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Corona Magazine 12/2019

Der Verlag in Farbe und Bunt Beschreibung & Impressum

Das Corona Magazine ist ein traditionsreiches und nicht- kommerzielles Online-Projekt, das seit 1997 die Freunde von Science-Fiction, Phantastik und guter Unterhaltung mit Informationen und Hintergründen, Analysen und Kommen- taren versorgt.

Seit dem Wechsel des Projekts zum Verlag in Farbe und Bunt im Herbst 2014 erscheint es im zeitgemäßen E-Book- Gewand.

Redaktion Uwe Anton, Reiner Krauss, Bettina Petrik, Thorsten Walch, Reinhard Prahl, Alexandra Trinley, Oliver Koch, Lieven L. Litaer, Birgit Schwenger, Sven Wedekin, Kai Melhorn, Armin Rößler, Rüdiger Schäfer, Anna Pyzalski, Sharine Jansen, C. R. Schmidt, Bernd Perplies, Hermann Ritter, Carsten Schmitt, Hartmut T. Klages, Frank Stein, Bastian Ludwig

Chefredakteur Medienjournalist & Autor Björn Sülter schreibt Romane (Beyond Berlin, Ein Fall für die Patchwork Kids) & Sach- bücher (Es lebe Trek), ist Headwriter und Experte für und mit Kolumnen und Artikeln bei Quotenmeter, Serienjunkies, in der GEEK! oder im FedCon Insider ver- treten.

2 Dazu präsentiert er seinen beliebten Podcast Planet Trek fm und ist als Hörbuchsprecher (Der Earl von Gaudibert, Dunkle Begegnungen, Star Trek - The Next Generation: Q sind herzlich ausgeladen) und Moderator aktiv. Er lebt mit Frau, Tochter, Pferden, Hunden & Katze auf einem Bauern- hof irgendwo im Nirgendwo Schleswig-Holsteins.

Ausgabe #351, Dezember 2019 1. Auflage, 2019 ISBN 978-3-95936-183-5 © Dezember 2019 / Alle Rechte vorbehalten

Der Verlag in Farbe und Bunt Gneisenaustraße 103 45472 Mülheim an der Ruhr

Herausgeber | Mike Hillenbrand Chefredakteur | Björn Sülter E-Book-Satz | EM Cedes & Reiner Krauss

3 Lektorat | Bettina Petrik & Telma Vahey Cover | EM Cedes Titelbild | James Minchin, Netflix

Corona Webseiten | www.corona-magazine.de Kontakt | [email protected]

+49 (0) 201 / 36 03 68 01 [email protected] http://www.ifub-verlag.de/ https://www.ifubshop.com/

Nachdruck und Vervielfältigung, auch einzelner Artikel oder Auszüge, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen kann keine Gewährleistung übernommen werden. Namentlich gekennzeichnete Beitrage geben nur die Meinung des Verfassers wieder und stimmen nicht zwangsläufig mit den Ansichten der Redaktion und des Herausgebers überein.

4 Editorial

Liebe Leserinnen und Leser, erneut geht ein spannendes, buntes Jahr zu Ende und erneut haben wir vom Corona Magazine in fünf Ausgaben fast 2000 Ebook-Seiten für Sie abgeliefert. Ein herzliches Dankeschön geht an dieser Stelle an die gesamte ehrenamt- liche Redaktion, an die ehrenamtlichen Helfer im Lektorat, Korrektorat, beim Satz und Layout sowie natürlich an Sie, liebe Leser, dass Sie uns seit 22 Jahren und 351 Ausgaben die Treue halten.

Während wir in der Redaktion ein wenig Winterschlaf halten, wird im Dezember die Skywalker-Saga im Kino beendet. Doch auch zu Jahresbeginn 2020 dürfte es direkt spannend werden. Sir Patrick Stewart alias Jean-Luc Picard kehrt mit Star Trek: Picard in Serienform zurück, James Bond rast in sein 25. Abenteuer, die nächste Phase der Marvel-

5 Filme nimmt endlich Fahrt auf und viele interessante Serien- und Filmprojekte im phantastischen Genre stehen bereits in den Startlöchern (wen auch nicht zwingend für einen Start in 2020). Denken wir an das erste Spin-off zu Game of Thro- nes, die Rückkehr nach Mittelerde in der neuen Serienver- sion von Der Herr der Ringe, die Realverfilmung zu Mulan, neue Pixar-Abenteuer oder die heiß ersehnte Neuinter- pretation von Frank Herberts Dune. Und das deckt nur den Serien- und Filmsektor ab! Auch in allen anderen Bereiche wird es wieder massenhaft phantastischen Nachschub geben; für uns zum darüber schreiben und für Sie, um darü- ber zu lesen.

Wir freuen uns auf die Zukunft, das unentdeckte Land!

Frohe Weihnachten und einen guten Start ins Jahr 2020!

Ihr Björn Sülter Chefredakteur

6 Termine – Treffen sie uns!

Das Jahr 2019 ist für den Verlag in Hinblick auf Messen nun beendet.

Für unseren Autoren und Corona-Redakteur Thorsten Walch geht es nach der Veröffentlichung seines Buches Es lebe Star Wars jedoch erst los. Er wird bei folgenden Terminen zugegen sein, sein Buch signieren, für einen Plausch bereit- stehen und größtenteils sogar Lesungen abhalten.

Am 14.12. beim Troop des Imperathomas in der Markthalle in Krefeld.

Am 15.12. bei Of The in Mönchengladbach (Lesungen um 13 und um 15 Uhr)

Am 18.12. ab 11 Uhr im CineStar-Kino Oberhausen im Centro.

Am 28.12. auf dem Klingolaus-Dinner in Oberhausen-Oster- feld.

2020 können Sie uns vom Verlag dann wieder bei vielen Gelegenheiten zu fassen bekommen, beispielsweise auf der UNICon in Kiel, der Nordcon in Hamburg, der FedCon in Bonn oder der nächsten Auflage der BuchBerlin.

7 Wir werden an dieser Stelle in der nächsten Ausgabe bereits über konkrete Termine berichten können.

8 Tipps fürs Lesevergnügen

»Ich habe gar keinen eBook-Reader« ist eine häufig gehörte Aussage, wenn es darum geht warum ein phantastisch interessierter Mensch noch kein neues Corona Magazine gesehen und gelesen hat.

Beispielsweise sind Kindle Paperwhite und Tolino tolle eBook-Reader, sie können tausende von Büchern in einem schmalen, robusten Gerät mitnehmen und dank mattem eInk-Display und dezenter Hintergrundbeleuchtung sowohl in der Sonne am Strand als auch abends, ohne Taschen- lampe, im Bett lesen.

Jede Ausgabe ihres Corona Magazines kann ganz selbstver- ständlich auch auf ihrem Smartphone, iPhone oder Compu- ter geschaut und gelesen werden. Hier haben sie gar die volle Farbkraft unserer Bilder in den Beiträgen.

9 Wie das geht? Amazon-Kunden installieren sich idealer- weise die Kindle-App oder schauen im Browser selbst, genau wie beim Tolino webreader. Windows 10 Nutzer können gar ein lokales eBook ganz einfach mit dem integ- rierten Edge-Browser öffnen.

Schauen sie uns somit in Zukunft auf vielen Geräten und sagen sie es allen weiter, die noch nicht wussten wie sie uns lesen können und freuen sie sich somit auf ein Magazin von und in »Farbe und Bunt«.

Kindle-App für Windows und iOS https://www.amazon.de/kindle-dbs/fd/kcp

Tolino webReader https://mytolino.de/tolino-webreader-ebooks-online- lesen/

10 Ihr Reiner Krauss Autor und eBook-Gestaltung

11 Podcast

Ab sofort hat das Corona Magazine einen eigenen Podcast: Deep Inside mit Joshua Hillenbrand & Reiner Krauss.

Die erste Ausgabe behandelte das Thema Franchises. Die zweite Ausgabe bot ein Interview mit Jacqueline May- erhofer (Hunting Hope). In der dritten Ausgabe erzählt Reiner Krauss, der Mann für den Bereich Wissenschaft beim Corona Magazine, von seinen Erlebnissen zur ersten Mondlandung und zeigt einen Blick in die Zukunft der Raumfahrt. Sowie in der vierten Ausgabe zu Gast: Sonja Rüther, eine norddeutsche Autorin die in den Genres Thriller, Phantastik und Horror zuhause ist. Mit dem Gastgeber Reiner Krauss dringen sie diesmal in Galaxien vor, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hat und besuchen Geschichten vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis. Dabei finden sie auch die Antwort auf alle Fragen. Eine würdigende aber auch kritische “Plauderrundreise” der Film- und Serien- welten der Phantastik von den 1960er bis heute.

Via Soundcloud: https://soundcloud.com/user-104747826

Via RSS-Feed: http://feeds.soundcloud.com/users/sound- cloud:users:521030382/sounds.rss

12 © iFuB-Verlag

13 Thema des Monats The Witcher: Ein Franchise wird zum Multimedia-Riesen von Peter R. Krüger

»Am Anfang war das Wort ...«

Dieses Zitat bezog sich ursprünglich ganz sicher nicht auf die Figur des Geralt von Riva, doch in diesem Artikel soll es den Werdegang eines Charakters vom unbekannten Romanhelden zum regelrechten Mediengiganten versinnbildlichen. Die Rede ist natürlich von dem berühmten »Hexer«. Ein Charakter, den der polnische Romanautor Andrzej Sapkowski (Narrenturm) für eine Reihe von Büchern erdacht und im Laufe der Roman-Veröffentlichungen stetig ausgebaut hat. Hierbei handelt es sich um eine Fantasy-Reihe, die unter anderem auch mitteleuropäische Sagen und Märchen in ihre Erzählungen integriert.

Worum es geht Von Riva ist eine Mutation. Als Waise wurde er den sogenannten Hexern übergeben. Diese führten an ihm Experimente durch, um seinen Körper zu stählen und seinen Verstand zu schärfen. Viele Waisen, die sich dieser Prozedur unterziehen müssen, überleben diese nicht, doch die, die

14 am Ende übrig bleiben, werden selbst zu sogenannten Hexern. Söldnern, die gegen Bezahlung allerlei Monster bekämpfen. Obwohl sich bis hierhin alles nach mittelalterlichen Schlachtenerzählungen anhört, ist dies nur zum Teil richtig. Denn die Welt des Hexers besteht aus weit mehr Ebenen als nur dem Töten von Monstern. Es geht um Liebe, um Verrat, um Intrigen und um Rassismus. Gesellschaftliche Unterschiede finden hier genauso Platz wie das Aufzeigen und Ausräumen von Vorurteilen. Gerade weil die Geschichten viel mehr sind als nur reine Abenteuer, ist die Begeisterung der Fans schnell zu verstehen, sobald man in diese Welt vordringt. Auch, wenn es so mancher Roman der Reihe dem Leser mit wirklich lang gestalteten Szenen gelegentlich etwas schwer macht, dranbleiben zu wollen. Doch es lohnt sich – ehrlich.

15 © dtv

Chronologie des Erfolgs Es war 1990, als Sapkowski mit Wiedźmin erstmals Aufmerksamkeit in seiner Heimat erregte. 1992 und 1993 folgten weitere Kurzgeschichtenbände, ehe 1994 der erste komplette Roman Krew Elfów veröffentlicht wurde,

16 hierzulande bekannt unter dem Titel Das Erbe der Elfen. Die Figur des von Riva machte langsam die Runde in Kennerkreisen. Doch war das seinerzeit längst noch nicht das internationale Phänomen, von dem man heute sprechen kann. Bis 1999 wurde annähernd jedes Jahr ein weiterer Roman zum Hexer in Polen veröffentlicht. Die Reihe fand dort große Beachtung, doch international war sie immer noch eher unbedeutend. Daran änderte auch die 2001 in Polen produzierte 13-teilige Serie Wiedźmin mit Michał Żebrowski (Die Wikinger – Angriff der Nordmänner) in der Hauptrolle kaum etwas, die aus dem Spielfilm Geralt von Riva – Der Hexer aus dem gleichen Jahr entstanden war. Dieser erschien im Jahre 2010 synchronisiert als DVD-Veröffentlichung in Deutschland. Die Serie basiert zwar auf den Romanen, erhielt aber überwiegend schlechte Rezensionen. Um die Lücke zum heutigen Erfolg des Franchise zu schließen, muss auf die Computerspielbranche verwiesen werden. Sapkowski selbst war nie gänzlich zufrieden mit den Videospiel-Umsetzungen, doch sein Werk profitiert in ungeheurem Maße von der Begeisterung der Verantwortlichen des ebenfalls polnischen Softwareenwickler-Studios CD Projekt RED für dieses. Diese haben im Jahre 2007 auf der Basis des erfolgreichen Dungeons-&-Dragons-PC-Rollenspiels Neverwinter Nights vom kanadischen Studio BioWare ein Rollenspielabenteuer erschaffen, das als ausschlaggebend für den internationalen Durchbruch des Hexers genannt werden darf. Erst dessen 17 Erfolg machte es möglich, dass beispielsweise auch hierzulande die Fans mit Nachschub an Material aus dem Hexer-Universum versorgt wurden. Dazu gehört die erwähnte Synchronisation des Films sowie die Veröffentlichung der Romanreihe ab dem Jahr 2008.

Was macht das Spiel überzeugend? Seinerzeit überschlug sich die Fachpresse vor allem deshalb mit positiven Kritiken, weil das Spiel auf der hochgelobten Aurora-Engine aufgesetzt wurde, die einst von dem genannten, in der Gamer-Szene hoch angesehenen BioWare-Studio entwickelt worden war. CD Projekt RED machte aus der Not eine Tugend: Anstatt selbst eine Engine zu entwickeln, was viel Zeit und Geld in Anspruch genommen hätte, kaufte das Studio eine Lizenz bei den Kanadiern, um sich auf die Inhalte des Rollenspiels The Witcher konzentrieren zu können.

18 © Fantasy Flight Games

So hatten die Entwickler kleine Besonderheiten in das Spiel integriert, die zu sehr positiven Bewertungen der Fachpresse führten. Allen voran die Konsequenzen, die sich aus den Entscheidungen der Spieler im weiteren Verlauf für sie ergaben. Der Clou war, dass man nicht sicher sein konnte, welche Entscheidung sich wie auswirkte, so entwickelte sich in jedem neuen Spiel eine eigene Dynamik. Ein Gimmick, das CD Projekt RED bis heute in seine Rollenspiele integriert: Entscheidungen und Konsequenzen.

19 Aber auch die düstere Atmosphäre, die hervorragenden Dialoge, das ausgeklügelte Spielsystem und die sehr erwachsen wirkende Handlungsdarstellung des Spiels heimsten viele Pluspunkte ein. Die Sache mit den Trophäen für diverse Techtelmechtel hätte allerdings ruhig etwas souveräner dargestellt werden können. Im Gesamtbild überzeugend hat das Computerrollenspiel das internationale Interesse am Charakter von Riva geweckt, auch hierzulande, was wie ausgeführt die späte, aber immerhin dann doch noch endlich erfolgte Übersetzung und Veröffentlichung der Romane nach sich zog.

Die richtige Reihenfolge der Romane Da nicht immer ganz klar ist, welches Buch an welche Stelle gehört, möchte der Autor dieses Artikels eine kleine Hilfestellung zu den unterschiedlichen Veröffentlichungen der Hexer-Romane geben. Wer die Geschichten in der chronologisch richtigen Reihenfolge lesen möchte, hält sich am besten an folgende Liste:

1. Der letzte Wunsch (Veröffentlichung in Polen: 1990 – 1993/Veröffentlichung in Deutschland: 2007)

2. Das Schwert der Vorsehung (PL: 1992/D: 2008)

3. Zeit des Sturms (PL: 2013/D: 2015)

4. Das Erbe der Elfen (PL: 1994/D: 2008)

20 5. Die Zeit der Verachtung (PL: 1995/D: 2009)

6. Feuertaufe (PL: 1996/D: 2009)

7. Der Schwalbenturm (PL: 1997/D: 2010)

8. Die Dame vom See (PL: 1999/D: 2011)

9. Etwas endet, etwas beginnt (PL: 2000/D: 2012)

Ja, es ist korrekt, dass Zeit des Sturms an dritter Stelle in dieser Aufzählung steht, obwohl es der letzte Roman ist, der herausgebracht wurde. Zuerst erschienen ursprünglich die beiden Kurzgeschichtenbände, danach die Romane. Nach Abschluss seiner Roman-Pentalogie hatte Sapkowski Zeit des Sturms als weitere Vorgeschichte geschrieben, die sich chronologisch zwischen den Kurzgeschichten und Das Erbe der Elfen einreiht. Seit 2018 kursieren übrigens Gerüchte, dass der Autor einen weiteren Roman in diesem Franchise veröffentlichen will.

Dann kamen die Computerspiele Seit 2007 gibt es den Hexer wie erwähnt auch auf dem internationalen Computerspiele-Markt. An dessen Seite metzeln sich die Spieler nicht nur durch allerlei Monster, sondern müssen auch schwerwiegende Entscheidungen treffen, die früher oder später weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Ein Erfolgskonzept, das die Macher bei CD 21 Projekt RED auch in den Nachfolgern The Witcher 2: Assassins of Kings aus dem Jahr 2011 und The Witcher 3: Wild Hunt (2015) übernommen und ausgebaut haben. Alle drei Teile gelten als chronologische Nachfolger zur Buchreihe.

22 © Bandai Namco Entertainment

Spielen auf anderen Ebenen Dem Erfolg der Computerspiele war es zu verdanken, dass sich zum Thema The Witcher auch auf dem »analogen«

23 klassischen Spielemarkt einiges tat. So hat die für opulent ausgestattete Expertenspiele bekannte Spieleschmiede Fantasy Flight Games ein Abenteuerbrettspiel auf den Markt gebracht, das von der Firma Asmodee ins Deutsche übersetzt wurde. Der Titel lautet passenderweise The Witcher – Abenteuerspiel. Das Spiel traf bei der Fangemeinde den richtigen Nerv, sodass inzwischen keine neuen Ausgaben davon mehr erhältlich sind. Wer es besitzen möchte, muss tief in die Tasche greifen und hoffen, dass er ein gut erhaltenes gebrauchtes Exemplar erwischt. 2018 wurde dann das Grundregelwerk eines taktischen Tischrollenspiels (im Englischen bekanntlich Pen-&-Paper genannt) namens The Witcher im englischen Original veröffentlicht. Ein knappes Jahr später, 2019, brachte Truant Spiele hierzulande die deutsche Übersetzung heraus. Angesiedelt ist dieses Regelwerk im 3. Nordischen Krieg, also ungefähr in derselben Zeit, in der die Handlung der Computerspiele sich abspielt. Das Regelwerk funktioniert jedoch unabhängig von den PC- und Konsolenspielen. Einziges Manko an diesem ist die mangelnde Übersetzungsqualität, die in vielen Foren und auf diversen Fanseiten so stark bemängelt wurde, dass dies die Truant UG sogar dazu bewogen hat, eine neue Ausgabe mit verbesserter Übersetzung auf den Markt zu bringen. Wer also mit dem Gedanken spielt, eine Pen-&-Paper-Runde in der Welt des Hexers anzusiedeln, sollte beim Kauf darauf achten, die überarbeitete zweite Auflage zu erwischen.

Netflix verhext die Welt 24 Inzwischen kann man also bereits auf neun Bücher, eine 13-teilige polnische Serie, auf drei Computerrollenspiele, auf ein Brett- und ein Tischrollenspiel zurückgreifen, um sich in der Welt des Hexers zu bewegen. Und dann platzte Netflix vor kurzem auch noch mit der Ankündigung heraus, eine Serie zu dieser produzieren zu wollen. Nachdem der erste Trailer im Juli dieses Jahres veröffentlicht worden war, mussten sich Fans bis zum 31.10.2019 gedulden, um nähere Informationen zu erhalten. Im Mittelpunkt stand dabei oft die große Frage: Wann wird die Serie denn nun veröffentlicht?

© Netflix / The Witcher – Henry Cavill

Der zweite Trailer gab mehr Einblick in die kommende Adaption. Man darf gespannt sein, ob Henry Cavill, den man bisher hauptsächlich als Superman in den aktuelleren DC-Verfilmungen kennt, der Rolle als von Riva gewachsen sein wird. Von der physischen Präsenz her macht er in

25 beiden Trailern eine gute Figur. Gleiches gilt für Anya Chalotra (Sherwood) als Yennefer, Freya Allan (The War of the Worlds) als Ciri und Anna Shaffer (Zapped) in der Rolle der Triss Merigold – allesamt wichtige Figuren im Witcher-Universum. Die neue Serie The Witcher wird dem Vernehmen nach hauptsächlich auf der Romanreihe basieren, sich aber auch auf die Computerspiel-Reihe stützen. Interessanterweise war ursprünglich gar nicht geplant, eine Serie zu entwickeln. Die Verantwortlichen wollten eigentlich nur einen Film produzieren. Als Kelly Luegenbiehl, ihres Zeichens Vice President International Originals bei Netflix, davon jedoch Wind bekam, wurden die Pläne geändert, da Luegenbiehl der Auffassung war, dass das vorhandene Material weit mehr Potential bot, als nur zu einem einzelnen Streifen verarbeitet zu werden. Eine Änderung, die sicher zur Vorfreude der Fangemeinde beitrug, obwohl Cavill als Besetzung des Hexers nicht bei allen auf Zustimmung stieß. Möglicherweise muss der Mime sich aber auch einfach nur erst mal von seinem Superman-Image freispielen. Immerhin bezeichnet er sich selbst als Kenner der Romanreihe und auch der Computerspiele und konnte sich im Casting-Prozess gegenüber 207 anderen Darstellern behaupten. Der zweite Trailer verkündete dann endlich auch den Starttermin der ersten Staffel: Am 20.12.2019 gehen die acht Folgen online.

»Game of the Rings«? 26 Man mag als Rezensent solche Vergleiche eigentlich gar nicht ziehen, doch es bleibt einem insbesondere in der Fantasy kaum etwas anderes übrig, will man von einer bildgewaltigen Fiktion berichten. Das, was man bisher von der Serie gesehen hat, erinnert zwangsläufig ein wenig an Game of Thrones: Das Lied von Eis und Feuer (2011–2019) oder auch an die Der Herr der Ringe-Filme (2001-2003). Ähnlichkeiten gibt es inhaltlich sicher nicht, dazu ist The Witcher in seiner Basis-Erzählung eigenständig genug. Man muss nicht fürchten, eine Kopie genannter Franchises präsentiert zu bekommen. Doch was die Bildsprache angeht, die Epik und das leichte Gefühl von etwas Magischen, stehen zumindest die Trailer den großen Vorbildern in nichts nach. Mag die erste Staffel dieses Versprechen halten und dieses Franchise tatsächlich endgültig zum nächsten Multimedia-Riesen heranwachsen lassen.

27 © Netflix / The Witcher – Michal Zebrowski

Wissenswertes Bleibt zum Abschluss nur noch, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und diverse Details hervorzukramen, die abseits des Roman-, Spiele- und Serienhelden von Riva von Interesse sind. Netflix bleibt auch bei The Witcher seiner Strategie treu, seine Serien national aufzustellen. Als Produktionsland ist daher neben den USA auch Polen angegeben. Die Produktion übernimmt unter anderem Alik Sakharov. Wem der Name nicht gleich etwas sagt, der kann vielleicht mit Formaten wie The Americans (2013–2018) oder Black Sails (2014–2017) etwas anfangen, bei denen Sakharov bereits vereinzelt die Kameraführung oder auch den Regiestuhl übernommen hat.

28 Jodhi May, die Darstellerin der Königin Calanthe hatte 2015 einen Gastauftritt in Game of Thrones. Die Rolle des Stregobor wird von Lars Mikkelsen (Star Wars: Rebels) übernommen, dem älteren Bruder von Mads Mikkelsen (Doctor Strange). Shaffer wurde einst durch ihre Rolle der Gryffindor-Schülerin Romilda Vane bekannt, die gerne mit Harry Potter ausgehen wollte. Diese Figur verkörperte sie in drei Harry Potter-Filmen. Sapkowski ist bezüglich der Serie und vor allem auch Cavills Mitwirken jedenfalls optimistisch und spricht dem ganzen Team Talent und Professionalität zu. Das ist nicht selbstverständlich, hatte Sapkowski doch wie erwähnt an den Spielen von CD Projekt RED einiges zu bemängeln. Selbst die polnische Hexer-Serie von 2001 bedachte er einst mit folgender Einschätzung: »Ich kann nur mit einem einzigen Wort antworten, einem obszönen, wenn auch kurzen.« Es bleibt zu hoffen, dass das Endurteil diesmal ebenfalls positiv ausfällt.

29 Special: Der Deutsche Phantastik Preis 2019

Bereits seit 1999 werden jährlich die besten Werke phantas- tischer Literatur im Rahmen des Deutschen Phantastik Prei- ses geehrt. Somit feiert dieser aktuell sein zwanzigjähriges Bestehen.

Der Wettbewerb Der Preis wird rein ehrenamtlich organisiert. Neben dem Corona Magazine waren die phantastisch!, die BuchBerlin als Ausrichter sowie die Agentur Simply Easy Marketing in diesem Jahr federführend für die Organisation des aktuellen Durchlaufs. Anna Pyzalski war dabei ausführende Organi- satorin. Eine unabhängige Jury aus zwanzig Kennern der Literatur- und Phantastikszene hatte im Sommer in mühevoller Arbeit die Longlists der zwölf Kategorien erstellt. Vom 1. bis 31.

30 August stimmte dann eine fast fünfstellige Anzahl von Lesern ab und beförderte fünf Werke pro Kategorie in die Shortlists. Vom 16. September bis zum 31. Oktober konnte dann über die zwölf Sieger abgestimmt werden. Diese wurden in einer Gala auf der BuchBerlin am 23. November 2019 ab 18:30 Uhr live auf der Bühne präsentiert und geehrt. Elf von zwölf Gewinnern waren vor Ort und konnten ihre Trophäen persönlich entgegennehmen. Aman- dara M. Schultzke moderierte mit Witz und Charme. Wir freuen uns, heute alle Gewinner in den zwölf Kate- gorien präsentieren zu dürfen.

Die Sieger Bester deutscher Roman

Das Vermächtnis der Grimms - Wer hat Angst vorm bösen Wolf / Nicole Böhm / Drachenmond Verlag

Bestes deutschsprachiges Romandebüt

Der fünfte Magier: Schneeweiß / Christine Weber / Selfpu- blishing

Bestes deutschsprachiges Jugendbuch

Loa - Die weiße Mambo / Petra Reneé Meineke / Sad Wolf Verlag

31 Bester internationaler Roman

Elfenkrone / Holly Black / cbj Verlag

Beste deutschsprachige Kurzgeschichte

Housten hat Probleme / Markus Heitkamp / Talawah Verlag

Beste deutsche Anthologie

Noir Anthologie (1) / Mica Bara u. a. / SadWolf Verlag

Bestes deutschsprachiges Hörspiel/Hörbuch

Die Chroniken von Azuhr - Die Weiße Königin / Bernhard Hennen / Wolfgang Wagner / Argon Verlag

Beste deutschsprachige Serie

Das Erbe der Macht / Andreas Suchanek / Greenlight Press

Bester deutschsprachiger Grafiker

Die letzten Zeilen der Nacht / Alexander Kopainski / Dra- chenmond Verlag

Bestes deutschsprachiges Sekundärwerk

32 Es lebe Star Trek - Ein Phänomen, zwei Leben / Björn Sülter / Verlag in Farbe und Bunt

Bestes deutschsprachiges Comic/Manga

Capacitas / Marika Herzog / Eigenproduktion

Sonderpreis 2019: Beste Übersetzung ta’puq mach - Der kleine Prinz auf Klingonisch & Deutsch / Antoine de Saint-Exupéry / Lieven L. Litaer / Der Verlag in Farbe und Bunt

33 Unendliche Weiten – Die Star-Trek- Ecke Alle Artikel von Ressortleiter Thorsten Walch

Kolumne: Discovery vs. Picard: Konkurrenzkampf in den eigenen (Franchise-)Reihen

Ziemlich genau zwei Monate sind es vom Erscheinen dieser Ausgabe des Corona Magazine noch bis zum Tag X. Einem Trekkie braucht man sicherlich nicht erst zu erklären, worum es geht: Star Trek: Picard wird ab dem 24.01.2020 bei Prime Video zu sehen sein, einen Tag nach der US-Erstveröffentlichung bei CBS All Access. Selten, wenn nicht gar nie zuvor wurde eine neue Star Trek-Serie auch von der breiten Allgemeinheit derart gespannt erwartet, die mit dergleichen ansonsten meist nichts anfangen kann. Der im vergangenen Oktober veröffentlichte neueste Trailer hat das seine getan, um die Serie zu bewerben. In großen Städten sieht man gar überdimensionale Plakatankündigungen, die den Seite an Seite mit seinem treuen Hund in seinem Weinberg stehenden, ikonischen Star Trek-Charakter zeigen. Bei CBS ist man sich seiner Sache offensichtlich sehr sicher. Obwohl noch keine einzige Folge von Picard

34 veröffentlicht wurde, ist eine zweite Staffel der Serie bereits beschlossene Sache.

© CBS / Amazon

Vergleichsweise still geht es hingegen in Sachen Star Trek: Discovery zu. Obwohl auch zur kommenden dritten Staffel von dieser Serie ein aufwändiger Trailer herausgebracht wurde, scheint es, als übersteigt die Spannung der Fans auf Picard bei weitem die auf die weiteren Abenteuer von Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) und ihrer Crew im nunmehr 31. Jahrhundert. Auch Neuigkeiten zu der geplanten Ableger-Serie rund um die »Sektion 31«, mit Hauptdarstellerin Michelle Yeoh (Guardians of the Galaxy Vol. 2) in ihrer bereits aus Discovery bekannten Rolle als Ex-Spiegeluniversum-Imperatorin Philippa Georgiou, gab es in den letzten Monaten kaum mehr welche, was bei sich im

35 Planungsstadium befindlichen Produktionen jedoch nicht ungewöhnlich ist. Das Interesse an der Prequel-Welt von Discovery scheint sich angesichts des baldigen Erscheinens der Picard-Serie dennoch merklich abgekühlt zu haben, jedenfalls in den sozialen Netzwerken, die sich mehr und mehr zu einem ausgesprochenen Stimmungsbarometer auch bezüglich der Star Trek-Welt und sonstiger Science-Fiction- und Fantasy-Franchises entwickelt haben.

Hoffnungen Obwohl sogar Hauptdarsteller Sir Patrick Stewart (Logan: The Wolverine) höchstpersönlich mehrmals darauf hingewiesen hat, dass Picard komplett neue Wege beschreiten wird und keineswegs ein »Star Trek – The Over-Next Generation« geplant ist, klammern sich viele (Trekkies) an große Hoffnungen bezüglich der siebten Serie aus dem Roddenberry’schen Kosmos, die ja trotz allem gewissermaßen eine Fortsetzung der zweiten darstellt. Erst recht seit dem zweiten Serientrailer, der Gastauftritte von »William T. Riker« Jonathan Frakes (Futurama) und »Deanna Troi« Marina Sirtis (The Orville) in der kommenden Reihe bestätigte. »Picard wird wieder das Star Trek, das wir alle kennen und lieben!«, lautete sinngemäß ein Kommentar in einer entsprechenden Themengruppe in den sozialen Netzwerken. »Wer braucht Discovery? Das sollten die am besten gleich komplett einstellen!« 36 »Wahrscheinlich wird man Patrick Stewart nur in Kurzauftritten zu sehen bekommen, während ansonsten die neuen Charaktere die Hauptdarsteller sind!«, kommen da allerdings auch Gegenmeinungen von Discovery-Fans auf, wenn auch derzeit noch eher als Hintergrundgeräusch. »Lieber sollte man eine Serie über Pike und Spock drehen, das wäre allemal die interessantere Variante!« Und schon heißt es Ring frei! für den hausgemachten Prioritätenkampf im Star Trek-Fandom. »Ihr habt doch gar keine Ahnung, was Star Trek wirklich bedeutet und ausmacht!« »Ihr nennt euch ›Trekkies‹? Lachhaft!« Diese beiden sinngemäß wiedergegebenen Positionen kann man übrigens beliebig gegeneinander austauschen. Und dann gibt es da natürlich auch noch diejenigen Fans, die einzig und allein die »alten« Serien favorisieren. Für die sind Raumschiff Enterprise (1966–1969), Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (1987–1994), Star Trek: Deep Space Nine (1993–1999) und Star Trek: Raumschiff Voyager (1995–2001) das einzig Wahre, für einige ist es zusätzlich noch Star Trek: Enterprise (2001–2005), wenn das auch schon eine deutlich eingeschränkte Zahl von Fans betrifft. Von Star Trek-Werken mit Veröffentlichungsdatum ab 2005 halten die jedoch alle so gar nichts mehr. Aber die gegenwärtigen Spitzenreiter in Sachen »Star Trek gegen Star Trek« sind die Picard- und die Discovery-Fans.

37 Abwarten und Earl Grey trinken Das sind die Momente, in denen sich der Kolumnist die Möglichkeit der Zeitreise wüscht, sei es nun H. G. Wells‘ klassische Zeitmaschine oder die Hilfe des »Wächters der Ewigkeit« (um den es an anderer Stelle in dieser Ausgabe des Corona Magazine gehen wird). Ein kurzer Sprung in die Zukunft, etwa vier Monate später, würde schon ausreichen. Bis dahin wird zumindest ein großer Teil der Picard-Episoden bereits ausgestrahlt worden sein. Eigentlich braucht man aber gar keine Tricks, um vorherzusehen, was dann in erwähnten Sozialen Netzwerken los sein wird: »Picard taugt nichts! Keine neue Mission der Enterprise, stattdessen geht es da um ganz andere Sachen! Das braucht kein Mensch!«, werden die einen sagen. »Charaktere X und Y sind sooo schreiend unsympathisch! Die sollte man sofort aus der Serie rausschreiben!«, wird es anderswo tönen. Und: »Wo ist nur das TNG geblieben, das wir alle so geliebt haben?« Andere hingegen werden die völlig eigenständige Machart der Serie loben und sich freuen, dass man eben keine Nachahmung von bereits Vorhandenem geschaffen hat, sondern etwas völlig Eigenes mit vielerlei angenehmen Referenzen an einen unsterblichen Klassiker. Und dann? Dann wird etwas ganz Erstaunliches passieren. »Discovery hat mir im Rückspiegel betrachtet besser gefallen als Picard!«, werden die einen da plötzlich behaupten, während andere lakonisch verbreiten: 38 »Das ist nun das Ende von Star Trek.« Und dann wird das ganze schöne Spiel von vorne beginnen. »Die dritte Staffel von Discovery wird Picard toppen, da bin ich mir sicher!«

Sieben Serien, ein Franchise Die unterschiedlichen Arten von Trekkies werden sich weiter gegenseitig mit Kritik an der Lieblingsserie der anderen Seite zu übertrumpfen versuchen, so viel steht fest. Star Trek, so halten eher Besonnene dagegen, ist aber doch ein einziges zusammenhängendes Franchise. Die einzelnen Serien und auch alle Kinofilme spielen allesamt im gleichen fiktiven Zukunfts-Universum, das einst Anfang der 1960er-Jahre von Gene Roddenberry (Mission Erde – Sie sind unter uns) aus der Taufe gehoben wurde, wenngleich sich die Reihen und Filme handlungstechnisch auch spätestens seit der zweiten Serie zu verschiedenen Zeitpunkten abspielten. Sie nehmen immer wieder einmal auf unterschiedlichste Weise Bezug aufeinander. Ist es nicht das am meisten Naheliegende, als Star Trek-Fan Begeisterung für alle Serien und anderweitigen Facetten des Gesamt-Franchise zu empfinden? Ganz so einfach ist die Sache leider nicht, denn stilistisch gehen die Serien inzwischen meilenweit auseinander. Während die klassische Originalserie trotz ihrer damals unglaublich innovativen Aussagen und Botschaften Retro-Charme pur versprüht, gelten zumindest die ersten Staffeln der Nachfolgereihe Das nächste Jahrhundert 39 heutzutage als eine der typischsten 1980er-Jahre-Serien innerhalb des phantastischen Genres überhaupt, einzig vielleicht noch übertroffen vom Klassiker V – Die außerirdischen Besucher kommen (1984–1985). Deep Space Nine hingegen mit seinem deutlich düstereren Tenor sorgte seinerzeit für echte Kontroversen in der Star Trek-Fanwelt, was hier und da bis heute so geblieben ist. Voyager wurde von bösen Zungen gar als »auf der Stelle tretendes Star Trek Light« bezeichnet, obwohl andere Fans die großteils eher unkomplizierten Inhalte der Episoden lobten. Enterprise hingegen litt am berühmten Prequel-Syndrom, da die lange vor anderen Ereignissen spielende Vorgeschichte deutlich moderner und fortschrittlicher rüberkommt als die chronologische Fortsetzung. Genau dieses »Problem« hat auch Discovery, wobei nicht wenige Fans der Serie argumentieren, diese stelle eher ein Prequel der modernen Variante der Raumschiff Enterprise-Ära dar, wie sie im Kinofilm Star Trek von 2009 (und zwar noch vor der Entstehung der -Zeitlinie!) zu sehen gewesen ist. Summa summarum haben alle Serien ihren eigenen und vor allem einen unverwechselbaren Stil. Zwar herrscht stets ein gewisser einheitlicher Grundtenor vor, ansonsten aber bildeten und bilden die Reihen stets ein in sich geschlossenes eigenes Universum, auch wenn bisweilen auf Ereignisse in den anderen Serien eingegangen wird. Auch dies geschieht dann jedoch immer in dem jeweiligen ganz eigenen Stil der Serie. 40 Eine derartige Vielfalt bietet nicht die Möglichkeit, ein Produkt nach dem Prinzip »One Size Fits All« zu kreieren. Es gibt nur sehr, sehr wenige Star Trek-Fans, die im Brustton der Überzeugung behaupten können, dass sie alle Serien im gleichen Maß favorisieren. Beim Kolumnisten ist das jedenfalls nicht der Fall. Für ihn ist die klassische Originalserie ein Nonplusultra, an das alleine schon aus nostalgischen Gründen keine der anderen Serien heranreicht. Danach folgt Das nächste Jahrhundert in der Favoritenliste, während sich DS9 und Enterprise einen Platz teilen. Discovery hingegen steht bislang an einer völlig eigenen Stelle, da die Serie so etwas wie einen Neustart des Franchise für ihn darstellt – sozusagen den Startpunkt einer zweiten ideellen Liste. Einzig Voyager rangiert für ihn etwas abgeschlagen auf dem letzten Platz seiner persönlichen Star Trek-Hitlisten, weil die Serie für ihn persönlich bis auf einige wenige Highlights keine Neuigkeiten zu bieten hatte. Aber in einem unterscheidet sich der Autor dieses Artikels wesentlich von den sich neuerdings befehdenden Picard- und Discovery-Fans. Er streitet keiner der Serien ihre sowohl chronologische als auch künstlerische Daseinsberechtigung im Star Trek-Universum ab. Dabei kann er durchaus die Abneigung gegen einzelne Franchise-Teile nachvollziehen. Die kann sogar so weit gehen, dass Zuschauer eine einzelne Reihe von einem aus mehreren Komponenten bestehenden Franchise akribisch verfolgen und eine andere vollkommen ignorieren. Er selbst verfolgt als alter Fan des Horror-Genres noch immer die 41 Zombie-Serie The Walking Dead (seit 2010), während er das Spin-off Fear The Walking Dead (seit 2015) nach der zweiten Staffel für sich selbst als beendet erklärt hat, weil ihn das Ganze schlicht und ergreifend nicht angesprochen hat. Bei Star Trek käme er jedoch nicht auf diese Idee, da dieses Franchise auf seiner Favoriten-Skala weit höher angesiedelt ist als besagte Zombie-Mär (die demnächst übrigens ebenfalls eine dritte Serie erhalten soll). Als gutes Beispiel taugt das kurze Abschweifen trotzdem: Wer eine der Serien eines Gesamtwerks nicht mag, der sollte sie im Zweifelsfall lieber einfach auslassen, als sich durchzuquälen und sich letztlich nur darüber zu ärgern.

Nicht der Weisheit letzter Schluss So einfach sei das nicht, wurde dem Kolumnisten in Diskussionen bereits entgegengehalten. Schließlich würde ein echter Franchise-Fan keine Serie aus »seinem« Universum einfach verpassen können. Nun, lautet da stets seine Antwort, dann sollte man eben versuchen, sich in die »ungeliebte« Serie hineinzudenken. Natürlich darf man immer kritisch sein, natürlich bedeutet Star Trek-Fan zu sein nicht, dass man alles, wo Star Trek draufsteht, automatisch bejubeln muss. Insbesondere Discovery hat in der letzten Zeit viel Kritik auch von Leuten einstecken müssen, für die das Roddenberry’sche Universum exemplarisch genug ist, dass sie sich zumindest in Teilen darüber definieren. Ob berechtigt oder nicht, das selbst zu beurteilen steht jedem Fan uneingeschränkt zu.

42 © CBS / Netflix

Aber niemand von diesen Leuten hat je verlauten lassen, Discovery gelte für ihn oder sie nicht als Teil des Star Trek-Kanons. Oder aber, dass eine Picard-Serie mit dem Helden ohne Kommando über ein eigenes Schiff namens Enterprise nicht den gleichen Stellenwert wie eine Vorgängerserie besitzen würde. Es wurden schlicht nur Punkte bemängelt, die den Betreffenden in ihrer eigenen Sicht nicht zugesagt haben. Discovery wird man auch weiter für sich allein ansehen können, ohne gleichzeitig Picard zu verfolgen, wenn man sich partout nicht dazu überwinden kann, und umgekehrt gilt das Gleiche. Picard wird ohne detaillierte Vorkenntnisse der Star Trek-Geschichte zu verstehen sein, die immerhin rund 120 Jahre umfasst. Sollte das Gegenteil der Fall sein, sind die Autoren vermutlich weise genug und fügen eine Sequenz ein, in der das für die weiteren Geschehnisse in der Episode erforderliche Wissen vermittelt wird.

43 Schlammschlachten zwischen verschieden gesonnenen Franchise-Fans sind jedenfalls ganz gewiss nicht von Nöten. Eher sollte man sich auf die Aspekte eines großen Franchises konzentrieren, die einem ganz persönlich am meisten liegen. Und die anderen wenigstens akzeptieren. Wenn dieser Punkt erreicht ist – dann hat derjenige die Aussage Star Treks verstanden.

News: TREKminds

Neuer Trailer, Startdatum von Star Trek: Picard bekannt Im Zuge eines großen Star Trek-Panels auf der diesjährigen New York Comic Con (03.-06.10.2019) wurde ein zweiter, längerer Trailer zur kommenden Serie Star Trek: Picard veröffentlicht, weiter wurde das offizielle Startdatum bekanntgegeben. In den USA bei CBS All Access ist es am Donnerstag, den 23.01.2020 so weit, in Deutschland bei Prime Video einen Tag später, am 24.01.2020. Im Trailer wird der Hund des Protagonisten, genannt Nummer 1 gezeigt, sowie in einer Art Traumsequenz die Begegnung von Jean-Luc Picard (Sir Patrick Stewart) mit »Data« (oder einem anderen Droiden aus der Soong-Reihe?), ein weiteres Mal gespielt von Brent Spiner (Hulk und das Team S.M.A.S.H.). Ferner gibt es erste kurze Schwenks auf einige der neuen Co-Stars, darunter Santiago Cabrera (Salvation) als Cristobal »Chris« Rios, Michelle Hurd (Ash vs Evil Dead) als Raffi Musiker (sic), Alison Pill (Snowpiercer) als Dr. Agnes Jurati, Harry Treadaway (Penny 44 Dreadful) als romulanischer Agent Narek, Evan Evagora (Fantasy Island) als (Romulaner?) Elnor sowie Genre-Newcomerin Isa Briones als die geheimnisvolle Dahj, die den gealterten Picard im Trailer auf seinem Weinberg aufsucht und um Hilfe bittet. Ferner bekommt man Seven of Nine () zu sehen, die mittlerweile offensichtlich zu einer Art Sondereinsatzkommando gehört, sowie Captain William T. Riker und seine Frau Deanna Troi (Jonathan Frakes und Marina Sirtis), denen Picard einen Besuch abstattet. Auch wurde bekannt, dass ein Schiff namens La Sirena offenbar unter dem Kommando des Ex-Starfleet-Offiziers Rios eine gewichtige Rolle in der Serie spielen wird. Der Trailer heizt derzeit enorm die Gerüchteküche an, unter anderem ist die Rede davon, dass die junge Dahj Picards Tochter sein könnte. Definitive Antworten auf diese Fragen wird es freilich erst Ende Januar geben.

Die deutsche Stimme des Protagonisten in Star Trek: Picard Eine besondere Überraschung barg die deutsche Fassung des Trailers, die nahezu zeitgleich mit der Originalversion veröffentlicht wurde. Als deutsche Stimme von Picard ist wieder der frühere DEFA-Schauspieler Ernst Meincke (Sleepy Hollow) zu hören, der 1992 in Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert die Synchronisation von seinem Vorgänger Rolf Schult (Der kleine Hobbit) übernommen hatte. Unerwartet kommt dies deshalb, da sich der (ungemein sympathische und bei Fans immens beliebte) 45 Meincke nach schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen eigentlich komplett aus der Synchron-Arbeit zurückgezogen hatte. Ob er Stewart auch in der eigentlichen Serie synchronisieren wird, ist leider noch nicht bekannt.

Roman und Comic zu Star Trek: Picard Als Einführung in die Serie erscheinen sowohl eine Comic-Serie als auch ein Roman, die im Gegensatz zu anderen vergleichbaren Star Trek-Produkten kanonisch deren Vorgeschichte erzählen sollen. In der dreiteiligen Comic-Reihe Star Trek: Picard – Countdown, die von November bis Januar beim amerikanischen Verlag IDW Publishing herauskommen und die zeitnah auch in deutscher Übersetzung erscheinen soll, wird es um die Umstände gehen, die einst zur Zerstörung des Planeten Romulus und damit verbunden zu dem Rückzug Picards aus dem aktiven Dienst bei der Sternenflotte führten. Ferner wird in der ersten Februar-Hälfte des Jahres 2020 ein von Uma McCormack (Hollow Men) verfasster Roman namens Star Trek: Picard: The Last Best Hope (geplanter deutscher Titel Die letzte und einzige Hoffnung) erscheinen, zu dessen Handlung derzeit allerdings noch nichts bekannt ist.

Einführende Short Treks-Ausgabe zu Star Trek: Picard Außerdem wird am 09.01.2020, also zwei Wochen vor Serienstart, die Short Treks-Episode Children of Mars veröffentlicht werden, die im Gegensatz zu den bisherigen Folgen der Kurzfilm-Reihe einen Prolog zu Picard darstellen wird. Auch zu dieser Produktion war bei Redaktionsschluss 46 dieser Ausgabe des Corona Magazine noch nichts weiter bekannt.

Admiral Picards Uniform in Star Trek: Picard Inzwischen wurde das Design der Uniformen in Picard vorgestellt, und Fans können Repliken davon bereits aus asiatischer Fertigung bei verschiedenen Internet-Händlern bestellen. Die neuen Uniformen weisen mehr Ähnlichkeit zu dem Design aus Star Trek: Deep Space Nine (1993–1999) auf als zu den erdfarbenen Tönen aus den drei letzten Filmen der Ära Das nächste Jahrhundert. Ein kürzlich veröffentlichtes Foto zeigt die Uniform von Admiral Picard während seiner letzten Zeit im aktiven Dienst, was den Schluss nahelegt, dass es in der Serie entweder Rückblenden darauf oder aber seine Rückkehr zur Sternenflotte zu sehen geben wird.

Staffel 2 von Star Trek: Picard bereits bestätigt Während die Star Trek-Fanwelt gespannt auf den Start der ersten Staffel wartet, befindet sich die zweite Staffel bereits in trockenen Tüchern. Wie Showrunner Alex Kurtzman (Die Mumie) in verschiedenen Interviews bekanntgab, werden die Dreharbeiten bereits im kommenden März starten.

Trailer zu Staffel 3 von Star Trek: Discovery Zeitgleich mit dem Trailer zu Picard wurde auf der New York Comic Con auch einer zur dritten Staffel von Star Trek: Discovery (seit 2017) veröffentlicht. Allerdings handelt es 47 sich im Gegensatz zu erstgenanntem nur um einen 70 Sekunden langen Teaser. Darin sieht man Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) und die Crew der Discovery 930 Jahre in der Zukunft, wie eine Texteinblendung erklärt, in einer Welt, in der die Föderation und die Sternenflotte nur noch ein schwaches Echo ihrer einstigen Größe darstellen und in der etwa die Andorianer als eine Art marodierende Bande umherziehen. Das Raumschiff Discovery fungiert in dieser Zeit als ein Hoffnungsträger. Einen ersten Blick gewährt der Trailer auf Neuzugang David Ajala (Supergirl). Er wird den (allem Anschein nach aus der Zukunft stammenden) Charakter Cleveland »Book« Booker spielen, der es mit Vorschriften nicht allzu genau nimmt und eventuell Burnhams neuer Flirtpartner werden könnte. Ferner sieht man einen asiatischen Mann, der ein Admiral oder ein anderer Würdenträger der Überreste von Starfleet und der Föderation sein könnte, über dessen Rolle jedoch noch nichts bekannt ist.

Neuer Showrunner bei Star Trek: Discovery Nach dem Weggang der bisherigen Showrunner Aaron Harberts (Reign) und Gretchen J. Berg (Roswell) nach der zweiten Staffel von Discovery wurde zwischenzeitlich die Autorin Michelle Paradise als Nachfolgerin bekannt gegeben. Bisher war diese u. a. für Serien wie The Originals (2013–2018) mitverantwortlich. Im Zuge ihres Panels auf der New York Comic Con erklärte Paradise, dass sich die Handlung von Discovery nicht wieder von der 930 Jahre

48 entfernten Zukunft wegbewegen werde, sondern dass Schiff und Crew künftig dort ihre Abenteuer erleben würden.

Start von Staffel 3 von Star Trek: Discovery erst 2020 Fans von Discovery müssen sich noch ein wenig gedulden, ehe sie in den Genuss der dritten Staffel kommen können: Diese wird erst nach dem Ende der ersten Staffel von Picard veröffentlicht werden, frühestens im Sommer, wahrscheinlich aber erst im Herbst nächsten Jahres.

Weitere neue Short Treks New York Comic Con die Dritte: Am 05.10.2019 wurde der erste neue Kurzfilm aus der Short Treks-Reihe veröffentlicht. Dieser erzählte diesmal keine Zusatzgeschichte zu Discovery, sondern eine, die an Bord der neuen/alten klassischen Enterprise spielt, die in der zweiten Discovery-Staffel bekanntlich eine große Rolle spielte. In Q&A gibt Mark Pellington (The Man from Earth) als Regisseur seinen Einstand im Star Trek-Universum. Inhalt: Der junge Fähnrich Spock (Ethan Peck) bleibt an seinem ersten Tag an Bord der Enterprise zusammen mit dem Ersten Offizier Lt. Cmdr. Una (Rebecca Romijn), die es jedoch bevorzugt, mit »Number One« angesprochen zu werden, im Turbolift des Schiffs stecken und erfährt so mehr über seine neue zweite Vorgesetzte, als ihm eigentlich lieb ist. Am Ende der Folge kommt es dann auch zur ersten Begegnung mit Captain Christopher Pike (Anson Mount). In einem weiteren Short Trek namens The Trouble with Edward, der Ende Oktober veröffentlicht wurde, geht es um 49 die frischgebackene Kommandantin des Sternenflottenraumschiffes USS Cabot, Captain Lynne Lucero, gespielt von Rosa Salazar (Bird Box – Schließe deine Augen), die zuvor Dienst an Bord der Enterprise getan hat. Und um deren Crewman Edward Larkin, gespielt von H. Jon Benjamin (People of Earth). Aufgrund von unglücklichen Umständen kommt es zur ersten Begegnung mit den in der deutschen Fassung einst als »Wollmöpse« bezeichneten Tribbles, die bekanntermaßen schon Kriegslieder der Klingonen inspiriert haben … Die beiden ersten neuen Short Treks sind in den USA wie gehabt beim Streaming-Dienst CBS zu sehen. Ab kommendem Januar soll es mit – diesmal animierten – Short Treks rund um das Raumschiff Discovery weitergehen. Wann die neuen Kurzfilmchen hierzulande bei Netflix veröffentlich werden, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

William Shatner und Jeri Ryan rächen sich am Teufel Devil's Revenge ist der Titel eines neuen Low-Budget-Horrorstreifens, der am 01.10.2019 in den USA für die Heimkino-Systeme veröffentlicht wurde. Der mittlerweile 89-jährige Ex-»Captain Kirk« William Shatner und seine aus der Serie Star Trek: Raumschiff Voyager (1995–2001) bekannte Kollegin Jeri Ryan unterstützen darin einen Archäologen (Jason Brooks), der in einer Höhle das Tor zur Hölle entdeckt und leider einen gefährlichen Dämon dabei entfesselt hat. Das zumindest im Trailer überaus vergnüglich aussehende B-Picture (unter anderem hantiert 50 Altstar Shatner in ausgesprochener Rambo-Manier mit einem riesigen Schießprügel) soll demnächst auch hierzulande auf Scheibe sowie über Video-on-Demand veröffentlicht werden.

51 Special: Stars in anderen Rollen – Teil 44: Die Bad Guys – Teil 2

Nachdem der erste Teil dieser Kolumne mit der Vorstellung der Bösewichte aus Star Trek: Deep Space Nine (1993–1999) endete, stellt der Autor nachfolgend weitere Fieslinge aus drei Star Trek-Serien und aus den Kinofilmen vor.

Star Trek: Raumschiff Voyager Im Gegensatz zu den wiederkehrenden Antagonisten-Gestalten aus den vorherigen Serien stellte Star Trek: Raumschiff Voyager (1995–2001) schon aufgrund der in der Serie ständig wechselnden Schauplätze laufend unterschiedliche Bösewichte vor. Über zehn Episoden der ersten drei Staffeln der Serie hinweg jedoch zählte Seska (Martha Hackett), die sich erst später als weiblicher »Bad Guy« outete, zu den einprägsamsten Bösewichten. In der abschließenden siebten Staffel hatte sie noch einmal einen Gastauftritt. Seska, eine dank chirurgischer Mittel bajoranisch aussehende, cardassianische Spionin, hatte einst die Maquis unter dem Kommando von Chakotay (Robert Beltran) unterwandern sollen und war nach der Vernichtung von deren Schiffen und dem Sprung in den Delta-Quadranten an Bord der Voyager gelangt. Nach ihrer Entlarvung verbündete sie sich mit den im Delta-Quadranten beheimateten kriegerischen Kazon.

52 Hackett (* 1961) spielte vor ihrem Auftritt in Voyager bereits in jeweils einer Episode von Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (ausgestrahlt im Jahr 1987) und in einer von Deep Space Nine (ausgestrahlt 1994) mit, jedoch beide Male in anderen Rollen. Abgesehen von ihrem Wirken in Star Trek sah man sie in Serien wie Polizeirevier Hill Street (1986) oder (2007) sowie in Kinofilmen wie Ungeküsst (1999) oder zuletzt in der Disney-Komödie Die Coopers – Schlimmer geht immer (2014). Lediglich zwei Episoden lang war Captain Rudy Ransom (John Savage) in Voyager zu sehen, der im Staffelfinale der fünften bzw. der Auftaktepisode der sechsten Staffel das titelgebende Raumschiff USS Equinox befehligte, das es ebenfalls in den Delta-Quadranten verschlagen hatte. Ransom provozierte einen schwerwiegenden Konflikt mit einer unbekannten Alien-Rasse, in den auch die Voyager mit hineingezogen und dabei um ein Haar zerstört wurde. Darsteller Savage (* 1949) war seit den 1970er-Jahren in einer Vielzahl bekannter Kinofilme zu sehen gewesen, darunter Die durch die Hölle gehen (1978) und Hair (1979). Später verlegte er sich auf Gastauftritte in TV-Serien wie Geschichten aus der Gruft (1994), Everwood (2002 und 2005) sowie The District – Einsatz in Washington (2003). Lon Suder (Brad Dourif) hingegen ist in den Episoden Gewalt, Der Kampf ums Dasein – Teil 1 und Teil 2 in der zweiten und dritten Staffel von Voyager zu sehen. Bei ihm handelt es sich um einen ehemaligen Maquis vom Volk der Betazoiden. Im Gegensatz zu den meisten seiner Artgenossen hat er jedoch seine starken Emotionen nicht 53 unter Kontrolle, was wahrhaft mörderische Auswirkungen hat, und überträgt seine fatalen Triebe überdies auf Tuvok (Tim Russ), der aus Ermittlungsgründen eine Gedankenverschmelzung mit ihm durchführt. Dargestellt wird Suder von dem vorwiegend aus Horrorfilmen und anderen »unheimlichen« Rollen bekannten Dourif (* 1950). Der startete seine Filmkarriere 1975 in Einer flog über das Kuckucksnest und war danach u. a. in David Lynchs Science-Fiction-Klassiker Dune – Der Wüstenplanet (1984) zu sehen, ehe er 1988 das menschliche Vorbild für Chucky – Die Mörderpuppe spielte. In den Fortsetzungen lieh er dem Unhold seine Stimme und war seitdem immer wieder in Film und Fernsehen präsent. Zuletzt war Dourif 2018 als »Daddy« in dem märchenhaften Mystery-Streifen Wildling des deutschen Regisseurs Fritz Böhm zu sehen. Last but not least sei als Gegenspielerin natürlich die Borg-Königin genannt, die in der Doppelfolge Das ungewisse Dunkel in der fünften Episodenstaffel, in dem Übergangs-Zweiteiler von Staffel 6 zu Staffel 7, Unimatrix Zero – Teil 1 und Teil 2 sowie in der Abschluss-Doppelfolge Endspiel – Teil 1 und Teil 2 in Erscheinung tritt. Die Borg-Königin ist die unheimliche Anführerin des Borg-Kollektivs, die im Gegensatz zu den nicht mit einer eigenen Persönlichkeit ausgestatteten Drohnen einen überaus willensstarken und manipulativen Charakter besitzt und nicht weniger als die Auslöschung allen individuellen Lebens erreichen will.

