Erfolgsmodell Bürgerenergiewende

W ie wird Energieeffizienz zum Bürgerprojekt?

Dokumentation des Fachgesprächs vom 27. Februar 2015 in Berlin IMPRESSUM

Herausgeberin Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin www.gruene-.de

Verantwortlich Dr. Julia Verlinden MdB Sprecherin für Energiepolitik Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin E-Mail: [email protected]

Redaktion Mira Schirrmeister, Georg Bonsiepe

Bezug Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Info-Dienst Platz der Republik 1 11011 Berlin Fax: 030 / 227 56566 E-Mail: [email protected]

Schutzgebühr € 1,50

Redaktionsschluss Juni 2015

INHALT |ERFOLGSMODELL BÜRGERENERGIEWENDE

Vorwort ...... 5

Erfolgsmodell Bürgerenergiewende ...... 6

Die Bürgerenergiewende im Effizienzbereich Sebastian Blömer ...... 9

Regionale EnergieEffizienzGenossenschaften (REEG) als die Energiegenossenschaften 2.0 Professor Dr. Maximilian Gege und Herbert Köpnick ...... 12

Crowdfunding für Energieeffizienz – neue Finanzierungsinstrumente und Beteiligungschancen Marylin Heib ...... 17

Erfahrungen mit Bürgereffizienzprojekten in NRW Detmar Schaumburg ...... 18

Energie-Effizienzpolitik und Bürgerenergie: Handlungsansätze für die Politik Christian Maaß ...... 20

Bürgerenergieeffizienzwende ermöglichen Fazit von Dr. Julia Verlinden MdB ...... 23

Anträge ...... 24

18/1619 Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen - EU- Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen

18/4712 Entschließungsantrag zum Kleinanlegerschutzgesetz

4 | | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion VORWORT

Es sind nicht die großen Energiekonzerne, die in und eine Debatte über die notwendigen politi- Deutschland die Energiewende vorantreiben. Es schen Unterstützzungen für solche Bürgerprojekte sind die Bürgerinnen und Bürger, die als Pioniere anzustoßen. Wir freuen uns über Feedback und vorangegangen sind. Sie tun sich zusammen, er- Anregungen dazu und bleiben am Thema dran. richten gemeinsam Windräder, montieren Solar- Viel Spaß beim Lesen! zellen auf Dächer und haben damit die Energie- wende so weit gebracht, wie sie heute ist: 28 % Wünscht des in Deutschland verbrauchten Stroms kommen heute bereits aus Erneuerbaren Energien. Dr. Julia Verlinden MdB Sprecherin für Energiepolitik Bürgerprojekte sind der Treiber der Energiewende in Deutschland. Dieses – auch finanzielle – Enga- gement ist der Schlüssel für den Umbau hin zu einer zukunftsfähigen, zu einer enkeltauglichen Energieversorgung. Der Beitrag der Bürgerinnen und Bürger zur Energiewende ist beeindruckend. Denn knapp die Hälfte der Anlagekapazitäten, die erneuerbaren Strom produzieren, ist in Bürger- hand 1.

Dieses Erfolgsmodell gilt es nun, auf andere Berei- che der Energiewende zu übertragen. Wenn es uns gelingt, Bürgerengagement auch verstärkt für Energieeffizienz- und Energiesparprojekte zu akti- vieren, erschließen wir Bürgerinnen und Bürgern neue, auch finanziell attraktive Möglichkeiten, die Energiewende weiter voranzutreiben.

Noch liegen hier viele Potenziale brach. Um sie zu heben, müssen wir herausfinden, welche Hinder- nisse dem Bürgerengagement im Effizienzbereich im Wege stehen und welche Rahmenbedingungen die Politik schaffen muss, damit Bürgerprojekte ermöglicht statt behindert werden. Dazu gehört auch, das Thema Energiesparen und Energieeffizi- enz in die Öffentlichkeit zu tragen, um das Be- wusstsein für die riesigen Potenziale, die hier schlummern, zu schärfen.

Das Fachgespräch und dieser Reader der Bundes- tagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen sollen einen Beitrag dazu leisten, das Thema Bürgerprojekte im Energieeffizienzbereich noch breiter zu verankern

1 trend:research & Leuphana Universität Lüneburg: „Definition und Marktanalyse von Bürgerenergie in Deutschland“, Oktober 2013

06/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | 3 ERFOLGSMODELL BÜRGERENERGIEWENDE

WIE WIRD ENERGIEEFFIZIENZ ZUM BÜRGERPROJEKT?

Zusammenfassung des Fachgesprächs zienz und Suffizienz. Ihr Regionalbezug sei eine weitere Stärke. Gleichzeitig gilt es hohe Hürden zu Die Energiewende kann in allen Bereichen nur überwinden, beispielsweise die große Komplexität erfolgreich bestritten werden, wenn es gelingt, das vieler Energieeffizienz-Projekte und externe Wi- Interesse und Engagement der Bürgerinnen und derstände wie die häufig vorhandene Skepsis in Bürger zu aktivieren. So wird der Ausbau der Öko- Kommunalverwaltungen gegenüber Contracting- stromerzeugung seit Jahren vor allem durch das Verträgen. Engagement der Bürgerinnen und Bürger vorange- trieben. Ähnliches könnte auch im Effizienzsektor Praxisbeispiel 1: vor Ort in Energiesparen inves- möglich werden. Energieeffizienz ist der Schlüssel, tieren und Energiewende gestalten um Energiekosten einzusparen und die Klima- Als erstes Praxisbeispiel präsentierte Herbert schutzziele zu erreichen. Investitionen in Effizienz Köpnick von B.A.UM. e.V. die Regionalen Energie- lohnen sich, und zwar nicht nur für das Klima, effizienz-Genossenschaften (REEG). Bisher wären sondern auch für Unternehmen, Kommunen und Energiegenossenschaften kaum im Geschäftsfeld die Bürgerinnen und Bürger. Gerade jetzt, wo die Energieeffizienz aktiv. Doch die REEG könnten die Energiewende von der Bundesregierung vernach- Energiewende beflügeln. So hätten der Austausch lässigt wird, braucht es die Bürgerinnen und Bür- von Leuchtmitteln in Industriehallen oder der Er- ger mehr denn je, denn sie wollen sich weiterhin richtung eines Pool-Caps in einem Hotel durch für die Energiewende engagieren und brauchen REEG bereits bis zu 190 % Rendite erbracht. Man dafür geeignete Rahmenbedingungen. befinde sich allerdings noch in der Pilotphase mit Doch immer noch konzentriert sich die Debatte um den REEG. Politische Unterstützung sei notwendig, die Energiewende auf den Ausbau erneuerbarer jedoch gäbe es durch das geplante Kleinanleger- Energien. Das Energiesparen steht weiterhin allzu schutzgesetz und die EEG-Reform auch viel Verun- sehr im Schatten. Woran liegt es, dass Energieeffi- sicherung bei den Akteuren. Um die „Goldgrube zienz noch nicht so ein großes Erfolgsprojekt ist Energieeffizienz“ zu heben, müssten gesetzliche wie Bürgerenergie bei Erneuerbaren? Und wie Hürden abgebaut statt verstärkt werden, wie er kann es gelingen, mehr Energieeffizienzprojekte in anhand von Beispielen erläuterte. Gerade in der Bürgerhand zu verwirklichen? Diese Fragen stan- Zusammenarbeit von IHKen, Kirchen, Bürgermeis- den im Mittelpunkt des Fachgesprächs der grünen tern und Zivilgesellschaft vor Ort läge die Stärke Bundestagsfraktion am 27.Februar 2015. des Modells REEG.

Die Bürgerenergiewende im Effizienzbereich Praxisbeispiel 2: Crowdfunding für Energieeffizi- enz – neue Finanzierungsinstrumente und Betei- Nach der Begrüßung durch den stellvertretenden ligungschancen Fraktionsvorsitzenden und die Sprecherin für Energiepolitik Julia Verlin- Im zweiten Praxisbeispiel stellte Marilyn Heib die den gab Sebastian Blömer vom ifeu-Institut in Energieeffizienz-Crowdfunding-Plattform seinem Vortrag einen Überblick zum Thema Bür- bettervest vor. Bettervest stellt auf ihrer Homepage gerbeteiligung im Bereich Energieeffizienz. Er prä- Energieeffizienz-Projekte vor und sammelt von sentierte erste Ergebnisse einer Studie, die vom Privatleuten (der „Crowd“) Geld ein um Energieef- Bündnis Bürgerenergie und dem BUND in Kürze fizienzprojekte zu finanzieren, als Alternative zu veröffentlicht wird. Diese zeigen, dass Bürgerbe- herkömmlichen Kreditfinanzierungen über Ban- teiligung mehr ist als nur finanzielles Engagement. ken. Die Bürgerinvestoren bekommen über eine Der besondere Reiz von Bürgerprojekten liege un- Laufzeit von wenigen Jahren ihr angelegtes Geld ter anderem in der Verbindung von Energieeffi- plus Zinsen zurückgezahlt. Da 89% aller Bürgerin-

4 | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 06/2015 nen und Bürger die Energiewende wollen, habe Effizienzpolitik und Bürgerenergie: Handlungs- bettervest keine Probleme, Investoren zu finden, ansätze für die Politik auch wenn es nicht ohne Risiko ist, Geld als Nach- Christian Maaß vom Hamburg-Institut stellte ab- rangdarlehen bei bettervest anzulegen. Es gebe schließend in seinem Vortrag die Stärken und ein eher großes Interesse an spezifischen Invest- Schwächen von Bürgerenergieeffizienz heraus. Er ments in Deutschland, die über Crowdfunding- ordnete das Thema Energieeffizienz in den Kontext Plattformen getätigt werden könnten. Insgesamt der Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie verzeichne der Crowdfunding-Markt enorme ein, in der Energiedienstleistern eine herausgeho- Wachstumszahlen. Ein Vorteil neben den niedrigen Beträgen, mit denen man sich schon beteiligen kann, seien die enormen Marketing-Effekte, die vor allem über social media erreicht würden. Wenn nicht neue gesetzliche Hürden wie das Kleinanlegerschutzgesetz das Geschäftsmodell gefährden würden, hätte man genug Investoren, um noch viel mehr Energieeffizienz-Projekte um- zusetzen.

Praxisbeispiel 3: Erfahrungen mit Bürger- Effizienzprojekten in NRW bene Rolle zukommt, da sie viele Hindernisse im Bereich Energieeffizienz wie das Investor-Nutzer- Das dritte Praxisbeispiel „solar und spar“ stellte Dilemma (derjenige, der investiert, ist nicht iden- der Energieberater Detmar Schaumburg vor. Mit tisch mit demjenigen, der von den Einsparungen diesem Modellvorhaben wurden Schulen energe- profitiert) überwinden können. Es handele sich bei tisch saniert und Photovoltaik-Anlagen installiert. der Energieeffizienz also nicht um ein „verwaistes Man habe dabei jedoch nicht die höchste Wirt- Geschäftsfeld“. Vor diesem Hintergrund regte er schaftlichkeit in den Vordergrund gestellt, sondern unter anderem an, Bürgerprojekte bei Ausschrei- versucht, unter Effizienzgesichtspunkten möglichst bungen explizit zu berücksichtigen, staatliche viel zu erreichen. Es wurden also auch Maßnah- Bürgschaften für Effizienzprojekte (über Kommu- men ergriffen, die verhältnismäßig kompliziert nen oder Landesförderbanken) bereitzustellen, und aufwendig umzusetzen waren und keine den Markt für Energiedienstleistungen durch Ein- schnellen Renditen versprechen. Dadurch habe sparverpflichtungen zu stärken, oder auch An- man nicht der Kommune die schwierigsten und schubfinanzierung für Bürger-Effizienzprojekte teuersten Effizienz-Maßnahmen übrig gelassen, sicherzustellen. Darüber hinaus regte er an, kom- sondern dafür gesorgt, dass am Ende alle profitie- munale Wärmeplanung als verpflichtende Aufgabe ren. Rein durch technische Maßnahmen habe man für Kommunen festzulegen und beispielsweise bis zu 65% Energieeinsparung erreicht. Obwohl Energiebeauftragte zu ernennen. die Modellprojekte sehr erfolgreich waren, geht es nicht weiter. Ein Problem sei, dass am Anfang ei- Betont wurde in der Diskussion, dass viele Men- nes Projekts häufig das Geld für die Initialzündung schen nicht einfach nur Geld mit Energieeffizienz fehle. Schließlich müsse man Investoren belastba- verdienen, sondern sich auch engagieren und re Zahlen zu Einsparungen, Kosten usw. präsentie- mitreden wollen. Verlässliche gesetzliche Rahmen- ren, die sich jedoch nicht ohne finanziellen Auf- bedingungen seien wichtig, damit Vertrauen in die wand ermitteln lassen. Es gäbe außerdem in vie- Energiewende erhalten bleibt. Eine Herausforde- len Kommunen Unsicherheit, ob man solche Pro- rung stellen auch noch die Verwaltungen dar, jekte überhaupt machen dürfe oder ob man sie denn „die Energiewende im Kopf“ sei dort noch beispielsweise eigentlich vorher europaweit aus- nicht überall angekommen, zumal viele rechtliche schreiben müsste. Unklarheiten auf kommunaler Ebene bestehen würden.

06/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | 5 In ihrem Fazit fasste Julia Verlinden zusammen, dass es viele Möglichkeiten für Bürgerinnen und

Bürger gäbe, selbst im Bereich Energieeffizienz aktiv zu werden. Dies sei auch dringend notwen- dig, da die Bundesregierung trotz aller wohlmei- nenden Worte in diesem Bereich bisher kaum et- was erreicht hätte.

