich die EU auch für die sensi- ten fördern wir effizient den demokratischen und rechts- blen Themen wie Mobilität und Handelserleichterungen staatlichen Wandel in der Region. im Interesse der Transformationsländer öffnen. Was unsere Kooperation mit Tunesien, dem Land, Hierzu wird die EU Verhandlungen über vertiefte und von dem die Umwälzungen in der arabischen Welt aus- umfassende Freihandelszonen mit Ägypten, Tunesien, gingen, angeht, so hat Deutschland bereits Anfang 2011 Marokko und Jordanien führen. Diese Freihandelszonen Unterstützung angeboten. Darauf aufbauend vereinbar- sind für uns von zentraler Bedeutung, wenn es darum ten beide Seiten dann, diese Zusammenarbeit in einem geht, die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche „Transformationsdialog“ zu verstetigen. Darüber hinaus Entwicklung der Region zu schaffen. Als Fernziel sollen beinhaltet eine gemeinsame Absichtserklärung über die sie die Errichtung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums (B) (D) Transformationszusammenarbeit vom September letz- ermöglichen, der Nordafrika eng mit der EU verbinden ten Jahres umfassende Kooperationsansätze für die kom- wird. menden zwei Jahre. Genau in dieser engeren wirtschaftlichen Verbindung Auch die Unterstützung für Ägypten ist im Rahmen sehen wir im Gegensatz zur Fraktion Die Linke eine der Kooperationspartnerschaft erfolgreich angelaufen. Chance, die Zukunft diesseits und jenseits des Mittel- Die Bedeutung der Transformationspartnerschaft für den meers gemeinsam zu gestalten. Es geht der EU entgegen weiteren Ausbau der deutsch-ägyptischen Beziehungen der Meinung der Linken nicht darum, die Reformpro- betonten der deutsche und der ägyptische Außenminister zesse in Ägypten, Tunesien, Marokko und Jordanien für in der Berliner Erklärung vom August 2011. Bleibt zu ihre wirtschaftlichen Interessen auszunutzen. Im Gegen- hoffen, dass die mehr als unerfreulichen Ereignisse im teil! Die Bereitschaft der EU zur Vertiefung der Handels- Zusammenhang mit den deutschen politischen Stiftun- und Investitionsbeziehungen mit den Transformations- gen in Ägypten diesen Prozess nicht nachhaltig beschä- ländern zeugt von dem Bestreben, die Wirtschaftsbezie- digen. hungen zum beiderseitigen Nutzen und auf partner- schaftlicher Ebene zu vertiefen. Die Schwerpunkte beider Transformationspartner- schaften für 2012 und 2013 sind: die Stabilisierung des Diese richtungweisenden europäischen Initiativen, Demokratisierungsprozesses, die Stärkung der Zivilge- fixiert in den Ratsschlussfolgerungen vom Dezember sellschaft, die Förderung von Menschenrechten und 2011, zeugen von der Bereitschaft, über konkrete Ad- Rechtstaatlichkeit, die Unterstützung guter Regierungs- hoc-Maßnahmen hinaus den Grundstein für eine lang- führung, wirtschaftliche und soziale Stabilisierung und fristige, nachhaltige EU-Mittelmeerpartnerschaft zu le- Kooperation im Bildungs- und Wissenschaftsbereich. gen. Insgesamt wird die Bundesregierung 2012 und 2013 Diese erfolgreiche Bilanz der deutschen und europäi- zusätzliche Mittel in Höhe von 100 Millionen Euro zur schen Mittelmeerpolitik der letzten Monate zeigt: Wir Verfügung stellen. 60 Prozent der Mittel sollen den poli- sind auf dem richtigen Weg. Uns allen kann nur daran tischen und wirtschaftlichen Wandel unterstützen, gelegen sein, den arabischen Ländern, die sich jetzt im 40 Prozent den Bildungs- und Wissenschaftsbereich. Umbruch befinden, vernünftige und nachhaltige Unter- stützungsmaßnahmen anzubieten, die ihren Bedürfnis- Auch die gegenwärtige europäische Mittelmeerpolitik sen gerecht werden. Nur so schaffen wir die Basis für ist so angelegt, dass sie den Anforderungen der Transfor- eine zukünftige Mittelmeerpolitik, die auf gemeinsamen mationsländer gerecht wird. Werten und Idealen fußt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012 19075