54 Bei ihrem ersten Auftritt im achten Kinofilm Star Trek: Der erste Kontakt (1996) sowie bei ihrem bisher letzten in der Voyager-Episode Endspiel – Teil 2 wird die Borg-Königin von der in Südafrika geborenen Schauspielerin Alice Krige (* 1954) dargestellt. Diese war zu ihrer Anfangszeit in Filmen wie Die Stunde des Siegers (1981) und in TV-Serien wie Die Profis (1982) zu sehen, ehe sie in den 1980er-Jahren unter anderem in König David (1985) und in Szenen eines wüsten Lebens (1987) mitspielte. Zuletzt sah man sie in neun Folgen der Mystery-Serie The OA (2016-2019) sowie ebenfalls in sechs Episoden der Fantasy-Serie Carnival Row (2019). In den Zweiteilern Das ungewisse Dunkel sowie in Unimatrix Zero wurde die Borg-Königin hingegen von Susanna Thompson (* 1958) dargestellt. Nach deren schauspielerischen Anfängen in zwei Episoden von Das nächste Jahrhundert 1992 und 1993 (allerdings nicht als Borg-Königin) und in Akte X: Die unheimlichen Fälle des FBI (1993) wirkte sie 1995 in der Krimiserie New York Cops – NYPD Blue mit, ehe sie im gleichen Jahr in einer kontroversen Episode von Deep Space Nine mit dem Titel Wiedervereinigt Jadzia Dax‘ (Terry Farrell) weibliche Partnerin Dr. Lenara Kahn darstellte. In jüngerer Vergangenheit war Thompson in 47 Episoden der DC-Verfilmung Arrow als verschlagene Mutter des Protagonisten sowie in der Zeitreise-Serie Timeless zu sehen.

Star Trek: Enterprise

55 Einer der einprägsamsten Dauer-Bösewichte im allerersten Star Trek-Prequel Star Trek: Enterprise (2001–2005) ist zweifellos der Andorianer Shran (Jeffrey Combs), der in elf Episoden der vier Staffeln zu sehen ist. Trotz seiner anfänglich bestehenden Feindschaft zur Sternenflotte und zur Crew der allerersten Enterprise folgt Shran einem gewissen Ehrenkodex, der trotz anders gelagerter Prioritäten an den von den Klingonen erinnert. Gespielt wird Shran von Combs (* 1954), der zuvor gleich zwei wiederkehrende Gastparts als Vorta Weyoun sowie als Ferengi Brunt in Deep Space Nine innegehabt hatte. Außer für Star Trek ist Combs auch seit den 1980er-Jahren vorwiegend als Darsteller in Filmen aus dem Horror-Genre bekannt. Seine Vita umfasst unter anderem Der Re-Animator (1985), From Beyond – Aliens des Grauens (1986) sowie jüngst etwa Die Kunstschule des Grauens (2015), außerdem Serien wie Criminal Minds (2014) und Gotham (2015). John Frederick Paxton (Peter Weller) aus der Doppelfolge Dämonen und Terra Prime ist der Leiter der extremistischen xenophoben Organisation Terra Prime, der mit der Zerstörung des Hauptquartiers der Sternenflotte droht, falls nicht alle Außerirdischen den Planeten Erde verlassen. Weller (* 1947) ist Science-Fiction-Fans durch gleich zwei Paraderollen in Werken aus den 1980er-Jahren ein Begriff. In Buckaroo Banzai – Die 8. Dimension (1984) war er als hochbegabtes Multi-Talent zu sehen, in RoboCop (1987) und RoboCop 2 (1990) spielte er den unglücklichen, zum Cyborg gewordenen Polizisten Murphy. Nach etlichen diversen Film- 56 und TV-Serien-Auftritten kehrte er 2013 in der Rolle des Admiral Alexander Marcus in das Star Trek-Universum zurück, und zwar im zweiten der von Fans gern als »New Trek« bezeichneten Filme, Star Trek Into Darkness. Dr. Arik Soong (Brent Spiner) wiederum ist ein Vorfahre des Kybernetikers Dr. Noonien Soong (ebenfalls gespielt von Spiner), seines Zeichens Erfinder und »Vater« des Androiden Data (Spiners Paraderolle). Arik Soong hat genetisch veränderte Embryonen aus der Zeit der Eugenischen Kriege gestohlen und will eine Kleinarmee von übernatürlich starken Super-Soldaten daraus kreieren, um sich eine Machtposition zu verschaffen. Dies kann schließlich von Captain Jonathan Archer (Scott Bakula) und seiner Crew im Serien-Dreiteiler Borderland, Cold Station 12 und Die Augments verhindert werden. Spiner (* 1949) muss man nicht groß vorstellen. Abgesehen von diversen kleineren Rollen in Hollywood-Streifen kennt man ihn natürlich aus Das nächste Jahrhundert und aus den vier auf der Serie basierenden Kinofilmen. In der kommenden neuen Serie Star Trek: Picard (2020) wird Spiner zudem bekanntlich Gastauftritte in noch unbekanntem Umfang haben.

Star Trek: Discovery In der (bis zum offiziellen Start von Picard) neuesten Star Trek-Serie sind die Rollen nicht in allen Fällen so klar verteilt wie bei den vorherigen Serien. Einer der Bösewichte der ersten Staffel etwa war bekanntlich der Klingone Kol, dargestellt von Kenneth Mitchell (* 1974). Die Hälfte der 57 ersten Episodenstaffel lang machte er Captain Gabriel Lorca (Jason Isaacs) und seiner Mannschaft das Leben schwer, ehe er im Zuge eines furiosen Showdowns getötet wurde. Sein in der zweiten Staffel auftauchender Vater Kol-sha wird ebenfalls von Mitchell verkörpert. Mitchell ist aus der hierzulande so gut wie unbekannten, aber nichtsdestotrotz ungemein kultigen Science-Fiction-Serie Odyssey 5 (2002) bekannt und war danach in Serien wie Jericho – Der Anschlag (2006-2008) und Hawaii Five-0 (2010) zu sehen. Im Kino konnte man ihn 2019 in der Comicverfilmung Captain Marvel bewundern. Bekanntermaßen entwickelt sich Lorca zum Ende der ersten Staffel hin selbst zum Bösewicht, als sich herausstellt, dass dieser aus dem Spiegeluniversum stammt. Isaacs (* 1963), bekannt geworden durch seine Rolle als Lucius Malfoy in fünf Filmen der Harry Potter-Reihe (2002-2011) und u. a. zu sehen in der TV-Serie The OA (2016-2019), wurde bereits in einer Einzelausgabe dieser Kolumne vorgestellt. Ähnlich verhält es sich mit dem Spiegeluniversum-Selbst der energischen, aber auf der richtigen Seite stehenden Kommandantin Captain Philippa Georgiou (Michelle Yeoh), der Imperatorin gleichen Namens. Während sie am Ende der ersten Staffel durchaus als weiblicher Bösewicht auftritt, wandelt sich das Bild zu Beginn der zweiten, aber eine positive Figur wird deswegen noch lange nicht aus der eiskalten Mörderin. Die in Malaysia geborene Yeoh (* 1962), ihres Zeichens einer der größten weiblichen Action-Stars und im Bond-Film 58 James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie (1997) gar das damalige Bond-Girl, ist aktuell in der auf dem berühmten Wham!-Song basierenden Weihnachtskomödie Last Christmas zu sehen. Der Albino-Klingone Voq (Shazad Latif), der im Laufe der ersten Staffel in den menschlichen Sternenflottenoffizier Ash Tyler umgewandelt wird, ist ein weiteres Beispiel für die alles andere als klar definierten Bösewicht-Rollen bei Star Trek: Discovery. Latif (* 1988), vor seiner Star Trek-Rolle bekannt aus den Serien Spooks – Im Visier des MI5 (2009-2011) und Penny Dreadful (2016) verkörpert beide Rollen. L’Rell (Mary Chieffo), die neue Kanzlerin des klingonischen Hohen Rates, kann nur bedingt als weiblicher »Bad Guy« bezeichnet werden, da ihre Absichten gegen Ende der ersten Staffel durchaus löblicher Natur waren. Chieffo (* 1992) ist abgesehen von ihren Auftritten in hierzulande nicht gezeigten Filmen wie Natural Disasters (2008) oder Herpes Boy (2009) vorwiegend durch ihre Darstellung der L’Rell bekannt.

Die Kinofilme Ganz ohne einen humanoiden Bösewicht kommt ungewöhnlicherweise Star Trek: Der Film (1979) aus. Zwar gibt es zu Beginn den namenlosen Kommandanten des klingonischen Kreuzers IKS Amar (gespielt von Mark Lenard, der mehrfach Spocks Vater Sarek darstellte), doch agiert dieser nicht feindselig Starfleet gegenüber. Auch der aus der (fiktiven) Voyager VI-Sonde hervorgegangene, seinen 59 Schöpfer suchende V’ger ist trotz seiner eher unbeabsichtigten Bedrohlichkeit kein Bösewicht. Ganz anders verhält es sich naturgemäß bei dem bereits aus einer Episode von Raumschiff Enterprise (1966–1969) namens Der schlafende Tiger bekannten Khan Noonien Singh (Ricardo Montalbán) in Star Trek II: Der Zorn des Khan (1982). Bei beiden Auftritten spielte diesen der aus Mexiko stammende Montalbán (1920-2009), der bereits im ersten Teil dieser Kolumne sowie in einem eigenen Artikel ausführlich vorgestellt wurde. Commander Kruge (Christopher Lloyd) heißt wiederum der klingonische Kommandant, der gegen Captain Kirk (William Shatner) in Star Trek III: Auf der Suche nach Mr. Spock (1984) um das mächtige Genesis-Projektil kämpft. Darsteller Lloyd (* 1938) begann seine Karriere 1975 so wie sein bereits erwähnter Kollege Dourif in Einer flog über das Kuckucksnest und war seitdem in einer Vielzahl von Filmen zu sehen. Ein Jahr nach Star Trek III übernahm er die Rolle des Dr. Emmet »Doc« Brown in dem von Steven Spielberg produzierten Zeitreise-Streifen Zurück in die Zukunft, die er auch in den beiden Fortsetzungen von 1989 und 1990 spielte. So wie der erste Streifen der Reihe kommt auch Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart (1987) ohne humanoide Antagonisten-Figur aus. Star Trek V: Am Rande des Universums (1989) hingegen präsentiert den bis zu diesem Zeitpunkt niemals erwähnten älteren Bruder von Spock (Leonard Nimoy), Sybok (gespielt 60 von Laurence Luckinbill), der nach einem mystischen Ort namens Sha-Ka-Ree sucht, wozu ihm jedes Mittel recht ist. Gespielt wird Sybok von Luckinbill (* 1934), der zuvor in Serien wie Columbo (1978), Mord ist ihr Hobby (zwischen 1985 und 1994) sowie Hotel (1987) zu sehen gewesen war. In Star Trek VI: Das unentdeckte Land (1991) gibt es erneut einen klingonischen Bösewicht. General Chang (Christopher Plummer) ist ein überzeugter Militarist, der einen dauerhaften Frieden mit der Föderation für verfrüht hält und sich aus diesem Grund gar mit Gleichgesinnten aus deren Reihen verbündet. Plummer (* 1929) startete seine Filmkarriere 1964 mit dem Monumentalfilm Der Untergang des römischen Reiches und ist trotz eines hohen Alters von demnächst 91 Lebensjahren nach wie vor als Schauspieler aktiv. Nach Auftritten in vielen Hollywood-Klassikern war er zuletzt 2019 in der fünfteiligen Mini-Serie Departure zu sehen. Star Trek: Treffen der Generationen (1994) präsentiert den fehlgeleiteten Dr. Tolian Soran (Malcolm McDowell), der unbedingt in den sagenumwobenen »Nexus« zurückkehren will und bereit ist, dafür einen ganzen bevölkerten Planeten zu opfern. Der Brite McDowell (* 1943) hatte in Stanley Kubricks Uhrwerk Orange (1971) sowie als unmenschlicher römischer Kaiser in Caligula (1979) seine bekanntesten Rollen. Zuletzt sah man ihn 2018 im Vampirfilm Corbin Nash. Die bereits erwähnte Borg-Königin wurde in Der erste Kontakt in das Star Trek-Universum eingeführt. 61 Den Bösewicht in Star Trek: Der Aufstand (1998) stellt Ahdar Ru’afo (F. Murray Abraham) dar, der sich von der kosmischen Strahlung des Briar Patch ewige Jugend erhofft. Ihn spielt der »Oscar«-gekrönte Abraham (* 1939), der die höchste filmische Auszeichnung 1985 für seine Darstellung von Mozarts Gegner Antonio Salieri in Amadeus erhielt. Ein Jahr danach spielte er als Bernardo Gui eine weitere bekannte Rolle in der Literaturverfilmung Der Name der Rose. Shinzon (Tom Hardy) aus Star Trek: Nemesis (2002) ist ein insgeheim von den Romulanern geschaffener jüngerer Klon von Captain Jean-Luc Picard (Sir Patrick Stewart), der sich mit List und Tücke zum neuen Prätor des Romulanischen Reichs aufschwingt und dem Imperium durch sein Wirken um ein Haar den Untergang bringt. Hardy (* 1977), heute einer der größten Filmstars überhaupt, bekannt aus Filmen wie Mad Max: Fury Road (2015), Dunkirk (2017) oder der Marvel-Verfilmung Venom (2018), stand bei den Dreharbeiten zu Nemesis noch am Beginn seiner Karriere. In jüngerer Vergangenheit war er auch in den Serien Peaky Blinders – Gangs of Birmingham (2014-2019) und Taboo (seit 2017) zu sehen. Auch Nero (Eric Bana) aus dem Star Trek-Reboot von 2009 ist Romulaner. Nachdem sein Heimatplanet durch eine kosmische Katastrophe vernichtet wurde, versucht er, dies durch die Änderung der Vergangenheit ungeschehen zu machen, wodurch eine alternative Zeitlinie – die sogenannte Kelvin-Zeitlinie – entsteht. Bana (* 1968) war 2003 unter der Regie von Ang Lee (Life 62 of Pi: Schiffbruch mit Tiger) als der erste Leinwand-Hulk in der gleichnamigen Marvel-Verfilmung zu sehen gewesen. Zuletzt sah man ihn 2017 in King Arthur: Legend Of The Sword. Der Charakter des Singh ist ja bereits aus seinem Auftritt in der Originalserie sowie aus dem legendären zweiten Kinofilm bekannt. Ein drittes Mal trat er auf allerdings stark abgewandelte Weise im zweiten Star Trek-Reboot Into Darkness in Erscheinung. Gespielt wird er dort von Benedict Cumberbatch (* 1976), zwischen 2010 und 2017 Hauptdarsteller in der Conan-Doyle-Neuverfilmung Sherlock und abgesehen von etlichen anderen Engagements auch der Darsteller des Dr. Stephen Strange in bisher vier Filmen des Marvel Cinematic Universe (zwischen 2016 und 2019). Trotz der Beliebtheit des Darstellers geriet Cumberbatchs Darstellung von Singh in das Schussfeuer allgemeiner Kritik. Das gestaltwandelnde Alien Krall (Idris Elba) aus dem bislang letzten Star Trek-Kinofilm Star Trek Beyond (2016) ist ganz und gar nicht das, wofür man es auf den ersten Blick hält, doch leider überlebt es die Vereitelung seiner eigenen finsteren Pläne nach seiner Läuterung nicht. Elba (* 1972) wurde durch die britische Krimi-Serie Luther (seit 2010) zum Star und war seitdem in Produktionen wie den verschiedenen Teilen der Thor-Reihe aus dem MCU (2011-2017), Prometheus – Dunkle Zeichen (2012) oder der Stephen-King-Verfilmung Der Dunkle Turm (2017) zu sehen. Es bleibt abzuwarten, auf welche Bösewichte man in Picard und in der dritten Staffel von Discovery treffen wird. 63 Auch auf diese darf man sicherlich wieder sehr gespannt sein.

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67 Special: Lieblingsfolgen – Teil 2

In loser Folge werden die Trekkies aus der Corona Magazine-Redaktion in dieser Rubrik von ihren Lieblingsepisoden aus allen Star Trek-Serien berichten.

Heute an der Reihe: Star-Trek-Ressortleiter Thorsten Walch (Autor von Es lebe Star Wars – Die Erfolgsgeschichte aus einer weit, weit entfernten Galaxie). Er nimmt sich Griff in die Geschichte aus Raumschiff Enterprise (1966–1969) vor.

The City on the Edge of Forever (Griff in die Geschichte) aus Star Trek

Worum geht es? Die Enterprise befindet sich im Orbit um einen Planeten, von dem ein geheimnisvolles Phänomen namens Zeitverschiebungswellen ausgeht. Als eine dieser Wellen starke Erschütterungen auf dem Schiff verursacht, wird Steuermann Hikaru Sulu (George Takei) schwer verletzt, woraufhin Bordarzt Leonard McCoy (DeForest Kelley) ihn mit einer minimalen Dosis des hochgefährlichen Herzmedikaments Cordrazin behandelt. Sulu erholt sich rasch, bei einer neuerlichen Erschütterung injiziert sich McCoy jedoch versehentlich selbst das komplette restliche Cordrazin aus dem Hypospray und läuft, der Raserei

68 verfallen, zum Transporterraum. Dort schlägt er den Transporteroffizier nieder und beamt hinunter auf den Planeten. Captain Kirk (William Shatner), Spock (Leonard Nimoy)und Uhura (Nichelle Nichols) folgen dem Arzt. Sie finden eine Äonen alte Ruinenstadt vor, in der sich der sogenannte »Hüter der Ewigkeit« (auch oft als »Wächter der Ewigkeit« bezeichnet) befindet, ein lebendes Portal, das Reisen durch alle Epochen der Zeit ermöglicht und das die Zeitverschiebungswellen versehentlich verursacht hat. Als der Wächter gerade Kirk und seinen Begleitern seine Funktionsweise erklärt und ihnen zu diesem Zweck die Vergangenheit der Erde präsentiert, springt McCoy hinter einem Felsen hervor und verschwindet durch den Wächter in die 1930er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Auswirkungen sind fatal: Der Wächter eröffnet den anderen, dass McCoy den Ablauf der Zeit massiv verändert hat, weswegen das ihnen bekannte 23. Jahrhundert samt der Enterprise nicht mehr existiert. Kirk und Spock reisen daraufhin an einen Zeitpunkt eine Woche vor der Ankunft McCoys in eine namenlose amerikanische Großstadt zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, um Veränderungen an der Zeitlinie zu verhindern. Dort machen sie die Bekanntschaft der pazifistischen Sozialarbeiterin Edith Keeler (Joan Collins), in deren Obdachlosenasyl sie Unterkunft finden. Mittels eines primitiven, eilig hergestellten Geräts findet Spock heraus, dass McCoy den kurz bevorstehenden Tod der jungen Frau

69 verhindern wird, was besagte Auswirkungen auf die Zukunft hat. Kirk, der prompt eine zarte Romanze mit Keeler erlebt, und Spock suchen fieberhaft nach ihrem Freund, um seinen Eingriff in die Geschichte zu verhindern …

Kleiner Eingriff, große Wirkung Um den angeschlagenen Sulu wieder auf die Beine zu bekommen, verwendet McCoy wie erwähnt ein Herzmedikament, das gleichzeitig Schockzustände aufheben und Bewusstlose oder Betäubte aufwecken kann – und das bei Überdosierung zu einer Paranoia führt, die Betroffene in tobende Wahnsinnige verwandelt. Was es mit diesem Teufelszeug im Detail auf sich hat, hat der Zuschauer bis heute nicht wirklich erfahren. Zwar ist immer wieder einmal die Rede davon, es handle sich um ein klingonisches Medikament, doch kommt Cordrazin (die ersten drei Buchstaben entstammen übrigens der lateinischen Bezeichnung für das Herz, »Cor Meum«) im Star Trek-Universum nur überaus selten vor, angesichts seiner Gefährlichkeit sicherlich zurecht. Und eigentlich geht es in der vorliegenden Episode auch nicht um ein möglicherweise aus feindlichen Beständen stammendes Medikament, sondern um die Auswirkungen von McCoys in der deutschen Fassung titelgebenden Griffs in die Geschichte. Die wörtliche Übersetzung des Episodentitels, »Die Stadt am Rand der Ewigkeit« bezieht sich übrigens auf zweierlei: zum einen auf die verlassene urzeitliche Ruinenstadt, in der der Wächter der Ewigkeit als 70 eine Art letzter Überlebender residiert, sowie auf jene in der Folge nicht näher bezeichnete Großstadt, in der sich (mehr oder weniger) das Schicksal des gesamten Universums entscheidet, nachdem dort der Schmetterlings-Effekt eingetreten ist.

Traurige Geschichte Die Folge, so erklärte bereits in den 1980er-Jahren der unvergessene Nimoy in der TV-Dokumentation Star Trek – Wie alles begann, ist »wie eine klassische griechische Tragödie« aufgebaut. Die meisten Episoden von Raumschiff Enterprise generieren zwar allerlei immense Bedrohungen für die Crew, sei es durch Klingonen, Romulaner oder auch gigantische Amöben, doch kommt es zum guten Schluss fast immer zum Happy End oder zumindest zu einer Einigung, mit der die Beteiligten zumindest einigermaßen leben können. Schließlich spielt die Serie ja in einer goldenen Zukunft. Bei Griff in die Geschichte ist ein vollumfängliches gutes Ende spätestens zu dem Zeitpunkt auszuschließen, an dem klar wird, dass nur der Tod Keelers jene Zukunft wiederherstellen kann, die sich Fans Woche für Woche aufs Neue auch im realen Leben ersehnen. Was somit ein Paradox in sich darstellt, stellt doch die Wiederherstellung ebenjener Zeitlinie genau das grundsätzlich ersehnenswerte Happy End dar. Aber eines mit ungeheuren Abstrichen eben – eine ganz gewaltige Zwickmühle.

71 So geraten die Helden in ein Dilemma der besonderen Art, das selbst dem ansonsten so kühlen Mr. Spock einen seiner wenigen emotional angehauchten Momente ohne Einfluss fremder Mächte beschert. Als McCoy Kirk fragt, ob er wisse, was er da gerade getan hat (nachdem dieser McCoy davon abgehalten hat, den tödlichen Autounfall Keelers zu verhindern), kommentiert Spock mit bitterer Stimme: »Er weiß es, Doktor. Er weiß es sehr gut!« So ernst kam die klassische Originalserie nur selten daher, selbst in der häufig eher Klamauk-artig gestalteten deutschen Fassung, in der sich Spock-Stammsprecher Herbert Weicker (Die Schlangengrube und das Pendel) an besagter Stelle fast schon selbst übertrifft.

Zeitreise-Schwierigkeiten Zeitreisegeschichten und deren Probleme, sprich Paradoxa, waren von Beginn der klassischen Originalserie an Tradition. Bereits die sechste produzierte Folge Implosion in der Spirale machte eine Zeitreise am Ende der dramatischen Geschehnisse quasi zur Lösung für die sich auftuenden Probleme. Morgen ist gestern, produziert nur 15 Episoden später, präsentierte erstmals die »Slingshot«-Methode der Zeitreise im Roddenberry’schen Universum, mittels der Kirk und seine Frauen und Männer auch 1986 in Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart die im Titel genannte Reise antraten. Besagte Paradoxa hatten bei den beiden vorherigen Episoden jedoch keine Rolle gespielt. Dies geschah erst bei 72 Griff in die Geschichte: Ein Akt der Menschlich- und der Dankbarkeit hätte fast dafür gesorgt, dass es niemals eine Zukunft gegeben hätte, in der Raumschiffe mit dem Namen Enterprise fliegen werden, und nur eine vermeintlich grausame Tat kann die Dinge wieder ins richtige Licht rücken. Im Grunde genommen war das ziemlich starker Tobak für eine Unterhaltungsserie, die auch in den USA von nicht wenigen Zuschauern als eine Art fortgeschrittenes Kinderprogramm wahrgenommen wurde. In den 30 Episoden der von 1966 bis 1967 ausgestrahlten Irwin-Allen-Serie Time Tunnel wanderten hingegen die beiden Hauptfiguren (den Darsteller von einem der beiden, James Darren, sahen Trekkies als singendes Hologramm Vic Fontaine in Star Trek: Deep Space Nine [1993–1999] wieder) unbekümmert durch die verschiedensten zeitlichen Epochen und brauchten dabei zumindest vordergründig auf keinerlei mögliche Konsequenzen ihres oftmals recht naiven Vorgehens zu achten. De facto war es die Star Trek-Episode Griff in die Geschichte, die erstmals den nötigen Ernst in die damals immer beliebter werdende Zeitreise-Thematik hineinbrachte. Man braucht sich nur den Autor näher anzuschauen, der die Episode zumindest in ihren ursprünglichen Grundzügen erdachte, um darüber nicht verwundert zu sein.

Star Trek goes The Outer Limits Der Phantastik-Schriftsteller und Drehbuchautor Harlan Ellison verstarb vor knapp anderthalb Jahren im Alter von 84 73 Jahren. Die Bezeichnung »Science-Fiction-Autor« empfand er stets als eine Kränkung, da er in seinen Kurzgeschichten und Novellen mindestens ebenso oft auch die Bereiche Horror und Fantasy bediente. Unter anderem stammen von Ellison die Vorlagen für den dystopischen Science-Fiction-Streifen Ein Junge und sein Hund sowie zwei Folgen der Serie The Outer Limits, die als schärfste Konkurrenz der damals populären Serie Unglaubliche Geschichten galt. Ellison zog übrigens einst mit James Cameron, dem Autor und Regisseur des Terminator-Franchise (1984-2019), vor Gericht, weil er in besagten Filmen deutliche Ähnlichkeiten zu seinen The Outer Limits-Drehbüchern Soldier und Demon With A Glass Hand entdeckt hatte. Fortan wurde der streitbare Autor in den Abspännen der Filme genannt. Ähnlich schlecht blieb Ellison Zeit seines Lebens auf die Produzenten von Star Trek zu sprechen. Obwohl Griff in die Geschichte bis heute als eine der besten Episoden der klassischen Originalserie gilt, verzieh Ellison Serienschöpfer Gene Roddenberry niemals die Änderungen, die dieser an seinem ursprünglichen Drehbuch vornehmen ließ. Bei Ellison war die Figur Keelers nämlich eigentlich weit zwiespältiger gestaltet gewesen als in der fertigen Folge. Er beschrieb sie als eine Art weiblichen Mephistopheles, die Gutes will, doch Böses schafft. Einfach gestrickt waren Ellisons Geschichten fürwahr nie, was sie jedoch in keiner Weise weniger faszinierend macht. Und vermutlich ist der exzentrische Genius des Autors letztlich der Grund dafür, warum die Folge heute, 74 Änderungen hin oder her, als einer der absoluten Klassiker der Raumschiff Enterprise-Serie gilt.

Ein braves Biest Gelegentlich ist von einem »Karriere-Sprungbrett« zu hören, das Star Trek für die damals angeblich noch fast völlig unbekannte Jungschauspielerin Collins dargestellt hätte. Diese erlangte zugegebenermaßen erst in den 1980er-Jahren im Alter von über 50 Jahren den ganz großen Ruhm durch die Seifenoper Der Denver-Clan, nämlich als die biestige Alexis Carrington Colby. Aber Collins, eine gebürtige Britin, hatte in Wahrheit bereits eine bemerkenswerte Leinwandkarriere hinter sich, als sie bei Star Trek mitwirkte, wenngleich ihr der ganz große Starruhm steht verwehrt gewesen war und sie eher als eine Art B-Promi galt. 1955 hatte sie in Howard Hawks‘ Monumentalfilm Land der Pharaonen die schöne ägyptische Prinzessin Nellifer gespielt, 1958 die weibliche Hauptrolle im Western Bravados. Erst Ende der 1960er-Jahre sah sich Collins dazu genötigt, Rollen im Fernsehen anzunehmen. Vor Star Trek waren dies im gleichen Jahr zwei Episoden der Serie Batman mit Adam West gewesen, in denen sie die Schurkin The Siren gespielt hatte. Ihre große Erfahrung kam Collins auch bei ihrer ikonischen Star Trek-Rolle zugute. Ihre Darstellung der cleveren aber auch naiven Weltenretterin in spe blieb dem Publikum nachhaltig im Gedächtnis, sodass es gar Pläne gab, Keeler in einer Fortsetzungsfolge von Griff in die Geschichte in der leider niemals realisierten Serie Star Trek: Phase Two 75 ein weiteres Mal auftauchen zu lassen.

Eine Folge für die Insel Immer wieder taucht ja bekanntlich bei diversen Persönlichkeitstests die Fragen nach jenen zehn Filmen und Serienepisoden auf, die man mit auf eine einsame Insel nehmen würde. Griff in die Geschichte wäre sicherlich bei vielen Befragten mit dabei, nicht nur beim Verfasser dieses Artikels. Unter der Regie des erfahrenen Joseph Pevney, der neben mehreren Star Trek- und unzähligen anderen Episoden verschiedener TV-Serien auch Kinofilme wie Sein großer Kampf (1952) oder Torpedo los! (1958) inszeniert hatte, werden abgesehen von der herausragenden und hintergründigen Geschichte, die den Zuschauer nachdenklich zurücklässt, auch einige der besten schauspielerischen Leistungen der Seriendarsteller jemals herausgekitzelt. Shatner und Nimoy bringen ungewohnte Ernsthaftigkeit und Tiefe in ihr Spiel ein, und insbesondere Kelley beweist in dieser Folge einmal mehr, dass es sich bei ihm um einen echten Hollywood-Veteranen handelte. Einzig Nichols tritt (wohl zugunsten der ebenfalls grandios-klassisch agierenden Collins) stärker in den Hintergrund, als es nötig gewesen wäre. Ansonsten hat Griff in die Geschichte wirklich alles, was Star Trek bis heute ausmacht. Die Folge wird durchweht vom Wind des Großen, Unbekannten im Kosmos (in Gestalt des Wächters), verdeutlicht das Gefühl des füreinander da Seins der Enterprise-Crew (wenn Kirk und Spock auf die Suche nach McCoy gehen), beinhaltet jede Menge 76 Melodramatik (wenn Kirk Keeler näherkommt und gleichzeitig von ihrem baldigen Tod weiß), und obendrauf gibt es in Form der Schilderung des Amerika nach der Weltwirtschaftskrise einen gehörigen Schuss Sozialkritik. So geht Star Trek!

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78 Phantastisches Sehen Filmkritik: Die Eiskönigin 2 – Vom nicht ganz endgültigen Befreiungsschlag Von Bettina Petrik

Über all der Aufregung zum neuen Streaming-Service Disney+ könnte fast in Vergessenheit geraten, dass der Maus-Riese in diesem Monat auch mit einem neuen Kinofilm an den Start geht, und zwar nicht mit irgendeinem, sondern mit der Fortsetzung zu einem seiner erfolgreichsten Streifen aller Zeiten. Könnte es, wenn man nicht bereits jetzt von der aggressiven Marketing-Maschinerie auf sämtlichen Kanälen, angefangen vom Einzelspot im Hauptabendprogramm bis hin zum Joghurt und den Kopfkissen im Lebensmittelladen, erschlagen werden würde. An dieser Stelle kann die Rezensentin im Geist bereits die entsetzten Stimmen der Eltern unter den Lesern des Corona Magazine vernehmen, die am dringendsten über diesen aktuellen Film vermutlich nur eines wissen wollen: Werden sie nun jahrelang von dem nächsten zwar unbestreitbar schönen aber nach der zweihundertsten Dauerbeschallung durch Spielzeug und Blockflöte doch sehr anstrengenden Welthit à la Let It Go/Lass jetzt los gequält werden?

79 Zumindest in dieser Hinsicht kann die Redaktion nach dem Besuch der Pressevorführung den geneigten Leser beruhigen. Die Eiskönigin 2 macht zwar vieles richtig und ist durchaus ein ordentliches Sequel – vor allem im Vergleich zu früheren oft eher desaströs vom Publikum angenommenen Fortsetzungen wie Arielle, die Meerjungfrau 2 –, aber vom Soundtrack ist nach dem Kinobesuch kaum etwas im Ohr geblieben. Dieses Weihnachten muss man also wohl doch nur weiter mit der Dauerfolter durch Wham! und Mariah Carey leben. Mag der eine oder andere davon enttäuscht sein: Es wäre einem Sechser im Lotto gleichgekommen, wenn gleich zweimal in Folge ein Franchise so einen eingängigen Superhit hervorgebracht hätte.

© Disney

Große Erwartungen – ab hier gibt es Spoiler zu lesen! Und die Hoffnung auf noch mehr Musik zum Mitträllern war bei weitem nicht die Einzige, die Fans von Die Eiskönigin – Völlig unverfroren in die Fortsetzung gesetzt haben.

80 Während das ganz junge Publikum vor allem seinen Schneemann Olaf natürlich sehr liebt, sind für Mädchen und auch viele Jungs die beiden Schwestern Anna und Elsa die typischen Disney-Heldinnen. Daneben gibt es die erwachsenen Fans, die im ersten Teil toll fanden, dass zur Abwechslung einmal zugunsten einer Familiengeschichte die obligatorische Liebesgeschichte sehr in den Hintergrund rückte. Und dass Elsas Probleme durchaus als ein Sinnbild für den Umgang mit mentalen Krankheiten stehen, wie auch die Macher schon öfter bestätigt haben. Für eine Gruppe sehr aktiver Online-Fans steht die Königin von dem im skandinavischen Norden angesiedelten Arendelle allerdings auch noch für etwas anderes. Unter dem Hashtag #GiveElsaAGirlfriend wird seit Jahren in den sozialen Medien verkündet, dass es höchste Zeit ist, eine der LGBT-Community zugehörige Disney-Heldin auf die große Leinwand zu bringen. Let It Go wird von vielen als Coming-Out-Hymne interpretiert. Bisher fehlende romantische Sehnsüchte der Figur tun ihr übriges zur ganz eigenen Deutung der Fans. Autorin und Co-Regisseurin Jennifer Lee äußerte sich zwar grundsätzlich offen aber stets bedeckt und unterm Strich nichtssagend zu dieser Bewegung; trotzdem hofften die Fans weiter, und viele scheinen, wenn man den Online-Diskussionen folgt, in Bezug auf diesen Film an gar nichts anderem als an Elsas Liebesleben interessiert zu sein. Darum beantwortet die Redaktion diese Frage an dieser Stelle ganz hilfreich schon mal mit einem gepflegten: vielleicht. Welche romantischen Neigungen die 81 Protagonistin auch immer verspüren mag, auch Die Eiskönigin 2 verrät es nicht. So viel Progressivität darf von einem Welt-Konzern wie Disney, der nun mal auch immer die konservativen Märkte im Auge hat, wohl im Jahr 2019 immer noch nicht zutrauen. Nun, wer weiß, was eine eventuelle Fortsetzung bringen mag. Noch eine Art von Vorschusslorbeeren hatte sich der Film anhand der Trailer verdient. Nach der überwältigenden CGI-Optik von Disneys letzten Werken – vor allem Vaiana ist ein Realismus-Feuerwerk, wie man es vorher nie gesehen hatte – war man natürlich auch gespannt, ob sich der Detailreichtum und die großartigen Effekte schon in den Teasern zu Die Eiskönigin 2 auch im fertigen Produkt finden würden. Auch dazu fällt das Urteil der Rezensentin ein wenig verhaltener aus. Den gleichen Eindruck wie bei dem emotionalen polynesischen Meeresabenteuer vor ein paar Jahren hatte sie bei Die Eiskönigin 2 nicht, das mag aber durchaus dem diesmal anders gestalteten Hauptelement, der völlig anderen Umgebung geschuldet sein. Negativ aufgefallen ist in der trotzdem sehr plastischen Darstellung und der lebhaften Mimik der menschlichen Figuren im Film jedenfalls nichts, er hat eben nur nicht bodenloses Staunen und überwältigte Rührung ausgelöst. Und im Grunde lässt sich diese letzte Einschätzung auf den ganzen Film übertragen.

Erwachsen geworden 82 Die Protagosten in Die Eiskönigin 2 sind mit ihren Fans groß geworden. Vor allem der im ersten Teil noch sehr unreifen Anna merkt man ihren Entwicklungssprung an. Immer noch ist sie die vernünftigere, das erdende Glied neben ihrer oft so impulsiven, emotionalen Schwester, sie weiß vor allem aber auch, Verantwortung zu übernehmen und macht zum Filmende hin noch einmal einen großen Schritt, indem sie lernt, dass sie ihre Schwester nicht immer und überall beschützen kann, sondern dass es manchmal wichtigere Aufgaben für sie gibt. In diesem Film ist es Anna, die loslassen lernen muss. Eismann Olaf hat gar das Lesen für sich entdeckt und unterhält den ganzen Film über mit Trivialwissen, das wie schon in Teil 1 mit zum größten Unterhaltungsfaktor beiträgt. Wer wollte nicht immer schon mal wissen, dass Schildkröten durch den Anus atmen? Hingegen ist bei Annas Freund aus dem ersten Teil, Kristoff, nicht viel Entwicklung zu bemerken, deswegen ist er aber nicht schlechter geschrieben. Die Figur ist und bleibt ein leuchtendes Beispiel für einen respektvollen, fürsorglichen aber nie bevormundenden männlichen Charakter, der den weiblichen niemals die Show stiehlt. Soundtrack-technisch ist seine Einzelnummer überraschenderweise als die beste zu benennen, da sich Disney mit dieser dank einer großartigen Portion Slapstick selbst ordentlich auf die Schippe nimmt. Seine Reise und die der Schwestern führt sie zu Filmbeginn in den Norden führt, um eine Bedrohung für das Königreich auszumerzen, die alle Elemente dort völlig 83 verrücktspielen lässt. Und wenn auch Anna durchaus im Verlauf einige starke Einzelszenen bekommt: Es ist nach wie vor Elsas Film. Elsa, der einzige bekannte Mensch in dieser Welt mit magischen Kräften, wird von einer geheimnisvollen Stimme in den Norden gerufen. Nicht nur erfahren die Schwestern auf dem Weg die Wahrheit über den Tod ihrer Eltern und dass ihre Mutter einst aus demselben verzauberten Wald kam, von dem die Gefahr ausgeht. Für Elsa ist dieser Ausflug zu den Naturgeistern einmal mehr eine Suche nach sich selbst. Sie erfährt, dass ihr Leben und ihre Kräfte ein Geschenk dieser Geister an ihre Mutter für eine selbstlose Tat einst war. Die Begegnung mit den Naturgeistern – äußerst verspielt, zuckersüß und immer noch sehr geheimnisvoll dargestellt in Form z. B. eines Wasserpferds und eines Salamanders – ermutigt sie, ihre Kräfte immer weiter zu erforschen und macht ihr klar, dass ihre eigentliche Bestimmung nicht die des Regierens eines Reichs ist. Es ist weiterhin die Sorge, das Mitgefühl, die Entwicklung ihrer Schwester, die auch Anna formt, und das ist eigentlich ein wenig schade, denn noch ein wenig mehr ihren Charakter auszubauen, hätte das Drehbuch durchaus hergegeben. Zeit hat man, einen wirklichen Bösewicht zu bekämpfen gibt es ohnehin nicht, was die Geschichte aber nicht uninteressanter und keinesfalls langweilig macht. Dafür herrscht schon zu viel Dramatik vor. Einmal mehr ist die Bedrohung für Arendelle sehr groß, und diesmal schreckt man auch nicht davor zurück, das Thema Tod 84 äußerst ernst darzustellen, auch wenn sich Disney-typisch natürlich das meiste davon am Ende auflöst. Aber Olaf-Fans müssen da zur Mitte des Films hin einmal wirklich stark sein und die Taschentücher bereithalten, vor allem für ihren Nachwuchs. Das ist für einen Kinderfilm schon ganz starker Tobak. Und dies ist auch mit Abstand Annas beste Szene, in der sie den letzten Rest ihrer Jugend endgültig hinter sich lässt. Auch die Auflösung der kleinen Krise am Filmende verlangt dann noch mal Taschentucheinsatz. Generell gibt das Werk aber auch ebenso viel Humor her – selten hat die Redakteurinnen bei Pressevorführungen das Publikum ringsum so ausgelassen lachen hören. Die Eiskönigin 2 erzählt in einer flüssigen, nur am Beginn ein wenig zähen aber schnell an Fahrt aufnehmenden Geschichte von zwei Schwestern, die ihre wahre Bestimmung finden und ist damit so wie auch Vaiana einst immer noch äußerst erfrischend im Vergleich mit vielen Liebesgeschichten von Disney in der Vergangenheit. Annas Romanze mit Kristoff ist nur ein Nebenschauplatz, nicht einmal die unweigerlich folgende Hochzeit am Ende bekommt der Zuschauer zu sehen, und auch in Elsas Leben ist eben nicht eine Liebschaft irgendeiner Art interessant, denn sie ist immer noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Der Film will viel lieber davon erzählen, wie man sich selbst finden kann, über sich hinauswächst und davon, dass man manchmal etwas tatsächlich erst loslassen muss, um ihm – oder ihr – noch näher zu kommen. Elsa und Anna emanzipieren sich, sie dürfen Hosen tragen, ein Schwert springen, kämpfen und beschützen und 85 vor allem einsehen, dass sie zwar immer zusammengehören werden, dass sie aber auch ihr eigenes Leben nicht vernachlässigen dürfen. Die Eiskönigin ist und bleibt eine Familiengeschichte. Und als solche, als Vorweihnachtsfilm vor allem, funktioniert das Werk ohne Zweifel ganz wunderbar, auch wenn es in Aspekten Sound und Optik nicht ganz an den ersten Teil heranreicht.

Filmkritik: Joker – Keine Comic-Verfilmung, aber ein großartiger Film von Thorsten Walch

Neu war die Idee nicht, als man im vergangenen Jahr erstmals davon hörte: Ein ikonischer Comic-, TV- und schließlich Film-Bösewicht sollte bald in einer neuen Lesart erneut die Leinwand erobern – als Protagonist nämlich. Ziemlich genau einem Jahr war man dergleichen das letzte Mal in nicht ganz unumstrittener Manier angegangen, indem man mit Venom, gespielt von Mad Max: Fury Road-Darsteller Tom Hardy, einen der größten Feinde Spider-Mans aus dem Marvel-Comic-Universum auf einen Solo-Trip geschickt und dabei herauszustellen versucht hatte, dass der Finsterling zumindest nicht ganz so finster war, wie seine Auftritte auf den buntbedruckten Seiten der Comics es suggeriert hatten. 86 Doch auch Venom war nicht der erste seiner Art, da man schon zuvor bei DC mit solchen Einfällen ins Rampenlicht getreten war …

Comic-Bösewichte als Helden Suicide Squad vereinte bekanntlich schon 2016 unter der Regie von David Ayer (Bright 2) mit dem Joker (damals noch gespielt von Jared Leto) und seinem ursprünglich aus einer Zeichentrickserie stammenden Groupie Harley Quinn (Margot Robbie), mit Schwertkämpferin Katana (Karen Fukuhara), dem treffsicheren Deadshot (Will Smith), dem kannibalistischen Killer Croc (Adewale Akinnuoye-Agbaje), mit Meisterdieb Captain Boomerang (Jai Courtney), Söldner Slipknot (Adam Beach) und dem tätowierten Pyrokineten Diablo (Jay Hernandez) einige der bekanntesten Bösewichte aus dem DC-Kosmos in der sogenannten Task Force X, um der Äonen alten Hexe Enchantress (Cara Delevingne) die Stirn zu bieten … mit summa summarum mäßigem Erfolg. Zwar kam Suicide Squad insbesondere beim Publikum mehr an als der schleppend erzählte Batman v Superman: Dawn of Justice aus dem gleichen Jahr und konnte auch an den Kinokassen deutlich besser abschneiden; aber der Weisheit letzter Schluss wurde Suicide Squad für das zunehmend sinkende Schiff des filmischen DC-Universums trotzdem nicht, was zweifellos auch seiner ungewöhnlichen Machart geschuldet war.

Eine andere Art von Film

87 Eventuell auch aus diesen Gründen wurde schon früh in der Vorproduktionsphase von Joker kommuniziert, dass der neue Film rein gar nichts mit dem DCEU (die Abkürzung für den unter den Fans verbreiteten Begriff DC Extended Universe) zu tun haben würde, in welchem sich in Batman v Superman und Suicide Squad abspielen und in welchem sich auch die Helden der Solo-Abenteuer Wonder Woman, Aquaman und Shazam! tummeln. Der schlicht Joker betitelte Film sollte eine völlig neue Version des Werdegangs des titelgebenden Erzfeinds von Batman schildern. Man legte großen Wert darauf, dass es sich um einen sogenannten »Standalone film« handeln würde, der wenig bis gar keine Bezüge zum aktuellen filmischen Universum aufweisen sollte, das weit größere Startschwierigkeiten an den Tag legte, als das bei den Kollegen von Marvel der Fall war. Stattdessen plante man die Geschichte eines verstörten, desillusionierten Mannes, der aufgrund einer Verkettung von schwerwiegenden Umständen zu jenem dauergrinsenden Killer-Clown mutieren würde, den zuvor schon Filmcharmeur Cesar Romero (Nacht der Teufel), Hollywood-Legende Jack Nicholson (Mars Attacks!), das viel zu früh verstorbene Jungtalent Heath Ledger (Das Kabinett des Doktor Parnassus) und zuletzt der exzentrische Jared Leto (Blade Runner 2049) je auf sehr unterschiedliche Art und Weise verkörpert hatten. Der Name des diesmal engagierten Hauptdarstellers stimmte selbst große Kritiker an den aktuellen DC-Werken vorsichtig optimistisch: Joaquin Phoenix sollte ran, der 88 jüngere Bruder des 1993 ebenfalls tragisch im Alter von nur 23 Jahren verstorbenen Kinderstars River Phoenix (Indiana Jones und der letzte Kreuzzug). Joaquin Phoenix war bereits in so unterschiedlichen Filmen wie Gladiator (2000), Signs – Zeichen (2002) oder Walk the Line (2005) zu sehen gewesen. Für seine gelungene Darstellung von Country-Music-Ikone Johnny Cash war er mit dem »Golden Globe Award« ausgezeichnet worden. 2018 spielte er zudem in Maria Magdalena Jesus höchstpersönlich. Weniger Grund zur Hoffnung gab der Name des engagierten Regisseurs. Todd Phillips hatte bis dorthin vorwiegend Filmkomödien wie die Kino-Adaption von Starsky & Hutch (2004) sowie die drei Teile der Hangover-Filmreihe (2009, 2011 und 2013) inszeniert. Die Wahl eines Komödien-Spezialisten für so einen düsteren Streifen stimmte durchaus nachdenklich. Doch je mehr über den geplanten Film bekannt wurde, umso gespannter wurde nicht allein der Verfasser dieses Artikels auf das Endergebnis. Von einem künstlerisch anspruchsvollen Film war da die Rede, der die Figur des Jokers fernab von knallbunten Comic-Phantasien in die Realität transferieren sollte. Neben Phoenix‘ Mitwirken war bald auch die Rede von einem anderen prominenten Schauspieler, über dessen Rolle in Joker man zunächst jedoch nichts weiter erfuhr. Gemeint war Leinwand-Ikone Robert De Niro, mittlerweile stolze 76 Jahre alt, der durch Filme wie Der Pate 2 (1974) oder Taxi Driver (1976) zu einem der bis heute bekanntesten Filmschauspieler überhaupt avanciert war. 89 Über De Niros Auftritt in der Adaption war anfänglich nur zu vernehmen, dass es sich um eine Art Lehrmeister der Titelfigur handeln sollte, und schon bald fiel in der Gerüchteküche der Name »Ra's al Ghul«. Doch Phillips machte diese Hoffnungen zunichte, indem er nochmals betonte, dass seine Version der Entstehungsgeschichte des Jokers nur am Rande mit der Comicfigur zu tun haben sollte. Auch wenn der Regisseur es nicht explizit kommunizierte, klangen seine Pläne nach einer Rückkehr zu den Wurzeln des Killer-Clowns. Dieser war ursprünglich stark angelehnt an den tragischen Anti-Helden aus dem 1928 entstandenen Stummfilm Der Mann, der lacht von Regisseur Paul Leni. Basierend auf einem Roman des Franzosen Victor Hugo (Der Glöckner von Notre Dame) erzählte der Film die Geschichte von Gwynplaine (dargestellt von dem aus Deutschland emigrierten damaligen Superstar Conrad Veidt), der in seiner Kindheit als Strafe für eine politische Verfehlung seines adligen Vaters mit Hilfe eines chirurgischen Eingriffs ein Dauergrinsen ins Gesicht gebannt bekommt, was ihn zu einem Dasein als Jahrmarktsattraktion verdammt. Von wo auch immer die Inspiration kam, Phillips‘ Joker sollte kein überdimensionierter Popkultur-Schurke werden, sondern eine tragische Figur.

Der lachende Clown Das durch solcherlei Informationshappen immer weiter angefachte Publikumsinteresse blieb während des gesamten Sommers bestehen und wurde noch um ein Vielfaches 90 angefacht, nachdem Joker im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele von Venedig am 31.08.2019 seine Weltpremiere erlebt hatte. Der Film spaltete die Kritikermeinungen nämlich fast genau in zwei. Während die einen Rezensenten ihn als ein Meisterwerk betitelten, »das in Zukunft schwer zu übertrumpfen“ sein würde, sahen andere in dem Werk eine »Aneinanderreihung von nur auf den zweiten Blick zusammenhängenden Brutalitäten, eingebettet in gähnende Langeweile«. In den USA galt es noch bis zum 04.10.2019, in Deutschland bis zum 10.10.2019 abzuwarten, ehe man sich ein eigenes Bild von Joker machen konnte. In 122 Minuten bekam man beim Kinobesuch sodann Folgendes präsentiert: Arthur Fleck (Phoenix) ist ein desillusionierter 30-und-ein-paar-zerquetschte-Jahre alter Mann, der in den frühen 1980er-Jahren des 20. Jahrhunderts in einer heruntergekommenen Gegend von Gotham City bei seiner sowohl körperlich als auch psychisch kranken Mutter Penny (großartig gespielt von Frances Conroy) lebt. Penny schreibt permanent Briefe mit Hilfegesuchen an den Industriellen und Politiker Thomas Wayne (Brett Cullen), für den sie vor der Geburt ihres Sohnes als Hausangestellte gearbeitet hat, erhält jedoch niemals eine Antwort. Seit seiner Kindheit leidet Fleck an einer neurologischen Störung, die ihn in den unpassendsten Momenten schrill auflachen lässt. Dadurch gerät er immer wieder in Schwierigkeiten und befindet sich deshalb in einer von der 91 Stadt finanzierten Therapie, dank derer er auch die nötigen Medikamente erhält. Flecks großer Traum ist eine Karriere als Stand-up-Comedian; sein Vorbild ist der großspurige Murray Franklin (De Niro), der eine allabendliche Show präsentiert und für Fleck eine Art Vaterersatz darstellt. Im realen Leben arbeitet Fleck als Werbe- und Partyclown für eine entsprechende Agentur, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Im Zuge einer Promotion für ein Elektrogeschäft wird er von einer Gruppe Jugendlicher bestohlen und anschließend zusammengeschlagen. In Folge erhält er von einem Kollegen eine Schusswaffe, obwohl er aufgrund seiner psychischen Labilität eigentlich keine solche besitzen darf. Eine Reihe wegweisender Ereignisse wird in Gang gesetzt: Fleck verliebt sich in eine Nachbarin, die alleinerziehende Sophie (Zazie Beetz) und beginnt eine Beziehung zu ihr. Dann werden ihm aufgrund von städtischen Sparmaßnahmen sowohl sein Therapieplatz als auch seine Medikamente gestrichen. Kurz darauf verliert er seinen Job, als er während eines Auftritts in einem Kinderkrankenhaus vor den Augen seines jungen Publikums die mitgeführte Waffe verliert. Auf dem Heimweg gerät er in der U-Bahn in ein Handgemenge, ausgelöst von drei angetrunkenen Business-Leuten, die allesamt Angestellte von Wayne Enterprises sind. Nachdem die drei eine junge Frau belästigten haben, wenden sie sich Fleck zu, der durch einen seiner Lachanfälle auf sich aufmerksam gemacht hat. Fleck erschießt die Männer mit seiner Waffe und kann 92 anschließend entkommen. Da er noch immer sein Clownskostüm trägt, sucht die Polizei nun nach einem »Killer-Clown«. Wayne bezeichnet daraufhin in einem TV-Interview Menschen aus den unteren Bevölkerungsschichten als »neidische Nicht-Reiche«, was zu einer Protestbewegung in der Bevölkerung führt. Menschen demonstrieren in Clownsmasken an öffentlichen Plätzen, und es kommt zu gewalttätigen Ausschreitungen. Fleck hat derweil aus einem Brief, den seine Mutter an Wayne geschrieben hat, erfahren, dass er dessen unehelicher Sohn aus einer Affäre mit seiner Mutter ist. Er sucht das Wayne-Anwesen auf, wo er allerdings lediglich Waynes kleinen Sohn Bruce (Dante Pereira-Olson) und den Angestellten Alfred Pennyworth (Douglas Hodge) antrifft. Pennyworth erklärt Arthur, dass seine Mutter ihn adoptiert habe und unter Wahnvorstellungen leide. Arthur stellt Nachforschungen in einem psychiatrischen Krankenhaus an und nimmt eine Akte an sich, aus der hervorgeht, dass er selbst im Kindesalter vom damaligen Beziehungspartner seiner Mutter misshandelt worden ist. Seine Mutter erleidet derweil im Zuge eines weiteren Handgemenges beim Besuch zweier Polizeibeamter, die die »U-Bahn-Morde« aufklären wollen, eine schwere Kopfverletzung und fällt ins Koma. Fleck versucht sich weiter als Komödiant und kann einen Auftritt in einem Comedy-Club ergattern. Dort jedoch bringt er abgesehen von sinnfreiem Gestammel und seinem krankheitsbedingten Gelächter nichts zustande. Eine 93 Aufzeichnung seines Auftritts gelangt in die Hände seines Idols Franklin, der sie in seiner Show ausstrahlt und sich über den »Joker«, wie er Fleck nennt, in boshafter Manier lustig macht. Allerdings sind die Zuschauer von der skurrilen Performance begeistert, und Franklins Team lädt Fleck in die Sendung ein.

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Dessen Leben gerät zunehmend aus den Fugen. Auf einer Wohltätigkeitveranstaltung konfrontiert er Wayne auf der Toilette mit der angeblichen Vaterschaft und wird von diesem während eines neuerlichen Lachanfalls niedergeschlagen. Anschließend erstickt Fleck seine Mutter im Krankenhaus mit einem Kissen. Wieder zuhause muss er erkennen, dass seine Beziehung zu Sophie lediglich eine Wahnvorstellung gewesen ist, die sich niemals ereignet hat. Vom Wahnsinn gezeichnet probt er seinen Auftritt in der

94 Franklin-Show, während dem er sich vor laufenden Kameras das Leben nehmen will. Prompt bekommt er Besuch von jenem ehemaligen Kollegen, der ihm die Waffe gegeben hat; dieser will sich versichern, dass Fleck ihn nicht in Schwierigkeiten bringt. Fleck ersticht denn Mann kurzerhand und macht sich mit grellgeschminktem Gesicht, grün gefärbten Haaren und mit einem lilafarbenen Anzug bekleidet auf den Weg zu seinem Auftritt bei Franklin …

Starker, bitterer Tobak Eine Comic-Figur als Protagonist in einem Psycho-Drama, kann das funktionieren? Ja, das kann es, und zwar hervorragend. Bei den vorherigen erwähnten Inkarnationen (auch die großartige stimmliche Interpretation von »Luke Skywalker« Mark Hamill sei aus Verehrung und Fairness an dieser Stelle erwähnt) ließ Batmans späterer Erzfeind trotz der zeitweisen Ernsthaftigkeit – die man insbesondere bei der Darstellung durch Ledger spürte – niemals die Herkunft vermissen, die man aus den früher oft als Schund verschrienen Heftchen kennt. Phillips‘ Joker hingegen lässt selbst den Batman-affinen Zuschauer diese nach nur wenigen Minuten Laufzeit völlig vergessen. Die Atmosphäre des Films ist von Beginn an beispiellos trist und deprimierend und vermittelt eine unbehagliche Trostlosigkeit, in die sich mehr und mehr das Empfinden der Gefährlichkeit des ansonsten durch und durch bedauernswerten Protagonisten mischt. Fleck, aus 95 dem erst gegen Ende des Films der titelgebende Antagonist wird, zeigt sich in einer glänzenden Charakterstudie als ein Mensch, der im Grund genommen nichts als das Gute für sich und seine Mitmenschen will, an dieser selbstgestellten Aufgabe jedoch zerbricht und erkennen muss, dass er zu maßloser Selbstüberschätzung neigt, was seiner Erkrankung geschuldet sein dürfte. Wenn der Joker die Gags in seinem Witzbuch durchgeht, wird dies besonders deutlich, da diese fast allesamt sinnlos erscheinende Aneinanderreihungen von Worten sind. Statt des Kampfs eines überlegenen Bösewichts gegen noch mehr überlegene Superhelden wird die Geschichte eines Mannes präsentiert, der binnen kürzester Zeit das Wenige, das er besitzt beziehungsweise zu besitzen glaubt, verliert und daran zerbricht, sich in Folge in etwas Neues, Glänzendes transformiert – doch ist es der Glanz der Finsternis, der ihn fortan umgibt. Viel zur Wirkung des Films trägt Hauptdarsteller Phoenix bei. Fast 24 Kilogramm an Gewicht soll der ohnehin schon schlanke Ausnahmeschauspieler für den Film verloren haben, um Fleck ausgemergelt wirken zu lassen. Und der Anblick des spindeldürren, gleichzeitig aber auch athletischen nackten Oberkörpers verfehlt seine Wirkung nicht. Auch das zwang- beziehungsweise krampfhafte Lachen, das von Beginn an fester Bestandteil des Charakters ist, kann nur als darstellerische Meisterleistung bezeichnet werden. Nicht selten erinnert es mehr an das verzweifelte Weinen einer durch und durch zerbrochenen Figur als an das kreischende Spottgackern des Jokers aus den Comics. 96 Phoenix gelingt eine Darstellung, die durchaus wenigstens einer Nominierung für den »Oscar« würdig wäre. Auch die weiblichen Hauptrollen sind hervorragend besetzt. Die in Berlin geborene Deutsch-Amerikanerin Beetz versucht, dem verzweifelten Fleck zu helfen, so gut sie das eben mit ihren bescheidenen Mitteln zu tun vermag, nur, um den Zuschauer anschließend mit der Erkenntnis zu narren, dass die zarte Beziehung zu der ebenso desillusionierten wie auch oberflächlichen Nachbarin nichts anderes war als eine Wahnidee. Conroy hingegen spielt eine Rolle, die es mühelos mit jener der Norma Bates aus den Psycho-Filmen (1960) aufnehmen könnte. Die zunächst krank und gebrechlich wirkende Penny mutiert zunehmend entweder zu einer Manipulatorin, die ihren Sohn für ihre eigenen psychotisch motivierten Zwecke benutzt oder aber ist das klassische Opfer einer Intrige. Hierüber lässt sich der Film nicht weiter aus, sondern überlässt die bevorzugte Auflösung dem Zuschauer. De Niro dürfte seine Rolle nicht ganz ohne Hintergedanken des Teams erhalten haben. 1983 spielte er den desillusionierten Möchtegern-Comedian Rupert Pupkin in der Dramedy King of Comedy von Martin Scorsese (Frankenstein), bei der Phillips für die Darstellung von Flecks verzweifelten Versuchen, gesellschaftlich aufzusteigen, einige Anleihen genommen hat. Allerdings ist es diesmal De Niro, der den selbstgefälligen Altstar gibt – gewohnt gekonnt-brillant. Jemand vom »Oscar«-preisgekrönten

97 Kaliber eines De Niro kann vermutlich gar nicht schlecht oder unglaubwürdig spielen, selbst wenn er es wollte.

Fazit Ausgezeichnete schauspielerische Leistungen, gepaart mit einem unglaublichen Sinn für Atmosphäre und einer Handlung, deren Spannungskurve weniger von Ereignissen als viel mehr von den agierenden Personen bestimmt wird, vervollkommnen das Bild eines waschechten Dramas, an das vorherige Verfilmungen von Comic-Stoffen nicht heranreichen, da diese meistens im Zeichen des Faktors »Action« stehen. Vielmehr gibt es in Joker gelegentliche Ausflüge in das Horror-Genre, dem der Film in seiner Gesamtheit jedoch nicht angehört. Zwei ziemlich brutale Szenen allerdings (über die sich der Verfasser dieses Artikels aus Gründen der zu erhaltenden Spannung nicht auslassen will) sorgten für teilweise überbordende Negativ-Kritiken in so mancher Berichterstattung. Besagte Szenen und auch anderweitige Elemente, die den jeweiligen Rezensenten negativ aufgefallen sein mögen, sind jedoch allesamt im Fortgang der Tragödie begründet und durchaus gerechtfertigt. Aber leichte Kost ist Joker ganz sicher nicht. Am allerwenigsten wohl für jene Comic-Fanfraktion, die doch auf eine mehr im Mainstream verhaftete Entstehungsgeschichte der beliebten Bösewicht-Figur gehofft hat. Kein Suicide Squad (dessen Fortsetzung im kommenden Frühjahr in die Kinos kommen soll, ganz ohne Letos Mitwirken) und auch kein DC-Einheitsbrei mit 98 Bösewichten, die eben böse sind, weil es ihrer finsteren Natur entspricht. Es ist ein bitteres Psychodrama, das zeigt, was die Welt mitunter aus Menschen macht, die einfach nicht so ticken (wollen), wie es der große Pulk der Allgemeinheit gerne möchte. Auf seine Weise eine filmische Umsetzung jener alten Weisheit, die besagt, dass der Weg zur Hölle stets gepflastert ist mit guten Vorsätzen. Joker dominiert die amerikanischen und deutschen und auch die Kinokassen anderer Länder, was eine Fortsetzung durchaus wahrscheinlich machtt. Und es ist ein wirklich interessantes Gedankenspiel, auf welche Art von Batman diese Art von Joker in einer solchen treffen könnte.

