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Joseph Maria Olbrichs nie gebaute ­Künstlerkolonie in Wien und Josef Hoffmanns Künstlerkolonie auf der Hohen Warte

Gerd Pichler

Olbrichs geplante Künstlerkolonien in Wien Zimmer, das mit dem Hause nicht stimmt; kein Haus, das dann in der Strasse befremdet! Nein, wir wollen von Joseph Maria Olbrichs architektonische Vision, eine der Regierung in Hietzing oder auf der Hohen Warte Stadt im neuen Stil zu schaffen, in der alle Bauten seine ein Feld verlangen, ein weites und leeres und freies Feld, persönliche Handschrift tragen, sollte sich erst beim um hier unsere Welt zu schaffen, mit einem Tempel Bau der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in der Arbeit in einem Haine, für Kunst und Handwerk, Darmstadt erfüllen. Die Idee, eine „Villenstadt“ zu er- und rings den Hütten für unser Leben, in welchen dann bauen, reichte bei Olbrich jedoch bereits in seine Wie- unser Geist die ganze Anlage wie jeden Stuhl und Topf ner Zeit zurück. Erste spezifische Planungen legte er beherrsche!“2 All diese Vorstellungen sah Hermann 1896 für eine Villenkolonie am Cobenzl-Krapfenwaldl Bahr nun auf der Mathildenhöhe verwirklicht und riet am westlichen Stadtrand Wiens unweit des Kahlenber- seinen Wiener Künstlerfreunden, nach Darmstadt zu ges vor. Hier wollte er auf 638 Bauparzellen „typische fahren und sich selbst davon zu überzeugen, dass die Häuser für Gewerbetreibende“ um das bereits beste- 1898 artikulierte Utopie wahr geworden ist.3 Zwar nicht hende Schlosscasino herum errichten. Dieses Projekt in Wien, sondern in Darmstadt. sollte allerdings über eine Publikation der Ideen nicht Wäre nicht nach Darm- hinauskommen.1 stadt berufen worden, so hätte er mit hoher Wahr- Der Gedanke einer Künstlersiedlung keimte in scheinlichkeit in Wien eine Künstlerkolonie realisieren Olbrich weiter und wurde bei einem besonderen Anlass können, nämlich auf der Hohen Warte, einer belieb- neuerlich artikuliert. Der Schriftsteller Hermann Bahr, ten Ausflugsgegend im Nordwesten Wiens – freilich der selbst in einem von Olbrich erbauten Haus wohnte, mit einem anderen Zuschnitt. Treibende Kraft für die erinnert sich in einem Brief, den er von Darmstadt aus Umsetzung dieser Idee dürfte der Maler und Mitbe- im Mai 1901 an die Mitglieder der Wiener gründer der Wiener Secession Carl Moll (1861 – 1945) schrieb, an jene Begebenheit im März 1898. Damals fei- gewesen sein. Ihm übermittelte Olbrich im Mai 1900 erten die Secessionisten die Eröffnung ihrer Gründungs- eine Mappe mit Skizzen zu einer Künstlerkolonie auf ausstellung in Wien. Die junge Künstlervereinigung der Hohen Warte in Wien, die Olbrich „Freundort“ be- hatte ein erstes großes Ziel erreicht und war mit einer titelte. Für Olbrich war dies der Schlusspunkt zu einem fulminanten Ausstellung erstmals an die Öffentlichkeit Projekt, das er ambitioniert verfolgt hatte und dessen getreten. Nach der Eröffnung kamen sie in ihrem bevor- Entwurf und Realisierung nun aufgrund seines Weg- zugten Lokal, dem Hotel Victoria, zusammen und feier- ganges in die Hände von Josef Hoffmann (1870 – 1956) ten das große Ereignis. Bahr erinnert in seinem Schrei- gelegt wurde. Olbrichs Brief an Carl Moll ist sehr auf- ben daran, wie Olbrich an diesem denkwürdigen Abend schlussreich, sowohl für das Wiener Projekt und dessen in der gedrängten Runde aufstand und mit der „schar- Rahmenbedingungen als auch noch mehr für Olbrichs fen Stimme eines Commandanten hell ins Geschwirre damalige Situation in Darmstadt. rief: ‚Nein, das ist es alles nicht, alles ist noch gar nichts, bis wir uns nicht eine Stadt erbauen, eine ganze Stadt!‘ „Mein lieber Moll! Wir sahen auf, es wurde still; jeder fühlte, dies war es, Na, das muss dir der neidigste Neider lassen! Grob was lange in uns gelegen hatte, nun war es ausgespro- kannst du sein, dass es eine Freude ist. Aber man muss chen. Er aber fuhr fort, und unsere Seelen sprachen mit: doch dabei lachen. Wenn ich dir den Pack Studien Kein Bild mehr, das dann an die Wand nicht passt; kein noch nicht geschickt habe, so hat das mit verrathener