Alle Folien der Vorträge sind online unter: gruene-bundestag.de >> Themen >> Energie >>

Wie wird Energieeffizienz zum Bürgerprojekt? oder http://gruenlink.de/wrn

6 | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 06/2015 DIE BÜRGERENERGIEWENDE IM EFFIZIENZBEREICH

Von Sebastian Blömer, ifeu – Institut zungsgrad zu erreichen. Dazu gehören beispiels- weise der Wechsel alter Beleuchtungsmittel durch Die Reduktion des Energieverbrauchs als zweites effizientere LED-Leuchten, die Modernisierung von Standbein der Energiewende Heizungssystemen durch die Installation von neu- Im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen Transfor- en Heizkesseln, Blockheizkraftwerken oder Pum- mationsprozesses ist die unmittelbare Einbindung pen, die Einrichtung eines Wärmenetzes mit Kraft- der BürgerInnen für eine erfolgreiche Energiewen- Wärme-Kopplung oder Abwärmenutzung, die Ge- de von zentraler Bedeutung. Die Potenziale einer bäudedämmung sowie technische aktiven Bürgerbeteiligung verdeutlicht der ra- Systemoptimierungen, etwa durch den hydrauli- sante Ausbau dezentraler Anlagen zur Nutzung schen Abgleich von Wärmeverteilsystemen oder erneuerbarer Energien im Stromsektor, der maß- intelligente Steuerungsgeräte für elektrische Anla- geblich durch bürgerschaftliche Akteure vorange- gen und Wärmeversorger. Suffizienzmaßnahmen trieben und finanziert wurde. Während auf der umfassen demgegenüber Anpassungen des Verhal- Versorgungsseite bedeutende Fortschritte erzielt tens von Nutzern energetischer Systeme, mit dem werden konnten, werden Maßnahmen zur Mini- Ziel, deren absoluten Energieverbrauch zu mini- mierung des Energieverbrauchs als zweites Stand- mieren. Dazu gehören sinnvolles Lüftungsverhal- bein der Energiewende bisher nur zögerlich umge- ten in Gebäuden oder eine Anpassung von Raum- setzt. temperaturen und Beleuchtung an die Nutzungs- muster. Eine von IFEU et al. (2011) durchgeführte Poten- zialabschätzung beziffert das Potenzial der mögli- Aus finanzwirtschaftlicher Sicht sind Effizienzmaß- chen, wirtschaftlich attraktiven Reduktion des nahmen zumeist investive Maßnahmen, während jährlichen Energieverbrauchs auf rund 25 % bis Suffizienzmaßnahmen den primär nicht- 2030 . In welcher Form genau dieses Potenzial investiven Maßnahmen zugerechnet werden kön- erschlossen werden kann und soll ist offen. Wäh- nen. In der praktischen Umsetzung von Energie- rend in der Industrie und in großen Gewerbebe- sparmaßnahmen lassen sich maximale Einsparun- trieben in stärkerem Umfang privatwirtschaftliche gen durch die Kombination technischer Effizienz- Energiedienstleister an der Umsetzung von Ener- maßnahmen und darauf abgestimmter Anpassun- giesparmaßnahmen beteiligt sind, werden große gen des Nutzerverhaltens erreichen. Die Einbin- Teile des Effizienzmarktes, vor allem im Bereich dung von BürgerInnen als potenzielle Nutzer ener- kleinerer Unternehmen und öffentlicher Liegen- getischer Systeme ist in diesem Kontext besonders schaften, die in der Summe einen großen Teil des interessant, da sich aus einer finanziellen Beteili- Einsparpotenzials bergen, bisher nur unzureichend gung an Einsparmaßnahmen Synergien hinsicht- adressiert. lich einer gesteigerten Sensibilisierung für eine Anpassung des Nutzerverhaltens ergeben können. Begriffsdefinition Beteiligungs- und Finanzierungsmodelle für Bür- Unter dem Begriff „Energiesparen“ werden sowohl gerInnen die Durchführung technischer Effizienzmaßnah- men als auch Verhaltensanpassungen bzw. In welcher Form können BürgerInnen an Energie- Suffizienzmaßnahmen zur Reduktion des Energie- sparmaßnahmen beteiligt werden? Über die indi- verbrauchs subsummiert. Effizienzmaßnahmen viduelle Beteiligung von BürgerInnen durch Ein- umfassen den vollständigen Austausch oder die sparmaßnahmen in ihrem Eigentum (Gebäudesa- technische Optimierung von Energieumwand- nierung, Kauf effizienter Haushaltsgeräte, etc.) lungsanlagen und Gebäuden, mit dem Ziel bei hinaus, spielen für eine breitere Umsetzung von vergleichbarem Nutzen eine Minimierung des Einsparmaßnahmen in KMU und Kommunen ge- Energieverbrauchs und damit einen höheren Nut- meinschaftliche Beteiligungsmodelle eine wichti-

06/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | 7 ge Rolle . Diese können in Anlehnung an den Be- sich zwei Handlungsfelder ausmachen, die in griff der Bürgerenergie als gemeinschaftliche In- besonderem Maße für Bürgerbeteiligungsmodelle vestition von Kapital, Arbeitszeit und Know-how interessant sind: die energetische Modernisierung von BürgerInnen in die Durchführung von Ener- kommunaler Liegenschaften und KMU und eine giesparmaßnahmen definiert werden. Zentrale direkte Einbindung von BürgerInnen in die Um- Bewertungskriterien für gemeinschaftliche Beteili- setzung energieeffizienter Wärmeversorgungssys- gungsmodelle sind die Regionalität und die Mit- teme wie Nahwärmenetze oder BHKW . bestimmungsmöglichkeiten der BürgerInnen Prinzipiell bietet die Akquise von Bürgerkapital für (Leuphana und trend:research 2013). externe Direktinvestitionen in Energieeffizienz- Eine Finanzierung von Energieeffizienzmaßnah- maßnahmen in kleinen und mittleren Unterneh- men durch BürgerInnen kann auf verschiedenen men und öffentlichen Liegenschaften , die über Ebenen bzw. unter verschiedenen Beteiligungs- keine ausreichenden finanziellen Mittel verfügen graden erfolgen. Als Finanzierungsinstrument wird um „zusätzliche“ Energieeffizienzinvestitionen zu bei allen Beteiligungsmodellen in der Regel auf tätigen, ein großes Potenzial in Bezug auf die er- Nachrangdarlehen seitens der BürgerInnen zu- zielbaren absoluten Einsparungen, das von pri- rückgegriffen, die im Schadensfall (Insolvenz oder vatwirtschaftlichen Energiedienstleistern mit der Geschäftsverlegung des Projektinhabers) erst nach Fokussierung auf schlanke Geschäftsabläufe und der Auszahlung aller anderen Gläubiger zurückge- hohe Margen nicht erschlossen werden kann . Mit zahlt werden und damit ein erhöhtes Verlustrisiko, einem wachsenden privaten Geldvermögen von inklusive des Risikos des Totalverlusts, bergen. aktuell rund 3,6 Bio. Euro (netto) besteht ein enormes Potenzial zur verstärkten Umsetzung von Beim Crowdfunding wird, in der Regel über ein Energieeffizienzmaßnahmen durch Bürgerkapital. Web-Portal eines externen Crowdfunding- Über die Finanzierung hinaus, ergeben sich bei Dienstleisters, Kapital von privaten Kleinanlegern Initiativen mit engem Regionalbezug, darunter akquiriert und einem Projektinhaber zur Durch- primär Bürgerenergiegenossenschaften, durch die führung einer Effizienzmaßnahme zur Verfügung Vernetzung und Kooperation mit lokalen Akteuren gestellt. Im Gegenzug erhalten die Anleger eine spezifische Vorteile bei der Initiierung lokaler Pro- attraktive Rendite auf ihre Einlage. Bei Miet- oder jekte. Kleinteilige, dezentrale Maßnahmen können Mietkauf-Modellen werden effiziente Anlagen durch die Beteiligung lokaler Akteure besser iden- durch gemeinschaftliche Bürgerinitiativen an ei- tifiziert und umgesetzt werden als durch große, nen Auftragnehmer vermietet. Die Refinanzierung externe Dienstleister. der Ratenzahlungen erfolgt seitens des Auftrag- nehmers durch die erzielten Energiekosteneinspa- Handlungsoptionen rungen. Beim Energiespar-Contracting erwirbt der Wichtige Maßnahmen die gesetzlichen Rahmenbe- Investor ein Recht auf die erzielten Einsparungen dingungen betreffend, sind eine Ausnahmerege- bei den Energiekosten und übernimmt damit die lung bei der Prospektpflicht für Genossenschaften volle Verantwortung für das Erreichen der Einspar- (Angebote auch an Nicht-Mitglieder) sowie eine ziele und darauf aufbauend die Wirtschaftlichkeit Anpassung der Bestimmungen an Crowdfunding- des Geschäftes. Der Investor trägt in diesem Fall Modelle (Kein Vermögensinformationsblatt auf neben dem Investitionsrisiko auch das Einsparrisi- dem Postweg, Obergrenze von 1 Mio. Euro hinter- ko. fragen), die im Kleinanlegerschutzgesetz veran- Potenziale der Bürgerbeteiligung kert werden sollen.

Gemeinschaftliche Bürgerbeteiligungsmodelle bie- Ein weitere Möglichkeit Bürgerfinanzierung in ten die Möglichkeit, die spezifischen Hemmnisse kleinerem dezentralen Rahmen zu ermöglichen, der Kleinteiligkeit und der Dezentralität sowie der wäre die Einrichtung eines Risikoabsicherungs- Geschäftsfremdheit bei der Umsetzung von Ener- Fonds (Landesbürgschaft o.ä.), der bei Insolvenzen giesparmaßnahmen zu überwinden. Dabei lassen von Contracting-Nehmern oder bei Nicht-Erreichen

8 | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 06/2015 von Einsparzielen einspringt. Die bisher im NAPE lässigt. Ein Ansatz die BürgerInnen strukturell bes- eingebrachte Absicherung über Bürgschaftsbanken ser in das Ausschreibungsmodell zu integrieren, zielt eher auf KMU, es ist nicht klar, inwieweit wären verpflichtende Anteile von Bürgerbeteili- auch Bürgerinitiativen bzw. Energiegenossen- gung an ausgeschriebenen Energieeffizienzpro- schaften davon profitieren können. jekten . Ein Ähnliches Konzept wird derzeit etwa in Mecklenburg-Vorpommern mit einer verpflichten- Eine zentrale Option zur Förderung von Bürgerbe- den wirtschaftlichen Beteiligung von 20% von teiligung an Energiesparmaßnahmen in kommu- Anwohnern und Kommunen an Windkraft- nalen Liegenschaften wäre die Entwicklung eines Projekten (Landesregierung Mecklenburg- Anreizsystems zur Effizienzoptimierung in öffent- Vorpommern 2015). lichen Gebäuden . Denkbare initiale Maßnahme wäre hier eine Informationsplattform zur Beteili- Eine allgemein wichtige Erkenntnis ist, dass Bür- gung von BürgerInnen an Energiesparmaßnah- gerbeteiligung an Energiesparmaßnahmen in men in öffentlichen Liegenschaften im Rahmen engem Zusammenhang mit der Beteiligung an der nationalen Klimaschutzinitiative . Von speziel- der Energieerzeugung steht . Deutlich wird dies ler Bedeutung ist in diesem Kontext die Problema- speziell am Beispiel von Bürgerenergiegenossen- tik der Ausschreibungspflicht für öffentliche Auf- schaften. Hier zeigt sich, dass jene Genossenschaf- träge . Hier herrscht in vielen Kommunen Unsi- ten, die durch ein weitreichendes Engagement cherheit, in welcher Form Bürgerbeteiligungsmo- beim Ausbau der erneuerbaren Energien sowohl delle ausgeschrieben werden können. wertvolles Fachwissen als auch eine für professio- nelle Geschäftsabläufe relevante wirtschaftliche Darüber hinaus gilt es, das generelle Wissensdefizit Mindestgröße erreicht haben, bessere Vorausset- in Bezug auf Energiespar-Contracting oder Miet- zungen für eine Beteiligung an Energieeffizienz- /Mietkaufmodelle in der Verwaltung zu minimie- projekten haben. ren. Das Energiespar-Contracting speziell durch Genossenschaften kann durch offizielle Leitfäden und Musterverträge gefördert werden, die eine Literatur vereinfachte Organisation von Fremdkapitalbeteili- gungen ermöglichen. Hierbei sollten speziell die IFEU, Fraunhofer ISI, Prognos, GWS (Hrsg., 2011): Rahmenbedingungen von Bürgerbeteiligung ange- Energieeffizienz: Potenziale, volkswirtschaftliche sprochen werden. Effekte und innovative Handlungs- und Förderfel- der für die Nationale Klimaschutzinitiative. Heidel- Durch das im NAPE etablierte Ausschreibungsmo- berg u.a. (Web: dell für Energieeffizienzmaßnahmen werden https://www.ifeu.de/energie/pdf/NKI_Endbericht_2 Bürgerbeteiligungsmodelle systematisch benach- 011.pdf ). teiligt . Dem Grenzkostenansatz folgend, liegt hier das Augenmerk auf der möglichst kostengünstigen Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg., Erschließung von Potenzialen. Bürgerbeteili- 2015): Energiepolitische Konzeption für Mecklen- gungsmodelle sind durch den höheren Verwal- burg-Vorpommern. Web: tungsaufwand gemeinschaftlicher Kapitaleinlagen http://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg- und weniger professionalisierte Geschäftsabläufe vorpommern/energiekonzept128.pdf (Abgerufen bei derartigen Ausschreibungen gegenüber priva- am 16.03.2015). ten Energieeffizienzdienstleistern benachteiligt. Die spezifische Stärke von Bürgerbeteiligung, Maß- Leuphana Universität Lüneburg und trend:research nahmen mit geringeren Gewinnmargen und mit GmbH (Hrsg., 2013): Definition und Marktanalyse einem stärkeren Fokus auf die absoluten Einspa- Bürgerenergie in Deutschland. Lüneburg, Bremen. rungen besser umsetzen zu können, wird vernach-

06/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | 9 REGIONALE ENERGIEEFFIZIENZGENOSSENSCHAFTEN (REEG) ALS DIE ENERGIEGENOSSENSCHAFTEN 2.0

