Politische Studien 440 Zweimonatszeitschrift für Politik und Zeitgeschehen

62. Jahrgang | November-Dezember 2011 | ISSN 0032-3462 | € 4,50

/// IM FOKUS Der Euro im Stresstest

Mit Beiträgen von | Theo Waigel | Georg Fahrenschon | Theodor Weimer | Norbert Walter

/// C. Bernd Sucher Politische Studien-Zeitgespräch mit dem Theatermann zu Kultur und Gesellschaft /// Edmund Ratka Bilanz und Perspektiven des „Arabischen Frühlings“ /// Detlef Merten Staat und Gesetz bei „Michael Kohlhaas“ und „Prinz Friedrich von Homburg“

www.hss.de Editorial

Dass unter den Mitgliedern der EU Krieg heute als nahezu unmöglich gilt, ist das unbestreitbare „Verdienst des Friedenswerkes der Europäischen Integration.

Frieden ist wichtiger als Schulden

Aufgrund der schwerwiegenden Schuldenkrise einiger EU-Staaten steht das Europäische Einigungswerk gegenwärtig vor einer ernsten Belastungsprobe. Besonnene Kräfte der politischen Eliten Europas ar- beiten ungeachtet des zweifellos noch steinigen Weges zu einer finan- ziellen Sanierung der in Schieflage geratenen Partnerstaaten an der Entwicklung einer tragfähigen langfristigen Konsolidierungsstrategie der Europäischen Währungsunion. In deren Mittelpunkt stehen die Stabilität des Euro und die konsequente Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Sie tun dies zum einen im Lichte der erwarte- ten positiven Konsequenzen stringenter Stabilitätspolitik auf die Ver- tiefung der Kohärenz der Gemeinschaft. Sie tun dies zum anderen aber auch im Bewusstsein der Gefahr der Eskalation einer „EU-ropä­ ischen“ Entsolidarisierungsdynamik für den Fall, dass Abweichungen von der Stabilitätskultur auch in Zukunft nicht früher und effektiver sanktioniert werden können. Diese verantwortungsvolle Strategie der strikten Achtung der sensi­ blen Stabilitätsmechanismen ist umso bedeutsamer, als in der aufgeheiz- ten Diskussion die epochale Bedeutung des europäischen Integrations- prozesses bereits auf der Strecke zu bleiben droht. Dass in der von ur- sprünglich 6 auf mittlerweile 27 Staaten angewachsenen Gemeinschaft – einem Gebiet, das über Jahrhunderte Austragungsort zahlreicher Krie- ge war – gewaltsame militärische Auseinandersetzungen als Instrumente nationaler Politik heute als nahezu unmöglich gelten, das ist das unbe- streitbare Verdienst des Friedenswerkes der Europäischen Integration. Das darf auch in Zeiten von Schuldenkrisen nicht in Vergessenheit gera- ten.

Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser Chefredakteur der Politischen Studien und Leiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, München.

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INHALT

19 IM FOKUS POLITISCHE STUDIEN– Aufbruch in eine neue Zeit ZEITGESPRÄCH HANS ZEHETMAIR 16 EUROPA IM STRESSTEST? Einführung 06 WIEVIEL KULTUR BRAUCHT EINE 85 REDE DER LANDTAGSPRÄSIDENTIN HANS ZEHETMAIR GESELLSCHAFT? Hanns Seidel zum Gedenken Politische Studien-Zeitgespräch mit BARBARA STAMM 19 DER EURO HAT ZUKUNFT – DAS dem Theaterkritiker und Autoren CASINO NICHT C. BERND SUCHER 90 POLITISCHE BILDUNG Mangelnde Haushaltsdisziplin und aus- Aktuelle Bedeutung und ufernde Spekulationen gefährden den Euro ANALYSEN künftige Herausforderungen HORST SEEHOFER URSULA MÜNCH 58 BILANZ UND PERSPEKTIVEN DES 30 BISHERIGE ENTWICKLUNG UND „ARABISCHEN FRÜHLINGS“ AKTUELLES BUCH AKTUELLE HERAUSFORDERUNGEN Der beschwerliche Weg zur Freiheit 35 Projekt Europa EDMUND RATKA 100 MIT ROHSTOFFEN AUS DER THEO WAIGEL ARMUT 70 STAAT UND GESETZ BEI „MICHAEL Hoffnung für „die unterste Milliarde“ 35 DER EURO IN DER KRISE? KOHLHAAS“ UND „PRINZ FRIED- SILKE FRANKE Gefahrenzone Europa RICH VON HOMBURG“ GEORG FAHRENSCHON Zum 200. Todestag des deutschen RUBRIKEN Dichters und Publizisten, Heinrich von 44 MEHR MUT ZUR WEITERENTWICK- Kleist 03 EDITORIAL LUNG DETLEF MERTEN 103 REZENSIONEN Eurokrise 115 ERRATUM THEODOR WEIMER PERSÖNLICHKEITEN 116 JAHRSÜBERSICHT 122 ANKÜNDIGUNGEN 54 DIE ZUKUNFT DER GEMEINSCHAFTS- 81 ERÖFFNUNG DES FESTKOLLOQUI- 124 IMPRESSUM WÄHRUNG UMS ZUM 50. TODESTAG UND 110. 70 Deutschland einig Euroland? GEBURTSTAG VON HANNS SEIDEL NORBERT WALTER 4 POLITISCHE STUDIEN // 440 440 // POLITISCHE STUDIEN 5 POLITISCHE STUDIEN-ZEITGESPRÄCH

C. Bernd Sucher, Theater- macher aus und mit Leidenschaft. /// Politische Studien-Zeitgespräch WIEVIEL KULTUR BRAUCHT EINE GESELLSCHAFT?

C. BERND SUCHER /// geboren in Bitterfeld, studierte in Hamburg und München Ger- manistik, Theaterwissenschaft und Romanistik und promovierte über Martin Luther und die Juden. Von 1980 bis 1997 war er verantwortlicher Redakteur für Sprechthe- ater bei der Süddeutschen Zeitung. Seither arbeitet er als Autor für verschiedene Publikationen und für das Fernsehen (BR und Arte). Er unterrichtet u. a. an der Deutschen Journalistenschule in München. Seit 1998 konzipiert und leitet er den Studiengang Theater-, Film- und Fernsehkritik an der Bayerischen Theaterakademie August Everding in Kooperation mit der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF).

Politische Studien: Wenn vom Standort glaube ich schon. Ob Städte über ihre Deutschland die Rede ist, meint man hier Kultur finanziell als Standort interes- zu Lande meist die wirtschaftlichen Gege- sant werden, das glaube ich nicht. Das benheiten, nicht die geistigen und kultu- Land der Dichter und Denker wird im rellen. Sorgen Dichter, Denker, Musiker Land viel weniger wahrgenommen als und Theatermacher nicht für Konjunktur außerhalb. Die Franzosen zum Beispiel, in Deutschland? die schon seit Jahrhunderten sehr ger- C. Bernd Sucher: Kultur als Standort- manophil sind, haben ihre Erneuerung faktor spielt wirklich nur dann eine Rol- im Theater- und Musikbereich über le, wenn es um Ausschreibungen für deutsche Regisseure gestaltet, das heißt, große Firmen geht. München ist sicher- sie haben für die bedeutenden Festivals lich auch deshalb attraktiv, weil die in Avignon und Paris das deutsche Re- Stadt viel Kultur anbietet. Die Staats- gietheater nach Frankreich geholt, vor oper und ihre Festspiele sind finanziell allem Regisseure wie Thomas Ostermei- ein wichtiger Faktor dieser Stadt, und er, Andrea Kriegenburg oder Frank Cas- Kultur ist ein Lebensmittel ... nur über die die Pinakotheken ziehen viele Besucher torf. Also das Land der Dichter, Denker „Kultur wird ein Mensch kultiviert. an. Über Kultur wird eine Stadt auch für und Theatermacher kommt sozusagen Arbeitnehmer attraktiver und erleichtert im Ausland weit besser zurecht als in

somit dortigen Unternehmen auch die Deutschland selber. Das gilt aber nicht Foto: Thomas Dashuber Aquirierung von Arbeitskräften. Das für die Literatur. Deutsche Literatur ver-

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kauft sich im Ausland nicht so gut wie Hirn. Vielleicht auch im Herzen. Dann Kultur in den öffentlich-rechtlichen sie so ungebildet, wie sie sind und wer- Theater. Es sind vor allem die darstel- würde ich mit Schillers Ausführungen oder den privaten Medien unterzubrin- den natürlich jetzt nicht plötzlich ihre lenden Künste, die Renommee machen. über die ästhetische Erziehung des Men- gen, braucht es Menschen, die daran Lust an Wagner oder Proust oder wem schen argumentieren. Der Mensch fin- glauben, dass dieses Segment seine Be- auch immer entdecken. Um diesem Di- Politische Studien: Haben Sie eine Erklä- det sozusagen nur durch die Schönheit rechtigung hat. In Bayern sind wir ver- lemma zu entgehen, muss man in der rung, warum dies in Deutschland viel we- zur Freiheit, also nur über die Kultur wöhnt, steht doch der Kulturauftrag in Schule etwas machen. Und man müsste niger gesehen wird? wird ein Mensch kultiviert. Das Schöne der Bayerischen Verfassung. Und der die Verantwortlichen in allen Fernseh- C. Bernd Sucher: Warum der Umbruch ist im Denken Schillers immer gepaart Bayerische Rundfunk engagiert sich da sendern, Radiosendern, Zeitungen und in der Theaterlandschaft in Deutschland mit dem Wahren. Man findet Wahrheit sehr. Aber ich glaube, das Problem liegt selbst bei YouTube dazu bringen zu weit weniger wahrgenommen wird als über die Kunst, über die Kultur. nicht bei den Medien. Natürlich surfen überlegen, ob die Konsumenten der Sen- im Ausland, liegt daran, dass jedes Man kann zwischen zweckgebunde- jetzt alle bei Youtube. Um das zu ändern dungen, der Filme, der Hörfunkbeiträge Stadttheater machen kann, was es will. ner Kultur und einer repräsentativen un- und jungen Menschen Lust auf das zu wirklich so dumm sind, wie die Produ- Das subventionierte deutsche Theater- terscheiden, einer Kultur, die praktisch machen, was wir beide unter Kultur ver- zenten und Redakteure meinen, dass sie system garantiert allen die Möglichkeit, nur sich selbst genügt und einer ande- stehen, muss man bereits in der Schule es seien. auch Theater zu machen, das die Zu- ren, die den Menschen formt. Ich glau- beginnen. Bei den Studenten, die zu mir Wenn die Medienmacher kapieren schauer zum Teil gar nicht wollen. Bei be, dass Kultur – also Literatur, Musik, in den Unterricht kommen, alle mit Ab- würden, dass ihre Klientel keineswegs uns ist es kein großes Problem, ein leeres bildende Kunst und Theater – den Men- itur und oft mit abgeschlossenem Studi- so dumm ist, wie sie sie einschätzen, Theater mit tollen Inszenierungen zu ha- schen im besten Fall formt und ihn dazu um, merke ich, dass in der Schule vieles dann würde sich etwas tun. Da aber die ben, die die Kritiker hoch bejubeln, auch bringt, ein aufgeklärter Mensch zu sein. versäumt wurde, was diesen jungen meisten Menschen in diesen Institutio- wenn kaum Geld in die Kasse kommt. Selbst zu denken und nicht von außen Menschen Lust auf Literatur, Theater nen keineswegs gebildeter sind als die Das Gleiche ginge in England und manipuliert werden zu können − dazu und Musik machen würde. Sie sammeln Menschen, die sie versorgen, ist es, wie Frankreich nicht. Dort gilt, ein Haus, stimulieren Kunst und Kultur. Das ist ihre Creditpoints, ihre Noten, sie wollen es jetzt ist. Als ich zur Süddeutschen das kein Geld einspielt, wird geschlos- ein politischer Vorgang, der in Theatern irgendwie gut über die Runden kom- Zeitung kam, war Bedingung, dass man sen. In Frankreich gibt es nur fünf finan- und über das Lesen, selbst über das An- men, wie auch immer. Aber keiner der schreiben konnte. Das Wichtigste aber ziell gut ausgestattete Nationaltheater, schauen von Bildern funktioniert. Der Lehrer scheint es zu schaffen, Schüler war, dass man ein abgeschlossenes Stu- davon sind vier in Paris und eines in Mensch ist eigentlich nicht nur dann zum Lesen, zum Hinschauen auf Dinge dium hinter sich hatte. Die Zeitungsver- Straßburg. Alle anderen Häuser müssen Mensch, wenn er spielt, so wie Schiller zu verführen, die nicht im Lehrplan ste- leger waren damals sehr erpicht, nur sich mehr oder weniger über den Verkauf es formulierte, sondern er ist nur ein hen. Wenn im Lehrplan nur ein Brecht, Menschen einzustellen, die promoviert von Plätzen und über Sponsoren oder Mensch, wenn er denkt. Sicherlich ist ein Max Frisch und ein Lessing stehen, waren. Ob diese promovierten Men- Mäzene finanzieren. Das Regietheater, Kultur a priori etwas, was den Men- dann lesen sie einen Lessing, einen schen jetzt besonders intelligent sind, für das uns viele im Ausland bewun- schen dazu verleitet oder dazu verführt, Frisch, einen Brecht und kommen dann das sei dahin gestellt, aber sie hatten zu- dern, ist nur in einem System wie unse- über sich selbst und über die Gesell- relativ ungebildet – ja ich glaube das mindest ein Studium beendet und ir- rem möglich. schaft nachzudenken. Wort ist richtig – aus der Schule und gendetwas im Rucksack. Wenn sie jetzt wenn man es dann im Studium nicht Politische Studien: Literatur, Theater Politische Studien: Das klingt einleuch- schafft, das nachzuholen, was in der und Musiktheater sind Ihrer Meinung tend. Und dennoch kann man sich natür- Schulzeit versäumt wurde, dann bleiben nach unverzichtbar für die Gesellschaft, lich fragen, ob Literatur und Theater in unabhängig vom Einspielerfolg. Dies dem Sinne, wie Sie es hier verstehen, tat- sieht nicht jeder so, vor allem jene, die sächlich noch zu uns durchdringen kann. rechnen können. Was haben Sie denen zu Sind die digitalen Medienmächte nicht Das Problem liegt nicht bei den Medien. Um jungen sagen? viel stärker, prägender oder formender „Menschen Lust auf Kultur zu machen, muss man bereits C. Bernd Sucher: Erst mal müsste man für den Menschen? in der Schule beginnen. ihnen klar machen, dass die Kultur ein C. Bernd Sucher: Ihre Frage ist schwie- Lebensmittel ist. Ein Lebensmittel, das rig zu beantworten. Nein, Literatur und nicht im Bauch ankommt sondern im Theater kommen nicht dagegen an. Um

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C. Bernd Sucher: Nein, das habe ich zu- führungen im Prinzregententheater sehen erst auch gedacht. Die Studenten besu- kann. Oder meinen Sie, auch hier bedarf

Das System der Vergrößerung von Instituten, um Gelder chen Seminare bei den Theaterwissen- es einer Reformierung der zukünftigen „zu generieren, führt zu einer Mittelmäßigkeit. Für wirk- schaftlern, an der Hochschule für Fern- Ausbildung von Dramaturgen, Schauspie- lich gute Ergebnisse darf man aber den Elitegedanken sehen und Film, sie studieren Kunstge- lern, Maskenbildnern etc.? nicht verpönen. schichte, etc. Sie wissen, Herr Höfling, C. Bernd Sucher: Ich finde es schön, diese ganzen Institute sind sehr erpicht, dass Sie mit dem Namensgeber angefan- Impertinenz. Ich habe meine Studenten möglichst viele Studenten zu haben, gen haben. Es war ein großer Coup von zur Weißglut gebracht, indem ich sie mit möglichst auch noch Doktoranden. Mir August Everding, diese Theaterakade- ihren literarischen Lücken konfrontiert ist es nicht nur einmal, sondern mehr- mie zu gründen. Aber wir müssen uns habe. Und irgendwann hatten sie genug fach so gegangen, dass ich Menschen nichts vormachen und er hört uns wahr- von meiner Besserwisserei. Sie fanden eine Seminararbeit nicht abgenommen scheinlich im Himmel zu. Er hat diese die gleiche Redaktion durchforsten, egal diese nervig und kamen dann zu mir habe und um Überarbeitung bat. Viele Theaterakademie gegründet, um das ob es die AZ oder Die Zeit oder die SZ und sagten, dass das, was ich wissen davon kamen dann nach einem Semes- Prinzregententheater zu bekommen. oder der Bayerische Rundfunk ist, ha- würde, sie sowieso nie wissen werden, ter und zeigten, dass sie von anderen Das Prinzregententheater hat er nur ben die wenigsten ein Studium hinter aber sie nicht immer so bescheuert da- Dozenten für dieselbe Arbeit eine gute über diesen kleinen Umweg bekommen. sich. Sie haben die Journalistenschule stehen möchten. Daraus entwickelte Note und einen Schein bekommen hat- Als das Prinzregententheater endlich absolviert, oder sie waren Hospitanten sich dann ein Kurs (den gibt es immer ten. Da sind sie aufgeschmissen. Dieses umgebaut war, hat er es mit einer Wag- und fi ngen danach einfach an. Ich glau- noch), in dem man wie in einem literari- System der Vergrößerung von Institu- ner-Oper eröffnet. Es ging ihm vor al- be wirklich, dass dieser Niveauabfall, schen Salon Bücher liest. Nicht die Bü- ten, damit Gelder generiert werden kön- lem um das Haus und darum, wieder wenn ich es so ausdrücken darf, bei den cher, die jetzt in den Bestsellerlisten nen, führt dazu, dass man mittelmäßige selbst inszenieren zu können. Es war ein Machern anfängt und nicht bei den sind, sondern eher die Klassiker. Dazu Dinge gut finden muss, damit das Sys- Ort, an dem wieder Theater stattfinden Konsumenten. die Werke von Joyce, Beckett, Pirandel- tem funktioniert. Man wagt heutzutage sollte. Diese Idee ist bis heute geblieben. lo zum Beispiel. Das hat funktioniert. kaum mehr zu sagen, dass man wirklich Alle Nachfolger von August Everding Politische Studien: Nun lehren Sie Dann habe ich die Studenten motiviert, gute Ergebnisse nur dann bekommt, sind zuvor Intendanten gewesen, und selbst, d. h., Sie versuchen bei jungen zu jedem gelesenen Roman selbst etwas wenn man den Elitegedanken nicht zwar von Musiktheatern. Der Focus Leuten das nachzuholen, was in der Schu- zu schreiben und gemeinsam daraus ganz aufgibt. Was macht es für einen liegt auf dem Musiktheater. Daher war le versäumt wurde. Sie lehren an der Lud- eine kleine Broschüre zu machen. Diese Sinn, viele Studenten auszubilden, von die Gründung der Akademie nur mit wig-Maximilians-Universität und der The- Broschüre wird für zwei Euro verkauft, denen man weiß, dass sehr viele von ih- Partnern möglich, und der wichtigste aterakademie August Everding und an der wie ein Programmheft. Die Möglich- nen später auf der Strecke bleiben wer- Partner war die Hochschule für Musik, Hochschule für Fernsehen und Film. Ha- keit, etwas über einen gelesenen Roman den? Man sät flächendeckend, aber die die jetzt Hochschule für Musik und ben Sie es jetzt mit der jungen Generation zu publizieren, hat die Studenten moti- Ernte bleibt – verglichen mit dem Auf- Theater heißt. Die meisten Studenten sehr schwer aufgrund dessen, was Sie viert. Aber so ganz freiwillig funktio- wand – eher bescheiden. Meine Idee sind an dieser Hochschule eingeschrie- eben gesagt haben, oder haben Sie den niert es nicht. Ich habe einmal in mei- war immer, dass man die Spreu vom ben, weil die Akademie selber keinen Eindruck, es ist der Hunger da und Sie ha- nem Leben Nachhilfeunterricht im Weizen trennen muss. Ich wünschte mir Hochschulstatus hat. Das führte dazu, ben ein leichtes Spiel? Gymnasium gegeben. Ich habe die mehr Mut bei der (Aus)Wahl. Dass es in dass diese Akademie immer wie ein C. Bernd Sucher: Nein. Ein leichtes Spiel Schüler nur mit Lakritze ruhig bekom- Bayern immer noch relativ gut geht, der Theater geführt wurde, nie wie eine hat man nicht. Man muss den Men- men. Jetzt ist die Lakritze das Publikati- Elitegedanke nicht verpönt ist, gefällt Hochschule. Die Ausbildung war immer schen ihren verdrängten oder vergesse- onsversprechen, die Broschüre. Sonst mir sehr. sehr, sehr praktisch, aber leider ist es bis nen intellektuellen und kulturellen geht es nicht. jetzt nie gelungen, alle Studiengänge zu Hunger bewusst machen. Der Hunger Politische Studien: Die Theaterakade- einer Ausbildung zu verpflichten, die ist da, aber das Hungergefühl ist abhan- Politische Studien: Geht es mit Studen- mie, an der Sie lehren, ist berühmt allein auch etwas mit Bildung zu tun hat und den gekommen – kein Appetit. Lehren- ten, die das Künstlerische zu ihrem Beruf schon durch ihren Namensgeber. Hier nicht nur mit praktischer Theaterarbeit. de müssen also Hunger provozieren. So machen wollen, wie die Studenten in der scheint die Ausbildungswelt in Ordnung Viele der Dozenten und Professoren etwas funktioniert zum Beispiel über Theaterakademie, leichter? zu sein, wenn man die Qualität der Auf- sind eigentlich primär daran interes-

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siert, praktische Theaterarbeit zu leis- ben ihren Ursprung in diesem Verbund. nicht sofort geht − es würde sicher Jahre ten. Ich glaube, so schön wie diese Auf- Was auch immer diese Theaterakade- dauern − müsste nur der Präsident der führungen waren und so gut auch diese mie macht, immer müssen diese Part- Akademie so gestützt und geschützt Schauspielausbildung ist, letztendlich ner auftauchen. Auf jedem Plakat haben werden, dass er selbst etwas durchset- fehlt es all diesen Studenten, übertrie- sie dann alle Kooperationspartner, in zen kann. ben gesagt, an einer theoretischen allen Programmheften. Dabei werden Meine Vision wäre, der Ausbildung Grundlage. Ich fände es notwendig, alle die fi nanziellen Mittel – mit Ausnahme mehr und dem Repräsentativem, den Studiengänge zusammenzuführen und der Regie-Professur – von der Theater- Aufführungen weniger Gewicht zu ge- zum Beispiel ein ganzes Semester über akademie gestellt, nicht von den Koope- ben. Bislang werden von der Öffentlich- Schnitzler, Lessing, Albert Ostermaier rationspartnern. Die Kooperationspart- keit ja nur die Opernaufführungen der oder Elfriede Jelinek zu gestalten. Wehrt ner braucht man im Wesentlichen nur, Theaterakademie wahrgenommen. All sich aber auch nur ein Studiengangleiter, weil die Akademie keine Hochschule ist das, was im Schauspiel stattfi ndet, fi n- ist die Idee bereits gescheitert. und die Studenten irgendwo einge- det weder in der Öffentlichkeit die ange- Letztendlich müsste es das Ziel sein, schrieben sein müssen. Die Studenten messene Würdigung noch in den Feuil- langfristig aus der Akademie eine eigen- zahlen ihre Studiengebühr an den letons. Bei den Opernaufführungen ständige Hochschule zu formen. Dies Hochschulen, an denen sie eingeschrie- kommt hinzu, dass sie erstens unend- hat schon August Everding gedacht, als ben sind, aber alles, was sie in ihrer lich viel Geld verschlingen und zweitens er merkte, wie schwierig die Zusam- Ausbildung geboten bekommen, keineswegs Studentenaufführungen

menarbeit mit den Kooperationspart- kommt aus den Mitteln der Theateraka- sind. Auch das muss man fairerweise Foto: Thomas Dashuber nern ist. Wir müssten aus diesem Ver- demie. Das ist schon ein seltsames Kon- sagen. Im Orchester sind keine Studen- Die Ausbildung hat für den Leiter der Theaterakademie bund raus. Wir können Lehrer aus den strukt. Ich glaube, es wäre an der Zeit, ten, viele Sänger sind keine Studenten, immer Vorrang vor der Praxis. einzelnen Hochschulen behalten, aber sich zu überlegen, was wir mit dieser die Regisseure kommen von überall her. die Akademie muss eigenständig wer- Akademie wollen. Ist sie konkurrenzfä- Es sind keine Studentenproduktionen. sich damit auch der ganze Charme eines den. Momentan sind die meisten Studi- hig gegenüber anderen Instituten? Kann Es sind einige studentische Sänger und Ausbildungsinstituts. Ich glaube nicht, engänge an der Hochschule für Musik sie sich in Deutschland behaupten und Schauspieler in diesen Produktionen, dass die Theaterakademie dem renom- und Theater untergebracht, die Drama- gegenüber der Schweiz und Österreich, aber das meiste Geld verschlingen pro- mierten Nationaltheater, dem Bayeri- turgen bei den Theaterwissenschaftlern wo es ja auch solche Schulen, Akademi- fessionelle Künstler. Die Akademie schen Staatsschauspiel und dem Gärt- der LMU und die Kritiker an der Hoch- en und Hochschulen gibt? braucht diese Musiktheateraufführun- nerplatztheater mit studentischen Pro- schule für Fernsehen und Film. Der gen, das steht außer Frage. Aber würden duktionen, wie gut die auch immer be- größte Kooperationspartner, die Mu- Politische Studien: Das wäre durchaus sie an Charme, an Frische und Authen- setzt sind, Konkurrenz machen muss. sikhochschule, hat natürlich auch den im Sinne von Everding gewesen, der mit tizität verlieren, wenn sie ausschließlich Brauchen wir das wirklich? Wäre es größten Einfl uss. Nicht wenige Quere- der Einrichtung eines Studium Generale von Studenten getragen und nur im nicht viel gescheiter, wenn wir dieses len – manche durchaus läppisch – ha- an der Akademie liebäugelte. Notfall Profi s hinzu engagiert würden? viele Geld in mehr Projekte stecken C. Bernd Sucher: Der Fortschritt wäre würden, die die Studenten viel nötiger sozusagen, wenn man diesen Verbund Politische Studien: Das stimmt. Ich sehe bräuchten? Wenn man bedenkt, dass so wieder aufkündigen würde. Wenn das mir im Prinzregententheater auch nur die eine Opernproduktion, die ja nur vier- Opernaufführungen an. Man läuft als Zu- mal aufgeführt wird, ein Vielfaches des schauer schon Gefahr, ähnliche Maßstäbe jährlichen Etats des Kritikerstudien- Langfristig und um konkurrenzfähig zu sein, fände ich es anzusetzen wie für die Staatsoper. Man- gangs kostet, dann kann man sich zwar „notwendig, alle Studiengänge zusammenzufassen und che Aufführungen gelingen auch wirklich trotzdem über diese Aufführung freuen, aus der Theaterakademie eine eigenständige Hochschule gut. bloß fragt man sich natürlich, welchen zu formen. C. Bernd Sucher: Genau, aber es kann Ertrag bringt dies eigentlich für die Stu- nur gelingen, weil es diese ganz andere denten. Die drei bis fünf Studenten, die Politik in der Besetzung und in der Pro- da mitsingen, lernen nicht so viel, ge- duktionsweise gibt, andererseits verliert messen an dem finanziellen Aufwand.

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Schluss geht auch die Moralvorstellung als Herr von Weizsäcker Bundespräsi- zugrunde, als der Gerichtsrat Walter dent war, manchmal in Bonn und dann seine Eve küssen darf. Und dann steht auf Schloss Bellevue Empfänge für kul- Der Kulturstandort Deutschland wird an dem Ort, diese arme Marthe Rull da, mit ihrem turelle Menschen. Ich durfte bei mehre- „an dem Deutschland diskutiert, dem , zerbrochenen Krug und fragt, was sie ren dabei sein. Es gab Diskussionen, nicht verhandelt. damit machen soll. Der zerbrochene Lesungen, Konzerte. Seine Nachfolger Krug als Metapher für die Gesellschaft. haben sich eher auf die Finanzwelt, die Und da sagen alle, das wisse man jetzt Wirtschaft, auf Naturwissenschaften wir mit dem, was wir erreicht haben, zu- auch nicht, aber der nächste Gerichtstag und die Familie kapriziert. Nichts dage- frieden sein können. Das Gute an der sei dann und dann in Ütrecht (erinnert gen zu sagen. Allein, letztendlich und da Kunst − da haben Sie völlig recht −, ist, uns das nicht an die heutige Zeit?). Also sind wir beim Ausgangspunkt, wird dass diese Kunst immer wieder ver- zu einer Zeit als noch keiner darüber re- eben Kultur nicht so wichtig genom- Die Bühne des Prinzregententheaters sucht, Tabus zu brechen. Immer wieder. dete, dass die Gesellschaft zerbricht, men, wie sie es eigentlich müsste. den Studenten und das lieber häufiger! Als Grass die Blechtrommel schrieb, dass es keinen Verlass mehr auf staatli- waren alle erschrocken, als Rosa von che und kirchliche Institutionen gibt, Politische Studien: Herr Professor Su- Politische Studien: Nirgendwo sonst wie Praunheim seine ersten Filme machte, erklärt Kleist anhand eines solchen Stü- cher, wir danken Ihnen für das Gespräch. im kulturellen Bereich wird so häufig und dachte man, irgendwie geht die Welt un- ckes die Welt. Und just deshalb muss frühzeitig über strukturelle Veränderun- ter. Letztendlich waren diese Tabubrü- man eben Kleist in der Schule lesen. Das Interview führte Prof. Dr. Siegfried gen nachgedacht. Ich habe den Eindruck, che aber ganz wichtig und mit einer Ver- Höfling, Referent für Technologie, Medi- Innovation in Kunst und Kultur geschieht spätung von zehn bis fünfzehn Jahren Politische Studien: Haben Sie in Erinne- en und Kultur, Jugend und Gesundheit, ständig, im Vergleich zu einer gewissen hat die Gesellschaft nachgezogen. Wenn rung, ob im Deutschen Bundestag ein gro- Akademie für Politik und Zeitgeschehen, Beharrlichkeit in der Gesellschaft, in der man bedenkt, heute werden homosexu- ßer lebender Literat oder Schriftsteller Hanns-Seidel-Stiftung, München. Wirtschaft, ganz zu schweigen von der elle Ehen akzeptiert. Von Praunheim eine Rede halten durfte? Politik. Um wieder zur Literatur zurückzu- thematisierte dies Ende der 60er-Jahre. C. Bernd Sucher: Nein. Aber das ist ein kommen: Braucht man Meisterwerke wie Innerhalb von dreißig Jahren gab es ei- wunderbarer Gedanke. Wenn zum Bei- das Glasperlenspiel von Hesse, um wie- nen Umbruch im Denken, der nicht spiel Albert Ostermaier Gedichte vor- der unkreatives Denken und Handeln zu stattgefunden hätte, wenn es nicht in tragen dürfte oder Die Ermittlung von erkennen und neue Lösungen oder Ideen der Kultur diese Tabubrüche gegeben Peter Weiss im Bundestag aufgeführt zu entwickeln? Sorgen Literatur und The- hätte. Die beiden Romane von Hesse würde. Ich darf Sie erinnern, dass Elisa- ater bzw. Kunst im Allgemeinen für die und Mann waren zu ihrer Zeit auch Ta- beth Bergner, eine Freundin Arthur /// PROF. DR. C. BERND SUCHER wesentlichsten Entwicklungsschritte in bubrüche und waren wichtige politische Schnitzlers, die Novelle Fräulein Else ist Theaterkritiker, Autor und Leiter der Gesellschaft? Stellungnahmen, selbst wenn sie sehr am 7. Februar 1926 im Plenarsaal des des Studiengangs Theater-, Film- und C. Bernd Sucher: Ich glaube, im Glas- zurückgenommen formuliert waren. Berliner Reichstags las, sozusagen eine Fernsehkritik an der Bayerischen perlenspiel von Hesse und im Dr. Faus- Aber man konnte es ja entziffern, man Uraufführung. Was erstaunlich ist, Theaterakademie August Everding in tus von Mann steckt noch ein bisschen konnte es ja dechiffrieren. Nein, die denn dieser Text hat ja nicht bloß indivi- München und Dozent an der Deutschen mehr. Beide Autoren sagen in ihren Kultur muss ständig dagegen sein, um duelle psychologische Aspekte. Da Else Journalistenschule in München. Werken ja nicht, dass wir einen Still- neue Denkräume zu öffnen. Der zerbro- aus dem jüdischen Großbürgertum stand brauchen, sondern, dass es eine chene Krug von Kleist zeigt anhand ei- stammt, reflektiert und kritisiert Gesellschaft mit ihrer ganzen Bildung, ner Komödie, eine „zerscherbte“ Gesell- Schnitzler auch die sozialen und politi- mit ihrer ganzen Kultur, Kultiviertheit schaft in einer Welt, die am Zerbrechen schen Verhältnisse. Ihre Frage, Herr und kulturellen Errungenschaft bisher ist, letztendlich zu einer Zeit, als keiner Höfling, führt uns zurück zum Beginn nicht geschafft hat, die Barbarei zu ver- noch daran dachte. Der Krug steht für unseres Gespräches: Der Kulturstand- hindern. Und dieser Gedanke bleibt ak- die Welt und die zerbricht. In dieser Ge- ort Deutschland wird an dem Ort, an tuell, d. h. diese beiden Romane zwin- richtsverhandlung wird klar, dass auf dem Deutschland diskutiert, nämlich gen dazu, darüber nachzudenken, ob nichts mehr Verlass ist. Und zum der Bundestag, nicht verhandelt. Es gab,

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/// Einführung Bildnachweis: sogmiller / Fotolia.com EUROPA IM STRESSTEST?

HANS ZEHETMAIR /// Es herrscht Unsicherheit, wohin man schaut. Die Mehrheit der Medien sieht den Euro bereits „im Abgesang“ und gibt Tipps zur Geldrettung. Damit verunsichern sie die Menschen und dagegen wollen wir ein Signal setzen,

denn es ist Aufgabe unserer Stiftung, den Menschen Orientierung in ihrer Welt- Europa befindet sich derzeit im Sturmwind. Wird es hinweggefegt oder reinigen die Turbulenzen die Luft und sicht zu geben. bringen neuen Aufwind?