„Eine Stadt müssen wir erbauen, eine ganze Stadt!“ 83 Gerd Pichler

1 Josef Hoffmann, Doppelhaus Moser-Moll, von der Gartenseite, Wien, 1903

Freundschaft noch gebrochener Treue etwas zu thun. Und dann ist es auf der Hohen Warte nicht so schön wie Und wenn zu deiner Flucherei noch der Hermann Bahr hier. Und dann willst du ja Zimmer, wie sie dir passen; kommt – O ego miserium – habe ich einmal ,o ich un- und da jagst du mich gleich hinaus, wenn ich dir sage, glücklicher‘ übersetzt und bin dann geradeso aus dem so wohne ein Mensch nicht. Alle Achtung vor der Pra- Gymnasium geworfen worden, wie ich jetzt aus der xis, aber die Seele holt dabei der Teufel. Hohen Warte. […] Bei mir ist das was anderes. Hier bauen alle so, wie ich Nun ich nehme gerne von dem Inhalt Kenntnis[,] will. Nur das ist noch zu ertragen, das wollte ich dir weiß ich ja, daß Euch Hoffmann famose Häuser bauen immer schreiben! Denk’ dir das Leben von schöns- wird. Meine Studien über die Verwertung des Grund- ter Seite, und darauf mach’ deine Cubikmeter Raum. stückes und die Eintheilung gebe ich dir gerne, ja ich Mache Wände aus klingenden Saiten – wage sogar, mit dir in 6 Tagen (das ist also am 31. Mai) Na ich höre auf! Am 30. od. 31. komme ich mit Pro- mündlich darüber zu sprechen, und kannst du dann fessor Behrens nach Wien, um Bahr wegen unserem vielleicht ein paar helle Blicke daraus verwerthen. Du Theater zu sprechen. Ich werde mir erlauben, dir diesen wirst dabei recht ruhig werden, und nicht mehr so grob Prachtmenschen vorzustellen. Und nun sei wieder gut, sein, weil du vielleicht doch Freude über meine Blöd- und lasse das Bössein! heiten haben wirst. Aber bau’n will ich nicht mehr! Viele herzliche Grüße an alle Theilnehmer zur Erbau- Manchmal hab’ ich eine verrückte Freude daran, dann ung des ‚Freundort‘ wie ich das Ding da auf der Hohen wieder vor der ganzen Kunst einen Eckel [!]. Ich mache Warte auf meine Mappe getauft habe. jetzt am liebsten in Musik. Wenn du mir was musika­ Glück auf zum Ort der Freundschaft. lisches bestellst z. B. ,der liebe Ehrbach im Schnee‘ oder Es grüßt dich von Herzen Dein Olbrich“4 die Säule mit dem Spruch ,soll’s tragen! will’s wagen‘, das kann ich Dir machen. Und gerade jetzt, wo ich so Die angesprochene Mappe mit Entwürfen ist groß und frei denken kann. Nach der Musik kommt heute verschollen, sodass keinerlei Auskunft zur künst- dann die Bienenzucht und Blumenerziehung. Goldene lerischen Gestaltung Olbrichs für die Bauten auf der Bienenkörbe hab ich mir schon für mein Häuserl be- Hohen Warte gegeben werden kann. Es stehen lediglich stellt. Jeder Bienenkorb ist ein Staat, ich habe mir 7 Kö- die Parzellenaufteilung der Baugründe fest, die später niginnen bereits gekauft. Das nächste Jahr will ich sie Josef Hoffmann übernommen hatte, und die Personen, dir vorstellen. Aber bau’n! – Mein lieber Moll! – Ideen die als Bauherren Baugründe erworben hatten. Wer war so viel du willst, aber diesen dummen Leuten Formen der Kreis der Personen, die in einer Künstlerkolonie im predigen, – nein – Geist der Wiener Secession zusammenleben wollten?