WIE NACH DEN ERNEUERBAREN AUCH ENERGIEEFFIZIENZ ZUM BÜRGERPROJEKT WERDEN KANN

Professor Dr. Maximilian Gege, Vorsitzender Bun- Ein neues intelligentes Modell: die Regionale desdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewusstes EnergieEffizienzGenossenschaft – REEG Management – B.A.U.M. e.V. und Herbert Die Antwort von B.A.U.M. ist: Ja, und ein neues Köpnick, Ltd. Ministerialrat a.D., Projektleitung intelligentes Modell dafür ist die Regionale Ener- REEG gieEffizienzGenossenschaft - REEG. Während die Von der Energiewende 1.0 zur Energiewende 2.0 rd. 900 in den letzten 10 Jahren entstandenen Bürgerenergiegenossenschaften praktisch aus- Die Energiewende ist mehr als der Ausbau erneu- schließlich den Ausbau der erneuerbaren Energien erbarer Energien. Unsere größte heimische "Ener- zum Geschäftszweck haben, stellen die REEG die giequelle" heißt Energieeffizienz und Eliminierung Steigerung der Energieeffizienz in den Mittelpunkt. von überflüssigem Energieverbrauch. Diese Einsicht ist seit langem vorhanden. Aber erst jetzt scheint Bereits im Jahr 2010 wurde auf nationaler Ebene sie bei den beteiligten Akteuren in gezieltes Han- die erste Energieeffizienzgenossenschaft 1 nach deln überzugehen. Die Verabschiedung eines Nati- dem Konzept des von Prof. Dr. Maximilian Gege, onalen Plans für Energieeffizienz (NAPE) durch die Vorsitzender BAUM eV, entwickelten „Zukunfts- Bundesregierung Ende letzten Jahres mag als Sig- fonds“ 2 gegründet. Das Bundesumweltministerium nal gesehen werden, dass Energieeffizienz als fördert derzeit i.R. der Nationalen Klimaschutzini- zweite Säule der Energiewende nunmehr auf Au- tiative NKI ein B.A.U.M.-Pilotprojekt zur Etablie- genhöhe mit den erneuerbaren Energien wahrge- rung von r e g i o n a l e n Energieeffizienzgenos- nommen wird und politisch vorangebracht werden senschaften. 3 soll. Der Energiewende 1.0 (Erneuerbare) muss die Ziel des Projekts ist es, in drei ausgewählten Pilot- Energiewende 2.0 (Energieeffizienz) folgen. kommunen bzw. -regionen – Städteregion Aa- Was können Bürger zur Energieeffizienzsteige- chen, Landkreis Berchtesgadener Land und Stadt rung beitragen? Norderstedt – modellhaft REEG nach dem Konzept des B.A.U.M.-Zukunftsfonds einzurichten und den Eine spannende Frage dabei ist: Was können die Nachweis zu erbringen, dass sie in der Lage sind, Bürger zur Energiewende 2.0 beitragen? Sie stand zusätzliche Energieeffizienzpotenziale in der Regi- im Mittelpunkt des Fachgesprächs "Erfolgsmodell on zu heben, die sonst nicht oder erst viel später Bürgerenergiewende – Wie wird Energieeffizienz erschlossen würden. zum Bürgerprojekt?“ der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen am 27. Februar d. J. in Das ist das erste Markenzeichen der REEG: sie stellt Berlin, zu dem der Bundesdeutsche Arbeitskreis für v.a. auf das neue Geschäftsfeld Energieeffizienz Umweltbewusstes Management - BAUM e.V. als ab. Zweites Markenzeichen der REEG ist die Ein- Träger eines aktuellen Pilotprojekts eingeladen bindung aller gesellschaftlichen Akteure vor Ort: war. Bürger waren Treiber der Energiewende 1.0. Rund die Hälfte der installierten Leistung aus er- neuerbaren Energien ist in der Hand der Bürgerin- 1 Siehe www.baum-zukunftsfonds.de nen und Bürger. Können Bürger auch die Treiber 2 Siehe Buchveröffentlichungen M. Gege „Die Zukunftsanleihe“, 2004 bei der Steigerung der Energieeffizienz werden? und „Erfolgsfaktor Energieeffizienz“, 2011 3 Siehe www.regg-info.de

10 | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 06/2015 der Kommunen, der Unternehmen und der Bürger. Zinsen erbringen. Mehr als 1.000 Milliarden Euro Drittes Markenzeichen ist es, Energieeffizienz als haben Bundesbürger derzeit praktisch unverzinst Rendite- und Geschäftsmodell zu etablieren und zuhause, auf Girokonten oder Sparbüchern liegen. zwar durch Anwendung des innovativen Instru- Die zentrale Idee des B.A.U.M.-Zukunftsfonds und ments Energiespar-Contracting auf Genossen- der REEG ist es, einen Teil dieser Gelder für die schaftsbasis. Damit verkörpert die REEG drei we- Energieeffizienzwende zu akquirieren. Wenn es sentliche Ziele des NAPE. gelänge, 10 % dieses Bürgerkapitals einzuwerben, stünden 100 Milliarden Euro zur Verfügung, bei 5 Mitglieder der REEG sind die regionalen % wären es 50 Milliarden Euro und bei 1 % immer Stakeholder: Kommunen, Bürger, Betriebe und noch 10 Milliarden Euro. Den Bürgern würden Banken, Vereine und Kirchen. Ihnen allen bietet zwischen 400 Millionen und 4 Milliarden Euro an die REEG ihre Dienstleistungen an. Sie führt Ener- Zinsen zufließen - Geld, das sie in zusätzlichen gieeffizienzmaßnahmen in kommunalen Einrich- privaten Konsum oder private Investitionen ste- tungen wie Verwaltungsgebäuden, Schulen, Senio- cken könnten. renheimen, Krankenhäusern usw. durch, ebenso in kirchlichen und Vereinseinrichtungen, in Unter- Die REEG in der Praxis – Funktionsweise und Bei- nehmen, insbesondere kleinen und mittleren Be- spiele triebe, sowie ggf. auch in Privathaushalten. In der Praxis funktioniert die Tätigkeit der REEG so: REEG überwinden Engpassfaktoren für Energieef- die REEG informiert die Zielgruppen über ihr Ange- fizienz bot, das da lautet: Beratung, Planung, Durchfüh- rung und Finanzierung von Energieeffizienzinves- Die REEG überwinden die zwei Engpassfaktoren, titionen für den Kunden, ohne dass dieser Know die hauptursächlich dafür sind, dass Energieeffi- how in Sachen Energieeffizienztechnik besitzen zienzpotenziale nicht realisiert werden: ein Man- und einen Euro Geld in die Hand nehmen muss. gel an Bewusstsein, Priorität und Zeit für das The- Im Gegenteil: der Kunde, egal ob Unternehmen, ma Energieeffizienz sowie fehlende Finanzmittel Kommune oder Verein, erhält von Beginn an einen für diesen Zweck. Sie informieren und beraten, Teil der Einsparung, in der Regel 10 bis 30 % und planen die adäquaten Effizienzmaßnahmen, füh- hat dementsprechend niedrigere Energiekosten. ren diese zusammen mit qualifizierten Technik- 70 – 90 % der Einsparung erhält die REEG solan- partnern für den Kunden durch und übernehmen ge, bis die Investitionen refinanziert sind. Dazu deren Finanzierung. Die Refinanzierung erfolgt zu erhält der Kunde eine Mindesteinspargarantie, z.B. 100 % aus den Einsparungen, an denen der Kunde Senkung des Stromverbrauchs um 70 %. Die vom von Anfang an beteiligt wird. Die Amortisationszeit Kunden monatlich an die REEG zu zahlende wird so kurz wie möglich gehalten. Die REEG will, Contracting-Rate wird vertraglich festlegt. Sie ent- dass die Energieeinsparung sobald wie möglich in spricht dem Energieeinsparbetrag abzüglich des voller Höhe dem Kunden zugute kommt. Betrages, der vereinbarungsgemäß beim Kunden Über 1.000 Milliarden Geldvermögen der Bürger verbleiben soll. Nach Unterzeichnung des Einspar- unverzinst Vertrages führt die REEG mit ihren Technikpartnern die Energieeffizienzinvestitionen durch und über- Die REEG besorgen sich ihr Kapital in erster Linie nimmt die Gewährleistung für die Einsparungen von den Mitgliedern. Diese zahlen einen niedrigen und die verbaute Technik. Für letztere behält die Mitgliedsbeitrag, z.B. 100 Euro. Darüberhinaus REEG zur Sicherheit ihrer Geldgeber Eigentumsvor- kann jedes Mitglied sog. Nachrangdarlehen zeich- behalt während der Vertragslaufzeit. Nach Ablauf nen, z.B. 1.000, 5.000 oder 10.000 Euro. Die Dar- des Einsparvertrages gehen die Anlagen in das lehen werden zu einem festen Satz verzinst, z.B. Eigentum des Kunden über. mit 4 %. Dies ist eine ausgesprochen attraktive Rendite mit überschaubarem Risiko in Zeiten, in Energieeffizienzmaßnahmen können über die REEG denen Bargeld und Sichteinlagen praktisch keine bilanz- bzw. haushaltsneutral durchgeführt wer- den. Der Kunde kann sich auf sein Kerngeschäft

06/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | 11 konzentrieren und das Thema Energieeffizienz von REEG die Maßnahmen durchführen, wird die Spezialisten erledigen lassen. Bei der REEG kann er Kommune keine Eigenmittel aufbringen müssen sich gut aufgehoben wissen. Die REEG betreibt und ab Durchführung der Maßnahmen niedrigere keine Gewinnmaximierung. Ihr Hauptziel ist die Energiekosten haben. Förderung der ökonomischen, ökologischen und Die bisherigen Erfahrungen mit der nationalen sozialen Belange ihrer Mitglieder. Und sie will die B.A.U.M. Zukunftsgenossenschaft und den drei regionale Wirtschaft stärken nach dem Motto „Aus REEG-Pilottprojekten in Aachen, Berchtesgadener der Region – für die Region“. Land und Norderstedt zeigen: regionale Bürger- Das Modell bewährt sich bereits in der Praxis. Die energiegenossenschaften können auch die Ener- nationale BAUM Zukunftsgenossenschaft hat mitt- gieeffizienzwende gezielt voranbringen – so wie ler-weile rd. zwei Dutzend Projekte unter Vertrag, sie es beim Ausbau der erneuerbaren Energien darunter z.B. die Beleuchtungsoptimierung bei der bereits unter Beweis gestellt haben. Druk-kerei Stieber in der Region Mannheim (48 % Drei Wege zur REEG mehr Licht, 39 % weniger Stromverbrauch, 42 t CO2-Einspa-rung p.a.) sowie das Caféhaus LANGES Dabei kristallisieren sich im B.A.U.M.-Pilotprojekt in Hamburg, ein Projekt das mit dem Energy Effi- drei Varianten heraus, REEG einzurichten: Erweite- ciency Award 2013 der dena ausgezeichnet wurde rung der Geschäftsfelder einer bestehenden Ener- (56 % Stromeinsparung, 42 % Kapitalrendite, 36 t giegenossenschaft auf Energieeffizienz, Einrichtung CO2-Einsparung p.a.). Weitere Projekte sind die eines regionalen Sondervermögens bei der natio- Beleuchtungssanierung eines Parkhauses in Uelzen nalen B.A.U.M. Zukunftsgenossenschaft oder Grün- oder der Einbau von Spannungsreglern in drei dung einer neuen Regionalen EnergieEffizienzGe- kommunale Einrichtungen in der Stadt Hilden. nossenschaft. Variante eins kommt im Pilotprojekt im Landkreis BGL zum Tragen, wo die bestehende Auch im Pilotprojekt REEG kommen die ersten VR Energiegenossenschaft Oberbayern Südost eG Leuchtturmprojekte zum Tragen. In einem Hotel im per Satzungsänderung ihre Geschäftstätigkeit auf Berchtesgadener Land hat die dortige REEG die Energieeffizienz erweitert hat. Variante zwei wird Umrüstung von rd. 2.000 Lampen auf LED und die zunächst in Norderstedt aufgrund der Nähe zur Installation einer Poolcap für den ganzjährig be- „Mutter-Effizienzgenossenschaft“ verfolgt – mit triebenen Außenswimmingpool übernommen. Die der Option später eine eigenständige REEG auszu- monatliche Energieeinsparung beläuft sich auf gründen. Variante drei ist die Option der Wahl in mehrere tausend Euro, die während der Amortisa- der Städteregion Aachen, wo es bisher keine Ener- tionszeit (12 Monate) im Verhältnis ein Drittel zu gieeffizienzgenossenschaft gibt. zwei Drittel zwischen REEG und Hotel geteilt wird. Bereits ab dem zweiten Jahr verbleiben die Ener- Hürden und Hindernisse gieeinsparungen in Höhe eines hohen fünfstelli- gen Eurobetrages vollständig beim Kunden. Eine Genossenschaftliches Energiespar-Contracting ist Privatschule in der Pilotregion Aachen möchte die ein neues, innovatives Instrument. Viele Beteiligte Beleuchtung in den ca. 30 Klassenzimmern sanie- tun sich zunächst schwer damit, die Vorteile für ren. Sie kann jedoch die notwendigen Investiti- die Kommune bzw. den Betrieb zu erkennen. Oft onsmittel in sechsstelliger Höhe nicht aufbringen. werden die Kosten der Genossenschaft mit den Die REEG Aachen übernimmt die operative Durch- Konditionen eines Bankkredits verglichen, obwohl führung und Finanzierung der Investition zusam- die REEG nicht nur die Finanzierung bietet, son- men mit qualifizierten Technikpartnern aus der dern ein Gesamtpaket mit Einspargarantie und Region. Der Schule entstehen keine Kosten, da die operativer Durchführung der Investitionen. Unter- Investition zu 100 % aus den Einsparungen finan- nehmen wie Kommunen berücksichtigen meist ziert wird. In Norderstedt stehen die Lichtsanie- nicht die Kosten, die durch ein Liegenlassen der rung einer Tiefgarage, einer Bibliothek sowie einer Energieeffizienzmaßnahmen entstehen, während Straßenzugbeleuchtung auf der Agenda. Sollte die

