Ausblick: Der Weg Des Zionismus Von Der Utopie Zur Wirklichkeit
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Ausblick: Der Weg des Zionismus von der Utopie zur WIrklichkeit Die so ausstrahlungskräftigen politischen Führungspersönlichkeiten Israels, derer es nicht wenige gab und die alles andere als unumstritten blieben, faszinierten in den vergangenen Jahrzehnten und nicht zuletzt von lCJ77 bis 1983, bis zum Rücktritt Menahem Begins, die Beobachter der israelischen Politik. Nicht allen gefiel alles an den israelischen Politikern. Aber selten blieb man ihnen gegenüber gleichgültig. Israel, Israelis und beson ders israelische Politiker polarisierten, nach außen ebenso wie nach innen. Durch eine Personalisierung der Politik könnte man leicht vergessen, daß die gegenwärtigen und zukünftigen Probleme Israels weniger mit "großen" Männern und Frauen als vielmehr mit der Identität des jüdi• schen Staates zusammenhängen. Der Staat steckt in einer ,Identitäts• krise', die eine bislang nie gekannte Polarisierung und, daraus abgelei tet, auch im Weltjudentum bewirkt hat (vgl. Wolffsohn, 1983 b). Diese Identitätskrise hat einen arabisch-jüdischen sowie einen innerjüdischen Aspekt. Zunächst zum arabisch-jüdischen Bereich: Der Krieg gegen die PLO im Libanon, besonders die Massaker in den heiden Beiruter Flüchtlingslagern (1982), hat den Israelis deutlicher als frühere Ereig nisse die Kosten des eigenen Erfolges drastisch vor Augen geführt. Dies bezieht sich auf den Kampf gegen die PLO, ja sogar auf das zionistische Autbauwerk schlechthin: Sollte das Leid der Palästinenser der Preis für einen jüdischen Staat sein? fragen erstmals seit dem Herbst 1982 nicht nur Randgruppen sondern weite Kreise der Bevölkerung Israels. Zugleich wurden Zweifel an der Strategie der militärischen Hegemo nie, d.h. der militärischen Übermacht laut. Bislang hieß es immer, Is rael müsse militärische Übermacht besitzen, damit die Araber nicht den jüdischen Staat vernichten könnten. Nun aber stellen viele betrof- 421 fen fest, daß politisches und militärisches Vormachtdenken zur Ver nichtung des Gegners führen kann. Und weiter: Wie konnte man angesichts des Charakters des Libanon Krieges guten Gewissens an den moralischen Anspruch der israeli schen Armee glauben, der, wie es hieß, die "Reinheit der Waffen" zum Prinzip erhob? Zusätzliche, keineswegs neue Kratzer bekam das Bild des iraelischen Militärs seit dem Ausbruch der Intifada (vgl. Schreiber, 1989). Brutales Vorgehen gegen Palästinenser in den besetzten Gebie ten blieb nicht auf Einzelfiille beschränkt. Die Fragen und Selbstkritik wurden grundsätzlicher: Noch unmittel bar nach dem Sechstagekrieg, 1967, hatte man geglaubt, eine freundli che Besatzungsmacht sein zu können. Eine Illusion, vor der schon Nic colo Machiavelli im dritten Kapitel seines Klassikers "Der Fürst" ge warnt hatte: "Unzählige Gewalttätigkeiten" würde eine "militärische Besetzung" hervorrufen. Und" ...wenn Gebiete erworben werden in ei nem Land von fremder Sprache, Sitte und Verfassung, da beginnen die Schwierigkeiten ..." Das geradezu klassische "Volk der Opfer", Juden, könnten gar nicht brutale Besatzer, also Täter werden, nahmen viele Is raelis und Freunde Israels an. Allmählich begann die ewige Wiederkehr der Geschichte von Besatzungsmächten. Es vollzog sich ein zunächst noch kaum bemerkter und bemerkbarer Rollentausch: Nicht alle, aber immerhin einige, und gar nicht so wenige Mitglieder des "Volkes der Opfer" konnten zu Tätern werden. Die Vergangenheit war kein Garan tieschein für die Gegenwart und Zukunft. Keiner ist immun. Jeder Da vid ist ein potentieller Goliath. Eine Feststellung, die überall und im mer gilt. Seit der Intifada wurde es allen bewußter. Dieser Wandel be traf und traf den moralischen Lebensnerv der Juden in Israel und in der Diaspora. Die moralische Grundlage israelischer und jüdischer Exi stenz geriet ins Wanken. Vereinfacht kann man sagen, daß es heute zwei Denkschulen in Israel gibt: Die eine erklärt, anders könne man mit "den Arabern" im allge meinen und "den Palästinensern" nicht "fertigwerden". Diese Rich tung wurde von Begin und Scharon, auch dem zwischen 1978 und 1983 amtierenden Generalstabschef Eytan, angeführt. Die andere Denk schule glaubt mehr an Kompromisse als an Konfrontation und meint, die palästinensischen Ziele mit den zionistischen aussöhnen zu können. Der Brutalisierung nach außen scheint auch eine Brutalisierung nach innen zu entsprechen, zumindest teilweise: Eine militärinterne Kom mission berichtete im Januar 1990 dem Generalstabschef von systemati schen Drangsalierungen, denen Rekruten ausgesetzt wurden (Z. Schiff, Haaretz, 30.1.1990). Einzelfiille oder Symptome? Der Generalstabs- 422 chef, eher ein Liberaler, leitete ebenso wie Verteidigungsminister Rabin weitere Untersuchungen ein. Wie immer das Ergebnis