84 ICOMOS · Hefte des Deutschen Nationalkomitees LXIV Joseph Maria Olbrichs nie gebaute ­Künstlerkolonie in Wien und Josef Hoffmanns Künstlerkolonie auf der Hohen Warte

2 Friedrich Viktor Spitzer, Kolo- man Moser mit Hut, 1904

3 Madame d’Ora, Carl Moll in ­Jackett, um 1910

Die Bauherren der Künstlerkolonie in Wien und war danach über zehn Jahre Privatschüler auf der Hohen Warte und Assistent des Malers Emil Jakob Schindler. Nach Schindlers Tod 1892 heiratete Moll dessen Witwe und Es war die kleine Zahl von fünf Personen, nämlich Hugo wurde so zum Stiefvater der später berühmt geworde- Henneberg, Carl Moll, Koloman Moser, Carl von Rei- nen Alma Mahler-Werfel. Als Gründungsmitglied der ninghaus und Friedrich Victor Spitzer, die entweder Wiener Secession war er vor allem durch sein organi- ihren Lebensunterhalt als bildende Künstler verdienten satorisches Talent wesentlicher Mitstreiter bei der Um- oder als Industrielle eine vielfältige Rolle in der Wiener setzung kunstpolitischer Ziele, wie der Errichtung einer Kunstszene einnahmen. Letztere wirkten als Sammler modernen Galerie in Wien. Neben seiner Qualität als und Mäzene fördernd für die moderne Kunstbewegung Maler war Moll durch seine kuratorische Tätigkeit in der in Wien und waren teilweise aber auch selbst kunst- Secession und in der Galerie Miethke ein wesentlicher schaffend tätig, insbesondere im Medium der Fotografie, Faktor in der Vernetzung der jungen Wiener Moderne ohne jedoch davon leben zu müssen. mit den gleichzeitigen europäischen Strömungen.7 Die beiden beteiligten Maler, Koloman Moser Dem Haus Moser-Moll benachbart, errichtete und Carl Moll, waren Gründungsmitglieder der Wiener Josef Hoffmann die Villa Spitzer, die im Mai 1902 fer- Secession. Sie teilten sich ein Doppelhaus, das als erstes tig gestellt war.8 (Abb. 4) Friedrich Victor Spitzer wurde Gebäude der Künstlerkolonie nach Baubeginn im Herbst 1854 in Butschowitz (Mähren) geboren, wuchs in Zü- 1900 im Sommer 1901 fertig gestellt war.5 (Abb. 1) Kolo­ rich auf und arbeitete als Chemiker an mehreren Labo- man Moser, 1868 in Wien geboren, stammte aus ein- ratorien in der Schweiz, Deutschland und Österreich.9 fachen Verhältnissen. (Abb. 2) Nach dem Studium der (Abb. 5) Nach dem Besuch der Graphischen Lehr- und Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien Versuchsanstalt in Wien, der ersten Schule in Europa, an verschaffte er sich bald einen Namen als Grafiker. Als der auch Fotografie gelehrt wurde, widmete sich Spitzer Gründungsmitglied der Wiener Secession und als Mit- ab 1895 intensiv der Fotografie in experimentellen Tech- begründer der Wiener Werkstätte wurde er richtungs- niken, vorwiegend dem Gummidruck. Seine finanzielle weisend für das moderne Wiener Kunstgewerbe. Von Unabhängigkeit als Großgrundbesitzer und Zuckerin- 1900 bis zu seinem frühen Tod 1918 wirkte er überdies dustrieller ermöglichte ihm eine intensive Beschäftigung als Professor an der Wiener Kunstgewerbeschule.6 Carl mit seinem Hobby. Seine großformatigen, äußerst selte- Moll, aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammend, nen, in Kleinstauflagen erschienenen Porträtfotografien wurde 1861 in Wien geboren. (Abb. 3) Auch Moll stu- von Künstlerfreunden gehören zu den herausragenden dierte Malerei an der Akademie der bildenden Künste Leistungen ihrer Zeit. In welcher Weise Spitzer auch als

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4 Josef Hoffmann, Haus Spitzer, Wien, um 1902

