Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000

Geschichte Wichtrach Heft 10, Version 2.0 (www.wichtrach.ch/Portrait/Ortsgeschichte/Wichtracher Hefte)

Übersicht:

Heft Titel Periode 1 Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter 300 v. Chr. - 1406 2 Wichtrach unter Schultheiss und Rat von 1406 - 1740 3 Vom Niedergang des alten Bern bis zum demokratischen Volksstaat 1740 - 1848 4 Vom Bundesstaat bis zum 1. Weltkrieg 1848 - 1914 5 Die Zeit der Weltkriege 1914 - 1945 6 Das «Heute» wird 1946 - 1975 7 Konsolidierung und Ausbau 1975 - 2003 8 Die Migration in die Gemeinde Wichtrach 2004 - 2015 9 Sonderheft „Wichtrachs Milleniumwerk: Die Fusion“ 1999 - 2004 10 Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach“ 1180 - 2000 11 Sonderheft „Wichtrachs Wirtschaft“ 1848 – 2011 12 Sonderheft «Hüser vo Wichtrach (erzählen Geschichten)» Ab 16. Jahrh.

Kritik, Ergänzungen, Verweise, Anregungen zu diesem Heft sind zu richten an:

Peter Lüthi, Bergacker 3, 3114 Wichtrach; [email protected]; Tf. 031 781 00 38

Aufarbeitungen erfolgen möglichst mit der nächsten Version

Das Konzept der Wichtracher Hefte ist in Heft 1, Anhang 6

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 1 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach

Achtung: Kursiv geschriebene Teile verweisen auf Pendenzen, zu bearbeitende oder in Bearbei- tung stehende Beiträge. Anhang 1 zeigt die verschiedenen Geschehnisse in der zeitlichen Abfolge.

Inhalt

1. Zur bernischen Kirchengeschichte ...... 4 1.1. Kirchliche Verhältnisse vor der Reformation ...... 4 1.2. Der Reformationsprozess in Stadt und Republik Bern ...... 5 1.3. Die Reformation im Dekanat Münsingen ...... 6 1.4. Die reformierte Kirche in der Republik Bern, bis zur Helvetik, 1798 ...... 6 1.4.1. Die bernische Kirche wird zur «Staatskirche» ...... 6 1.4.2. Kirchliche Organisation und Aufgaben der Pfarrer ...... 6 1.4.3. Die Besoldung der Pfarrer ...... 8 1.4.4. Religiöse Strömungen und weltliche Entwicklungen ...... 9 1.5. Die kirchliche Gerichtsbarkeit ...... 10 1.5.1. Das Chorgericht ...... 10 1.5.2. Das Sittengericht ...... 11 1.5.3. Der Friedensrichter ...... 11 1.6. Grosse Veränderungen, von der Helvetik zur Regeneration (1798 – 1848) ...... 11 1.7. Der Weg in die Moderne, die Staatskirche wird zur Volkskirche ...... 12 2. Die Kirchgemeinde Wichtrach entsteht ...... 14 2.1. Die Frühgeschichte bis zur Reformation ...... 14 2.2. Prägende Personen bis zur Reformation ...... 15 2.2.1. Albanus, Pfarrer und Dekan von Wichtrach ...... 15 2.2.2. Sebastian von Stein, Herrschaftsherr von Münsingen ...... 15 2.2.3. Dekan Güntisberg von Münsingen ...... 15 2.2.4. Jakob Trayer, Pfarrer von Wichtrach, Kammerer des Dekanats Münsingen ...... 15 2.3. Die Zeit nach der Reformation ...... 15 2.3.1. Die Pfrund Wichtrach unter Schultheiss und Rat Bern ...... 15 2.3.2. Wichtrach, die „Altersresidenz“ ...... 16 2.3.3. Der Einfluss der Kirche auf die Entwicklung der Bevölkerung und der Ökonomie ...... 16 2.4. Mediation und Restauration, Pfarrer Johann Rudolf Wyss ...... 16 2.4.1. Strukturelle und personelle Veränderungen von der Helvetik zur Mediation ...... 16 2.4.2. Der Oberamtmann greift ein ...... 17 2.4.3. Die Auseinandersetzung um die Nutzung der Schulstube für die Kinderlehre ...... 17 2.4.4. Zum Predigtbesuch – Singen und Musizieren ...... 18 2.4.5. Die Sorge um die Sittlichkeit...... 18 2.4.6. Der „eiserne Besen“ in der Schule ...... 19 2.4.7. Das Bestattungswesen ...... 19 2.4.8. Pfarrbücher, fleissige Führung ...... 20 2.4.9. Das Zivilstandswesen ...... 21 2.4.10. Das Kirchengut ...... 21 3. Die Entwicklung der Kirchgemeinde Wichtrach ab der Regeneration ...... 22 3.1. Die kantonalen Veränderungen ab 1830 schränken die Kirchgemeinden ein ...... 22 3.2. Pfrunddomänen werden versteigert, der Kanton braucht wohl Geld ...... 22 3.3. Die Umsetzung der Kirchengesetze von 1852 und 1874 in Wichtrach braucht Zeit ...... 22 3.3.1. Das Reglement der Kirchgemeinde Wichtrach vom 26. September 1860 mit Corporationskapital ...... 22 3.3.2. Die Kirchgemeinde ab 1874 ...... 23 3.3.3. Über die finanzielle Lage der Kirchgemeinde ...... 24 3.3.4. Das soziale Engagement der Kirchgemeinde ...... 24 3.4. Die Kirchgemeinde im 20. Jahrhundert ...... 24 3.4.1. Die „Waldkirche“ entsteht im Jahr 1900 ...... 24 3.4.2. Allgemeine Entwicklungen bis und mit 1. Weltkrieg ...... 25 3.4.3. Der erste Weltkrieg, die spanische Grippe ...... 25 3.4.4. Das kirchliche Frauenstimmrecht ...... 26 3.4.5. Allgemeine Entwicklungen bis und mit dem 2. Weltkrieg ...... 26 3.4.6. Der 2. Weltkrieg ...... 26 3.4.7. Allgemeine Entwicklungen ab Ende 2. Weltkrieg ...... 27 3.5. Der Kirchliche Unterricht ab 1900 ...... 28 3.5.1. Die Sonntagsschule ...... 28 3.5.2. Die Kinderlehre ...... 28 3.5.3. Die Unterweisung ...... 28 3.5.4. Neukonzept für den kirchlichen Unterricht ...... 28

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3.6. Die „Junge Kirche“ ...... 29 3.7. Kirchengesang, ein ständiges Thema, der Kirchenchor entsteht ...... 29 3.8. Pfarrer und Pfarrerinnen in Wichtrach: Persönlichkeiten, Besonderes ...... 29 3.8.1. «Pfarrherren» sind auch Menschen ...... 29 3.8.2. Veränderungen der Aufgaben der Pfarrer, das Pfarramt wächst ...... 30 3.9. Die Angestellten der Kirchgemeinde ...... 31 4. Wichtrachs kirchliche Infrastruktur ...... 31 4.1. Die Kirche ...... 31 4.1.1. Über die frühe Kirche ...... 31 4.1.2. Die Kirche von 1744/46 ...... 31 4.1.3. Der Chor kommt zu Wichtrach, die Sanierungen bis zum Brand ...... 32 4.1.4. Der Brand von 1913 ...... 33 4.1.5. Der Umbau 1948 und weitere Massnahmen im Innern ...... 34 4.1.6. Aussensanierung, Arbeiten am Kirchturm und am Glockenspiel ...... 35 4.1.7. Der Umbau der Kirche von 2008...... 35 4.1.8. Diverse Sanierungen und Investitionen ...... 36 4.1.9. Über den Hahn auf der Kirchturmspitze ...... 37 4.1.10. Das neue Dach der Kirche ...... 37 4.2. Der Friedhof und die kirchlichen Aussenräume ...... 37 4.2.1. Neue Bestattungsformen ...... 37 4.2.2. Parkplatz und Verlegung des Chilchwägli 1974, Totenkammer, WC, Taufe-Zimmer ...... 38 4.2.3. Friedhof und Aussenräume wachsen ...... 38 4.2.4. Die Aufbarungshalle von 1977 ...... 39 4.2.5. Die Zugänge zur Kirche ...... 39 4.3. Das Archiv ...... 40 4.4. Das Pfarrhaus mit Nebengebäuden ...... 40 4.4.1. Die Übertragung von Pfarrhaus, Ofenhaus und Pfrundmatte an die Kirchgemeinde ...... 40 4.4.2. Das alte Pfarrhaus ...... 40 4.4.3. Der Pfarrhaus-Neubau von 1952 - 1954 ...... 41 4.4.4. Das Unterweisungszimmer ...... 41 4.4.5. Vom Ofenhaus zum 1. Kirchgemeindehaus ...... 42 4.4.6. Der Pfarrhausweg, die Pfarrhausparzelle und deren Umgebung ...... 43 4.5. Das neue Kirchgemeindehaus ...... 43 4.6. Das Ferienheim der Kirchgemeinde Wichtrach ...... 44 5. Über das „kirchliche, religiöse und sittliche Leben der Kirchgemeinde Wichtrach“ ...... 44 5.1. In der Zeit von 1906 - 1909 ...... 44 5.2. In der Zeit von 1911 - 1920 ...... 45 5.3. In der Zeit von 1931 - 1950 ...... 46 5.4. In der Zeit von 1951-1960 ...... 46 5.5. In der Zeit von 1961 - 1970 ...... 47 5.6. In der Zeit von 1981-1990 ...... 47 6. Die Bürgerliche Kirchgemeinde ...... 47 6.1. Die Entstehung und Entwicklung ...... 47 6.1.1. Die bürgerliche Abteilung der Kirchgemeinde, 1874 - 1921 ...... 47 6.1.2. Der Gemeindeverband „Bürgerliche Kirchgemeinde Wichtrach“, 1921 - 2008 ...... 48 6.1.3. Der Gemeindeverband für das Bestattungs- und Friedhofwesen, ab 2009 ...... 50 6.2. Die Entwicklung der Aufgaben ...... 50 6.2.1. Das Bestattungswesen ...... 50 6.2.2. Das Zivilstandsamt ...... 51 6.2.3. Die „Mädchenfortbildungsschule“ bzw. der „hauswirtschaftliche Unterricht“ ...... 51 Anhänge ...... 53 Anhang 1: Zeittabelle ...... 53 Anhang 2: Die Christianisierung der Schweiz ...... 54 Anhang 3: Pfarrer und Pfarrerinnen der Kirchgemeinde Wichtrach ...... 56 Anhang 4: Zu den Volksbefragungen anlässlich der Reformation ...... 57 Anhang 5: Das Reformationsmandat von 1528 ...... 58 Anhang 6: Die Pfrund Wichtrach ...... 59 Anhang 7: Reglement der Kirchgemeinde Wichtrach, 20. November 1860 mit Vermögensausweis ...... 60 Anhang 8: Beerdigungsreglement für den Begräbnisbezirk Wichtrach, 21. 9. 1887 ...... 64 Anhang 9: Reglement der Kirchgemeinde Wichtrach, bürgerliche Abteilung, 4.9.1901 ...... 65 Anhang 10: Abtretungsvertrag mit Übereinkunft Kanton-Kirchgemeinde Wichtrach 5.9.1894 ...... 69 Anhang 11 Schriften aus dem Knauf, geöffnet anlässlich Brand 1913...... 71 Anhang 12: Friedhof, Ausbauplan 1974 ...... 74

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 3 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 1. Zur bernischen Kirchengeschichte Ausgewählt und zusammengefasst: Peter Lüthi Über die Christianisierung der Schweiz, die Bistümer, das Mönchtum, die Klöster und die Kreuzzüge wird auf Anhang 2 verwiesen. 1.1. Kirchliche Verhältnisse vor der Reformation1 Im Hoheitsgebiet Berns waren vier Bistümer zuständig: Sitten, Lausanne, Basel und Konstanz. Dass die bischöflichen Zentren weitab von der Stadt Bern waren, begünstigte die bernische Entwicklung zu einer Kirchenreform2. Als Päpste der Stadt Bern anboten, in Bern einen Bischofssitz zu errichten, lehnten diese dankend ab. Die Schaffung des Chorherrenstifts St. Vinzenz 1484 dagegen passte in die Idee des bernischen Staatswesens3. Damit erhielt Bern die Vorteile einer Bi- schofstadt, die Kirche durfte die Bezeichnung Münster annehmen, ein Titel, der nur einer Bischofstadt zustand, ohne einen Bischof haben zu müssen4. In geistlichen Belangen unterstanden die Priester dem bischöflich-kirchlichen Recht, in weltli- chen Dingen dem obrigkeitlichen Gericht. Die Grenzen waren aber schon im 15. Jahrhundert oft unscharf. Die Bischöfe konnten ein weltliches Urteil auch noch mit dem Bann oder der Exkommunikation bekräftigen. Der Reichtum der Klöster beruhte fast ausschließlich auf privaten Spenden, aber der wachsende Besitz weckte auch Neid und Bedenken5. Vielen Töchtern aller gesellschaftlichen Stände verschafften Klöster eine Versorgung und Versicherung, die ihnen die Ehe nicht bieten konnte. In Männerklöstern war der Nachwuchs sehr unterschiedlich6.

Kirchliche Einteilung der Schweiz um 1300 Die Berner Obrigkeit trachtete nach der Übernahme der Herrschaftsrechte 1406 von den Kyburgern weniger nach einem weltlichen Kirchenregiment als nach einem stabilen Alltagsglauben, der Ruhe und Ordnung im Staatswesen versprach. Die Macht der Bischöfe und Priester als Vermittler der Heilskräfte wurde allgemein anerkannt. Trotzdem war die verbreitete geistige und moralische Verwahrlosung der Priester ein offenes Geheimnis. Für Priesterkinder wurden von den Bischöfen Straftaxen erhoben. Rat und Bürgerschaft der Stadt forderten die Bischöfe durch ein Mandat auf, von den Dekanen eine schärfere Aufsicht und Disziplin über die Priester zu verlangen7. In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts und auch im 16. Jahrhundert musste der Berner Rat immer wieder wegen sittlicher Verwahrlosung von Priestern eingreifen8. Um Ausge- lassenheit zu bekämpfen, war der Rat schon vor der Reformation darum bemüht, gute Prediger zu bekommen, wenn nötig auch von auswärts. Personen, die mit dem alten Glauben Schwierigkeiten hatten, kamen eher aus dem nahegelegenen Freiburg oder aus dem Ausland. Es waren nicht die Bischöfe, sondern es war der Berner Rat, der die Wassernot und die

1 www.liturgiekommission.ch, Historische Liturgik, III F 03, der Gottesdienst in Bern Stadt und Land im 16. und 17. Jahrhundert, A. Eh- rensperger 2 K. , Bernische Kirchengeschichte, S. 22 3 Im Oktober 1484 verfügte der Bischof von Lausanne, die Pfarrkirche St. Vinzenz aus der Abhängigkeit vom Deutschen Orden zu lösen und zu einer weltlichen Kollegiatskirche mit den Ämtern des Propstes, des Dekans, eines Kantors, eines „Kostos“ (Kustor) und 24 Kano- nikern zu erheben 4 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 28 5 R. Feller: Geschichte Berns, 2. Bd., S. 86 f. 6 R. Feller: Geschichte Berns, 2. Bd., S. 89 f. 7 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 19 f 8 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 46 f

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Pestseuche als Strafen des Himmels erklärte. Die Geistlichen blieben in solchen Dingen allzu oft passiv. Sie waren vieler- orts überaltert und überfordert. Gegen ihr verweltlichtes Leben musste der Rat gelegentlich mahnend eingreifen9. Irgendwann nach 1300 fand im Archidiakonat10 Burgund eine Umorganisation der Dekanate statt von vier (Langnau, Wengi, Lützelflüh, Dürrenroth) auf drei (Münsingen, Aarberg, Winau). Möglicherweise in diese Umorganisationsphase ist in Wichtrach Pfarrer Albanus (1345 – 1393, s. Anhang 3), der gemäss verschiedener Quellen als «Pfarrer und Dekan in Wichtrach» bezeichnet wurde und entsprechende Aufträge des Generalvikariates ausführte11. Münsingen war eines der 66 Dekanate des Bistum Konstanz. Es reichte auf der rechten Aareseite vom Haslital bis über Bern hinaus und bestand aus 29 Pfarreien. Die Geistlichen dieser Kirchen hielten in Münsingen regelmässig ihre Tagungen ab (Landkapitel), was entsprechende Unterkünfte erforderte. Das Landkapitel hatte das Recht, den Dekan zu wählen oder dem Bischof einen Kandidaten vorzuschlagen. Die Zentralisierung der bischöflichen Gewalt schwächte die Kompetenzen des De- kans ab dem 13. Jahrhundert. Der Dekan übte eine allgemeine Aufsicht über den Klerus aus ohne richterliche Funktionen, kontrollierte die Besetzung der Pfründen, berief und präsidierte die Landkapitel, setzte den Klerus über die Synodalbeschlüsse in Kenntnis und waltete als Haupt der Priesterbruderschaft sei- nes Sprengels12. 1511 gab es eine Auseinandersetzung der Stadt Bern mit dem Dekan von Münsingen über die Bestrafung von Priestern13. In der Stadt und vor allem in der Landschaft Berns herrschte am Vorabend der Reformationsbewegung eine volksfromme Grundstimmung. Eine wahre Gier nach Heilsgewissheit kam in den zahlreichen Messstiftungen zum Ausdruck. Der Ablass, ursprünglich eine von der Kirche auferlegte Disziplinarbuße, nahm verschiedene Formen an: Geldbeträge zur Verkürzung Dekanat Münsingen der Fegefeuerstrafen wurden oft für den Bau oder Unterhalt von Kirchen verwendet. Der Papst verschrieb Ablass in Form von Romfahrten. Orden verkauften Ablassbriefe zur Tilgung der im Burgunderkrieg begangenen Sünden. Wallfahrten und Kreuzgänge fanden obrigkeitliche Unterstützung. Auf dem Land gab es Bruderschaften zu Ehren eines Heiligen als Patron der Schützen, Wundärzte (Bader), Schmiede, Glaser, Bildhauer usw14. 1479 ordnete der Berner Rat (nicht die Bischöfe!) eine landesweite Bußübung an mit Messen, Paternoster und Ave-Maria, unterstützt von zahlreichen Spenden15. Der sogenannte Jetzer-Handel schlug in Bern eine Zeitlang hohe Wellen und verursachte zahlreiche Untersuchungen, Verhöre und Bestrafungen16. Die wichtigsten Ablässe fielen in die Fastenzeit. Fastendispense wurden vom Rat als Kompensationsleistungen für Bauaufgaben am Münster angeordnet. Nicht selten verweigerte vor allem die Landbevölkerung solche Ablassleistungen aus Misstrauen, es handle sich wieder um eine neue Steuer zugunsten der Stadt. Erst im Glaubensmandat vom 7. April 1525 wurde der Ablass gegen Geld vom Rat verboten; zugleich wurde erklärt, dass eine einzige Beichte in der Fastenzeit genüge17. 1.2. Der Reformationsprozess in Stadt und Republik Bern Die Vorbereitung der Reformation in Bern begann im November 1518 mit den ersten fassbaren Äusserungen des lutheri- schen Geistes auf Grund des Ablassverkäufers Bernhard Sanson18. Dieser bot die Möglichkeit, alle Verstorbenen aus dem Fegefeuer zu erlösen. So erhielt Jakob von Stein für einen taubengrauen Hengst einen vollen Ablass für sich, seine fünf- hundert Kriegsknechte, alle Vorfahren und für die Herrschaft . Dieser Ablasshandel förderte die Nachfrage nach Lu- therschriften in Bern. Am 23. Dezember 1518 brachte ein Buchhändler eine stattliche Anzahl von Lutherdrucken nach Bern. Seit 1522 machte sich bei einer kleinen, aber einflussreichen Gruppe von Bürgern und Geistlichen der Einfluss Zwinglis bemerkbar. Der Rat von Bern wartete ab, verminderte aber wo möglich die bischöflichen Einflüsse und griff wo es nötig erschien in die kirchlichen Verhältnisse ein, z.B. bei den Geldangelegenheiten der Klöster. Er verwehrte sich aber auch gegen reformatorische Bewegungen, insbesondere als Zwingli sich gegen das Reislaufen wandte19. Dass die Regierung schlussendlich den neuen Glauben anordnete, ist unbestritten. Seit 1524 suchten die fünf Orte Bern immer wieder mit eindringlichen Worten auf ihre Seite zu ziehen. So führte die Regierung vor dem Entscheid im Jahre 1528 verschiedene „Volksbefragungen“ durch und suchte sich auf diese Weise den Rückhalt in der Bevölkerung zu si- chern, diese sollte sich über die Reformation beraten und ihre Ansicht dann schriftlich bekannt geben. So gewährte sie dem Volke ein ausgedehntes Mitspracherecht am Staatsleben, das sie allerdings jederzeit wieder zurückziehen konnte. Den Landleuten war jedoch die Ämterbefragung nicht besonders willkommen, weil sie über die neue religiöse Bewegung

9 E. Blösch: Die Vorreformation, 55-70 10 Archidiakonat = dem Bischof direkt unterstellte Organisationsstufe. Ein Archdiakonat wird in Dekanate unterteilt. 11 www.query.sta.be.ch; detail.aspx?ID=33731; detail.aspx?ID=62386 12 www.hls.ch, Stichwort Dekanat, Carl Pfaff 13 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, S. 130 14 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 29-32 15 R. Feller: Geschichte Berns, 2. Bd., S. 95 16 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 38 f 17 K. Tremp-Utz: Gottesdienst, S. 52-58 18 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 56 f 19 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 84

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 5 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 wenig wussten. Die drei Befragungen geben ein gutes Bild über den Reformationsprozess, siehe Anhang 4. 1528 erliess der Rat in Bern ein Mandat, das die Annahme des neuen Glaubens anordnete, siehe Anhang 5. Am 26. März 1528 leisteten die Dekane und Kammerer auf die von Berchtold Haller verfasste Ordnung der Dekane den Eid. 1.3. Die Reformation im Dekanat Münsingen20 1522 amtete im Wallfahrtskirchlein Kleinhöchstetten als Pfarrer der Deutsche Johannes Wecker. Damals kam die Trauer- botschaft, dass die Schweizer in französischen Diensten in der Schlacht bei Bicocca eine blutige Niederlage erlitten hatten. Man wartete mit Bangen, auf die Rückkehr der Angehörigen. Die Wallfahrer, die zum wundertätigen Muttergottesbild in Kleinhöchstetten pilgerten, wurden von Johannes Wecker, der bereits überzeugter Anhänger der reformatorischen Glau- benslehre war, bitter enttäuscht, als dieser erklärte, niemand könne für die bei Bicocca gefallenen Schweizer eine wirk- same Fürbitte tun. Da die Gegner der Reformation im bernischen Rat noch die Mehrheit besassen, wurde Wecker gefan- gengenommen und dem Bischof von Konstanz zur Bestrafung ausgeliefert. Sein Nachfolger Georg Brunner aus Landsberg in Bayern hatte schon kurze Zeit als Helfer in Münsingen gewirkt und hatte sich zur Glaubenslehre der Reformation durch- gerungen. Er begann in seinen Predigten in Kleinhöchstetten entsprechend zu wirken und hatte rasch einen grossen Zulauf. Der Dekan Ulrich Güntisberg in Münsingen und die Pfarrer von , , Wichtrach21 und begaben sich nach Bern, um Georg Brunner zu verklagen. Der Rat ordnete fünf Ratsherren ab, den Abgeordneten wurde ein Ausschuss von acht Geistlichen beigegeben, unter ihnen Berchtold Haller. Am 29. August 1522 erfolgte eine öffentliche Aussprache der Abordnung mit den Klagevertretern und Georg Brunner. Dies war das erste Glaubensgespräch in Bern, mit dem Re- sultat, dass Georg Brunner weiterhin wirken durfte22. Bemerkenswert ist, dass für die Behandlung der Klage des Dekans von Münsingen nicht die Stadt Bern, sondern der Bischof von Konstanz zuständig gewesen wäre, was der Dekan nach- träglich zu korrigieren versuchte, was aber von der Stadt Bern strikte abgelehnt wurde und was als Beginn der Auflösung des Einflusses des Bischofs bezeichnet werden muss23. Nach 1523 erfolgte eine Verstärkung des alten Glaubens und 1525 wurde Georg Brunner ausgewiesen. 1527 erlangten die Anhänger des neuen Glaubens wieder die Oberhand und Brunner wurde zur Rückkehr aufgefordert, was er aber nicht tat. Mit dem Verkauf der Pfrund Kleinhöchstetten und der Weisung, die Wallfahrtskirche in ein Bauernhaus mit Wagen- und Werkzeugschopf umzuwandeln, wurde in unserem Raum die reformierte Kirchenordnung eingeführt24. 1.4. Die reformierte Kirche in der Republik Bern, bis zur Helvetik, 1798 1.4.1. Die bernische Kirche wird zur «Staatskirche» Die reformierte Kirche besass kein geistliches Oberhaupt mehr, an die Stelle von Bischof und Papst trat als Rechtsnachfolger der Staat Bern. Die Leitung des Kirchenwesens wurde Angelegenheit der Regierung. Selbst über die Richtigkeit der Lehrmeinungen entschied nach Anhörung von Fachleuten in letzter Instanz der Grosse Rat. Die Institution Kirche, die Kirchgemeinden und die Pfarrer wurden für die Staatsführung wich- tig. Die vom Staat festgelegte kirchliche Lehre war verbindlich und dul- dete keine Abweichungen. Die erste Kirchenordnung, der „Berner Syno- dus“, bei deren Entstehung Personen wie Berchtold Haller wirkten, wurde den in Bern versammelten Geistlichen vorgelegt und von diesen vom 9. bis 14. Januar 1532 beraten25. Um sie durchzusetzen mussten die Leute zum Kirchenbesuch gezwungen werden, was mit obrigkeitli- chen Mandaten immer wieder verordnet wurde. So gebietet das Refor- mationsmandat von 1628: „ ... dass menniglich, was Stands jede sye, nach dem befelch Gottes die predigen Göttlichen worts und die Gebätt mit flyss besuchen (...) sölle. (...) die farlässigen zur besserung ermah- nen, wo aber die gewarneten Husvätter und Husmütteren zwo oder drey Predigen ohne (...) entschuldigung versumen wurdend, (sollen sie) mit etlicher tagen Gefangenschaft zu wasser, muss und brot biss uff besse- rung gestrafft (werden).“26

1.4.2. Kirchliche Organisation und Aufgaben der Pfarrer Die kirchliche Oberbehörde im Staate Bern war der Konvent, bestehend Deckblatt des Nachdruckes von 1728 aus dem Dekan, Pfarrern und Professoren der Hauptstadt. Der Konvent hatte das Vorschlagsrecht für die Landpfarrer und war gleichsam die Expertenkommission in religiösen und kirchlichen Fragen, war aber eine staatliche und nicht eine kirchliche Behörde27. Die höchste Disziplinargewalt lag beim Obern Chor- und Ehegericht, der letzten Instanz in schweren Sittlichkeitsdelikten, Gotteslästerung und Ketzerei. Dem Konvent und dem Obern Chorgericht waren die Kapitel und Chorgerichte der Landschaft unterstellt28.

20 Münsingen, Geschichte und Geschichten, S. 187 21 Siehe Kapitel 2.2., Prägende Personen in der Reformationszeit 22 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 62f 23 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 64 24 Dorf und Herrschaft Münsingen in alter Zeit, Dr. E. Burkhard, S. 61 25 Ein Exemplar der Neuauflage des Berner Synodus von 1728 befindet sich im Archiv der Kirchgemeinde Wichtrach 26 Der kleine Bund, 14. März 1998, Max Gygax, Bernisches Schulwesen aus der Sicht der Helvetik 27 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 271 28 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 272

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Mit der Reformation entstanden formell die Kirchgemeinden. Das Kapitel, auch Klasse genannt, war das der Kirchge- meinde in Kirchenangelegenheiten übergeordnete Organ. Ein Dekan stand einem Kapitel vor und wurde von der Regie- rung gewählt, sein Stellvertreter und Kassier des Kapitels war der Kammerer, Wichtrach gehörte zum Kapitel Bern. Das Kapitel war ein regionales Gremium für die Pfarrer aus den Kirchgemeinden, ein Instrument der Selbstregulierung des kirchlichen Betriebes. Das Kapitel prüfte jeweils die Amtsführung seiner Pfarrer. An der jährlichen Versammlung des Ka- pitels wurde die Tätigkeit der Pfarrer einem strengen Urteil unterworfen. Die „Visitatoren“, die als „Juraten“ – Geschworene – bezeichnet wurden, prüften jeweils die Lebens- und Arbeitsweise der Pfarrer, indem sie deren Predigten besuchten und Kirchgemeindemitglieder befragten. Ein Pfarrer hatte seine Pflichten korrekt zu verrichten, das Evangelium zu verkünden, als Vorbild für die Gemeinde ein exemplarisches – christliches – Leben zu führen und als Bewirtschafter der Pfrundgüter ein erfolgreicher Verwalter zu sein29. In den Kirchgemeinden gab es an den meisten Orten neben dem Pfrundgut, dessen Ertrag der Besoldung der Pfarrer diente, noch ein besonderes Kirchengut, das für Kultuskosten, Unterhalt des Kirchenschiffs, des Sigristen usw. Verwen- dung fand. Es wurde von einem Kirchmeier verwaltet. Die Überschüsse flossen in die Armenpflege ab30. Die Aufgaben des Pfarrers wurden primär in den Prädikanten-Ordnungen festgelegt. Nach der Berner Synodus von 1532 erfolgte die erste als Prä- dikanten-Ordnung bezeichnete Regelung 1587, die 1638 und 1667 über- arbeitet wurde. Die folgende Auflistung der Aufgaben des Pfarrers basiert auf der Prädikanten-Ordnung von 174831: Der Prediger. In Artikel 1 wird unter anderem festgehalten: „Also befehlen Wir, nach der Macht, die Wir von dem Höchsten empfangen haben, dass Niemand sich des öffentlichen Lehr-Amts anmasse, als die in sich einen innerlichen Trieb, Gott und der Kirchen in Aufrichtigkeit zu dienen, ver- spüren, die zuvor in Unseren geordneten Schulen, durch fleissiges Stu- dieren, zum Dienst des heiligen Predig-Amts sich tüchtig gemacht, die ihres Lebens, Handels und Wandels ein gutes Zeugnis haben, und die von Unseren Kirchen-Ältesten ordiniert, und durch Handauflegung zum Dienst der Kirchen geweihet und gewidmet worden sind“. Wer diese Vor- bedingungen erfüllte und wenn eine Pfarrei oder eine kirchendienstliche Position frei wurde, konnte sich bewerben. Artikel 2 beschreibt Inhalt, Form und Gestalt der Predigten, Artikel 3 beschreibt Predigten an Sonn- und Feiertagen. Hier findet sich dann auch die Festlegung: „Weil auch Unsere Mandat jederzeit zum Besten des Landes abzwecken, sollen sie notwendig dem ganzen Volke kund getan werden, damit Niemand sich mit der Unwissenheit entschuldigen könne: So wollen Wir hiermit verord- net und geboten haben, dass Unsere Mandat jederzeit, vor oder nach der Predig, von dem Canzel verlesen werden. Über dies, soll auch nun und dann, wo sich Anlass an die Hand gibt, die gnädige Vorsorg der Ho- hen Obrigkeit, ihr Wachen für das Heil und die Wohlfahrt des ganzen Landes, den Zuhörern angepriesen, und das Volk zur Treue, zum Gehor- Predikantenordnung von 1748 sam und Unterthänigkeit, insonderheit bei den Huldigungen der Un- terthanen, vermahnet werden“. In Artikel 4, von den Predigten an den Werktagen ist zu vernehmen, dass am Donnerstag oder Freytag eine Predigt gehalten werden soll. Zudem ist da festgehalten, dass als Grundlage immer die Piscatoris- Übersetzung der Bibel zu verwenden sei, „damit durch die verschiedenen Übersetzungen keine Irrungen entstehen“. Zu- dem werden in diesem Artikel die Leich-Predigten bei Begräbnissen „vollkommen abgestellt, weil sie in Unserer Hauptstadt selber nicht gebräuchlich sind und dabei oft viel Menschliches einfliesst“. Der Lehrer in kirchlichen Angelegenheiten. Artikel 5 befasst sich mit den Kinderlehren und Examen der Alten. So wird „unsern Predigern befohlen, von mitten Merzen bis aufs End des Weinmonats, alle Sonntagnachmittag um 1 Uhr, die ganze Zeit durch, die Kinderlehren zu halten“, die von den Schul-Kindern, den jungen Leuten, Knechten und Mägden zu besuchen waren. Für die Erwachsenen musste von „Anfang Wintermonats bis Ostern, alle Montage die Examina der Alten durchgeführt werden. Es sollte hier keine Ausnahmen geben, ausser für die Gerichtssässe und Chorrichter, die zwar an- wesend sein, nicht aber geprüft wurden. In Artikel 6 wird verlangt, dass „zu dem öffentlichen Kirchengesang gute Sorge zu tragen“. Dabei sollte bei der Wahl der Schulmeister darauf geachtet werden, nur solche zu wählen, die die Tüchtigkeit haben, in der Psalmen-Musik zu unterweisen. Der Führer kirchlicher Zeremonien. Artikel 7 befasst sich mit der Taufe, wobei verschiedentlich auf das Führen der Taufrö- del usw. verwiesen wird. Artikel 8 enthält viele Weisungen zum Abendmahl, Zulassungen zum Abendmahl, Rodelführung und vielem mehr. Artikel 9 befasst sich mit der Einsegnung der Ehe. Neben der Verkündung, die während dreier Sonntage vor der Einsegnung in der Kirche des Wohnortes der Brautleute von der Kanzel zu Verlesen sei mit der Möglichkeit zur Einsprache gegen die Ehe und der Ausstellung des Hochzeit-Scheins, geht es um weitere Vorschriften, wie der Eintrag in die Eherödel oder der Zulässigkeit zur Eheschliessung überhaupt. Das Mitglied des Chorgerichts. Nach Artikel 10 hat er Stimmrecht und sorgt insbesondere für die Befragung der vor das Gericht Berufenen und führt Protokoll und das Schriftwesen. Sorgt für korrekte Vertretung aller Dorfgemeinden des Kir- chenspiels im Chorgericht. Macht Hausbesuche zusammen mit dem Chorrichter der entsprechenden Dorfgemeinde zur

29 Worber Geschichte, T. Brodbeck, Religion, Kirche und Chorgericht im frühneuzeitlichen Worb, Seite 404 30 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 157 31 Die Predikantenordnung von 1748 in gedruckter Form ist im Archiv der Kirchgemeinde vorhanden (auch im Internet vorhanden)

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Überprüfung von Anzeigen. Die Beisitzer des Chorgerichtes wurden auf doppelten Vorschlag des Pfarrers, dem damit der bestimmende Einfluss gewahrt blieb, von den Amtsmännern gewählt32. Der Schulinspektor. Artikel 11 verweist auf die neue Schulordnung und hält fest, dass die Lehrer im Kirchenspiel nur vom Ammann der Dorfgemeinde und vom Pfarrer gewählt werden, der Pfarrer dafür sorgen soll, dass der gewählte Schulmeis- ter die Schulordnung einhält. Der Pfarrer hat die Schulen „fleissig“ zu besuchen und sich zu vergewissern, was die Kinder können, mit welchen Schulmitteln sie arbeiten und ob es Kinder gibt, die nicht in die Schule geschickt werden. Da hat er die Eltern vor das Chorgericht zu zitieren. Der „Hirte seiner Schäfchen“. Artikel 12 verlangt, dass der Prediger „in der zeit von Verena Tag an bis auf Ostern“ Haus- besuche durchführt und sich über die dortigen Verhältnisse informiert, prüft ob die Bibel vorhanden ist. Der Besuch ist in einem Rodel festzuhalten mit Angaben über Verehelichte, Ledige, Schulkinder, Mannspersonen „so über 15. Jahr Alters sind“. Mit diesem Rodel sollen auch Veränderungen festgehalten werden (Weggehende, Zurückkehrende usw.). Explizit wird darauf hingewiesen, dass der Rodel den „Land-Majoren“ zu dienen hat für die Musterung. Artikel 13 verlangt Kran- kenbesuche, „damit nichts vernachlässigt werde“. Artikel 14 befasst sich mit dem Problem des „Beichtgeheimnisses“, ins- besondere mit dem Problem, wann ein Pfarrer von der Wahrung des Beichtgeheimnisses entbunden wird. Artikel 15 be- fasst sich mit dem Verhalten des Pfarrers, im Umgang mit Personen, die „in der Gemeinde irrige Lehren ausstreuen“. Der „Rechnungsrevisor“. Artikel 16 befiehlt, dass alle Prediger den Kirchen- und Almosen-Rechnungen beiwohnen und zusehen, dass „keine unnötige Kosten gemacht werden“. In diesem Artikel wird auch verlangt, dass in jedem Pfrundhaus ein „wohl-verschlossener Gehalter seyn“ wo die Kirchen-Geräte, neben andern Schriften und Rödel verwahrt werden kön- nen“. Der Verwalter der Pfrund. Artikel 18, 19, 20 befassen sich mit den Aufgaben und Möglichkeiten der Pfrundverwaltung. Der Zivilstandsbeamte. Zu einer solchen Funktion gibt es explizit kein Artikel. Sucht man aber die Artikel ab nach admi- nistrativen Tätigkeiten zur Verwaltung der Bevölkerung, so findet man diverse Rödel und Ausweise, die vom Pfarrer geführt werden oder erstellt werden müssen die unter dem Begriff Zivilstandsbeamtung zusammengefasst werden können (z.B. Tauf-, Ehe-, Totenrödel, Einwohnerkontrolle, Taufscheine, Communionschein, Hochzeitsschein). 1.4.3. Die Besoldung der Pfarrer Der Staat Bern ordnete auch das Einkommen des Pfarrers. Es bestand aus dem Ertrag des Pfrundguts und manchen Abgaben, zum Teil aus vorreformatorischer Zeit, geregelt in der Weisung an die 4 Landgerichte zu den Zenten, Primiz vom 28. Juli 152933. Mit der Reformation übernahm die bernische Obrigkeit die Kirchen- und Klostergüter. Jedoch waren in vielen Kirchgemeinden die Pfrundeinkommen für grössere Familien ungenügend, die Pfarrer trieben Landwirtschaft und das Einsammeln der Zehnten brachte Reibereien mit der Bevölkerung, so dass die Regierung den Landvogt damit betreute oder den Pfarrern gestattete, den Einzug zu verleihen34. Die Besoldung der Pfarrer ergab sich somit aus der „Ergiebigkeit“ der Pfründe35. Das Pfrundeinkommen setzte sich also zusammen aus dem Wohnrecht im Pfarrhaus mit Nebengebäuden, der Nutzung von Garten, Mattland und Ackerland, Abgaben wie Zehnten und Primiz, Zinsen auf Kapitalien. Ende des 16. Jahrhunderts erhielten die Pfarrer zusätzlich eine Barentschädigung von 200 Gulden36. Im Jahre 1694 waren alle deutschen Pfarreien in drei Klassen eingeteilt worden. Die auf eine der zwanzig Pfarreien der einträglichsten Klasse Beförderten mussten schon im zweiten Jahre hundert bis dreihundert Kronen in den sogenannten Taxseckel zahlen. Die sechsundfünfzig Landpfarrer der zweiten Klasse und vierzehn Stellen in der Hauptstadt zahlten dreissig bis achtzig Kronen. Die Pfarrer der dritten Klasse waren taxfrei. Im Jahre 1740 fand eine Neueinteilung der Pfrün- den statt. Für die Besetzung einer Stelle in der höchsten Klasse mit einem Einkommen von über 1'800 Pfund waren 15 Dienstjahre nötig, für die mittlere Klasse mit einem Einkommen von 1'000 bis 1'800 Pfund waren 10 Dienstjahre nötig, für die unterste Klasse mit einem Einkommen bis 1'000 Pfund waren 5 Dienstjahre Bedingung. Da aber die Pfarrer zu lange warten mussten, bis sie eine Pfründe der höchsten Klasse erhielten, wurde das System 1766 wieder geändert. Gleichwohl gab es weiterhin in manchen Pfarrhäusern finanzielle Not. Eine Erhebung im Jahre 1787 zeigte, dass 23 Pfründen ihren Inhaber und 61 ihre Pfarrfamilie nicht ernähren konnten37. Die detaillierteste Information zur Situation in Wichtrach stammt aus dem Jahre 175838. Danach gehörte Wichtrach zu den 20 Kirchgemeinden in der höchsten Klasse (Pfründen über 1800 Pfund). Zum Vergleich, aus unserem Raume gehörte auch Kirchdorf und Höchstetten in diese Klasse, während Münsingen in die zweite Klasse gehörte. Bemerkenswert ist nur, dass in diesen Akten von „Wichdorf“ und nicht Wichtrach geschrieben wird, die Identifikation erfolgte über die Namen der Pfarrherren. In den Informationen zum Zeitbereich 1780-1781 fehlen die Angaben von Wichtrach39, möglicherweise weil im Zeitbereich der Erhebung Pfarrer Dysli starb und sein Nachfolger, Pfarrer Kisling nicht über das nötige Wissen verfügte. Das Inventar der Pfründe Wichtrach von 1751, zusammengetragen von Pfarrer Wyss, ist in Anhang 6. In der Helvetik wurden die Abgaben aufgehoben, so auch die Zehnten, was zu einer massiven Verschlechterung der Pfarrer-Besoldung und in unserem Raume zum Primiz-Streit von Höchstetten führte, siehe auch Heft 3, Kapitel 1.5.1.40. Am 7. Mai 1804 nahm der Staat das Kirchengut in Verwaltung und verpflichtete sich dafür, die Besoldung der Geistlichen zu übernehmen. Die Aufhebung der Zehnten hat die Unbilligkeit des bisherigen Besoldungssystems aufgezeigt. Nun

32 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, Seite 273 33 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, S. 156 34 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 176 35 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 493 36 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 263 37 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 494 38 Staatsarchiv Bern, B III 226 Einkommen der deutschen Pfarreien (1758) 39 Staatsarchiv Bern, B III 209 Pfarrberichte aus dem Kapitel Bern von 1780 40 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 549

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 8 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 ermöglichte die Zentralisierung des Kirchengutes, den Gesamtertrag den Pfarrern in einem gleichmässig berechneten Verhältnis als Besoldung zukommen zu lassen. Dieser Gesamtertrag wurde, um einen staatlichen Zuschuss erhöht, auf 275'000 alte Franken (Livres) berechnet. Es bestanden zu dieser Zeit im Kanton Bern über 150 zu bezahlende Pfarrstellen, dazu einige Helfereinen und Professorenämter. Die neue Besoldungsordnung war zweifellos eine Verbesserung gegen- über früher, wo der Pfarrer seine Zehntgarben selber oder durch seinen Knecht einsammeln musste. Die Restauration ergänzte die Besoldungsordnung durch eine Besoldungszulage für beschwerliche und entlegene Berggemeinden und kranke Geistliche41. Das Besoldungswesen der Pfarrer war neu nach dem System der Altersklassen mit sieben Klassen von 1‘000 bis 2‘200 Franken42 aufgebaut, die tiefste Klasse war Klasse 7, die höchste war Klasse 143. 1820, im letzten ganzen Jahr seines Wirkens in Wichtrach, hatte Pfarrer Johann Rudolf Wyss in der 3. Klasse ein Basis- Jahreseinkommen von 1‘800.00.0044 Livre Suisse (= Fr.), das sich zusammensetzte aus dem „Pfrundeinkommen“ von 365.00.00 Livre und einem Zuschuss vom Kanton von 1‘435.00.00 Livre. Sein Nachfolger, Pfarrer Gysi, verdiente 1822 in der 4. Klasse ein Basis-Jahreseinkommen von L. 1‘600.00.00; 1824 wurde er wohl „befördert“ in die Klasse 3 und erhielt ein Basis-Einkommen von L. 1‘800.00.0045. Dazu musste gerechnet werden das Wohnrecht im Pfarrhaus und die freie Nutzung des Gartens. Als Vergleich: Am 13. August 1776 berichtete der Landvogt (von Wangen) der Regierung über das geringe Einkommen von Pfarrer Johannes Ganting (dem Vorgänger von Wyss), der seit 11 Jahren als trefflicher Prediger wirke: „Seine Familie wächst täglich an“, bei einem durchschnittlichen Einkommen von etwa 257 Kronen oder 800-900 Pfund46. 1.4.4. Religiöse Strömungen und weltliche Entwicklungen Die reformierte Schweiz schloss sich im ersten Helvetischen Bekenntnis zusammen. Bern stand inmitten der Strömungen zwischen Luther, Zwingli und Calvin. Es gab schlussendlich eine Annäherung zwischen Bern und Zürich. Es folgten die Abwehr der Gegenreformation und der Einfluss der Religionskriege in Frankreich mit einer Verhärtung der konfessionellen Fronten. Für die bernische Kirche ergaben sich Probleme, weil Bern - wie auch Zürich - durch das Bündnis mit dem ka- tholischen Frankreich gebunden war. Die Frage nach Waffenhilfe für die Glaubensgenossen wurde, weil die katholische Schweiz die Guisen unterstützte, durch die inoffizielle Einwilligung zur Werbung von Freiwilligen notdürftig gelöst. Vertreter der Kirche warnten vor der Erneuerung des französischen Bündnisses, doch ohne Erfolg. Es entstand die tragikomische Situation, dass die Berner den Hugenotten den Sieg wünschten, aber, durch Verträge gebunden, ihren Gegnern helfen mussten47. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde der innere Friede der Eidgenossenschaft mehr als einmal bedroht. Das Vor- gehen des Standes Schwyz gegen die kleine Schar von Evangelischen in Arth löste den ersten Villmerger Krieg von 1656 aus, bei dem das bernische Heer kläglich unterlag. Intensiv wirkten die reformierten Kirchen für die leidenden und verfolg- ten Glaubensbrüder. Hatten politische Interventionen, zum Beispiel für die Waldenser, kaum Erfolg, so gelang es doch, den Flüchtlingen aus Frankreich und Oberitalien Asyl und Obdach zu gewähren. In den Jahren nach dem Widerruf des Edikts von Nantes hatte die Stadt Bern ständig für etwa 800 Hugenotten, also ein Zehntel der Bevölkerung, zu sorgen. Zürich und Bern bemühten sich, den Flüchtlingen aus den Waldenser Tälern, die 1687 eintrafen, eine neue Heimat zu finden. Die Pfalz und Württemberg nahmen einen Teil der etwa 3000 protestantischen Glaubensflüchtlinge auf; viele blie- ben aber in Bern. Bei ihrer Rückkehr ergaben sich daraus für Bern zahlreiche politische Schwierigkeiten. Das Staatskirchentum zeigte sich darin, dass die Pfarrer dem Staat gegenüber keine kritische Haltung einnehmen durften, sondern zur Ergebenheit verpflichtet waren; sie betrachteten sich als gehorsame Diener der Staatsgewalt und sahen ihre Aufgabe darin, die Untertanen durch Gottesfurcht zur Unterordnung unter die Obrigkeit zu ermahnen. Darum ging ihnen das Verständnis der berechtigten Begehren anlässlich des Bauernaufstandes von 1653 ab. Die Landpfarrer rekrutierten sich zum größten Teil aus der Hauptstadt oder den Landstädten und distanzierten sich vornehm von dem Volk. In den Predigten wurde ein scharfes Urteil über die «Rebellen » ausgesprochen. Immerhin suchten führende Theologen in Bern zwischen den feindlichen Fronten zu vermitteln, sie empfahlen die Friedensvorschläge der Regierung bei den Aufständi- schen und überbrachten und empfahlen andererseits die Forderungen der Volksführer bei den Räten48. Die Täufer49 Täufer (auch Wiedertäufer oder Anabaptisten) sind Mitglieder einer radikalreformatorisch-christlichen Bewegung, die im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts in verschiedenen Teilen Europas entstanden ist (auch in Zürich als Abspaltung von Zwinglis Reformation) und die nicht selten als der linke Flügel der Reformation bezeichnet wird. Wichtige Konzepte der frühen Täufer waren die Nachfolge Christi, die Kirche als Bruderschaft und die Gewaltlosigkeit. Forderungen nach Glau- bensfreiheit, nach Trennung von Kirche und Staat, nach Gütergemeinschaft und nach Absonderung (Gemeinschaft der Gläubigen) bewirkten bereits in der Entstehungszeit heftige Verfolgungen durch die Obrigkeit und die Amtskirchen. Die Täufer verbreiteten sich ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. 1564 wollte man in Thun nicht weniger als achtzig Täufer festgestellt haben. Zwei Jahre später meldeten Berichte Fortschritte der Bewegung in Signau, Röthenbach, Diess- bach, Steffisburg, Wichtrach, Münsingen, Höchstetten, Walkringen, Biglen und Worb. Der Staat ergriff Gegenmassnah- men, er vereidigte die Bevölkerung der genannten Gemeinden erneut auf die Beschlüsse der Reformation. Im Täuferman- dat von 1585 stellte Bern fest, die Lehre der Täufer widerspreche dem Helvetischen Bekenntnis und sei für den Bestand

41 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 571 42 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 570 43 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Mandatenbuch, Seiten 139, 144, 149 44 Umrechnung auf das Jahr 1990 nach Christian Lerch: Fr. 52‘000.-/Jahr 45 Staatsarchiv Bern, B III 277, Verzeichnis der Einkommen der Geistlichen (1820-1829) 46 Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 25 (1982): Pfarrkirche und Kirchendienst in Wangen zur Zeit der Gnädigen Herren 47 Rudolf Pfister, Rezension von K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte 48 Rudolf Pfister, Rezension K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte 49 Wikipedia, Stichwort Täufer

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 9 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 des Staates eine Gefahr. Wer den Eid verweigere, werde verbannt und sein Gut konfisziert, heimlich Zurückkehrenden wird Tortur und Todesstrafe angedroht. Im revidierten Täufermandat von 1659 wurde auf die Todesstrafe verzichtet und für die Halsstarrigen die Landesverweisung angeordnet. Im Jahre 1670 setzten wieder Täuferjagden ein und 12 Führer wurden zu Galeerenstrafe verurteilt. Erst im 18. Jahrhundert begann man, neue Lösungen zu suchen50. Schwänzte jemand dreimal hintereinander die Predigt, so sollte er gefangen gesetzt werden. Seit 1567 gingen Täuferkinder, deren Eltern von einem Täuferlehrer und nicht von einem Pfarrer getraut worden waren, ihres Erbes verlustig51. Eine wertvolle und zäh sich haltende Separatistengemeinschaft stellten die Heimberger Brüder dar. Ihr Gründer war der Hafner David Tschanz. Zu seinen Anhängern gehörten Ammann Vögeli von Wichtrach und Michael Stettler in Herbligen52. Hat diese Beziehung geholfen, dass Vögeli 1734 mit das Geschäft zur Wasserfassung im Heiegraben machen konnte (Heft 2, Kapitel 4.1.1.)? Dämonen und Hexen Dass in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mancherlei Aberglaube lebte, zeigt sich besonders in der Angst vor Dämo- nen und Hexen, wohl zurückzuführen auf die verschiedenen und häufigen Geiseln jener Zeit wie Kriege, Fehden, Überfälle, Seuchen und Naturkatastrophen. So starben in den häufigen Pestzügen von Mitte des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts in bernischen Landen Zehntausende an der Pest. 1628 starben in der Stadt Bern rund ein Drittel der Einwohner. Zahlreiche Hexenverbrennungen wurden durchgeführt: 1591-1595 durchschnittlich im Jahre 11, 1596-1600 51, 1601-1610 24. Erst ab1651 ordnete die Obrigkeit Milderungen gegen Verdächtige an. Ab 1680 verschwinden die Todesurteile aus den Rats- manualen53. Vom Pietismus zur Aufklärung Der Pietismus entsprang einem Gefühl mangelhafter Frömmigkeit, unzureichender christlicher Lebensführung und dem Drang zum Beweis des persönlichen Glaubens. Theologisch reagiert er auf die Spannung und das Trauma des Dreißig- jährigen Krieges durch Neuorientierung auf die Bibel bzw. die christlichen Traditionen54. Im Unterschied zum Täufertum bildeten sich pietistische Kreise weniger auf dem Land als in der Stadt. In Bern sammelte das blinde Margarethli, das „sich für eine Prophetin und Traumdeuterin“ hielt, eine Schar von Gleichgesinnten um sich. Waren es zunächst Handwerker, Kleinbürger und Mägde, so kamen bald auch Frauen und Männer angesehener Familien dazu. Die neue Art von Fröm- migkeit fand rasch weitherum Eingang. Damit sah sich die Obrigkeit zum Eingreifen veranlasst, da die rechte Lehre bedroht schien. Professor Rudolph erhielt 1696 den Auftrag, den Unterschied von Orthodoxie und Pietismus in Thesen herauszu- arbeiten. Er tat es „sachlich ruhig und gemäßigt“. Zwei Jahre später nahm eine Religionskommission zur Unterdrückung des Pietistenwesens ihre Arbeit auf. Verhöre und Verbote folgten. Am 14. Juni 1699 wurde „zur Wahrung der Glaubens- einheit“ der sogenannte Assoziationseid eingeführt; er blieb bis 1746 in Kraft. Damit verpflichteten sich alle Bürger und Geistlichen, die in der Stadt Bern eingeführte Religion, die Helvetische Konfession und die Uniformität der Glaubenslehre und des Gottesdienstes „wider männiglichen zu erhalten, zu schützen und zu schirmen“, dazu kamen Bücherverbote55. Die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts brachte allmählich eine Annäherung von Kirche und Pietismus. Bemerkenswert ist, dass „im Pietismus... zum ersten Mal innerhalb der protestantischen Kirchen der Individualismus als breiteste Bewegung in Erscheinung“ trat. Wertvolle Bereicherung empfing der bernische Protestantismus durch die Herrnhuter56. Inzwischen meldete sich die Aufklärung mit der Auseinandersetzung um die Philosophie von Descartes, den Cartesianis- mus. Studenten, die sich in Holland aufhielten, brachten die neuen Ideen nach Bern. Darin sah man das orthodoxe Lehr- system bedroht. Verbote fruchteten wenig, das neue Denken strömte von allen Seiten ein. Voltaire und Rousseau fanden Ablehnung, doch auch Sympathie57. Die bedeutendste Persönlichkeit dieser Zeit war Albrecht von Haller (1708 bis 1777) „Haller ist zweifellos der größte Berner des 18. Jahrhunderts, eine Persönlichkeit mit offenem Blick und weit ausladendem Horizont“ (siehe Heft 3, Kapitel 1.2. mit Bild des Hallersteins in Niederwichtrach). Als Naturforscher, Physiologe, Anatom und Arzt befasste er sich zugleich mit Kirche und Staat, Philosophie und Theologie. Zunehmend wandte er sich vom aufklärerischen Vernunftglauben weg und hin zum biblischen Offenbarungsglauben. Doch blieb er ein innerlich Ringender. Im Kampf gegen die Aufklärung strebte er danach, die Vernünftigkeit des Glaubens aufzuweisen. Durch das ganze 18. Jahrhundert blieb „eine Grundschicht der Orthodoxie am Leben“. 1798 kam der große politische Umsturz, der das Ancien Regime wegfegte (Heft 3, Kapitel 1.3.) und im kirchlichen Leben manchen Sturm heraufbeschwor58. 1.5. Die kirchliche Gerichtsbarkeit 1.5.1. Das Chorgericht 1528 wurden die Chorgerichte eingeführt59. Das Chorgericht der Stadt Bern war für diese Gerichtsbarkeit obere Beru- fungsinstanz. Die Chorgerichte waren zuständig für die Rechtsprechung in geistlichen Angelegenheiten, in Ehe- und Sit- tenfragen60, aber auch für Vormundschafts- und Armenwesen, Heimatrecht, Wohnsitzwesen und die Aufsicht über die Schule61. Im Kirchenspiel Wichtrach, bestehend aus den Ortsgemeinden Ober- und Niederwichtrach, und Oppli- gen, bestand das Chorgericht aus dem Landgerichts-Venner, dem Ammann von Oberwichtrach als sein Stellvertreter, dem

