daß ein Club seine Hoffnungen auf einen Spieler stützt, der im 38. Lebensjahr steht und die letzten dreieinhalb Jahre im Fußballrentner-Paradies Japan verbrachte, wirft Licht auf ein Dilemma, in dem derzeit viele Profivereine stecken. Die Teams sind überfüllt mit Spielern, die zwar eine Menge Geld verdienen wol- len, denen es aber, so Schäfer, „am Fuß- ballerherz fehlt“. Allerorten schimpfen Trainer, Manager und Präsidenten über diese Gattung see- lenloser Kicker, die auf Begriffe wie Mann- schaftsgeist pfeifen, deren Identifikation mit dem Verein von der Höhe des Gehalts abhängt und denen eine Fotostory in der Fanpostille „Bravo Sport“ wichtiger scheint als die Anerkennung durch den Trainer. Es sind die Möchtegernstars, die der Fußball-Lehrer Lorenz-Günther Köst- ner vom 1. FC Köln als „Mitläufer“ be- zeichnet und die Frank Pagelsdorf vom Hamburger SV für „Alibifußballer“ hält. Besonders breit gestreut scheint diese Spezies beim FC Bayern München. Dort verlor der sonst so besonnene Trainer Gio-

T. EXLER T. vanni Trapattoni am vergangenen Dienstag Bayern-Trainer Trapattoni: Eruption vor laufenden Kameras die Contenance. Die Spieler , und Mario Basler hatten ihn nach der Niederlage in Schalke FUSSBALL öffentlich der Unfähigkeit beschuldigt. Die dreiminütige Eruption des Italieners vor laufenden Kameras geriet zum Running „Schwach wie Flasche leer“ Gag der Nachrichtensendungen. Trapatto- ni zürnte über seine Kicker, die „schwach Zoff bei den Bayern, Krise in Karlsruhe, Ernüchterung in wie eine Flasche leer“ gewesen seien und „vergessen haben, daß sie Profis sind“. Dortmund: Fehlt dem deutschen Profi die richtige Kollege Schäfer wollte Trapattoni „spon- Einstellung? Der KSC setzt auf das Vorbild . tan anrufen und ihm gratulieren“. Es sei typisch für die Zeit: „Ein Trainer stützt sei- einen Job als Fußballprofi hat er stets noch rauschende Uefa-Pokal-Abende nen Spieler, hilft ihm über private Proble- wie ein solider Handwerker erledigt. schenkte. Den Grund des Niedergangs me hinweg, empfiehlt ihn für die National- SUnd auch bei seinem neuen Arbeit- sieht Trainer Winfried Schäfer im Fehlen ei- elf – und dann läßt der ihn im Stich.“ geber tut Guido Buchwald, was man von ner Leitfigur, die „Manns genug“ sei, den Selbst im stillen Westfalenland sind An- ihm verlangt. Kollegen „Dampf zu machen“. Diese Rol- sätze dieser charakterlichen Degeneration Beim Training steigt der blonde Hüne le hat nun Buchwald übernommen. Der zu beobachten. Über „unsägliche Zustän- zum Kopfball hoch und rammt den Ball Vorgang ist nicht ohne Pikanterie: Denn de“ klagt Ernst Middendorp, Trainer von samt Gegenspieler ins Tor. Arminia Bielefeld. Obwohl Kurz darauf stoppt er am Mit- die Mannschaft im Abstiegs- telkreis per Ellenbogencheck kampf steckt, findet der den Sturmlauf des Kollegen Coach keinen Termin für Sean Dundee. Und als der Sondertrainingseinheiten – sich über die rüde Behand- seinen Spielern sind PR-Ter- lung beschwert, erhält er eine mine wichtiger. Middendorp: Standpauke als Zugabe: „Sei „Man wird als Trainer jeden ruhig und renn.“ Tag aufs neue enttäuscht.“ Buchwalds rustikales Auf- Mit Appellen an den treten entspricht dem Erzie- Sportsgeist braucht man den hungsauftrag, den der Welt- Stars nicht zu kommen. „Der meister von 1990 kürzlich an- Fußball“, klagt Bayern-Präsi- genommen hat: Der 76mali- dent Franz Beckenbauer, ge Nationalspieler soll den „steht nicht mehr im Mittel- Karlsruher SC therapieren. punkt“, das Training sei vie- Denn die Mannschaft len „lästig“. Als neulich der steckt in einer Führungskri- Bielefelder Middendorp sein se. Bis auf einen Abstiegs- Ensemble zu einem Freund- platz sackte der Bundesligist schaftsspiel bat, kam er sich