Joker Mit: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz Regie: Todd Phillips Länge: 122 Minuten Verleih: Warner Bros. GmbH

Filmkritik: Terminator: Dark Fate – Endlich wieder einmal ein Lichtblick von Oliver Koch

Wie es schon in der Vergangenheit das eine oder andere Mal bei sehr angesagten Neuveröffentlichungen der Fall war, gibt es in der Filmsektion des Corona Magazine auch diesmal zwei sehr gegensätzliche Besprechungen eines

99 aktuellen Werks. Diesmal nehmen zwei Redakteure den vor kurzem in Kino gestarteten Terminator: Dark Fate unter die Lupe. Den Anfang machen die Eindrücke von Oliver Koch.

Radikale Entscheidungen von Beginn an Eines macht Dark Fate schon einmal von Anfang an richtig: Er ignoriert alle Teile, die nach dem legendären Terminator 2: Tag der Abrechnung (1991) auf die filmbegeisterte Menschheit losgelassen wurden. Was soll man schon ernsthaft mit den Folgefilmen anfangen, an denen Mastermind James Cameron (Dark ) nicht mitgewirkt hat? Um das Franchise angemessen zu würdigen und die Fans zufriedenzustellen, musste dieser radikale Schnitt her und Cameron wieder ran, der diesmal am Drehbuch beteiligt war und den Film produzierte. Dark Fate stellt somit mit reichlich Verspätung den eigentlichen dritten Teil einer Saga dar und schließt somit endlich würdevoll die Trilogie ab.

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Altbekannte Gesichter, neue Story Dark Fate bringt nicht nur die bei den Fans äußerst beliebte Figur der Sarah Connor (Linda Hamilton) zurück und diese erneut mit dem legendären Titel-Antihelden, gespielt von Arnold Schwarzenegger (Batman & Robin), zusammen; er erzählt auch geradlinig die Handlung von Teil 2 mit hohem Tempo und der gleichen Tonalität weiter. Das sorgt für einige Déjà-vus, denn Dark Fate orientiert sich deutlich am Klassiker von 1991. Der Rhythmus ist geradezu derselbe: Es gibt je eine große Action-Szene im ersten Drittel und im Finale, dazwischen ist viel Raum für Handlung und Charakterentwicklung geboten. Dass dem Zuseher dabei eine uninspirierte und altmodische 1990er-Jahre-Geschichte wie im misslungenen Gemini Man ebenfalls aus diesem Jahr erspart bleibt, ist der dringend benötigten Überarbeitung der Grundhandlung zu verdanken. Eine neue Generation Terminatoren und Kämpfer, eine andere Zukunft, eine veränderte Rolle für Schwarzenegger. Die Balance zwischen Action, Spekulation und menschlicher wie moralischer Tiefe gelingt hier einwandfrei. Erfreulich ist zudem, dass Dark Fate mehr Härte zeigt als seine beiden direkten Vorgänger und man endlich wieder einmal einen Film für Erwachsene vor sich hat. Bewusst als ein Werk mit der Freigabe »R« konzipiert, fließt viel Blut, einige Tötungen gehen mittelbar vonstatten, und immer wieder ist ein beherztes »Fuck« zu hören.

101 Auch der sorgsam eingesetzte, treffende Humor funktioniert. Die sichtlich gealterte Connor ähnelt in ihrer Rolle mehr dem Terminator aus Teil 1, haut als zynische Kämpferin mit Waffen und Sonnenbrille die brillantesten Oneliner raus. Ihr nimmt man die Rolle der vom Leben sprichwörtlich gezeichneten Kriegerin mit aller dazugehöriger Vergangenheit, Wut und Trauer jederzeit ab. Auch die beiden Neuzugänge im Franchise sind eine große Bereicherung. Vor allem Mackenzie Davis (Black Mirror) überzeugt in ihrer Rolle als verbesserter Mensch Grace aus der Zukunft. Das Plus von besagter Rolle ist ihr Facettenreichtum: auf der einen Seite übermenschliche Kräfte und Killerinstinkt, wenn’s drauf ankommt, auf der anderen Seite Verletzlichkeit und Menschlichkeit. Damit wird auf wunderbare Weise Schwarzeneggers Figur wiedergespiegelt, über deren Ausgestaltung an dieser Stelle aus Spoiler-Gründen nichts verraten werden soll. Apropos Schwarzenegger: Obwohl dessen Karriere nach seinem Ausflug in die amerikanische Politik nie wieder richtig an Fahrt aufnehmen konnte, war und ist dieser Mann auch mit über 70 Jahren unzweifelhaft ein Top-Star, der wie kaum ein zweiter mit seinem bekanntesten Charakter Filmgeschichte geschrieben hat. Und Schwarzeneggers Terminator erlebt in Dark Fate endlich einen maßgeblichen Entwicklungsschub, der – typisch für Cameron – emotionale Tiefe und menschliche Reife vermittelt. Solche Momente machen Dark Fate mehr noch als die darin vorkommende Gewalt zu einem Film für ein erwachsenes Publikum, das sich zunehmend einfach mehr 102 wünscht, als ständig eindimensionale Action-Kloppereien serviert zu bekommen. Auch hat man hier endlich wieder einmal das Gefühl, sich keinen Film anzusehen, der rein mit der Absicht, neue Zielgruppen einzufangen, geschrieben wurde. Stattdessen konzentriert sich das Werk auf den Handlungskern, die Grundkonflikte sowie die Charakterkonstellationen und die Rollenverständnisse aus den ersten beiden Filmen und bringt dies alles erzählerisch – ohne aufgeblasene Story-Mätzchen wie vor allem im verworrenen Terminator Genisys (2015) – zu einem mehr als befriedigenden Abschluss, von dem es auch kein Zurück mehr gibt.

Fazit Dass Dark Fate nicht den Wow-Effekt erzeugen kann wie der fulminante Vorgänger von 1991 hat einen einfachen Grund. Vor 28 Jahren setzte der gern mit T2 abgekürzte Streifen technisch mehr als nur Maßstäbe. Mit ihm schuf Cameron den Beginn der digitalen Tricktechnik und zauberte als erster Bilder auf die Leinwand, die damals weit über dem lagen, was menschlich überhaupt vorstellbar war. T2 profitierte Anfang der 1990er-Jahre vom Überwältigungseffekt des noch nie Gesehenen, und von dem Hype als damals teuerster Film aller Zeiten. Mit kolportierten Produktionskosten zwischen 160 und 200 Millionen Dollar ist auch Dark Fate kein Schnäppchen und vor allem ein Wagnis für einen Film mit derart hoher Altersfreigabe. Die Kosten allerdings sieht man dem Film auch an, und das ist gut so. 103 Dark Fate ist nicht weniger als der Schlusspunkt einer seit Jahrzehnten beliebten Trilogie und macht den Weg frei für eine Weitererzählung. Eine runde Sache mit Würde also, die das Franchise auch verdient hat.

Terminator: Dark Fate Mit: Linda Hamilton, Arnold Schwarzenegger, Mackenzie Davis Regie: Tim Miller Länge: 128 Minuten Verleih: Fox Deutschland

Filmkritik: Terminator: Dark Fate – Aus der Zukunft nichts Neues von Thorsten Walch

Nach der Kurzkritik von Oliver Koch beschäftigt sich wie schon öfter in der Vergangenheit im Corona Magazine so gehandhabt nachfolgend auch ein anderer Redakteur mit dem aktuell im Kino angelaufenen Terminator: Dark Fate. Und die Meinung von Thorsten Walch deckt sich nicht ganz mit jener im vorherigen Artikel …

Prolog 1 In den 1980er-Jahren gab es eine Handvoll Filme, die man unbedingt gesehen haben musste, wenn man zu den coolen Jungs auf dem Schulhof oder in vergleichbaren Kreisen

104 gehören wollte. Rambo (1982) und Rambo II Der Auftrag (1985) gehörten da dazu, Braddock – Missing in Action (1984) und Missing in Action 2: The Beginning (1985) ebenfalls. Tanz der Teufel (1981). Nightmare – Mörderische Träume (1984). Eins der wichtigsten »must-sees« dieser Zeit jedoch war Terminator (1984) von dem damals gerade erst aufstrebenden Regisseur James Cameron (Fliegende Killer – Piranha II). Allerdings gehörten die Namen von Filmregisseuren nicht zum Pflichtwissen besagter cooler Jungs, dann schon eher jener des Hauptdarstellers: Arnold Schwarzenegger, der als finsterer Cyborg aus der Zukunft hinter sweet little Sarah Connor (Linda Hamilton) her stakste und am Ende nur noch ein Metallskelett war, kannte man immerhin schon aus den beiden Conan-Filmen (1982 und 1984). Langsam aber sicher entwickelte sich damals der schauspielerisch nur bedingt begabte österreichische Bodybuilder zu einer ersten ernsthaften Konkurrenz für den damaligen Actionfilm-Platzhirsch (Antz – Was krabbelt da?). Terminator stellte eigentlich eine ausgesprochene Billig-Produktion dar, aber der Regisseur hatte aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wirklich etwas Bemerkenswertes gemacht, ein spannendes B-Picture nämlich, das nach weltweit 78 Millionen in den Kinos eingespielten US-Dollar (sensationell im Vergleich zu den knapp 7 Millionen Dollar, die das Filmchen gekostet hatte) auch ein Kassenschlager in den Videotheken wurde.

105 Und die Geschichte setzte sich in Form von ähnlichen Superlativen fort. Die 1991 veröffentlichte Fortsetzung Terminator 2: Tag der Abrechnung, erneut inszeniert vom mittlerweile zum Star-Regisseur avancierten Cameron, machte Schwarzenegger endgültig zum Superstar, der Stallone tatsächlich von Platz 1 der Action-Favoriten verdrängte. Das Werk kostete sagenhafte 100 Millionen Dollar, was großteils an den bahnbrechenden und bis dahin nie gesehenen Trickeffekten lag. Den für sündhaft teures Geld entwickelten »Morphing«-Effekt verwendete man übrigens einige Jahre später recht gern in Star Trek: Deep Space Nine (1993–1999), wenn Formwandler Odo (René Auberjonois) seine Fähigkeiten unter Beweis stellte. Dafür spielte T2, wie der Film gern abgekürzt wurde, auch mehr als das fünffache seiner immensen Herstellungskosten wieder ein und wurde zu einem der erfolgreichsten Filme seiner Zeit. Danach verschwand der sonnenbebrillte Killer-Androide weitestgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung. Weder die nachfolgenden Filme aus den Jahren 2003, 2009 und 2015 noch die kurzlebige TV-Adaption des Stoffs, Terminator: S. C. C. (2008–2009), konnten diesem Super-Erfolg auch nur ansatzweise das Wasser reichen.

Prolog 2 »Das Terminator-Franchise ist tot!«, munkelte man sowohl bei Paramount Pictures als auch bei Skydance Media vor vier Jahren, nachdem Terminator Genisys zwar sein Budget in Höhe von 155 Millionen Dollar durch das 106 Einspielergebnis von insgesamt knapp 441 Millionen wieder hereingeholt hatte, aber immer noch weit von einem Welterfolg entfernt war. Da half auch die Rückkehr des damals schon 68-jährigen Schwarzenegger als freundlicher Cyborg aus der Zukunft nicht. Nicht einmal der damalige Game of Thrones: Das Lied von Eis und Feuer-Megastar Emilia Clarke als jugendliche Version von Connor konnte den zwar ganz gut gelungenen, aber auch ungeheuer altbackenen Streifen retten. Einer der Gründe war möglicherweise, dass das Publikum bereits im Trailer zum Film dessen Abschlusspointe präsentiert bekommen hatte. Connors erwachsener Sohn John aus der Zukunft (gespielt von Jason Clarke, der jedoch nicht der Ehemann von besagter Hauptdarstellerin ist) ist selbst ein Cyborg. Das sorgte bei Fans nicht eben für Begeisterungsstürme. Wie konnten die Verantwortlichen das nur tun, fragte man sich. Ursprünglich, so hieß es, hatte man mit Genisys eine neue mehrteilige Filmreihe starten wollen, doch diese Pläne verwarf man kurzerhand. Eine weitere Fortsetzung von Terminator war überaus fraglich. Bis dann …

Die Rückkehr des Meisters Unerwartet kehrte nach dieser Niederlage Altmeister Cameron ins Geschehen zurück, der in keiner Weise mit den drei vorhergehenden Terminator-Filmen oder der TV-Serie etwas zu tun gehabt hatte. Der hatte zwischenzeitlich stattdessen mit Titanic (1997) und Avatar – Aufbruch nach 107 Pandora (2009) zwei der erfolgreichsten Filme aller Zeiten inszeniert gehabt. Camerons Interesse an dem bulligen Zukunftskiller und seiner Welt sei keineswegs erloschen gewesen, verkündete der Regisseur, einzig die Zeit habe ihm gefehlt, sich selbst um das einstmals von ihm erdachte Franchise zu kümmern. Schließlich hätte er Jahr und Tag an gleich mehreren Fortsetzungen von Avatar gearbeitet. Deshalb hätte er sogar ein anderes von ihm lange geplantes Herzensprojekt, die Anime-Verfilmung Alita: Battle Angel (2019) an seinen Kollegen Robert Rodriguez abgetreten und nur als Produzent des (übrigens außerordentlich gut gelungenen) Streifens fungiert. Auf ähnliche Weise plante Cameron, nun an einem neuen Terminator-Film mitzuwirken, nicht als Regisseur, jedoch als Produzent und Hauptautor eines Drehbuchs, das er zusammen mit David S. Goyer (The Dark Knight), Billy Ray (Die Tribute von Panem – The Hunger Games) und Justin Rhodes (RoboCop Returns) zu schreiben gedachte, basierend auf seinem eigenen Story-Entwurf. Von Beginn an machte Cameron klar, dass er in seinem Entwurf die drei vorherigen Filme nicht zu berücksichtigen gedachte, sondern dass er eine direkte Fortsetzung von T2 kreieren wollte. Nicht dumm: Im Horror-Genre hatte man mit dieser Taktik des völligen Ignorierens von aus dem Ruder gelaufenen Fortsetzungsreihen durchaus befriedigende Erfolge gefeiert, beispielsweise mit dem Reboot des Klassiker Halloween (2018) von John Carpenter.

Und die Rückkehr der alten Crew 108 In Camerons Entwurf sollte freilich auch wieder die Originaldarstellerin von Connor mit von der Partie sein, die in den vorangegangenen Franchise-Inkarnationen entweder totgesagt worden war oder eben von einer neuen Darstellerin verkörpert worden war. Hamilton war seit ihrem letzten Auftreten in T2 hauptsächlich für das Fernsehen tätig gewesen und hatte in Serien wie Weeds – Kleine Deals unter Nachbarn (2010) oder Defiance (zwischen 2014 und 2015) mitgewirkt. Im TV-Familienfilm Sunday Horse: Ein Bund fürs Leben von 2016 war sie übrigens an der Seite von »Captain Kirk« William Shatner zu sehen gewesen. Mittlerweile war die Kultschauspielerin schon über 60, eine Tatsache, die man auch in die erzählte Geschichte integrieren wollte, und Hamilton zeigte glücklicherweise Interesse daran, ihre einstige Erfolgsrolle ein weiteres Mal zu verkörpern. Schwarzenegger, seinerseits bereits 72, körperlich jedoch noch recht fit und nach wie vor in einigen an sein Alter angepassten Action-Rollen zu sehen, sollte ebenfalls mit dabei sein. Allerdings wurde das Ausmaß seiner Rolle in Dark Fate, wie der Film heißen sollte, zunächst offengelassen. So wurde gemunkelt, er würde eventuell jenen Mann spielen, der in der Zukunft die lebende Vorlage für den berüchtigten T-800 gewesen war. Das war bereits 2003 in allerdings gestrichenen Szenen von Terminator 3: Rebellion der Maschinen so gehandhabt worden, in denen Schwarzenegger als der toughe Sergeant William Candy zu sehen gewesen war.

109 Allerdings hatte Cameron ja klipp und klar geäußert, die Geschehnisse in diesem Streifen und den beiden Fortsetzungen ignorieren zu wollen. Für einige Skepsis bei den Fans sorgte die Nachricht, dass der mittlerweile 42-jährige Darsteller von Sarahs Sohn John Connor, Edward Furlong, ebenfalls in dem Film auftreten sollte. Furlong verfiel leider nach dem Erfolg von T2 langjähriger Drogensucht, eine Verpflichtung von ihm galt deswegen bei Regisseuren als recht schwierig. Der Mime ist heutzutage hauptsächlich in Billigproduktionen wie The Zombie King (2013) zu sehen. Dessen ungeachtet begannen 2018 die Dreharbeiten zu Dark Fate. Als Regisseur hatte man den spätestens seit der schrägen Marvel-Verfilmung Deadpool bestens in der Szene bekannten Tim Miller verpflichtet; den Dreharbeiten wurde ein fürstliches Budget in Höhe von 185 Millionen Dollar zugesprochen. Alles hätte schon aus Nostalgiegründen so schön sein können … wenn man denn für die Kohle auch einen wirklich guten Film gedreht hätte. Aber darauf wird der Autor dieses Artikels später noch einmal zurückkommen.

Altes altbekannt und altbacken erzählt Zwar ist es Connor bekanntlich in T2 gelungen, die atomare Katastrophe im Jahr 1997 abzuwenden, doch nach wie vor gibt es Terminatoren aus der Zukunft in der Gegenwart des Franchise. Einer davon (Schwarzenegger) sucht Connor und ihren Sohn John (für die Rolle wurde John mit Hilfe von Computeranimation in seine Jugend 110 zurückversetzt) in einer Rückblende in ihrem Exil in Südamerika auf und tötet Letzteren. Gesamtauftritt der ikonischen Figur John Connor: etwa 30 Sekunden. Der Terminator kann sodann entkommen. 27 Jahre später: Die junge Daniella »Dani« Ramos (Natalia Reyes) lebt zusammen mit ihrem Bruder (Diego Boneta) und ihrem Vater (Enrique Arce) in Mexico City, wo sie ein einfaches aber zufriedenes Leben führt. Eines Tages tauchen aus den durch das Franchise bereits bestens bekannten Zeitlöchern zwei Personen aus der Zukunft auf: der gestaltwandelnde Terminator REV-9 (Gabriel Luna), gegen den der einstige T-1000 wie ein Spielzeugroboter wirkt, der sofort Jagd auf Dani zu machen beginnt, und die Soldatin Grace (Mackenzie Davis), die Dani beschützen will. Nachdem der Terminator Danis Bruder und Vater ermordet hat, betritt die sichtlich gereifte Connor die Szenerie wie eine Vertreterin der US-Kavallerie und macht aus dem Duo »Dani und Grace« das Trio »Dani, Grace und Sarah«. In weiterer Folge erfährt man zweierlei Erstaunliches. Zum einen, dass Connor geheimnisvolle Textnachrichten von einer unbekannten Person erhält, die stets mit den Worten »Für John« unterzeichnet sind und die das neuerliche Auftauchen von Terminatoren angekündigt haben. Zum anderen, dass dank Connors Wirken das berüchtigte »Skynet«-Computersystem zwar nie Macht erlangt hat, dafür aber ein – man höre und staune – ähnlich diktatorisch gesinntes System namens »Legion«.

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112 Während »Dani, Grace und Sarah« vor dem in immer neuer Gestalt auftretenden und immer wüster vorgehenden REV-9 flüchten, kommen sie auf die bahnbrechende Idee, den Urheber der Nachrichten ausfindig zu machen, was dank der diversen technischen Erweiterungen von Grace, die gewissermaßen selbst eine Art Cyborg ist, kein großes Problem darstellt. Anschließend flüchten die drei über die Grenze in die Vereinigten Staaten, wo sie kurzzeitig in Gefangenschaft durch Grenzpatrouillen geraten. Dank der unfreiwilligen Hilfe des sich ihnen natürlich dicht auf den Fersen befindlichen REV-9 und den von diesem verursachten Verwüstungen kann das Trio rasch mit einem erbeuteten Helikopter flüchten. Die Spur führt zu Innenausstatter Carl (Schwarzenegger), der mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn zurückgezogen in Texas lebt. Als Connor Carl sieht, trifft sie um ein Haar der Schlag. Ausgerechnet er ist der T-800, der einst ihren Sohn getötet hat. Carl erklärt, er habe mittlerweile »eine Art Gewissen« entwickelt, da er nach dem Mord an John keine Aufgabe mehr gehabt hat. Aus diesem Grund habe er sich einer schwangeren jungen Frau und deren wenig später geborenem Söhnchen angenommen. Nachdem Connor Carl versichert hat, dass sie ihn nach der Mission, die sie gezwungenermaßen alle gemeinsam bestreiten müssen, vernichten wird, wird aus dem ikonischen Trio »Dani, Grace und Sarah« das Quartett »Dani, Grace, Sarah und Carl«. Die Unschlagbaren Vier ziehen in den Kampf gegen den nach wie vor durch die Länder tobenden und allerlei Unschuldige eliminierenden REV-9. 113 Nun erfährt Dani auch endlich den Grund für dessen computerisierten Zorn auf sie. Sie ist keineswegs so wie einst Connor »nur« die Mutter eines neuen Hoffnungsbringers für die dezimierte Menschheit in der Zukunft, sondern sie wird über sich hinauswachsen und selbst ein solch strahlendes Licht werden. In dieser Eigenschaft wird sie in einigen Jahren ein kleines Mädchen namens Grace vor den Terminatoren retten, das, wenn es mal erwachsen ist … Nun, man kann es sich denken, wenn man diese Inhaltsangabe bis hierhin gelesen hat. Zum guten Schluss kommt alles so, wie es kommen muss: Da man den REV-9 nur mit spezialisierten Sprengwaffen erledigen kann, die Connor recht leicht dank guter Beziehungen zu einem hochrangigen Militäroffizier besorgen kann, gibt es jede Menge Krach, Bums und Dramatik, an deren Ende eine neue (gute?) Zukunft steht …

Wie man so etwas finden kann Der Verfasser dieser Kritik möchte mit den guten Aspekten des Films beginnen. Die zwei wichtigsten heißen Hamilton und Schwarzenegger. Hamilton, nunmehr 63 und schon in ihrer Glanzzeit kein putziges Retortenpüppchen, sondern dem eher herben Frauentyp zugehörig (was einst für ein Poster mit ihrem Konterfei über dem Bett im Jugendzimmer von besagtem Kritiker sorgte), spielt eine ebenso knackig-zynische wie glaubwürdig gealterte, toughe Connor, deren Wirken trotz einiger handlungstechnischer Unlogik unbestritten einer der Höhepunkte von Dark Fate darstellt. Connor spielt ihren sympathisch agierenden 114 Kollegen Schwarzenegger als geläuterten und ebenfalls gealterten Killer-Cyborg zwar mühelos an die Wand, trotzdem zeigt dieser, dass das Leben nicht mit 50plus enden muss, sondern dass auch ein 72-Jähriger, wenn auch mit Unterstützung aus dem Rechner, durchaus noch etwas als knallharter Actionheld taugt. Auch die drei anderen Hauptdarsteller liefern in dem Rahmen, den ein Film wie vorliegender nur für »Oscar«-reife Leistungen bietet, respektable Darstellungen ab. Einzig Luna wirkt schon rein optisch zu zahm für eine emotions- und gewissenlose Killermaschine, wobei man gerade das wiederum als Vorteil werten könnte. Dank der Darsteller, allen voran Hamilton und Schwarzenegger in genau dieser Reihenfolge, erhält Dark Fate vom Autor dieses Artikels unter Zuhilfenahme von äußerstem Wohlwollen eine 4 nach dem Schulnotensystem. Denn sehr viel mehr als die beiden coolen Action-Ikonen und leidlich ordentlich arbeitende Co-Stars hat der Film beim besten Willen nicht zu bieten.

Zu viele Schwächen Auf das Wesentliche heruntergebrochen passt die Handlung des Films auf die nicht bedruckten Ränder eines Bierdeckels. Wozu Cameron dafür gezählte drei Co-Autoren gebraucht hat, erschließt sich nicht ganz, zumal die ohnehin schon minimale Geschichte vor Logikfehlern nur so strotzt. Einer der schwerwiegendsten macht sich in der Sequenz bemerkbar, als Grace mit Connor über die veränderte Zukunft spricht. Skynet, so versichert sie, kenne sie nicht. 115 Nur Legion. Legion hätte diese ganzen mörderischen Missstände bewirkt. Dass Skynet aber aus der unabänderlichen Vergangenheit der 1980er-Jahre stammt und somit zumindest der Vorgänger von Legion sein muss, da alles andere über jedes Maß hinaus absurd wäre, wird geflissentlich übersehen. Ein anderes störendes Detail stellt die Frage dar, warum ein zeitreisender Killerroboter zum treusorgenden Familienvater mit einer Affinität für Gardinen wird, wenn seine Aufgabe erfüllt ist. Wäre ein in Kraft tretender Selbstzerstörungsmechanismus nicht irgendwie logischer? An Action mangelt es Dark Fate in keiner Weise. Von der ersten Minute der Laufzeit an legt er ein gerade atemloses Tempo an den Tag. Dass sowohl die Choreographie als auch die Trickeffekte erstklassig sind, ist über jeden Zweifel erhaben. Bloß: Von Minute zu Minute steigert sich das Gefühl, dass der geneigte Fan zum mittlerweile vierten Mal die gleiche Geschichte erzählt bekommt. Teil 4 der Reihe, der tatsächlich einmal etwas Neues bot, sei an dieser Stelle ausgeklammert. Zwar mit anderen Protagonisten (die jedoch charakterlich den vorherigen geradezu frappierend ähneln), neuen Finessen und auch einem neuen Setting, aber wirkliche Unterschiede zu den Vorgängern gibt es nicht. »Wir haben die Zukunft zum Guten verändert. Nein, haben wir doch nicht. Wir haben sie so verändert, dass sie jetzt unter Umständen noch sehr viel schlimmer wird, als sie es vor den Änderungen der Fall gewesen wäre.« 116 Schade. Einfach nur schade, da sich der Verfasser dieser Kritik, Terminator- und Arnie-Fan der ersten Stunde, seit Monaten auf den Film gefreut hat. Es gäbe so viele Geschichten aus dem Terminator-Universum, die für einen wirklich coolen Film herhalten könnten. Der Kampf der letzten überlebenden Menschen in einem Endzeit-Szenario gegen die Maschinen beispielsweise. Oder Connors verbissene Jagd auf einen mörderischen Cyborg, der in vertauschten Rollen von ihr verfolgt wird. Und, und, und. Was hier stattdessen geboten wird, ist eine krude Mischung aus T2, Terminator 3 und Genisys. Nicht langweilig, nein. Gut gemacht, ja. Aber schon zigmal dagewesen. Nichts Neues. Nicht mal ein bisschen.

Fazit Zwei Dinge zum Abschluss. Erstens: Bisher unterliegt Dark Fate an den Kinokassen nicht nur hierzulande auf ganzer Linie Joaquin Phoenix (Her) als Joker im gleichnamigen Film. Der Stoff in diesem Streifen ist auch ein alter Hut, sogar älter als der aus den Terminator-Filmen. Aber trotzdem mit einer ganz, ganz neuen Nuance. So etwas spricht sich herum. Zweitens: Wenn Cameron ein Machwerk dieser Art als »innovativ« bezeichnet, darf einem vor Avatar Teil 2-? von Herzen gruseln.

117 Streaming-Kritik: Im hohen Gras – Unsichtbarer Horror ist der Beste von Bettina Petrik

© Netflix

Die letzten paar Jahre und Monate waren ein wahres Fest für Fans von Stephen-King-Büchern und deren Adaptionen, und so schafft es auch diesmal wieder eine Rezension von eine von Letzteren in die Filmsektion des Corona Magazine. 118 Neue Adaptions-Welle, alte Probleme Die Werke vom Meister des Horrors erleben auch dank der immer größeren Bedeutung von Streaming-Dienst-Studios eine wahre Renaissance, nachdem viele Filmfans deren Hochzeiten nach Ablauf der 1990er-Jahre eigentlich schon als beendet gesehen haben. Die heutigen technischen Möglichkeiten, um auch das kurioseste Monster und das abgefahrenste Spukhaus auf die Leinwand zu bringen, beflügeln die Filme- und Serienmacher, sich den charakterlastigen Stoffen von King wieder vermehrt anzunehmen; sie in einem für die heutigen Sehgewohnheiten ansprechenderen Rahmen zu präsentieren als die heute optisch doch etwas altbacken wirkenden Filme und Miniserien wie Stephen Kings The Stand – Das letzte Gefecht (1994), Stephen Kings Es (1990), Thinner – Der Fluch (1996) und Carrie – Des Satans jüngste Tochter (1976), auch wenn diese gerade bei Horrorfans immer noch Kultstatus genießen. Der auch politisch sehr aktive und nie mit seiner Meinung hinter den Berg haltende King selbst betreibt auf seinen Social-Media-Kanälen pflichtschuldigst das entsprechende positive Marketing für die Adaptionen der letzten Jahre und zeigt sich im Allgemeinen recht angetan davon, was in der Vergangenheit auch nicht immer der Fall war. Filmhistoriker werden sich noch recht gut an den geradezu legendären Hass erinnern, den der Autor der Adaption von Shining (1980) gegenüber hegt, während er mit der diesjährigen Fortsetzung Doctor Sleeps Erwachen nun seinen Frieden geschlossen zu haben scheint. 119 Nun muss allerdings das Wohlwollen des Autors der ursprünglichen Fiktion nicht immer ein Qualitätsmerkmal darstellen, selbst wenn es sich um einen so großartigen Geschichtenerzähler wie King handelt. Die Erzählweise in Büchern unterscheidet sich nun einmal grundlegend von der in Filmen und Serien. Einfach ausgedrückt, und das mit aller Liebe zu den entsprechenden Werken in Romanform: Hätte man die Der Herr der Ringe-Filme Anfang der 2000er-Jahre so verfilmt, wie J. R. R. Tolkien einst den Stoff geschrieben hat, wäre diese am Ende vermutlich höchstens im ARTE-Nachtprogramm gelaufen. Und zwar mit Recht. Bei Kings Werken trifft das nicht eher zu, vor allem deren Auflösungen sind notorisch bildhaft äußerst schwierig umzusetzen und reißen selbst bei den besseren Adaptionen oft den Zuschauer mit einer einzigen Szene komplett aus allem Grusel. Wenn es in dem in der letzten Corona Magazine-Ausgabe besprochenen zweiten Teil Es Kapitel 2 zu einem Running Gag wird, dass die Leute die Bücher von einem der Hauptcharaktere lieben, aber deren Ende notorisch mies finden, darf man das wohl durchaus als selbstironischen kleinen Seitenhieb verstehen. Und auch die Enthüllung von der endgültigen visuellen Form des Monsters in dieser Neuversion von Es hinterlässt beim Filmgenuss einen deutlichen Schauder, der allerdings eher am Fremdschäm-Faktor als am Horror liegt. Kings Monster sind am besten, wenn sie subtil und unsichtbar bleiben, vor allem, weil die wahren und am meisten beängstigenden Gegenspieler in seinen Werken ohnehin meistens die Abgründe der Menschen selbst sind. 120 Und so krankt auch die vor kurzem auf Netflix veröffentlichte Adaption Im hohen Gras wieder an hinteren Teil, wenn auch diesmal weniger an schlechten CGI-Effekten. Die Verbildlichung einer Urangst

Dabei startet auch Im hohen Gras mit einer durchaus faszinierenden Prämisse. Der Autor und Regisseur Vincenzo Natali (Westworld) sprechen mit der Thematik, wie es auch viele andere King-Werke tun, geschickt eine der kindlichen Urängste des Zusehers an: nämlich die, verlorenzugehen, von einer Gruppe getrennt zu werden, in einem gefährlichen Umfeld ohne jede Hilfe von außen, und nie wieder zurückzufinden. In diesem Fall sind es Becky DeMuth (Laysla De Oliveira) und ihr Bruder Cal DeMuth (Avery Whitted), die eine Fahrt quer übers Land mitten im gottverlassenen Kansas unterbrechen, als sie die Hilferufe des kleinen Tobin Humbolt (Will Buie Jr.) aus einem Feld am Straßenrand vernehmen, das mit meterhohem Gras überwachsen ist. Obwohl die dichte Bepflanzung bis hoch über ihren Köpfen es kaum zulässt, irgendetwas zu erkennen, stürzt sich Cal mutig in das Feld, um den Jungen zu finden, der sich dort verlaufen hat. Als er schon Sekunden später nicht mehr auf Beckys Rufe antwortet, folgt diese ihm, nur um selbst augenblicklich verloren gehen. Die Geschwister können sich, Tobin und dessen Eltern, die ebenfalls in dem Dschungel-Labyrinth verloren sind, zwar zeitweise immer noch hören oder laufen ihnen sogar über den Weg, bevor man sich wieder verliert. Doch schnell 121 müssen sie feststellen, dass das Feld sie mittels übernatürlicher Kräfte scheinbar unentwegt an andere Positionen bewegt, sodass sie einander nicht mehr finden können. Nur tote Dinge bewegt das Gras nicht, wie die Geschwister bald feststellen müssen, sodass nach vielen langen Stunden der Panik und wachsenden Angst vor allem um die hochschwangere Becky sie mit der Hilfe von toten Krähen und einem bestialisch ermordeten Hund des kleinen Jungen schließlich wieder zusammentreffen. Hier ist das Rätsel allerdings noch nicht zu Ende. Kurz zuvor wird Becky von einer dämonischen Gestalt aus dem Gras ermordet und steht dann doch wieder quicklebendig vor ihrem Bruder. Beckys Ex-Freund Travis McKean (Harrison Gilbertson), der den beiden Verschwundenen besorgt nachgekommen ist, trifft ebenfalls auf Tobin, nachdem er in die gleiche Falle gelaufen ist, nur dass dieser behauptet, ihn bereits zu kennen. Tobins Vater Ross Humboldt (Patrick Wilson) scheint völlig den Verstand verloren zu haben, nachdem er einen geheimnisvollen riesigen Monolithen in der Mitte des Felds berührt hat. Er tötet seine Frau und kurz darauf auch die nächste Version von Becky, scheinbar besessen von dämonischen Präsenzen. Erst nach und nach entdecken alle Beteiligten, dass sie in einer Art Zeitschleife gefangen sein zu scheinen, deren genaue Chronologie jedoch bis zum Ende vom Film völlig unklar bleibt, da Tobin selbst und seine Eltern ursprünglich den Hilferufen von dem doch erst als letzten dazugekommenen McKean ins Feld gefolgt sind. Sicher ist nur, dass es scheinbar kein Entrinnen aus der Falle gibt. 122 Viel zu kompliziert und doch nicht schlüssig Im hohen Gras bringt für Horror-Fans des Übernatürlichen wie die Autorin dieses Artikels eigentlich einiges Interessantes mit. Nicht nur dass einmal mehr Patrick Wilson (Conjuring-Filme) als Ross Humboldt brilliert, der aus dem Horror-Genre inzwischen gar nicht mehr wegzudenken ist. Die Grundhandlung erinnert auch ein wenig an Blair Witch Project (1999), nur dass die Charaktere in bester King-Manier um einiges besser ausgearbeitet sind. So möchte man eigentlich schon bevor die Geschwister überhaupt verloren gehen, mehr über sie erfahren, da der Autor einmal mehr sein altbekanntes Thema von Inzest und sexuell frustrierten jungen Männern aufnimmt. Der in seinem überbesorgten, übergriffigen und später auch gewalttätigen Verhalten, vor allem, was Beckys Beziehung angeht, typische King-Charakter ist – leider – um einiges interessanter gestaltet als der zwar einmal mehr brillant gespielte aber äußerst blass und uninteressant gezeichnete Vater von Tobin. Die Motive der (außerirdischen?) Dämonen, die von diesem Besitz ergriffen haben, bleiben schwammig. Eine andere Funktion, als zu töten und den Zuschauer mit immer weiteren Bildern von Blut und sogar Kannibalismus zu verstören, hat der Charakter nicht. Auch Tobins Mutter Natalie Humboldt (Rachel Wilson) könnte man aus der Geschichte schreiben, ohne dass es auffällt. Dazu kommt die im Laufe des Films immer verworrenere Geschichte, die auch nicht nur den einfachsten physikalischen Grundregeln und, was bei Phantastik noch 123 viel schlimmer ist, nicht mal ihren eigenen folgt. King ist eigentlich ein Meister darin, einem das Unglaubliche glaubhaft zu machen, eben weil er sich in seinen eigenen Welten an die darin vorgegebenen Dimensionen hält. Im hohen Gras ist am Ende einfach nur frustrierend, weil man keine Ahnung hat, wie genau sich diese ganze Sache da nun eigentlich aufgelöst hat, was mit dem Feld weiter passiert, ob das heldenhafte Opfer von Travis auch nur irgendeine Bedeutung hat oder ob irgendwo noch ein Dutzend weitere Versionen von ihm herumlaufen, von denen eine vielleicht bald von Becky gerettet wird, bevor sie überhaupt das Feld betreten kann. Es ist ein offenes Ende, das die Fantasie nicht anregt, weil sie nicht zumindest auch nur eine vage vorgegebene Welt hat, an der sie sich orientieren kann. Und nicht einmal die schale Befriedigung einer ordentlichen Ohrfeige, die sich Cal mehr als verdient hat, bekommt man geboten.

Fazit Im hohen Gras beginnt großartig, mit einer vor allem durch das reduzierte Setting, schaurige Musik und schon vor Beginn der Katastrophe völlig kaputten Hauptcharaktere gezeichneten steigenden Angst und Verzweiflung, in der Fremde verloren zu gehen. Blasse Nebenfiguren, einmal mehr wenig beeindruckende Monster und vor allem die klaffenden Logiklöcher machen es aber ab Mitte des Films immer schwerer, ihm noch interessiert zu folgen.

Im hohen Gras 124 Mit: Laysla De Oliveira, Avery Whitted, Patrick Wilson Regie: Vincenzo Natali Länge: 101 Minuten Verleih: Netflix

Serienkritik: Another Life – Science-Fiction-Serie mit Battlestar Galactica-Star von Peter R. Krüger

»Cogito, ergo, sum« – »Ich denke, also bin ich« Dieses Zitat des Philosophen René Descartes wird in der Science-Fiction gerne auf verschiedene Arten interpretiert. Auch die Serie Another Life spielt mit der Aussage und lässt sogar eine holographische KI die Weisheit von sich geben.

125 © Netflix

Neues Streaming-Highlight Another Life ist seit einigen Wochen auf Netflix zu sehen und zeigt vor allem, dass man mit einigen guten Ideen, mancher Anlehnung an andere Genregrößen und einer 126 geschickten Kombinationsgabe etwas frischen Wind im Genre wehen lassen könnte. Und ja, in diesem Satz ist leider auch schon ein Konjunktiv enthalten, auf den etwas später in diesem Text noch eingegangen werden wird. Erst einmal zum Positiven. Zu Beginn der Serie wird der Zuseher Zeuge eines Anflugs von Außerirdischen auf die Erde, die ein sogenanntes Artefakt dort hinterlassen. Zunächst ist völlig unklar, worum es sich hierbei handelt und zu welchen Zweck das Objekt platziert worden ist, das wie ein riesiger Kristallturm anmutet. Selbstredend wird das Ding eingehend untersucht. Als man feststellt, dass es mit einem fernen Planeten kommuniziert, schickt die Menschheit ein Raumschiff los, um der Sache auf den Grund zu gehen. In zehn Folgen werden sodann verschiedene Handlungsstränge verfolgt, die die Geschichte weiter erzählen und recht oft mit Hilfe von fiesen Cliffhangern dazu verleiten, die nächste Episode sehen zu wollen.

Was funktioniert Der Serie muss man einiges Potential zuschreiben, denn auch, wenn man sich an manchen Stellen an andere Filme oder Serien aus dem Phantastik-Genre erinnert fühlt, entsteht eigentlich nie der Eindruck vom einfachen Kopieren guter Ideen, sondern vielmehr das Einbeziehen selbiger in eine eigenständige Erzählung. So ist die Reise des Raumschiffs The Salvare zum Planeten Pi Canis Majoris eine durchaus abenteuerliche, während der man die einzelnen Charaktere näher kennenlernt. 127 Unterdessen wird auf der Erde selbstverständlich weiter das fremde Artefakt untersucht, um herauszufinden, was wohl die unbekannte außerirdische Macht mit diesem Ding bezwecken will. Das Ganze ist optisch sehr ansprechend umgesetzt und funktioniert auch auf der menschlichen Ebene meist gut. Manchen Charakter kann man schnell ins Herz schließen, andere sind einfach nur nervig, wie das eben oft so in Fiktionen ist. Und doch leidet man selbst mit den nervigen Charakteren mit, sobald ihnen etwas zu-stößt. Man kann sich schon von vornherein vorstellen, dass die Reise des Raumschiffs nicht ohne Komplikationen verläuft, doch ist es Aufgabe der Crew, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Das gelingt aufgrund der sehr eigenwilligen Persönlichkeiten der Mitglieder leider oft nur mäßig.

Was nicht funktioniert Und da kommt der Rezensent auch schon zu den Schwächen der Serie. Ja, Another Life hat Potential, doch leider verschenkt die Serie viel davon. Persönliche Konflikte werden eigentlich zuerst noch ganz gut ausgearbeitet, dann aber recht schnell wieder fallen gelassen. Durch das Artefakt auf der Erde wird (endlich einmal, im Gegensatz zu anderen Fiktionen dieser Art) der Eindruck vermittelt, dass hier eine intelligente fremde Rasse an den Menschen interessiert ist, doch stellt sich im Laufe der Serie heraus, dass diese wohl doch in die gleiche Schublade zu stecken ist wie alle anderen Außerirdischen, die die Menschen 128 üblicherweise einfach nur töten wollen (warum eigentlich?). Obwohl es durchaus den Hoffnungsschimmer gibt, dass sich hier noch etwas wirklich Tolles entwickeln könnte. Das wird man aber erst anhand von einer weiteren Staffel beurteilen können, die inzwischen von Netflix auch angekündigt wurde.

Zu unausgegoren Sehenswert ist diese erste Staffel der Serie allemal, weil sie einfach gut in Szene gesetzt wurde und von einer bockstarken Katee Sackhoff als Niko Breckinridge lebt, die man so gut zuletzt in der beliebten Reihe Battlestar Galactica (2004-2009) gesehen hat. Doch leider wurde so manche guten Idee zu schnell wieder fallengelassen, was im Endergebnis unrund wirkt und den Zuschauer mit dem Wunsch zurücklässt, die Produzenten hätten der Serie lieber noch drei Folgen mehr spendiert, damit mehr Platz gewesen wäre, um so manchen Handlungsstrang befriedigend aufzulösen. Das wird beispielsweise schon zu Beginn der Staffel deutlich, als sich eine Meuterei anbahnt und Captain Breckenridge in den Tiefschlaf versetzt, kurz darauf aber wieder geweckt wird, um den Manövrierfehler der Meuterer auszubaden. Wäre mehr Zeit geblieben, um der Handlung Platz zu geben, sich zu entwickeln, würde sich Another Life sicher aus dem etwas besseren Mittelmaß der Science-Fiction-Serien hervorheben und sich auf so mancher Favoritenliste einen guten Platz sichern können.

129 So bleibt erst einmal nur festzuhalten, dass man sich die Serie durchaus ansehen kann, weil sie Potential hat, das sie hoffentlich in der nächsten Staffel auch zu nutzen wissen wird.

Perlentaucher: Taken – Familiengeschichte im Alien-Style von Thorsten Walch

Es gab einmal eine Zeit, als man Miniserien gemeinhin als TV-Mehrteiler bezeichnete. Solche feierten insbesondere in Deutschland in der Vergangenheit große Erfolge. Viele Jahre war es etwa ausgesprochene Tradition beim ZDF, dass in der Vorweihnachtszeit die sogenannten »Advents-Vierteiler« zu sehen waren, bei denen es sich zumeist um auf ein junges Publikum zugeschnittene klassische Abenteuergeschichten (Zwei Jahre Ferien) oder Adaptionen berühmter literarischer Klassiker (Die Abenteuer des David Balfour) handelte. Später war dann nicht mehr nur der Advent der bevorzugte Ausstrahlungszeitpunkt. Mehrteiler wie das berühmte Südstaaten-Drama Fackeln im Sturm (1985, 1986 und 1994) wurden auch zu anderen Zeiten gezeigt. Nicht wenige dieser Mehrteiler erwiesen sich hierzulande wie erwähnt als ausgesprochene Straßenfeger, wie man das Erfolgs-Fernsehen bis in die 1990er-Jahre hinein noch hier und da nannte. Das phantastische Genre allerdings war in Sachen TV-Mehrteiler erst relativ spät vertreten. Einer der

130 allerersten populären Science-Fiction-Mehrteiler war die Serie V – Die außerirdischen Besucher kommen (1984–1985), die in Form von Video-Verleihkassetten hierzulande große Bekanntheit erlangte (darüber war in einer der letzten Ausgaben des Corona Magazine bereits viel zu lesen), eine andere Der Schatz im All (1986-1987), in der man die berühmte Geschichte von der Schatzinsel in eine dystopische Zukunft verlegte.

© NBC

Spielberg und die UFOs Die große Zeit der Event-Mehrteiler war allerdings bereits vorbei, als der einst als »Hollywoods Wunderkind« bezeichnete Regisseur und Produzent Steven Spielberg (E.T. – Der Außerirdische) Anfang der 2000er-Jahre Interesse daran bekundete, eine aufwändige phantastische Miniserie auf den Markt zu bringen. Auch verwunderlich, weil sich Meister Spielberg bereits zweimal bei dem Versuch, in das

131 TV-Business einzusteigen, gehörig die Finger verbrannt hatte. Die von seiner Firma Amblin Entertainment produzierten Fernsehserien SeaQuest (1993-1995) sowie Earth 2 (1994-1995) hatten zwar beide vielversprechend begonnen, sich im Nachhinein jedoch als ausgesprochene Flops erwiesen, an die er sicherlich nicht allzu gern zurückdachte. Doch aller guten Dinge sind nun einmal drei, mochte sich Spielberg gedacht haben, so machte er sich an die Umsetzung einer neuen (Mini-)Serie mit dem schlichten Titel Taken. Die Themen UFOs und Außerirdische übten von jeher eine große Faszination auf Spielberg aus. Sein Film Unheimliche Begegnung der dritten Art von 1977 war sein zweiter großer Hit nach seinem Durchbruch mit Der weiße Hai (1975) gewesen; E.T. wurde gar der seinerzeit erfolgreichste Film aller Zeiten und gilt noch immer als moderner Klassiker. Obwohl sich Spielberg in seinem weiteren filmischen Schaffen zunehmend wesentlich ernsteren Stoffen widmete, unternahm er immer wieder einmal Ausflüge in die Welt der Aliens, indem er beispielsweise die warmherzige Komödie Das Wunder in der 8. Straße (1987) produzierte, in der ebenfalls UFOs eine zentrale Rolle spielten. Übrigens ist bis heute nicht bekannt, wie Spielberg persönlich über das Thema denkt, ob er etwa Geschichten über die Sichtung von angeblichen außerirdischen Raumfahrzeugen auf der Erde für wahr hält.

132 In Spielbergs neuer Reihe sollte es jedenfalls ebenfalls um UFOs gehen, allerdings eingebettet in eine epische Familiengeschichte, mit allem, was dazugehörte. Ausgestrahlt werden sollte Taken von dem amerikanischen Kabelfernsehsender Sci-Fi Channel. Der hatte sich nach seiner Gründung 1992 und der anfänglichen Ausstrahlung von Wiederholungen von allen möglichen phantastischen Filmen und Serien zum wichtigsten Spartenkanal für die Nerd-Szene auch außerhalb der USA gemausert. Die Verantwortlichen dort hatten gar die Produktion von damaligen Hit-Shows wie Stargate: Kommando SG-1 (1997-2007) und deren Nachfolgeserien oder ab der vierten Staffel die von – Das Tor in eine fremde Dimension (1998-2000) übernommen. Der Kanal (der 2009 in Syfy umbenannt wurde) stand damals kurz vor seinem 10. Geburtstag, der auf besondere Weise begangen werden sollte. Da kamen Spielbergs neuerliche TV-Pläne gerade recht.

Big-Budget-Produktion Taken, im Original auch oft Steven Spielberg Presents Taken genannt, da man sich die Vermarktung mit Hilfe eines so großen involvierten Namens nicht entgehen lassen wollte, erhielt ein Budget von satten 40 Millionen US-Dollar, was damals durchaus den Kosten für einen ansehnlichen Kinofilm entsprach. Obwohl man bereits im Vorfeld mit Spielbergs Namen warb, wurde die Handlung von Drehbuchautor Leslie Bohem entworfen, der zuvor die Katastrophenfilme Daylight (1996) sowie Dante’s Peak 133 (1997) geschrieben hatte. Allerdings arbeitete Bohem eng mit Spielberg zusammen. Da Spielberg in dieser Reihe angeblich »wahre« UFO-Begebenheiten in die Rahmenhandlung integrieren wollte, engagierte er ein Team von Beratern, das aus Technikern, Chirurgen, Historikern und auch Militär-Experten bestand. Diese Leute waren allesamt auf die eine oder andere Weise in die Untersuchung von solchen Begebenheiten involviert. Was die Trickeffekte anging, ließ sich Spielberg ebenfalls nicht lumpen: James Lima, der zuvor unter anderem an Starship Troopers (1997) und Spider-Man (2002) gearbeitet hatte, sollte für die visuellen Effekte verantwortlich zeichnen, während Chris Gorak (u. a. Blade: Trinity) das Produktionsdesign übernahm. Die jeweiligen Teams mitgezählt ergab dies 16 Personen, denen allein die optische Umsetzung der Reihe obliegen sollte; für eine Fernsehserie ein beträchtlicher Aufwand. Für die Regie bei den einzelnen Folgen verpflichtete Spielberg namhafte Leute wie Tobe Hooper, mit dem er bereits 1982 im Zuge des Kult-Klassikers Poltergeist erfolgreich zusammengearbeitet hatte, sowie den damaligen Newcomer John Fawcett, der zwischen 2000 und 2004 die Ginger Snaps-Trilogie inszenierte. Was die Schauspieler anging, wollte man hingegen auf ganz große, aus dem Kino bekannte Namen verzichten und griff stattdessen auf bekannte TV-Gesichter zurück. Einzig Heather Donahue, die die Rolle der verschlagenen Mary Crawford erhielt, kannte ein Teil des Fernsehpublikums aus 134 der Horror-Mockumentary Blair Witch Project (1999). Die anderen Hauptrollen gingen unter anderem an Joel Gretsch, der später in Serien wie dem Remake V – Die Besucher (2009-2011) zu sehen sein sollte (und mit der Tochter von »Captain Kirk« William Shatner, Melanie Shatner, verheiratet ist), an Emily Bergl (Star Wars: The Old Republic) und an Julie Benz (Buffy: Im Bann der Dämonen). Wie auch bei seinen Filmen zeigte Spielberg weiter ein besonderes Händchen bei den Kinderdarstellern. Die damals achtjährige Dakota Fanning, die zu diesem Zeitpunkt bereits in Serien wie Emergency Room: Die Notaufnahme (2000) zu sehen gewesen war, startete dank ihrer Rolle als geheimnisvolle Allie Keys ihre Karriere. So arbeitete sie 2005 erneut mit Spielberg in dessen Remake von Krieg der Welten zusammen und war im gleichen Jahr im Psychothriller Hide and Seek – Du kannst dich nicht verstecken zu sehen. Der damals 12-jährige Anton Yelchin spielte hingegen in zwei Folgen den ebenfalls ziemlich mysteriösen Jacob Clarke. Er wurde später u. a. als neuer »Chekov«-Darsteller in den von vielen Fans als »New Trek« bezeichneten Star Trek-Reboots von 2009, 2013 und 2016 bekannt. Unglücklicherweise verstarb der vielversprechende Jungschauspieler im Sommer 2016 kurz nach den Dreharbeiten zu Star Trek Beyond an den Folgen eines schweren Autounfalls.

Die Serie Taken spielt auf mehreren verschiedenen Handlungsebenen, in die stets besagte, angeblich 135 authentische UFO-Fälle eingebettet sind. Die Handlung setzt während einer Luftschlacht über Frankreich während des Zweiten Weltkrieges an. Der amerikanische Pilot Russell Keys (Steve Burton) wird in einem Gefecht abgeschossen und von Lichterscheinungen vor dem sicheren Tod bewahrt, die er zunächst für Schutzengel hält. Erst nach seiner Rettung erfährt er von dem geheimnisvollen Phänomen der »Foo-Fighter«, die offenbar insbesondere in Luftschlachten das Leben von bedrohten Piloten retten und hinter vorgehaltener Hand für Außerirdische gehalten werden. Keys kann in die USA zurückkehren und wird bald darauf Vater des kleinen Jesse (James Kirk). Doch das Familienglück wird erheblich von der Tatsache getrübt, dass Keys seit der Begegnung in Frankreich immer wieder nachts von Außerirdischen entführt wird, wovon lediglich er selbst etwas mitbekommt. In Roswell unterdessen ist es auf dem Wüstengebiet einer Farm zu einem geheimnisvollen Absturz gekommen, der von dem energischen Captain Owen Crawford (Gretsch) untersucht wird. Crawford kann ein UFO-Wrack sichern, dessen Funktionsweise der US-Army jedoch schleierhaft bleibt. Derweil taucht ein schwerverletzter fremder Mann bei der Farmersfrau Sally Clarke (Catherine Dent) auf, die ihn gesundpflegt. Die unglücklich Verheiratete hat eine kurze aber leidenschaftliche Affäre mit dem Fremden, der von der Regierung gejagt und kurz vor seiner Verhaftung von einem Raumschiff an Bord genommen wird. Sally hingegen wird Mutter des kleinen Jacob, der über außergewöhnliche Kräfte verfügt. 136 Crawford hat mittlerweile herausgefunden, dass das UFO nur mittels außerirdischer PSI-Energie zum Leben erweckt und gesteuert werden kann. Er sucht den Kontakt zu Sally und Jacob und versucht, den Jungen dazu zu bringen, für ihn zu arbeiten, doch Jacob kann den Captain mittels seiner Kräfte abwehren und zusammen mit seinen Geschwistern an einen sicheren Zufluchtsort entkommen. Keys muss derweil mit Entsetzen erkennen, dass Jesse genau wie er immer wieder von UFOs entführt wird, und der in Bedrängnis geratene Crawford kann die beiden ausfindig machen. Bei einer Untersuchung entdecken Regierungswissenschaftler Implantate in den Köpfen der beiden, die offenbar ein Eigenleben führen. Beim Versuch, das Implantat aus Keys‘ Kopf zu entfernen, finden dieser und auch die Wissenschaftler den Tod, während sein Sohn Jesse von den Außerirdischen gerettet wird und untertauchen kann. Auf schicksalhafte Weise begegnen die Angehörigen der Familien Crawford, Keys und Clarke einander immer wieder, und stets ist der undurchschaubare Einfluss außerirdischer Mächte im Spiel, von denen die US-Regierung offensichtlich eine recht genaue Kenntnis hat. Erst die kleine Allie, die Ur-Enkelin von Keys, kann Licht in die Mysterien rund um die Außerirdischen bringen, die die Erde offensichtlich bereits seit der Frühzeit heimsuchen.