50 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 356 ff 51 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 359 52 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 426 53 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 283,355 54 Wikipedia, Stichwort „Pietismus“ 55 Rudolf Pfister, Rezension K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte 56 Rudolf Pfister, Rezension K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte 57 Rudolf Pfister, Rezension K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte 58 Rudolf Pfister, Rezension K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte 59 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, Seite 176 f 60 Dorf und Herrschaft Münsingen in alter Zeit, Dr. E. Burkard, S. 63. 61 Oberwichtrach Gestern und heute, Seite 36

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Pfarrer als Actuar und acht Chorrichtern62. Das Chorgericht tagte jeden Sonntag nach der Predigt. Es konnte als Strafe Bussen bis zehn Pfund und Gefängnis bis zu drei Tagen verhängen. Schwerere Fälle wurden an das Oberchorgericht oder an die Regierung weitergeleitet. Die Protokolle des Chorgerichtes Wichtrach sind von 1619 bis 1879 lückenlos vorhanden, ausgenommen die Zeit der Helvetik63. Das letzte Protokollbuch des Chorgerichtes von 1822-1879 ist zwar als solches bezeichnet, jedoch ist im Jahr 1832, Seite 134 protokolliert die „Bemerkung über sonderbare Einführung neuer Behörden“, womit die Einführung des Sittengerichts gemeint und kurz beschrieben wurde. Daraus kann entnommen werden, dass dieser Übergang vom Chor- gericht zum Sittengericht aus der Sicht der unmittelbar Beteiligten nur daraus bestand, dass die Schulangelegenheiten nun nicht mehr vom Chor- beziehungsweise vom Sittengericht zu behandeln waren, sondern von der Schulkommission. Jedem Chorrichter wurde ein bestimmter Bezirk zugewiesen, in dem er bis in die innersten Angelegenheiten der Bewohner Einblick hatte. Die Bevölkerung hatte grossen Respekt vor den Chorrichtern, für diese war aber diese Aufgabe nicht immer eitel Freude und es bedurfte oft einer gesetzlichen Verpflichtung zur Übernahme dieses Amtes64. 1808 bestand das Chorgericht aus dem Oberamtmann als Vorsitzender, dem Statthalter als Stellvertreter sowie aus jeder Ortsgemeinde zwei Chorrichtern und einem Weibel. Das Chorgericht machte für die Wahl eines Chorrichters zwei Vor- schläge, aus denen der Oberamtmann die Wahl traf und sie auch vereidigte. Der Oberamtmann hatte auch die Kompetenz, Chorrichter abzusetzen, zum Beispiel Chorrichter Maurer von Oberwichtrach wegen „ungebührlichem Verhalten gegen- über dem Pfarrer“ in der Angelegenheit der Verwendung der Schulstube für die Kinderlehre. Chorrichter konnten zurück- treten und es kam vor, dass eine Person die Wahl zum Chorrichter ablehnte. Aus dem Kreise der Chorrichter wurden 1808 je Ortsgemeinde ein Chorrichter ausgewählt um den Pfarrer bei den „Hausbesuchen“ zu begleiten65. 1812 wurden aus jeder Ortsgemeinde ein Chorrichter bestimmt in die „Schulkommission“66. In der Zeit vom 26. Juni 1808 bis 18. November 1810 befasste sich Pfarrer Wyss und das Chorgericht nach 80 Proto- kolleintragungen mit 25 Geschäften aus dem Bereich Ehe- und Vaterschaftshändel: 1 Ehestreit, 1 Warnung, 2 Eheschei- dungen und 21 Vaterschaftshändel. Bei der Warnung ging es um die Wiederholung eines früheren Regierungsmandats, wonach die Landwirte anzuhalten seien, die Knechte und Mägde in separaten Schlafzimmern unterzubringen! Neben viel Menschlichem gibt es aus diesen Geschäften doch einige Hinweise auf die damaligen Verhältnisse: • Einsprachen gegen Eheverkündungen. So hat zum Beispiel auch die Ortsgemeinde Niederwichtrach gegen eine Ehe- verkündung Einsprache erhoben, weil der Bräutigam von der Gemeinde die Lehre als Schneider bezahlt erhielt, den Betrag aber noch nicht zurückbezahlt hatte. • Vaterschaftsklagen gegen verheiratete Frauen, deren Ehemänner vor Jahren in fremde Kriegsdienste zogen und von denen man seit langem nichts mehr gehört hat. • Schwangerschaft durch deutschen Wagner-Gesellen. Diese Geschäfte bewirkten ein grosses Mass an Schreibarbeit neben den Protokollen, mit Briefen an das Ober-Ehegericht oder an andere Chorgerichte, die dann immer auch als Beleg in das Chorgerichtsmanual abzuschreiben waren. 1.5.2. Das Sittengericht Die Sittengerichte, ab 1831, waren in ihren Befugnissen gegenüber den Chorgerichten wesentlich eingeschränkt. Sie durf- ten nur ermahnen, warnen und Anzeigen an den Gerichtspräsidenten richten. Die Sittengerichte waren den Amtsgerichten unterstellt. In ihrer Zuständigkeit waren Matrimonial- und Paternitätshändel, die Heilighaltung von Sonn- und Feiertagen, die Handhabung von Ruhe, Zucht und Ehrbarkeit, das Achthaben auf Sektiererei und die heranwachsende Jugend. Durch den Übergang zu den Sittengerichten verlor die Kirche den Charakter einer „Polizeiinstanz“, sie konnte nun freier, evan- gelischer und gelöst vom Gesetz auftreten, verlor aber dadurch auch bei Vielen den hergebrachten Respekt vor der Kirche. Die strengen Sonntagsgesetze, die Spiel- und Tanzverbote usw. betrachtete man zunehmend als unverträglich mit der persönlichen Freiheit und unstatthaften Eingriff in die Grundsätze der Toleranz.67 Die Protokollierung des Sittengerichts in Wichtrach ist zu finden in den Chorgerichtsprotokollen ab dem Jahr 183268. 1.5.3. Der Friedensrichter Am 11. Oktober 1874 beschloss die Kirchgemeindeversammlung „mit grossem Mehr auch fernerhin einen Friedensrichter für die Gemeinde haben zu wollen“, gewählt wurde unmittelbar darauf mit 51 von 58 Stimmen Grossrat Dähler. Die Wahl wurde dem Regierungsstatthalteramt mitgeteilt69. Mit der Schaffung der bürgerlichen Abteilung der Kirchge- meinde wurde dieser die Wahl der Friedensrichter übertragen. Am 20. April 1890 beschloss die Kirchgemeindeversamm- lung bürgerliche Abteilung, in Zukunft auf die Institution „Friedensrichter“ zu verzichten70. 1.6. Grosse Veränderungen, von der Helvetik zur Regeneration (1798 – 1848) Die Helvetik hob «das alte Staatskirchentum mit all seinen Privilegien und mit seiner aristokratisch-strengen und patriar- chalisch-wohlwollenden Regierungsweise» auf. Zwei Tendenzen rangen miteinander: 1. die staatskirchliche Idee der Pat- rioten, 2. die Idee des religionslosen Staates nach der französischen Auffassung. Man ging daran, die Macht der Kirche

62 Regionbuch, Landgericht Konolfingen, unterer Teil, S. 189 63 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Chorgerichtsmanuale, auch digitalisiert verfügbar 64 Oberwichtrach Gestern und heute, Seite 190 65 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Chorgerichtsmanual 1805-1808, S. 234 66 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Schulmanual S. 22 67 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, Seite 620 68 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Chorgerichtsmanual, Band 6, 1822-1879 69 Archiv Kirchgemeinde Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886, Seite 12 70 Historisches Archiv Oberwichtrach, B 18860808, S. 20

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 11 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 zu brechen, die als Hort der alten Ordnung galt: Die Beamten durften nicht mit ihren Amtsabzeichen an Gottesdiensten teilnehmen, der Zehnten wurde aufgehoben, das Ehewesen von kirchlichen Vorschriften gelöst, die Chorgerichte abge- schafft, die Störung der Gottesdienste straffrei, Taufe, Kinderlehre und Unterweisung nicht mehr obligatorisch. Dennoch sorgten Männer dafür, dass das Freidenkertum nicht zur Staatsmaxime erhoben wurde, so Philipp Albert Stapfer, der Minister der Künste und Wissenschaften und auch für das Kirchenwesen während der Helvetik verantwortlich. Gug- gisberg nennt ihn einen «der bedeutendsten und edelsten Männer der Helvetik». Er trat gegen die französische religiöse Indifferenz und für die positive Erörterung der Kirche ein. Neben ihm stand Johann Samuel Ith, «überzeugter Freund der Revolution»; ihm war das Prinzip der Religion die Moralität. Gegner dieser geistigen Führer der Helvetik in Bern war David Müslin, der sich gegen alle Angriffe auf Pfarrer und Kirche zur Wehr setzte und sich auf die konservative Seite stellte71. Die Zeit der Mediation und Restauration brachte die Wiederherstellung der Souveränität der Kantone in kirchlichen Ange- legenheiten, was zunächst die Wiederherstellung der alten Formen zur Folge hatte. «Von neuem erkannte man die Würde der Kirche als eines Orts der Sammlung, Ermutigung und Heimatlichkeit». Man kehrte wieder zur Staatskirche zurück. Konfessionspolitisch wurde für Bern von Bedeutung, dass auf Grund des Entscheides des Wiener Kongresses der Verei- nigungsvertrag mit dem Jura 1815 die Ausdehnung des Protestantismus in das ehemalige Bistum Basel brachte. Aber der Anschluss des mehrheitlich katholischen Jura verwandelte den Kanton Bern in ein konfessionell gemischtes Staatswesen. «Jetzt gab es in dem einen Staat zwei Kirchen mit gleichen Ansprüchen. Die Anerkennung des Prinzips der Toleranz drängte sich auf, umso mehr als im Großen Rat nun auch Katholiken saßen. Gleichwohl hielt Bern noch am reformierten Staatskirchentum fest». Damit wurden die konfessionellen Fragen erneut aktuell72. 1820 brachte eine neue Visitationsordnung den staatlichen und kirchlichen Behörden die Möglichkeit, sich einigermassen über den Stand des kirchlichen und religiösen Lebens zu orientieren. An der Visitation hatten sich die Amtsrichter und Gerichtsstatthalter, die Beisitzer der Chorgerichte, die Gemeindevorsitzer und Schulmeister und schliesslich alle Hausvä- ter einzufinden. Vor der Visitation musste der Pfarrer einen schriftlichen Bericht über die Gemeinde abliefern. Der Bericht sollte über die Gottesdienstlichkeit, die sittliche Aufführung der Gemeindebehörden und der Gemeindemitglieder, den Schulunterricht und die Unterweisung berichten. Wichtrach meldete 1820 eine maximale Predigtbesucherzahl von 16 Pro- zent. In den 1820er Jahren gab es in praktisch allen Belangen des kirchlichen Betriebes interessante Diskussionen und Entwicklungen 73. Die Regeneration stand bereits unter dem Zeichen des aufstrebenden Liberalismus. «Das große Ziel des Liberalismus waren Humanität und freie Entfaltung aller schöpferischen Kräfte», sein Glaube «war zum Teil christlich bestimmt, zum Teil aber auch idealistischer Theismus oder Pantheismus». Zu einem harten Kampf kam es zwischen dem Radikalismus und der Kirche. «Die extremen Radikalen wandten sich nicht nur gegen die katholische Kirche, sondern auch gegen die konservativen Protestanten, ja gelegentlich gegen das Christentum überhaupt». Im Jahre 1834 wurde die bernische Hoch- schule eröffnet, die die Akademie ablöste. Ihr war auch eine theologische Fakultät eingegliedert. Mit der Regeneration veränderte sich das Verhältnis von Kirche und Staat entscheidend, die Kompetenzen der Kirche wurden stark beschnitten und die kirchlichen Strukturen verändert. 1831 wurden die Chorgerichte aufgelöst und an deren Stelle entstanden die Sittengerichte mit eingeschränkten Kompetenzen. Die Pfarrer wurden von allen Arten der Gerichts- barkeit entbunden. 1834 wurde das Amt des Kirchgemeinderates geschaffen und eine Synode eingeführt. Mit dem Kir- chengesetz von 1852 entstand definitiv die „Landeskirche“ mit einer Synode, Bezirkssynoden und für alle Pfarrgemeinden die Kirchenvorstände. Sämtliche Bewohner einer Kirchgemeinde, die Glieder der evangelisch-reformierten Landeskirche sind und das bürgerliche Stimmrecht besitzen, bilden die Kirchgemeindeversammlung. Sie wählt die „Kirchenältesten, aus der Zahl ihrer ehrbarsten und gottesdienstlichen Männer“ für jeweils 4 Jahre74. Im Kanton Bern wurde allmählich die soziologische Umschichtung der Bevölkerung sichtbar mit der Abwanderung vom Land in die Stadt. Auf dem Lande konnte es der Arme nur bis zum Knecht bringen, in der Stadt entwurzelte er schnell. Soziales Gedankengut konnte sich da entwickeln, auch Richtung Land mit den Taunern und Schuldenbauern. Die Not der Armen wurde sichtbar75, siehe auch Heft 11, Kapitel 2. 1.7. Der Weg in die Moderne, die Staatskirche wird zur Volkskirche Wie sehr sich die Zeiten geändert hatten, ergibt sich aus den Kirchengesetzen von 1852 und besonders demjenigen von 1874. Es brachte ein neues Verhältnis zwischen Staat und Kirche, die Staats- wurde zur Volkskirche, sie erhielt größere Selbständigkeit und brachte die Demokratisierung der Kirche. Bemerkenswert ist, dass ein interkonfessionelles Gesetz für Protestanten und Katholiken zustande kam und die drei protestantischen Richtungen zusammenblieben. Der Typus der Landeskirche sollte beibehalten werden. Das Gesetz gewährleistete die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die freie Ausübung der gottesdienstlichen Handlungen innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und öffentlichen Ordnung76. Der Bundesverfassung entsprechend wurden das Begräbniswesen der Ortspolizei übertragen und die Eheschliessung dem Einfluss der Konfessionen entzogen. Auf den 1. Januar 1876 mussten die pfarramtlichen Register an die Zivilstandsbe- amten abgeliefert werden und so wurde die Herstellung neuer kirchlicher Register nötig. Die Kirche wurde synodal77 aufgebaut, das Schwergewicht lag in der Gemeinde, die als soziale, politische und religiöse Grundrealität galt. Die Legislative war die Kirchgemeindeversammlung. Stimmberechtigt waren alle, die das politische Stimmrecht besassen und mindestens ein Jahr in der Kirchgemeinde gewohnt haben. Im Jahre 1908 sprach sich die

71 Rudolf Pfister, Rezension K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte 72 Rudolf Pfister, Rezension K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte 73 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 588, 590 74 Rudolf Pfister, Rezession K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte 75 Jeremias Gotthelf, 1840, „Armennot“, „Jakobs Wanderungen“ 76 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 688 f 77 Synode stammt aus dem Griechischen und bezeichnet eine Versammlung in kirchlichen Angelegenheiten

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Synode für Einführung des kirchlichen Frauenstimmrechts aus, 1920 war es in sechsundzwanzig Kirchgemeinden be- schlossen. Die Kirchgemeinde wählte die Pfarrer, vorbehältlich der Genehmigung durch die Regierung. Die jährlich abzu- legende Kirchenrechnung der Gemeinden war durch die Staatsbehörden zu kontrollieren78. Die ordentliche Verwaltungs- und Aufsichtsbehörde in der Kirchgemeinde war der Kirchgemeinderat, in den jeder kirchlich Stimmberechtigte nach zu- rückgelegtem 23. Altersjahr wählbar war. Er sollte das religiöse und sittliche Leben fördern, den Ehefrieden bewahren, die freie Liebestätigkeit wach erhalten und sich liebreich der Strafentlassenen annehmen. Im Jahre 1881 enthob ein Dekret die Kirchgemeinderäte aller ihrer bisherigen Funktionen in Ehescheidungs- und Vaterschaftssachen79. An Stelle der Kapitelversammlungen wurden später Bezirkssynoden gebildet. Die Vertreter in die Kantonssynode wurden nicht aus den Bezirkssynoden, sondern vom Volk direkt gewählt. Die Kantonssynode ordnete nach dem Gesetz alle inner- kirchlichen Angelegenheiten, vorbehalten die Genehmigung durch den Staat und das Veto der Kirchgemeinden. Als innere Angelegenheiten wurden bezeichnet: Christliche Lehre, Kultus, Seelsorge und religiöse Seite des Pfarramtes. In entschei- denden Punkten blieb der Staat Kirchenregent. Die theologische Fakultät wurde von der Regierung allein mit Lehrern besetzt, die Aufnahme in den bernischen Kirchendienst stand ebenfalls in ihrer alleinigen Kompetenz, ebenso die Abgren- zung der kirchlichen Wahlkreise. Die Gemeinde- und Predigerordnung von 1881 brachte innerkirchliche Ergänzungen und ging zurück auf das Reformationsedikt und die zehn Schlussreden von 152880. Gingen die Gegner des Kirchengesetzes von 1874 davon aus, das kirchliche Leben werde versickern, wurden sie ge- täuscht, indem in der Periode ab 1870 neue Kirchgemeinden gegründet wurden, Kirchen gebaut und renoviert, fast überall wurden Heizungen eingebaut, im Jahre 1882 waren es nur noch zweiundzwanzig Kirchen ohne diese Einrichtung. Der Staat begann Pfrunddomänen zu veräussern und Pfarrhäuser und Pfrundgüter an die Gemeinden zu verkaufen. Seit dem Jahre 1909 setzte die Werbung für den Bau von Kirchgemeindehäusern ein, die Kirche begann zu merken, dass sie nicht warten dürfe, bis die Leute zu ihr kämen, sondern ihre Arbeit dorthin ausdehnen müsse, wo das Feld bisher brach gelegen hatte und den Sekten überlassen worden war81. In der Gemeinde- und Predigerordnung von 1880 wurde ein besonderes Gewicht gelegt auf Unterweisung und Kinderlehre. Deren Umsetzung war aber problematisch, der Religionsunterricht bot grosse stoffliche und methodische Schwierigkeiten. Seit den 1880er Jahren entstanden auch Sonntagsschulen innerhalb der Landeskirche, während solche früher meist die Domäne der Evangelischen Gesellschaft, der Methodisten und anderer freier Kirchen waren82. 1887 legte der Synodalrat den Pfarrern nahe, bei den kirchlichen Beerdigungen die Abdankungen zu übernehmen von den Lehrern, „damit diese nicht allzu oft den Unterricht aussetzen müssten“ als Ersatz des Brauches, dass Lehrer beim Trauerhaus ein Gebet zu sprechen hatten. Zunehmend wurde die Leichenfeier in die Kirche verlegt83.1890 erklärte die Synode Zustimmung zum eidgenössischen Gesetz über die Kranken- und Unfallversicherung. Es entsprach einem immer deutlicher werdenden Bedürfnis, dass die Pfarrer den Kontakt mit den Gemeindegliedern durch Hausbesuche suchten. Durch den Wegfall der Aufgabe als Zivilstandsbeamte kamen sie immer weniger in den persönli- chen Kontakt. Man stellte fest, dass das Bedürfnis nach seelsorgerischer Betreuung abnehme sobald der Pfarrer keine Besuche mehr mache84. Es entwickelte sich die „kirchliche Liebespflege“, Die Armenpflege gehörte zum selbstverständli- chen Aufgabenkreis der Pfarrer, viele waren Präsidenten, Sekretäre oder Kassiere in gemeinnützigen Institutionen, was allerdings nicht unbedingt der Auffassung des Synodalrates entsprach und so waren es weniger die Kirche, sondern private Vereine, welche öfters unter Leitung von Pfarrern die Organisation der Liebestätigkeit an die Hand nahmen. So entstand in Brünnen eine Anstalt für Waisenmädchen, in Richigen eine Anstalt für Unheilbare („Gottesgnad“), in Bad Brüttelen 1885 eine solche für Fallsüchtige („Bethesda“), in die Anstalt für Alkoholkranke „Nüchtern“ und 1894 das „Asyl für unbemittelte Tuberkulöse» in Heiligenschwendi. Es entstand die Gotthelf-Stiftung, die Landeskirchliche Stellenvermittlung. 1885 wies der Synodalrat in einem Kreisschreiben auf das Auswandererproblem hin, allerdings sahen die Kirchenleute die schweren sozialen Fragen, die dahinter standen, zu wenig klar. Zunehmend musste sich die Kirche auch mit den sozialen Auswirkungen der um sich greifenden Industrialisierung befassen, die zunehmenden Differenzen zwischen Stadt und Land und den Bauern und Arbeitern85. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Kanton Bern entwickelte sich zunehmend in nationale, internationale und ökumenische Zusammenhänge. Die reformierte Kirche engagierte sich im Evangelischen Kirchenbund, der 1920 entstandenen Dachorganisation des schweizerischen Protestantismus, über diesen im Reformier- ten Weltbund und im Ökonomischen Rat der Kirchen und nahm, wenn auch in unterschiedlicher Weise, Anteil am Deut- schen Kirchenkampf. Bei der Schaffung des neuen Kirchengesetzes von 1945 wirkte der Liberale Flügel der reformierten bernischen Kirche für eine bekenntnisoffene, demokratisch strukturierte, eng mit dem Staat kooperierende Volkskirche. Den Unabhängigen war seit dem Ersten Weltkrieg und seit dem dritten Reich dieser Ansatz suspekt und sie plädierten für eine bekennende Kirche, die sich in ihrer Ordnung im Geiste Calvins am Evangelium und an der Reformation statt am liberaldemokratischen Staat orientierte. Überraschend gelang 1946 eine Einigung bei den Beratungen über die Kirchenverfassung. 1949 begann der bernische Kirchenstreit bis 1951. In ihm ging es mitten im kalten Krieg um den Ort der Kirche im demo- kratischen Staat mit der Auseinandersetzung im Ost-West-Konflikt, der Wertung des Kommunismus und die Suche nach einem christlichen Weg zum Frieden. 1953 kam eine neue Kirchenordnung für die evangelisch-reformierte Kirche im

78 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 688 f 79 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 690 80 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 691 81 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 699 f 82 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 708 83 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 707 84 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 711 85 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, Seite712 f

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Kanton Bern in Kraft. 1954 berichtete der Präsident des schweiz. evangelischen Kirchenbundes über Bemühungen zur Ökumene, wo die römisch-katholische Kirche grundsätzlich abseitsstehe. In den 1960er-Jahren wurde der Richtungsgegensatz durch neue Entwicklungen relativiert. In der ökumenischen Bewe- gung stand die Herausforderung des Nord-Süd-Konfliktes, der gemeinsame Anstrengungen der kirchlichen Hilfswerke erforderte. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil begannen auf nationaler Ebene Gespräche zwischen der reformierten, der römisch-katholischen und der christkatholischen Kirche, die 1967 zu einer Erklärung über die Ehe zwischen bekennt- nisverschiedenen Christen führte, 1973 erfolgte die gegenseitige Anerkennung der Taufe und 1982 die Gründung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Region Bern. Im Frühling 1963 erfolgte eine Abstimmung im Rahmen der berni- schen Kirchenverfassung zur Frage, ob Theologinnen in Zukunft auf Grund einer Gemeindewahl in ein volles Pfarramt eingesetzt werden könnten, mit Zustimmung86. Zwischen 1970 und 2000 ist im Einzugsgebiet der Kirchen Bern-Jura-Solothurn der Anteil der Reformierten an der Ge- samtbevölkerung von 72% auf 60%, derjenige der Römisch-Katholischen von 25% auf 22% gesunken, währen der Anteil der Konfessionslosen von 1% auf 9% und der anderen Protestanten von 2% auf 3% stieg. Die Muslime machten im Jahr 2000 3% der Bevölkerung aus, mehr als die Christlich-Orthodoxen mit 1% und die Juden, Hindus und Buddhisten, die zusammen ebenfalls 1% erreichten. Aus diesen Zahlen ist der Trend von einer christlichen zu einer multireligiösen Gesell- schaft ersichtlich. 1990 erfolgte die Abstimmung über das Anerkennungsgesetz für andere Religionsgemeinschaften. Die bernische Kirchengeschichte im 19. und 20. Jahrhundert zeigt den Weg von der reformierten Staatskirche zur konfes- sionellen Vielfalt. Diese Entwicklung hat zum Teil schwere Konflikte gebracht und die Weiterentwicklung enthält ebenfalls viel Konfliktpotential. Ein neuer Umgang mit diesen Fragen pflegt seit einem Jahrzehnt das Haus der Religionen – Dialog der Kulturen in Bern.

2. Die Kirchgemeinde Wichtrach entsteht Ausgewählt und zusammengefasst: Peter Lüthi 2.1. Die Frühgeschichte bis zur Reformation Über das Entstehen einer Pfarrei in Wichtrach wurden bis heute keine Schriften gefunden. Der Archäologe Dr. D. Gutscher, der im Sommer 1994 2 Sondierbohrungen in der Kirche durchführte und da auf ältere Funde gestossen ist, ist der Meinung, dass auf Grund des römischen Gutshofes oberhalb der Kirche am heutigen Standort bereits eine Kapelle bestand, etwa im 4. Jahrhundert. Der Umstand, dass Wichtrach zu den Orten mit der Namensendung „-acum“ gehört, weise auf die Entstehung einer Kirche hin im Frühmittelalter, allenfalls in der karolingischen Zeit87. Seit etwa der Jahrtausendwende waren in Wichtrach das Benediktiner-Kloster Einsiedeln und im Raum /Kiesen das Augustiner-Kloster Interlaken Landbesitzer mit Twing und Bann88. Der älteste bekannte Akt betrifft „Sa- cerdote (Priester) Hugo de Wichroho“. Er ist 1180 als Zeuge in einer Schenkungsurkunde über Legate des „freien Cuno von Buchsee“ er- wähnt, in der (späteren) Übersetzung dieses Do- kumentes lautet die Be- Ausschnitt aus der Urkunde 1180, in der 2. Zeile ist "hugo de wichroho" zeichnung „Hugo von Wichtrach“89. Gemäss Dr. E. Burkhard war die Kirche in Wichtrach dem heiligen Mauritius (gestorben 287) geweiht90. Im „Liber decimationis“ des Bistums Konstanz von 1275, einem Amtsbuch, angelegt zum Zweck der Einziehung eines päpst- lichen Kreuzzugzehnts, das ein weitgehend vollständiger Überblick gibt über die damals bestehenden Pfarreien und Klös- ter des Bistums, findet sich auch der Leutpriester von Wichtrach. Dabei ist Wichtrach als „Withera“ geschrieben91. Nach dieser Schrift gehörte die Pfarrei zu dieser Zeit zum Dekanat „Langenove“ (Langnau). Gemäss einer Urkunde vom 6. Februar 133392 hat Philipp Hagnauer, Kirchherr93 von Wichtrach, diese Kirche vom Abt Johannes von Einsiedeln mit allen Rechten und Pflichten zu Lehen erhalten. In einer weiteren Urkunde vom 8.Oktober 138794 wird Johannes von Blumenstein, Kirchherr von Wichtrach, als Siegler erwähnt. In den Investiturprotokollen der Diözese Konstanz aus dem 15. Jahrhundert wird Wichtrach verschiedentlich erwähnt. Im Jahr 1474 ist eine Investitur in „S. Mauricii in Wichtrach“ verzeichnet, was als Bestätigung von Bau und Weihung der Kirche

86 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeindeversammlung 1956-1982, S. 51 87 Siehe Kapitel 4.1.1. 88 Wichtracher Heft 1, Seite 10 89 Staatsarchiv Bern, C I b 61, Dokumentenbuch des Hauses Buchsee 90 Dorf und Herrschaft Münsingen in alter Zeit, Dr. E. Burkhard, Seite 39 91 Freiburger Diözesan-Archiv 1 (1865) 92 www.klosterarchiv.ch/urkunde/id/271 93 Kirchherr = Kirchenpatron=definierte Rechtsbeziehung zwischen Kirchgemeinde und ihrem Patron. Hat besondere definierte Pflich- ten und Rechte gegenüber der Kirchgemeinde (zB. Baulast an Kirchengebäuden, Besoldung des Pfarrers usw, als Rechte zB. auch Mitwirkung bei der Pfarrerwahl (wikipedia, Stichwort Kirchenpatronat). Siehe auch www.hls-dhs-dss.ch, Stichwort Herrschaftsrechte, Kirchenherrschaft. 94 Saatsarchiv Bern, Urkundenarchiv C I a, (1180 – 1992)

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 14 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 dem heiligen Mauritius am heutigen Standort verstanden werden kann (siehe Kapitel 4.1.1. und Anhang 11)95. Eine Ur- kunde vom 26. Mai 1490 belegt, dass das Kloster Interlaken der Kirche Wichtrach eine Abgabe von Oppligen vorenthielt und der Rat von Bern dann zugunsten der Wichtracher entschied96. Kiesen gehörte auch zur Herrschaft des Klosters Interlaken (Kiesen erstmals urkundlich erwähnt: 1236). Mit der Reformation entstanden formell die Kirchgemeinden. Die Kirchgemeinde Wichtrach gehörte mit den Kirchgemein- den aus dem Amt Konolfingen zum Kapitel Bern97. Zur Kirchgemeinde Wichtrach gehörten die Ortsgemeinden Nieder- und Oberwichtrach, Kiesen und Oppligen. Wann, wie und warum die 4 Ortsgemeinden mit unterschiedlichen Herrschaften zu einer Kirchgemeinde in (Ober)-Wichtrach zusammenführt wurden, ist unbekannt, wahrscheinlich weil es schon seit frühen Zeiten in Oberwichtrach eine Kapelle/Kirche gab (siehe Kapitel 4.1.1.). 2.2. Prägende Personen bis zur Reformation 2.2.1. Albanus, Pfarrer und Dekan von Wichtrach Nach einer Urkunde im Staatsarchiv Bern hatte Ende Mai 1357 «Alban, Pfarrer und Dekan zu Wichtrach» eine Kund- schaftsaufnahme zu Signau über die Rechte der Kirche zu Röthenbach durchzuführen und in Juli gleichen Jahres erteilten die Generalvikare des Bistums Konstanz dem Dekan in Wichtrach den Auftrag, den vom Haus Buchsee präsentierten Bruder Heinrich von Rüttingen, Priester des Johanniterordens als Vikar an der Pfarrkirche Bremgarten einzusetzen98. 2.2.2. Sebastian von Stein, Herrschaftsherr von Münsingen Sebastian von Stein war ein angesehenes Ratsmitglied, 1522 war er das Haupt der französischen Partei in Bern. Da zu dieser Zeit Rom mit Frankreich verfeindet war, war Stein erfreut99 über Brunners Ausfälle gegen den Papst anlässlich des Schiedsgerichtes, wo Stein eines der sechszehn Mitglieder war, die am 29. August 1522 über die Klage des Dekans Güntisberg von Münsingen gegen seinen Pfarrer Georg Brunner der Filialkirche von Kleinhöchstetten zu entscheiden hat- ten100 . 1527 schenkte das Kloster Einsiedeln „Kirchensatz und niederes Gericht“ von Oberwichtrach dem Sebastian von Stein, damals noch Herrschaftsherr von Münsingen. Diese Schenkung wurde aber unmittelbar gegen eine Entschädigung von 60 Kronen von der Stadt Bern eingezogen101. Sebastian von Stein wurde anlässlich der Ratswahlen vom Ostermontag 1527 als Altgläubiger auf Grund eines Gesetzes von 1459 (niemand durfte Mitglied eines der beiden Räte werden oder bleiben, dessen Ehe nicht rechtmässig geschlossen sei) von der Wiederwahl ausgeschlossen, weil er sich von seiner Gattin getrennt hatte und eine zweite, ungültige Verbindung eingegangen war. Stein schied aus dem Rat aus und zog nach Annahme der Reformation als Altgläubiger nach Freiburg.102. 2.2.3. Dekan Güntisberg von Münsingen Dekan Ulrich Güntisberg von Münsingen vertrat am 29. August 1522 die Anklage gegen Brunner, war aber offensichtlich dem sehr gut argumentierenden Brunner nicht gewachsen, so dass das Schiedsgericht schlussendlich für Brunner ent- schied, der konnte bleiben103. 2.2.4. Jakob Trayer, Pfarrer von Wichtrach, Kammerer des Dekanats Münsingen Der Pfarrer Jakob Trayer von Wichtrach (1500-1542) war als Stellvertreter des Dekans Güntisberg einer der Begleiter beim Handel gegen Georg Brunner. Trayer war Kammerer104 des Dekanats Münsingen. 2.3. Die Zeit nach der Reformation Im Streit zwischen der lutherischen und der zwinglianischen Richtung in der Zeit von 1544/45 begann der Rat von Bern, die Auffassungen einzelner Pfarrer genauer zu untersuchen, was bewirkte, dass dem Pfarrer Peter Huber von Wichtrach das Predigen verboten wurde. Er wurde 1545 nach Burgdorf gewählt. Jetzt mussten sich sämtliche Geistlichen auf den sogenannten Prädikantenrodel verpflichten, sie mussten an Eidesstatt durch Eintragung ihres Namens bezeugen, dass sie an den Schlussreden der Disputation und am Synodus festhalten und sich den bestehenden Ordnungen unterwerfen wollen105. Die Übernahme der Kirchgengüter durch „die gnädigen Herren von Bern“ erfolgte wohl auf Grund des Ratsma- nuals vom 29. Januar 1571. 2.3.1. Die Pfrund Wichtrach unter Schultheiss und Rat Bern Die älteste Beschreibung der Pfrund Wichtrach geht zurück auf die Reformationszeit und die folgenden Jahre106. Das Dokument ist leicht beschädigt, es wurde aber eine Abschrift im Staatsarchiv Bern gefunden, das die Transkription erleich- terte. Danach wurde von Pfarrer Jacob von Rümlang, unterstützt von alt-Pfarrer Hans Gasser und den Vorgesetzten von Ober- und Niederwichtrach, Wil, Kiesen und Oppligen der Pfrundbesitz erfasst, bereinigt und im Manual festgehalten, herausgegeben per Ende Oktober 1572. Nebst dem Beschrieb der Pfrund mit allen Rechten und Einkünften enthält dieses Dokument in den ersten 8 Seiten ein Beschrieb der Vorgeschichte der Kirche und Kirchgemeinde Wichtrach aus dem

95 Freiburger Diözesan-Archiv 74 (1954), Seite 978 96 Oberwichtrach Gestern und Heute, Seite 193 ff (enthält Bild und Abschrift) 97 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 154 98 Staatsarchiv Bern, C I a F 99 R. Feller, Geschichte Berns, Band 2, Seite 114 100 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 66 101 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, S. XXIII 102 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 98 103 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 62 f 104 Kammerer = Vizedekan und Kassier eines Dekanates 105 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 209 106 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach,09 Zenden-Kontrolle 1572 – 1723 und StAB. C II c 746. Urbarien. Wichtrach Pfrund Urbar. 1572

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 15 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 damaligen Wissensstand sowie über Ja- cob Trayer. Die Informationen bestätigen die Besitzverhältnisse um die Reformati- onszeit, enthalten jedoch wenig Konkretes über die Entstehung von Kirche und Pfrund Wichtrach. Diese Einleitung ist auch das bisher älteste historische Doku- ment in der Gemeinde und bestätigt insbe- sondere die Schenkung vom Kloster Ein- siedeln an Sebastian von Stein. Wie das Kloster Einsiedeln zu diesem Besitz kam, ist nicht beschrieben. Das nächste Dokument, das in recht gut systematisierter Darstellung die Pfrund be- schreibt enthält den Stand von 1751, er- fasst 1810107, zusammengefasst in An- hang 6. Im dritten Dokument, datiert 1809, wurde von Pfarrer Wyss und seinen Nach- folgern Stand und Veränderungen der Pfrund dokumentiert. Das Dokument ent- hält bei den „liegenden Gütern“ auch den Plan der Hausmatte108. 2.3.2. Wichtrach, die „Altersresi- denz“ In der Zeit von 1737 bis 1808 wurden im- mer alte Pfarrer nach Wichtrach geschickt. Aus Unterlagen von Pfarrer Johann Rudolf Wyss sowie dem Schreiben von Oberamt- mann Effinger sowie den Lücken im Man- Plan Hausmatte 1810 dantenbuch muss entnommen werden, dass unter den alten Herren Kisling, Rengger und Ganting, die alle im Alter von damals „biblischen“ 69 – 70 Jahren nach Wichtrach kamen, einiges aus dem umfangreichen Aufgabenbereich der Pfarrer liegen blieb (Aufgaben siehe Kapitel 1.4.2.). Dafür ist wohl die Besoldungsordnung verantwortlich (siehe Kapitel 1.6.). Aus den Chorgerichtsmanualen ist teil- weise ersichtlich, dass die Pfarrer manchmal durch Vikare unterstützt wurden. 2.3.3. Der Einfluss der Kirche auf die Entwicklung der Bevölkerung und der Ökonomie Pfarrer Johann Rudolf Wyss berichtete in seinem Schriftstück im Knauf des Kirchturms (Anhang 11, Schriftstück 4), dass „die Bevölkerung seit etlichen Jahrzehnten ungemein zugenommen hat“, dank der Einführung der Schutzblattern109 und der Wohlstand dank der Einführung des Esparsettenanbaues durch Pfarrer Kisling (in Wichtrach 1781-1796). 2.4. Mediation und Restauration, Pfarrer Johann Rudolf Wyss 2.4.1. Strukturelle und personelle Veränderungen von der Helvetik zur Mediation Mit der Mediation entstand das Oberamt Konolfingen, das räumlich im Wesentlichen mit dem Landgericht Konolfingen übereinstimmte. Geleitet wurde dieses von einem von der Regierung gewählten Oberamtmann. Die Freiweibel wurden ersetzt durch „Statthalter“. In den Dörfern gab es nun neben den Rechtsamegemeinden die in der Helvetik eingeführte Einwohnergemeinde mit der Einwohnergemeindeversammlung, wobei die Aufgaben- und Güterausscheidung zwischen diesen beiden Organen lange nicht bereinigt war (Heft 3, Kapitel 3.4.). Das Chorgericht der Kirchgemeinde Wichtrach mit den Vertretern aus den 4 Gemeinden als kirchliches Gericht wurde vom Oberamtmann geleitet, dem auch die definitive Wahl und Vereidigung der Chorrichter oblag. Das weltliche Gericht bestand wieder wie früher mit den Gemeinden Oberwichtrach, Oppligen und Häutligen; in Niederwichtrach war der Herrschaftsherr von Steiger in Münsingen zuständig. Am 5. Juli 1803 wurde die Predikanten-Ordnung aus der Zeit vor der Helvetik wieder in Kraft gesetzt, „sofern sie dem neuen Recht nicht widerspricht“110, bis zum Vorliegen einer neuen Predikantenordnung. Damit waren die Aufgaben der Pfarrer wieder wie vor der Helvetik (siehe Predikantenordnung von 1748, Kapitel 1.4.2.). Die enge Verbindung von Kirche und Staat wurde wieder hergestellt. Als oberstes Organ der Kirche wurde der Kirchenrat eingesetzt, der auch zugleich oberster Schulrat war111, für die Umsetzung siehe Heft 3, Kapitel 5.2.2. Anfangs 1808112 übernahm Johann Rudolf Wyss die Pfarrei Wichtrach. Was er da vorgefunden haben muss, kann kaum als „gut geführte Pfarrei“ bezeichnet werden. So geht zum Beispiel aus dem Buch Pfrundzubehörden 1809 hervor, was er alles seit seiner Ankunft bis 1810 an Unterhalt geleistet hat. So schreibt er zum Pfarrhaus: „ In genere wurde das ganze Haus quasi geweisset“113. Oder im Mandantenbuch, wo er nach dem letzten Eintrag von 1762 seiner Vorgänger zum

107 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Auszug aus dem Urbar der Pfrund Wichtrach vom Jahr 1751 108 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Pfrund Zubehörden 1809 109 Blattern = Pocken. Schutzblattern = Verwendung von tierischen Pockenviren zur Impfung (Kuhblattern) 110 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Mandatenbuch S. 103 111 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 570 112 Genauer Amtsantritt offen, Jahr ist bestätigt 113 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Pfrund Zubehörden 1809

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Beginn seiner Amtszeit schrieb: „Bis hieher fand ich bei meinem Amtsantritt auf 29. April 1808 das Mandatenbuch geführt. Ein neues Mandatenbuch enthielt ein paar Verordnungen der Helvetik, welche nunmehr ungültig sind. Deswegen werde ich das gegenwärtige fortsetzen und bestmöglich zu kompletieren versuchen“. Ähnliches steht im Chorgerichtsmanual 1788-1821: “Bis hieher fand ich bei meinem Amtsantritt das Chorgerichtsmanual fortgeführt, weiter nicht, wie ich es heute dem Chorgericht vorgewiesen habe, Wichtrach 15. May 1808“. Der letzte Eintrag seines Vorgängers datiert vom 13. Win- termonat 1806. Ein Schulmanual wurde erstmals von Pfarrer Wyss geführt. Für unsern Raum wurde in der Zeit von 1808 bis 1814 Kiesen zum politischen Zentrum indem der Schlossherr Rudolf Emanuel Effinger (1771 – 1847)114 zum Oberamtmann bestimmt wurde und dieser während seiner Amtszeit sein Schloss Kiesen zum Amtssitz bestimmte. Rudolf Effinger war Offizier in holländischen Diensten, Adjutant von General von Erlach im Grauholz und später Befehlshaber aller bernischen Truppen im Range eines Obersten. Er kaufte das Schloss Kiesen aus der Erbschaft seines Schwiegervaters für seine Frau. 1803 wurde er Grossrat. In Kiesen kaufte er zur Arrondierung seines Hofes weitere Landparzellen, gab Anstoss zur Aufteilung der Allmend, verbesserte die Qualität von Landparzellen im Moosbereich und führte 1815 im heutigen Museum die erste Talkäserei ein. Politisch engagierte er sich vor allem in Kirchen-, Schul- und Armenfragen115. Das Zusammentreffen von Wyss und Effinger, das hinsichtlich ihres Wirkens durch die Aufschreibungen in den diversen Rödeln und Manualen der Kirchgemeinde dokumentiert ist, führte zu einer Entwick- lung im Raume der Kirchgemeinde Wichtrach, indem einerseits das religiöse und sittliche Leben wieder mehr gewichtet und andererseits die Schulentwicklung stark gefördert wurde. Verschiedene, folgende Darlegungen erinnern an den da- mals rund 30 Jahre jüngeren Gotthelf, zu dem mindestens von Effinger ein Bezug belegt ist aus den Jahren 1821 – 1830 als Effinger Oberamtmann in Wangen war116. 2.4.2. Der Oberamtmann greift ein Am 16. Oktober 1808 versammelte Pfarrer Wyss auf Anordnung des Oberamtmannes Rudolf Effinger die Chorrichter, Gerichtssässen, Obmänner, Weibel und Schulmeister um ihnen ein Schreiben von Effinger vorzulesen. Ihm war bei seinen Predigtbesuchen aufgefallen, dass die „Vorgesetzten“ der Gemeinden der Kirchhöri Wichtrach bei Predigten sehr oft fehl- ten und somit kein gutes Vorbild abgaben. In seinem Schreiben verlangte er nun von den Vorgesetzten117: 1. Dass an den heiligen Sonntagen sämtliche Gerichtsässen und Chorrichter sich beim Gottesdienst einfinden. 2. Dass an den übrigen Sonntagen Vormittags aus jeder der 4 Gemeinden wenigstens ein Chorrichter und nachmittags aus dem Ganzen zwei Beisitzer des Chorgerichts den Gottesdienst besuchen sollen. 3. Dass auch die Schulmeister der Kirchgemeinde durch Besuch des Nachmittags-Gottesdienstes, wie es übrigens ihre Pflicht als Vorsinger erfordert, den Einwohnern, besonders der Jugend, mit einem guten Exampel vorgehen. 4. Diese Vorschrift sei in das Chorgerichtsmanual einzuschreiben und sodann auf die genaue Befolgung derselben wachsam zu achten. 2.4.3. Die Auseinandersetzung um die Nutzung der Schulstube für die Kinderlehre Anschliessend informierte Pfarrer Wyss die Anwesenden, dass er im kommenden Winter an den Sonntagen die Kinder- lehre und an den Wochentagen die Unterweisung im Schulhaus in Oberwichtrach halten werde und nicht mehr im Pfarr- hausstöckli beziehungsweise im Pfarrhaus. Die Vorgesetzten aus Oberwichtrach widersetzten sich diesem Vorhaben mit der Begründung, das Schulhaus sei Eigentum der Gemeinde. Später sagte auch Schulmeister Kandewein, er lasse das nicht geschehen, „weder Sonntags noch Werktags“. Am 13. November bot Pfarrer Wyss im Beisein der Schulmeister die Kinder „auf kommenden Freitag zur Unterweisung ins Schulhaus“ auf. Lehrer Kandewein sagte in Gegenwart aller eine „taube Protestation“ und wollte es durchaus „nicht zuge- ben“. Der Pfarrer wies in zurecht und befahl den Kindern, sich entsprechend zu verhalten. Nun hatten aber die Vorgesetz- ten von Oberwichtrach am 7. November zu einer Gemeindeversammlung eingeladen und die Nutzung des Schulhauses für den kirchlichen Unterricht durch Gemeindebeschluss verboten und dies anschliessend dem Oberamtmann mitgeteilt. Dieser informierte den Pfarrer anschliessend, der nach Kiesen ging und dem Oberamtmann folgende Begründung abgab für den von ihm verlangten Wechsel: 1. Die Gemeinde hat durchaus kein Recht auf die Pfarrgebäude, welche ihr nicht gehören. Der Pfarrer hat das Recht zur ausschliesslichen Benutzung. 2. Der Pfarrer hat überall das Recht, seine Unterweisungen in der Schulstube zu halten, wenn die Gemeinde nicht ein anderes Lokal verschafft. 3. Im Pfarrhause kann ich kein Zimmer zur Unterweisung entbehren und will keines dazu geben. 4. Das Stöckli ist wegen meiner Landökonomie nötig; es ist unmöglich dieses zur Unterweisung zu widmen. 5. Die Stube ist auch viel zu klein zu einer solchen Zahl von Kindern, die sich jährlich noch vergrössert; ich kann die durch eine solche Menschenzahl verdorbene Luft nicht aushalten und müsste die Unterrichtsstunden gar zu kurz machen und mich doch über Kräfte angewiesen. 6. Die Stube ist so finster, dass ich die Kinder nicht sehen und erkennen, auch ihre Aufführung nicht bemerken könne; die Kinder nicht lesen könnten und unbemerkt in ihrer Finsternis tun könnten was sie wollten.

