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Walter LEGGE (8)

Einer von Walters Legges engsten Freunden in den frühen fünfziger Jahren war

Wolfgang Sawallisch – so erinnert sich als loyale

Berichterstatterin, gewissermaßen als Her Masters Voice in dem

Memoirenband Gehörtes, Ungehörtes. Im gleichen Buch äußert sich Walter

Legge über den jungen, aufstrebenden, außerordentlich erfolgreichen

Anfangsdreißiger – Pultmaestro: Sawallisch hatte eine Schlagtechnik so klar und unkompliziert wie die von Knappertsbusch. Ein schneller Lerner, ein Pianist, viel besser, als es für einen hochbegabten Dirigenten überhaupt recht und billig ist, und dazu: außerordentlich sensible Ohren für Balance und Struktur.

(Unglückseligerweise ging er London verloren und übernahm stattdessen

Knappertsbuschs Erbe als Musikalischer Direktor der Münchner Oper, wo er seltenes Gespür für seine Aufgabe bewies.)

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CD Naxos 8.112034 -35 Disc 1 , track 1 ab 2’28 = 5‘00

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Ein Ausschnitt aus dem Orchestervorspiel zu dem Konversationsstück für

Musik in einem Akt von , mit Streichern des

Philharmonia Orchestra und am Pult, aufgenommen im

Herbst 1957 in der Londoner . 3

Es ist ja immer interessant, einen bestimmten Sachverhalt aus der Perspektive aller Beteiligten zu erfahren. Konkret: Wie urteilte Wolfgang Sawallisch über seine Londoner Erfahrungen Mitte 50er Jahre in der Zusammenarbeit mit dem

Philharmonia Orchester und dessen Gründer. Darüber erfahren wir manch

Aufschlussreiches in des Dirigenten Memoiren, die unter dem Titel Im

Interesse der Deutlichkeit erschienen sind.

Wie ausgerechnet auf mich kam, lesen wir da, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls zögerte ich keine Sekunde, zu den Plattenaufnahmen mit dem

Philharmonia Orchestra nach London zu reisen. Ein Vertrag zwischen uns existierte nicht, wir hatten ein Gentleman’s Agreement, auf Exklusivbasis.

Die Zusammenarbeit mit Legge erwies sich als unvorstellbarer Glücksfall.

So überwand ich meine Schwellenangst und entschloss mich, als erste Oper

Capriccio von Richard Strauss aufzunehmen. Legge war einer der wenigen

Aufnahmeleiter vielleicht sogar der einzige, der stets von zwei Voraussetzungen ausging.

Erstens: Der Dirigent soll bei den Klangvorstellungen, die er mit einem

Orchester zu erzielen gedenkt, völlig freie Hand haben.

Zweitens: Legge war in der Lage, hinter der Abhörwand mit seinen

Technikern genau die Klangvorstellungen zu realisieren, die er von den Proben her im Ohr hatte. Er wusste hundertprozentig, was zu geschehen hatte, damit der

Originalklang im Saal aufs Band kam. 4

Wenn es ausnahmsweise einmal nicht im ersten Anlauf hundertprozentig klappte, dann fummelte nicht endlos ein Techniker an den Mikrophonen herum.

Legge kümmerte sich selbst darum, fand heraus, wie das gewünschte Klangbild zu erreichen war, und gab klare Anweisungen, welches Mikro tiefer oder höher hängen sollte. Und plötzlich stimmte es.

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CD Naxos 8.112034-35 Disc 2, track 3 – 4…. 4‘04

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Das Vokaloktett aus Capriccio von Richard Strauss, des Komponisten fünfzehnte und letzte Oper, sein Abschied von der Musikbühne, uraufgeführt

1942… wenn man so will: ein Résumée des seit jeher umstrittenen Verhältnisses von Wort und Ton in der gesamten Operngeschichte.

Mit Elisabeth Schwarzkopf, Eberhard Waechter, , Dietrich

Fischer – Dieskau, , , und Dermot Troy,

Walter Legge engagierte wieder einmal alles, was gut und teuer war: die besten

Sängerinnen und Sänger, die Ende der fünfziger Jahre für eine solche Aufnahme verfügbar waren…. und dazu Wolfgang Sawallisch am Pult des Philharmonia

Orchestra. Eine jener Aufnahmen, die schwerlich zu übertreffen sein dürften, und soweit ich sehe, auch bis heute nicht übertroffen worden sind. Einfach, weil

ALLES stimmt. Besetzung, Disposition der Sänger, Übereinstimmung zwischen

Dirigenten und Ensemble, Orchesterklang. 5

Außerdem überrascht uns diese Einspielung mit einer köstlichen Rarität.