Prozess des Zusammenschweißens war verlangt vor allem den Blick nach vorne, Der Euro ist mehr als nur eine dun die Hand geschüttelt haben, da war nicht immer einfach, wenngleich es bis um die Konsequenzen aus den Fehlent- Währung Erleichterung zu spüren und die Hoff- heute keine vergleichbare Krise gab. scheidungen zu ziehen. Dass das in Was wir jetzt mehr denn je brauchen sind nung auf ein „Nie-wieder-Krieg“-Euro- Aber gerade in solchen Phasen ist es schwierigen Zeiten nur mit einer klaren Stabilitätsanker, Orte der offenen Dis- pa. Eine Hoffnung, die bis heute gehalten wichtig, die Substanz in den Blick zu Stringenz durchzusetzen ist, leuchtet kussion und des konstruktiven Aus- hat und die einen großen Wert für die nehmen, um die es letztlich geht. Es ein. In den meisten Fällen ist es so, dass tauschs von Experten. Und – das sollte Menschen in Europa darstellt – sowohl geht um Frieden und Sicherheit, es geht die Menschen sich gerne hilfsbereit zei- nicht vergessen werden – wir brauchen moralisch als auch ökonomisch. um Solidarität und Zusammengehörig- gen, dass sie bereit sind zueinander zu die Reflexion darüber, was auf dem Spiel Aktuell aber ist diese Attraktivität keit, es geht um gemeinsame Lösungen stehen und füreinander einzustehen. steht, worüber wir im Grunde reden. Wir doch deutlich erschüttert. Das Schreck- und die gleichzeitige Anerkennung nati- Das gerät meist nur dann ins Wanken, reden über eine Währung. Wir reden gespenst Krieg ist nicht mehr virulent. onaler Unterschiede. In schwierigen wenn die Menschen den Eindruck ha- über eine Währungsunion und ihre Be- Die Gefahr einer militärischen Ausein- Phasen sind solche Werte immer dem ben, dass ein Fass ohne Boden dasteht. lastbarkeit. Dabei darf sich die Konse- andersetzung ist im sogenannten Kern- Stresstest unterworfen. Aber gerade Und diese Anmutung hat sich jetzt breit quenz dieser Reden nicht an partikularen Europa kaum noch auf der Agenda zu dann zeigt sich auch die Ernsthaftigkeit, gemacht. Das verwirrt und trägt dazu Sicherungssystemen für das ganz persön- fi nden. Stattdessen erschüttert aber die mit der ein Projekt nach vorne gebracht bei, dass die Menschen in der Rettung liche Vermögen festbeißen. Der Euro „Euro-Frage“ unseren Kontinent. und betrieben wird. Das gilt für alle Be- des Euro mittlerweile ein Abenteuer mit steht für Europa. Dieser Europa-Gedan- teiligten, es gilt quer durch alle Schich- unklarem Ausgang sehen. 60 % der ke hat seit dem Zweiten Weltkrieg un- Ist das „europäische Haus“ in ten und Nationen. Deutschen sind laut Handelsblatt vom übersehbar Fortschritte gemacht. Es gab Gefahr? Die neuralgische Frage ist heute, ob 14. Juli 2011 gegen weitere Kredithilfen mal kleinere und mal größere Schritte, in Ist der Euro tatsächlich oder nur ver- wir uns in einem Wertekonfl ikt befi n- für den Euro. 71 % haben wenig, kaum denen das Gebilde Europa zusammen- meintlich in Gefahr? Im Schwerpunkt den, ob wir uns von der Idee Europa ver- wuchs und für alle Beteiligten sehr at- dieser Ausgabe der Politischen Studien abschieden oder ob wir uns nur auf der traktive Formen annahm. Adenauers haben die Experten dazu das Wort. Ebene eines Mittelkonfl iktes bewegen, Die Währungsfrage darf sich nicht zum Bravourstück, die Aussöhnung mit Aber ist damit auch Europa in Gefahr? sprich, ob nur unklar bzw. strittig ist, wie WERTEKONFLIKT auswachsen und somit die Frankreich, war nur in einem europäi- Sind die Ziele der ehemaligen Integrati- wir mit den Schwierigkeiten umgehen. Schicksalsgemeinschaft Europa als Garant schen Kontext denkbar. Und als sich Hel- onsfiguren eines geeigneten Europas er- Die Frage nach den Ursachen sollte für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in mut Kohl und François Mitterand in Ver- reicht? Brauchen wir neue Ziele? Der schonungslos gestellt werden. Das aber Frage stellen.

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oder gar kein Vertrauen in den Euro. Die ständnis von Kunst, von Zusammenle- Euro-Skeptiker schaffen sich Raum auf ben und Mitmenschlichkeit zündende den politischen Bühnen und suchen den Funken für andere Kulturen sein konn- Diskurs. Und den werden wir zu führen ten. Diese positiven Potenziale sollten haben, wenn wir auf die großen Unter- wir im Blick haben – und konsequent da- schiede in der Haushaltsdisziplin und rauf achten, dass die Lehren aus den der strategischen Positionierung der ein- dunklen Zeiten so aktiv bleiben, dass wir /// Mangelnde Haushaltsdisziplin und ausufernde Spekulationen gefährden den Euro zelnen Länder bezogen auf den Welt- nicht mehr dahin zurückfallen. Das ist markt schauen. die strategische Position für Europa und Wohlgemerkt, es geht – noch – um wir, die Hanns-Seidel-Stiftung, werden DER EURO HAT ZUKUNFT – den Euro, nicht um Europa. Noch steht uns mit dafür einsetzen, dass Nährbö- * das Europäische Haus. Die Säulen sind den für Visionen entstehen, die das neue, DAS CASINO NICHT fest und wir alle wünschen uns ein beson- gemeinsame Europa weiterbringen. In nenes Krisenmanagement, das verhin- der Zwischenzeit sind taktische, teilweise HORST SEEHOFER /// dert, dass aus dem Mittel- ein Wertekon- operative Fragen zu klären und auch Ständige und sanktionslose Verstöße gegen die Stabilitätskri- fl ikt wird, der die Idee Europa ganz weit dazu möchte die Stiftung ihren Beitrag terien, Mogeleien bei den Wirtschaftsdaten, Missachtung der Haushaltsdisziplin und zurückwerfen würde, und zwar weit hin- leisten. In diesem Fall durch die Stimmen das süße Gift der billigen Kredite sind Faktoren, die den Erfolg der Gemeinschafts- ter die Erkenntnis, dass der Frieden wie von Experten, deren Gedanken Sie im währung gefährden. Ausufernde Staatsverschuldung, Spekulations-Kapitalismus, auch unser Wohlstand auf diesem Konti- Folgenden nachvollziehen können. /// Gier und zügellose Wetten auf den internationalen Finanzmärkten sind Schwungrä- nent ohne die europäische Integration der, die den Euro an den Rand des Abgrunds bringen. nicht denkbar wäre. Europa ist mehr als eine Währung, Europa ist eine Schick- salsgemeinschaft und kann gegen die sich Einleitung 1. Europa ist keine Nation – eigene im internationalen Kontext formierenden Die Stabilität des Euro ist in Gefahr, nationale Identitäten der Mitglied- Staaten nur als Gemeinschaft machtvoll weil der Euroraum zwar der zweitgrößte staaten setzen der europäischen auftreten. Neben der Außenwirkung einheitliche Wirtschaftsraum der Welt Integration natürliche Grenzen wird auch die Nabelschau zeigen, dass /// DR. H. C. MULT. HANS ZEHETMAIR ist, aber der gemeinsamen politischen Um erst gar keinen Zweifel aufkommen ein Rückfall in tradierte Auseinanderset- ist Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stif- Steuerung dieses Marktes natürliche zu lassen: Ich halte die Europäische Uni- zungen nicht auszuschließen ist. Die Inte- tung, München und Staatsminister a. D. Grenzen gesetzt sind, die aus guten on für die genialste Idee der Nachkriegs- grationsprozesse zwischen den Staaten Gründen von vielen auch gar nicht über- geschichte. Sie ist die wichtigste politi- sind im Wachsen begriffen, aber noch wunden werden wollen. Der Euro ist in sche Gemeinschaftsleistung der europä- lange nicht per Richterspruch besiegelt. Gefahr, weil Europa der ausufernden ischen Staaten und hat dem Europäi- Es lohnt in jeder Hinsicht, auf der bis- Staatsverschuldung in vielen Mitglied- schen Kontinent nach Jahrhunderten herigen Spur weiter zu wirken. Und auch staaten der Eurozone keine Grenzen set- der Konflikte und Kriege Frieden, Frei- auf die Schwachstellen im europäischen zen konnte oder wollte. Die Stabilität heit, Sicherheit und Einheit gebracht. Integrationsprozess zu blicken. Europa des Euro ist in Gefahr, weil wir zwar als abstraktes Modell erscheint an man- eine Gemeinschaftswährung haben, chen Stellen als weit weg von seinen Bür- aber sich nicht überall in der Eurozone gern. Hier liegt noch ein weiter Weg vor die Löhne nach der Produktivität rich- uns. Aber es liegt auch ein sehr weiter ten, in Mitgliedstaaten der Eurozone die Weg hinter uns, ein Weg, in dem Europa vertraglich vereinbarte Stabilitätskultur Die EU hat dem europäischen Konti- maßgeblicher Schrittmacher für Ent- nicht eingehalten wurde und die Bedie- nent FRIEDEN und Freiheit gebracht. wicklung und Innovation war, ein Weg, nung der Euro-Noten-Presse kein Aus- auf dem wir zeigen konnten und gezeigt weg ist. Dazu möchte ich im Folgenden haben, wie unsere Kultur, unser Ver- drei Thesen und ein Fazit aufstellen.

18 POLITISCHE STUDIEN // 440 440 // POLITISCHE STUDIEN 19 wendigkeit der stabilen Währung Die Aufgabe der nationalstaatlichen Iden- spricht und darüber, was dafür getan titäten Europas kann KEINE Lösung sein. werden muss, und auch darüber, was den Euro gefährdet. Die Diskussion um die Zukunft des sein wird, hat die Übertragung von Sou- Euro wird nicht nur in Kategorien von veränitätsrechten von Nationalstaaten Schutzschirmen und Stabilitätsmecha- auf europäische Institutionen natürliche nismen geführt. Das wäre auch zu billig Grenzen. Werden diese Grenzen über- und oberfl ächlich. Es gibt nicht wenige, schritten, schaden wir der europäischen die die Lösung in mehr Kompetenzen Integration anstatt sie zu befördern. Wir für die EU und letztlich in der Finalisie- müssen deshalb ganz nüchtern betrach- rung der europäischen Integration in ten: Was ist notwendig für die europäi- Vereinigte Staaten von Europa sehen. sche Gemeinschaft und für die europäi- Wir stehen in dieser Diskussion vor ei- sche Währungsunion? Wir müssen ner entscheidenden Weggabelung. Ich schlichtweg fragen, was kann Europa halte den Weg zu einer Aufgabe der na- besser gemeinsam erledigen? Was macht tionalstaatlichen Identitäten in Verei- Europa stärker, wenn wir es gemeinsam nigte Staaten von Europa für eine Sack- tun? Was ist nachhaltig der tragfähige gasse: Vereinigte Staaten von Europa gemeinsame Nenner für den Euro? Und setzen zuerst eine gemeinsame eigene was braucht Europa, damit wir das Not- nationale Identität des gesamten Europa wendige gemeinsam tun können? Aber voraus: ein Staatsvolk, eine Staatsge- das heißt im Umkehrschluss auch: Was Bildnachweis: Dan Race / Fotolia.com walt, eine Regierung, ein Parlament, braucht Europa dafür nicht? Ausufernde Börsenspekulationen und Haushaltsfehlverhalten einzelner Mitgliedstaaten haben den Euro in eine eine Gerichtsbarkeit – ein Verständnis Diese Fragen haben eine gemeinsa- tiefe Krise gestürzt. für ein Land. Vertraglich ist so etwas me Antwort: Wir haben die Krise, weil nicht vereinbar, das muss aus den Men- einzelne Mitgliedstaaten versagt haben, schen kommen und in den Menschen indem sie ihre Haushaltsautonomie Die europäische Integration ist einzigar- schließlich in den Zweiten Weltkrieg ge- sein. Und ohne den Kitt einer gemein- nicht verantwortungsvoll im Sinne der tig auf der Welt. Nirgendwo sonst gibt mündet hat, ist eine „harte Währung“ schaftlichen einheitlichen staatlichen Vereinbarungen von Maastricht einge- es eine derart enge und erfolgreiche Zu- für unser Volk ein Grundpfeiler, der Identität von Sizilien bis Kopenhagen, setzt, sondern sie schlicht über ihre Ver- sammenarbeit souveräner Staaten. Und nicht preisgegeben werden darf. Es war von Dublin bis Athen würde ein solches hältnisse gelebt haben. Innerhalb der für viele globale Fragen, die vor uns lie- deshalb nicht nur ein starker wirtschaft- Gebilde auch nicht funktionieren. Währungsunion betrifft das Haushalts- gen, brauchen wir ein starkes Europa. licher Beitrag Deutschlands zur Ge- Denn: Staatsgewalt und Staatsvolk sind fehlverhalten einzelner zwangsläufi g Das Bekenntnis Deutschlands zu meinschaftswährung, sondern auch ein zwei Seiten einer Medaille. Fehlt das auch alle anderen Mitgliedstaaten. Die Europa und die Teilhabe Deutschlands grundlegendes Bekenntnis zu Europa, eine, fehlt dem anderen die Legitimität. größte Herausforderung, vor der Europa an Europa sind aufgrund unserer Ge- dass die D-Mark im Euro aufgegangen Ohne Legitimität gibt es keine Akzep- derzeit deshalb steht, ist die Durchset- schichte und aus Überzeugung überle- ist. Mit dem Euro hat Deutschland un- tanz. Staatsgewalt ohne Akzeptanz zung einer Stabilitätsunion durch Ab- benswichtig für unsere Nation. Die verrückbar Ja zu Europa gesagt. Es ist durch das Staatsvolk endet im Chaos! bau von Schuldenbergen und Stärkung deutsche Mark war für zwei Generatio- deshalb gerade für uns schon etwas Eine gemeinsame staatliche Identität der internationalen Wettbewerbsfähig- nen des Nachkriegsdeutschlands identi- Grundsätzliches, wenn wie jetzt am wächst historisch. Sie lässt sich nicht per keit. Was also sind die Werkzeuge, die tätsstiftend für Aufbau, Stabilität und Euro und damit am Grundpfeiler der Dekret verordnen – auch nicht vor dem wir dazu brauchen, ohne zugleich tiefe durch Fleiß und Leistung erarbeiteten harten Währung gerüttelt wird. Und es Abgrund einer internationalen Finanz- Kerben in die Souveränität der Mitglied- Wohlstand. Nach den Erfahrungen von ist ein Bekenntnis zu Europa und keine und Wirtschaftskrise. staaten zu schlagen oder sie gar zu Hyperinfl ation, die in Massenarbeitslo- Skepsis gegenüber Europa, wenn man Weil eine gemeinsame staatliche Gunsten der „Vereinigten Staaten von sigkeit, Verlust der Demokratie und offen und vernehmbar über die Not- Identität in Europa auf Sicht nicht da Europa“ aufzugeben?

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2. Die schwäbische Hausfrau hat Gift der billigen Kredite führte zu ist die Überschuldung. Wenn die Wäh- recht – solide Finanz- und Wäh- übermäßigem Konsum und dem Verta- rungsunion die Überschuldung ihrer Das ZIEL ist der Abbau der Schulden rungspolitik sind das Fundament gen von Strukturreformen und musste Mitgliedstaaten nicht wirksam und dau- und die Stärkung der internationalen für eine funktionierende Gemein- Folgen haben, weil sich ökonomische erhaft in den Griff bekommt, ist die Ge- Wettbewerbsfähigkeit. schaftswährung Gesetzmäßigkeiten nicht außer Kraft meinschaftswährung in akuter Gefahr. Eigentlich ist es ganz einfach: Solides setzen lassen: Wer mehr Kredite zu be- Grundübel Nummer Zwei ist mangeln- Wirtschaften bedeutet, die Ausgaben dienen hat, muss mehr erwirtschaften. de Ehrlichkeit – mangelnde Ehrlichkeit richten sich nach den Einnahmen. Dazu muss er in einem gemeinsamen gegenüber sich selbst und gegenüber der Wenn eine größere Investition ansteht, Markt ausreichend wettbewerbsfähig Gemeinschaft. Niemand widerspricht nimmt man einen Kredit auf. Bevor sein. Griechenland ist das nicht! heute noch ernsthaft, wenn Griechen- man investiert, wird gerechnet: Kann Zu den ökonomischen Gesetzmä- land bescheinigt wird, sich in die Euro- Diese Frage ist nicht nur praktischer ich die Raten für den Kredit auch zah- ßigkeiten gehört auch, dass sich in ei- zone hineingemogelt zu haben. Auch Natur, sondern hat eine verfassungs- len? Wer allerdings der Versuchung nem gemeinsamen Währungs- und mit Beihilfe durch Dritte! Der Vorwurf rechtliche Dimension: Das Grundgesetz nicht widersteht und zu dem einen Wirtschaftsraum ohne dauernde Kon- frisierter Kennzahlen steht genauso im – und das hat das Bundesverfassungsge- Kredit noch weitere aufnimmt, ohne trolle und Durchsetzung der gemeinsa- Raum wie die Diagnose, dass in Grie- richt jüngst bestätigt – setzt der Über- sich Gedanken zu machen, wie er die men Regeln die Krankheit Überschul- chenland die Löhne der Produktivität tragung von Souveränitätsrechten Zinsen dafür zahlt, verliert den Über- dung ausbreiten kann und dann die Sta- meilenweit vorauseilen. So gesehen war Deutschlands nach Brüssel enge Gren- blick. Im Mittelalter war die Folge der bilität des Euro insgesamt in Gefahr Griechenland weder ehrlich genug ge- zen. Weil wir die Rettung des Euro nicht Schuldnerturm, heute die Insolvenz. bringt. Das Grundübel Nummer Eins genüber den eigenen Bürgern noch ge- auf die lange Bank schieben können, Dieser Grundmechanismus, den wir bleibt uns nichts anderes übrig, als auf mit dem Verhalten der „schwäbischen Das überschuldete Griechenland steht am Rande der Insolvenz. dem Boden des Grundgesetzes zu han- Hausfrau“ – oder vornehmer ausge- deln. drückt des „redlichen Kaufmanns“ – Nationale Souveränität und ge- beschreiben, gilt auch für Staaten. meinschaftliches Vorgehen zur Lösung Griechenland und andere Schulden- gemeinsamer Probleme schließen sich sünder haben sich leichtsinnig oder so- nicht aus. Das Beispiel Griechenland gar sehenden Auges an den Rand oder zeigt: Auch bei einem Staat, der bis sogar mitten hinein in die Insolvenz zum Hals in Schwierigkeiten steckt gebracht. Was bei der schwäbischen und ohne tatkräftige und solidarische Hausfrau und dem redlichen Kauf- Hilfe der Gemeinschaft nicht überle- mann nicht gut geht, kann auch bei bensfähig ist, muss sich all das, was Staaten nicht gelingen. Der Euro hat notwendig zur Rettung ist, an der Ach- dem Euroraum eine einheitliche Wäh- tung der nationalen Souveränität mes- rung gebracht und ein niedrigeres sen lassen. Dieser Aspekt ist es, der der Zinsniveau. Griechenland hat nach (kurzen) Überlegung einer Volksab- dem Beitritt zur Währungsunion nur stimmung in Griechenland wohl zu- noch einen Bruchteil der Zinsen be- grunde gelegen haben mag und der zahlen müssen, den es früher aufwen- letztendlich zu einer neuen griechi- den musste, wenn sich das Land am schen Regierung geführt hat. Es geht Kapitalmarkt bedient hat. Dieses süße also darum, nationale Souveränität und gemeinschaftliche Verantwortung unter einen Hut zu bekommen und da- Solides Wirtschaften ist die GRUNDLAGE rum, welche (neuen) Werkzeuge wir für eine funktionierende Gemeinschafts- dafür benötigen. währung. Bildnachweis: AFP / Getty Images 22 POLITISCHE STUDIEN // 440 FOKUS

genüber seinen Partnern. Wenn wir Automatische Durchsetzung von darf es keiner neuen Organe oder der 3. Eigentum verpflichtet – kei- über Instrumente zur Überwindung der Maßnahmen im Zusammenhang mit Übertragung von Souveränitätsrech- ne Steuergelder zur Rettung der Krise sprechen, müssen wir direkt bei dem Stabilitätspakt ten auf europäischer Ebene. Was wir Casinos der Verschuldung ansetzen und bei der Die Erfahrung bisher zeigt, dass der Sta- brauchen, ist ein System, das dafür In den Diskussionen um die Europäi- Ehrlichkeit. Das bedeutet schlicht und bilitätspakt als Instrument stabilitäts- sorgt, dass jeder Mitgliedstaat selbst sche Finanz- und Stabilitätsfazilität einfach: orientierter Fiskal- und Währungspoli- seine Hausaufgaben macht. Dreh- (EFSF) und den Europäischen Stabili- tik gedacht war, Spielräume bei der Fest- und Angelpunkt eines solchen Sys- tätsmechanismus (ESM) der letzten Gemeinsamer Konsens zur Konsoli- legung von Maßnahmen dem politi- tems sind wirksame und unvermeid- Wochen ist viel die Rede von „Hebeln“. dierung der nationalen Haushalte schen Handeln gegen die währungspoli- bare Schuldenbremsen. Nur eine Mit Hebeln soll die Effektivität der ein- Solange abstrakt diskutiert wird, be- tische Vernunft aber Tür und Tor geöff- Schuldenbremse, die national veran- gesetzten Mittel der Rettungsschirme steht weitgehend Einigkeit, dass Über- net haben. Wir brauchen deshalb klare kert ist, kann nachhaltige Wirkung gesteigert werden. Das Problem ist nur, schuldung nationaler Haushalte zu den Regeln und klare Automatismen zur entfalten. Eine von außen verordnete dass die „Hebel“ keine Erfindung der Kernursachen der gegenwärtigen Krise Durchsetzung von Maßnahmen und stößt spätestens bei der Frage von Schutzschirme gegen Finanzkrisen sind. gehört. Diesen abstrakten Konsens keine „politischen Rabatte“. Sünder Sanktionen für Verstöße an die Gren- Genau umgekehrt ist auf den internatio- müssen wir in ganz Europa konkret dürfen nicht über Sünder richten, sonst ze der Akzeptanz. nalen Finanzmärkten eine ganze Reihe dazu nutzen, jetzt einen Fahrplan zum gibt es immer Straffreiheit. von „Hebeln“ am Werke, die zur Auslö- dauerhaften Abbau der Schuldenlast in Wirksame wirtschaftliche Zusam- sung, zur Befeuerung und zur Beschleu- jedem Mitgliedstaat zu entwerfen: Wir menarbeit und Koordinierung der nigung der internationalen Finanz- und brauchen klare und erreichbare Ziele in Austritt aus der Eurozone als Ulti- Wirtschaftspolitiken der Euro- Wirtschaftskrise entscheidend beigetra- nationaler Regie, aber in gemeinsamer ma Ratio Staaten gen haben. hat diesen europäischer Verantwortung! Klar muss sein, dass massive und nach- In einem gemeinsamen Währungs- Wirkmechanismus in einem Interview haltige Verstöße gegen Regeln im Eu- raum ist die Frage, ob ein Mitglied- mit der Bild am Sonntag plastisch mit Schärfung des Stabilitäts- und roraum, die schwerwiegende Konse- staat sich wirtschaftlich dynamisch folgenden Worten dargestellt: „Früher Wachstumspakts quenzen für die Gemeinschaft haben, entwickelt oder Stillstand hinnimmt, war unsere Sorge, dass die Verfügungs- Entscheidende Ausstattung für den auch zu schwerwiegenden Konsequen- keine Frage, die sich nur auf den jewei- gewalt über unser Eigentum durch den Euro war bei seiner Geburt der Stabili- zen für den Sünder führen müssen. Als ligen Mitgliedstaat beschränkt. Das Sozialismus eingeschränkt oder beendet täts- und Wachstumspakt als Anker für Ultima Ratio muss auch ein Ausschei- gemeinsame Ja zum Euro beinhaltet wird. Heute geht die Gefahr von ganz das Versprechen einer „harten“ Wäh- den aus der Eurozone möglich sein. das Bekenntnis zu einer dynamischen anderen Kollektiven aus: Immer mehr rung. Allein die Zahl von fast 100 weit- wirtschaftlichen Entwicklung. Dafür Eigentum wird von der Verantwortung gehend sanktionslosen Verstößen gegen Frühzeitige und enge haushaltspo- muss in den Mitgliedstaaten mit den des Einzelnen gelöst, durch Verbriefun- die Regeln des Paktes seit Einführung litische Überwachung und Abstim- Werkzeugen der Wirtschaftspolitik gen kollektiviert und anonymisiert, ver- des Euro zeigt, dass das von allen abge- mung / nationale Schuldenbremse hingearbeitet werden. Weil die Folgen pfändet, in Kreditgarantien und Wetten gebene Stabilitätsversprechen bislang Wenn erst einmal die Überschuldung der Wirtschaftspolitik nicht auf den für den Untergang von Banken, Konzer- ein zahnloser Papiertiger geblieben ist. in einem Mitgliedstaat auf ein Maß einzelnen Mitgliedstaat bezogen sind, nen und ganzen Staaten verwandelt und Die Hinnahme permanenter Verstöße gestiegen ist, dass es die Eurozone bedarf es der engen gegenseitigen Ko- so um die Börsen der Welt gejagt. Dieser war schädlich für die europäische Stabi- insgesamt in Schwierigkeiten bringt, ordination. Koordination verlangt neue Kollektivismus ist nicht – wie da- litätskultur und hat entscheidend zur ist es für Maßnahmen zur Gegensteu- aber nicht die Kompetenzübertragung mals – in Moskau, sondern in Manhat- Verfestigung der Überschuldung einiger erung eigentlich schon zu spät. Zu- auf Europäische Institutionen. Hier tan zu Hause. Aber er bedroht in glei- Mitgliedstaaten des Euroraums geführt. mindest wird es für alle sehr, sehr teu- gilt, was ich vorher gesagt habe: Was cher Weise die Eigentumsrechte der Nur wenn die Rückbesinnung auf die er, wie wir jetzt gerade sehen. Die bis- sinnvoll ist, darüber muss man sich in Bürger, vor allem die Verantwortung für konsequente Einhaltung der von den herigen Erfahrungen zeigen, dass wir der Währungsunion abstimmen. Ver- das Eigentum.“ Eurostaaten gemeinsam eingegangenen Steuerungsinstrumente brauchen, die antworten aber muss das, was not- Einen Wettlauf gegen solche Markt- Verpflichtungen gelingt, wird der Euro für Haushaltsdisziplin in den Euro- wendigerweise getan wird, jeder ge- mechanismen wird die Politik mit Ret- die in ihn gesetzten Erwartungen einer staaten sorgen. Prävention ist besser genüber seiner eigenen Bevölkerung tungsschirmen und Hebeln für Ret- stabilen Leitwährung erfüllen können. und billiger als Reparatur. Dafür be- selbst! tungsschirme auf Dauer nicht gewinnen

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können, wenn sie die Regeln auf den Fi- Wirtschaftskrise einzudämmen. An gezielte Manipulationen. An den Börsen nanzmärkten nicht ändert. Um es klar den Grundursachen hat sich seither kommt es zu Gewinnen und Verlusten zu sagen: Mir geht es nicht um wohlfeile Wir brauchen Mechanismen und aber nichts grundlegend geändert. Eine ohne reale Wertschöpfung. Das einge- Pauschalkritik an den Finanzmärkten. Regeln, die Schutz gegen SPEKULA- zweite oder gar dritte Welle wird keine setzte Kapital hat sich weitgehend virtu- Finanzmärkte sind weder gut noch TIONEN bieten, die aus dem Ruder Nation dieser Welt abschirmen kön- alisiert. Hier müssen wir ansetzen. böse. Sie funktionieren schlichtweg laufen. nen. Denn das wirksamste Regulativ Derjenige, der in der Hoffnung auf nach dem Marktmechanismus Chance am Markt, nämlich „die Haftung“, ist eine hohe Rendite große Risiken ein- und Risiko. Unsere Wirtschaftsord- seit der Erfi ndung der „Systemrele- geht, der allein muss auch dafür gerade- nung braucht den Mut zum Risiko, das vanz“ außer Kraft gesetzt. Musste frü- stehen, wenn sich nicht die Renditeer- Vertrauen auf Chancen. Wir brauchen her derjenige den Schaden tragen, bei wartung, sondern das Risiko erfüllt. auch spekulative Geschäfte, wohl sogar dem ein riskantes Geschäft zu Verlus- Geldinstitute, die hohe Risiken einge- hoch spekulative. Solange sich Chance ten geführt hat – er hat ja auch den hen, müssen notfalls Pleite gehen kön- und Risiko in gleicher Verantwortung Erfolgreiche Politik für die Men- Nutzen –, gilt heute das Motto: Geht es nen, ohne dass dadurch Volkswirtschaf- bei den Marktteilnehmern befi nden, schen wird nicht daran gemessen, ob gut, steigt die Rendite, läuft es schlecht, ten in Schiefl age geraten. Deshalb: also der Spekulant auch selbst dafür ge- sich die Politik erfolgreich mit den richtet es der Rettungsschirm. Die rade steht, wenn sich nicht die Chance, Märkten misst, sondern ob sie in der Überschuldung und Vergemeinschaf- Trennung von Kreditgeschäft und sondern das Risiko realisiert, ist das Lage ist, Marktregeln durchzusetzen, tung von Schulden ist ein Problem der Investmentbanking System in der Balance. Schwierig wird die wirtschaftliche Prosperität zu för- Eurozone, die Sozialisierung von Ver- Ein Großteil der Probleme auf den Fi- es aber, wenn Spekulation zum reinen dern und Gefahren für das Gemeinwe- lusten das Problem auf den Finanz- nanzmärkten, vor allem aber die Sys- Selbstzweck wird und durch Wetten auf sen und das Eigentum zu begrenzen. märkten. Ohne energische Eingriffe in temrelevanz von Marktstörungen, er- den Finanzmärkten jeder Bezug zur Re- Zuletzt ist der Politik das nicht – nicht das Portfolio der Finanzgeschäfte, gibt sich daraus, dass hochrisikobehaf- alwirtschaft verloren geht – und dann mehr – gelungen, weltweit nicht! Wir ohne stärkeres Wertegerüst für die in- tete Geschäfte auf den Finanzmärkten noch über die „Systemrelevanz“ die So- haben diese Diskussion schon unmittel- ternationalen Finanzmärkte wird es schlichtweg aus dem Ruder gelaufen zialisierung von Verlusten betrieben bar nach Beginn der internationalen Fi- nicht gelingen, das Schwungrad des sind. Nirgendwo steht geschrieben, dass wird. Dieser Teil der Finanzmärkte ist nanz- und Wirtschaftskrise 2008 be- Turbokapitalismus zu stoppen. Da wir Steuergelder unserer Bürgerinnen mit dem Begriff „Casino“ gut beschrie- gonnen, aber nicht zu Ende geführt. Wir werden einige wenige kosmetische Kor- und Bürger einsetzen müssen, um die ben. Und hier müssen wir Mechanis- können den Casinoteil der Finanzmärk- rekturen nicht reichen. Verluste aus waghalsigen Spekulations- men einziehen, die das verhindern. te nicht mit Geld in die gewünschte Wir sollten das Ganze durchaus geschäften abzudecken. Wir sollten in- Denn wir haben es in diesem Bereich Richtung hebeln, aber die Märkte brau- auch einmal grundsätzlich betrachten: ternational zu der in den USA und mit internationalen Finanzmärkten zu chen Regeln. Ja, wir müssen den Märk- Ein Großteil der schädlichen Wirkun- Großbritannien früher bewährten Tren- tun, denen ein Wertegerüst fehlt. Das ten Leitplanken und „Verkehrsregeln“ gen auf den internationalen Finanz- nung von Investmentbanking und Pri- Streben nach Profi t ist zwar an sich nicht geben! Internationale Finanztransakti- märkten ergibt sich daraus, dass Rendi- vatbankengeschäft (zurück-)kommen. unanständig – im Gegenteil. Profi tstre- onssteuer, Trennung von Kreditgeschäft te und Risiken, Verantwortung und Das wäre ein wesentlicher Schritt, Risi- ben ist der Motor unserer Wirtschafts- und Investmentbanking, notfalls das Chancen auseinanderfallen, dass sich koverantwortung und Renditeerwar- ordnung. Profi tstreben ohne Wertefun- Verbot bestimmter hoch spekulativer das Handelsvolumen dramatisch ver- tung wieder zusammenzuführen. dament oder zumindest ohne klare Geschäfte, Änderung von Kapitalisie- größert und die Geschwindigkeit der Schranken aber wird zur Gefahr. Die rungsvorschriften usw. Ein breites Ins- Transaktionen radikal beschleunigt ha- Strikte und risikogestaff elte Eigen- Sozialbindung des Eigentums und die trumentarium an neuen Regeln ist in ben. Durch das schnelle, oft auch auto- kapitalvorschriften Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft der Diskussion, aber an der Entschlos- matisierte Handelsgeschehen wachsen Wenn der Deutschland-Chef von Gold- sind die Instrumente, die die Gefahr un- senheit und einem internationalen Kon- die Volatilität und die Anfälligkeit gegen man Sachs, Alexander Dibelius, sagt: gezügelten Profi tstrebens zum Wohle sens, solche Werkzeuge auch einzuset- „Banken haben keine Verpflichtung, der Gemeinschaft in Schach halten. Nur zen, mangelt es. das Allgemeinwohl zu fördern“, so ist wirken diese Instrumente auf den Casi- Mit enormen Anstrengungen welt- Risikoverantwortung und Renditeer- dies eine denkbare Variante. Aber dann noteil der internationalen Finanzmärkte weit ist es gelungen, 2008 die erste wartung müssen wieder ZUSAMMENGE- dürfen diejenigen, die hochspekulative ganz offensichtlich nicht (mehr). Welle der internationalen Finanz- und FÜHRT werden. Geschäfte betreiben, auch nicht erwar-

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ten, dass ihr Eigennutz und dessen Ri- Einfl uss der Ratingagenturen neu • wir begreifen den Euro als das, was er siken durch den Steuerzahler abge- hinterfragen ist: eine gemeinsame Binnenwährung schirmt werden. Denn die Rettungs- Es ist schon verblüffend, ja eigentlich er- eines gemeinsames Binnenmarktes schirme sind nicht dazu da, beim schreckend: Mit Selbstverständlichkeit und kein politisches Instrument zur Glücksspiel im internationalen Finanz- haben die Ratingagenturen faule ABS- Beschleunigung der Europäischen In- Casino zu helfen, sondern das Banken- Papiere aus den USA mit besten Ratings tegration. Der Euro kann die europäi- system zur Versorgung der Realwirt- ausgestattet und kurz darauf diejenigen, sche Integration förderlich begleiten, schaft mit Liquidität aufrechtzuerhal- die auf dieses Rating vertraut haben, aber taugt nicht als Motor oder Steuer- ten. Wir brauchen Rettungsschirme, postwendend heruntergestuft. Wir rad. /// um Volkswirtschaften vor dem Zusam- müssen darüber nachdenken, Rating- menbruch zu retten. Wir müssen dafür agenturen künftig zu mehr Sorgfalt an- sorgen, dass die „Systemrelevanz“ von zuhalten, auch dadurch, dass sie die Banken die absolute Ausnahme ist. Verantwortung für eigenes Versagen un- Dazu ist eine deutliche Erhöhung der mittelbar zu spüren bekommen – not- Eigenkapitalvorschriften, angelehnt an falls bis hin zu Haftungsregeln. das Risiko der Geschäfte, notwendig. Es muss künftig der Vergangenheit an- Fazit /// HORST SEEHOFER gehören, dass Spekulanten mit dem Die Europäische Integration wird vor- ist seit Oktober 2008 Bayerischer Minis- Einsatz minimalen Eigenkapitals maxi- anschreiten – aber (auf lange Sicht) nicht terpräsident male Hebel auf den Finanzmärkten an- in Vereinigte Staaten von Europa mün- setzen können. den. Europa schöpft seine Kraft aus der Anmerkung gemeinsamen Europäischen Idee und * Redaktionsschluss für den vorliegenden Beitrag Finanztransaktionssteuer den unterschiedlichen nationalen Iden- war der 16.11.2011. Ich bleibe dabei: Eine maßvolle Besteu- titäten im gemeinsamen Haus Europa. erung von Finanztransaktionen ist ge- Der Euro wird Bestand haben, wenn recht und sinnvoll. Für den Verkauf wir ihn entschlossen verteidigen gegen von Waren und Dienstleistungen ist Gefahren von außen und innen. Umsatzsteuer fällig. Jede Babynah- Als Gemeinschaftswährung wird rung, jede Kaffeemaschine, jedes U- der Euro auch seinen Beitrag leisten zur Bahn-Ticket ist mit Umsatzsteuer be- Europäischen Integration, vorausge- legt. Das ist weltweit Übung und allge- setzt: mein akzeptiert. Nur auf den Finanz- • die Mitgliedstaaten des Euroraums er- märkten leisten wir es uns bislang, dass ledigen ihre Hausaufgaben, d. h. sie Umsätze dort nicht der Steuer unterlie- halten ihre Staatsfinanzen in Ordnung gen. Steuerfreies Handeln ist system- und ihre Wirtschaft wettbewerbsfä- widrig, beschleunigt das Umsatzge- hig; schehen auf den Märkten und damit • es gelingt, die Einhaltung der Stabili- die Schwankungsanfälligkeit der tätskriterien dauerhaft durchzusetzen Märkte und begünstigt hochrisikorei- und Fehlverhalten zu bestrafen; che Geschäfte. Eine Finanztransakti- • es gelingt, Risiko und Verantwortung onssteuer wäre geeignet, Auswüchse zu auf den Finanzmärkten ausnahmslos begrenzen, Tempo herauszunehmen, wieder zusammenzuführen; die Haf- und würde zudem Mittel generieren, tung für hochriskante Geschäfte kann die zur Bewältigung von Schieflagen und darf nicht auf die Steuerzahler ab- auf den Märkten gebraucht werden. gewälzt werden;

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gen, für Kapital und Arbeitnehmer, der Wie es zum Euro kam Vertrag von Maastricht mit der Wirt- Schon bald nach dem Krieg nahm die schafts- und Währungsunion, die Verträ- Exportabhängigkeit der deutschen ge von Amsterdam und Nizza, die Ost- Wirtschaft infolge ihres vergleichsweise Erweiterungen der Union, die Grund- hohen Industrieanteils stark zu. Des- rechte-Charta und der Verfassungsver- halb war Deutschlands Wirtschaft im- trag bzw. der Vertrag von Lissabon. mer an möglichst stabilen Wechselkurs- /// Projekt Europa Maastricht stellte einen Quanten- verhältnissen interessiert. Was in der sprung dar. Ziel war die Fortsetzung der heutigen Diskussion vergessen wird: BISHERIGE ENTWICKLUNG UND Integration von der früheren EWG bzw. Eine völlig flexible D-Mark gab es nur in EG zu einer echten politischen Union. kurzen Perioden. AKTUELLE HERAUSFORDERUNGEN Die Währungsunion stellt dabei die Bis Anfang der 70er-Jahre war die Krönung bzw. das monetäre Dach des D-Mark Mitglied des Währungssystems schrankenlosen Binnenmarkts dar. von Bretton Woods. Nach dessen Schei- THEO WAIGEL /// Mit dem Projekt der europäischen Integration zogen die Grün- Gleichzeitig bildet die Einheitswährung tern errichteten die Europäer einen dungsväter wie Adenauer, Strauß, Monnet, Spaack und de Gasperi die historische mit der Abgabe der nationalen Souverä- Währungsverbund und anschließend Lehre aus dem Scheitern des Nationalstaates der vergangenen Jahrhunderte. nität in der Geldpolitik ein irreversibles eine Währungsschlange. Beide waren Ziel war die friedliche Neuordnung des Alten Kontinents auf der Grundlage von Element für die weitere Integration. ebenso erfolglos wie die Initiative des Freiheit und Demokratie sowie in den 50er-Jahren die Errichtung eines west- europäischen Blocks als Gegenpol zum Sowjet-Imperialismus. Der am 7. Februar unterzeichnete Vertrag von Maastricht stellte mit der Einführung einer europäischen Währungsunion in Form des Euro einen Meilenstein für die Europäische Union dar.