114 www.hls-dhs-dss.ch 115 Kiesen, Heinrich C. Waber, Seite 18 116 www.digibern.ch „Die Situation des Rehwildes um 1830“, hier ist das Jagdpatent von Gotthelf abgebildet, ausgestellt von R. Effinger 117 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Chorgerichtsmanual Buch 5, 1805-1809, S. 226ff

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Der Oberamtmann billigte die Gründe und das ganze Verfahren und munterte den Pfarrer auf, den Unterricht in der Schulstube fortzusetzen, auch wenn es vom Chorgericht nicht erkannt worden sei, den nötigen Lehrstuhl anzuschaffen, er werde nötigen Falls für dessen Bezahlung und für die Zurechtweisung der Dorfgemeinde zu sorgen wissen. Nach dem Gottesdienste fragte Chorrichter Maurer von Oberwil und Weibel Marbach den Pfarrer, ob er die Unterweisun- gen auch weiterhin im Schulhause halten wolle. Auf seine Bejahung informierten sie ihn über das Verbot der Dorfgemeinde und drohten mit einer Klage in Bern. Anschliessend sprach der Pfarrer auch mit dem Statthalter Däpp und informierte ihn über die Rechtslage und machte den Vorschlag, dass die Kirchgemeinde eine besondere Unterweisungsstube bauen solle, wobei er unter Vorbehalt hoher Genehmigung das Lokal im Pfrundstöckli vorzeigen wolle, nur müsse die Gemeinde auch das Holz zum Heizen liefern. Anlässlich der Chorgerichtssitzung vom 4. Dezember 1808 brachte Statthalter Däpp die Angelegenheit zur Sprache. Dabei wurde festgestellt, dass wenn der Pfarrer „zur rechten Zeit um die Erlaubnis angesucht hätte, im Schulhause unterweisen zu dürfen, so hätte man ihm eher willfahrtet“. Nun sei der Gemeindebeschluss ergangen, das Schulhaus sei und bleibe ausgeschlagen, die Gemeinde habe und fordere das Recht zu der Stube im Pfrundstöckli. Worauf der Pfarrer feststellte, wenn die Gemeinde ein wirklich wahres Recht habe, so wolle er ihr dasselbe nicht nehmen. Indessen werde er im Schul- hause fortfahren. Die Zumutung sei ihm übrigens ganz neu, dass ein Pfarrer bei einer Gemeinde die Erlaubnis suchen müsse, im Schulhause Gottesdienst und Nachtmahls-Unterweisung zu halten. Chorrichter Maurer machte zudem noch „ungehörige“ Einwendungen gegen des Pfarrers gehabten Unterweisungsstunden. Am 5. Dezember 1808 kamen Obmann Läderach von Oberwichtrach und Gerichtssäss Krebs von Niederwichtrach zum Pfarrer und verlangten im Namen der Dorfgemeinde, dass er von der Nutzung der Schulstube für die Unterweisung Ab- stand nehmen wolle. Wenn nicht, so werde man die Schulstube schliessen lassen. Die Antwort war, sobald die Gemeinde ein wahres Recht für ihre Forderung habe und diese ausweise, könne er abstehen, sonst nicht. Um 11 Uhr brachte ein Unterweisungsknabe dem Pfarrer den Bericht, dass die Vorgesetzten die Schulstube geschlossen hätten und zu des Pfar- rers Handen gesagt haben, er, der Pfarrer könne nun tun was er wolle, der ganze Schwarm der Unterweisungskinder stehe bei der Pfrundscheuer. Der Pfarrer informierte nun den Schulkommissar Bachmann in Worb und Oberamtmann Effinger in Kiesen. Darauf überbrachte Statthalter Däpp dem Pfarrer ein Schreiben des Oberamtmannes zur Einsicht mit dem Befehl „Die Schulstube sei auf der Stelle zur Unterweisung zu öffnen, bis der Handel ausgetragen sei“ und „Chorrich- ter Maurer sei wegen seiner Unanständigkeit gegen den Pfarrer eingestellt“. Nun fingen die Vorgesetzten von Oberwichtrach an ihr Archiv zu durchsuchen um verbriefte Rechte aufzufinden. Sie wurden in einer gewissen Weise auch fündig. Am 10. Januar 1809 reichte die Gemeinde Oberwichtrach beim Rat in Bern eine Klage ein mit dem Antrag, dem Pfarrer sei die Nutzung der Schulstube für die Kinderlehre zu untersagen118. Mit Datum 9. Februar 1810 entschied der Schultheiss von Bern das Geschäft zu Ungunsten der Gemeinde Oberwichtrach, indem er feststellte, dass es üblich sei, die Unterweisung in der Schulstube abzuhalten, es sei denn, dass bestimmte Verpflichtungen oder Vorkommnisse es nötig gemacht hätten, die Unterweisung in den Pfarrgebäuden abzuhalten. Der Umstand, dass in Oberwichtrach einige betagte Pfarrer ihre Unterweisungen im Pfrundofenhaus gehalten haben, auch dass die Gemeinde einmal einige schadhafte Stühle ersetzt habe, könne aber nicht als eigentliches Recht angesehen werden. Auch das kleine Zimmer im Ofenhaus sei au- genscheinlich nicht zum Unterrichtszweck gemacht, sondern zur Wohnung eines Hausknechtes erbaut worden119. 2.4.4. Zum Predigtbesuch – Singen und Musizieren Mit der Einführung der „alten Ordnung“ gab es weiterhin die Werktagsgottesdienste sowie am Sonntag die Morgen- und Nachmittagsgottesdienste und die Pflicht zum Besuch der Gottesdienste. Wie es allerdings damit in Wichtrach bestellt war, zeigt das Kapitel 2.4.2. über das Eingreifen des Oberamtmannes. Am 7. Mai 1809 erliess der Oberamtmann die Weisung, „dass die Vorgesetzten an den Communionstagen die Kirche in den Mänteln zu besuchen haben“120. Am 6. Juli 1808 beschloss das Chorgericht die Beschaffung einer Orgel mit Schulmeister Kandewein als ersten Organisten. Zudem sollte das „Vorsingen“ in Zukunft ein Auswahlkriterium sein bei der Lehrerwahl. Am 12. Juli 1809 hatte das Chor- gericht sich mit einem Schreiben des Oberamtmannes zu befassen, „betreffend ungenügenden Besuch der Kinderlehre und der zur beförderlichen Kirchganges eingerichteten Singstunden“121. In der Schulordnung vom 7. Mai 1810 wird im Abschnitt „Kirchen-Sachen“ zum Gottesdienst festgehalten: „Der Schulmeister soll sich von Amts wegen in allen Predigten und Kinderlehren, welche in der Kirche von Wichtrach gehalten werden, einfinden, darin vorsingen und über die jungen Kinder und die jungen Leute Aufsicht haben“122. 2.4.5. Die Sorge um die Sittlichkeit Nachdem Pfarrer Wyss im Mandatenbuch die gültigen obrigkeitlichen Anordnungen nachgetragen hatte, war ihm die Wirts- haus-Ordnung vom 21. September 1804, aber auch die Regelung Tanzen an Sonntagen vom 14. September 1789 geläu- fig, als durch Klage des Chorrichters von Niederwichtrach und durch Behandlung eines Ehestreits durch das Chorgericht der Wirt der Pintenschenke in Niederwichtrach wegen Vergehens gegen die Wirtshaus-Ordnung angezeigt beim Oberamt- mann und durch das Chorgericht zu Bussen verurteilt wurde123. Mit der Anzeige verbunden war auch die Bitte, dass sich der Oberamtmann auch dafür einsetze, dass auch alle andern Wirte ermahnt würden, die Wirtshaus-Ordnung einzuhalten. Am 25. Dezember 1809 wurde wegen „Tanzen gegen die heilige Zeit, Pintenwirth Schuler von Niederwichtrach vom Ober- amtmann vor das Chorgericht zitiert, weil er am „Donnerstag vor der Heiligen Communion“ (15. Dez.) ohne Bewilligung

118 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Chorgerichtsmanual 5, 1805 – 1809, S. 251 119 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Mandatenbuch S. 148 120 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Chorgerichtsmanual 1805-1809 121 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Chorgerichtsmanual 1805-1809, S. 243 122 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Schulmanual 1809-1858 123 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Chorgerichtsmanual 5, 1805 – 1809, S. 228

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(die er auch nie erhalten würde) an der Musterung tanzen liess. Er ward gebüsst“124. Über das Kegeln an Sonntagen und andere Vorkommnisse siehe Chorgerichtsakten. 2.4.6. Der „eiserne Besen“ in der Schule Am 25. Dezember 1808 befasste sich das Chorgericht mit einer Klage des Chorrichters Bucher von Niederwichtrach über den Schulmeister Rüfenacht von Niederwichtrach, „1. Wegen seiner Völlerey, 2. Wegen übler Behandlung der Kinder mit Schlägen, wenn sie ihr vorgegebenes nicht hersagen können, 3. Wegen seiner Bequemlichkeit, da er die Kinder nicht lesen lerne, sondern nur faul auf seinem Sitze hurt“. Am Nachmittag hatte der Pfarrer wegen dieser drei Punkte mit dem Lehrer eine Aussprache. Dieser versprach in allem Besserung. Am 19. Februar 1809 wurden drei Väter vor das Chorgericht zitiert, wegen „häufiger Zurückhaltung ihrer Kinder von der Schule“ und am 19. März waren es die Schulmeister Märki von Oppligen und Kandewein von Oberwichtrach, die vor dem Chorgericht zu erscheinen hatten, wegen „Lärm in der Kirche“125. Nachdem sich Pfarrer Wyss mit obrigkeitlicher Unterstützung gegen die Gemeinde Oberwichtrach durchgesetzt hatte, erliess das Chorgericht auf Antrag des Pfarrers am 11. März 1810 die Weisung, dass in Zukunft die Schulexamen nicht mehr gemeinsam in der Kirche Wichtrach sondern einzeln in ihren örtlichen Schulstuben durchzuführen seien und der Pfarrer diese Prüfungen selbst abnehmen werde, wie er protokolliert: „auf mein Anerbieten, mich in dieser Absicht in die einzelnen Schulen zu verfügen und dann das Examen selbst zu halten“, erstmals im Frühling 1810, im Beisein der örtlichen Vorgesetzten. Anschliessend sollten die „Prämien-Austeilung“ gemeinsam in der Schule stattfinden126. Am 7. Mai 1810 wurde eine Schulordnung übergeben „Bedinge, unter denen dem neuerwählten Schulmeister Anliker zu Kiesen die dortige neu eingerichtete Schule anvertraut wurden. Vorgelesen von Oberamtmann Effinger am Schulmeister Examen zu Kiesen“. Diese regelte die Winter- und Sommerschule, die Schulrodelführung, das Strafen von Kindern, das Schulhalten im Abschnitt über „Schulsachen“ und im Abschnitt „Kirchensachen“ Weisungen zum Gottesdienst und zum Geleit der Kinder in die Kirche127. Diese Schulordnung wurde in der Folge verschiedentlich ergänzt und präzisiert und in allen Schulen der Kirchgemeinde eingesetzt. Klagen und Examenresultate bewirkten, dass die Schulmeister, vorerst der- jenige von Niederwichtrach, aber auch die von Oberwichtrach und von Oppligen vor das Chorgericht zitiert und ermahnt wurden. Da alles nicht fruchtete, wurden 1812 auf Antrag des Chorgerichtes die Schulmeister von Niederwichtrach und von Oberwichtrach vom Oberamtmann entlassen. Bemerkenswert bei der Entlassung des Oberwichtracher Schulmeisters war, dass er zwar Organist war und bei den Examen sehr gut abschloss, doch als aufsässig und widerspenstig galt. Ausschlaggebend für die Kündigung war dann schlussendlich der Umgang mit den Kindern, wo er einmal sogar einem Knaben mit dem Lineal durch Schläge auf die Hand Fingerknochen brach. Am 7. März 1813 verlangte der Oberamtmann: „Ein zweyter Schritt zur Verbesserung der Schulen und zur Aufmunterung der fleissigen Kinder sollte noch gemacht werden eine zweckmässige Anwendung der Schul-Prämien. Zu daheriger Be- handlung dieses Gegenstandes wünschte ich, dass das Chorgricht die 4 Schul-Aufseher, Tschanz, Stucki, Vögeli, Bürki, nebst dem Herrn Pfarrer ausschiessen möchte, um mit mir ein Project abzufassen, wie diese Gelder am schicklichsten zu ihrem Endzweck könnten verwendet werden.“ Anlässlich dieser Arbeitssitzung wurde folgendes befunden: „Bey der am letzten Montag auf mein Begehren hin statt gehabten Zusammenkunft des Herrn Pfarrers und der 4 Schul-Inspectoren habe ich denselben in Beherzigung der §§ 22 und 23 der Verordnung zu Einführung der untergeordneten Behörden, v. 20. Jun. 1803 das Unbilliche zu Gemüth geführt, das bey dem Geld-Austheilen an die Schulkinder am jährlichen Schulexamen Platz findet, wo nemlich die Kinder der Ausburger immer weniger bedenkt werden, als die Burgers Kinder. Da dieses für die Schulen augenscheinlich von grösstem Nachtheil seye muss, und da der § 20 des Hintersäss-Gesetzes vom 23 May 1804 bestimmt vorschreibt, dass die Hintersässengelder zur Unterhaltung der Armen, der Kirchen und Schulen verwendet werden sollen, so ist man übereingekommen, den Grundsatz festzusetzen, dass von nun an zu dieser jährlichen Prämien- Austheilung eine Summe von dreyssig Kronen bestimmt, und dass beym Austheilen bloss auf Fleiss und Geschicklichkeit, .., nicht aber auf das Burgerrecht der Kinder Rücksicht genommen werde“128. Der Oberamtmann beanstandete zudem, dass diejenigen Chorrichter beziehungsweise Vorgesetzten, die die Schulen zu beaufsichtigen hatten, dieser Aufgabe ungenügend nachkamen und verlangte ein konsequenteres Vorgehen, erhöhte dann allerdings deren Entschädigung. 2.4.7. Das Bestattungswesen Vor der Reformation musste der Staat gegen den üblich gewordenen Luxus einschreiten, 1524 wurde der allzu grosse Aufwand bei Beerdigungen, Taufen und Hochzeiten beschränkt. Um 1523 begannen viele Priester, den Lesern reforma- torischer Schriften mit dem Entzug der Sakramente und des christlichen Begräbnisses zu drohen. In der Folge der Refor- mation wurde das Bestattungswesen stark eingeschränkt, so wurde 1529 das Läuten der Kirchenglocken bei Begräbnissen verboten, das sonntägliche Anzeigen der Verstorbenen wurde eingestellt, Leichenreden sollten nicht mehr gehalten wer- den, was allerdings nicht so leicht durchzusetzen war. 1564 erfolgte ein Erlass, dass der Leichenschmaus bei Beerdigung eines Erwachsenen nicht mehr als 1 Gulden kosten dürfe. Ab etwa 1588 setzte das Läuten bei Beerdigungen wieder ein. 1748 wurden Leichenreden, meistens gehalten von Schulmeistern, völlig verboten, die Toten wurden also ohne Zeremo- nie, zT. ohne Geläute und ohne Leichenrede zu Grabe getragen, gestattet waren nur Leichengebete mit kurzen Angaben über die Verstorbenen129. Am 1. Januar 1809 legte das Chorgericht die Begräbnistarife wie folgt fest: Für Unterwiesene, 8 bz (entspricht Erwachsenen), für Nichtunterwiesene, 5 bz. (entspricht Kindern; um diesen Preis macht der Todtengräber

124 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Chorgerichtsmanual 5, 1805 – 1809, S. 235 125 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Chorgerichtsmanual 5, 1805 – 1809, S. 238 126 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Schulmanual S. 5 127 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Schulmanual S. 5, 6 128 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Schulmanual S. 22 129 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 47, 75, 125, 163, 278, 512

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 19 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 die Gräber nur 5 Schuh tief). Im Nachgang zu dieser Festlegung wurde auch festgehalten, dass der Totengräber nichts fordern dürfe für das Warten, „wenn die Leiche zu spät kommt“. 1824 wurde die Leichengebete wieder eingeführt, nun aber wieder gehalten durch Pfarrer, wodurch das Begräbnis wie- der vermehrt ein kirchliches Gepräge erhalten sollte. Zuneh- mend waren Klagen über den Zustand der Friedhöfe zu ver- merken, um die es nicht allzu gut bestellt war. 2.4.8. Pfarrbücher, fleissige Führung 1805 erliess Schultheiss und Rat die Aufforderung an die Pfarrer, die Kirchenbücher sorgfältiger zu führen. Grund da- für waren Beobachtungen des Ehegerichtes bei der Behand- lung von Verkündigungen zur Ehe130. Das Mandatenbuch131 Das Mandatenbuch enthält alle obrigkeitlichen Weisungen und zeigt, wie stark der Staat Bern über die Kirche in das tägliche Leben der „Untertanen“ eingriff. Es geht zurück auf das Jahr 1728, das mit Mandat vom 2. Januar 1710 den „Pre- dikanten“ zu führen befohlen, das aber im Pfrundhaus Wichtrach nicht gefunden wurde. So erhielt der Predikant Samuel Masse vom Venner Willading, dem damaligen Ven- ner des Landgerichtes Konolfingen am 8. Februar 1728 den Auftrag, aus Mandatenbüchern anderer Gemeinden die Mandate abzuschreiben. Eine Lücke besteht allerdings von 1. Seite Mandatenbuch Kirchgemeinde Wichtrach 1762 bis 1808, zurückzuführen wohl auf das Alter und Krankheit der Pfarrer vor 1798. Anschliessend stellt Pfarrer Johann Rudolf Wyss am 29. April 1808 fest: „Bis hieher fand ich bey meinem Amtsantritt das Mandatenbuch geführt. Ein neues Mandantenbuch enthielt ein paar Verordnungen der Helvetik, welche nunmehr ungültig sind. Deswegen werde ich das gegenwärtige fortsetzen und bestmöglich zu komple- tieren suchen132. Die Rödel der Kirchgemeinde Wichtrach bis 1875 sind im Staatsarchiv Bern, Interessierte können eine CD mit allen Büchern kaufen via Internet bei www.swissgenealogy.com, die nachfolgenden Bilder sind aus dieser CD. Es handelt sich dabei um Verzeichnisse über alle wichtigen Entwicklun- gen in Personalfragen in der Kirchgemeinde: Taufrodel, Eherodel, Totenrodel. Bei der Durchsicht der Rödel fällt auf, wie sorgfältig diese von Pfarrer Wyss geführt wurden. Von besonderem Interesse, weil in dieser Form neu, ist die tabel- Ausschnitt aus dem Taufrodel 1792 - 1819 larische Führung der Totenrodel.

Ausschnitt aus dem Totenrodel 1801-1858 Das Kirchen-Manual Das Kirchen-Manual befindet sich im Buch 8, Pfrund Zubehörden 1809, anschliessend an dem Beschrieb von Pfarrer Wyss (und später sein Nachfolger) über die Pfrund133. Die Absicht zum Kirchen-Manual war wohl, alles, was in, um und an der Kirche passierte, ebenso wie die Verwaltung des Kirchenvermögens, in diesem Manual zusammenzufassen, was nicht ganz gelang, indem bestimmte diesbezügliche Informationen auch im Chorgerichtsmanual zu finden sind oder nicht abgeschlossen sind (zB. Thema Kirchengut) Es sind die Themen enthalten: Respektierung der Sonntagsruhe, Besuch der Gottesdienste und der Kinderlehre, Musikalische Umrahmung der Gottesdienste, Kirchengut, Kirchenuhr und neue Glocke. Die Informationen werden im Moment möglichst in bestehende Kapitel integriert.

130 Archiv Kirchgemeinde, Buch 14, Mandatenbuch, S. 180; Wichtrach 2.pdf Seite 574 131 Archiv Kirchgemeinde, Buch 14, Mandatenbuch; Wichtrach 2.pdf, Seite 384 ff 132 Archiv Kirchgemeinde, Buch 14, Mandatenbuch, Seite 77 133 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Pfrund Zubehörden 1809

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2.4.9. Das Zivilstandswesen Das „fleissige“ (und korrekte) Führen der Pfarrbücher war die elementare Grundlage des Zivilstandswesens. Die nachfol- gende Tabelle aus dem Mandatenbuch aus der Zeit von Pfarrer Wyss zeigt, was für administrative Weisungen von Schultheiss und Rath in Bern schon zur damaligen Zeit erlassen wurden, die im Zivilstandsbereich zu beachten waren: Ehe Scheine der Burger von Bern 22.02.1780 Landsassen, Verkündungen und Einsegnungen 06.07.1786 Heuraten eidgenössischer Angehörigen 19.09.1803 Ehescheine. Einschreibung in Ehe-u. Tauf-Rodel 18.11.1803 Heuraten der Fremden 05.12.1803 Heurathen der französischen Bürger 11.01.1804 Heurathen mit katholischen Weibs-Personen 23.05.1804 Militär-Listen, die vom Pfarrer einzugeben sind 18.12.1804 Französische pensionierte Militäires 29.05.1805 Land-Sassen, Petitionsformular 31.08.1805 Heimath-Scheine, neue Formulare 18.10.1805 Verkündungs-Maasregeln, gegen bigamische Versuche 23.12.1805 Zeugnisse fürs Ausland 14.02.1806 Heimath-Scheine, Ausfertigungs-Recht 29.04.1806 Eheversprechungen, weibliche mit ausländern 02.06.1806 Ehen der Schweizersoldaten in franz. Diensten 12.01.1807 Geburts- und Sterbe-Tabellen 16.01.1807 Uneheliche Kinder, Taufschein einzusenden 04.04.1808 Waatländische Heimathscheine 27.07.1808 Verkündung u. Einsegnung der Cantonsfremden 11.08.1808 Heimat-Schein-Formulare, nach eidg. Beschluss 29.03.1811 Landsassen, Einsendung ….. 04.04.1811 Heimath-Scheine unehelicher Kinder 06.01.1813 Einzugsgeld bei Heuraten von Weibspersonen aus andern Gemeinden 09.07.1816 Heirathen der Fremden, Aufhebung früherer Verordnungen 20.12.1816 Einzuggelder fremder Weiber 02.01.1817 Heimathscheine b. Scheidungen und Kindeszuteilungen 18.02.1817 Heuraths-Bewilligungs-Emolumente 10.06.1817 Ehen von Cantonsfremden 01.10.1817 Armenzeugnisse für die mit Schutzpocken geimpften 11.12.1817 Heurats-Bewilligngs-Begehren, Einsendung 29.05.1818 Verkündung von Militär-Ehen 01.07.1818 Solothurnerinnen, Einheiratung 08.06.1819 Feuer-Eimer der Neuverehelichten 14.07.1820 Eidgenössisches Conordat über Eheeinsegnungen 06.07.1820 Registrierung der weiblichen Namen im Eherodel 06.02.1821 Legalisationen sollen alle das oberamtl. Siegel haben 25.05.1821 Einrichtung u. Fortsetzung von Burger-Rödeln 09.09.1822

Im Staatsarchiv Bern sind unter www.sta.be.ch /staatsarchiv im Onlineinventar unter Archivplansuche, Staatliche Samm- lungen, Kirchenbücher, die Taufrödel (1566-1755), Eherödel (1571-1875), Totenrödel (1601-1875) und Kommunikanten- rödel (1566-1755) der Kirchgemeinde Wichtrach zugänglich. 2.4.10. Das Kirchengut134 Mit Schreiben vom 26. März 1810 stellte der Oberamtmann Effinger im Auftrage des (kantonalen) Kirchenrates den Statt- halter Däpp eine Reihe Fragen über Bestand und Verwaltung des Kirchengutes und über die Art und Weise, wie mit den Resten Wein und Brot nach dem Abendmahl umgegangen werde. Interessant im Schreiben ist, dass der Oberamtmann vermerkt, dass sich der Kirchenrat nicht in die „den Gemeinden obliegende Verwaltung einmischen wolle, sondern bloss die Unordnungen die sich besonders mit der Revolution darin eingeschlichen haben mögen, zu kennen“. Die festgehaltene Antwort des Statthalters bestätigt das Vorhandensein und einen Bestand des Kirchengutes. Die aller- dings eher kümmerlichen Antworten auf die recht präzisen Fragen und insbesondere der Kommentar von Pfarrer Wyss bestätigen, dass die Verwaltungstätigkeit, die gemäss den obrigkeitlichen Vorgaben (siehe Prädikantenordnung) doch recht reglementiert war, in Wichtrach eher minimal umgesetzt war und das Bild im vorangehenden Kapitel zur „Altersresi- denz“ noch bestätigt. Auch nach seinem Rücktritt als Pfarrer in Wichtrach machte sich Pfarrer Wyss stark für die Erhaltung des Kirchengutes gegen die Einflüsse des Staates. 1843 schrieb er über die „Entfremdung der Kirchengüter zum Staatsgewinn, in ihrem Gang und in ihren Folgen dargestellt“ einen Aufsatz, der offensichtlich Aufsehen erregte135.

134 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Pfrund Zubehörden 1809, 2. Teil 135 Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, Seite 623

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 21 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 3. Die Entwicklung der Kirchgemeinde Wichtrach ab der Regeneration Ausgewählt und zusammengefasst: Peter Lüthi 3.1. Die kantonalen Veränderungen ab 1830 schränken die Kirchgemeinden ein Mit der Regeneration veränderte sich das Verhältnis von Kirche und Staat entscheidend, die Kompetenzen der Kirche wurden stark beschnitten und die kirchlichen Strukturen verändert. 1831 wurden die Chorgerichte aufgelöst und an deren Stelle entstanden die Sittengerichte mit eingeschränkten Kompetenzen. Die Pfarrer wurden von allen Arten der Gerichts- barkeit entbunden.1834 wurde das Amt des Kirchgemeinderates geschaffen und eine Synode eingeführt. Gemäss Kapitel 1.5.2. erfolgte der Übergang am Beispiel vom Chorgericht zum Sittengericht in Wichtrach wohl nicht sehr geordnet. Erst im 2. Semester 1832 taucht der Begriff „Sittengericht“ im Protokoll des Chorgerichtes auf136. Pfarrer Neu- haus als Aktuar formulierte «Bemerkung über sonderbare Einführung neuer Behörden». Die Information durch den Statt- halter über die Veränderungen bei den Behörden, deren Wahl und Aufgaben zumindest nicht so, dass der Übergang vom Chorgericht zum Sittengericht sowie zur Schulkommission formal und zeitlich korrekt erfolgte. 3.2. Pfrunddomänen werden versteigert, der Kanton braucht wohl Geld Mit einem Staats-Dekret im April 1834 wurde der Kirchenkonvent aufgehoben. Dies war der Beginn der bald einsetzenden Veräusserung der Pfrunddomänen, die Pfarrer wurden von der Verwaltung der Kirche ausgeschlossen. Im Jahre 1849 wurde ein Gesetz beschlossen, wonach ein Pfarrer zwei bis höchstens sieben Jucharten Land besitzen dürfe137. Anhang 6 informiert über die Pfrund in Wichtrach 1810. Die vom Staat betriebene Veräusserung der Pfrunddo- mänen erreichte die Kirchgemeinde Wichtrach am 21. Dezember 1885, als die Amtsschaffnerei Konolfingen im Auftrage der „Domänen-Direktion namens des hohen Staates Bern“ im „Gastwirtschaftshause zum Kreuz in Ober Wichtrach“ eine öffentliche Kaufsteigerung durch- führte und schlussendlich auf Grund eines Nachgebotes vom 22. Januar 1886 5 Parzellen mit insgesamt rund 5 Hektaren zum Preise von Fr. 21'420.- an zwei Oberwichtracher-Gemeinderäte (Johann Ulrich Enge- mann und Friedrich Bieri) und Johannes Strahm, Wag- ner in Niederwichtrach, verkaufte138. Eine der Parzellen, die „Scheuermatte“, enthielt noch die Pfrundscheuer, die mitverkauft wurde. Die Domänenverwaltung hatte diese Steigerung schon früher angekündet und dem Kirchgemeinderat mitgeteilt, dass der Kirchgemeinde nur etwa die Hälfte der Pfrund- hofstatt verbleiben würde. Der Rat hat daraufhin ver- langt, dass mindestens die ganze Pfrundhofstatt der Kirchgemeinde erhalten bleiben solle, hat daraufhin aber keine Antwort erhalten. Mit der Ankündigung der Steige- rung vom 21. Dezember 1885 wurde der Kirchgemein- Plan Scheuermatte 1810 derat wohl überrascht und fragte sich, ob er nicht auch mitsteigern sollte. Eine sofort einberufene Kirchgemein- deversammlung am 27. Dezember 1885 verweigerte dazu aber die Zustimmung139. Der schlechte Zustand des Pfarrhauses führte 1893 zur Idee, Pfarrhaus und Pfrunddomäne durch die Kirchgemeinde wieder zu übernehmen. Die Finanzdirektion offerierte Fr. 10‘000.-, wenn die Kirchgemeinde Pfarrhaus und Pfrunddomäne übernehmen und für Betrieb und Unterhalt aufkommen würde. Damals wurde der Aufwand für die dringendsten Sanie- rungsarbeiten am Pfarrhaus mit Fr. 3‘000-3‘500 geschätzt. Am 5. August 1894 entschied die Kirchgemeindeversammlung die Übernahme von Pfarrhaus und Pfrunddomäne140. Am 5. September 1894 wurde der Abtretungsvertrag zwischen dem Kanton Bern und der Kirchgemeinde für das Pfarrhaus, Ofenhaus, Brunnen und Pfrundmatte für ein „Aushingeld“ von Fr. 12‘600.- abgeschlossen (siehe Kapitel 4.4.2. und Anhang 10). 3.3. Die Umsetzung der Kirchengesetze von 1852 und 1874 in Wichtrach braucht Zeit 3.3.1. Das Reglement der Kirchgemeinde Wichtrach vom 26. September 1860 mit Corporationskapital Auf der Grundlage des Synodalgesetzes vom 19. Januar 1852 und Art. 60 ff des Gemeindegesetzes vom 6. Dezember 1852 wurde am 20. November 1860 das Reglement der Kirchgemeinde Wichtrach inklusive die Abschrift des Corporati- onsgutes sowie dessen Zweckbestimmung vom Kanton sanktioniert, siehe Anhang 7. Die Behörden bestanden aus: Die Kirchgemeindeversammlung, der Kirchgemeinderat, der Kirchenvorstand, die Schulkommission. Der Kirchgemeinderat

136 Chorgerichtsmanual V, 1822-1879, S. 134 137 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 648 138 Hist. Archiv Wichtrach, K 02.25 139 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886 und 1879-1911 140 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911, S.84

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 22 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 bestand aus dem Präsidenten und dem Kirchenvorstand, die von der Kirchgemeindeversammlung gewählt wurden sowie von Amtes wegen den 4 Präsidenten der Einwohnergemeinden der Kirchgemeinde. Bei den Aufgaben dieser Behörde ging es vor allem auch um Aufgaben, die eigentlich Sache der Einwohnergemeinde waren aber aus praktischen Gründen der Kirchgemeinde übertragen wurden. Über die Aktivitäten der Organe fehlen die Protokolle. Am 23. März 1867 wurde in Niederwichtrach auf Antrag des Kirchenvorstandes eine ausserordentliche Einwohnerver- sammlung durchgeführt. Gemäss Bericht von Pfarrer Hartmann und Gemeinderat Läderach wurden im Schulhaus Nieder- wichtrach „religiös separatistische Abendversammlungen abgehalten, welche je länger je mehr eine kirchenfeindliche Stel- lung einnehmen“. Der Kirchenvorstand beantragte bei den Behörden von Niederwichtrach „diesem Vorgehen auf entspre- chende Weise entgegenzutreten“. Der Gemeindepräsident stellte nun der Gemeindeversammlung die Frage „sollen im Schulhause zu Niederwichtrach noch länger religiös separatistische Abendveranstaltungen geduldet werden?“ Mit 29 ge- gen 1 Stimme wurde beschlossen, diesen Veranstaltungen in Zukunft das Schulhaus „zu schliessen“141. 3.3.2. Die Kirchgemeinde ab 1874 Am 6. Dezember 1874 genehmigte die Kirchgemeindeversammlung ein neues Kirchenreglement (das jedoch z.Zt. nicht gefunden wurde), im Protokoll sind nur Änderungen des Entwurfes des Kirchgemeinderates. Ersichtlich ist, dass gegen- über dem Reglement von 1860 die Behörden reduziert wurden auf die Kirchgemeindeversammlung und den Kirchgemein- derat, dieser ohne die Gemeindepräsidenten. Es entstanden in der Folge im Jahre 1875 etliche Probleme bei der Bestel- lung des Kirchgemeindepräsidenten und des Kirchgemeinderates, so dass die „definitiven Wahlen“ als Ganzes oder in Teilen 8 Mal wiederholt werden mussten142! Für jene Zeit ist folgende Begebenheit fast episodisch: „Jeweils nach den Kirchgemeinderatswahlen mussten im Kirchgemeinderat die Chorstühle der Kirchgemeinderäte bestimmt werden, dies konnte sogar mit Los erfolgen“. Gleichen Jahres stellte die Gemeinde Oberwichtrach das Gesuch, wegen Eröffnung einer weiteren Schulklasse das Unterweisungszimmer in den Dachraum zu verlegen, was zu Diskussionen über die Umnutzung des Pfrundspeichers führte (siehe Heft 4, Kapitel 5.1.). Auf den 1. Januar 1876 mussten die pfarramtlichen Register an die Zivilstandsbeamten abgeliefert werden und so wurde die Herstellung neuer kirchlicher Register nötig. So entstanden Fra- gen zur rechtlichen Zuständigkeit der Kirchgemeindebehörden in den Bereichen Bestattung und Zivilstandswesen, so dass die Kirchgemeindeversammlung vom 4. März 1877 den Kirchgemeinderat beauftragte abzuklären, wie die rechtlichen Vorgaben und die praktischen Bedürfnisse im Raume der Kirchgemeinde umzusetzen seien. Am 3. März 1878 wurde dann an der Kirchgemeindeversammlung die zusätzliche Gründung der „politischen Kirchgemeinde“ neben der „kirchlichen Kirchgemeinde“ beschlossen und konstituiert und an dieser ersten Versammlung der politischen Kirchgemeinde gleich auch das neue Beerdigungsreglement beschlossen. So entstand also die spätere „Bürgerliche Kirchgemeinde“ 143 (siehe Kapitel 6). . Von den früheren Aufgaben der „kirchlichen“ Abteilung der Kirchgemeinde verblieb praktisch noch das Sitten- gericht. Daneben gab es immer „Grenzfälle“ wie zum Beispiel einen Beitrag an die „Krankenstube “, wo die Kirchgemeindeversammlung am 7. März 1880 beschloss, keinen Beitrag aus dem Kirchengut zu spenden, sondern jeden Karfreitag eine Steuer144 zugunsten der Krankenstube zu erheben145. In der Zeit von Februar 1880 bis Februar 1882 wurde ein Vertrag über die Güterausscheidung zwischen der Kirchgemeinde und den vier Einwohnergemeinden erarbeitet und entschieden. Im Oktober 1881 wurde festgestellt, dass die Glasgemälde im Chor der Kirche alle der Kirchgemeinde gehörten146. Drei markante Ereignisse prägten das Jahr 1885147: Am 21. Dezember erfolgte die Versteigerung von Pfrunddomänen in Wichtrach (siehe Kapitel 3.2., die Kirchgemeindeversammlung übernahm den von der Domänenverwaltung angebotene Chor der Kirche (siehe Kapitel 4.1.3.), nachdem Pfarrer Hartmann 30 Jahre im Amt war, entschied die Kirchgemeindever- sammlung gegen den Antrag des Kirchgemeinderates die Pfarrstelle auszuschreiben, was praktisch einer Entlassung entsprach. Am 11. April 1886 wurde Pfarrer Leonhard Stierlin gewählt. Er wurde sehr geschätzt. Aus den Protokollen fällt auf, dass Pfarrer Stierlin auf seinen Wunsch jeweils im Herbst „Ferien“ gewährt wurden, erstmals im Herbst 1886. Am 14. Februar 1889 musste sich der Kirchgemeinderat einsetzen für eine „strenge Beobachtung der Sonntagsheiligung durch Schützen- und andere Vereine“. Zur Feier des 600jährigen Bestehens der Eidgenossenschaft wurde am 1. August 1891 überall von 19.00 bis 19.15 Uhr die Kirchenglocken geläutet und am 2. August eine „kirchliche Bundesfeier“ durchgeführt. Zum Jahresbeginn 1892 er- suchte ein Nationalrat Dr. Bähler die Kirchgemeinde um Bewilligung für das Anbringen einer Erinnerungstafel an den 1798 in Wichtrach ermordeten General von Erlach. Die Eröffnung erfolgte am 12. Juni 1892148. Ende 1893 entstanden Turbulenzen, weil der geachtete Pfarrer Stierlin die Kirchgemeinde orientierte, dass er von der Kirchgemeinde Schlosswil angefragt worden sei, was unter anderem auch die baulichen Mängel am Pfarrhaus in die Dis- kussion brachte. Pfarrer Stierlin entschied sich auf Grund der positiven Reaktionen zum Verbleib in Wichtrach. Aber der Reparaturbedarf des Pfarrhauses führte zu Verhandlungen mit der zuständigen Finanzdirektion (siehe Kapitel 3.2.). Trotz Einführung der „Mitteleuropäischen Zeit“ 1894 wurde an den bisherigen Zeiten für die Sommergottesdienste an Sonntagen festgehalten: Einläuten 08.30h, Gottesdienst 08.45h; bezüglich des Wintergottesdienstes wurde später die Zeit Einläuten 09.15h, Gottesdienst 09.30 festgelegt149.

141 Historisches Archiv Niederwichtrach, B 18650120, Seite 83 142 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886 143 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886 144 In diesen Zeiten wurden die Kollekten nach den Sonntagsgottesdiensten mit „Steuern“ bezeichnet. 145 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886 146 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinde 1879-1886 und 1879-1911 147 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911 148 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911 149 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911

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Nachdem im Sommer 1894 in Oberwichtrach das Schulhaus abgerissen wurde, wobei der aus dem Jahre 1823 stam- mende Vertrag über das Unterweisungslokal nicht gekündigt wurde weil die Gemeinde Oberwichtrach der Meinung war, dass der auf Grund von „übergeordnetem Recht“ verfügte Abriss und Neubau automatisch alle altrechtlichen Servitute aufhebe, entstanden Diskussionen über ein neues Unterweisungslokal. Da ein regierungsrätliches Gutachten die Haltung von Oberwichtrach eher stärkte, entschied sich die Kirchgemeinde zu einem neuen Vertrag, der aber von Gemeindeprä- sident Engemann von Oberwichtrach an der Kirchgemeindeversammlung vom 25. November 1894 abgelehnt wurde, wo- rauf Gemeindepräsident Ingold von Niederwichtrach den Antrag stellte, ein eigenes Unterweisungslokal zu erstellen, „wenn Oberwichtrach den Vertrag nicht annehme“, was von der Versammlung so angenommen wurde. Schlussendlich einigte man sich aber doch mit der Gemeinde Oberwichtrach150. Da die Kirchgemeinde seit Jahren die „Karfreitagssteuer“ jeweils der „Krankenstube Oberdiessbach“ ablieferte, erhielt sie im Januar 1900 für das auf „höhere Weisung“ definierte Krankenhaus Oberdiessbach einen Sitz in der Direktion, es wurde Pfarrer Stierlin bestimmt151. Über diese Beziehung hatte die Kirchgemeinde Wichtrach in den Folgejahren bis in die Ge- genwart einen allerdings abnehmenden Einfluss, so genehmigte der Kirchgemeinderat z.B. am 2. Juli 1916 die Erhöhung des Kostgeldes im Krankenhaus: Pflegegeld für Gemeinde pro Patient und Tag von Fr. -.80 auf Fr. 1.-, für Selbstzahlende und Private betrug der Aufschlag mindestens 20%, begründet mit den „schwierigen Zeiten“152. 3.3.3. Über die finanzielle Lage der Kirchgemeinde Anhang 7 enthält auch die Vermögenssituation der Kirchgemeinde Ende 1860. Es gehörte zu den Aufgaben des Kirchge- meinderates, sich mit Pachten, Pachtzinsen, Kapitalanlagen und Schuldzinsen zu befassen. So wurde beispielsweise am 4. Juli 1886 auf Grund der Anfrage eines Schuldners um Reduktion des Schuldzinses eine Überprüfung aller Schuldner und ein einheitliches Vorgehen angeordnet. In der darauffolgenden Sitzung wurde eine einheitliche Reduktion der Schuld- zinse von 4,5% auf 4,25% beschlossen153. Im Januar 1890 wurde der Schuldzins von 4,25% auf 4% reduziert. 3.3.4. Das soziale Engagement der Kirchgemeinde Aus dem Kirchengut wurden jährlich Spenden an die Armen der Kirchgemeinde verteilt. An der Kirchgemeindeversamm- lung im März 1876 beauftragte die Versammlung den Kirchgemeinderat zu prüfen, wie es sich mit der Verteilung der Gelder an die Armen verhalte und dafür zu sorgen, dass die Ungleichheiten in den Gemeinden möglichst aufgehoben würden154. In dieser Zeit erhielt der Pfarrer jährlich einen Betrag zur Finanzierung von Schulmaterial von armen Kindern. An der Kirchgemeindeversammlung vom 13. März 1892 wurde dann beschlossen, die „jährlichen Beitrage für Arme und Schulen“ für 2 Jahre zu sistieren wegen der Defizite in der Kirchenrechnung zufolge der Sanierungskosten. An „heiligen“ Sonntagen wurden freiwillige „Steuern155“ erhoben, wobei der Spendenzweck oft vom Synodalrat „empfohlen“ und vom Kirchgemeinderat zumeist bestätigt, jedoch hie und da auch abgewandelt wurde zum Beispiel zugunsten lokaler Schaden- sereignisse oder wie die Karfreitagssteuer, die jeweils der „Krankenstube“ Oberdiessbach überwiesen wurde. Über den Umgang mit den Armen erliess der Synodalrat 1879 ein Kreisschreiben über die „freiwillige Wohltätigkeit auf dem Gebiet der christlichen Gemeinde“. Der Kirchgemeinderat war dann allerdings der Meinung, „dass bei der relativ geringen Bevölkerung und den überblickbaren Armenverhältnisse die bestehenden Armenbehörden genügen“. In diese Zeit fielen Gründungen von Institutionen für Behinderte, so 1885 im Bezirk Konolfingen die Gründung der Genossenschaft für eine „Anstalt für Unheilbare“, im Verlaufe „Asyl Gottesgnad“ genannt. Im gleichen Jahr befasste man sich auch mit der Finanzierung der Blindenanstalt Bern „sonst müssen die Blinden an die Gemeinden zurückgegeben werden“156. Ebenso gingen immer wieder Spenden zugunsten der Armen der Kirchgemeinde ein, die jeweils einem speziellen Armenfonds zugeführt wurden, so zum Beispiel der Betrag von Fr. 2‘500.-von Herrn von Wattenwil im September 1908. 3.4. Die Kirchgemeinde im 20. Jahrhundert 3.4.1. Die „Waldkirche“ entsteht im Jahr 1900 Eine allseits geschätzte Institution sind die jeweils im Juli - August durchgeführten Sonntags-Gottesdienste im Deiholz im Grenzbereich der Gemeinden Wichtrach, Oppligen und Kiesen an der Verlängerung der Talstrasse, die heute sinniger- weise Predigtwaldweg heisst. Die Gottesdienste mit Taufen werden zumeist von den Musikgesellschaften Oppligen und Wichtrach begleitet. Dieser Brauch geht zurück auf die Sanierung des Innenraumes der Kirche im Sommer 1900, als während dieser Zeit die Kirche wegen der Umbauarbeiten nicht benutzt werden konnte (siehe Kapitel 4.1.3.)157. Dieser Brauch wurde seither jährlich durchgeführt. Episode im Sommer 1916: Die Musikgesellschaft Wichtrach beantwortete die Anfrage zur Mitwirkung bei den Waldgottes- diensten negativ, „weil man sie nicht zur Installationsfeier des neuen Pfarrers eingeladen habe“. Die Begründung des Kirchgemeinderates dazu war, dass man die Gesellschaft nicht eingeladen habe, „damit die Beteiligung nicht eine allzu grosse werde mit Rücksicht auf die Zeitlage“158.. Im Sommer 1967 wurde festgestellt, dass der Waldgottesdienst seit 1900 während der Monate Juli-August ununterbrochen durchgeführt wurde, dass inzwischen die Staubentwicklung während der Gottesdienste sowie der Fluglärm den Kirchgemeinderat zu Kontakten mit der Gemeinde Oberwichtrach und der Flug- platzgesellschaft Alpar führte. Beide Instanzen versprachen Massnahmen in absehbarer Zeit159.

150 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911 151 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911, S. 147 152 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 134 153 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911, S. 21 154 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886, S.24 155 Später geläufig unter dem Begriff der Kollekte 156 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911, S. 15, 16 157 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911, S. 155 158 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 134 159 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1973, S.

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3.4.2. Allgemeine Entwicklungen bis und mit 1. Weltkrieg 1902 wurde im Amt Konolfingen zur landeskirchlichen Stellenvermittlung für „Neuadmittierte“ ein eigener Verband gegrün- det und am 2. November beschloss der Kirchgemeinderat den Beitritt160. 1911 behandelte der Kirchgemeinderat einen Antrag zur Schaffung und Führung einer Mädchen-Fortbildungsschule im Raume der Kirchgemeinde. Bereits am 3. März 1911 genehmigte die Kirchgemeindeversammlung die Übernahme der Führung der Mädchen-Fortbildungsschule durch die bürgerliche Abteilung. Da sich in dieser Zeit verschiedene Raumbe- dürfnisse akzentuierten (Mädchen-Fortbildung, Unterweisung, Archivierung) wurde die Umnutzung des Pfrundspeichers diskutiert. Wegen den Kosten wurde beschlossen, vorläufig für die Fortbildungsschule eine Mietlösung zu suchen, die in den Lokalitäten des Restaurants Kreuz gefunden wurde161 (siehe auch Kapitel 4.4.4., 4.4.5., 6.1.3.). Im Frühling 1912 wurde das Wahlverfahren in den Kirchgemeinderat geändert: Die Amtsdauer wurde von 2 auf 4 Jahre verlängert und alle Jahre sollten die 2 Mitglieder einer der 4 Gemeinden gewählt werden, beginnend 1913 mit den zwei Vertretern von Oberwichtrach162. Am 12. Januar 1913 wurde über eine Konferenz der Kirchgemeindepräsidenten berichtet zur geplanten Einführung eines Kirchensonntages. Da gab es vor allem Opposition gegen eine Nachmittags- oder Abendfeier „weil diese leicht in eine Kilbi ausarten könnte“. Der Rat beschloss die Durchführung am Vormittag, mit dem Männerchor Kiesen zur „Verschöne- rung“, einer Rede des Pfarrers zur Entstehung der bernischen Landeskirche und einer Ansprache des Präsidenten über die Tätigkeit der kirchlichen Behörden und das kirchliche Leben in der Gemeinde, dabei solle er für eine bessere Heilig- haltung der Abendmalsonntage eintreten, an denen u.a. in den Wirtschaften immer noch mit Karten gespielt werde“163. Am 2. April 1916 beschloss der Kirchgemeinderat, den Frauen in der Kirche in Zukunft zwei Bänke mehr zu reservieren. Am 20. April 1918 behandelte der Kirchgemeinderat Elektrifizierungsanliegen in der Küche des Pfarrhauses (Kochherd), der Orgel und des Antriebes der Glocken in der Kirche. An der gleichen Sitzung wurde über die „nur wünschbare“ Einrich- tung eines Krankenhilfevereins diskutiert und eine orientierende Versammlung beschlossen164. 3.4.3. Der erste Weltkrieg, die spanische Grippe Sucht man in den Protokollen des Kirchgemeinderates nach Spuren dieses Zeitabschnittes, sind diese eher dürftig und einiges muss interpretiert werden wie zum Beispiel die Einrichtung des elektrischen Lichtes in der Kirche wegen der Ver- schiebung von Nachmittagsgottesdiensten auf den Abend, wohl weil die nicht aktivdienstleistenden Männer bei den Arbei- ten auf den Bauernbetrieben am Nachmittag fehlten. Ab 1917 sind die zunehmenden Kollekten zugunsten der Armen und Bedürftigen oder kranken und notleidenden Wehrmänner zu vermerken (Hinweis: Im 1. Weltkrieg gab es keinen Ver- dienstersatz für dienstleistende Wehrmänner). Eher selten sind Aktivitäten bzw. Vorträge zu finden mit einem Bezug auf den Weltkrieg; Am 18. Februar 1915 beschloss der Kirchgemeinderat einen Beitrag von Fr. 20.- an das religiöse Solda- tenblatt „Gute Wehr und Waffen“. Erstaunlich ist da die Absage eines Lichtbildvortrages am 8. August 1917 über die Schrecken des Weltkrieges, weil der Referent angeblich der Entente165 nahe stehe und man streng neutral bleiben wolle166. Interessant ist dagegen die Beurteilung von Pfarrer Fischer in seinem Bericht über das kirchliche, religiöse und sittliche Leben der Kirchgemeinde von 1911-1920 zum Einfluss des Krieges167. Er schrieb: „Der erste Eindruck des Kriegsausbru- ches war wie überall ein gewaltiger und zeigte sich in stark zunehmendem Gottesdienstbesuch, als dann aber die ersten bangen Wochen verflossen waren, war die Frequenz der Kirche bald wieder wie früher. Besondere Vorkehren wie Kriegs- betstunden wurden von der Kirche aus nicht getroffen. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass die ernste Zeit nicht tiefere und nachhaltige Einwirkungen gehabt habe, wir können hier nur von dem reden, was nach aussen zu Tage tritt. In materieller Hinsicht hat unsere Kirchgemeinde unter dem Einfluss des Krieges jedenfalls nicht gelitten. Dem Berichterstat- ter fiel der diesbezügliche Unterschied zwischen seiner früheren oberländischen Kirchgemeinde (Meiringen) und der ge- genwärtigen sehr auf. Dort waren die Leute unter schwerem ökonomischem Druck, hier traf es einen blühenden Wohl- stand. Die Landwirtschaft, welche den grössten Teil der Gemeindeglieder sich widmen, hat auch hier sehr gute Jahre hinter sich. Bezeichnend ist mir die Äusserung eines alten Bauern, seine Söhne hätten nun in den 4 Jahren mehr verdient als er in 40! Als Gradmesser des Wohlstandes mögen die im Abschnitt über Kollekten und Liebesgaben angeführten Zahlen gelten. Als etwas sehr Erfreuliches erwähnen wir hier, wo vom Kriege und seinen Nachwirkungen die Rede ist, gerne die freudige Aufnahme von zahlreichen Wienerkinder (später auch deutsche Kinder, Ungarnkinder und Ausland- schweizerkinder) in vielen Häusern. Im Sommer 1919 beispielsweise waren 28 Wienerkinder in unserer Kirchgemeinde untergebracht“. Am 27. Oktober 1918 besprach der Kirchgemeinderat wegen der „neuerdings auftretenden Grippe“ Massnahmen und beschloss, den Gottesdienst auch weiterhin abzuhalten. Durch Publikation sollte immerhin empfohlen werden, dass Per- sonen aus Häusern bzw. Familien mit Grippefällen, fernbleiben sollten. Wegen eines behördlichen Versammlungsverbotes fand die nächste Kirchgemeinderatssitzung erst am 27. Januar 1919 statt (über die spanische Grippe siehe auch Heft 5, Kapitel 2.3.9.). In den drei Jahren vor 1918 gab es im Durchschnitt 30 Beerdigungen pro Jahr, in den drei Jahren nach 1918 waren es im Durchschnitt 33 und im Jahr 1918 sind 46 Beerdigungen registriert168.

160 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911, S.191 161 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911, S. 285 ff ab 17.2.1911 162 Archiv Kirchgemeinde, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 10 163 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S.26 164 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 164 165 Bündnis von Frankreich, England und Russland 166 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 154 167 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Bericht über das kirchliche, religiöse und sittliche Leben der Kirchgemeinde Wichtrach, 1911-1920, Seite 26 168 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Beerdigungsrodel 1902-1931

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3.4.4. Das kirchliche Frauenstimmrecht In seiner Sitzung am 8. Januar 1911 nahm der Kirchgemeinderat Kenntnis von einem Aktionskomitee für die Einführung des Frauenstimmrechtes in kirchlichen Angelegenheiten, jedoch blieb es bei der Kenntnisnahme169. Am 16. März 1917 hielt Frau Dr. Gerber einen Vortrag in der Kirche zum Thema „Neue Zeiten – neue Pflichten“ und äusserte orientierende Gedanken über das Frauenstimmrecht170. Im Jahre 1920 erliess die Kirchendirektion ein Musterreglement für Kirchge- meinden im Zusammenhang mit den Anpassungen an das neue Gemeindegesetz. Darin wurde auch das kirchliche Frau- enstimmrecht behandelt und der Kirchgemeinderat beschloss, diese Frage der nächsten ordentlichen Kirchgemeindever- sammlung vorzulegen. Im Sommer-Herbst 1921 mussten die Reglemente überarbeitet werden. Am 6. März 1921 wurde in geheimer Abstimmung mit 34:32 Stimmen das kirchliche Frauenstimmrecht in Wichtrach eingeführt. An der Kirchge- meindeversammlung vom 2. April 1922 konnten erstmals auch die Frauen stimmen, anwesend waren 52 Männer und 10 Frauen171. Nach dem auf den 14. November 1926 revidierten Stimmregister waren in der Kirchgemeinde Wichtrach stimm- berechtigt 641 Männer und 622 Frauen, total 1‘263 Personen. 3.4.5. Allgemeine Entwicklungen bis und mit dem 2. Weltkrieg Am 27. Januar 1919 wurde auf Empfehlung des Synodalrates erstmals Sigrist und Totengräber gegen Unfall versichert. Wohl einige Diskussion löste das Schreiben von Fritz Hofer, Giesser, Niederwichtrach vom 5. März 1919 aus, worin dieser den Austritt aus der bernischen Landeskirche erklärte, dem ersten dokumentierten Kirchenaustritt172. Episode: An der Sitzung vom 8. März 1923 stellte der Präsident des Kirchgemeinderates fest, dass unverhältnismässig viel Abendmahlswein bezogen worden sei (48 Liter im letzten Jahr). So wurde beschlossen, den Wein jeweils unmittelbar vor dem Anlass zu beziehen und unmittelbar nachher im Pfarrhaus den Verbrauch festzustellen! Am 15. März 1925 beschloss die Kirchgemeindeversammlung ein „Besoldungsregulativ der Kirchgemeinde Wichtrach“ für die Angestellten (Sigrist, Organisten), die Zulage an die Besoldung des Pfarrers sowie die Beamten der Kirchgemeinde (Präsident, Sekretär, Kassier, Rechnungsprüfer) sowie die Beamten der bürgerlichen Kirchgemeinde (Lebensmittelex- perte, Zivilstandbeamte) und den Friedhofgärtner173. An seiner Sitzung vom 14. November 1929 begrüsste und unterstützte der Kirchgemeinderat die vom Synodalrat formu- lierte positive Haltung zugunsten unserer militärischen Landesverteidigung174. Am 27. April 1938 befasste sich der Kirchgemeinderat mit einem Aufruf einer Gruppe von Pfarrern aus der Ost- und Mit- telschweiz zugunsten der verfolgten Pfarrer der deutschen Bekenntniskirche in einem Fürbittegottesdienst einzutreten. Der Synodalrat lehnte ein derart „offiziellen Charakter“ tragendes Einstehen eher ab und trat für eine neutralere Haltung ein, was in der bernischen Landeskirche zu heftigen Diskussionen führte. Der Kirchgemeinderat überliess es dem Pfarrer, wie weit er in der Fürbitte für die vom „nationalsozialistischen System“ Verfolgten gehen wolle, stellte aber fest, dass die Haltung des Synodalrates „die volle Anerkennung“ verdiene175. 3.4.6. Der 2. Weltkrieg Das Ratsprotokoll vom 17. September 1939 zeigt die Probleme auf Grund der Mobilmachung. So wird im 2. Traktandum berichtet von „Ratschlägen“ des Regierungsrates an die Gemeindebehörden, wie trotz Abwesenheit von Rats- und Kom- missionsmitgliedern der Betrieb und die Arbeit aufrechterhalten werden könne. Im Traktandum 3 wird berichtet, dass die Kirchendirektion auf die Notwendigkeit hinweise, dass Kirchenreglemente, die den in den letzten „Jahrzehnten“ eingetre- tenen rechtlichen Veränderungen nicht mehr entsprechen, angepasst werden müssten, wo der Kirchgemeinderat feststellt, „dies trifft auch auf uns zu“. In Traktandum 5 wird festgestellt, dass es unmöglich sei, die auf November in Aussicht ge- nommene Evangelisation durchzuführen, da viele Geistliche zum Grenzdienst einberufen wurden und die Zurückgeblie- benen hätten zu Hause soviel Arbeit zu leisten, dass keine Redner zu finden seien und zudem liege auf der verbleibenden bäuerlichen Bevölkerung eine so grosse Last, dass keine Zeit verbleibe176. Über die Belastung im 2. Weltkrieg siehe Heft 5, Kapitel 6. Im Jahr 1940 erfolgte der Ersatz des aus dem Jahre 1876 stammenden Kirchensteuer-Dekret. Die Berechnung der Steuer erfolgte nun auf der Grundlage der Staatssteuer. Unklar war in Wichtrach die steuerliche Behandlung der bürgerlichen Kirchgemeinde177. Im Herbst 1941 war die Einführung des neuen Kirchengesangsbuches ein Thema. Da sollte der Weg „über die Jugend in die Gemeinde“ beschritten werden. Die Lehrer Fritz Bucher und Eggler wollten sich bei ihren Kollegen engagieren, dass ausgewählte Lieder in den Schulen eingeübt und dann in die Gottesdienste übertragen werden sollen178. In der Folge gibt es in den Protokollen ausser den Kapazitätsfragen zufolge Aktivdienstabsenzen sowie zunehmenden Spenden für die Flüchtlingshilfe kaum Hinweise auf den Weltkrieg. Bauliche, betriebliche und liturgische Themen nehmen den gleichen Raum ein wie vorher oder nachher. Am 14. November 1944 wurde berichtet über die geplante Hilfe für die notleidenden Schwesterkirchen in Auslande, so müsse die bernische Landeskirche zweimal eine jährliche Summe von Fr. 275‘000.- in Aussicht stellen, wofür eine Erhöhung der Beiträge an die Zentralkasse und eine Kopfsteuer von 30 Rappen für die Jahre 1945/46 nötig sei179.