aus Baden ab, der vor nicht GES vor, als habe er ein vier- langer Zeit dem Publikum Karlsruher Profis Buchwald (r.), Hengen: „Sei ruhig und renn“ wöchiges Straflager angeord-

der spiegel 12/1998 171 Sport net: „Auf den Platz liefen nur mürrische, nem Tackling ungeschickt verhalten hatte. gers wechseln zu können, zog er vor Ge- miesgelaunte, destruktive Gesichter.“ Das Auditorium staunte nicht schlecht über richt. Für den Club endete der Rechtsstreit Daß die mangelnde Eigenmotivation sei- den Wutausbruch – immerhin stand es 0:0. mit einem Debakel: Klos darf gehen. ner Karlsruher durch eine „Persönlichkeit Doch die Mission, die sich Entwick- Schlampige Genies und feiste Abzocker mit Vorbildwirkung“ kuriert werden muß, lungshelfer Buchwald zugemutet hat, be- hat es in den 35 Bundesligajahren schon hat Trainer Schäfer lange nicht wahrhaben darf rigoroser Mittel. Denn die neuen immer gegeben. Neu ist – neben den enor- wollen. Etwas blauäugig hatte er die hier- Gesetzmäßigkeiten der Fußballbranche ha- men Gehältern für Durchschnittsspieler – archische Lücke, die nach dem Weggang ben einen Spielertypus geformt, der weit- die Heldenverehrung, die den Akteuren im erfahrener Profis wie Wolfgang Rolff und gehend frei ist von Selbstzweifeln – und Nu zuteil wird. Da ein spektakulärer Auf- Thorsten Fink entstanden war, durch neu- der sich für das große Ganze meist wenig tritt oft mehr Aufmerksamkeit erregt als es Personal schließen wollen. Doch weder interessiert. über Wochen geleistete Facharbeit, neigen der voreilig als Nationalspieler in spe Erlangt haben die Kicker diesen Be- viele dazu, sich auf die Big-Points zu kon- gehandelte Thomas Hengen noch der El- wußtseinsgrad durch ein Zusammenspiel zentrieren. Wer sich unter der Woche als sässer Marc Keller entwickelten jene aus phantastischen Gagen und dem me- Europapokalstar wähnt, fühlt sich bei ei- „Durchsetzungsfähigkeit“, die ein Vor- dialen Tamtam, das um sie gemacht wird. nem gewöhnlichen Gegner wie 1860 Mün- zeigesportler braucht, „um Wortführer ei- So verdient Mario Basler beim FC Bayern chen im mentalen Loch. „Wenn man mitt- ner Elf“ (Schäfer) zu werden. Hengen 1,5 Millionen Mark im Jahr, über zwölf wochs gegen die Bayern 200 Prozent gibt“, scheut die Verantwortung, Keller ist durch Stunden durfte er sich 1997 in Einzelinter- jammerte der Dortmunder Knut Rein- ein Millionenangebot des englischen Clubs views, Talkshows oder anderen TV-Sen- hardt, sei es nicht einfach, „sich am Sams- West Ham United der Kopf verdreht. dungen verbreiten. Was passiert, wenn ein tag wieder neu zu motivieren.“ Daß die Badener den schlei- chenden Verfall nun mit Hilfe Gui- do Buchwalds stoppen wollen, ist in der ein längst üblich gewordener Verzweiflungsakt. Et- liche Vereine halten sich einen Protagonisten aus der Ära der frühen Neunziger, der den heuti- gen Fußballern Professionalität vorspielen soll. Denn was den Grad an Ernsthaftigkeit angeht, haben die Altmeister ihren Nach- fahren offenbar einiges voraus. So gilt beim VfB Stuttgart Tho- mas Berthold, 33, als Ausbund professioneller Arbeitsauffassung. Beim FC Bayern hat die Führungs- etage den Vertrag mit Lothar Mat- thäus, 36, gerade bis 2000 verlän- gert. Hertha BSC verpflichtete