Sie alle werden Wolfgang Sawallisch als Dirigent und vorzüglichen Pianisten kennen, ihn höchstwahrscheinlich aber noch nicht als Sänger erlebt haben.

Walter Legge und er haben sich hier einen kleinen Scherz ausgedacht, und den

Dirigenten in einer Minirolle sängerische Fähigkeiten demonstrieren lassen.

Das Souper ist serviert, oder Herr Graf, die Pferde sind gesattelt – wir alle erinnern uns an solch unvergessliche Höhepunkte eines Theaterabends, vor allem wenn sie, was nicht selten vorkommt, total verpatzt werden.

An die zentralen ein, zwei Sätze von maximal zehn Sekunden Dauer, die

Wolfgang Sawallisch bravourös meistert – achten Sie bitte auf seine markante

Phrase: Zu dienen…. Vier Pferde.

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Naxos 8.112034/35 Disc2, track 12 (jeweils Blende) 2‘05

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Eine kurze Ensembleszene aus Capriccio von Richard Strauss in der zuvor genannten Besetzung, um Ihnen heute Wolfgang Sawallisch auch einmal als

Sänger vorgestellt zu haben, in seiner Vierworterolle Zu dienen – Vier Pferde,

Sawallisch, der bei dieser Gesamtaufnahme des Werks ansonsten aber vor allem am Pult des Philharmonia Orchestra agierte. 6

Die Aufnahmen für diesen Repertoire – Klassiker verliefen trotz des gelungenen Endergebnisses nicht unproblematisch. Einen Tag vor Beginn verunglückte tödlich, der legendäre erste Hornist des Philharmonia

Orchestra, als er von einem Auftritt beim Edinburgh Festival nach Hause fahren wollte.

Gleichzeitig entbrannte eine hitzige Diskussion über das Gleichgewicht der

Stimmen in dieser Aufnahme, die ursprünglich in STEREO geplant war.

Legge stand dem neuen, räumlicheren Aufnahmeverfahren von Anfang an skeptisch gegenüber, und so kamen ihm die Meinungsverschiedenheiten unter den Gesangssolisten über die Balance der Stimmen wahrscheinlich recht gelegen, um die Oper letzten Endes MONO aufzunehmen. Zum allgemeinen

Bedauern der Musikfreunde, aber - kein Problem bei dem Schlussmonolog der

Gräfin, die sich nicht wirklich zwischen ihren beiden Verehrern entscheiden kann: dem Dichter Olivier und dem Musiker Flamand: Wählst Du den einen, verlierst Du den andern…..

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CD Naxos 8.112034-35 Disc 2, track 20 (blenden!) 5‘25

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Der Schlussmonolog der Gräfin Wählst Du den einen, verlierst Du den andern aus Capriccio von Richard Strauss. Mit Elisabeth Schwarzkopf und dem

Philharmonia Orchestra. Am Pult Wolfgang Sawallisch, der in seinen

Lebenserinnerungen festhielt.

Meine Frau und ich verstanden uns ausgezeichnet mit Walter Legge und seiner

Gattin Elisabeth Schwarzkopf. Unser Kontakt wurde bald sehr persönlich.

Bei einigen unserer London – Aufenthalte wohnten wir im Haus der Legges.

In Sachen Qualität erwies sich Walter von unerbittlicher, geradezu brutaler

Härte. Wenn er aber dann einmal YES gesagt hatte, konnte man sicher sein, dass musikalisch – technisch das Maximum erreicht war.

Möglicherweise war ein weiterer Faktor der Qualitätssteigerung, dass Legge die

Musiker des Philharmonia Orchestra nicht monatlich bezahlte. Sie hatten alle nur Verträge von Aufnahme zu Aufnahme. Von Konzert zu Konzert.

Legge hockte bei den Aufnahmen hinter seiner Glasscheibe, und wehe, wenn ein

Streicher nicht vorne auf der Stuhlkante saß, oder wenn sich ein Bläser ein paarmal verspielte oder mit seiner Intonation Probleme hatte – er war am nächsten Tag nicht mehr da. Legge ließ ihn nach der Sitzung kommen, zahlte ihn aus, sagte Goodbye und engagierte den nächsten.