169 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911, S. 282 170 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 226 (Artikel Emmentaler Nachrichten, anderes Datum) 171 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1921-1934, S. 10 172 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1912, S. 178. Wichtracher Heft 5, Kapitel 3.2.2. 173 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1921-1934, S.69 174 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1921-1934, S. 169 175 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1934-1945, Seite 77 176 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1934-1944, Seite 108 177 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1934-1945, S. 122, 134 178 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1934-1945, S. 164 179 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1934-1944, Seite 272

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3.4.7. Allgemeine Entwicklungen ab Ende 2. Weltkrieg Am 12. Dezember 1948 wurde das wegen dem neuen Kirchengesetz notwendig gewordene Reglement der Kirchgemeinde von der Kirchgemeindeversammlung angenommen. Bemerkenswert ist, dass der Kirchgemeinderat von 7 auf 9 Mitglieder aufgestockt wurde, wobei die beiden neuen Sitze für Frauen reserviert wurden, zudem musste der Kassier eine Kaution von Fr. 2‘000.- leisten180. Ein Beispiel für die Probleme der Abgrenzung von kirchlichen und öffentlichen Aufgaben mag die von kirchlicher Seite 1949/50 im Amt Konolfingen gegründete Säuglingsfürsorge und Mütternberatungsstelle zeigen, die 1950 zur finanziellen Unterstützung um die Erhebung einer Kirchenkollekte am Muttertag bat. Nun hatte der Synodalrat sich gegen den Müttertag ausgesprochen, da dieser aus reinen Geschäftsgründen entstanden sei. Der Kirchgemeinderat verzichtete deshalb auf die Kollekte, wollte sich aber „auf andere Weise“ der neuen Fürsorge annehmen181. Auch 1950 wurde erstmals die Promotionsfeier der Sekundarschule Wichtrach in der Kirche durchgeführt. Die Fertigstellung des neuen Pfarrhauses und die Wahl des neuen Pfarrers waren die beiden aufeinander abgestimmten Höhepunkte Ende 1953. Am 25. Oktober begrüsste der Kirchgemeindepräsident 353 Kirchgemeindemitglieder in der Kir- che zur Pfarrerwahl, wo Pfarrer Emanuel Frautschi mit 266 Stimmen gewählt wurde. Der Kirchgemeindepräsident benützte die Gelegenheit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, über die Bedeutung des Pfarramtes „in der zerrissenen und zer- splitterten Welt und Zeit“ hervorzuheben182. Die Kirchenordnung von 1953 brachte 1954 erstmals vier Wochen Ferien für den Pfarrer beziehungsweise die Kirchge- meinde musste den Pfarrerersatz während der Ferienzeit bezahlen. 1954 wurde beschlossen, den Konfirmanden die Auf- klärungsschriften von Dr. Bovet „Die werdende Frau“ bzw. „Von Mann zu Mann“ zu beschaffen und abzugeben. Im Frühling 1956 stellte die Sozialdemokratische Partei von Niederwichtrach schriftlich fest, sie habe als „Minderheitspar- tei“ das Recht, im Kirchgemeinderat einen Sitz zu erhalten. Der Kirchgemeinderat stellt fest, dass es positiv sei, dass die sozialdemokratische Partei „bei uns in der Kirche mitarbeiten will. Dass ist nicht überall so“. Nach Artikel 16 des Kirchen- gesetzes habe aber keine politische Partei einen Anspruch auf einen Sitz im Kirchgemeinderat183. Am Bezirksfest in Ko- nolfingen wurde festgestellt, dass eine einzige reformierte Pfarrstelle für die Betreuung der Patienten in den Anstalten Waldau und Münsingen nicht mehr genüge und dass die Kirchgemeinde Wichtrach an den Umbau des Altersheimes Bei- tenwil Fr. 1‘800.- beizutragen habe184. Veränderungen im kantonalen Steuersystem und die Häufung der Investitionen bewirkten, dass das Budget 1957 mit einer Steuererhöhung im ersten Anlauf verworfen wurde. Die folgenden Diskussionen führten einmal dazu, dass das Budget mit der Steuererhöhung genehmigt wurde, dass aber die Diskussion über die Trennung der bürgerlichen Abteilung von der Kirche in Gang kam. Dabei verwiesen die kantonalen Instanzen trotz Befürwortung der Trennung auch auf das Stimmrecht der Frauen in der Wichtracher-Lösung. Der Kirchgemeinderat begrüsste die „Ablösung“ der bürgerlichen Abteilung, einzig bei der Frage des Friedhofes wünschte sich die Kommission die Erhaltung des kirchlichen Einflusses. Im Sommer 1957 beschloss der Rat, das Thema vorläufig ruhen zu lassen und mit den Gemeinderäten das Gespräch zu suchen185. Anfangs 1964 fiel im Kirchgemeinderat die Anregung die Information der Kirchgemeindemitglieder zu fördern mit einer Art „Kirchgemeindezeitung“, zum Beispiel die Nutzung der letzten Seite des „Säemann“, der neu herauskommen soll186.Im Budget 1964 verzichtete der Kirchgemeinderat mit Blick auf die bestehenden Schulden sowie anstehende Sanierungen auf eine Kürzung der Kirchensteuer, was bewirkte, dass die Gemeinderäte von Ober- und Niederwichtrach und Oppligen sich mit einem gemeinsamen Schreiben an den Kirchgemeinderat richteten mit dem Ersuchen, die Kirchensteuern zu senken, dies unmittelbar vor der Budget-Kirchgemeindeversammlung. Beim Budget 1966 erfolgte gegen den Antrag des Rates eine Kürzung der Kirchensteuer von 16 auf 15% der Staatssteuer (10% kirchliche, 5% bürgerliche Abteilung). Diese Kürzung war jedoch erträglich, da die Staatssteuer erhöht wurde. Jedoch wurde das Verhältnis von „Kirche zu Staat bzw. politischen Gemeinden“ wieder angesprochen187. Im Frühling 1966 verwies die kantonale Steuerverwaltung den Kirchgemeinderat auf diverse Reglemente und das neue Dekret über die Kirchen- steuern, das auf 1967 in Kraft treten solle und die direkte Kirchensteuer für alle Gemeinden bringen werde und wünschte, dass der Rat nicht mehr länger die bürgerliche Abteilung betreuen solle, aber ohne Folgen188. Für die beiden südlichen Kirchgemeinden Kiesen und Oppligen wurden schwergewichtig im Winter „Filialgottesdienste“ durchgeführt. 1966 und 1967 wurden solche jeweils am 1. Sonntag im Monat im Vereinshaus Oppligen im November, Dezember und Januar und in Kiesen im Februar und März durchgeführt189. Beim Kirchenreglement von 1976 gab am meisten zu reden Grösse und Zusammensetzung des Kirchgemeinderates. Es setzte sich der Antrag des Kirchgemeinderates durch mit 11 Mitgliedern unter Einschluss des Präsidenten, mindestens 6 Männern. Diskussionspunkt war die „Männerquote“. Ein Jahr später wurde der Artikel über die Finanz-Kompetenz des Kirchgemeinderates angepasst (für einmalige Ausgaben bis Fr. 5‘000.-, für wiederkehrende Ausgaben bis Fr. 2‘500.- 190).

180 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1945-1953, S. 144 181 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1945-1953, S.213 182 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, Seite 63 183 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953.1966, Seite 168 184 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, Seite 169 185 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeindeversammlung 1956-1982, Seiten 1, 11, 18, 23 Protokolle Kirchgemein- derat 1953-1966, Seiten 185,188, 193, 196, 198 186 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, Seite 294 187 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeindeversammlung 1956-1982, Seite 54, 64. Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, Seite 290, 327, 330 188 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, Seite 337 189 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1973, S. 22 190 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 32, 34, Protokolle Kirchgemeindeversammlung 1956-1982, Seite 154, 156

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Am 9. Dezember 1979 beschloss die Kirchgemeindeversammlung 4% der Steuereinnahmen an die Entwicklungshilfe und 2 % an die Innlandhilfe, was 1979 Fr. 8‘000.- für HEKS und F. 2‘000.- für Brot für Brüder im Bereich Entwicklungshilfe sowie Fr. 5‘000.- für die Gemeinde Fiesch für die Beschaffung von Kirchengesangsbüchern, Klappstühlen und die Sanie- rung des Kirchleins in Saas-Fee im Bereich Inlandhilfe ausmachte191. Für die Umsetzung des Grundsatzbeschlusses in den folgenden Jahren setzte der Kirchgemeinderat eine spezielle Kommission ein, die zuhanden des Rates jährlich Vor- schläge für die Unterstützung im In- und Auslande zu erarbeiten hatte. Dabei sollte jedes Jahr sowohl im In- wie im Aus- lande die Art der Hilfe neu bestimmt werden192. 1988 wurde im Hinblick auf das vom Kanton vorgegebene neue Rechnungsmodell für die Führung der Buchhaltung ein „Computerprogramm“ für Fr. 3‘850.- gekauft, welches dann auf dem persönlichen Rechner der Rechnungsführerin, Frau E. Meyer installiert und betrieben wurde. An der gleichen Versammlung wurde eine weitere Neuerung beschlossen: Die Eröffnung eines Bank-Kontokorrents mit einer Kreditlimite von Fr. 150‘000.- zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen. Zudem wurde auf Grund der angefallenen Investitionen die Erhöhung der Kirchensteuer von 6 auf 7% ab 1990 „einstimmig“ beschlossen 193. 1991 befasste sich der Kirchgemeinderat mit der Zurverfügungstellung der Kirche für Freikirchen und Sekten, z.B. für Bestattungen, wenn Angehörige zur Landeskirche gehören, die Verstorbenen nicht. So wurde beschlossen, die Kirche mit Kostenfolge ohne Pfarrer folgenden Gemeinschaften zur Verfügung zu stellen: Freie evang. Gemeinde, Gemeinde ent- schiedener Christen, Heilsarmee, Mennoniten, Gemeinde für Urchristen, Methodisten, Herrenhuter Brüdergemeinde194. Der Jugendraum im alten Kirchgemeindehaus wurde rege benützt, zum Beispiel von der Jugendgruppe Melone und an- dern Jugendlichen aus der Kirchgemeinde (1991). Auf Wunsch der Pfarrer wurde eine Kontaktperson aus dem Kirchge- meinderat zu den Jugendlichen gewählt (Frau Käthi Berner). Der Betrieb des Raumes wurde an die Jugendlichen übertra- gen, wobei die Durchsetzung der Hausordnung, insbesondere betreffend Alkohol und Nikotin usw. nicht einfach war195. Im August 1992 fand eine Inspektion des Regierungsstatthalters in der Kirchgemeinde statt. Im Wesentlichen wurde der fehlende Datenschutz bemängelt, was zur Bestimmung einer Datenschutzaufsicht führte. 3.5. Der Kirchliche Unterricht ab 1900 3.5.1. Die Sonntagsschule Nach dem Bericht des Pfarramtes von 1906 bis 1909 gab es 4 Sonntagsschulen, in jeder Gemeinde eine. Zwei wurden geleitet von Angehörigen der Landeskirche, eine von Angehörigen der evangelischen Gemeinschaft und eine von der evangelischen Gesellschaft. Im Bericht von 1941-1950 gab es bis 1950 keine Veränderungen. Ende 1953 bestätigt der Kirchgemeinderat den gleichen Zustand, stellt aber diverse Mängel fest, die er auf den Mangel an Leiterinnen und Leiter zurückführt, was er aber nach Antritt des neuen Pfarrers „bald angehen wolle“196. Im Frühling 1954 konnten bereits vier zusätzliche Helfer/innen gefunden werden. Im Jahrzehntbericht 1961-1970 gab es noch die Sonntagschule der Evangeli- schen Gesellschaft in Oppligen, die der Landeskirche in Oberwichtrach und die der freien Gemeinde in Niederwichtrach, alle mit je 60-70 Kinder. Diese grossen Zahlen führten zu Raumproblemen, so 1973 in Oberwichtrach. 3.5.2. Die Kinderlehre Nach dem Bericht des Pfarramtes von 1906 bis 1909 wurde das ganze Jahr hindurch Kinderlehre gehalten gleich nach dem Morgengottesdienst, an Kommunionstagen Nachmittags um 1 Uhr. Sie fiel aus am ersten Sonntag jedes Monats und vom Bettag bis zum Reformationssonntag. Im Bericht von 1941-1950 wurden „2 Abteilungen“ ausgewiesen zu je 24 Stun- den im Jahr. 1961-1970 besuchte das 7. Schuljahr während der Schulzeit am 1. Und 3. Sonntag den Gottesdienst und die Kinderlehre, das 8. Schuljahr am 2. und 4. Sonntag, durchschnittlich 20 Kinderlehren. 3.5.3. Die Unterweisung Nach dem Bericht des Pfarramtes von 1906 bis 1909197 begann die Unterweisung mit Anfang der Sommerschule und wurde mit 5 Wochen Unterbruch im Herbst bis Gründonnerstag erteilt, im Sommer Freitag-Nachmittag von halb fünf bis sechs Uhr, im Winter Dienstags und Donnerstags am Vormittag von neun bis 11 Uhr. Das Unterweisungslokal war im Primarschulhaus Oberwichtrach, der Raum war eng und unbequem. 1941-1950 wurden 100 Stunden im Jahr 1950 aus- gewiesen, am Mittwoch-Nachmittag und am Donnerstag-Vormittag. 1968 zählte man bald 60 Konfirmanden und der Pfarrer verlangte die Aufteilung der Schüler in zwei Klassen, die Primar- und die Sekundarschüler198. 3.5.4. Neukonzept für den kirchlichen Unterricht Am 26. September 1986 befasste sich der Kirchgemeinderat erstmals mit einem Konzeptentwurf von Pfarrer Fuhrer. Der kirchliche Unterricht ist offensichtlich im Umbruch, in verschiedenen Gemeinden laufen Pilotprojekte. Am 3. Dezember 1986 erfolgen entsprechende Entscheide: Die Klasse wird in Gruppen aufgeteilt, die Kinderlehre soll versuchsweise werk- tags erfolgen199. Ab August 1994 begann der neue kirchliche Unterricht ab der 1. Schulklasse. Die starken Klassen führten

191 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeindeversammlung 1956-1982, Seite 163 192 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 82, 84 193 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 228 194 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1989-96, Seiten 27, 29, 30 195 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1989-96, Seiten 34, 91 196 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, Seite 76, 85 197 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, 10-jahresberichte 198 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1973, S.33 199 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 196, 200

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 28 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 sofort zu Kapazitätsproblemen. Die Klassen 1-5 wurden durch Katecheten, die Klasse 6 durch Katechet und Pfarrer und die Klassen 7-9 durch Pfarrer geführt200. 3.6. Die „Junge Kirche“ Im Protokoll der Kirchgemeinderatssitzung vom 31. März 1948 wird erstmals die Gruppe „Junge Kirche“ erwähnt, welche sich an einem Kartenverkauf zugunsten der Jugendheimstätte Gwatt beteiligen wolle. Es wurde auch über eine Initiative der bernischen Kirchensynode gesprochen, wonach in jeder Kirchgemeinde die Arbeit mit der Jugend aufzunehmen sei201. Im Bericht 1941-1950 wird berichtet, dass die Gruppe Mühe habe, sich zu behaupten, „man habe oft Mühe für die Zusammenkünfte einen Abend zu finden, an dem alle frei sind“. 1976 äusserte sich Pfarrer Goebel auf eine entsprechende Anfrage im Kirchgemeinderat, dass „das Entscheidende für die Jungen bereits in der Unterweisung geschehe“. Er ist nicht überzeugt von der Notwendigkeit einer Jungen Kirche und er möchte vor allem keine Konkurrenzierung zu den weltlichen Vereinen, „Die Gruppe von Herrn von Känel nennt sich nicht Junge Kirche“ 202. 3.7. Kirchengesang, ein ständiges Thema, der Kirchenchor entsteht Schon in den Prädikantenordnungen wurde dem Pfarrer übertragen, „zu dem öffentlichen Kirchengesang gute Sorge zu tragen“203. Im Herbst 1890 wurde in der Bezirkssynode die Empfehlung an die Kirchgemeinden beschlossen, auf Pfingsten 1891 das neue schweizerische Kirchengesangbuch einzuführen. In zahlreichen Gemeinden bildeten sich Kirchenchöre, die zum Teil sehr hohe Mitgliederzahlen erreichten, Organistenkurse wurden eingeführt, in der Kinderlehre sollte fleissig gesungen werden, was allerdings da und dort wegen mangelnder musikalischer Begabung der Pfarrer unterblieb204. Der Kirchgemeinderat übernahm diese Empfehlung und bestellte erstmals 50 Gesangsbücher, für den Organisten wurde ein Choralbuch zum neuen Gesangsbuch beschafft. Wichtig war der Entscheid, mit den Lehrern über die Gründung eines Kirchenchors zu sprechen. Am 4. November 1894 beschloss der Kirchgemeinderat die Gründung des Kirchenchors „zur Hebung des zur Zeit darniederliegenden Kirchengesanges“205. Das Resultat ist unbekannt, so sind auch spätere Ansätze zur Schaffung dieses Organes „zur Förderung des Kirchengesanges“ aktenkundig206. Ende 1903 wurde die Gründung eines Kirchenchors wieder an die Hand genommen „zur Hebung des Kirchengesanges“, Lehrer Aebersold erklärte sich bereit zur Leitung des Chores und Pfarrer Stierlin wurde beauftragt, „nach dem Neujahr“ ab der Kanzel einen Aufruf zu erlassen. Als „Beweis“ für die effektive Gründung kann der Beschluss des Kirchgemeinderates vom 9. Juni 1907 gewertet werden, für den „neugegründeten Kirchenchor 40 Exemplare der vom Synodalrat herausgege- benen Sammlung religiöser Lieder zu beschaffen“207. Am Kirchensonntag 1936, dem 1. Sonntag im Februar, erfolgte die feierliche Einführung des neuen Kirchengesangsbuches mit einem einführenden Referat von Vizepräsident Lehrer Fritz Bucher, den Darbietungen von Gesangschören von Wichtrach sowie einem vereinigten Schülerchor208. Im November 1953 kam das neue Kirchengesangsbuch heraus und der Synodalrat wünschte, dass dieses sofort im Got- tesdienst eingesetzt werde, „allerdings könne bei der finanziellen Lage der Kirchgemeinde Wichtrach nicht erwartet wer- den, dass die Kirchgemeinde den Verkauf der Bücher finanziell unterstütze“. Im Frühling 1954 wurde beschlossen, mit den Schulen in Kontakt zu treten um bei den Kindern die Einführung dieses Buches zu koordinieren. Auch 1953 gründete Lehrer Eggler einen „Singkreis“. Auf Grund der ersten Auftritte erklärte sich der Singkreis im März 1954 bereit, unter der Bezeichnung „Kirchenchor“ aufzutreten. 1954 gab der Kirchenchor am Abend des Reformations- sonntages ein derart erfolgreiches Konzert, dass der Kirchgemeinderat anschliessend Beschlüsse zur finanziellen Unter- stützung des Kirchenchores traf209. Der heute aktive Kirchenchor wurde 1980 gegründet210. 3.8. Pfarrer und Pfarrerinnen in Wichtrach: Persönlichkeiten, Besonderes Verfasser: Peter Lüthi Das Verzeichnis der Pfarrer und Pfarrerinnen ist im Anhang 3 zu finden. 3.8.1. «Pfarrherren» sind auch Menschen Pfarrer Johann Rudolf Wyss (in Wichtrach 1807-1821) Pfarrer Johann Rudolf Wyss war in der Mediation in unserem Raume von erheblicher Bedeutung, siehe Kapitel 2.4. Johann Rudolf Wyss, der Ältere genannt, und am 18. Januar 1763 in Bern geboren, war Landpfarrer. 1791–1807 in München- buchsee bei Bern und 1807–1821 in Wichtrach. Er schrieb eine Anzahl gemeinnützige Flugschriften und politische Blätter und dichtete dazu für den Göttinger Musenalmanach, später für die „Alpenrosen“. Sein Hauptwerk ist die „Lyrische Halle“, die 1819 erschien, und nicht ohne Bedeutung und Eindruck waren seine „Gesänge für Griechenlands Heldenvolk“ von

200 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1989-98, Seiten48, 58, 63, 65, 66, 73, 75, 78 201 Archiv Kirchgemeinde, Protokolle Kirchgemeinderat 1945-1953, Seite 112 202 Archiv Kirchgemeinde, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 30 203 Geschichte Wichtrach, Heft 10, Seite 8 204 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 704 205 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911 206 Geschichte Wichtrach, Heft 10 207 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911, S.201, 245 208 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1934-1945, S. 27 209 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, Seite 130 210 Drachepost Nr. 9, September 2006, Seite 13

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1826. Seit 1821 vom Amt zurückgetreten, hatte er, obwohl zwei Mal verheiratet, ein einsames Alter und ist am 30. Januar 1845 gestorben (www.wikisource.org). Pfarrer Gabriel Neuhaus (in Wichtrach 1828-1856) Am 13. Januar 1848 beschloss die Einwohnergemeindeversammlung von Niederwichtrach mit 23 Stimmen von 24 Stim- men eine „Vorstellung an den Regierungsrat des Cantons Bern, dass Herr Pfarrer Neuhaus in hier wegen politischer Anzeigen auf der Kanzel von hier entfernt werde“211. Pfarrer Friedrich Emanuel Hartmann (in Wichtrach 1856-1886) Infolge Ablauf der Amtsdauer von Pfarrer Hartmann musste die Kirchgemeindeversammlung am 1. November 1885 be- schliessen, ob man die Stelle ausschreiben oder nicht ausschreiben wolle, wobei der Kirchgemeinderat „Nicht ausschrei- ben“ beantragte. Nicht ausschreiben war gleichbedeutend mit Wiederwahl für eine weitere Amtsdauer. Die Versammlung beschloss mit 86 von 119 Stimmen ausschreiben212, was dann allerdings zu einigen Schwierigkeiten führte und es April 1886 wurde, bis Pfarrer Leonhard Stierlin gewählt werden konnte. Pfarrer Leonhard Stierlin (in Wichtrach 1886-1905) Pfarrer Stierlin war offensichtlich sehr beliebt in Wichtrach. Als er eine Berufung nach Schlosswil erhielt, hielten ihn die Kundgebung der Bevölkerung von einem Wechsel ab. Im Februar 1904 kündigte er seine Demission an aus familiären Gründen (seine Kinder gingen in Bern zur Schule und durch einen Umzug nach Bern konnte er die Familie wieder zusam- menführen und wegen des Gefühls des Unvermögens, der wachsenden Gemeinde in richtiger Weise zu genügen). Er verblieb in der Gemeinde bis September 1905. Seine Verbindung zu Wichtrach wurde auch dokumentiert durch seinen Wunsch, zusammen mit seiner Frau einmal in Wichtrach bestattet zu werden „bei seiner lieben Kirche“. Pfarrer Leo Schmid (in Wichtrach 1905-1915) Pfarrer Leo Schmid, geb. 1871, installiert 5.11.1905. Pfarrer Leo Schmid, vorher zu Kurzenberg, 1906 – 1915, Grabplatte an der Ostwand der Kirche. Im Januar 1911 wurde Pfarrer Schmid zum Pfarramt Wichtrach auch die Pfarrweserei der Irrenanstalt Münsingen übertragen. Pfarrer Schmid wirkte aktiv mit bei der Gründung der Sekundarschule, war Präsident der Sekundarschulkommission und später auch Mitglied der Primarschulkommission, übernahm auch Stellvertretungen von Lehrern, die in den Aktivdienst einrücken mussten. Er verstarb unerwartet nach einer erfolgreichen Operation an einer Herzschwäche in der Nacht vom 12./13. August 1915213. Pfarrer Max Ochsenbein (in Wichtrach 1927-1954) Pfarrer Max Ochsenbein war 27 Jahre Pfarrer in Wichtrach, in einer Periode die in fast allen Lebensbereichen beträchtliche Veränderungen brachten, mit denen er persönlich und als Pfarrer auch seine liebe Mühe hatte, seine beiden mit viel Herzblut verfassten Zehnjahresberichte 1930-1940 und 1940-1950 dokumentieren dies214. Die Auflösung der „Gemein- schaft“ durch zunehmende Individualisierung und Entsolidarisierung der Gesellschaft, zunehmende Angebote an die Jun- gen durch Vereine und im Sportbereich als Konkurrenz zur Kirche, die sonntägliche Radiopredigt als Konkurrenz zum Gang in die Kirche und vieles mehr machten ihm schwer zu schaffen. Auch der Weltkrieg, wo er als Feldprediger in einer Militär-Sanitäts-Anstalt im Einsatz war, mit den Auswirkungen der monatelangen Absenzen der Wehrmänner im Aktiv- dienst, wo „starke Charakter stärker und schwache dagegen schwächer wurden“ und der Belastung der Daheimgebliebe- nen belastete ihn sehr. Ein Anliegen, das auch aus den Protokollen der Kirchgemeinde hervorgeht, war die Förderung des Kirchengesanges, der trotz allen Anstrengungen „meist so kläglich, eher wie ein Grabgesang als wie ein Lobgesang klingt“, trotz Unterstützung der Lehrerschaft und der Organisten nicht als Erfolg bezeichnet wurde. So stellte er fest, dass „bei den gefühlsvollen Gesängen eines Heilsarmeechores und den marschmässigen Waisen einer Heilsarmee-Blasmusik unsere Leute mit beiden Ohren zuhören. Unsere Kirchenmusik ist ihnen zu hoch und zu schwer“. Neben allen Tätigkeiten in der Kirchgemeinde war er darüber hinaus in verschiedenen sozialen Werken aktiv, so als Präsident der bernischen Kranken- pflege, als Sekretär des protestantisch kirchlichen Hilfsvereins und beteiligte sich an diversen Missionswerken, zum Bei- spiel der Basler Mission. 3.8.2. Veränderungen der Aufgaben der Pfarrer, das Pfarramt wächst Mit den Veränderungen der Rechtsgrundlagen seit der Regeneration haben sich auch die in Kapitel 1.4.2 beschriebenen Obliegenheiten der Pfarrer verändert, aber kaum vermindert. Mit den Kirchgemeinden hatten die Pfarrer zunehmend die Sekretärfunktion für die verschiedenen Behörden zu übernehmen, vorerst gemäss dem Reglement der Kirchgemeinde von 1860 (Anhang 7) „nur“ für den Kirchenvorstand, in der Folge aber für alle Organe. Verfolgt man dann die Protokolle, übertrug man dem Sekretär dann die verschiedensten Aufgaben, vom Einkauf von Heizungsmaterial für die Kirche, das Einholen von Offerten für Unterhaltsarbeiten bis zur Ausarbeitung von Reglementsentwürfen. Am 27. November 1973 wurde festgestellt, dass die Kirchgemeinde „bald zu gross sei für einen Pfarrer“. Abklärungen bei der Kirchendirektion ergaben, dass ein Gemeindevikariat möglich sei, dieses aber von der Kirchgemeinde vollumfänglich bezahlt werden müsse. 1975 zählte die Kirchgemeinde Wichtrach rund 3‘000 Personen. Der Synodalrat verlangte die Schaffung einer Vikariatstelle zusammen mit einer Nachbargemeinde, zB. Kirchdorf. Die Kirchgemeindeversammlung ge- nehmigte dann aber einstimmig eine Vikariatsstelle nur für Wichtrach, was dann aber vom Synodalrat abgelehnt wurde, die Gemeinde sei zu klein, worauf sich eine Zusammenarbeit mit dem Pfarrer Schäfer von ergab. Erst Mitte 1978 genehmigte der Synodalrat die Einrichtung eines teilzeitlichen Vikariats ab dem 15. November 1978. Am 19.

211 Historisches Archiv Niederwichtrach, B18440411, Seite 103 212 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911 S.17, 1873-1886 213 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S.103 214 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Zehnjahresberichte 1930-1950

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November 1978 hielt Herr Beat Hänni seine erste Predigt215. Nach Abgang von Herrn Hänni wurde am 20. Mai 1980 Pfarrer Fuhrer gewählt, vorerst auf eine 60%-Stelle. Später erfolgte die Erhöhung des Pensums auf 75%, womit die Kirchgemeinde mit 160 bzw. 175% zwei Pfarrerstellen erhielt216. Anfangs 1991 erhielt Pfarrer Fuhrer die Leitung des Lernvikariats in Wichtrach als Mitwirkung in der Ausbildung der Pfarrer. Auf Ende April 1992 demissionierte Pfarrer Fuhrer, er wurde Beauftragter des Synodalrates für die Pfarrerausbildung217. An seiner Stelle wurde Frau Pfarrerin Liselotte Stricker gewählt. Die 175% Pfarrerstellen wurden in der Folge zum ständi- gen Thema. Die Zunahme der Einwohner, aber auch die neuen Ausbildungsformen, die kirchliche Unterweisung (KUW) ab der 1. Klasse und die Aufteilung in Pfarrkreise erhöhten die effektiven Pensen der Pfarrer erheblich. 1996 waren pro Jahrgang rund 60 Kinder zu unterrichten. In den Jahren 1994/95 stiegen die Spannungen, so dass schlussendlich ein Berater für die Reorganisation des Pfarramtes und der Pfarrkreise beigezogen wurde. Diese Arbeiten führten im Sommer 1996 zu folgenden Beschlüssen: Aufstockung der 75% Pfarrstelle auf 100%, Schaffung einer Katechetenstelle zu 50% für die KUW, Schaffung eines Sekretariates zu 50%, Kreiseinteilung der Kirchgemeinde218. 3.9. Die Angestellten der Kirchgemeinde An der Kirchgemeindeversammlung vom 6. Dezember 1942 wurde ein „Regulativ für die Angestellten der Kirchgemeinde“ verabschiedet. Es betraf: Den Sigrist, die Organisten, den Abwart des Kirchgemeindehauses, die Ferienheimkomission, den Begräbnisbeamten, den Totengräber, den Friedhofgärtner, den Lebensmittelexperten, die Delegierten des Amtsan- zeigers, das Komitee der Mädchenfortbildungsschule219. An der Versammlung vom 11. Dezember 1955 wurde das Regu- lativ überarbeitet und Teuerung in die Löhne eingebaut.

4. Wichtrachs kirchliche Infrastruktur 4.1. Die Kirche 4.1.1. Über die frühe Kirche220 Im Sommer 1994 führte Dr. Gutscher vom Archäo- logischen Dienst im Hinblick auf die geplante Bo- denheizung in der Kirche je eine Sondierung im Schiff und im Chor durch. Es resultierte, dass vor 1474 an diesem Ort schon eine Kapelle war und Funde bis in die römische Zeit vorlagen, etwa in das 4. Jahrhundert. Genaueres hätten umfangreichere Ausgrabungen bedingt, auf die verzichtet wurde, aber als Folge der Funde wurde auf eine Bodenhei- zung verzichtet. Als Arbeitshypothese wird ange- nommen, die Kirche könnte zurückgehen in die ka- rolingische Periode, also etwa ab dem 8./9. Jahr- hundert221. Nach dem Brand des Kirchturmes von 1913 wurde der Knauf geöffnet und 7 Schriften gefunden s. An- hang 11 222. Schrift 3 ist zu entnehmen eine In- schrift auf dem Knauf „Ao MCCCCLXXIIII YAHR“, woraus geschlossen wird, dass das Jahr 1474 das Jahr der Erbauung der heutigen Kirche bzw. des Turmes an diesem Standort ist (siehe auch Kapitel 2.1.).

4.1.2. Die Kirche von 1744/46 Dorfzentrum Oberwichtrach mit Kirche, Friedhof und zentrale Pfrundteile, Verfasser: Martin Gurtner um 1887 1744 erfolgte ein Gesuch an die Regierung zur Vergrösserung der Kirche. Da damals das Kirchenschiff der Kirchgemeinde und das Chor dem Staate gehörte, mussten die Erweiterungskosten getrennt veranschlagt werden. Als Baufachmann wurde Baumeister Zehender beigezogen, die Kosten des Baues von 1745/46 betrugen für die Erweiterung des Schiffes 582 Kronen und 15 Batzen, die Erneuerung des Chores 264 Kronen und 12 Batzen. Man kann davon ausgehen, dass die heutige Kirche im Wesentlichen dieser Baute entspricht223. 1755 wurde wohl in einem Sturm der Turm stark beschädigt und musste ausgebessert werden, was auch benützt wurde, um den Knauf zu öffnen, den Inhalt zu prüfen und zu ergänzen (s. Anhang 11).

215 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeindeversammlung 1956-1987, Seite 149, 150; Protokoll Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 5, 22, 51, 55, 58 216 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, S. 20, 22, 34, 51, 53, 55 217 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1989-1996, S. 23, 33 218 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1989-1996, Seiten 53, 60, 69, 77, 83, 87, 88 219 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1934-1945, S.207 220 Oberwichtrach, Gestern und Heute, Seite 174 ff 221 Auskunft Dr. Bäriswil, Archäolog. Dienst Bern 222 Unterhaltungsblatt zum Geschäftsblatt Thun von 1914 223 Oberwichtrach gestern und heute, Seite 175

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Am 6. Juli 1808 wurde an einer gemeinsamen Sitzung des Chorgerichts und des Gerichts beschlossen224, die bestehende Glocke zu ersetzen, Bezahlung durch das Kirchengut und wenn es nicht genüge, durch die Ortsgemeinden sowie die Beschaffung einer Orgel, finanziert durch „freiwillige Spenden“. Am 22. November 1818 beschloss das Chorgericht über die Bezahlung an Uhrenmacher Stambach von Münsingen für die „gänzliche“ Revision der Turmuhr sowie eine Abma- chung, dass er alle 14 Tage die Uhr salbe225. Am 25. März 1819 stellte das Chorgericht in einem Gesuch an den Oberamtmann fest, die beiden Glocken seien so klein, dass man das Geläute „fast nirgends“ hören könne und zudem sei die grössere derselben nicht in gutem Zustande. Das Chorgericht möchte das Geläute ersetzen durch „2 neue, um etwa 6 Centner schwere Glocken“, die Kosten würden etwa 600 Kronen betragen, „vielleicht etwas mehr“. Da aber die Gemeinden seit 1798 „beständig so sehr grosse Ausgaben gehabt“, möchte das Chorgericht 300 Kronen aus dem Kirchengut nehmen und den Rest hoffen sie dann, mit freiwilligen Steuern zusammenzubringen. Mit Schreiben vom 25. Mai 1819 gestattet der Statthalter die Entnahme aus dem Kirchengut, verlangt aber, dass die Entnahme innert 10 Jahren ins Kirchengut zurückzuerstatten sei226. Ob diese Beschaffung durch- geführt wurde, ist nicht belegt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war ein Missklang zu beklagen: Die grössere der beiden Glocken hatte einen Riss. 1856 beschloss die Kirchgemeinde die Beschaffung von drei neuen Glocken. Gleichzeitig sollte auch eine neue Turmuhr eingebaut werden. Wegen der hohen Kosten von rund Fr. 10'000 stellte man ein Gesuch um Unterstützung an die «hohe Regierung»– mit Erfolg. Die drei Glocken heissen Eintracht (1235 kg), Friede (637 kg) und Freude (379 kg), sie sind gestimmt auf e, gis, h und wurden geliefert von der Glockengiesserei Rüetschi, Aarau. Gemäss Abrechnung des Zahlmeisters Jakob Ingold, Niederwichtrach vom 25. Januar 1858 kosteten die neuen Kirchenglocken mit entsprechenden Anpassungen am Glockenstuhl, die Renovation der „Zeittafel“, des Turmes und der Kirche insgesamt Fr. 9‘459,47. Die Zeittafel (= Turmuhr) wurde geliefert vom Eichmeister Oppliger in Bern227. 4.1.3. Der Chor kommt zu Wichtrach, die Sanierungen bis zum Brand Das Kirchendach wurde in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts reparaturanfällig. Das Problem war, dass der Chor228 der Kirche nicht der Kirchgemeinde sondern dem Kanton gehörte, wollte man also das Kirchendach sanieren, musste ein Modus mit dem Kanton gefunden werden über die Finanzierung. Am 11. September 1885 teilte die kant. Domänenverwaltung mit, dass „konsequent mit dem seit einiger Zeit in derartigen Fällen vom Staate beobachtete Verfahren man in die beantragte devisierte Reparation nicht eintreten könne, dagegen sei man bereit, mit der Kirchgemeinde in Verhandlung einzutreten über Abtretung des Chors an dieselbe“. Der Präsident des Kirchgemeinderates erfuhr, dass der Kanton kürzlich der Kirchgemeinde Walkringen den Chor zur Unterhaltung übertragen und dafür den Betrag von Fr. 1‘300.- geleistet habe. Der Kirchgemeinderat beschloss, eine Barentschädigung von Fr. 1‘500.- und zusätzlich den Betrag für die Sanierung des Chordaches zu verlangen. Schlussendlich wurde der Chor für eine Entschädigung von Fr. 1‘400.- übernommen mit der Verpflichtung zur Dachsanierung229. Im Jahre 1888 wurde die Aussensanierung von Kirchturm und Kirche einschliesslich Restauration der Zifferblätter der Turmuhr zum wichtigen Thema. Dabei machte der Regierungsstatthalter Auflagen zur Finanzierung, die mit Fr. 1‘300.- budgetiert wurde, indem der Betrag aus dem Kirchengut genommen werden sollte und dann innert 10 Jahren über die laufende Rechnung verzinst und amortisiert werden sollte230. Dies bewirkte, dass aus finanziellen Gründen verschiedene weitere Projekte zur Kirche abgeschrieben wurden wie Treppe von Aussen zur Portlaube und deren Versetzung. Am 1. Dezember 1889 beschloss die Kirchgemeindeversammlung eine vollständig neue Bestuhlung der Kirche. Diese wurde möglich durch ein Legat von Fr. 500.- zum Gedenken an den verstorbenen Nationalrat G. Riem von Kiesen. Dabei wurde auch beschlossen, sämtliche „Kämmerli“ der Frauenstühle und des Chors abzuschaffen231. Die neue Bestuhlung bewirkte auch die Sanierung der Holz-Böden unter den Bänken. Einer der alten Bänke wurde Pfarrer Stierlin abgegeben zur Aufstellung „auf dem Lerchenberg“. 1895 gingen beim Kirchgemeinderat Beschwerden ein über die mangelhafte Heizung der Kirche. Schlussendlich fiel im November 1897 der Entscheid zugunsten einer Koksheizung232. Dieser Entscheid bedingte allerdings auch den Bau eines neuen Kamins. Im Frühling 1899 wurde beschlossen, den „Orgelfonds“ weiter zu stärken und die Kirchgemeinderäte wurden beauftragt, in ihren Gemeinden eine „von Haus zu Haus“-Sammlung durchzuführen, was zu folgenden Resultaten führte: Nieder- wichtrach Fr. 384, Oberwichtrach Fr. 313, Kiesen Fr. 732, Oppligen Fr. 315. Im Juli 1899 wurde der Grundsatzentscheid zur Anschaffung einer neuen Orgel gefasst. Im Rahmen der Vorbereitungen wurde festgestellt, dass es sinnvoll wäre, vor der Installation der neuen Orgel die Sanierung des Innenraumes der Kirche durchzuführen. Im Dezember 1899 wurde die Sanierung des Innenraumes der Kirche und des Mittelganges im Schiff sowie die Beschaffung einer neuen Orgel beschlos- sen. Die Vergaben erfolgten am 11. März 1900: Die Orgel mit 18 Registern zum Preise von Fr. 9‘000.- bei Orgelbauer Kuhn in Männedorf, die Bodensanierung mit Cement-Platten im Mittelgang und im Chor und die Sanierung des Innenrau- mes zum Preise von Fr. 2‘275.-233. Da sich bei der Umsetzung dieser Beschlüsse verschiedene Abänderungen und Er- weiterungen zeigten, wie zum Beispiel die Verwendung von Oelfarbe, Ergänzungen des Dekors sowie der Ersatz der Fenster, war der Kirchgemeinderat im Sommer 1900 stark gefordert. So war es eine Erleichterung, dass für die

224 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Pfrundzubehörden 1808, Kirchenmanual Seite 1 225 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Pfrundzubehörden 1808, Kirchenmanual Seite 16 226 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Pfrundzubehörden 1808, Kirchenmanual Seite 17 227 Oberwichtrach Gestern und Heute, Seite 182 228 Der Chor, auch Presbyterium genannt, ist der Altarraum in Kirchen 229 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle 1879-1911, S.16 230 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle 1879-1911, S.37 231 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle 1879-1911, S.45 ff 232 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle 1879.1911, S. 126 233 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle 1874-1911, S. 146, 151

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Finanzierung der Fenster eine Spenderin gefunden wurde, die auch zwei Wappenscheiben zu den Fenstern stiftete234. Dieser grosse Umbau bewirkte den Waldgottesdienst (siehe Kapitel 3.4.1.). Im Oktober 1904 wurde erstmals über den Ersatz des „kleinen“ Schutzdaches bei der westlichen Kirchenpforte diskutiert. Am 5. März 1905 wurde der Ersatz des „sehr schadhaften Vorschermens“ beschlossen und im Oktober 1906 der Müns- terarchitekt Indermühle mit einem Gutachten für die Gestaltung dieses „Vorschermens“ beauftragt. Einen Monat später präsentierte dieser konzeptionelle Ideen, die vor allem eine die ganze Breite der Kirche einnehmende Abdeckung mit Ziegeln, abgestützt auf Sandsteinsäulen vorsahen, was weiter geprüft werden sollte. Im Oktober 1907 legte Indermühle drei Varianten vor und erhielt den Auftrag, einen Devis auszuarbeiten für die Variante „Vorlaube“235. Wegen „dringenderen“ Vorhaben wurde das Projekt zurückgestellt. Im November 1912 wurde das Projekt wegen „Baufälligkeit“ wieder aufge- nommen und im März 1913 beschlossen, Kosten Fr. 2‘400.- und die Ausführung Baumeister Spahr übertragen236. Im Oktober 1907 befasste sich der Kirchgemeinderat mit der Einführung des elektrischen Lichtes in der Kirche und beauf- tragte die Genossenschaft „Kraft- und Lichtwerk Wichtrach“ mit der Abklärung des Anschlusses der Kirche. Im November wurde berichtet, dass die Zuleitung etwa Fr. 600.- kosten würde für etwa 150 „Kerzen“. Wenn weniger Kerzen installiert würden, müsste sich die Kirchgemeinde an der Zuleitung beteiligen. In Anbetracht der hohen Kosten und wegen dem anstehenden Bau des Vorschermens wurde beschlossen, das Projekt der Elektrifizierung auf „gelegenere Zeit“ zu ver- schieben237. Wegen der Verlegung von Nachmittags-Gottesdiensten auf den Abend im 1. Weltkrieg „unter der Vorausset- zung, dass die Kirche beleuchtet werden könne“, wurde über die Einführung der elektrischen Beleuchtung diskutiert. So wurde am 27. September 1914 beschlossen, ein „Abonnement für 10 Lampen zu beschaffen, unter der Voraussetzung, dass die BKW die Stromabgabe zum günstigeren Zählertarif abgebe“. Ergänzend wurde noch beschlossen, auch die Türen und den Turm zu beleuchten238. Dagegen wurde die Installation eines elektrischen Orgelgebläses vorerst abgelehnt239. Im Winter 1909/1910 war die Heizung der Kirche wieder einmal ein Thema. An der Kirchgemeindeversammlung im März 1910 wurde das Anliegen aber als „nicht so dringend und solange noch Schulden alter Sanierungen bestünden, sei nichts zu überstürzen“. Am 11. März 1923 beschloss die Kirchgemeindeversammlung die Einrichtung der elektrischen Heizung. Dies bedingte die Verstärkung der Transformatorenstation bei der Post in Wichtrach und der Zuleitung zur Kirche, kostend Fr. 3‘700.-. Die Gemeindeversammlung Oberwichtrach genehmigte einen Beitrag von Fr. 700.- an diese Investition, „weil die stärkere Trafostation auch dem übrigen Dorfe nütze“240. 4.1.4. Der Brand von 1913 Abschrift des Berichtes von Pfarrer Leo Schmid241. Dienstag, den 17. Juni 1913, während eines heftigen Gewit- ters schlug um halb 3 Uhr nachmittags der Blitz in den Kirch- turm und entzündete dessen Spitze. Der starke Regen ver- mochte das durch Blechstiefel geschützte Feuer nicht zu lö- schen, das nach dem Vorüberziehen des Gewitters durch ei- nen starken Südostwind angefacht wurde und in mächtiger Garbe emporloderte. Die Löscharbeiten gestalteten sich über- aus schwierig, da der Wasserstrahl des Hydranten zunächst die Brandstelle nicht zu erreichen vermochte. Dank der Ener- gie und Umsicht der Löschmannschaft, die unter Lebensge- fahr mutig im Innern des Helmes emporkletterte und in der Nähe des Feuers unter einem Regen von glühenden Kohlen und geschmolzenem Metall standhaft aushielt, gelang es end- lich nach mehreren Stunden des Feuers Herr zu werden, nachdem die Helmstange samt Wetterhahn, Kreuz und Knauf Links, nach Brand 1913, rechts, Stand 2009 in die Tiefe gestürzt war. Bei diesen Löscharbeiten haben sich besonders ausgezeichnet Gärtner Adolf Nussbaum und Gäumann Zimmermann Johann Dietrich in Oberwichtrach, Se- kundarlehrer Emil Käser und Schreiner Emil Jenni in Niederwichtrach. Durch ihr treues und mannhaftes Ausharren wurde der Turm und damit auch die Kirche vor der Zerstörung bewahrt und grosser Schaden verhütet. Die Beschädigung, die der Blitz sonst noch an Turm und der Kirche anrichtete war nicht gross. Im Turm wurde die zweitoberste Treppe vollständig zerschmettert; dann fuhr der Strahl in der Läutstube in die Klingel der elektrischen Sonnerie und fand den Weg dem Draht nach über den Estrich in die Kirche, wo er bei der Kanzeltreppe über dem Druckknopfe durch eine eiserne Schraube in die zur Ableitung genügend Feuchtigkeit enthaltende Mauer drang. Der Gebäudeschaden wurde von den amtlichen Schätzern der kantonalen Brandversicherungsanstalt auf 2‘790 Franken geschätzt. Mobiliarschaden entstand durch das Löschwasser an der 1867 durch Eichmeister Oppliger in Bern erstellten Turmuhr, die, schon vorher nicht mehr zuverlässig gehend, den Dienst nun völlig versagte. Die Schweizerische Mobiliar- versicherungsgesellschaft in Bern richtete dafür eine Entschädigung von 150 Franken aus.

234 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1874-1911, S. 159 235 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911, S.210, 236, 237, 247 236 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 23, 30, 32 237 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911, S.248 238 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeinderat 1911-1921, Seite 88 ff 239 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeinderat 1911-1921, Seite 92 240 EWG Oberwichtrach, 1921-1946, Seite 52 (mit eingeklebtem Antrag); Archiv Kirchgemeinde, Protokoll Kirchgemeinderat 1921-1934, S. 29, 34, 38 241 Historisches Archiv Wichtrach, K02.18

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Am 1. Juli 1913 abends wurde, nachdem der Knauf242, der samt Kreuz und Wetterfahne im Gemeindearchiv von Oberwichtrach verwahrt worden war, in Gegenwart von 7 Mitgliedern des Kirchgemeinderates und des Pfarrers durch Spenglermeister Karl Schneider in Oberwichtrach geöffnet. Er enthielt in einer verlöteten Metallkugel eingeschlossen 7 Schriftstücke (siehe Anhang 11), wovon 3 aus dem Jahr 1755 und 4 aus dem Jahr 1809. Die in den Schriftstücken von 1755 erwähnten 5 Münzen fanden sich nicht mehr vor243. Der ganze Inhalt des Knaufs wurde am 16. Dezember 1913 in Gegenwart von 6 Mitgliedern des Kirchgemeinderates vom Pfarrer wieder verpackt und mit einem Siegel versehen um dem Knauf wieder anvertraut zu werden. Der Kirchgemeinderat setzte sich unverzüglich mit Herrn Münsterbaumeister Karl Indermühle in Bern in Verbindung um den beschädigten Turm wieder herstellen zu lassen. Nach erfolgter Ausschreibung wurden die erforderlichen Arbeiten von der Kirchgemeindeversammlung, die am Sonntag, den 3. August nach dem Waldgottesdienst im Oppligenhölzli tagte, den nachgenannten Bewerbern übertragen: Die Erstellung des Gerüstes um 1100.- Franken an Baumeister J. Thomi in Münsin- gen, die Zimmerarbeiten um 700.- Franken an Friedrich Blase in Oberwichtrach, die Schlosserarbeiten um 154.- Franken an Ernst Reusser in Oberwichtrach, die Spenglerarbeiten um 250.- Franken an Alb. Krebs in Kirchdorf, die Erstellung eines Blitzableiters um ca. 160.- Franken an Schlossermeister Stucki in Münsingen. Die Errichtung des 23 Meter hohen Gerüstes wurde am Montag, den 17. August begonnen und am Samstag, den 23. August vollendet. Die Aufrichtung der neuen Teile des Helmes begann am Samstag, den 13. September und wurde am 16. September vollendet, nachdem am 15. September die sog. Konigstange aufgezogen und festgesetzt worden war. Eine weitere Folge des Brandes war die Sanierung der Turmuhr. Anlässlich der Sitzung vom 7. September 1913 wurde diese Arbeit an die Firma Bär, Sumiswald, vergeben, wobei für die 4-telstunden Anzeige auf die Installation einer vierten, kleinen Glocke verzichtet wurde. Die neuen Zifferblätter führten zu Diskussionen244. 4.1.5. Der Umbau 1948 und weitere Massnahmen im Innern Den im «Fin de siècle»-Stil gehaltenen Innenraum von 1900 empfand man nach dem 2. Weltkrieg als unecht und nicht mehr zeitgemäss.

Kircheninneres, vor der Renovation von 1948 Ausgelöst durch den Zustand der Orgel führten die Abklärungen dazu, dass ein Orgelersatz ohne „Sanierung“ des ganzen Innenraumes nicht zielführend war. Das „ideale“ Projekt hätte eine Erweiterung des Kirchenschiffes nach Westen bedingt, was kaum zu finanzieren war und die Raumverhältnisse auf der Westseite der Kirche stark begrenzt hätte. Es folgte eine Etappierung: Vorerst Ersatz der Orgel, Anpassung der Portlaube, Ersatz der gewölbten Decke durch eine flache, Neuaus- richtung der Bänke, Anpassung Kanzel und Klinkerböden, später evtl. die Entwicklung nach Westen. Den mit Ornamenten umrankten Spruch übermalte man und man baute eine Orgel mit 25 Registern ein. 245. Episode: Zur Finanzierung des Werkes, Kostenpunkt fast Fr. 160‘000.- , wurden in Wichtrach und in Kiesen je ein Basar durchgeführt, wo bei der Durchführung vor allem der Alkoholausschank und der Tanz viel Staub aufgewirbelt haben: „Der Lärm drang bis in die Ratsstube des Synodalrates in Bern. Verwundert und wohl auch empört schüttelten die weisen

242 Siehe auch Turmknauf oder Turmkugel 243 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, Seiten 36 ff enthalten Abschrift der Texte im Knauf 244 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, Seite 58, 61, 65 245 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeinderat 1945-1953, Seite 54, 74, 89, 99, 109, 110, 114, 118, 121, 123, 133

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Herren dort ihre Häupter und vermuteten, die Wichtracher hätten buchstäblich die Hölle losgelassen“, Präsident und Sek- retär wurden nach Bern zitiert! Dabei haben die Anlässe schlussendlich fast Fr. 40‘000.- eingebracht. Die Übernahme der neuen Orgel und der renovierten Kirche erfolgte am Kirchensonntag, 6. Februar 1949, die Gesamt- kosten (inklusive Orgelersatz) betrugen Fr. 138‘312.56246. Nach der Innensanierung drängte sich auch eine Aussensanie- rung auf, ursprünglich nur angedacht für den Turm, bei näherer Prüfung musste auch das Schiff einbezogen werden, die Turmsanierung erfolgte 1951, die Schiffsanierung mit Anpassungen der Westfront erfolge anschliessend. Bei der Abrech- nung wurde vermerkt, dass wie bei andern Renovationen verschiedene nicht geplante Arbeiten zu machen waren247. Auf Ostern 1956 spendete Frau Dollfus, Kiesen, als Andenken an ihren Gatten 2 Wappenscheiben im Chor der Kirche248. Da der Predigtbesuch „erfreulich gut“ war, wurde am 11. Dezember 1960 von der Kirchgemeinde die Anschaffung von 30 Klappstühlen beschlossen. Im Winter 1969/70 wurde das Bedürfnis zumindest nach einer Temperierung der Kirche ge- äussert von Seiten der Organisten. Abklärungen ergaben, dass dies nur in wenigen Kirchen bei sehr alten Orgeln üblich sei. Trotzdem wurde beschlossen, im Winter 70/71 während eines Monats einen Versuch zu machen und einen Thermos- taten einzurichten249. Im Sommer 1980 wurden die drei Fenster im Chor renoviert, Kosten Fr. 76‘871.-. Am 4. Dezember 1983 beschloss die Kirchgemeindeversammlung „nach reger Diskussion“ zuerst mit 15 Ja-Stimmen ge- gen 5 Nein-Stimmen und 16 Enthaltungen zuerst die Notwendigkeit von Kissen auf den Kirchenbänken, dann mit 14 Stim- men gegen 8 Stimmen und 14 Enthaltungen dass nur für die Hälfte der Kirchenbänken Kissen beschafft werden sollen! Dafür wurde schlussendlich ein Kredit von Fr. 7‘000.- bewilligt250. Im Jahr 1989 mussten die Kirchenfenster saniert werden, ein Kredit von Fr. 60‘000.- wurde gesprochen, grösster Kosten- punkt war der Einsatz des Heraldikers. Der Auftrag ging an die Firma Halter in Bern. Dieses Projekt bewirkte, dass die Sanierung des Kirchenzuganges reduziert wurde251. 4.1.6. Aussensanierung, Arbeiten am Kirchturm und am Glockenspiel 1934 musste der Kirchturm neu gestrichen werden, Kosten Fr. 2‘660.-252. Im Sommer 1938 neigte sich der oberste Spitze gefährlich nach Osten. Eine Analyse zeigte, dass die Ankerstelle da wo der Knauf befestigt war, verfault war. Die Sanierung wurde sofort an die Hand genommen und dabei der Knauf geöffnet, die vorhandenen Schriften (Anhang 11) geprüft und ergänzt; Kosten der Repartur: Fr. 3‘818.45253. 1938 erfolgte eine Neueindeckung des Turmdaches. Im Sommer 1959 musste die Blitzschutzanlage saniert werden, Kostenvoranschlag Fr. 1‘420.-254. 1947 musste das Glockenspiel dringend saniert werden. Es wurden zwar keine Risse fest- gestellt, aber die Lagerungen und die Klöppel mussten ersetzt werden, die Einrichtung eines elektrischen Läutwerkes wurde auf später verschoben255. Am 2. August 1960 befasste sich der Kirchgemeinderat mit dem Thema des elektrischen Geläutes. Offensichtlich besass Münsingen bereits ein solches. Die eingeholte Offerte be- lief sich auf Fr. 8‘000.-. Der Beschluss zur Einführung des elektrischen Geläutes erfolgte allerdings erst später, am 8. Dezember 1963256. Für die Aussensanierung der Kirche 1979 wurde der Denkmalpfleger beigezogen. Dem Turm wurde besondere Beachtung ge- schenkt, das Zifferblatt des Läutwerkes wurde um 25 cm herabgesenkt, die Aussenreno- vation erfolgte bis zur Glockenlaube, der Kredit für die Sanierung betrug Fr. 125‘000.-257. Im Jahre 1991 musste eine Sanierung des Kirchturms beschlossen werden, weil ein Sturm 1983 den Hahn abgebrochen hatte, das Ziegeldach zu sanieren war, der Blitzschutz den neuesten Anforderungen angepasst werden musste und drei Zifferblätter neu zu „vergol- den“ waren, Kredit Fr. 180‘000.-258. Zur Finanzierung wandte man sich an die Denkmal- pflege. Diese verlangte unter anderem als Vorbedingung zur finanziellen Unterstützung die Unterstellung der Kirche unter Denkmalschutz, was auch erfolgte und eine Unterstüt- Knaufinhalt 1991 zung von Fr. 20‘000.- bewirkte259.