12 | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 06/2015 diese über die REEG sofort in Angriff genommen Neue Hürden für Bürgerenergiegenossenschaften und die Energiekosten gesenkt werden könnten. drohen durch das Kleinanlegerschutzgesetz (KleinAnl-SchG) in Verbindung mit dem Vermö- Die Einschaltung eines Contractors kann zu Beihil- gensanlagengesetz (VermAnlG) und dem Kapital- feverlust für den Kunden führen. Ist die REEG In- anlagengesetzbuch (KAGB). Der Referentenentwurf vestor, unterliegt sie der sog. De-minimis-Regel, des KleinAnlSchG beinhaltete die Prospektpflicht wonach ein Unternehmen aus Wettbewerbsgrün- für Bürgerenergiegenossenschaftsprojekte. den nicht mehr als 200.000 Euro Beihilfen erhal- B.A.U.M. hat dagegen bei der Bundesregierung ten darf. Während dies für ein einzelnes KMU ver- interveniert. Der im Bundestag eingebrachte Re- ständlich und i.d.R. problemlos ist, macht diese gierungsgesetzentwurf enthält nun Ausnahmen für Regel keinen Sinn für Energiedienstleister, die Genossenschaften. Hinderlich und aus unserer viele Kunden haben und die Beihilfe an ihre Kun- Sicht für Genossenschaften nicht gerechtfertigt den weiterleiten. B.A.U.M. hat den Bundeswirt- bleibt die Beschränkung der Werbung für Nach- schaftsminister gebeten, sich dafür einzusetzen, rangdarlehen auf Mitglieder. BAUM hat sich dies- dass KMU nicht Beihilfen verlieren, wenn sie Ener- bezüglich an die Mitglieder des Finanzausschusses gieeffizienzmaßnahmen mittels eines Contractors gewandt, die den Gesetzentwurf nun beraten durchführen. Auch Kommunen droht der Verlust werden. von Fördermitteln, wenn Energiedienstleister nicht förderberechtigt sind. Das ist z.B. der Fall bei der Energiespar-Contracting ist ein komplexes Ge- neuen LED-Förderung für Kommunen in 2015 & schäftsfeld, sowohl systemtechnisch wie finanz- 2016 des BMUB. Es kann nicht sein, dass den technisch. Es überfordert u.E. das Ehrenamt zeit- Kommunen im NAPE die Anwendung intelligenter lich und inhaltlich. Wir halten eine Professionali- Instrumente wie Contracting empfohlen wird, sie sierung der Geschäftsführung von REEG für unab- dann aber mit dem Verlust von Fördermitteln ab- dingbar, damit Bürgerenergiegenossenschaften gestraft werden. das neue Geschäftsfeld Energieeffizienz nachhaltig erschließen können. Eine Beratungsförderung zur Eine weitere Hürde stellen die uneinheitlichen Qualifizierung von Genossenschafts-Vorständen Länderregegelungen im kommunalen Haushalts- bzw. Geschäftsführern erschiene uns zweckmäßig recht dar. Einige Länder stufen ESC als „kreditähn- und wünschenswert – analog der BAFA-Förderung liches Rechtsgeschäft“ ein. Zahlungen an den von Kunden-Beratungen zum Energiespar- Contractor werden auf den Kreditrahmen ange- Contracting. rechnet. ESC ist dann nicht haushaltsneutral durchführbar. Damit geht ein wesentlicher Anreiz Große Effizienzpotenziale für die Kommunen verloren. B.A.U.M. plant auch Die Potenziale zur Steigerung der Energieeffizienz hier einen Vorstoß gegenüber den zuständigen sind riesig. In einer Untersuchung im Auftrag der Länderregierungen. Bundesregierung aus dem Jahr 2011 wurden sie Die Ausschreibung von ESC ist für viele Beschaffer wie folgt beziffert bzw. Einkäufer Neuland. Das neue BAFA-Programm

„Förderung von Beratungen zum Energiespar-

Contracting“ bietet hier Hilfe an, wobei die Förde- rung nur für Projekte ab jährlichen Energiekosten von 100.000 Euro gilt, was wiederum eine Hürde für kleinere Projekte ist. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob Kommunen, die eine REEG mitgegründet haben, Effizienzmaßnahmen über- haupt ausschreiben müssen oder ob sie direkt an die REEG vergeben dürfen. Diese Frage bedarf noch der rechtlichen Klärung.

06/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | 13 Volkswirtschaftlicher sen, Musterverträge für genossenschaftliches Ein- Mrd. kWh Sektor spar-Contracting, Ablaufdiagramme und Praxisbei- spiele enthalten. Zudem werden die Ergebnisse in drei Regionalveranstaltungen in den Pilotkommu- 2020 2030 nen sowie einer bundesweiten Veranstaltung der Öffentlichkeit präsentiert. Die Erwartung ist, dass Private Haushalte 16 35 viele Regionen dem Beispiel der Pilotregionen folgen, sei es, dass bestehende Energiegenossen- Gewerbe, Handel, schaften in das neue Geschäftsfeld Energieeffi- 26 39 Dienstleistungen zienz einsteigen, sei es dass REEG neu gegründet werden. Wir können uns REEG als Dachmarke für Industrie 50 72 Energiegenossenschaften 2.0 vorstellen, in denen zusammen kommt, was zusammengehört: die Verkehr 83 119 Steigerung von Energieeffizienz und Energieein- sparung sowie der Ausbau erneuerbare Energien als die beiden großen Aufgaben der Energiewende. Summe 175 265 Insgesamt stellt die REEG ein Win-Win-Modell dar: Quelle: Fraunhofer/ifeu/Prognos-Studie „Energie- Bürger der Region können die Energiewende vor effizienz: Potenziale, volkswirtschaftliche Effekte Ort aktiv fördern, indem sie Genossenschaftsmit- und innovative Handlungs- und Förderfelder“, glied werden und Privatkapital in Form von fest 2011 und eigene Umrechnung von PJ in kWh verzinsten Darlehen zur Verfügung stellen. Kom- munale und gemeinnützige Einrichtungen, Unter- Wenn man die kWh (Strom, Wärme bzw. Treibstoff) nehmen und auch Privathaushalte können Ener- im Mittel mit 20 Cent ansetzt, dann könnten im gieeffizienzmaßnahen sofort durchführen, auch Jahr 2020 rd. 35 Milliarden Euro und im Jahr 2030 wenn dafür keine Mittel und kein Know how vor- rund 53 Mrd. Euro durch Realisierung der wirt- handen sind. Davon profitiert die Regionalwirt- schaftlichen Energieeffizienzpotenziale eingespart schaft dreifach: durch die getätigten Investitionen, werden. Die größten Effizienzpotenziale schlum- die niedrigeren Energiekosten und die Verausga- mern dabei in der Gebäudesanierung und Hei- bung der Kapitalzinsen. So wird Energieeffizienz zungserneuerung bei Haushalten und im Sektor im besten Sinne zum Bürgerprojekt. Gewerbe, Handel, Dienstleistungen einschließlich staatliche und kommunale Liegenschaften sowie in der Umstellung der bundesdeutschen Pkw-

Flotte auf effiziente Fahrzeige wie E-Mobile und Hybride und drittens im Sektor Industrie (Querschnittstechnologien und Branchentechnolo- gien).

Die Vision: viele REEG in ganz Deutschland

Ziel des laufenden B.A.U.M.-Pilotprojekts ist der praktische Nachweis anhand von drei auf unter- schied-liche Weise zustande gekommenen REEG, dass und wie diese die Energieeffizienzwende vor Ort beflügeln können. Die Erfahrungen und Lehren aus dem Pilotprojekt werden am Ende in einem Leitfaden dokumentiert. Dieser wird zielgruppen- spezifische Maßnahmenkataloge, Potenzialanaly-

14 | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 06/2015 CROWDFUNDING FÜR ENERGIEEFFIZIENZ – NEUE FINAN- ZIERUNGSINSTRUMENTE UND BETEILIGUNGSCHANCEN

Von Marylin Heib, Bettervest den hohen Renditen interessiert sind. Darüber hinaus werden auch Bürger gewonnen, die über 89% der Bundesbürger erachten die Energiewende unser erstes Afrikaprojekt eigentlich aus dem als wichtig, bzw. sehr wichtig, haben aber wenige Spendenbereich kommen. Möglichkeiten sich an dieser zu beteiligen. Die Energieeffizienz ist eine wesentliche Säule der Eine weitere Zielgruppe sind die Bürger vor Ort, die Energiewende und in ihr liegen nach Schätzungen verstärkt einbezogen werden können, denn bei der Deutschen Energieagentur (DENA) und der In- jedem Projekt besteht auch die Möglichkeit eine ternationalen Energieagentur (IEA) jährlich gut 20 geschlossene Finanzierung mittels eines Bürger- Mrd. € wirtschaftliche Einsparung allein in Contractings durchzuführen. Dabei finanzieren die Deutschland. Viele Projekte werden jedoch auf- Bürger einer Kommune ein kommunales Projekt grund hoher Investitionen, fehlender zeitlichen über die Plattform bettervest bzw. einen Kapazität, Investitionskonkurrenz und mangeln- Contractor (bettervest kann auch Contractor sein), den Bewusstsein oder Know-how nicht realisiert. der das Projekt in der Kommune umsetzt und be- treut. bettervest bietet mit der weltweit ersten Crowdfunding-Plattform für konkrete Energieeffi- Mit bettervest hat der Bürger ein ideales Werkzeug zienz-Projekte hierfür die Lösung. Firmen, Vereine zur Beteiligung an der Energieeffizienz! und Kommunen können mit Energie-Projekten auf bettervest zu kommen, diese werden ausgiebig geprüft, sowohl intern als auch extern. Bei erfolg- reicher Prüfung wird das Projekt über die Plattform zur Investition frei gegeben. Die Projekte haben eine maximale Laufzeit von 10 Jahren und eine

Rendite von mindestens 5%. Die Investition in Form eines Nachrangdarlehens wird ohne eine zusätzliche Belastung über die Energiekostenein- sparung zurückgezahlt. Des Weiteren kann der Bürger auch als „Energiedetektiv“ aktiv werden, indem er potentielle Effizienz-Projekte beispiels- weise aus seiner Kommune an bettervest vermit- telt und bei erfolgtem Abschluss eine Provision erhält. Allgemein geht mit jedem Projekt auf bettervest auch immer ein großer Marketingeffekt einher, denn die Projekte müssen über die social- media Kanäle gestreut werden.

Das Vertrauen des Bürgers wird über eine hohe Transparenz der Projekte gewonnen. bettervest spricht verschiedene Zielgruppen an und bietet eine Vielzahl an Anreizen für Investitionen. Neben den Investoren, die spezifisch in nachhaltige Pro- jekte investieren wollen, bringt bettervest die Energiewende aber auch zu den Bürgern, die an

06/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | 15 ERFAHRUNGEN MIT BÜRGEREFFIZIENZPROJEKTEN IN NRW

Von Detmar Schaumburg, Energieberater Schulträger, in dem die umzusetzenden Maßnah- men festgelegt, aber auch den Bürgern über die Problemstellung Vertragslaufzeit die Betriebskosteneinsparungen Viele öffentliche Gebäude sind in einem schlechten aus den Maßnahmen zugeschrieben werden. Da- baulichen und technischen Zustand. Die Folgen mit sind sie in der Lage, die getätigten Investitio- sind Substanzverlust, drastisch überhöhte Ener- nen zu refinanzieren und eine angemessene Ver- giekosten, aber auch hohe Emissionen und Ver- zinsung zu erwirtschaften. Die hohen Energieein- brauch fossiler Ressourcen. Auch wenn ein großer sparungen in Verbindung mit dem hohen Anteil an Teil der erforderlichen Sanierungsmaßnahmen sich Solar- und BHKW-Energieversorgung machen die durch die Energieeinsparung refinanzieren ließe, Projekte auch zu einem „Ökoinvestment“. werden sie oft nicht realisiert. Den Städten, Ge- Wichtiger Aspekt der Projekte ist die hohe Identifi- meinden und Kreisen fehlen die finanziellen Mit- kation der Bürger mit Ihrem Schulprojekt und das tel, um die Maßnahmen umzusetzen. Sinngemäß Vertrauen zwischen allen Projektbeteiligten durch gilt das gleiche für den immer noch zu niedrigen die räumliche Nähe und persönliche Kontakte. Anteil regenerativer Energien und der Kraft- Wärme-Kopplung an der Versorgung der Gebäude. Die Solar&Spar-Projekte in NRW Zu dem Mangel an finanziellen Mitteln kommt der Die Vorteile der Solar&Spar-Projektidee wurden Umstand, dass Energieeinsparung nicht oben auf von der damaligen Landesregierung in NRW früh der Prioritätenliste der Politik steht. erkannt und so wurde die Projektkonzeption von Viele Jahre wurde die Lösung der Probleme in der vier Solar&Spar-Projekten im Rahmen der „Agenda Akquisition privaten Kapitals im Rahmen von 21 NRW“ gefördert. Auf diese Weise konnte in den Contractingverträgen gesehen. Die Erfahrungen mit Städten Engelskirchen, Emmerich, Gelsenkirchen diesen Projekten waren jedoch oft schlecht, da die und Köln je ein Bürgercontractingprojekt unter privaten Investoren dazu neigen nur die „energe- dem Namen „Solar&Spar“ realisiert werden. tischen Rosinen“ zu picken und die finanziell we- Insgesamt investierten die Projektträgergesell- niger attraktiven Maßnahmen zu unterlassen. Die schaften an den vier Schulen ca. 3,2 Millionen Folge sind teilsanierte Gebäude, bei denen der Euro. Die Projekte sind nun zwischen 10 und 15 öffentliche Träger immer wieder „nachsanieren“ Jahren in Betrieb. Die Wärmeeinsparungen liegen muss, ohne jedoch weitere Vorteile erwirtschaften zwischen 22 und 71 Prozent, die Stromeinsparun- zu können. gen zwischen 47 und 63 Prozent. Vorteile für die Die Grundidee des Bürgercontractings Kommune sind im Wesentlichen grundsanierte Beleuchtungsanlagen mit deutlich besserem Licht, Eine Alternative zum klassischen Contracting sind neue oder sanierte Lüftungsanlagen, sanierte Hei- Bürgercontractingprojekte, wie sie in Freiburg zungsanlagen, je eine große Solarstromanlage und (http://www.eco-watt.de ) und NRW in drei Projekten ein Blockheizkraftwerk zur Ver- (www.solarundspar.de ) erfolgreich umgesetzt wur- sorgung der Schule mit Strom und Wärme. den. Im Rahmen dieser Projekte engagieren sich Bürger in einer gemeinsamen Gesellschaft zur Sa- Erfolgsbilanz nierung von Schulen. Dabei wurden im Rahmen Die jährlichen Einsparungen und Solarstrom- so- eines nachhaltigen Ansatzes sehr umfassende wie BHKW-Erträge liegen bei etwa 660.000 Euro. haustechnische Sanierungsmaßnahmen an den Damit können die Refinanzierung der Investi- Schulen umgesetzt und Solar- und BHKW-Anlagen tionen und eine Verzinsung des eingesetzten Bür- installiert. Grundlage ist ein Vertrag mit dem