Ein Serien-Hit Die Ausstrahlung der zehn eineinhalbstündigen Folgen von Taken startete pünktlich zum Beginn der 137 Vorweihnachtszeit am 02.12.2002 beim Sci-Fi Channel. Obwohl die Thematik seinerzeit eigentlich nichts Neues bot (schließlich war Akte X: Die unheimlichen Fälle des FBI gerade erst nach sagenhaften neun Staffeln abgeschlossen worden), waren die Einschaltquoten der Serie zufriedenstellend, wenngleich der ganz große Erfolg à la Fackeln im Sturm ausblieb. Dem stand allein die begrenzte Reichweite des Pay-TV-Senders im Vergleich zum frei empfangbaren Fernsehen entgegen. Doch für den Kanal war Taken ein ziemlich großer Wurf. Der Erfolg der Serie war sicherlich auch darin begründet, dass es sich sozusagen um die Seifenoper-Variante des Großbereichs »Unheimliche Phänomene« handelte. Dank der glänzenden Hintergrundrecherche eignete sie sich aber auch durchaus als Unterhaltung für Leute, die sich mit dergleichen Dingen befassten, während sich das restliche Publikum an einer mitreißenden Familiengeschichte im Zeichen des UFO-Phänomens erfreuen konnte. Obwohl der Sci-Fi Channel seit dem 01.09.2003 auch eine deutsche Niederlassung im Kabelnetz besessen hatte, war Taken dort erst einmal nicht zu sehen. Erst zweieinhalb Jahre nach der US-Premiere lief die Serie erstmals bei ProSieben, ab dem 13.06.2005. Nerds und Geeks, die sich wirklich für sie interessierten, hatten sie zu diesem Zeitpunkt vermutlich längst in Form von britischen Import-DVDs erstanden, die bald nach der Ausstrahlung beim UK-Sci-Fi Channel erschienen.

Kritik 138 Taken, für die hiesige TV- und auch DVD-Veröffentlichung mit dem Zusatz Entführt versehen, ist bereits seit 2011 auf Scheibe erhältlich und für mitunter erstaunlich kleines Geld zu bekommen. Außerdem kann man die Serie im Angebot des Streaming-Dienstes Prime Video begutachten. Für eine mittlerweile fast 20 Jahre alte Serie ist sie ziemlich gut gealtert, sowohl vom Erzählstil als auch den Trickeffekten her. Mystery-Fans werden allerdings möglicherweise hier und da ihre Probleme mit dem gelegentlich etwas schwülstigen Familienserien-Pathos haben. Davon abgesehen bietet die Serie solide und ansprechende Unterhaltung für Zuschauer, die reduzierte Action in einer Geschichte bevorzugen, in der es eher »menschelt«. Es gibt Serien, die nach einem einmaligen unterhaltsamen Ansehen kein weiteres Mal über die heimischen Bildschirme flimmern müssen. Das trifft auf Taken zumindest beim Verfasser dieses Perlentaucher-Artikels nicht zu: Alle paar Jahre findet die DVD ihren Weg in den Player, um erneut für hier und da sicherlich übertriebenes, aber oft Gänsehaut erzeugendes Staunen zu sorgen.

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140 BluRay-Kritik: The Dark – Angst ist deine einzige Hoffnung – Horror, Drama, Arthouse, oder nichts davon? von Reinhard Prahl

Es war so finster… Als der Mörder und Kindesentführer Josef Hofer mit seinem Opfer Alex in einem einsamen Waldstück namens Devil‘ s Den kampiert, ahnt er nicht, dass der Name nicht nur nervige Touristen abschrecken soll. Vielmehr häufen sich seit einigen Jahren die Berichte über verschwundene Wanderer, deren Leichen man entweder gar nicht, oder zerfetzt und zerstückelt entdeckt haben soll. Der Aufenthalt in einem verfallenen Haus wird Hofer schließlich zum Verhängnis, denn ein hungriges Zombie-Mädchen treibt dort ihr Unwesen und hat es auf frisches Menschenfleisch abgesehen. Nach einer kurzen Jagd endet der Killer mit einer Axt im Schädel. Die Mahlzeit der Untoten wird jedoch gestört, denn im Kofferraum des geparkten Enterführerwagens kauert ein blinder Junge. Plötzlich überkommt Mina, die einst selbst brutal ermordet worden war, ein Gefühl, das sie lange nicht mehr gespürt hat. Sie empfindet Mitleid und sogar Sympathie für den ungefähr Gleichaltrigen. Zwischen beiden entwickelt sich eine Freundschaft, die aber bald auf eine harte Probe gestellt 141 werden wird. Gewinnt Mina ihre Menschlichkeit zurück, oder verliert Alex die seine?

© Studio Hamburg Enterprises GmbH

Schlecht gewählt ist gut verwirrt Was zum Zombie hat sich der österreichische Autor und Regisseur Justin P. Lange nur bei diesem Titel gedacht? Der schreit nämlich geradezu nach einem hohen Schock- und

142 Splatterfaktor. Kein Wunder also, wenn sich viele Zuschauer auf einen klassischen Zombiefilm freuen und sich dann darüber wundern, wenn sie im Grunde einen Lite-Mix aus Die Schöne und das Biest und Frankenstein serviert bekommen. Im Fokus stehen nicht die sparsam verwendeten Gore-Effekte, oder die wenig hochwertige Maske von Jungtalent Nadia Alexander (Instinct), sondern die Rückkehr zur Menschlichkeit eines Teenagers, dem man jedes Vertrauen in die Menschlichkeit und letztlich sogar das Leben geraubt hat. Insofern ist der seichte Horror vielleicht eher als Metapher zu verstehen, die sich mit Fortschreiten des Films in der Rückverwandlung vom Zombie zurück in ein lebendiges Wesen ausdrückt.

Effekthascherei? Fehlanzeige Das gemächliche Erzähltempo ist da nur eine logische Herangehensweise, die es dem Regisseur ermöglicht, mittels Rückblenden das Schicksal seiner Hauptfigur Mina zu erzählen. Schade ist sicherlich, dass dem zweiten Protagonisten, Alex (Toby Nichols), weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wir wissen zwar, dass er seiner Mutter entrissen und geblendet wurde, wesentlich mehr verrät uns die Geschichte aber nicht. Diese Inkonsequenz ist der Grund dafür, dass einige Kritiker den Film regelrecht verrissen haben. Natürlich ist es schade, dass Lange das Innerste zweier gequälter Kinderseelen, von der eine selbst zum Monster wurde, nicht eingehender erforscht. Die Chance, noch tiefer in ihr Seelenleben einzutauchen, wurde zugunsten einiger Splatterelemente aufgegeben. Übersehen 143 wird dabei allerdings möglichweise, dass diese nicht grund- und sinnlos, oder pure Effekthascherei sind. Tötet das ungewöhnliche Zombiegirl zunächst aus Hass, wird daraus später purer Überlebensinstinkt und letztlich der Wunsch, Alex zu beschützen, der ihr aufgrund seiner Blindheit als einziger vorurteilsfrei menschliche Wärme spenden kann. Der Junge erwidert Minas Gefühle wiederum damit, eine potentielle Gefahr für sie ins Jenseits zu befördern.

Fazit Wer also auf der einen Seite einen ausgewachsenen Hardcore-Horrorfilm, oder auf der anderen eine intensive psychologische Studie erwartet, wird in beide Richtungen wahrscheinlich enttäuscht werden. Wenn man sich aber auf Langes Art, zu erzählen, einlassen kann und seinen Film als eine Art Genre-Experiment versteht, stößt man auf ein gar nicht mal uninteressantes Werk, dass vielleicht keine wirklich neuen Ideen bietet, aber mit seiner unaufgeregten Erzählweise und einem leisen, künstlerischen Soundtrack eine tolle Atmosphäre erzeugt. Das macht The Dark – Angst ist deine einzige Hoffnung weder zu einem Meisterwerk des Horror-, Drama- oder sogar Arthouse-Films, aber eben zu einem interessanten Versuch, die drei Genres zu verbinden. Und warum eigentlich nicht? Wer Neues will, muss schließlich etwas wagen. Nein, perfekt ist The Dark also nicht, aber durchaus sehenswert. Die Blu Ray wird von Studio Hamburg Enterprises vertrieben und für 11,49€ angeboten. 2 Euro weniger für die 95 Minuten lange, österreichische Produktion hätten es wohl auch getan, 144 zumal die Box, abgesehen von einem Wendecover, keinerlei Extras enthält.

Perlentaucher: Grenzfälle – Es geschah übermorgen: Die Abenteuer des B.I.P.S von Reinhard Prahl

In den 1970er-Jahren des 20. Jahrhunderts bekommt es die französische Geheimorganisation B.I.P.S (Bureau International de Prevention Scientifique) immer wieder mit Mysterien zu tun, die den technologischen und wissenschaftlichen Stand der Zeit in ihren Eigenheiten weit zu übertreffen scheinen. Egal ob die Börse zu kollabieren droht, berühmte Wissenschaftler spurlos verschwinden oder Menschen plötzlich und grundlos nicht mehr sie selbst zu sein scheinen: Immer scheinen die mit den Vorfällen verbundenen Rätsel unlösbar. Doch Courtenay-Gabor (Jean-François Rémi), Chef der B.I.P.S und seine besten Agenten, Yan Thomas (Pierre Vaneck) und Barbara Andersen (Elga Andersen), lassen nicht locker. Ein ums andere Mal stoßen sie auf habgierige und hochintelligente Verbrecher, die ihr Wissen dazu missbrauchen, ganze Regierungen und sogar die UNO zu erpressen. Nur mit Mut, Geduld und einem ausgeprägten naturwissenschaftlichen Hintergrundwissen kann es gelingen, die Gegner von Recht und Gesetz dingfest zu 145 machen. Denn so manche von den Gangstern entwickelte Technologie mutet geradezu unglaublich an.

© Pidax film media Ltd. (Alive)

146 Die erste Hochzeit von Mystery Wer glaubt, dass die erste wahre Hochzeit von Mystery- und Science-Fiction-Serien in den 1990er-Jahren stattfand, wird an dieser Stelle vielleicht überrascht sein. Bereits zwischen dem Ende der 1960er- und der Mitte der 1970er Jahre zeigte sich man sich auch in Deutschland im Fernsehen von einer ungewöhnlich mutigen Seite. Während die in der vorletzten Ausgabe vorgestellte japanische Vorabendserie S.R.I. und die unheimlichen Fälle (1968–1969) wegen ihrer Brutalität auf massive Proteste beim deutschen Publikum stieß, waren die Akte X-Urväter Alpha Alpha (1972) und die deutsch-französische Koproduktion Grenzfälle – Es geschah übermorgen (im Original genannt Aux frontières du possible, was wörtlich übersetzt so viel bedeutet wie »An den Grenzen des Möglichen«) weniger schockierend angelegt. Das bedeutet im Umkehrschluss allerdings keinesfalls, dass die Geschichten rund um das I.I.S.W. (Internationales Institut zum Schutz der Wissenschaften), wie man das B.I.P.S treffenderweise übersetzte, weniger spannend gewesen wären. Der immer wieder gezogene Vergleich mit der Grand Dame der Mystery, die die Namen Mulder (David Duchovny) und Scully (Gillian Anderson) unvergesslich ins Fan-Gedächtnis brannte, erscheint auf dem ersten Blick vielleicht etwas weit hergeholt. Monster, Mutanten und Aliens sucht man bei Grenzfälle nämlich genauso vergebens wie eine ultrageheime Geheimorganisation, die den Agenten das Leben schwer macht.

147 Dennoch gab man sich zwischen 1971 und 1974 alle Mühe, die Fälle des B.I.P.S möglichst phantastisch zu gestalten. Was zu Beginn der dreizehn 45-minütigen Folgen oft nach übersinnlichen Fähigkeiten aussah, wurde am Ende allerdings stets mit nur allzu irdischen Erklärungen versehen. Die Autoren ließen ihrer Kreativität bei der Wahl der fiktionalen Technologien freien Lauf und präsentierten ungewöhnliche Ideen, die sich kaum hinter jenen ihrer geistigen TV-Enkelkinder verstecken müssen. Da wurden künstliche Diamanten in Pflaumen gezüchtet, um Frankreich in eine Finanzkrise zu stürzen, Menschen wurden mittels »Ultra Ultra Schall« zu willenlosen Werkzeugen oder Rinder wuchsen dreimal so schnell wie gewöhnlich, weil ein findiger Wissenschaftler eine neuartige Tinktur entwickelt hatte. Es scheint, als konnten die Ideen gar nicht verrückt genug sein.

Die nächste bitte Dank einer gesunden Portion Action, die vor allem ab dem dritten Drittel der Serie immer häufiger eingestreut und auch auf Handlungen der neuen Kollegin Christa Neumann (Eva Christian) ausgedehnt wurde, bereitet das Anschauen der Reihe vor allem Nostalgiefans auch heute noch einige Freude. Neumann hatte in Folge 8 ihre Vorgängerin Andersen abgelöst. Anscheinend wollte man der damals aufkeimenden Frauenbewegung Rechnung tragen, was insgesamt recht gut gelang. Christian spielte ihre Rolle mit einigem Elan und legte auch mal einen Mann

148 mittels eines gekonnten Judogriffs auf das sprichwörtliche Kreuz. Die gebürtige Berlinerin war bereits seit 1959 im Geschäft gewesen und hatte unter anderem mit Auftritten in beliebten Serien wie Das Kriminalmuseum (1963–1970) von sich Reden gemacht. Nachdem sie das I.I.S.W. hinter sich gelassen hatte, blieb Christian vor allem im Fernsehen eine gefragte Mimin, die in Serien wie Tatort (1970 und 1975), Derrick (1976 und 1979) oder Der Alte (1977) für klassische Krimi-Spannung sorgte. Nach 2005 verlegte sich die Schauspielerin mehr auf das Theater, bis sie sich 2019 in der unterhaltsamen Familienschnulzen-Serie Lena Lorenz – Ein neuer Anfang nach längerer TV-Abstinenz wieder die Ehre gab.

Der beste Mann Die ebenfalls körperbetonte männliche Hauptrolle wurde von dem 1931 in Vietnam geborenen Vaneck gespielt. Der Franzose startete seine Laufbahn mit dem hochgelobten Film Der Mann, der sterben muss (1957), der von Jules Dassin nach dem Roman Griechische Passion von Nikos Kazantzakis entstanden war. In dem Streifen gab Vaneck den Manolios. Bis 1971 kamen auch Action-lastigere Titel wie Eine Kugel im Lauf (1958) und Brennt Paris? (1966) hinzu, sodass der drahtige Schauspieler mit dem markanten Gesicht die ideale Wahl für die Rolle eines Spezialagenten darstellte. Mit Roger Rudel (Die Abenteuer von Tim und Struppi) als Chalier und Rémi als Courtenay-Gabor, beide in Frankreich bekannt, holte man weitere routinierte 149 Schauspieler an Bord, die vor allem im Nachbarland für gute Einschaltquoten sorgen sollten.

Fazit Trotz toller Ansätze hatte es Grenzfälle nie leicht, sich in der Serienlandschaft der 1970er-Jahre zu behaupten. Zwischen der ersten Staffel mit sechs Folgen und der zweiten mit den restlichen sieben lagen ganze drei Jahre. Wie es zu dieser großen Lücke kam, lässt sich nach über 40 Jahren leider nicht mehr genau feststellen. Der Wechsel der weiblichen Hauptrolle nach der ersten Folge der zweiten Staffel spricht möglicherweise dafür, dass man noch ein wenig am Konzept schrauben wollte. Für Nostalgiker dürfte die Serie mit Folgen wie Die Astronauten, Wer glaubt schon an Marsmenschen, Untertassen fliegen nicht oder Das zerrissene Netz jedenfalls ein Muss im Filmregal darstellen. Die DVD-Box mit der vollständigen Serie wurde bereits 2011 vom sympathischen Label PIDAX veröffentlicht und ist inzwischen leider nur noch gebraucht erhältlich.

Perlentaucher: He-Man and the Masters of the Universe – Die neuen Abenteuer von Marco Golüke

150 Im letzten Artikel hat der Autor dieses Artikels bereits viel zur Entstehung, zu den Anfängen und schließlich auch zum Niedergang vom Masters of the Universe-Franchise erzählte. In dieser Ausgabe dieser Artikelreihe wirft er einen Blick darauf, was in den Jahren danach folgte.

Neubeginn in ferner Zukunft Schon 1989 versuchte Mattel der strauchelnden Serie neues Leben einzuhauchen. Als Ziel hatte man eine strenge Modernisierung ins Auge gefasst. Die Figuren sollten weniger klobig und dafür beweglicher werden, es sollte neue Action-Features geben, und die Fahrzeuge sollten innovativer sein. Eine radikale Umstrukturierung also. Am Ende blieben nur die beiden Hauptfiguren He-Man und Skeletor übrig, alles andere wurde über Bord geworfen. Für den deutschen Markt gab es erneut ein Hörspiel. In diesem kämpfte Skeletor gerade wieder einmal mit Prinz Adam, als ein Raumschiff auftauchte und beide mit in die Zukunft nahm. Bei der Verwandlung in He-Man fiel Adam auf, dass er plötzlich nicht mehr der war, der er einst gewesen war. Die Person des Prinz Adam war nun mit dessen Identität als He-Man verschmolzen. Skeletor hingegen fand schnell neue Verbündete und nahm den Kampf gegen He-Man erneut auf. Auch eine 65-teilige Zeichentrickserie namens Die neuen Abenteuer des He-man (1990–1991) wurde zu dem Neuansatz produziert, die eine leicht abgewandelte Geschichte erzählte. In dieser gab es Adam noch, die

151 Änderungen im Design wurden einfach nicht erklärt. Einige US-Comics erzählten eine dritte Version. Allen Geschichten gemein ist die Reise in die Zukunft zum Planeten Primus und die Suche nach neuen Verbündeten. Das Szenario hatte sich nun deutlich mehr in Richtung Science-Fiction verlagert, statt wie zuvor eher Fantasy-lastig zu sein. Dies lag auch am Erfolg der Star Trek-Kinofilmreihe, die gerade erst mit Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (1987–1994) eine neue Ära im TV ausgelöst hatte. Die Mitstreiter von He-Man und Skeletor hatten entsprechend eher technologische Erklärungen für ihre Fähigkeiten als mystische. Flipshot etwa konnte aufgrund seines Anzugs fliegen und nicht wie sein Pendant aus der ersten Serie, Stratos, einfach so. In der Fahrzeugriege waren nun eher Raumschiffe und andere Flugmaschinen tonangebend, Reittiere wie Battle Cat fehlten völlig.

152 © Filmnation / Mattel

Guter Ansatz mit zu vielen Makeln Die Trickserie präsentierte sich für das Ende der 1980er-Jahre qualitativ durchaus hochwertig; die Handlung baute aufeinander auf, auch wenn die Reihe aus Einzelepisoden bestand. Zum Ende der Folge war in der Regel die Bedrohung bekämpft und der Status quo wiederhergestellt, aber neu eingeführte Charaktere blieben bestehen. In Deutschland fand die Trickserie bei beim damaligen RTL plus ein Zuhause. An der Spielzeugfront zeigte sich Mattel zwar innovativ, schoss aber leider ein wenig übers Ziel hinaus. Die Figuren waren zwar wirklich beweglicher geworden, so hatten sie z. B. Gelenke in den Knien, und das schlankere Design wirkte sich ebenso positiv auf die Spielbarkeit aus, aber die Begrenzung auf rein technologische Themen schränkte die Optionen zu sehr ein. Die Playsets waren zwar super gelungen, aber auch immens teuer. Das schreckte potentielle Käufer natürlich ab. Das Fehlen von wichtigen Figuren aus dem Cartoon in der Spielzeugreihe wie Darius und eben Prinz Adam tat sein Übriges. Neuere Käufer zeigten kein großartiges Interesse an der Reihe, und die alten Fans waren mit der Neuausrichtung nicht zufrieden. Anders als die Trickserie hieß die Spielzeugreihe schlicht He-Man, und unerklärlicherweise wurden die berühmten Worte »By the power of Grayskull« in »By the Power of Eternia« geändert. Es kam, wie es kommen musste. Der Cartoon wurde nach

153 nur einer Staffel eingestellt und die Toyline nach nur drei Jahren Produktion ebenso. Dies hinderte Mattel aber natürlich nicht daran, in alt bewährter Manier die Gussformen in späteren Reihen erneut zu verwenden. So bekam die Actionfigur von John Spartan aus Demolition Man kurzerhand die umlackierte Rüstung von He-Man verpasst.

Totgesagte leben länger Lou Scheimer (BraveStarr) höchstpersönlich war es, der sodann im Jahr 1996 zu Mattel kam und eine direkte Nachfolgeserie zur beliebten alten Serie vorschlug: He-Ro: Son of He-Man. In dieser Geschichte sollte Adam nun der König von Eternia sein, die Macht von Grayskull wäre in dieser Handlung auf seinen Sohn übergegangen. Mattel hatte aber kein Interesse daran, die Serie erneut zu beleben. Die Macher bei Mattel hatten also schlicht keine Lust mehr auf He-Man. Die Rechte lagen im Schrank, nur einige Lizenznehmer wie Top Toys produzierten noch Figuren, z. B. in Südamerika. Wie in vielen anderen Fällen hielt dies aber die Fans nicht davon ab, mehr zu wollen oder die Sammlung, die sie als Kind nicht komplett haben konnten, nun zu vervollständigen. Ca. ab Mitte der 1990er-Jahre boomte der Sammlermarkt auf den diversen Internetseiten und Flohmärkten sowie bei Spielzeugbörsen. He-Man war dabei nach wie vor gefragt, und teilweise gingen die Figuren für hohe Preise über den Ladentisch.

154 Das machte Mattel natürlich hellhörig. War mit diesem Franchise womöglich doch noch Geld zu machen? Sollte man den Fans lieber geben, was sie wollten? Den alten He-Man mit den unnatürlichen Muskeln? Letztendlich entschied man sich dafür, ein kalkuliertes Risiko einzugehen. Eine überschaubare kleine Reihe mit den wichtigsten Figuren sollte es werden, komplett im Stil der alten. Die Masters of the Universe Commemorative Series (»Erinnerungsserie«) war geboren. Insgesamt 21 Sets kamen auf den Markt, darunter zwei Fünferpacks, ein Zehnerpack und zwei Zweierpacks. Um den Sammlermarkt nicht kaputtzumachen, entschied man sich bei Mattel dazu, diese Figuren besonders zu kennzeichnen. Sie bekamen eine schwarze Umverpackung um die eigentliche Old-School-Verpackung, die Nachdrucke der Minicomics wurden mit dem Vermerk Reprint gekennzeichnet, und auch die Figuren trugen ein anderes Datum. Die Ironie an der Geschichte: Mattel hatte alle Gussformen bereits zerstört gehabt. Man musste diese in der Tat erst von den Lizenznehmern einkaufen. Nicht zum ersten Mal hatte sich Mattel in Bezug auf He-Man als sehr kurzsichtig entlarvt – es sollte nicht das letzte Mal sein. Die limitierten Commemorative-Figuren waren jedenfalls ein Erfolg. War jetzt eventuell die Zeit für einen Neustart gekommen? Noch war die Geschichte anscheinend nicht zu Ende erzählt ... Der Autor dieses Artikels erinnert sich noch gut an die Trickserie zu He-Man. Die neuen Abenteuer war zwar nett 155 anzusehen, aber die Figuren waren zu weit weg von dem, was er mochte. Erst Jahre später, als erwachsener Sammler, hat er ein paar davon ergattert. Die Serie selbst ist in Deutschland leider nie auf DVD oder Blu-ray erschienen, es existieren aber zwei Boxen mit allen Folgen in den USA. Sammler hatten und haben mit He-Man von jener ihre große Freude.

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157 BluRay-Kritik: Good Omens – Skurriler Fantasy-Serienspaß von Terry Pratchett und Neil Gaiman von Birgit Schwenger

Good Omens erschien am 15.11.2019 auf DVD und Blu-ray, genug Grund, die Serie einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

158 © BBC

Im Anfang war das Wort

159 »Im Anfang war das Wort«, heißt es im Evangelium nach Johannes. So ist es kein Wunder, dass die beiden buchstäblich phantastischen britischen Schriftsteller Terry Pratchett (berühmt für seine Scheibenwelt-Romane) und Neil Gaiman (American Gods) im Jahr 1990 die Form eines Fantasy-Romans wählten, um ihre – wie könnte es anders sein – sehr skurrile Version der Apokalypse zu erzählen. 29 Jahre später mündete diese Zusammenarbeit in einer von tiefschwarzem britischem Humor gefärbten sechsteiligen Miniserie der BBC, in welcher der Dämon Crowley (David Tennant) und der Engel Aziraphale (Michael Sheen) versuchen, das Ende der Welt zu verhindern. Schon seit Anbeginn der Zeit, als Crowley – damals in Form der Schlange – und Aziraphale maßgeblich daran beteiligt waren, dass Adam und Eva das Paradies verließen, weilen die beiden Vertreter der guten und bösen Mächte auf Erden, um das Schicksal der Menschen zu begleiten. Als sich mit der Geburt des Antichristen das Ende der Welt abzeichnet, schließen die beiden einen Pakt, der selbiges verhindern soll, haben sie die Menschen und ihre Welt doch über die Jahrtausende viel zu liebgewonnen, um tatenlos ihrem Untergang beiwohnen zu können.

160 © BBC

Ihre Chancen stehen gut, denn Crowley ist dazu auserkoren, den Sohn des Teufels einer satanischen Sekte von Nonnen zu übergeben, die ihn wiederum einem machtbesessenen amerikanischen Botschafter unterschieben sollen, deren Frau in einem Krankenhaus gerade ihr Kind zur Welt bringt. Der Plan sieht vor, dass der Junge, der den Namen Warlock (Samson Marraccino) erhält, zu einem machthungrigen, arroganten Bengel heranwächst, der schließlich im Alter von 11 Jahren die Apokalypse auslösen wird. Engel und Dämon wollen dies verhindern, indem sie ihn beide zu gleichen Teilen beeinflussen, um so Gut und Böse in seinem Inneren im Einklang zu halten. Wie prophezeit erscheint sodann der Höllenhund auf der Erde, der dem Antichristen helfen soll, seine gewaltige

161 Macht zu entfalten. Doch das Entsetzen der himmlischen und höllischen Mächte ist groß, als sie feststellen müssen, dass sie einer Verwechslung aufgesessen sind. Durch Unachtsamkeit der Nonnen ist der richtige Junge unter dem Namen Adam Young (Sam Taylor Buck) wohlbehütet und geliebt in einem kleinen englischen Dorf namens Tadfield aufgewachsen und spielt an seinem 11. Geburtstag ahnungslos mit seinem Freunden im Wald, als der Höllenhund ihn findet. Dank der Erweckung seiner satanischen Kräfte verwandelt Young die Bestie in einen süßen, niedlichen Hund, der ihm fortan nicht mehr von der Seite weicht. Dadurch, dass Young dem Hund einen Namen gibt, löst er allerdings trotzdem die Apokalypse aus – der Weltuntergang scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Was im Folgenden passiert, muss man mit eigenen Augen gesehen haben, da keine Beschreibung den phantastischen Gebilden von Pratchett und Gaiman auch nur annähernd gerecht wird. Youngs Erweckung ruft die vier Reiter der Apokalypse herbei, die im 21. Jahrhundert allerdings auf Motorrädern fahren und ihre Waffen von einem Paketboten zugestellt bekommen. Außerdem reist die Hexe Anathema Device (Adria Arjona) aus Amerika an, die von ihrer Urahnin Agnes Nutter (Josie Lawrence) mit einem Buch voller wahrer Weissagungen ausgestattet worden ist, um damit den Antichrist auszuschalten. Dies wiederum ruft die letzten beiden Hexensucher, Feldwebel Shadwell (Michael McKean) und Newton Pulsifer (Jack Whitehall) auf den Plan, die ebenso wie Crowley und Aziraphale in Tadfield auftauchen

162 und mit ihren speziellen Fähigkeiten für zusätzliches Chaos sorgen. Dem Engel schwant allmählich, dass es den göttlichen Mächten gar nicht darum geht, den Krieg mit der Hölle zu verhindern, sondern einzig und allein darum, ihn zu gewinnen – ganz egal, was dabei mit der Erde und der Menschheit geschieht. Gemeinsam mit seinem Dämonenfreund stellt er sich als Einziger der totalen Vernichtung entgegen, die Young inzwischen mit seinen neu entdeckten Kräften zu entfesseln beginnt.

© BBC

Großartiges Vermächtnis Ein wahrlich gutes Omen stand über diesem gemeinsamen Werk von Pratchett und Gaiman, auch wenn Gaiman nach dem Tod Pratchetts im Jahr 2015 die

163 Umsetzung zur Serie schließlich alleine, jedoch mit Pratchetts posthumen Segen angehen musste. Gaiman schrieb das Drehbuch und zeichnete als Showrunner verantwortlich. Douglas Mackinnon, der zuvor bereits zahlreiche Episoden von Sherlock (2016), Dirk Gentlys holistische Detektei (2017), Outlander: Die Highland Saga (2016) und Doctor Who (zwischen 2008 und 2015) inszeniert hatte, führte Regie. Auch die Besetzung kann sich sehen lassen: Sheen als kreuzbraver, aber den irdischen Genüssen nicht abgeneigter Engel und Tennant als cooler Dämon und Queen-Fan sind unschlagbar. Frances McDormand (Madagascar 3: Flucht durch Europa) leiht im Original ihre Stimme Gott und ist Erzähler der ganzen Geschichte, Jon Hamm (Lucy in the Sky) lässt als Erzengel Gabriel den Chef raushängen, Miranda Richardson (Danger Mouse) gibt das schrullige Medium, Brian Cox (X-Men 2) verleiht dem Tod seine Stimme. Augen auf heißt es außerdem, wenn man nicht Auftritte von Mark Gatiss (Game of Thrones: Das Lied von Eis und Feuer), Benedict Cumberbatch (Doctor Strange) und Gaiman höchstpersönlich verpassen will. David Arnold (James Bond-Filme) schuf den Soundtrack zur Reihe, der mit der wunderschönen, von Tori Amos gesungenen Schlussnummer A Nightingale Sang in Berkeley Square endet, ein britischer Klassiker von 1939, der die letzten Szenen der Serie auf ganz eigene Weise begleitet. Zwar geht in der deutschen Synchronisation der Wortwitz und die Sprachgewalt der Originalbesetzung ein wenig verloren, aber wer die Monty Python-Werke (1969-1983) 164 oder Douglas Adams (Per Anhalter durch die Galaxis) mag bzw. allgemein auf schwarzen britischen Humor steht, sollte auf jeden Fall dabei sein, wenn der allerletzte Tag ihres restlichen Lebens eingeläutet wird.

DVD-Kritik: Doctor Who – Der zweite Doctor: Kriegsspiele – Ein wertvoller Klassiker von Peter R. Krüger

Das Jahr 1969 hatte so einiges in petto. Die NASA landete zum ersten Mal auf dem Mond, der Jumbo-Jet Boeing 747 hatte seinen Jungfernflug, und die damals noch nicht ganz so erfolgreiche Science-Fiction-Serie Raumschiff Enterprise endete mit ihrer dritten Staffel. Der Berliner Fernsehturm wurde in der damaligen Hauptstadt der DDR eröffnet, während der Protagonist in Der Kommissar mit Erik Ode (I.N.R.I.) im ZDF zum ersten Mal auf Verbrecherjagd ging. Ein Jahr zuvor hatte das ZDF den Ankauf der britischen Science-Fiction-Serie Doctor Who (seit 1963) geprüft, entschied sich aber gegen einen Lizenzerwerb. So blieb potentiellen Fans in Deutschland lange Zeit der Zugang zu einer phantastischen Science-Fiction-Serie verwehrt, und damit zu einem Zehnteiler (!), der eine derart komplexe und spannende Geschichte erzählt, dass man sich noch heute wünscht, das ZDF hätte die Lizenzprüfung lieber anhand von

165 den im englischen Original The War Games genannten Episoden vorgenommen. Nunmehr hat die polyband Medien GmbH die Aufgabe übernommen, aus genau dieser Doctor Who-Story die synchronisierte Fassung Kriegsspiele zu erstellen. Die Verantwortlichen ließen es sich dabei nicht nehmen, diese besondere Geschichte, die zugleich den Abschluss der Handlung rund um den zweiten Doctor (gespielt von Patrick Troughton) darstellt, nicht nur zu synchronisieren, sondern den Fans auch Unmengen an Bonusmaterial auf einer zusätzlichen DVD und obendrein ein limitiertes Mediabook zu präsentieren. Herausgekommen ist das Produkt Doctor Who – Der zweite Doctor: Kriegsspiele.

166 © BBC

Worum geht es? Der Doctor und seine Begleiter Jamie (Frazer Hines) und Zoe (Wendy Padbury) landen im Jahr 1917 mitten in den Wirren des Ersten Weltkriegs und finden sich bei den

167 Fronten zwischen Großbritannien und dem deutschen Kaiserreich wieder. Doch der Schein trügt, denn im Hintergrund ziehen Außerirdische die Fäden und kontrollieren mehrere Kriegsschauplätze – vom Römischen Reich über den amerikanischen Bürgerkrieg bis hin zu den Grabenkämpfen Europas im Jahre 1917 –, um in ihren Kriegsspielen mit riesengroßen Armeen das Schicksal des Universums bestimmen zu können. Jegliche Versuche des Doctors, die Situation in den Griff zu bekommen, scheitern. So bleibt ihm schlussendlich nichts anderes übrig, als die Hilfe seines Volks, der Time Lords anzufordern. Mit allen Konsequenzen, die sich daraus auch für ihn ergeben werden.

Die Synchronisation Wieder einmal macht der Synchronsprecher Michael Schwarzmaier (Hatschipuh) bei dieser Produktion einen hervorragenden Job, indem er dem zweiten Doctor eine ganz eigene Stimme sowohl in der Aussprache als auch in der Tonlage verpasst. Kenner der Serie wissen das bereits, neuen Fans sei es an dieser Stelle verraten, dass Schwarzmaier den Doctor aus der sogenannten klassischen Ära bereits seit 1989 synchronisiert. Mittlerweile ist er die Synchronstimme der Doctor-Figuren vor dem Serienneustart 2005, und es gelingt ihm, bei jedem Schauspieler dem Charakter eine einzigartige Interpretation zu verpassen, die der jeweiligen der Originalstimmen weitestgehend entspricht.

168 Der hohen Synchronqualität des Doctors stehen die der anderen Sprecher in nichts nach, so kann man Kriegsspiele in einer wohltuenden deutschen Sprachfassung erleben.

Das Bild Die BBC ging in den 1960er-Jahren nicht sonderlich akkurat vor, was das Archivieren ihrer TV-Sendungen anging. Aus diesem Grund sind leider einige Folgen mit dem Doctor auf ewig verschollen, manch andere waren nur noch in Teilen wieder aufzufinden. Kriegsspiele wurde nach der ursprünglichen Ausstrahlung auf Filmrollen kopiert, und die Originalbänder wurden gelöscht. Immerhin ließ sich dadurch wenigstens diese Geschichte retten, doch das Bild zeigt an manchen Stellen leider recht deutliche Alterserscheinungen. Nichtsdestotrotz darf man hier einen Nostalgiebonus ansetzen. Die Geschichte ist 50 Jahre alt und in Schwarz-Weiß gedreht worden. Ein paar Körner und Fäden vor der Linse tragen daher irgendwie sogar dazu bei, den Charme des vergangenen Fernsehvergnügens nochmal aufleben zu lassen. Allerdings sieht man auch recht deutlich, dass die BBC schon damals die Außenaufnahmen mit Filmkameras und die Innenaufnahmen mit Videokameras drehte.

Nicht nur für Fans sehenswert Alles in allem bleibt festzuhalten, dass die rund vier Stunden lange Doctor Who-Story Kriegsspiele eins der Highlights der klassischen Ära ist. Eine spannende 169 Handlung, mit Spielfreude agierende Schauspieler (und Synchronsprecher), und dazu das leichte Lüften des Vorhangs, um einen kleinen Blick hinter das Mysterium des Doctors zu erhaschen. Denn in diesem Special wird der Grundstein dafür gelegt, dass der nächste Doctor (Jon Pertwee) nicht ganz so reiselustig war wie alle anderen Inkarnationen. In der deutschen Synchronisation hatte man bislang nur wenig Gelegenheit, den zweiten Doctor in Aktion zu erleben, doch ebenso wie viele andere synchronisierte Veröffentlichungen der klassischen Ära sticht Kriegsspiele auf sehr positive Weise hervor.

Kleine Besonderheiten Abseits der Story und der DVD an sich sei noch auf ein paar Kleinigkeiten hingewiesen. Der sogenannte Schallschraubenzieher, vermutlich neben der TARDIS das Wiedererkennungssymbol der Serie, wird in dieser Geschichte tatsächlich einmal als Schraubendreher benutzt. Die ganze Art und Weise, wie Troughton den Doctor verkörpert, sollte später die Grundlage dessen sein, wie Matt Smith (Womb), der elfte Doctor, seinen Charakter interpretierte.

Typisch 1960er-Jahre! Nicht nur Mode und Frisuren haben ihre ganz eigene Darstellung in diesem Jahrzehnt. In gewisser Weise könnte man sogar annehmen, der zweite Doctor wäre ein vergessenes und etwas verlottertes fünftes Mitglied von The 170 Beatles. Auch die Kulissen sprechen ihre eigene Sprache. Und wenn die Handlung im späteren Verlauf der Geschichte in der Basis des Warlords weitererzählt wird, bemerkt man, dass die Kulissen mit ihren durchsichtigen Plexiglasscheiben und deren Lochmustern auf angenehme Weise an einen alten Bekannten erinnern. Auch in einer gewissen von der ARD produzierten Science-Fiction-Serie aus dem Jahr 1966 wurden zum Teil ähnliche Kulissen verwendet. Die Rede ist natürlich von Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion (1966). Ja, vielleicht hätte das ZDF seinerzeit die Lizenzprüfung lieber im Jahre 1969 wiederholen sollen. Aber dann hätte es wohl nicht diese sehr passende Kontinuität des Einsatzes von einem großartigen Synchronsprecher für diese wundervolle Rolle gegeben. Fazit: Science-Fiction mit hohem Nostalgiefaktor, perfekt geeignet für verregnete Samstagnachmittage.

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172 Phantastisches Spielen

Für eine Handvoll Würfel – Das Rollenspielsystem FUK! im Test von Peter R. Krüger

In der Regel hat ein Rollenspieler immer sein bevorzugtes Regelwerk, und dem braucht man auch gar nicht mit irgendetwas anderem zu kommen, denn das kann sowieso nichts taugen. Vorzüge von bereits etablierten Systemen sollen in diesem Artikel aber gar nicht gegenübergestellt werden, sondern der Autor möchte einen Blick auf etwas werfen, das im ersten Moment unscheinbar wirkt und sich eher heimlich an ihn herangeschlichen hat. Kurz ein paar Worte zum Werdegang des Autors dieses Artikels in der Welt der Spiele. Seit fast 30 Jahren betreibt er bereits Rollenspiele. Darunter so illustre Systeme wie das altehrwürdige Advanced Dungeons & Dragons 2nd Edition (die letzte Runde lief bis 2017), BattleTech, Splittermond, Das Schwarze Auge und einige mehr. Natürlich auch generische Systeme wie Savage Worlds oder Fate. Zwischendurch gab und gibt es auch immer wieder intensive Abstecher in die Welt der Expertenbrettspiele, wie beispielsweise zu dem vom Autor dieses Artikels heißgeliebten Descent: Die Reise ins Dunkel, zu diversen Tabletops und, und, und.

173 Kurzum, er ist ein begeisterter Kenner von allerlei Arten von Spielen.

Doch was hat sich da denn nun heimlich angeschlichen? Die Rede ist von einem wirklich universellen Rollenspielsystem mit dem einfachen und einprägsamen Namen FUK!. Das Ausrufezeichen gehört übrigens zum Namen mit dazu. So kurz wie die Bezeichnung, so einfach die Regeln. Und hier lässt der Autor seine jahrelange Erfahrung sprechen: Ja, das System ist absolut einfach gestaltet – und zwar im ganz und gar positiven Sinne. Bislang hat er noch kein Rollenspielregelwerk erlebt, das seine Regeln so derart einfach, spielfreudig und nachvollziehbar präsentieren konnte. Und alles, was man dafür braucht, ist das Regelwerk, eine Handvoll sechsseitiger Würfel, einen Bleistift und ein paar Karteikarten. Ach so: Kreativität und Spaß am erzählerischen Spiel sind natürlich auch von Vorteil. FUK! kommt aus dem Hause Mannifest Games, eine noch recht junge deutsche Spieleschmiede. Inhaber ist Manfred »Manni« Altenschmidt, der mit viel persönlichem Herzblut an seinen Spielen arbeitet, sodass nach dem Erdenken und dem Verwerfen von einigen Wortspielen schließlich der genannte Firmenname entstand. Und die Produkte können sich sehen lassen.

Der Inhalt Dem Autor dieses Artikels und seinem Testspieler Jörg lag nun also die Hardcover-Version von besagtem Regelwerk 174 vor. Ein kleines Buch im DIN-A5-Format, 60 vollfarbig bedruckte Seiten, zwei Lesebändchen. Dazu wurden noch zwei Lesezeichen geliefert und ein Packen mit 100 FUK!-Charakterkarten, die nicht nur optisch perfekt zum Erscheinungsbild des Regelwerks passen. Der Umwelt zuliebe ohne unnötigen Verpackungsmüll ausgestattet – sehr gut.

Im Buch ist alles enthalten, was man benötigt, um dieses System spielen zu können. Von der Charaktergenerierung über die Spielmechanik, den Regeln für Kampf und Magie bis hin zur Charakterentwicklung, Equipment & Loot für alle

175 Arten von Settings – Fantasy, Gegenwart, Endzeit, Science-Fiction – und zu guter Letzt noch ein Beispielsetting. Man merkt dem Buch sofort an, dass es den Spielern einfach gemacht werden soll, sich einzufinden. Kurze Beschreibungen, mit charmantem Witz geschriebene Texte und passende Illustrationen. Bereits auf Seite 6 geht es mit der Charaktererschaffung los, die auf schmalen vier Seiten abgehandelt und anschließend anhand eines doppelseitigen Beispiels erläutert wird. Auch anhand des schlecht vorbereiteten Spielers mit dem Namen Franjo wird kurz erklärt, wie die Charaktergenerierung funktioniert. Im Übrigen ist das gesamte Buch allein wegen seiner Beschreibungen schon lesenswert!

Aller guten Dinge sind 12 So einfach das alles klingt, stellt sich an dieser Stelle allerdings die erste Hürde auf. Denn für die Figuren-Erschaffung werden keine seitenlangen Tabellen bemüht, aus denen man sich seinen Charakter bastelt. Bei FUK! macht man sich zuerst Gedanken darüber, welche Art von Charakter man spielen möchte, wie das Setting aussehen soll, und dann muss man selbst 12 Fertigkeiten überlegen, die den Charakter auszeichnen. Kann er etwa gut klettern? Hat er den Umgang mit Waffen gelernt oder ist er vielleicht Arzt oder Busfahrer? Der Testkomplize des Autors saß angesichts dieser Herausforderung erst einmal verblüfft da und war ähnlich unvorbereitet wie der im Buch beschriebene Franjo. Allerdings hat der Autor seinen Testspieler auch absichtlich 176 im Dunkeln gelassen, um zu sehen, wie einfach oder schwierig sich die Regeln in der Praxis anwenden lassen. Sich selbst 12 Fertigkeiten auszudenken, ist eine ungewohnte Art, einen Charakter zu erschaffen. Es dauerte einen kurzen Moment, bis der Autor und sein Partner ein Szenario auserkoren hatten und dann klar war, wie der Testcharakter zu sein hatte.

Unkonventionell heißt das Stichwort FUK! behauptet, die Buchstaben seines Namens stehen für »frei und flexibel«, »universell und unkonventionell«, »kreativ und kartenbasiert«. Letzteres beweisen schon die Regeln, denn man schreibt alles auf Karteikarten auf. Alle anderen Punkte sollten nun auf den Prüfstand gestellt werden. Weg mit all den bekannten Szenarien. Keine Fantasy, keine Science-Fiction, nichts von alledem, was man sonst üblicherweise im Rollenspiel kennt. Die beiden Testspieler wollten frei, flexibel, unkonventionell und kreativ an dieses universelle Rollenspielsystem herangehen. Einfach mal etwas wie aus Falsches Spiel mit Roger Rabbit (1988) machen, lautete plötzlich die Devise. Na, wer kennt diesen Film noch? Ein wildes Gemisch aus Zeichentrick und Realwelt, wie man sich erinnern kann. Der Charakter von Komplize Jörg wurde also ein Zeichentrick-Detektivhund mit so interessanten Fertigkeiten wie »Spürnase« (es ist ja schließlich ein Hund) oder »Hong Cong Pfui« (es ist ein Karate-Hund). Mit einem einfachen Wettschießen auf dem Rummelplatz ging die Geschichte los, 177 entwickelte sich zu einer wilden Verfolgungsjagd durch Zeit und Raum, bei der nebenbei auch der Mord an John F. Kennedy aufgeklärt wurde, und endete schließlich in einer Zweikampfarena, die in einem Rucksack-Dimensionsportal verborgen war. Erzählerisch konnten sich die Spieler hier wunderbar austoben und sämtliche Regeln anwenden, die sich in der Praxis als beeindruckend spielfreundlich erwiesen haben.

Leicht zu lernende Regeln Als es dann Zeit war, die Würfel in die Hand zu nehmen, musste der Spielleiter nur noch zwei passende Eigenschaften festlegen, und der Spieler konnte noch eine seiner Fertigkeiten als Bonus nutzen. Je, nachdem, wie passend die Fertigkeit war, gab es dafür Bonuswürfel. Entsprechend viele Würfel mussten in die Hand genommen und musste gegen die ermittelte Schwierigkeit gewürfelt werden. Dabei mussten letztlich aber nur Fünfen und Sechsen zusammengezählt werden. Denn nur diese gelten in diesem Spiel als Erfolg und werden gegen die Misserfolge des Schwierigkeitsgrads gegengerechnet. Muss man also beispielsweise zwei Misserfolge überwinden, hat man mit drei oder mehr Fünfen oder Sechsen (oder irgendeiner Kombination aus diesen beiden Zahlen) die Herausforderung geschafft. Bei einem Würfelpool von sieben bis elf Würfeln klingt das manchmal sehr einfach, aber der Autor dieses Artikels hat beim Testspiel gestaunt, wie schwer es sein kann, trotz vieler Würfel ausreichend Erfolge zu haben. 178 In den meisten Fällen werden vergleichende Proben gewürfelt, also Spieler gegen Spielleiter. Einfacher und dabei mit mehr Spaß geht es wohl kaum. Der Charakteraufstieg gibt einem dann die Möglichkeit, seine Fertigkeiten auszubauen, um so noch mehr Würfel für den Würfelpool zu bekommen und seine Chancen auf Erfolge zu erhöhen. Mit etwas Ausrüstung kann man dann noch diverse Boni erhalten, und schon ist das Regelwerk im Grunde erklärt. Die Basisidee für FUK! stammt von Johannes Burghardt und wurde bei Mannifest Games für die Veröffentlichung überarbeitet und erweitert. Auf Nachfrage hin gab Altenschmidt der Redaktion die Information, dass FUK! Zwar als Regelwerk vollständig ist, sich jedoch noch erweiternde Settingbände in Planung befinden.

Nur kleine Schwächen Trotz all der positiven Eindrücke sollen die kleinen Schwächen, die der Autor dieses Artikels bei dem Werk festgestellt hat, nicht unerwähnt bleiben. Ist es zwar einerseits positiv, dass man sich seinen Charakter wirklich frei erstellen kann, stellt es wie erwähnt eine Herausforderung dar, sich so viele Fertigkeiten selbst auszudenken, die den Charakter beschreiben. Nach den ersten zwei, drei Karten funktionierte es im Test immer besser, weswegen diese Idee der Charaktererschaffung nicht schlecht ist, aber gerade für Neulinge könnte diese Hürde etwas höher liegen als beabsichtigt.

179 Beim Equipment war die Zuordnung der Boni nicht sofort ersichtlich. Handelt es sich hierbei um zusätzliche Würfel oder um einen festen Wert? Der Autor dieses Artikels hat diese Fragen schließlich so klären können, wie sie am ehesten Sinn gemacht haben. Ein etwas genauerer Hinweis in der Rubrik »Equipment & Loot« wäre aber schön gewesen Ein paar Beispielgegner wären ebenfalls noch hilfreich gewesen. Im Testspiel hat Autor dieses Artikels sich als Spielleiter an den Figuren des Beispielszenarios und den Werten seines Testspielers orientiert. Das hat zwar gut funktioniert, für weitere Spiele wird er sich aber wohl eine kleine Übersicht an leichten, mittelschweren und schweren Gegnern erstellen müssen. Das alles ist aber Jammern auf hohem Niveau, denn unterm Strich lässt sich FUK! schnell erlernen und wirklich flüssig spielen.

Für wen ist dieses Spiel geeignet? Grundsätzlich kann der Autor dieses Artikels für FUK! eine allgemeine Empfehlung aussprechen. Was immer man für eine Idee für einen Charakter oder ein Setting hat, mit FUK! lässt es sich umsetzen. Der Schwerpunkt liegt aber tatsächlich auf der Kreativität. Das mag Fluch und Segen zugleich sein, denn da, wo Autor dieses Artikels und sein Partner sich im Testspiel ganz bewusst von allen Fesseln gelöst haben, kann es sein, das es für detailverliebte Spieler zu wenige Vorgaben gibt.

180 Das Fazit lautet demzufolge: Für Oneshots, kreative Kurztrips oder kleine Kampagnen, die Wert auf verschiedene Interaktionen legen, ist FUK! das ideale System. Neueinsteiger dürften sich hier ebenso schnell zurechtfinden wie alte Hasen. Aufgrund des geringen Umfangs des Spielmaterials ist FUK! für engagierte Rollenspieler auch als Reisebegleiter unverzichtbar, weil man immer und überall auf die Schnelle eine Runde spielen kann. Dagegen steht schlechtere Funktionalität bei langen Kampagnen, detailreichen Settings, breit gefächerten Kampfsystemen und langen Talentbäumen. Darauf haben andere Systeme eher ihren Schwerpunkt gelegt. Doch darauf will FUK! auch gar nicht hinaus, und die Macher beweisen schon auf Seite 3 mit dem Statement dazu, »was FUK! ist«, einen weisen Charakterzug. Kurzum: FUK! ist kein Konkurrent, sondern ein angenehm leichter Mitbewerber auf dem Rollenspielmarkt, der mehr als einen flüchtigen Blick wert ist. Weiterführende Informationen zum Thema: https://www.mannifest-games.de

New Angeles – Stadtleben mal anders von Michael Wilhelm

181 © Fantasy Flight Games

New Angeles, die Perle des Sonnensystems, ist nicht nur wirtschaftliches Zentrum der künftigen Erde, sondern auch Anfangspunkt des Raumaufzugs am Äquator. Die Metropole ist Tummelplatz der Megakonzerne, die um Macht, Geld und Einfluss ringen. New Angeles ist auch der Titel eines semikooperativen Brettspiels, das im Fantasy Flight Games-eigenen Android-Universum angesiedelt ist. In diesem streiten bis zu sechs Spieler mit Verhandlungsgeschick, Verrat und

182 Manipulation um die Vorherrschaft in der Zukunftsstadt. Doch Vorsicht: Wer zu egoistisch agiert, läuft Gefahr, die Kontrolle über New Angeles zu verlieren, und dann haben schlimmstenfalls alle das Nachsehen. Ziel des Spiels, das in einer prall gefüllten, quadratischen Standardbox daherkommt, ist es, gemeinsam mit den anderen Spielern das Leben in der Stadt New Angeles, repräsentiert durch einen großen Spielplan, am Laufen zu halten. Bedrohungen wie Streiks und Krankheitsausbrüche wollen eingedämmt, ausreichend Waren und Dienstleistungen wollen produziert werden, um den Bedarf der Bevölkerung zu sichern. Um an dieses Ziel zu kommen, müssen die Spieler ihre Kontrahenten überreden, überzeugen, bestechen und manipulieren, ohne das gemeinsame Ziel, nämlich den Erhalt der Stadt, aus dem Auge zu verlieren.

Der Ablauf Zu Beginn des Spiels bekommt jeder Spieler neben seiner Rolle als Leiter eines Mega-Konzerns eine Rivalen-Karte zugelost. Gewonnen hat am Ende, wer es schafft, mehr Kapital als sein Rivale zu erlangen. Beim Losen kann es auch passieren, dass man die Rivalen-Karte des eigenen Konzerns bekommt. Dann muss man bei einer Partie zu fünft oder sechst zu Spielende mehr Kapital angehäuft haben als drei Mitspieler (oder in einer 4-Spieler-Runde mehr als zwei von ihnen). Einen zusätzlichen Kick verleiht die Föderalist-Rivalen-Karte. Der Föderalist muss keinen 183 anderen Spieler übertrumpfen, sondern er gewinnt, falls der Bedrohungsmarker die Marke 25 erreicht, die Spieler also sozusagen die Kontrolle über die Stadt verloren haben und die Regierung eingreifen muss. Eine Rivalen-Karte bleibt zu Beginn übrig und kommt verdeckt zurück in die Schachtel, somit bleiben die Konkurrenz-Verhältnisse immer etwas im Dunkeln, wenn auch durch genaues Beobachten so manche Beziehung, besonders in den letzten Zügen, offenbart werden kann.

Nach ausgiebiger Sortierarbeit und Ausprickeln des umfangreichen Spielmaterials (mit 24 detaillierten Einheiten-Miniaturen, fast 200 Karten und etwa 80 Pappmarkern) werden auf die zehn Stadtteile von New Angeles je nach gewählter Vorbereitungskarte eine Zahl von Krankheits-, Androiden-, Unruhe- und Ausfall-Markern

184 sowie Einheiten platziert. Organisiertes Verbrechen-Einheiten verhindern die Produktion von Primärressourcen, Menschen zuerst-Einheiten erhöhen die Unruhe und können so zum Ausfall der gesamten Produktion eines Stadtteils führen, während PriSec-Einheiten die anderen beiden Einheiten vertreiben und sozusagen für Ordnung sorgen. Vertriebene Einheiten verschwinden allerdings nicht einfach, sondern wandern in den nächsten Stadtteil ab. Wenn sie im letzten Stadtteil, der Wurzel des sogenannten Beanstalk, ankommen, erhöht sich die Bedrohung um zwei Punkte. Bestenfalls sollten die Einheiten also ganz entfernt werden, da sonst irgendwann alle Spieler (bis auf den Föderalisten) das Nachsehen haben. Wenn die Stadt und alle Kartendecks vorbereitet sind, beginnt jede Standard-Runde mit einer Aktionsphase. Davon finden drei bis fünf statt, je nachdem, wie viele Vorteilskarten an der Rundenanzeige am Spielplan ausgelegt wurden. Die Zahl der Vorteilskarten ist abhängig von der benutzten Vorbereitungskarte oder in späteren Runden der vorherigen Ereigniskarte. Der aktive Spieler zieht drei Aktionskarten (aus den Kategorien Sicherheit, Biotech, Bau, Medien und Arbeitskräfte), dann wird als sogenannte Absprache ein Deal ausgehandelt. Dazu deckt man die an der Rundenanzeige zuvorderst ausliegende Vorteilskarte auf, und der aktive Spieler legt als Hauptvorschlag eine Aktionskarte aus, die er oder sie abhandeln möchte, um danach die Vorteilskarte zu beanspruchen. Reihum haben dann die Mitspieler die 185 Möglichkeit, Gegenvorschläge mit eigenen Aktionskarten zu machen. Und nun wird es spannend.

Denn das Aushandeln der Vorschläge macht die Seele des Spiels aus. Hier kann bestochen, gedroht und versprochen werden, bis die Schwarte kracht. Es gilt, die Mitspieler zu überzeugen, dass der eigene Vorschlag der Beste für die Stadt ist. Da man an der Rückseite der nächsten bereitliegenden Ereigniskarte schon erkennen kann, welche Bedrohung die dringlichste ist, sollte den Spielern bekannt sein, worum es geht. Zeigt etwa die Ereigniskarte eine Organisiertes Verbrechen-Einheit, so ist zu erwarten, dass für jede dieser Einheiten in der Stadt der Bedrohungsmarker vorrücken könnte. Und wenn die Aktionskarte des eigenen Vorschlags solche Einheiten entfernt, sollte es doch

186 gelingen, die Mitspieler zu überzeugen, den Vorschlag zu unterstützen. Vorausgesetzt, man kann den Mitspielern ausreichend Bakschisch (Karten, Kapital, spätere Unterstützung oder anderes) bieten. Es sei denn, das erfolgreiche Abhandeln des Vorschlags, das Ausführen der Aktionskarte und das Einsacken der Vorteilskarte geht den Mitspielern aus anderen Gründen gegen den Strich (weil sie beispielsweise der Rivale des aktiven Spielers oder gar der Föderalist sind und lieber die ganze Stadt den Bach runtergehen sehen wollen). An den Handel ist man prinzipiell gebunden, zumindest an den Teil, der sofort erfüllbar wäre. Hat man also Kapital oder eine Karte versprochen, muss man die auch abgeben. Hat man aber spätere Unterstützung versprochen, ist Verrat ausdrücklich erlaubt. Wer es schafft, für seinen Vorschlag mehr Unterstützung einzuholen (abgestimmt wird durch das Ablegen von Aktionskarten), beansprucht die ausliegende Vorteilskarte für sich, die meist von großen Wert für das eigene Vorankommen im Spiel ist. Damit können beispielsweise Kapital oder Aktionskarten von anderen Spielern gestohlen werden, Absprachen können leichter gewonnen werden oder andere, teils einmalige, teils dauerhafte Effekte können genutzt werden. Nachdem drei bis fünf Aktionsphasen und die zugehörigen Absprachen abgehandelt wurden, kommt die Produktionsphase dazu, in der jeder Stadtteil mit Androidenmarker die entsprechenden Ressourcen generiert, gleichzeitig wird auch (durch die Unzufriedenheit 187 der Bevölkerung über die unmenschlichen Bedingungen bei den Arbeitssklaven) die Unruhe im Stadtteil erhöht. Anschließend folgt die Ereignisphase, in der je nach Status der Stadt die Bedrohungsanzeige vorrückt und neue Marker oder Einheiten in die Stadt gelegt werden.