5 Heinrich Kühn, Der Fotograf Viktor Spitzer, 1907

Mäzen das Kunstgeschehen in Wien unterstützte, zeigt Henneberg eine eigene Kamera für Landschaftsaufnah- sich beispielsweise daran, dass er Ferdinand Hodler, men im Format 40 × 60 Zentimeter und war mit seinen dem von Jänner bis März 1904 eine große Ausstellung experimentellen Edeldruckverfahren regelmäßiger Gast in der Wiener Secession gewidmet war, während dieser auf den Ausstellungen der Wiener Secession. Die Seces- Monate als Gast in seinem Haus auf der Hohen Warte sionszeitschrift „Ver sacrum“ beinhaltete übrigens im einquartierte.10 Interessanterweise gibt es auch eine per- ersten Jahrgang von 1898 ein regelmäßig erscheinendes sönliche Verbindung zwischen Spitzer und Olbrich, da Kapitel zur modernen Fotografie.14 Mit dem Tod von Olbrich 1900 die Stadtwohnung Spitzers gestaltete.11 Ol- Hans Watzek wandte sich Hugo Henneberg aber mehr brichs Möbel wurden beim Haus auf der Hohen Warte und mehr von der experimentellen Fotografie ab und von Hoffmann in die Einrichtung integriert. konzentrierte sich als bildender Künstler auf das Ge- Übereck zu den bereits genannten Häusern er- biet der Druckgrafik, besonders auf den Farbholz- und richtete Josef Hoffmann 1900/01 das Haus Henneberg. Farb­linol­schnitt. Hugo Henneberg starb überraschend (Abb. 6) Es überragte die anderen Bauten nicht nur am 12. Juli 1918 in seinem Haus auf der Hohen Warte. hinsichtlich seiner Größe, sondern auch durch die auf- wändige Gartengestaltung, in der barocke Monumen- talplastiken als Gartenfiguren in aus Treillagen gestalte- Wandel der Künstlerkolonie zur Villenkolonie ten Nischen Aufstellung fanden. In der repräsentativen Halle im Inneren hing in Hoffmanns Möblierung hinein Die zwischen den Häusern Spitzer und Henneberg gele- komponiert das 1902 von gemalte Porträt gene Bauparzelle hatte Carl von Reininghaus erworben. der Ehefrau des Bauherrn, Marie Henneberg, effektvoll Dieser aus einer steirischen Großindustriellenfamilie präsentiert. (Abb. 7) stammende Kunstsammler (geb. 1857) ist als Förderer Hugo Henneberg, geboren 1863 in Wien, stu- Egon Schieles und als Retter von Gustav Klimts Beet- dierte Physik, Chemie, Astronomie und Mathematik hovenfries, den er nach der legendären Ausstellung in Wien und Jena. (Abb. 8) Er promovierte 1888 mit in der Wiener Secession 1902 erworben hatte, in die einer physikalischen Arbeit und reiste in die USA, wo öster­reichi­sche Kunstgeschichte eingegangen.15 Aus bis er Alfred Stieglitz kennenlernte, dem er freundschaft- heute nicht bekannten Gründen blieb sein Grundstück lich verbunden blieb.12 Als Mitglied des Cameraclubs in unverbaut. Später sollte es Baugrund für Hoffmanns Wien befreundete sich Henneberg mit Heinrich Kühn Wohnhäuser Eduard Ast (erbaut 1909 – 11) und für das und Hans Watzek und wurde damit Teil der „Wiener zweite Haus Carl Moll (erbaut 1906/07) werden. Auch Trifolium“ genannten Fotografengruppe, die österrei- in der unmittelbaren Umgebung der Künstlerkolonie chische Fotogeschichte schrieb.13 1896 konstruierte folgten bedeutende Villenbauten von Josef Hoffmann,