16 | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 06/2015 gerkapitals in Höhe von etwa 5 bis 6 Prozent er- • Es gibt kaum alternative attraktive Anlagefor- zielt werden. In einigen Objekten kommen noch men für das in der Gesellschaft verfügbare zusätzliche Ausschüttungen der erzielten Gewinne private Kapitalvermögen. an die Schulträger und auch direkt an die Schulen • Im Zuge der Finanzmarktkrisen sind immer hinzu. Die CO 2-Emissionsminderung der vier So- mehr private Sparer bereit, sich kapitalmäßig lar&Spar-Projekte liegen bei etwa 2.800.000 kg an ethischen Projekten zu beteiligen. CO 2/a. Somit wurden die gesetzten Ziele erreicht, Aus den vorgenannten Erkenntnissen lassen sich an vielen Stellen sogar weit übererfüllt. Nichtsdes- sehr klar die erforderlichen Schritte zur Förderung totrotz ergaben sich trotz mehrfacher Interessen- von Bürgercontractingmaßnahmen herleiten: bekundungen bisher keine Nachahmerprojekte. Die Analyse dieser Situation und die Herausarbei- • Eine Startförderung in der Anfangsphase (bis tung von Vorschlägen zum Abbau der aufgezeigten zum Abschluss des Contractingvertrages) ist Hemmnisse sind Kern des Vortrags. wichtig. Danach wird keine Förderung mehr benötigt. Diese Förderung könnte z.B. aus den Wo liegen die Hürden - warum hat sich das So- Klimaschutzbudgets der Bundesländer geleis- lar&Spar-Projekt nicht zum Selbstläufer entwi- tet werden. ckelt? • Der Abschluss von Bürgercontractingverträgen Hier sind verschiedene hemmende Einflüsse zu muss vergaberechtlich geklärt und abgesichert erkennen: werden, ggf. in Form eines Rechtsgutachtens, aber ggf. auch mit Hilfe eines klärenden Er- • Zu Beginn benötigen die Projekte einen fi- lasses durch die zuständigen Landesmini- nanziellen „Anschub“ für die Untersuchung sterien. der Gebäude, Konzeptentwicklung etc. Dieses • Eine aktive Projektvermarktung durch die Po- „Risikokapital“ ist schwer zu akquirieren. litik, die Energieagenturen und weitere Ak- • Es bestehen bei den Kommunen erhebliche teure wäre sehr hilfreich. Unsicherheiten, ob es notwendig ist, die er- • Kommunen sollten bei ihren Entscheidungen forderlichen Aufträge (Gewerke und Verträge) über Sanierungsmaßnahmen die Möglichkeit öffentlich, wenn nicht sogar europaweit, aus- eines Bürgercontractingprojektes systematisch zuschreiben. einbeziehen. Die Ergebnisse der realisierten • Der Bekanntheitsgrad des Bürgercontractings Beteiligungsprojekte zeigen, dass die Ergeb- ist trotz großen Medienechos noch sehr ge- nisse sowohl für die Kommune, die Schule als ring. auch die Bürger sehr attraktiv waren. • Der Rechtsrahmen hat sich seit den So- lar&Spar-Projekten zum Teil stark verändert.

Auf der anderen Seite stellen sich heute viele Fazit Rahmenbedingungen deutlich günstiger dar: Die laufenden Projekte zeigen das hohe Potential • Die Energiepreise sind stark gestiegen des Bürgercontractings bei Energieeinsparung und • Die Zinsen sind auf historischem Tiefstand. Klimaschutz, beim Erhalt der öffentlichen Infra- • Es gibt viele Bürgerenergiegenossenschaften struktur und beim Interesse der Bürger an einer aus dem Bereich Sonne und Wind, denen sinnvollen und angemessen verzinsten Kapitalan- durch das neue EEG die Geschäftsgrundlage lage. Die aufgezeigten Hemmnisse sind nicht un- entzogen wurde und die ggf. gern bereit wä- überwindlich und sollten zeitnah abgebaut wer- ren in Bürgercontracting einzusteigen. den

06/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | 17 ENERGIE-EFFIZIENZPOLITIK UND BÜRGERENERGIE: HANDLUNGSANSÄTZE FÜR DIE POLITIK

Von Christian Maaß, Hamburg-Institut derem darin, dass sie regional verankert sind, eine Für das politische Verständnis des Themenfelds hohe Glaubwürdigkeit genießen und für kommu- Energieeffizienz und Bürgerenergie muss zunächst nale Akteure attraktive Partner sind. Sie verfügen eine Einordnung der Bedeutung der Bürgerprojekte dank ihrer lokalen Vernetzung über bessere „Ver- im Kontext der Energiewende vorgenommen wer- triebswege“ für ihre Effizienzangebote und sind den. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien ging oft auch dort bereit zu investieren, wo kommerzi- und geht es nicht nur darum, die Energieversor- elle Anbieter von niedrigen Gewinnaussichten gung nachhaltiger zu gestalten. Es war und ist abgeschreckt werden. Darüber hinaus bieten ge- auch das Ziel, den Energiemarkt mit seinen nossenschaftlich organisierte Bürgerprojekte gute Oligopolstrukturen aufzubrechen und damit auch Anknüpfungspunkte für andere Partner und haben eine Demokratisierung der Energieerzeugung zu häufig bereits Erfahrung in der Projektdurchfüh- erreichen. Im Energieeffizienzbereich gibt es keine rung im Bereich der Erneuerbaren Energien. vergleichbaren Strukturen. Das politische Argu- Auf der anderen Seite verfügen Bürgerprojekte ment, Bürgerprojekte würden dazu beitragen, dass zumindest zu Beginn nicht immer über die not- ein verkrusteter Markt geöffnet wird, verfängt im wendige Expertise und die finanzielle Grundaus- Fall der Energieeffizienz nicht. Warum ist es dann stattung, um komplexe Energieeffizienzprojekte sinnvoll, wenn Bürgerinnen und Bürgern sich in umzusetzen. Aufgrund dieser strukturellen Wett- Energieeffizienz-Projekten engagieren? bewerbsvor- und –nachteile im zukünftig stärker Wofür wird Bürger-Energieeffizienz gebraucht? - umkämpften Energieeffizienz-Markt haben Ener- die wirtschaftliche und politische Rolle von Bür- giegenossenschaften dort besondere Chancen, wo ger-Energieeffizienz sie Energieeffizienz-Potenziale heben können, die kommerzielle Anbieter nicht angehen. Das könnte Aus politischer Sicht stellt sich vor allem die Frage, beispielsweise im Kleingewerbe sein, in Bauge- wie möglichst große Energie-Einspareffekte erzielt meinschaften oder bei Projekten in (verschuldeten) werden können. Energiedienstleistern kommt bei- Kommunen. Natürlich können Energiegenossen- spielsweise bei der Umsetzung der EU- schaften auch im klassischen Energieeffizienzmarkt Energieeffizienzrichtlinie eine herausgehobene tätig werden, beispielsweise in größeren Gewer- Rolle zu, da sie viele Hindernisse im Bereich Ener- bebetrieben, jedoch müssen sie sich dort gegen gieeffizienz überwinden können. Bei der Energie- etablierte kommerzielle Wettbewerber durchset- effizienz handelt es sich nicht um ein „verwaistes zen, die zumindest zu Beginn erhebliche Wettbe- Geschäftsfeld“. Vor diesem Hintergrund konkurrie- werbsvorteile haben. ren Bürger-Effizienzprojekte mit anderen, wirt- schaftlichen Akteuren wie spezialisierten Beratern, Welche Handlungsansätze leiten sich daraus für Contractoren, Anbietern von Energiemanagement- die Politik ab? - Verbesserung der politischen system für die Industrie etc. Rahmenbedingungen für Bürger-Energieeffizienz

Die Förderpolitik erlebt zudem mit dem gerade Um Bürger-Energieeffizienz zu fördern und zu eingeleiteten Umstieg von festen Fördersätzen hin unterstützen, können vor allem finanzielle und zu Ausschreibungsmodellen einen Paradigmen- planerische Instrumente eingesetzt werden. wechsel. Diese neue Praxis ist für Bürgerprojekte nicht unbedingt von Vorteil, da sie sich einem Die oben angesprochene Veränderung der Förder- Wettbewerb mit Wirtschaftsakteuren stellen müs- politik muss die Belange von Bürgerprojekten be- sen. Wo können Bürgerprojekte also sinnvoller- rücksichtigen, damit sie auch in Zukunft Förderun- weise aktiv werden? Ihre Stärken liegen unter an- gen erhalten können. Es wäre sinnvoll, sie explizit

18 | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 06/2015 als Zielgruppe in die Ausschreibungen aufzuneh- anlegerschutzgesetz eine sinnvolle Balance zwi- men. Es sollte beispielsweise gewährleistet wer- schen Verbraucherschutz und den Interessen von den, dass bei Ausschreibungsfördermodellen auch (Bürgerenergie-) Genossenschaften finden, damit das Bieten von kleinen Tranchen möglich gemacht Anleger geschützt und gleichzeitig Bürger-Projekte wird. Wenn staatliche Bürgschaften für Effizienz- im Energieeffizienzbereich und darüber hinaus projekte (über Kommunen oder Landesförderban- nicht unnötig erschwert werden. ken) bereitgestellt würden oder der Markt für

Energiedienstleistungen durch Einsparverpflich- tungen gestärkt würde, könnte das auch Bürger- projekten zugutekommen. Als finanzielles Instru- ment wäre es zudem wünschenswert, eine An- schubfinanzierung für Bürger-Effizienzprojekte sicherzustellen. Denn gerade für die Startphase fehlt ihnen oft das Geld.

Im „klassischen“ Energieeffizienzmarkt, beispiels- weise in der Industrie, haben Bürgerprojekte ge- genüber kommerziellen Anbietern meist wenige Vorteile. In bestimmten Marktsegmenten sind sie jedoch aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften wie der regionalen Verwurzelung besonders geeig- net, um Energieeffizienzpotenziale zu erschließen.

So können Bürgereffizienzprojekte beispielsweise „Nischen-Zielgruppen“ wie Sportvereine, soziale Einrichtungen (Kitas, Seniorenheime, …), kleinere Handwerksbetriebe adressieren.

Wie erfolgreiche Projekte in Dänemark zeigen, sind auch planerische Instrumente geeignet, Bürger- projekte zu befördern. Gerade im Bereich Wärme- versorgung bieten sich hier viele Potenziale und auch Betätigungsmöglichkeiten für Bürgerprojekte.

In Dänemark sind weite Teile der Wärmeversor- gung in der Hand von Bürgerenergiegenossen- schaften, die Wärmenetze betreiben. Wenn kom- munale Wärmeplanung als verpflichtende Aufgabe für Kommunen festgelegt und beispielsweise durch einen kommunalen Energiebeauftragten begleitet würde, eröffnet sich ein weites Feld für Bürger- Energieeffizienz in Kooperation mit den kommu- nalen Akteuren.