Nach der zweiten, vierten und sechsten Standard-Runde folgen jeweils Nachfrage-Runden. Dabei werden zunächst die Investitionskarten der Spieler abgehandelt, über die, je nachdem ob die Anforderungen erfüllt wurden oder nicht, Kapital gewonnen werden kann. Wenn man es also geschafft hat, den Status der Stadt entsprechend zu beeinflussen, kann man ordentlich absahnen. Dabei können auch eigentlich nachteilige Zustände (Unruhe- oder Streik-Marker) zu Gewinn führen.

188 Anschließend muss die Nachfrage der Bevölkerung nach Ressourcen befriedigt werden. Falls es jetzt den Spielern nicht gelungen ist, die entsprechenden Ressourcen zu generieren, rückt der Bedrohungsmarker vor, gerne auch mal um 5 oder 7 Punkte, und bringt die Stadt näher ans Chaos. Alles läuft also darauf hinaus, die Bedrohung gering zu halten, indem die geforderten Ressourcen generiert und die durch Ereignisse drohenden Strafen vermieden werden. Gleichzeitig verfolgt jeder Spieler eine eigene Agenda. Entweder versucht man, den (oder die) Rivalen zu übertreffen, oder als Föderalist diskret die ganze Stadt den Bach runtergehen zu lassen.

Viel Unterhaltung New Angeles findet als semikooperatives Spiel eine perfekte Balance zwischen dem Verfolgen der eigenen Agenda und dem gemeinsamen Ziel, die Stadt am Laufen zu halten. Der zentrale Mechanismus der Absprachen sorgt dabei für jede Menge Emotionen. Das Spiel lebt von Handel, Verrat und Betrug, ähnlich wie der Klassiker Diplomacy, der so schon manche Freundschaft ernsthaft gefährdete. Dabei sind der Ablauf und auch die Dauer des Spiels natürlich abhängig von der Bereitschaft der Spieler, zu handeln, Versprechungen zu machen und auch wieder zu brechen. Wenn jeder nur so vor sich hin spielt, ist das Spiel schneller vorbei, entfaltet aber auch nicht seinen über die Mechanismen hinausgehenden Reiz. Natürlich passiert in einer Sechser-Runde grundsätzlich etwas mehr als zu viert, und auch wechselnde Allianzen 189 formieren sich in großer Runde eher. Gerade, wenn einer der Spieler einen Vorsprung erlangen sollte, formieren sich wieder neue Konstellationen.

Fazit In einer passenden Spielerrunde ist New Angeles ein echter Hammer, vorausgesetzt, man ist bereit, sich für mehrere Stunden auf das Schwergewicht einzulassen. Dank hervorragender Anleitung und umfangreichem Regel-Kompendium, sagenhaft gutem Spielmaterial und perfekt mit dem Spielmechanismus harmonierendem Setting gibt es nichts zu meckern. Abschließend kann der Autor dieses Artikels in Anlehnung an den berühmten Ausspruch über Las Vegas nur sagen: Was in New Angeles passiert, sollte auch in New Angeles bleiben.

190 New Angeles Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 14 Jahren James Kniffen Asmodee, 2017 EAN: 4015566024915 Sprache: Deutsch

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192 Rising – Die Klane zu den Jahreszeiten von Frank Stein

Lange waren die Gestalten der großen Kami vergessen, doch jetzt sind sie zurückgekehrt, verärgert über die Taten des herrschenden Shoguns. Im Frühling riefen sie ihre Klane zusammen und gaben ihnen die Aufgabe, das Land der 193 aufgehenden Sonne zurückzuerobern. Nun werden Bündnisse geschmiedet und gebrochen, und es gilt, die Kunst des Kriegs so wie auch die der Verhandlung zu meistern. Denn am Ende des Jahres, wenn der Winter kommt, kann es nur einen neuen Shogun geben … Rising Sun ist ein Brettspiel von Eric M. Lang für drei bis fünf Spieler, das in einem mystischen Japan der Feudalzeit angesiedelt ist. Drei Jahreszeiten lang – Frühling, Sommer und Herbst – führen die Spieler als Shogun jeweils ihren Klan an. Sie erstellen und brechen Bündnisse, beten die Kami an, ernten Ressourcen, rekrutieren Truppen, positionieren diese strategisch und versuchen dabei stets, ihre Ehre zu bewahren (oder auch nicht). Ziel ist es, möglichst viele Siegpunkte zu ergattern, denn der Spieler, der die meisten Punkte hat, wenn mit dem Winter auch die Schlusswertung folgt, gewinnt das Spiel.

Das Spielmaterial Das Spiel aus dem Hause CMON Limited (auf Deutsch herausgebraucht von Asmodee) wurde von Adrian Smith (Magic: The Gathering) illustriert, und schon auf der farbenprächtigen Spielebox beweist der Künstler sein Talent. Ebenso detailreich wie schonungslos entführt er die Spieler in ein Japan, in dem zornige Götter Menschen und Dämonen aufeinanderhetzen. Das sieht höchst atmosphärisch aus und ist wohl mit ein Grund, weswegen das Spiel damals auf Kickstarter so ein Erfolg war (mehr als 31.000 »Backer« haben insgesamt mehr als vier Millionen Dollar investiert). 194 Die hohe Qualität des Spielmaterials setzt sich auch im Inneren fort. Der Spielplan zeigt eine künstlerische Darstellung von Japan, zu der die Spielkarten und Spielmarker in ihrer reduzierten aber eleganten Optik gut passen. Die Spielmarker bestehen übrigens aus extrem harter Pappe, die Plastikspielmarker – ein beliebtes Add-on bei CMON-Kickstartern – diesmal wirklich überflüssig gemacht haben (als sogenanntes Stretch Goal gab es sie trotzdem). Den eigentlichen Hingucker stellen natürlich, typisch für CMON, die Miniaturen dar, die ausgesprochen detailreich gestaltet und ein wahres Fest für Fans sind, die gern ihre Minis bemalen. Das gilt vor allem für die wuchtigen Monster, die sich für bare Münze rekrutieren lassen. Wobei diese nicht nur brachial aussehen, sondern zum Teil sogar recht starke Effekte haben. Zugegeben sind manche Riesenbrocken auch eher Schwachbrötchen, die nur deshalb so groß zu sein scheinen, damit sie sich gut bemalen lassen. Von der Aufmachung her ist Rising Sun also thematisch großartig umgesetzt und eine wahre Augenweide.

195 Und wie spielt es sich? Zu Spielbeginn erhält jeder Spieler einen der fünf Klans. Jeder Klan spielt sich ein wenig anders. So hat der Schildkröten-Klan etwa bewegliche Festungen, und der Bonsai-Klan reduziert die Kosten aller Jahreszeitenkarten und Festungen immer auf 1 Münze. Ein Klan besteht aus je zehn Figuren, genauer gesagt aus sechs Bushi/Fußsoldaten, drei Shinto, die in Tempeln beten können, sowie einem Daimyo oder Anführer, der besonders widerstandsfähig ist. Im Frühling, der ersten Spielrunde, beginnt jeder Spieler mit diesem Daimyo, einem Bushi und einer Festung in seiner Heimatprovinz. Das Spiel wird wie erwähnt über drei Jahreszeiten hinweg gespielt, die aus je fünf Phasen bestehen.

196 In der Vorbereitungsphase werden beispielsweise die neuen Jahreszeitenkarten offen ausgelegt (ein Stapel aus erwerbbaren Ereigniskarten, der zu Spielbeginn durch ein Basiskarten-Set und eins von drei unterschiedlichen Jahreszeitenkarten-Sets gebildet wird). Außerdem erhält jeder Spieler Einkommen, und in späteren Runden werden Geiseln gegnerischer Klans gegen Geld freigelassen. In der Tee-Zeremonie können Spieler Bündnisse schließen. Das bringt sehr konkrete Vorteile. So genießen Bündnisparter gegenseitig die Boni der Aktionen, die in der Politikphase von ihnen gespielt werden. Daher ist so ein Bündnis immer überdenkenswert, auch wenn es ein paar Einschränkungen mit sich bringt, etwa, dass man seinen Bündnispartner in einer Provinz nicht bekämpfen kann. Stattdessen gewinnt immer der mit der größeren Stärke automatisch. Die Politikphase ist das taktische Herzstück von Rising Sun. In ihr geht ein Stapel mit Aktionskärtchen die Runde, von dem Spieler reihum jeweils vier Karten heimlich aufdecken und sich dann eine aussuchen dürfen, die sie auf der Politikleiste spielen. Hierbei kann man typische Aktionen auswählen. Man kann Einheiten rekrutieren oder bewegen, Jahreszeitenkarten kaufen, Ressourcen ernten oder mittels Verrat feindliche Einheiten in eigene umwandeln (was bei einem Bündnisparter zwangsläufig zum Bruch des Bündnisses führt). Ein schöner Mechanismus hierbei ist, dass jede Karte aus zwei Teilen bestehen. Die obere Hälfte wird von allen Spielern ausgeführt, die untere

197 nur vom aktiven Spieler und gegebenenfalls von dessen Bündnispartner. Dreimal wird diese Phase für eine Schrein-Wertung unterbrochen. Dabei wird geprüft, welcher Klan die meisten Shinto zu den verschiedenen Kami-Schreinen geschickt hat. Dieser bekommt dann jeweils einen Bonus.

In der Kriegsphase schließlich kommt es zum Waffengang in allen Provinzen, in denen sich Einheiten mehrerer Spieler aufhalten. Dieser beginnt mit einem verdeckten Wettbieten um das Privileg, eine besondere Kampfaktion durchzuführen. So kann man beispielsweise eine Geisel nehmen und einen Siegpunkt vom betroffenen Spieler klauen oder mit dem Kaiserlichen Dichter für jede besiegte Figur einen Siegpunkt erhalten. Danach werden Stärkewerte 198 verglichen. Der stärkere Klan erhält das Provinzplättchen, was Siegpunkte für die Endwertung bedeutet. Zum Abschluss werden Münzen und Marker zurück in den Vorrat gelegt, Shinto kehren in die Figurenreserve zurück und Aktionskärtchen werden vom Spielplan genommen. Im Winter werden dann gesammelte Provinzplättchen, spezielle Provinzplättchen-Bonusse und Winterbonusse zusammengerechnet und der Sieger der Partie ermittelt. Ein zusätzlich wichtiges Element des Spiels ist die Ehre eines Klans, die im ständigen Wandel ist. Dabei nehmen viele Effekte auf die Ehre Bezug, etwa, ob ein Klan ehrenhafter oder ehrloser als ein anderer ist. Gemeinsam mit den Aktionsplättchen, den Shinto in den Schreinen und der Positionierung der eigenen Truppen auf dem Spielplan entsteht so ein komplexes Geflecht aus Variablen, die es zu beachten gilt, wenn man den Sieg in Rising Sun einfahren will. Dieses Spielgefühl hat Rising Sun übrigens den Ruf eingebracht, ein Nachfolger von Blood Rage zu sein, das ebenfalls von Lang stammt und von sich bekriegenden Wikinger-Klans handelt. Das stimmt allerdings nur auf der abstraktesten Ebene und in dem Sinne, dass Spieleentwickler Lang gern mit mehreren einander beeinflussenden Spielmechanismen operiert, die man alle im Blick behalten sollte und die unterschiedliche Siegstrategien ermöglichen. Und, ja, es geht in beiden Spielen irgendwie um Gebietskontrolle, und man kann bei

199 beiden Spielen Monster (dargestellt durch eindrucksvolle Miniaturen) rekrutieren. Darüber hinaus spielt sich Rising Sun mit seiner Tee-Zeremonie, der Politikleiste und den Kami-Schreinen aber doch deutlich anders.

Kickstarter oder nicht? Rising Sun war wie erwähnt ursprünglich ein Kickstarter-Projekt. Solchen haftet mitunter der Ruf an, dass sie erst dann richtig Spaß machen, wenn man das ganze dazugehörige Zusatzmaterial auch besitzt. Dieses unterteilte sich bei Rising Sun in zwei Bereiche. Zum einen gab es kosmetische Upgrades wie Plastik-Spielmarker, einen sechsten Klan und einen Schwung zusätzlicher Monster als Exklusivprodukte. Diese erweitern die Spieloptionen jedoch nur minimal. Ein paar weitere Monster, ein weiteres Jahreszeitenkarten-Set und eine Box mit Gestalt gewordenen Kami waren zusätzliche Stretch Goals, sind aber mittlerweile als eine Erweiterung mit dem Namen Kami Unbound beziehungsweise (auf Englisch) als eine mit dem Namen Monster Pack und als eine namens Stronghold Pack käuflich erhältlich. Regulär zu kaufen gab (und gibt) es noch die Dynasty Invasion-Erweiterung (noch nicht auf Deutsch erhältlich), die noch zwei Klans mehr und weitere Monster ins Spiel bringt.

200 Natürlich kann man bei eBay nach wie vor auch Daimyo Pledge erwerben. Dann ist man aber zwischen 300 und 400 Euro los, zugegeben teilweise inklusive Neopren-Spielplan und Metallmünzen. Das muss man nicht investieren. Das Spiel spielt sich bereits nur mit der Grundbox ganz fantastisch. Und durch die erhältlichen Erweiterungen bekommt man auch mehr als genug Abwechslung. Das »Kickstarter Exclusive«-Material ist eher nur etwas für die beinharten Rising Sun-Fans.

Fazit Rising Sun ist ein Spiel, das nicht nur visuell unglaublich atmosphärisch und dazu mit tollen Miniaturen daherkommt, sondern auch ein paar sehr schöne Spielmechanismen bietet. Welche Bündnisse soll man 201 eingehen? Welche Aktionskärtchen in die Politikleiste spielen? Wie bereitet man sich für die Kampfphase vor, und soll man lieber einen Kampf absichtlich verlieren, um einen anderen gewinnen zu können? Man muss viele knifflige Entscheidungen treffen, die das Spiel durchgehend spannend machen. Allerdings dauert das Ganze auch. Hier darf man sich von einer scheinbar kurzen Spieldauer mit drei Runden nicht täuschen lassen. Je nach Spieleranzahl können dabei schon mal drei Stunden ins Land gehen. Aufgrund der vielen Miniaturen liegt der Preis von Rising Sun obendrein im gehobenen Segment für Brettspiele (wie übrigens der von sehr vielen CMON- oder Ex-Kickstarter-Titeln). Wer jedoch das Japan-Setting mag, die Zeit und das Geld investieren will und Spaß an (mittelschwerer) strategischer Planung hat, wird mit Rising Sun verdammt stimmungsvolle Spieleabende verbringen können.

Rising Sun Brettspiel für 3 bis 5 Spieler ab 14 Jahren Eric M. Lang, Adrian Smith Guillotine Games/CMON Limited/Asmodee, 2018 EAN: 4015566034259 Sprache: Deutsch

202 Dieses Spiel ist S.P.E.C.I.A.L. – Fallout, das Brettspiel von Peter R. Krüger

Krieg ... Krieg bleibt immer gleich. Als die Computerspieleschmiede Interplay Entertainment im Jahre 1997 ihr erstes Rollenspiel mit Namen Fallout auf

203 den Markt brachte, war längst nicht abzusehen, welchen erfolgreichen Weg die künftige Spielserie gehen würde. Das Szenario war dabei denkbar einfach gestaltet. In einer imaginären Zukunft hat es einen verheerenden Atomkrieg gegeben, der die Erde verwüstet hat. Nur wenige überlebten die Katastrophe, unter anderem auch sogenannte Vault-Bewohner, die rund 200 Jahre in ihrem Atomschutzbunker verharrt haben, um sich irgendwann wieder in das sogenannte Ödland hinauszuwagen. Dort gibt es allerdings vielerlei Gefahren. Verstrahlte Gebiete, Mutanten, Raider. Eigentlich will einem jeder an die Gurgel gehen, und einem die letzten paar Habseligkeiten rauben, die man am Leibe trägt. Banknoten fungieren nicht mehr als Zahlungsmittel. Die sind nach dem Zusammenbruch aller Gesellschaftssysteme nicht mal mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden. Nein, Kronkorken der beliebten Nuka-Cola-Flaschen sind zu einem wertvollen Tauschmittel geworden. Über 20 Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Werke mit dieser Grundprämisse gibt es sieben Nachfolger und Ableger. Die Teile der Hauptreihe (Fallout 2 bis Fallout 4) werden insgesamt von den Fans im Normalfall gefeiert, während die Ableger (Fallout Tactics, Brotherhood of Steel, Fallout: New Vegas und Fallout 76) oftmals mit Argwohn betrachtet und missbilligend bewertet wurden. Doch in diesem Test soll es nicht um die Computerspiel-Reihe, sondern um einen von deren Ablegern gehen. Der Autor dieses Artikels hat für die Leser des Corona Magazine das Experten-Brettspiel Fallout 204 getestet. Eins ist vorab schon mal festzuhalten. Entgegen den Worten zu Beginn dieses Artikels, die eingefleischte Fallout-Fans auf einen neuen Titel der Reihe einstimmen sollen, ist dieses Brettspiel alles andere als immer gleich.

Was bedeutet »Expertenspiel«? Ein sogenanntes Expertenspiel bedient sich komplexer Regelmechanismen, die über die von massentauglichen Gesellschaftsspielen wie z. B. Mensch ärgere Dich nicht, Mühle oder Monopoly hinausgehen. In manchen Fällen führt das dazu, dass ein solches Spiel zu einem wahren Regelriesen heranwächst, der schwer zu durchdringen ist und viel Regelpauken und Übungsspiele erfordert, damit er seinen vollen Spielspaß entfalten kann. In manch anderen Fällen geht das Ganze zwar immer noch komplex vonstatten, läuft aber in der Praxis wesentlich einfacher ab. Fallout macht hier eine ganze Menge richtig, denn trotz seiner Komplexität bleibt es stets übersichtlich. Inhaltlich sind Expertenspiele üblicherweise mit bestimmten Themen verbunden, von Fantasy-Szenarien über Horror bis hin zu Science-Fiction, angelehnt an diverse Bücher, Filme, Musik, TV-Serien oder eben Computerspiele. Und damit stürzt sich der Autor dieses Artikels auch schon ins Ödland des Vault 84.

Fröhliches Auspacken Fallout bietet noch vor dem allerersten Spielzug vor allem eines – ganz viel und sehr schön gestaltetes Spielmaterial. Die amerikanische Spieleschmiede Fantasy Flight Games, 205 die hinter dem Spiel steckt, das hierzulande wie so viele andere von der Asmodee GmbH vertrieben wird, ist bekannt dafür, ihre Spiele nicht nur üppig auszustatten, sondern auch hohe Qualität zu liefern. Diese Tatsachen gelten auch für das Fallout-Brettspiel. Asmodee hat sich zudem viel Mühe mit der Übersetzung der Texte gegeben. Fans der Computerspiele werden sich bei dem Anblick der fünf Spielfiguren, 271 Karten, 21 Spielplanteile, der ganzen Marker und der Kronkorken (die wie erwähnt die Spielwährung darstellen) wie zuhause fühlen. Insgesamt weist dieses Spiel rund 480 Gegenstände auf. Und die Gestaltung eines jeden einzelnen zeigt deutlich, wie penibel schon bei der Optik darauf geachtet wurde, das Design und die Stimmung der Fallout-Games einzufangen. Hier spielten offensichtlich vor allem die letzten beiden Teile Fallout 3 und Fallout 4 aus dem Hause Bethesda Softworks eine Rolle. Dazu gibt es noch ein Regelwerk und ein Referenzhandbuch, die jeweils 16 Seiten Inhalt aufweisen und dem interessierten Spieler die Regeln und Spielmechaniken näher bringen sollen. 32 Seiten, das klingt nach viel? Ja, es sind auch viele Seiten, und es gehört zu einem Expertenspiel dazu, dass man sich etwas Zeit nehmen muss, um sich damit zu beschäftigen, bevor man loslegen kann. Aber davon sollte man sich keinesfalls abschrecken lassen, schon gar nicht bei diesem Spiel. Die Belohnung folgt schon beim ersten Durchlauf.

Die Regeln 206 Das Regelheft ist angenehm illustriert und bringt einem das Spiel schon bei der ersten Sichtung des Inhalts näher. Sicher sind Kenner der Computerspiele im Vorteil, da sie mit Begriffen wie S.P.E.C.I.A.L., V.A.T.S., Supermutanten, oder dem Super Duper Mart bereits etwas anfangen können. Aber auch Neueinsteiger sollten zurechtkommen, denn obwohl das Spiel schnell klarmacht, dass es recht komplex ist, ist es nicht kompliziert. Tatsächlich bestimmen die Aktionen der Spieler, wie sich das Spiel entwickelt. Die Entwicklung des Spiels wiederum beeinflusst die Handlungsmöglichkeiten der Spieler. Das Referenzhandbuch vertieft darüber hinaus die Regeln und erklärt einzelne Fragen angenehm einfach und dennoch detailliert genug.

207 Das Solospiel Eine Besonderheit und für Brettspiele nicht üblich ist die Tatsache, dass man Fallout auch alleine spielen kann. Bei vielen Spielen, die eine solche Möglichkeit schaffen, werden die Regeln derart verändert, dass es zwar möglich ist, alleine zu spielen, aber mehr als eine Art Tutorial darf man dabei nicht erwarten. Mit genau dieser Erwartung hat sich der Autor dieses Artikels daran gemacht, Fallout als Solospiel auszuprobieren, um sich mit den Regeln vertraut zu machen, damit die folgende Testspielrunde mit seinen beiden Ödland-Überlebenden Nico und Jörg flüssiger vonstattengehen kann. Der Aufbau des Spielfelds dauerte beim ersten Mal rund 20 Minuten. Nicht abschrecken lassen: Der Autor hat viel Zeit damit verplempert, sich das Spielmaterial gründlich anzusehen. Als er dann so weit war, suchte er noch mal in den Regeln nach den nötigen Anpassungen für das Solospiel und wurde angenehm überrascht. Nur drei kleine Anpassungen geben die Regeln vor. Das macht gleich noch mal etwas neugieriger. Steckt hier womöglich doch mehr dahinter als ein schlappes Tutorial? Es lässt sich recht einfach beschreiben, dass nach dem Aufbau die Charakterauswahl folgte, das Szenario vorbereitet wurde und dann die erste Runde losging, und tatsächlich war es auch genau so einfach. Ja, es hat natürlich Zeit gebraucht, aber das Spielprinzip ist tatsächlich schnell erlernt. 208 Man kann als Spieler mit einem Zug zwei Aktionen ausführen, die man aus einer Liste von sechs Möglichkeiten auswählt. Bewegen, Erkunden, Kampf, Begegnung, Quest und Rasten. Dabei ist es völlig egal, ob man zwei verschiedene Aktionen oder dieselbe Aktion zweimal nacheinander ausführt. Danach ist das Spiel dran, indem man eine sogenannte Agendakarte zieht, alle entsprechenden Gegner auf der Karte aktiviert und gegebenenfalls einen oder mehrere Kämpfe mit Hilfe der sogenannten V.A.T.S.-Würfel durchführt. Danach ist man selbst wieder dran.

Einfach S.P.E.C.I.A.L. Fallout macht eines absolut richtig – es will gespielt werden. Man gewinnt schnell den Eindruck, dass beim Entwickeln der Regeln darauf geachtet wurde, den Spielfluss in einem ansprechend zügigen Tempo zu halten und dass sich Herausforderung und Spielspaß in einer angenehmen, nicht zu leichten Weise die Waagschale halten. Die V.A.T.S.-Würfel tragen ihren Teil dazu bei, wie auch das Charakterausbausystem mit dem einprägsamen Namen S.P.E.C.I.A.L. Für die, die sich unter beiden Begriffen nichts vorstellen können: S.P.E.C.I.A.L. steht für die Charakterattribute Strength (Stärke), Perception (Wahrnehmung), Endurance (Ausdauer), Charisma (Charisma), Intelligence (Intelligenz), Agility (Beweglichkeit) und Luck (Glück). Dahinter steckt die Basis der Rollenspielserie, die simpel aber effektiv ins 209 Brettspiel eingebunden wurde. Für jedes Attribut, das man besitzt und das im Laufe des Spiels als Grundlage für Würfelwürfe gefordert wird, erhält man die Chance einer Wurfwiederholung mit den V.A.T.S.-Würfeln. V.A.T.S. stellt in den Computerspielen eine Art Zeitlupenfunktion dar, um gezielte Schüsse zu platzieren. V.A.T.S. steht für »Vault-Tec Assisted Targeting System«, zu Deutsch »Vault-Tec unterstütztes Zielsystem«. Vault-Tec steht hierbei für eine spieleigene Firmenmarke. Die V.A.T.S.-Würfel präsentieren einerseits Trefferzonen, andererseits aber auch Punkte, die sowohl im Kampf von Bedeutung sind, als auch bei anderen Aktionen über Erfolg und Misserfolg entscheiden.

Stunden später ... Tatsächlich hat Fallout den Autor dieses Artikels bereits im Solospiel überzeugt. Hat man die Spielmechanik erst einmal verstanden, laufen die Runden sehr flüssig. Das Spiel arbeitet auf verschiedene Weisen mit und gegen den Spieler. Das ist ausgesprochen spannend und vermittelt nicht nur einen tutorialhaften Eindruck, sondern bewirkt wirklich Spielspaß. Das Ödland erkunden, Orte aufsuchen, gegen Ghule und andere Wesen kämpfen, handeln und Quests erfüllen, um mehr und mehr Erfahrungspunkte zu sammeln, um den eigenen Charakter aufzubauen und die Überlebenschancen im Ödland zu vergrößern ... Das alles funktionierte bereits so gut, dass ein Mitspieler gar nicht vermisst wurde, um die Partie abzurunden. 210 Das Gruppenspiel Diese Aussage gilt allerdings ausschließlich für den Fall, dass man gerade keinen weiteren Spieler zur Hand hat. Gemeinsames Spielen mit mehreren Freunden ist die mit beste Form der aktiven Unterhaltung, und deswegen hat der Autor dieses Artikels selbstredend Fallout auch im Gruppenspiel auf Herz und Nieren getestet. Dadurch, dass sich das Solospiel wie erwähnt nur in drei relativ kleinen Anpassungen vom Gruppenspiel unterscheidet, sind viele Punkte gleich, wie beispielsweise der Aufbau und die grundlegenden Spielmechanismen. Der Vorteil beim Start des Gruppenspiels war für den Autor dieses Artikels klar der, dass er das Spiel vorab schon alleine

211 hat testen können. So ging die Erklärung der Spielregeln leicht von der Hand, und die ersten Fragen konnten sofort geklärt werden. Die beiden Ödland-Überlebenden Nico und Jörg – beide ebenfalls Fallout-Fans – fanden sich sofort im Spiel zurecht, und so dauerte es nicht lange, bis die erste Runde gestartet werden konnte. Als angenehm zu vermerken ist, dass das Gruppenspiel die Aktionen nicht etwa verlangsamt. Dadurch, dass jeder mit seinen zwei Aktionen recht zügig durch ist und selbst der Zug des Spiels selbst schnell abgehandelt ist, entwickelt sich eine angenehm dynamische Situation, die sich mit jeder Spieleraktion ändert und dafür sorgt, dass die eigenen geplanten Spielzüge stets angepasst werden müssen.

Zusammen oder gegeneinander? Den Regeln nach muss jeder Ödland-Überlebende genug Einfluss gewinnen, um das Spiel für sich zu entscheiden. Demzufolge spielt man durchaus gegeneinander. Aber das Spiel ist derart vielfältig, dass es dem Autor dieses Artikels und seinen Partnern im Testspiel in erster Linie weniger darum ging, wer das Spiel gewinnen würde. Vielmehr hieß es, die Möglichkeiten auszuschöpfen. Quests zu erledigen, den Charakter auszubauen, Stärken auszuspielen, Schwächen zu vermeiden und dazu noch auf die richtige Fraktion zu setzen, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen.

212 Die angesetzte Spielzeit von zwei bis drei Stunden darf fürs erste Spiel gut und gerne um eine Stunde verlängert werden.

Jammern auf hohem Niveau Bei all den positiven Aspekten ist es wahrlich schwer, an Fallout etwas Negatives zu finden. Insgesamt macht das Spiel so viel richtig, dass einem die wenigen Kritikpunkte kaum auffallen und dass diese dem Spielspaß sicherlich nicht im Wege stehen. Im Solospiel muss man sich beispielsweise selbst disziplinieren, um sich die Quests nicht zu verderben, weil man alles von einer einzigen Karte ablesen (und dabei immer einen Teil davon verbergen) muss. Wenn man einen Teil des Textes der Karte beispielsweise kopfüber geschrieben hätte, wäre es schwieriger, sich selbst zu beschummeln. Im Gruppenspiel liest übrigens der Nachbarspieler die Karten vor. Für das Gruppenspiel wäre es schön gewesen, wenn es vielleicht auch eine direkte Möglichkeit zum kooperativen Spiel geben würde. Indirekt kann man kooperativ spielen, indem mehrere Spieler ganz öffentlich der gleichen Fraktion folgen. Bei Brettspielen eigentlich kein Problem, doch als langjähriger Rollenspieler (und das ist hier ja letztlich die Basis) ist es immer auch ein Faktor, die Herausforderungen gemeinsam bestehen zu können.

Fazit

213 Fallout macht es den Spielern leicht, die Regeln zu verstehen und loszulegen, obwohl es sehr umfangreich ist. Die Spielmechanik ist mit zwei Aktionen, die man aus sechs Möglichkeiten wählen kann und einer Abschlussaktion des Spiels, bevor die nächste Runde beginnt, derart simpel, dass es eine Freude ist. Das Geheimnis steckt ganz klar in den Quest- und Begegnungskarten, dem Zufallsaspekt, den die V.A.T.S.-Würfel schaffen, und dem modularen Aufbau des Spielfelds durch die 21 Spielplanteile. Dadurch ist gewährleistet, dass sich in jedem Spiel die Erkundungen in keiner Partie gleichen, die Kämpfe und Begegnungen immer spannend bleiben, und durch die Entscheidungen, die man bei den Quests und Begegnungen fällt, gibt es sehr viele Möglichkeiten, wie sich das Spiel entwickeln kann. Die Charakterentwicklung sorgt zusätzlich für einen weiteren Spaßfaktor, da sich jede Verbesserung auch schnell auf die eigene Spielweise auswirken kann. Wer Fallout als Computerspielreihe nicht kennt, sich aber vorstellen kann, mit einer Spielfigur ein postapokalyptisches Ödland zu durchstreifen, dem wird hier ein wirklich gut durchdachtes Spiel geboten, das viel Spaß bereitet und das in jeder neuen Partie sehr viele Möglichkeiten bietet. Fallout-Fans kommen schon alleine wegen der liebevollen Gestaltung und den vielen erkennbaren Umsetzungen von Details aus den Computerrollenspielen auf ihre Kosten, werden aber auch am Brettspiel selbst sicher schnell Spaß haben. Wer einfach nur Filme wie Mad Max: Fury Road (2015) 214 gerne sieht, sollte sich Fallout ebenfalls mal zu Gemüte führen. Für die Spielrunde des Autors dieses Artikels auf jeden Fall ein Kandidat für viele weitere gesellige Abende.

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216 Phantastisches Lesen

Milchstraße: Lepso – Ancaisin: Graue Materie Aktuelle Entwicklungen in der Perry Rhodan-Erstauflage von Alexandra Trinley

Was bisher im Zyklus Mythos geschah: Nach einen unfreiwilligen Zeitsprung über fast 500 Jahre sucht Perry Rhodan, der mit der RAS TSCHUBAI samt Besatzung unterwegs ist, in einer vollständig veränderten Milchstraße nach Bekanntem. Die alten Machtblöcke sind fast völlig verschwunden, schon weil es nach einem Massensterben der Positroniken, Posizid genannt, keine verlässlichen Daten mehr gibt. Zum Datensterben kam die Datensintflut: die geleerten Speicherbänke wurden mit Unsinn überschwemmt. Und Aufzeichnungen auf Papier gab es wohl nicht genug. Keiner kennt sich mehr aus. Die Erde und der Mond sind verschwunden, sie wurden durch ähnliche Himmelskörper ersetzt, und der bloße Versuch, sich an sie zu erinnern, löst Unbehagen aus. Deswegen heißt der Zyklus ja auch »Mythos«. Weil die Erde in den Bereich der Mythen und Legenden verschoben wurde. Nur der schlechte Ruf der Terraner, für den es keinen sachlichen Grund gibt, der hält sich wie Bandgraswurzel.

217 Was ist noch übrig von der vertrauten Milchstraße? Atlan reiste in den vorangegangenen Romanen nach Arkon, um sich in seiner alten Heimat umzuschauen. Auch hier ist vieles anders geworden, bis auf die Meisterschaft im Intrigantentum. Die übersteht jedes Gerücht. Und der parapsychisch begabte Roboter, der in der Leserschaft heftige Debatten darüber auslöste, ob Parakräfte nur einem vernunftbegabten Individuum gehören können, hat mittlerweile seine Entstehungsgeschichte preisgegeben. Wer auch noch da ist in der neu geordneten Milchstraße, das sind die Posbis, zuverlässig wie immer, aber individueller und in ihrer Treue auf die verschiedenen Lager der Menschen aufgespalten. Auch die Verbrecherwelt Lepso gibt es nach wie vor, und sie ist der aktuelle Schauplatz der Handlungsebene Milchstraße.

218 © Pabel-Moewig Verlag

Die Sandschwimmer (PR 3032) von Kai Hirdt erzählt vom Vorgehen der USO auf einer von den neuen Machthabern

219 der Milchstraße, den Cairanern, beherrschten Welt. Der Roman erschien am 27. September, das Titelbild ist von Arndt Drechsler. Er spielt auf Hovcai, dem Amtssitz des cairanischen Konsuls, der die Randbezirke der Milchstraße kontrolliert, und dort befindet sich das Panarchiv, das vielleicht doch mal Informationen enthält. Die USO, das ist die United Stars Organisation, ein unabhängiger Geheimdienst, den der Arkonide Atlan einige Jahrtausende vor dem jetzigen Handlungszeitraum gegründet hatte, nachdem seine Zeit als Imperator des Kristallimperiums zu Ende war. Atlan hatte sich den Titel eines Lordadmirals verliehen. Den trägt jetzt der Oxtorner Monkey, den Susan Schwartz im Vorroman in einem grandiosen Charakterportrait wieder aufleben ließ. Unter dem Inkognito »Markgraf« bemüht sich auch dieser unsterbliche Lordadmiral der USO um das Vortäuschen ehrlichen Interesses an einer Zusammenarbeit mit dem Gegner, diesmal mit den Cairanern. Natürlich läuft im Hintergrund eine Spionageaktion, und Monkey ist durch seine völlige Gefühllosigkeit jederzeit für Situationskomik gut. Die Sandschwimmer sind eine einheimische Tierart des Planeten Hovcai, auf dem Monkey sich durch gewisse Tricks und Kniffe in aller Ruhe umsehen kann. Er sucht das Panarchiv, ein Gebäude aus drei Türmen, dessen Außenhülle von Hyperkristallablagerungen durchsetzt ist und eine schwache neuronale Komponente enthält. Deshalb kann es Hypersignale auffangen und selbstständig denken. Natürlich sucht Monkey nach Informationen über die Thesanit, jenes 220 Volk, das an der ganzen seltsamen Verwandlung der Milchstraße schuld zu sein scheint, und weil das Panarchiv mit seinen künstlichen Augen in Wechselwirkung tritt, sieht Monkey aufschlussreiche Szenen der Vergangenheit. Hirdts anschauliche und gut getaktete Erzählweise wird den Herausforderungen der zeitversetzt ablaufenden Handlung, die Gelegenheit für aufschlussreiche Perspektivwechsel bietet, mehr als gerecht. Wie alle Romane des beginnenden Mittelteils des Zyklus läuft auch dieser zügig und logisch ab. Gut geschriebene Romane werden oft als »routiniert« bezeichnet. Die aktuel- len Hefte wirken jedoch eher, als seien sie »interessiert« geschrieben worden.

221 © Pabel-Moewig Verlag

Ortswechsel: Vom Sitz des Konsuls zur Verbrecherwelt. Leo Lukas schrieb Das Phantom von Lepso (PR 3033).

222 Lordadmiral Monkey erkundet die sogenannte Freihandels- welt Lepso, eine Hochburg der Kriminalität, die in der Serie eine lange Tradition hat. Um das Vertrauen der Cairaner zu gewinnen, wird ein einheimischer Verbrecher gejagt und zur Strecke gebracht. Die Handlung des Romans kann kaum angedeutet werden, ohne zu spoilern. Jedenfalls gibt es eine Jagd quer über den Planeten, während der wir viel von dessen Topographie erfahren – wobei Lukas sich, wie stets, eher aufs Stadtleben konzentriert. Eine hochinteressante Protagonistin ist Shuana Sul, die zur Strafe für ein Vergehen an Verbrechern für einige Wochen Gedächtnis und Selbstbestimmung verliert. Offen bleibt, auf welche Weise sich diese an den elektronischen Einbauten und den natürlichen Körperteilen der Cyborg-Frau schadlos halten. Erinnerungen bleiben ihr beim Aufwachen keine.

223 © Pabel-Moewig Verlag

Ancaisin (PR 3034) von Michael Marcus Thurner eröffnet einen neuen Schauplatz. Der am 11. Oktober erschienene 224 Roman spielt schon in der fernen Galaxie Ancaisin, in der Perry Rhodan die Hintergründe der Cairaner, die die heimische Milchstraße besetzen, erforschen möchte. Sie befindet sich in einem 270 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxiengeviert, aus dem die neuen Herrscher der Milchstraße stammen. Das Titelbild zeigt die explizit unbedeutende Hauptperson der Geschichte, die Materialwissenschaftlerin Gry O’Shannon, die sich leidenschaftlich gern im freien Raum aufhält, weshalb es ständig zu Diskussionen mit ihrem gutwilligen, aber strapazierten Kommandanten kommt. Denn rein sachlich gibt es keinen Grund, dermaßen oft draußen zu sein. Gry O’Shannon schafft es aber immer wieder in den leeren Raum, wo sie die RAS TSCHUBAI in ihrer Gesamtheit betrachten und so richtig in der Leere schweben kann. Auch eine fremde Kultur lernen wir kennen. Die Quantam haben lange in zwangsläufiger Isolation gelebt, weil der Antrieb ihres Schiffs kaputt ist. Sie kennen sich damit nicht aus, denn die Ladhonen haben sie in dieses ihnen unverständliche Schiff verfrachtet und dann allein gelassen. Es ist eine Kultur, in der die Horchhäute sehr wichtig sind, weshalb die Quantam auch die Haare der Menschen für Horchhäute halten. Davon abgesehen finden sie die Humanoiden so richtig widerlich hässlich (was auf Gegenseitigkeit beruht), und als in Isolation aufgewachsene Bauerntrampel im All verhehlen sie ihre Abscheu nicht. Doch dank Zivilcourage und individueller Verantwortung geht alles gut. 225 Mit der RAS TSCHUBAI können die von einem fernen Planeten ins All Gelockten binnen weniger Tage zurückreisen und treffen auf ein sehr verändertes Heimatsystem. Ein ausgetauschter Planet kommt vor, die Auseinandersetzung mit einer fremden Zivilisation und viele Individualisten. Und dann kommt die Graue Materie.

226 © Pabel-Moewig Verlag

Graue Materie titelt Band 3035 von Uwe Anton und Christian Montillon. Im Mittelpunkt des Geschehens steht 227 eine seltsame Erscheinung, die mit Instrumenten nicht messbar ist, im Betrachter aber Hoffnungslosigkeit auslöst. Fliegt ein Objekt hinein, verschwindet es spurlos. Anlass genug für einen Erkundungstrupp. Rhodans Enkelin Farye Sepheroa steuert die QUIQUI, darüber hinaus ist die STARTAC SCHROEDER mit von der Partie. Die Materialwissenschaftlerin Gry O’Shannon kommt also in die Lage, ihr Beobachten der Grauen Materie fortzusetzen, diesmal nicht nur mit Segen von oben, sondern auch mit dem expliziten Auftrag dazu. Die Querelen mit ihren Vorgesetzten, darunter der Siganese Sholotow Affatenga, haben sich großteils in Wohlgefallen aufgelöst, ihre dienstliche Beurteilung liest sich günstiger als erwartet. Plötzlich gilt ihr Verhalten als couragiert und verantwortungsvoll. Zeit für die nächste Runde. Der Haluter Icho Tolot beschäftigt sich tatkräftig mit den Geheimnissen der Grauen Materie. Aber auch der Onryone Jalland Betazou ist mit von der Partie. Er kämpft nicht nur mit den aktuellen Ereignissen, sondern auch mit Stereotypen, die auf Leute seiner Herkunft projiziert werden. Schließlich sind die Onryonen von jeher als Beherrscher des Linearraums bekannt, und das weckt Erwartungen, von denen der Botaniker sich abgrenzen muss. Betazou macht eine Art Selbstversuch: Er lässt sich eine Horchhaut der Quantam implantieren, die seine Wahrnehmung auf irritierende Art und Weise erweitert. Überhaupt geht es um Wahrnehmung, außerdem um Bewegung. Wie kann man die Auswirkungen der Grauen Materie auf den Betrachter meistern, wie kann man sie 228 durchqueren oder überspringen? Wie immer bei Montillon und Anton gibt es viele kleine Interaktionen. Darüber hinaus ist eine Zivilisation zu retten, denn die Graue Materie droht einen Mond zu verschlucken, auf dem 120 Millionen Whanau leben. Und auch dort gibt es cairani- sche Hinterlassenschaften …

229 © Pabel-Moewig Verlag

Das telekinetische Imperium (PR 3036) von Michael Marcus Thurner führt uns erneut in eine neue Welt. Der Onryone 230 Betazou ist weiterhin mit von der Partie, dazu Perry Rhodan und Farye Sepheroa. Die STARTAC SCHROEDER wird im Linearraum vor dem Weemsystem abgebremst. Das kommt nicht allzu überraschend, denn schon andere Raumschiffe blieben dort hängen. Der Erkundungstrupp bewegt sich über die Wasserwelt Woloo III. Der Metabolist Donn Yaradua, dessen parapsychische Fähigkeit im Beeinflussen von Stoffwechselvorgängen liegt, und der Habitatsbiologe Jalland Betazou folgen bewusst ausgelegten Spuren bis in die Welt der auf dem Titelbild abgebildeten Wurmartigen, die unter Wasser leben und sich ein anderes Leben auch nicht vorstellen können. Die Darstellung der von Telekinese und gewissen anderen Fähigkeiten geprägten Zivilisation der Unterwasserwelt entspricht sicherlich Thurners Stärken. Die allmähliche An- näherung der Galaktiker lässt den Leser mit ihnen immer neue Tiefen erkunden.

231 © Pabel-Moewig Verlag

Der Abyssale Ruf (PR 3037) von Michelle Stern behandelt das Geheimnis der Phersunen. Auch sie sind ein Volk der

232 Galaxie Ancaisin, des Herkunftsorts der Cairaner, und ihr Geheimnis wird als das Heiligtum dieser Galaxie angekündigt. Perry Rhodan ist diesmal mit seiner Frau, der Wissenschaftlerin Sichu Dorksteiger, unterwegs. Gry O’Shannon und Donn Yaradua sind ebenfalls mit von der Partie. Neu ist die Verkünderin Kumusheg Eshall. Wie geht es weiter? Die Untertitel unter den Vorankündigungen sind stets aufschlussreich. Verena Themsen erzählt in Weltenenden (PR 3038) von der Fahrt zum Schauraum der Vernichtung. Wim Vandemaan beschreibt in Die Kanzlei unter dem Eis (PR 3039) ein geheimnisvolles Herrschaftsgebiet, in dem der Haluter Icho Tolot in den Einsatz geht. Kai Hirdt erzählt in Arkons Admiral (PR 3040), wie die Kristallbaronien zwischen mächtigen Feinden stehen – die Abwehrflotte ist führungslos. Susan Schwartz berichtet über Die hermetische Botschaft (PR 3041). Darin geht es vermutlich um die Verkünderin Kumusheg Eshall, denn es heißt: Seit Generationen ist sie die Erbtochter – Atlan erhält eine erschütternde Nachricht. Es folgt ein Gucky-Roman von Uwe Anton, Titel und Untertitel lauten Gucky und der Sternenkonsul. Der Ilt in geheimer Mission – unterwegs im Sternöstlichen Konsulat (PR 3042). Pünktlich am Freitag dem Dreizehnten erscheint Michael Marcus Thurners Die Welt der Báalols. Auf geheimer Mission – Terraner und Tefroder arbeiten zusammen (PR 3043). 233 Ein spannender Gedanke, dass nun schon mit Hochdruck an den Romanen um die Zyklusmitte gearbeitet wird. Interviews zu allen Romanen der Erstauflage und zu jedem Band der aktuellen Miniserie MISSION SOL finden sich auf www.proc.org.

Verlagsinformationen, Lese- und Hörprobe gibt es auf https://perry-rhodan.net

"Ganz nah am Nichts": Im Gespräch mit Susan Schwartz aka Uschi Zietsch

Die Teamautorin der PERRY RHODAN Erstauflage und der Schwesterserie PERRY RHODAN NEO berichtet von ihren aktuellen Romanen in beiden Reihen, aber auch von Neuerscheinungen in ihrem Fabylon-Verlag.

Die Fragen stellte Alexandra Trinley.

AT: Susan, in der Erstauflage hat du zuletzt Die Gewaltigen von Everblack (PR 3031) veröffentlicht. Ich versetze mich jetzt mal in die Rolle harmloser Zeitgenossen, die einfach mal die Perrypedia aufschlagen und dort die Inhaltsangabe lesen. Das ist ja schon ziemlich viel Stoff.

234 UZ: Wir sind ja schon im zweiten Drittel des Zyklus. Da sammelt sich storymäßig bedingt natürlich schon einiges an. Ich habe sogar einiges an Infos weggelassen, was nicht handlungsrelevant war, damit der Roman nicht zu sehr vollgeballert wird.

235 © Pabel-Moewig Verlag

AT: Everblack, was ist das?

236 UZ: Eine Dunkelwelt, die auf halber Strecke zwischen Milchstraßenzentrum und Hundertsonnenwelt liegt. Sie durchmisst 14.800 Kilometer, die Schwerkraft beträgt 1,3 Gravo und ist komplett mit Industrie überbaut. Ein ordentlicher Brocken also. Die Posbis, denen Everblack gehört, nennen die Welt „So nah am Nichts“.

AT: Warum leben die Posbis auf solchen Welten?

UZ: Sie benötigen keine Atmosphäre, keine Sonne, nur genügend Platz, um ihre Industrie zu errichten. Angenehm wäre natürlich, wenn ein solcher Planet auch über Metalle und Erze als Ressourcen verfügt, das ist aber keine Bedingung.

AT: Die Positronisch-Biologischen Roboter, wie ihre vollständige Bezeichnung lautet, fragten in der Frühzeit der Serie jeden, ob er Wahres Leben sei. Was meinten sie damit?

UZ: Das ist ihre Definition für Wesen, die aus positronischem und organischem Material bestehen – die also so sind wie sie. 237 AT: Heutzutage fragen sie nach dem einzig wahren Maghan Vetris-Molaud, den wir in den Vorzyklen als machtbesessenen Diktator der Tefroder, eines ursprünglich in Andromeda angesiedelten Zweigs der Menschheit, kennengelernt haben. Wo steht der im veränderten Machtgefüge der Milchstraße in der Cairanischen Epoche?

UZ: Er ist ein Bündnis mit Reginald Bull eingegangen, und die beiden arbeiten zusammen. Ob das aufrichtig gemeint ist oder vorrangig seinen eigenen, für später gedachten Zwecken dient, sei dahingestellt. Als Zellaktivatorträger kann er Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende vorausplanen.

AT: Und die „Gewaltigen von Everblack“ unterstützen ihn.

UZ: Nicht wie beschrieben, das war ja ein Trick. Die Tefroder hatten 1517 NGZ mit künstlich geschaffenen Viren, den sogenannten Balpirol-Proteindirigenten, die Posbi-Paranoia erzeugt, die absolute Hörigkeit gegenüber Vetris-Molaud und abgrundtiefen Hass gegen die Terraner verursachte. (Nachzulesen in Band 2782, zufälligerweise auch von mir.) Davon sind sie inzwischen geheilt (siehe Band 2825). Die Everblacks sind wieder Freunde der Terraner.

238 AT: In deinem Roman stehen sie dem cairanischen Augenraumer TELTRAM gegenüber, den Posner Orrodu kommandiert. Wie kommt es zu diesem Konflikt?

UZ: Die Posbis greifen die Cairaner ohne weitere Vorwarnung zuerst mit tönenden Worten, dann mit tönenden Waffen an. Warum, wird am Schluss erklärt.

AT: Wieso heißen die Schiffe der Cairaner eigentlich Augenraumer?

UZ: Wegen der Form der Schiffe mit der leuchtenden Energiezelle in der Mitte. (Saurons Auge ist überall, harhar.)

AT: Als dritter Faktor kommt ein modernes Raumschiff der Neuen USO dazu. Was ist denn die USO?

UZ: Die United Stars Organisation war ursprünglich eine übergeordnete, unabhängige Schutzorganisation, die von Atlan geführt wurde. Jahrhunderte nach ihrer Auflösung wurde sie im 13. Jh. NGZ als Neue USO wiederbelebt und hat sich nun wieder zur USO reorganisiert. Sie teilt sich in Spezialisten (im Einsatz) und Technos (Basis) auf, die 239 allesamt eine extrem schwere Ausbildung durchlaufen müssen, bevor sie übernommen werden. Wie jede Organisation dieser Art arbeitet sie verdeckt und im Hintergrund, hat überall ihre Geheimagenten und Rekrutierungsbüros und beste Connections. Auch heute noch grenzen sie sich vom „Normalvolk“ durch beharrliches Siezen ab und vergeben antiquiert anmutende Rangbezeichnungen, wie etwa „Lordadmiral Monkey“.

AT: Das Schiff heißt NIKE QUINTO. Langjährigen Lesern der Serie ist spätestens mit diesem Namen klar, was gespielt wird. Magst du die Anspielung erklären?

UZ: Eine Anspielung ist das nicht, sondern das gilt einem unvergessenen Mann, der unschätzbare Dienste geleistet und den Grundstein für die USO gelegt hat – er war in den frühen Tagen des Solaren Imperiums Leiter der „Abteilung III“ („Sie stellen keine Fragen, wir erledigen das diskret“) und ein überaus fähiger Kopf, der anderen durch sein cholerisches Temperament und seinen Perfektio- nismuswahn Angst und Schrecken einjagen konnte. Wegen seiner Fettleibigkeit wurde er oft unterschätzt, war aber hochintelligent und ein absoluter Kontrollfreak. Ihm zu Ehren wurde die USO-Basis „Quinto-Center“ getauft, so heißt sie noch heute. Monkey will mit der Bezeichnung seines Flaggschiffs ein deutliches Zeichen setzen, keine Frage. 240 AT: Als Kommandant der NIKE QUINTO fungiert ein mysteriöser Markgraf, den das Titelblatt von vornherein als Monkey outet. Der Lordadmiral der USO hat auch ein ganz eigenes Temperament.

UZ: Na ja, ob man das als Temperament bezeichnen kann … Er ist nahezu gefühllos, und da seine Augen künstliche Optiken sind, kann man auch nicht darin lesen. Falls er empathisch ist, so zeigt er es nicht, jedoch geht er nicht über Leichen, um sein Ziel zu erreichen. Vermutlich definiert er sich über seine Aufgabe.

AT: Du setzt dieses Temperament ja auch sehr gezielt zur Handlungsführung und für eine bestimmte Art von Situationskomik ein. Worauf achtest du da?

UZ: Sein Verhalten kann ja nur auf andere komisch wirken, deswegen wird er stets aus der Außenperspektive geschildert.

241 © Pabel-Moewig Verlag

AT:

242 Sprechen wir über PERRY RHODAN NEO. Auch hier hast du im gerade zu Ende gegangenen Zyklus „Die Solare Union“, der wie immer bei NEO nur zehn Taschenhefte umfasst, den Band 207 geschrieben.

UZ: Einsatz auf Ertrus erzählt in erster Linie die Geschichte von Ronald Tekener weiter, aus dessen Sicht wir an den weiteren Ereignissen teilhaben – da er auf der Suche nach seinem Peiniger Iratio Hondro ist, kommt er zusammen mit seiner Schwester ins „Agententeam“ der Brüder Rhodan (von Nike Quinto beauftragt, jaaaajaaaa) und geht nach Ertrus mit, wo man Hondro festnehmen und gleich dazu das Geminga-Kartell zerschlagen will.

AT: Ronald Tekener ist langjährigen Lesern der Erstauflage kein Unbekannter. Einer der wenigen zwielichtigen Protagonisten der Serie, der polarisiert, auch wenn er auf Seiten der Guten steht. In der EA ist er gestorben. Ist der wiedererstandene NEO-Tekener der gleiche Charaktertyp wie der ursprüngliche?

UZ: Nein, beide verbindet lediglich die Spielsucht und die Verunstaltung durch die Lashat-Pocken.

AT:

243 Dein nächster NEO ist Band 212. Da sind wir schon im nächsten Zyklus.

UZ: Ja, der heißt „Das Compariat“, wir unternehmen eine sehr weite Reise, an der auch Ronald Tekener beteiligt ist, um die verheerenden Auswirkungen des Dunkellebens zu ergründen – und Lashat ist eine Anlaufstelle. In meinem Roman sind wir noch auf dem Weg dahin.

AT: Dein Roman titelt Welt der Hoffnungslosen. Worum geht es darin?

UZ: Es handelt sich um eine Welt von „Aussätzigen“, die von den hochansteckenden, letalen Dunkellebenviren befallen sind und dort von allen verlassen und aussortiert dahinvegetieren, sterben – oder rebellieren. Dorthinein geraten Perry und Ronald (und weitere), um den Weiterflug der FANTASY zu ermöglichen, auf der alle wahnsinnig zu werden drohen.

AT: Was für ein Schiff ist die FANTASY?

UZ: Sie verfügt über einen einzigartigen Antrieb, ist also etwas ganz Besonderes. Sie hat nicht die übliche Kugelform, 244 sondern ist eleganter und sehr viel kleiner, ein Experimentalschiff und Prototyp.

245 © Fabylon

AT: Kommen wir zu deinen eigenen Romanen. Was gibt es Neues im Fabylon-Verlag?

UZ: Das Jahr ist ja schon fast um, dennoch freue ich mich immer noch, dass ich endlich die „Chroniken von Waldsee“ mit Band 6 (Hatar Stygan – Der Dunkle Hass) zu einem würdigen Ende bringen konnte.

AT: Wer ist denn der Herr in der Rüstung?

UZ: Das ist Hatar Stygan in einer seiner Erscheinungsformen.

AT: Und was habt ihr außerdem Neues?

UZ: Außerdem habe ich mich mal auf die Pfade der allgemeinen Belletristik gewagt und die Road-Trip-Komödie zweier chaotischer Münchnerinnen durch Irland mit dem Titel Irish Summer veröffentlicht.

AT:

246 Wie fühlte es sich an, mal etwas zu schreiben, das keine Phantastik ist?

UZ: Es ist ja nichts Neues für mich, ich schreibe schon seit über 30 Jahren in vielen Genres. Ich mag die Abwechslung, und etwas Zeitgenössisches zwischen SF zu schreiben, das leichtfüßig und humorvoll sein soll, ist eine tolle Sache.

AT: Noch etwas?

UZ: Ich habe eine Anthologie herausgegeben und eine Kurzgeschichte dazu beigetragen: Phantastisches Schwaben – auch mal was anderes. Die Autoren sind alle Mitglieder des VS-Bayern (Schriftstellerverband) und haben entweder durch Wohnort oder frühere Ereignisse/Familie einen Bezug zu Schwaben – der zum Teil auch recht märchenhaft anmutet.

AT: Ist das so etwas wie "die dunklen Seiten der Schwaben"?

UZ: Eher sind es die dunklen Seiten des Lebens, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen.

AT: 247 Dann danke ich dir für das Gespräch.

UZ: Gern.