4.1.7. Der Umbau der Kirche von 2008 Verfasser: Christian Galli Am 13. März 1995 bewilligte die Kirchgemeinde einen Kredit von Fr. 682'000.- für Sanierung und Umbau der Kirche im Sinne einer ersten Dringlichkeitsetappe. Weil durch die Mauern im Chor Feuchtigkeit eindrang, musste man unter und

246 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeinderat 1945-1953, Seite 134, 149, 165 247 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeinderat 1945-1953, Seite 168, 249, 252, 261, 275 248 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll 1953-1966, Seite 158, 173 249 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeinderat 1966-1973, Seiten 80, 83 250 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeindeversammlung 1983-2009, Seiten 2 251 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeinderat 1989-96, Seiten 1, 2, 4 252 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll 1934-11945, Seite 4 253 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll 1934-1945, Seite 84 ff 254 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll 1953-1966, Seite 221 255 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeinderat 1945-1953, Seite 57 256 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeinderat 1953-1966, Seiten 241,245; Kirchgemeinderat. 1956-1982, S. 53 257 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeindeversammlung 1956-1982, Seite 161: Kirchgemeinderat 1973-1988, S.63, 65, 67 258 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll Kirchgemeindeversammlung 1983-2009, Seite 41 259 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1989-96, Seiten 25, 27, 30, 37

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 35 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 hinter dem Chorgestühl Wand und Boden behandeln. Heizung und Orgel wurden saniert und eine neue Beleuchtung eingebaut. Zudem wurde der Spruch an der Wand aus dem Psalm 26,8 wieder angebracht260. Am 14. September 2008 wurde der renovierte Innenraum eingeweiht. Christoph Münger aus Kiesen erzählt, wie es dazu kam: Im Chor der Kirche war der Platz oft knapp. Im Kirchgemeinderat waren alle dafür, auf die zweite Bankreihe im Chor zu verzichten. Diskussionen gab es um den Taufstein. Man suchte einen Architekten mit Erfahrung beim Umbau von historischen Gebäuden und im Umgang mit der Denkmalpflege, im Büro Gassner&Leuenberger in Thun fanden wir den geeigneten Partner. Die Renovation umfasste: Der Chor: Gemeint ist der östliche Teil des Kirchenraums. Auf den Bildern des Umbaus von 1948 sah man die Grabplatten, die unter dem Podest des Chorgestühls zum Vorschein gekommen waren. Vier davon wurden damals an der Aussenwand montiert, die 4 andern blieben (allerdings nicht ganz in der ursprünglichen Lage). Statt nur Kies unter den Sandsteinplatten wurde im Sommer 2008 ein Unterlagsboden eingezogen. Der Taufstein: Er stammt aus dem Jahr 1706, die Position so weit vorne war nicht ideal. Ob man ihn vielleicht verschiebbar machen könnte? Die Denkmalpflege sagte ganz klar nein. Er müsse fix und genau in der Achse stehen. Immerhin wurde er gedreht, so kann man die Jahrzahl lesen. Das Kupferbecken ist innen verzinnt, es erhielt auch am neuen Standort wieder einen Ablauf durch den hohlen Sockel ins Erdreich. Der Kirchenraum: Die Bänke wurden aufgefrischt, mit dem Verzicht auf die vordersten zwei Reihen gewann man zusätzlich Platz. Im Bedarfsfall stehen nun 40 bequeme und trotzdem eng stapelbare Stühle zur Verfügung. Die Rückwand unter der Empore «verlor» ihr Täfer und wirkt dadurch freundlicher. Die neue Tonanlage mit schnurlosen Mik- rofonen und der Projektor mit der fix montierten Leinwand bieten für Got- tesdienste und Anlässe viel mehr Möglichkeiten. Die Kirche von aussen: Wie die meisten christlichen Kirchen liegt der Chor im Osten. Der Turm steht auf der Nordseite. Der Eingang auf der West- seite ist überdacht. Von der Denkmalpflege wurde der Bau als «schüt- zenswert» klassiert. Er steht am Fuss des Lerchenbergs, wo man bei den Grabarbeiten für eine geplante Erschliessungsstrasse auf die Reste einer Villa aus römischen Zeiten stiess. Der Turm: Mit seinen 46 Metern sei er einer der höchsten des Kantons, heisst es. Auf dem Grundriss wird ersichtlich, wie dick die Mauern des Turms sind. Einmal die enge Holztreppe bis zu den Glocken hinaufzustei- gen, ist für alle ein Erlebnis. Besonders beeindruckt sind die Schulkinder jeweils, wenn ihnen die Sigristin Silvia Stucki erzählt, dass die Signale für die Uhr von Frankfurt her kommen. 1913 schlug der Blitz in den Turm und es entstand ein Feuer, dabei wurde der grösste Teil des dort eingelagerten Oberwichtracher Gemeindearchivs zerstört. Das ursprünglich spiralför- mige Schindeldach wurde darnach wieder aufgebaut, allerdings ohne die Drehung (was weit weniger elegant wirke, wie damals bemerkt wurde…). Unsere Kirche, Stand 2009 4.1.8. Diverse Sanierungen und Investitionen

Die Orgel Am 6. Juli 1808 beschloss das Chorgericht die Beschaffung einer Orgel (Kapitel 2.4.4.). Diese wurde 1900 bei der Reno- vation ersetzt (siehe Kapitel 4.1.3.). Am 16. März 1919 beschloss die Kirchgemeindeversammlung die Elektrifizierung des Orgelgebläses, Preis Fr. 1‘250.-. Als im Sommer 1925 eine Totalreinigung der Orgel anstand, wurde der Münsterorganist Graf mit einer Überprüfung der Orgel beauftragt. Dieser befand die Orgel ausser der Verstaubung in gutem Zustand und empfahl verschiedene Anpassungen um diese zu einer „Konzertorgel“ auszubauen, worauf der Kirchgemeinderat aller- dings verzichtete. Im Jahre 1940 wurden über den Zustand der Orgel 2 Expertisen eingeholt. Übereinstimmend wurde empfohlen, nicht mehr viel Geld in die Orgel zu investieren, weil sie aus einer Zeit mit einem inzwischen als „falsch“ be- zeichneten Konzept gebaut worden sei und ein Ersatz in absehbarer Zeit unumgänglich werde. Anlässlich der Sitzung vom 26. Februar 1946 stellte der Kirchgemeinderat fest, dass der Orgelersatz unumgänglich sei und die neue Orgel auch die Abänderung der Portlaube bedinge, was wohl die Planung einer Innenrenovation der Kirche bedinge, siehe Umbau 1948. Im Frühling 1959 wurde die Revision der Orgel mit einer Aufhellung der Register zum Preise von Fr. 5‘300.- be- schlossen261. Die nächste Revision (Kosten Fr. 15‘200.-) sowie technische Verbesserungen um das Pfeifen zum Ver- schwinden zu bringen (Kosten Fr. 6‘900.-) wurde am 13. Dezember 1970 beschlossen. Am 19. Juni 1983 sprach die Kirchgemeindeversammlung einen Kredit von Fr. 40‘000.- für die Renovation der Orgel. Eine neue Orgel wurde mit Fr. 342‘000.- veranschlagt.

260 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1989-96, Seiten 61, 65, 73, 82 261 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, Seite 221

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 36 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000

Erstellung einer Schwerhörigen-Anlage, Einrichtung einer Lautsprecheranlage Die Kirchgemeindeversammlung vom 6. März 1932 beschloss die Installation, die schon einige Zeit diskutiert wurde, Voranschlag Fr. 2‘000.-262. 1977 wurde eine Lautsprecher- anlage beschlossen und eingerichtet, Kredit Fr. 4‘000.-263. 4.1.9. Über den Hahn auf der Kirchturmspitze Verfasser: Christian Galli Die erste schriftliche Erwähnung eines sogenannten Wetterhahnes stammt aus Brescia, und datiert vom Jahr 820: damals, als die Reformation noch weit entfernt war, hat ein (natürlich) katholischer Bischof die Giessung eines bronzenen Hahnes veranlasst und diesen dann auf „seinem“ Kirchendach anbringen lassen, als Wetterhahn eben, d.h. als Windrichtungsgeber. Interessanterweise hat sich dann aber der Hahn gut 700 Jahre später vor allem auf dem Dach reformierter Kirchen durchgesetzt und wurde auf katho- lischen Kirchen vom Kreuz verdrängt bzw. fand als Windrichtungsgeber keine weitere Verbreitung und Verwendung. Bereits in der Antike war der Hahn ein heidnisches Symbol und wurde mit verschiede- nen Gottheiten wie dem Sonnengott Helios oder der Mondgöttin Selene in Verbindung Turmspitze mit Güggel, Kreuz gebracht. Statt das heidnische Symbol zu bekämpfen, wurde es von der christlichen und Knauf Kirche umgedeutet und einverleibt. Zwei Motive spielen dabei eine Rolle. Als Verkünder des nahenden Lichts kündigt der Hahn mit seinem Krähen den nahenden Tag an. Er weist so auf das kommende Licht hin, das die Nacht überwindet. Er ist also gleichsam Sinnbild für die christliche Hoffnung, wie sie in Jesus Christus als dem Überwinder von Todes- und Seelennacht verkörpert wird. Als Verkünder des nahenden Lichtes ist der Hahn Hinweis auf Jesus Christus als Licht der Welt (Joh 8,12). Als Mahner weist der Hahn auf die Nacht der Gefangennahme Jesu hin und auf die Verleugnung durch Petrus. «Ehe der Hahn kräht, wirst Du mich dreimal verleugnen (Mat 26,74+75)», hatte Jesus zu Petrus gesagt, als dieser ihm hoch und heilig versprach, immer und unter allen Umständen zu ihm zu halten. Als Mahner auf Kirchtürmen will der Hahn also sagen: Mach’s nicht wie der Petrus. Verleugne nicht deine besten Freunde, verleugne nicht Gott, auch dann nicht, wenn es gerade bequem wäre. Und vielleicht will der Hahn auch noch das sagen: Versprich nicht zu viel, niemals mehr, als du zu halten im Stande bist. 4.1.10. Das neue Dach der Kirche Verfasserin: Krista Galli Weil die Kirche Wichtrach im Bauinventar als schützenswertes Kulturgut auf- geführt ist, hat die kantonale Denkmalpflege jeweils ein gewichtiges Mitspra- cherecht. Das Ziel der anstehenden Dachsanierung war, das Erscheinungs- bild der Kirche möglichst dem früheren Zustand anzupassen. Vor über 100 Jahren waren die Biberschwanzziegel farblich durch den vorhandenen Lehm (Ton) bestimmt (hellrot). Aus diesem Grund hat die Denkmalpflege helle, orangerote Ziegel vorgesehen. Mit diesen Ziegeln wäre das Kirchendach nach Beurteilung des Kirchgemeinderates jedoch zu hell geworden. Schluss- endlich konnte man sich auf Biberschwanzziegel in einem leicht dunkleren Ziegelrot einigen. Auffallend ist, dass das Dach des Kirchturms, welches 1991 neu eingedeckt worden ist und damals ebenfalls von der Denkmal- pflege begleitet wurde, braune Ziegel aufweist. Dazu liefert die Denkmal- pflege heute keine Erklärung. Beobachtungen an verschiedenen Kirchen zei- Nach der Sanierung 2013 gen jedoch, dass etliche Kirchtürme noch Schindeldächer aufweisen. Mög- licherweise sind die braunen Turmziegel eine optische Annäherung an ein früheres Schindeldach. Auf Kosten der Denkmalpflege wurden noch brauchbare alte Ziegel separiert, welche voraussicht- lich auf dem Dach des Schlosses Thun weiterverwendet werden. 4.2. Der Friedhof und die kirchlichen Aussenräume Verfasser: Peter Lüthi 4.2.1. Neue Bestattungsformen Die zunehmenden Urnenbestattungen führten 1967 zur Suche nach einem eigenen Platz für Urnengräber264. Ein weiteres Bedürfnis war ein Gemeinschaftsgrab, wo die Asche der Verstorbenen gesammelt wird, deren Namen aber einzeln auf- geführt werden. Am 9. / 10. November 1991 wurden 4 Vorschläge für die Gestaltung des Gemeinschaftsgrabes ausgestellt und anlässlich der Kirchgemeindeversammlung vom 25. November 1991 wurde die Schaffung eines Gemeinschaftsgrabes beschlossen (Kredit Fr. 20‘000.-). Bildhauer Pfister erhielt den Auftrag für das Kreuz. Nun ist die Nachfrage nach „individuellen Bestattungen“ in einem Gemeinschaftsgrab steigend, das Zuführen der Asche in einem grossen Sammelbehälter entspricht nicht mehr den Wünschen. Die Aschenzuführung auf eine würdige und an- gebrachte Art ist auf Grund der technischen Ausstattung nicht einfach und auf dem bestehenden Platz ist für grössere

262 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll 1921-1934, Seite 209, 229 263 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokoll 1973-1988, Seite 42, 44, 46 264 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1937, Seite 18, 32, 33, 34, 37

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 37 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000

Trauergemeinden zu wenig Platz. Dies führte 2014 zu einem neuen Konzept, auch unter Einbezug weiterer Bedürfnisse bei der Ausge- staltung des Friedhofes mit einer Neugestaltung des Raumes um die Aufbahrungshalle. Die Beisetzung der Asche erfolgt nun in einer sich rasch zersetzenden Papierurne. Trotz Gemeinschaftsgrab erfolgt so eine individuelle Beisetzung265. 4.2.2. Parkplatz und Verlegung des Chilchwägli 1974, To- tenkammer, WC, Taufe-Zimmer Über Jahre musste für kirchliche Anlässe der WC der Primarschule Oberwichtrach benützt werden. Das Fehlen einer kircheneigenen WC-Anlage war deshalb immer wieder Stoff für Diskussionen. Am 22. Februar 1944 diskutierte der Kirchgemeinderat erstmals über „die Frage des Baues einer eigenen Abortanlage“, wollte dann aber doch vorerst nach einer billigeren Lösung suchen. Am 14. November 1944 wurde zudem festgestellt, dass „Taufen im ungeheizten Gang des Gemeinschaftsgrab ab 1992 bis Juni 2015 Schulhauses warten müssten“. An der Kirchgemeindeversammlung vom 4. Dezember 1949 machte ein „in scharfem Tone“ gehaltenes Schreiben des Gemeinderates Kiesen wieder einmal auf den besonders für auswärtige Besucher unhaltbaren Zustand aufmerksam. Die Schulkommission Oberwichtrach be- mühte sich daraufhin mit verschiedenen Massnahmen den Zugang zur WC-Anlage der Schule zu verbessern266. Am 17. Januar 1968 verkaufte Frau L. Bohnenblust den „Materialschuppen“ inklusive Platz und Umschwung an der Kirchstrasse an die Kirchgemeinde Wichtrach für Taufezimmer und WC-Anlage. Am 8. Dezember 1968 genehmigte die Kirchgemeindeversammlung einen Kredit von Fr. 4‘000.- für den Einbau einer Totenkam- mer in dem Bau und der westliche Teil sollte der Weg- kommission Oberwichtrach vermietet werden267. Am 28. August 1974 erfolgte ein recht kompliziertes Geschäft indem die Kirchgemeinde eine ihr gehörende Parzelle zum grösseren Teil an Hans Wälti und zu klei- neren Teilen an die Gemeinde Oberwichtrach und an Rolf Thomas übertrug. Andererseits übertrug Hans Wälti aus seiner Hausparzelle anstossend an die Kir- chenparzelle eine gleich grosse Fläche an die Kirchge- meinde. Auf dieser Fläche wurde zum einen der Park- platz und zum andern die Verbreiterung und Verlegung des Chilchwäglis auf die Westseite des Friedhofes im Hinblick auf die Zufahrt zur geplanten Aufbahrungs- Taufezimmer + WC heute halle auf der Friedhoferweiterung realisiert (Anhang 12). Der „Materialschuppen“ wurde 1977 zum Materialraum, Taufe Zimmer und WC-Anlage ausgebaut268. Das an die Gemeinde Oberwichtrach veräusserte Terrain diente dieser für die Trottoirerstellung entlang der Schulhausstrasse. 4.2.3. Friedhof und Aussenräume wachsen Die Friedhoffläche vor 1867 ist nicht dokumentiert und kann nur abgeschätzt werden, ca. 1‘000 m2. Mittels Kaufvertrag269 dokumentiert ist der Kauf vom 30. April 1867. Gekauft wurde eine Fläche von 8'142 Quadratschuh (rund 733 m2) zu 5 Rappen pro Quadratschuh, also Fr. 407,10 Fr. Verkäufer waren die Brüder Johann und Johann Ulrich Engemann. Der Kauf musste auch vom Chorgericht genehmigt werden270. Der Kauf erfolgte noch vor dem Kirchengesetz von 1874, also durch die Kirchgemeinde selbst. Ein weiterer Landkauf erfolgte mit Kaufvertrag vom 26. Juli 1886, als Verkäufer sind Johann Strahm von Niederwichtrach und als Käufer der „Begräbnisbezirk Wichtrach“ aufgeführt, das Grundstück beträgt 900 m2 und stösst gemäss Kaufvertrag „Mitternachts an den bestehenden Friedhof des Käufers“ , also auf der Nordseite des bestehenden Friedhofes. Die Friedhoferweiterung wurde 1887 durchgeführt und kostete insgesamt 2'920.- Fr, für das Land wurde Fr. 1'020.-271 bezahlt und für die Friedhofmauer Fr. 1'900.-. Ausgeführt wurde die Mauer durch „Steinhauer“ Spahr272. Die Friedhofer- weiterung bewirkte, dass die alte Friedhofmauer abgebrochen werden musste. Gemäss Reglement musste die Finanzie- rung dieser Erweiterung durch die Gemeinden erfolgen. Der bürgerliche Kirchgemeinderat versuchte allerdings, aus dem Kirchengut die Fr. 1'000.- zu erhalten aus dem Betrag, den die Kirchgemeinde vom Staate erhalten hat für die Übernahme des Chors der Kirche, was allerdings abgelehnt und in die Form eines fünfjährigen zu verzinsendes Darlehens

265 Botschaft Gemeindeversammlung Wichtrach 19.6.2014, Seite 29 266 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1945-1953, Seite 199, 222 267 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeindeversammlung 1955-1982, Seite 89 268 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, S. 7, 13, 16, 18, 20, 30, 39; Protokolle Kirchgemeindever- sammlung 1955-1982, Seite 144, 147 269 Hist. Archiv Wichtrach, K 02.21 270 Chorgerichtsmanual 06, 1822 – 1879, S. 440, 442, 337 271 Hist. Archiv Wichtrach, K 02.20 272 Historisches Archiv Niederwichtrach, B18860808, S. 12

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 38 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 umgewandelt und schlussendlich zurückbezahlt wurde. Für den Leser bemerkenswert ist, dass vor dem Kaufbeschluss das in Frage kommende Terrain bereits geologisch überprüft und von der Sanitätsdirektion genehmigt wurde273. Mit Kaufverträgen vom 27.6.1903274 kaufte die bürgerliche Kirchgemeinde zwei weitere Parzellenteile zur Friedhoferwei- terung auf der Nordseite des Friedhofes, 316 m2 von Johann Maurer und 1'613 m2 von Wilhelm Ingold. Dafür hatte die Kirchgemeinde den Betrag von Fr. 2'871,15 zu bezahlen. Dazu kamen die Sanierung der alten und die neue Friedhofmauer sowie die Verlegung des Chilchwägli. Lehrer Oesch wurde zudem gestattet, entlang der Friedhofmauer ein Fruchtbaum- Spalier ziehen zu dürfen! Im Zusammenhang mit der Friedhoferweiterung verlangte die Sanitätsdirektion den Ersatz der in Zementrohren geführten Wasserleitungen durch eiserne. Da bei der Freilegung der Leitung festgestellt wurde, dass deren Zustand einwandfrei sei, konnte auf Grund einer Expertise die Leitung belassen werden275. Die Friedhofgestaltung, Sanierungsfragen der Kirchhofmauer, des Zuganges und Friedhoferweiterungen waren nach dem Kriege immer wieder Diskussionsthema, Landkäufe wurden vorbereitet und wieder verworfen. Nach Abschluss der Innen- sanierung der Kirche 1948/49 konnte als „absolut dringendstes Problem“ die Verlegung der Abfallgrube realisiert werden und Gartenarchitekt Däpp von Münsingen wurde mit einer Friedhofplanung beauftragt mit dem Ziele einer etappenweisen Realisierung. Dabei stellte man fest, dass für die geplante Nutzung rechtliche Grundlagen fehlten und ein Friedhofregle- ment zu erarbeiten war, was am 3. Dezember 1950 erfolgte. Im Hinblick auf den Neubau des Pfarrhauses wurden die Arbeiten am Friedhof 1952 auf das Minimum reduziert und erst im Frühling 1954 wieder aufgenommen276. 1958 wurde ein neues Gräberfeld erstellt, Kostenvoranschlag Fr. 11‘630.-, gestaltet von Gartenarchitekt Däpp, Münsingen277. Es folgten Jahre der Diskussion von Gestaltungs- und Erweiterungsfragen und der Erschliessungswege. Die Verhandlungen liefen mit den Gebrüdern Wälti und Herrn Engel, wobei dieser schlussendlich einen Verkauf verweigerte 278. Im Sommer 1966 brach ein Teil der Friedhofmauer ein. Mit Kaufvertrag vom 3.11.1965 kaufte die bürgerliche Kirchgemeinde eine Fläche zur Friedhoferweiterung auf der Nord- seite des bestehenden Friedhofes im Umfange von 2'089 m2 zum Preise von Fr. 70'500.-. Der Regierungsrat verpflichtete die bürgerliche Kirchgemeinde, die Schuld in längstens 33 Jahren abzutragen und dies einschliesslich Zins zulasten der Betriebsrechnung. Auf der Parzelle besteht einzig noch das Fusswegrecht über den Friedhof (Chilchwägli). 1968/1969 beschäftigte die geplante und begonnene Überbauung am Lerchenberg oberhalb der Kirche den Kirchgemein- derat intensiv. Der Fund der Fundamente der römischen Villa 1969 nach dem Baubeginn des ersten Hauses und die darauffolgende Übernahme der Parzelle durch den Kanton enthob den Rat praktisch aller Sorgen279. 4.2.4. Die Aufbarungshalle von 1977 In der Kirche gab es eine „Leichenkammer“, die zwar zumeist mit Gegenständen überfüllt und so nicht ver- wendbar war. Der Friedhofplaner sollte 1965 nach Lö- sungsansätzen befragt werden280. Eine „Übergangslö- sung“ entstand mit der Kammer im „Materialschuppen“. Nachdem 1974 Land in unmittelbarer Kirchennähe be- schafft werden konnte, ergaben sich andere Lösungs- ansätze und der Kirchgemeinderat beschloss die Park- platzfrage die Friedhoferweiterung und Führung Chilchwägli gemeinsam zu behandeln. Da regte die Ge- meinde Niederwichtrach 1975 die Prüfung eines Auf- bahrungsraumes mit Kühlanlage an281. Im Januar 1977 erfolgten das Baugesuch und an- schliessend der Neubau der Aufbahrungshalle auf dem nördlichsten Teil des Friedhofes282. Im Jahre 1989 wurde an der Rückseite ein offener Unterstand ange- Aufbahrungshalle von 1977 baut für die Friedhofpflege283.

4.2.5. Die Zugänge zur Kirche Am 12. Januar 1913 war der Zustand des Chilchwägli erstmals ein Diskussionspunkt im Kirchgemeinderat und man fragte sich, wer eigentlich für den Unterhalt zuständig sei. Der Zustand, die Breite des Wegleins und die Zuständigkeitsfrage führte am 8. März 1914 zu einer grösseren Diskussion in der Kirchgemeindeversammlung284. Im Herbst 1954 wurden in der Gemeindeversammlung Oberwichtrach die (ungeteerten) Zugänge zur Kirche beanstandet. 1956/57 wurde die Zufahrt zur Kirche (Schulhausstrasse) und zum Pfarrhaus (Kirchstrasse) geteert.

273 Historisches Archiv Niederwichtrach, B 18860808, S. 2 274 Hist. Archiv Wichtrach, K 02.22, Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinde 1879-1911, S. 182 ff 275 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat, 1879-1911, S. 187, 191 276 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat, 1945-1953, S. 166, 216, 232, 236, 295; 1953-1966, S. 97, 106, 114, 126, 139 277 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, S. 211, 214 278 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat, 1953-1966, S. 254, 256, 258, 267, 307, 313, 316, 317, 318, 322. 279 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1937, Seite 71 280 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, Seite 315 281 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 13, 16, 18, 20, 25, 26, 28, 30, 36 282 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 31, 41, 42 283 Bauakten der Gemeinde Oberwichtrach 284 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat, 1911-1921, S.27, 30, 78

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4.3. Das Archiv Im Frühling 1911 befasste sich die Gemeinde Oberwichtrach mit der Schaffung eines Gemeindearchives. Da auch vorge- sehen war, die Zivilstandsakten da aufzubewahren, wandte sich die Gemeinde an die Kirchgemeinde um einen Beitrag an die Kosten. Die Kirchgemeindeversammlung entschied vorab, dass die Gemeinde Oberwichtrach ihr Archiv „längs der Friedhofmauer“ erstellen dürfe, über einen Beitrag solle später entschieden werden. Am 30. November 1912 kündigte die Gemeinde Oberwichtrach das Archiv der Kirchgemeinde „bei Herrn Marbach“ (Zivilstandsarchiv) und es wurde beschlossen die Gemeinde Oberwichtrach anzufragen, das neue Archiv „bis auf weiteres“ mitbenützen zu dürfen. Offensichtlich war die Gemeinde dazu nicht bereit und es wurde mit Marbach ein Mietvertrag abgeschlossen, wobei es allerdings wegen der „primitiven Einrichtung“ noch zu einer Diskussion über die Miete für die Jahre 1913-14 kam285. 4.4. Das Pfarrhaus mit Nebengebäuden Archiv von 1912, heute Verfasser: P. Lüthi 4.4.1. Die Übertragung von Pfarrhaus, Ofenhaus und Pfrundmatte an die Kirchgemeinde Am 5. September 1894 wurde der Abtretungsvertrag mit Übereinkunft zwischen dem Kanton Bern und der Kirchgemeinde Wichtrach abgeschlossen286 (Anhang 10). Damit ging das Pfarrhaus (Brandversicherungswert Fr. 14'500.-), das Ofenhaus (Brandversicherungswert Fr. 4'500.-), ein Brunnen und die Pfrundmatte umfassend den Hausplatz zum Pfarrhaus und Ofenhaus, Hofraum, Garten, Obstgarten, Matt- und Ackerland umfassend 4‘942 m2 (Grundsteuerschatzung Fr. 15'780.-) an die Kirchgemeinde über. Die Abtretung zu Eigentum erfolgte unentgeltlich und der Staat bezahlte der Kirchgemeinde zudem ein „Aushingeld in bar“ von Fr. 12'600.-. Diese Summe sollte in einen Baufonds zum Unterhalt der Pfrundgebäude angelegt werden. Der Gegenwert, den die Kirchgemeinde zu leisten hatte, lag in der Übernahme aller bisher dem Staate für die Pfrund Wichtrach anfallenden gesetzlichen Pflichten und Lasten, namentlich die unentgeltliche Überlassung des Pfarrhauses nebst Dependenzen, des Gartens, eine halben Jucharte Land an den jeweiligen Pfarrer von Wichtrach, Un- terhalt der Pfrundgebäude und Brunnen, Tragen der gesetzlichen, auf der Pfrund liegenden Lasten, Steuern und Tellen, sowie Bestreitung der Brandversicherungsbeiträge für die übernommenen Gebäude287. 4.4.2. Das alte Pfarrhaus Das Wichtracher Pfarrhaus wird erstmals 1702 erwähnt. Nachdem 1894 das Pfarrhaus und die Pfrunddomäne an die Kirchgemeinde überging, erfolgte im Sommer 1895 eine er- hebliche Sanierungsphase des Pfarrhauses, der in den fol- genden Jahren immer weitere Sanierungs- und Unterhaltsar- beiten folgten. Der Pfarrersfamilie standen auch Rechte in der Nutzung des Pfrundspeichers zu (Waschküche, Speicher), die auch immer in die Nutzungsdiskussionen dieses Objektes einzubeziehen waren. Der Wechsel von Pfarrer Schmid zu Pfarrer Fischer wurde be- nutzt um benötigte Lokalitäten ins Pfarrhaus zu integrieren (Abortanlage, Badezimmer, Archiv), ebenso die Ableitung des Dachwassers in den Dorfbach288. Am 27. Juli 1909 wurde der Anschluss des Pfarrhauses an die Wasserversorgung Oberwichtrach beschlossen. Das Wasser zum Pfarrhausbrunnen kam aus einer Brunn- stube im Raume Breitenbach. Am 7. März 1897 musste der Ersatz der hölzernen Röhren durch irdene beschlossen wer- den. Die Brunnstube führte zu weiteren Diskussionen, so for- Das alte Pfarrhaus derte Seklehrer Aebi an der Sitzung vom 28. März 1914 eine Sanierung so, dass keine Regenwürmer mehr eindringen könnten und das „überlaufende“ Wasser abgeleitet würde. Am 18. Januar 1923 beschloss der Kirchgemeinderat die Einrichtung des Telefons im Pfarrhaus, im August 1928 wurde ein elektrischer Kochherd installiert.

285 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911, S.291, 294; 1911-1921, Seite 24, 99 286 Hist. Archiv Wichtrach, K 02.14 287 Abtretungsvertrag mit Übereinkunft, 5. September 1894 288 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 114, 115, 116

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4.4.3. Der Pfarrhaus-Neubau von 1952 - 1954289 Am 27. Januar 1949 stellte der Kirchgemeinderat fest, dass die Gebäudeversicherung den Wert des Pfarrhauses stark herabgesetzt hatte, der Protokollführer bemerkte „es muss doch an der Vermutung, dass es recht baufällig geworden sei, etwas Wahres sein“290.Da die Kirchenrenovation dringender war, wurde dieses Geschäft verschoben. Als Pfarrer Ochsen- bein erklärte, dass er spätestens auf Frühjahr 1953 zurücktreten werde und so der Zeitpunkt gekommen wäre entweder für eine gründliche Sanierung oder einen Neubau des Pfarrhauses, beschloss der Kirchgemeinderat nach einer Besichti- gung, durch zwei Fachleute unabhängige Gutachten zur Frage Renovation oder Neubau ausarbeiten zu lassen. Beide Gutachten sprachen sich eindeutig für den Neubau aus. Am 16. März 1952 wurde die Kirchgemeindeversammlung orien- tiert. Der Kirchgemeinderat wurde ermächtigt, konkrete Vorschläge und Bauprojekte ausarbeiten zu lassen. Als Architekt wurde Hans Wüthrich aus Konolfingen gewählt. Nach Diskussion der Standortfrage und der Richtlinien des Synodalrates wurde am 11. Juni 1952 an der ao. Kirchgemeindeversammlung festgelegt, das Pfarrhaus bleibt mit geringen Verschiebungen am alten Standort. Dieses Resultat entsprach wohl nicht den Absichten des Kirchgemeinderates, indem kurz vor der Versammlung die Gemeinde Oberwichtrach die Verbandsgemeinden aufforderte, sich für den Bau am alten Standort einzusetzen291. Die Versammlung musste wohl einigermassen turbulent verlaufen sein, weil der Kirchgemeinde- rat als Folge den Verbandsgemeinden 3 Vorschläge für eine Reorganisation der Kirchgemeinde unterbreitete, die nicht umgesetzt wurden292. Eine weitere ao. Kirchgemeindeversammlung am 28. Oktober bewilligte das Projekt mit einem Kos- tenvoranschlag von Fr. 200'000.- bis Fr. 220'000.-. Das Projekt warf hohe Wellen und wirkte sich aus auf die Ende 1952 notwendig gewordenen Neuwahlen in den Kirchgemeinderat zum Ersatz von Präsident, Vizepräsident und Kassier293. Ende 1952 war das alte Pfarrhaus abbruchbereit. Die Vergabe der Arbeiten führte zu Diskussionen, weil nicht alle Arbeiten im Raume der Kirchgemeinde vergeben wurden294. Während der Bauzeit wurde beschlossen, die Kochschulküche an die neue Heizung des Pfarrhauses anzuschliessen für eine Temperierung ausserhalb der Nutzungszeit, damit das Wasser im Winter nicht einfriert. Das alte Pfarrhaus wurde abgerissen, den Schutt warf man zum Teil ins Kellerloch. Doch dort musste Platz für den Öltank ge- schaffen werden. Hans Reber, der spätere Sigrist erin- nert sich, dass er es mit einem Kollegen zusammen mühsam wieder ausräumen musste. Plötzlich stiessen sie unten im Sand auf Glas: eine Weinflasche! Vorsich- tig gruben sie weiter – und entdeckten noch mehrere Flaschen. Und nicht vom Schlechtesten! Pfarrer Och- senbein hatte sie dort eingegraben und dann verges- sen. So klangen gegen Abend muntere Lieder aus dem Keller …Mitte Dezember 1953 war das Pfarrhaus be- zugsbereit. Im Oktober 1953 wurde die Wahl des neuen Pfarrers getroffen, Pfarrer Frautschi konnte Ende Ja- nuar 1954 einziehen. Die Bauabrechnung betrug Fr. 228‘010.55295.1954 wurde noch ein Kredit bewilligt für den Einbau eines Heissmischbelages auf dem Vorplatz Das neue Pfarrhaus des Pfarrhauses. In erster Linie ist das Pfarrhaus natürlich ein Wohnhaus. Dass früher auch heikle Sachen besprochen werden mussten, beweisen die schalldichten Türen für das «Studierzimmer». Auf der Ostseite ist das Archiv angebaut und dann folgt die «Remise». So heisst die Garage auf den Plänen von damals. Auch wenn Telefon und E-Mail heute wichtig sind für die Kommunikation, so sind bei Heiraten, Taufen oder Trauerfällen doch immer auch Besuche im Pfarrhaus angesagt. Besuch kam auch anlässlich der 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft, einmal sogar an einem Sonntag. Aus Argentinien und aus den USA wollten Nachfahren von Auswanderern ihren Wurzeln nachgehen. Die Rodel (wenigstens jene, die 1913 nicht verbrannten) waren aus dem Archiv bald zur Hand. Mit dem Pfarrerwechsel von Pfarrer Frautschi zu Pfarrer Goebel wurde 1973 eine Sanierung des Pfarrhauses durchgeführt, Kosten Fr. 311‘791.80296. 4.4.4. Das Unterweisungszimmer Verfasser: Peter Lüthi Bis 1808 fanden Kinderlehre und Unterweisung in den Lokalitäten des Pfarrers statt. Pfarrer Johann Rudolf Wyss „erstritt“ die Verlegung in das Schulzimmer der Schule der Gemeinde Oberwichtrach (siehe Kapitel 2.4.3.). Mit dem Wachsen der Schule von Oberwichtrach, als diese das Unterweisungszimmer 1874 verlangten, schloss die Kirchgemeinde mit der Ge- meinde Oberwichtrach einen Vertrag ab297, damit weiterhin ein eigenes Unterweisungszimmer realisiert wurde. Am 2. Februar 1882 genehmigte der Kirchgemeinderat eine Abmachung mit der Gemeinde Oberwichtrach, dass diese das

289 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Hist. Archiv Wichtrach, K 02.14 290 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1945-1953, S. 150 291 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1945-1953, S. 255, 256, 268, 280, 284, 296, 298, 305, 315 292 Gde Protokolle Niederwichtrach 1948-1953, Seiten 242, 250, 254 293 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1945-1953, S. 320, 337, 340, 341, 349 294 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, S.1-71, 295 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, S. 107, 111 296 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 6 297 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886, S. 14

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Unterweisungszimmer für die Arbeitsschule benützen konnte. Nach dem Abbruch des Schulhauses im Jahre 1894 musste auch das Unterweisungslokal ersetzt werden. Im diesbezüglichen Vertrag wurde folgendes geregelt298: Das Lokal wird im zweiten Stock auf der Mittagsseite angewiesen; Die vorhandene Bestuhlung und Heizeinrichtung ist Eigentum der Kirchgemeinde und wird von derselben unterhalten; Genügend Platz für das Heizmaterial wird auf dem Estrich verzeigt; Heizung, Reinigung und Herstellung durch Unterweisungskinder zerbrochene Fensterscheiben über- nimmt die Kirchgemeinde; Die Gemeinde behält sich vor, in demselben Arbeitsschule zu halten und sorgt in diesem Falle selbst für Heizmaterial; Als Wartstube für Taufen wird ein Schulzimmer zur Verfügung gestellt; Die Kirchgemeinde bezahlt an die Gemeinde eine jährliche Vergütung von Fr. 60.-; Der Vertrag dauert bis 1. November 1923. Erfolgt 6 Monate vorher keine Kündigung, so bleibt der Vertrag weitere 10 Jahre in Kraft. Bemerkenswert bei den Diskussionen um diesen Vertrag war, dass auch die Idee auftauchte, das Ofenhaus für diesen Zweck zu nutzen. Allerdings dauerte es bis 1919 bis zur Umsetzung dieser Idee. 4.4.5. Vom Ofenhaus zum 1. Kirchgemeindehaus Verfasser: Peter Lüthi Im Februar 1911 gelangte ein Initiativkomitee zur Gründung einer Mädchenfortbildungsschule in Wichtrach an den Kirch- gemeinderat. Da das Anliegen von allen Gemeinden unterstützt wurde, wurde die bürgerliche Abteilung der Kirchgemeinde als geeignete Instanz für Aufbau und Betrieb angesehen. Im Sommer 1911 wurden drei Varianten für den Umbau des Ofenhauses bzw. Pfrundspeichers vorgelegt, die Kosten bewegten sich von Fr. 7‘222.- bis Fr. 8‘026.- und so wurde be- schlossen, sich vorerst nach einer kostengünstigeren Variante auf Mietbasis umzusehen für die Mädchenfortbildungs- schule, die im Restaurant Kreuz gefunden wurde. Mehr als 100 Jahre nachdem Pfarrer Wyss die Idee der Umnutzung des Ofenhauses zur Diskussion gestellt hatte (siehe Kapitel 2.4.3.), wurde 1919 ein Neubau erstellt, er steht faktisch auf den Fundamenten des früheren Pfrundspeichers. Die Kosten betrugen Fr. 33‘135.70. Die Umnutzung des Pfrundspeichers führte in Bezug auf die formale Nutzung und die Finanzierung zu ziemlichem „Verkehr“ mit kantonalen Instanzen299. Seit jeher war im Erdgeschoss die Schulküche untergebracht im oberen Stock der Raum für die kirchliche Unterweisung, der Estrich diente als Jugendraum, die Gebäudeversicherung legte dagegen ein Veto ein300. Am 1. Oktober 1922 genehmigte die Kirchgemeindeversammlung ein „Regulativ für die Benützung des Kirchgemeindehauses“301. Das Kirchgemeindehaus wurde zu einem vielseitig nutzbaren Zentrum. Nach dem Kriege diente es sogar für militärische Einquartierungen. Ein Zeichen der Zeit: Anfangs 1950 wurde festgestellt, dass immer mehr Velo’s der Schüler beim Kirch- gemeindehaus „wild herumlägen“, ein Veloständer wurde als Bedürfnis erkannt und 1951 realisiert302. 1954 mussten im Zusammenhang mit dem neuen Reglement für den hauswirt- schaftlichen Unterricht Ergänzungen getroffen werden in der Küche und im Waschhaus des Kirchgemeindehauses im Ausmasse von Fr. 4‘049.80303. Zu Beginn der 1960er Jahre begannen Diskussionen über Sanierungsarbeiten, begin- nend mit dem Boden der Schulküche, es folgten Malerarbei- ten. Der Zustand der Schulküche und der Garderobe wurde zunehmend bemängelt. Am 6. Februar 1963 sprach der Rat über weitere Sanierungsthemen wie Fassadensanierung, Garderobe und Sanierung der Toilettenanlage, damit das Kirchgemeindehaus noch 10-15 Jahre erhalten werden könne. Am 8. Dezember 1963 sprach die Kirchgemeinde ei- nen Kredit von Fr. 26‘000.- für eine Sanierung mit Garderobe, Das alte Kirchgemeindehaus, heute einer neuen Treppe und einer Toilettenanlage mit Wasser- spühlung zusätzlich zur Sanierung der Fassadensanierung, damit das Haus „noch Jahrzehnte seine Aufgabe erfüllen könne“304. 1972 ergaben sich Renovationsbedürfnisse, zum Beispiel bei der Beleuchtung aber auch bei den Einrichtungen. Nachdem mit der Gemeinde Oberwichtrach, die zu dieser Zeit ein neues Primarschulhaus plante, die Frage einer neuen Schulküche bereinigt wurde, fasste man die Renovation ins Auge „was tun wir sonst mit den Räumlichkeiten?“305. 1983 beschloss der Kirchgemeinderat den Ausbau des Estrichs für die Jugendgruppe Wichtrach. Die Jugendgruppe wünschte den Einbau von Dachfenstern, der Rat beschloss einen Kreditrahmen für den Ausbau von Fr. 5‘000.-. 1988 erfolgte der Bau einer Doppelgarage mit Velounterstand zum Preise von Fr. 76‘871.-. 1990 wurde ein Kredit von Fr. 70‘000.- gespro- chen für die Sanierung der Schulküche306.

298 Historisches Archiv Wichtrach, K 04.10; Archiv Kirchgemeinde, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911, S. 89 ff 299 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 222 300 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat, 1911-1921, S. 176, 182, 186, 187, 188, 189 ff 301 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1921-1934, S. 21 302 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1945-1953, S.213, 220, 230 303 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, S. 113, 124 304 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, S. 277, 279, 280, 284; Protokoll Kirchgemeindeversamm- lung 1956-1982, Seite 53 305 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1973, Seiten 158, 170; Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 33, 55 306 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seite 127, 128, 130;226; Kirchgemeindeversammlung 83- 09, Seite 37, 39

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4.4.6. Der Pfarrhausweg, die Pfarrhausparzelle und deren Umgebung Nach dem Bau der ersten Wohnhäuser am Lerchenberg östlich des Pfarrhauses wurde das Wegrecht über den Pfarrhaus- weg geprüft. Rechtlich Entsprechendes wurde nicht gefunden307. Zu Beginn der 1960er Jahre erarbeitete die Gemeinde Oberwichtrach eine erste Ortsplanung, die auch einen Alignementsplan Lerchenberg enthielt (siehe Heft 6, Kapitel 4.3.). Diskutiert wurde eine separate Erschliessungsstrasse des Wohnquartiers und der Kirchgemeinderat beschloss die Aufhe- bung des Durchganges beim Pfarrhaus, „wenn die neue Strasse erstellt ist“308. 1967 wurde eine neue Zufahrtsstrasse zum Lerchenberg hinter dem Kirchgemeindehaus „in einem Abstand von 3,6 m gemäss Gemeindereglement“ diskutiert. Nach- dem aber 1968/69 für die Erschliessung Lerchenberg eine andere Lösung vorgelegt wurde (der heutige Römerweg), ge- nehmigte der Kirchgemeinderat die bestehende Erschliessung über den Pfarrhausweg, aber nur für die bestehenden Lie- genschaften309. Mit dem Abbruch des Bauernhauses Engel und der Erstellung des Römerwegs plante die Gemeinde Oberwichtrach auf der Parzelle Engel einen Kindergarten und Herr Engel die Überbauung mit einem Geschäftshaus und Wohnhäusern. Nun bestand aber über dieser Parzelle ein teilweises Bauverbot zugunsten des Pfarrhauses. Das Gesuch um dessen Aufhebung führten von 1968 bis 1970 zu umfangreichen Abklärungen und schlussendlich zu einer teilweisen Aufhebung. Die Verbote auf der Süd- und Westseite des Pfarrhauses wurden nicht betroffen 310. 4.5. Das neue Kirchgemeindehaus An der Kirchgemeindeversammlung vom 14. Dezember 1980 wurde orientiert, dass „über den Bau eines neuen Kirchgemeinde- hauses nachgedacht werde“, vor allem werde mit den Behörden über das Vorgehen betreffend Schulküche verhandelt. Am 12. Ok- tober 1982 bejahte der Kirchgemeinderat die Bedürfnisfrage und beschloss die Besichtigung verschiedener neuerer Kirchgemein- dehäuser. Am 9. November 1982 genehmigte der Rat einen ersten Entwurf eines Raumprogrammes mit Schulküche für den Raum der Kirchgemeinde, Kirchgemeindesaal (evtl. unterteilbar), Unter- richtsräume für Kinderlehre und Unterweisung, Zimmer für Pfarrer (evtl. in Verbindung mit Sitzungszimmer Kirchgemeinderat). Gar- derobe, Abstellräume, Tee- und Hauswirtschaftsküche, sanitari- sche Einrichtungen; Diese Räume sollten möglichst auf einem Ge- schoss und rollstuhlgängig untergebracht sein. Im Keller sollte der Heizraum, das Archiv und evtl. ein Luftschutzraum untergebracht werden. Auf dieser Grundlage arbeitete Architekt Brack von Fundament eines römischen Oekonomiegebäudes Wichtrach ein erstes Projekt aus als Diskussionsgrundlage für das weitere Vorgehen. Als Standort wurde „die Wiese ob dem Pfarrhaus“ bezeichnet. Am 15. Juni 1983 sprach die Kirchge- meindeversammlung einen Kredit von Fr. 20‘000.- für ein Vorprojekt. Am 21. März 1984 wählte der Kirchgemeinderat einstimmig aus 5 Vorprojekten dasjenige von Architekt Schweyer, Wichtrach, zur Weiterbearbeitung. Ende März besich- tigte der Rat 4 Kirchgemeindehäuser. Mit der Bewilligung des Projektierungskredites von Fr. 25‘000.- bewilligte die Kirch- gemeindeversammlung auch einen Kredit von Fr. 20‘000.- auf Antrag des archäologischen Dienstes für Sondierungen311, die im Oktober 1984 den Fund von Fundamenten aus römischer Zeit bewirkten, siehe Heft 1, Kapitel 2.3. Am 10. Februar 1985 genehmigte die Kirchgemeindever- sammlung den Neubau des Kirchgemeindehauses mit ei- nem Kredit von Fr. 2,2 Mio. Die Aufrichtefeier fand am 14. März 1986 statt, die Schlussrechnung wurde am 19. Novem- ber 1986 präsentiert, Kosten Fr. 2‘520‘876.70. Im Zusam- menhang mit dem Neubau musste auch eine Lösung für Einmündung Pfarrhausweg in die Kirchstrasse gefunden werden mit dem Trottoir entlang der Kirchstrasse.312. Der Neubau wurde mit der Kirche und dem Pfarrhaus mit einer Leitung für das Kabelfernsehen verbunden um damit das Kapazitätsproblem in der Kirche bei grossen Anlässen zu vermindern. Die Lösung der Präsentation beschäftigte die Verantwortlichen einige Zeit und verursachte nicht unbe- trächtliche Kosten. Im August 1992 musste die Kirchge- meindeversammlung die Sanierung der Heizung beschlies- sen, der wertvermehrende Anteil musste die Kirchgemeinde übernehmen, der Sanierungsteil der Unternehmer, Kredit Kirchgemeinde Fr. 30‘000.-. Kirchgemeindehaus von 1986

307 Siehe Anhang 11, Dienstbarkeiten 308 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, S. 252 309 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1773, Seite 9, 29, 36 310 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1773, Seiten 45, 50, 80, 86, 89,92, 96, 110; Protokolle Kirchge- meindeversammlung 1956-1982, S. 104, 113 311 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1973-1988, Seiten 120, 122, 128, 129, 134, 136, 138, 141, 143, 144, 145, 146, 148, 149, 152, 154, 158, 159, 161, 163, 165, 167, 168, 173, 175, 176. 179, 180, 181, 182, 188 312 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeindeversammlung1983-2009, Seiten8, 9

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4.6. Das Ferienheim der Kirchgemeinde Wichtrach Verfasser: Peter Lüthi Am 25. November 1924 befasste sich der Kirchgemeinderat mit einer Anregung von Lehrer Sommer zum Thema „Ferien- versorgung für kränkliche Schulkinder“ und überwies die Weiterbehandlung dieser Idee an den bürgerlichen Kirchgemein- derat. Am 20. Januar 1925 fand auf dessen Einladung eine Versammlung zur Besprechung dieser Angelegenheit mit Gemeinderäten, Schulkommissionen, Lehrerschaft und Frauenverein statt. Am 7. Februar 1925 orientierte der Gemeinde- schreiber Fritz Bucher, Niederwichtrach, den Gemeinderat über die erste Versammlung und die Beschlüsse zur Gründung eines Ferienheimes für Schulkinder. Die Behörde beschloss, sich an der Gründung zu beteiligen313. Am 26. Mai 1925 behandelte der Kirchgemeinderat eine Anfrage, ob gelegentlich eine Kollekte zugunsten des neuen Ferienheimes „Münchegg“ durchgeführt werden könnte. Eine solche sollte „am Sonntag vor Bettag für das Ferienheim unserer Kirchgemeinde“ durchgeführt werden. 1911 wurde die Pferdezuchtgenossenschaft Konolfingen und Umgebung gegründet, erster Präsident wurde Tierarzt Dr. Ernst Daepp. 1913 kaufte die Genossenschaft die Alp Münchegg in Röthen- bach. Wurde da das Ferienheim eingerichtet? Ernst Daepp war in dieser Zeit Präsident des Kirchgemeinderates. Die Heimkommission informierte den Gemeinderat von Oberwichtrach, dass 1925 6 Schüler während 3 Wochen im Heim Aufnahme gefunden haben und dass sich die Betriebskosten pro Kind auf Fr. 42.- belaufen. Sie wünscht zu wissen, für welche Kinder die Gemeinde die ganze oder teilweise Bezahlung des Kostgeldes aus der Spendkasse übernehme314. Zur Reduktion der Betriebskosten beschaffte das „Komitee der Ferienversorgung“ die für das Heim nötigen Wolldecken315. Am 23. Februar 1928 behandelte der Kirchgemeinderat den Antrag der Ferienheimkommission, nachdem „das Werk seit 3 Jahren einen guten Gang genommen hat und finanziell gesichert ist“ solle eine „bessere Organisation“ geschaffen wer- den, indem der Kirchgemeinderat das Patronat des Ferienheimes übernehmen solle. Der Antrag wurde mit positiver Emp- fehlung der (bürgerlichen) Kirchgemeindeversammlung vom 11. März 1928 vorgelegt und da einstimmig angenommen. Darauf wurde die Organisation in einem Reglement bereinigt, worin schlussendlich die Kirchgemeindeversammlung als „letzte Instanz“ bezeichnet wurde, die die Wahlen in die Heimkommission vorzunehmen hatte und auch Budget und Rech- nung des Ferienheimes zu genehmigen hatte316. An der Versammlung der Kirchgemeinde vom 13. März 1955 wurde berichtet, dass das Kostgeld pro Kind und Tag Fr. 32.- betrage und wohl heraufgesetzt werden müsse, auch an andern Orten seien der Ansatz bedeutend höher317. Im Sommer 1958 meldeten sich 23 Kinder für die drei Ferienwochen, aber es fanden sich nicht genügend Lehrkräfte bereit für die Leitung, wohl auch zurückzuführen auf Mängel bei der Ferienheimkommission, so dass der Kirchgemeinderat die Initiative ergreifen musste. Dabei wurde die Frage gestellt, ob es richtig sei, dass der Kirchgemeinderat das Patronat über das Ferienheim auszuüben habe318. Nach einem Präsidentenwechsel in der Ferienheimkommission gab es positive Anzei- chen, jedoch auch eine Analyse des Ferienheimes an sich (primitive Kochgelegenheit, kein Wasser in der Küche, Aufent- haltsraum zu klein, dünne Wände; Nicht geeignet für Winter, im Sommer könnten in der Zwischenzeit Familien dort Ferien machen)319. Im Sommer 1967 konnten keine Leiter für eine Ferienkolonie gefunden werden, anscheinend war der bauliche Zustand des Ferienheimes Hauptgrund, denn die Ferienheimkommission diskutierte die Anlage eines „Ferienheimfonds“, um in 20- 30 Jahren ein neues Ferienheim zu kaufen „wie dies bei den Gemeinden Oberdiessbach und Münsingen möglich war“. Nachdem die Ferienheimkommission „etwas überstürzt“ eine Sammelaktion für den Fonds startete, setzte sich der Kirch- gemeinderat mit den vier politischen Gemeinden zusammen, weil er das Patronat für ein neues Ferienheim nicht mehr übernehmen könne. Im Sommer 1969 stellte die Ferienheimkommission den Antrag auf Auflösung des Ferienheimes der Kirchgemeinde Wichtrach, den der Kirchgemeinderat genehmigte. Damit gab die Kirchgemeinde auch das Patronat über das Ferienheim ab und übertrug das Sparheft auf die neue Ferienheimkommission320. Am 9. Juli 1986 übernahm die Kirchgemeinde die Vermögenswerte der Ferienkommission Schwändli (Fr. 22‘809.95).