Darüber hinaus gilt es, im Rahmen der Rechtsset- zung insgesamt darauf zu achten, dass bürger- schaftliches Engagement nicht ausgebremst, son- dern befördert wird. So sollte das geplante Klein-

06/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | 19

Potenzial von Bürger-Energiedienstleistern; Quelle: Hamburg Institut

20 | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 06/2015 BÜRGERENERGIEEFFIZIENZWENDE ERMÖGLICHEN

Fazit von Dr. Julia Verlinden MdB genossenschaften Verträge abschließen dürfen, Sprecherin für Energiepolitik sind in den Bundesländern unterschiedlich ausge- staltet. Eine Vereinheitlichung und Klarstellung Unser Fachgespräch hat gezeigt: Bürgerinnen und zugunsten der Bürgerenergiewende wäre wün- Bürger können und wollen die Energiewende zu schenswert. Hause und in ihrer Umgebung umsetzen - auch durch Energieeffizienzprojekte. Die finanziellen 3. Wir wollen die Rolle der Kommunen stär- Mittel für ein starkes BürgerInnenengagement sind ken: Zahlreiche Kommunen haben bereits Energie- gerade in den Niedrigzinszeiten vorhanden und und/oder Klimaschutzbeauftragte. Wir möchten Energieeffizienzinvestitionen stellen interessante diese zentralen KoordinatorInnen für Beratung von Anlagemöglichkeiten dar. Viel wichtiger noch: und Kooperationen mit Bürgerenergie-Akteuren Bürgerinnen und Bürger wollen mit ihrem Geld gezielt schulen lassen. Ein Beispiel, wo Bürger- etwas Sinnvolles unterstützen und können damit energie-Investitionen und kommunale Planung die Energieeffizienzwende auch ideell voranbrin- Hand in Hand gehen könnten: bei der kommuna- gen. Die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche len Wärmeplanung. Diese kann wichtiger Bestand- Bürgerenergieeffizienzwende sind aber noch nicht teil der Energiewende vor Ort sein. ausreichend gesetzt. Es fehlen explizite politische 4. Eine zentrale Stelle: Wir wollen die Bun- Instrumente und Maßnahmen zur Bürgerenergie- desstelle für Energieeffizienz zum zentralen Akteur effizienzwende und es fehlt eine unterstützende der Energieeffizienzpolitik machen und zu einem Anlaufstelle, welche über Instrumente und rechtli- von der Energiewirtschaft unabhängigen Kompe- che Vorgaben informiert. So leiten wir für uns aus tenzzentrum ausbauen. Neben der Weiterentwick- dem Fachgespräch fünf zentrale Handlungsfelder lung von Förderprogrammen und der Konzeption ab, an denen wir konzeptionell weiter arbeiten und Durchführung der im Nationalen Aktionsplan wollen: Energieeffizienz (NAPE) angekündigten Ausschrei- 1. Die finanziellen Bedingungen für Bürger- bungen für Energieeffizienz, kann die Bundesstelle energieeffizienz sind grundsätzlich gut, es gibt zu rechtlichen Fragen und Förderangeboten infor- zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, die Geld in- mieren und damit (Bürgerenergie-) Genossen- vestieren möchten. Dennoch brauchen wir, um schaften und Kommunen zur Seite stehen. Ergän- weitere Möglichkeiten der Bürgerfinanzierung im zend könnte die Bundesstelle für Energieeffizienz dezentralen Rahmen zu ermöglichen, die Einrich- eine bundesweite Informationsplattform zu ge- tung eines Risikoabsicherungs-Fonds zum Beispiel planten Energiesparmaßnahmen in öffentlichen über Landesbürgschaften, der bei Insolvenzen von Liegenschaften einrichten, an denen sich Bürge- Contracting-Nehmern oder bei Nicht-Erreichen von rInnen finanziell beteiligen können, z.B. wenn es prognostizierten Energieeinsparungen einspringt. bei ihnen vor Ort keine direkte Möglichkeit des Die bisher im NAPE eingebrachte Absicherung über Engagements gibt. Bürgschaftsbanken zielt eher auf Kleine und Mit- 5. Wir wollen Ideen für das Thema weiter- telständische Unternehmen. Darüber hinaus ist entwickeln und politisch verstärkt auf die Agenda eine staatlich geförderte Anschubfinanzierung für setzen. Denn um die Energiewende erfolgreich die Projektplanungsphase denkbar, da bei vielen umzusetzen, brauchen wir nicht nur Rahmenbe- Effizienzprojekten dieses Risikokapital zu Beginn dingungen für die Energiewirtschaft, sondern ge- schwer zu beschaffen ist. rade auch Angebote für die vielen engagierten 2. Wir brauchen eine Initiative zur Rechtssi- Bürgerinnen und Bürger, die Teil der Lösung sein cherheit für Bürger-Contracting. Die Regelungen, wollen. inwiefern Kommunen finanzpolitisch und verga- berechtlich mit BürgerInnen oder Bürgerenergie-

06/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | 21 ANTRÄGE

18/1619 DIE ENERGIEWENDE DURCH ENERGIEEFFIZIENZ VORANBRINGEN - EU- ENERGIEEFFIZIENZRICHTLINIE UNVERZÜGLICH UMSETZEN

18/4712 ENTSCHLIEßUNGSANTRAG ZUM KLEINANLEGERSCHUTZGESETZ

22 | Erfolgsmodell Bürgerenergiewende | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 06/2015 Deutscher Bundestag Drucksache 18/1619

18. Wahlperiode 04.06.2014

Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Oliver Krischer, , Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, , Peter Meiwald, , , , Stephan Kühn (Dresden), Nicole Maisch, , , , Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen – EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, ihren Primärenergieverbrauch im Vergleich zum Trend für das Jahr 2020 um 20 Prozent zu verringern. Am 4. De- zember 2012 ist dazu die Richtlinie 2012/29/EU zur Energieeffizienz in Kraft ge- treten. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Richtlinie bis zum 5. Juni 2014 in nationales Recht umzusetzen. Für Deutschland ergibt sich daraus ein Reduktions- ziel für den Energieverbrauch von 20 Prozent bis 2020 gegenüber 2008. Die Bun- desregierung hat bis heute Fristen für Zwischenziele, wie zum Beispiel die Mel- dung des dritten Nationalen Energieeffizienz-Aktionsplans, verstreichen lassen oder nur unzureichende Mitteilungen an die EU-Kommission geschickt. So führen die Maßnahmen nach Artikel 7 der Richtlinie, die die Bundesregierung am 5. De- zember 2013 an die EU-Kommission gemeldet hat, lediglich zu Einsparungen von 460 Petajoule pro Jahr. Das Einsparziel für Deutschland liegt aber bei rund 2 000 Petajoule pro Jahr. Dadurch bleibt bis zum Jahr 2020 eine Umsetzungslücke von rund 1 500 Petajoule. Damit vergibt die Bundesregierung nicht nur Chancen für den Klimaschutz, son- dern auch Chancen für die Erschließung von Kostensenkungspotentialen und neuen Geschäftsfeldern für Handwerk und Mittelstand. Insbesondere die Untätigkeit von Wirtschaftsminister Gabriel ist unverständlich, denn noch in der letzten Wahlperi- ode hatte die SPD-Fraktion einen schnellen Fortschritt bei der Energieeffizienz- richtlinie zu einem der zentralen Verhandlungspunkte bei der Zustimmung zum Fiskalpakt gemacht. Die zügige Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie in Form zusätzlicher Energieeffizienzmaßnahmen ist dringend erforderlich, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Schon jetzt drohen die nationalen und europäischen Energiesparziele verfehlt zu werden. Zudem wird unnötig viel Geld für Energierohstoffe ausgegeben und die Abhängigkeit der europäischen Energieversorgung von Importen fossiler Energieträger könnten durch Einsparmaßnahmen reduziert werden. Die Bundesre- gierung bleibt dennoch untätig und setzt sich der Gefahr eines Vertragsverlet- Drucksache 18/1619 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode zungsverfahrens aus. Sie hat bislang nicht einmal den Nationalen Energieeffizienz- aktionsplan vorgelegt, obwohl dieser bereits im April 2014 hätte nach Brüssel übersandt werden müssen. Bei der Umsetzung der Richtlinie müssen soziale Rahmenbedingungen berücksich- tigt und insbesondere finanzschwache Haushalte dabei unterstützt werden, durch Einsparungen ihre Energiekosten zu senken. Denn: Jeder Haushalt kann Energie sparen. Die Energieeffizienzpotenziale sind enorm. Zugleich sind die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten vorhanden: das Know-how beim Handwerk, bei Energiedienstleistern sowie qualitativ hochwertige Produkte der Energieeffizi- enz-Industrie steht zur Verfügung. Doch die Erfahrung zeigt, dass die Politik den richtigen Rahmen setzen muss, damit Energiesparen erleichtert wird. Es bedarf einer ambitionierten Energieeffizienzgesetzgebung mit einem Mix aus Energiesparstandards für Geräte und Gebäude, finanziellen Anreizen, marktwirt- schaftlichen Instrumenten sowie qualifizierter Beratung und Information. Ein neues Energieeffizienzgesetz muss eine koordinierende Funktion gegenüber den zahlrei- chen, aber kaum vernetzten Einzelvorschriften zur Senkung des Energieverbrauchs einnehmen, eine klare Zielbestimmung für Energiewirtschaft und Energieverbrau- cherinnen und -verbraucher vornehmen und eine regelmäßige Berichtspflicht der Bunderegierung gegenüber dem Parlament enthalten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich einen Gesetzentwurf für die Umsetzung der EU-Energie- effizienzrichtlinie vorzulegen, der als Zielsetzung mindestens die Verdopplung der Energieproduktivität zwischen 1990 und 2020 vorsieht und den Energie- verbrauch in Deutschland bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Prozent ge- genüber 2008 reduziert. Hierzu sind insbesondere die folgenden Maßnahmen umzusetzen: x die Bundesstelle für Energieeffizienz zum zentralen Akteur zur Umset- zung von Energieeffizienzmaßnahmen und einem von der Energiewirt- schaft unabhängigen Kompetenzzentrum auszubauen, das über seine bis- herigen Aufgaben hinaus auch Förderprogramme weiterentwickelt und dem sowohl die fachliche Ausgestaltung des Energiesparfonds als auch die Organisation wettbewerblicher Ausschreibungen für Energieeffizienz- dienstleistungen obliegt; x die Umsetzungslücke von Effizienzmaßnahmen kosteneffizient und Inno- vationen auslösend insbesondere in den Marktsegmenten zu schließen, die von bestehenden politischen Instrumenten bisher nicht ausreichend erfasst werden, beispielsweise durch ein marktorientiertes wettbewerbliches Aus- schreibungsmodell; x einen neuen Energiesparfonds mit einem Finanzvolumen von 3 Mrd. Euro jährlich aufzulegen sowie zu einer zielgerichteten und dauerhaften Ener- gieeffizienzinitiative auszubauen. Der Fonds soll dazu beitragen, den Strom- und Wärmeverbrauch zu senken und folgende Förderprogramme umfassen: o Energieberatung und Informationen verbessern und die Erstellung von Energiebedarfsausweisen für jedes Wohngebäude sowie individueller Sanierungsfahrpläne für Haus und Quartier auch finanziell fördern; o die Kommunen darin unterstützen, die energetische Quartierssanie- rung von Gebäuden und Wärmenetzen insbesondere in Wohnquartie- ren mit hohem Anteil einkommensschwacher und investitionsschwa- cher Haushalte zu erhöhen und auch für diese bezahlbar zu gestalten; Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1619

o Stromeffizienz besonders sparsamer strombetriebener Geräte in priva- ten Haushalten fördern, mit besonderem Fokus auf einkommens- schwache Haushalte; o energetische Modernisierung öffentlicher Gebäude; o Einführung eines Klimazuschusses zum Wohngeld, mit dem soziale Härten im Zuge der Modernisierung verhindert werden; o Marktanreizprogramme (inklusive Information, Beratung, Investiti- onszuschüsse) für verschiedene Schlüssel- und Querschnitts- technologien wie Elektromotoren, Beleuchtung, GreenIT, Abwärme- nutzung oder Industriepumpen; o ein Programm zum beschleunigten Austausch ineffizienter Stromhei- zungen; x für eine zügige energetische Modernisierung von Bundesliegenschaften zu sorgen und mit den Ländern in Kontakt zu treten, um auch den Gebäude- bestand der Bundesländer bei der Umsetzung des Artikels 5 der EU- Energieeffizienzrichtline einzubeziehen; x alle großen Unternehmen sowie zusätzlich energieintensive KMUs zu ver- pflichten, ein zertifiziertes Energiemanagementsystem (z. B. EMAS, DIN EN 16001 oder ISO 50001) einzuführen; x die in der EU-Energieeffizienzrichtlinie vorgesehene unterjährige Ver- brauchsinformation über den Wärme- und Warmwasserverbrauch umzu- setzen, indem die Regelungen zur Betriebskostenabrechnung mit Blick auf Rechtssicherheit, Einfachheit, Nachvollziehbarkeit und Transparenz im Dialog mit Mieter- und Vermieterverbänden reformiert werden, denn Ver- braucherinnen und Verbraucher sollen mehr Transparenz über den eigenen Energieverbrauch erhalten, Energieeinsparungen im Gebäudebereich da- durch zunehmen; 2. die finanzielle Ausstattung der KfW-Förderprogramme zur Gebäudemoderni- sierung wieder in den Bundeshaushalt zu überführen, auf 2 Mrd. Euro pro Jahr zu erhöhen, auf diesem Niveau langfristig zu verstetigen, um insgesamt die energetische Sanierungsquote auf 3 Prozent p. a. zu erhöhen. Dabei wird die KfW-Förderung zielgruppengerecht ausgestaltet, indem die Zuschusslinie so- wie Einzelmaßnahmen, die in den Sanierungsfahrplan für das Haus passen, ge- stärkt und Mitnahmeeffekte begrenzt werden; 3. eine steuerliche Förderung der energetischen Modernisierung als zusätzlichen Anreiz einzuführen; 4. das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWK-G) so zu novellieren, dass das Ausbauziel von mindestens 25 Prozent bis 2020 erreicht wird und systematisch Barrieren zu beseitigen, u. a. durch Rücknahme der Eigenverbrauchsbeteili- gung am EEG; 5. die Regeln zu Stromspeicherheizungen aus § 10a der Energieeinsparverord- nung (EnEV) 2009 wieder in Kraft zu setzen; 6. sich im Rahmen der europäischen Top-Runner-Strategie dafür einzusetzen, dass die EU-Ökodesign-Richtlinie dahingehend weiterentwickelt wird, dass Innovationen stärker gefördert werden und ineffiziente energieverbrauchsrele- vante Produkte noch schneller vom Markt genommen werden, während hoch- effiziente Produkte zum Standard werden. 7. ergänzend zur Strategie zur Sanierung des Nationalen Gebäudebestands, die zum 30. April 2014 an die EU-Kommission übermittelt wurde, einen nationa- len Sanierungsfahrplan mit langfristig geltenden Kennwerten und zusätzlichen, zur Erreichung eines klimaneutralen Gebäudebestandes notwendigen Maß- nahmen zu unterlegen; Drucksache 18/1619 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

8. die interdisziplinäre und transdisziplinäre Forschung zur Energieeffizienz vo- ranzutreiben und neu auszurichten, indem praxisnah geforscht wird und nicht nur technische und ökonomische Effizienzpotentiale und -maßnahmen sowie Benchmarks ermittelt werden, sondern auch sozialwissenschaftliche Forschung zur konkreten Umsetzung von Energieeffizienz- und Suffizienz-Politik durch- geführt wird; 9. ein Aus- und Weiterbildungsprogramm z. B. für Energiedienstleister, Energie- berater einzuführen; 10. bei der öffentlichen Beschaffung des Bundes sicherzustellen, dass die energie- effizienteste am Markt verbreitete Technik ausgewählt wird und dies durch ei- nen übergreifenden „Aktionsplan energieeffiziente Beschaffung“ auf allen staatlichen Ebenen vorangetrieben wird, indem auch die Lebenszykluskosten- betrachtung eine stärkere Rolle spielt. Durch eine Prüfpflicht soll zudem si- chergestellt werden, dass Energiedienstleistungslösungen (z. B. Energieein- sparcontracting) wenn wirtschaftlich sinnvoll, bei Ausschreibungen und Ver- gaben berücksichtig werden.