(A) Anlage 3 dern um eine Schnellschulung paramilitärischer Einhei- (C) ten. Ein solcher „Polizeiaufbau“ macht keinen Sinn, und Zu Protokoll gegebene Rede dafür sollten und dürfen keine deutschen Polizisten ein- zur Beratung: gesetzt werden. – Große Anfrage: Deutsche Polizeiarbeit in Ungeachtet dessen muss die Polizeiausbildung in Afghanistan Afghanistan differenzierter betrachtet werden. Denn es sind auch einige richtige Ansätze für den Aufbau einer – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Polizei in Afghanistan zu finden. So beispielsweise im Antrag: Abzug deutscher Polizisten aus Rahmen der Europäischen Polizeimission in Afghanis- Afghanistan tan (EUPOL AFG) – etwa an der Polizeiakademie in Kabul – durch die der afghanischen Regierung gut aus- (Tagesordnungspunkt 24 a und b) gebildete Polizeioffiziere bereitgestellt werden. Aller- dings ist EUPOL hoffnungslos unterfinanziert, weshalb Wolfgang Gunkel (SPD): Der Polizeiaufbau in es noch Jahre für einen Polizeiaufbau bräuchte, der die- Afghanistan ist nicht zum ersten Mal Thema im Deut- sen Namen auch verdient. Denn während 2010 etwa schen Bundestag, und auch durch mehrere Reisen in die 700 Millionen Euro allein in den Militäreinsatz der Bun- Region konnte ich mir bereits ein Bild von der Entwick- deswehr geflossen sind, liegt das EUPOL-Budget für lung und Lage vor Ort machen. Dass der Aufbau der Si- ganz Afghanistan weit unter dieser Summe. cherheitskräfte als Schlüssel für eine dauerhafte Stabili- Wenn wir parallel zur Forderung, die Bundeswehr aus sierung des Landes angesehen wird, ist richtig. Solche Afghanistan abzuziehen, die Bedeutung ziviler Aufbau- Sicherheitskräfte müssen loyal zu einer afghanischen projekte hervorheben und hier größere Anstrengungen Zentralregierung stehen und in der Lage sein, das Ge- der westlichen Welt verlangen, so gehört zum Aufbau ei- waltmonopol des afghanischen Staatswesens zu garan- ner Zivilgesellschaft neben einer funktionierenden Ver- tieren. waltung und einem Justizwesen, frei von Korruption, Doch genau da liegt das Problem. Und der Antrag der auch eine gut ausgebildete und funktionierende Polizei. Fraktion Die Linke, den wir hier debattieren, enthält in Dass Afghanistan hier noch ganz am Anfang steht und seiner Bestandsaufnahme und Analyse einige richtige die Erfolgsaussichten, so wie sich die Lage jetzt dar- Punkte. So stimmt es, dass die afghanische Polizei zum stellt, sehr gering sind, habe ich betont. Nur wäre es sehr größten Teil eine Bürgerkriegstruppe im Kampf gegen wohl ein Fehler, die kleinen Ansätze, wie sie zum Bei- die Aufständischen ist. Richtig ist auch, dass Korruption spiel in EUPOL zu finden sind, auch noch durch den und militärische Ansätze in der Polizeiausbildung das kompletten Abzug aller Polizeiexperten und Ausbilder (B) (D) Bild der bisherigen Aufbauarbeit prägen. Auch dass zu zerstören. EUPOL birgt durchaus Chancen und ver- Polizisten vielerorts mehr oder weniger als „Kanonen- dient größere Unterstützung. Deshalb können wir einen futter“ im Bürgerkrieg eingesetzt werden, ist zutreffend. Antrag nicht unterstützen, der die Bundesregierung unter Dies zeigt sich auch darin, dass bislang in Afghanistan anderem auffordert, „EUPOL Afghanistan einzustellen“ doppelt so viele Polizeikräfte getötet wurden wie afgha- und alle Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten unver- nische und ISAF-Soldaten zusammen. Auch stimmt es, züglich abzuziehen. Denn eine zukünftige afghanische dass die Polizei in der afghanischen Bevölkerung einen Zivilgesellschaft, so ihr Aufbau denn gelingt, braucht extrem schlechten Ruf genießt und mehr als Teil des Si- eine Polizei, die den Namen „Polizei“ auch verdient. cherheitsproblems denn als dessen Lösung wahrgenom- men wird. Anlage 4 Doch wie soll es auch anders kommen, wenn soge- nannte Polizisten in gerade einmal sechs Wochen ein- Amtliche Mitteilungen satzbereit gemacht werden oder US-Streitkräfte afghani- Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- sche „Polizisten“ sogar innerhalb einer Woche durch geteilt, dass sie die Anträge Dienstwagenprivileg ab- private Sicherheitsfirmen ausbilden lassen? Wie soll es bauen und Besteuerung CO2-effizient ausrichten auf anders kommen, wenn 70 bis 85 Prozent der rekrutierten Drucksache 17/2140 sowie ELENA – Meldepflicht auf- Männer Analphabeten sind (siehe Antwort zu Frage 83, heben und Daten der Beschäftigten löschen auf Drucksa- Bundestagsdrucksache 17/2878)? Wie soll es anders che 17/5527 zurückzieht. kommen, wenn es aufgrund der fehlenden Zusammenar- beit von Polizei, Verwaltung und Justiz fraglich ist, wem Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben die „Polizisten“ ihre Loyalität schulden, ob den westli- mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 chen Streitkräften, lokalen Stammesfürsten, der Zentral- Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung regierung in Kabul oder erst einmal nur ihren ureigenen zu der nachstehenden Vorlage absieht: persönlichen Interessen? Es konnte und kann auch nicht anders kommen, wenn es beim Aufbau eines zivilen Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Polizeiapparates in erster Linie darum geht, diejenigen Männer, die bereit sind, mit den Streitkräften gegen die – Bericht gem. § 56a GO-BT des Ausschusses für Bildung, Taliban zu kämpfen, unter Waffen zu stellen und unter Forschung und Technikfolgenabschätzung dem Gesamtbegriff „Polizei“ zusammenzufassen. Hier- Technikfolgenabschätzung (TA) bei handelt es sich nicht um „Polizeiausbildung“, son- Innovationsreport 19076 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 159. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Februar 2012