Rückblick Globalisierung der Güter- und Finanz- Die europäische Gemeinschaft märkte hinzu, die Europa vor die Her- Die europäische Integration verstand ausforderung stellte, die weltweite Wett- sich von Anfang an als Gegenentwurf bewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft si- zum Nationalstaat. Durch die Bünde- cherzustellen. Europa gründete von lung der politischen Kräfte wurden eine Anfang an in den Gemeinsamkeiten der Erhöhung des Wohlstands und eine bes- Mitglieder im Bereich der Geschichte, sere Sicherheit des alten Kontinents an- der Kultur und des Wertebewusstseins. gestrebt. Darüber hinaus sollte die Inte- Die wichtigsten Etappen der bisheri- gration in einer zunächst bipolaren und gen Entwicklung sind der Schumann- später multipolaren Welt Europa zu ei- Plan und die Gründung der Montan-Uni- nem Akteur auf der Bühne der Weltpoli- on, die Verabschiedung der Römischen tik machen. Auch wenn primär als poli- Verträge, die Errichtung einer Zoll-Union tisches Projekt verstanden, entwickelte und eines Gemeinsamen Marktes im sich die ökonomische Integration zur Wirtschafts- und Agrarbereich, die Ver- wichtigsten Antriebskraft und zum Ka- tiefung der Zusammenarbeit durch die talysator für die politische Zusammen- Einrichtung des Europäischen Rats und arbeit. In den folgenden Jahrzehnten er- der Direktwahl des Parlaments, die Aus- hielt die Integration einen neuen Schub weitung der Gemeinschaft in mehreren durch die Zunahme der Zahl grenzüber- Erweiterungsrunden, die Verabschie-

schreitender Probleme vom Umwelt- dung der Europäischen Akte mit dem Bildnachweis: picture alliance / dpa schutz bis zur Verbrechensbekämpfung. Projekt eines einheitlichen Binnenmark- Schließlich kam in den 80er-Jahren die tes ohne Grenzen für Güter und Leistun-

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luxemburgischen Ministerpräsidenten Bundesbank. Der Sitz der EZB in Frank- Der Euro hat sich bisher bewährt, die Überwindung der Rezession. Im Sonder- Werner zur Einführung eines gemeinsa- furt ist mehr als ein Symbol. AUFWEICHUNG der Stabilitätskriterien, fall Griechenland haben die Euro-Mit- men Währungssystems. Dies gelang erst Für Deutschlands Wirtschaft ist die v. a. durch Deutschland und Frank- glieder mit Unterstützung der Gemein- mit dem sogenannten Europäischen Gemeinschaftswährung von erheblicher reich, führten jedoch zu der aktuellen schaft und des IWF ein bilaterales Kre- Währungssystem (EWS), das verhält- Bedeutung, denn sie weist eine Export- Staatsschuldenkrise. dithilfeprogramm auf den Weg gebracht. nismäßig enge Bandbreiten für Wech- quote von gut 40 % aus. Mithin hängen Nach den jüngsten Beschlüssen des Ra- selkursschwankungen vorsah und die Wohlstand und soziale Sicherheit in tes wird dieses Programm bei gleichzeiti- Mitglieder zu Interventionen auf dem starkem Maße vom Außenhandel ab. lar ist der Euro heute mit einem Anteil ger Verschärfung der Konsolidierungs- Devisenmarkt und zur Bereitstellung Rund 50 % der deutschen Exporte fl ie- von etwa 27 % die zweitwichtigste glo- auflagen für Griechenland ausgeweitet. von Beistandskrediten in Spannungszei- ßen in die Euro-Zone, über 60 % der bale Reservewährung. Nachdem im Sommer 2010 neuerliche ten verpfl ichtete. Nachdem über 20 Exporte entfallen auf die gesamte EU. Durchwachsen fällt die Zwischenbi- Spannungen auftraten mit der Gefahr ei- Wechselkursanpassungen erforderlich Dabei sind die nicht der Euro-Zone an- lanz in der Haushaltskonsolidierung nes erneuten Flächenbrandes im Finanz- waren, wuchs die Einsicht, dass ein ein- gehörenden EU-Mitglieder über den so- aus, die nach dem Vertrag von Maast- sektor, wurde der Euro-Rettungsschirm heitlicher Binnenmarkt für 15 und mehr genannten Wechselkursmechanismus II richt immer noch in nationaler Verant- (EFSF) aufgelegt. Gedeckt durch Garan- Mitglieder des gemeinsamen Marktes an den Euro gekoppelt. Die bayerische wortung bleibt. Die Nationalstaaten tien der Euro-Mitglieder stellt der Kri- nur durch eine gemeinsame Währung Landwirtschaft würde bei einer Auf- sind weiterhin verantwortlich für ihre senfonds bedrohten Ländern, bisher machbar war. Die Einführung des Euro wertung von 20 % etwa 750 Mio € Ein- Haushaltspolitik. Ihre Souveränität in Portugal und Irland, Kredite zu tragfähi- war mithin kein Akt europabesessener kommensverluste erleiden. Die bayeri- der Steuer- und Ausgabenpolitik ist un- gen Konditionen zur Verfügung, wenn Politiker, sie ergab sich vielmehr aus sche Exportwirtschaft hätte eine Einbu- umschränkt, mit der Ausnahme, dass diesen Krisenstaaten der Zugang zu den ökonomischen Zwängen. ße von 20-30 Mrd. € zu verzeichnen. Die die Defi zite den Vorgaben des Stabili- Kreditmärkten versperrt bleibt. Da in Deutschland die D-Mark Teil Wachstumsverluste in Deutschland tätspakts genügen müssen. War der zu- Nachdem sich abzeichnete, dass eine der nationalen Identität war, war das werden auf ca. 3 % geschätzt. sammengefasste Haushalt aller Euro- kurzfristige Stabilisierung der Krisen- vorrangige Ziel der deutschen Europa- Mitglieder noch um die Jahrtausend- staaten nicht möglich ist, wurde eine politik der Export der Stabilitätsphilo- Die Euro-Zwischenbilanz wende ausgeglichen, änderte sich dies in Einigung über ein Gesamtpaket zur Sta- sophie der Bundesbank auf den künfti- Die Zwischenbilanz des Euro nach zehn den Folgejahren rapide. Als Defi zitsün- bilisierung der Euro-Zone vereinbart, gen einheitlichen Währungsraum. Die Jahren fiel überaus positiv aus. Die In- der taten sich insbesondere Deutsch- das mehrere Elemente umfasst, nämlich Beitrittskriterien hinsichtlich Haus- flationsrate lag deutlich unter 2 %, wo- land und Frankreich hervor, auf deren eine Verschärfung des Stabilitätspakts, haltsdefi ziten, Schuldenständen, Zins- mit der Euro bislang stabiler als die D- Initiative der Stabilitätspakt dann aufge- eine frühzeitige Überwachung der niveau und die Infl ationsraten trugen Mark war. Seit Einführung des Euro weicht wurde. Dies war offenbar für die Haushaltspolitik, eine Überwachung die deutsche Handschrift. Der Europäi- bewegen sich die Zinsen in der Euro- kleineren Euro-Mitglieder am Rande der makro-ökonomischen Entwicklung, sche Stabilitätspakt geht auf Initiative Zone auf einem historisch niedrigen Ni- der Euro-Zone ein willkommenes Sig- eine bessere Abstimmung der Wirt- Deutschlands zurück. Das Statut der veau, zuletzt auch infolge der globalen nal, um zu einer expansiven Schulden- schaftspolitik, jedoch mit ausdrückli- Europäischen Zentralbank (EZB) ist Finanzkrise. Der Außenwert des Euro politik zurückzukehren. Hier liegt eine chem Verzicht auf eine europäische noch strenger als das frühere Statut der durchlief zunächst eine zweijährige der wichtigsten Ursachen für die aktuel- Wirtschaftsregierung, mit dem Ziel ei- Schwächephase. In den Jahren nach le Staatsschuldenkrise. ner Stärkung der internationalen Wett- Ausbruch der Finanzkrise und auch der bewerbsfähigkeit sowie ein dauerhafter Staatsschuldenkrise lag der Außenwert Herausforderungen Europäischer Stabilitätsmechanismus des Euro gegenüber dem US-Dollar stets Die Staatsschuldenkrise (ESM) als Fortentwicklung des bisheri- Die Beitrittskriterien sowie die Stabi- über seinem Anfangskurs von 1,18. Au- Die Staatsschuldenkrise hat zwei Ursa- gen Rettungsschirms, was in etwa auf litätsphilosophie der europäischen genblicklich liegt er über der Grenze von chen, zum einen die Lockerung des Sta- die Errichtung eines Europäischen Währungsunion hat DEUTSCHLAND 1,40 und damit umgerechnet nicht weit bilitätspakts, zum anderen die kreditfi- Währungsfonds hinausläuft. maßgeblich mitbestimmt. weg vom Allzeithoch der D-Mark ge- nanzierten Maßnahmen der Staaten zu- Die CSU trägt die bisherigen Maß- genüber dem US-Dollar. In nur wenigen nächst zur Unterstützung ihrer von der nahmen zur Bewältigung der Schulden- Jahren hat sich die EZB einen hervorra- globalen Finanzkrise betroffenen Ban- krise und zur Stabilisierung der Euro- genden Ruf erworben. Neben dem Dol- kensektoren und anschließend zur Zone mit, um eine Ansteckung weiterer

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und die damit übernommenen Risiken und möglichen Belastungen für den Die wachsende Zahl von Krisenstaa- Steuerzahler haben vermutlich die Euro- ten ERFORDERTE die Ausweitung der paskepsis nicht nur im Wählerspektrum Stabilisierungsmaßnahmen sowie die der CSU verschärft. Allerdings blieben Einrichtung eines dauerhaften Ret- die Kritiker praktikable und erfolgver- tungsschirmes. sprechende Alternativen schuldig. Wer /// Gefahrenzone Europa die Gemeinschaftswährung infrage stellt, verkennt die damit verbundenen Folgen. Infolge der hohen Exportabhän- DER EURO IN DER KRISE? gigkeit ist Deutschlands Industrie bis weit in den Mittelstand hinein auf kal- GEORG FAHRENSCHON /// Mitglieder der Euro-Zone und einen kulierbare Wechselkurse angewiesen. Der Euro und die weitere Entwicklung Europas sind neuerlichen Flächenbrand auf den Fi- Ein schrankenloser Binnenmarkt mit entscheidend für unsere Zukunft und den Wohlstand in Deutschland und Bayern. nanzmärkten zu verhindern. Sie lehnt frei fl oatenden Wechselkursen ist nicht Die momentane Krise ist eine Schuldenkrise einiger Mitgliedstaaten der Eurozo- jedoch alle Schritte in Richtung eines machbar. Frei fl exible Wechselkurse ne, aber keine Krise des Euro. Zur Bewältigung ist insbesondere die Stärkung des Haftungsverbundes und einer Transfer- würden zu einer massiven Aufwertung Stabilitäts- und Wachstumspakts erforderlich. Abzulehnen sind weitere Schritte Union in Anlehnung an einen Finanz- der D-Mark mit überaus hohen Export- in Richtung einer Transferunion. ausgleich ebenso ab wie die Emission und Arbeitsplatzverlusten führen. Eine sogenannter Euro-Bonds. Rückkehr zum früheren EWS empfi ehlt sich ebenfalls nicht. Die damals mit Vor dem Hintergrund der in den letzten Vorgang. Nach den furchtbaren Ge- Euroskepsis Kursanpassungen verbundenen politi- zwei Jahren ganz Europa erschütternden schehnissen in der ersten Hälfte des Nicht erst seit dem Ausbruch der Staats- schen Spannungen hatten zuletzt Aus- Staatsschuldenkrise kommen immer letzten Jahrhunderts, als sich die euro- schuldenkrise hat die Europabegeiste- maße erreicht, die die Pfeiler der Union mehr kritische Stimmen auf, die die Ein- päischen Völker in zwei Weltkriegen bis rung in den meisten Staaten, vor allem zu beschädigen drohten. führung des Euro als eine der größten aufs äußerste bekämpft haben und Mil- in Deutschland, erheblich abgenommen Die Europaskeptiker vergessen, Fehlentscheidungen der deutschen Politik lionen von europäischen Bürgern ihr Le- und Diskussionen über den weiteren welch grundlegende Erfolge mit der eu- in den letzten Jahrzehnten brandmarken. ben lassen mussten, ist es der Generati- Weg der Integration ausgelöst. ropäischen Integration bis heute ver- Die Kritiker weisen darauf hin, Deutsch- on unserer Väter und Großväter nicht Die CSU verstand sich seit ihrer bunden sind. Erstmals seit Jahrhunder- land hätte das „Erfolgsmodell D-Mark“ hoch genug anzurechnen, dass sie mit Gründung als Partei mit europäischer ten ist Kerneuropa eine Zone des Frie- niemals aufgeben und sich dadurch in der Europäischen Integration ein Mittel Verantwortung. Sie war an allen grund- dens. Die wirtschaftliche Integration eine Abhängigkeit von anderen Staaten gefunden haben, zu einer friedlichen legenden Weichenstellungen der Inte- hat in allen Mitgliedstaaten zur Schaf- der Eurozone und von anderen Europäi- und nutzbringenden Zusammenarbeit gration maßgeblich beteiligt. Noch das fung von Arbeitsplätzen und zur Steige- schen Institutionen begeben dürfen. Da- der europäischen Staaten zu gelangen. letzte Grundsatzprogramm unter rung des Wohlstands beigetragen. Eine bei wird freilich verkannt, welche gravie- Die CSU hat die Europäische Einigung Strauß enthielt das Bekenntnis zu den positive Mehrwert-Bilanz der Integrati- renden Vorteile Deutschland und gerade immer nach Kräften unterstützt und Vereinigten Staaten von Europa. Spätes- on lässt sich nicht bestreiten. /// auch Bayern aus der Einführung des Euro sich für die West-Integration und die tens nach Einführung der Gemein- gezogen haben. Um dies besser zu verste- feste Einbindung Deutschlands in das schaftswährung erlahmte aber auch in hen, ist es von entscheidender Bedeutung, freie Europa stark gemacht. Darüber hi- der CSU die Begeisterung für Europa. sich zunächst die Entstehungsgeschichte naus erkannten bereits die Gründer der Den seitherigen Kurs könnte man als der Europäischen Einigung und des Euro EWG, dass Europa in wirtschaftlicher „kritisch-konstruktiv“ bezeichnen. Den noch einmal zu vergegenwärtigen. Hinsicht auf lange Sicht nur dann eine Weg im Gefolge von Maastricht hat die Chance hat, wenn die europäischen CSU stets mitgetragen, dabei jedoch Geschichtlicher Hintergrund Staaten ihr Potenzial vereinigen und mit Fehlentwicklungen kritisiert. /// DR. THEO WAIGEL Die Europäische Einigung ist ein in der gemeinsamer Stimme auf dem Welt- Die aktuellen Staatsschuldenkrisen Bundesminister a. D., Anwalt europäischen Geschichte einmaliger markt sprechen.

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bank nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank unabhängig und allein der Mit der AUFWEICHUNG der strengen Stabilität verpfl ichtet sein muss. Bereits Bildnachweis: picture alliance Stabilitätskriterien unter der Regie- damals sah man die Gefahren, die von rung Schröder zur Umgehung eines einer zu laxen und nicht allein der Stabi- Defizitverfahrens wurde die Basis lität verpfl ichteten Geldpolitik ausgehen der aktuellen Schuldenkrise gelegt. und hat deshalb bewusst die genannten Stabilitätskriterien eingeführt. Als Obergrenze bei der jährlichen Neuverschuldung hat man einen Wert in Höhe von 3,0 % vereinbart – von den Vätern der Währungsunion nicht etwa Die Einführung einer gemeinsamen als ein anzustrebender Maßstab ge- Währung der europäischen Staaten war dacht, sondern als absolute Höchstgren- vor diesem Hintergrund der denknot- ze in schwierigeren Zeiten. Bewusst ge- wendig nächste Schritt, um den Handel wählt war auch die 60-%-Grenze, da zwischen den Mitgliedstaaten zu erleich- man davon ausging, dass höhere Schul- tern und die Vorteile der Europäischen den nicht dauerhaft tragbar seien. Es ist Wirtschafts-Gemeinschaft voll zur Gel- also keineswegs so, dass der Euro an ei- tung gelangen zu lassen. Allerdings war nem sogenannten „Webfehler“ leidet, den damals führenden deutschen Politi- wie dies in der Verschuldungskrise von kern – Bundeskanzler Helmut Kohl und selbsternannten Fachleuten oft propa- Finanzminister Theo Waigel – klar, dass giert wird. Die CDU/CSU-geführte es eine gemeinsame europäische Wäh- Bundesregierung in den 90er-Jahren hat rung nur nach dem Vorbild der strikten vielmehr den Euro als tragfähige und Stabilitätspolitik der Deutschen Bundes- zukunftsfähige Währung ausgestaltet. bank geben kann. Dies war bereits zu Umso bemerkenswerter ist es, dass Zeiten der D-Mark immer ein Grund- es ausgerechnet eine deutsche Bundes- pfeiler der Wirtschaftspolitik der CSU, regierung unter Kanzler Schröder, Vize- die wesentlich zum deutschen Wirt- kanzler Fischer und Finanzminister Ei- schaftswunder in den 50er-Jahren beige- chel war, die den Stabilitätspakt erheb- tragen hat und somit ein maßgeblicher lich aufgeweicht hat. Um nicht zur Ver- Faktor zur Schaffung des Wohlstands meidung eines Defi zitverfahrens unpo- für alle in Deutschland war. puläre Sparmaßnahmen ergreifen zu Daher hat die Bundesregierung, ins- müssen, hat Deutschland unter rot-grü- besondere Theo Waigel, entschieden ner Ägide im Zusammenspiel mit Frank- und erfolgreich dafür gekämpft, die reich die Stabilitätskriterien erheblich neue europäische Währung nicht nach gelockert. Dies stellt einen schwerwie- dem Muster anderer Staaten, sondern genden Fehler und historischen Damm- Der damalige Finanzminister Theo Waigel, oftmals auch als nach dem Vorbild der D-Mark auszuge- bruch dar. Welcher Anreiz bestand jetzt Namensgeber und Vater des Euro bezeichnet, stellt die neue stalten. Von zentraler Bedeutung war noch für die anderen Mitgliedstaaten europäische Gemeinschaftswährung vor. erstens die Vorgabe, dass die gemeinsa- der EU, sich an die im Stabilitätspakt ge- me europäische Währung mindestens regelten Vorgaben zu halten, wenn die so stabil sein muss wie die D-Mark und zwei mächtigsten Staaten der Eurozone zweitens die neue Europäische Zentral- den Stabilitäts- und Wachstumspakt als

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Papiertiger desavouieren konnten, in- Überdies ist der Euro seit neun Jah- Leitplanken für den Weg aus der JEDES MITGLIED der Europäischen Gemein- dem sie sich ohne Weiteres über die bis ren die Erfolgsgeschichte des zusam- Krise schaft steht mit der Einhaltung einer dahin gültigen Stabilitätskriterien hin- menwachsenden Europas. Als Export- Die europäische Solidarität darf auch in soliden Finanz- und Haushaltspolitik gegen- wegsetzten? Die Auswüchse dieses ne- nation hat gerade Deutschland ein gro- der momentan schwierigen Lage nicht über den anderen in der Verantwortung. gativen Vorbilds zeigen sich heute in der ßes Interesse, dass der europäische Bin- infrage gestellt werden. Allein aus histo- aktuellen Schuldenkrise. nenmarkt durch die gemeinsame Wäh- rischen und wirtschaftlichen Gesichts- rung vor Verwerfungen durch Wechsel- punkten ist Deutschland verpflichtet, deten EU-Mitgliedstaaten. Es besteht Momentane Lage – keine Krise des kursschwankungen geschützt ist. Ohne sich seiner Verantwortung zu stellen dann keine Notwendigkeit mehr, auf ei- Euro Wechselkursrisiken sparen deutsche und alles dafür zu tun, die europäische gene Haushaltsdisziplin zu achten, da Festzuhalten bleibt aber, dass nicht der Unternehmen Jahr für Jahr einen Milli- Einheit im Allgemeinen und den Euro über den Weg der Eurobonds der Weg Euro in der Krise steckt, sondern die ardenbetrag, den sie ansonsten für die im Besonderen zu bewahren. Das Pro- zu relativ billigem Geld jederzeit offen Staatsfinanzen einiger Mitgliedsländer. erforderlichen Kurssicherungsgeschäfte jekt der europäischen Einheit ist von steht. Belohnt werden dann Länder mit Weil Länder der Eurozone stark ver- ausgeben müssten. Ein starker und sta- zentraler Bedeutung für unsere Zu- unsolider Finanzpolitik, während Län- schuldet sind, müssen sie für frisches biler Euro liegt im ureigensten deut- kunft, da sich nur so auf Dauer unser dern wie Deutschland mit einer soliden Geld, das sie sich am Kapitalmarkt schen und bayerischen Interesse. Unser Wohlstand und unsere Wirtschaftskraft Finanz- und Haushaltspolitik die Las- durch die Ausgabe von Staatsanleihen Wohlstand hängt maßgeblich vom Ex- erhalten lassen. ten aus Fehlern anderer Eurostaaten besorgen, immer höhere Zinslasten tra- port und unserer Wettbewerbsfähigkeit Allerdings darf die europäische So- aufgebürdet werden. Eurobonds sind gen. Unter diesen Bedingungen testen ab. Der Deutsche Industrie- und Han- lidarität nicht zu einer Einbahnstraße daher in hohem Maße ungerecht, weil die Finanzmärkte, ob die Konstruktion delstag hat errechnet, dass der gemein- werden. Es ist daher zwingend notwen- sie gerade unser Land über jedes vertret- des gemeinsamen Währungsraumes same Binnenmarkt in Deutschland rund dig, dass in Zukunft die Vorgaben von bare Maß hinaus belasten würden. halten kann. Dies ist aber kein Grund, 5,5 Millionen Arbeitsplätze sichert. allen Mitgliedstaaten eingehalten wer- Es muss vielmehr eine Möglichkeit den Euro insgesamt in Frage zu stellen. Schließlich war es auch der Euro, der den und nicht wie in der Vergangenheit geschaffen werden, hoch verschuldete Im Gegenteil ist festzustellen, dass sich Deutschland in einmaliger Weise durch einige Staaten nur an ihren Vorteil den- Staaten auf andere Weise zu disziplinie- die europäische Gemeinschaftswäh- die jüngste Finanzmarkt- und Wirt- ken und sich zu Lasten anderer hem- ren und zu einer annehmbaren Finanz- rung selbst als äußerst krisenfest erwie- schaftskrise gebracht hat. Ohne ihn hät- mungslos aus den europäischen politik zu erziehen. Daher dürfen Hilfs- sen hat. Der Euro war und ist ein Garant te es eine deutliche Aufwertung unserer Fleischtöpfen bedienen. Aus meiner kredite nur dann gewährt werden, wenn für stabile Preise. Die jährliche Inflati- nationalen Währung gegeben, wie wir Sicht ist es daher von zentraler Bedeu- sichergestellt ist, dass die Empfänger- onsrate lag seit der Euro-Einführung dies Mitte 2011 in der Schweiz gesehen tung, dass die in letzter Zeit gerade von länder als Ausgleich ausreichende Kon- 1999 im Euroraum durchschnittlich bei haben. Die Eidgenossen ergreifen seit- der CSU erarbeiteten, nachfolgenden solidierungsmaßnahmen ergreifen. In knapp 2 % und in Deutschland sogar her mit allen Anstrengungen Maßnah- Kernpunkte für ein zukünftiges Gelin- diesem Zusammenhang darf auch ein bei nur 1,5 %. Die Deutsche Mark konn- men, um die daraus resultierenden ne- gen der Europäischen Integration ein- geordnetes Umschuldungsverfahren für te während der 50 Jahre ihres Bestehens gativen Effekte für ihre Exportwirt- gehalten werden. überschuldete Mitgliedstaaten kein in keiner einzigen Zwölf-Jahres-Periode schaft abzuwenden. In der Folge wären Tabu bleiben. Wenn ein Eurostaat seine ein besseres Ergebnis erzielen. deutsche Waren gerade in Europa im- Keine europäische Transferunion Schulden trotz der gewährten Hilfen in mer weniger wettbewerbsfähig und es Eine europäische Transferunion muss absehbarer Zeit nicht bedienen kann, bestünde die Gefahr eines gravierenden unbedingt vermieden werden. Eine muss die Möglichkeit einer geordneten Einbruchs deutscher Exporte, was wie- nachhaltige Lösung der gegenwärtigen Umschuldung bestehen. Dies stellt viel- derum verheerende Auswirkungen auf Schuldenkrise ist nur dann möglich, fach die einzige Lösungsmöglichkeit Der Euro hat sich gerade auch in der den deutschen Arbeitsmarkt hätte. wenn jeder Mitgliedstaat für seine dar, um die ins Ungleichgewicht gerate- jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise Überdies wäre die D-Mark zum Spiel- Schulden selbst haftet. Weitere Schritte nen Staatsfi nanzen wieder zu bereini- als GARANT erwiesen, nur die Staatsfi- ball der internationalen Finanzmärkte in Richtung einer Haftungs- und Trans- gen. Hier ist es von entscheidender Be- nanzen einiger Mitgliedstaaten nicht. geworden, da gerade Deutschland als ferunion wie z. B. die Einführung von deutung, Rechtsklarheit über die dann stärkste europäische Volkswirtschaft Eurobonds müssen vermieden werden. eintretenden Folgen zu schaffen. Die verstärkt ins Visier von Finanzjongleu- Kollektive EU-Anleihen setzen vollkom- Märkte geraten nicht durch die Mög- ren aller Art geraten wäre. men falsche Anreize für die überschul- lichkeit von Insolvenzen in Unruhe, da

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rechterhaltung seiner Mitgliedschaft zial hat, das Projekt der europäischen sondere darf er sich nicht irgendwie ge- in der Europäischen Union wieder ver- Einigung als Solches zu gefährden. Es arteten fi nanzwirksamen Mechanis- Die Souveränität der Mitglieder und lassen kann. Nur durch diese Maß- ist daher von äußerster Wichtigkeit, men ausliefern, die zu unüberschauba- die demokratische Legimitation der nahme als ultima Ratio lässt sich die dass vielfach wahrgenommene Demo- ren haushaltsbedeutsamen Belastun- HILFSMAßNAHMEN müssen gewährleis- dauerhafte Stabilität der Eurozone si- kratiedefizit der EU abzubauen und gen führen können oder auf eine Haf- tet bleiben. cherstellen. Sanktionsmöglichkeiten dem Steuerzahler zu vermitteln, dass tungsübernahme für Willensentschei- dürfen nicht weiterhin ein stumpfes seine Interessen von der Politik tatsäch- dungen anderer Staaten hinauslaufen, Schwert bleiben. lich wahrgenommen werden. In diesem ohne dass eine vorherige konstitutive Zusammenhang ist auch eine Beteili- Zustimmung vorliegt. Der Haushalts- Verstärkter Einbezug und Einfl uss- gung privater Gläubiger an den Ret- gesetzgeber muss seine Entscheidun- nahme der Mitgliedstaaten tungsmaßnahmen unabdingbar. Es ist gen über Einnahmen und Ausgaben dieses Risiko zu großen Teilen bereits in Es ist überaus wichtig, dass in Zukunft den Bürgern nicht länger vermittelbar, frei von Fremdbestimmung seitens der den Anleihekursen berücksichtigt ist, die Bürger unseres Landes bei den Ent- dass die verschuldeten Staaten durch Organe und anderer Mitgliedstaaten sondern durch die nicht absehbaren scheidungsprozessen „mitgenommen“ staatliche Gelder gerettet werden, wäh- der Europäischen Union treffen kön- Auswirkungen einer unkontrollierten werden. Der vielfach verbreitete Ein- rend Banken und sonstige Privatgläubi- nen. Diese eindeutigen und sehr begrü- Staatsinsolvenz. druck, die EU entscheide was und wie ger „fein raus“ und ihrerseits zu keinem ßenswerten Entscheidungen des Bun- Werden die zugesagten Abhilfe- sie wolle, ohne dass den Mitgliedstaa- Beitrag verpflichtet sind. desverfassungsgerichts lassen in der maßnahmen von den Krisenländern ten eine Einflussmöglichkeit darauf Weiterhin muss eine demokratische Umsetzung nur den Schluss zu, dass nicht durchgeführt, so muss es im Ext- verbleibe, ist fatal. Hierdurch verstärkt Legitimation für alle Hilfsmaßnahmen alle Hilfsmaßnahmen der demokrati- remfall möglich sein, dass der betref- sich der gefährliche EU-Skeptizismus, gewahrt und somit gewährleistet wer- schen Legitimation durch die nationa- fende Staat die Eurozone unter Auf- der in der momentanen Lage das Poten- den, dass nicht weitere Kompetenzen len Parlamente, den Bundestag und den nationalen Parlamenten entzogen den Bundesrat, bedürfen. Meines Er- Die weitere Zuspitzung der Lage in Griechenland erforderte erneut einen Krisengipfel in Brüssel am werden. Dies erfordern auch die bin- achtens ist auch die Beteiligung des 26.10.2011, an dem auch Christine Lagarde, die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds, teilnahm. denden Vorgaben des Bundesverfas- Bundesrates zumindest durch eine sungsgerichts. Im Lissabon-Urteil und rechtzeitige Unterrichtung über die ge- daran anknüpfend auch in der Ent- planten Hilfsmaßnahmen durch die scheidung vom 7. September 2011 über Bundesregierung zwingend geboten, die Verfassungsmäßigkeit der Hilfs- da derartige Hilfsmaßnahmen auch für maßnahmen für Griechenland und des die Bundesländer nicht unwesentliche EFSF-Rettungsschirms hat das höchste Auswirkungen haben können. deutsche Gericht entschieden, dass Weiterhin muss gewährleistet sein, eine Beteiligung des Bundestages bei dass auch auf europäischer Ebene eine grundlegenden haushaltspolitischen den zuvor genannten Kriterien entspre- Entscheidungen verfassungsrechtlich chende Einfl ussmöglichkeit für die Bun- zwingend erforderlich ist.1 Der Bundes- desrepublik Deutschland verbleibt. tag darf hiernach seine Budgetverant- Strikt abzulehnen sind daher Gedanken wortung nicht durch unbestimmte und Planspiele, die die Einführung von haushaltspolitische Ermächtigungen Mehrheitsentscheidungen in den Gre- auf andere Akteure übertragen. Insbe- mien der schon bestehenden und ge- planten Rettungsschirme vorsehen. Eine ausreichende Einfl ussnahme bleibt Zur Sicherung solider Staatshaus- nur dann gewahrt, wenn alle wesentli-

Bildnachweis: Bloomberg / Getty Images halte müssen die STABILITÄTS- UND chen Entscheidungen über Hilfsmaß- WACHSTUMSREGELN wieder streng nahmen einstimmig getroffen werden eingehalten werden. müssen.