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6 Josef Hoffmann, Haus Henneberg, Wien, 1903 7 Josef Hoffmann, Haus Henneberg, Blick in die Halle mit Gustav Klimts Porträt der Marie Henneberg, Wien, 1903 nämlich das Haus Alexander Brauner (erbaut 1905/06) Mathildenhöhe in Darmstadt – nie ein Anliegen, Vor- und das Haus Helene Hochstetter (erbaut 1906/07). Die zeigehäuser oder Lebensmodelle wirkungsorientiert zu hinzugekommenen Bauherren waren keine Künstler, präsentieren und außerhalb des Kreises von Künstlern sondern entstammten dem Großbürgertum. und Gesinnungsgenossen vorzustellen. In der zweiten Alexander Brauner, über den wenig bekannt ist, Phase (1905 – 11) löste sich dieses Band auf und die Be- war Ingenieur und unter anderem Inhaber eines Ma- bauung setzte sich nach den üblichen Maßstäben eines schinenhandels. Helene Hochstetter, aus groß­bürger­ Villenquartiers in bevorzugter Lage fort. Waren die lichen Verhältnissen stammend, war über ihre Schwes- Häuser der ersten Bauphase mit ihren weißen Riesel- ter mit der bedeutenden Industriellenfamilie Wittgen- stein verwandt. Eduard Ast war Inhaber eines innovati- ven Bauunternehmens und hatte sich als Kunstsammler einen Namen gemacht. Er nannte mehrere Gemälde von Gustav Klimt sein eigen und schmückte das neue Haus auf der Hohen Warte mit monumentalen Bildern von Zeitgenossen wie Josef Auchenthaller und Bertold Löffler. Als Baumeister arbeitete er regelmäßig mit Josef Hoffmann zusammen. Durch diese zweite Bau- phase zwischen 1905 und 1911 lässt sich heute nicht nur die künstlerische Entwicklung Josef Hoffmanns illustrieren, sondern auch der Wandel von der Künst- lerkolonie Hohe Warte zur Villenkolonie Hohe Warte darstellen. Diese späteren Villen ließ Hoffmann in wei- ten Strecken von der 1903 gegründeten Wiener Werk- stätte ausstatten. In der ersten Bebauungsphase (1900 – 02) war das einheitsstiftende Band einer künstlerischen Ge- sinnungsgemeinschaft maßgebend, die ihre Bauten freundschaftlich allesamt in die Hände von Josef Hoff- 8 Heinrich Kühn, Der Strandmaler [vermutlich Hugo mann legte. Dabei war es in Wien – im Unterschied zur Henneberg], 1906

„Eine Stadt müssen wir erbauen, eine ganze Stadt!“ 87 Gerd Pichler putzoberflächen, den blauen Fach­werk­ele­men­ten und chitektur, Gartenkunst, Ausstattung und Einrichtung Schmiedeeisenteilen sowie den roten Ziegeldächern als als Gesamtkunstwerke wirkten und heute noch über -einheitliche Baugruppe konzipiert, so spiegeln die spä- historische Fotografen gut dokumentiert und nach teren Häuser den zeittypischen Baustil Josef Hoffmanns vollziehbar sind. Teilweise völlig zerstört, teilweise gut wider, ohne auf eine zusammengehörige Wirkung an- erhalten, repräsentieren Hoffmanns Bauten der ersten gelegt zu sein. Phase das intellektuelle und künstlerische Milieu der Verbindend für beide Bauphasen ist, dass Josef Wiener Secession, jene der zweiten Phase das außeror- Hoffmann beispielhafte Bauten der frühen Wiener Mo- dentliche Niveau, das in Zusammenarbeit mit der Wie- derne realisierte, die in ihrer Durchdringung von Ar- ner Werkstätte erreicht werden konnte.

Summary tion of this Artists’ Colony. The five builders comprised Joseph Maria Olbrich’s Never-Built Artists’ artists on the one hand (Kolo Moser, Carl Moll) and Colony in and Josef Hoffmann’s on the other hand patrons and art collectors (Dr. Hugo Artists’ Colony on the Hohe Warte Henneberg, Dr. Victor Spitzer, Carl von Reinighaus). This tells a lot about the environment that was fruit­ Joseph Maria Olbrich titled a portfolio of sketches for an ful for an Artists’ Colony in Vienna. In two stages, Artists’ Colony on the Hohe Warte in Vienna “Freund­ between 1900 and 1902 as well as 1905 and 1911, Josef ort” (Friend Place), which he sent to his friend and Hoffmann realized this project and created exemplary Secession colleague Carl Moll in May of 1900. He thereby buildings of early Viennese Modernism. They are well put an end to a project that he had pursued ambitiously: documented and comprehensible through historical the construction of an Artists’ Colony in Vienna. Ini­ photo­graphs in their grasp of a total artwork. tially, the best place – either Hietzing or Döbling – was Partly destroyed, partly well-preserved, Hoffmann’s up for discussion. Eventually, however, the architect him­ works bear important witness to the architecture, arts self quit and said encouragingly to those left that Josef and crafts and garden art of the . The Hoffmann “will build splendid houses” in his place. second construction phase between 1905 and 1911 On the genesis of Olbrich’s project primarily written illustrates not only the artistic development of Josef sources have survived. They provide little information on Hoffmann, but also the transformation of the Artists’ the artistic design, but rather on the ideological orienta­ Colony Hohe Warte to Villa Colony Hohe Warte.