ausfällt: Die Ver wirklichung des ohnehin problematischen Ideals der "Reinheit der Waffen" rückt in noch weitere Femen. Hat nicht gerade die Entwicklung seit 1'J77 doch den Falken recht ge geben, die sich, wie einst Jabotinsy, vom Gedanken an die "Eiserne Wand" leiten ließen? Diesem Gedanken liegt die Annahme zugrunde, daß "die Araber" sich zwar nicht mit der Existenz eines zionistisch jüdischen Gemeinwesens in Palästina anfreunden könnten, doch abfin den würden, da sie, nach wiederholten militärischen Fehlschlägen, ein sehen müßten, vergeblich gegen eine "Eiserne Wand" anzurennen. Ist nicht letztlich der am 26. März 1979 geschlossene Friedensvertrag mit Ägypten, auch das nicht lange währende Abkommen mit dem Libanon vom 17. Mai 1983, ja nicht sogar die indirekt ausgesprochene Anerken nung Israels durch die Mehrheit der Arabischen Liga (Gipfelkonferenz von Fez, September 1982) und die Mäßigung von Teilen der PLO eine Bestätigung dieses Denkansatzes? Daß Jassir Arafat im Dezember 1988 Israels Existenzrecht öffentlich anerkannte, ließe sich auch als unfrei willige Bestätigung der Doktrin der "Eisernen Wand" interpretieren. Der Leitgedanke von der "Eisernen Wand" hat, genau besehen, eine defensive und eine offensive Variante. Die defensive zielt allein darauf ab, das Bestehende abzusichern; die offensive, die besonders 1982 im Libanon-Krieg gegen die PLO erkennbar wurde, verlagert die Grenzen dieser Mauer immer weiter nach vorne - zur "Sicherung" des Kernge bietes. Man könnte hier statt von einer "Eisernen Wand" in sehr freier Anlehnung an Shakespeares "Macbeth" von einem "Eisernen Wald" reden, der seinem Gegner immer näher kommt. Der Prophet Secharija (2/ 8) sprach von einer "Feuermauer" als Schutz des wiedererrichteten Jerusalern. Heute stellt sich die Frage, ob diese Feuermauer nicht nur die Feinde von außen, sondern auch die Juden von innen verbrennt. In nerhalb dieser Mauer leben zudem nicht nur Juden, sondern auch Nichtjuden: die Araber Israels und die Palästinenser der besetzten Gebiete. Doch einschränkend in bezug auf diesen "Eisernen Wald", der ei gentlich schon bei Vergeltungsaktionen vor und seit dem Krieg von 1982 sichtbar wurde, muß bemerkt werden, daß "die" arabische Seite durch ungeschicktes politisch-militärisches Handeln denjenigen Vor wände lieferte, die aus der "Eisernen Wand" Israels einen "Eisernen Wald" machen wollten. Der innerjüdische Aspekt hängt eng mit dem jüdisch-arabischen zu sammen. Hier gilt es, die jüdische Substanz des jüdischen Staates zu 423 bestimmen. Stark vergröbert lautet die Frage: Soll die Bibel politischer Atlas oder moralischer Kompaß sein? Mit anderen Worten: Soll das Westjordanland annektiert, d.h. in das israelische Staatsgebiet einbezo gen werden, weil es einst das Land der Bibel war, oder kommt es mehr darauf an, im Sinne der Bibel zu leben? Für die Falken ist der Krieg gegen die PLO Teil des Kampfes um das Land der Bibel. Die Tauben pochen auf den moralischen, nicht auf den geographischen Anspruch der Bibel. Die Härte der militärischen Auseinandersetzung mit der PLO und seit der Intifada deckte ein weiteres Dilemma der jüdischen Identität im jüdischen Staate auf: Sollte sich die israelische Armee, Zahal, inzwi schen zu einer Armee "wie alle anderen" entwickelt haben? Mehr noch: Ist Israel inzwischen "wie alle anderen Völker" geworden? Für bewußte Juden, welche die "Auserwähltheit" als moralischen An spruch, nicht als Garantieschein betrachten, eine Frage, deren Formu lierung oder deren Notwendigkeit einem Schauder über den Rücken laufen läßt. Hinzu kommt, daß eine Annexion der besetzten Gebiete den bislang unbestreitbaren demokratischen Charakter Israels langfri stig gefiihrden muß, denn bei einer nur zu drei Fünftel jüdischen und zu zwei Fünftein arabischen Bevölkerung könnte man einen in bezug auf politische Führung und Werte rein jüdischen Staat nicht mehr aufrecht erhalten, es sei denn, man verzichtete auf die Demokratie. Zionismus oder Demokratie? Israelische Sozialwissenschaftler und Politiker haben die Alarmsig nale erkannt. Sie stellten vor allem seit Beginn der Intifada eine "Ero sion demokratischer Einstellungen" fest: Die Sehnsucht nach "starker Führung", die " frei " weder auf Wahlen noch parlamentarische Kon trollen "Rücksicht nehmen" müßte, nahm zwischen 1987 und 1989 um 11 % zu (Y. Peres, in: Israeli Democracy, Winter 1990: 16). Knapp die Hälfte aller jüdischen Israelis befürwortete eine derartige "starke Füh• rung" in "Israels derzeitiger Lage" (ebd.). Die jüdische Exklusivität des jüdischen Staates gilt heutzutage nicht mehr als unumstößliches Dogma in Israel. Nicht nur Randgruppen sind von Selbstzweifeln angekränkelt oder befallen. Im Oktober 1986 hat Schirnon Peres, noch als amtierender Ministerpräsident, einen Bundes staat vorgeschlagen, der Israelis, 10rdanier und Palästinenser umfassen