PERRY RHODAN Erstauflage https://perry-rhodan.net/produkte/erstauflage

PERRY RHODAN NEO https://perry-rhodan.net/produkte/neo/neo

Fabylon-Verlag https://www.fabylon.de

Comic-Kolumne: Phantasie und Wirklichkeit von Uwe Anton

Rein äußerlich kommt das Sachbuch Drachen und Saurier in unseren Comics durchaus ansprechend daher, ein großformatiges Hardcover von 41 x 29 Zentimetern, und der Text auf dem "abwaschbaren Rückendeckel" verspricht auch einiges an Informationen über diese Urzeitwesen. In den Abenteuercomics der Fünfziger und Sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden sie ja so oft von den verschiedensten Helden niedergestreckt, dass sie nun endgültig als ausgerottet gelten müssen. "Der Autor hat

248 sämtliche Comics und Comic-Seiten aus frühen US-Zeitungen und Heften studiert und auf die Präsenz von 'Ungeheuern' aller Art darin untersucht, die entsprechenden Seiten gescannt und in diesem Buch von 1932 an bis einschließlich 1956 abgebildet und kunstanalytisch kommentiert." Sieh an, sieh an. "Ungeheuer" müssen nicht unbedingt "Drachen und Saurier" sein, und schon beim haltlosen Hype "sämtliche Comics" stellen sich Zweifel ein. Der Verfasser muss bei den Zehn- oder Hunderttausenden von Heften, die in diesem Zeitraum in den USA erschienen, sehr viel gelesen und Zugriff auf sehr, sehr seltenes Material gehabt haben. Umso besser! Nun werden wir endlich mehr über Dinosaurier in Alley Oop, Brick Bradford, Mandrake the Magician, Secret Agent X-9 oder Terry and the Pirates erfahren, falls es denn welche gegeben haben sollte – um nur einige berühmte Strips zu nennen, die 1932 erstmals in den Zeitungen erschienen, ganz zu schweigen von denen in den Comic-Books! Das Layout des Covers kommt allerdings seltsam altmodisch anmutend daher. Das Titelbild zeigt auch keinen amerikanischen Comichelden, sondern den italienischen Akim, der in Deutschland durch die Publikationen des Lehning-Verlags Berühmtheit erlangte. Dieser Verlag wird auf dem Rückumschlag allerdings mit keiner Silbe erwähnt. Der Inhalt bestätigt den Verdacht: Der Teil über amerikanische Comics umfasst gerade einmal 25 Seiten und beschränkt sich auf die Serien Tarzan, Prinz Eisenherz und Flash Gordon, sieht man einmal von einigen wenigen 249 eingestreuten Seiten aus EC-Comics ab. Das hier präsentierte Bildmaterial liegt in gängigen amerikanischen und deutschen Ausgaben vor und ist problemlos zu beschaffen. Bei den Danksagungen bemüht der Autor jedoch einen "treuen Freund", "der mir mit den frühen US-Sonntagsseiten von Harold Foster's Tarzan und Prince Valiant, sowie mit Alex Raymond's Flash Gordon so selbstlos ausgeholfen hat." Da scheint ja wirklich ein Experte am Werk gewesen zu sein! Zu dem Autor herumgesprochen hat sich aber noch nicht, dass sich im Deutschen der Genitiv ohne Apostroph schreibt. Auch die Kommasetzung im Zitat mutet nicht nur falsch an, sie ist es. Das müsste man nicht unbedingt erwähnen, würden sich solche oder ähnliche Fehler nicht durch den gesamten Text ziehen. Überhaupt … Im Buch wird der Name des Autors nicht genannt. Das ist einfach nur unprofessionell. Hält der Verfasser sich für so berühmt, dass die (Comic)-Welt sowieso weiß, wer er ist, oder hat es andere Gründe? Hier lässt sich herrlich spekulieren, etwa darüber, ob der Verlag tatsächlich die Abdruckerlaubnis von Bildern von Künstlern wie Frazetta oder Vallejo eingeholt hat oder sie als Bildzitate sieht, was bei einem Buch, das fast ausschließlich Bilder präsentiert, allerdings fragwürdig wäre. Der Klappentext macht noch weitere Versprechungen, die das Buch nicht hält. "614 Farbabbildungen" soll es enthalten. Wenn man eine Comicseite als Gesamtkomposition betrachtet und nicht die einzelnen Panels zählt (schließlich hat ein Comic-Album ja auch "48 Seiten" und nicht "307 Panels"), sind es tatsächlich etwa 250 260. Der Rest setzt sich zusammen aus Schwarzweiß-Abbildungen von unterschiedlicher Qualität. Zum Teil werden hier die schwarzen Flächen in verwaschenem Grau wiedergegeben, als hätte der Autor die Druckvorlagen einfach aus seiner sicher nicht kleinen, aber schon vergilbten Sammlung zusammengesucht und nicht bearbeitet. Es stellt sich die Frage, womit der Autor die restlichen gut 160 Seiten seines Buches füllt. Die Antwort drängt sich schon auf, wenn man den Titel genau liest: Drachen und Saurier in unseren Comics. Das entspricht (wie der "treue Freund") dem Jargon, den die Anhänger des Lehning-Verlags pflegen, der in den 1950er- und 1960er-Jahren einen bedeutenden Anteil am deutschen Comic-Markt hatte. Auch diese Befürchtung bestätigt sich: Ab der Seite 37 beschäftigt sich der Autor mit der "Ära der Lehning-Hefte 1953 – 1956". Das ist ein Etikettenschwindel erster Güte. Der Klappentext verspricht eine Untersuchung amerikanischer Comics, mehr als achtzig Prozent des Buches beschäftigen sich jedoch mit in Deutschland bei Lehning veröffentlichten Serien, die international kaum Bedeutung haben und auf dem Backcover mit keinem einzigen Wort erwähnt werden. Zumindest der Leser, der sich über Dinosaurier-Auftritte in amerikanischen Comics informieren wollte, wie der Klappentext es verheißt, fühlt sich spätestens jetzt … klingt "verarscht" besser als "betrogen"? Zumal man schon auf den ersten Seiten auf zahlreiche Fehler stößt. Nicht nur auf grobe Schnitzer wie etwa auf S. 31, auf der der Autor Flash Gordon-Strips vom "17. + 24. Septenber [sic!] 1944" Alex 251 Raymond zuschreibt. Raymonds letzte Flash Gordon-Seite wurde am 30. April 1944 veröffentlicht, die hier abgedruckten Strips stammen von seinem Nachfolger Austin Briggs. Nun ja, der Herr Autor ist eben Experte. Vernachlässigen wir auch die falsche Schreibweise "Dino-Saurier" (etwa S. 8, S. 12) und gehen wir auch nicht auf "überdimensionale Ungeheuer" auf derselben Seite ein. Wahrscheinlich meint der Autor "überdimensionierte", also zu groß geratene, und nicht solche aus einer übergeordneten Dimension. Auf S. 9 kolportiert der Autor unreflektiert die Legende, dass "ein junger Autor" (!) namens Edgar Wallace "die Szenarien" – was immer das sein soll – von "King Kong und die weiße Frau" (1933) schrieb. Der 1875 geborene Wallace wurde zwar beauftragt, ein Drehbuch für den geplanten Film zu verfassen, verstarb jedoch 1932 mit 56 (!) Jahren, nachdem er lediglich die erste Rohfassung fertiggestellt hatte. Ein "schleimiger Gigantosaurus" auf S. 14 ist eigentlich gar nicht schleimig, sondern steigt aus "schleimigen Tiefen" empor, auf S. 17 macht der Autor aus einem Tyrannosaurus Rex einen "Dinosaurus Rex", dem nichts "gewachen" ist (S. 18). Stilblüte reiht sich an Stilblüte, Fehler an Fehler. Auf S. 20 überlebt ein Monster "die Gezeiten aus prähistorischer Vergangenheit", auf S. 23 bezichtigt der Autor den Eisenherz-Zeichner Hal Foster des unsauberen Arbeitens, "denn Krokodile sind Süßwasserbewohner und kommen im Meer überhaupt nicht vor". Hier paart sich mangelnde Allgemeinbildung mit verquerem Comic-Wissen: Sogar das größte heute lebende Krokodil, das Leistenkrokodil 252 (Crocodylus porosus), ist in der Tat ein Salzwasserkrokodil, das weit in den Ozean vordringt. Auch der Großteil des Buches, eben die "Ära der Lehning-Hefte", ist nicht unbedingt besser geraten. Die "kunstanalytischen Kommentare" bestehen aus Bemerkungen wie "Kinder mit [sic!] zehn oder zwölf Jahren, die abends diese Schauergeschichten lasen, hatten vermutlich eine schlaflose Nacht […]" Das Töten eines Seeungeheuers kommentiert der Autor mit "Moby Dick hätte von den drei Wäscher-Helden noch jede Menge lernen können". Moby Dick war der gemeuchelte Wal, Herr Autor! Natürlich darf ein "Sience Fiction" (S. 91) nicht fehlen, und im Zusammenhang mit der Serie "Raka" wird "die Idee mit den fliegenden Schlangen" als "allerbeste Science Fiction" bezeichnet. Ächz, um im Comic-Jargon zu bleiben. Erwähnen wir noch, dass der Autor sich natürlich nicht, wie wir bereits geargwöhnt haben, auf "Drachen und Saurier" beschränkt, sondern alles an Ungeheuern hervorkramt, was die damaligen Lehning-Comics zu bieten hatten, u.a. auch Riesenspinnen und Geschöpfe von anderen Welten, und breiten wir dann den Mantel des Schweigens über diesen "historisch zu betrachtenden Zeitspiegel" (ja wie denn sonst?) aus. Ersatzweise wäre auch ein empörter Aufschrei denkbar. Spätestens, wenn im Urheberrechts-Verzeichnis auf S. 200 in fast allen Fällen die Nachlassverwalter genannt werden, nur nicht bei dem bereits 2012 verstorbenen Joe Kubert, dessen Urzeit-Saga Tor auf zwei Seiten abgehandelt wird, und der Künstler Boris Vallejo als "Boris Valejo" bezeichnet wird. 253 Hier war eben ein Experte am Werk. Seufz. Auf seine alten Tage wird Szenarist Jean van Hamme (* 1939) noch richtig politisch. Oder anders ausgedrückt: Bleibt sein Blick für die Realitäten unserer Welt so geschliffen scharf, wie er es für zwischenmenschliche Beziehungen in seinem zeitlosen Meisterwerk Thorgal schon immer war. Auch in Kivu, in Szene gesetzt von Christophe Simon (* 1974), geht es um Menschlichkeit. Oder vielleicht besser gesagt um Unmenschlichkeit, denn der Band beginnt gleich mit einer mehrfachen Dauervergewaltigung. Zuerst tun Angehörige der Hutu-Bande der zwölfjährigen Violette Gewalt an, die ihr Dorf in Brand gesetzt haben, dann ein Soldat, den ihr Bruder schließlich ersticht. Das alles spielt sich in Kivu ab, einer Provinz des Kongo, die wegen ihrer Coltan-Vorkommen umkämpft ist, eines Rohstoffs, den man u.a. benötigt, um Handys herzustellen. In diese Szenerie des permanenten realen Grauens – denn etwas anderes ist das nicht, was sich durchgehend in dieser Provinz abspielt – stolpert der belgische Ingenieur Daans, der von seiner Firma in den Kongo geschickt wird. Belgien und der Kongo, das ist eine Geschichte für sich und gleichzeitig die des Imperialismus und Kolonismus per se. Einst eine Privatkolonie des belgischen Königs Leopold II., der dort nach Belieben schalten und walten konnte und das ganze Land als seine Privatschatulle sah, die nur darauf wartete, von ihm geleert zu werden, geriet das Land nach seiner Unabhängigkeit in nicht minder turbulentes Fahrwasser. Wobei "Unabhängigkeit" natürlich relativ ist. Im Kongo ziehen auch danach andere Nationen und Konzerne 254 an den Strippen, die die Geschicke des Landes von außen steuern und nur ein Ziel haben: mit so wenig Gegenleistung wie möglich das Land auszubeuten und so viel Gewinn wie möglich zu machen. Unser junger Ingenieur geht seine Aufgabe natürlich zuerst einmal reichlich blauäugig an und merkt gar nicht so richtig, dass er immer tiefer in das komplexe Geflecht zwischen einheimischen Machthabern auf allen Ebenen der Gesellschaft, dem Militär und ausländischen Vertretern der Konzerne gerät, die in diesem Land das Sagen haben. Und der Autor geht ganz klassisch vor, setzt erste Kontrastpunkte, stellt das Leben in Luxushotels dem der Einheimischen gegenüber und steigert den Konflikt dann. Er erfindet die Handlungsführung nicht neu, beschreitet ausgefahrene Wege, aber die reichen, um die Handlung zu tragen. Natürlich begegnet unser Ingenieur Violette, natürlich setzt er sich, wie es sich gehört, für sie und ihre Sache ein, sofern sie denn außer dem Überleben überhaupt eine hat, bis er schließlich, wie es sich gehört, selbst zur Waffe greifen und auch abdrücken muss. So gesehen ist, wie es sich gehört, Kivu eher die Geschichte der Bewusstwerdung des Protagonisten vor einem grausamen Schauplatz als die der Geschichte einer Unterdrückung und Ausbeutung. Doch das ist auch das Problem dieses von aufrichtigem Zorn getragenen Comics: wie es sich gehört. Van Hamme erzählt seine Geschichte gradlinig und konventionell, von der Hoffnung getragen, dass sie kraftvoll genug ist, um das Interesse des Lesers zu halten. Das mag durchaus so ein, 255 aber es ist natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Vielleicht sind wir Leser von der Bilder- und Informationsflut, die uns Tag für Tag bestürmt, von Tarzan und Prinz Eisenherz und Flash Gordon, schon so übersättigt, dass wir den wahren Schrecken gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen und als gegeben akzeptieren. Aber leider vermag Kivu es nicht ganz, uns dafür die Augen zu öffnen. Chris Scheuer ist so etwas wie eine Legende unter den deutschsprachigen Comic-Zeichnern. Das liegt zum einen am etwas eigentümlichen, aber einprägsamen Strich des 52jährigen Österreichers, zum anderen daran, dass er sich sehr rar macht, schnell die Lust an aussichtsreichen Projekten verliert, sie nur selten zu Ende führt und immer wieder für Jahre aus der Szene verschwindet. Dennoch wurde er schon ganz am Anfang seiner Karriere – 1984, im Jahr der ersten Preisverleihung – auf dem Comic-Salon Erlangen mit dem Max-und-Moritz-Preis in der Kategorie Bester deutschsprachiger Comic-Künstler ausgezeichnet. Das war sicherlich genauso eine Anerkennung des bisher veröffentlichten Werks wie ein Ansporn für die Zukunft, der angesichts seines schmalen Outputs aber niemals verwirklicht wurde. Dass seine Bekanntheit aber ungebrochen ist, zeigt u.a. die Veröffentlichung seines neuesten Werks Reiche Ernte, die problemlos bei Panini erfolgte und vom Verlag als "eindrucksvolles Comeback" bezeichnet wird. Darin illustriert er fünf Kurzgeschichten seines Landsmanns Matthias Bauer, die dieser in einer Sammlung mit – verallgemeinernd ausgedrückt – Horror-Stories beim kleinen 256 Blitz-Verlag veröffentlichte. Die Textvorlagen sind allerdings nicht besonders beeindruckend. Wie so viele Horror-Geschichten laufen sie entweder auf eine Pointe hinaus, die hier aber leider in den wenigsten Fällen überraschen kann, oder stellen einfach nur kurze Schlaglichter auf das Geschehen dar. Die reiche Ernte hält natürlich der Sensenmann, der Tod, der immer wieder den Lebenden einen kräftigen Strich durch die Rechnung macht. Ob es nun der KZ-Kommandant ist, der einen sehr seltsamen Gefangenen hat, ein verwunschenes Dorf, das seine Geheimnisse hütet, oder die Schatten, die in unsere Welt greifen, die Themen sind fast klassische, aber unglaublich konventionelle Horrorliteratur. Chris Scheuers Strich ist dicker geworden, damit auf eine robuste Weise auch massentauglicher, doch man erkennt ihn noch immer sofort. Das alles ist ein Klagen auf sehr hohem Niveau: Scheuer besticht weiterhin durch seine fabulösen Zeichnungen, und seine Farbgebung ist, wenngleich eher spärlich, doch einfallsreich und innovativ. Er hat wie kaum ein anderer deutschsprachiger Zeichner verstanden, was einen Comic ausmacht. Sequential art at its best! Vor all den jungen, aufstrebenden deutschen Künstlern mit ihren experimentellen Konzepten, in denen sich die Handlung zumeist verliert, muss er sich jedenfalls nicht verstecken. Man kann nur hoffen, dass der Zeichner nicht wieder das Interesse verliert und tatsächlich noch die beiden angekündigten weiteren Bände mit Adaptionen von Bauers Kurzgeschichten folgen lässt.

257 Der alteingesessene Knesebeck-Verlag hat die Comics für sich entdeckt und veröffentlicht nun in schneller Folge einige durchaus interessante Titel. Nach der Schilderung der Apollo-11-Mission (vgl. Corona 19-03) von Matt Fitch, Chris Baker und Mike Collins, die natürlich aufgrund des 50jährigen Jubiläums als sicherer Verkaufserfolg gelten kann, geht es mit zwei Biografien weiter. Pierre Christin (* 1938, Valerian & Veronique) und Sébastien Verdier schildern das Leben von George Orwell (d.i. Eric Arthur Blair, 1903 – 1950), während Fabien Grolleau (*1972) und Jérémie Royer sich mit Charles Darwin (1809 – 1882) befassen, dabei das Hauptaugenmerk allerdings auf die Reise auf der HMS Beagle legen. Nun ist eine Biografie kein Spannungsroman, und eine Comic-Biografie ist bestenfalls die spannende und gut aufbereitete grafische Darstellung eines interessanten Lebens. Die Frage ist stets, wie die Autoren mit dem zur Verfügung stehenden Material umgehen, wie die Aufbereitung erfolgt. Charles Darwin wurde weder von wilden Tieren noch von Eingeborenen angegriffen, und George Orwell agierte eher mit Worten als mit Taten. Reine Action ist hier also weniger zu erwarten. Beide Verfasserteams haben ihre Aufgabe ausgezeichnet gelöst. Sie fassen die Essenz dessen, was ihre beiden Zielpersönlichkeiten ausmacht, hervorragend zusammen. Sowohl Pierre Christin als auch Fabien Grolleau gehen ihre Aufgabe streng chronologisch an. In klaren Schwarzweiß-Zeichnungen, die nur gelegentlich durch farbige Seiten oder auch nur eingefärbte Panels betont 258 werden, zeichnen Christin und Verdier das Leben Eric Blairs von einer behüteten, aber streng geregelten Kindheit über die obligatorische Militärzeit bis hin zur Entwicklung eines politischen Bewusstseins nach, das schließlich im Verfassen von Romanen wie "1984" und "Farm der Tiere" mündete. Blair war ein typischer Intellektueller, dessen Jugend von den Traditionen seines Vaterlands geprägt wurde. Er schlug die vorbestimmte Laufbahn ein und verließ dann den Rahmen des eigentlich Vorgesehenen: "George Orwells Leben war, genauso wie seine Bücher, voller Wendungen. Er studierte in Eton, ging nach Burma, kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg, war überzeugter Gegner des Stalinismus und schlug sich als Journalist in den Slums von London durch." Natürlich muss Christin sich auf Schlaglichter beschränken, doch diese markieren die Wendepunkte, von denen der Klappentext spricht, setzen die wichtigen Akzente, verdeutlichen die Motive, die Blair treiben, sein Wesen. Nach der Lektüre des Bandes glaubt der Leser, George Orwell besser zu kennen als zuvor. Grolleau und Royer hatten es da vielleicht etwas einfacher. Sie können aus zahlreichen Quellen schöpfen: Charles Darwins Reise auf der HMS Beagle, die von 1831 bis 1836 dauerte, ist nicht zuletzt durch die Tagebücher und sonstigen Aufzeichnungen des Schöpfers der Evolutionstheorie (hier hauptsächlich sein "Die Fahrt der Beagle") gut dokumentiert. Die beiden Verfasser behandeln zwar kurz die früheste Jugend und das Alter des Briten, konzentrieren sich aber auf seine Reise, die die moderne Wissenschaft vielleicht einen entscheidenden Schritt 259 voranbrachte. Im Gegensatz zu der Orwell-Biografie wird hier allerdings weniger eine Auslotung der Persönlichkeit des Forschers betrieben, was auch nirgendwo behauptet wird: Die Reise steht im Mittelpunkt, sie wird akribisch und in herrlichen Farben geschildert, ohne sich allerdings zu sehr in Details zu verlieren, sofern man fünf Jahre auf knapp 170 Seiten zusammenfassen kann. Zu bemängeln ist wieder einmal der Umgang des Verlags mit dem Medium Comic. Die Orwell-Biografie ist zum Teil im Maschinenlettering gesetzt und einwandfrei lesbar. Das gilt allerdings nicht für die Reise auf der HMS Beagle. Schon bei der Apollo-11-Mission bemängelten wir "das entsetzlich unprofessionell wirkende Lettering, das auf kleine Sprechblasen keine Rücksicht nimmt, den Text einfach durchlaufen lässt und bei der Aufteilung des Gesamttextes keine Pünktchen setzt. Der Leser fühlt sich in die Zeit […] des alten Billig-Maschinenletterings einschlägiger Verlage der Sechziger Jahre erinnert. So wird die Lektüre zum Gräuel." Genau diesen Vorwurf muss man auch Charles Darwin machen: Das Lettering wirkt krakelig und stümperhaft, ist schlecht lesbar und verdirbt dem Leser den Spaß an der Lektüre. Ob der (?) Letterer die völlige Unzugänglichkeit seiner Arbeit selbst erkannt hat und schamhaft auf die Nennung seines Namens verzichtete oder dem Verlag dieser Aspekt eines Comics dermaßen unwichtig erscheint, dass er von sich aus auf eine Namensnennung verzichtete: Hier besteht dringender Verbesserungsbedarf! Deutsche Comics sind nicht mehr die Sensation auf dem Buchmarkt, aber ein deutsches Comic-"Magazin" erregt 260 schon einiges Aufsehen, vor allem, wenn es im Albenformat und im Hardcover erscheint und auf 96 Seiten 15 Beiträge deutscher Comic-Schaffender zum Thema Science Fiction und Phantastik präsentiert – wie der erste Band von Cozmic. Die Herausgeber René Moreau (der auch für das Science Fiction-Magazin Exodus verantwortlich zeichnet) und Michael Vogt (Mark Brandis – Weltraumpartisanen) haben einen Sammelband zusammengestellt, der sich sehen lassen kann. Die Beiträge sind zum größten Teil pfiffig, durchdacht und ausgezeichnet in Szene gesetzt. Dabei wollen die Macher das Rad – sprich den Comic – keineswegs neu erfinden, sondern setzen auf gut erzählte und gezeichnete Comics von klassischem Zuschnitt. Zündende Pointengeschichten stehen gleichberechtigt neben Schlaglichtern auf fremde Welten, die Mischung stimmt, Spannung steht neben sense of wonder, und oft genug ist ein Aha-Erlebnis Lohn der Lektüre. Herausgeber Vogt eröffnet den Reigen mit einer Story aus dem Mark-Brandis-Universum, eine sichere Bank angesichts der Albenreihe (bei Panini), die es immerhin schon auf vier Ausgaben gebracht hat. Ingo Lohse lässt eine der experimentellsten Geschichten dieses Bandes folgen, die an die Schilderung eines Raumflugs aus Frank Herberts Dune-Zyklus erinnert, und Jürgen Speh dreht in einer Science Fiction-Satire mit Hilfe eines süßen kleinen weißen Hundes die Wirklichkeit auf drei Seiten komplett um. Damit ist das Spektrum umrissen, das Cozmic abdeckt. Das Magazin ist absolut professionell produziert, der Druck ist einwandfrei, das Lettering durchgehend gut lesbar und der 261 jeweiligen Geschichte ausgezeichnet angepasst. Hier könnte ein Verlag wie – aus aktuellem Anlass – Knesebeck in die Lehre gehen und tatsächlich noch einige Basics lernen. Jeder Band präsentiert auch noch einen Sachartikel. Über den in der ersten Ausgabe (es geht um Leos phantastisches Universum) möge jeder Leser sich sein eigenes Bild machen – er stammt vom werten Verfasser dieser Zeilen. Nach Ein seltsamer Tag von Olaf Brill und – erneut – Michael Vogt, der die gesammelten kurzen Robotermärchen der beiden Verfasser aus dem Magazin Phantastisch! präsentiert, ergänzt um einige neue Stories, ist das der zweite Band, mit dem der Atlantis-Verlag auf sich aufmerksam macht. Hat da etwa ein Verleger seine Liebe für gut gemachte deutsche Comics entdeckt? Auf die zweite Ausgabe von Cozmic können wir gespannt sein. Unbedingt zulegen!

Anonym (Hermann J. Menzer) Drachen und Saurier in unseren Comics C. Kuhlewind-Verlag, Bergisch Gladbach o.J., 200 S., keine Preisangabe (99 Euro)

Jean van Hamme/Christophe Simon Kivu Splitter, Bielefeld 2019, 72 S., € 18.00

Matthias Bauer/Chris Scheuer Reiche Ernte Panini, Stuttgart 2019, 70 S., € 17.00 262 Pierre Christin/Sébastien Verdier George Orwell Knesebeck, München 2019, 160 S., keine Preisangabe (25 Euro)

Fabien Grolleau/Jérémie Royer Charles Darwin und die Reise auf der HMS Beagle Knesebeck, München 2019, 176 S., keine Preisangabe (28 Euro)

René Moreau/Michael Vogt (Hrsg.) Cozmic 1 Atlantis, Stolberg 2019, 96 S., € 19.90

Rezension: Klingonisch – Wort für Wort: Kauderwelsch-Sprachführer von Lieven L. Litaer von Thorsten Walch

Immer dann, wenn die Rede auf die klingonische Sprache kommt, fällt der Name „Lieven L. Litaer“ fast im gleichen Atemzug. Der gebürtig aus Belgien stammende ungemein sprachbegabte Saarländer, hauptberuflich als Architekt tätig, war einer der ersten deutschen Star Trek-Fans, die sich näher mit der in den 80er-Jahren vom amerikanischen Sprachwissenschaftler Marc Okrand entwickelten 263 klingonischen Sprache beschäftigte, deren Grundzüge von „Scotty“-Darsteller James Doohan (verstorben 2005) höchstpersönlich stammten. Recht schnell entwickelte er sich zunächst zum führenden deutschen Experten für „tlhIngan Hol“ und eine Zeit darauf durch die persönliche Bekanntschaft mit dem Erfinder des fiktiven Idioms auch zu einer weltweit anerkannten Kapazität auf dem Gebiet. Lieven L. Litaer veranstaltet alljährlich das „qepHom“, den Klingonischkurs Saarbrücken, der stets ausgebucht ist, war maßgeblich an der überarbeiteten Neuausgabe von Marc Okrands Das offzielle Wörterbuch Klingonisch/Deutsch – Deutsch/Klingonisch beteiligt, verfasste den Anfänger-Kurs Klingonisch für Einsteiger (beide erschienen im Heel-Verlag) und übersetzte in jahrelanger Arbeit gar Antoine de Saint-Exupérys Kinderbuch-Klassiker Der kleine Prinz in die klingonische Sprache, der unter dem neuen Titel ta’puq mach 2018 im Verlag in Farbe und Bunt erschien und 2019 für den Deutschen Phantastik Preis nominiert wurde, um nur einen Teil seiner Aktivitäten aufzuzählen. Im August 2019 erschien Lieven L. Litaers neuestes Buch, genaugenommen ein Büchlein; jedoch eines, das es in sich hat: Klingonisch – Wort für Wort: Kauderwelsch-Sprachführer, auf das wir an dieser Stelle einen ausführlichen Blick werfen wollen.

Inhalt Auf 144 Seiten führt Lieven L. Litaer in der mittlerweile berühmt gewordenen Manier der Kauderwelsch-Sprachführer elementar in die bereits 264 erwähnte tlhIngan Hol, die klingonische Sprache, ein. Er stellt die wichtigsten Einzelwörter, Frage- und Antwort-Formulierungen, Sach- und auch Sprichwörter und Redewendungen vor und erklärt Aussprache und Intonierung. Im Anhang gibt es ein Verzeichnis der wichtigsten Begriffe, und das ausklappbare Cover informiert über die wichtigsten Phrasen.

Kritik Du verstehen was ich wollen sagen mit Schreiben diesen Satz? Wenn Sie mir soeben zumindest vom Sinngehalt her folgen konnten, dann ist bereits erklärt, um was genau es sich bei den Kauderwelsch-Sprachführern aus dem Reise Know-How Verlag Peter Rump GmbH handelt. Die meist in ähnlichem Umfang wie das vorliegende Büchlein gehaltenen Sprachführer haben es sich nicht zum Ziel gemacht, den Leser auf knapp 150 Seiten zu fließendem Englisch, Französisch oder Italienisch zu führen, sondern sollen elementare Grundkenntnisse vermitteln, mittels denen man unter Muttersprachlern zumindest ein Bier bestellen, den Weg zur Toilette erfragen oder Sympathie bekunden kann. Auch wenn das Ergebnis davon letztlich grammatikalisch nicht korrekt sein mag, so ist es nichtsdestotrotz verständlich. Schön und gut, mag der oder die eine oder andere nun sagen, bei real existierenden Sprachen mag die Zweckmäßigkeit solcher Druckwerke ja auch durchaus gerechtfertigt sein, aber warum um alles in der Welt ein Mini-Sprachführer über das Klingonische? Die Sprache einer 265 höckerköpfigen kriegerischen Alien-Rasse aus einem TV- und Kino-Universum, deren Angehörige man in der realen Welt wohl niemals treffen wird? Nun, in gleicher Weise könnte man sich an dieser Stelle über vieles mokieren, angefangen bei abgestempelten Briefmarken, die für ihren Sammler auch nur wenig praktischen Nutzen besitzen, oder jene Menschen, die sich über Bierdeckel aus aller Welt freuen. Manche Dinge sind schlicht und ergreifend dazu da, Spaß zu machen, und wenn sie diesen Zweck erfüllen, haben sie alles erreicht, wozu sie gedacht sind. Klingonisch gehört nach der 1887 vom Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof entwickelten Kunstsprache Esperanto zu den beliebtesten „Plansprachen“ (so werden solche „Phantasiesprachen“ allgemein genannt) der Welt, und neben etwa 20 bis 30 Personen, die fließend Klingonisch sprechen, gibt es etliche Tausende, die zumindest Grundkenntnisse davon besitzen und sich dafür interessieren. Schon lange hat Klingonisch das alleinige Star Trek-Universum verlassen und wird in einer Vielzahl von Filmen und Fernsehserien mal präziser und mal weniger genau zitiert. Spätestens auf einer Star Trek- oder auch anderweitigen Science-Fiction/Phantastik-Con wird ein Freund der klingonischen Sprache seine Kenntnisse mit Leichtigkeit anwenden können und ähnlich begeisterte Gleichgesinnte finden. Doch zurück zum Büchlein selbst. Im Gegensatz zu Lieven Litaers bisherigen beiden „Lehrbüchern“, die mit vergleichsweise hoher Konzentration gelesen werden müssen, vermittelt der Kauderwelsch Klingonisch-Sprachführer in sehr schneller, leicht 266 verständlicher und kompakter Weise wichtige Grundkenntnisse. Auch der Verfasser dieser Rezension, dem es bisher trotz einer zumindest rudimentären Fremdsprachen-Begabung nicht gelungen ist, Klingonisch über „Qapla‘“, „nuqneH“ und „qathlho‘“ hinaus zu lernen (was weit eher Zeit- als Interessengründen geschuldet ist), konnte sich mit Kauderwelsch Klingonisch in kürzester Zeit immerhin genügend Vokabular aneignen, um einem Autorenkollegen akkurat zu antworten, dessen E-Mail mit Äußerungen in klingonischer Sprache begann. Gesuchtes findet sich leicht und schnell in dem handlichen Büchlein, das sich geradezu als dauerhafter Begleiter auf der nächsten Con oder dem nächsten TrekDinner anbietet. Dank des eingeschlagenen Pappumschlages ist es auch recht robust gestaltet, wie es sich eben für einen echten Sprachführer gehört. Ein weiterer Bonus sind die im Buch verteilten QR-Codes, mittels denen man sich einzelne Aussprachebeispiele via Smartphone anhören kann (selbstverständlich eingesprochen vom Autor selbst). Und da dergleichen ungeheuer viel Spaß macht (schließlich hat es doch unbestreitbare Vorteile, wenn man etwa seinem Chef mit honigsüßem Lächeln klingonische Nettigkeiten an den Kopf werfen kann!) und man sich immer wieder beim Griff nach dem Büchlein ertappt, ist der Sprachführer eine unverzichtbare Motivation für das vollständige Klingonisch-Lernen. Wie bereits gesagt – manche Dinge machen schlicht und ergreifend Spaß und nicht mehr. Fazit: Ob es sich bei Klingonisch – Wort für Wort: Kauderwelsch-Sprachführer um ein „Must-have“ für jeden 267 Star Trek-Fan handelt, sei dahingestellt. Im Falle von Freunden der grimmig-ehrenwerten Gesellen jedoch allemal, und der kleine Preis, den das Büchlein kostet, prädestiniert es geradezu als kleines Extra für diese Art von Fans, um es in der kommenden Weihnachtszeit etwa in den Nikolaus-Stiefel zu stecken. Der Verfasser dieser Rezension jedenfalls wird es in diesem Jahr gleich mehreren Leuten unter den Christbaum legen. Man lernt nie aus, sinnfreies Lernen gibt es nicht, und Klingonisch ist eine hochinteressante Angelegenheit! In diesem Sinne jImej und QiSmaS DatIvjaj ‘ej DIS chu‘ DatIvjaj – viel Spaß beim Übersetzen!

Klingonisch – Wort für Wort: Kauderwelsch-Sprachführer von Lieven L. Litaer, erschienen im Reise Know-How-Verlag Peter Rump GmbH, Bestellnummer ISBN 978-3-8317-6555-3, Preis: 9,90 € (Kindle-E-Book: 8,99 €)

Matthias Hues: Shirtless in Hollywood – schonungslos ehrlich und humorvoll von Reinhard Prahl

Nicht schon wieder?

268 Autobiografien unserer Hollywoodhelden und -legenden gibt es auf dem Buchmarkt ohne Ende. Meistens in Zusammenarbeit mit einem Ghostwriter verfasst und Wort für Wort durchgestylt, lesen sich die Bücher in der Regel eher wie Romane oder Erfolgsanleitungen. Wie oft erzählen die großen Stars davon, wie es mit ihrer Karriere, nach Überwindung einiger Hindernisse, versteht sich, steil bergauf ging. Fehltritte, Irrtümer oder auch allzu menschliche Ausrutscher finden ihren Weg, wenn überhaupt, nur als Randbemerkungen oder in Form verharmloster Anekdoten in die Werke. Sicherlich ist diese Vorgehensweise verständlich. Schließlich möchte man keine Angriffsfläche bieten, sondern Bücher verkaufen. Als Fan kauft man sich die Lebensgeschichten von Arnold und Co. trotz dieses Wissens. Immerhin gibt es reichlich Hintergrunddetails von den Sets unserer Lieblingsfilme und Einblicke in ein Leben, das wir vielleicht gerne selbst führen würden.

Frei von der Leber Als der Autor dieses Artikels auf der diesjährigen House of Horrors Convention in Oberhausen Matthias Hues (Dark Angel) interviewen durfte und auf dessen Autobiografie stieß, war also zunächst einmal Skepsis angesagt. Was sollte ein 80er- und 90er-Jahre-B-Movie Action Hero aus Deutschland schon zu erzählen haben, was man nicht schon dutzende Male bei den wirklich Großen gelesen hat? Im Gespräch mit dem sympathischen Schauspieler wurde jedoch schnell klar, dass Hues nicht nur über seine Erfolge 269 berichtet. Stattdessen wirft er einen durchaus selbstkritischen und ironischen Blick auf seine frühen Jahre in Hollywood und spart nicht mit, teils sogar peinlichen, Details, die sich erfrischend anders lesen. Da Hues seine Lebensstory nicht nur komplett selbst verfasst, sondern auch verlegt hat, konnte er es sich erlauben, so frei von der Leber weg zu erzählen, dass man beim Lesen manchmal aus dem Staunen nicht herauskommt.

270 Erfrischend ehrlich Da schreibt der gebürtige Waltroper davon, wie er mit den kurzen Lederhosen seines Vaters, in Cowboyboots und Muscle-Shirt gekleidet, durch die Straßen stolzierte und sich als einer der ersten Nachwuchsschauspieler vom üblichen Fotoformat für die Agentenmappe verabschiedete.

271 Stattdessen ließ er sich mit Bajuwaren-Lederhose, Gürtel um die Hüfte und freiem Oberkörper ablichten und schaffte es so sogar, die Aufmerksamkeit eines Agenten auf sich zu ziehen. Auch Hues‘ erste Jobs als illegaler USA-Immigrant sorgen für den einen oder anderen Schmunzler. Ob als Trainer in einem Gay-Fitnessstudio, in welchem dem gutgebauten Hünen tagelang nicht auffiel, dass dort nur Männer trainierten, oder als Walking Act in Edel-Discos, Hues hat einiges durchgemacht. Erschreckend wird es geradezu, wenn er schonungslos ehrlich darüber berichtet, wie er für einen Besitzer mehrerer heruntergekommener Motels den Bodyguard gab. Umgeben von Drogensüchtigen, Dealern und Prostituierten hatte er dafür zu sorgen, dass vor den Hotels nicht gedealt wurde, was ihm dann auch noch fast zum Verhängnis geworden wäre. Spannend für Fans von 80er- und 90er-Jahre-Actionfilmen wird es, wenn der Schauspieler über seine ersten Hauptrollen in Karate Tiger 2 und Dark Angel berichtet. Die Erzählungen sind so intensiv und packend, dass man fast den Eindruck gewinnen könnte, man wäre selbst dabei gewesen. Wer also des Englischen mächtig ist (eine Übersetzung ins Deutsche ist bereits in Planung) sollte sich als Filmfan die 490 Seiten nicht entgehen lassen. Die Druckfassung ist bei Amazon für 24,14€ erhältlich. Die EBook-Ausgabe gibt es für 13,53€.

272 Im Gespräch mit Matthias Hues: „I Come in Peace“ von Reinhard Prahl

Prahl: Hallo Matthias. Vielen Dank, dass du dir hier auf der House of Horrors Convention die Zeit nimmst, mit uns vom Corona Magazine zu sprechen.

Hues: Gerne doch. Ich freue mich, hier zu sein. Die Convention macht mir bislang großen Spaß und ich freue mich, euch alle persönlich kennenzulernen.

Prahl: In den Medien wird immer wieder darüber berichtet, dass du einer der wenigen Deutschen bist, die akzentfreies Amerikanisch sprechen. Wie schafft man das?

Hues: Das hat Jahre gedauert. Anfangs war mein starker Akzent ein großes Hindernis, und ich bin oft von meiner ersten Freundin dafür kritisiert worden. Als angehender Schauspieler kommt man so in Hollywood nicht weiter. Du bekommst einfach keine Arbeit, oder wenn, sind deine Möglichkeiten sehr limitiert. Du gibst immer den deutschen Nazi oder so was. Also habe ich hart an mir gearbeitet. Es

273 dauert schon vier bis fünf Jahre, bis man den Akzent zumindest fast los wird.

© R. Prahl

Prahl: Du blickst auf eine erfolgreiche Karriere zurück, nicht nur als Schauspieler. Bevor du nach Hollywood gingst, warst du Geschäftsmann und Besitzer zweier Fitnessstudios. Du hast den Aerobic-Boom der 80er Jahre in Deutschland mitgeprägt. Wie kam es eigentlich dazu?

Hues: Naja, ich habe Restaurantfachmann gelernt. Ich hatte „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Thomas Mann gelesen und bin, genau wie Krull, nach Paris gezogen.

274 Dort habe ich in einigen tollen Hotels gearbeitet und meine Ausbildung gemacht. In Paris gab es ein Fitness Center namens „La Salle des Champs-Élysées“, das heute natürlich nicht mehr existiert. Da haben alle französischen Filmstars, Sänger und Tänzer trainiert. Zu dieser Zeit schwappte die Aerobic-Welle mit Jane Fonda nach Europa rüber, und da habe ich gedacht: „Vergiss das Hotelfach. Geh in die Fitnessszene, da kannst du richtig was auf die Beine stellen.“ Also bin ich zurück nach Deutschland gegangen und habe ein Fitnessstudio eröffnet. Und das war das erste Aerobic Center für Frauen in Deutschland. Die Idee hat voll eingeschlagen, und ich habe ein zweites Studio eröffnet. Das lief super, bis ich mir in den Kopf gesetzt habe, nach Hollywood zu gehen und Schauspieler zu werden.

Prahl: Der Beginn deiner Schauspielkarriere ist eine interessante Geschichte. Eigentlich hat dir der damalige Manager des Gold’s Gym in Venice Beach, Derek Barton, deine erste Hauptrolle in Karate Tiger 2 vermittelt, oder?

Hues: Derek war seinerzeit für die Publicity und Public Relations verantwortlich. Er hat immer Schauspieler umsonst trainieren lassen, und so habe ich ihn angesprochen, dass ich auch gerne Schauspieler werden würde. Das war in den 80ern, da gab es noch nicht so viele Leute, die nach Hollywood gekommen sind, um Actor zu werden. Da fing der große „Gold Rush“ gerade an. Derek sagte: „Wenn ich 275 dir helfen kann, lass mich dir helfen“, und irgendwann hat er einen Anruf erhalten, weil Jean-Claude van Damme sich von Karate Tiger 2 verabschiedet hatte. Die Produzenten waren echt in der Bredouille, weil schnell ein Ersatz hermusste. Derek empfahl mich, und schließlich bekam ich die Rolle auch.

Prahl: Was fühlt man eigentlich in so einem Augenblick, wenn einem plötzlich die Chance des Lebens ins Haus flattert?

Hues: So eine Chance zu bekommen, ist fast unmöglich, weißt du? Egal, ob dich jemand empfiehlt, oder nicht. Du musst in Auditions gehen und beweisen, dass du was kannst. Ich musste vor dem Produzenten, der selbst ein Hardcore-Karatekämpfer ist, vorkämpfen. Der fand mich aber nicht so gut wie van Damme und wollte mich eigentlich nicht im Film haben. Seine Partnerin mochte mich aber und drohte sogar damit, sich aus dem Film zurückzuziehen, wenn ich nicht dabei wäre. Sie hat also was in mir gesehen, während Roy Horan nur auf meine Fighting Skills schaute.

Prahl: Du warst aber damals schon Schwarzgurtträger, richtig?

Hues: Nein, war ich nicht. Ich habe gar keinen schwarzen Gurt. Das habe ich auch nie behauptet. Ich weiß nicht genau, wie 276 das in meine Vita kommt. Ich vermute, irgendjemand hat das mal geschrieben, weil er mich im Film kämpfen gesehen hat und es für logisch hielt, dass ich Gurtträger bin. Ich habe das schon öfter beanstandet, aber irgendwie hält sich das Gerücht ziemlich hartnäckig. Ich komme sportlich eigentlich aus dem Fünf- und Zehnkampf und liebe es, verrückte Sachen zu machen. Ich war immer schon gut darin, über Autos zu springen und mein Bein hochzureißen. Also dachte ich mir: „Ich kriege das schon hin.“ Wie man sieht, hat es funktioniert (lacht). Ich habe die Herzen der asiatischen Choreografen und Stuntleute erobert, weil ich alle meine Stunts selbst gemacht habe. Ich hätte mich damals für den Film umgebracht, das hat man wohl gemerkt.

Prahl: Kurze Zeit nach Karate Tiger 2 folgte Dark Angel. Du hast in deinem Panel bereits erzählt, dass dies bis heute dein Lieblingsfilm ist und nebenbei auch einige witzige Seitenhiebe in Richtung Dolph Lundgren verteilt, weil er dich am ersten Drehtag nicht einmal wiedererkannt hat. Wie steht ihr beiden heute zueinander?

Hues: Interessanterweise habe ich Dolph bis heute nicht wiedergesehen. Das ist eigentlich schon fast ein Wunder, weil wir beide in Los Angeles leben. Aber manche Leute lernst du kennen oder arbeitest mit ihnen und siehst sie anschließend nie wieder. Andere trifft man ständig. Aber Dolph und ich laufen wohl immer aneinander vorbei. 277 Prahl: Dark Angel hat heute noch viele Fans. Wenn man sich den Film anschaut, merkt man, wie viel Handarbeit noch darin steckt. Wenn du dir heutige Actionfilme anschaust, angefangen bei The Expendables, aber auch die Marvel-Blockbuster, wie findest du es, dass so viele CGI-gerenderte Effekte verwendet werden?

Hues: Ehrlich gesagt, ich stehe da nicht so drauf. The Expendables I bis III mag ich. Da sieht man noch, dass die alte Garde am Werk ist. Stallone ist beispielsweise ein hart arbeitender Schauspieler, der will seine Stunts selbst machen und braucht die Action. Aber Captain America und ähnliche Filme haben mir viel zu viele Special Effects. Der Green Screen fällt dir ständig regelrecht ins Auge. Das mag ich nicht so. In den 80er und frühen 90er Jahren sagten dir die Regisseure, dass du deine Stunts selbst machen musst, damit der Film überhaupt eine Chance beim Publikum hat. Die Leute müssen sehen, dass du es bist, der da über die Autos rennt oder durch die Fenster springt.

Prahl: Demnach würdest du eher in einem James Bond als in The Avengers mitspielen, richtig?

Hues:

278 Genau. Bei den Bond-Filmen gibt es noch viel Handarbeit. Ich hätte einige Male schon fast den Bösewicht spielen dürfen. Es gab einige Meetings, letztlich hat es aber leider nie geklappt. Wenn ich jemals den Fiesling in James Bond spielen würde, würde ich alles selbst machen. Das gilt auch für die Filme von Tom Cruise. Der macht auch alles selbst. Ich finde das klasse. Wenn möglich, sollte man seine Stunts auch alleine machen. Für die absolut verrückten und supergefährlichen Sachen, aus dem zehnten Stock springen oder so, gibt es dann gut ausgebildete Stuntmen.

Prahl: Dir wird in Dark Angel bis heute eine tolle Kamerapräsenz bescheinigt, und du hast eine ganze Menge cooler Szenen. Viel Text hast du allerdings nicht gerade. Im Großen und Ganzen reduziert er sich auf „I come in peace.“ Bedauerst du diese Tatsache heute nicht manchmal?

Hues: Nein, das hätte für die Figur des außerirdischen Dealers Talec gar nicht hingehauen. Arnold Schwarzenegger ist bekannt geworden mit „I’ll be back“. Und das hat sich auch bei mir bewiesen. Mit diesem einen Satz ist Arnolds Manager während des Drehs zu mir gekommen und hat gesagt: „Du, das wird wie in Terminator“. Anschließend hat er mich gleich unter Vertrag genommen. I Come in Peace war ja auch kein ganz kleines Projekt. Der Film hatte immerhin ein Budget von 7 Millionen Dollar. Jan Hammer,

279 der damals up to date war, hat die Musik komponiert, und Dolph Lundgren war auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Prahl: Du scheinst sehr stolz darauf zu sein, dass man dich heute noch auf Dark Angel anspricht.

Hues: Natürlich, wer wäre das nicht? Manchmal blicke ich mit ein wenig Melancholie auf die Zeit zurück. Ich würde gerne einen zweiten Teil drehen, aber die Zeiten haben sich geändert. Im Moment gibt es so viele neue Filme im Kino und Streamingportale wie Netflix, die dich täglich mit neuen Filmen versorgen. Das macht es nicht immer leichter. Früher wurdest du von jedem erkannt, egal wo du hinkamst. Es gab eben nicht so viele Filme. Das war zeitweise so schlimm, dass mich tatsächlich ein Mönch auf einem Tempelberg in Bali mit den Worten „I come in peace“ begrüßte (lacht).

Prahl: Letzte Frage: du hast eben bereits Netflix erwähnt. Hand auf's Herz. Wenn Netflix oder Amazon Prime käme und dir ein großes Budget für eine Dark Angel-TV-Serie anbieten würde, würdest du da nicht zuschlagen?

280 © R. Prahl

Hues: Klar, das würde ich natürlich sofort machen. Netflix ist ja nur ein Outlet, und im Endeffekt ist es egal, wer das Geld zur Verfügung stellt. Heute kommt praktisch alles zu uns nach Hause. Ein Knopfdruck genügt, und du hast tausende Filme und Serien zu deiner Verfügung. Man kann nun einmal nicht gegen die Zukunft ankämpfen, und Amazon Prime, Netflix und all die anderen Streamingdienste sind die Zukunft. Andererseits geht auch ein wenig was verloren. Als ich noch ein Jugendlicher war, ging man in die Videothek und hat sich eine Videokassette ausgeliehen. Das hatte irgendwie so etwas wie eine Bedeutung, und wenn der Film gerade verliehen war, warst du richtig traurig und musstest eine Woche warten, bis er wieder reinkam. Heute sitzt du 281 mit der Fernbedienung vor dem Fernseher und schaltest Netflix ein. Da gibt es so viel Material, dass man sich gar nicht entscheiden kann, was man schauen soll. Weißt du, was ich meine? Manchmal ist das einfach schon zuviel.

Lieber Matthias, vielen Dank für das Interview.

Rezension: Das Flüstern - Eine Heldenreise der besonderen Art Andreas Brandhorst legt mit »Das Flüstern« einen phantastischen Roman vor. von Hartmut T. Klages

282 © Piper

Die beiden letzten Romane von Andreas Brandhorst, die der Verlag als »Thriller« vermarktet hat, nämlich »Das 283 Erwachen« und »Ewiges Leben«, waren hervorragende Science Fiction-Romane. Dass sie nicht als solche in die Buchhandlungen gelangten, liegt aus meiner Sicht an dem Missverständnis, dass viele Menschen »Star Wars« als Science Fiction betrachten (und nicht als Mantel- und Degen-Filme, die sie ja eigentlich sind). Daher musste für die intelligenten »Near Future-Romane« des Erzählers ein anderes Label gefunden werden (wie es ja auch bei Eschbach oder Schätzing der Fall ist). »Das Flüstern« als neuester Roman von Andreas Brandhorst enthält keine Elemente der Science Fiction. Der Autor nimmt Leserin und Leser mit auf eine sehr spezielle Art von Heldenreise. Sie beginnt in Italien. Der achtjährige Nikolas Salvini sitzt auf dem Rücksitz des Autos, als seine Eltern auf den Vordersitzen während der Fahrt erschossen werden. Das Auto überschlägt sich, Nikolas wird auf seinem Kindersitz aus dem Wagen geschleudert und entgeht so auch den beiden Gestalten, die sich unmittelbar danach vom Tod seiner Eltern überzeugen. Als später Unbeteiligte eintreffen und den unversehrten Jungen finden, fällt der Schlüsselsatz: »Er muss einen Schutzengel gehabt haben«. Andreas Brandhorst führt Leserin und Leser behutsam, aber eindringlich in die Welt des jungen Nikolas ein, der »irgendwie anders« ist. Gesichter assoziiert er mit Zahlen, Worte mit Farben. Die Einführung in diese Welt gelingt so intensiv, dass Leserin oder Leser bald keine Erklärung mehr benötigen, welche Sorte von Worten durch die Farbe Türkis begleitet wird. So erschließt sich die weitere Handlung immer durch die eigentümliche Weltsicht von Nikolas. Auch 284 der Grund für den Tod seiner Eltern, die Natur der »Famiglia«, der sie angehörten, und die Art ihrer »Geschäfte« werden auf diese Weise offenbar, ohne dass die damit leicht assoziierbaren Schlüsselbegriffe fallen müssen. Der Klappentext des Verlages spoilert munter, dass »Das Flüstern« von jenem »Schutzengel« ausgeht und dass sich Forscher für diesen interessieren. Dieser milde Spoiler tut der Spannung, mit der man in die Handlung hineingezogen wird, keinen Abbruch. Denn die Vorgänge um Nikolas bleiben zunächst mysteriös, nicht nur aufgrund dessen sehr eigener Weltsicht. Auch Leserin und Leser bleiben lange im Unklaren, welcher Natur das Flüstern ist, wer als Freund, wer als Feind gelten kann. Die Schauplätze des Romans werden aus Nikolas' spezieller Sicht interessant geschildert. Ein besonderes Vergnügen sind die Personenbeschreibungen, denn es gelingt Andreas Brandhorst, sie durch Nikolas' Augen lebendig werden zu lassen. Mit dem sehr speziellen Blickwinkel dieses so eigenartigen Kindes, aber auch mit der Schonungslosigkeit, mit der kindliche Erkenntnis oft behaftet ist. Rowan Atkinson soll einmal gesagt haben, der Erfolg von »Mr Bean« sei darauf zurückzuführen, dass dieser sich verhalte wie ein Kind. »Das Flüstern« ist weit davon entfernt, Slapstick zu bieten. Eher im Gegenteil. Aber Nikolas und sein Schutzengel zeigen genau jene Unmittelbarkeit und Schonungslosigkeit, die sich in kindlichem Denken findet. Andreas Brandhorst gelingt es, 285 Leserin und Leser in dieser Perspektive die Welt betrachten zu lassen und die Handlung atemlos bis zum Schluss zu verfolgen. Die eine oder andere grundlegende Idee des Romans ist schon in anderen Werken aufgegriffen worden. Das beweist wieder einmal, dass nicht die Qualität oder Originalität einer Grundidee für die Qualität eines Romans maßgeblich ist, sondern das Vermögen, die Ideen in eine originelle Erzählung umzusetzen. In der Zusammenfassung ist »Das Flüstern« ein spannender Roman mit zahlreichen überraschenden Wendungen und unleugbar phantastischen Elementen. Die spezielle Erzählperspektive hebt ihn aus ähnlich ambitionierten Werken heraus und macht ihn zu einem sehr speziellen Leseabenteuer.

Rezension: Reise durch Mittelerde von Birgit Schwenger

John Howe auf der Reise durch Mittelerde: Neue Illustrationen des Tolkien-Illustrators in einer wunderschönen Buchausgabe in der Hobbit Presse von Klett-Cotta

286 © Klett-Cotta

Der erste, der die Welt von Mittelerde mit seinen Karten und Zeichnungen sichtbar machte, war J.J.R. Tolkien selbst. Seine Karten fußten auf Reiseberichten, ließen Unschärfen zu, boten aber gleichzeitig auch einen immensen

287 Detailreichtum, der wiederum neue Entdeckungen und Abenteuer ermöglichte. Auch ließ Tolkien Einflüsse aus seinem Leben in seine Zeichnungen eingehen, z. B. seine eigenen Wanderungen in den Schweizer Bergen, die sich auf diese Weise in einigen Schauplätzen und Ansichten Mittelerdes wiederfinden. Aber nicht alle Regionen oder geographischen Gegebenheiten von Tolkiens Welt entsprechen einem real existierenden Ort in der wirklichen Welt. Manches scheint auch eher einem Gefühl als einem realen Vorbild entsprungen zu sein. Auch die filmischen Versionen seiner Werke liefern eine weitere Schicht an Bildern und Orten, die nur zum Teil dem realen Neuseeland entsprechen, vielmehr aber der erzählten Wirklichkeit Mittelerdes. Und so wie auch die Filme aus der Sicht eines Reisenden erzählt werden, so ist auch John Howe, der an der künstlerischen Konzeption der Filme maßgeblich beteiligt war, mit seinem Zeichenstiften und Skizzenbüchern wieder auf Reisen gegangen, um weitere, bislang nicht erkundete Orte Mittelerdes kennen zu lernen und in traumhaft schöne Bilder zu fassen. Als Reisender ist John Howe kein Neuling. Bereits mit der fünfteiligen von WDR und arte koproduzierten Dokumentation Auf den Spuren der Hobbits machte sich der gebürtige Kanadier 2014 auf den Weg, um die historischen und künstlerischen Hintergründe von Tolkiens Geschichten zu ergründen. Auch im vorliegenden Bildband (Originaltitel A Middle-Earth Traveller) ist Jon Howe wieder unterwegs: von Beutelsend bis Mordor – so der Untertitel des in diesem Jahr bei Klett-Cotta in der Hobbit Presse erschienen Buches. 288 Wie immer bei der Hobbit Presse ist auch dieser Band wunderschön gestaltet und eine wahre Pracht. Das gebundene Buch wird auf Vorder- und Rückseite sowie auf dem Schutzumschlag von einer Zeichnung geziert, die Gandalf auf seinen Wanderungen durch Mittelerde zeigt. Auf den insgesamt 192 Seiten sind durchgängig vierfarbig bebildert eine Vielzahl von Zeichnungen und vollständig ausgestalteten Illustrationen abgebildet. Meist sind es gleich mehrere Zeichnungen, die die einzelnen Seiten schmücken. Doch auch die begleitenden Texte, in denen sich Howe so seine Gedanken über den Kosmos von Mittelerde und seine Charaktere macht, sollte man gebührend beachten: Von Tolkiens Schöpfungsmythen über Melkor und die magischen Ringe Saurons, die den Prolog bilden, beschäftigen sich die 13 Kapitel des Buches mit dem Auenland, den Wäldern, Bergen und Küsten Mittelerdes, einsamen Behausungen in der Wildnis und ihren Bewohnern, Orkhöhlen und Menschenstädten, großen Schlachten, den Reichen der Zwerge und Elben sowie den Dunklen Landen von Mordor bis Angmar – jedes von ihnen mit einer Zeichnung wundervoller als die andere. Man sieht die Wildheit und die Gefahr, die ehrwürdigen alten Hallen, vergangene Reiche und Helden, magische Wesen. Jede Zeichnung hat ihren eigenen Charakter. So sind die Skizzen von Rhosgobel, des Heims von Radagast dem Braunen, in einem warmen Braunton eingefangen, bei dem man sich gleich niederlassen und es sich gemütlich machen möchte, bis der Zauberer mit seinen Tieren heimkehrt.

289 Allen Lesern sei wärmstens auch das Postskriptum ans Herz gelegt, in dem Howe sehr unterhaltsam und kurzweilig von seiner Arbeit und seinen Erfahrungen bei den Dreharbeiten zum Herrn der Ringe und zum Hobbit berichtet, die er neben Alan Lee mit seinen Zeichnungen und Skizzen sowie der Arbeit als Art Designer maßgeblich mitgestaltet hat. Immer wieder gelingt es dem Kanadier in seinen Bildern, ganze Welten mit einem beeindruckenden Detailreichtum so zum Leben zu erwecken und auszuschmücken, dass man sich an Ort und Stelle versetzt fühlt. Wahrhaft eines der schönsten Bücher zu Tolkiens Mittelerde.

Rezension: Untergang der Könige von Birgit Schwenger

Spannender Lesestoff für lange Winterabende: Jenn Lyons Fantasy-Epos Der Untergang der Könige (Drachengesänge 1) ist in der Hobbit Presse bei Klett-Cotta erschienen

Der 15-jährige Kihrin wächst in Quur als Adoptivsohn eines blinden Musikers in einem Bordell auf, dessen Besitzerin Ola sich wie eine Mutter um ihn kümmert – und ihn bei seinen kriminellen Aktivitäten als Dieb unterstützt. Eigentlich könnte das Leben so weitergehen, aber Kihrin will mehr, will ein besseres Leben für sich und seinen Vater erlangen. So kommt es, dass er eines Tages bei einem seiner nächtlichen Raubzüge Zeuge eines Mordes wird, den er besser nicht 290 gesehen hätte und der sein Leben völlig aus den Fugen geraten lässt: Er wird von einem Dämon angegriffen, versklavt und eines Teils seiner Seele beraubt und entpuppt sich schließlich als der verlorene Sohn eines königlichen Hauses. Doch der Traum eines verkannten Prinzen wird schnell zum Albtraum: Er ist praktisch der Gefangene seiner neuen, ruchlosen Familie, für die er nur Spielball zum Zweck ist, ihre eigenen perfiden Ziele und Ambitionen zu verfolgen. Sein mörderischer Vater ist ein Sadist, und Kihrins Versuche, all dem zu entkommen, führen ihn nur noch tiefer hinab in dunkle Abgründe. Er wird in ein Komplott verwickelt, den Kaiser zu töten, soll die königliche Schatzkammer ausrauben, ein magisches Schwert finden, das Götter töten kann, und Dämonen freisetzen, die Tod und Unheil über das Land bringen werden. Alle Seiten, egal ob Götter, Dämonen, Drachen oder Zauberer, wollen ihn als Figur in ihrem Spiel nutzen. Denn Kihrin muss zu seinem großen Entsetzen lernen, dass er im Zentrum einer alten Prophezeiung steht, die den Untergang des Kaiserreiches herbeiführen soll. Vielleicht ist er gar nicht der Held, der die Welt retten wird, sondern vielmehr derjenige, der sie vernichten wird? Vielleicht sind die alten Geschichten nicht wahr, dass der Held und das Gute am Ende immer gewinnen?