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Förderung der Einhaltung des Sta- Unabhängigkeit der Europäischen einer europäischen Rating-Agentur bei- bilitäts- und Wachstumspaktes Zentralbank tragen. Um in Zukunft weiteren Fehlentwick- Entscheidend ist die Wahrung der Un- Eine weitere EU-WEITE ZENTRALISIE- lungen in den Mitgliedstaaten der Euro- abhängigkeit der Europäischen Zentral- Keine weitere Zentralisierung auf RUNG v. a. auf dem finanziellen Sek- zone schneller und effektiver entgegen- bank. Vorbild hierfür muss die jahr- EU-Ebene tor ist derzeit unerwünscht und nicht wirken zu können, ist es dringend erfor- zehntelang geübte Geldpolitik der Deut- Kein Weg kann eine weitere Zentralisie- verfassungskonform. derlich, die Regeln des Stabilitäts- und schen Bundesbank sein. Das Beispiel rung auf EU-Ebene sein, wie dies mo- Wachstumspakts wieder zu stärken. der D-Mark hat eindrucksvoll bewie- mentan von namhaften Stimmen gefor- Ein wichtiger Schritt hierzu sind die sen, dass nur auf diesem Weg dauerhaft dert wird. Die zur Diskussion gestellten bessere Anpassung und Abstimmung der die Stabilität einer Währung wirklich Pläne wie die Einführung einer europäi- Wirtschafts- und Haushaltspolitik der gesichert werden kann. schen Finanzregierung, die Schaffung drucksvoll, dass mit der Schaffung immer einzelnen Mitgliedstaaten aufeinander, einer europäischen Fiskalunion oder im größerer Einheiten nichts gewonnen ist, da da sich auf diesem Weg drohende Fehl- Abbau der Einfl ussnahme anglo- Extremfall gar die Gründung der Verei- die Akzeptanz und die Identifi zierung der entwicklungen früher erkennen und be- amerikanischer Rating-Agenturen nigten Staaten von Europa können keine Bevölkerung mit derartigen Gebilden reits im Ansatz beheben lassen. Die Ein- Als Lehre aus der Staatsschuldenkrise in wirksame Lösung der momentanen stark abnimmt. Die Schuldenkrise ist auch führung des so genannten „Europäi- der Eurozone müssen wir auch versu- Schuldenkrise sein. Zunächst einmal nicht wegen des Fehlens entsprechender schen Semesters“ ist hier sicherlich ein chen, künftig den Einfluss der anglo- können derartige Schritte nicht gegen europäischer Regeln entstanden, sondern erster Schritt in die richtige Richtung. In amerikanischen Rating-Agenturen zu- den Willen der Bevölkerung durchge- wegen der Nichteinhaltung der vorhande- dieser Hinsicht ist die Festschreibung ei- rückzudrängen, deren Entscheidungen drückt werden, der in der momentanen nen Vorgaben. Es geht also vielmehr dar- ner harten Schuldenbremse in der gesam- zunehmend auf die Finanzmärkte Lage mit diesen Vorschlägen nicht kon- um, durch schärfere und effektivere Sank- ten Eurozone zu fordern, da die letzte Fi- durchschlagen. Gerade in den vergange- form geht. Die Menschen sind der Euro- tionen die einzelnen Mitgliedstaaten dazu nanzkrise mehr als deutlich gezeigt hat, nen zwei Jahren hat sich der Eindruck päischen Einigung im Grundsatz wohl- anzuhalten, sich endlich an die Vorgaben dass sich die Anforderungen einer derar- verstärkt, dass alle Rettungsmaßnah- gesonnen, allerdings sind sie nicht mehr zu halten. Dies lässt sich wie bereits ausge- tigen Schiefl age nur durch ausgeglichene men der Staaten der Eurozone sofort bereit, bestehende Missstände wie etwa führt aber auf genauso effektivem Wege Haushalte und deutlichen Schuldenab- durch entsprechende Abwertungsent- Defizite in der demokratischen Legitima- durch die Stärkung der Regeln des Stabili- bau lösen lassen. Solide Staatshaushalte scheidungen der Rating-Agenturen kon- tion der Europäischen Union klaglos hin- täts- und Wachstumspaktes erreichen. Die sind für die weitere Zukunft des Euro terkariert werden. Derzeit beherrschen zunehmen. Auch das Bundesverfas- Schaffung weiterer europäischer Instituti- fundamental. Überdies muss das Defi zit- drei große Agenturen, die ihren Sitz alle- sungsgericht hat im Lissabon-Urteil ein- onen ist hierzu nicht erforderlich und so- verfahren dringend überarbeitet werden, samt in den Vereinigten Staaten von deutig festgestellt, dass das Grundgesetz mit nach dem in Art 5 EUV festgeschriebe- da eine schnellere und vor allem automa- Amerika haben, den Markt. Ohne Ver- in seiner momentanen Fassung die Über- nen Subsidiaritätsprinzip auch rechtlich tische Sanktionierung der Verfehlungen ständnis für die Besonderheiten des eu- tragung von Kernkompetenzen der deut- gar nicht zulässig. /// dringend vonnöten ist. Das beschriebe- ropäischen Finanzmarktes sind diese schen Gesetzgebungsorgane auf die Eu- ne, warnende und abschreckende Bei- Agenturen mit ihren Bewertungen zu- ropäische Union untersagt und damit die spiel der Regierung Schröder darf sich letzt immer wieder zur Unzeit als „Unru- Schaffung eines europäischen Bundes- nicht wiederholen. Ziel muss es vielmehr hestifter“ hervorgetreten. Es wäre wün- staates unmöglich ist. Nur im Wege einer sein, das Defi zitverfahren zu entpolitisie- schenswert, dass sich der oligopolisti- Volksabstimmung könnte ein derartiger ren und somit der Verfahrenshoheit der sche Markt auf dem Rating-Sektor in Schritt durchgeführt werden, der jedoch einzelnen Mitgliedstaaten zu entziehen. Zukunft hin zu mehr Vielfalt entwickelt. in der momentanen Lage und angesichts Nur so kann eine strikte Einhaltung des Dazu könnte maßgeblich die Gründung von Akzeptanzproblemen seitens der Be- /// GEORG FAHRENSCHON, MDL Stabilitätspaktes wirksam gefördert wer- völkerung zumindest mittelfristig nicht Bayerischer Staatsminister der Finanzen den. Ansonsten steht den Mitgliedstaa- erfolgversprechend erscheint. a. D., München. ten immer noch die Hintertür der politi- Gegen die kontraproduktive Einflussnah- Überdies ist festzuhalten, dass auch schen Einfl ussnahme und somit der me der anglo-amerikanischen Rating- der praktische Nutzen einer immer weiter- Anmerkung möglichen Abwendung eigentlich ge- Agenturen braucht es eine EUROPÄISCHE gehenden Zentralisierung mehr als frag- 1 Urteil des BVerfG vom 7. September 2011: 2 BvR rechtfertigter Sanktionen offen. INSTITUTION. lich ist. Auch hier zeigt die Geschichte ein- 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10.

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Der Euro hat sich seit seiner Einführung entgegen allen Unkenrufen und der derzei- tigen Krise bewährt.

/// Eurokrise MEHR MUT ZUR WEITERENTWICKLUNG*

THEODOR WEIMER /// Der Euro ist in seiner bisher schwersten Krise. Rächen sich jetzt die Geburtsfehler oder geht die noch junge gemeinsame Währung Europas gestärkt aus den Turbulenzen hervor? Klar ist: Die Staatsschuldenkrise in vielen Teilen Europas macht einschneidende Richtungsentscheidungen notwendig und wird die Rahmenbedingungen für die gemeinsame Währung deutlich verändern.

Einleitung 12 Jahren seit der Einführung der EWU Der Euro befindet sich in schwerem ist eine beachtliche Leistung. Keine der Fahrwasser. Was mit dem Kollaps des großen Zentralbanken im heutigen Eu- Staatshaushalts in Griechenland be- roraum hat in der Vor-Euro-Zeit ein bes- gann, hat sich zu einem Flächenbrand seres Ergebnis erzielt. Auch im Außen- ausgeweitet. Und die europäische Poli- verhältnis war und ist der Euro – gerade tik kommt mit dem Löschen kaum auch gegenüber dem US-Dollar – durch- nach. Mittlerweile brennen die Schul- aus eine starke Währung. Und es ist be- dentürme in der sogenannten europäi- sonders die große Exportnation schen Peripherie. Neben Griechenland Deutschland, die vom Euro profi tiert. haben sich auch Portugal und Irland Deshalb sollten wir auch aufhören, vor unter den Rettungsschirm geflüchtet, dem Euro Angst zu haben oder an einer den EWU und IWF aufgespannt ha- erfolgreichen ökonomischen Zukunft ben. Spanien und Italien kämpfen um mit dem Euro zu zweifeln. Denn „zu ihre Kreditwürdigkeit. Und selbst Tode gefürchtet ist auch gestorben“. Wir Frankreich kann nicht darauf vertrau- sollten uns vielmehr darauf konzentrie- en, jederzeit vor einer entsprechenden ren, einen realistischen Blick auf die Spekulationswelle gefeit zu sein. Problemlage zu werfen und die Situati- Dabei hat sich der Euro seit seiner on nutzen, um unsere gemeinsame Einführung ordentlich geschlagen und Währung zu härten. die in ihn gesetzten Erwartungen er- Von Max Frisch stammt die Er- füllt. Der Binnenwert der Gemein- kenntnis: „Eine Krise ist ein produktiver

schaftswährung ist bis heute ausgespro- Zustand. Man muss ihr nur den Beige- Bildnachweis: duel / Shutterstock chen stabil. Eine durchschnittliche jähr- schmack der Katastrophe nehmen“. liche Infl ationsrate von rund 2 % in den Dies gilt auch in Bezug auf den Euro.

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Eine Krise verdeutlicht die Problemlage diese Währung wurde folgerichtig nicht Die mangelnde Koordination der hungen keinen Beitrag zur Verbesserung und beschleunigt das Finden von Lö- nur nach wirtschaftlichen, sondern Wirtschaftspolitik sowie die Aufwei- der Wettbewerbsfähigkeit leisten, kön- sungen. Eine Katastrophe dagegen auch nach politischen Kriterien ent- chung des Stabilitäts- und Wachs- nen sie isoliert angewendet kein nach- lähmt. Ja, Europa ist durch die Krise un- schieden. tumspaktes bereiteten den BODEN der haltig erfolgreicher Weg aus der Krise ter Druck geraten. Dies ist aber keine Entsprechend wurden dem Euro zu- derzeitigen Krise. sein. Sie müssen um strukturelle Refor- Katastrophe, wenn es gelingt, diese dem zu wenige Koordinationsmechanis- men in den Krisenländern und um insti- „Druckenergie“ jetzt zu nutzen, um die men für den gemeinsamen Wirtschafts- tutionelle Reformen der EWU ergänzt richtigen Weichenstellungen vorzuneh- raum an die Seite gestellt. Man wählte blemländern sind zwischen 2000 und werden. men und die Wirtschafts- und Wäh- also die deutlich schwierigere Reihenfol- 2008 die Staatsausgaben – bezogen auf All dies ist aber keine „Schuld“ des rungsunion weiterzuentwickeln. ge und „vergaß“ dann auch noch, die das BIP – sehr kräftig gestiegen, wäh- Euro. Der Euro reagiert vielmehr auf die gemeinsame Wirtschaftspolitik wenigs- rend sie in Deutschland zurückgingen. Probleme, die in Teilen des gemeinsa- Erste These: Der Euro ist der Re- tens im Nachhinein im notwendigen Das überdurchschnittlich hohe men Währungsgebiets offensichtlich flex, nicht das Problem Rahmen auszubauen. Wirtschaftswachstum, das viele der eu- sind. Die Einführung des Euro war an- Um der Problemlösung näher zu kom- Die kaum vorhandene Koordination ropäischen Peripheriestaaten in den ein- gesichts der zunehmenden globalen Ver- men, ist es notwendig, sauber zwischen der Wirtschaftspolitik traf zusammen einhalb Jahrzehnten vor der Krise ver- netzung, der tendenziell sinkenden Be- Ursache und Wirkung zu unterschei- mit einer eher lockeren Interpretation zeichneten, wurde zudem zu einem gu- deutung Europas im weltweiten Wett- den. Der Euro ist nicht das Problem. des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ten Teil mit deutschen Ersparnissen fi - bewerb und der extrem großen Vorteile Zum Problem wurde vielmehr, dass wir durch viele Euro-Staaten – auch durch nanziert. Nach Berechnungen des Ifo- im innereuropäischen Handel richtig. bei der Euroeinführung den ungünsti- Frankreich und Deutschland. Da auch Instituts lag die deutsche Nettoerspar- An den skizzierten Rahmenbedingun- geren von zwei Wegen gewählt haben. keine wirksamen Sanktionen bei der nis zwischen 1992 und 2010 bei rund gen wird sich auch nichts ändern. Im Besser wäre es gewesen, die gemeinsa- Nichteinhaltung der Maastricht-Kriteri- 1.600 Mrd. Euro. Aber nur ein Drittel Gegenteil: Die Entwicklung wird sich me Währung als Schlussstein einer ge- en griffen, konnten sich die strukturel- davon wurde in Deutschland investiert, weiter beschleunigen. Ein Europa ohne meinsamen Wirtschafts- und Finanzpo- len Probleme in einigen Staaten entwi- rund zwei Drittel der deutschen Erspar- gemeinsame Währung verlöre zwangs- litik einzuführen. Die europäische Poli- ckeln, die heute das Grunddilemma der nisse sind über Kapitalexporte ins Aus- läufi g an Einfl uss bei der Gestaltung des tik hat dagegen den Euro auch als politi- EWU darstellen. In den heutigen Pro- land gefl ossen – gerade auch in die heu- globalen Wettbewerbs. Deshalb gehört sches Instrument gesehen. Der Euro blemstaaten sind eklatante Lücken zwi- tigen europäischen Problemstaaten. dem Euro auch die Zukunft. Europa sollte nicht nur praktische Funktionen schen öffentlichen Einnahmen und Aus- Einige Staaten haben also deutlich – und an erster Stelle Deutschland mit erfüllen, er sollte gleichzeitig Triebfeder gaben festzustellen, die ohne tiefgreifen- über ihre Verhältnisse gelebt. Da gleich- seiner einerseits teilweise überborden- für die weitere Integration Europas sein. de Reformen nicht geschlossen werden zeitig auch noch Lohnsteigerungen jen- den DM-Nostalgie und seinen anderer- Er sollte Unterschiede in Europa eineb- können. Das Leistungsbilanzdefi zit ist seits des Produktivitätszuwachses zu seits überproportional großen Vorteilen nen, die zuvor politisch hätten angegan- in diesen Staaten entsprechend besorg- verzeichnen waren, sind viele Staaten aus der Gemeinschaftswährung – muss gen werden müssen. Das Ergebnis war niserregend. heute in der globalen Wirtschaft mit ih- den Mut haben, den Euro weiterzuent- eine politisch überfrachtete Währung. Diese Ungleichgewichte existieren ren zahlreichen neuen Herausforderun- wickeln. Und die Aufnahme von Mitgliedern in aus unterschiedlichen Gründen. Größ- gen kaum noch wettbewerbsfähig. Hin- tenteils wurde schlicht zu viel und zu zu kam die Finanz- und Wirtschaftskri- sorglos auf Schuldenbasis konsumiert. se, die den öffentlichen Haushalten Der Euro bildet die Probleme im gemein- So haben die Peripherieländer die sin- hohe Kosten für Bankenstützung und samen Währungsgebiet ab, ist aber selbst kenden Finanzierungskosten, in deren Konjunkturprogramme bei gleichzeitig NICHT das Problem. Die AUFNAHME von Nationalstaaten in Genuss sie durch die Einführung der einbrechenden Einnahmen bescherte. das Euro-System wurde nicht nur nach Gemeinschaftswährung gekommen Reine Sparprogramme der öffentli- wirtschaftlichen Kriterien entschie- sind, nicht für die Sanierung der Staats- chen Haushalte – siehe die aktuelle Situ- Vor diesem Hintergrund sind in den den, sondern auch nach politischen. fi nanzen oder für Investitionen in öf- ation in Griechenland – können vor die- vergangenen zwei Jahren, von der Poli- fentliche Infrastruktur genutzt. Statt- sem Hintergrund nur ein Element der tik, aber auch von der Finanzwirtschaft dessen wurde zusätzlicher Konsum des Krisenbewältigung sein. Da extreme und der Wirtschaftselite, Fehler ge- Staates fi nanziert. In allen heutigen Pro- Ausgabenkürzungen und Abgabenerhö- macht worden. Es wurde zu viel über

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die Währung gesprochen, aber auf kon- können. Die Entscheidungsträger in Po- wendig, andererseits muss sich Europa kretes, schnelles und wirkungsvolles litik und Wirtschaft – gerade auch bei nicht den Vorwurf gefallen lassen, eine Handeln zur langfristigen Stabilisierung den Banken – tragen so eine Mitschuld Europa ist auf dem WEG zu nachhal- Art Insolvenzverschleppung betrieben des Euro verzichtet. Es wurde zu spät daran, dass in Europa aus der Staats- tigen, stabilen Strukturen der Wäh- zu haben. Darauf wäre eine weitere Kre- damit begonnen, deutlich, klar und für schuldenkrise einiger weniger Mit- rungsunion, jedoch noch mit Hürden. ditierung Griechenlands ohne Bezug die gesamte Gesellschaft nachvollzieh- gliedsländer der Währungsunion eine zur Zahlungsunfähigkeit letztlich hin- bar die zugrunde liegenden Probleme zu Eurokrise geworden ist. Nicht verdrän- ausgelaufen. benennen und auf sie zu reagieren. gen dürfen wir allerdings den Kern der Die Europäische Zentralbank wird Insgesamt wurde die Situation damit Schuldenkrise, nämlich die solvenzbe- – zumindest in Perspektive – aus sehr „gefühlt“ stärker zugespitzt als es nötig drohende öffentliche Überschuldung gefährlichem Fahrwasser geführt, in gewesen wäre. Statt das Problem zu fo- von Nationalstaaten. dem sie sich derzeit befi ndet. Sie steht in kussieren und seine Lösung schnell an- ihres bisherigen Verhaltens eingeleitet. Gefahr, ihren Ruf ernsthaft zu gefähr- zugehen, wurde es immer mehr zerredet Zweite These: Die europäische Die Probleme wurden offensiv angegan- den und ihrer originären Aufgabe, näm- und bekam damit eine immer stärkere Politik ist auf dem richtigen Weg, gen. Man hat versucht, nicht immer nur lich der Sicherung der Geldwertstabili- Krisencharakteristik. Denn jede ge- kommt aber nicht „vor die Märkte“ den Marktentwicklungen hinterherzu- tät, nicht mehr überzeugend nachkom- scheiterte oder nur vorübergehend wirk- Im Sommer 2011, konkret auf dem Eu- laufen, sondern Entscheidungen zu tref- men zu können. Der Ankauf von Anlei- same (Pseudo-)Lösung verstärkte das ropäischen Gipfel am 21. Juli in Brüssel, fen, die langfristig in die richtige Rich- hen aus EWU-Problemstaaten und die Gefühl, der Krise nicht Herr werden zu hat die europäische Politik eine Umkehr tung weisen und nachhaltig stabile, Akzeptanz von Anleihen mit zweifelhaf- oder zumindest stabilere Strukturen für ter Bonität als Sicherheit sind mit dieser Auf dem Europäischen Gipfel vom 21.7.2011 in Brüssel, an dem neben EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy (M.) die Europäische Wahrungsunion schaf- Aufgabe dauerhaft schlicht nicht verein- und EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso (r.) auch der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou fen. Das waren die zwei wesentlichsten bar. Hier sind nun Strukturen deutlich (l.) teilnahm, wurden konkrete Maßnahmen zur Rettung Griechenlands beschlossen. Schritte dabei: skizziert, die dieses Dilemma aufl ösen Griechenland wird langfristig in ei- und einen Geburtsfehler des Euro zu- nen Schutzraum genommen. Das Land mindest teilweise heilen. Die European ist de facto für mindestens zehn Jahre Financial Stability Facility (EFSF) wird nicht mehr vom Kapitalmarkt abhängig. so ausgestattet, dass sie Anleihen am Se- Die Refi nanzierung des Landes wird kundärmarkt kaufen darf. Zudem kann durch die politischen Instanzen Euro- sie über Kreditfazilitäten an Staaten, pas gesteuert. Gleichzeitig bleibt Grie- aber auch an Banken bereits dann ein- chenland in der EWU und ist somit ein greifen, wenn eine Krise droht, aber Symbol für die Entschlossenheit Euro- noch nicht virulent geworden ist. Dies pas, das gemeinsame Währungsgebiet ist ein großer Fortschritt. in Gänze zu verteidigen. Letztlich wur- Es ist unerlässlich, die EZB nach der de die Zahlungsunfähigkeit Griechen- Phase, in der sie als „Trouble-Shooter“ lands mehr oder weniger offi ziell festge- für die europäische Politik unterwegs stellt und ein Rahmen geschaffen, der es war und fehlende politische Strukturen Griechenland ermöglicht, seine fi nanzi- ersetzen musste, wieder so unabhängig ellen Verpfl ichtungen bedienen zu kön- arbeiten zu lassen, wie es vor der Krise nen. Gleichzeitig wurde ein „Marshall- der Fall war. Ohne diese Unabhängig- Plan“ initiiert, der zur wirtschaftlichen keit kann die EZB ihre Aufgabe nicht Gesundung beitragen soll. Insbesondere erfüllen und nicht mit aller Kraft für die die Feststellung der Zahlungsunfähig- Stabilität der europäischen Währung

Bildnachweis: Bloomberg / Getty Images keit war ein nicht zu unterschätzender sorgen. wichtiger Schritt: Einerseits war er für Die europäische Politik hat mit den die politische Ehrlichkeit absolut not- Gipfel-Beschlüssen vom 21. Juli 2011

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Rettungsschirms durch das Bundesver- Mut haben, sie sich weiterentwickeln zu vor allem bei den Debatten um die fassungsgericht Anfang September ein lassen. Und bei diesem Entwicklungs- Übernahme der Kosten auch zukünftig Die europäische Führung hat erster Schritt. Das Urteil hat erfreuli- prozess hat Deutschland eine herausra- immer wieder mit Hinweisen auf seine erkannt, dass es zur Krisenbewälti- cherweise auch die Rechte des Bundes- gende Aufgabe. Es muss die Entwick- überproportionalen Vorteile aus dem gung grundlegend struktureller Ver- tages bei solchen Rettungsmaßnahmen lung in die richtige Richtung lenken, für Euro konfrontiert werden. Und diese änderungen bedarf und DEUTSCHLAND ausdrücklich gestärkt. Eine weitere eine weitgehend an der deutschen Tradi- Hinweise sind durchaus ernst zu neh- kommt hier eine führende Rolle zu. wichtige Etappe war dann die Zustim- tion angelegten Stabilitätskultur sorgen men. Zwar war der Euro im Außenwert, mung des Deutschen Bundestages und und gleichzeitig die Währung mit so fle- insbesondere gegenüber dem US-Dol- des Bundesrates drei Wochen später. xiblen Strukturen ausstatten, dass auf lar, durchaus stark, aber die D-Mark Aber der Prozess muss konsequent und die heterogenen Bedingungen im ge- wäre sehr wahrscheinlich ceteris pari- zügig in allen Euroländern vollendet samten Währungsgebiet angemessen bus noch deutlich stärker gewesen. Da- werden. Die Politik muss es schaffen, reagiert werden kann. mit hätte Deutschland wohl kaum den aufgehört, auf der Stelle zu treten und ihr Primat wieder herzustellen und „vor Grundsätzlich gilt es, eine Transfer- absoluten Wert seiner Exporte in die nur zu reagieren. Sie ist jetzt beim die Märkte zu kommen“. Und das be- union ohne vorherige Annäherung der Euro-Länder zwischen 1999 und 2010 „schnellen Gehen“ angekommen und deutet, jetzt das europäische Haus zu wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der von 230 Mrd. auf rund 400 Mrd. Euro hat angefangen, Strukturen zu verän- Ende zu bauen, den vielen Worten über Eurostaaten zu verhindern. Nicht nur in fast verdoppelt können. Es wäre dern – mehr allerdings auch noch nicht. eine notwendige stärkere politische In- Deutschland haben wir damit keine gu- Deutschland viel eher so gegangen wie Die Märkte quittieren mangelnde politi- tegration innerhalb der EU weitere Ta- ten Erfahrungen gemacht (Stichwort derzeit der Schweiz, deren Exportwirt- sche Führung und auch mangelndes ten folgen zu lassen. Darüber hinaus Länderfi nanzausgleich). Auch in ande- schaft sehr unter dem starken Franken Vertrauen in Regierungen nach wie vor sind energische weitere Schritte in die ren europäischen Ländern sind die Er- leidet. Nicht umsonst hat die Schweizer mit hoher Verunsicherung. Dies äußert zuletzt eingeschlagene Richtung zu ge- gebnisse bei entsprechenden Situatio- Notenbank jüngst eingegriffen und ein sich dann unter anderem in stark stei- hen. Dazu zählen eine weitere Verzah- nen ernüchternd: Norditalien transfe- Wechselkursziel für den Franken gegen- genden Risikoprämien für Staaten und nung der nationalen Wirtschafts- und riert seit Jahrzehnten erhebliche Beträge über dem Euro gesetzt. deren Banken am Markt für Kreditaus- Finanzpolitiken, die Etablierung natio- in den Mezzogiorno. Eine aufholende Deutschland profi tiert davon, dass fallversicherungen (CDS) und einem In- naler Schuldenbremsen und die Schaf- Entwicklung des italienischen Südens alle Anleger in deutsche Anleihen inves- vestorenstreik bei der Begebung neuer fung automatischer, wirkungsvoller ist trotzdem nicht feststellbar. Im Ge- tieren wollen und diese seit Monaten als Anleihen. Jetzt besteht aber die Mög- Sanktionsmechanismen. genteil, der stetige Geldstrom hat die sicherster Hafen gelten. Deutsche Anlei- lichkeit, anders als in den zurückliegen- Verhältnisse eher zementiert. Anreize hen sind relativ zu den Anleihen anderer den Monaten, die mit den Rettungspa- Dritte These: Deutschland muss ein zur Verbesserung der Situation im Sü- EWU-Länder immer billiger geworden, keten erkaufte Zeit wirklich zu nutzen. Stabilitätstreiber für den Euro sein den selbst wurden durch die Geldzah- denn die Nachfrage nach spanischen, Und mit dem EFSF wurde – zunächst Eine Währung ist kein statisches Pro- lungen weitgehend verhindert. Ähnlich griechischen, irischen oder portugiesi- als Provisorium – ein Nukleus geschaf- dukt und sie darf es auch nicht sein. die Situation bei uns: Nur wenige Bun- schen Anleihen ist stark gesunken, die fen, der sich bis zu einer einheitlichen Währungen bilden letztlich den Zu- desländer haben es vom Empfänger- Zinsen, die diese Länder zahlen müs- Fiskalpolitik weiterentwickeln könnte. stand eines Währungsraums ab. Sie zum Geberland geschafft. Bei den meis- sen, rapide gestiegen. Daraus zieht der Die Beschlüsse haben die Märkte in müssen Spielraum haben, um auf Verän- ten ist die Alimentierung zu einer Ge- deutsche Staat ganz erhebliche fi nanzi- der Folgezeit allerdings nicht im erhoff- derungen im Währungsraum reagieren wohnheit geworden. Es wäre allerdings elle Vorteile. Noch nie konnte sich ten Maße beruhigt, die Nervosität bleibt zu können. In diesem Sinne muss eine unehrlich zu behaupten, dass wir nicht Deutschland so günstig verschulden wie hoch. Dies liegt in erster Linie daran, Währung „atmen“ können, um ihre schon heute in Europa Elemente einer in diesen Tagen. Renditen für zehnjähri- dass der Prozess der legitimierten Um- Aufgaben langfristig und flexibel erfül- Transferunion hätten. Denn natürlich ge Bundesanleihen deutlich unter 2 % setzung der Beschlüsse, der derzeit len zu können. Und gerade der Euro mit werden bereits heute über den EU- stattfi ndet und bei Entstehen dieses seinem aus verschiedenen Volkswirt- Haushalt ganz erhebliche indirekte Aufsatzes noch nicht abgeschlossen ist, schaften zusammengesetzten Wäh- Transferzahlungen innerhalb der EU Deutschland PROFITIERT wie kein anderes ein durchaus schwieriger ist. rungsraum braucht ein hohes Anpas- vorgenommen. Land vom Euro, eine Stabilisierung der In Deutschland war die Billigung der sungspotenzial. Die EWU ist sozusagen Deutschland wird bei seinen Bemü- Währung ist ein elementares deutsches bisherigen Griechenlandhilfe und des ein „lernendes System“. Wir müssen den hungen zur Stabilisierung des Euro und Interesse.

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sind eben auch eine Folge der Schulden- an sich ist stabil und hat die in ihn ge- vor dieser Verantwortung nicht drü- krise. Grob gerechnet spart der Finanz- setzten Erwartungen bisher grundsätz- cken, sondern entschlossen agieren. Die minister bei dem derzeitigen Renditeni- lich erfüllt. Das Ausgangsproblem – die Chancen sind gut, dass überzeugende veau bis Ende 2015 kumuliert 60 Mrd. Staatsverschuldung – muss von den deutsche Vorschläge zur Weiterentwick- Euro im Vergleich zu einer Kreditauf- Mitgliedstaaten gelöst werden. Hierzu lung Europas auch jenseits der deut- nahme zum langfristigen Durch- müssen europäische Strukturen und Re- schen Grenzen auf offene Ohren stoßen. schnittszins. gelungen geschaffen werden, die die Denn eines muss auch klar sein: Einen Ohne die Krise wären die Leitzinsen Staaten auf ihrem Konsolidierungskurs Weg zurück in eine verklärte Zeit natio- in Deutschland mit Sicherheit höher als wirkungsvoll begleiten und einen politi- naler Währungen wird es ohne massive sie es jetzt sind, weil die EZB auch auf schen Rahmen schaffen, in dem sich der Wohlstandseinbußen nicht geben. Die anhaltend schwache Konjunktur in den Euro weiterentwickeln kann. Diese Vergangenheit ist keine Option. Wir Problemländern reagieren muss. Dies ist Rahmenbedingungen, die Governance brauchen den Mut für konstruktive, zu- ein zusätzlicher Konjunkturimpuls für von Wirtschafts- und Finanzpolitik und kunftsorientierte Veränderungen und Deutschland. Allerdings kann Europa die Sanktionsmechanismen, werden keine falsche D-Mark-Nostalgie. /// sich derzeit auch keine höheren Zinsen „atmen“ müssen. Eine gemeinsame leisten. Nur ein Beispiel: Italiens Ver- Währung für unterschiedliche Volks- schuldung beträgt rund 1.800 Milliar- wirtschaften braucht, mehr noch als na- den Euro. 1 % mehr Zinsen würden also tionale Währungen, Freiräume, um fl e- für Italien höhere Kosten von 18 Mrd. xibel reagieren zu können. jährlich bedeuten. Dabei zahlt Italien Deutschland ist die größte Volks- bereits heute 15 % seines Steueraufkom- wirtschaft der Eurozone und der Haupt- mens für Zinsen (Deutschland 11 %). profi teur der Gemeinschaftswährung. /// DR. THEODOR WEIMER Es gehört zu den wenigen Ländern in ist Sprecher des Vorstands der HypoVer- Fazit Europa, die stark genug und zahlungsfä- einsbank, München, und Country Chair- Die EWU und mit ihr der Euro sind in hig sind, um solidarisch handeln zu man der UniCredit, Mailand. einer schwierigen Lage. Aber der Euro können. Diese Solidarität wird von wird noch lange bestehen und die Visi- Deutschland eingefordert werden und Anmerkung tenkarte der europäischen Wirtschaft wir werden ihr nachkommen (müssen), * Der Text basiert in wesentlichen Teilen auf einem bleiben. indem wir einen wesentlichen Teil der Impulsstatement, das auf der Veranstaltung „Der Euro im Stresstest“ der Hanns-Seidel-Stiftung am Die instabile Situation, die wir der- Rechnung übernehmen. Als Zahlender 27. Juli 2011 in München gehalten wurde. zeit haben, ist durch die Haushalts- hat Deutschland aber auch das Recht schiefl age und die aufgelaufenen Schul- und die Chance, die Regeln maßgeblich den in einigen Mitgliedsstaaten der zu bestimmen, unter denen das Projekt Währungsunion entstanden. Der Euro Euro fortgesetzt wird. Deutschland ist gefordert, die Weiterentwicklung Euro- pas voranzutreiben. Denn „mehr Euro- pa“ ist letztlich der Weg, auf dem wir Deutschland steht in der VERANT- vorankommen werden. Deutschland WORTUNG, an der richtigen Weiter- muss dabei die Führung übernehmen. entwicklung Europas und des Euros Dies ist auch die Erwartungshaltung maßgeblich und richtungsweisend unserer Partner. Unser Land trägt den mitzuwirken. Großteil der Verantwortung dafür, dass die Governance in Europa stimmt und die Weichen in die richtige Richtung ge- stellt werden. Deutschland sollte sich

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/// Deutschland einig Euroland? DIE ZUKUNFT DER GEMEINSCHAFTS- WÄHRUNG

NORBERT WALTER /// Wir Deutschen mit unserer skeptischen Haltung gegenüber allem Finanz- und Marktwirtschaftlichem hätten ohne den listigen Ludwig Erhard die Soziale Marktwirtschaft heute nicht. Und ohne die Hartnäckigkeit der Politik gäbe es heute auch keinen Euro. Was würde das bedeuten, wie stünde Europa ohne ihn da? Ginge es nach den deutschen Ökonomie-Professoren, so hätte jede Grafschaft in Europa ihre eigene Währung. Ginge es nach den Investmentbanken, so würde die Zahl der Währungen, mit denen man spekulieren kann, maximiert. Bildnachweis: MAST / Fotolia.com

Der Eindruck täuscht: Der Euro hat nicht alles teurer gemacht.