5. Über das „kirchliche, religiöse und sittliche Leben der Kirchgemeinde Wichtrach“ Zusammengefasst durch: Peter Lüthi Die bisherigen Kapitel berichten recht „ technisch“ über das Entstehen und den Betrieb der Kirchgemeinde, aber eigentlich wenig über die Wirkung. Die periodischen Berichte des Pfarrers und des Kirchgemeinderates an den Synodalrat geben einen Einblick in Leben und Wirken. Allerdings sind die Berichte durch die Vorgaben des Synodalrates „gesteuert“, was den Berichterstattern nicht immer passte ! 5.1. In der Zeit von 1906 - 1909321 Verfasser: Pfarrer Wilhelm Leo Schmid, undatiert, Handschrift. Er macht einleitend recht grosse Vorbehalte zur Befragung des Synodalrates (Pfarrer Schmid wurde 1906 nach Wichtrach gewählt). Zusammenfassung: Peter Lüthi

313 GR Niederwichtrach, 1924-1927, Seite 62 314 GR Oberwichtrach, 1921-1927, Seite 241 315 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1921-1934, S. 109 316 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1921-1934, S. 127, 132, 139, 142, 164, 166 317 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, S. 147 318 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, S. 213, 219 319 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, S. 243 320 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1973, S. 14, 15, 27, 69, 81, 83 321 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Berichte über das kirchliche, religiöse, sittliche Leben der Kirchgemeinde Wichtrach, 1906-1909

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Gemeinde und Pfarrer Im Durchschnitt besuchten an gewöhnlichen Sonntagen 80 Männer und 120 Frauen oder 8,7% der Gesamtbevölkerung den Gottesdienst. Es fanden 3 Gesangsgottesdienste statt bei mittelstarkem Besuch. Alle Mittwoch-Abende wurden Bi- belstunden gehalten, im Winter ziemlich gut, im Sommer von wenigen treuen Zuhörern besucht. Der Kirchengesang wird allmählich besser, seit in Unterweisung und Kinderlehre fleissig gesungen wird. Beim Orgelspiel geben sich die Organisten redlich Mühe, ein Kirchenchor ging nach 1 ½ Jahren ein trotz Förderung durch den Kirchgemeinderat. Die freiwilligen Kollekten sind aufgelistet, scheinen recht beträchtlich zu sein. In der Berichtsperiode sind 8 Abendmahle verzeichnet mit im Durchschnitt 34 Männer und 56 Frauen, Total 90 Teilnehmenden. Taufverhalten: nur wenige „Weigerungen“ und Spe- zialfälle. Haustaufen gab es nur für schwer kranke Kinder. Kinderlehre wird gehalten nach dem Morgengottesdienst, fällt aus am ersten Sonntag jedes Monats und vom Bettag bis Reformationssonntag. Sonstige Ausfälle nur bei besonderen Ereignissen. Unterweisung beginnt mit Anfang der Sommer- schule bis Gründonnerstag mit 5 Wochen Unterbruch im Herbst; Im Sommer Freitagabend von 16.30-18.00h im Winter Dienstag und Donnerstag Vormittags von 9-11h. Lokal im Primarschulhaus Oberwichtrach, ist eng und unbequem. Lehr- mittel im Sommer sind Bibel und die vom Konolfinger Pfarrverein herausgegebene „Kurze Einleitung in die Heilige Schrift“, im Winter Bibel und Heidelberger Katechismus. Fremdsprachige Konfirmanden sind keine im Unterricht. Privatunterricht nur in Absprache mit den Eltern. Es bestehen 4 Sonntagsschulen, geleitet werden 2 von Angehörigen der Landeskirche, 1 von der evangelischen Gemeinschaft und 1 von der evangelischen Gesellschaft; die beiden ersten werden ziemlich stark besucht, die dritte schwächer und die vierte sehr stark. Der Pfarrer ist Mitglied der Primarschulkommission Oberwichtrach, Mitglied der Sekundarschulkommission, nimmt an Exa- men an den Schulen der Kirchgemeinde teil. Kranken- und Hausbesuche werden durchwegs gern gesehen. Im Armenwe- sen hat der Pfarrer keine offizielle Stellung. „Im Übrigen weiss die Linke nicht, was die Rechte tut“. Dem Pfarrer ist die Pastoration im Krankenasyl Neuhaus und eine Direktionsposition im Krankenhaus Oberdiessbach übertragen. Kontakte unter Pfarrern beschränkt sich im Wesentlichen auf die monatliche Zusammenkunft des lokalen Synodalkreises (Ober- diessbach, Linden, Wichtrach). Der Pfarrer engagiert sich auf allen Ebenen für die Arbeit in Diaspora und in der Mission. Die Kirche ist seit der Grossrenovation 1900 in guten Zustand, Kirchenchor und Pfarrhaus gehören der Kirchgemeinde. Das Pfarrhaus ist alt und baufällig. Trotz Anstrengungen genügt es nicht zu wohnlicher Gestaltung, nur „gründliche Reno- vation und teilweiser Umbau“ könnten hier helfen. Der Friedhof ist in guten Zustand, wird gut unterhalten. Religiöses und sittliches Leben Der Pfarrer macht zu den in diesem Bereich gestellten Fragen grosse Vorbehalte: „Diese Fragen könnte ich vielleicht für einzelne Gemeindeglieder beantworten, für „die Gemeinde“ als Ganzes kann ich’s nicht“, entsprechend ist eine Zusam- menfassung schwierig, da auch die Fragen fehlen. Die Auswirkung des „Fremdenverkehrs“ ist konzentriert auf die zuneh- mende Verstimmung gegen das „Automobilprotzentum“, das mit seinem unvermeidlichen Staub und Gestank im Sommer zu einer Landplage geworden ist. 5.2. In der Zeit von 1911 - 1920322 Verfasser: Pfarrer A. Fischer, 25. Oktober 1921, Handschrift in Heft Format A5, 41 Seiten, 3 Photos, gut strukturiert und lesbar. Stellung der Kirche im Volksleben und im Urteil der Allgemeinheit Der Besuch des Gottesdienstes (im Herbst 1921 wurden 5,2 % der protestantischen Bevölkerung der Kirchgemeinde von 1920 = 2‘446 Personen gezählt an Sonntagen der festlosen Zeit, ohne Kinderlehrpflichtige). Die Waldgottesdienste (im Oppligenhölzli, seit 1900 immer im Juli-August bei günstiger Witterung), mit bis zu 400 Zuhörern, sind wichtig für die oberen Teile der Gemeinde, Kiesen und Oppligen. Die Gottesdienstbesuche sind etwa gleich, sicher keine Abnahme. Nebengottesdienste und Filialgottesdienste gibt es, besonders erwähnt sind Bibelstunden jeweils am Mittwoch-Abend. Der Kirchengesang wird als befriedigend bezeichnet. Ein Kirchenchor wird wegen der bestehenden Chöre als nicht lebensfähig bezeichnet. Die Teilnahme am Abendmahl (Teilnahme 1920 239 Männer+457 Frauen), bedeutet eine Abnahme gegen- über 1910 von 11,5%. Zahlen von 1898 bis 1909 sind vorhanden. Besonders erwähnt wird die Einführung von Abend- communionen, sie werden als sehr feierlich bezeichnet. Taufen (von 1911-1920 im Durchschnitt 52 Taufen) sind stark schwankend aber nicht abnehmend. Taufen sind im Nor- malfall an 2 Sonntagen vor versammelter Gemeinde, an den beiden andern Sonntagen um 11 Uhr nach beendeter Kin- derlehre in der leeren Kirche!. Trauungen (durchschnittlich 10 pro Jahr); Leichenfeiern (Verfahren werden beschrieben); Religiöse Lokalsitte (es wird erwähnt Gebet bei der Aufrichte eines Hauses, aber abnehmend). Sonntagsruhe und Sonn- tagsheiligung: Stark zugenommen nach dem Kriege haben die Sonntagsvergnügungen. Kirchenaustritte (1 Austritt eines „extremen Sozialisten“, siehe auch Geschichte Wichtrach, Heft 5, Kapitel 5.2. Übertritte zur reformierten Kirche (1 Übertritt eines Katholiken); Katholiken (in der Kirchgemeinde nur vereinzelte, gutes Verhältnis); Gemischte Ehen (keine bekannt); Über das Verhältnis der politischen Parteien zur Kirche wird unterschieden zwischen der Stellung der Partei zur Kirche und derjenigen ihrer Angehörigen. Negativ erwähnt wird die sozialdemokratische Partei, wird aber als kleine Minderheit bezeichnet). Kaum Aussagen zum Verhältnis der Presse zu Kirche und Religion (In der Gemeinde erscheint kein politisches Blatt. Die am meisten gelesenen Blätter sind: Schweizer Bauer, Emmentaler Nachrichten, Emmentaler Blatt, Neue Bernerzeitung, Bund, Berner Tagblatt, Berner Tagwacht).

322 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Berichte über das kirchliche, religiöse, sittliche Leben der Kirchgemeinde Wichtrach, 1911-1920

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Kirche und Gemeinschaften Religiöse Gemeinschaften: Evangelische Gesellschaft mit Vereinshaus in Oppligen. Ausserkirchliche Gemeinschaften: Freie Gemeinde, Evangelische Gemeinschaft, apostolische Gemeinde, Neutäufer, Antonianer, Christliche Wissenschaft, Heilsarmee. Der Pfarrer sucht eher den Kontakt als die Ausgrenzung. Religiöse Beeinflussung der Jugend in Kirche, Schule und Haus Kinderlehre, Unterweisung, Konfirmation, Fürsorge für Neukonfirmierte (Unterweisung Primar- und Sekundarschüler zu- sammen, Gesamtzahl 60 nicht übersteigend; Landeskirchliche Vermittlungsstelle stelle gute Dienste, könnte aber mehr genutzt werden). 3 Sonntagsschulen (keine in Kiesen, die meisten Sonntagschulen werden nicht von der Landeskirche betrieben). Kirche und Schule (wird als „in jeder Beziehung gut“ bezeichnet, obschon zur Zeit der Pfarrer nicht in den Schulkommissionen ist). Kirche und Liebeswerke Die Tätigkeit der Frauenvereine ist wichtig. Von der Kirchgemeinde verwaltete Stiftungen: 4 Stiftungen zugunsten Dürftige und Leidende. Keine Gemeindekrankenpflege, Krankenpflegerinnen (Diakonissinnen). Das Missionsinteresse ist speziell zugunsten der Baslermission. In der Kirche gesammelte Kollekten 1911-1920, total: Vom Kirchgemeinderat angeordnet Fr. 6‘655.50, vom Synodalrat angeordnet Fr.2‘278.80. Spenden haben während und nach dem Krieg eher zugenommen. Verbreitung religiös-sittlicher Literatur (gerne gelesen wird Feierabend und Säemann). Der Einfluss des Krieges Der erste Eindruck führte zu vermehrtem Gottesdienstbesuch, der aber nach den ersten bangen Wochen abflaute. In materieller Hinsicht hat die Kirchgemeinde unter dem Einfluss des Krieges nicht gelitten. Die Zeit der Grippe und Seuche (1918, 1920) waren für die Gemeinde „die ernsteste Zeit der vergangenen Jahre“. Aufnahme von Kriegskindern: Ab Som- mer 1918 Wienerkinder, später Kinder aus Deutschland, Ungarn, von Auslandschweizern. Moralität Eindruck einer gewissen „Verrohung“ der Sitten seit dem Kriege. Unsitte des „Kiltganges“ (wird noch zu wenig als Unsitte empfunden). Häusliche Kindererziehung (primär auf „Wärchen“ ausgerichtet). Teuerung, Rationierungsvorschriften (Art der Befolgung mehr nach dem Geiste als dem Buchstaben). Vereinsleben (wird als Art sozialer Kontrolle betrachtet, posi- tiv). Alkoholismus (Richtet viel Schaden an. Organe zur Bekämpfung: Blaukreuzveren 50 Mitglieder, Hoffnungsbund, Al- koholfreie Obstverwertung in Kiesen). Soziale Frage Zusammensetzung der Bevölkerung: Weitaus der grösste Teil beschäftigt in der Landwirtschaft „die vorzügliche Jahre hinter sich hat“. Wenig Industrie, eine Zementfabrik, ein Baugeschäft, zwei Mostereien. Arbeiter in der Holzbodenfabrik Münsingen und den Fabriken in Thun, gut gestellt sind Eisenbahnarbeiter. Herrschende wirtschaftliche Krise: Vor allem auswirkend Wohnungsnot, weil Zuwanderung zu verzeichnen. Arme und Unterstützungsbedürftige (1922: 24 Kinder, 26 Erwachsene, wird als „relativ wenige“ bezeichnet). Hauswirtschaftliche Fortbildungsschule für Mädchen wird als Hauptmit- tel zur Bekämpfung der Armut bezeichnet. Lohnveränderung (keine „unangenehm auffallende Wirkung“: Lebenshaltung besser als früher, häuslicher Comfort und Erholung mehr als ehedem, neueste Kleidermode nicht unbekannt, jedoch länd- liche Einfachheit!). Soziale Gegensätze sind nicht unfühlbar geblieben, Hinweis auf Versuch den Proporz einzuführen aber Staatssozialismus mit bis ins Detail gehende Reglementierungen ist nicht nach dem Geschmack der Bevölkerung. In einem Nachtrag von Armeninspektor Tillmann wird festgehalten „im Durchschnitt hat die Zahl der dauern Unterstützten in den letzten Jahren etwas abgenommen. Dagegen sind die Ausgaben im Armenwesen gestiegen infolge der Geldent- wertung. Die herrschende Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit werden vermutlich eine Zunahme der Armut bewirken». Die oekonomische Lage und die administrative Tätigkeit der Kirchgemeinde Keine Abtretungen von Pfrundgut von Staat an die Gemeinde (fand schon 1894 statt). Zustand von Kirche, Pfarrhaus, Kirchgemeindehaus und Friedhof gut. Beteiligung an Kirchgemeindeversammlungen (von ca. 530 Stimmberechtigen ca. 10% Stimmende). Einführung kirchliches Frauenstimmrecht (März 1921 mit ganz knappem Stimmenmehr beschlossen) Ausblicke und Zukunftsaufgaben Trennung von Kirche und Staat ist wegen den aktuell sehr guten Beziehungen in keiner Weise wünschbar, es gibt wichti- gere Aufgaben. Betonung und Pflege der gemeinsamen Interessen aller und des Zusammengehörigkeitsgefühls muss vor allem im Raum der Kirchgemeinden gepflegt werden,“ da viel zu lose und lockere Gefüge“; Anziehungskraft der Landes- kirche muss gestärkt werden. Wichtigste Aufgabe der Landeskirche in Zukunft muss die religiöse sein und bleiben 5.3. In der Zeit von 1931 - 1950 Zwei Berichte liegen vor, der erste wurde vor allem erstellt durch Pfarrer Ochsenbein, der zweite Bericht dann auf Antrag von Pfarrer Ochsenbein durch einen Ausschuss des Kirchgemeinderates. Dabei hielt man sich nur in den Hauptabschnit- ten an das Frageschema des Synodalrates. Aus den Berichten, aber auch aus den Protokollen des Kirchgemeinderates kann man erkennen, dass man sich mit diesen Aufträgen „von oben“ in Wichtrach schwer tat. Die Haltung von Pfarrer Ochsenbein ist in Kapitel 3.8.1. zusammengefasst. Der 22-seitige interessante Bericht beschreibt eine ganz spezielle Periode, allerdings bereits aus der Sicht von 1950, zum Teil stark wertend. Zum Vergleich sei auf Heft 5, Kapitel 9 „Wichtrach erlebt den 2. Weltkrieg“ verwiesen, beinhaltend auch Befragungen von Beteiligten. 5.4. In der Zeit von 1951-1960 Der Bericht ist nicht gefunden, er wurde bearbeitet von Kirchgemeinderat Fritz Ammann.

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5.5. In der Zeit von 1961 - 1970 Der Bericht liegt vor und wurde vom Kirchgemeinderat genehmigt323. Entwicklung der Kirchgemeinde 1960 gab es 2503 Protestanten in der Kirchgemeinde, 1970 waren es 2753. Es wurden in Oberwichtrach und Kiesen die ersten Wohnblöcke gebaut, ein verstärkter Zuwachs wird wegen der Eröffnung der Autobahn erwartet. Der Bevölkerungs- anteil in der Landwirtschaft ist stark zurückgegangen. Es wird auf die zunehmende Freizeit durch die arbeitsfreien Sams- tage und die vermehrten Ferien der Familien hingewiesen. Erfüllung der kirchlichen Aufgaben Wichtrach hat keinen Hilfspfarrer oder Vikar. Es wird auf die Belastung der Pfarrfrau hingewiesen, die den stark mit der Kirchgemeinde verbundenen Frauenverein führt. Es gibt auch keine Diakone, Gemeindehelfer/innen oder Gemeindekran- kenschwester, die von der Kirchgemeinde angestellt sind. Der Sigrist ist gleichzeitig Friedhofgärtner. Die Belastung des Pfarrers ist erheblich. Einsatz der Mittel der Verkündigung Der Besuch der Sonntagsgottesdienste wird als recht gut bezeichnet, speziell die Waldgottesdienste. Bei Vorträgen und Abendanlässen sind die Besucherzahlen rückläufig, was auf die zunehmende Verbreitung des Fernsehens zurückgeführt wird. Der Kirchengesang wurde als „unterschiedlich“, jedoch als „ziemlich gut“ bezeichnet; Der Kirchenchor musste im Herbst 1970 seine Tätigkeit einstellen weil sich fast keine Sänger mehr fanden. Die Seelsorge nahm einen weiten Raum ein, „im Studierzimmer, bei Hausbesuchen, in Krankenhäusern, Kliniken aber auch telefonisch und schriftlich“. Die Belastung des Pfarrers ist in vielen Belangen die Begrenzung. 5.6. In der Zeit von 1981-1990 Der 37-seitige Bericht ist ausgerichtet auf die Beantwortung von Fragen, möglichst in der ja/nein-Form, zum Teil mit vor- gegebenen Antwort-Varianten wohl ausgerichtet auf die elektronische Auswertung324.

6. Die Bürgerliche Kirchgemeinde Ausgewählt und zusammengefasst: Peter Lüthi 6.1. Die Entstehung und Entwicklung 6.1.1. Die bürgerliche Abteilung der Kirchgemeinde, 1874 - 1921 Die Schaffung der bürgerlichen Abteilung der Kirchgemeinde basiert auf dem Gesetz über die Organisation des Kirchen- wesens im Kanton Bern vom 18. Januar 1874, als das Bestattungswesen an die Ortspolizeibehörden der Gemeinden ging und die Eheschliessung dem Einfluss der Konfessionen entzogen und neuen Zivilstandsbehörden übertragen wurde 325. Die ord. Kirchgemeindeversammlung vom 5. März 1876 beantragte den Kirchgemeinderat, es sei ihr neben der Aufsicht über die Kirchengebäude auch die Aufsicht über den „Totenacker, Denkmälern etc.“ zu übertragen, doch so, dass dadurch den besonderen gesetzlichen Vorschriften über das Begräbniswesen als Polizeisache nicht vorgegriffen werde“326. In den folgenden Jahren stellten sich hinsichtlich der Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen immer wieder Fragen, zum Beispiel auch zum Zivilstandswesen, handelte es sich doch um Aufgaben, die regional am effektivsten zu lösen waren und die einzige eingespielte regionale Organisation in unserem Raume war die Kirchgemeinde, in deren Organen auch die Gemeindebehörden vertreten waren. So konstituierte sich die Kirchgemeindeversammlung vom 3. März 1878 nach der ordentlichen Versammlung auch als „politische Gemeinde“327. Im Frühling 1880 wurde im Kirchgemeinderat das Bedürfnis nach Klärung der Eigentumsverhältnisse zwischen der Kirch- gemeinde und den 4 Einwohnergemeinden behandelt, ausgelöst durch einen Antrag der Gemeinde Niederwichtrach328. Dazu wurde von der Kirchgemeinde ein Ausschuss bestimmt und kurz darauf der damalige Pfarrer Hartmann beauftragt, einen Ausscheidungsvertrag der Eigentümer zwischen Kirchgemeinde und Einwohnergemeinden auszuarbeiten. Dieser Entwurf wurde anschliessend den 4 Gemeinden vorgelegt und mit allen Bereinigungen im Februar 1882 von der Kirchge- meindeversammlung genehmigt. Die wesentlichen Elemente, über die 1882 entschieden wurden, waren, dass der „Toten- acker“ und die „Totenhalle“ an die bürgerliche Abteilung ging, die Kirchenuhr bei der Kirchgemeinde verblieb und das Unterweisungszimmer der Gemeinde Oberwichtrach gehörte329. Gemäss dem Beerdigungsreglement und dem Protokollbuch der (bürgerlichen) Kirchgemeinde und des (bürgerlichen) Kirchgemeinderates vom 8.8.1886 – 1898330331 setzte sich der bürgerliche Kirchgemeinderat zusammen aus den Gemein- depräsidenten der vier Kirchgemeinden und einem Sekretär mit Stimmrecht, der von der Kirchgemeindeversammlung zu wählen war. Obschon das Reglement sich ausschliesslich auf das Bestattungswesen bezog, beschäftigte sich der bürger- liche Kirchgemeinderat gemäss Protokollbuch in der Folge auch mit weiteren „regionalen“ Aufgaben wie: Wahl und Rech- nungsabnahme des Zivilstandsbeamten und seines Stellvertreters, Rechnungsführung der Brandversicherungskasse,

323 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Sammlung Jahrzehntberichte 324 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Sammlung Jahrzehntberichte 325 Eidg. Gesetzgebung über das Zivilstandswesen von 1874 326 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1888, S.25 327 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886, S.24, 28 328 Historisches Archiv Niederwichtrach, B 18740808, Seite 429 329 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886 und 1879-1911 330 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1934-1945, Seite 13 331 Historisches Archiv Oberwichtrach, B 18860808, Protokollbuch; Historisches Archiv Niederwichtrach, B 18850529, Seite 413, 419

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Führen des Amtsanzeigers, Delegationen in die Wahlausschüsse im Amt Konolfingen und Wahl eines Friedensrichters. Aus dem Protokollbuch des bürgerlichen Kirchgemeinderates kann der Weg zur Überarbeitung des Reglements zumindest teilweise verfolgt werden. Neben der Institutionalisierung der Aufgaben ergaben sich auch Fragen zur Führung, indem zum Beispiel die Gemeinde Niederwichtrach, die gemäss den Einwohnerzahlen die grösste der vier Gemeinden des Be- gräbnisbezirkes war, für sich eine grössere Vertretung forderte332. Dies mag wohl einer der Gründe sein, dass im neuen Reglement auch eine andere Form der Führung möglich gemacht wurde: Im bürgerlichen Kirchgemeinderat sollten die 4 Gemeindepräsidenten sowie der Vizepräsident der grössten Verbandsgemeinde Einsitz nehmen333. Ein weiterer Schritt in der Bereinigung war die anlässlich der Kirchgemeindeversammlung vom 11. April 1886 beschlos- sene Kündigung des Vertrages mit Buchdrucker Rippstein in Thun für den Druck des Amtsanzeigers mit dem Hinweis, dass dies nun Sache der Einwohnergemeinde sein solle. Aber schon rund einen Monat später hatte der Kirchgemeinderat einen Delegierten in die Versammlung für den Amtsanzeiger zu wählen334 und im Oktober wurde anlässlich einer ao Kirch- gemeindeversammlung beschlossen, die „Rechte und Pflichten bezüglich Amtsanzeiger dem bürgerlichen Kirchgemein- derat zu übertragen“. Anlässlich der Sitzung vom 10. April 1899 beschloss der Gemeinderat von Niederwichtrach, zum „Reglement der bürger- lichen Abteilung“ der Kirchgemeinde die Anregung zu machen, „ob es nicht tunlich wäre, die ausserkirchlichen gemeinsa- men Angelegenheiten dem Kirchgemeinderat kirchliche Abteilung zu übertragen“. Am 6. Januar 1900 beschloss der Ge- meinderat, den entsprechenden Übertragungsantrag zu stellen335. Ende 1900 beauftragte der Kirchgemeinderat Pfarrer Stierlin mit der Überarbeitung der Reglemente der Kirchgemeinde und der bürgerlichen Kirchgemeinde. Der Auftrag beinhaltete bereits die Option, dass die Leitung der beiden Organe dem Kirchgemeinderat übertragen werden könnte336. Das Reglement der bürgerlichen Abteilung, 4.9.1901337 (Anhang 9) be- sagt, mit Präzisierungen in Art. 10 ff: Die ausserkirchlichen gemeinsamen Angelegenheiten der Kirchgemeinde Wichtrach, bestehend aus den 4 Einwohnergemeinden: Niederwichtrach, Oberwichtrach, Kiesen und Oppligen sind die folgenden: Das Zivilstandswesen, .das Begräbniswesen (geregelt in einem speziellen Beerdigungsreglement), das Gesundheitswe- sen, die Untersuchung von Mass und Gewicht, das Brandversicherungs- und Löschwesen, die Angelegenheit betreffend den Amtsanzeiger sowie allfällige andere Gegenstände, welche nach Beschluss der Kirchgemeinde, bürgerliche Abthei- lung, gemeinsam reguliert werden sollen. Die Organe der bürgerlichen Kirchgemeinde waren die bürgerliche Kirchgemeindeversammlung und der bürgerliche Kirch- gemeinderat. Für diesen waren vorgesehen die Präsidenten der vier Einwohnergemeinden und ein Sekretär. Allerdings ist im Reglement auch die Lösung vorgesehen, dass die Kirchgemeindeversammlung die Funktion des bürgerlichen Kirch- gemeinderates dem kirchlichen Kirchgemeinderat übertragen könne. In einem solchen Falle ist bereits festgelegt, dass die Geschäfte der bürgerlichen Kirchgemeindeversammlung jeweils im Anschluss an die Geschäfte der kirchlichen Kirchge- meindeversammlung behandelt werden können. Es wurde auch festgelegt, dass diejenige Kirchgemeindeversammlung, die das Reglement genehmige auch die Lösung für die Führung des bürgerlichen Kirchgemeinderates festzulegen habe. Die Kirchgemeindeversammlung vom 4. August 1901 beschloss die Übertragung der Führung beider Abteilungen an den Kirchgemeinderat und wählte entsprechend Präsident und Räte und am 3. November wählte der Kirchgemeinderat für die verschiedenen vorerwähnten Aufgaben der bürgerlichen Abteilung die nötigen Beamten338. Für die Finanzierung der Auf- wendungen der bürgerlichen Kirchgemeinde war vorgesehen, Steuern zu erheben und zwar in Form einer „Steuerquote“ (analog der heutigen Steueranlage) auf der Grundlage der Staats- und Gemeindesteuerberechnung. Im Falle der Führung durch den kirchlichen Kirchgemeinderat wurde getrennte Rechnung verlangt. Im Dezember 1901 wandte sich die „Telefongesellschaft Wichtrach“ mit dem Gesuch um einen Beitrag von Fr. 80.- bis 100.- an den bürgerlichen Kirchgemeinderat zur Finanzierung des Nachtdienstes in der Telefonzentrale Wichtrach. Dieser Nachtdienst sollte vor allem den Feuerwehren der 4 Einwohnergemeinden dienen. Bewilligt wurde dann ein Beitrag von Fr. 80.- provisorisch für ein Jahr mit der Auflage, die Telefongesellschaft solle sich mit der Brandversicherung, Kanton und Bund einigen für die Finanzierung dieses Dienstes339. Am 20. Februar 1918 hatte der Kirchgemeinderat einen Antrag des Sekundarschulvereins zur Übernahme der Sekundar- schule durch die „bürgerliche Abteilung“ zu behandeln. In der darauf folgenden Sitzung entschied der Rat gegen die Über- nahme, trat aber als „Garant“ dem Verein bei mit einem Jahresbeitrag von Fr. 100.-340. 6.1.2. Der Gemeindeverband „Bürgerliche Kirchgemeinde Wichtrach“, 1921 - 2008 Das Reglement von 1921 Mit diesem Reglement wurde erstmals gestützt auf das Gemeindegesetz vom 9. Dezember 1917, Art. 67, ein formal von der Kirchgemeinde unabhängiger Gemeindeverband geschaffen, welcher „territorial mit der Kirchgemeinde Wichtrach übereinstimmt“ 341. Bei den Aufgaben des Verbandes sind folgende Veränderungen zu vermerken: • Das Brandversicherungs- und Löschwesen ist nicht mehr enthalten

332 Historisches Archiv Niederwichtrach, B 18850529, Seite 382, 419 333 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat bürgerliche Abteilung, 1886-1889, S. 38, 39,40, 42 334 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886 und 1879-1911, S.19 335 Historisches Archiv Niederwichtrach, B 18981117, Seite 13, 27 336 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911, S.159 337 Historisches Archiv Niederwichtrach, A 19010904 338 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911, S. 170, 172 339 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911, S.174, 175, 177 340 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921. S. 156, 159 341 Historisches Archiv Niederwichtrach, A 19211113

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• Neu ist enthalten die Hauswirtschaftliche Fortbildungsschule: Es wird festgehalten, dass die vier Verbandsgemeinden den „Schulkreis für den Betrieb der hauswirtschaftlichen Fortbildung“ bilden, eine spezielle Hauswirtschaftskommis- sion zu bilden sei und die Verbandsgemeinden der Fortbildungsschule die nötigen Lokalitäten und die Schulgerät- schaften zur Verfügung zu stellen haben. • Neu ist enthalten, in Verbindung mit der Kirchgemeinde, die Sorge für Gebäude und Gerätschaften, die sowohl Kultus- als auch bürgerlichen Zwecken dienen (Glocken, Uhr). Formell werden die Verbindungen zur Kirchgemeinde eingeschränkt, so wird einfach vom „Verband“ gesprochen. Die Übernahme der Verbandsführung durch den Kirchgemeinderat ist nicht mehr vorhanden, ausser dass festgestellt wird, dass „die Beamten der Kirchgemeinde (Kirchliche Abteilung), Präsident, Vizepräsident, Sekretär, Kassier und die Mitglie- der der Rechnungsprüfungskommission“ auch die entsprechenden Obliegenheiten für den Gemeindeverband ausführen können. Alle Auslagen werden „von den beteiligten Gemeinden im Verhältnis ihrer Steuerkraft auf der Grundlage der Gemeindesteuerregister getragen“. Bemerkenswert zur Bedeutung der „bürgerlichen Kirchgemeinde Wichtrach“ im Sinne eines „Netzwerks“ für Problemlösungen ist die Geschichte um das Ferienheim Wichtrach, siehe Kapitel 4.6. Ein weiteres Beispiel ergab sich aus dem gleichzeitigen Rücktritt der beiden Hebammen, die beide in Niederwichtrach wohnten aber für den ganzen Raum der Kirchgemeinde tätig waren im Jahre 1932. Der Gemeinderat von Niederwichtrach wandte sich an die „bürgerliche Kirchgemeinde“ mit dem Antrag, diese solle sich nun dem Ersatz annehmen, was vom Kirchgemein- derat akzeptiert wurde342. Im Rahmen der Budgetierung 1968 wurde der „bürgerlichen Abteilung“ von der „kirchlichen Abteilung“ Darlehen einge- räumt einmal Fr. 27‘000.- für den Kauf des Magazins von Frau Bohnenblust sowie für die Sanierung der Friedhofmauer von Fr. 17‘000.-, „es wird dazu ein günstiger Zinssatz gewährt werden“. Die Finanzierung erfolgte über die Kirchensteuer von 15%, 10% für die kirchliche und 5% für die bürgerliche Abteilung343. Diese Finanzierungsthematik führte wohl dazu, dass sich der Kirchgemeinderat begann Gedanken zu machen über die künftige Aufteilung von kirchlicher und bürgerlicher Abteilung344. 1988 forderte die Gemeindedirektion die Kirchgemeinde Wichtrach auf, das Reglement für den Gemeinde- verband bürgerliche Kirchgemeinde aus dem Jahre 1921 an das geltende Gemeindegesetz anzupassen. Das Reglement vom 16.10.1989 Das Reglement trat nach der Genehmigung durch die Verbandsgemeinden und die Kant. Gemeindedirektion am 16. Ok- tober 1989 in Kraft345. Die Rechtsform „Gemeindeverband“ basierte auf dem Gemeindegesetz vom 20. Mai 1873 (Art. 138). Im Gegensatz zum Vorgänger-Reglement wird hier nun explizit vom Gemeindeverband „Bürgerliche Kirchgemeinde Wichtrach“ gesprochen. Bei den Aufgaben sind folgende Veränderungen zu vermerken: • Beim Zivilstandswesen ist formuliert, dass die bürgerliche Kirchgemeinde dem Zivilstandsbeamten „würdige und zweckdienliche Räumlichkeiten für die Trauungen und die übrigen zivilstandsamtlichen Verrichtungen“ zur Verfügung zu stellen habe. Sollte der Zivilstandsbeamte eigene Räume zur Verfügung stellen, solle eine „angemessene Ent- schädigung, die auch Heizung, Beleuchtung und Reinigung umfasse“ geleistet werden. • Neu wurde die „Verwaltung des Vermögens der bürgerlichen Kirchgemeinde“ als Aufgabe aufgenommen. Bei der Organisation sind neu unter den Organen die Gemeindeversammlungen der vier Verbandsgemeinden aufgeführt. Beim bürgerlichen Kirchgemeinderat ist die Möglichkeit, dass der kirchliche Kirchgemeinderat auch diese Aufgabe erfüllen könne, enthalten (Art. 9). Die Hauswirtschaftskommission wird als „ständige Kommission“ des Verbandes aufgeführt. Die Finanzierung erfolgt über Beiträge der Verbandsgemeinden im Verhältnis ihrer absoluten Steuerkraft auf Grundlage der Staatssteuerregister. Die bürgerliche Kirchgemeindeversammlung hatte jährlich die Steueranlage zu beschliessen. Mitte der 90er Jahre ist ein zunehmender Widerstand der Verbandsgemeinden gegen die Art der Finanzierung und die Bildung von Vermögen des bürgerlichen Kirchgemeindeverbandes zu vermerken346. So verlangte der Gemeinderat Nie- derwichtrach in Absprache mit dem Gemeinderat von Oberwichtrach, bei einem Eigenkapital der bürgerlichen Kirchge- meinde von Fr. 433'074.- die Steueranlage von 4% der Staatssteuer auf 2% zu senken. 1994/1995 wenden sich die Ge- meinden gemeinsam an den Kirchgemeinderat mit folgenden Forderungen: Veränderung des Modus der Beitragsberech- nung (Beitragsberechnung nach Bedarf und nicht nach Steuereingang); Reduktion des Eigenkapitals; Bessere Transpa- renz von Rechnung und Budget; Forderung, dass Delegierte über Budget und Rechnung beschliessen und nicht die „bür- gerliche Kirchgemeindeversammlung“. Auf Grund des Volksschulgesetzes musste auf den 1. August 1996 die Hauswirtschaftskommission aufgelöst werden. Ihre Aufgaben, die die obligatorische Schulzeit betrafen, wurden von der Schulkommission wahrgenommen347. Im April 1997 erfolgte auf Grund verschiedener Interventionen eine erste Aussprache des Kirchgemeinderates mit den Verbandsgemeinden zu einer Revision des Organisationsreglementes der bürgerlichen Kirchgemeinde. Von Seiten der Gemeinden wird vor allem eine Veränderung der Finanzierung gefordert. Ebenfalls zur Diskussion gestellt wurde Doppel- funktion des Kirchgemeinderates und der Kirchgemeindeversammlung, weil hier die Konfessionsfreiheit des bürgerlichen Verbandes nicht mehr gewährleistet sei. Nachdem die Einwohnergemeinde Oberwichtrach das vorgelegte Reglement nicht ohne Abänderungen genehmigte, verzögerte sich die Inkraftsetzung des neuen Reglements, bis Oberwichtrach ihre Abänderungen auf Grund von Empfehlungen des Amtes für Gemeinden und Raumordnung zurückzog.

342 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1921-1934, Seite 216 343 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1973, Seite 24, 37 344 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1966-1973, Seite 37 345 Historisches Archiv Wichtrach, O 3 346 Historisches Archiv Wichtrach, O 3 347 Historisches Archiv Wichtrach, O 3

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Das Reglement vom 21.7.1998 Gemäss dem Reglement hatte der Verband noch 4 Aufgaben348: Das Begräbniswesen; das Zivilstandswesen; die Sorge um Einrichtungen, welche sowohl Kultus- und bürgerlichen Zwecken dienen (Kirchenglocken, Kirchenuhr usw.); Die Ver- waltung des Vermögens der Bürgerlichen Kirchgemeinde. Wesentlich ist die Veränderung bei der Finanzierung, wo in Art. 25. festgelegt wird, dass die Verbandsgemeinden jährliche Beiträge leisten zum Ausgleich der Betriebsrechnung. Die Bei- tragsbeiträge der Gemeinden werden zur Hälfte nach der Wohnbevölkerung und zur Hälfte nach der Steuerkraft berechnet. Im Jahre 2000 erfolgte die kantonale Regionalisierung des Zivilstandswesens wodurch diese Aufgabe aus dem Tätigkeits- bereich des Gemeindeverbandes entfiel. Im Sommer 2003 musste das Reglement geändert werden auf Grund der neuen eidgenössischen Bestimmungen zum Revisionswesen. Die Rechnungsprüfungskommission wurde aufgelöst und es musste nun ein entsprechend qualifiziertes Rechnungsprüfungsorgan gewählt werden. 6.1.3. Der Gemeindeverband für das Bestattungs- und Friedhofwesen, ab 2009 Im Sommer 2004 meldete der Gemeinderat von Wichtrach das Bedürfnis nach einer Revision des Reglements der bür- gerlichen Kirchgemeinde an, weil das bestehende Reglement nicht mehr den Vorgaben des geltenden Gemeindegesetzes des Kantons Bern entsprach und zudem mit der Fusion der beiden Gemeinden Ober- und Niederwichtrach formale An- passungsbedürfnisse entstanden, insbesondere bei den Zuständigkeiten im finanziellen Bereich, da die neue Gemeinde rund 70% der Kosten des Gemeindeverbandes „bürgerliche Kirchgemeinde“ trägt. Das Anliegen wurde von den Partner- gemeinden und vom Kirchgemeinderat zwar mit einem gewissen Verständnis, aber auch mit Skepsis entgegengenommen, da die bestehende Organisation das Bedürfnis bisher gut abdeckte und man eigentlich keine praktische Dringlichkeit zur Veränderung erkannte. So wurde nach einigen Diskussionen ein Vorgehen gemäss Artikel 31 des Organisationsregle- ments gefordert, wonach entweder der bürgerliche Kirchgemeinderat (identisch mit dem Kirchgemeinderat) oder eine der beteiligten Einwohnergemeinden oder ein Zehntel der stimmberechtigten Einwohner der bürgerlichen Kirchgemeinde ein solches beantragen mussten. Anlässlich der Gemeindeversammlung der Gemeinde Wichtrach vom 7. Dezember 2006349 wurde der Antrag auf Aufnahme eines Revisionsverfahrens ohne Gegenstimme beschlossen. Im Sommer 2008 stimmten dann die Einwohnergemeindeversammlungen der drei Verbandsgemeinden dem von einem Ausschuss erarbeiteten neuen Organisationsreglement des „Gemeindeverbandes für das Bestattungs- und Friedhofwe- sen“ zu. Der Verband besorgt das Bestattungswesen für die Einwohnergemeinden Kiesen, Oppligen und Wichtrach und betreibt und unterhält den Friedhof in Wichtrach. Mit dem neuen Reglement wurden keine Eingriffe mehr in die geltenden Gemeindeordnungen der Verbandsgemeinden gemacht, indem jeweils das zuständige Organ über ihm zugewiesene Be- schlüsse zu befinden hat und Delegierte abgeordnet werden, welchen die Einwohnergemeinden Weisungen erteilen kön- nen, wie dies auch in zahlreichen andern Rechtsverhältnissen praktiziert wird. Das neue Reglement trat auf den 1. Januar 2009 in Kraft350. Noch im Dezember 2008 wurde von einer „konstituierenden“ Delegiertenversammlung der Verbands- Vorstand gewählt und für das Personal ein einjähriger Besitzstand beschlossen für einen reibungslosen Übergang. Ende 2009 kündigte der Verband den Nutzungsvertrag für das Kirchgemeindehaus mit der Kirchgemeinde auf Ende 2010 und beantragte die grundbuchliche Bereinigung der Besitzverhältnisse auf dem Grundstück der Kirche und des Friedhofs. In diesem Geschäft sollte auch die Besitzverhältnisse des Chilchwäglis zwischen der Kirchgemeinde, der Gemeinde Wichtrach und dem Verband neu geregelt werden. Die Kündigung des Nutzungsvertrages führte zu einer recht umfang- reichen Bereinigung der Entschädigungsregelung zwischen der Kirchgemeinde und den übrigen Nutzern des Kirchge- meindehauses wie zum Beispiel des Oberstufenzentrums der Sekundarschule für die Nutzung der Schulküche, aber auch verschiedener Vereine, die im Auftrage der Gemeinden eine öffentliche Aufgabe erfüllen wie der Frauenverein mit dem monatlichen Seniorenessen. Bis Ende 2010 erfolgte die Entschädigung aller nicht-kirchlichen Aktivitäten pauschal verteilt auf die drei Verbandsgemeinden. So bezahlten die Gemeinden auf diesem Wege allerdings auch für Anlässe, welchen keine öffentlichen Aufgaben zugeordnet werden konnten sowie für private Anlässe. Auf Beginn 2011 übernahm die Ge- meinde Wichtrach die Rechnungsführung und die Sekretariatsführung des Vorstandes im Auftragsverhältnis. 6.2. Die Entwicklung der Aufgaben 6.2.1. Das Bestattungswesen Am 4. März 1877 beauftragte die Kirchgemeindeversammlung den Kirchgemeinderat mit der Erarbeitung eines Regle- ments über das Bestattungswesen. Der Entwurf sei dann den 4 Einwohnergemeinden zur Genehmigung vorzulegen351. Mit dem Beerdigungsreglement vom 21.9.1887 (Anhang 8), wurde die Verwaltung des Begräbniswesens des Begräbnis- bezirks Wichtrach einer Kommission, „Kirchgemeinderat bürgerliche Abteilung“ genannt, übertragen352. 1886 beschloss der bürgerliche Kirchgemeinderat, dass „wenn an einem Tag zwei Bestattungen stattfinden (um 11 Uhr und um 13 Uhr) jedes Mal geläutet werden soll. 1888 beschloss der Rat dann, dass die Hinterbliebenen den mit dem Läuten Beauftragten 70 Rappen zu bezahlen hätten353. 1887 empfahl der Synodalrat den Pfarrern, die Abdankung doch von den Lehrern zu übernehmen „damit diese nicht zu oft den Unterricht aussetzen müssten“, zunehmend wurden die Abdankungen in die Kirche verschoben. Bezüglich des Zustandes des Friedhofes beschloss der bürgerliche Kirchgemeinderat am 27. März 1892: „Wegen ver- unkrauteten Gräbern oder dem Werfen von Steinen in die anstossenden Felder soll eine Publikation gemacht werden, dass die Arbeit an den Friedhofgärtner übertragen werde. Bei neuen Gräbern soll mit dem Gärtner ein Vertrag

348 Historisches Archiv Wichtrach, O 3 349 Protokoll der Gemeindeversammlung Wichtrach vom 7.12.2006 350 Protokoll der Gemeindeversammlung Wichtrach vom 19.6.2008 351 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1873-1886, S. 26 352 Historisches Archiv Niederwichtrach, A 18870601 353 Historisches Archiv Niederwichtrach, A 18860808, S. 3, 17

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 50 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 abgeschlossen werden, wobei den Auftraggebern die Lieferung von Pflanzen erlaubt werden soll. Die Entschädigung an den Friedhofgärtner soll 50 Rp. betragen“354. Als Episode zum Bestattungswesen sei hier aufgeführt, dass sich der Gemeinderat von Niederwichtrach an seiner letzten Sitzung 1945 mit dem Ersatz des Leichenwagenführers auseinanderzusetzen hatte. Der Bisherige hatte gekündigt, auf die Ausschreibung hat sich niemand gemeldet und der Rat glaubte, dass sich der Bisherige zum Weitermachen bereiterklären würde, wenn ihm etwas an das Remise für den Leichenwagen bezahlt würde. Nach einem Vergleich mit Münsingen be- schloss der Rat ein Angebot von Fr. 50.-/Jahr, die Gemeinde Oberwichtrach würde gleichviel bezahlen. So konnte das Problem gelöst werden. Mit Datum 7. April 1967 genehmigte der Regierungsrat ein neues Bestattungsreglement. 6.2.2. Das Zivilstandsamt Im Herbst 1875 sollten die „Civilstandsbezirke“ neu eingeteilt werden, wobei ein Teil der Kirchgemeinde Wichtrach Münsin- gen und der andere Teil der Kirchgemeinde Oberdiessbach zugeteilt werden sollte. Dagegen protestierten die Gemeinden der Kirchgemeinde Wichtrach mit dem Ziele, einen eigenen Zivilstandsbezirk Wichtrach zu erhalten. Dieser Protest war erfolgreich und schlussendlich wurde in Oberwichtrach ein Zivilstandslokal eingerichtet, wobei dessen Kosten zuerst direkt den Gemeinden belastet werden sollte, dann aber über die Kirchgemeinde bürgerliche Abteilung abgerechnet wurde355. In der Folge wurden auch die Zivilstandsbeamten im Rahmen der bürgerlichen Abteilung gewählt. 6.2.3. Die „Mädchenfortbildungsschule“ bzw. der „hauswirtschaftliche Unterricht“ Im Februar 1911 gelangte ein Initiativkomitee zur Gründung einer Mädchenfortbildungsschule in Wichtrach an den Kirch- gemeinderat. Das Anliegen wurde von allen Gemeinden unterstützt und der bürgerlichen Kirchgemeinde als geeignete Instanz für Aufbau und Betrieb übertragen. Die Versammlung vom 5. März 1911 übernahm formell die Aufgabe, die nötigen Lokalitäten mit Heizung gratis zur Verfügung zu stellen, die Gemeinden aber sollten in Verbindung mit Bund und Kanton den jährlichen Betrieb übernehmen. Es entstand die Idee, den Pfrundspeicher für diesen Zweck zu verwenden, die vorge- legten Lösungsvarianten führten aber dann dazu, dass man vorerst nach einer billigeren Mietlösung suchte356. Nachdem die Gemeinde Oberwichtrach eine Nutzung im Schulhaus absagte, einigte man sich schlussendlich mit Frau Liechti, Res- taurant Kreuz, Oberwichtrach. Der Mietvertrag beinhaltete die Bereitstellung eines „hellen, genügend grossen Schulzim- mers, ihre Küche im Restaurant und den kleinen Saal“ für einen Jahreszins von Fr. 400.- erstmals für 3 Jahre, dann mit halbjähriger Kündigungsfrist, im Schmittestock. Nachdem das Raumproblem gelöst war, wurde ein Komitee von 10 Per- sonen, davon 8 Frauen, gewählt. Der erste Kurs wurde am 28. Oktober 1912 mit 26 Schülerinnen eröffnet357. Am 27. Januar 1919 wurde festgestellt, dass wegen zunehmenden Schülerinnenzahlen die Räumlichkeiten im Kreuz nicht mehr genügen würden. Da zudem auch das Unterweisungslokal den Anforderungen nicht mehr genüge, wurde die Umnutzung des „Pfrundspeicher“ ins Auge gefasst. Am 16. März 1919 wurde der Umbau des Pfrundspeicher für die Mädchenfortbil- dung und die Unterweisung beschlossen, Kredit Fr. 25‘900.-358. Am 27. März 1927 beschloss die Kirchgemeindeversammlung eine Revision des Reglements auf Grund des neuen Ge- setzes über den hauswirtschaftlichen Unterricht. Dabei war ein wesentliches Element die Integration des obligatorischen Unterrichts der „Dienstmädchen“359. Die Übertragung der Aufgabe an die „bürgerliche Kirchgemeinde Wichtrach“ erfolgte mit dem Verbandsreglement von 1921. Bemerkenswert ist in der gedruckten Version des Reglements für die hauswirt- schaftliche Fortbildungsschule von 1929, dass die „bürgerliche Kirchgemeinde“ mit keinem Wort erwähnt wird. Am 9. Mai 1935 beschloss der Kirchgemeinderat auf Antrag der Kommission die Herabsetzung des Lohnes der Lehrerin um 5%, „wie es der Staat schon getan hat“. Offensichtlich war die Durchsetzung des Obligatoriums für den Schulbesuch für „sämtliche Töchter“, auch der Dienstmädchen, für das Komitee schwierig und führte zu häufigem Wechsel im Präsi- dium, wie der Kirchgemeinderat Ende 1935 feststellen musste. Das Obligatorium galt schon seit 1920 für alle Mädchen ab Schulaustritt bis zum 20. Altersjahr. Die fakultative Lösung in andern Gemeinden wurde damit begründet, dass diese ein Schulkochen während des Unterrichtes anbieten würden360. Im Frühling 1947 stellte der Kirchgemeinderat fest, dass alle vier Gemeinden der Einführung des Kochunterrichts der Mädchen im 9. Schuljahr zugestimmt haben in Verbindung mit dem Hauswirtschaftsunterricht auf Frühjahr 1948. Dazu musste nun die Einrichtung beschafft werden mit einem Budget von Fr. 10‘000.-. Dieser Betrag musste von den vier Ge- meinden aufgebracht werden361. Auf 1948 wurde das obligatorische Schulkochen eingeführt. Die vier Gemeinden be- schlossen die zentrale Durchführung in Wichtrach in Verbindung mit dem hauswirtschaftlichen Unterricht. Dies führte auf Grund der kantonalen Anforderungen zu Um- und Ausbauten mit Kostenfolge von Fr. 13‘600.-. In der Diskussion begann sich dabei die Entwicklung weg vom befeuerten zum elektrischen Kochherd abzuzeichnen 362. Im Herbst 1949 wurde in der bürgerlichen Kirchgemeinde mit einem neuen Reglement die landwirtschaftliche und haus- wirtschaftliche Fortbildungsschulen in einem Kreis zusammengefasst und von den 4 Gemeinden genehmigt. 1954 wurde das Reglement für den hauswirtschaftlichen Unterricht vollständig überarbeitet. Die neuen Pflichtfächer „Waschen“ und „Bügeln“ erforderten bauliche Anordnungen und Beschaffungen363. Bei der Prüfung durch die Erziehungsdirektion wurde festgestellt, dass die „Wichtracher-Lösung“ im Sinne eines Gemeindeverbandes in formeller wie materieller Hinsicht ein Unikum im Kanton darstelle, das man prüfen wolle! Primär standen zur Diskussion die Stellung des Kirchgemeinderates

354 Historisches Archiv Niederwichtrach, B18860808, S. 27 355 Historisches Archiv Niederwichtrach, B 18740808, Seite 68, 152, 164, 170 356 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1879-1911, S. 288, 292 357 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 6, 8, 10, 12, 14, 15, 16, 19, 22 358 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1911-1921, S. 176, 182 359 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1921-1934, Seite 112 360 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1934-1945, Seite 16, 19 361 GR-Protokolle Niederwichtrach 1941-47, Seite 315 362 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1945-1953, Seite 58, 63, 65, 69, 105, 108 363 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1953-1966, Seite 94, 99, 103, 109, 110

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 51 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 als Exekutivorgan auch der bürgerlichen Abteilung und die Räumlichkeiten für den Unterricht, die im Besitz der Kirchge- meinde waren. Schlussendlich stimmte die Gemeindedirektion und die Erziehungsdirektion der „Wichtracher-Lösung“ zu. Am 26.7.1990 genehmigte die (bürgerliche) Kirchgemeindeversammlung ein neues Hauswirtschaftsreglement364. Gemäss dem Volksschulgesetz mussten die Hauswirtschaftskommissionen bis spätestens 1.8.1996 aufgelöst und deren Aufgaben an die Schulkommissionen übertragen werden. Die Vorbereitung der Übertragung erfolgten im Jahre 1995 so, dass per 31.12.1995 die Hauswirtschaftskommission aufgelöst werden konnte365.