Berlin, den 3. Juni 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. und Fraktion

Begründung

Die Verbesserung der Energieeffizienz ist neben dem Ausbau erneuerbarer Energien die zweite unabdingbare Säule, um die Abhängigkeit von fossilen und nuklearen Energieträgern zu beenden, die Klimaziele zu errei- chen und trotz steigender Preise für herkömmliche Energieressourcen die Energiekosten zu senken. Laut der „Stellungnahme zum zweiten Monitoring-Bericht der Bundesregierung für das Berichtsjahr 2012“ der Exper- tenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ fällt der Energieeffizienz bei der Reduktion der energiebedingten CO2-Emmission sogar die zentrale Rolle zu. So müssten zwei Drittel der Emissionen durch Effizienzmaßnahmen eingespart werden, während die erneuerbaren Energien das letzte Drittel erbrin- gen. Deshalb kann nur die Verbindung von Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbaren Energien die zentralen Herausforderungen bewältigen, die sich in den Bereichen Klimawandel, Energiesicherheit und Wettbewerbsfähigkeit stellen. Dabei ist Energieeffizienz nicht nur ein Klimaschutzinstrument und trägt zur Versorgungssicherheit bei, son- dern bietet auch sehr gute Chancen, ein wahrer Jobmotor zu werden. Laut Berechnungen des Deutschen Insti- tuts für Wirtschaftsforschung können in Deutschland durch neue weitergehende Effizienzmaßnahmen bis 2020 zusätzlich 150 000 neue Jobs geschaffen werden. Zudem würden zusätzlich 45 Millionen t CO2 vermie- den und 10,2 Mrd. Euro Energiekosten eingespart. Die Energiepreise sind seit 2002 stark angestiegen und werden weiter steigen. Deshalb muss die Energiepoli- tik der Zukunft das Ziel haben, dass die Energieversorgung durch verstärkte Energieeinsparbemühungen und den Ausbau der erneuerbaren Energien klimafreundlich wird und zugleich für alle bezahlbar bleibt. Der Wärmebedarf ist seit 2000 zwar um rund 10 Prozent gesunken, doch liegen riesige Einsparpotenziale weiterhin brach. Nur 12 Prozent der Heizungen sind in Deutschland auf dem Stand der Technik. Der Anteil des Verkehrs am Endenergieverbrauch in Deutschland ist von 1990 bis 2012 von 25 Prozent auf 28 Prozent gestiegen. Eine Steigerung der Energieeffizienz im Verkehr ist daher dringend geboten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1619

Die Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ kommt in ihrer Stellungnahme ebenfalls zu dem Schluss, „dass die bisherige Entwicklung der Energieeffizienz hinter den zur Zielerreichung notwendigen Steigerungsraten zurückbleibt“ und zusätzliche Anstrengungen unternommen werden müssen. Die bisherigen Maßnahmen sind unzureichend, obwohl belegt ist, dass eine Steigerung der Energieeffizienz Wachstum und Beschäftigungsentwicklung erhöhen kann. Neben der Gebäudesanierung als wichtigstem Bereich muss auch der Effizienzsteigerung in privaten Haushalten und der Industrie ein großes Gewicht ein- geräumt werden. Gesteigerte Anstrengung in diesen Bereich mit einer Sanierungsquote von 2 Prozent und einer erhöhten Energieproduktivität von 2,1 Prozent, würden laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung dazu führen, dass sich das Bruttoinlandsprodukt schon im Jahr 2020 um 0,5 Prozent, 2050 sogar um 1 Prozent erhöht, was mit erheblichen Beschäftigungseffekten einhergehen kann. Dabei ste- hen 2020 energetischen Mehr-Investitionen in Höhe von 7 Mrd. Euro noch Einsparungen von 4 Mrd. Euro gegenüber, 2030 jedoch werden durch Mehrinvestitionen von 9 Mrd. 11 Mrd. Euro eingespart, 2050 durch Mehrinvestitionen von 14 Mrd. Euro 32 Mrd. Euro eingespart (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, „Steigerung der Energieeffizienz: ein Muss für die Energiewende, ein Wachstumsimpuls für die Wirtschaft“, Januar 2014). Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333 Deutscher Bundestag Drucksache 18/4712

18. Wahlperiode 22.04.2015

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. , Nicole Maisch, Dr. , Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Annalena Baerbock, Harald Ebner, Bärbel Höhn, Stephan Kühn (Dresden), , Sven-Christian Kindler, Markus Kurth, Dr. , Markus Tressel, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung – Drucksachen 18/3994, 18/4708 –

Entwurf eines Kleinanlegerschutzgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine Regulierung aller Bereiche des Grauen Kapitalmarkts ist überfällig. Dies haben die Erfahrungen der letzten Jahre bitter gezeigt. Eine von der Grünen Bundestags- fraktion in Auftrag gegebene Studie hat ergeben, dass bei Finanzprodukten des „Grauen“ Kapitalmarkts, die auch zur Altersvorsorge verwendet werden, ein jährli- cher Schaden von circa 30 Milliarden Euro bei AnlegerInnen entstehen.* Erst der Prokon-Skandal hat die Bundesregierung aufgeweckt und aktiv werden lassen. Mit der Erfassung der bislang unregulierten Anlageformen Nachrangdarlehen und parti- arische Darlehen wird erstmals eine umfassende Abdeckung der marktgängigen kol- lektiven Kapitalanlageformen durch das Vermögensanlagengesetz, das Kreditwe- sengesetz und das Kapitalanlagegesetzbuch erreicht. Viele langjährige grüne Forde- rungen werden mit dem Kleinanlegerschutzgesetz endlich verwirklicht. So ist zu be- grüßen, dass der kollektive Verbraucherschutz nun ausdrücklich zum Aufsichtsziel der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erhoben wird. Richtig ist weiter, dass die BaFin ausdrücklich zur Produktintervention ermächtigt wird. Künftig kann sie den Vertrieb bestimmter Finanzprodukte verbieten, wenn der Schutz der Anleger dies erfordert. Auch die verbesserten Anforderungen zur Aktu- alität des Verkaufsprospekts sind vernünftig. Zudem wird die Prospektprüfung durch die BaFin zumindest auf die Widerspruchsfreiheit der im Verkaufsprospekt anzuge- benden Informationen zur Funktionsfähigkeit des Geschäftsmodells erweitert. Es ist

* Oehler, Andreas; Die Verbraucherwirklichkeit: Mehr als 50 Milliarden Euro Schäden jährlich bei Alters- vorsorge und Verbraucherfinanzen. Befunde, Handlungsempfehlungen und Lösungsmöglichkeiten; De- zember 2012; www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/finanzen/Mil- liardenschaeden-bei-Altersvorsorge-und-Verbraucherfinanzen.pdf. Drucksache 18/4712 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

außerdem zu begrüßen, dass nun endlich die Verjährungsfrist des Schadenersatzan- spruches im Wertpapierhandelsgesetz an die regelmäßige Verjährungsfrist im Bür- gerlichen Gesetzbuch angepasst wird und dass eine Nachschusspflicht bei Vermö- gensanlagen ausgeschlossen wird. Diese Maßnahmen gehen in die richtige Richtung, das Gesetz kommt jedoch insge- samt zu spät, hat zudem Regelungslücken und ist an einigen Stellen schlecht ge- macht. Wichtige Fragen des Anlegerschutzes werden nicht angepackt. An einigen Stellen ist die Regulierung ungenau und bringt die Belange des Verbraucher- und Anlegerschutzes nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen in Einklang. Die zahlrei- chen Nachbesserungen am Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren zeigen, dass das Gesetz, so wie es von der Bundesregierung vorgelegt worden ist, bürger- schaftlich getragene Projekte der solidarischen Wirtschaft in einem Ausmaß getrof- fen hätte, das nicht hinnehmbar war. Es ist deshalb richtig, dass nun erweiterte Aus- nahmen für Projekte der solidarischen Ökonomie festgelegt worden sind. Die Ände- rungen in diese Richtung sind grundsätzlich zu begrüßen, da sie die gravierendsten Folgen für Projekte der solidarischen Wirtschaft verhindern. Dennoch fehlt es die- sem Gesetz an Passgenauigkeit und Verhältnismäßigkeit, es belässt einige Rechts- unsicherheiten für Genossenschaften und nimmt notwendige, weitere Regulierungs- schritte nicht vor. Es ist nicht ausreichend, bürgerschaftlich getragene Projekte der solidarischen Wirt- schaft lediglich nicht zu behindern. Die Bundesregierung sollte solche Projekte viel- mehr aktiv stärken und ihnen politischen Rückenwind geben. Denn diese Initiativen realisieren konkrete soziale und ökologische Projekte vor Ort und sind bedeutende Treiber für ökologische und soziale Fortschritte. Rund die Hälfte der in Deutschland installierten Stromerzeugungskapazität aus erneuerbaren Energien wurde beispiels- weise direkt von Bürgerinnen und Bürgern errichtet. Und eine wachsende Zahl von Genossenschaften und anderen Organisationen haben damit begonnen, innovative Energieeffizienzprojekte, die auf dem Finanzmarkt nicht auf ein adäquates Finan- zierungsangebot treffen, über Nachrangdarlehen zu finanzieren. Ohne das genossen- schaftliche und bürgerschaftliche Engagement wäre der Erfolg der Energiewende in Deutschland nicht denkbar. Nachrangdarlehen sind eine wichtige Grundlage für viele bürgerschaftlich getragene Investitionen in der solidarischen Wirtschaft. Sie werden z. B. genutzt, um Liquidi- tätsengpässe in Wohnungsgenossenschaften zu überbrücken, oder auch zur Finan- zierung von am Gemeinwohl orientierten Wohnprojekten, Dorfläden und Schulen. Wichtige Impulse im Wohnungswesen für bezahlbaren Wohnraum, für neue ge- meinschaftliche und generationsübergreifende Wohnformen gehen von bürger- schaftlich getragenen Initiativen und Genossenschaften aus. Um Bankkredite für neue Vorhaben in Anspruch zu nehmen, sind sie auf finanzielle Eigenanteile ange- wiesen. Dabei greifen sie häufig auf Nachrangdarlehen aus dem Unterstützerkreis zurück. Um sie nicht existenziell zu gefährden, braucht es klare Ausnahmeregelun- gen, die auf die wirtschaftliche Realität der solidarischen Ökonomie zugeschnitten sind. Es ist von zentraler Bedeutung, dass Genossenschaften, Vereine und andere Organi- sationen des bürgerschaftlichen Engagements nicht durch das Kleinanlegerschutz- gesetz behindert werden. Denn zahlreiche solcher Projekte sind praktisches Engage- ment vor Ort und erfüllen für die Aktiven nicht vorrangig den Zweck einer Geldan- lage, schon gar nicht mit hohen Renditeerwartungen. Heute bereits vorhandene bü- rokratische Hürden müssen abgebaut werden. Wie in allen Bereichen des Finanz- marktes muss hier das Prinzip der Proportionalität gelten. Betreiber von Projekten der solidarischen Ökonomie dürfen nicht behandelt werden, als seien sie große pro- fessionelle Finanzmarktakteure. Die Aufsicht muss auch Energiegenossenschaften anders behandeln als große Investmentfonds. Für alle Bereiche des Finanzmarktes muss gelten: Die Vorschriften zum Schutz der Anleger müssen sich zielgerichtet am Bedürfnis der Verbraucher und an den Risiken der Finanzanlage orientieren. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4712