Euro Teuro? den. Hier ist v. a. das Führungspersonal Marktkenner zusammen wirken. Nati- Wer aber nicht anwesend ist, kann eben Eingeführt wurde der Euro mit einem gefragt, auch das deutsche. onen, die interdisziplinär ausgerichtet auch nicht mitreden. Kursverhältnis von 1,17 zum Dollar. aufwachsen und auf Networking setzen Jetzt steht er bei 1,45, was einer Steige- Was stresst den Euro? wie z. B. die Engländer, tun sich damit Was bringt den Euro in Gefahr? rung von 20 % entspricht. Dies dämpft Die bislang höhere Preisstabilität und leichter. Die Staatsverschuldung in Griechen- die Einfuhrpreise − hierzulande aber der eher hohe Wechselkurs überzeugen Als wir im Lamfalussy-Prozess in land hat den Euro ernsthaft in Gefahr herrscht nach wie vor die Meinung, dass die Bürger aber offenkundig nicht da- Europa die Regulierung gesetzlich ver- gebracht. Aber auch Spanien, das keine sich durch die Einführung des Euro die von, dass dies so bleibt. Auch die bessern wollten, haben wir auch deut- hohe Staatsverschuldung aufweist und Preise de facto verdoppelt haben. Die Rating agenturen artikulieren ihre sche Marktteilnehmer eingeladen, die nicht den Stabilitäts- und Wachstums- Einführung des Euro aber war kauf- Zweifel aus angelsächsischer Sicht. Des- aber im Gegensatz zu den Briten und pakt verletzt hat, stellt z. B. eine Bedro- kraftneutral und die Preisstabilität ist wegen habe ich bereits Anfang der 90er- Franzosen nicht erschienen, sich aber hung dar. Hier kann die ungebremste danach viel besser geworden als in den Jahre zusammen mit anderen Europä- anschließend darüber beklagten, dass und nicht solide finanzierte Bauwut den 60 Jahren davor mit der D-Mark. Die ern an der Etablierung einer europäi- die City von London Deutschland im- Staat auch bald in die Überschuldung Inflationsrate lag zu D-Mark-Zeiten fast schen Ratingagentur gearbeitet, aber mer alles aufoktroyiere und in Brüssel und den Verlust der Wettbewerbsfähig- um 1 % höher als in der Euro-Zeit. Und wir sind leider damit gescheitert. Der immer die Franzosen das Sagen hätten. keit treiben und somit Europa und den vieles spricht dafür, dass das auch so Grund lag hauptsächlich in der man- Euro belasten. Akut gefährdet ist der bleibt. Die Verfassung, das Statut der gelnden interdisziplinären und interna- Euroraum freilich wegen der Verschul- Europäischen Zentralbank ist gut. Die tionalen Zusammenarbeit. Rating kann Die Einführung einer notwendigen dung in Ländern wie Griechenland, das Verfehlungen der letzten Zeit wie z. B. man aber erfolgreich nur machen, wenn EUROPÄISCHEN RATINGAGENTUR scheiterte ungeachtet seiner Politik der Schulden- Schundanleihen als Sicherheiten zu ak- fähige Techniker, Bilanzfachleute, Steu- bisher an der mangelnden interdiszi- bremse dank des schlechten Ratings zeptieren, müssen rasch korrigiert wer- erfachleute, juristische Fachleute und plinären Ausrichtung der Fachleute. 25 % Kreditzins zu zahlen hat. Im Ge-

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Die Abkehr vom Euro und eine Zur Lösung der Probleme auf mittle- stimmte Praktiken der italienischen Rückkehr zu nationalen Währungen ist re Frist sollten sich die Europäer an der Steuerbehörden wie z. B. die Kontrolle Den Ländern, die durch ihre zu hohe nicht der richtige Weg. Das ist schon aus Verfassung der Schweiz orientieren. Die vom Erhalt einer Quittung, könnten Staatsverschuldung in gefährliche vertragsrechtlichen Gründen äußerst europäische Verfassung sollte der auch die deutsche Steuermoral stärken Schieflage kommen, MUSS von den problematisch. Dann würde es wieder Schweizer folgen und das Parlament in und dem Schwarzmarkt entgegenwir- anderen europäischen Mitgliedstaa- zu übertriebenen Kursschwankungen Brüssel entscheidungsrelevanter agie- ken. ten geholfen werden. kommen, welche ganz gravierende Fehl- ren. Wir widmen derzeit 1 % unseres Der Euro wird überleben und ge- steuerungen auf den Güter- und Finanz- Sozialprodukts den europäischen Auf- stärkt aus dieser Krise hervorgehen. Die märkten mit sich bringen würden. Am gaben und 50 % den nationalen Regie- Amerikaner werden im Verlauf der Beispiel Ungarn konnte man beobach- rungen und Parlamenten. Wir bräuch- nächsten zwei bis drei Jahre mit niedri- ten, welche Belastungen für ein Nicht- ten ein gemeinsames europäisches Bud- gen Zinsen und infl ationärer Währung Euro-Land, das in Euro verschuldet get mit eigener Steuerhoheit für etwa die Ersparnisse der Schwellen-und Ent- gensatz dazu erhält Japan bei einer dop- war, entstehen, wenn die eigene Wäh- 5 % des Bruttosozialproduktes, welche wicklungsländer nicht fortgesetzt erhal- pelt so hohen Staatsverschuldung im rung, hier der Forint, abwertet. Das Ver- in der demokratisch legitimierten Ho- ten. Ihre Zinsen werden steigen und / Verhältnis zum Sozialprodukt Zehnjah- trauen in die eigene nationale Währung heit des europäischen Parlaments liegt, oder ihre Währung wird schwächer resgeld am Markt für etwa 1 %. Hier irrt beim Bürger schwindet und bewirkt die analog der begrenzten schweizerischen werden. Der Höhenfl ug des Goldes wird der Markt und übertreibt in die entge- Flucht in eine sichere Parallelwährung, Steuerhoheit auf der Ebene des Bundes. zum Schicksal des Ikarus führen./// gengesetzte Richtung. In einer solchen eben den Euro. Bei den Fachleuten ist Und ich würde uns keinen Finanzaus- Situation ist die Intervention des Staates diese Erkenntnis aber offensichtlich gleich in Europa wünschen wie den in prinzipiell gefragt, gefordert und ge- noch nicht angekommen. Deutschland. Wir brauchen einen wett- rechtfertigt, auch wenn durch diese bewerblich orientierten Finanzaus- Nothilfe die Gefahr zu fortgesetztem Was kann den Euro retten? gleich, sowohl in Deutschland als auch Fehlverhalten besteht. Es muss denjeni- Der Weg der staatlichen Intervention europaweit. gen, die in Schieflage geraten sind, ge- und Transferunion, nämlich dass Ge- holfen werden, den Pfad, der sie in das berländer aus ihren Finanz- und Steuer- /// PROF. DR. NORBERT WALTER Verderben führte, auch wieder zu ver- mitteln anderen Nehmerländern etwas Der Euro ist trotz der momentanen ist Inhaber und Leiter von Walter & lassen. Und diejenigen, die helfen, müs- zur Verfügung stellen, ist richtig und er Krise nach wie vor eine wichtige und Töchter Consult, Bad Soden. sen sich ihrer Belastungen und Sonder- wird auch zukünftig noch nötig sein, starke LEITWÄHRUNG und wird das anstrengungen bewusst sein, zumal die weil es weiterhin Marktversagen geben auch bleiben. Nehmerländer der Einmischung in ihre wird. Die Souveränität der Empfänger Wirtschaftspolitik aus Angst um ihre muss aber noch viel weitergehend be- Souveränität oftmals eher ablehnend ge- schränkt werden als dies bisher der Fall Ausblick genüberstehen. Manchmal ist es aber ist. So sollten wir Deutschen z. B. die Der Euro ist die zweitwichtigste Wäh- besser, wenn einem an einem gewissen Schuldenbremse exportieren. Nicolas rung der Welt und wird weiter, ob mit kritischen Punkt das Handeln von au- Sarkozy ist auf dem Weg, dieses Modell oder ohne neue Mitglieder, zunehmend ßen zum eigenen Wohle aufgezeigt oder in Frankreich ernst zu nehmen. Frau an Bedeutung gewinnen. Immer mehr gar abgenommen wird, zur Not auch Lagarde trägt in ihrem neuen Amt im Länder in Mittel- und Osteuropa, im zwangsweise. So hätte beispielsweise Internationalen Währungsfonds sehr Norden Afrikas und im Nahen Osten Deutschland, gerade in Hinblick auf die dazu bei, dass der Blick bei dem großen wählen diese Währung für ihre Trans- Agenda 2010 2002 das Annehmen des Problem der Überschuldung sachge- aktionen. Die größte umlaufende Bar- blauen Briefes der EU-Kommission als recht auf die wirklichen Sünder gerich- geldwährung ist der Euro − und das Mahnung zur Einhaltung der Stabili- tet wird. Entsprechend hat sie sehr kriti- schon seit 2006. Unter der Führung von tätskriterien gut getan. Stattdessen aber sche Bemerkungen zum Verhalten der Mario Draghi und mit seinen Grund- lehnten Eichel und Schröder ab – ein amerikanischen Politiker in der Ver- satzpositionen wird die europäische schwerer politökonomischer Fehler. schuldungsfrage der USA gemacht. Währung weiter stabil bleiben. Be-

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Die Selbstverbrennung Mohammed Bou- azizis in Sidi Bouzid im Dezember 2010 löste Proteste und Unruhen aus – der Beginn des „Arabischen Frühlings“.

/// Der beschwerliche Weg zur Freiheit BILANZ UND PERSPEKTIVEN DES „ARABISCHEN FRÜHLINGS“

EDMUND RATKA /// Das Jahr 2011 bedeutet eine Zeitenwende in der arabischen Welt. Nahezu alle Länder in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten wur- den – wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise – von einer Protestbewegung erfasst, die nicht nur wirtschaftliche Teilhabe, sondern auch politische Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einfordert. Trotz des hohen Blutzolls in manchen Ländern und großer Unwägbarkeiten kann die demokratische Transformation dieser bis- lang von autoritären Regimen geprägten Region gelingen. Auch die deutsche und europäische Außenpolitik hat dazu ihren Beitrag zu leisten.

Sozio-ökonomische und politische hat, verharrten weite Teile der arabischen Ursachen Welt in Stagnation. Allerdings ist dabei Die verzweifelte Selbstverbrennung des zwischen den Staaten des südlichen Mit- von den Behörden gedemütigten jungen telmeerraums einerseits und den ölrei- Tunesiers Mohammed Bouazizi am 17. chen Golfstaaten andererseits zu unter- Dezember 2010 markiert den Beginn ei- scheiden. Die Einnahmen aus dem Ölex- ner Protestbewegung ungeahnten Aus- port erlaubten den Monarchien am Golf maßes.1 Von Tunesien ausgehend den Aufbau eines ausgeprägten Sozial- schwappte sie, begünstigt von pan-ara- staats, einschließlich kostenloser Ausbil- bischen Fernsehsendern und neuen so- dung und Gesundheitsversorgung für zialen Medien, auf die gesamte arabi- ihre Staatsangehörigen. Das lediglich 1,7 sche Welt über. Auch wenn sie in den Millionen Einwohner zählende Emirat einzelnen Ländern einen teils sehr un- Katar etwa, das vor einiger Zeit durch den terschiedlichen Niederschlag fand und Zuschlag für die Ausrichtung der Fuß- findet, lässt sich eine gemeinsame sozio- ball-Weltmeisterschaft 2022 von sich re- ökonomische und politische Grundie- den machte, verfügt über eines der höchs- rung der Proteste festmachen. ten Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Während die Globalisierung der letz- Anders ist die wirtschaftliche Lage ten Dekaden anderen Weltregionen einen in den arabischen Staaten, die an das rasanten Modernisierungsschub gebracht Mittelmeer angrenzen und sich damit Bildnachweis: AFP / Getty Images 58 POLITISCHE STUDIEN // 440 ANALYSEN

prägt, die von einer bis hinauf zur häufi g der Zugang zum Arbeitsmarkt schlossen sind, fand und findet die oft Staatsspitze allgegenwärtigen Korrupti- versperrt oder sie müssen sich mit Gele- als Arabischer Frühling bezeichnete Er- In den arabischen Staaten herrscht on begleitet werden. Wie sehr die Herr- genheitsjobs zufrieden geben. Mit 24 % neuerungsbewegung einen jeweils spe- eine UNGLEICHE Vermögensverteilung scherfamilien die Wirtschaft der von sind Nordafrika und der Nahe Osten die zifischen Ausdruck, der vom gewaltsa- zwischen einer regimenahen Minder- ihnen regierten Länder im Griff haben, Weltregionen mit der durchschnittlich men Regimesturz bis hin zu lediglich heit und der restlichen, überwiegend wird an Figuren wie Rami Makhlouf in höchsten Jugendarbeitslosigkeit. Zu- moderaten Reformen reicht. Auch wenn jungen Bevölkerung. Syrien deutlich. Der Cousin des dorti- gleich sind sie gegenwärtig von einem be- die Transformationsprozesse erst be- gen Staatspräsidenten ist Eigentümer sonders starken Anstieg der Bevölkerung gonnen haben und der künftige Weg in von Syriatel, Syriens nationaler Telefon- im arbeitsfähigen Alter geprägt, der le- Ländern wie Syrien ungewiss erscheint, gesellschaft, und kontrolliert weite Teile diglich im sub-saharischen Afrika noch so lassen sich die Entwicklungen in der des Importhandels, der Luftfahrtindus- höher ausfällt.4 Hinzu kommt, dass in Region in vier Modelle einordnen. trie, des Ölgeschäfts und des Bau- und Ländern wie Ägypten, Syrien, Jordanien auch in direkter Nachbarschaft zu Euro- Immobiliensektors. Der Zorn des Vol- oder dem Jemen mehr als die Hälfte der Das Tunesische Modell pa befi nden. In Ägypten etwa, dem mit kes auf die von Makhlouf verkörperte Bevölkerung jünger als 25 Jahre ist.5 In Tunesien und Ägypten, beide in prä- 82 Millionen Einwohnern größten ara- Cliquenwirtschaft entlud sich gleich zu Einher ging und geht die ökonomi- sidentiellen und von der Armee be- bischen Land, sind weite Teile der Be- Beginn der syrischen Proteste, als Syria- sche Perspektivlosigkeit mit dem Man- herrschten Systemen organisiert, kam es völkerung von wirtschaftlicher Teilhabe tel-Filialen in Flammen aufgingen. In gel an Rechtsstaatlichkeit und politi- zu Massenprotesten, die auch dann ausgeschlossen. Ein Fünftel der Ägypter Tunesien war es die Präsidentengattin scher Freiheit. Demokratie-Indizes mö- weitgehend friedlich blieben, als sie vom muss mit weniger als 1,25 Dollar pro Leila Trabelsi, die mit ihren Familienan- gen im Einzelnen strittig sein, doch das Regime mit Gewalt beantwortet wur- Tag auskommen und lebt damit in ex- gehörigen wichtige Wirtschaftsbereiche Resultat für die arabische Welt ist von den. Nach weniger als einem Monat tremer Armut. Die globale Wirtschafts- beherrschte und ob ihres verschwende- erschreckender Deutlichkeit. In seiner musste der tunesische Staatspräsident und Finanzkrise sowie der rasante An- rischen Lebensstiles bei vielen Tunesi- jüngsten, kurz vor dem Arabischen Ben Ali fliehen und in nur 18 Tagen stieg der Nahrungsmittelpreise haben ern verhasst war. Tragikomische Be- Frühling veröffentlichten Erhebung stürzte Mubarak in Kairo. Entscheidend gerade die Situation der unteren Bevöl- rühmtheit hat dabei eine von Wikileaks klassifi zierte die Nichtregierungsorga- war in beiden Fällen, dass sich das Mili- kerungsschichten weiter verschärft. Die veröffentlichte Botschaftsdepesche aus nisation Freedom House lediglich Ma- tär angesichts des Ausmaßes und der Vorstellung vom fruchtbaren Nildelta dem Sommer 2009 erlangt. In dieser be- rokko und Libanon als „teilweise frei“ Hartnäckigkeit der Proteste auf die Seite lässt oft in Vergessenheit geraten, dass schreibt der amerikanische Botschafter und alle anderen arabischen Staaten als des Volkes stellte. Auch wenn im Ver- Ägypten der weltweit größte Importeur eine Einladung in die Sommerresidenz „nicht frei“.6 Zwar hat der Staatsterror gleich zu den Gewaltexzessen in ande- von Weizen ist. Dessen Weltmarktpreis von Mohamed Sakher el-Materi, dem gegen Oppositionelle – so grausam er im hatte sich bis Februar 2011 innerhalb Schwiegersohn des tunesischen Staats- Einzelfall auch war – weite Teile einer nur weniger Monate verdoppelt. Nord- präsidenten Ben Ali. Dort wird nicht Bürgerschaft nicht berührt, die sich Die Erneuerungsbewegungen und Trans- afrika und der Nahe Osten insgesamt nur bildhaft vom täglich vier Hühnchen längst in politische Apathie gefl üchtet formationsprozesse der arabischen Welt sind weltweit diejenigen Regionen, die verschlingenden Haustiger namens Pa- hatten. Doch angesichts der beständig REICHEN vom friedlichen Protest bis hin pro Kopf gerechnet den größten Import- scha berichtet, sondern auch von dem spürbaren Korruption und Behörden- zum gewaltsamen Regimesturz. anteil an ihrer Nahrungsmittelversor- opulenten Mahl, für das zur Nachspeise willkür sowie der wirtschaftlichen gung verzeichnen (25-30 %).2 eigens Joghurteis aus dem südfranzösi- Schwierigkeiten wuchs in der arabi- Auch wenn das Pro-Kopf-Einkom- schen Saint Tropez eingefl ogen wurde.3 schen Jugend der Anspruch, die politi- ren Ländern diese beiden Revolutionen men in den rohstoffreichen Ländern Al- Dieser Reichtum einer regimenahen schen Rahmenbedingungen in ihren oft als besonders friedlich apostrophiert gerien und Libyen höher liegt als in Minderheit kontrastiert mit der wirt- Ländern mitzugestalten. werden, war auch hier ein Blutzoll zu Ägypten, Tunesien oder Syrien, so errei- schaftlichen Frustration vieler Jugendli- zahlen. Bei den Versuchen des Regimes, chen die dortigen Milliardengewinne cher in der arabischen Welt. Oft ambitio- Reform oder Revolution? Eine Topo- die Proteste niederzuschlagen, starben aus Öl- und Gasexport bei weitem nicht niert, gut ausgebildet und mit den Mög- graphie des „Arabischen Frühlings“ in Tunesien über 200 und in Ägypten die Breite der Bevölkerung. Alle arabi- lichkeiten eines freien und selbstbe- In den 22 Staaten (einschließlich der Pa- über 800 Menschen. In beiden Ländern schen Staaten sind von starken Diskre- stimmten Lebens nicht zuletzt über inter- lästinensischen Autonomiebehörde), die steht der demokratische Prozess erst am panzen in der Vermögensverteilung ge- nationale Medien vertraut, bleibt ihnen in der Arabischen Liga zusammenge- Anfang.

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Das Libysche Modell ger gerecht zu werden und sich dabei Ausdehnung der Protestbewegung ge- Dass Libyen dem tunesischen und ägyp- gleichwohl an der Macht zu halten. Im spielt haben. Während soziale Netz- tischen Modell nicht folgte, lag an einer Vergleich zu den Präsidialregimen bzw. Ausgelöst durch die neuen Medien- werke bevorzugt von der internet-affi - Reihe spezifischer Faktoren, zu denen Militärdiktaturen fällt dies den Monar- formate wurde von Tunesien aus nen urbanen Jugend genutzt werden, zuvorderst die kompromisslose Härte chen wesentlich leichter, da sie nicht nur in der Region ein DOMINOEFFEKT trugen Al-Jazeera und Al-Arabiya die gehörte, mit der Muammar Gaddafi die eine historisch-kulturelle Legitimation wirksam. Revolution in Echtzeit in nahezu jedes Proteste in allen Landesteilen nieder- vorweisen, sondern auch die Verantwor- arabische Wohnzimmer. schlagen ließ. Vor allem im Osten des tung für politische Fehler glaubwürdi- Die so angefachte revolutionäre Dy- Landes, der traditionell eigenständigen ger den Regierungen ihres Landes zu- namik setzte „klassische“ Mechanismen Cyreneika, verteidigten sich die De- schreiben und diese entsprechend aus- autoritärer Herrschaft vielerorts außer monstranten mit Waffengewalt und ge- wechseln können. Am erfolgreichsten Kraft. In Libyen, wo jede Familie zu Jah- wannen rasch die Oberhand über die geht dabei der marokkanische König mit staatlichen Subventionen versuchen resbeginn eine Prämie von über 300 Sicherheitskräfte des Regimes. Zwar de- Mohammed VI. vor. Seinen Verfas- ruhigzustellen, fand – wenn auch in ge- Euro erhielt, oder in Syrien, das die Ge- sertierten weite Teile der Armee, doch sungsentwurf, in dem die Rechte des ringerem Maße – in den anderen arabi- hälter seiner Beamten um 30 % erhöhte, insbesondere gut ausgerüstete Eliteein- Parlaments gestärkt und seine eigenen schen Staaten ebenso Anwendung. konnten materielle Wohltaten die Pro- heiten und ausländische Söldner blieben Kompetenzen – wenn freilich auch nur Ungeachtet der Heterogenität der teste keineswegs stoppen. Wer den Ara- Gaddafi gegenüber loyal. Der Protest sehr moderat – beschnitten wurden, arabischen Welt, die auch in dieser bischen Frühling als schlichte „Brotre- wurde zu einer bewaffneten Rebellion, nahm das Volk am 1. Juli 2011 mit über- idealtypischen Kategorisierung sicht- bellion“ abtut, verkennt seine zuvor skiz- die in einem Blutbad zu enden drohte, großer Mehrheit an. bar wird, ist der „Dominoeffekt“ ein zierte Vielschichtigkeit. Auch die Bruta- das nur durch internationale Luftschlä- Schlüsselelement des Arabischen lität der Regime gegenüber der Protest- ge gegen die Gaddafi-Truppen abgewen- Das Golfstaaten-Modell Frühlings. Genauso wie sich weite Tei- bewegung hat nicht in ausreichendem det werden konnte. Nach sechs Mona- Die reichen Ölstaaten am Golf versuch- le der Jugend Tunesiens im Schicksal Maße die sonst übliche abschreckende ten zäher Kämpfe eroberten die Aufstän- ten mit weitreichenden sozialpoliti- ihres selbstverbrannten Altersgenos- Wirkung entfaltet. Im Gegenteil: In Syri- dischen – unterstützt von den NATO- schen Maßnahmen, möglichen Protes- sen wiederfanden, so fand sich die en etwa führten die Gewaltexzesse der geführten Luftangriffen – schließlich ten von vornherein den Boden zu ent- ägyptische Jugend im Schicksal der tu- Behörden erst zur Ausweitung der Pro- Tripolis und setzten der über vierzigjäh- ziehen. Kuweit beispielsweise gewährte nesischen wieder. Als Katalysator teste auf das ganze Land. „Blut öffnet die rigen Herrschaft Gaddafis ein Ende. Die jedem Staatsbürger eine Einmalzahlung wirkten dabei neue Medienformate. Tür zu nur noch mehr Zorn“, beschreibt Auseinandersetzungen kosteten mehre- von 2.600 Dollar und Saudi-Arabien Zum einen gilt das für die web-basier- die untergetauchte Damaszener Men- re zehntausend Menschen das Leben. zahlte seinen öffentlichen Angestellten ten sozialen Netzwerke. Facebook, schrechtsaktivistin Razan Zeitouneh Im Zuge des Libyenkonflikts stellt sich eine Prämie in Höhe eines doppelten Youtube und Twitter erlaubten es den diese Eskalationsspirale.8 Gerade das sy- die Frage, wann und in welchem Um- Monatsgehalts.7 Insgesamt ermöglicht Demonstranten, sich besser und in rische Beispiel zeigt auch, wie sehr der fang die Weltgemeinschaft zum Sturz der Ressourcenreichtum der Golfstaa- größeren Massen zu koordinieren und Verlauf der Transformationsprozesse eines Diktators beitragen kann, darf ten einen außerordentlich hohen Le- ihre Anliegen nicht nur im Land selbst, von der Reaktion der Regime abhängt. oder soll, mit erneuter Schärfe. bensstandard, womit zumindest eines sondern auch über die Grenzen hinaus Immer wieder hatte sich dem Staatsprä- der Protestmotive entfällt. Entspre- zu verbreiten. Ein internet- und kame- sidenten Basher al-Assad in den ersten Das Marokkanische Modell chend kam es in allen Golfmonarchien rafähiges Mobiltelefon genügte, um so- Monaten des Protests die Möglichkeit Während die zuvor genannten Regime außer in Bahrein lediglich zu vereinzel- wohl die Stärke der Opposition als geboten, in Richtung des „Marokkani- mit Gewalt versuchten, die Proteste zu ten Protesten. Im Kleinstaat Bahrein auch die staatliche Gewalt in Sekun- schen Modells“ einzuschwenken. Mit unterdrücken, schlugen die Monarchien forderte die schiitische Mehrheit ein denschnelle in die Welt zu tragen. Das der kompromisslosen militärischen Nie- in Marokko und in Jordanien einen an- Ende der Diskriminierung durch das Modewort von der „Facebook-Revolu- derschlagung der Proteste, die von der deren Weg ein. Zwar kam es auch hier sunnitische Herrscherhaus. Mit Waf- tion“ sollte jedoch nicht vergessen las- wahllosen Tötung von Zivilisten, mas- zu einzelnen Übergriffen gegen De- fenhilfe aus dem benachbarten Saudi- sen, dass die arabischen Satellitensen- senhaften Verhaftungen und systemati- monstranten, doch versuchten die dorti- Arabien wurde die „Perlenrevolution“ der, insbesondere der in Katar behei- scher Folter begleitet war, hat sich das gen Herrscherhäuser über Reformen schließlich gewaltsam niedergeschla- matete Sender Al-Jazeera, eine min- Regime jedoch substanziell seiner Legi- „von oben“ den Forderungen ihrer Bür- gen. Die Methode, die eigenen Bürger destens ebenso wichtige Rolle bei der timität beraubt.

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Auch wenn es sich beim Arabischen gen weltweit. Deutschland und Europa andere Zugeständnisse der Europäi- Frühling in erster Linie um eine natio- stehen als Partner bereit, damit der de- schen Union erhalten.10 nale bzw. pan-arabische Bewegung han- Externe Akteure nahmen nicht mokratische Aufbruch in Nordafrika Die Gewalteskalation in Libyen zeig- delt, können externe Akteure auf seinen zuletzt aus politischem und wirt- und anderen Teilen der arabischen Welt te jedoch schnell, auf welch fragilem Verlauf einen mitunter entscheidenden schaftlichem Interesse mitunter tatsächlich gelingen kann.“9 Fundament der neue deutsche An- Einfl uss nehmen. Dies hat sich am deut- ENTSCHEIDENDEN Einfluss auf den Schon Mitte Februar legte das Ent- spruch im Mittelmeerraum stand. Ins- lichsten in Libyen offenbart. Dort hat jeweiligen Entwicklungsverlauf. wicklungshilfeministerium einen Son- besondere Frankreichs Staatspräsident die NATO-geführte Koalition nicht nur derfonds von über 30 Millionen Euro Nicolas Sarkozy ergriff die Gelegenheit, ein unmittelbar bevorstehendes Massa- zur Förderung von Demokratie und für um sich – so eine in Paris gern benutzte ker in Bengasi verhindert, sondern – völ- die Wirtschaftsentwicklung in Nordaf- Formulierung – wieder auf die richtige kerrechtlich durchaus fragwürdig – fak- rika auf. Im Auswärtigen Amt wurde Seite der Geschichte zu stellen, während tisch als Luftwaffe der Rebellen fun- die Vokabel von der „Transformations- sich Deutschland durch seine Enthal- giert. Sowohl die Einfl ussmöglichkeiten partnerschaft“ geboren, die schließlich tung bei der Abstimmung im UN-Si- als auch die Interessen externer Akteure scher Politik und ist für eine immer erfolgreich auch auf die europäische cherheitsrat zur Libyen-Resolution 1973 variieren dabei von Land zu Land. So ist noch von autoritären Herrschaftsstruk- Ebene transferiert wurde. Westerwelle selbst aus dem Spiel nahm. Auf den in Syrien, dessen Regime von Iran unter- turen geprägte Region besonders rele- und Entwicklungsminister Pick-up-Trucks der lybischen Revolutio- stützt wird, das Druckpotenzial des vant. Dennoch hat – von dem intensiven gehörten zu den ersten westlichen Poli- näre fl atterte bei ihrem Marsch auf Tri- Westens geringer als dies etwa in Ägyp- deutsch-israelischen Verhältnis einmal tikern in Tunis und Kairo. Deutsch- polis fortan neben der alten lybischen ten der Fall war. Dort hat der Einfl uss abgesehen – der südliche Mittelmeer- land, das stets ein Stück mehr Distanz Königsfahne die französische Trikolore. der Amerikaner auf die von ihnen groß- raum erst seit dem Arabischen Frühling zu den autoritären Machthabern der Wieder einmal hatte sich Europa in zügig subventionierte Armee dazu bei- auf der Agenda der deutschen Außenpo- Region gehalten hatte als die Südeuro- einer außenpolitischen Schlüsselfrage getragen, dass diese sich letztlich gegen litik einen prominenten Platz eingenom- päer, stand plötzlich als glaubwürdiger gespalten gezeigt. Auch wenn dies letzt- Mubarak stellte. Im Bahrein dagegen, men. Partner einer sich rasant wandelnden lich in den Divergenzen unter den Mit- wo die 5. Flotte der US Navy stationiert Wie in den anderen europäischen arabischen Welt im Mittelpunkt – wirt- gliedstaaten begründet liegt, so können ist, drängte Washington zwar auf ein Hauptstädten war man in Berlin vom schaftsstark, ohne Kolonialvergangen- sich auch die EU-Akteure in Brüssel mit Ende der Gewalt, suchte den Sturz des Ausmaß und der Heftigkeit der arabi- heit in der Region und mit einzigartigen Blick auf die Umbrüche in Nordafrika Königshauses aber zu vermeiden. schen Protestbewegung überrascht wor- Instrumenten wie den Politischen Stif- kein gutes Zeugnis ausstellen lassen. In den. In die Sympathie für die Demons- tungen, die nun von ihrer jahrzehnte- der ersten großen internationalen Krise Die Rolle Deutschlands und Euro- tranten mischte sich die Sorge vor Insta- langen Basisarbeit profi tieren. Während nach Inkrafttreten des Vertrags von Lis- pas bilität und nur zögerlich rückte auch die man sich in Paris und bei der Europäi- sabon blieben die dort neu begründeten Dass es in der arabischen Welt um Bundesrepublik von den Machthabern schen Kommission in Brüssel noch die Institutionen blass. Die EU-Außenbe- handfeste deutsche Interessen geht, ab, mit denen sie lange zusammengear- Augen rieb, wie schnell die alten Ver- auftrage Catherine Ashton hat den in sie wird niemand bestreiten: Sicherung der beitet hatte. Doch nach dem Fall Hosni bündeten vom Thron gejagt wurden, gesetzten Anspruch, die europäische Energieversorgung, Steuerung und Be- Mubaraks am 11. Februar 2011 begann reklamierten die Deutschen nun eine grenzung der Migration, Kampf gegen die Bundesregierung mutiger zu agieren. Führungsrolle in der Neuformulierung Terrorismus und Islamismus, Schutz In einer Regierungserklärung Mitte der europäischen Mittelmeerpolitik. der Handelswege und Erschließung März bezog Außenminister Guido Wes- Berlin forderte verbesserten Marktzu- neuer Märkte stechen dabei hervor. terwelle klar Position: „Wir stehen in gang und legale Migrationsmöglichkei- Auch für eine friedliche Lösung des der arabischen Welt vor einem Neube- ten für die südlichen Mittelmeeranrai- EUROPA unterstützte den politischen Nahostkonflikts – Israels Sicherheit gilt ginn voller Chancen. Aber nicht nur die ner, eine stärkere Unterstützung der Aufbruch in der arabischen Welt als deutsche Staatsräson! – braucht es Völker der Region, sondern auch wir Zivilgesellschaft und mehr Konditiona- politisch und wirtschaftlich, war tragfähige Beziehungen zu den arabi- brauchen einen langen Atem. Dieser lität. Nur diejenigen Staaten, die bei sich jedoch militärisch uneins. schen Staaten. Die Verbreitung von De- arabische Frühling ist eine historische Menschenrechten und demokratischen mokratie und Rechtsstaat gehört eben- Chance für Frieden und Wohlstand in Standards Fortschritte verzeichnen, falls zu den formulierten Zielen deut- der gesamten Region mit positiven Fol- sollten demnach künftig Gelder und

64 POLITISCHE STUDIEN // 440 440 // POLITISCHE STUDIEN 65 en Weltordnung werden, die sich derzeit bewerb haben Überbleibsel des Ancien herausbildet.12 Régime und die in religiösen Milieus verankerten Gruppierungen wie die Die Perspektiven des demokrati- Muslimbrüder organisatorisch einen schen Aufbruchs komparativen Vorteil gegenüber der li- Nicht zuletzt in Deutschland weckten beralen Opposition. In Ländern wie die Bilder vom Tahrir-Platz, als die Ägypten ist die sozio-ökonomische Lage Ägypter den Rücktritt Mubaraks beju- außerdem dermaßen desolat, dass auch belten, Erinnerungen an den Mauerfall. eine demokratisch geführte Regierung In der Tat ist die Transformation, die die immensen Erwartungen, die durch 2011 in der arabischen Welt begann, in den erfolgreichen und teilweise unter ihrer historischen Tragweite mit derjeni- Lebensgefahr erstrittenen Regimewech- gen nach dem Kalten Krieg in Mittel- sel bei den Menschen entstanden sind, und Osteuropa durchaus vergleichbar. nicht aus eigener Kraft wird erfüllen Allerdings muss sie sich unter ungünsti- können. Schließlich fehlt in den arabi- geren Voraussetzungen vollziehen. schen Ländern die Zielperspektive einer Während die demokratischen Trans- Mitgliedschaft in der Europäischen Uni- Bildnachweis: AFP / Getty Images formationsprozesse in Mittel- und Ost- on, die als Katalysator für die demokra- Nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes wurden Nicolas Sarkozy und David Cameron als erste ausländische Staatschefs europa auch eine Befreiung von der sow- tische Transformation Mittel- und Ost- in der libyschen Stadt Benghazi am 15. September 2011, auch wegen ihrer militärischen Hilfe, begeistert von der jetischen Fremdherrschaft bedeuteten, europas gewirkt hat. Bevölkerung empfangen. können die arabischen Reaktionäre die Der Arabische Frühling wird trotz- nationale Karte spielen und versuchen, dem gelingen. Gute Regierungsfüh- Politik besser zu koordinieren und der über vielfältige Instrumente und Fonds die Protestbewegungen als Agenten des rung kann die demographische Dyna- Europäischen Union eine einheitliche zur Gestaltung der euro-mediterranen Auslands zu diskreditieren. In der von mik in produktive Bahnen lenken und Stimme zu geben, nicht einlösen kön- Beziehungen. Ohne den politischen kolonialen Traumata geprägten arabi- das brachliegende Potenzial einer wis- nen. Ihr erst im Aufbau befi ndlicher Eu- Willen der Europäer zu einem kohären- schen Welt fallen solche Verschwö- sens- und lebenshungrigen Jugend ropäischer Auswärtiger Dienst ist noch ten und strategischen Auftreten in der rungstheorien häufi g auf fruchtbaren endlich nutzbar machen. In der Ener- weit von der nötigen Einsatzreife ent- Mittelmeerregion werden zusätzliche Boden und vor allem die libysche und giewirtschaft nimmt die arabische fernt. Mittel alleine nicht ausreichen. syrische Regime-Propaganda haben Welt eine Schlüsselstellung ein, die sie Ende Mai 2011 hat die Europäische Europa muss der arabischen Welt dies ausgenutzt. Auch die Entstehung nicht nur bei fossilen Rohstoffen noch Kommission schließlich einen Vor- eine erneuerte Partnerschaft anbieten, einer autonomen Zivilgesellschaft ha- über Jahrzehnte behalten wird, son- schlag zur Revision der EU-Nachbar- eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Die ben die autoritären Machthaber jahr- dern auch auf den Bereich der erneuer- schaftspolitik vorgelegt, in welcher die behutsame Integration der europäischen zehntelang zu verhindern gewusst. baren Energien, vor allem auf die So- Demokratieförderung einen höheren und arabischen Märkte, die Schaffung Selbst in einem freien politischen Wett- larenergie, ausdehnen kann. Geostra- Stellenwert einnimmt als bisher. Sowohl eines gemeinsamen Bildungsraumes, tegisch stellt sie ein Scharnier, durch für die Nachbarn im Süden wie im Os- zeitlich begrenzte und auf die Bedürf- das wichtige Handelsrouten zwischen ten wird außerdem mehr Geld zur Ver- nisse beider Seiten zugeschnittene Mi- Europa und den großen Wachstumsre- fügung gestellt: Die für die Periode grationsangebote sowie eine nachhalti- gionen in Asien und Afrika verlaufen, 2011-2013 vorgesehenen 5,7 Milliarden ge Energiekooperation könnten Säulen Demokratisch oder religiös-reaktio- dar. Die pan-arabische Solidarität, die Euro sollen um weitere 1,3 Milliarden einer solchen Partnerschaft sein. Ein när – die WIRTSCHAFTLICHE Entwick- von den Erneuerungsbewegungen aus- aufgestockt werden.11 Doch schon bis- sich sukzessive integrierender, erweiter- lung wird das bestimmen. gelöst wurde, sowie der Sturz der in her verfügte die EU mit der Europäi- ter euro-mediterraner Raum, der von erster Linie auf ihren eigenen Machter- schen Nachbarschaftspolitik und dem Skandinavien über die Türkei bis hin zu halt fi xierten Herrschaftshäuser kön- Barcelona-Prozess, der 2008 in die Uni- den Golfstaaten reicht, würde zu einem nen außerdem einen Beitrag leisten, on für das Mittelmeer überführt wurde, dynamischen Kraftzentrum in der neu- zumindest die wirtschaftliche Integra-