Die Folge war, dass am Ende einer dreistündigen Aufnahme dieselbe Präzision,

Spannung und Begeisterung herrschte wie drei Stunden zuvor. Genau das zeichnete dieses Orchester aus.

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CD Naxos 8.112034-35 Disc 2, track 15 = 3‘29

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Die sogenannte Mondlicht - Musik aus der Schluss – Szene des Capriccio von

Richard Strauss mit dem Philharmonia Orchestra und Wolfgang Sawallisch…

der noch ein letztes Mal zu Wort kommen soll, weil er hier ganz

Entscheidendes, ganz Grundsätzliches anspricht über Walter Legges

Arbeitsweise, sowie Produktionsbedingungen von Tonträgern gestern und heute. Bei der Londoner Aufnahme von Capriccio – so Sawallisch - hatte ich mit den Spitzensängern ihrer Zeit zu tun: Elisabeth Schwarzkopf, Christa

Ludwig, Anna Moffo, Dietrich Fischer – Dieskau, Hans Hotter und Eberhard

Waechter. Eigentlich hätte ich da als junger Dirigent aus dem Zittern gar nicht mehr herauskommen dürfen.

Aber Walter Legge kreierte kraft seiner Persönlichkeit schnell das richtige

Arbeitsklima. Er scheute sich ganz und gar nicht, auch einem Hans Hotter oder

Fischer Dieskau zu sagen: Sie sind zu hoch, Sie sind zu tief. Das kommt zu spät.

So entstand eine der Opernaufnahmen, auf die ich noch heute mit Stolz zurückblicke. Und mit einiger Wehmut, wenn ich mir vor Augen halte, wie heute Studio – Aufnahmen von Opern realisiert werden.

Undenkbar, dass Walter Legge als Produzent einem einzigen Künstler zugestanden hätte, auch nur bei einer einzigen Probe oder Aufnahme nicht anwesend zu sein. Er hätte ihn, ohne eine Sekunde zu zögern ausgetauscht. 9

Seltsamerweise wurde damals auch keiner krank. Das gab es nicht –

Starallüren existierten einfach nicht.

Man konnte Wünsche und Gedanken äußern – und Legge setzte alle

Vorstellungen des Dirigenten aufgrund seines technischen Knowhows gekonnt um. Es war auch großartig, wie er sich auf die verschiedenen Lokalitäten einzustellen vermochte . Ob in der Londoner Kingsway Hall oder in den Abbey

Road Studios - er kannte die verschiedenen Klangcharaktere dieser Räume und wusste genau, was zu geschehen hatte, um ein gewünschtes Ergebnis zu erreichen. Ganz gleich ob es sich um Musik von Strauss oder Mozart handelte.

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CD -Umschnitt EMI SKLP 30124 track 1 ab 22’58 = 7‘10

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Der Finalsatz : Allegro vivace assai aus Mozarts Klavierkonzert in C – Dur

KV 467 mit dem Philharmonia Orchestra unter Wolfgang Sawallisch, aufgenommen im März 1958, also fast zeitgleich mit dem Strauss‘schen

Capriccio.

Am Klavier die große ungarische Pianistin Annie Fischer, die unter

Klavierkennern als eine der bedeutendsten Interpretinnen des 20. Jahrhunderts angesehen wird. Wer sie jemals in einem Konzert erlebt hat, wird bestätigen, dass es sich bei ihren Abenden nicht um ein Recital handelte, sondern, dass man es mit einem echten Ereignis zu tun hatte. 10

Man erlebte Musik von seltener Lebendigkeit und geistigen Durchdringung, spürte eine Kraft, die sich physisch und emotional übertrug, spürte zugleich

Wärme und Lebensfülle, fühlte Annie Fischers Liebe zur Musik und die Liebe zum Publikum, die sie verströmte, und die zu ihr zurückkam.

Zwei Abende mit ihr im London der späten Siebziger Jahre sind mir in unauslöschlicher Erinnerung geblieben.