Anmerkungen 2010, S. 117 – 135, S. 124/125; Ludwig Abels, Die Schulausstellungen im Österreichischen Museum, in: Das Interieur, 2. Jg. (1901), S. 97 – 112. 12 Zu Hennebergs Biografie s. Starl (Anm. 9), S. 191. 1 Joseph M. Olbrich, Cobenzl – Krapfenwaldl. Eine Villenstadt, Erläuterun- 13 Der Cameraclub entstand 1887 in Wien. Seine Mitglieder lehnten das kom- gen zu den Verwertungsplänen, Wien 1896, o. S. merzielle Interesse an der Fotografie ab und strebten eine Ebenbürtigkeit 2 Hermann Bahr, Ein Brief an die Secession, in: Ver sacrum, 4. Jg. (1901), der Fotografie mit Malerei und Grafik an. S. Monika Faber, Photographie H. 14, S. 227 – 238, hier S. 227f. in Wien 1890 bis 1920, in: Wien um 1900. Kunst und Kultur, Wien u. a. 3 Ebd. 1985, S. 289 – 295. 4 Joseph Maria Olbrich an Carl Moll, Brief vom 26. Mai 1900 (Wienbiblio- 14 Ver sacrum, 1. Jg. (1898), H. 4, S. 25 – 27 u. H. 7, S. 30 – 32. thek im Rathaus, Handschriftensammlung, H.I.N. 154.770). 15 Ausführlich zur Biografie von Reininghaus s. Tobias G. Natter, Die Welt 5 Zum Haus Moser-Moll s. Gerd Pichler, Das Haus Moser auf der Hohen von Klimt, Schiele und Kokoschka. Sammler und Mäzene, Köln 2003, Warte, in: Ders./Rudolf Leopold (Hrsg.), Ausst.-Kat. Koloman Moser S. 165 – 177. 1868 – 1918, München 2007, S. 152 – 159. 6 Ausführlich zu Mosers Leben s. Gerd Pichler, Koloman Moser – Die Gemälde. Werkverzeichnis, Wien 2012, S. 183 – 190. 7 Ausführlich zu Molls Leben, s. Tobias G. Natter, Carl Moll – Stationen Bildnachweis eines bewegten Lebens, in: Ders./Gerbert Frodl, Ausst.-Kat. Carl Moll, Salzburg 1998, S. 25 – 39. 1 Aus: Der Architekt, 9. Jg. (1903), Tafel 85, Foto: Archiv des Verfassers 8 Zu den Baudaten s. Markus Kristan, Josef Hoffmann, Villenkolonie Hohe 2 Privatbesitz, Foto: Archiv des Verfassers Warte, Wien 2004, S. 19 – 26. 3 Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv, Inv.-Nr. 203470-D 9 Zu Spitzers Biografie s. Timm Starl, Lexikon der Fotografie in Österreich 4 Aus: Neue Architektur. Eine Auswahl der beachtenswertesten Neubauten 1839 bis 1945, Wien 2005, S. 459. moderner Richtung aus Deutschland und Österreich. I. Serie, Wien/Leizpig 10 Jura Brüschweiler, Ferdinand Hodler, Chronologische Übersicht, in: o. J., Tafel 9, Foto: Archiv des Verfassers Ausst.-Kat. Ferdinand Hodler (1983), (dritte, überarbeitete Aufl.), Zürich/ 5 Essen, Museum Folkwang, Fotografische Sammlung, Inv.-Nr. 100/2/4, Bern 1998, S. 134. Foto: © Museum Folkwang Essen – ARTOTHEK 11 Zur Wohnung Spitzer: Markus Kristan/Eva B. Ottilinger, „Kapriziös 6 Aus: Der Architekt, 9. Jg. (1903), Tafel 86, Foto: Archiv des Verfassers und praktisch zugleich“. Die Wohn- und Geschäftshäuser der Wiener Zeit, 7 Aus: Das Interieur, 4. Jg. (1903), S. 137, Foto: Archiv des Verfassers in: Ralf Beil/Regina Stephan (Hrsg.), Ausst.-Kat. Joseph Maria Olbrich 8 Essen, Museum Folkwang, Fotografische Sammlung, Inv.-Nr. 100/2/53, (1867 – 1908). Architekt und Gestalter der frühen Moderne, Ostfildern Foto: © Museum Folkwang Essen – ARTOTHEK

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