66 POLITISCHE STUDIEN // 440 440 // POLITISCHE STUDIEN 67 ANALYSEN

9 Westerwelle, Guido: Regierungserklärung zum müssen, ob es dem Westen gefällt oder ist, vermögen die Götter nichts mehr ge- Umbruch in der arabischen Welt am 16.3.2011, nicht. gen diesen Menschen.“ /// in: Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht vom 16. 3.2011, S. 10814-10818, hier S. 10816, Das Tor zur FREIHEIT in Arabien Doch so schwierig sich der Aufbau www.auswärtiges-amt.de, Stand 1.9.2011. wurde geöffnet und eine Rückkehr demokratischer Staatswesen auch ge- 10 Siehe dazu den Brief Westerwelles an die EU-Au- ßenbeauftragte Catherine Ashton: Westerwelle zur alten Unterdrückung scheint stalten mag und so sehr die Anhänger für neue EU-Mittelmeerpolitik, in: Süddeutsche nicht mehr durchführbar. der Protestbewegungen sich in ihren Zeitung, 17.2.2011, S. 8. 11 Europäische Kommission: A New Response to a Einzelinteressen auch unterscheiden, Changing Neighbourhood, Mitteilung vom das Bewusstsein, mit der Zeit des 25.5.2011, http://ec.europa.eu/world/enp/pdf/ com_11_303_en.pdf, Stand 1.9.2011. schweigsamen Erduldens gebrochen zu 12 Für Handlungsempfehlungen zur Neugestaltung haben, wird sich nicht mehr aus der /// EDMUND RATKA der euro-mediterranen Partnerschaft siehe u. a. Ratka, Edmund: Mehr Mut im Mittelmeerraum. Welt schaffen lassen. Nach den histori- ist Associate Researcher am Centrum für Wie Deutschland die arabische Demokratiebe- schen Ereignissen des Jahres 2011 ist angewandte Politikforschung (C·A·P), wegung stärken und der euro-mediterranen Part- nerschaft aus der Sackgasse helfen kann, in: Poli- tion der arabischen Länder unterein- eine Rückkehr zum Status quo ante München und Redaktionsassistent für tische Meinung, April 2011, S. 17-23, www.kas. ander voranzutreiben. Die 330 Millio- nicht vorstellbar. Auf der Avenue Ha- das Lehrbuch „Die Europäische Union“ de, Stand 1.9.2011; zur Migrationsdynamik zwi- schen Europa und Nordafrika siehe Schmid, Su- nen Menschen umfassende arabische bib Bourgiba in Tunis und dem Tahrir- (UTB Verlag). sanne: Vor den Toren Europas? Das Potenzial der Welt ist – ungeachtet einer gemeinsa- Platz in Kairo hat sich das Volk seine Migration aus Nordafrika, in: Politische Studien 439, September/Oktober 2011, S. 48-59. men Hochsprache – bislang die welt- Souveränität, haben sich die Bürger ihr 13 Ben Jelloun, Taher: Arabischer Frühling: Vom Wie- weit am wenigsten integrierte Region. Bürger-Sein zurückerobert. Vom „Wie- Anmerkungen dererlangen der arabischen Würde, Berlin 2011. 1 Auch wenn die genauen Umstände im Vorfeld der 14 Zit. in Obert, Michael: Das Blut der Revolution, Dies hat neben den verkrusteten politi- dererwachen der arabischen Würde“ Selbstverbrennung Bouazizis nach wie vor nicht in: Süddeutsche Zeitung Magazin, S. 22-34, hier vollständig geklärt sind, entfaltete diese eine enor- S. 30. schen Strukturen dazu beigetragen, spricht treffend der marokkanische me symbolische Wirkung innerhalb Tunesiens dass sich das enorme Wachstums- und Schriftsteller Tahar Ben Jelloun.13 und auch im Ausland. Siehe dazu auch Ayad, Christophe: „La révolution de la gifle“, in: Libéra- Modernisierungspotenzial ihrer Volks- Selbstbewusst-drohend klingt die tion, 11.6.2011. wirtschaften bislang nicht entfaltet Mahnung eines ägyptischen Slum-Be- 2 Johnstone, Sarah / Mazo, Jeffrey: Global War- ming and the Arab Spring, in: Survival 53/2, Ap- hat. wohners, auch die Armen von der Re- ril/Mai 2011, S. 11-17. Die Transformation der arabischen volution profi tieren zu lassen: „Wir 3 Tunesische Aktivisten hatten für die Wikileaks- Dokumente, die Tunesien betreffen, eigens die In- Welt ist ein offener Prozess. Die Ent- kennen jetzt den Weg zum Tahrir- ternetplattform Tunisleaks eingerichtet. Die De- wicklungen in jedem Land sind stark an Platz.“14 Mit Ben Ali in Tunis und Mu- pesche „Tunisia: Dinner with Sakher el Materi“ vom 27.7.2009 ist abrufbar unter https://tunile- den jeweiligen inneren Kontext gebun- barak in Kairo fi el auch die Mauer der aks.appspot.com/?p=36001, Stand 1.9.2011. den und zugleich von der regionalen Dy- Angst; die Herrscher der arabischen 4 International Labour Office: Global Employment Trends for Youth, Genf 2010, S. 47, http://www. namik insgesamt abhängig. Sie lassen Welt haben den Mythos ihrer Unan- ilo.org/public/english/region/afpro/addisababa/ sich deshalb im Einzelnen nur schwer greifbarkeit verloren. pdf/getforyouth.pdf, Stand 1.9.2011; Internatio- nal Labour Office: Global Employement Trends, vorhersagen. Schon jetzt zeigt sich aber, Die Opferbereitschaft der lybischen Genf 2011, S. 49, http://www.ilo.org/wcmsp5/ dass der Weg zu freiheitlichen und Rebellen, die sich mit selbstgebastelten groups/public/---dgreports/---dcomm/---publ/ documents/publication/wcms_150440.pdf, rechtsstaatlichen Systemen in der arabi- Waffen der Militärmaschinerie Gadda- Stand 1.9.2011. schen Welt langwieriger und stärker von fi s entgegenwarfen, und der Todesmut 5 Für eine Übersicht über das Durchschnittsalter in allen arabischen Ländern siehe The Economist: Gewalt begleitet sein wird als in Mittel- der syrischen Demonstranten, die Wo- Mapping the Arab World, www.economist.com/ und Osteuropa. Dass sich gerade in den che für Woche im Kugelhagel der Si- blogs/dailychart/2011/02/arab_league_map, Stand 1.9.2011. Monarchien halb-demokratische Regie- cherheitskräfte auf die Straße gingen 6 Freedom House: Freedom in the World 2011, www. rungsformen erst einmal halten werden, und gehen, sind das wohl eindrücklichs- freedomhouse.org/images/File/fiw/FIW_2011_ Booklet.pdf, Stand 1.9.2011. ist durchaus wahrscheinlich. In den te Zeugnis dieses neuen arabischen 7 Für eine Übersicht über die sozialpolitischen Maß- Staaten mit einem Regimesturz, zu de- Selbstverständnisses. Der französische nahmen der arabischen Regime im Rahmen des Arabischen Frühlings siehe Le Monde Diploma- nen neben Tunesien, Ägypten und Liby- Philosoph Jean-Paul Sartre lässt es Jupi- tique: Une région en ébullition, April 2011, S. 17-23. en früher oder später auch Syrien gehö- ter in seinem Theaterstück „Die Fliegen“ 8 Zit. nach Fischer, Susanne: Das Ende der Angst. Syriens junge Generation kämpft für den Sturz des ren wird, werden konservative und reli- so sagen: „Wenn erst einmal die Freiheit Assad-Regimes, in: Internationale Politik 66/5, giöse Kräfte einen legitimen Platz haben in einer Menschenseele aufgebrochen September/Oktober 2011, S. 60-67, hier S. 62.

68 POLITISCHE STUDIEN // 440 440 // POLITISCHE STUDIEN 69 ANALYSEN

/// Zum 200. Todestag des deutschen Dichters und Publizisten, Heinrich von Kleist STAAT UND GESETZ BEI „MICHAEL KOHLHAAS“ UND „PRINZ FRIEDRICH VON HOMBURG“

DETLEF MERTEN /// Heinrich von Kleist (1777-1811), der als Romantiker schon in den Realismus übergriff, ist doch 200 Jahre nach seinem Tode von erstaunlicher Modernität. Da in vielen seiner Werke Probleme von Recht und Gerechtigkeit, Staat und Gesetz, Schuld und Sühne behandelt werden, wird er auch als „juridi- scher Dichter“ bezeichnet.

Kleist in seiner Zeit zum Patriotismus aufruft, infolge seines Kleists kurzes Leben fällt in die Epoche aufsehenerregenden Freitodes im No- zwischen Revolution und Restauration, vember 1811 die neue Zeit nicht mehr. zwischen Klassik und Romantik, wobei Sie zeichnet sich schon 1812 durch die sein Werk auch schon Züge des Realis- für den Freiheitskampf, aber auch die mus trägt, wie sie sich in der Todes-Sze- Würdigung des preußischen Militär- ne des Prinzen von Homburg offenba- standes so wichtige Konvention von ren, der am Ende leben, nichts als leben Tauroggen ab. Vision und Vermächtnis und nicht mehr fragen will, „ob es ist daher der Schluss in seinem „Prinz rühmlich sei“ (III/5). An seinen Freund Friedrich von Homburg“: „In Staub mit Rühle von Lilienstern schreibt Kleist allen Feinden Brandenburgs!“ Diese Anfang Dezember 1805: „Die Zeit Worte wurden zwar bei der Urauffüh- scheint eine neue Ordnung der Dinge rung 1821 im Wiener Burgtheater ge- Anlässlich des internationalen Kleist- herbeiführen zu wollen, und wir werden sprochen, werden heutzutage jedoch Jahres zum 200. Todestag des Dichters davon nichts als bloß den Umsturz der vielfach gestrichen, obwohl sie über das setzen sich zahlreiche Wissenschaftler alten erleben.“1 Territorial-Konkrete auf das Abstrakt- und Künstler mit dem Menschen Kleist Und in der Tat erfährt der Dichter, Theoretische verweisen. Schon 1927 und seinem Schaffen auseinander. der wie kaum ein anderer das danieder- hatte sich Leopold Jessner gegen die Til-

liegende Preußen in seinen Werken wie gung des Textes mit dem Hinweis ge- Bildnachweis: Hulton Archive / Getty Images der „Hermannsschlacht“ oder durch die wandt, es stelle sich automatisch statt Herausgabe der „Berliner Abendblätter“ des historischen Begriffs „Branden-

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burg“ der des „Staats“ in „seiner immer Adam Müller herrührt, mit dem er spä- Überlieferungen verwiesen worden war, ungeschmälerten Gültigkeit“ ein. ter die Kunst- und Literaturzeitschrift hatte auch Kleist ausweislich eines Bi- Kleist ist wegen seiner Rastlosigkeit „Phoebus“ herausgibt. Kenntnis von der Im „Prinzen von Homburg“ werden bliothekseintrags Kenntnis. und Freiheitsbedürftigkeit kein idealer modernen Staatsauffassung erlangt er RECHTLICHE GRUNDPROBLEME mit der Ungeachtet historischer Genauigkeit Staatsdiener. Als Sohn eines Majors und aber zum anderen durch seine Freunde, militärischen Rahmenhandlung genial verfolgt Friedrich der Große mit der Er- Spross eines preußischen Adelsge- die „wissenschaftliche“, das heißt an ei- miteinander verquickt. wähnung der Homburg-Legende einen schlechts tritt er zwar 1792 in ein Pots- ner Militärakademie ausgebildete Offi - anderen Zweck. Indem er die großmütige damer Garderegiment ein, gibt aber be- ziere sind (Rühle, Pfuel), und durch den und gnädige Reaktion des Großen Kur- reits nach sieben Jahren, 1799, die mili- gesellschaftlichen Verkehr in Kreisen fürsten auf die Verletzung des Kriegs- tärische Laufbahn auf. Auch der Ver- der preußischen Reformer. rechts schildert, kritisiert er zwischen waltungsdienst, den er 1805 in Königs- den Zeilen und kaum bemerkbar das berg beginnt, kann ihn nicht lange hal- „Prinz Friedrich von Homburg“ harte Urteil seines Vaters, des Soldaten- ten. Nach der Katastrophe von Jena und Im „Prinzen von Homburg“, dem wohl oberste Schicht abtragen, erblicken wir königs, in einem ähnlichen Fall. Fried- Auerstedt reist er als beurlaubter Volon- preußischsten aller Dramen, verbindet hinter den Zügen des Großen Kurfürs- rich hatte zusammen mit seinem Freund, tär in das besetzte Berlin, um seiner Be- Kleist genial die militärische Rahmen- ten die Umrisse Friedrichs des Großen. Hans Hermann von Katte, im Jahre 1730 rufung als Schriftsteller zu folgen. handlung mit staatstheoretischen und Er ist es zunächst, dem Kleist die Vorla- eine Flucht ins Ausland geplant, um der Tieck hat Kleist einen juridischen rechtsphilosophischen Grundproble- ge für das Schauspiel verdankt. väterlichen Strenge zu entgehen. Obwohl Dichter genannt, und in der Tat stoßen men: Gottesgnadentum und Gesetzes- In seinen „Denkwürdigkeiten zur der Fluchtversuch schon im Anfangssta- wir in vielen seiner Werke auf juristische herrschaft, Recht und Gnade. Beide, Mi- Geschichte des Hauses Brandenburg“ dium entdeckt worden war und Katte Probleme oder Institute: So sind der chael Kohlhaas wie Friedrich von Hom- von 1751 würdigt Friedrich auch den sich hieran nicht beteiligt hatte, handelte Erbvertrag in der „Familie Schroffens- burg, akzeptieren aus freien Stücken ihr Großen Kurfürsten und berichtet über es sich – da beide Offi ziere waren – um tein“, das Femegericht im „Käthchen Todesurteil als Sühne für die Verletzung die Schlacht bei Fehrbellin, in deren versuchte Fahnenfl ucht, zu der Katte Bei- von Heilbronn“, die Rechtsbeugung und des Gesetzes, das allen gegenüber durch- Verlauf sich der Landgraf von Homburg hilfe geleistet hatte. Das wohlabgewoge- Justizaufsicht im „Zerbrochenen Krug“ gesetzt werden muss. In den Worten in überschäumender Kühnheit von sei- ne Urteil des Kriegsgerichts, das mit zu erwähnen. Herausragend in dieser Homburgs: „Ich will das heilige Gesetz nem Eifer habe fortreißen und in einen knapper Mehrheit Katte nur zu lebens- Hinsicht sind jedoch zwei Werke: „Prinz des Kriegs, das ich verletzt’ im Angesicht Kampf verwickeln lassen, der einen ver- langer Festungshaft verurteilt hatte, Friedrich von Homburg“ und „Michael des Heers, durch einen freien Tod ver- hängnisvollen Ausgang genommen hät- schärft Friedrich Wilhelm I. und begrün- Kohlhaas“, wobei das letztere als Novel- herrlichen!“ (Homburg, V, 7) te, wenn der Kurfürst nicht schleunigst det die Todesstrafe damit, er werde sich le und wegen seines bürgerlichen Hel- zur Hilfe herbeigeeilt wäre. Dennoch andernfalls auf „keinen Offi cier noch den gleichsam der kleinere Bruder des Friedrich der Große als Hintergrund habe der Kurfürst am Abend nach der Diener, die in Eid und Pfl icht sind, ... ver- ersteren Werks ist. Kleist hat in seinen Werken vielfach his- Schlacht dem Landgrafen von Homburg laßen können“; „fi at justitia et pereat Kleists Berührung mit der Wissen- torische Persönlichkeiten als Vorlage ge- verziehen, dass er leichtherzig das mundus“ zitiert der König und fügt hin- schaft von Staat und Recht resultiert nommen: Hermann den Cherusker, Ro- Schicksal des ganzen Staates aufs Spiel zu, dass es ihm leid täte, es wäre aber zum einen aus seinen Studien der Philo- bert Guiscard, Martin Luther, den Gro- gesetzt hatte, und ihm gesagt: „Wenn besser, dass Katte stürbe, als dass die Jus- sophie und Rechtswissenschaft in ßen Kurfürsten, den Kaufmann Hans ich Euch nach der Strenge der Kriegsge- tiz aus der Welt käme. In ähnlicher Weise Frankfurt an der Oder 1799 von aller- Kohlhase aus Cölln an der Spree2, dem setze richtete, hättet Ihr das Leben ver- antwortet er auf ein Gnadengesuch, es sei dings nur zwei Semestern und seinem Kleist die Gestalt des Michael Kohlhaas wirkt. Aber verhüte Gott, daß ich den besser „daß ein Schuldiger nach der Ge- Aufenthalt in Dresden (1807–1809), aus gibt, Prinz Friedrich II. von Homburg, Glanz eines solchen Glückstages befl e- rechtigkeit sterbe, als daß die Welt oder dem die Bekanntschaft mit dem roman- der zur Zeit der Schlacht bei Fehrbellin cke, indem ich das Blut eines Fürsten das Reich zugrunde gehe“. tisch-konservativen Staatstheoretiker ein 42-jähriger Schwerbehinderter ist vergieße, der ein Hauptwerkzeug mei- In ähnlichem Sinne argumentiert der und durch Kleist zu einem jugendlich- nes Sieges war.“ Von dieser Homburg- Große Kurfürst bei Kleist. Schon unmit- romantischen Helden wird. Eine ent- Legende, die um die Jahrhundertwende telbar nach dem Vorfall erklärt er seinen Nach kurzen Zwischenstationen im Militär- scheidende historische Persönlichkeit in zahlreichen Darstellungen erschie- Willen, „daß dem Gesetz Gehorsam und Verwaltungsdienst folgt Kleist 1806 lässt Kleist unerwähnt. Aber wenn wir nen, von Historikern allerdings schon sei“ (II, 9), und im Gespräch mit Kott- seiner Berufung als SCHRIFTSTELLER. von dem Gemälde des Dramas die damals in den Bereich volkstümlicher witz wiederholt er: „Das Gesetz will ich,

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die Mutter meiner Krone, aufrecht hal- sche Kurfürst in seinem Politischen Tes- Friedrich der Große lehnt das Gottes- von Menschen unter Rechtsgesetzen“. ten, die ein Geschlecht von Siegen mir tament von 1667 seinen Nachfolger, „er gnadentum ab und begründet seine Diese Rechtsgesetze, die der Herrscher erzeugt!“ (V, 5). möge Gott, der ihn erschaffen und zu Herrschaft auf den Prinzipien des zwar noch gibt – teilweise sogar unter einem Herrn und Regenten so vieler AUFGEKLÄRTEN ABSOLUTISMUS. Beteiligung der Stände –, an die er sich Absolutistisches Gottesgnadentum Länder und Leute gesetzet hat, recht selbst aber gebunden fühlt und deren und aufgeklärte Rechtsstaatlichkeit von Herzen fürchten und lieben“. In ei- Anwendung im einzelnen Fall Gerichte Und an dieser Stelle nimmt die Figur des nem anderen Testament fordert er die auf seiner Souveränität: „Wir sind doch überprüfen, die immer häufi ger rich- Großen Kurfürsten erneut die Züge Geschwister zur Liebe, Treue und zum Herr und König und können tun, was terliche Unabhängigkeit für sich bean- Friedrichs des Großen an. Was der Kur- Gehorsam gegenüber dem Kronprinzen wir wollen“, kennzeichnet sein absolu- spruchen, machen den Beginn des fürst verkündet, ist nicht die Staatsauf- auf, denn „er wird gekrönet, er wird ge- tistisches Staatsverständnis. Rechtsstaats aus, der anstelle des Got- fassung des vergangenen Absolutismus, salbet und er ist von Gott berufen zum Erst Friedrich der Große will kein tesgnadentums nun die Legitimität sondern sind die modernen Reformide- Oberhaupt, ihr aber nicht“. Dieselbe princeps christianus sein, weshalb er monarchischer Herrschaft begründet. en der preußischen Aufklärung. Für den Staatsauffassung vertreten seine Nach- auch das Niederknien bei der Überrei- Der Weg hierzu ist lang. Noch Jahr- barocken Kurfürsten kann nicht das folger. Sein Enkel, Friedrich Wilhelm I., chung von Petitionen untersagt und in zehnte später wird König Friedrich Gesetz die „Mutter“ seiner Krone sein, der Soldatenkönig, fühlt sich zwar als der „heiligen Salbfl asche“ und in sonsti- Wilhelm IV. von Preußen die ihm von denn seine Herrschaft wurzelt im Got- „Amtmann Gottes“, beharrt aber dem gen Zeremonien unnütze Erfi ndungen der Frankfurter Nationalversammlung tesgnadentum. So ermahnt der histori- Adel und seinen Untertanen gegenüber des Aberglaubens sieht. Unter dem Ein- angebotene Kaiserkrone ablehnen, die druck der Gewaltenteilungslehre Mon- er, wie er schreibt, als eine „Wurstbre- Der zum Tode verurteilte Prinz von Homburg wartet auf seine Hinrichtung – eine Aufführung des tesquieus lehnt er es immer häufi ger ab, zel von Meister Bäcker und Metzger, Westfälischen Landestheaters im September 2010. durch Machtsprüche Gesetze „umbzu- aber nicht von Gottes Gnaden“ an- werfen“, weil alles „denen Rechten und sieht, zumal auch die preußische Nati- denen Landesgesetzen gemäß tractiret onalversammlung 1848 beschlossen werden soll“3. In seinem Politischen Tes- hatte, in den Eingangsworten der Ver- tament von 1768 verdeutlicht er: „Alle fassung die Worte „von Gottes Gna- Zivilprozesse werden nach den Gesetzen den“ im königlichen Titel zu streichen. entschieden, und die Pfl icht des Souve- Sie fi nden sich dann allerdings in der räns beschränkt sich darauf, sie zu erhal- oktroyierten Verfassung von 1850 wie- ten.“ Wenn er dennoch wenige Jahre vor der. Das Allgemeine Landrecht von seinem Tode in den Prozess des Wasser- 1784 hatte dagegen ebenso fortschritt- müllers Arnold eingreift, so handelt er lich wie distanziert vom Monarchen nicht aus Herrscherlaune, sondern im nur als vom „Oberhaupt des Staates“ Gerechtigkeitseifer, weil er – wenn auch gesprochen. zu Unrecht – der Justiz misstraut und je- Im Gegensatz zum Kurfürsten ist der dem Untertan ohne Rücksicht auf Per- Obrist Kottwitz gleichsam der Vertreter son und Stand ein unparteiisches Recht der alten absolutistischen Ordnung, widerfahren lassen will. wenn er seinen Landesherrn mit den Im Allgemeinen Landrecht für die Worten umzustimmen sucht: preußischen Staaten von 1794 heißt es dann in § 22 der Einleitung: „Die Ge- „Herr, das Gesetz, das höchste, oberste, setze des Staats verbinden alle Mitglie- Das wirken soll in deiner Feldherrn Brust, der desselben, ohne Unterschied des Das ist der Buchstab’ deines Willens Standes, Ranges und Geschlechts.“ nicht;

Bildnachweis: Volker Beushausen, Castrop-Rauxel Und nach Kant, den Kleist studiert Das ist das Vaterland, das ist die Krone, hatte und an dem er verzweifelt war, ist Das bist du selber, dessen Haupt sie trägt“ der Staat „die Vereinigung einer Menge (V, 5).

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Nach absolutistischer Staatsauffas- „Vielmehr, was Du, im Lager auferzogen, wurde dann zu einem Kampfbegriff des Kleist setzt die Novelle „Michael Kohl- sung konnte der Fürst als oberster Ge- Unordnung nennst, die Tat, den Spruch bürgerlichen Rechtsstaats im 19. Jahr- haas“ ins 16. Jahrhundert und macht setzgeber und oberster Gerichtsherr das der Richter hundert. Im Übrigen hatte bereits der daran die Probleme seiner EIGENEN ZEIT Gesetz in der Tat nicht nur jederzeit auf- In diesem Fall, willkürlich zu zerreißen, historische Kurfürst in seinem Politi- deutlich. heben oder ändern, sondern es auch im Erscheint mir als die schönste Ordnung schen Testament seinen Nachfolger ge- Einzelfall durchbrechen und richterli- erst.“ (IV, 1) warnt: „Huttet Euch, das Ihr in Justits che Entscheidungen durch eigene erset- Sachen keinen bescheidt ertheilet, es sey „Michael Kohlhaas“ zen, was in zivilrechtlichen Streitigkei- Hierbei darf freilich das „willkürli- dan des Kegentheill zuforderst mitt sei- Blicken wir auf das dichterische Gemäl- ten als Machtspruch bezeichnet wird. che“ Zerreißen des Richterspruchs nicht ner Verantworttung vernommen.“ de des „Michael Kohlhaas“, so können Kottwitz plädiert für die alte Einheit der in einem pejorativen Sinne verstanden Mit gutem Grund nennt der Kurfürst wir auch hier – allerdings nur in einer Staatsgewalten, wenn er darauf hin- werden, der dem Worte heute eigen ist. die Kassation richterlicher Urteile „Un- Nebenfigur am Rande – die Konturen weist, dass das höchste Gesetz der Mo- „Willkür“ ist hier nicht als absolutisti- ordnung“, die er nur in Kauf nehmen will, Friedrichs des Großen erkennen. Kleists narch selber sei, und wenn er die Ge- sche Herrscherlaune, sondern als eine wenn Homburg, „dem das Gesetz die Ku- Biograph4 verweist hierfür auf jenen ringschätzung des Rechtssatzes mit den aus dem Willen gekürte, also eine frei gel zuerkannte“ (V, 3), „den Spruch für „würdigen alten Herrn“, der „Handel Worten beschwört „Was kümmert dich, gewählte Entscheidung zu verstehen. ungerecht kann halten“ (IV, 1). Denn im und Wandel, wo er nur vermochte, fort- ich bitte dich, die Regel.“ Dennoch ist Natalie, wenn auch ge- Unterschied zu Natalie, die nur ihrem half“ und als Vorfahr des jetzigen Jun- Diese alte Ordnung war jedoch zur fühlsmäßig, Anhängerin der alten Ord- Herzen folgen will, fürchtet er eine Ohn- kers Wenzel früher die Tronka-Burg in- Zeit Kleists überwunden. Svarez, einer nung, der die Außerkraftsetzung der macht des Gesetzes, bei der dann „auf nehatte. Das 16. Jahrhundert, in dem der Schöpfer des Allgemeinen Land- gerichtlichen Entscheidung durch einen dem Schlachtenwagen, eigenmächtig, mir Kleist die Novelle spielen lässt, ist rechts, hatte in seinen Kronprinzenvor- Herrscherspruch „als die schönste Ord- in die Zügel jeder greifen darf?“ (V, 5). gleichsam nur eine gemalte Zeitkulisse, trägen, die er dem nachmaligen König nung erst“ erscheint. Erst als sich Homburg dem, wie er selbst vor der der Dichter wiederum die Pro- Friedrich Wilhelm III. hielt, betont, der Die Richtertätigkeit absolutistischer sagt, „Rechtsspruch“ des Kurfürsten un- bleme seiner Epoche deutlich machen Regent dürfe mangels nötiger Kenntnis- Herrscher ist jedoch nicht nur als Gewal- terwirft und die Todesstrafe akzeptiert, will. So verkörpert der Junker Wenzel se und erforderlicher Zeit nicht selbst tenmonismus abzulehnen, sondern hat ist für den obersten Kriegsherrn der Weg die hommes nouveaux, zu denen auch Richter sein, sondern müsse die gericht- sich auch rechtsgeschichtlich von Nach- zur Gnadenentscheidung frei. der Usurpator Napoleon gehört, und ist lichen Erkenntnisse aufrecht erhalten teil erwiesen. Denn durch die Häufi gkeit Die Bewunderung für die Gnade, die die antisächsische Stoßrichtung des Stü- und sich willkürlicher Aufhebungen der Machtsprüche, die den unterschiedli- ihren Ursprung im Sakralen hat und als ckes unverkennbar. Hatte sich doch oder Abänderungen enthalten. Schon chen Einzelfällen gerecht werden sollten Herrschertugend, als „clementia Caesa- Sachsen Ende 1806 vom Bündnis mit vor der französischen Menschenrechts- und die vielfach von den Parteien durch ris“, bis ins Mittelalter fortwirkte, wird Preußen gelöst, mit Napoleon Frieden erklärung von 1789 mit ihrer Forderung Suppliken erbeten worden waren, wurde von der Aufklärung skeptisch gesehen. geschlossen, und war der Kurfürst für nach Gewaltenteilung hatten die Vor- das Recht zersplittert und unübersicht- Kant bezeichnet sie „unter allen Rechten seinen Eintritt in den Rheinbund mit läufer des Allgemeinen Landrechts ein lich, so dass Allgemeingültigkeit des Ge- des Souveräns [als] das Schlüpfrigste“, dem Königstitel belohnt worden. Dem- Machtspruchverbot enthalten, das dann setzes und Rechtsvertrauen litten. Die können doch massenhafte Gnadener- zufolge ereignet sich das Unrecht, das als Ironie der Geschichte wegen seiner Verwerfl ichkeit der „Kabinettsjustiz“ weise der Unverbrüchlichkeit des Geset- Michael Kohlhaas angetan wird, auf angeblichen französischen Herkunft aus zes und der Autorität des Staates Ab- sächsischem Boden, am Anfang der Er- der Endfassung gestrichen wurde. bruch tun. Gustav Radbruch hatte als zählung durch den Schlagbaum ver- Reichsjustizminister darauf verwiesen, deutlicht, von dem Kohlhaas zum Zöll- Gesetzesherrschaft und Gnade dass die Amnestien der Weimarer Repu- ner gleichsam als Summe der kommen- Auch Natalie wendet sich – der „liebli- Erst als der Prinz den Rechtsspruch blik „zu einer Verlotterung des Straf- den Ereignisse sagt, „Wenn der Baum chen Gefühle“ wegen – gegen die des Monarchen anerkennt, kann rechts führten“. Das übersieht Natalie, im Walde stehen geblieben wäre, wärs strenge Herrschaft des Gesetzes, in- dieser GNADE walten lassen und das wenn sie gefangen vom Einzelschicksal, besser gewesen, für mich und Euch.“ Es dem sie der rechtsstaatlichen Gesetzes- Todesurteil abwenden. dem Kurfürsten vorhält: „Dies Vater- ist dann auch der Dresdner Gerichtshof, bindung die Individualgerechtigkeit land, das wird um dieser Regung deiner der infolge von Klüngelei die berechtigte als gleichsam höhere Ordnung entge- Gnade nicht gleich, zerschellt in Trüm- Klage des Kohlhaas niederschlägt. Am genstellt: mern, untergehn.“ (IV, 1) Ende der Novelle kehrt der Kurfürst von

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fert, sondern auch in der Praxis erfahr- le zur Unsterblichkeit heldischer wirkt. Untertanen durchsetzen und darf auf bar ist. Kurze Zeit vor Erscheinen des Bei der Würdigung des Kohlhaas ist seinem Territorium keine fremde Ge- Trotz der vielen Ungerechtigkeiten, „Michael Kohlhaas“ hatte Adam Müller Rudolf von Ihring zu widersprechen, der walt dulden. Erst durch die Monopoli- die Michael Kohlhaas widerfahren, in seinen „Elementen der Staatskunst“ ihn in seiner berühmten Schrift „Der sierung der Gewalt wird der Staat zum ist die Novelle ein PLÄDOYER für die (1809) die These verkündet, „der Kampf um’s Recht“6 als „Märtyrer sei- Friedensverband und wird der Krieg al- Rechtfertigung des Staates. Mensch ist nicht zu denken außerhalb nes Rechtsgefühls“ rühmt. Auch Kleist ler gegen alle, wie er für die mittelalterli- des Staates“; er sei „von allen Seiten in erwähnt mehrmals dieses „Rechtsge- che Fehde und Rache charakteristisch den Staat verfl ochten“ und so wenig „er fühl“, das bei Kohlhaas „einer Goldwaa- ist, aufgehoben. Ohnehin ist Kohlhaas aus sich selbst heraustreten kann, eben- ge“ glich, ihn aber dennoch, wie bereits als Rosshändler nicht zur Fehde berech- so wenig aus dem Staate“. Aber nicht der im ersten Absatz der Novelle festgehal- tigt, die im Übrigen durch den auch in Staat an sich, sondern nur der auf Ge- ten wird, „zum Räuber und Mörder“ der Novelle erwähnten Ewigen Reichs- Sachsen „zerrissen an Leib und Seele setz und Recht verpfl ichtete Staat, in machte. Kohlhaasens Goldwaage ist landfrieden von 1495 endgültig beseitigt nach Dresden zurück“. moderner Terminologie der Rechtsstaat, eben subjektiv und nicht von der Rechts- wurde. Umso empfindlicher ist die kann einen geregelten und für alle Bür- ordnung geeicht. Sein anfangs berechtig- Reichssouveränität durch die Selbstjus- Ein Plädoyer für den Staat? ger gleichen Schutz durch die Gesetze ter Gerechtigkeitseifer schlägt in Ge- tiz des Rosshändlers und die Verletzung Trotz – möglicherweise auch wegen – gewährleisten. Entfernt man Gesetz und rechtigkeitsfanatismus um. Er, der sich des im Originalfall erst vier Jahrzehnte der Niederlage Preußens ist Kleists Ver- Recht, dann sind in Anlehnung an ein wegen versagten Rechtsschutzes „zu den dauernden Landfriedens getroffen, wes- hältnis zur Institution Staat ungebro- kürzlich wieder zitiertes Augustinus- Wilden der Einöde“ hinausgestoßen halb Luther in seinem überlieferten Brief chen. Hatte das Allgemeine Landrecht Wort Staaten nichts anderes als große fühlt, fällt selbst, wie Luther in der No- an Hans Kohlhase von 1534 darauf ver- die Pflicht des Staates betont, „für die Räuberbanden. velle schreibt, „wie der Wolf der Wüste weist, „nu ist selbst Richter sein und Sicherheit seiner Unterthanen, in Anse- Ungeachtet der drastischen Mängel in die friedliche Gemeinheit“ ein, was selbst richten gewißlich unrecht, und hung ihrer Personen, ihrer Ehre, ihrer in der Rechtspfl ege ist „Michael Kohl- den anfangs „rechtschaffendsten“ Gottes Zorn läßt es nicht ungestraft“. Rechte und ihres Vermögens zu sorgen“, haas“, so widersprüchlich dies zunächst schließlich zum „entsetzlichsten Men- Wegen des staatlichen Gewaltmono- so lässt Kleist Michael Kohlhaas (im Ge- erscheinen mag, ein Plädoyer für die schen seiner Zeit“ macht. pols ist die Wiederherstellung verletzten spräch mit Luther) poetischer, aber auch Rechtfertigung des Staates. So aus- Rechts Aufgabe der staatlichen Rechts- dramatischer formulieren: „Verstoßen ... ufernd Kohlhaas auch sein „Geschäft Selbstjustiz versus staatliches ordnung und ihrer Gerichte, wofür die nenne ich den, dem der Schutz der Ge- der Rache“ betreibt, so wenig will er an Gewaltmonopol Gewalt verstaatlicht und ihre Anwen- setze versagt ist! Denn dieses Schutzes, die Stelle des Staates eine andere Ord- Geht es in der Novelle vordergründig dung auch zu Genugtuungszwecken zum Gedeihen meines friedlichen Ge- nung setzen. Er verlangt nur den Schutz um Rechtsbruch und Rechtsschutz, um verboten wird. So unterscheidet auch werbes, bedarf ich; ja, er ist es, dessen- der Gesetze und will, als dieser ihm ver- Verbrechen und Strafe, so klingt im das Preußische Allgemeine Landrecht halb ich mich, mit dem Kreise dessen, sagt wird, „in einem Land, in welchem Hintergrund ein Essentiale des Staates von 1794 die „unerlaubte Privatgewalt“ was ich erworben, in diese Gemein- man mich in meinen Rechten nicht der Neuzeit, das staatliche Gewaltmo- von der öffentlichen Gewalt, das heißt schaft flüchte.“ In der distanzierteren schützen will, nicht bleiben“, wie er zu nopol, an. Dieses Gewaltmonopol ist der Gewalt des Staates. Nur in Ausnah- Sprache des Bundesverfassungsgerichts seiner Frau Lisbeth sagt. Nachdem ihm das entscheidende Kriterium, um den mesituationen, wenn obrigkeitliche Hil- stellt sich „die Sicherheit des Staates als am Ende Gerechtigkeit widerfährt und Staat der Neuzeit von mittelalterlichen fe nicht zu erlangen ist, darf der Bürger verfasster Friedens- und Ordnungs- damit, wie es in der Novelle heißt, „sein Herrschaftsverbänden abzusetzen. Der zur Abwehr von Gefahren private Ge- macht und die von ihm zu gewährleis- höchster Wunsch auf Erden erfüllt“ ist, Souverän muss innerhalb seines Herr- walt allerdings nur im erforderlichen tende Sicherheit seiner Bevölkerung“ als nimmt Kohlhaas die Todesstrafe als schaftsbereichs Gesetz und Befehl not- Umfange ausüben. Das Maßhalten Verfassungswert dar, von dem die „Ins- Sühne für den Bruch des Landfriedens falls mit physischer Gewalt gegen die („tene mensuram“) hatte gerade jener titution Staat“ ihre „eigentliche und aus freiem Willen an, indem er die ange- Kaiser Maximilian I. zu seinem Wahl- letzte Rechtfertigung herleitet“.5 botene Flucht nicht ergreift. Und den- spruch erkoren, der auch den Landfrie- Jede Gesellschaft bedarf des Staates, noch bleibt die Entscheidung für den Kleists Kohlhaas zeigt den Staat als den erlassen hatte. Der Rechtsstaat als weil ohne ihn ein „bellum omnium con- Tod bei Michael Kohlhaas rechtsbegie- alleinigen Inhaber des GEWALTMONO- Staat des Maßes muss sich nicht nur tra omnes“ herrscht, was nicht nur als rig-trotziger, während sie beim Prinzen POLS. Eigenmächtiges Handeln und selbst des Übermaßes enthalten, son- staatstheoretische Erkenntnis überlie- von Homburg an der gewähnten Schwel- Selbstjustiz werden nicht geduldet. dern darf Maßlosigkeit auch im Verhält-