(A) Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft im Haushaltsausschuss (C) Hinblick auf die EU-Beihilfepolitik – am Beispiel der Drucksache 17/8227 Nr. A.25 Nanoelektronik Ratsdokument 17231/11 – Drucksache 17/4982 – Drucksache 17/8426 Nr. A.17 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument SN4747/11 Jahreswirtschaftsbericht 2012 der Bundesregierung Drucksache 17/8426 Nr. A.18 Ratsdokument 17230/11 – Drucksachen 17/8359 –

Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/8515 Nr. A.36 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 18960/11 Bericht der Bundesregierung über die Situation der Versorgung der Bevölkerung mit Gewebe und Gewebe- zubereitungen Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und – Drucksache 17/2751, 17/2971 Nr. 1.17 – Verbraucherschutz Drucksache 17/8426 Nr. A.36 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 18310/11 Bericht des Bewertungsausschusses über die Entwick- lung der Vergütungs- und Leistungsstruktur in der ver- tragsärztlichen Versorgung für das 1. bis 4. Quartal Verteidigungsausschuss 2009 Drucksache 17/8227 Nr. A.36 und Ratsdokument 16702/11 Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksache 17/4000, 17/4499 Nr. 1.2 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/8227 Nr. A.39 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Ratsdokument 16582/11 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- Drucksache 17/8426 Nr. A.42 dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Be- Ratsdokument 17844/11 ratung abgesehen hat.

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (B) Petitionsausschuss (D) Drucksache 17/7423 Nr. A.1 Drucksache 17/8227 Nr. A.47 EP P7_TA-PROV(2011)0382 Ratsdokument 16945/11

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