Der Gesetzentwurf versäumt es, die grundsätzlichen Fragen der Anlegerinformation anzugehen. Das bestehende Format des Verkaufsprospekts schafft für Anlegerinnen und Anleger oftmals keine transparente, nachvollziehbare und sichere Information über die Risiken der Anlagemöglichkeit. Die Erfahrungen zeigen, dass das Prospekt eher zur Haftungsfreizeichnung des Emittenten genutzt wird als zur Information von interessierten Verbraucherinnen und Verbrauchern. Hier besteht dringender Hand- lungsbedarf im Sinne einer verbraucherfreundlichen Regelung. Zumindest ist eine Standardisierung erforderlich, die eine Struktur des Prospekts schafft, die es dem Verbraucher einfach macht, die für ihn relevanten Informationen ohne großen Auf- wand zu erfassen. Dieses Gesetz sollte dafür genutzt werden, einen solchen Prozess wenigstens anzustoßen. Es ist gut, dass die Ausnahmen im neuen § 2b des Vermögensanlagegesetzes für soziale oder gemeinnützige Projekte gegenüber dem ursprünglichen Regierungsent- wurf erweitert worden sind. Dies betrifft sowohl die darin vorgesehenen Obergren- zen für Anlagesumme und Verzinsung als auch die Erweiterung auf andere Gesell- schaftsformen als die Kleinstkapitalgesellschaft. Für die Finanzierung vieler Pro- jekte ist entscheidend, dass eine Verzinsung angeboten werden darf, die sicher ober- halb der Inflationsrate liegt und damit der Werterhalt der Investition ermöglicht wird. Deshalb ist zu begrüßen, dass künftig die maximale Verzinsung nicht unter 1,5 % fallen kann. Die Obergrenze für alle angebotenen Vermögensanlagen in Höhe von 2,5 Millionen Euro ist allerdings zu niedrig. Angesichts von solidarischen Projekten z. B. in der Wohnungswirtschaft, die künftig auf eine höhere Anlagesumme durch Nachrangdarlehen angewiesen sind, wäre eine Grenze von 4 Millionen Euro ange- messen gewesen. Auch wenn die Anzahl der Projekte in dieser Größenordnung noch begrenzt ist: Die steigende Erwartung an die Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv an der Finanzierung von öffentlichen Aufgaben zu beteiligen, wird insbesondere im Wohnbereich sehr stark zunehmen. Die Mieten und die Kaufpreise können dann je- doch von vielen nicht mehr finanziert werden, was zu mehr Eigeninitiative insbe- sondere im Bereich (gemeinschaftliches) Wohnen (im Alter) führen wird. Mit dieser Entwicklung muss auch die Obergrenze mitgehen, damit Projekte nicht auf lange Sicht Probleme bekommen. Dies ist auch aus Sicht des Anlegerschutzes vertretbar, da gleichzeitig die Anforderung an soziale und gemeinnützige Projekte aufgenom- men wurde, dass der Abschluss und die Vermittlung ohne Provisionen erfolgen müs- sen. Diese Anforderung ist für schwarze Schafe, die diese Ausnahme für zweifel- hafte Geschäfte nutzen könnten, eine wirkungsvolle Hürde. Zum anderen sind für die genossenschaftlich organisierten Initiativen einige Rechts- unsicherheiten weiterhin nicht beseitigt. So muss mehr Rechtssicherheit bei der Aus- nahme für Mitgliederdarlehen von Genossenschaften geschaffen werden. Hier braucht es eine Klarstellung, dass Genossenschaften auch Personen über die Mög- lichkeit einer Unterstützung durch ein Mitgliederdarlehen informieren können, die noch nicht Mitglieder der Genossenschaft sind, sich aber für eine Mitgliedschaft in- teressieren und spätestens beim Abschluss des Darlehens Genossenschaftsmitglied wären. Rechtsunsicherheiten für Genossenschaften entstehen aber auch durch das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB). Die Auslegung des KAGB durch die BaFin in deren Verwaltungspraxis war bisher höchst unbefriedigend und für viele Genossen- schaften eine Gefahr für deren Existenz. Zwar gehen die Änderungen vom 9. März 2015 am Auslegungsschreiben der BaFin in die richtige Richtung. Gerade angesichts der Erfahrung, dass die BaFin bei ihrer Prüfungspraxis zuweilen den Wortlaut des Gesetzestextes über den erklärten Willen des Gesetzgebers stellt, wäre es aber vor- zuziehen gewesen, auch gesetzlich für Klarstellung zu sorgen. Um die Rechtssicher- heit für Energiegenossenschaften zu erhalten, muss die bisherige Ausnahme in § 2 Absatz 4b KAGB an die neuen Verhältnisse angepasst werden. Die bisherige For- mulierung „langfristig sichergestellt“ zielt auf die unter Geltung des EEG 2012 ge- währten festen Einspeisevergütungen. Da die Betreiber von EEG-Anlagen ihren Strom künftig direkt vermarkten müssen und nur noch in Ausnahmefällen von der Drucksache 18/4712 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

gesetzlichen Einspeisevergütung profitieren, läuft diese Regelung ins Leere. Ener- giegenossenschaften errichten nicht nur Anlagen, um erneuerbaren Strom zu erzeu- gen, sondern wollen auch Stromnetze übernehmen, errichten Nahwärmenetze und weitere Energieinfrastruktur, investieren in Energieeffizienz und Energiesparen. Dieser Realität muss nun insofern Rechnung getragen werden, dass die Definition für Energiegenossenschaften im KAGB erweitert wird. Proportionalität und Verhältnismäßigkeit bedeuten natürlich auch, dass sicherge- stellt ist, dass Geldgeber auch bei Investitionen in sozial oder ökologisch ausgerich- tete Projekte ausreichend und transparent über die wirtschaftlichen und rechtlichen Risiken informiert werden. Das ist heute leider noch nicht immer der Fall. Nach- rangdarlehen sind für die Geldgeber mit einem hohen rechtlichen und wirtschaftli- chen Risiko verbunden. Denn die Geldgeber erhalten ihr Geld nur nachrangig zu- rück: Steckt ein Projekt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, müssen alle anderen Gläubiger (insbesondere Banken) vorrangig befriedigt werden. Eine solche Investi- tion ist wegen des Insolvenzrisikos nicht als Altersvorsorge und nur bedingt zum Sparen geeignet. Nur wer auf das Geld nicht angewiesen ist, sollte ein Nachrangdar- lehen geben. Das damit verbundene Risiko muss bei allen Anlageformen stets klar und deutlich kommuniziert werden. Der Schutz für Anleger muss insgesamt so ausgestaltet werden, dass er für die un- terschiedlichen Bereiche des Wirtschaftens passt und Abstufungen nach der Größe, Professionalität und Renditeorientierung der Akteure zulässt. Dabei ist von einem realitätsorientierten Verbraucherleitbild auszugehen und es sind grundlegende Er- kenntnisse der ökonomischen Verhaltensforschung zu berücksichtigen, die ein- drücklich die Grenzen des sogenannten Informationsmodells belegen. Der vorliegende Entwurf der Bundesregierung erfüllt dieses Ziel allerdings nicht. Zwar ist zu begrüßen, dass Projekte, die bei Bürgern pro Jahr mehr als 100.000 Euro als Nachrangdarlehen einsammeln wollen, künftig ein Vermögensanlagen-Informa- tionsblatt erstellen müssen, in dem die wesentlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Informationen zusammengefasst werden. Allerdings müsste dieses Vermögensanla- gen-Informationsblatt einer Kohärenzprüfung und Billigung der BaFin unterstellt werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass das für den Anlegerschutz entschei- dende Vermögensanlagen-Informationsblatt vollständig und verständlich ist. Zudem war die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Unterschriftenerforder- nis des Anlegers zur Bestätigung der Kenntnisnahme des Vermögensanlage-Infor- mationsblattes aus Verbrauchersicht höchst bedenklich. Damit nicht der Anleger durch seine Unterschrift seine rechtliche Situation im Fall eines späteren Streits um Falschberatung schwächt, war hier eine Änderung dringend erforderlich. Auch die im Gesetzentwurf vorgesehene Regulierung für Crowdinvesting-Plattfor- men ist unzureichend. Es ist richtig, dass die Marktentwicklung alternativer Finan- zierungsformen wie das Crowdfunding politisch stärker unterstützt wird. Denn diese tragen oftmals dazu bei, Projekte zu finanzieren, die sich über den „klassischen“ Fi- nanzmarkt kaum Finanzmittel verschaffen können, wie zum Beispiel innovative, un- orthodoxe unternehmerische Projekte oder auch Energie-Effizienzinvestitionen. Deshalb ist es gut, dass der Vorschlag der Bundesregierung, dass das Informations- blatt beim Crowdinvesting ausgedruckt und unterschrieben werden muss, nicht um- gesetzt worden ist. Ein solcher Medienbruch wäre eine unzumutbare bürokratische Hürde gewesen, die mutmaßlich viele potentielle Anleger abgeschreckt hätte. Zwar ist zu begrüßen, dass für Vermögensanlegen, die über eine Crowdinvesting-Platt- form vertrieben werden, Ausnahmen von der Prospektpflicht vorgesehen sind. Al- lerdings sollten die Ausnahmen nicht allein auf Nachrangdarlehen und partiarische Darlehen begrenzt sein, sondern auch auf die Anlageformen Beteiligungen, Treu- handvermögen, Genussrechte und Namensschuldverschreibungen. Allerdings handelt es sich vor allem bei der Finanzierung von Startup-Unternehmen um oftmals durchaus riskante Investitionen. Die Insolvenzquote bei Startups ist nach Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4712

wie vor sehr hoch. Umso wichtiger ist es, sowohl für die Plattformen selbst, aber vor allem für die Verbraucherinnen und Verbraucher, sicherzustellen, dass die Platt- formbetreiber seriös und professionell agieren, Transparenz hergestellt wird und we- nige unseriöse Anbieter nicht den gesamten Plattformmarkt in Verruf bringen. Ge- rade vor dem Hintergrund oftmals verbraucherschutzpolitisch problematischer Machtgefälle zwischen klassischen Anbietern zu Verbraucherinnen und Verbrau- chern können seriöse Crowdinvesting-Plattformen durchaus einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Verbrauchermacht zu erhöhen und für junge, innovative Unternehmen und Vorhaben, denen sich anderweitig keine Finanzierungsmöglichkeiten bieten, solche zu schaffen. Um die Vorteile von Crowdinvesting-Plattformen nutzen zu kön- nen, ist jedoch eine stärkere Regulierung notwendig. Die Bundesregierung versäumt die notwendige Regulierung der Plattformbetreiber als Gatekeeper. Auch der nun vorgelegte Entwurf leistet sie nicht. Den Plattformen soll eine Genehmigung als Finanzanlagenvermittler nach der Gewerbeordnung ge- nügen. Sie unterliegen danach der Aufsicht durch Gewerbeämter oder Industrie- und Handelskammern, die weder personell noch fachlich hierfür ausgestattet sind. Not- wendig, sowohl im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher als auch hinsicht- lich der Rechtsicherheit der Anbieter, sind vielmehr eine einheitliche Aufsicht durch die BaFin und die Etablierung von klaren Anforderungen an die Plattformen, die sich an den Anforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen orientieren. Dies gilt insbesondere für Anforderungen an die Sachkenntnis und Sorgfalt der Plattform- betreiber und eine Pflicht zur getrennten Vermögensverwahrung. Um eine fundierte Anlageentscheidung treffen zu können und einen sinnvollen Kostenwettbewerb zwi- schen den Plattformen zu ermöglichen, ist zudem geboten, dass Anlegerinnen und Anleger über sämtliche Entgelte und Provisionen transparent informieren werden. Eine solche zielgerichtete Aufsicht und eine Provisionsoffenlegung würden nicht nur einen besseren Schutz für die Anlegerinnen und Anleger bedeuten, als dies bei einer beliebig festgesetzten Obergrenze für den Verkaufspreis der angebotenen Vermö- gensanlagen eines Anbieters der Fall ist, sie wären auch im Sinne der Plattformen, die ein Interesse an einer langfristigen Rechts- und Planungssicherheit haben. Im Gegenzug zu diesen gebotenen, regulatorischen Verschärfungen könnte die Ober- grenze von derzeit 2,5 Millionen Euro erhöht werden. Eine solche Erhöhung sollte im Rahmen der vorgesehenen Evaluierung bis Ende 2016 geprüft werden. Die vereinbarte Evaluierung bis Ende 2016 muss sowohl hinsichtlich Crowdinves- ting als auch hinsichtlich der sozialen und gemeinnützigen Projekte dazu genutzt werden, um die Wirkungen der Ausnahmen auf dem Markt zu überprüfen, etwaigen Fehlentwicklungen entgegentreten zu können und eine ggf. notwendige Anpassung der Grenzwerte zu ermöglichen. Es ist zu begrüßen, dass eine solche Evaluierung in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses festgelegt ist. Allerdings wäre es vorzuziehen gewesen, wenn diese Evaluierung im Gesetzestext festgelegt worden wäre.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– eine bessere Informationsbasis für den Anleger zu gewährleisten und für eine Standardisierung der Verkaufsprospekte hinsichtlich Form und Inhalt vorzuse- hen. So, wie die Wertpapierprospekte derzeit in der Praxis ausgestaltet sind, dienen sie allzu oft mehr der Haftungsbeschränkung der Emittenten, sind je- doch für die Anleger selbst nur wenig hilfreich. Sowohl hinsichtlich des Um- fangs als auch der Verständlichkeit muss die Struktur der Verkaufsprospekte dringend reformiert werden; – auch das Vermögensanlagen-Informationsblatt einer Kohärenzprüfung und Bil- ligung durch die BaFin zu unterstellen; Drucksache 18/4712 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

– die Veröffentlichung von Warnhinweisen durch die BaFin verpflichtend zu ma- chen. Hierfür ist im Regierungsentwurf in § 26b VermAnlG lediglich eine Kann-Bestimmung vorgesehen; – angesichts der steigenden Immobilienpreise und der zu erwartenden zunehmen- den Eigeninitiative im Bereich des gemeinschaftlichen Wohnens im Vermö- gensanlagegesetz die Obergrenze des Verkaufspreises für sämtliche angebo- tene Vermögensanlagen eines Anbieters mit sozialer oder gemeinnütziger Ziel- setzung auf 4 Millionen Euro anzuheben und Artikel 2 Nummer 4 entsprechend anzupassen; – Crowdinvesting-Plattformen, sowohl im Sinne der Verbraucherinnen und Ver- braucher als auch der Plattformbetreiber selbst, generell einer Aufsicht durch die BaFin zu unterwerfen nebst Pflichten, die sich an die Anforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen anlehnen (insbesondere Sachkenntnis- und Sorgfaltsanforderungen und getrennten Vermögensverwahrung); – Offenlegungspflicht für Provisionen bei Crowdfunding-Plattformen vorzuse- hen, um durch die Angabe der Höhe der Provisionen, die von den Plattformbe- treibern einbehalten werden, eine fundierte Anlageentscheidung zu ermögli- chen; – im Gegenzug zu diesen gebotenen, regulatorischen Verschärfungen, im Rah- men der vorgesehenen Evaluierung bis Ende 2016 zu prüfen, ob die Obergrenze von derzeit 2,5 Millionen Euro erhöht werden kann; – für Rechtssicherheit für Genossenschaften zusätzlich zum Auslegungsschrei- ben der BaFin vom 9. März 2015 auch durch eine europarechtlich konforme Klarstellung im Kapitalanlagegesetzbuch zu sorgen, zumindest aber die bishe- rige Ausnahme in § 2 Absatz 4b KAGB, die bislang nur für Energiegenossen- schaften gilt, auch für andere Genossenschaften zu öffnen.

Berlin, den 21. April 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333

18/36 Bürgerenergiewende