Geboren wurde Annie Fischer1914 in Budapest, sie begeisterte schon als

Elfjährige Publikum wie Kritik mit ihrem Vortrag des ersten Klavierkonzertes von Beethoven. Der einflussreiche Musik – und Literaturkritiker Aladar Toth, der später ihr Mann werden sollte, schrieb über den ersten öffentlichen Auftritt des jungen Mädchens: Mit ihren ausgeprägten inneren künstlerischen

Vorstellungen, durch ihr glänzendes technisches Können hat sie das Publikum absolut hingerissen. Hier haben wir es bereits mit einer wirklichen

Persönlichkeit und einem phänomenalen Interpretationstalent zu tun.

Ihre Mozart – Konzerte, besonders mit Sawallisch am Pult, werden zu den gelungensten Schallplatteneinspielungen mit Musik dieses Komponisten gerechnet, und wenn Sie sich im letzten Satz, den wir gerade hörten, gefragt haben, welche Kadenz Annie Fischer da wohl gespielt hat: es war die von

Ferruccio Busoni.

Auch wenn Annie Fischer eine unvergleichliche Chopin-, Brahms-, Schumann

–, und Bartok – Interpretin war, so bildete das Fundament ihres Repertoires 11

doch die Musik, die mit den Worten Artur Schnabels immer besser ist, als man sie spielen kann: Mozart, Beethoven und Schubert.

Aber man wird auch, um nur ein Beispiel anzuführen, im Finale von Robert

Schumanns großer C - Dur Fantasie einer Tiefe und zugleich gelassenen

Heiterkeit begegnen, die sich nur bei ganz wenigen Pianisten findet.

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CD EMI 5 69217 2 Disc 3 track 9 ab 2‘25

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Annie Fischer spielte den Schluss-Satz mit der Vortragsbezeichnung Langsam getragen – durchweg zu halten der Fantasie op. 17 von Robert Schumann.

Zu den Bewunderern ihrer pianistischen Kunst gehörten u.a. Sviatoslav

Richter, und , der ihre Einfachheit,

Unmittelbarkeit und den Zauber ihres Spiels rühmte.

Sie galt auch als begnadete Lehrerin, ihre jüngeren ungarischen Kollegen

Andras Schiff, Tamas Vasary, Andras Keller und Zoltan Kocsis hat sie entscheidend gefördert und beim Karrierestart unterstützt.

Neunzehnjährig hatte sie übrigens als jüngste von hundert Teilnehmern den

Internationalen Liszt – Wettbewerb in Budapest gewonnen, mit Liszts pianistischem Hauptwerk: der h-moll – Sonate. In der Jury saß u.a. der siebzigjährige Liszt – Schüler Emil von Sauer. 12

Annie Fischer und ihr Mann konnten 1940 nach Schweden fliehen und entgingen so der Verfolgung und dem Holocaust an den ungarischen Juden durch das Eichmann – Kommando und dessen willfährige ungarische Helfer.

1946 kehrten beide nach Budapest zurück, wo Aladar Toth Direktor der dortigen Oper wurde, und in dieser Funktion auch Otto Klemperer in den

Nachkriegsjahren an seinem Haus beschäftigte…. bevor Klemperer durch

Walter Legge beim Philharmonia Orchestra in London einen neuen bedeutenden

Wirkungskreis erhielt. Annie Fischer hat auch gemeinsam mit Otto Klemperer

Aufnahmen eingespielt, ich erinnere mich an ein ein Liszt – Klavierkonzert.

Wobei man dazusagen muss, dass diese Pianistin nie eine besondere Freundin von Studioaufnahmen war, die Live – Atmosphäre, der Kontakt mit dem

Publikum war ihr immer ganz wichtig.

Ich habe heute zum Finale eine Aufnahme mit dem London Symphony

Orchestra unter der Leitung von Igor Markevitch ausgewählt, dennoch vom

Hause EMI oder IMAI betreut, herausgegeben, vertrieben, und in den Abbey

Road Studios produziert – ein Ausschnitt aus einer Einspielung des 3.

Klavierkonzertes von Bela Bartok, die die Kenner der Materie für das Maß aller

Dinge, als Referenz und diskographischen Meilenstein rühmen..

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CD EMI 5 68733 2 Disc 2, track 24 6‘19

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Das war die Musikstunde mit Rainer Damm.

Zum Abschluss der Sendung hörten Sie den 3. Satz: Allegro vivace aus dem Klavierkonzert Nr. 3 von Bela Bartok. Annie Fischer musizierte gemeinsam mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung von Igor

Markevitch.