291 © Klett-Cotta

292 Jenn Lyons ist mit ihrem 863 Seiten starkem Debütroman Der Untergang der Könige ein großer Wurf gelungen. Gleich von Anfang an zieht einen die Geschichte einen jungen Mannes, der erkennt, dass sein Schicksal verhängnisvoll mit der Zukunft eines ganzen Reiches verbunden ist, magisch in den Bann. Das liegt nicht zuletzt auch an der ungewöhnlichen Erzählweise, die alternierend zwei Perspektiven einnimmt: Kihrins eigene Version des Geschehens, die etwa in der Mitte der Ereignisse einsetzt, sowie die Geschichte aus der Sicht seiner gestaltwandelnden, gedankenlesenden Kerkermeisterin, eines Seelen verschlingenden Ungeheuers, die etwa vier Jahre vorher einsetzt, als Kihrin in Quur den grausamen Mord beobachtet. Zu Beginn des Buches begegnen wir Kihrin nämlich in einer Kerkerzelle, auch wenn wir da als Leser noch nicht wissen, wer er ist und wie er dort hingelangt ist. Und eigentlich ist es auch nicht der Beginn des Buches: Das beginnt mit nämlich mit der dritten Perspektive, der des Adeligen Thurvishar D’Lorus, der für seine Majestät »eine vollständige Schilderung der Ereignisse, die dazu führten, dass die Hauptstadt niederbrannte« vorlegt und es sich nicht nehmen lässt, die Erzählung mit seinen zum Teil sarkastischen und belehrenden Fußnoten auszuschmücken. Der ständige Perspektivwechsel wirkt am Anfang etwas holprig; zusätzlich erschwert es den Einstieg, dass zugleich eine Vielzahl von Charakteren auf verschiedenen Zeitebenen im Spiel ist und man sich erst einmal in die komplexe Welt 293 hineinfinden muss, die Lyon geschaffen hat. Schnell ist man jedoch von den Ereignissen gefesselt, so dass man gerade noch lieber Kihrins aus der Ich-Perspektive erzählte Geschichte weiterlesen möchte, dann aber schon wieder mitten in den aus der dritten Person erzählten Ereignissen steckt und die Seiten nur so im Flug dahinblättert. Das Verständnis von Magie – Tenyé ist die wahre Essenz eines Gegenstandes und somit die Grundlage jeglicher Magie – erinnert ebenso wie das Einsetzen der Geschichte an Patrick Rothfuss’ Königsmörder-Chronik, aber damit hat es sich auch schon mit den Anklängen. Lyons hat eine originäre, eigenständige Welt erschaffen, in der das verkommene Kaiserreich Quur an das alte, dekadente Rom erinnert, das Volk der unsterblichen, magiebegabten Vané an Tolkiens Elben; eine Welt, in der die Schwarze Bruderschaft, eine Vereinigung von Auftragsmördern, Angst und Schrecken verbreitet, die verbotene Verbrecherorganisation der Schattentänzer in der Hauptstadt agiert, Hexen, Zauberer und Dämonen ihr Unwesen treiben sowie magische Wesen wie Drachen oder ungeheure Kraken existieren. Der Untergang der Könige, der erste Teil einer auf insgesamt fünf Bände ausgelegten Saga, ist ein dichtes, poetisches und zutiefst berührendes Fantasy-Epos, das sich trotz aller Götter, Dämonen und Magie am menschlichen Maß ausrichtet: Das Schlimmste an den Monstern und anderen furchterregenden Dingen ist, wie schrecklich menschlich sie sind. Denn das ist es, was letztlich im Fokus des Romans steht: die Freundschaften und zum Teil komplexen Beziehungen (oder auch Feindschaften) der 294 Charaktere untereinander, der Wunsch nach Rache oder Gerechtigkeit, der Wille zu überleben. Kihrin mag zu Beginn der Geschichte noch als relativ einfacher, gradliniger Charakter erscheinen, doch das ändert sich, je mehr der Leser mit Fortschreiten der Handlung über ihn erfährt. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, für den Untergang der Welt verantwortlich zu sein, wenn diese auf Sklaverei und Ausbeutung fußt? Die Übersetzung von Urban Hofstetter und Michael Pfingstl aus dem Amerikanischen ist gelungen und sehr flüssig zu lesen. The Name of All Things, der zweite Band der Drachengesänge, ist am 31 Oktober im Original erschienen, der dritte Band soll in etwa neun Monaten folgen. https://www.amazon.de/Untergang-Könige-Drachengesäng e-1/dp/3608963413 https://www.amazon.de/Name-Things-Chorus-Dragons-Ban d/dp/1509879536/

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296 Firefly: Großer, verdammter Held Neue Abenteuer der „Serenity“-Crew in Buchform von Bernd Perplies

2002 brachte Joss Whedon, damals dank Buffy – Im Bann der Dämonen und Angel – Jäger der Finsternis ein großer Name in der TV-Landschaft, eine ambitionierte Fernsehserie auf den Bildschirm: Firefly – Der Aufbruch der Serenity, eine Mischung aus Weltraumabenteuer und Western, erdig, clever, mit starken Effekten und guten Schauspielern. Doch die Serie konnte die Erwartungen der TV-Oberen einfach nicht erfüllen – es heißt, sie sei schlichtweg zu teuer gewesen –, und so wurde sie 2003 nach nur 11 ausgestrahlten Folgen bereits wieder abgesetzt. Nach allen Regeln der Logik sollte Firefly kurz darauf sang- und klanglos verschwunden sein. Doch die Geschichte um den ehemaligen Freiheitskämpfer Malcolm Reynolds, der mit seinem heruntergekommenen Frachter der Firefly-Klasse Serenity und einer bunt gemischten Truppe Außenseiter im All unterwegs ist, konnte in der kurzen Zeit ein unglaublich treues Fandom gewinnen. So geschah nach überdurchschnittlich guten DVD-Verkäufen schon 2005 das nächste Wunder: Firefly kehrte als Kinofilm zu den Fans zurück, wobei Serenity – Flucht in neue Welten offene Handlungsstränge der TV-Serie aufgriff und beendete. Der Film wurde durchaus wohlwollend aufgenommen, sein Erfolg war aber nicht groß genug, um dem Franchise einen grundsätzlichen Schub zu verleihen. 297 Seitdem fristet Firefly das typische Nischendasein, das so einige im Grunde schicke Franchises ereilt hat, die einfach nicht die kritische Masse an Fans erreichen konnten, um groß durchzustarten. Zu wenig zum Leben, zu viel, um zu sterben. Immer mal wieder erscheint ein neuer Comic. Natürlich gibt es Merchandise wie T-Shirts, Funko-Figuren und Kühlschrankmagneten. Gale Force Nine hat ein sehr schickes Brettspiel produziert, ein paar andere Anbieter weniger erfolgreiche Versuche unternommen, Malcolm Reynolds und seine Crew auf den Spieltisch zu bringen. Und jetzt, nach 15 Jahren (der englischsprachige Roman erschien 2018), die Premiere: Firefly wird in Romanform weitererzählt, begleitet von einem kleinen Schub an »Sachbüchern«, die den Fans Firefly offenbar wieder ins Gedächtnis rufen sollen. Wobei »weitererzählt« das falsche Wort ist. Großer, verdammter Held ist keine Fortsetzung des Kinofilms, sondern ergänzt vielmehr die eine TV-Serien-Staffel um eine weitere Episode. Entsprechend beginnt der Roman auch eher beschaulich. Mal und seine Leute befinden sich auf Persephone – oder genauer in den Eavesdown Docks, wo unter anderem der schmierige Hehler Badger residiert – und lassen sich dort für einen neuen Job anheuern. Sie sollen für Badger Bergbausprengstoff transportieren, der natürlich nicht ganz so stabil ist, wie er laut Handbuch sein sollte. Das klingt wie der typische Einstieg in eine Firefly-Episode, sodass sich der Leser gleich heimisch fühlt, auch weil alle Figuren – vom mürrischen Jayne über die

298 eigenartige River bis zum flippigen Wash – gut getroffen sind.

299 © Panini Books

Gleichzeitig feiert man auf Persephone den Tag der Allianz, eine wilde Sause, die an den Sieg der Allianz vor ein paar Jahren über die unabhängigen Welten mit ihren Browncoat-Widerstandskämpfern erinnern soll. Für Mal und seine Leute, die auf der Seite des Widerstands waren (oder im Krieg Unterweltgeschäfte getätigt haben), nicht gerade ein Anlass zum Feiern. Das geht auch vielen anderen verbitterten Ex-Widerständlern so. Manchmal entlädt sich der Frust in Kneipenschlägereien – und manchmal in Hetzjagden auf vermeintliche Verräter aus Zeiten des Krieges, die dann der Lynchjustiz zum Opfer fallen sollen. Genau so eine Gruppe von Fanatikern entführt unvermittelt Mal. Und während sich seine Freunde mit einer tickenden Bombe im Frachtraum auf die Suche nach ihrem Captain machen, geht es für den buchstäblich um Kopf und Kragen. Der Roman beginnt, wie schon erwähnt, etwas gemächlich. Lange Zeit sind Mal und seinen Leute vor allem in den Eavesdown-Docks unterwegs, und man beginnt sich schon zu fragen, ob die Serenity – und mit ihr der Roman – überhaupt noch abhebt. Zur Beruhigung: Sowohl das Tempo als auch die Spannung werden anziehen. Allerdings bleiben die Action und das Drama stets auf Firefly-TV-Serien-Niveau. Bilder im Kinoleinwandformat beschwört Autor James Lovegrove, der den Roman nach einem Konzept von Nancy Holder verfasst hat, nicht herauf. Was durchaus seriengetreu ist, aber auch ein wenig verschwendetes Potenzial.

300 Interessant für den Fan dürfte vor allem der Blick in Mals Vergangenheit sein. Ab der Buchmitte erfahren wir einiges über seine Jugend auf Shadow vor vielen Jahren. Dass er mit drei anderen jungen Leuten befreundet war und diese nur Mist gebaut haben. Wie er sich mit dem Sheriff vor Ort anlegte. Wie er mit einem anderen Jungen um ein Mädchen buhlte, seine erste große Liebe. Dass aus Spaß im Laufe der Zeit tödlicher Ernst wurde. Und wie am Ende der Unabhängigkeitskrieg diese Jugendphase beendet hat. Das liest sich durchaus spannend, und vor allem unterfüttert es gelungen das Geschehen in der Jetzt-Zeit. Es scheint aber auch nötig gewesen zu sein, um überhaupt 350 Seiten zu füllen. Denn die Hauptstory ist schon recht gradlinig. Fazit: Firefly: Großer, verdammter Held macht eigentlich viel richtig. Die Figuren fühlen sich echt an, das Universum ist gut getroffen, der Konflikt passt nahtlos in die TV-Serie hinein. Man kann sich das Ganze gut als Doppelfolge vorstellen. Richtig mutig ist James Lovegrove allerdings nicht. Vielleicht durfte er es auch nicht sein. Große Entwicklungen fehlen ebenso wie große Bilder. Da wäre in einem Roman, der kein Problem mit Budget für Spezialeffekte hat, mehr drin gewesen. Leser, die keine Affinität zum Franchise haben, dürften von dem Roman nicht unbedingt zu Firefly bekehrt werden. Aber langjährigen Fans, die der Mangel an neuen Geschichten schon immer betrübt hat, bietet er einen netten, gefühlsechten Trip ins Firefly-Universum.

Firefly: Großer, verdammter Held 301 Film-/Serien-Roman James Lovegrove, Nancy Holder Panini Books 2019 ISBN: 978-3-8332-3771-3 352 S., Paperback, deutsch Preis: EUR 15,00

MARVEL Avengers – Die größten Superhelden aller Zeiten Tolle Einführung in ein komplexes Comic-Universum von Kurt Wagner

Superhelden sind das Ding seit ein paar Jahren. Man merkt es an der Kinokasse, die fast nur noch dann richtig klingelt, wenn ein farbenfroh verkleideter Recke – oder auch eine Frau, aber das deutlich seltener – über die Leinwand hüpft. Man merkt es auch in den Bahnhofsbuchhandlungen, die oft ein ganzes Regal mit Comic-Heftchen füllen; die meisten davon sind im Superheldenmilieu angesiedelt. Und man merkt es auf den ComicCons, die lange Jahre allein ein kulturelles Phänomen in den USA waren, mittlerweile aber auch über den großen Teich nach Europa geschwappt sind und sich in Deutschland großer Beliebtheit erfreuen. Grund dafür sind natürlich die extrem beliebten Superheldenstreifen aus dem MCU, mit ihren ikonischen Helden Iron Man, Captain America, Thor, Hulk, Black Panther, Ant-Man, Doctor Strange, Captain Marvel und wie

302 sie alle heißen. Gemeinsam bilden sie die Avengers, eine Superheldentruppe, die die Popularität ihrer Einzelteilnehmer noch einmal bündelt und (im Kino) zum milliardenschweren Erfolg macht. Dass in diesem Zusammenhang auch das Medium, in dem all diese Figuren ursprünglich das Licht der Welt erblickten, wieder in den Fokus rückt, ist selbstverständlich. In zig Comic-Reihen wird das Universum der Marvel Avengers beziehungsweise ihrer Mitglieder ausgestaltet und mit Farbe gefüllt. Unübersichtlich und ein wenig erschlagend mag das manchem Neueinsteiger vorkommen.

303 © DK

Und hier kommt der Verlag Dorling Kindersley (DK) ins Spiel, der sich schon seit Jahren zum Ziel gesetzt hat, große Themenfelder leicht verständlich und einsteigerfreundlich aufzubereiten. Dabei reicht das spannende Programm des Verlags von Weltgeschichte über Astronomie und Musik bis eben zu Popkulturthemen wie LEGO, Star Wars und Marvel. MARVEL Avengers – Die größten Superhelden aller Zeiten nun richtet sich an den neugierigen Superhelden-Novizen. 50 Jahre Avengers-Geschichte verspricht der Band, wobei sowohl Helden und Schurken als auch interessante Ereignisse, Schauplätze, Handlungen und Entwicklungen präsentiert werden sollen. Nach einem Inhaltsverzeichnis geht es bulletpointartig mit den wichtigsten Gründungsfakten rund um die Avengers los. Geschaffen 1963 von Stan Lee und Jack Kirby, sollten die »mächtigsten Helden der Welt« (so der Werbeslogan) sich den größten Gefahren überhaupt stellen – und Fans das maximale Comic-Erlebnis bescheren. Die ersten Helden waren Thor, Iron Man, Hulk, Ant-Man und Wasp, wobei Wasp den Namen Avengers vorschlug und Tony Stark (Iron Man) die Truppe nicht nur finanzierte, sondern auch ihre Satzung verfasste. Captain America wurde erst nachträglich zum Gründungsmitglied ehrenhalber und zum moralischen Zentrum der Avengers, die seitdem in wechselnder Besetzung über 100 Mitglieder hatten. Der erste Gegner der Avengers war übrigens Loki.

304 Dergestalt grundinformiert kann sich der Leser im Folgenden zunächst durch ca. 30 Seiten schmökern, auf denen die größten Helden und Schurken vorgestellt werden. Jede Figur erhält dabei eine reich mit Comic-Bildern verzierte Doppelseite, die extrem stark komprimiert, aber auch höchst informativ Einsteigerwissen bietet. Dabei steht vor allem die Origin Story der Figur im Vordergrund, dazu zwei, drei wichtige persönliche Etappen. Natürlich werden auch Stärken und Schwächen angesprochen. Das liest sich alles wirklich interessant, vor allem, wenn man die Avengers primär aus dem Kino kennt und hier nun die Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer Comic-Pendants erkennt. Danach stehen überblicksartig verschiedene Themen im Fokus, etwa die bösen Mächte, denen sich die Avengers stellen müssen (und die keine Doppelseite spendiert bekommen haben). Liebe unter Superhelden, S.H.I.E.L.D., der Stark Tower und der Quinjet werden ebenso kurz betrachtet. Eine sechsseitige Chronik, die von der Gründung bis zum Civil War die wichtigsten Momente der Avengers-Historie auflistet, schließt diesen Teil des Buchs ab und leitet gleichzeitig zum chronologischen Part über. In sechs Kapiteln werden dann die 1960er, 1970er, 1980er, 1990er, 2000er und 2010er näher betrachtet. Welche Neuzugänge gab es bei den Avengers? Welchen besonderen Gefahren mussten sie sich stellen? Welche persönlichen Herausforderungen gab es? Außerdem werden einzelne Heftausgaben der lang laufenden Avengers-Comic-Reihe vorgestellt, die als wichtigste ihres Jahrzehnts gelten können. Eine Auswahl, die den Autoren 305 nicht leicht gefallen sein dürfte. Eingeschoben wird außerdem ein Kapitel über Alternative Avengers, das sich unter anderem mit den Ultimativen beschäftigt, mit Marvel-Zombies und The House of M. Mit einem ersten Blick auf Secret Empire aus dem Juni 2017 und einem mehrseitigen Register schließt das Buch seine gewaltige Zeitreise durchs Avengers-Universum ab.

Fazit Man kann es nicht anders sagen: Mit dem Buch MARVEL Avengers – Die größten Superhelden aller Zeiten ist DK einmal mehr ein absolutes Hammer-Werk gelungen, das gerade als Einführung in die große und komplexe Welt von Marvels Avengers fantastisch funktioniert. Es gibt unglaublich viel auf den 216 Seiten zu schmökern und zu lernen, vor allem, wenn man primär die Marvel-Kinofilme kennt und von der reichen Comic-Geschichte dieser Helden nur wenig Ahnung hat. Kenner werden natürlich bemerken, dass das Buch nicht übermäßig in die Tiefe geht. Dazu ist einfach nicht genug Platz. Aber das stört in diesem Rahmen überhaupt nicht, denn wer mehr wissen will, wendet sich sinnvollerweise eh den Comics selbst zu. Und auch Comic-Liebhaber freuen sich mal über eine knallbunte und mit viel Sorgfalt komprimierte Darstellung ihrer bevorzugten Superhelden-Truppe. Bei dem obendrein sehr guten Preis verdient das Buch eine uneingeschränkte Kaufempfehlung!

MARVEL Avengers – Die größten Superhelden aller Zeiten Sachbuch 306 Alan Cowsill, Scott Beatty, Alastair Dougal, Melanie Scott Dorling Kindersley 2018 ISBN: 978-3-8310-3513-7 216 S., Hardcover, deutsch Preis: EUR 19,95

Die Möwe Jonathan, oder: unterbrochene Suche von Alexandra Trinley

Die Geschichte der Möwe mit dem Jungennamen, konsequent als „sie“ bezeichnet, war das Lieblingsbuch meiner Teenagerfreundin. Damals, in den 1980er-Jahren, behandelte sie es wie eine Art Bibel, mit einer Schwärmerei, welche die Autorin dieser Rezension abstieß, so dass sie es niemals las. Katzenfreunde sind sowieso eher selten gleichzeitig auch Vogelfreunde, sodass die vielen Fotos von Möwen im Flug ebensowenig zogen wie die Versicherung, dass man das unbedingt lesen müsse. Das Alter macht sentimental: Als das Buch vor einer Handvoll Jahren in einem Antiquariat herumlag, kam es dann doch mit heim. Und gerade an diesem Halloween wurde es auch mal gelesen. Das schmale Bändchen, das Richard Bach 1970 veröffentlichte, beginnt mit Möwenfotos, wird unterbrochen von Möwenfotos, endet mit Möwenfotos. Auf Seite 13 erst fängt die Geschichte an. Jonathan ist so, dass

307 sinnsuchende Teenager, Kinder der 1960er-Generation, sich in ihm wiederfinden: Abseits des geselligen Treibens, abseits der Jagd nach Essen und Alltag, übt er Flugmanöver, die eine Möwe eigentlich nicht kann und die ihr auch nicht nützen – außer sie liebt den Flug und das Entfalten der eigenen Fähigkeiten über alles in der Welt.

308 © Bertelsmann

Jonathans Eltern sind wenig begeistert. Seine Mutter ermahnt ihn, den Tiefflug, an dem er sich abmüht, den Pelikanen zu überlassen, doch er übt weiter: „Ich muss herausfinden, was ich in der Luft kann und was nicht, das ist alles. Ich muss es einfach wissen.“ Der Vater mahnt, dass Jonathan im Winter Futter brauchen wird. Der Sohn, nicht gehorsam, ist einige Tage lang brav. Dann entwischt er wieder, übt Geschwindigkeit, scheitert. Schockiert von der eigenen Unfähigkeit gibt er auf, fliegt heim – bis ihm klar wird, dass der Flug durch die Dunkelheit schon wieder die Lebensweise der Möwen bricht, und welchen Fehler er beim Sturzflug machte. Machen ihn die besonderen Fähigkeiten, das unbeirrbare Streben nach Höherem, bei seiner Sippe beliebt? Nur Teenager werden überrascht sein von der Entwicklung seines Beliebtheitspegels, ebenso naiv gebliebene Sucher. Erwachsenen dient das Verhalten der Sippe zur Erinnerung daran, wofür der Mainstream hasst. Die Autorin dieser Rezension erwartete nach den ersten Seiten ein Sinnsucherbuch und wurde überrascht von der Vielzahl von Motiven aus der Phantastik im zweiten und dritten Abschnitt des Buches. Sobald Jonathan in einer grenzwertig zuckerigen Begegnung von den Möwen der höheren Ebenen abgeholt wird, übt er unter anderem auf einem fremden Planeten mit einem grünen Himmel und einer doppelten Sonne. Ohne dass die Begriffe fallen, spielen Telepathie und Teleportation eine große Rolle auf

309 seinem Weg, aus einem körperlich begrenzten Individuum zur freien Idee zu werden. Und nach dem Meistern des Raums steht die Auseinandersetzung mit der Zeit, dann die mit der Nächstenliebe. Jonathan ist entschlossen weiterzumachen. Sein Mentor sagt: „In zehntausend Jahren habe ich keine Möwe gesehen, die so furchtlos das Neue lernen will wie du.“ Jonathan ist seiner Zeit voraus? Sein Mentor rät: „Überwinde die Zeit, und alles, was wir hinter uns ließen, ist im Jetzt. Und meinst du denn nicht, dass wir uns im Hier und Jetzt begegnen können?“ Jonathan soll zurückkehren und denen helfen, die ihn verstießen? Ihn begleitet der Rat, ihren guten Kern zu lieben. Mit fortschreitender Beherrschung der Flugmanöver wird sein Körper zu Geist in sichtbarer Gestalt, er folgt dem Auftrag, die „unbegrenzt freie Möwe“ in sich zu finden und dies andere zu lehren. Das ist schon sehr jesushaft. Andererseits – was sonst soll man eigentlich tun im Leben? Fischabfälle sammeln? Arbeiten und zahlen, bis man ins Grab fällt? Ein Büchlein fast 35 Jahre „später“ zu lesen ist aufschlussreich, noch dazu an Halloween, wo traditionell die Grenzen zwischen den Reichen der Lebenden und der Toten offen sind. Und die Wege nach innen. Was wurde aus der Begeisterung für Möwe und Freiheit? Die Freundin, die für die Möwe Jonathan schwärmte, bekehrte sich, tauchte in die Gesellschaft ein, suchte mit großer Intensität die Anpassung. Wie kann man mit einem Typen Schluss machen und sich dann heimfahren lassen? 310 Zur Beerdigung war die Kirche überfüllt, es gab Lieder von Cat Stevens und Co. … alles sehr stimmungsvoll. Es blieb der Bruch zwischen besten Freundinnen, die aus der Sinnsuche herausgewachsen waren, weil beide ihren Platz im Leben suchten und sich nichts mehr zu sagen hatten. Kein Verzeihen bis zu diesem Halloween mit dieser Lektüre, bei der ich vor allem verstand, wie irrsinnig jung wir damals waren, und dass alle Anlagen zur Suche nach dem Sinn auch Jahrzehnte später noch vorhanden sind. Vielleicht sollte man öfter mal Bücher aus der Jugendzeit lesen, darunter dieses. Richard Bach: Die Möwe Jonathan (Im Original: Jonathan Livingston Seagull); gelesen wurde die antiquarisch erworbene Lizenzausgabe für Bertelsmann, o.Z.

Im Gespräch mit Sonja Rüther: Ideenreiches Briefgestöber – oder die Macht der phantastischen Schreibkunst von Reiner Krauss

Sonja Rüther ist seit vielen Jahren eine engagierte Autorin und Dozentin im Bereich des phantastischen Genres. Was sie umtreibt und was sie schreibt und veranstaltet, erzählt sie uns hier und heute selbst.

311 Insbesondere freut es mich, dass wir auch für den Corona Podcast voneinander hören, sodass weitere Menschen sich einen weiteren Eindruck machen dürfen. Schauen sie dazu immer wieder hier vorbei, damit sie die neueste Ausgabe nicht verpassen: http://corona-magazin.de/der-podcast/

Frage: Ein großes Dankeschön, dass Du bereitstandest, für unser Magazin ein Interview zu ermöglichen bei Deiner begrenzten Zeit. Heute sind wir für unsere Leser da. Herzlich willkommen Sonja. Stelle Dich doch zu Beginn kurz vor. Woher stammst Du, was ist Deine Berufung und Deine Leidenschaft?

312 © Stephanie Schierenbeck / Autorin Sonja Rüther

Sonja Rüther: 313 Vielen Dank, Reiner! Ich bin gebürtige Hamburgerin und wohne heute im sogenannten Speckgürtel im schönen Buchholz in der Nordheide. Tatsächlich ist Schreiben meine Berufung, während die Kreativität die Leidenschaft ins Spiel bringt. Ich musste schon als Jugendliche Bücher immer wieder zur Seite legen, weil der Drang, selbst zu schreiben, zu stark war. Damals schrieb ich nur für mich, baute alles immer wieder um, ließ Angefangenes liegen oder fing an zu zeichnen. Wichtig war nur, dass ich mich permanent kreativ ausdrücken konnte. Die erste abgeschlossene Geschichte schrieb ich mit sechzehn und erlebte erstmals das Gefühl, was es bedeutet, »Ende« unter eine Geschichte zu setzen. Jene Geschichte würde ich heute niemandem zeigen, aber sie ist die Initialzündung für mein heutiges Schaffen gewesen. Dass ich trotzdem erst vor gut zehn Jahren in das professionelle Schreiben eingestiegen bin, war der Vernunft geschuldet. Erst ein Fachabitur in Grafik und Gestaltung, dann ein Jahr als AuPair in den USA, eine Ausbildung zur Kauffrau im Groß- und Außenhandel, und schließlich kam die Familie. Alles gute und wichtige Schritte, bei denen ich immer meine Texte in kleinen Zeitfenstern zwischen Excel-Tabellen und Ablagestapeln auf unzähligen Zetteln notierte. Seit siebzehn Jahren bin ich Testleserin im Phantastikbereich, was mir geholfen hat, mein Handwerk zu verfeinern, und es nahm mir die Ehrfurcht vor dem Schritt, einen Text auch mal loszulassen.

Frage: 314 Wie ist Dein bisheriger Werdegang im künstlerischen Bereich? Was war warum der Einstieg, und wie ging es danach weiter? Mit Kindern fing es an, und heute bist du bei großen Kindern, richtig?

Sonja: Ich habe es geschafft, in den Betriebsstätten immer im Marketing zu landen und meine Kreativität einzubringen. Als ich meinen Mann 1998 kennenlernte, war das auch mein Einstieg in die Rollenspielszene. Mein Werdegang ist eher meiner Passion geschuldet, die ein fester Teil von mir ist. Gäbe es einen Taskmanager für mein Gehirn, würde er eine permanente Aktivität in dem Bereich feststellen, der für neue Ideen, meine Geschichten und anderen künstlerischen Aktivitäten zuständig ist. Irgendwann kam ich dann an einen Punkt, an dem ich wissen wollte, ob mein Output auch anderen gefallen könnte.

Frage: Wie kam zum kleinen eigenen Verlag, und vor allem, wie kam es zu den Präferenzen, wie beispielsweise phantastische Literatur, bis hin zu Horror?

Sonja: Die Phantastik hat mich damals total gepackt. DAS DUNKLE SCHWERT von Hickman & Weiss habe ich verschlungen, und anschließend habe ich mich durch diverse Reihen gewühlt. Die Ideen faszinieren mich, und ich ziehe meinen Hut vor den Kolleginnen und Kollegen, die 315 komplexe Welten für ihre Geschichten bauen. Nach diversen Thrillern habe ich mich erst mit GEISTKRIEGER richtig an diese Form des Weltenbaus gewagt. Mein Verlag Briefgestöber ist für Nischenprodukte entstanden, die mit der Herausforderung verbunden sind, von der Produktion bis zum Vertrieb alles selbst in der Hand zu haben. Außerdem habe ich mir mit den Horroranthologien die Möglichkeit geschaffen, meine Lieblingsmotive, Zombies, in Bücher zu zeichnen, ohne irgendwen zu verstören. Ich habe keine Lust, mich auf ein Genre festzulegen, weil ich es spannend finde, gänzlich unterschiedliche Geschichten zu erzählen. Jedes Genre hat seinen eigenen Reiz und jede Idee ihre eigene Dynamik.

Frage: Du bietest sogar eigene Autoren-Seminare an, wie kam es dazu?

Sonja: Ich habe damals Markus Heitz oft zu seinen Lesungen begleitet. Im Anschluss an eine Lesung haben wir uns darüber unterhalten, dass ständig die gleichen Fragen aus dem Publikum kamen. »Wie schreiben Sie Ihre Romane?«, »Woher haben Sie Ihre Ideen?« etc. etc. Und so ist die Idee zu den Workshops und Seminaren entstanden, die seit 2012 im Ideenreich stattfinden. Es macht Spaß, das Wissen wei- terzugeben. Sina Beerwald, Thomas Finn, Markus Heitz und Boris Koch sind ein fantastisches Team, ich bin bei den

316 Terminen als Veranstalterin tätig und sorge mit Nicci Zoe für das ganze Drumherum.

Frage: Wie muss man sich den Ablauf einer Veranstaltung vorstellen, wo finden sie statt, und wie kann der Interessierte daran teilnehmen?

Sonja: Das Besondere unserer Veranstaltungen ist, dass jeder Vortrag von mindestens zwei Personen gehalten wird und die anderen beiden hin und wieder etwas ergänzen, weil es beim Schreiben nicht „den einen Weg“ gibt. Es wird auf Zwischenfragen eingegangen, und in den Pausen können die TeilnehmerInnen auch ganz individuelle Fragen stellen, die vielleicht nicht in die große Runde passen. Bei den Workshops wird in kleinen Gruppen (max. 4 Personen) ein Plot erarbeitet. Für mich sind das Wochenenden voller geballter Energie, und es freut mich sehr, dass wir einige TeilnehmerInnen haben, die schon zum dritten oder vierten Mal dabei sind. Auf der Homepage kann man sich ein Video anschauen, das sehr schöne Einblicke zeigt.

317 © Pegasus Press / Sonja Rüther

Frage: 318 Wie ich erfahren habe, gibt es eine taufrische Neuveröffentlichung. Verrate unseren Lesern, was sie erwarten können und wie und wo sie käuflich zu erwerben ist.

Sonja: Ende Oktober ist mein neuer Shadowrun-Roman bei Pegasus mit dem klangvollen Namen TOXISCHE ERLÖSUNG erschienen. Ich habe mich tierisch gefreut, einen Roman für mein Lieblingsrollenspieluniversum schreiben zu dürfen. Ich sage nur soviel: Leichenteile, eine Rabenschamanin, toxische Geister, ein lächerlich einfacher Auftrag und eine Sekte, die den Status des Auftrags in tödlich korrigieren könnte. Seit November ist der Roman überall im Handel erhältlich.

Frage: Vielen Dank für diese Informationen. Hoffentlich gibt es weiterhin noch viel Spannendes von Dir zu lesen und zu hören – auch im neuen Corona Podcast.

Sonja: Ich bedanke mich für die Möglichkeit, über meine Lieblingsthemen zu reden, und freue mich schon sehr auf den Podcast. Danke für dein Engagement! »Möge auch die phantastische Macht mit uns sein, immer!«

Weiterführende Informationen zum Thema: 319 https://www.ideenreich-kreativhof.de/

Ideenreicher Kreativhof von Sonja Rüther und Kolleg(innen) https://www.briefgestoeber.de/ Verlagsseite und Bücher von Sonja Rüther

320 Werbung

321 Kurzgeschichte des Monats

Liebe Kurzgeschichten-Freunde, unsere neue Themenrunde „Freiheit“ beginnt mit Platz drei: Den hat Susanne Schnitzler mit ihrer Story „Novembermorgen in Mohnblumenrot“ ergattert. Wir wünschen wie immer viel Vergnügen bei der Lektüre und freuen uns genauso wie unsere Autoren über Rückmeldungen – ob per E-Mail oder in unserem Forum unter dem Dach des SF-Netzwerks (www.sf-netzwerk.de). Das nächste Thema unseres regelmäßigen Story-Wettbewerbs lautet „Der Tempel“ (Einsendeschluss: 1. März 2020). Wer Interesse hat, sich mit einer bislang unveröffentlichten Kurzgeschichte (Science Fiction, Fantasy, Horror, Phantastik – keine Fan-Fiction) zu beteiligen, die einen Umfang von 20.000 Zeichen nicht überschreitet, schickt seine Story (möglichst als rtf-Datei, bitte auf keinen Fall als pdf) rechtzeitig per E-Mail an die Kurzgeschichten-Redaktion, die unter [email protected] zu erreichen ist. Die nach Meinung der Jury (meistens) drei besten Geschichten werden im Corona Magazine veröffentlicht.

Armin Rößler

322 Susanne Schnitzler: Novembermorgentraum in Mohnblumenrot

Mark erinnerte sich, wie er auf die Fensterbank geklettert war, nachdem Ivi die Wohnungstür hinter sich zugeschlagen hatte. Ihren schweren Koffer zerrte sie hinter sich her, nicht einmal dabei wollte sie noch seine Hilfe. Er hatte sie beobachtet, wie sie weit unter ihm als winziger Punkt über die Straße wanderte und im Irgendwo verschwand. An alles das erinnerte er sich, aber er hatte vergessen, warum er hier stand. Der Asphalt der dreispurigen Straße war das letzte, was er sah, bevor er die Augen schloss. Als er sie wieder öffnete, stand er in einem asphaltgrauen Betonring. Unter seinen nackten Füßen spürte er nicht mehr den kalten Stein der Fensterbank, sondern Gras, das ihn ein wenig kitzelte und ein wenig pikste. Eine Wiese voller Blumen. Mohn. Er lächelte, als er die roten Flecken betrachtete, die um ihn herum leuchteten. Irgendwann riss er sich los von den zarten Blüten mit dem aggressiven Rot. Der Ring um ihn rief ihn, lockte ihn, schon seit geraumer Zeit, aber Mark war so versunken in die Betrachtung der wiegenden Blüten, dass der Ruf nur langsam in sein Bewusstsein drang. Er sah verwirrt auf den Beton vor ihm, neben ihm, hinter ihm. Er musste da durch. So viel war ihm klar.

323 Vorsichtig streckte er eine Hand aus und tastete über die glatte Fläche. Kein Riss, kein Quader zum Verschieben. Er blickte nach oben. Die Wand war zu hoch, um hinüberzuklettern. Überall Beton. Wie in seiner neuen Wohnung, auf die er so stolz war und die Ivi so hasste. „Plattenbau", schimpfte sie. „Eben noch der große Macker in Papas Einfamilienhaus und jetzt ein kleiner arbeitsloser Arsch in der Sozialabsteige.“ An der Art, wie sie mit den Fingern an den kurzen blonden Haaren zerrte, merkte er, wie wütend sie war. „Du kannst mir nichts mehr bieten!“ Da, wo er eben noch glaubte, Ivi zu sehen, wirbelte ein winziger hassroter Punkt. Als er platzte, verspritzte er noch winzigere Fleckchen Hassrot auf die Blüten unter ihm. Mark kniff die Augen zusammen und lehnte sich gegen die Wand. Wahnvorstellungen waren das Letzte auf seiner Wunschliste. Hinter ihm gab etwas nach. Eine schmale Lücke in der Wand, gerade breit genug, dass er sich hindurchquetschen konnte. Der Ring, aus dem er sich befreit hatte, verschwand. Mark seufzte erleichtert. Dann sah er sich um, stockte und starrte. Er stand in einem neuen, größeren Ring ohne sichtbaren Durchgang. Wütend warf er sich gegen den Beton. Wieder. Und wieder. Seine Haut brannte von einer gnadenlosen Sonne in einem stahlblauen Himmel. Sein T-Shirt war tropfnass geschwitzt, und die Flecken auf den Beinen seiner Hose waren bedeckt mit dem pudrigen Staub, der bei jedem

324 Aufprall von den Wänden fiel. Er gab auf und hockte sich auf den Boden, den Rücken gegen die Wand. „Ivi,“, wimmerte er. „Du hast recht! Ich bin ein verdammter Idiot, der nichts auf die Reihe kriegt. Aber ich liebe dich!"

Hast du mich auch geliebt? Oder nur den Reichtum meiner Eltern? Was um Gottes Willen war nach dem Streit geschehen? Mark erinnerte sich nicht. Nur an ein Gefühl endloser Traurigkeit. Tränen liefen ihm über das Gesicht und mischten sich mit dem Schweiß, der ihm noch immer von der Stirn tropfte. Die Steine hinter seinem Rücken gaben nach, und er fühlte, wie sich auch in dieser Mauer ein Spalt öffnete. Na und? Er konnte genauso gut einfach sitzen bleiben und hier und jetzt sterben. Was für einen Unterschied machte das? Wie mein Leben, ein endloser Irrgarten aus Betonwänden. Der Spalt war breiter als der andere. Mark raffte sich auf, schloss die Augen und ging rückwärts hindurch. Er war noch nicht bereit für den nächsten Ring. Die Luft duftete nach regengetränktem Gras. Halluzinationen, dachte er. Trotzdem öffnete er widerstrebend die Augen, als seine nackten Füße nass wurden. Erschrocken trat er einen Schritt zur Seite und fiel in einen Teich, der kühl und erfrischend vor einer Felswand lag. Prustend tauchte er aus dem Wasser wieder auf, fühlte sich plötzlich sauber und erfrischt. Büsche mit dunkelroten

325 Rosen säumten das Ufer und geradeaus führte ein schmaler, überwachsener Pfad in einen düsteren Laubwald. Das Unterholz knackte. Je weiter er in den Wald hineinzusehen versuchte, desto dunkler und undurchdringlicher schien dieser zu werden. Schatten bewegten sich. Mark starrte die elf Schemen an, die sich breitbeinig vor ihm aufbauten. Elf. Die Zahl der Reuigen und Sünder – wie oft hatte er das von dem Pastor gehört, in dessen Gottesdienste seine Mutter ihn jeden Sonntag geschleppt hatte. Ganz vorne stand wie früher Jos. Hinter ihm die anderen Jungs der Gang, die sich für die coolen Kids gehalten hatten. Mark taten alle Knochen weh, sie erinnerten ihn an die Qualen, die ihm jeder Einzelne zugefügt hatte. Sie nannten ihn Doofy und triezten ihn mit Scherzfragen. Jede falsche Antwort bescherte ihm einen Fausthieb, am liebsten in den Magen, auf Stellen unter der Kleidung, aber manchmal erwischten sie ihn dort, wo man es sehen konnte. Zu ihrem Glück fragte niemand nach. Jos grinste bösartig. „Wann fallen Weihnachten und Neujahr in das gleiche Jahr?“ „Jedes Jahr“, schrie Mark ihn an. Er war es leid, und es widerte ihn zutiefst an, dass er sich über Jahre vor diesen miesen Mobbern geduckt hatte. „Ich kenne auch welche“, brüllte er und haute seinen Widersachern die Fragen und Antworten um die Ohren. „Welches war der höchste Berg der Welt, bevor der Mount Everest entdeckt wurde? Na, ihr

326 Arschlöcher? Hat es euch jetzt endlich die Sprache verschlagen?" Mark ballte seine Fäuste und stampfte auf die Elfer-Gang zu. Er hatte ihre Namen vergessen, er wusste nur noch, dass Jos Jos war, weil er der Schlimmste gewesen war. „Der Mount Everest natürlich, ihr Blödsäcke. Er war nur noch nicht entdeckt! Bin ich immer noch der Doofe?“ Er atmete heftiger, als hätte er gerade die ersten Runden eines Boxkampfs hinter sich. „Und wie gefällt euch das? Der Macher braucht es nicht, der Käufer nutzt es nicht, und der Nutzer sieht es nicht? Na, na – und?“ Während er auf sie zustürmte, verblassten die Schemen der Jungs einer Gang, an die er nie Anschluss gefunden hatte, obwohl er anfangs gerne bei den coolen Kids gesessen hätte. Um zu passen, hatte er sich vor ihnen dumm gestellt, genau wie vor seinem Vater. Der hatte das auch nicht vertragen, dass sein Junior schlauer war als er. „Der Sarg“, schrie Mark und lachte sie aus. Elf Schemen lösten sich auf und verwehten. Mark atmete tief durch. Seine Schmerzen ließen nach, und er schritt beherzter, als er sich je in seinem Leben gefühlt hatte, in den Wald, ins Dunkle. Er erreichte die schützenden Blätterdächer just in dem Moment, als über dem Teich ein gewaltiges Gewitter aufzog. Der Wald erschien ihm heller, als er ihn zuvor aus der Ferne wahrgenommen hatte. Vielleicht war er auch nur glücklich, weil er seine alten Feinde unerwartet vertrieben hatte, und sah deshalb alles in freundlicheren Farben.

327 Mark sah sich um und stellte fest, dass es keinen ausgetretenen Pfad gab, dem er folgen konnte. Nur zwischen einzelnen Bäumen waren die Lücken im Unterholz groß genug, dass er sich durchzwängen konnte. Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon durch das Gehölz gelaufen war, als er einen schmalen Pfad entdeckte, der aus den Baumgruppen herausführte. Sein frustrierter Schrei hallte von dem Felsen zurück, von dem aus er sich vor Ewigkeiten auf den Weg gemacht hatte. Wie eine Marionette setzte er einen Fuß vor den anderen, schleppte sich zu dem Teich, und ließ sich an dessen Ufer ins Gras fallen. Er betrachtete sein Spiegelbild im Wasser. Ich sehe aus wie ein uralter Kerl. Erschrocken fuhr er zurück. So hat Vater damals ausgesehen, als er ... Panisch robbte Mark von der Wasserfläche fort, stemmte sich hoch und stolperte den Pfad zurück in den Wald, der jetzt wieder so düster und bedrohlich wirkte wie vor dem Zusammentreffen mit Jos und der Gang. Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Das hatte sein Vater immer gesagt, wenn er „Respekt" verlangte. Von ihm, dem Kleinkind. Und der Mutter. Diese Mutter, die er dafür verachtet hatte, dass sie sich von dem Vater beleidigen ließ. Oder Schlimmeres duldete, wie er erst Jahre später lernte. „Ich habe euch alle lieb!", rief er und hoffte, dass der Wald ihn hörte. Totenstille. Kein Lebewesen raschelte unter den Bäumen, das Unterholz knackte nicht und kein Windhauch fuhr durch die Baumkronen. Schweigen im Walde, hahaha. Das war auch 328 so ein Standardspruch, den er zuhause hörte. Gehetzt fuhr er sich mit den Händen durch die Haare. Die Bäume schienen näher und näher zu rücken. Eine Lücke öffnete sich zwischen zwei besonders stämmigen Bäumen, doch bevor er überlegen konnte, ob dort vielleicht sein Ausweg lag, kam ihm seine Mutter weinend entgegengekrochen. Sein Vater, breitbeinig, mit der Bierflasche in der einen und dem breiten Ledergürtel in der anderen Hand, stampfte auf ihn zu. Im Vorübergehen trat er die Mutter in die Seite und ... Mit einem schrillen Schrei warf die Mutter sich vor ihren Sohn und der schwarze Ledergürtel mit den silbernen Nieten traf sie mit voller Wucht an der Schläfe. Sie stürzte zu Boden, und auf einmal verstand er. Es war nicht seine Schuld. Sie hatte versucht, ihn vor dieser stinkreichen, besoffenen Bestie zu schützen. Er riss den Blick von ihrem Blut, das rote Blüten ins Gras tropfte. Der Gürtel schwang wieder gegen seinen Kopf, doch nun fing er ihn, wickelte ihn um die Faust und zog den Alten daran zu sich herüber. „Nie wieder! Hörst du? NIE WIEDER!" Damals war er weggelaufen. Genau wie mit seinem Umzug in den Betonbau. Heute wehrte er sich. „Nie wieder!" Schluchzend fiel er auf die Knie. „Hörst du mich? NIEMALS WIEDER!" Und während er die Wut vieler Jahre herausschrie, verblasste die Figur seines Vaters, bis von ihm nicht einmal mehr ein dünner Hauch in dem strahlenden Sonnenschein zu sehen war, der die bunte Wiese bestrahlte.

329 Mark blinzelte die Tränen weg und nahm die neue Veränderung seiner Umgebung so selbstverständlich hin, wie er die Veränderungen in sich hinnahm. Eine Wiese mit Sommerblumen. Roter Mohn und Kornblumen. Vorsichtig streckte er die Hand nach einer der prächtigen Blüten aus. Als er sie berührte, fiel sie in sich zusammen und verging. Er schluckte schwer. Wenn der Mohn welkt, wird es Herbst. Der Herbst hatte sich in sein Leben geschlichen. Nein, korrigierte er sich. Der Herbst war sein Leben. Er war der Herbst. Bin ein Novembermorgen. Was er anfasste, verwelkte. Traurig betrachtete er die toten Blüten um sich herum. Mattrote Flecke. Doch wo eben noch Gras gewachsen war, befand jetzt wieder fester, asphaltgrauer Betonboden. Rote Flecke auf Beton. Er erinnerte sich an ... etwas. Etwas, das nicht auf den Beton gehörte. Etwas, das ihm, in ihn gehörte und das er nicht fortgeben wollte. Nicht mehr. Nein, jetzt nicht mehr. Früher, ja. Früher, als er noch der andere war. Der Blinde im Betongefängnis seines Lebens. Der andere, der sein verpfuschtes Leben wegwerfen wollte. Der andere, der die größte Sünde begehen wollte. Elf. Jawohl, Herr Pfarrer, mach das Dutzend voll. Reuiger Sünder meldet sich zur Stelle.

330 Mark richtete sich auf und drehte sich um. Er stand wieder einmal vor einer Mauer. Doch diese war aus Lehm, und in sie waren zwei Tore eingelassen. Ein rotes Tor. Ein schwarzes Tor. Rot wie Blut. Schwarz wie Tod. Mohnblumenblutrotschwarz. Vor dem schwarzen Tor stand Hades, Gott der griechischen Unterwelt, stellvertretend für alle Totengötter der Welt, und beobachtete ihn schweigend. Neben dem roten Tor lehnte Orpheus an der Mauer, zupfte die Laute und lächelte verträumt. Langsam trat Mark auf Hades zu. Dieser nickte bedächtig und zog einen Athame aus seinem weiten Gewand. „Du hast ihn dir verdient, Mark." Erstaunt nahm Mark den Opferdolch und drehte ihn in den Händen. Verdient? Er? Staunend hob er den Kopf und sah dem Gott direkt in die Augen. Hades war der Erste seit langem, der ihn bei seinem Namen nannte. Dem richtigen, nicht irgendeinem, der aus der verdrehten Wahrnehmung anderer stammte. Wüsste er, wie ein Totengott aussieht, wenn er lächelt, so würde Mark schwören, dass er Hades lächeln sah. „Du kannst dich entscheiden, Mark. Wähle deine Tür. Du bist auf beiden Seiten willkommen." Mark schloss die Augen. So konnte er besser denken, schon immer. Er fuhr mit Daumen und Zeigefinger die scharfe Klinge entlang und spürte, wie sie die Haut an 331 seinen Fingern teilte. Ein Tropfen fiel auf den Boden. Mohnblumenblutrot. Das wusste er, ohne es sehen zu müssen. Er lächelte und ließ den Dolch fallen. Mark folgte der leisen Musik der Laute und dem Gesang dessen, der den Weg aus der Unterwelt kannte. Er öffnete die Augen, betrachtete die breite graue Straße unter ihm und kletterte von der Fensterbank herunter.

Über die Autorin:

Susanne Schnitzler, *1960 in Köln, Übersetzerin, Dozentin/Trainerin, Lektorin – hin und wieder auch Autorin. Lebt und arbeitet in Hamburg. Der Haushalt wird ergänzt durch eine Tochter und die bei Autor*innen systemimmanenten Katzen. Seit 1999 Veröffentlichungen in verschiedenen Print- und Online-Medien, auch unter Pseudonym. 2018 erschien mit „Tödliche Geheimnisse“ ihr erster Roman in der Reihe „D9E – Die Neunte Expansion“ im Wurdack Verlag. Der vorliegende Text ist eine freundschaftliche Erinnerung an jenen, der sich anders entschied, und eine Hommage an den Liedermacher Klaus Hoffmann (Novembermorgen, http://www.klaus-hoffmann.com/?kat=1)

332 Phantastische Wissenschaft Subspace Link – Neues aus dem All

Ein Blick über unsere Köpfe

von Reiner Krauss

Es bleibt spannend über uns. Heute für Sie … Gegenwart und Zukunft auf und über der Erde.

Zwei Frauen schreiben Geschichte, Modenschau für das All, eine Explosion im Kosmos, neue galaktische Ausblicke und weitere spannende Berichte über uns …

Milchstraße: gigantische Explosion zu Zeiten der ersten Menschen

333 ©: James Josephides / ASTRO 3D / dpa / Massive Ausbrüche ionisierender Strahlung, die aus dem Zentrum der Milchstraße explodieren und den Magellanschen Strom treffen (Computergrafik)

Das Zentrum unserer Galaxie, der Milchstraße, hat vor kosmisch gesehen sehr kurzer Zeit einen gigantischen Strahlungsausbruch produziert und erlebt. Das schließen Astronomen von der Universität Sydney aus der Untersuchung von Gas außerhalb unserer Heimatgalaxie. Der Ausbruch hat sich erst vor 2,5 bis 3,5 Millionen Jahren ereignet, als bereits die ersten Vorfahren des Menschen die Erde bevölkerten. Die Milchstraße ist möglicherweise eine aktivere Galaxie als angenommen. »Der Ausbruch, der sich vor drei Millionen Jahren ereignet hat, war so gewaltig, dass er Konsequenzen für die Umgebung unserer Galaxie hatte«, erläuterte Ko-Autorin Magda Guglielmo vom Team um Joss Bland-Hawthorn.

SpaceX: Starship und Starlink

334 ©: SpaceX / Artistic Photo by Melissa Martinez

Starship: Elon Musk (CEO SpaceX) präsentierte jüngst das erste Starship (MK 1) auf dem Firmengelände in Boca Chica, Texas, welches für erste Testflüge eingesetzt wird. »Ein eilig zusammengedengeltes Getreidesilo« nannte es die New York Times. Dieses reckte sich 50 Meter in den texanischen Himmel, als Musk es am Jahrestag des Falcon-1-Starts präsentierte. Angetrieben wird es von drei Raptor-Triebwerken. Die nächste Ausbaustufe soll über sechs Motoren verfügen, drei optimiert für Flüge in der Erdatmosphäre, drei fürs Vakuum des Weltalls. Hinzu kommt die eigentliche Rakete, eine 68 Meter lange, 9 Meter im Durchmesser breite, wiederverwendbarer Erststufe (genannt Super-Heavy) und mit bis zu 37 Raptor-Triebwerken den Koloss in den Orbit

335 tragen soll. Als Treibstoff dient zukünftig tiefgekühltes Methan mit flüssigem Sauerstoff als Oxidator. Die silbrige Hülle besteht aus rostfreiem Stahl. »Das könnte die beste Design-Entscheidung meines Lebens gewesen sein«, sagte Musk auf CNN. Stahl kann bis zu 1500 Grad Celsius aufgeheizt werden, somit brauche die abgewandte Seite keinen Hitzeschutz beim Wiedereintritt, während auf der heißen Seite eine dünne Schicht aus keramischen Kacheln genüge. Erst kurz vor der Landung solle sich das Raumschiff aufrichten, erneut seine Triebwerke zünden und dann, wie die Falcon 9, stehend landen. Die Raumfahrt soll damit revolutioniert werden und es zukünftig möglich machen, den Mars zu bereisen. Starlink: Weiterhin wurde bekannt, dass SpaceX bei der International Telecommunication Union Kommunikationsfrequenzen für 30 000 weitere Starlink-Satelliten beantragt hat. Starlink soll eines Tages schnellen Internetzugang an jedem Ort der Welt bieten. Astronomen kritisieren das Vorhaben, da diese Mini-Satelliten die Himmelsbeobachtung stören könnten, es weiter zur »Vermüllung im Orbit« beiträgt und die Gefahr von Kollisionen mit anderen Satelliten steigt.

Weiterführende Informationen zum Thema: SpaceX Starship https://www.spacex.com/starship

336 ISS: ein kleiner Schritt für Astronautinnen, ein großer für Frauen

©: NASA / AFP / Christina Hammock Koch (l.) und Jessica Meir

Die Männer der Internationalen Raumstation (ISS) mussten drinnen bleiben. Diesmal waren es ihre Kolleginnen, die am 18. Oktober 2019 erstmals nach 220 mit EVAs (extravehikularen Aktivitäten) Raumfahrt-Geschichte schrieben. Die Astronautin Stephanie Wilson (CapCom) sagte im Kontrollzentrum im texanischen Houston an ihre Kollegin im All gerichtet: »Christina, du darfst die Luftschleuse verlassen.« Die US-Astronautinnen Christina Koch und Jessica Meir reparierten daraufhin bei einem historischen 7 Stunden und 17 Minuten langen Außeneinsatz einen kaputten Stromregler an der ISS.

337 »Es ist das erste Mal, dass zwei Frauen gemeinsam für einen Außeneinsatz im Weltall eingeteilt sind.« Auch die US-Raumfahrtbehörde NASA nennt dies eine Weltsensation. Die erste Raumfahrerin auf einem Außeneinsatz war 1984 Swetlana Sawizkaja aus der damaligen Sowjetunion, den Rekord hält die Amerikanerin Peggy Whitson mit zehn Spaziergängen. Einmal war der Astronautinnen-Einsatz schon gescheitert, weil die NASA nicht ausreichend Raumanzüge in kleinen Größen hatte.

©: NASA / by picture alliance / dpa / Christina Koch beim EVA

Artemis: NASA stellt neuen Mondraumanzug vor

338 ©: NASA / Joel Kowsky

Der neue Raumanzug für die nächste Mondlandung ist da. In unserer Juni-Ausgabe haben wir uns noch gefragt, wie weit man damit ist. Erstmals soll ab dem Jahre 2024 auch eine Astronautin mit zum Mond, auch hier neue »Frauen-Power« und »Emanzipation im Weltraum«. Damit diese und ihre männlichen Kollegen beweglich sind, nicht mehr hüpfen müssen wie noch ihre Apollo-Vorgänger, aber auch im All und auf weiteren Planeten wie dem Mars flexibel eingesetzt werden können, hat ILC Dover (bereits für Apollo, Space Shuttle und ISS der Anzugshersteller) einen neuen, modularen Anzug entwickelt, mit hochmodernen Materialien und Gelenken. Nun können sie die Hüfte drehen, die Knie besser beugen und auf Schuhen mit flexiblen Sohlen laufen. »Jetzt werden

339 wir auf dem Mond tatsächlich richtig gehen können. Das ist ein großer Unterschied zu unseren früheren Anzügen«, sagte Jim Bridenstine (NASA-Administrator). Neben dem neuen »extravehicular Exploration Mobility Unit« (xEMU) Artemis-Raumanzug wurde der ebenfalls neue, orangefarbenen Orion-Überlebensanzug vorgestellt. Dieser dient dem Schutz der Astronauten bei Start-, Landungs- und Notsituationen. Er ist eine Weiterentwicklung aus dem Shuttle-Programm.

Weiterführende Informationen zum Thema: NASA presents spacesuits for moon exploration (Video) https://youtu.be/QzyIiAeWEZA

VirginSpace: neue Raumanzüge - von der Enterprise?

©: Virgin Galactic

340 Neue Raumanzüge zum Zweiten. Diesmal stand vielleicht gar Star Trek Enterprise oder Discovery Pate. Zwei Jahre dauerte die Entwicklung des Anzuges für die privaten Flüge an die Grenze zum All. Der Anzug ist im Ticket bei Virgin Galactic inklusive – kein Kunststück bei einem Preis von 250.000 US-Dollar für einen Platz im Raumflieger. Im kommenden Jahr soll mit den kommerziellen Flügen mit einer Reisedauer von 90 Minuten begonnen werden. »Man wolle es nicht nur bequem haben, sondern auch gut aussehen damit«, so Richard Branson (CEO Virgin Galactic). Die Farbe Blau steht für ihn für die Erde, wie sie beim Blick aus dem Weltraum erscheint.

Raumanzüge: SpaceX und Boeing Space Suites im Training

©: SpaceX

341 Die hier im Corona Magazine vorgestellten neuen Raumanzüge für die bemannten Flüge zur ISS von SpaceX und Boeing werden mittlerweile für Trainings und Tests eingesetzt. Jüngst beim Evakuierungstraining am Startturm 39A in Cape Canaveral (SpaceX) oder beim Simulator-Training in der CST-100 Starliner Kapsel von Boeing. Zukünftig wird es also modisch und bunt über unseren Köpfen.

©: Boeing

Subspace Award: Alex Gerst mit 2. Bundesverdienstkreuz geehrt

342 ©: Bundespresseamt / Gero Breloer

(ESA). 2. Oktober 2019 - »Mut zur Zukunft: Grenzen überwinden« – unter diesem Motto zeichnete heute Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Tag der Deutschen Einheit Alexander Gerst mit einer weiteren Stufe des Bundesverdienstkreuzes aus. Die Verleihung fand im Schloss Bellevue in Berlin statt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist davon überzeugt, dass jede Zeit Entdecker braucht und der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst einer von ihnen ist. »Seine wissenschaftliche Exzellenz, Energie und Eloquenz haben ihn nicht nur zu einem der bekanntesten Bürger – und auch Blogger – unseres Landes werden lassen, sondern auch zu einem großen Vorbild.« In der Begründung des Bundespräsidenten heißt es weiter, dass vor allem seine

343 Appelle zu Umwelt- und Klimaschutz uns über unsere eigene Lebensweise nachdenken lassen. So veröffentlichte Alexander Gerst während der Horizons-Mission im Dezember 2018 eine bewegende Botschaft an »seine Enkelkinder«, die gleichzeitig ein Appell an die Menschheit war, unseren Planeten besser zu behandeln – nicht nur in Bezug auf die Umweltverschmutzungen. Er sagte in der Aussichtskuppel der ISS auch, dass die Menschheit »zum Großteil sinnlose Kriege« führe und hoffe, dass sie einen Teil der Zerstörungen rückgängig machen könne.