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nis der Bürger zueinander nicht dulden. Es sind nicht, um Rudolf von Ihring noch einmal zu zitieren, „der ideale Aus Anlass des doppelten Jahrestages Hanns Seidels, des 50. Todesta- Schwung seines Rechtsgefühls, seine ges und des 110. Geburtstages, erinnerte die Hanns-Seidel-Stiftung am heroische, Alles vergessende und Alles 29. Juli 2011 mit einem Festakt an ihren Namensgeber. Dabei stand die opfernde Dahingabe an die Idee des herausragende Persönlichkeit Hanns Seidels, seine Bedeutung für Bay- Rechts“, die Michael Kohlhaas die To- ern, für seine Partei, die CSU, ebenso im Mittelpunkt wie eines seiner desstrafe erleiden lassen, sondern es zentralen Anliegen, die politische Bildungsarbeit. sind die von ihm begangenen Straftaten, die unter Außerachtlassung jedes Ge- fühls bei objektiver Betrachtung in kei- nem vernünftigen Maß zu dem ihm zu- gefügten Unrecht stehen. Deshalb kann auch mit einem Kleist-Wort geschlossen werden: „Verfl ucht das Herz, das sich nicht mäß’gen kann.“ (Penthesilea) ///

/// Aufbruch in eine neue Zeit ERÖFFNUNG DES FESTKOLLOQUIUMS ZUM 50. TODESTAG UND 110. /// PROF. DR. DR. DETLEF MERTEN ist em. Lehrstuhlinhaber für Öff entliches GEBURTSTAG VON HANNS SEIDEL Recht, insbesondere Wirtschaftsverwal- tungsrecht und Sozialrecht an der Deut- schen Hochschule für Verwaltungswis- HANS ZEHETMAIR /// Wir gedenken heute eines Mannes, den Bescheidenheit und senschaften Speyer. Zurückhaltung ebenso gekennzeichnet haben wie die Scheu vor öffentlichem Lob und leerer Rhetorik. Er hätte sich, was das öffentliche Lob betrifft, heute unter uns also vermutlich nicht recht wohl gefühlt. Leere Rhetorik hätte er in diesen Anmerkungen 1 Reuß, Roland / Staengle, Peter: Heinrich von Räumen allerdings nicht fürchten müssen. Kleist, Sämtliche Werke, Brandenburger Ausgabe, Bd. IV/2, Briefe 2, Basel u. a. 1999, S. 386 (388). 2 Dießelhorst, Malte / Duncker, Arne: Hans Kohl- hase. Die Geschichte einer Fehde in Sachsen und Brandenburg zur Zeit der Reformation, Frankfurt am Main u.a. 1999. Wir gedenken heute, am 29. Juli 2011, ei- cher Sinn für Recht und Gerechtigkeit 3 Cabinetsordre v. 22.10.1752 (Acta Borussica, nes Mannes, dessen Wesen sein Vorvor- und eine außerordentliche Arbeitskraft“. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, Behördenorganisation, Bd. IX, gänger und Nachfolger im Amt des Baye- Wir gedenken heute des früheren S. 494 f. (495), Nr. 277. rischen Ministerpräsidenten, Hans bayerischen Wirtschaftsministers, 4 Blamberger, Günter: Heinrich von Kleist – Die Biographie, Frankfurt am Main 2011, S. 418. Ehard, noch am Tag der Beerdigung in dann Landesvorsitzenden sowie Oppo- 5 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, einer kurzen Gedenksitzung des Minis- sitionsführers der Christlich-Sozialen Band 49, Tübingen 1979, S. 24 (56 f.). 6 Ihering von, Rudolf: Der Kampf um’s Recht, Wien, terrats mit den treffenden Worten cha- Union in den etwas trüben Zeiten der 4. Aufl., 1874, S. 63. rakterisiert hat: „Geradlinigkeit, Klarheit, Viererkoalition, den seine so unge- kritisches und selbstkritisches Maßhal- wöhnliche wie steile Karriere aber ten, nüchternes Urteil, ein unbestechli- schließlich verdient und zum Wohle

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unseres Landes in das „schönste Amt den Namen Hanns Seidels. Vielfältige betrachtet“, bekannte er 1956 im Bayeri- nes „Politikers aus christlicher Verant- der Welt“ getragen hat. Gründe für diese Entscheidung und ihre schen Landtag, „kann nicht übersehen, wortung“ nahekommen, das er seiner Wir gedenken heute des Namensge- bleibende Richtigkeit sind seitdem im- dass die Idee eines freiheitlichen politi- christlichen Volkspartei 1960 folgender- bers unserer Politischen Stiftung. Wir mer wieder genannt worden. Zwei da- schen Systems keineswegs als ein fester maßen ins Stammbuch geschrieben hat- gedenken und erinnern heute an Dr. von möchte ich Ihnen als Vorsitzender Erlebniswert im Bewusstsein unseres te: „Die Glaubwürdigkeit und die Recht- Hanns Seidel. der Hanns-Seidel-Stiftung an dieser Volkes lebendig und wirksam ist. Ge- fertigung einer solchen Partei hängt da- Willkommener Anlass ist uns hierzu Stelle kurz ins Gedächtnis rufen: Seit wiss sind Fortschritte gemacht worden, von ab, ob in ihr ein unerschütterlicher ein doppelter Jahrestag: 2011 rundet sich seinen Schultagen hatte Hanns Seidel aber schon die Tatsache, dass wir ge- Kern von Menschen tätig ist, der in der sowohl der 50. Todestag Hanns Seidels, den humanistischen Bildungsgedanken zwungen sind, uns immer mehr ... mit Politik nicht nur eine Gelegenheit zur den wir in wenigen Tagen, am 5. August, mit seiner Idee der selbstverantwortli- den Angriffen von rechts und links ge- Ausübung der Macht sieht, sondern der feierlich an seinem Grab auf dem Münch- chen, umfassenden Persönlichkeitsfor- gen dieses System zu beschäftigen, muss von der Überzeugung durchdrungen ist, ner Westfriedhof mit einer morgendli- mung durch fortwährendes eigenes uns beweisen, wie sehr wir noch von po- daß es keine Diskrepanz zwischen Welt- chen Kranzniederlegung begehen wer- Streben tief verinnerlicht. Nach seinen litischer Bildung entfernt sind.“ Dass anschauung und politischem Handeln den. Es rundet sich aber auch am 12. Erfahrungen mit dem nationalsozialisti- eine Politische Stiftung, zu deren Kern- geben darf, daß vielmehr Politik ein Auf- Oktober der 110. Geburtstag dieser gro- schen Unrechtsstaat und geprägt durch auftrag die politische Bildung gehört trag ist, dessen Vollzug am Ende der ßen Persönlichkeit der deutschen Nach- seinen eigenen berufl ichen Werdegang und als deren „permanente und eigentli- Tage verantwortet werden muss. Je grö- kriegsgeschichte. Wir feiern heute gewis- konzentrierte sich dieser Grundgedanke che Aufgabe“ Bundespräsident Roman ßer und zuverlässiger dieser Kern ist, sermaßen also auch seinen Geburtstag. für ihn in der jungen Bundesrepublik Herzog später „die Erziehung zur De- desto weiter kann der Bogen gespannt Mit Recht trägt unsere der Christ- Deutschland dann besonders auf den mokratie“ bezeichnen sollte, heute den werden, unter dem Menschen der ver- lich-Sozialen Union nahestehende Poli- Bereich der politischen Bildung. „Wer Namen Hanns Seidels trägt, ist vor die- schiedensten Herkunft ihre politische tische Stiftung seit ihrer Gründung 1967 die politische Wirklichkeit aufmerksam sem Hintergrund mehr als schlüssig. Heimat fi nden können.“ Ein zweiter Punkt ist damit bereits Hanns Seidel war überzeugt von der Hans Zehetmair (l.), Barbara Stamm, Ursula Münch und Christian Seidel bei der Gedenkveranstaltung angeklungen, denn Hanns Seidel hat Notwendigkeit der normativen Bindun- für Hanns Seidel am 29.7.2011. eben nicht nur in seinem konkreten gen politischen Handelns. Er glaubte an Fachgebiet, der Wirtschaftspolitik, für die Überzeugungskraft rationaler Argu- den Freistaat Bayern Zukunftsweisen- mente in der politischen Auseinander- des geleistet. Wie wenige seiner Wegge- setzung. Und trotz seiner engen Bindung fährten hat der christsoziale Denker der an Prinzipien war er kein Doktrinär, ersten Stunde immer wieder auch sondern ein weitsichtiger und erfolgrei- grundsätzliche Überlegungen zum Ver- cher Mann der politischen Praxis. Einer hältnis von Weltanschauung, Wertbin- Politischen Stiftung, die in Bayern, dung, Moral und politischem Handeln Deutschland und Europa Wissen und angestellt. Zeitlebens ließ ihn die Frage Werte vermittelt, die ihre weltweite Ar- nach einer ethischen Fundierung der beit für Demokratie, Frieden und Ent- Politik nicht los. wicklung in ihrer Satzung explizit auf Für Hanns Seidel persönlich lag die- „christlicher Grundlage“ verortet und ses Fundament festgegründet in seinem sich zum „christlichen Menschenbild“ christlichen Glauben katholischer Prä- als Orientierungsmaßstab bekennt, gung. Dieser war ihm Richtschnur für steht dieser Namenspatron auch in ih- alle wesentlichen Probleme der politi- rem fünften Lebensjahrzehnt gut an. Die schen Ethik. Dieser machte ihn zu ei- Hanns-Seidel-Stiftung trägt seinen Na- nem Politiker, für den Toleranz nicht nur men mit Stolz und dem Bewusstsein der

Bildnachweis: Hubertus Klingsbögl, Hanns-Seidel-Stiftung, München. Duldung, sondern Achtung vor dem an- daraus resultierenden Verpfl ichtung. Die deren war. Dieser ließ ihn unprätentiös Hanns-Seidel-Stiftung trägt seinen Na- und ehrlich seinem eigenen Idealbild ei- men darüber hinaus heute als Mittlerin

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zwischen Wissenschaft, Politik, Kultur und den Menschen vor Ort in über 70 Ländern dieser Erde. Vielleicht hätte sich unser Jubilar – nicht aus persönli- cher Eitelkeit, sondern um der Sache wil- len – über diese Tatsache in aller Be- scheidenheit doch ein wenig gefreut. /// Hanns Seidel zum Gedenken Im Doppelgedenkjahr würdigt die /// DR. H.C. MULT. HANS ZEHETMAIR Hanns-Seidel-Stiftung ihren Namensge- ist Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stif- ber in Form einer neuen Broschüre. Sie tung, München und Staatsminister a.D. REDE DER LANDTAGSPRÄSIDENTIN trägt den treffenden Titel „Hanns Seidel 1 – Aufbruch in eine neue Zeit“. Sie ist BARBARA STAMM /// Fünf Jahrzehnte sind seit dem Tod von Hanns Seidel vergan- entstanden unter der maßgeblichen Mit- Anmerkungen 1 Deutinger, Stephan / Höpfinger, Renate: Hanns gen. Dennoch steht zwischen ihm und uns keine historische Distanz. Auch aus wirkung des Historikers Dr. Stephan Seidel - Aufbruch in eine neue Zeit, München einem Abstand von einem halben Jahrhundert können wir wie selbstverständlich Deutinger und des Graphikers Stefan Jo- 2011. 2 Seidel, Christian: Hanns Seidel - Zeitzeugen Ge- die Brücke zu seiner Person und zu seinem Wirken schlagen. Diese Nähe und sef Bittl. Hinweisen möchte ich auch auf spräch mit seinem Sohn Prof. Dr. Christian Seidel, die Politischen Studien Nr. 4382. Diese in: Politische Studien 438/2011, S. 6-25. Präsenz findet sich v. a. in seinem politischen Wirken. Ausgabe enthält ein langes Zeitgespräch mit Herrn Professor Dr. Christian Sei- del, der auf eindrucksvolle Art viele un- bekannte, sehr persönliche Facetten sei- Wir begehen heute einen doppelten Jah- Prägungen aufzugeben: Wegbereiter ei- nes Vaters schildert. Auch Ihnen, Herr restag eines großen Unterfranken: den ner neuen Zeit. Aber es ist darüber hin- Professor Seidel, ein warmer und per- 110. Geburtstag und 50. Todestag des aus in besonderem Maße die Persönlich- sönlicher Dank für diese Einblicke in früheren CSU-Vorsitzenden und Bayeri- keit Hanns Seidel, die uns Heutige im- Wesen und Werk Ihres geschätzten schen Ministerpräsidenten Hanns Seidel. mer noch besonders anspricht. Zwei Fa- Herrn Vaters. Ich freue mich sehr, dass Sie mir die cetten der Person Hanns Seidel, des Zentrales Anliegen unserer heutigen Ehre zugedacht haben, heute meinen Menschen wie des Politikers, stechen Veranstaltung ist neben dem ehrenden großen unterfränkischen Landsmann hervor: die Prägung durch die Erfahrun- Gedenken an Dr. Hanns Seidel, den zu würdigen: bei einem Festakt in der gen tiefster Brüche und Umbrüche – Wegbereiter für eine neue Zeit, auch das Stiftung, die seinen Namen trägt. Ich zwei Weltkriege, die Schrecken der NS- Aufgreifen eines seiner bereits genann- danke der Hanns-Seidel-Stiftung, Herrn Diktatur, der Neubeginn nach 1945 und ten Kernthemen: die politische Bil- Dr. Zehetmair und allen Mitarbeitern, als Antwort darauf die Suche nach den dungsarbeit. Auch in dieser Hinsicht die das Werk und das Vermächtnis ethischen Grundlagen des politischen war Dr. Hanns Seidel zweifellos ein Hanns Seidels weiterführen. Tuns. Wegbereiter. Wir dürfen und werden Hanns Seidel war einer der maßgebli- Umbruch als Dauerzustand – dieser deshalb mit Recht und Gewinn danach chen Richtungsbestimmer für den Weg beherrschende Eindruck erfüllt uns seit fragen, welche aktuelle Bedeutung poli- Bayerns nach dem Krieg. Das Bayern, wohl zwanzig Jahren, seit dem Fall der tischer Bildung heute zukommt und wie wir es heute kennen, ist ganz we- Mauer und der Neuordnung Europas und welchen Herausforderungen sie im 21. sentlich auf den Fundamenten erstan- der Weltordnung. Ich nenne nur beispiel- Jahrhundert entgegen geht. Dies über- den, die Hanns Seidel mit gelegt hat: bei haft die Entwicklung von der bipolaren nehmen nun die Präsidentin des Bayeri- der Konstituierung des Freistaats und Welt des Kalten Krieges zur multipolaren schen Landtags, Frau Barbara Stamm, später als Bayerischer Ministerpräsident. Welt der Globalisierung, den Aufstieg und die künftige Leiterin der Politischen Hanns Seidel war es, der den Wandel Asiens und Chinas innerhalb kurzer Zeit, Akademie Tutzing, Frau Professor Dr. Bayerns vom Agrar- zum Industrieland „Arabellion“, fast über Nacht die Verän- Ursula Münch. /// begann, ohne dabei wertvolle kulturelle derungen in der arabischen Welt und die

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Nachfolgen der Finanzkrise bis zur Sorge che, vom Bauerndorf hin zur Industrie- 1946 erfolgreich für die Verfassungge- sächlich einer der Wegbereiter einer um die Stabilität der Währung. siedlung. Auch die familiäre Situation bende Landesversammlung und den neuen Zeit. Auch aufgrund dieser Erfah- Was für die Politik gilt, scheint auch war von einfachen Verhältnissen und Bayerischen Landtag. Im September rungen seiner Zeit hat sich Hanns Seidel für die Gesellschaft zu gelten: Altes Unsicherheit geprägt: Hanns Seidel ver- 1947 berief Ministerpräsident Hans immer mit dem Verhältnis von Politik scheint sich aufzulösen, ohne dass die lor seinen Vater, als er sieben Jahre alt Ehard Hanns Seidel zum Bayerischen und Ethik auseinandergesetzt. Auch das Gestalt des Neuen immer schon sichtbar war, und seine Mutter hatte noch fünf Staatsminister für Wirtschaft. Das Amt machte ihn zum Wegbereiter für Zeiten, wäre. Soziale Bindekräfte scheinen ab- weitere Kinder zu versorgen. musste er nach der Landtagswahl 1954 in denen vieles nicht mehr selbstver- zunehmen, der Zuspruch zu Großinsti- Der Historiker Dr. Stephan Deutin- abgeben, als eine Viererkoalition unter ständlich erscheint und in denen sich tutionen wie den Kirchen, Gewerk- ger fasst in seinem Porträt Hanns Seidels Führung der SPD die Regierung bildete. Politik immer wieder ihrer ethischen schaften und auch Parteien ist nicht zu dessen 100. Geburtstag als die ent- Die CSU-Landtagsfraktion wählte Verpfl ichtung klar werden muss. mehr selbstverständlich, zugleich gibt es scheidenden Prägungen aus seiner Kind- Hanns Seidel zu ihrem Sprecher. im Internet ganz neue Formen der Kom- heit und Jugend zusammen: die katholi- Da Seidel die politische Bildung als Hanns Seidel – Politik und Ethik munikation. sche Bindung, das Verständnis für sozia- mitentscheidend für den Aufbau und Die ethischen Grundsätze und Ziele sei- Was bleibt, ist der Eindruck einer le Probleme und Fragen der Ambivalen- Erhalt eines demokratischen Staates an- nes politischen Handelns, die Hanns Sei- neuen Unübersichtlichkeit, gar eines zen von Industrialisierung und Moder- sah, nahm er einen Sitz im Kuratorium del etwa in der Schrift „Weltanschauung „Abschieds von der Normalität“ im Sin- ne, der humanistische Bildungsgedanke der neu gegründeten Akademie für Poli- und Politik“ im Jahr 1960 niederlegte, be- ne eines „Nachrufes auf unser Leben, mit seiner Idee der Selbstverantwortli- tische Bildung in Tutzing ein. Im Januar schrieben seine persönlichen Positionen wie es bisher war“, wie es zuletzt der Pu- chen sowie die umfassende Persönlich- 1955 wählte die CSU-Landesversamm- – sie sollten aber gleichzeitig auch im poli- blizist Gabor Steingart in seinem so beti- keitsentwicklung durch eigenes Streben. lung Hanns Seidel in einer Kampfab- tischen Leben zur Orientierung dienen. telten neuen Buch behauptet. Im glei- Nach dem Studium vor allem in stimmung gegen Franz Josef Strauß zum Zu diesem Zeitpunkt, vor über fünf- chen Maße wächst auch für uns das Be- Würzburg, währenddessen er für seinen neuen Parteivorsitzenden. Mit ihm kam zig Jahren, hatte Deutschland nicht nur dürfnis nach einem Ankerpunkt – von Lebensunterhalt auch als Hauer in ei- es zu einer grundlegenden organisatori- die schlimmsten materiellen Kriegsfol- dem aus wir die uns umgebenden Um- nem westfälischen Bergwerk arbeitete, schen und personellen Erneuerung der gen überwunden – es hatte vielmehr ein brüche verstehen und soweit möglich ließ sich Hanns Seidel 1929 in Aschaf- Partei. Als die Viererkoalition im Okto- noch nie da gewesenes Wirtschaftswun- auch gestalten können. fenburg als Rechtsanwalt nieder. 1932, ber 1957 zerbrach, wählte der Landtag der erlebt, dessen Massenwohlstand al- Die Fragen, die sich Hanns Seidel in während der letzten Phase der Weimarer Hanns Seidel zum Ministerpräsidenten. les Bisherige in den Schatten stellte. Da- seiner Zeit stellten, stellen sich uns auch Republik, trat er der Bayerischen Volks- Doch schon im Januar 1960 musste mit gingen – und nicht erst seit 1968 – heute – sie sind bis heute aktuell. Und partei (BVP) bei und kandidierte ein Hanns Seidel als Ministerpräsident und weitere soziale Veränderungen einher: das gilt gerade für seine Gedanken und Jahr später bei den Stadtratswahlen in ein Jahr später als CSU-Vorsitzender aus ein langsamer Wandel gesellschaftlicher Überlegungen zum Verhältnis von Poli- Aschaffenburg. Er musste dafür bezah- Krankheitsgründen zurücktreten. Am Formen und Strukturen, hin zu einer tik und Ethik, die er entwickelte. Sie len, als er nach der Machtübernahme der 5. August 1961 starb Hanns Seidel. Nur quasi amerikanisch-westeuropäischen sprechen auch zu uns und in unsere NSDAP in die so genannte „Schutzhaft“ wenige Monate später begannen die Pla- Orientierung der Lebensstile. Auch da- Zeit. Lassen Sie uns deshalb zunächst genommen wurde. Anschließend fl üch- nungen für die Stiftung, die seinen Na- mals führten viele die Diskussionen, die einen kurzen Blick auf die Stationen sei- tete er für einige Monate in das damals men tragen sollte. uns heute so vertraut vorkommen: Wor- nes Lebens werfen. litauische Memel. Obwohl er dem Re- Ein Leben in Umbrüchen und die an soll sich Politik zuerst und vor allem gime nicht genehm war – Seidel vertrat Kunst, daraus Aufbrüche werden zu las- orientieren? An der so genannten Le- Hanns Seidel – ein Leben in zahlreiche Juden und wurde dafür auch sen – darin konnte oder musste sich benswirklichkeit, an einer Verbesserung Umbrüchen im NS-Hetzblatt „Der Stürmer“ ange- Hanns Seidel Zeit seines Lebens erwei- der wirtschaftlichen und sozialen Le- Hanns Seidel wurde am 12. Oktober griffen –, konnte er unter Aufl agen als sen. Und das tat er, mutig, im Angesicht bensumstände? 1901 in Schweinheim bei Aschaffenburg Rechtsanwalt arbeiten. Es folgte die des braunen Terrors und danach, bei der Hanns Seidels Antwort war: Ja – aber geboren. Schon sein Heimatdorf erlebte Kriegsteilnahme von 1940 bis 1945. Begründung des modernen Bayerns und nicht nur. Wirtschaftlicher Fortschritt in dieser Zeit das Gegenteil unserer heu- Die amerikanische Militärregierung der neuen deutschen Demokratie mit ei- ist notwendig – aber nicht um seiner te oft verbreiteten Vorstellung von einer ernannte den politisch unbescholtenen ner Sozialen Marktwirtschaft, die er ge- selbst willen. Vielmehr muss er einer ge- damaligen „heilen Welt“ – sondern tat- Hanns Seidel zum Landrat von Aschaf- meinsam mit Ludwig Erhard und ande- sellschaftlichen Leitidee dienen, die das sächlich große, grundlegende Umbrü- fenburg und für die CSU kandidierte er ren durchzusetzen half. So war er tat- Wohl des Menschen in den Mittelpunkt

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stellt. Nicht den abstrakten Menschen Fortschrittsglauben nicht nur unsinnig, des Zusammenlebens ändern sich. Aber sen haben wir es selbst in der Hand, die als gemeinschaftsloses Einzelwesen, wie sondern sogar höchst gefährlich ist. zugleich gilt: Wesentliche menschliche Umbrüche unserer Zeit aktiv zu gestal- es gewisse Liberalisten meinten. Und Nicht alles, was technisch möglich ist, Grundbedürfnisse und -orientierungen ten und zu Aufbrüchen werden zu las- schon gar nicht den Menschen sozialisti- ist allein deshalb schon ethisch begrün- bleiben. Und davon an erster Stelle: Die sen. Wir gestalten unsere Zeit, so wie scher Dogmen, dessen einzige Bestim- det. Nicht alles, was machbar ist, ist Veränderungen nicht einfach passiv ge- Hanns Seidel seine Zeit gestaltet hat, mit mung ist, im Kollektiv aufzugehen. Nein auch erlaubt. Wir sprechen heute gerne schehen zu lassen, sondern sie anhand diesem festen Wissen: Eine gute Politik – gemeint ist der Mensch als Einzel- und von „Nachhaltigkeit“. Dieser Begriff – dauerhafter Wertmaßstäbe, soweit es braucht weltanschauliche Klarheit im Gemeinschaftswesen. Der menschliche in der Gegenwart so handeln, dass auch menschenmöglich ist, zu gestalten. Sinne der christlichen Ethik. So wie es Wunsch nach Erfüllung im eigenen Le- die Nachkommen in der Zukunft gut Wer heutzutage einer so genannten Franz Josef Strauß, Nachfolger Seidels ben und im Leben mit anderen ist zeitlos leben können – wird heute in fast infl a- gesellschaftlichen Atomisierung und ei- im CSU-Vorsitz, in einer Würdigung für gültig und diese Überzeugung ist die tionärer Weise in allen politischen und ner Aufl ösung aller sozialen Bindungen Seidel im Jahr 1987 schrieb: „... daß eine Richtschnur allen verantwortlichen poli- nicht-politischen Kontexten verwendet. das Wort redet, der verkennt, Menschen Politik ‚nur aus der Welt und für die tischen Handelns. Doch er drückt nichts anderes aus als wollen sich immer, auch heute, orientie- Welt’ unausweichlich in Orientierungs- Diese Begründung ist zeitlos und ge- das, was Hanns Seidel unter ethischer ren und zwischenmenschlich verbin- losigkeit und Sinnleere abgleitet, daß die rade deswegen aktuell. Hanns Seidel hat Verantwortbarkeit verstand. Denn am den, wollen Beheimatung erfahren, An- richtige Wegweisung für die Herstellung das selbst so ausgedrückt: Sein Men- Ende ist es eben so – und das wusste erkennung und Erfüllung. In diesem des Gleichgewichts zwischen Staats- schenbild war das einer, wie er es selbst Hanns Seidel –, dass der Politiker nicht Sinne ist der Mensch, wie der bekannte macht und Menschenwürde nur aus der sagte, „gemeinschaftsbezogenen Persön- allein durch Wahlen legitimiert ist. Son- Neurologe und Psychiater Viktor Frankl Religion kommen kann“. lichkeit“. Das heißt: Jeder Mensch ist für dern er ist auch über seine Amtszeit hin- das ausdrückt, ein wertfühlendes und In diesem Sinne sollten wir so wie sich selbst und für den Mitmenschen ver- aus für sein Handeln verantwortlich. ewig sinnsuchendes Wesen. Und der Hanns Seidel sprechen, in politischen antwortlich. Hanns Seidel hat von daher Das war es, was Hanns Seidel mein- Wunsch nach einem erfüllten Leben, in Auseinandersetzungen „in der Sache le- die Grundprinzipien und Überzeugun- te, als er das Idealbild des Politikers be- Partnerschaft, Familie und Beruf, gilt bendig und hart“ und uns zugleich „von gen seiner Politik entfaltet. Jede verant- schrieb, „der in der Politik nicht nur eine gerade auch für junge Menschen, wie allen persönlichen Angriffen freihalten“. wortungsvolle Politik braucht diese feste Gelegenheit zur Ausübung der Macht etwa die Shell-Jugendstudie zeigt. Auch Das ist unser ethischer und politischer ethische Fundierung und Orientierung. sieht, sondern der von der Überzeugung und gerade in Zeiten vieler Umbrüche Anspruch und unser Auftrag und das ist Aber das heißt, dass sich praktische Poli- durchdrungen ist, daß es keine Diskre- und Unübersichtlichkeiten. unser Vorteil gegenüber allen anderen tik nicht nur auf die Bewältigung alltägli- panz zwischen Weltanschauung und Dauerhaft und zeitlos aktuell bleiben politischen Mitbewerbern. Und das soll- cher Anforderungen beschränken oder praktischem Handeln geben darf, daß damit auch die Grundfragen jeder Ge- te auch gegen alle Verzagtheiten ein gu- gar auf die Vertretung bestimmter Inter- vielmehr Politik ein Auftrag ist, dessen sellschaft und Politik: Was hält uns zu- ter Grund zum Selbstbewusstsein sein. essen oder Gruppen verlegen kann. Vollzug am Ende der Tage“ – und „im sammen? Was leitet uns? Mit welchen In diesem Sinne: Wegbereiter einer Und gleiches gilt auch für die Wirt- letzten Grund vor Gott“ – „verantwortet Maßstäben und zu welchen Zielen sind neuen Zeit – das war Hanns Seidel und schaft. Wirtschaft ist nicht wertfrei und werden muss“. Dieser Satz – und die wir unterwegs? Für was, für welche Ord- das wollen wir sein. Nutzen wir dazu sie ist nicht Selbstzweck. Die Wirtschaft Verpfl ichtung, die er ausdrückt – gilt nung lohnt es sich, zu arbeiten und zu unsere Erfahrungen und unsere Stär- muss dem Menschen dienen, nicht um- auch heute und in allen Umbrüchen un- leben? Wie entsprechen wir den Wün- ken, unsere großen Möglichkeiten und gekehrt. Deshalb sind auch die Idee der serer Tage vielleicht mehr denn je. schen der Menschen, wie erleichtern wir Chancen in unserer Zeit. /// Sozialen Marktwirtschaft und ihre Um- ihnen das Erfüllen ihrer Vorstellungen setzung – für die Hanns Seidel so stark Wegbereiter einer neuen Zeit von einem guten und glücklichen Leben? eintrat – ein Ausdruck ethischer Fundie- Die Umbrüche, die wir gegenwärtig er- Wie geben wir ihnen Raum, ihre Ideale rung unseren Tuns, ein Erfolg, den wir leben und die Umbrüche, die Hanns und Ziele zu verwirklichen? immer wieder neu aktualisieren müssen. Seidel erlebte, sind nicht dieselben. Die Das bestätigt ja auch eine andere ak- Und ein weiteres, auch heute höchst Situationen in Bayern und Deutschland tuelle Erfahrung: Selbst wenn die Wirt- aktuelles Thema hat Hanns Seidel ge- nach 1945 und nach 1989 lassen sich schaft brummt – das reicht nicht. Die danklich und politisch entwickelt: zwar vergleichen, aber nicht gleichset- Menschen verlangen nach mehr, nach /// BARBARA STAMM, MDL Schon damals, vor über 50 Jahren, zen. Gesellschaft und Politik verändern Orientierung und klaren, verständlichen ist Präsidentin des Bayerischen Landta- wusste Hanns Seidel, das ein naiver sich ständig. Strukturen und Formen politischen Haltungen. Mit diesem Wis- ges, München.