364 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1989-1996, Seite 16 365 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Protokolle Kirchgemeinderat 1989-1996, Seiten 62, 74, 79

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 52 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 Anhänge Anhang 1: Zeittabelle Die Zeittabelle enthält die Zeitangaben chronologisch zu Wichtrach in diesem Heft zu dieser Zeitperiode. Periode, Bezeichnung, Ereignis Seite(n) Datum 1. – 4. Jahrh. Römische Periode, römischer Gutshof in Wichtrach, evtl. mit 1. Kapelle 31 Ende 6. Jahrh. Der feste Bischofssitz in Lausann wird gegründet. Anh. 2 Beg. 7. Jahrh Bistum Konstanz wird gegründet Anh. 2 934 Gründung Benediktinerkloster Einsiedeln Anh. 2 1095-1291 Kreuzzüge 1099 Eroberung Jerusalem, 1291 fällt Akkon: Belege zur Kirche Wichtrach Anh. 2 1127-1128 Gründung Augustiner-Kloster Interlaken Anh. 2 1180 Sacerdote (Priester) Hugo de Wichroho ist Zeuge bei einer Schenkung 14 1275 Erwähnung von Wichtrach („Withera“) im Liber decimationis des Bistums Konstanz 14 1333 Philipp Hagenauer wird Kirchherr von Wichtrach 14 1406 Bern kauft die landgräflichen Rechte in Kleinburgund von den Kyburgern 4 1474 Wahrscheinliche Erbauung der ersten Kirche/Turm am heutigen Standort 14, 31 1518 Erste Luther-Schriften in der Stadt Bern 5 1522 Pfarrer Jakob Trayer Teilnehmer an Aussprache betr. Pfarrer Brunner, Kleinhöchst. 6, 15 1524 Erste von 3 Volksbefragungen zur Reformation Anh. 4 1525 Ausweisung von Pfarrer Brunner, Wahlfahrtskirche Kleinhöchstetten 6 1527 Kloster Einsiedeln schenkt „Kirchensatz und niederes Gericht“von Oberwichtrach an 15 Sebastian von Stein. 1528 Erlass des Reformationsmandates; damit entstand ua. die Kirchgemeinde Wichtrach 5, Anh. 5 1528 Einführung der Chorgerichte 10 1532 Genehmigung der ersten bernischen Kirchenordnung „Berner Synodus“ 6 1571 Die Kirchengüter werden von den „gnädigen Herren“ übernommen 15 1572 Erster Beschrieb der Pfrund Wichtrach 15 1587 Erste Prädikanten-Ordnung (Aufgaben der Pfarrer) 7 1619 Beginn Protokollierung Chorgericht Wichtrach 11 1687 Eintreffen der Glaubensflüchtlinge aus den Waldenser-Tälern 9 1694 Einteilung aller Pfarreien entsprechend den Pfründen in 3 Klassen („Lohnklassen“). 8 1708-1777 Albrecht von Haller (siehe Hallerstein beim Neuhaus) 10 1744/46 Erweiterung der Kirche, wohl etwa auf die bestehenden Dimensionen 31 1755 Sanierungsarbeiten am Kirchturm, Öffnung des Knaufs 31, Anh. 11 1771 In der Kirchgemeinde gibt es neu 3 Schulen anstelle von 2 mit 3 Schulmeistern H3: S 26 1781-1796 Pfarrer Kisling führt den Esparsettenanbau ein in Wichtrach 16 1798-1803 Helvetik 11 1803-1830 Mediation 16 1804 Staat übernimmt das Kirchengut in Verwaltung, übernimmt Besoldung der Pfarrer 8 1808 Effinger erteilt den Vorgesetzten der Kirchgemeinde Verhaltensvorschriften 17 1808/1809 Beschluss Ersatz der Kirchenglocke sowie Beschaffung und Einrichtung einer Orgel 32 1808-1810 Auseinandersetzung betreffend Nutzung Schulzimmer für Kinderlehre 41 1810 Neue Schulordnung für die Schulen in der Kirchgemeinde 18 1812-1813 Durchsetzen der Weisungen bis zur Entlassung von Schulmeistern 19 1830-1846 Regeneration 22 1831 Ersatz der Chorgerichte durch Sittengerichte 11, 22 1834 Das Amt Kirchgemeinderat wird geschaffen, die Synode eingeführt 12 1852 Die Landeskirche entsteht 12 1856 Beschaffung von drei neuen Glocken und Ersatz Turmuhr 32 1860 Reglement der Kirchgemeinde Wichtrach mit Corporationskapital 22, Anh. 7 1867 Erste dokumentierte Friedhoferweiterung 38 1874 Neues kantonales Gesetz über die Organisation des Kirchenwesens 18, 23 1874 Neues Reglement der Kirchgemeinde, Behörden reduziert 13, 23 1875 Schaffung des Zivilstandsbezirk Wichtrach entgegen der ersten Absicht des Kantons 223, 51 1882 Güterausscheidung zwischen der Kirchgemeinde und den 4 Einwohnergemeinden 23, 47 1885 Teile der Pfrunddomäne Wichtrach werden versteigert 22 1885 Der Chor der Kirche kommt an die Kirchgemeinde 32 1885 Gründung Asyl Gottesgnad für Unheilbare und Blindenheim Bern 24 1887 Friedhoferweiterung auf der Nordseite der Kirche 38 1887 Reglementarische Schaffung des „Kirchgemeinderat bürgerliche Abteilung“ 47 1888 Aussensanierung der Kirche 32 1889 Einsatz Kirchgemeinderat zur Sonntagsheiligung gegen Schützen- und andere Vereine 24 1889 Eine vollständig neue Bestuhlung der Kirche wird beschlossen 33 1890 Beschluss zur Einführung des neuen schweiz. Kirchengesangsbuches 29 1892 Die Erinnerungstafel für den 1798 ermordeten General von Erlach wird angebracht 23

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 53 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000

1894 Gründung eines Kirchenchors 29 1894 Übertragung von Pfarrhaus, Ofenhaus und Pfrundmatte vom Kanton an die Kirchgemeinde 22, Anh. 10 1894 Auseinandersetzung wegen Abriss Schulhaus Oberwichtrach betr. Unterweisungslokal 42 1895 Ersatz der Heizung der Kirche 32 1897 Ersatz der hölzernen Röhren der Wasserleitung vom Breitenbach zum Pfarrhausbrunnen 40 durch „irdene“ (Tonröhren) 1899/1900 Sanierung Innenraum der Kirche und Ersatz der Orgel 32 1900-heute Start mit den Waldgottesdiensten im Juli/August (wegen Sanierung) 25, 33 1902 Gründung der landeskirchlichen Stellenvermittlung im Amt Konolfingen 25 1903 Neugründung Kirchenchor Wichtrach 30 1911 Schaffung der Mädchen-Fortbildungsschule durch Kirchgemeinde 25, 52 1913 Brand Kirchturm nach Blitzeinschlag 34 1914-1918 1. Weltkrieg 25 1918 Elektrifizierung der Orgel, der Glocken und der Küche im Pfarrhaus 36 1918-1919 Spanische Grippe 25 1919 Ersatz Ofenhaus/Pfrundspeicher durch das erste „Kirchgemeindehaus“ 42 1921 Einführung des Frauenstimmrechtes in kirchlichen Angelegenheiten in Wichtrach 26, 46 1921 Reglementierung Gemeindeverband bürgerliche Kirchgemeinde Wichtrach 48 1925 Gründung Ferienheim 44 1929 Kirchgemeinderat unterstützt positive Haltung zugunsten militär. Landesverteidigung 26 1932 Einrichtung einer Schwerhörigenanlage in der Kirche 37 1942 Schaffung des Regultivs für die Angestellten der Kirchgemeinde 31 1948 Beginn der „Jungen Kirche“ 29 1948 Neues Reglement der Kirchgemeinde 27 1948 Innensanierung der Kirche mit neuer Orgel 34 1950 Einführung der Säuglingsfürsorge und der Mütterberatungsstelle 27 1953 Fertigstellung des neuen Pfarrhauses 41 1967 Eigener Platz für Urnengräber 30 1968 Kauf „Materialschuppen“ und Einbau WC und Taufezimmer 38 1973 Zustimmung zum Einsatz vonTheologinnen in ein volles Pfarramt 14 1974 Schaffung Parkplatz und Verlegung Chilchwägli 38 1977 Bau der Aufbahrungskalle 39 1980 Schaffung der 2. Pfarrstelle in Wichtrach, vorerst 60%, dann 75% 31 1986 Neukonzept des kirchlichen Unterrichtes 28 1986 Aufrichtefest des neuen Kirchgemeindehauses 43 1989 Schaffung Gemeindeverband bürgerliche Kirchgemeinde Wichtrach 49 1990 Genehmigung eidg. Anerkennungsgesetz für andere Religionen 14 1991 Sanierung Kirchturm mit Öffnung des Knaufs 35 1991 Schaffung des Gemeinschaftsgrabes 37 1991 Zurverfügungstellung der Kirche für bestimmte Freikirchen und Sekten 28 1994 Sondierbohrungen im Kirchenschiff führen zu früheren Bauten 14, 31 1998 Revision Reglement Gemeindeverband bürgerliche Kirchgemeinde Wichtrach 50 2000 Regionalisierung des Zivilstandswesens, nicht mehr bürgerl. Kirchgemeinde 50 2006 Gemeindeversammlung Wichtrach beschliesst Revisionsantrag bürgerl. Kirchgem. 50 2008 Sanierung Innenraum der Kirche 35 2009 Gründung Gemeindeverband für das Bestattungs- und Friedhofwesen 50

Anhang 2: Die Christianisierung der Schweiz Ausgewählt und zusammengefasst366: Peter Lüthi Das Christentum verbreitete sich über die Strukturen des Römischen Reiches. Dieses wurde im 4. Jahrhundert im Zuge einer Verwaltungsreform in vier Präfekturen, diese in sog. Diözesen und diese wiederum in Provinzen aufgeteilt. Alte Siedlungen wie Genf, Sitten, Chur oder Basel entwickelten sich zu selbständigen Civitates367, die für den Aufbau von Kirchen und Bischofssitzen (Bistümer) in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts von Bedeutung waren. Weil Romanisierung und Urbanisierung des Landes im Westen und Süden (Mittelland, Genferseebogen, Tessin) ausgeprägter waren als im Osten, verlief die Verbreitung des Christentums nicht linear und erstreckte sich über mehrere Jahrhunderte. Mehrere Funde belegen die Präsenz von Christen ab der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, so sind sakrale Bauten in Genf und in Martigny bezeugt. An der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert wurde der sakrale Raum vergrössert und vom profanen Bereich getrennt. Erste Beispiele von Kirchen, die wie in Zurzach in einem Castrum angelegt sind, werden dieser Epoche zugeschrieben. In den meisten dieser Baukomplexe wurden Baptisterien nachgewiesen, was die zentrale Bedeutung der Taufe für die Urkirche belegt. Die bischöfliche Tradition geht ebenfalls auf die 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts zurück.

366 www.hls.ch, Christianisierung, Anne Bielman 367 Cívitas (Plural: Civitates), wörtlich „Bürgerschaft“, ist das lateinische Wort für eine halbautonome Verwaltungseinheit der mittleren Ebene. Die civitates bestanden stets aus einem städtischen Zentrum nebst Umland und wurden meistens nach ihrem Hauptort oder dem zugehörigen Stamm benannt.

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Unter dem Einfluss der Klöster im französischen Jura, allen voran jenem von Condate (Saint-Claude), entstanden auch in der Schweiz einige Klostergemeinschaften. Die Ansiedlung der Burgunder in der Mitte des 5. Jahrhunderts förderte diese Bewegung. Die Burgunderkönige traten auf Druck ihrer Gattinnen und des Klerus zum katholischen Bekenntnis über. Mit Hilfe der Kirche festigten sie ihre Macht gegenüber den herrschenden katholischen Schichten in ihrem Reich. 515 be- stimmte der Burgunderprinz Sigismund Acaunum368 zum religiösen Zentrum. Weitere Klöster wie Romainmotier sind seit Anfang des 6. Jahrhunderts belegt. Als die Franken 534 über die Burgunder siegten, war das Christentum im Gebiet der heutigen Westschweiz schon fest verankert. Die Bistümer (Diözesen) In der römisch-katholischen Gesamtkirche sind Bistümer (oder Diözesen) Teilkirchen, die von einem Bischof geleitet wer- den. Im Regelfall ist jedes Bistum einer Kirchenprovinz (Erzbistum) eingegliedert. Nach innen ist jedes Bistum in Pfarreien gegliedert, die ihrerseits in Dekanaten zusammengefasst werden können. Für unseren Raum massgebend sind die beiden Bistümer Lausanne und Konstanz, die Aare bildete die Grenze zwischen den beiden und dem Bistum Basel. Die Stadt Bern gehörte zum Bistum Lausanne. Bistum (Diözese) Lausanne369 Das zu Beginn des 6. Jahrhunderts als letzte Diözese der Westschweiz entstandene Bistum Lausanne umfasste Territorien der ehemaligen civitas Helvetiorum. Es wurde innerhalb jener Gebiete gegründet, die sich bis anhin im Einflussbereich der Bischöfe von Genf und Sitten befunden hatten (bezeugt ab Ende des 4. Jahrhunderts). Der Amtsinhaber errichtete zwi- schen dem Ende des 6. und dem Beginn des 7. Jahrhunderts aus militärischen, handelstechnischen und geographischen Gründen einen festen Bischofsitz in Lausanne. Wahrscheinlich erreichte die Diözese vor dem 12. Jahrhundert ihre defini- tiven Grenzen, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts unverändert blieben. Die geistliche Macht des Bischofs von Lausanne erstreckte sich auf ein Territorium von 8'200 km2, das auf beiden Seiten der Sprachgrenze lag und die späteren Kantone Freiburg und Neuenburg, einen erheblichen Teil der Kantone Waadt und Bern, den Stadtbezirk Solothurn und drei Ortschaften der Freigrafschaft Burgund umfasste. Bistum (Diözese) Konstanz370 Das Bistum Konstanz, das zu Beginn des 7. Jahrhunderts gegründet wurde, war jenes der Alemannen. Diese waren mehrheitlich heidnisch, als sie sich an beiden Rheinufern niederliessen. Die Iren Kolumban und Gallus, die aus Luxeuil (Vogesen) vertrieben und in den Osten des fränkischen Reiches geflohen waren, wollten in Tuggen ein Kloster gründen. Ihr Ansinnen stiess jedoch bei der Bevölkerung, die Wodan verehrte, auf Widerstand. Hingegen christianisierten sie 610- 612 erfolgreich die Einwohner von Bregenz. Die ersten Sakralbauten auf alemannischem Gebiet waren das im 7. Jahr- hundert gegründete Kloster Säckingen und die von Gallus gegründete Einsiedelei an der Steinach (um 612). Zudem wur- den im 7. Jahrhundert mehrere Kirchen errichtet. Die grosse Klostergründungswelle im 8. Jahrhundert fand in einem be- reits christianisierten Land statt. Die Diözese Konstanz, das zu seiner Zeit grösste der deutschen Bistümer, existierte rund 1'200 Jahre bis 1827. Gegen Ende des Mittelalters umfasste sie 64 Dekanate, um die 17'000 Priester sowie 350 Klöster. Grosse Teile der heutigen Deutschschweiz gehörten bis 1815 zur Diözese Konstanz. Die Gründung des Bischofssitzes in Konstanz dürfte auf die Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert zu datieren sein. Erst im 8. Jahrhundert nimmt das Bistum Konstanz deutlichere Formen an. 732-782 verwalteten Konstanzer Bischöfe zugleich als Äbte das Kloster Reichenau, 759-854 war das Kloster St. Gallen der Konstanzer Bischofskirche einverleibt. Ab dem Ende des 14. Jahrhunderts mussten sich die Bischöfe zunehmend mit der Frage befassen, wie sie sich gegenüber den erstarkenden Eidgenossen und deren Gegner, den Herzögen von Öster- reich, verhalten sollten. Das Bistum Konstanz war, wie auch die andern Bistümer, in Archidiakonate eingeteilt. Unser Ge- biet gehörte zum Archidiakonat Burgund, dieses war um 1300 in 4 Dekanate aufgeteilt: Langnau, Wengi, Lützelflüh, Dür- renrot (siehe Kapitel 1.1.). Vor der Reformation bestand das Archidiakonat Burgund aus den Dekanaten Winau, Aarberg (Büren) und Münsingen. Mönchtum, Klöster Das Mönchtum entstand in seinen zwei Grundformen, dem Eremitentum und dem Zönobitentum (Leben in brüderlicher Kommunität) im späten 3. und im 4. Jahrhundert in Ägypten, Palästina und Syrien. Schon im 4. Jahrhundert fand es Eingang in die westliche Kirche. Zur Zeit der Völkerwanderung erreichte das Mönchtum auf der Inselgruppe Lérins vor Cannes eine bis in die heutige Westschweiz nachweisbare Ausstrahlung. Die Brüder Romanus und Lupicinus gründeten zuerst um 430 in Condat (heute Saint-Claude) im Gebiet des späteren französischen Juras ein Eremitorium. Condat griff wahrscheinlich nach Romainmôtier über. Grosse Förderer des Mönchtums waren einerseits einflussreiche Bischöfe und andererseits fränkische Fürsten und merowingische Könige. Das Schicksal der Klöster hing von der Nähe zu ihnen ab, die durch Gewährung von Immunität, freier Abtwahl und Schenkungen die Klöster rechtlich und materiell absicherten und zugleich in den Dienst des Reiches nahm, Äbte fungierten zum Beispiel als Kanzler von Königen371. Im Raume der Kirch- gemeinde Wichtrach waren die Klöster Einsiedeln (gegründet 934) und Interlaken (gegründet 1127/28) massgebend. Die Kreuzzüge Die Kreuzzüge der Völker des christlichen Abendlands waren strategisch, religiös und wirtschaftlich motivierte Kriege zwi- schen 1095/99 und dem 13. Jahrhundert. Im engeren Sinne werden unter den Kreuzzügen nur die in dieser Zeit stattge- fundenen Orientkreuzzüge verstanden, die sich gegen die muslimischen Staaten im Nahen Osten richteten. So zählt man vom 1. Kreuzzug (1096 – 1099, Ziel: Jerusalem) bis zum 7. Kreuzzug (1270 – 1396, Ziel schlussendlich: Eindämmung des

368 St. Maurice, Wallis 369 www.hls.ch, Stichwort Lausanne (Diözese), Gilbert Coutaz 370 www.hls.ch, Stichwort Konstanz (Diözese) 371 www.hls.ch, Stichwort Mönchtum, Carl Pfaff

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 55 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 osmanischen Vordringens in Europa) 372. Nach dem 1. Kreuzzug wurde der Begriff „Kreuzzug“ auch auf andere militärische Aktionen ausgeweitet, deren Ziel nicht das Heilige Land war. In diesem erweiterten Sinne werden auch die Feldzüge gegen nicht christianisierte Völker wie Wenden, Finnen und Balten, gegen Ketzer wie die Albigenser und gegen die Ostkirche dazu gezählt. Wichtrach war zumindest in finanziellen Belangen betroffen (siehe Kapitel 2.1.).

Anhang 3: Pfarrer und Pfarrerinnen der Kirchgemeinde Wichtrach Amtsantritt Amtende Name, Vorname Bemerkungen Quelle Vor der Reformation 1180 Hugo Priester 0 1236 Burkhard 0 1257 Cuno von Rüti 8 1322 Johann wahrsch. Johann von Wichtrach, Rector eccl. 8 1354 Albanus Dekan von Münsingen 8 1393 Heinrich Leutpriester 0 1394 Von Blumenstein Johann von Blumenstein Johann, Kilchherr 0, 8 1408 Ruf Binden 8 1423 Feissgruber Johann Name korrekt? 0, 8 1434 Schmid Albrecht Schmid Albrecht, Kilchherr 0, 8 Hans Matter 8 1467 Muczler Johann 9 1474 Leberli Johannes 9 1481 Mannberger Johann 9 1486 Hans Stryt 8 Nach der Reformation 1500 1542 Trayer Jakob Früher Kirchherr zu Büren; ab 1528 Kammerer 1, 8 von Münsingen 1542 1544 Mathys Peter 1544 landesflüchtig wegen Unzucht 1, 8 1544 1545 Huber Peter 1545 als Helfer nach Burgdorf 1, 8 1545 1548 Wellendinger Johann Ullrich 1548 als Pfarrer nach Diessbach 1 1548 1550 Rasdorfer Paul 1550 als Pfarrer nach Herzogenbuchsee 1, 8 1550 1566 Gasser Jakob 1566 als Pfarrer nach Diessbach 1, 8 1566 1578 Von Rümlang Jakob Gestorben 1578 1, 8 1578 1587 Furer Heinrich Gestorben 1587 1, 8 1587 1606 Mäuslin David War Kammerer, gestorben 1606 2, 8 1606 1611 Zerleder Conrad Gestorben 1611 2, 8 1611 1636 Tscheer Johannes Gestorben 1636 2, 8 1637 1659 Dick David Gestorben 1659 3, 8 1659 1661 Bucher Samuel Gestorben 1661 3, 8 1661 1686 Dysli Elias Gestorben 1686 3, 8 1686 1702 Gryff Johann Ulrich Gestorben 1702 3, 8 1702 1725 Müller Wolfgang Gestorben 1726 4, 6, 8 1726 1727 Zehender Daniel Gestorben 1727 4, 8 1727 1732 Masse Samuel Gestorben 1732 4, 7, 8 1732 1765 Plüss Abraham Gestorben 1765, 87 jährig in Wichtrach 4, 8 1765 1781 Dysli Johann Heinrich starb 68 jährig in Wichtrach, war Pfarrer am 1, 8 Münster 1781 1796 Kisling Johann (Rudolf?) Karl starb 84 jährig in Wichtrach 1, 8 1796 1802 Rengger Rudolf starb 76 jährig in Wichtrach 1, 8 1802 1808 Ganting Johannes starb 75 jährig in Wichtrach 1, 8 1808 1821 Wyss Johann Rudolf „der Ältere“, Demission 1821 1, 8 1821 1828 Gysi Johann Friedrich 1828 als 2. Pfarrer nach Thun 1, 8 1828 1856 Neuhaus Gabriel Demission 1857 1, 8 1856 1886 Hartmann Friedrich Emanuel 1886 nicht wiedergewählt 5, 8 1886 1905 Stierlin Leonhard 5 1906 1915 Schmid Wilhelm Leo Starb 12./13. August 1915 „allzufrüh“ in Watten- 5, 10 wil im Erholungsurlaub nach Magenoperation 1916 1926 Fischer Albert Installation am 13.2.1916; Starb Sept.1926 in 5 Wichtrach 1927 1954 Ochsenbein Max Installation am 13.2.1927 5 1954 1972 Frautschi Emanual 5 1973 1986 Goebel Reinhard 5 1978 1980 Hänni Beat Vikariat 5 1980 1992 Fuhrer Eduard Ersatz Hänni, dann 2. Pfarrer mit Goebel 5

372 www.wikipedia.org

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1992 1996 Stricker Liselotte Vikariat 5 1986 Galli Christian Nachfolge Pfarrer Goebel 5 1997 2003 Flury Rosemarie 5 1997 1999 Kilchenmann Bernhard 5 2000 2007 Moser Doris Nachfolge Pfarrer Kilchenmann 5 2004 Bär-Zehnder Christine Nachfolge Pfarrerin Flury 5 2008 Steinmann Müller Ruth Nachfolge Pfarrerin Moser 5

Legende Quelle: 0 = Liste Schulmanual 1820-1829, Seite 98, Archiv Kirchgemeinde Wichtrach („Verzeichnis der Pfarrherren zu Wichtrach, so viel aus alten Urkunden und neueren Verzeichnissen aufgefunden werden konnte, als fortzusetzende Merkwürdigkeit für aufgezeichnet bey Anlass der Reformations Jubelfeyer 1828“) 1 = Liste Pfarrer Leo Schmid 2 = Kirchenbuch Wichtrach Nr. 2, STAB (CD Kirchenbücher Kirchgde. Wichtrach, L.B. Rohrbach) 3 = Kirchenbuch Wichtrach Nr. 3, STAB (CD Kirchenbücher Kirchgde. Wichtrach, L.B. Rohrbach) 4 = Kirchenbuch Wichtrach Nr. 4, STAB (CD Kirchenbücher Kirchgde. Wichtrach, L.B. Rohrbach) 5 = Verzeichnis Sekretariat Kirchgemeinde Wichtrach, Hist. Archiv Niederwichtrach, B19120407, Seite 178 6 = STAB, B III 292, Verzeichnis der Geistlichen und der Pfründen der deutschen Lande, 1625-1737: Gemäss diesem Verzeichnis hiess der Pfarrer in Wichtrach in dieser Zeit Wolfgang Molitor 7 = STAB, B III 292, Verzeichnis der Geistlichen und der Pfründen der deutschen Lande, 1625-1737: Gemäss diesem Verzeichnis hiess der Pfarrer in Wichtrach in dieser Zeit Samuel Macè 8 = Carl Friedrich Ludwig Lohner, „Die reformierte Kirchen und ihre Vorsteher im eidg. Freistaate Bern“, Thun 1864/1865; überprüft und mit Handnotizen von K. Guggisberg in „Vorarbeiten zu die bernischen Kirchgemeinden und ihre Pfarrer“ 9 = Freiburger Diözesan Archiv, Investiturprotokolle der Diözese Konstanz aus dem 15. Jahrhundert 10 = Protokoll Kirchgemeinde Wichtrach, 1911-1921, Seite 103

Kilchherren (vor der Reformation, eingesetzt durch den Abt von Einsiedeln) 1394 von Blumenstein Johann, Kilchherr 1434 Schmid Albrecht, Kilchherr 1465 Streng Hans, Kilchherr

Anhang 4: Zu den Volksbefragungen anlässlich der Reformation Die erste Befragung 1524373 Von den eingegangenen Antworten der Volksbefragung sind noch neunzehn erhalten. Die meisten Ämter stimmten für Beibehaltung des alten Glaubens, wobei vor allem Fastengebote, Marien- und Heiligenverehrung genannt werden. Man wollte keine neuen Bräuche. Die lutherische Bewegung wird abgelehnt, von Zwingli ist nicht die Rede. Eine intimere und tiefere Kenntnis der reformatorischen Anliegen ist in den Antworten nicht feststellbar. Den Priestern sollte das Heiraten nicht verwehrt werden, nur mussten sie in diesem Fall auf die Pfründe verzichten. Das Obersimmental verlangte entschie- den die Ausweisung der verehelichten Priester. Mehrere Ämter stellen fest, Luthers Auftreten habe nur Unruhe, Verwirrung und Spaltung hervorgerufen. Nur das Haslital anerkennt, er habe doch auch manches recht erklärt und aus der Bibel bewiesen, ohne dass freilich daraus viel gute Frucht erwachsen sei. Mehrfach wird die Predigt des Evangeliums „wie bisher“ gefordert. Burgdorf wäre für Einberufung eines Konzils, das die Glaubensfragen durchsprechen sollte. Immer wie- der wird die Bitte ausgesprochen, sich doch ja nicht von den Eidgenossen zu trennen. Die zweite Befragung 1526374 Wiederum gedrängt durch die politische Situation der beiden Glaubensparteien in der Eidgenossenschaft entschloss sich die Regierung, erneut durch Einholung der Volksmeinung Klarheit zu verschaffen und zugleich dem Volke seinen Teil der Verantwortung für die eidgenössischen Geschäfte aufzulegen. Nun zeigte sich, dass auch in der Landschaft keine einheit- liche Stellungnahme mehr vorhanden war. Die Antworten liefen im Februar und März 1526 ein. Bis dahin schien es, den paar neugläubigen Theologen sei es nicht gelungen, die Masse in religiösen Schwung zu bringen und den auf dem Lande fest verwurzelten Glauben der alten Kirche zu gefährden. Nun war der unentwegt ausgestreute Samen da und dort doch aufgegangen. Zwölf Schreiben verlangten, dass Bern sich entschlossen und eindeutig zu den alten Orten schlage, elf wollten allen Ständen, also auch Zürich, die Bünde halten, und vier stellten sich klar auf die Seite der Neugläubigen. Die übrigen überliessen die Entscheidung dem Rate. Einige fanden Worte, die schon über die Schranken der Zeit hinauswie- sen. So meinte Thun, die Änderung der Messe und der übrigen Sakramente habe doch auf die Bünde gar keinen Einfluss. Diese vernünftige Ansicht aber drang damals nicht durch. Eine politische Bündnisbildung ohne bekenntnismässige Einheit lag noch ausserhalb des Möglichen. Aarberg schrieb, man solle jeden Teil doch glauben lassen, was er Gott gegenüber verantworten könne, und ganz ähnlich Büren: Weil der Glaube ungezwungen und aus freiem Willen hervorgehen solle, möge man doch jedem zugestehen zu glauben, was ihm anmutig sei und wozu er dereinst am Jüngsten Tag stehen könne. Fast alle verlangten, dass der Rat auch weiterhin um die Schlichtung des Streits und um die Einigkeit bemühe, und mehrere wünschten die Durchführung einer Disputation.

373 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, Seite 84 f 374 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, Seite 92 f

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Die Beratung und Beschlussfassung vom 21. Mai 1526375 Am Tage der Eröffnung der Badener Disputation versammelten sich Räte und Burger samt den Ausschüssen vom Land zur Beratung der strittigen Glaubensfragen. Gleichzeitig waren, ungeladen, katholische Boten in Bern aufgetaucht. Es ist wohl ihrem Einfluss zuzuschreiben, dass die Abgeordneten der Landschaft fast durchwegs beim alten Glauben bleiben wollten. Nur die zwei Ämter Schenkenberg und Erlach verlangten das reine Wort der heiligen Schrift. Aus der Beratung ergaben sich folgende, allerdings nicht einstimmig gefassten Beschlüsse: • Man will sich nicht von den Eidgenossen absondern, sondern beim alten Glauben bleiben, allerdings gemäss dem Wortlaut des Mandates vom 7. April 1525, aus dem nur der Artikel gestrichen wird, der den Glauben an das Fegefeuer freistellt. • Es ist verboten, andere lutherisch, zwinglisch oder päpstlich zu schelten oder Schriften zu lesen, die sich gegen den alten Glauben wenden. • Priester, die nicht auf bernischem Boden geboren sind und sich verheiraten, werden aus dem Lande gewiesen. Dieses Pfingstmontagsmandat, das vierte Reformationsmandat, auf das gleich alle geistlichen und weltlichen Amtsträger vereidigt wurden, bedeutete eine Annäherung an die Altgläubigen, gab aber den inneren Orten doch auch zu verstehen, dass Bern jede feindliche Aktion gegen Zürich ablehnen werde. Die Beschlüsse wurden gefasst, bevor die Badener Dis- putation einen Entscheid fällen konnte. 3. Befragung 1527376 Nachdem die Reformfreudigen im Grossen und Kleinen Rat die Mehrheit gewonnen hatten, wurde wieder eine Gemeinde- und Ämterversammlung zu den Glaubensmandaten geladen. Der Grosse Rat hatte ohne lange Diskussion das Mandat Viti und Modesti zur Grundlage genommen, freilich mit dem Zusatz, Sakramente, Messe und kirchliche Zeremonien müss- ten beibehalten werden. Über diesen Beschluss sollten nun die Versammlungen auf dem Lande befinden. Die grosse Mehrheit stimmte, teilweise wohl aus Rücksicht auf die Stadt, für das Mandat, sechs entschieden sich für die Predigt des Wortes Gottes, was der Zustimmung zur Regierung gleichkam. Zofingen und Aarau wollten den Entscheid einfach der Obrigkeit überlassen, und nur sechs Ämter setzten sich noch für das Pfingstmontagsmandat von 1526 ein, vor allem Teile aus dem Oberland und Luzern benachbarter Gebiete. 4. Befragung vom 30. April 1528 Bei dieser Befragung ging es darum, ob man das Reformationsmandat vom 7. April 1528 annehmen wolle. Sie fand statt an einem Landtag vom 30. April 1528 in Konolfingen377.

Anhang 5: Das Reformationsmandat von 1528 Abschrift der Zusammenfassung von K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, Seite 116 f. Die im Mandat niedergeschriebenen Beschlüsse lauten in den wesentlichsten Bestimmungen wie folgt: 1. Es wird bezeugt, man habe erkannt, dass die zehn Schlussreden378 in der göttlichen Schrift begründet sind. Deshalb soll man sie zur Richtschnur nehmen und alle müssen darin der Obrigkeit gleichförmig werden. Die Pfarrer dürfen in keiner Weise gegen sie predigen und lehren, sonst gehen sie ihrer Pfründe verlustig. Damit sind sie ihres Priestergelübdes ent- hoben und der weltlichen Obrigkeit allein verpflichtet. Sie haben das Volk treu im göttlichen Wort zu unterweisen, damit es nach diesem lebe. 2. Da die vier Bischöfe trotz der Einladung nicht an der Disputation teilgenommen und ihre Schäflein nicht geweidet, sondern geschoren haben, hat Bern ihr beschwerliches Joch abgeworfen. Freilich sind dafür auch noch andere Motive bestimmend gewesen. Das Berner Volk ist nun all ihrer Lasten, Abgaben, Mandate und Vorschriften ledig. Wären die Bischöfe überzeugt gewesen, alle diese Dinge aus Gottes Wort beweisen zu können, dann wären sie gewiss nicht ausge- blieben. Mit dieser handfesten Logik wurden sie ins Unrecht gesetzt, und wieder einmal erwies sich das Sprichwort als wahr, dass die Abwesenden Unrecht haben. 3. Alle Dekane und Kammerer (d. h. Vizedekane und Kassiere) des bernischen Landes werden ihres Eides gegenüber dem Bischof enthoben. Sie haben nur noch der weltlichen Obrigkeit zu schwören. Dekane, die wider das Evangelium sind, sollen durch gottesfürchtige Männer ersetzt werden. Die Dekane haben auf die Pfarrer, ihre Predigt und ihren Lebenswan- del acht zu geben und sie, wenn es nötig sein sollte, an den Kapiteln, d. h. den Pfarrversammlungen ihres Bezirks zu ermahnen. Hilft dies nichts, so ist Meldung an den Rat zu erstatten. Untaugliche Pfarrer sind zu entfernen, und zwar hat dazu die weltliche Obrigkeit die Kompetenz. 4. Alle bernischen Untertanen, die fremde Kirchen besuchen müssen, sollen sich nur an die Mandate der Berner Regierung halten. Andererseits ist diese auch bereit, auswärtigen Untertanen, die eine Kirche auf bernischen Boden besuchen, die Freiheit des Glaubens einzuräumen. Keinem darf etwas aufgeladen werden, das er billigerweise nicht zu tragen vermag. Das Mandat versichert, es wolle keine Rechte kränken und allen Orten und Zugewandten die Verträge halten. Der später

375 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, Seite 93 f 376 K. Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte, S. 99 377 Die Rechtsquellen des Kantons Bern, 2. Teil, 4. Band: Das Recht des Landgerichts Konolfingen, Seite 138 378 Schlussreden der Berner-Disputation von 1528.

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 58 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 im Zeitalter des Konfessionalismus so hemmend und belastend wirkende Grundsatz der Einheit von Herrschaft und Reli- gion hat hier, wenigstens theoretisch, eine Grenze gefunden. 5. Die Obrigkeit stellt fest, sie habe auf Grund von Gottes Wort in der Stadt Messe und Bilder abgeschafft, da diese den Menschen vom Schöpfer ablenkten und jene Gottes Ehre abbreche und das ewige Opfer Christi lästere. Aber da die evangelische Erkenntnis noch nicht überall durchgedrungen sei und viele sich vor Neuerungen scheuten, wolle sie nicht hart und übereilt vorgehen, sondern den noch unentschiedenen Gemeinden erlauben, über Abschaffung von Messe und Bildern durch eigene Abstimmung zu befinden. Bei Androhung schwerer Strafe wird aber verboten, einander darob zu schelten. 6. Aus den bisherigen Beschlüssen folgt, dass die Sakramente und die Ordnungen der Kirche geändert werden müssen. Die Obrigkeit sichert zu, alles nach göttlichem Willen auszuführen und den Pfarrern schriftlich Bescheid zu geben. Es ist klar, dass man nicht schon eine fertige reformatorische Kirchenordnung bereit hatte, sondern alles Einzelne erst erdauern musste. 7. Es wird untersagt, die Leistungen, die mit der Messe, den Jahrzeiten und andern Stiftungen verbunden sind, eigen- mächtig abzuschaffen. Zins, Zehnten und Renten aus kirchlichen Stiftungen müssen wie bisan bezahlt werden, damit alle, die in Klöstern und Kirchen verpfründet sind, lebenslänglich ihr Auskommen haben. Nach ihrem Tode oder nach ihrer Abfindung wird die Obrigkeit anordnen, was sie vor Gott und weltlichem Recht verantworten kann. Jedenfalls werde sie dieses Gut nicht zu ihrem Nutzen einziehen. Vergabungen, deren Stifter noch leben, gehen auf ihr Begehren hin an diese zurück, alle andern bleiben weiter bestehen. Ebenso dürfen Kaplaneien und Pfründen, die von Einzelnen oder Gesell- schaften gestiftet worden sind, zurückgezogen werden, sofern es sich nicht um Pfarreien handelt. Gehört eine Pfarrei zu einem Kloster, so sind ihr die Pfrundgüter zu übertragen. 8. Was Bruderschaften und Jahrzeiten betrifft, so haben die Brüder die Rechnung der Obrigkeit vorzuweisen. Die festge- setzten Gaben sind weiterhin zu entrichten, jedoch nur zu Gunsten der Armen, worüber die einzelnen Abmachungen mit den Brüdern getroffen werden sollen. 9. Messgewänder und Kirchenzierden, Kleider und Kelche bleiben vorderhand an ihrem Ort. Gesellschaften und Private, die eigene Kapellen und Altäre besitzen, dürfen über die von ihnen selbst gestifteten Kirchenzierden und liturgischen Gewänder frei verfügen. Strittige Fälle sind dem Rate vorzulegen. 10. Gott hat die Ehe niemandem, auch nicht den Geistlichen, vorenthalten. Da auch sie heiraten dürfen, ist ihnen die Hurerei bei Verlust ihrer Pfründen verboten. Verheiratete Prädikanten, die nicht ein ehrbares Leben führen, sind zu bestra- fen. Wer sich verehelicht, darf beim Kirchgang nicht «üppige gfräss oder tänz» anrichten, eine Forderung, die später mehrmals wiederholt und präzisiert werden musste. 11. Das Verbot von Speisen, das Fasten, ist bloß menschliche Satzung. Daher überlässt es die Obrigkeit dem Gutfinden eines jeden, zu fasten oder Fleisch zu essen. Nur soll dabei dem Andersdenkenden kein Ärgernis gegeben werden. Be- sonders in den Wirtshäusern ist das Fleischessen an den sogenannten verbotenen Tagen zu meiden, und die Wirte dürfen niemanden dazu nötigen. Wie früher die Übertretung des Fastengebots mit zehn Pfund Buße bestraft wurde, so wird jetzt die Obrigkeit jeden mit der gleichen Summe belangen, der sich überfüllt oder betrinkt, oder der nach neun Uhr einen Schlaftrunk zu sich nimmt. 12. Mönche und Nonnen dürfen ihr Leben im Kloster beschließen, Novizen aber nicht mehr aufgenommen werden. Klos- terinsassen, die sich verheiraten, können ihr eingebrachtes Gut mitnehmen, sie erhalten bei unzureichenden privaten Mitteln sogar einen Zuschuss aus der Klosterkasse. Wer aus dem Kloster austritt, hat sein Ordensgewand mit einer ehr- baren zivilen Kleidung zu vertauschen. 13. Die Obrigkeit verspricht, in Bezug auf die Chorherren und Kapläne nach Billigkeit zu verfahren. Die Pfarrer haben bei Verlust ihrer Pfründe, falls sie lässig sein sollten, statt der Messe jeweils am Sonntag, Montag, Mittwoch und Freitag Gottes Wort zu verkündigen. 14. Zum Schluss anerbietet sich der Rat, sogleich Verbesserungen vorzunehmen, wenn er mit Gottes Wort anders berich- tet oder eines Irrtums überwiesen werden sollte.

Anhang 6: Die Pfrund Wichtrach Auszug aus dem Urbar der Pfrund Wichtrach, vom Jahr 1751, erstellt 1810 (ohne einleitenden Kommentar) Pfrund Güter, Gebäude und Garten Gebäude Ein jewesender Herr Pfarrherr zu Wichtrach hat zu besizen und zu bewohnen:Ein Pfrund Haus, Scheuer, Speicher, Ofenhaus und Holzschopf samt einem Schweinstall darunter. Gartenland Erstlich hat die Pfrund zu nuzen einen Krautgarten an dem Pfrundhaus gelegen. Stosst Sonnenaufgangs und Mit- tags an die Pfrund Matten, Niedergangs an die Strass und Mitternachts an das Pfrundhaus und Hof Mattland Eine Matten, darin das Pfrundhaus, Hof, Garten und Beunden begriffen; Haltet zusammen ohngefehr vier Määder. Stosst Sonnenaufgangs an die Pfrund Akeren, Mittags an Hans Däppen beym Breitenbach, Niedergangs an die Kilchstrass und Mitternachts an Hans Engimann den Chorweibel. Eine Matten, die Stöklimatt genannt, darin die Pfrundscheuer und Ofenhaus stehet; Haltet ohngefehr drei Määder. Stosst Sonnenaufgangs und Mittnachts an die Strass, Mittags an Niklaus Liechti, Niedergangs an Niklaus Liechti, Hans Marti und Christen Däppen.

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In der Ill, ohngefehr vier Määder (gemäss Verkaufsvertrag = 3 ½ Jucharte). Stossen Sonnenaufgangs an Ulrich Däpp sel. Witib, Mittags an Christen Bluhm und Peter Zürchers sel. Witi, Nieder- gangs auch an Peter Zürchers sel. Witib und Mitnachts an Christen Künzi von Nieder Wichtrach. Verkauf 1830, Kaufbeile pag. 37 Acherland Der Räkholter Acher, Haltend anderthalb Jucharten. Stosst Sonnenaufgangs an Bendicht Däppen des Obmanns Bodenacher, Mittags an Christen Däppen, Christens sel. Sohn, Niedergangs an Niklaus Vögelis sel. Erben Räkholder Acher, und Mitternachts an Hans Däppen beim Breiten- bach. Lerchenberg, zwei Acheren ob der Kirchen, an einander gelegen; der Lerchenberg genannt; da in dem einten die Allée um das Cabinetli befindlich ist; Zusammen ohngefehr fünf und eine halbe Jucharten haltend. Stossen Sonnenaufgangs an Hans Gerber und Hans Däppen, Mittags an Hans Däppen Niedergangs an die Pfrund- matten und an hans Engimann ob dem Kirchhof, und Mittnachts an Alli Gerber von Nieder Wichtrach. Der Bodenacher jetzt Brüggliacher genannt; auf der sogenannten Räkholteren gelegen; Anderthalbe Jucharten hal- tend; Stosst Sonnenaufgangs an Christen Däppen, Mittags an Christen und Bendicht Däppen, Niedergangs an Ob- mann Bendicht Däppen, und Mitternachts an Christen Bluhm. Verkauf 1830 Kaufbeile pag. 33 In der mittelsten Stockeren ohngefähr drey und eine halbe Jucharten in der mitelsten Stokern gelegen. Stossen Sonnenaufgangs an Bendicht Vögeli des Obmanns Dürren Matt, Mittags an Niklaus Vögelis sel. Erben Sto- keren Acher, Niedergangs und Mitternachts an Ulrich Däppens sel Wittib Stokeren Acher. Das Rüteli, eine gute halbe Jucharten Acker, das Rüteli genannt. Stosst Sonnenaufgangs und Mittags an das Win- kelmatt-Gässli, Nidergangs an Bendicht Marpachs Winkel und an die Allmend und Mitnachts auch an die Allmend. Bergacker, ein Stück Acherland, auf der Bergzelg zu Oberwichtrach gelegen, haltet 58.012 Quadrat Schuh. Stosst Sonnenaufgangs an Jakob Hofers Halden Acker, Eingangs an die Berggasse, und Miternachts an Bendicht Engimanns Beracker und Mittags an Daniel Engimanns Übergang Aker. Wurde 1794 getauscht. Tauschbeile pag 452. Wasser Recht Die Pfrund hat auch einen Brunnen zu nuzen, so aus der sogenannten Pfrund Stökli-Matten zu der Scheuer in eines Herren Pfarrherren (nunmehr in oberkeitlichen) Kosten geleitet wird. Kraft Kaufbriefs vom 1. Hornung, 21. Merz und Mitte May 1770 ward von Herrn Daniel Engimann, derzeit Freyweibel des unteren Teil Landgerichts Conolfingen und Ammann des Hochobrigkeitlichen Vennergerichts Ober Wichtrach, um die Summe der 400 Pfund Pf. Zu handen der Pfrund Wichtrach erkauft: Ein Brunnen von demjengigen Wasser, so der Verkäufer Hr. Freyweibel, in Christen Däppen zu Ober Wichtrach Breitenbach Erdreich erkauftermassen graben lassen und zusammen in eine Brunnstube, welche sich vorher dem Gässli befindet, eingeleitet hat, und zwar soviel Wassers, davon zu geben, als durch ein zweilöthiges, mit dem Ober- heitlich gezeichneten Kolben bewährtes Büchsenrohr von der Brunnstube auslaufen mag (weitere Bedingungen nicht transkribiert) Primiz Wer in der ganzen Kirchhöri Wichtrach mit dem Pflug bauwt, und da Feuer und Licht ist, gibt einem Herrn Pfarrhern eine währschafte Garbe Korn zu Primiz Allgemeine Verordnung über die Entrichtung und Beziehung des Primiz Auszug aus der Raths Erkantnus vom 30. Januar 1705, vorhanden, Ist nicht transkribiert Holz und Weid Recht Ist nicht transkribiert Zinstragende Capitalien. Ist nicht transkribiert Spruch betreffend Bachrechte. Ist nicht transkribiert Unterhaltung der Brünnen und Einfriedung der Garten. Ist nicht transkribiert

Anhang 7: Reglement der Kirchgemeinde Wichtrach, 20. November 1860 mit Vermögen- sausweis Die Kirchgemeinde Wichtrach, mit Rücksicht auf das Sinodalgesetz vom 19. Jenner 1852 einerseits und Art. 60 ff des Gemeindegesetzes vom 6. Dezember 1852 anderseits, hat folgendes Reglement beschlossen und der Genehmigung des Regierungsrathes zu unterlegen beschlossen379: Von den Kirchgemeindsbehörden Art. 1 Die Kirchgemeindsbehörden sind: 1. Die Kirchgemeindsversammlung 2. Der Kirchgemeinderath 3. Der Kirchenvorstand 4. Die Schulcommission. Von dieser lezten Behörde geschieht jedoch hierin weiter keine Erwähnung Die Kirchgemeindeversammlung Art. 2

379 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach

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Diese besteht aus den in den Einwohnergemeinden des Kirchspiels stimmberechtigten Bürgern (nach Art 20 des Gesetzes vom 6. Dezember 1852). Denselben kommt zu: 1. Die Wahl des Kirchenvorstandes und die des Präsidenten der Kirchgemeinde. 2. Die Bewilligung des Bezugs der Kirchhöretellen 3. Auslagen, wozu die Verwendung von Kapitalien erforderlich sind. 4. Abänderung des Kirchgemeindreglements und des Kirchhöretellfusses. 5. Die Beratung von Gegenständen, welche ihr vom Kirchgemeinderath oder vom Kirchenvorstand vorgelegt werden. Die Versammlungen der Kirchgemeinde werden durch Verlesen in der Kirche und durch Publikation im Amtsblatte oder durch Umbieten bekannt gemacht. Der Kirchgemeinderat Art. 3 Der Kirchgemeinderat besteht aus dem Präsidenten und den acht Mitgliedern des Kirchenvorstandes, welche auf die Dauer von vier Jahren von der Kirchgemeindeversammlung gewählt werden, sowie den vier Präsidenten der vier Einwoh- nergemeinden. Die letzteren sind von Amtes wegen Mitglieder des Kirchgemeinderates. Jede Einwohnergemeinde soll übrigens, so viel möglich, im Verhältnis ihrer Beiträge zur Bestreitung des gemeinsamen Aufwandes vertreten sein (Art. 65 des Gemeindegesetzes). Die Mitglieder desselben können sich in Verhinderungsfällen durch ein Mitglied des Einwohnergemeinderates vertreten lassen. Art. 4 Der Kirchgemeinderat besorgt die Interessen der Kirchgemeinde. Insbesondere liegt ihm ob: 1. Die Beaufsichtigung und Unterhaltung der gemeinschaftlichen Kirchhöresachen, wie der Kirche, der Glocken, der Kir- chenuhr, des Kirchhofes, des Archivs, sowie der zu diesen Gegenständen gehörigen Effekten, die Verfügung über die der Kirchgemeinde gehörenden Räumlichkeiten, besonders der Kirche selbst. 2. Wahl und Besoldung der Kirchgemeindebeamten, wie die des Kirchengutsverwalters, des Sekretärs, des Organisten, des Sigristen und Totengräbers, des Polizeiwächters und allfällig mit der Zeit nötig werdenden Kirchgemeindsbeamten. 3. Vorberatung der Gegenstände, deren Beratung der Kirchgemeindeversammlung zukommt, sowie Vollziehung deren Beschlüsse und Prüfung und Genehmigung der jährlich abzulegenden Rechnungen. 4. Die Vorkehren zur Leistung der Militärlasten, Einquartierungen, Fuhrungen und Lieferungen anderer Art, welche der Kirchgemeinde obliegen. 5. Anordnung und Handhabung der Polizei im Kirchgemeindsbezirk, so weit dieselbe nicht den Einwohnergemeinden übertragen ist. 6. Erkennung derjenigen Auslagen, wozu kein Kapitalangriff nötig ist. In Fällen aber, wo die ordentlichen Einnahmen zur Bestreitung der Ausgaben nicht hinreichen, hat er sich durch die Kirchgemeindeversammlung Weisung geben zu lassen, ob für den Mehrbedarf ein Angriff des Kapitalvermögens oder der Bezug von Tellen zu machen sei. Die Tellen sind nach dem Masstabe von 1/10 tel vom Tausend nach der Grundsteuerschatzung zu beziehen. 7. Endlich wird der Kirchgemeinderat diejenigen Geschäfte besorgen, welche ihm in der Folge durch allgemeine Gesetze und Verordnungen oder durch besondere Vereinbarung der Einwohnergemeinden übertragen werden. Von der Geschäftsführung des Kirchgemeinderates Art. 5 Der Kirchgemeinderat versammelt sich ordentlicher Weise jährlich einmal und zwar am ersten Sonntag im Hornung an dem Hauptort zu Oberwichtrach; ausserordentlicher Weise so oft es der Präsident oder zwei Mitglieder für notwendig erachten, in welchem Falle derselbe vom Präsidenten zusammen berufen werden soll. Über seine Verhandlungen führt er ein förmliches Protokoll, welches vor Schluss der Sitzung abgelesen, genehmigt und alsdann vom Präsidenten und Sekretär unterzeichnet werden soll. Art. 6 Auf die Dauer von vier Jahren erwählt er aus seiner Mitte in geheimer Abstimmung: a. Ein Kirchengutsverwalter. Dieser legt alle Jahre auf den 1. Sonntag im Hornung über seine Verhandlungen Rechnung ab. b. Allenfalls aus oder aussert(?) seiner Mitte einen Sekretär. Derselbe führt das Protokoll, sowohl über die Verhandlungen und Entschlüsse der Kirchgemeindeversammlung als die des Kirchgemeinderats. Er soll ein Verzeichnis der der Kirchge- meinde zuständigen Eigentumsgegenstände wie der Zinsschriften und der im Archiv aufbewahrten Schriften halten. Jeder dieser Beamten ist für allen Schaden, so der Kirchgemeinde aus ihrer Nachlässigkeit entsteht, verantwortlich und haftbar. Sie sind nach Ablauf ihrer Amtsdauer wieder wählbar.

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 61 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 c. Die übrigen in dem Art. 2 bezeichneten Beamten. Dieselben stehen unter der unmittelbaren Aufsicht des Präsidenten und der Räthe und haben ihren Weisungen nachzukommen. Der Polizeier ist zugleich Weibel und Umbieter des Kirchgemeinderates und besorgt den Totendienst auf dem Amtsitz nach einer besonderen Instruktion. Besoldung des Kirchgemeinderats & dessen Beamten Art. 7 Besoldungen für ordentliche Versammlungen werden ausgesetzt: a. Dem Präsidenten Fr. 2. b. Dem Kirchengutsverwalter, ausser seinem Taggeld, eine Gratifikation. c. Den übrigen Mitgliedern jedem Fr. 1.70. Ausserordentliche Sitzungen und Verrichtungen werden besonders honoriert, sowie auch der Sekretär für die Führung des Protokolls und die nötigen Schriftumes nach Verhältnis bezahlt werden soll. Ausser diesen beziehen: d. Der Siegrist eine jährliche Besondung von Fr. 62.- zudem ein Stück Land, das Läutmoos genannt, im Anschlag von Fr. 58.- zusammen Fr. 120.- nebst den übrigen Gehällen, die mit seinem Dienst verbunden sind. e. Der Organist bezieht einen solchen von Fr. 64.28 f. Der Polizeiwächter bezieht seine Besoldung durch die Einwohnergemeinden. Von den Kirchgemeindgütern Art. 8 Die dermaligen Kirchgemeeindegüter sind nebst der Kirche und des Kirchhofs und der mit diesen Gegenständen- und zum Gottesdienst gehörenden Effekten: 1. Das Kirchgemeindegut. 2. Das Pfrundgut. 3. Das Staufengut. Dieselben sind zusammen-geschmolzen und es wird daher nur eine Rechnung darüber geführt und abgelegt. 4. Ein Stück Land, das sogenannte Läutmoos. Von den Tellen Art. 9 Diejenigen Auslagen, zu deren Bestreitung der Ertrag des Kirchgemeindegutes nicht hinreicht, sollen sofern ein Angriff des kirchgemeindeguts nicht zugegeben wird, durch Tellen gedeckt werden, welche vom Kirchgemeindegutsverwalter von den Einwohnergemeinden bezogen werden. Der Kirchenvorstand Art. 10 Der Kirchenvorstand besteht aus dem Kirchgemeindepräsidenten und acht Mitgliedern und dem jeweiligen Pfarrer oder dessen Stellvertreter, der von Amtes wegen das Protokoll führt. Wo möglich sollen alle Gemeinden gleichmässig vertreten sein. Art. 11 Die Pflichten und Rechte sind in Art. 24 ff des Gesetzes über die Organisation der evangelisch reformierten Kirchensinode vom 19. Jenner 1852 sowie im Gesetz über das Gemeindewesen vom 6. Dezember 1852 Art. 63 enthalten. Art. 12 Derselbe versammelt sich wenigstens einmal monatlich. Über seine Verhandlungen führt der Sekretät ein Protokoll. Die Mitglieder sind im Chor der Kirche eigene Plätze zuzuweisen. Art. 13 Dem Kirchenvorstand liegt ob: a. Die Wahl des Vertreters der Kirchgemeinde in die obern kirchlichen Behörden.