jüngst Andreas Thom, 32, und bei FIRO Borussia Dortmund wartet man Bayern-Profi Basler beim Spiel gegen Schalke 04: Im Mannschaftsbus sitzen geblieben sehnsüchtig auf die Rückkehr des Ehrgeizlings , 32. Seit derart sozialisierter Balltreter außer Kon- Da kann sich Guido Buchwald nur an der Libero, derzeit verletzt, keine flam- trolle gerät, erlebte sein Arbeitgeber an- den Kopf fassen. Früher, da mußten sie menden Appelle an die Moral der Truppe läßlich des Auswärtsspiels bei Schalke 04: „eine ganze Saison ranklotzen“, damit mehr richtet, steht es schlecht um den Weil er nur als Ersatzspieler aufgeboten überhaupt jemand aufmerksam wurde: Champions-League-Gewinner. war, weigerte sich Basler zehn Minuten „Heute machen sie ein gutes Spiel und Einen besseren Oberaufseher als Buch- lang, aus dem Mannschaftsbus zu steigen. schon heißt es in der Zeitung: Ein Mann für wald hätten sie beim KSC kaum finden Sich gegen derartige Disziplinlosigkei- ?“ können. Elf Jahre lang stand er beim VfB ten zu wehren wird für die Vereine immer Diejenigen, die diesen Prozeß gefördert Stuttgart als menschgewordene Solidität in schwerer. Seit es bei Vertragsablauf keine haben, indem sie ihre Stars verhätschel- der Abwehr. Seine Leidensfähigkeit war Ablösesummen mehr gibt, hat sich das ten, drängen nun vehement zur Umkehr. beispiellos. Ohne Murren nahm er es hin, Machtverhältnis Spieler/Verein zugunsten Mehr „Härte gegen die Spieler“, verlangt wenn beim Verlesen der Nationalelf-Auf- der Angestellten verschoben. Nevio Scala, der Borussia Dortmund trai- stellung sein Name vorgetragen wurde und So pokert der Karlsruher Keller unge- niert. „Die Spieler müssen wieder lernen, die Fußballnation am Fernsehgerät kollek- niert um eine Erhöhung der Bezüge, ob- dem Club zu dienen“, poltert Uli Hoeneß, tiv stöhnte: „Nicht schon wieder der.“ schon sein Club mitten im Abstiegskampf Manager des FC Bayern, jenes Vereins, der Buchwald gilt als Kämpfernatur. 1986 steckt. Millionär Basler, der wie seine Ge- sich einen Angestellten leistet, der den strich ihn Teamchef Beckenbauer aus dem sinnungsgenossen Strunz und Scholl 20 000 Herren Profis die Stollen in die Schuhe Aufgebot für die Weltmeisterschaft in Me- Mark Geldbuße wegen vereinsschädigen- schraubt. xiko. 1990 in Italien war es dann Buchwald, den Verhaltens zu zahlen hat, brachte sich Das erledigt Guido Buchwald in Karls- der im Finale Maradona bezwang. flugs beim möglichen Deutschen Meister ruhe, selbstverständlich, mit eigener Hand. Nun hoffen sie beim KSC, daß Guido – 1. FC Kaiserslautern ins Gespräch. Dorthin Schließlich darf er sich nicht verdächtig Spitzname „Diego“ – auch ihre Nöte löst. ziehe es ihn, ließ er über das Internet ver- machen. Erst neulich ist ihm ein Fehler un- Beim Einstand im Spiel gegen Tabellen- lauten, schon seit geraumer Zeit. terlaufen bei seinem Feldzug wider die ver- führer 1. FC Kaiserslautern trat er in der Ein Exempel gegen die Vereine statuier- lotterte Arbeitsmoral: Erstmals kam er Halbzeit in die Kabine und stauchte einen te zuletzt der Dortmunder Torwart Stefan zum Training zu spät – er hatte sich bei Kollegen zusammen, weil der sich bei ei- Klos. Um ablösefrei zu den Glasgow Ran- einem Interview verplaudert. ™

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