Subspace Memorial: Sigmund Jähn

344 ©: ESA / BR.de

(ESA) Sigmund Jähn war der erste Deutsche im All. Der damalige DDR-Bürger wurde von 1976 bis 1978 in der UdSSR zum Kosmonauten ausgebildet und flog am 26. August 1978 mit Sojus 31 und seinem sowjetischen Kollegen Valerij Bykowski zur Raumstation Saljut 6. Am 3. September 1978 kehrte er mit Sojus 29 wieder zur Erde zurück. Er blieb der Raumfahrt treu und arbeitete nach dem Zusammenbruch des Ostblocks für die ESA und das DLR als Berater. Sigmund Jähn war verheiratet und Vater zweier Töchter. Er starb am 21. September 2019 im Alter von 82 Jahren.

Milchstraße: der hellste Nebel am Nachthimmel

©: ESO / T. Preibisch

345 (ESO) Dieses großräumige Panorama des Carinanebels, einer Himmelsregion mit starker Sternentstehung am Südsternhimmel, wurde mit der HAWK-I-Kamera am Very Large Telescope der ESO im Infrarotlicht aufgenommen. Es zeigt vor dem spektakulären Hintergrund einer himmlischen Landschaft auf Gas, Staub und jungen Sternen zahlreiche nie gesehene Details. (Wiki) Der Carinanebel (NGC 3372), auch Eta-Carinae-Nebel, ist ein Emissionsnebel im Sternbild Kiel des Schiffs. Der Nebel befindet sich in einer Entfernung von etwa 6.500 bis 10.000 Lichtjahren von der Erde. Seine Ausmaße erstrecken sich über etwa 200–300 Lichtjahre. Dieser Nebelkomplex liegt im Sagittarius-Arm der Milchstraße und ist ein großes Sternentstehungsgebiet, ähnlich dem Orionnebel. Er ist eines der hellsten Objekte am Nachthimmel.

346 ©: ESA / Spitzer-Weltraumteleskop

Es bleibt weiter farbig und bunt, sowie spannend bei und über uns.

347 Phantastisches Hören

Hör mal! - Die Audible-Kolumne von Reinhard Prahl

Das Problem mit dem Platz Als ich 2014 mein erstes kostenloses Probeabonnement bei Audible abschloss, war ich zunächst skeptisch. Ich wusste, dass Amazon ein in sich geschlossenes Universum ist, zu dem auch eigene Dateiformate für Kindle und eben Audible gehören. Einfach ein Hörbuch als Mp3 herunterladen und auf jedem gewünschten Abspielgerät ohne zusätzliche App hören, war also von vornherein ausgeschlossen. Außerdem gehörte ich seinerzeit noch der dominanten Nerd-Spezies des Jägers und Sammlers an, der seine Schätze am liebsten im heimischen Regal hütet und auch die noch so aufwendigste Staubwischorgie über sich ergehen lässt. Das alles natürlich nur, um sich an dem immer größeren Platzbedarf und der gleichzeitig sinkenden effektiven Wohnfläche zu erfreuen. Dennoch war auch ich natürlichen Sachzwängen, allen voran der Quadratmeterzahl unseres Hauses und den panischen Blicken meiner Frau, unterworfen. Aus diesem Grund war ich bereits schweren Herzens auf einen eBook-Reader umgestiegen, was sich zumindest für Romane als recht praktisch erwies. Und da ich obendrein viel unterwegs bin, bot es sich trotz meiner Bedenken an, Audible einmal zu 348 testen. Was konnte ich schon verlieren? Man bot mir drei Monate lang für je 4,95€ ein Hörbuch oder Hörspiel meiner Wahl an, die ich auch weiterhin hören konnte, wenn ich das Abo nach dem Testzeitraum kündigen würde. Im schlimmsten Fall hätte ich am Ende 15 Euro für eine App bezahlt, die mir nicht gefiel. Würde ich nach dem Testabo bleiben, sollten von nun an monatlich 9,95€ für meine Mitgliedschaft anfallen, für die es wiederum eines der rund 200000 Hörbücher und Hörspiele gab, mit denen man meinen alten Sammlerwahn neu entfachen wollte.

Alles richtig gemacht Der Rest ist Geschichte. Inzwischen bin ich, mit kurzen Unterbrechungen, seit fünf Jahren zufriedener Kunde und nenne einige Hundert Produktionen virtuell mein Eigen, die sonst vielleicht nie den Weg in mein heimisches Wohnzimmer gefunden hätten. Nicht, dass ich mit allem rundum zufrieden wäre, was Audible bietet, doch die Vorteile liegen für mich klar auf der Hand. Ich spare nicht nur Unmengen Platz, sondern kann meine Lieblingsbücher und Hörspiele praktisch jederzeit und überall abrufen, ohne lästige CD-Boxen mit mir herumschleppen zu müssen. Als größtes Plus erweisen sich allerdings die aufwendigen audibleexklusiven Produktionen. Unter anderem habe ich dank Audible meine Liebe zu inszenierten Hörbüchern entdeckt. Romane wie Black Out von Marc Elsberg oder Die magischen Fälle des Peter Grant von Ben Aaronovitch fühlen sich dank organischem Sounddesigns und bekannter Sprecher so intensiv und unterhaltsam wie nie zuvor an. 349 Besonders angetan haben es mir allerdings die hauseigenen Hörspiele, wie die Alien-Trilogie, Ivar Leon Mengers Monster 1983 und aktuell Ghostbox. Auch die von Tommy Krappweis produzierten Jugendhörspiele Ghostsitter und Bill Bo und seine Bande liebe ich heiß und innig.

© Amazon / Audible

Just Another One-Man-Show? Meine Leidenschaft führte nicht nur zu etlichen Rezensionen in diversen Magazinen, sondern gaben mir

350 auch die Möglichkeit, einige der besten Hörspielautoren Deutschlands interviewen zu dürfen. Last but not least kam die Idee zu dieser Kolumne, die ab sofort regelmäßig beim Corona Magazine erscheinen wird. Aber was dürfen die Leser erwarten, die vielleicht selbst Audible nutzen oder doch zumindest interessiert an einem Probeabo sind? Abgesehen davon, dass ich mit meiner Meinung über den Giganten Audible nicht hinter dem Berg halte, werde ich natürlich meine Hörbuch- und Hörspielfavoriten vorstellen. Doch Hör mal! – Die Audible-Kolumne soll keine One-Man-Show werden. Vielmehr sind Gespräche und Interviews mit netten Kolleginnen und Kollegen, aber auch Sprechern und Experten ein fester Bestandteil des neuen Formats. Als ich im Vorfeld einige AutorenkollegInnen ansprach, ob sie Lust hätten, an einer Kolumne wie dieser mitzuwirken, fiel das Ergebnis überraschend positiv aus. So können wir bereits heute auf eine bunte Mischung von Interviewpartnern einstimmen, die uns mit hinter die Kulissen ihrer Arbeit nehmen. Den Anfang macht Tommy Krappweis, den zu interviewen ich in diesem Jahr schon einmal das Vergnügen hatte. Für die nächsten Ausgaben haben sich bereits Christian Humberg, CM-Chefredakteur Björn Sülter und Bestsellerautor Robert Corvus angemeldet. Es wird also hoffentlich interessant, nicht nur für die Audible-Jünger, sondern auch für Hörbuch- und Hörspielfreunde allgemein. Denn wann hat man schon einmal die Gelegenheit, Informationen quasi aus erster Hand zu erhalten und sich 351 über die positiven wie negativen Aspekte von Diensten wie Audible auszutauschen? Und nun kommen Sie ins Spiel. Schreiben Sie mir Ihre Meinung, Anregungen und Wünsche per Facebook-Messenger oder auch an die Redaktion des Corona Magazine. Gibt es Fragen an unsere Gäste? Kritik? Themenvorschläge? Her damit! Hör mal! – die Audible-Kolumne soll nicht nur ein weiteres Konsumgut sein, sondern von und mit dem Leser leben und atmen.

352 © Edition Roter Drache

Versprochen ist versprochen … Und nun präsentiere ich stolz meinen ersten Gast auf der – natürlich nur gedachten – Interview-Couch: Tommy Krappweis, seines Zeichens der Erfinder von Bernd, das Brot, Autor der Mara und der Feuerbringer Reihe und

353 Produzent von Hörspielserien wie Ghostsitter und Bill Bo und seine Bande. Tommy Krappweis über Audible, Originals, Vampire und Werwölfe

Prahl: Hallo Tommy, vielen Dank, dass du dir Zeit für meine erste Kolumne nimmst. Wir hatten ja in diesem Jahr bereits das Vergnügen, uns näher über Ghostsitter zu unterhalten. Wie du weißt, bin ich ein großer Fan der Serie. Entsprechend groß war die Freude, als du vor Kurzem bekannt gabst, dass Staffel 5 in Produktion ist. Worauf dürfen wir uns freuen?

Krappweis: Da ich ja in loser Reihenfolge mehr und mehr über die Protagonisten verraten will, sind diesmal Vlarad und Welf an der Reihe. Wir erfahren etwas über die weit zurückliegende Vergangenheit des Vampirs, lernen einen weiteren seiner Gattung kennen, und Tom bekommt einen ersten Einblick in die komplexe Historie von Blutsaugern vs. Werwesen. Bei Welf holt ihn eine Sache aus der jüngeren Vergangenheit ein, und wir erleben ihn zum ersten Mal als Werwolf – außerhalb des magischen Käfigs. Dazu kommen ein paar ganz außerordentliche Gastsprecher: Eben habe ich in Hamburg mit Holger Wemhoff und Florian Schmidt von der Klassik Radio Cinema Show aufgenommen. Sie spielen sich selbst im Talk mit der Fantasyautorin Tiffany Schuster, die wir schon aus „Schreck im Spiegelkabinett“ kennen. Bald 354 reise ich nach Essen, um Sträter/Bernder/Streberg in ihrem Podcast für Ghostsitter aufzunehmen. Sie spielen, äh, drei Podcaster.

Prahl: Wie kam es eigentlich dazu, dass Ghostsitter ein Audible-Exklusiv-Produkt wurde? Welche Entscheidungsprozesse spielten eine Rolle?

Krappweis: Der damalige „Mr. Gamescom“ des GAME-Verbands, Boris Lehfeld, hatte mich durch meine Arbeit für das Cosplay Village einem Mann namens Felix Pace vorgestellt, der kurze Zeit später zu Audible wechselte und sich an unser launiges Gespräch und Ghostsitter erinnerte. Die KollegInnen bei Audible hatten große Lust auf das Projekt, und so entstand die Idee, das als Hörspiel umzusetzen.

Prahl: Du und Dein Team verwirklichen mit Eurer Produktionsfirma bumm film zahlreiche Projekte für Audible. Wie läuft die Zusammenarbeit mit Audible ab?

Krappweis: „Unterschiedlich, aber immer auf Augenhöhe“ würde ich das mal zusammenfassen, und zwar sowohl mit Audible als auch mit Amazon Music. Unser Glück war natürlich, dass Ghostsitter als erstes gemeinsames Unterfangen gleich so unglaublich eingeschlagen hat. Es startete als 355 erfolgreichstes Amazon Music DE Original in 2017 und führte dazu, dass die bumm film GmbH zum ersten Mal einen direkten Auftrag über mehrere Staffeln bekam. Das ist in der restlichen, mindestens deutschsprachigen Medienwelt eigentlich so gut wie undenkbar. Das Vertrauen in uns ist also sehr groß, und vice versa. So hat man für Vorschläge aus unseren Federn immer ein offenes Ohr und vertraut uns dazu auch die Hörspielumsetzungen von Bestsellern wie Die Flüsse von London und Originals wie Die Meisterin von Markus Heitz an. Auch wenn Audible mal Ideen von uns ablehnt, ist es immer so, dass wir die Argumentationen nachvollziehen können. Die wissen sehr genau, was sie (nicht) brauchen und warum und können das auch gut erklären. So macht eine Zusammenarbeit Spaß.

Prahl: Du bist selbst Fan und sicherlich auch Sammler. Findest du es nicht schade, dass deine Fans ohne CD-Box und Booklet auskommen müssen und wohl niemals in ihr Regal greifen können, um eine Krappweis-Produktion herauszukramen?

Krappweis: Ich habe das Sammeln auf nur sehr wenige Dinge beschränkt, und auch da selektiere ich inzwischen extrem. Ich bin großer Buster Keaton-Fan, aber auch da will ich nur das Werk des Meisters in möglichst guter Qualität und nicht jede Schwarzpressung eines VHS-Funds. Auch bei meiner 356 Passion für die Beatles, Electric Blues, Pink Floyd oder Jethro Tull freue ich mich über Special Editions oder zeitgemäße Remixes, aber meine Picture Discs, Autogramme und all das habe ich schon vor langer, langer Zeit verkauft, um mir eigene Instrumente leisten zu können und meinen Idolen nachzueifern. Was die Hörspiele angeht, brauche ich weder eine Schachtel, die im Regal zustaubt, noch überhaupt eine physische Form. Mir geht und ging es immer nur um das Werk selbst. Eiernde Kassetten nerven mich ebenso wie springende CDs und Klappboxen, die am Gelenk brechen. Außerdem finde ich es ganz generell gut, wenn wir alle weniger Plastik und Co. verschwenden, wenn man das gleiche auch in der Cloud speichern kann. Natürlich braucht auch die Cloud Energie und Co., aber wenigstens erstickt kein Fisch an meinem unzerstörbaren Lenticular BluRay Inlay. Dass auch LEGO daran arbeitet, seine Plastikflut 100% erneuerbar zu machen, begrüße ich in dem Zusammenhang natürlich auch sehr, denn ich mag z.B. die Creator Expert-Serie, möchte aber nicht weiter in dem gedankenlosen Maße zum weltweiten Plastikaufkommen beitragen wie bisher.

Prahl: Wie läuft eigentlich ein Aufnahmetag im Studio ab? Wie lange arbeitet ihr an einem Take? Wie viele Stunden ist ein Sprecher täglich vor Ort?

Krappweis: 357 Generell versuchen wir immer, wo es irgend disponierbar ist, Ensembleaufnahmen zu machen. Für Humor-affine Projekte wie Ghostsitter oder Bill Bo und seine Bande halte ich es für unabdingbar. Das wäre ohne gemeinsame Aufnahmen schlicht nicht möglich oder eben nicht gut genug für unsere Ansprüche. Aber auch bei Thriller oder Drama hilft es natürlich extrem, gerade die leisen Töne in Dialogen profitieren unglaublich von Ensemble-Aufnahmen. Das macht die Aufnahmen natürlich deutlich kostspieliger, von der Planung über die Reisekosten bis zum täglichen Pensum – aber es lohnt sich definitiv, wie man auch an den Bewertungen und dem Zuspruch sieht. Die SprecherInnen sind also möglichst den ganzen (Arbeits)Tag bei uns, in vielen Fällen versuchen wir auch, Stimmen schlau in verschiedenen passenden Projekten zu casten, so dass wir zum Beispiel die großartige Angelika Bender einen halben Tag als Toms Oma in Ghostsitter aufnehmen und sie den Rest des Tages dann in Studio 2 die Erzählerin in Die Meisterin gibt.

Prahl: bumm film produziert nicht nur Hörspiele für Audible, sondern vertont auch beliebte Romanserien wie Die Zwerge oder Die Meisterin von Markus Heitz. Unterscheidet sich der Produktionsaufwand im Gegensatz zu Hörspielen, und wenn ja, inwiefern?

Krappweis:

358 Ein schönes Beispiel vom gleichen Autor: Die Hörspiele zu Die Zwerge von Markus Heitz sind vom Aufwand her nicht mit seinem extra für Audible geschriebenen Original Die Meisterin zu vergleichen. Das hat diverse Gründe. Der relevanteste ist natürlich immer erst einmal das Budget. Das schlägt sich nieder auf den Cast – also wie viele „große Stimmen“ können wir uns leisten? Finden wir genug Leute, die zwar weniger bekannt, aber trotzdem gut sind? Verursachen diese Leute Reisekosten, die wir bei dem Projekt kaum auffangen können? An der Stelle muss ich auch sagen, dass sich nahezu täglich eine Menge Leute via Social Media bei mir melden, die „auch gerne mal in einem Hörspiel sprechen würden“. Die allerwenigsten haben aber leider das Talent oder die stimmlichen Voraussetzungen, geschweige denn die für so ein Projekt erforderliche Professionalität. 90% sind ja nicht einmal in der Lage, nebengeräuschfrei ein paar Sprachproben ins Handy zu sprechen und bei YouTube hochzuladen. Die allermeisten Leute scheinen zu denken, es genüge, mir orthografisch abenteuerlich via Facebook Messenger zu schreiben, und ich sage dann aus schleierhaften Gründen umgehend zu. Inzwischen habe ich gar keine Wahl mehr, als diese „Bewerbungen“ zu ignorieren. Es sind vielzuviele, und es kam so gut wie nie etwas Verwertbares dabei heraus. Es gibt aber auch andere Gründe, warum die Umsetzung eines vorliegenden Werks insgesamt anders daherkommen kann als ein sogenanntes „Original“. Da jedes Buch bei Audible ungekürzt umgesetzt wird, haben wir da oft einen für Hörspiel-Hörgewohnheiten sehr hohen Erzähler-Anteil. 359 Auf der anderen Seite hatten zum Beispiel Die Zwerge trotz viel Erzähler auch hunderte Sprechrollen. Wir konnten hier auch nicht extra Musik komponieren wie für Ghostsitter und Co. oder jedes Dielenknarzen vertonen. Trotzdem finde ich, dass man inzwischen deutlich hört, wie wir gelernt haben, das, was uns zur Verfügung steht, für alle Projekte optimaler zu nützen. Zum Beispiel erlaubt die trickreiche Dispo-Verschränkung mit anderen parallel laufenden Aufnahmen deutlich bessere Sprecher, ohne das Budget zu sprengen.

Prahl: Die Verfilmung deiner Romanserie Mara und der Feuerbringer 2013 wurde von den Kritikern einhellig gelobt. Wie sieht es mit Teil 2 und Teil 3 aus?

Krappweis: Also 100% einhellig war das Lob nicht, denn die CINEMA/TV SPIELFILM Redaktion hatte einen Redakteur zur Testvorführung geschickt, der ansonsten vereinfacht gesagt nur Arthaus Filme goutiert. Der hat uns so brutal verrissen und dabei auch noch die Hauptdarstellerin beleidigt, dass es mich heute noch ärgert. Aber nahezu alle anderen – von der Süddeutschen über die BILD bis zur Gamestar – waren erfreulich begeistert. Gute Kritiken allein genügen leider nicht ansatzweise. Ohne eine erforderliche Monsterpromo mit tausenden Plakaten, TV-Werbung und Co. war der Film im Kino zum Scheitern verurteilt.

360 Wenn alle Fans von Mara-Buch und Film den vierten Mara-Band kaufen, sobald er erscheint, dann hätten wir allerdings einen veritablen Bestseller, der eindrucksvoll deutlich machen würde, welches Potenzial in dem Stoff steckt. Das würde es sicherlich möglich machen, auf diverse potenzielle Partner zuzugehen und über eine Fortsetzung oder besser eine neue Umsetzung als Streamingserie zu sprechen.

Prahl: Hast du jemals über eine Mara und der Feuerbringer-Hörspielserie nachgedacht?

Krappweis: Ein Hörspiel kann ich mir natürlich auch sehr gut vorstellen, aber im Moment konzentriere ich mich erst einmal darauf, dass Buch 4 über Maras Abenteuer so großartig wird wie irgend möglich.

Prahl: Auf welche Hörspielprojekte dürfen wir uns, abgesehen von Ghostsitter 5 bei Audible, in nächster Zeit freuen?

Krappweis: Wir arbeiten mit Hochdruck an diversen Originals aus eigener Feder, ich darf und möchte aber über keines sprechen, bevor unsere beiden Partner etwas dazu veröffentliche. Ich verweise hier auf meine Social Media-Kanäle. Was ich aber anmoderieren kann, ist, dass es 361 aufgrund der großen Nachfrage nach neuem Ghostsitter-Stoff eine andere Veröffentlichungsstrategie geben wird. Wie man bei den letzten Staffeln schon bemerkt hat, werden wir kürzer, veröffentlichen aber dafür deutlich öfter. Das liegt daran, dass ich nicht schneller schreiben kann. Gleichzeitig arbeiten wir an einem ersten Spin-Off mit dem Arbeitstitel Ghostsitter Stories, in dem wir einzelne Protagonisten zur jeweiligen Hauptfigur machen.

Prahl: Vielen Dank für die interessanten Antworten. Es hat großen Spaß gemacht, dir auf den „Zahn fühlen“ zu dürfen.

Krappweis: Aber gern!

362 Phantastisches Fandom

Con-Bericht: Die House of Horrors in Oberhausen – der Horror war um uns von Reinhard Prahl

Kult, Kult, Kult! Vom 12. bis 13. Oktober fand in der Turbinenhalle Oberhausen die fünfte House of Horrors Convention statt. Kurz vor Halloween hatten es sich die Veranstalter in der stimmigen Location nicht nur zum Ziel gesetzt, kleinen und großen Fans das (wohlige) Fürchten zu lehren, sondern warteten auch mit einem großen Stargebot auf. Mit von der Partie waren unter anderem Dieter Laser (Operation Ganymed), Matthias Hues (Dark Angel); Howard Sherman (Day of the Dead) und Patricia Quinn (Rocky Horror Picture Show). Anders als bei anderen Veranstaltungen oft üblich, standen die Schauspieler dabei nicht nur für Autogramme und Selfies gegen Aufpreis zur Verfügung, sondern auch für längere Gespräche, sofern Zeit blieb. Die Fans freuten sich sichtlich über die seltene Gelegenheit, ihren Idolen nicht nur für ein Foto nahe zu kommen, sondern auch die eine oder andere Frage stellen zu dürfen. Wer sich nicht so nah an die Stars herantraute, konnte ohne Zusatzkosten die oft interessanten, je 30-minütigen Panels besuchen. 363 Preise für Jedermann Positiv fällt vor allem auf, dass die HoH ihren Besuchern, abgesehen von Fotos und Autogrammen, keine weiteren Zusatzkosten für das reichhaltige Programm aufbürdete. Im Preis (Tickets gab es bereits ab 25 Euro) inbegriffen waren unter anderem der obligatorische Zombie-Walk, für den man sich auch kostenlos schminken lassen konnte, und der Dead Ends Award mit zahlreichen Filmscreenings. Dazu kamen eine Retro-Flipperecke, Ausstellungen, Vorträge von Filmschaffenden und selbstverständlich die ebenfalls üblichen Startalks, ein Cosplay-Contest und vieles mehr. Eine Party sowie zwei Konzerte rundeten das gelungene Angebot ab. Sehr besucherfreundlich zeigten sich die Preise für Photoshoots und Autogramme. Nur selten verlangte einer der Anwesenden mehr als 25 Euro pro Autogramm oder Foto.

Händler und Aussteller – The same procedure as …? Keine Convention ohne Händler und Aussteller. Zu den größten Ständen zählte ein Tätowierer, der in Halle 1 ein großes Areal abdeckte und nicht über zu wenig Kunden klagen konnte. Ansonsten fanden sich die üblichen Verdächtigen, die man teilweise auch von der Oberhausener Filmbörse desselben Veranstalters kennt. Ein breit gefächertes Angebot wäre sicherlich schön gewesen, obwohl es insgesamt genug Auswahl gab. Gefühlt fanden sich vielleicht etwas zu viele Filmhändler ein. Dies ist aber nun Meckern auf sehr hohem Niveau, denn natürlich gab es 364 ebenso coole T-Shirts wie auch das eine oder andere Sammlerstück für Merchandisejäger zu ergattern.

© R. Prahl

Einer der spannendsten Stände präsentierte eine Ausstellung mit Originalrequisiten aus dem Kultfilm Starship Troopers. Volker und Angelika Trachternach sammeln seit sechs Jahren und haben inzwischen eine ansehnliche Sammlung zusammengetragen. Angefangen hat Trachternach zunächst mit Kleinrequisiten. Später kam eine Rüstung hinzu, und inzwischen nennt er unter anderem ein originales Rico-Outfit, Stunt-Waffen, Flaggen und vieles mehr sein Eigen. Um die dreieinhalbtausend Euro hat die Familie bis heute in ihre Leidenschaft investiert, und noch

365 lange ist kein Ende in Sicht. Die Sammlung ist sehenswert, und wer auf einer der kommenden Veranstaltungen die kleine, aber feine Ausstellung besucht, sollte es sich auf keinen Fall nehmen lassen, mit dem netten Paar ein paar Worte zu wechseln und sich eine ihrer interessanten Geschichten anzuhören.

© R. Prahl

Keine Con ohne Cosplay! Was uns an Händlern insgesamt ein wenig fehlte, machten die tollen Cosplaygruppen und Aussteller mehr als wett. Cosplayer sind mit ihren bunten, pardon, blutigen Kostümen und Photoshoot-Stationen von einer modernen Horror-Convention genausowenig wegzudenken wie Händler und Sammler. Neben einigen bekannten

366 Gesichtern, wie die Cosplay-Truppe The Walking Dead German Cosplay, waren unter anderem auch die German Mafia Cosplay Group (dieses Mal als Vampir-Mafiosi), Resident Evil Cosplay Germany , Umbrella Corporation German Division oder Sayurishine Cosplay mit von der Partie. Was die Fangruppen in ihrer Freizeit auf die Beine stellen, um den Fans auf Veranstaltungen ideenreiche Stände zu präsentieren, ist auf jeden Fall sehenswert. Egal ob Uniformen, Roll ups, Dioramen, Animatronics, Setnachbauten und vieles mehr. Die Mitglieder der Gruppen investieren eine Menge Zeit, Geld, Liebe und Geduld, um den Zuschauern etwas zu bieten. Das Ergebnis konnte sich auf der House of Horrors schließlich bewundern lassen und trug zur rundum gelungenen Atmosphäre des Events bei. Was wäre schließlich ein Horror-Event, ohne Rick aus The Walking Dead oder einer weiblichen Freddy Krueger im sexy Outfit zu begegnen? Schön ist, dass die Cosplayer ohne Ausnahme berichteten, sich vom Veranstalter wertgeschätzt zu fühlen, was nicht immer eine Selbstverständlichkeit im hart umkämpften Geschäft ist. Hier wurde also offenbar vieles richtig gemacht.

367 © R. Prahl

Tolle Besucher – Das Herz jeder Con Ein weiterer großer Eckpfeiler von Fanmessen und -events sind zweifelsohne die Besucher. Über den Tag verteilt hatten wir das Vergnügen, mit vielen Teilnehmern sprechen zu können. Das lag zum einen daran, dass die Veranstalter ihr Platzangebot so gestalteten, dass sich die Turbinenhalle nie überlaufen anfühlte. Obwohl das Besucheraufkommen insgesamt recht hoch war, verteilte sich das Publikum gut auf die drei Hallen. Zum anderen trafen wir auf viele nette und interessante Menschen aller Coleur und Berufssparten, die einfach eine schöne Zeit erleben wollten und jede Menge gute Laune und super Cosplays mitbrachten. Direkt ins Auge fiel beispielsweise Sascha Rauter mit seinem hervorragenden

368 Michael-Myers-Lookalike. Auch das Vater-Sohn-Gespann Thomas und Kevin, die als Freddy Krüger und Michael Myers unterwegs waren, lernten wir kennen. Auf unsere erstaunte Frage, wie man als Vater und Sohn auf die Idee kommt, als Horrorfiguren aufzutreten, erzählten die beiden eine schöne Geschichte, die eindrucksvoll beweist, dass Cosplay heute schon lange keine Randerscheinung mehr ist. Nachdem Kevin mit seinen Eltern eine Comic Con besucht hatte, war sein Vater offenbar so beeindruckt, dass Kevin ihm daraufhin zum Geburtstag ein Freddy-Krueger-Kostüm schenkte. Der 44-jährige Thomas freute sich riesig, zumal sowohl Myers als auch der Albtraum-Killer die Antihelden seiner Jugend schlechthin sind. Fast noch größeren Spaß macht es dem stolzen Vater allerdings, die Filme mit seinem Sohn gemeinsam zu schauen, der ebenfalls ein großer Fan der Horror-Klassiker ist.

Fazit Die House of Horros ist ein liebevoll und mit Blick auf den Fan gestaltetes Event zu fairen Preisen, bei dem sich die Veranstalter eine ganze Menge einfallen lassen, um ihren Besuchern etwas zu bieten. Von stilechter Deko über Soundfiles und Soundtracks bis hin zu dunklen Räumen, Ausstellungen, Kostümen und vieles mehr. Abgesehen vom Programm muss eben auch die Atmosphäre stimmen. Nicht nur hier traf die HoH ins sprichwörtliche Schwarze. Auch der Umgang mit den Stars war nicht allzu streng reglementiert, so dass das eine oder andere Foto möglich war, solange man sich an die Regeln hielt. Schließlich wollen Stars und 369 Veranstalter auch etwas verdienen, und Photoshoots, Selfies und Autogramme sind ein essentieller Bestandteil der Kalkulation. Wir freuen uns bereits auf die House of Horrors 2020 und haben uns auf dem Event rundum wohlgefühlt. Am 02. und 03. Mai findet übrigens in der Turbinenhalle Oberhausen die Star Wars Convention Power of the Force desselben Veranstalters statt, auf die man sich bereits freuen darf. Angekündigt ist unter anderem Robert Watts, der als Associate Producer bei Star Wars IV und Co-Produzent bei Star Wars V und VI tätig war.

Con-Bericht: German Comic Con Berlin von Jens Dombek

Bericht des ersten Offiziers der Sternenflotte, the German Spock, Jens Dombek, über seinen Besuch auf der German Comic Con Berlin 2019, Tag 1, Sternzeit 2019.09.28, 10:00 Uhr mitteleuropäischer Erdenzeit. Eindrücke, Impressionen und Erwähnenswertes Vorab mit der Bitte um Nachsicht zu möglichen emotionalen Textbausteinen, die nicht wirklich auf vulkanischer Logik beruhen und somit auch von den 50% Mensch in mir mit ‚Gefühlen‘ zum Ausdruck gebracht werden.

Landurlaub!

370 Ein in Berlin komplett verregnetes und ganz im Zeichen des Berlin-Marathons stehendes Wochenende hatte ebenfalls das lang ersehnte Event, die German Comic Con Berlin (GCC), parat und erhellte das Cosplay-Universum in vollem Umfang. Besucher aus allen Galaxien, Zeitzonen und Genres waren vertreten und sprengten das Eintrittskontingent bereits vor dem öffentlichen Start am Samstag, dem ersten Tag der GCC. Unmittelbar nach den ersten Metern hinter dem Haupteingang erwachte in mir, nennen wir es eine Art ‚Gefühl‘, der Vertrautheit beim Anblick der Location der Station Berlin. Lichtdurchflutete Hallen, durchzogen mit Stahlträgern und Mauerwerk der Vergangenheit, einfach eine mit 100% zu bewertende perfekte Kulisse. Ein riesiger aus der Star Wars-Welt stammender X-Wing stand inmitten der ersten Halle und lud seine Besucher zum Einsteigen ein. Das Ganze wurde dann auch noch mit VR-Brille als Simulation angeboten. Ich gebe zu, die Star Trek-Raumfähre Galileo wäre mir persönlich lieber gewesen, aber meine vulkanische Bescheidenheit hat auch diesen Kreuzer wohlwollend akzeptiert. Mit einem enorm bunten Verkaufsangebot an Merchandise für einfach jede Sparte wurde ich regelrecht überflutet und wusste zu Beginn nicht, welchen Gang ich zuerst beschreiten sollte. Atemberaubende Begegnungen mit Cosplayern von Tinkabelle, Lucky Luke über Star Wars und -Trek bis hin zur Unter- und Zombiewelt. Superhelden, Trolle, Schurken und 371 Disneys Welten prallten regelrecht in Harmonie zusammen. Man konnte hier einfach alle Charaktere treffen, und ich gebe zu, nicht alle zu kennen. Auch mein Scanner hatte zwischenzeitlich seinen Modus ‘Lebensform-Erkennung‘ quittiert. Da eine Atmosphäre der Zusammengehörigkeit existierte, war ich so frei, die mir unbekannten Figuren und deren Herkunft zu erfragen. Ich staunte nicht schlecht, mit wie viel Einsatz und Kreativität die Kostüme teilweise per Hand gefertigt wurden. Latex, Pappe, kiloweise Stoff, Metall und unzählige Kunstharzteile erschlossen sich vereint und wundervoll lackiert in vielen Outfits. In so manch specialeffektartige Augen durfte ich blicken, ja in allen Farben und absolut movie-like passend zum dargestellten Charakter abgesetzt, dank bester Haftschalentechnik. Auch die Generation Knight Rider kam auf ihre Kosten, stand doch tatsächlich am Ende der ersten Halle der berühmte Pontiac Firebird K.I.T.T., mit all den original Sound- und Beleuchtungseffekten. Foto frei, das war die Devise, und die Blitze der Kameras wollten einfach nicht aufhören. Eine riesige Halle, die durch mehrere Eingänge parallel zum Hauptbereich zu beschreiten war, hatte eine enorme Auswahl an Comics, Romanen, Taschenbüchern und seltenen Dokumentationen parat. Jede Menge Zeichner und Aussteller waren vertreten, die ihre Fähigkeiten und Waren präsentierten. Schmuck und Accessoires, Latex, Kleidung und Figuren, die teils selbst kreiert und zu angenehmen Messe-Preisen im Angebot standen. Ein Wiedersehen mit Freunden und Gleichgesinnten ist jedes Mal eine spannende Situation, da nur selten über die 372 neu verkörperten Charaktere im Vorfeld gesprochen wird und man tatsächlich an guten alten Bekannten vorbei schlendert, bis sie sich einem zu erkennen geben. Diesen Aha-Effekt durfte ich tatsächlich mehrfach erleben. Auch Begegnungen mit Mitgliedern der Föderation aus meiner, der Star Trek-Welt, gab es, und das durch alle Sektionen hindurch, eine gute Entscheidung und Danke an dieser Stelle für die Unterstützung eures Vulkaniers. Das Aufgebot an Stars aus bekannten Filmen und Serien sowie Synchronsprecher war hautnah anwesend und für Fotos und Autogramme buchbar. Für ein Shakehand und einen Smalltalk waren die meisten offen. Auch Selfies waren kein Problem, wobei ich hörte, dass der eine oder andere dafür Geld haben wollte. Ich weiß aus Erfahrung, dass das in Amerika zum Standard gehört und man es als normal ansieht, 5 USD für ein Selfie zu geben. Die beliebten Panels, Vorträge und Interviews ‚on Stage‘ sind einfach ein Muss und durften natürlich nicht fehlen. Die vielen Plätze vor der großen, von riesigen beleuchteten SYFY-Aufstellern geprägten Bühne waren alle belegt und wurden stehend umzäunt von interessierten Besuchern. Das Applausometer berührte an diesem ersten Tag mehrfach den roten Bereich, bis hin zu standing ovation. Beeindruckend und faszinierend war die Vielzahl an vertretenen und kostümierten Star Wars Fans, platziert mit Fotowänden und gigantischer Parade durch den gesamten Bereich dieser Convention. Computer mit außergewöhnlichen Gehäuseformen und Lichteffekten durften bestaunt und gekauft werden, und 373 auch hier findet die Kreativität der Schöpfer kein Ende. Auftragsarbeiten der Gehäuse konnten bestellt werden, und ich überlege mir, irgendwann die Gehäuseform der NCC1701 zu spendieren, wäre ja auch logisch. Auch ein riesiger Lego-Bereich hatte hat sich komplett auf dieses Event eingestellt und diverse Filmschauplätze mit ihren Figuren großflächig dargestellt. Weiche Knie für jeden Lego-Fan wurden garantiert.

Fazit Das Abtauchen in seine eigene, aber auch in fremde Welten war auf der GCC ein Kinderspiel, und es ist schade, dass es nun wieder eine Weile dauert, bis sich die ‚Familie‘ dort wieder zusammenfindet. Lebt lang und in Frieden!

BuCon Dreieich, 2019 von Alexandra Trinley

Dreieich ist eine Reise wert, zumindest an jenem Tag im Jahr, an dem der BuchmesseCon stattfindet. Der BuCon, das ist jener phantastische kleine Ableger der großen Frankfurter Buchmesse, der am 19.10.2019 im Bürgerhaus Dreieich-Sprendlingen stattfand. Es war der 34. BuCon. Mit 820 Besuchern verzeichneten die Veranstalter einen kleinen Rekord. Da das Bürgerhaus an einem kleinen Park mit See und Enten gelegen ist, führt der Weg vom Parkplatz in der Regel 374 durchs Grüne, das bewirkt eine angenehme Pause zwischen Anfahrt und Veranstaltung. Der Eintritt ist mit 10 Euro für Erwachsene und 8 Euro für Kinder eher günstig. Er gilt für das Hauptgebäude, das vor allem die Halle mit etwa 50 Ständen, eine einfache Gaststätte mit in den Saal ausgelagerten Stehplätzen und Tischen und den Zugang zu einigen der sieben Vortragsräume bietet. Die Vortragsräume in den Nebengebäuden kann man auch ohne zu zahlen betreten.

© BuCon

Die Namen der Räume sind Programm: über die gesamte Zeit von 11 bis 20 Uhr könnte man gleichzeitig im Holodeck, dem Transporterraum, der Battle Bridge, dem Panic Room und in Deep Space 3, 4 und 5 sein. Der Blick aufs Programm (Link im Anschluss, Anm. d. Red.) kann dem Besucher also

375 durchaus die Laune vergällen, da sechs Lesungen zwangsläufig verpasst werden müssen – sieben, wenn man sich Essen holt oder ein Schwätzchen hält. Zur Minderung der verpassten Panels kann man gründlich alles vorplanen, grübeln, recherchieren, den Besuch planen, planen, planen. Oder man lässt sich einfach treiben, läuft herum in einem Gebäudekomplex, in dem hinter jeder Tür Geschichten gelesen werden, und guckt, worauf man grad Lust hat. Die Autorin dieses Berichts musste nicht mal selbst entscheiden, sie hatte ihre siebzehnjährige Tochter dabei, die Fantasy liebt, und das Kind gab meistens die Richtung vor. Auf der Suche nach Wolfgang Brandt vom Geisterspiegel, dessen Lesung aus Fantomas leider schon vorbei war, gerieten wir in die Lesung von Anja Buchmann. Die junge Frau mit Brille und schulterlangem Haar las klar und akzentuiert, was gut zu den lebensnahen, im Alltag angesiedelten Situationen des Romans passte. Es gab einen vertraut wirkenden Mutter-Tochter-Konflikt und das Herumgemobbe an einer sogenannten Streberin. Das Konstruktionsprinzip, erklärte die Autorin, sei das einer doppelten Welt, die als Parallelwelt zu unserer existiert. Allerdings achtete sie sehr aufs Vermeiden von Spoilern. Die Protagonistin von Ein echter Traumtyp rekapituliert ihr bisheriges Leben als den verzweifelten Versuch der Anpassung, leidet unter den Qualen des Sportunterrichts. Die Tochter wollte mit zum Stand und das Buch kaufen. Gut so.

376 © BoD

Die große Halle war besser aufgeteilt als vor einigen Jahren, die langen Reihen von Biertischen waren verschwunden, die runden Stehtische geblieben und die Bühne zum offenen Hallencafé geworden, wodurch die Aussteller deutlich mehr Platz bekamen. Mutter und Tochter erwarben Kaffee und Pommes, die sie angesichts der Personendichte in der Außenanlage zu sich zu nehmen gedachten. Gesagt, getan. Zwischen dem Haupteingang und den beiden Nebengebäuden befinden sich Bänke, und dort

377 waren auch einige Bekannte, vor allem PERRY-Fans, unterwegs, darunter Jörg Ritter, der stets freigiebig seine Fotos zur Verfügung stellt. Die Redaktion dankt. Unter anderem wurden die Miniaturen empfohlen. Auch draußen befanden sich viele Besucher. Auffallend viele Frauen hatten violett gefärbte Haare, und die Mehrzahl der Anwesenden sollte vielleicht doch ein wenig mehr Bewegung haben. Nerds unter sich halt. Mutter und Tochter kamen bei der Wiederaufnahme ihrer Wanderung an den Panic Room, der durch eine Glasfront mit Schiebetür zu betreten ist, und da diese hilfsbereit aufgeschoben wurde, war die Wahl der nächsten Lesung entschieden. Die Stimmung war gut, weil die Autoren der im Talawah-Verlag erschienenen A-Papers, einer Kurzgeschichtensammlung zum Thema Amazonen im weitesten Sinne, durchweg ausgezeichnet vortrugen und die Auszüge aus ihren sehr unterschiedlichen Geschichten Abwechslung boten. Es waren fünf der über dreißig Autoren da, und sie boten eine richtig gute Show. War es Agga Kastell oder Verena Jung, die eine Mädchengeschichte mit Adeligen und Prinzen zum Besten gab? Nele Sickel las aus ihrer Science-Fiction-Geschichte "Der Amazonenkönig", Laurence Horn, der stets ausgezeichnet auftritt, war mit "Der Club der Eisernen Ladys" dabei, und Jörg Fuchs war es wohl, der seine recht kindliche Geschichte mit einem enormen Aufgebot an Stampfen, Trampeln, Schmatzen und naturnah intonierten Stimmen vortrug. Nur ein Rülpsen blieb ohne konkrete 378 Veranschaulichung. Ausgelesene Blätter segelten in den Zuschauerraum. So verwunderte es nicht, dass das Publikum der Autorengruppe in Hochstimmung nach draußen folgte, wo noch lange signiert und fotografiert wurde. Im Panic Room bereitete derweil schon Ulf Fildebrand seine Lesung aus Meister der Erinnerung vor.

379 © Lysandra Books

Fildebrand richtete seine Utensilien – Bücherstapel und Staffelei für Bilder in Postergröße – mit der gleichen konzentrierten Ruhe her, die auch die Atmosphäre der Lesung prägte. Da seine Fantasy-Geschichte ein Weltankreis-Roman ist, betonte er zu Beginn seine Affinität zum Weltenbau, dem seine besondere Aufmerksamkeit gelte. Die Anklänge an den Herrn der Ringe, die er ebenfalls ansprach, überraschen in diesem Genre wohl sowieso keinen. Der Aufbau der Konfliktparteien klang aber tatsächlich spannend: Die Magie basiert hier auf Erinnerung. Erinnerungen sind die Energie dieser Welt, und ihre Anwendung braucht die verwendeten Erinnerungen auf. Wobei die guten Zauberer Erinnerungen schaffen, die sie verwenden, während die bösen Zauberer anderen die Erinnerungen entreißen. Sie haben Schatten geschaffen, und das Machtgleichgewicht ist durcheinandergeraten. Das ist die Ausgangssituation des Romans, der auf der Welt Isdra spielt, im Jahre 6061 nach dem Sieg Bender Bhasas. Das Vortragen des ersten Kapitels wurde illustriert durch die postergroße Version der betreffenden Illustration von Fabian Santner, die ein eindrucksvoll großes Bibliotheksgebäude zeigte und die Siedlung, in der die Geschichte ihren Anfang nimmt. Zum zweiten Kapitel gab es eine Eislandschaft. Beide begeisterten die Tochter, die den Leistungskurs Kunst besucht, voll und ganz.

380 Da der Autor auch ein wenig für PERRY RHODAN schreibt, entspann sich beim Aufräumen nach der Lesung ein kleines Gespräch, weshalb wir den Beginn der Preisverleihung in der Haupthalle verpassten. Umso erfreulicher, dass dort ein sehr, sehr glücklicher Robert Vogel gerade seine Dankesrede hielt. Geehrt wurde sein Lebenswerk. Die zweite Preisträgerin, die in der Fantasy-Szene sehr aktive Autorin und Ansagerin, Ann-Katrin Karschnik, wurde in heimtückischer Weise überlistet: Sie war um die Moderation gebeten worden, man hatte ihr vorgegaukelt, sehr nervös zu sein, weil der zweite Preisträger noch nicht aufgetaucht sei und so weiter. So war sie dann schön vor Ort, als sie ihren Preis erhielt.

© Joerg Ritter / Robert Vogel und Ann-Kathrin Karschnick

381 Zeit, mit Bekannten zu reden und dabei ein paar Lesungen mehr zu verpassen. Am Tisch des Geisterspiegels gab es stilecht als blutige Augäpfel verpackte Vollmilchschokolade, mit Manfred Rückert gab es ein langes Gespräch über Heftromane, und die Tochter hatte tatsächlich Aktive der Tibet-Initiative Deutschland aufgetan. Robert Corvus war mit seiner üblichen Verkaufsshow zu den eigenen Büchern und PERRY RHODAN beschäftigt. Frank Gerigk stürmte mit freundlicher Begrüßung vorbei, Norbert Fiks tauchte auf, und andere Schaffende des RHODAN-Fandoms wie SOL-Chefredakteurin Christina Hacker. NEO-Expokrat Rainer Schorm kam des Wegs, fragte nach seinem Co Rüdiger Schäfer, erhielt die Auskunft, dass dieser stundenlang draußen auf- und abgelaufen war (was vom Panic Room aus gut hatte beobachtet werden können) und war erleichtert: "Ja, der hat auf mich gewartet. Wo ist er denn?" Die Bahn war schuld. Eigentlich wäre es jetzt, um 17 Uhr, an der Zeit gewesen, sich der verdichtenden RHODAN-Population zuzuwenden. Es waren wirklich viele Macher von PERRY RHODAN da: Madeleine Puljic und Kai Hirdt mit Kinderwagen, Michael Marcus Thurner, Tanja Brüske aka Lucy Guth, Steffi Jahnke aka Michelle Stern, Oliver Plaschke, und noch dazu eine ganze Reihe von Fans. Auf 19 Uhr war das NEO-Panel angesetzt, doch die Tochter wollte heim, war hundemüde. Zeit also für einige Worte mit Chefredakteur Klaus N. Frick, und dann ging es zurück zum Auto. Freundlicherweise stellte Rainer Schorm

382 einen kleinen Bericht über das Panel zusammen, der hier Verwendung findet.

BuCon 2019: Das Programm https://www.buchmessecon.de/index.php/programm

Anja Buchmann: Ein echter Traumtyp. Romantic Fantasy. BoD Buchshop. ISBN-13: 978-3749482-8-70

Sascha Eichelberg (Hrsg.): The A-Files. Die Amazonen-Akten. Eine Anthologie. Talawah-Verlag: Berlin, 2019 ISBN Print 978-3947550-3-19 ISBN eBook 978-3-3947550-3-19

Ulf Fildebrand: Meister der Erinnerung. Lysandra Books Verlag: Dresden, 2019. ISBN Print 978-3-946376-56-9 ISBN eBook: 978-3-946376-56-6

Geisterspiegel https://www.geisterspiegel.de

383 Buchmessezeit

© Joerg Ritter / Rainer Schorm

Ein Situationsbericht von NEO-Expokrat Rainer Schorm

Neben der Frankfurter Buchmesse ist der BuchmesseCon in Dreieich-Sprendlingen einer der Termine, die mir ans Herz gelegt wurden, und das zu Recht: Dort kann man Leute persönlich treffen, die man ansonsten lange Zeit nicht zu sehen bekommt. Das Programm ist vielseitig, und die Anzahl der Gesprächspartner ziemlich groß. Dazu kommt, dass es dieses Jahr ein PERRY RHODAN NEO-Panel gibt; gerade rechtzeitig zum Start der neuen Staffel. Das alles passt. Die Zeit bis zu unserem Panel, das die Veranstalter auf 19 Uhr gelegt haben, vergeht deutlich zu schnell. Da etliche

384 NEO-Autoren und weitere Rhodanisten vor Ort sind, gibt es viel zu bereden.

© Joerg Ritter / Robert Corvus

So ist Bernd Robker – Robert Corvus – vor Ort, dessen Vorrat an Haribo bereits stark geschrumpft ist, als ich auftauche. Thomas LeBlanc von der Phantastischen Bibliothek Wetzlar erinnert mich freundlich, aber mit Nachdruck an die nächste Folge der Miniaturen, zu denen ich seit etlichen Jahren bereits welche beigesteuert habe. Das Thema lautet »Rezepte« (kulinarisch) … dazu eine Kürzestgeschichte von maximal zwei Seiten zu schreiben, ist für mich als Feinschmecker reizvoll: Also sage ich zu. So schnell geht das; prompt nimmt die Arbeit zu. Ebenfalls vor dem NEO-Panel steht ein Treffen mit den Leuten von EXODUS an. René Moreau kenne ich seit

385 Langem, habe ihn aber seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. EXODUS ist ein Magazin, das die Mitarbeit wert ist, … und prompt nimmt die Arbeit weiter zu. Zudem schaffe ich es endlich, meinen Bestand an Exodus-Nummern aufzufüllen. Ich treffe Frank Gerigk, der wie ich zur Autorengruppe »Phantastisches Oberrhein« gehört, und Birgit Fischer vom SFCD. Der Besuch hat sich bereits jetzt gelohnt, dabei steht unser Panel immer noch aus. Dann aber! Gegen 19 Uhr streben alle, die es interessiert, in den »Deep Space 5«. Der Raum füllt sich schnell, das Interesse ist größer, als ich zu dieser Zeit erwartet hätte. Thomas LeBlanc von der »Phantastischen Bibliothek Wetzlar« räumt den Präsentationsraum. Im Panel davor ging es um Karl Mays »Phantastischen Orient«. Vorn sitzt neben Rüdiger Schäfer, der in gewohnt professioneller Manier die folgende Stunde moderieren wird, unser Chefredakteur Klaus N. Frick. Engagiert, gut gelaunt, aber weitgehend stimmlos; im wahrsten Sinne des Wortes. Buchmessezeit ist Redezeit und das schlägt immer auf die Stimmbänder. Neben dem zweiten Expokraten – also meiner eigenen Person – sind drei Autoren mit dabei: Michelle Stern (Steffie Jahnke), Lucy Guth (Tanja Bruske) und Oliver Plaschka. Das ist eine wirklich gute Basis. Die drei gehören ins Herz des Autorenteams.

386 © Joerg Ritter / Lucy Gut und Michelle Stern

Rüdiger eröffnet die Veranstaltung, und sie bekommt recht schnell einen richtig guten Fluss. Das ist durchaus nicht selbstverständlich, aber Rüdiger hat genug Erfahrung mit Moderationen, um das Panel optimal zu starten. Viele der Fragen sind recht üblich, unsere Zusammensetzung legt sie nahe: Die Zusammenarbeit zwischen Michelle und Lucy interessiert viele, denn Romane, die von zwei Autoren gemeinsam geschrieben werden, sind eher selten. In diesem Falle funktioniert die Zusammenarbeit bisher erstaunlich gut. Die beiden antworten aufgeräumt, und als Expokrat freut es mich, dass sogar eine gewisse Euphorie sichtbar wird. Wenn die Autorinnen Spaß am Schreiben haben, dann ist das eine gute Grundlage. Oliver Plaschka wiederum hat sich im Laufe der letzten Zeit zunehmend für den jeweiligen Staffelstart etabliert.

387 Nicht dass man ihn nicht für wirklich jeden Roman einsetzen könnte, aber ein Einführungsband ist tatsächlich eine besondere Herausforderung. Das durfte ich selbst schon erleben. Hier geht es um den gerade erschienenen Band 210 »Rettet Rhodan!«, der die Staffel »Das Compariat« einleitet. Oliver schildert unter anderem, wie kompliziert die Titelfindung sein kann. Die Heiterkeit nimmt tsunamiartig zu, als er einige verworfene Vorschläge vorliest. Ohnehin ist die Stimmung gut. Trotz seiner Heiserkeit schlägt sich Klaus Frick extrem tapfer – und muss doch am Ende die Segel streichen. Aus dem Zuschauerraum erhält er eine Packung Emser Pastillen mit einer Geheimzutat. Salbei, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Wie gesagt: Klaus ist tapfer, aber auch Tabletten helfen den Stimmbändern nur minimal. Er nimmt’s mit Humor – die Zuschauer ebenfalls. Dann fragt Rüdiger mich – ausgerechnet – nach Inhalten der neuen Staffel »Das Compariat«. Das ist einigermaßen heimtückisch, denn gerade Inhalte soll ich auf keinen Fall verraten. Die Leser sollen schließlich lesen, und zu spoilern macht die eigene Arbeit nicht leichter. Also versuche ich einigermaßen elegant um den heißen Brei herumzureden. Die abschließende Frage, ob mir das gelungen ist, vergrößert die Heiterkeit ein weiteres Mal.

388 © Joerg Ritter / Klaus N. Frick

Noch mehr Zuschauerfragen. Klaus referiert ein wenig über die Zukunftsaussichten. Die sind bei NEO immer deutlich weniger sicher als bei der Erstauflage. Obwohl niemand mit einem solchen Erfolg gerechnet hat (momentan Band 213!), spielen die untypische Erscheinungsform als Taschenheft und der Erscheinungsmodus eine Rolle. Aber momentan sieht es gut aus, und bis Band 250 ist hoffentlich alles in trockenen Tüchern. Für Rüdiger und mich, die unsere Planung ja weit in die Zukunft hin ausarbeiten, ist das beruhigend. Eine Frage zu Andreas Eschbachs Rhodan-Roman ist besonders interessant, wenn auch eigentlich am falschen Ort gestellt. VPM hat keinen Buchverlag mehr, und externe Partner bedeuten automatisch, dass man nicht mehr alles selbst in der Hand hat.

389 Noch ein paar Zuschauerfragen folgen, dann ist eine Stunde vorüber. Ich empfand das Panel als sehr angenehm. Eine gut gelaunte Lockerheit vorn bei den Vortragenden und unter den Zuschauern: Was will man mehr? Bis zum nächsten Mal in Dreieich! Die Frage, ob sich der BuCon gelohnt hat, habe ich mittlerweile vergessen.

PERRY RHODAN Verlagsseite mit Informationen zu den Produkten und den Autoren: https://perry-rhodan.net

Nachruf – Dipl.-Ing. Manfred »Scotty« Strauß von Reiner Krauss

390 © Startrekvorlesung.de / Manfred Strauß †

Im November 2019 verstarb der langjährige »Chefinge- nieur« der Star Trek Weihnachtsvorlesung von Hubert Zitt, Manfred »Scotty« Strauß. Manfred Strauß hatte Elektrotechnik studiert und war technischer Assistent im Studiengang Mikrosystem- und Nanotechnologie an der Hochschule Kaiserslautern am

391 Campus Zweibrücken. Er war Leiter der Elektronikwerkstatt und verantwortlich für diverse Praktika und Labore. Er war dort einer der drei Gründerväter der Starfleet Academy FH Zweibrücken, neben Hubert Zitt und Markus Groß. Bei den Weihnachtsvorlesungen, die seit 1996 jährlich stattfinden, war Manfred Strauß für den Ablauf und die Technik verantwortlich, und hielt dabei selbst Vorträge. Bei alldem strahlte er immer eine Ruhe und Gelassenheit aus, wie das Vorbild Scotty im Maschinenraum der U.S.S. Enterprise. Ob der Warp-Antrieb kurz vorm Versagen stand, oder der Beamer bei der Vorlesung den Geist aufgab, beide hatten stehts die Ruhe weg und den Lösungsschlüssel in der Hand. Immer war er humorvoll und gerne auch mal für einen Plausch zu haben. In diesem Jahr findet die Vorlesung am 17. Dezember 2019 im Audimax des Hochschulstandortes Zweibrücken statt. Zum 50. Jahrestag der ersten bemannten Mondlan- dung hat Hubert Zitt einen neuen Vortrag ausgearbeitet. Es wird diesmal vieles anders sein. Wir wünschen seiner Familie viel Kraft und möge er für uns nun zu den Sternen reisen. https://www.startrekvorlesung.de/

392 Werbung

393 Mitarbeit am Corona?

Gerne und jederzeit!

Sie schreiben gerne und gut? Bringen Ihre Gedanken zielsicher auf den kreativen Höhepunkt, neigen zu nächtlicher Selbstkasteiung, um fingernagelkauend und schlaftrunken die wichtigste Deadline überhaupt einhalten zu können? (Damit meinen wir unsere...)

Toll, wissen Sie was?

Auf Sie haben wir gewartet!

Das Corona Magazine ist ein Online-Projekt, das zu einer Zeit entstanden ist, als 14.4er Modems noch schnell schienen, 64 MB RAM noch wirklich viel waren und das Internet noch den Geist des kostenlosen Informationsaustauschs in sich trug. Zumindest letzteres haben wir aus unseren Anfangszeiten bis in die Gegenwart gerettet. Das Corona Magazine ist nicht-kommerziell. Wir verdienen vielleicht Geld, wir bekommen es aber nicht. Das gilt dann leider auch - und wie so oft - für unsere Autoren, Webmaster, Chefredakteure und das Lektorat.

394 Warum sollte dann irgendjemand auf die Idee kommen, bei uns mitzumachen?

Nun, abgesehen von einer gewissen Dosis Masochismus und der zumeist angeborenen Sehnsucht nach der großen oder kleinen Bühne, verbindet die Mitarbeiter des Corona-Projekts vor allem eines: Der Spaß an der Sache. Obwohl wir im ganzen deutschsprachigen Europa verteilt sind, sind unsere Treffen stets feuchtfröhlich, unsere Chats und Telefonate meist inspirierend (oder zumindest transpirierend) und die Diskussionen in unseren Mailinglisten sind, so denn das Gros der Redakteure mal aus dem Quark kommt, das reinste Paradebeispiel für den Aufbau eines gelungenen Networking. Denn egal in welche Stadt man kommt - ein Corona-Redakteur ist meist schon da.

Wer sind wir eigentlich genau?

Es gab Zeiten und Projekte, da waren wir ein äußerst kunterbunter Haufen. Inzwischen sind wir nur noch bunt. Unsere Redaktion setzt sich aus ehrenamtlich arbeitenden Journalisten, Redakteuren, Lektoren und einer Handvoll von Menschen zusammen, die genau so was unheimlich gerne geworden wären, wenn die

395 Medienbranche nicht so eine Knochenmühle wäre. Das bedeutet für jeden Interessierten, dass er oder sie immer eine Chance hat, dieser Ansammlung an Individuen beizutreten - wenn er mag und kann.

Eine Mail an [email protected] mit einem netten Betreff, wie z.B. »Hallo, da bin ich!« und einer kurzen Vorstellung der eigenen Person reicht da völlig.

Wir freuen uns auf Sie!

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