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 62 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 b. Die Sittenpolizei. In dieser Beziehung tritt sie an die Stelle des Sittengerichts mit den Rechten und Pflichten, welche dem letzteren oblagen. c. Die Besorgung aller übrigen kirchlichen Angelegenheiten, deren Verwaltung nicht einer anderen Behörde übertragen ist, insbesondere: d. Die Aufsicht über die Führung des Registers des Personenstandes. Ihr liegt ferner ob: e. Die Kelchhalter beim Abendmahl, sowie die Vorsinger und Leser beim Gottesdienst zu bestellen und die Aufsicht über die Verrichtungen zu führen; ferner in der Kirchgemeinde über Zeit und Ort des Gottesdienstes und der Unterweisungen, den baulichen Zustand, die Reinlichkeit und die Benutzung der kirchlichen Gebäude die nötigen Anordnungen zhu treffen oder gehörigen Orts einzuleiten. f. Endlich liegen dem Kirchenvorstand diejenigen Geschäfte ob, welche ihm durch allgemeine Gesetze und Verordnungen, sowie durch die Kirchgemeindeversammlung werden übertragen werden. Also von einer Commission vorberathen und von der Kirchgemeindeversammlung genehmigt und zur Sanktion an den Tit. Regierungsrat gewiesen. Wichtrach, den 17. Brachmonat und 26. August 1860, namens der Kirchgemeindeversammlung: Der Präsident S. Gfeller, der Sekretär: Joh. Lädrach. Zeugnis, Oberwichtrach den 26. September 1860, Sanktion, Bern, den 20. November 1860 Die Kirchhöre Einwohnergemeinde von Wichtrach, Amtsbezirk Konolfingen, urkundet hiermit, dass sie in Vollziehung des Art. 42 des Gemeindegesetzes den Betrag und Zweck des der Kirchhöre Wichtrach gehörenden Corporationsguts festgestellt hat, wie folgt: I. Betrags-Bestimmungen A Liegenschaften: Fr. Rp. 1 Die oben im Dorfe Oberwichtrach befindliche Kirche, im Grundsteuerregister geschätzt 3‘800 für Assekuriert samt der Orgel in der obrigkeitlichen Brandversicherungsanstalt unter Nr. 253 für Fr. 4‘600 2 Der an der Kirche angebaute Kirchthurm, im Grundsteuerregister geschätzt für 5‘070 Assekuriert samt dem Glockenstuhl in der obrigkeitlichen Brandversicherungsanstalt un- ter Nr. 254 für Fr. 4‘100 3 Der Platz oder Hof um die Kirche herum eine Fläche von circa. 20‘000 Quadratschuh, 400 haltend im Grundsteuerregister geschätzt für 4 Das sog. Läutmoos im Gemeindebezirk Oberwichtrach, haltend 2 Jucharten, gschätzt 1‘080 Summa in Liegenschaften 10‘350 B Zinstragende Kapitalien Dieselben betragen dermal laut der für das Jahr 1860 abgelegten, am 24. Hornung und 23. Mai 1861 amtlich passierten Kirchengutsrechnung: 1 In Zinsschriften 20‘171 40 2 In restanzlichen Bodenzinslos Kaufkapitalien 328 55 3 In Bücherfond 362 32 Summa zinstragende Kapitalien 20‘862 27 C In Beweglichkeiten 1 Drei neue Kirchenglocken im Jahr 1856 angekauft für 7‘471 2 Eine neue Turmuhr mit Viertel und Stundenschlag, im Jahr 1857 angekauft um 1‘350 3 Nachtmahlgerätschaften, als 2 zinnerne Kannen, 2 Becher 50 Summe Beweglichkeiten 8‘871 Summa Vermögens 40‘083 27

II. Zweckbestimmung Dieses Vermögen war bisher zu nachangegebenen Zwecken bestimmt und soll fernerhin dienen:

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1. Ein Kapital von Fr. 362.32 von der Zinsschrift B.3. und dem Ertrag desselben jährlich jeweil dem Herrn Pfarrer von Wichtrach hzuzustellen, welcher denselben zu Schulbüchern für arme Kinder in der Gemeinde verwenden soll. 2. Der Ertrag des übrigen Theils der zinsbaren Capitalen sub. Theil I, Litt. B dann: a. Zu jährlichen Beiträgen für die Schulen und zwar an die Lehrerbesoldungen Fr. 106.68. An Schulprämien für die Schul- kinder der vier Gemeinden der Kirchhöre, teils nach der Kinderzahl, theils nach dem Viertel durch die Verwaltungsbehörde des Kirchengutes zu verteilen, ca. Fr. 150,. an die Examenkosten ca. Fr. 25.74, ergibt eine Summe von Fr. 282.42. b- Zu Spenden für burgerliche Arme der vier Geemeinden der Kirchhöre nach einer jeweil aufzustellenden Liste, statt wie früher in Korn, nun in Geld jährlich Fr. 144,05. c. Der Rest zu Bestreitung der kirchlichen Ausgaben wie Unterhaltung der Kirche, des Totenackers, der Nachtmahlkosten, Besoldung des Organisten und des Siegristen usw. 3. Das Läutmoos Teil I litt. A, art. 4: zu teilweiser Besoldung des Sigrists und die übrig hievor in Litt. A beschriebenen Liegenschaft samt Zugehörd, sowie die Beweglichkeiten Litt. C, dem ihrer Bezeichnung entsprechenden kirchlichen Diens- ten. Die einzelnen Ortsgemeinden des Kirchspiels haben gleiche Berechtigung auf das Eigentum und die Nutzung des Kirch- höreguts. Dessen Erwerbung ergibt sich theils aus der vorenthaltenen Beschreibung, im Übrigen sind dafür anzurufen: Für die Liegenschaften sub IA der unwidersprochene Besitz. Für die Beweglichkeiten sub. IC die betreffenden Rechnungen in denen sie als angekauft erscheinen. Für den Bücherfond Teil II Ziffer 1: die Stiftung des Herrn Pfarrer Rudolf Wyss sel. von Livres 250 alte Währung, deren Ertrag früher lediglich vom Pfarramt zu Schulzwecken verwendet wurde, deren Be- stimmung aber im Jahr 1825 durch eine Übereinkunft zwischen dem damaligen Herrn Pfarrer Gysi und dem Chorgericht der Kirchgemeinde Wichtrach in folgender Weisenäher normiert worden ist: Es soll nämlich dieses Legat als allgemeines Schulkapital bei sicheren Schuldnern angelegt, abgesondert verwaltet und darüber stets nur in Beisein und mit Stimmge- bung eines jeweiligen Herrn Seelsorgers gehandelt werden. Die Rechnung selbst soll als Anhang in die Kirchenrechnung eingeschrieben sein, doch ganz apart ohne mit der Verrechnung der übrigen Güter vermischt zu werden. Die Zinse selbst sollen von dem Verwalter alljährlich gegen das Neujahr ohne Abbruch einem jeweiligen Herrn Pfarrer oder Vikar zur vor- geschriebenen Verwendung, d.h. zu Schulbüchern für arme Kinder der Kirchgemeinde eingehöndigt werden. Auflage und Beschluss durch die Kirchgemeindeversammlung, Oberwichtrach am 1. Herbstmonat 1861 Der Präsident Gfeller, der Sekretär Läderach Zeugnis und Sanktion durch Regierungsrat, Bern 16. Mai 1862.

Anhang 8: Beerdigungsreglement für den Begräbnisbezirk Wichtrach, 21. 9. 1887380 Allgemeine Bestimmungen 1. Die vier Einwohnergemeinden Nieder-Wichtrach, Ober-Wichtrach, Kiesen und Oppligen bilden zusammen den Be- gräbnisbezirk Wichtrach 2. Die Beaufsichtigung und Verwaltung des Begräbniswesens ist einer Kommission, Kirchgemeinderath, bürgerliche Abteilung genannt, bestehend aus einem Präsidenten und vier Mitgliedern, übertragen. Die jeweiligen Präsidenten der 4 Einwohnergemeinden sind in dieselbe gewählt, ein weiteres Mitglied, als Sekretär mit Stimmrecht, dessen Amtsdauer gleich derjenigen der Civilbeamten ist, wird von der Kirchgemeindeversamm- lung gewählt. Im Einzelnen wird für hierin geführt: a. durch die ganze Kommission, b. durch den Todtengräber, dessen Wahl der Kommission obliegt. 3. Die Kosten der Erstellung, Erweiterung und des Unterhalts des Friedhofs, dessen Verwaltung usw. werden aus den Beischüssen der 4 Gemeinden und nach der Einwohnerzahl derselben bestritten. 4. Die an die Kirche angebaute Leichenhalle zur Aufbewahrung von unbekannten oder aufgefundenen Leichen, oder solchen, die aus sanitarischen Gründen nicht in ihren Wohnungen bis zur Beerdigung aufbewahrt werden können, steht unentgeltlich zur Verfügung. Zur Aufnahme ist erforderlich das Gesuch des Beamten, der die Bewilligung zur Beerdigung ertheilt. 5. Die Kommission ist berechtigt gegen eine von ihr zu bestimmende Gebühr, die im Minimum Fr. 50 betragen darf Platz für ein reserviertes Grab auf die Dauer von 30 Jahren einzuräumen. Nach Ablauf dieser Frist kann die gleiche Berechtigung für eine fernere Periode erworben werden. 6. An Begräbniskosten bezieht der Begräbnisbezirk a. Von Einwohnern nur die Vergütung für die Grabnummern, welche von der Kommission mit Rücksicht des Ankaufs- preises bestimmt wird. b. Von ausserhalb des Begräbnisbezirks verstorbener und nicht in demselben Wohnsitzberechtigten ausserdem Fr. 5 per Grab. Für Unbekannte, Unbemittelte und Unterstützte bestreitet die betreffende Ortsgemeinde die unter litt. a. besagte Vergütung. Instruktion für den Totengräber 7. Ohne schriftliche Bewilligung des betreffenden Beamten soll keine Beerdigung stattfinden. Für Beerdigung von Per- sonen, die ausserhalb des in Art. 1 bezeichneten Begräbnisbezirks verstorben, ist überdies noch die schriftliche

380 Historisches Archiv Niederwichtrach, A 18870601

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Bewilligung vom Regierungsstatthalter, in dessen Bezirk der Sterbeort liegt, erforderlich. Die genaue Führung des Verzeichnisses nach Art. 17 des Dekrets vom 25. November 1876 wird ihm als Pflicht auferlegt. 8. Für die Beerdigung von Kindern unter 12 Jahren wird der Totengräber ein besonderer Theil des Friedhofes ange- wiesen. 9. Die Leichnamen sollen der Reihenfolge nach beerdigt werden. Für Beerdigung in reservierten Plätzen nach Art. 5 ist dem Totengräber eine schriftliche Bewilligung der in Art. 2 genannten Kommission vorzuweisen. 10. Für alle Beerdigungen sind die Bestimmungen des Dekrets vom 25. November 1876 massgebend. 11. Nach stattgefundener Beerdigung sind die Gräber sofort mit entsprechender Nummer zu versehen. 12. Die Besoldung des Totengräbers besteht in folgenden, von ihm selbst zu erhebenden Gebühren: a. Für das Grab eines Erwachsenen Fr. 2,50 b. Für das Grab eines Kindes über 3 Jahre Fr. 1,50 c. Für das Grab eines Kindes unter 3 Jahren Fr. 1.0 Zu seiner Besoldung gehört auch der Grasraub auf dem Friedhof. Das Gras ist fleissig abzumähen. Die Anlage und der Unterhalt von Grabgärtchen darf vom Totengräber auf keine Weise beschränkt werden. Bei aufgefundenen, Unbemittelten und Unterstützten, fallen die unter a, b, c genannten Gebühren der betroffenen Ortsgemeinde zur Last. Eine weitere Besoldung für Beaufsichtigung etc. ist nach Ermessen der Kommission zu bestimmen. 13. Bei Wiederöffnung der Gräber nach bestimmter Reihenfolge darf der Totengräber die auf Gräbern befindlichen Bäume und Gesträuche wegnehmen und nach Belieben verwenden. Denkmäler dagegen sind den betroffenen Hin- terlassenen während einer Frist von 3 Monaten zur Verfügung zu halten. Während dieser Frist nicht entfernte Denkmäler fallen dem Begräbnisbezirk anheim und die Kommission verfügt darüber. Hölzerne Denkmäler sollen die Höhe von 1 m 50 cm haben. 14. Ein Gärtner, gewählt von der Kommission, besorgt die dem Begräbnisbezirk angehörenden Zier- u. Trauerbäume, die Wege usw. der dafür angemessen bezahlt wird. Er hat alljährlich seine Rechnung der Kommission einzuweisen. 15. Dieses Reglement tritt sofort, nach erteilter Sanktion des Regierungsrates in Kraft. Dasselbe ist zweifach ausgefer- tigt, beim Sekretär invermelter Kommission aufgelegt und von den einzelnen Gemeinden des Begräbnisbezirks in gesetzlich berufener Gemeindeversammlungen vorgelegt und angenommen worden und zwar in:

Oberwichtrach, den 31. Dezember 1886, namens der Einwohnergemeinde: Der Präsident: G. Maurer, der Sekretär: C. Tellenbach Niederwichtrach, den 3. Januar 1887, namens der Einwohnergemeinde Der Präsident: Jb. Schüpbach, der Sekretär: Däpp Oppligen, den 25. Februar 1887, namens der Einwohnergemeinde Der Präsident: Adolf Däpp , der Sekretär: C. Kropf Kiesen, der 14. März 1887, namens der Einwohnergemeinde: Der Präsident: Chr. Vögeli, der Sekretär: Chr. Ösch.

Zeugnis Nach Annahme dieses Reglements durch die genannten Einwohnergemeinden, war selbiges während gesetzlicher Frist beim Sekretariat der Kommission in der Gemeindeschreiberei Oberwichtrach zur Einsicht aufgelegt und sind keine Ein- sprachen dagegen eingelangt. Oberwichtrach den 1. Juni 1887, der Gemeindeschreiber Chr. Tellenbach.

Der Regierungsrat des Kantons Bern erteilt Dem vorstehenden Reglement seine Genehmigung, mit der einzigen Modifikation zu Art. 13, dass sowohl die Pflanzen als die Grabmäler, welche bei der periodischen Öffnung alter Gräber entfernt werden müssen, vorerst von der Begräb- niskommission den betreffenden Hinterlassenen direkt angeboten werden sollen zur unentgeltlichen Wegnahme binnen einer angemessenen Frist, bevor der Totengräber und bzw. die Begräbniskommission anderweitig darüber verfügen dür- fen.

Bern, den 21. September 1887, im Namen des Regierungsrat, der Präsident, der Staatschreiber.

Anhang 9: Reglement der Kirchgemeinde Wichtrach, bürgerliche Abteilung, 4.9.1901381 Organisation Art. 1 Die ausserkirchlichen gemeinsamen Angelegenheiten der Kirchgemeinde Wichtrach, bestehend aus den 4 Einwohnerge- meinden: Niederwichtrach, Oberwichtrach, Kiesen und Oppligen sind die folgenden: Das Civilstandswesen; Das Begräbniswesen; Das Gesundheitswesen; Untersuchung von Mass und Gewicht;

381 Historisches Archiv Niederwichtrach, A 19010904

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Das Brandversicherungswesen; Die Angelegenheit betreffend den Amtsanzeiger; Allfällige andere Gegenstände, welche nach Beschluss der Kirchgemeinde, bürgerliche Abtheilung, gemeinsam regliert werden sollen Art. 2 Die Organe der bürgerlichen Kirchgemeinde sind: Die Kirchgemeindeversammlung, bürgerliche Abtheilung Der bürgerliche Kirchgemeinderat Art. 3 Bezüglich der Stimmberechtigung an der bürgerlichen Kirchgemeindeversammlung machen Regel: Die Artikel 1 und 2 des Gesetzes über die Erweiterung des Stimmrechtes an den Einwohner- und Bürgergemeinden vom 26. April 1861 in Verbindung mit Art. 43 alinea 5 der Bundesverfassung, sowie Art. 23 alinea 1 und 3 und Art. 24 des Gemeindegesetzes vom 6. Dezember 1852; ferner kommen in Betracht das Gesetz über die öffentlichen, rechtlichen Fol- gen des Konkursverfahrens oder der fruchtlosen Pfändung vom 1. Mai 1898, sowie das Gesetz über die Volksabstimmun- gen und öffentlichen Wahlen vom 29. Oktober 1899. Die Stimmregister der einzelnen hievor genannten Einwohnergemeinden sind für die Stimmberechtigung an der bürgerli- chen Kirchgemeinde massgebend. Art. 4 Die bürgerliche Kirchgemeindeversammlung hat an Wahlen und zwar in geheimer Abstimmung vorzunehmen: Die Wahl ihres Präsidenten und Sekretärs, sowie des Präsidenten des bürgerlichen Kirchgemeinderathes, deren Amts- dauer beträgt je 2 Jahre nach denen sie sofort wieder wählbar sind; Die Wahl der Glieder des bürgerlichen Kirchgemeinderaths, eventuell die Übertragung von dessen Funktionen an den bestehenden kirchlichen Kirchgemeinderath; Die Wahl des Civilstandsbeamten und dessen Stellvertreters, regl. Vollziehungsdekret betreffend das Bundesgesetz über Civilstand und Ehe vom 23. November 1877 und 1. Februar 1878. Die bürgerliche Kirchgemeindeversammlung steht ferner zu die Beschlussfassung : über im Zusammenhang mit den gemeinsamen bürgerlichen Angelegenheiten notwendig werdenden Bauten und Repa- rationen; über Erwerb oder Veräusserung von Liegenschaften und Verfügungen über Mobiliar; über Besoldung und Gebühren der bürgerlichen Bediensteten; über ökonomische Gegenstände, wie Bürgschaftsverpflichtungen und solchen auf den Namen der Kirchgemeinde, sowie allfällige Prozesse, Vergleiche und Übertragungen an Schiedsrichter, sofern dabei die den bürgerlichen Kirchgemeinderat eingeräumte Kompetenz übertragen wird. Zur Aufbringung der nötigen Geldmittel hat die bürgerliche Kirchgemeindeversammlung das Recht, verbindliche Steuern auszuschreiben; desgleichen bestimmt sie den jährlichen Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben und genehmigt die jährlich abzulegende bürgerliche Kirchgemeinderechnung, letztere unter Vorbehalt der Passation durch die Staatsbehör- den. Die Entscheidung in allen diesen Fällen geschieht durch das offene Handmehr. Die bürgerliche Kirchgemeindeversammlung kommt ordentlicher Weise jeweilen zusammen in der ersten Hälfte des Mo- nats März, ausserordentlicherweise so oft es vom Kirchgemeinderathe oder von einem Drittel der Stimmberechtigten ge- wünscht wird. Die Versammlung und deren Verhandlungen sind jeweilen in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise zu publizieren. Überhaupt machen bezüglich der Pflichten, Kompetenzen, der Zusammenberufung und der Form der Ver- handlungen die einschlagenden Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 6. Dezember 1852 Regel. Wird durch Beschluss einer Kirchgemeindersammlung – bürgerlichen oder kirchlichen – dem kirchlichen Kirchgemeinde- rathe die Leitung der gemeinsamen, bürgerlichen Angelegenheiten der Kirchgemeinde übertragen (vergl. Art. 5 dieses Reglementes) so findet die bürgerliche Kirchgemeindeversammlung im Anschluss an die kirchliche statt. Der Präsident der letzteren leitet dann auch die erstere, während der nämliche Sekretär das Protokoll schreibt. Es ist darauf zu achten, dass Stimmberechtigte, die zur Theilnahme an den kirchlichen Verhandlungen nicht berechtigt sind, an den bürgerlichen theilnehmen können. In Betreff der vorzunehmenden Abstimmungen wird noch vorbehalten Art. 26 Schlussalinea des Gemeindegesetzes vom 6. Dezember 1852. Art. 5 Der bürgerliche Kirchgemeinderat besteht aus den 4 Einwohnergemeinde-Präsidenten. Eventuell können durch Beschluss einer Kirchgemeindeversammlung – kirchlicher oder bürgerlicher – die Funktionen des bürgerlichen Kirchgemeinderates dem bestehenden, kirchlichen Kirchgemeinderathe übertragen werden. In beiden Fällen beträgt die Amtsdauer der

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Behörde je 2 Jahre, nach deren Ablauf sie sofort wieder wählbar ist. Für in der Zwischenzeit ausscheidende Mitglieder tritt der Neugewählte bloss für den Rest der Amtsdauer ein. Art. 6 Besteht ein besonderer, bürgerlicher Kirchgemeinderath, so wählt derselbe seinen Schreiber und Kassier auf eine Amts- dauer von je 2 Jahren und bestimmt deren Besoldung. Sekretär und Kassier können, brauchen aber nicht dem Kirchge- meinderath anzugehören. In letztern Falle sind sie nicht stimmberechtigt. Wird (vergl. Art. 5) die Funktionen eines bürger- lichen Kirchgemeinderathes dem kirchlichen übertragen, so leitet der Präsident dieses letzteren auch die bürgerlichen Geschäfte. Als Sekretär und Kassier amtieren dann ebenfalls gegen entsprechende Besoldungserhöhung, die bestehen- den kirchlichen. Auf ihren Wunsch können sie aber durch besondere Beamte für die bürgerlichen Angelegenheiten ersetzt werden. Art. 7 Dem bürgerlichen Kirchgemeinderathe kommen folgende, weiteren Pflichten und Kompetenzen zu: Die Wahl aller übrigen, bürgerlichen Angestellten und Bediensteten, soweit dieselbe nicht der bürgerlichen Kirchgemein- deversammlung zusteht: Die Vorberathung der Verhandlungsgegenstände der bürgerlichen Kirchgemeindeversammlung Die Vollziehung der Vorschrften dieser Reglementes betreffend die gemeinsamen bürgerlichen Angelegenheiten, der Be- schlüsse der bürgerlichen Kirchgemeindeversammlung und der von den zuständigen Behörden erlassenen Gesetze und Verordnungen. Das Anzeigen allfälliger, die gemeinsamen bürgerlichen Angelegenheiten betreffenden Gesetzesübertretungen Die Erlassung der nöthigen Reglemente über das Anstellungsverhältnis der bürgerlichen Bediensteten, soweit dasselbe nicht bereits durch die eidgenössische oder kantonale Gesetzgebung bestimmt ist. Die Aufssicht über das der bürgerlichen Kirchgemeinde gehörende, unbewegliche und bewegliche Eigenthum, wie Fried- hof, Todtenbahre etc, etc. Die Festsetzung der Besoldung der bürgerlichen Angestellten, die Verwaltung und die Besorgung der ökonomischen An- gelegenheiten der bürgerlichen Kirchgemeinde, die Beschlussfassung betreffend Aufhebung von Prozessen, Abschlies- sung von Vergleichen und Compromissen, etc, soweit diese nicht der bürgerlichen Kirchgemeinde vorbehalten sind. Der bürgerliche Kirchgemeinderath hat zu dem Zwecke Kompetenz bis zu frs. 100.- für Anordnung von Bauten, Repara- turen, Erwerb oder Veräusserung von Liegenschaften, Aufhebung von Prozessen, Abschliessung von Vergleichen; bis frs. 50 zur Festsetzung der jährlichen Besoldungen der bürgerlichen Angestellten. Überhaupt gelten vom bürgerlichen Kirch- gemeinderath die Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 6. Dezember 1852, die Verordnungen über die Verwaltung der Gemeindeangelegenheitenvom 15. Juni 1869 und allfällige andere bestehende, besondere Reglemente. Besondere Bestimmungen Finanzielles Art. 8 Zur Bestreitung der nach diesem Reglemente nöthigen Ausgaben werden Tellen erhoben. Bei jedem Bezuge einer Steuerquote, sei dieselbe einfach, mehrfach, oder nur zur Hälfte, ist das steuerpflichtige Vermögen der einzelnen Gemeinden, nach Massgabe der Steuer- und Gemeindesteuerregister zu berechnen und auf dieser Basis der auf jede Gemeinde entfallende Beitrag auszumitteln, vorbehalten bleiben die Bestimmungen des Dekrets über das Begräbniswesen vom 25. November 1876, Art. 10 letzter Absatz. Art. 9 Im Falle gemeinsamer Verwaltung der kirchlichen und bürgerlichen Finanzen durch den nämlichen Kassier sind gleich, wie bei getrennter Verwaltung, die Rechnungen der beiden Zweige besonders abzufassen und je in ein besonderes Ma- nual einzuschreiben. Im übrigen gelten bezüglich Ablegung, Prüfung und Passation der Rechnungen die einschlagenden, gesetzlichen Betimmungen. Beschlüsse finanzieller Art durch Kirchgemeindeversammlung oder Kirchgemeinderath in bürgerlichen Angelegenheiten, sind den Tit. Einwohnergemeinderäthen mitzutheilen. Civilstandswesen Art. 10 Der bürgerliche Kirchgemeinderath überwacht die Führung des Civilstandswesens, soweit dasselbe nicht speziell unter die Obliegenheiten des Regierungsstatthalters gestellt ist, sorgt für gutfindende Bekanntmachung der Mutationen im Per- sonenbestand (Geburten, Heiraten und Todesfälle) und ordnet die Wahlen des Civilstandsbeamten und seines Stellver- treters an. Das Begräbniswesen Art. 11

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Hierüber sind die Bestimmungen des revidierten Beerdigungs-Reglementes, welches von den 4 Gemeinden der Kirchge- meinde Wichtrach genehmigt wurde und mit der Sanction des Regierungsrathes in Kraft tritt, massgebend. Das Gesundheitswesen Art. 12 Zur Handhabung der Kantonalen Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz vom 2. Juli 1886 betreffend Massnahme gegen gemeingefährliche Epidemien vom 28. Hornung 1891 und des Gesetzes betreffend den Verkehr mit Nahrungsmit- teln, Genussmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 26. Hornung 1888 und der daherigen Verordnung vom 19. März 1890 bildet der bürgerliche Kirchgemeinderath mit einem von ihm gewählten Arzt die Gesundheitskommission der vier Einwohnergemeinden (Art. 2 der erwähnten Vollziehungsverordnung). Bei dem Herannahen von Epidemien, wie Poken, asiatische Cholera, Fleckfieber, Pest und anderer gefährlicher, anste- ckender Krankheiten, hat die Gesundheitskommission dafür zu sorgen, dass alles was die Verbreitung dieser Krankheiten begünstigen könnte, nach Möglichkeit beseitigt werde. Dieselbe wählt den in Art 3 und 4 des obenerwähnten Gesetzes vom 26. Hornung 1888 vorgesehenen Beamten auf die Dauer von je 2 Jahren für die Kirchgemeinde Wichtrach. Diese Aufsichtsbeamten hat alljährlich wenigstens einmal bis längstens am 1. Dezember des laufenden Jahres der Gesundheitskommission zu Handen des Tit. Regierungsstatthalter- amtes über seine Tätigkeit schriftlich Bericht zu erstatten. Untersuchung von Mass und Gewicht Art. 13 Die Handhabung der Vollziehungsverordnung zu der eidgenössischen Mass- und Gewichtsverordnung vom 24. Januar 1877 wird für die 4 Einwohnergemeinden dem in Art. 12 vorgesehenen Gesundheitsbeamten übertragen. Bei den nach Art. 6 der obenerwähnten Verordnung vorzunehmenden Untersuchungen des in öffentlichen Verkehr gebrachten Masse, Gewichte und Waagen haben auf Verlangen die Einwohnergemeinderatspräsidenten dem betreffenden Beamten an die Hand zu gehen. Über die daherigen Untersuchungen erstattet der Untersuchungsbeamte alljährlich wenigstens einmal, bis längstens 1. Dezember des laufenden Jahres, dem bürgerlichen Kirchgemeinderath zu Handen des Regierungsstatt- halters schriftlichen Bericht. Das Brandversicherungs- und das Löschwesen Art. 14 In Ausführung des Art. 22 c des Gesetzes über die kantonale Brandversicherungsanstalt vom 30. Oktober 1881 bildet der bürgerliche Kirchgemeinderath den nach Art. 12 des erwähnten Dekrets vorgesehenen Vorstand. Demselben liegt insbesondere ob. Die Wahl zweier Ausgeschossener an die Abgeordneten-Versammlung der Bezirksbrandkasse, jeweilen für eine Ants- dauer von 3 Jahren. Die Vorberathung und Antragstellung hinsichtlich der von den Gebäudebesitzerversammlungen zu behandelnden Gegen- stände. Die Beschlussfassung über Einberufung der Gebäudebesitzerversammlungen. Die Überwachung und gehörige Befolgung des Dekrets über die Löscheinrichtungen und den Diensten der Feuerwehr vom 31. Januar 1884 in den 4 Einwohnergemeinden. Amtsanzeiger Art. 15 Die Besorgung der Angelegenheiten des Amtsanzeigers ist Sache des bürgerlichen Kirchgemeinderathes. Derselbe wählt einen Ausgeschossenen zu den Abgeordnetenversammlungen, bestimmt jeweilen dessen Taggelder und weist den Kas- sier zur Zahlung derselben an. Bei allfällig erforderlichen Zuschüssen für den Amtsanzeiger ordnet der bürgerliche Kirch- gemeinderath den Bezug des Beitrages in den Gemeinden an. Allfällige Reklamationen oder Wünsche betreffend den Amtsanzeiger sind dem bürgerlichen Kirchgemeinderat vorzubrin- gen, welcher nach Gutfinden dieselben der Abgeordnetenversammlung oder dem Amtsvorstand überweist. Unvorhergesehene, gemeinsame Angelegenheiten Art. 16 Wird auf Antrag des bürgerlichen Kirchgemeinderathes von der Kirchgemeindeversammlung beschlossen, andere ge- meinsame Angelegenheiten einheitlich durchzuführen, so hat derselbe die nötigen Anordnungen zu treffen und für gehörge Durchführung derselben Sorge zu tragen. Schlussbestimmungen Art. 17 Die Kirchgemeindeversammlung, welche Annahme dieses Reglementes beschliesst, bestimmt auch, ob ein besonderer bürgerlicher Kirchgemeinderath gewählt oder die Funktionen einer solchen dem bestehenden Kirchlichen Kirchgemeinde- rath übertragen werden sollen. Von diesem Beschluss und allfälligen späteren Beschlüssen, die auf Grund vorliegenden

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Reglementes, eine Veränderung in der Leitung der bürgerlichen Angelegenheiten der Kirchgemeinde herbeiführen, ist das Regierungsstatthalteramt in Kenntnis zu setzen. Art. 18 Das vorliegende Reglement tritt in Kraft, sobald dasselbe vom bernischen Regierungsrath genehmigt worden ist. Eine Revision desselben kann nur stattfinden, wenn der die Geschäfte leitende Kirchgemeinderath oder ein drittel der Stimmberechtigten Angehörigen der Kirchgemeinde es verlangen und die zu diesem Zwecke einberufene Kirchgemein- deversammlung (bürgerliche oder Kirchliche) mit absolutem Mehr die Revision beschliesst. Für dieselbe ist auch noch die Genehmigung des Regierungsrathes einzuholen. Also von der Kirchgemeinde Wichtrach beraten und angenommen, Wichtrach, den 4. August 1901, Namens der Kirchg- meinde: der Präsident Jh. Schüpbach, der Sekretär L. Stierlin Depsitionszeugnis Der unterzeichnete Sekretär der Kirchgemeinde Wichtrach bescheinigt hiermit, das vorliegende Reglement der Kirchge- meinde Wichtrach, bürgerliche Abteilung gemäss Vorschrift des Art. 9 der Verordnung vom 15. Juni 1869 zehn Tage vor und zehn Tage nach der Behandlung durch die Kirchgemeindeversammlung in der Kirchgemeindeschreiberei aufgelegen ist, dass die Auflage gesetzlich bekannt gemacht worden ist, dass aber während der anberaunten Frist keine Einsprachen erfolgt sind. Wichtrach, 25. August 1901, der Sekretär der Kirchgemeinde Wichtrach, L. Stierlin Sanctioniert durch den Regierungsrath des Kantons Bern, den 4. September 1901

Anhang 10: Abtretungsvertrag mit Übereinkunft Kanton-Kirchgemeinde Wichtrach 5.9.1894 Hiermit wird beurkundet, dass zwischen dem Staat des Kantons Bern, hier vertreten durch den Amtsschaffner von Konol- fingen, Herrn Hans Aebi, in Schlosswil und der Kirchgemeinde Wichtrach, diese vertretzen durch die Herren Pfarrer L. Stierlin in Ober Wichtrach und Grossrath und Kirchgemeinderath Ernst Riem, Weinhändler in Kiesen, - unter Genehmi- gungsvorbehalt durch den Grossen Rath des Kantons Bern, folgender Vertrag abgeschlossen worden ist: Der Staat des Kantons Bern überlässt der Kirchgemeinde Wichtrach zum hinkünftigen Eigentum: 1. Das Pfarrhaus in Ob. Wichtrach, in Stein, Mauer und Holz erbaut und mit Ziegeln bedeckt, unter No. 14 für Fr. 14‘500.- gegen Brandschaden versichert, auf dem Grundstück Art. 4 hienach stehend. 2. Das dabei stehende Ofenhaus unter No. 14 für Fr. 4‘500.- assekuriert, auch auf dem Grundstück No. 4 befindlich 3. Einen beim Pfarrhaus ausfliessenden im Erdreich des J. Fr. Gfeller382 entspringenden Brunnen, dessen Abwasser in die Scheuermatte abgeleitet wird, und den beir nun abgebrochenen Pfrundscheune383 ausfliessenden Brunnen bildete. 4. Die Pfrundmatte, umfassend den Hausplatz zum Pfarrhaus und Ofenhaus, Hofraum, Garten, Obstgarten, Matt- und Ackerland, haltend laut dem Erwerbtitel nach Abzug der mittelst Kauf- mit Teilung vom 28. Januar 1886 (Wichtrach Grund- buch No 25 Fol. 436) an J. U. Engemann, Friedr. Bieri und Joh. Strahm veräusserten 67, 6612 o‘ noch 59,388 o‘, nach dem neue Vermessungswerk Blatt 9 Parzelle No 202 aber ist der Halt, nach dem Grundsteuerregister angegeben auf 54,911 o‘ = 49 a 42 m2 und angrenzend: Morgens an Friedr. Bieri, Sattlers u. Fr. Jakob Dummermuths, mittags wieder an Fr. Bieris, abends an die Strasse nach Wyl, mitternachts wieder an Fr. Jb. Dummermuths. Die Grundsteuerschatzung beträgt Fr. 15‘780.- Dienstbarkeiten 1. Über die Pfrundmatte Art. 4 führt ein Fussweg nach dem Lerchenberg 2. In betreff des Brunnens Art. 3 resp. des Pfrundscheuerbrunnens ist in dem mit J. U. Engemann errichteten Dienstbar- keitsvertrag vom 18. April 1872 (Wichtrach Grundbuch Nr.21 fol. 31) folgendes enthalten (zusammengefasst): Engemann erhält unentgeltlich das Abwasser vom Pfrundscheuerbrunnen unter folgenden Bedingungen: a) Er leitet das Abwasser des Brunnens aus dem Trog durch eine blecherne Leitung in eine neben dem Brunnen zu erstellende solide Brunnstube, die Benutzung des Brunnens darf aber in keiner Weise beschränkt werden. b) Er leitet das Abwasser aus der Brunnstube durch eine irdene Leitung durch die Pfrundscheuermatte in seine Besitzung und zwar so tief, dass die Ackerung u. sonstige Bearbeitung hierseitiger Matte in keiner Weise gehemmt wird. c) Er hat Brunnstube und Leitungen so zu unterhalten, dass keine Schäden entstehen. 3. Im in Artikel 4 angerufenen Kaufvertrag mit Theilung vom 28. Januar 1886 sind folgende Bestimmungen enthalten (zusammengefasst):

382 Breitenbach 383 In Ortsplan Kapitel 6.1.1. mit Pfrundhaus bezeichnet, auf der Westseite Kirchstrasse

Ausgabe: 1.12.2019 Version 2.0 Seite 69 von 74 Geschichte Wichtrach, Heft 10: Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach, 1180 – 2000 a) Der beir Scheune ausfliessende Brunnen wird durch das Abwasser vom Brunnen im Pfarrhaushof gespeist, die Leitung ist durch die Käufer zu unterhalten. b) Für den Lerchenbergacker wird den Käufern für die landwirtschaftliche Benutzung ein Fahrwegrecht durch den gegen- wärtig bestehenden Weg durch den Pfrundhaushof eingeräumt mit Unterhalts- und Reinigungspflicht und mit der Be- schränkung, dass ohne Einwilligung der Bewohner des Pfarrhauses nicht mit Jauche durchgefahren werden darf, das Wegrecht überhaupt nur in einer für die Bewohner möglichst wenig lästigen Weise ausgeübt werde. c) Auf dem Stück Mattland südlich dem Pfarrhaus dürfen in Zukunft weder Bäume gepflanzt noch Gebäude erstellt werden, ebenso auf dem Stück Hofstatt nördlich dem Pfarrhause dürfen keine Gebäude errichtet werden. d) Die Pfrundscheune muss binnen 3 Jahren abgebrochen und weggeräumt werden und darf nachher auf der Scheuer- matte ohne Einwilligung des Eigentümers des Pfarrhauses kein Gebäude erstellt werden. Erwerbung Die eigentümliche Übergabe der hievor beschriebenen Immobilien von Seite des Staates Bern an die Kirchgemeinde Wichtrach erfolgt unter folgenden nähern Bedingungen: 1. Die Gewährspflicht wird aufgehoben. 2. Die Kirchgemeinde Wichtrach ist verpflichtet, die hievor beschriebenen Objekte als Pfrundgut zu behalten und ihrem bisherigen Zweck nicht zu entfremden. 3. Das Land über eine halbe Jucharte darf die Kirchgemeinde Wichtrach nur mit Einwilligung des Reg. Rathes veräussern. Im Falle der Veräusserung ist aus dem Erlöse ein Baufonds für den Unterhalt der Pfrundgebäude zu bilden. 4. Die gemäss Art. 50 des Gesetzes über das Kirchenwesen vom 18. Januar 1874 gegenüber dem Herrn Pfarrer oblie- gende Leistungen bezüglich des Unterhaltes, sowie des unentgeldlichen Genusses der Pfarrwohnung nebst Dependen- zen, Pfarrgarten nebst wenigstens einer halben Jucharte Pflanzland werden von der Kirchgemeinde Wichtrach übernom- men. Sollten jedoch in der Folgezeit in Bezug auf diese Verhältnisse andere Vorschriften erlassen werden, so sollen die- selben auch für die Kirchgemeinde Wichtrach und den dortigen Pfarrer verbindlich sein. 5. Die Kirchgemeinde Wichtrach ist auch verpflichtet, dem jeweiligen Pfarrer das Land, soweit ihm nicht dessen unent- geldliche Benutzung zusteht, auf sein Verlangen zu einem annehmbaren Zinse in Pacht zu geben. Der gegenwärtig mit Herrn Pfarrer Stierlin bestehende Pachtvertrag wird in allen seinen Rechten und Pflichten der Kirchgemeinde Wichtrach überbunden. 6. Entstehen bezüglich des Unterhaltes der Pfrundgebäude Differenzen, so hat der Regierungsstatthalter nach Untersu- chung der Sache, jedoch mit Ausscluss jeden Prozessverfahrens darüber zu entscheiden. Gegenüber solche Entscheiden steht den Parteien der Rekurs an den Reg. Rat zu. 7. Sollte infolge Brand oder aus andern Gründen der Neubau des Pfarrhauses nötig werden, so unterliegen die bezüglichen Pläne der Genehmigung des Reg. Rats. 8. Der Zeitpunkt des Nutzen- und Schadenanfang wird festgesetzt auf den 1. Januar 1895. 9. Die Abtretung des Vertragsobjektes an die Kirchgemeinde Wichtrach erfolgt unentgeltlich, d.h. ohne Festsetzung eines Kaufpreises und es zahlt der Staat Bern zudem an die Kirchgemeinde Wichtrach auf den Zeitpunkt des Nutzen- und Schadenanfangs ein Aushingeld in bar von Fr. 12‘600.-. Aus dieser Summe ist zur Renovation und zum Unterhalt der Pfrundgebäude ein Baufonds zu bilden, und darf diesem Zwecke niemals entfremdet werden. 10. Der Gegenwert, den die Kirchgemeinde Wichtrach leistet, liegt in der Übernahme aller bisher dem Staate für die Pfrund Wichtrach anfallenden gesetzlichen Pflichten und Lasten, namentlich der unentgeltlichen Überlassung der Benutzung des Pfarrhauses nebst Dependenzen, des Gartens, einer halben Jucharte Land an den jeweiligen Pfarrer von Wichtrach, Un- terhalt der Pfrundgebäude und Brunnen, nach Mitgabe der hievor angeführten Dekrete und Reglemente, Tragung der gesetzlichen , auf der Pfrund liegenden Lasten, Steuern und Tellen, sowie Bestreitung der Brandversicherungsbeiträge für die übernommenen Gebäude. 11. Die Kosten dieses doppelt auszufertigen Vertrages, sowie die Fertigungs- und Einschreibungsgebühren, ebenso die Kosten des Amtsschaffners beir Vertragsverurkundung fallen zu Lasten der Kirchgemeinde Wichtrach. In Kraft dessen wird dieser „Abtretungsvertrag mit Übereinkunft“ zweifach ausgefertigt, das einte Doppel um dem Staate Bern als Legitimationstitel, das andere um der Kirchgemeinde Wichtrach als Eigentums- und Legitimationstitel zu dienen. Gegenwärtige Urkunde wurde durch den unterzeichneten Amtsnotar abgefasst, von ihm den eingangsgenannten Vertre- tern der vertragsschliessenden Parteien in Gegenwart der berufenen Zeugen: HH Louis Meixler, Coiffeur und Jb. Fitzi, Uhrmacher, wörtlich abgelesen und nach Genehmigung und Richtigfindung des Inhalts, die in Verwahrung des stipulations verbleibende Urschrift von allen mitwirkenden unterzeichnet. Aktum der Verurkundung in Münsingen, den fünften September 1893841.

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Anhang 11 Schriften aus dem Knauf, geöffnet anlässlich Brand 1913385 Als der Kirchturm am 17. Juni 1913 durch einen Blitzschlag stark beschädigt wurde (siehe Kapitel 4.1.4.), wurde der Knauf geöffnet. Im Knauf befand sich nur ein linsenförmig verlötete Kupferkapsel von 11 cm Durchmesser und 5,5 cm Dicke, die in einem Päcklein sorgfältig verschnürt und versiegelt 7 Schriftstücke aus den Jahren 1755 und 1809 enthielt, sowie 5 Berner Batzenstücke mit der Jahrzahl 1798. Inhalt Schriftstück 1, geschrieben 1755 Dissers hath geschriben zu Ehren der Nachwelt – Frantz Müller des Grichts zu Kisen und Sinth dissmahlige Burgersge- schlächter zu Kisen Hugi, Waber, Bürki, Adam, Kneubühl, Kämbf. Hauser und Müller, Spring. Haben dismahlen ein Ober- herr, Junker Fridrich May, General in Holland: ddiser hath zu sineren Nachgedenken hierin getan drey Bern fünfbätzler von Ano 1755 gezeichnet. Franz Müller hat darein getan ein Zürcher Stückli, welches 15 Fr macht. Actum da diseren Hälm neüw gemacht d. 13. Herbstmonat 1755 Bemerkung: Die erwähnten 4 Geldstücke waren nicht mehr im Knauf. Sie sind also bei der im Jahre 1809 erfolgten Öffnung des Turmknaufes weggenommen worden. Der Schreiber Franz Müller war Gerichtssäss und bis Martinstag 1754 Lehenwirt auf dem Wirtshaus zum Löwen in Kiesen, das damals dem Dorfobmann und Chorrichter Hans Hugi gehörte. Inhalt Schriftstück 2, geschrieben 1755 Disser Bern fünf Bätzler hat darin getan Daniel Engemann von Oberwichtrach, Freiweibel des Landgerichts Konelfingen undertheill und Amann des hoch oberkeitlichen Venner Grichts ober Wichtrach auch diss Mahl Wirth und gastgäb in dem Taffähren wirtshus zu ober Wichtrach und er hat das Wirtshus neüw lassen bauwen. Wär disses nicht für ein Bernfünf- bätzler Wihl erkennen der tüje Ihne dem Eltisten Engemann hier zu oberwichtrach zustellen. Das Mäss Kärnen hat diss Mahl golten zu Bern auff dem Merit von zechen bis fierzechen Batzen der schönst: und der Win so geröffen worden zu Bern In den Källeren Wirtshauss geschänket die Mass von zwey biss fünf Batzen. Hier trucke den Engemannen Ihren wappen By wans Einer hat verlohren so kann ers dissem nach lassen stächen. so dieser Helm gestecket war zelt man 1755 Jahr Samstag d. 13 Herbstmoet für wahr. Bemerkung: Auch das in diesem Schriftstück erwähnte Fünfbatzenstück fand sich nicht mehr vor, es ist also zweifelsohne 1809 „dem Eltisten Engemann“ zugestellt worden. Inhalt Schriftstück 3, geschrieben 1755 Anno 1755 den 5ten September, ist ab dem Kilchthurm zu Wichtrach diese Kugel von dem Meister Deck hans Baumann von Oberdiessbach abgenommen, und darin nichts als ein unleslich Blächlin gewesen. Auf der Kugel ware gezeichnet und geschrieben „Ao MCCCCLXXIIII YAHR“, 1597 Peter Koli Deck, 1603 Niklaus Koli, David Müsslin predikant“. Ist also diese Kugel 152 Jahr samt der Helmstangen gestanden ohnverruckt. An Erneüuerung dieses Thurms Kuglen, Kreutz Helmstangen haben gearbeitet Der Meister Deck Hans Baumann von Oberdiessbach, Knechten: Caspar Burkholder von Langnau, Christen Schneider von Buechholderberg. Niclaus Vogel uhrimacher von Oberdiesbach. Niclaus Liechti, Zimmermann von Biglen.Hans Hüp- peler Kessler von Oberdiessbach. Anno 1755 den13ten September ist die Helmstangen vermitdlest des Fläschenzugs durch 16 Männer aufgerichtet worden. Diese Kugel ist erneuwret worden Anno 1755 im September Da Herr Daniel Engimann Freyweibel, Abraham Plüss predi- cant, Bendicht Zimmermann Seckelmeister der Kirchhöri Wichtrach waren, also hat Hüppeler darauf geschrieben. In diesem Jahr waren Gnädige Herren Schultheissen Herr Christoph Steiger Regierender Herr Schultheiss Herr Johann Anthoni Tillier Altschultheiss. Zu Oberwichtrach und Opligen ist Oberherr der Wohlgebohrne Herr Samuel Morloth des kleinen Rahts der stadt und Republic Bern, 85 jahren gesunden alters. Oberherr zu Niderwichtrach ist der Wohledelge- bohrne Hochgeehrte Junker Albrecht Steiger des grossen Rahts in Bern und Alt Landvogt von Thorberg. Oberherr zu Kisen: Ist der Wohledelgebohrne Junker Fryderich May Burger in Bern und General Mayor in ihro hochmögenden Herren General Staadten in holländischen Diensten. Predicant Abraham Plüss, Burger von Bern alters 77 jahr, durch Gottes gnad gesunden zustands. Chorrichter: Obmann Bendicht Tschantz von Oppligen. Assessores: Hans Tschantz, Weibel und Alt Sekelmeister von Wyl. Christen Vögeli, altsekelmeister von Oberwichtrach. Daniel Tschantz, Stathalter und altsekelmeister zu niderwichtrach. Hans Hugi, Aman zu Kisen. Bendicht Tschantz von Niderwichtrach, Altsekelmeister. Bendicht Zimmermann, Neusekel- meister von Oppligen. Hans Waber von Kisen, Chorrichter und Spend Vogt. Chorweibel und Sigrist Hans Engimann von Oberwichtrach. 1755 den 6. Brachmonat, neüi Krisen, ware ein stark Hagelregen. Zu Oberwichtrach und Niderwichtrach, hernach, hernach Krankeit unter das nicht behaglete kommen, die Rostige Röttlen, Alles zur Demühtigung. Korn giltet der Mütt zwey Thaler minder oder mehr. Wein: sind bey Mansgedenken die Reben nit so schön gestanden. Zu Uri, ware eine Rebellion, da die drey fürnemste Redliführer sind hingerichtet worden. Es werden auch die breiten neüwen Wege, im gantzen Bern-gebieth fortgesezet. Es ist auch mit ungemeinen grossen Kosten, der ärgaüwerstalden, zum unteren Bernthor hinein zufahren gemacht worden.

385 Aus „Unterhaltungsblatt zum Geschäftsblatt Thun, 1914, von Heinrich C. Waber

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Der Name des Herrn ist ein hoher Thurm, der gerechte laufft dahin und wird Errettet. Inhalt Schriftstück 4, geschrieben 1809 Heil und mehr Frieden dem Vaterlande! 1809, im Frühjahr musste der Kirchturm schon wieder repariert werden. Es waren damals: Schultheissen des Kantons Bern, die Hochgeachten Herren, Christoph Friedrich Freudenreich, von Bern, regierender Schultheiss. Rudolf von Wattenwyl (v. Montbenay) von Bern, General und Landammann der Schweitz, zweiter Schultheiss. Niclaus Friedrich von Mülinen, gewesener Schultheiss (hatte resigniert), Präsident des Kirchenrath. Seckelmeister: Ferdi- nand Beat Ludwig Jenner. Stadtschultheissen: Imbert Ludwig Berseth, Carl May, Statthalter. Dekane: Johann Ith, Dekan der Classe Bern. Friedrich Leu, Dekan der Classe Büren. Joh. Rudolf Wildbolz, Dekan der Classe Burgdorf, Gottlieb Messmer, Dekan der Classe Langenthal. Joh. Rud. Baumgartner, Dekan der Classe Nidau. Gabriel Leemann, Dekan der Classe Thun. Oberamtmann von Konolfingen: Herr Em. Rudolf von Effinger (von Wildegg) von Bern, gewesener Adjutant des österrei- chischen Generals Wurmser, Dragoner-Oberst zu Kiesen. Pfarrer von Wichtrach: Joh. Rud. Wyss, von Bern, gew. Pfarrer von Buchsee. Chorrichter: 1. Nicl. Däpp, von und zu Oppligen, Statthalter; 2. Christen Vögeli, von und zu Kiesen; 3. Jakob Hofer, von Hasli, zu Oberwichtrach; 4. Nicl. Rubi, von und für Oppligen; 5. Christen Bürki, von Schönthal, zu Oppligen; 6. Hans Schindler, von Töthenbach, zu N. Wichtrach; 7. Bendicht Bucher, von und zu Niederwichtrach; 8. Ulrich Marti, von Tschangnau, zu Kiesen; 9. Christen Marpach, von und zu Oberwichtrach. Dorfgemeinden Oberwichtrach, Niederwichtrach, Kiesen, Oppligen. Historische Nachrichten: Im Jahr 1809 griff Oesterreich nothgedrungen die Franzosen und die an die osreichischen Staaten gränzenden Fürsten des durch Bonaparte geschaffenen Rheinbundes, die Könige von Bayern und Sachsen, auch das Königreich Italien an; führte aber ungeacht der grössten Anstrengungen und der wohlüberlegten Plane und Unternehmungen den Krieg bis jetzt so unglücklich, dass etwa 1 Monat nach dessen Anfang, den 13. May 1809 die österreichischen Heere überall geschlagen und die Hauptstadt der Monarchie, Wien, in den Händen des Kausers der Franzosen war. Schweizerische Truppen be- setzten die Gränzen, werden aber vermuthlich zurückkehren. Die Schweiz ward vom Kriege nicht heimgesucht, sondern bis jetzt wieder gerettet. Im Jahre 1798 ward dieselbe mit den Unfällen des Krieges, seit Jahrhunderten zum Ersten Male, mehr als genug bekannt, als sie von Frankreich ohne Ursache angegriffen und besieget ward. Die Helvetische nach Frankreichs Verordnungen erwählte Regierung triebs bis 1802. Da sie, durch eine Handvoll Berner zur Capitulation gezwungen, nach Lausanne auszog; durch französische Dazwischenkunft ad interim wieder in Bern einzog und regierte bis sie 1803 durch die Be- rühmte Mediations-Acte aufgelöst wurde, vermöge welcher die Cantone wieder sich selbst regieren, und zu General An- gelegenheiten einen Land-Ammann und eine periodische Tagsatzung haben. Im Jahr 1808 ward eine Orgel erkennt, und das Geld dazu durch eine Subskription gesammelt. Die Emporkirche ist wirklich dazu eingerichtet, die orgel noch nicht da. Vor etwelchen Jahren brannten oben im Dorf Niederwichtrach etliche Häuser ab; und etwas später machte der dortige Bach beträchtliche Verwüstungen. Das Kirchspiel mag gegenwärtig etwa 14 bis 15 Hundert Seelen enthalten. Die Bevölkerung hat seit etlichen Jahrzehnten ungemein zugenommen. Die Einführung der Schutzblattern rettet seit mehreren Jahren eine Menge von Kindern und wird die Bevölkerung sehr vermehren. Die Erhöhung des Wohlstandes hat die Gemeinde Herrn Pfarrer Kisling zu verdanken, welcher (der dritte vor mir) den Esparsetten-Bau einführte. Getreidepreise auf dem Korn Markt zu Bern, vom 23. May 1809: Dinkel, Mütt bz. 76-102 Schwarze Wicken Mäs bz. 16-18 Kernen Mäs bz. 16,5–19 Paschi Mäs bz. 12-14 Roggen Mäs bz. 10-12,25 Gersten Mäs bz. 10-11 Erbsen Mäss bz. 20-25 Haber Mäss bz. 72-84 Weisse Wicken bz. 20-21 Haberkernen Mäss bz. 24-28 Mühlikorn bz. 13-14 Habermehl Mäss bz. 20-28 Zu bemerken ist, dass die Getreide-Preise theils wegen vorhergehender Fruchtbarkeit, theils wegen Mangel an Geld, der zumal im Aargau gross ist, weiter unter dem Mittelmässigen stehen. Neben mancher Reparation an den Pfarrgebäuden habe ich diesen Frühling den Weg oben am Lerchenberg verlängert, den Hausgarten ganz umgeschffen und einen Weyer zum Hausbrunnen gemacht. Diesen Frühling war im Lande grosser Mangel an Futter, weil die Witterung im letzten Herbste und dies Frühjahr demselben sehr nachtheilig war. Gegenwärtig verspricht das Jahr alle Fruchtbarkeit. Soviel den älteren Papieren beigefügt zu Wichtrach den 31. May 1809, Joh. Rud. Wyss, Pfarrer seit 29. April 1808.

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Inhalt Schriftstück 5, geschrieben 1809 Das Schriftstück ist vom Statthalter Däpp erstellt worden und enthält die Namen der Chorrichter wie im Schriftstück 4. Weiter keine neuen Aussagen. Inhalt Schriftstück 6, geschrieben 1809 Dieses Schriftstück ist von Lehrer Christian Rüfenacht geschrieben, enthält keine neuen Aussagen zu den Schriftstücken 4 und 5, zudem ist die vorliegende Akte dazu nicht vollständig. Inhalt Schriftstück 7, geschrieben 1809 Es soll sich um einen kleinen Zettel handeln, ohne Datum und Unterschrift, mit folgenden Versen:

Zu dieser letzten Abendzeit, Grassierte ein gar schlechter Streit, DerApostel wolt oben sitzen, Der Keiser solt ihm d‘ Füesse Küssen, Christum Man schier vergessen will, Herr zeige uns ein besser Zihl.

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Anhang 12: Friedhof, Ausbauplan 1974

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