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hervor „aus der rechten Einschätzung Strukturen bezeichnen. Deren schwa- des hohen Wertes einer Gemeinschafts- che Ausprägung, so Seidel, führe zu ei- /// ordnung auf der Grundlage der Ge- nem beklagenswerten Erscheinungsbild rechtigkeit und Freiheit“, und sie gipfe- des staatlichen Lebens. Diesem beschei- le schließlich in „der Bereitschaft, diese nigte er „Blutarmut“.10 freiheitliche Ordnung zu behaupten Hanns Seidel wollte gerade denjeni- und für ihre Erhaltung auch persönli- gen Organisationen im gesellschaftli- /// Aktuelle Bedeutung und künftige Herausforderungen che Opfer zu bringen“.6 Politische Bil- chen Raum Funktionen in und für die dung, diese Auffassung vertrat Hanns Politische Bildung zuweisen, deren Dis- POLITISCHE BILDUNG Seidel auch in seiner Funktion als Baye- tanz zum Staat und zum Gemeinwohl rischer Ministerpräsident, müsse so be- er gleichzeitig bemängelte. Diesen schaffen sein, dass die Staatsbürger scheinbaren Widerspruch versuchte er URSULA MÜNCH /// Der Beitrag widmet sich in erster Linie den aktuellen und künfti- „verführerischen Schlagworten und de- aufzulösen. Und zwar mit dem Hin- gen Herausforderungen für die Politische Bildung. Anlässlich der Publikation zum 50. magogischen Parolen – ganz gleich, aus weis, dass eben diesen Standesverbän- Todestag und 110. Geburtstag von Hanns Seidel liegt eine Ausweitung des Themas welcher Richtung sie kommen – nicht den, Jugendgruppen, Bildungs- und nahe: Er wird daher auch darauf eingehen, wie sich der Auftrag für die Politische kritiklos verfallen“ könnten.7 Kulturvereinigungen ungeahnte Kräfte Bildung aus der Sicht von Hanns Seidel dargestellt hat und welche Aufgaben in seiner Im Jahr 1956 sprachen sich die CSU- „zuströmen“ würden. Dies sei dann der Zeit zentrale Anforderungen an die Politische Bildung waren. Fraktion und mit ihr Hanns Seidel dafür Fall, wenn „alle diese Gemeinschaften aus, den Auftrag zur Politischen Bildung in ihre Verbandsziele auch die Bildung nicht vorrangig bei einer einzelnen Insti- des Staatsbürgers aufnähmen, wenn sie tution ansiedeln, sondern in eine Ge- die Sache des Staates zu der ihrigen Politische Bildung in den 1950er- schen Bildung zu äußern. Am promi- samtstruktur einzubetten. Ihr damali- machten“.11 Der Auftrag, die Politische und 1960er-Jahren nentesten geschah dies im Rahmen der ger Alternativvorschlag zum Plan der Bildung zu einem der Verbands- oder Während der unmittelbaren Nachkriegs- damaligen Auseinandersetzung über Viererkoalition, eine Akademie für Poli- Vereinsziele zu machen, sollte dieser jahre wurde von kritischen Zeitgenossen die Errichtung der Akademie für Politi- tische Bildung einzurichten, sah vor, die Konzeption zufolge zwei Fliegen mit ei- immer wieder ein Zusammenhang zwi- sche Bildung im Jahr 1956.3 In seinen Politische Bildung auf eine „möglichst ner Klappe schlagen: Zum einen hielt schen dem Scheitern der Weimarer De- damaligen Redebeiträgen begründete freie und breite Basis zu stellen“. Da man Hanns Seidel es für erforderlich, die mokratie und den damaligen Defiziten im Hanns Seidel sein klares Bekenntnis unterstellte, dass „jede vom Staat her Verbindung zwischen den zivilgesell- politischen Wissen der Bevölkerung her- zur Notwendigkeit von Politischer Bil- eingerichtete, verwaltete und gelenkte schaftlichen Strukturen und denen des gestellt. Diese Diagnose wurde in den dung zunächst mit bestehenden Defi zi- Anstalt“ mit großer Wahrscheinlichkeit Gemeinwesens auf eine neue Grundla- 1950er-Jahren teilweise mit dem besorg- ten: Die Politische Bildung „weiter „wirkungslos“ sein werde,8 sah der ge zu stellen. Zum anderen wollte ten Hinweis verbunden, dass diese Kluft Kreise unserer Bevölkerung“ sei „man- CSU-Vorschlag alternativ vor, „die Poli- Hanns Seidel aber vor allem die Politi- zwischen Anspruch und Wirklichkeit in gelhaft und ungenügend“.4 Die eigent- tische Bildung im freien Raum den frei- sche Bildung der Bürger und damit die Sachen Demokratieeignung der Bürger- liche Bedrohung der Demokratie sah en Bildungsträgern sozusagen als Selbst- Zukunft der demokratischen Ordnung schaft nach wie vor groß sei.1 Auch wenn Hanns Seidel in seiner damaligen verwaltungsaufgabe zu überlassen“.9 in der noch jungen Bundesrepublik damalige Pädagogen attestierten, dass be- Funktion als Sprecher der (oppositio- Dieser Vorschlag basierte auf folgender Deutschland fördern. reits „manches Gute für die Politische Bil- nellen) CSU-Fraktion dabei weniger in Einschätzung: „Unser Staatswesen dung geschehen sei“, stellten sie doch fest: den „Angriffen von rechts und links“ hängt geistig weitgehend im luftleeren Gemeinsamkeiten und Unterschie- Die Aufbaujahre nach dem Krieg seien als vielmehr in der Gefahr, „die aus der Raum, es wird im wesentlichen nur von de – Politische Bildung damals und zwar wirtschaftlich sehr gut genutzt wor- Schwäche kommt, die Freiheit zu be- der Regierung, dem Parlament und den heute den, „nicht aber in ausreichender Weise“ greifen und in der Freiheit zu leben und Beamten gehalten und getragen.“ Hanns Die Nachkriegsjahre waren geprägt von für die Politische Bildung.2 zu wirken“.5 Politische Bildung, so Seidels damalige Diagnose ist allein dem Verlust an Orientierung, der mit Hanns Seidel hatte mehrfach Gele- Hanns Seidel im Mai 1956, setze zwar schon deshalb interessant, weil er das dem Ende des NS-Regimes einherging. genheit, seine Einschätzungen zur Be- ein „Mindestmaß von Wissen“ voraus, Fehlen von Strukturen beschrieb, die Als Folge dieses Orientierungsverlusts deutung und zu den Orten der Politi- sie verlange jedoch mehr. Sie wachse wir heutzutage als zivilgesellschaftliche war die westdeutsche Gesellschaft auch

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noch Jahre nach der Gründung der Bun- tische Fragen zu thematisieren und Un- leranzfähigkeit und die politische Ur- hung des Volkes im ganzen … weitge- desrepublik von einer „tiefen Sinnkrise“ terricht in Politik zu erteilen.16 teilskraft der Bürgerinnen und Bürger hend durch die Politik“ geschehe.22 An- verunsichert.12 Die damals völlig ande- zu fördern. Zum anderen muss Politi- gesichts des Wandels hin zur Mediende- ren politischen Ausgangsbedingungen Grundsätzliche Aufgaben der sche Bildung aber auch immer wieder mokratie würden wir diesen Satz heute – Kalter Krieg und Deutsche Teilung – Politischen Bildung deutlich machen, dass erstens die De- anders formulieren: Die politische Erzie- schufen auch andere Anforderungen an Einzelne Anforderungen an die Politi- mokratie die beste aller realisierbaren hung geschieht nicht allein durch die die Politische Bildung. Deutschland, so sche Bildung haben sich seit den 1950er- Ordnungsformen unseres Gemeinwe- Politik, sondern gerade auch durch die der Politikwissenschaftler Arnold Berg- Jahren vollständig verändert, andere sens ist und dass zweitens das Interesse mediale Darstellung von Politik. Eschen- straesser, stelle sich gleichsam als eine wiederum erscheinen zeitlos.17 Mit Blick und Engagement der Bürgerinnen und burg zog aus seiner damaligen Beobach- „Experimentierstation“ dar, „an der sich auf die zeitlosen Anforderungen und Bürger notwendig ist, um die Demokra- tung eine Schlussfolgerung, die selbst die Spannungen der Welt der Gegen- Aufgaben ist an erster Stelle eine Fest- tie auch zu erhalten. dann noch relevant ist, wenn man die wart unmittelbar äußern“.13 Aus dieser stellung von Alexis de Tocqueville zu Aus dieser Aufgabenbeschreibung vorgenommene Änderung des Zitats mit Konstellation ergab sich eine ganz zent- nennen, die Theodor Eschenburg im ergeben sich handlungsorientierte Blick auf die Rahmenbedingungen einer rale Zielsetzung für die Politische Bil- Jahr 1955 wieder ins Gedächtnis rief: Aufgaben für die Politische Bildung. Mediendemokratie akzeptiert: „Des- dung in der Bundesrepublik Deutsch- Der Zustand der Demokratie sei, so Toc- Sie muss gerade jungen Menschen die halb werden die Bemühungen um politi- land: Diese sollte sich klar von der ideo- queville, „weder gut noch böse, sondern Erfahrung und auch die praktische sche Erziehung scheitern, wenn nicht logisierten Politischen Erziehung der ständiger Korrektur bedürftig, weil ihm Anleitung vermitteln, dass sie durch die Politiker sich der erzieherischen DDR abgrenzen. tödliche Gefahr droht“.18 Eschenburg ihr Engagement und ihr Verhalten ak- Wirkung bewusst sind, die im Guten Die damalige politische Verunsiche- ergänzte diese Diagnose durch die Auf- tiv dazu beitragen können, wie diese und Schlechten von ihrem Handeln aus- rung trug zur apolitischen Haltung ei- forderung zum Demokratielernen: De- Gesellschaft in Zukunft aussehen geht“.23 Ministerpräsident Hanns Seidel ner Mehrheit der Bevölkerung bei. Ca. mokratie „mit ihrem komplizierten Sys- wird. Indem Politische Bildung zur ge- schätzte die Verantwortung der politi- Zweidrittel der westdeutschen Bevölke- tem“, so Eschenburg, müsse „gelernt sellschaftlichen und politischen Teil- schen Akteure ähnlich ein: „Gerade weil rung zeigte in den 1950er-Jahren kein werden“. Denn, so Eschenburg: „Der habe nicht nur befähigt, sondern auch das unmittelbare politische Geschehen Interesse an politischen Fragen.14 Statt- mündige Bürger fällt nicht vom Him- motiviert, schafft sie die Grundlage so eng mit der Aufgabe der politischen dessen war eine deutliche Mehrheit der mel“.19 Der Einschätzung, dass zu den dafür, dass gerade auch junge Men- Bildung verbunden ist, wird deren Be- Bundesdeutschen bis in die 1960er-Jah- grundlegenden Aufgaben Politischer schen Beachtung und Anerkennung wältigung mit von dem abhängen, was re weitgehend auf den Beruf sowie die Bildung zunächst die Vermittlung von fi nden und sich selbst nicht als ausge- wir tun, was wir reden und wie wir uns Familie bezogen. Angesichts einer Wissen sowie darauf aufbauend die Be- grenzte, sondern als wirksame Mit- verhalten“.24 Sechstagewoche und einer Arbeitszeit fähigung zur kritikfähigen Identifikati- glieder der Gesellschaft wahrneh- für Industriearbeiter von in der Regel 50 on mit der verfassungsmäßigen Ord- men.20 Politische Bildung darf ihren Neue Herausforderungen für die Wochenstunden15 blieb einem Großteil nung gehört, ist zuzustimmen. Diese Anspruch demnach nicht darauf be- Politische Bildung der Bevölkerung für Freizeitaktivitäten Wissensvermittlung durch die Politi- schränken, aus hundertprozentigen Veränderte Herausforderungen ergeben ebenso wenig Zeit wie für politisches sche Bildung muss aber gewissen An- Demokraten hundertzwanzigprozenti- sich für die Politische Bildung sowohl Engagement. In dieses Bild einer leis- sprüchen genügen. Oder, um Felix Mes- ge zu machen. Vielmehr besteht die mit Blick auf ihren Adressatenkreis als tungsorientierten Gesellschaft im Wie- serschmid, den ersten Direktor der Aka- schwierige Aufgabe darin, zum einen auch hinsichtlich der Veränderungen in deraufbau passt, dass die Vorzüge der demie für Politische Bildung Tutzing, zu das weitere Anwachsen der Gruppe Politik und Demokratie selbst. neuen politischen Ordnung zunächst zitieren: „Was schon im nächsten Jahr von Nichtwählern sowie der Protest- weniger in der Demokratie und der Frei- vergessen sein wird, hat für die Politi- wähler zu verhindern und zum ande- Veränderungen beim Adressaten- heit gesehen wurden als im wirtschaftli- sche Bildung wenig Interesse.“ ren, auf das allmähliche „Verschwin- kreis von Politischer Bildung chen Erfolg. Diese insgesamt apolitische Zusätzlich zu einer so verstandenen den des Monopols der institutionellen Der demographische Wandel sowie die Haltung der 1950er-Jahre wirkte auch Wissensvermittlung und zu der genann- und konstitutionellen Partizipations- gesellschaftliche Differenzierung wir- in die Schulen hinein. So wies der Poli- ten Befähigung zur kritikfähigen Identi- formen“ zu reagieren.21 ken sich in zweierlei Hinsicht auf die Po- tikwissenschaftler Thomas Ellwein in fi kation mit der verfassungsmäßigen Ebenfalls zeitlos ist die Wirkung von litische Bildung aus. Zum einen werden einer Studie im Jahr 1955 auf die geringe Ordnung kommt der Politischen Bil- Vorbildern. Eschenburg äußerte die Ein- sie selbst zu deren Thema, zum anderen Bereitschaft v. a. älterer Lehrer hin, poli- dung zum einen die Aufgabe zu, die To- schätzung, dass die „politische Erzie- müssen die Anbieter und Multiplikato-

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ren der Politischen Bildung sowohl mit Veränderungen in der altersmäßi- keit und damit die Hörbarkeit der nach- pen. Dieser Trend äußert sich in mehr- ihren Angeboten als auch mit ihren Me- gen Zusammensetzung der Gesell- wachsenden Generation gestärkt wer- facher Weise: Herkunftsbedingte Un- thoden auf den gesellschaftlichen Wan- schaft den. Zum anderen darf aber bei einer terschiede in Schul- und Berufslauf- del reagieren. Damit stellt sich die Frage: Neben der zunehmend heterogenen Zu- derartigen Stärkung der Handlungsfä- bahnen werden durch das Heiratsver- Wie kann und soll Politische Bildung sammensetzung („bunter“) fällt vor al- higkeit der jüngeren Generation die Poli- halten auch zunehmend generationell darauf reagieren, dass wir bzw. die Ge- lem ins Gewicht, dass die Bevölkerung tische Bildung der älteren Generation verfestigt.32 Die Tendenzen zu einer Se- sellschaft uns folgendermaßen verän- älter wird und der Anteil der Kinder und nicht aus den Augen verloren werden. gregation des Wohnungsmarktes, also dern: weniger, bunter und älter?25 Bei Jugendlichen im Vergleich zu den Schließlich geht es auch darum, die an zur „Konzentration bestimmter sozia- den hier plakativ genannten Verände- 1950er- und 1960er-Jahren deutlich Lebenserfahrung Reichen darin zu be- ler Gruppen auf einem Gebiet einer rungen handelt es sich nicht um eine po- niedriger liegt („älter“ und „weniger“). stärken, ihre Fähigkeiten und Erfahrun- Stadt bzw. einer Stadtregion“33 verstär- litische Zielkonzeption, sondern um Es verändert sich also das zahlenmäßige gen einzubringen und sich in Politik, ken sich gerade in den Großstädten und eine Tatsachenfeststellung. Mit ihr muss Verhältnis der Generationen zueinan- Gesellschaft und Wirtschaft zu engagie- sowohl die Mediennutzung als auch sich nicht nur die Politik, sondern eben der. Was bedeutet diese „Unterjün- ren. Auch hierauf werden die Anbieter das Interesse an Politik klaffen schicht- auch die Politische Bildung auseinan- gung“29 der Wahlbevölkerung für die von Politischer Bildung reagieren müs- bedingt immer weiter auseinander.34 dersetzen. Politische Bildung? sen. Dabei ist keinesfalls eine stigmati- Diese gesellschaftlichen Tendenzen Zunächst ist an eine Feststellung des sierende Sonderbehandlung von alten sind auch für die Politische Bildung von Die Auswirkungen der Soziologen Franz-Xaver Kaufmann zu Menschen oder gar ein Senioren-Ghetto Bedeutung. Vor dem Hintergrund der Zuwanderungsgesellschaft erinnern. Ihm zufolge kommt es nicht in der Politischen Bildung gefragt. Viel- Annahme, dass der gesellschaftliche Als Folge der Zuwanderung in die Bun- auf die Quantität der nachwachsenden mehr wird es darum gehen, auf spezifi - Zusammenhalt eine zentrale Grundla- desrepublik klaffen Staatsbürgerschaft Generation an, sondern auf deren Qua- sche Weiterbildungsbedürfnisse einzu- ge unserer demokratischen Ordnung und Einwohnerschaft inzwischen lität: „Das relevante Ziel sollte also nicht gehen und die älteren Menschen nicht darstellt, muss Politische Bildung mit stark auseinander. Ein wachsender Teil die Vergrößerung der Geburtenzahlen, auf ihre Familien- oder Konsumenten- den ihr zur Verfügung stehenden Mit- der bundesdeutschen Wohnbevölke- sondern die Vermehrung sozialisato- rolle zu beschränken. teln auf das Nachlassen der Kohäsions- rung ist nicht oder noch nicht deut- risch erfolgreicher Familien sein“.30 In Bei aller Notwendigkeit, dass die Po- kräfte in unserer Gesellschaft reagie- scher Staatsbürger.26 Hierbei handelt erster Linie muss es also um die Befähi- litische Bildung den demographischen ren. So hat Politische Bildung die Auf- es sich um einen wichtigen Tatbestand gung der nachwachsenden Generation Wandel bei der Ausrichtung ihrer Ange- gabe, spezifi sche Methoden und eigen- für die Politische Bildung. Schließlich gehen, am gesellschaftlichen, politi- bote berücksichtigt, wäre es aber über- ständige Formen der Vermittlung zu ist die zuvor getroffene Feststellung, schen und wirtschaftlichen Leben aktiv fl üssig und wissenschaftlich nicht be- entwickeln, um auch die Menschen an- dass das Interesse und Engagement der teilnehmen zu können und dieses mit- gründbar, Schreckensbilder wie etwa zusprechen und zur Teilhabe zu moti- Bürgerinnen und Bürger notwendig zugestalten. das von einer „Gerontokratie“ an die vieren, die eher im politikfernen Leben sei, um die Demokratie auch zu erhal- Für die Politische Bildung ergeben Wand zu malen. Und zwar schon aus und Denken verharren bzw. dorthin ge- ten, so nicht völlig richtig. Die darin sich daraus zwei Anforderungen: Zum dem Grund, weil weder „die Jungen“ langt sind. Und schließlich können die zum Ausdruck kommende Beschrän- einen ist ein bedeutsames Ziel darin zu noch „die Alten“ homogene Gruppen Angebote der Politischen Bildung dazu kung auf die Staatsbürger allein reicht sehen, dem zahlenmäßig kleiner wer- bilden. Vielmehr sind ihre Lebensläufe beitragen, die verschiedenen Zielgrup- nicht mehr.27 Die bei uns ohne die denden Teil der Gesellschaft von unter durch eine zunehmende Individualisie- pen – Alte, Junge, Migranten, Arbeits- deutsche Staatsbürgerschaft Leben- 20-Jährigen die Einsicht zu vermitteln, rung geprägt. lose und Erwerbstätige, Christen und den, also die Einwohnerinnen und dass die Fähigkeit, Politik mit zu gestal- Ein weiterer gesellschaftlicher Muslime – stärker im Gespräch als bis- Einwohner, müssen sich nicht für die ten, nicht allein von der zahlenmäßigen Trend fordert die Politische Bildung he- her zusammenzubringen. Demokratie interessieren und sie brau- Stärke einer gesellschaftlichen Gruppe raus, nämlich der Umstand, dass die chen sich auch nicht für sie engagieren, abhängig ist, sondern auch von der In- Lebensformen der verschiedenen ge- Inhaltliche Herausforderungen aber müssen ihren Wert und ihre Wer- tensität und der Qualität ihres Engage- sellschaftlichen Gruppen auseinander- politischer Bildung te begreifen, zu schätzen wissen und ments. Und diese Qualität kann mit Hil- driften. Nicht nur die neueste Shell-Ju- Neben den genannten Veränderungen diese bejahen. Und das ist eine neue fe Politischer Bildung gezielt gestärkt gendstudie31 konstatiert eine sich ver- bei den Adressaten politischer Bildung und zentrale Aufgabe für die Politische werden. Das heißt, mittels Politischer größernde Kluft zwischen den ver- sieht sich die Politische Bildung vor al- Bildung.28 Bildung können die Artikulationsfähig- schiedenen gesellschaftlichen Grup- lem dadurch fundamentalen Verände-

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rungen ausgesetzt, dass sich die inneren nalisierung von Politik. Zweitens gerät litionsregierungen zu formen, an und für Konsequenzen für die Politische Funktionsbedingungen der Demokratie Politik in die Erwartungsfalle, d. h., be- sich nichts Neues. Neu ist aber, dass die- Bildung in den letzten Jahrzehnten weitreichend dingt durch die Aufmerksamkeitsregeln se Verhandlungssysteme angesichts der Demokratie hängt nicht nur von der verändert haben. Und sie werden sich in der Mediendemokratie fühlen sich Europäisierung und Globalisierung von Qualität der Amtsinhaber ab, sondern unter den Bedingungen von Globalisie- Politiker zum Teil zu Versprechungen Politik weiter an Bedeutung gewinnen vor allem auch von der Urteils- und Aus- rung und Medialisierung und gesell- veranlasst, die über ihre tatsächlichen und sich die Tendenz verstärkt, dass die wahlfähigkeit derjenigen, die den Amts- schaftlichem Wandel noch weiter verän- Handlungsmöglichkeiten hinausgehen. entsprechenden Aushandlungsprozesse inhabern ihr Vertrauen aussprechen dern.35 Darauf muss auch die Politische Drittens erzeugt die mediale Dauerprä- häufig informell und abseits der Öffent- und sie in die Ämter wählen. Diese Kri- Bildung reagieren. senz von Politik und Politikern bei Bür- lichkeit ablaufen. Dieses Erfordernis ist tik- und Urteilsfähigkeit43 wird unter gerinnen und Bürgern die Fehleinschät- zum einen mit der Funktionslogik der den Bedingungen der Mediendemokra- Erste inhaltliche Herausforderung: zung, über Politik Bescheid zu wissen. Massenmedien kaum vereinbar und zieht tie und der Entwicklungen in Richtung Mediendemokratie Viertens steigt – bedingt vor allem zum anderen das demokratietheoreti- Aushandlungs- und Expertengremien- Der Begriff der Mediendemokratie um- durch die Online-Medien – die Ge- sche Problem eines relevanten Bedeu- demokratie stärker denn je herausgefor- schreibt die Tatsache, dass sich die poli- schwindigkeit der Medienberichterstat- tungsverlusts der Bürgerinnen und Bür- dert. tischen Willensbildungs- und Entschei- tung. Diese Beschleunigung setzt auch ger nach sich. Bürger fühlen sich von Ent- Insgesamt lässt sich also feststellen, dungsprozesse in modernen Demokrati- die Politiker unter einen immensen scheidungen ausgeschlossen, beklagen dass Politische Bildung mit Blick auf die en „vorwiegend an den Erfolgsbedin- Zeitdruck. Sie müssen nicht nur jeder- die fehlende Transparenz von politischen von ihr zu bewältigenden Anforderun- gungen einer medialen Öffentlichkeit zeit erreichbar, sondern vor allem auch und administrativen Entscheidungsver- gen tatsächlich immer noch Über- orientieren“.36 Diese Ausprägung der in immer kürzeren Zeiteinheiten bereit fahren. Aus Sicht der politischen Akteure schneidungen mit den Anforderungen Demokratie als Mediendemokratie er- und in der Lage sein, gegenüber der Öf- tut sich hier die Schwierigkeit auf, nicht aufweist, die sich ihr zu Zeiten Hanns setzt die traditionelle repräsentative De- fentlichkeit Einschätzungen zu komple- nur den sich aus den Funktionsmecha- Seidels gestellt haben. Gleichzeitig er- mokratie jedoch nicht, sondern hat zur xen Sachverhalten zu liefern.39 Zeit zum nismen von Verhandlungssystemen erge- scheint aber offenkundig, dass sich Folge, dass die parlamentarisch-reprä- Nachdenken und zur Beratung bleibt benden Anforderungen gerecht werden nicht nur die zeitgeschichtlichen Bedin- sentative Parteiendemokratie durch zu- immer weniger. Fünftens wirkt eine auf zu müssen, sondern eben auch den zum gungen geändert haben, sondern vor sätzliche politische Arenen ergänzt Sensationen und Populismus ausgelegte Teil gegensätzlichen Transparenz- und allem auch die gesellschaftlichen Rah- wird. Unter den Funktionsbedingungen Funktionsweise eines Teils der Massen- Repräsentationsansprüchen der Öffent- menbedingungen sowie die strukturelle einer Mediendemokratie und der Not- medien nicht nur nicht bildend, son- lichkeit.41 Ausprägung unserer Demokratie. Für wendigkeit für die politischen Parteien, dern hat unter Umständen Verdum- Die jüngsten Forderungen nach ei- die Politische Bildung bedeutet dies sich auf eine zunehmende Zahl von mungscharakter, und – das erscheint ner stärkeren Bürgerbeteiligung und eine mehrfache Herausforderung, so- Wechselwählern einzustellen, bilden besonders wichtig – entzieht der Politik nach der Aufnahme von Elementen der wohl inhaltlich als auch mit Blick auf ideologische Grundsätze immer weniger und damit auch der Demokratie das plebiszitären Demokratie lassen sich als die Adressaten. Es erscheint dabei mü- die Bezugspunkte von Politik und Politi- notwendige Vertrauen. D. h., sie ver- eine Gegenreaktion auf diese Entwick- ßig, sich mit der Frage zu befassen, ob kern. Nicht die Suche nach einer wie stärkt die ohnehin bestehende Tendenz lung interpretieren. Die Frage ist aber, diese Herausforderungen einfacher auch immer definierten „guten Politik“, zur Politikdistanz und zur Verächtlich- ob diese plebiszitäre Gegenbewegung oder schwieriger sind, als es die Heraus- sondern die mediale Vermittelbarkeit machung von Politik und politischem tatsächlich geeignet ist, das beklagte forderungen an die Politische Bildung von Politik und deren Erfolgsmessung Personal.40 Transparenzdefi zit zu überwinden. zu Zeiten Hanns Seidels waren. Zumin- mittels Umfragedaten und Popularitäts- Schließlich hätte eine stärkere plebiszi- dest kann man aber feststellen, dass werten treten zunehmend in den Vor- Zweite Veränderung im politischen täre Verwurzelung der Politik eine noch sich nicht nur die Probleme und Her- dergrund.37 System der Bundesrepublik: Aus- stärkere Differenzierung zwischen den ausforderungen verändert haben, son- Wenn sich Willensbildungs- und weitung der Tendenz zur Aushand- interessierten und aktiven Bürgerinnen dern auch unsere Erfahrungen und Fä- Entscheidungsprozesse immer häufi ger lungsdemokratie und Bürgern und den sich „abgehängt“ higkeiten, diesen Herausforderungen an der medialen Vermittelbarkeit orien- Die Tendenz zur Aushandlungsdemokra- fühlenden Bevölkerungsteilen zur Folge: gerecht zu werden. Es besteht also An- tieren, birgt dies unter Umständen ver- tie ist den Bundesdeutschen aufgrund „Volksabstimmungen haben eine größe- lass zur Zuversicht, dass dieser „Auf- schiedene Gefahren.38 Erstens drohen unseres föderalen Systems sowie der re soziale Schiefl age als allgemeine Wah- bruch in eine neue Zeit“ – gerade auch eine Simplizifi erung sowie die Emotio- meist bestehenden Notwendigkeit, Koa- len“.42 mit Unterstützung all derjenigen, die

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14 Meulemann, Heiner: Wertewandel in der Bun- Richard: Maßnahmen zur politischen Bildung al Edinger und Werner J. Patzelt, Wiesbaden zur Politischen Bildung beitragen – glü- desrepublik zwischen 1950 und 1980: Versuch für Migranten und Migrantinnen. Expertise für 2011 S. 416-438, hier S. 423 f. cken wird. /// einer zusammenfassenden Deutung vorliegender die Bundeszentrale für Politische Bildung, Bam- 42 Merkel, Wolfgang: Entmachten Volksentscheide Zeitreihen, in: Wirtschaftlicher Wandel, religiö- berg 2006, http://www.bpb.de/files/2AELAY. das Volk? Anmerkungen zu einem demokrati- ser Wandel und Wertwandel. Folgen für das poli- pdf schen Paradoxon, in: WZB Mitteilungen 131 tische Verhalten in der Bundesrepublik Deutsch- 29 Lehr, Ursula: Die Jugend von gestern und die Se- /2011, S. 10-13, hier S. 12. land, hrsg. von Dieter Oberndörfer, Hans Rattin- nioren von morgen, in: Aus Politik und Zeitge- 43 Zur reflexiven Urteilskompetenz vgl. Scherb, Ar- ger und Karl Schmitt, Berlin 1985, S. 391-411, schichte B 20/2003, S. 3-5. min: Demokratie-Lernen und reflexive Urteils- hier S. 397 f. 30 Kaufmann, Franz-Xaver: Schrumpfende Gesell- kompetenz, in: Demokratiekompetenz: Beiträge 15 Schildt, Axel: Moderne Zeiten. Freizeit, Massen- schaft. Vom Bevölkerungsrückgang und seinen aus Politikwissenschaft, Pädagogik und politi- medien und „Zeitgeist“ in der Bundesrepublik Folgen, Frankfurt am Main 2005, S. 163 f. scher Bildung, hrsg. von Gerhard Himmelmann der 50er-Jahre, Hamburg 1995, S. 443. 31 Albert, Mathias / Hurrelmann, Klaus / Quenzel und Dirk Lange, Wiesbaden 2005, S. 270-285, 16 Ellwein, Thomas: Pflegt die deutsche Schule Bür- Gudrun: Jugendliche in Deutschland – Optionen hier S. 278 ff. gerbewusstsein? Ein Bericht über die staatsbür- für Politik, Wirtschaft und Pädagogik, in: Ju- /// PROF. DR. URSULA MÜNCH gerliche Erziehung in den höheren Schulen der gend 2010. Eine pragmatische Generation be- Bundesrepublik, München 1955, wiedergegeben hauptet sich, hrsg. von Shell Deutschland Hol- ist Leiterin der Politischen Akademie nach Detjen, Joachim: Politische Bildung. Ge- ding, Bundeszentrale für Politische Bildung, Tutzing. schichte und Gegenwart in Deutschland, Mün- Schriftenreihe 1133, Bonn 2010, S. 343-360, hier chen / Wien 2007, S. 114 f. S. 346. 17 Sutor, Bernhard: 50 Jahre Politische Bildung – 32 Blossfeld, Hans-Peter / Timm, Andreas: Who Erfolge und Defizite in einer subjektiven Bilanz, marries whom in , in: Who mar- Anmerkungen in: Standortbestimmung Politische Bildung, ries whom? Educational systems as marriage 1 So die Einschätzung des späteren Direktors der hrsg. von Heinrich Oberreuter, Schwalbach/Ts. markets in modern societies, hrsg. von Hans-Pe- Akademie für Politische Bildung Tutzing, Dr. Fe- 2009, S. 23-36. ter Blossfeld und Andreas Timm, Dordrecht 18 lix Messerschmid, in seiner Rede vom 22.2.1956 Tocqueville de, Alexis; zitiert nach Eschenburg, 2003, S. 19-35. 33 vor dem Bayerischen Landtag, Messerschmid, Theodor: Herrschaft der Verbände?, Stuttgart Barnick, Ole u. a.: Auswirkungen des Wohnum- Felix: Die Akademie als Mitte der politischen 1956, S. 7. feldes auf Armutslage und Lebenssituation von 19 Bildungsarbeit, in: Kristallisationskern politi- Eschenburg, Theodor: Anfänge der Politikwis- Kindern und Jugendlichen, Berlin 2004, http:// scher Bildung. Zur Geschichte der Akademie senschaft und des Schulfaches Politik in www.familienheute.de/attachments/142_Aus- 1957 bis 2007, hrsg. von Heinrich Oberreuter Deutschland seit 1945, in Augsburger Universi- wirkungen%20des%20Wohnumfeldes%20 und Steffen H. Elsner, München 2009, S. 27-41, tätsreden, 7. Vortrag und Ansprachen anlässlich auf%20Armutslage/pdf 34 hier S. 27 f. der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Seven One Media: Sinus Milieus. Lebensstil, 2 Ebd., S. 29. Philosophische Fakultät, Augsburg 1986, S. 27, Fernsehnutzung und Umgang mit neuer Kom- 3 Zur Entstehungsgeschichte der Akademie für Po- http://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/volltex- munikationstechnologie, http://www.sinus-ins- litische Bildung Tutzing vgl. Gelberg, Karl-Ulrich: te/2006/474/pdf/UR_7Eschenburg1986.pdf titut.de/uploads/tx_mpdownloadcenter/SOM_ 20 „Eine Existenzfrage unserer Demokratie“. Die Zum Zusammenhang zwischen sozialer Aus- Milieu_Broschuere_2007.pdf 35 Gründung der Akademie für Politische Bildung, grenzung und der Entstehung von Aggression Grande, Edgar: Strukturwandel der Demokratie. München 2007. vgl. Bauer, Joachim: Schmerzgrenze. Vom Ur- Politische Bildung in der globalisierten Medien- 4 Seidel, Hanns: StenProt BayLT 3/59 vom sprung alltäglicher und globaler Gewalt, Mün- gesellschaft, in: Hessische Blätter für Volksbil- 24.4.1956, S. 1905. chen 2011, S. 58 ff.; Deth van, Jan W.: Politische dung 1/2011, S. 42-51, S. 42. 36 5 Ebd. Partizipation, in: Politische Soziologie. Ein Stu- Ebd., S. 45. 37 6 Seidel, Hanns: StenProt BayLT 3/63 vom dienbuch, hrsg. von Viktoria Kaina und Andrea Jun, Uwe: Parteien, Politik und Medien. Wandel 23.5.1956, S. 2058. Römmele, Wiesbaden 2009, S. 141-161, hier S. der Politikvermittlung unter den Bedingungen 7 Seidel, Hanns: Politische Reife und Mündigkeit. 153 f. der Mediendemokratie, in: Politik in der 21 Rede anlässlich des Festaktes zur Eröffnung der Deth van: Politische Partizipation, S. 156. Medien demokratie, hrsg. von Frank Marcin- 22 Akademie für Politische Bildung Tutzing am Eschenburg, Theodor nach einem Zitat von Prof. kowski und Barbara Pfetsch, Politische Viertel- 21.2.1959 in der Großen Aula der LMU München, Dr. Hans-Otto Mühleisen anlässlich der Verlei- jahresschrift Sonderheft 42/2009, S. 270-295, in: Über die Freiheit. Festvorträge zur Gründung hung der Ehrendoktorwürde durch die Universi- hier S. 283. 38 und zu den Jubiläen der Akademie. 50 Jahre Aka- tät Augsburg, in: Augsburger Universitätsreden, Die Einschätzung über den (politischen) Medien- demie für Politische Bildung, hrsg. von Heinrich Augsburg 1985, S. 5, http://opus.bibliothek.uni- einfluss gehen weit auseinander, eine Übersicht Oberreuter, München 2008, S. 17-22, hier S. 17. augsburg.de/volltexte/2006/474/pdf/ gibt Schulz, Winfried: Politischer Medienein- 8 Seidel, Hanns: StenProt BayLT 3/63 vom UR_7Eschenburg1986.pdf fluss: Metamorphosen des Wirkungskonzepts, 23 23.5.1956, S. 2060. Ebd. in: Politik in der Mediendemokratie, hrsg. von 24 9 Ebd. Seidel: Politische Reife und Mündigkeit, S. 20 f. Frank Marcinkowski und Barbara Pfetsch, Poli- 25 10 Ebd. Kösters, Winfried: Weniger, bunter, älter. Den tische Vierteljahresschrift Sonderheft 42/2009, 11 Bundesamt für Sicherheit in der Informations- demographischen Wandel aktiv gestalten, Mün- S. 103-125, hier S. 105. 39 technik: Die Lage der IT-Sicherheit in Deutsch- chen 2011. Zu den „Paradoxien politischer Zeit” vgl. Hart- 26 land 2011, Bonn 2011. Davy, Ulrike: Politische Integration der ausländi- mut, Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung 12 Schulz, Günther: Rahmenbedingungen, in: Ge- schen Wohnbevölkerung, Baden-Baden 1999; der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt schichte der Sozialpolitik. Band 3: Bundesrepub- Bryde, Brun-Otto: Ausländerwahlrecht und am Main 2005, S. 408. 40 lik 1949-1957. Bewältigung der Kriegsfolgen, grundgesetzliche Demokratie, in: Juristenzei- Kaina, Victoria: Declining Trust in Elites and Rückkehr zur sozialpolitischen Normalität, tung 44/1989, S. 257-304. Why We Should Worry About It – With Empiri- 27 hrsg. von Günther Schulz, Baden-Baden 2006, Schönwälder, Karen: Einwanderer als Wähler, cal Evidence from Germany, in: Government and S. 53. Gewählte und transnationale Akteure, in: Poli- Opposition 43/2008, S. 405-423. 41 13 Bitkom: IT-Kriminalität in Deutschland, www. tische Vierteljahresschrift 50/2009, S. 832-849. Spörer-Wagner, Doreen / Marcinkowski, Frank: 28 bitkom.org/files/documents/BITKOM_Praesen- Vgl. z. B. Lange, Dirk / Polat Ayça: Migration Politiker in der Öffentlichkeitsfalle? Zur Mediali- tation_IT-Kriminalitaet_30_06_2011. und Alltag. Unsere Wirklichkeit ist anders, sierung politischer Verhandlungen in nationalen pdf, Stand: 15.7.2011. Schwalbach/Ts. 2010; Reiter, Stefanie / Wolf, Kontexten, in: Politik als Beruf, hrsg. von Miche- 98 POLITISCHE STUDIEN // 440 440 // POLITISCHE STUDIEN 99 AKTUELLES BUCH

von Handys gebraucht wird), andere nachhaltige Entfaltung für Kapitalge- hingegen verlieren ihre Bedeutung mit winn eingesetzt werden. In (inländi- der Zeit. Fortschritte in der Technik sche) Investitionen zu investieren und entscheiden auch darüber, ob Ressour- die allgemeine Wirtschaftspolitik zu cen überhaupt profi tabel gewonnen verbessern, stellt die Quintessenz werden können. Doch der wichtigste wirtschaftlicher Entwicklung dar. Ge- Faktor sind die „Regeln“, die eine lingt dies, ist für Collier die zentrale Plünderung verhindern und den Wohl- Aufgabe erfüllt: „Wir haben eine ethi- stand für alle befördern. Ohne gute sche Verpfl ichtung, den noch nicht ge- Regierungsführung trägt selbst ein borenen Generationen entweder die Rohstoffboom nur kurzfristig zum natürlichen Ressourcen zu vererben, Wachstum eines Landes bei, langfris- die uns vererbt wurden, oder andere, Collier, Paul: Der hungrige Planet: tig aber schrumpft die gesamte Volks- gleichwertige Vermögenswerte“ (S. Wie können wir Wohlstand meh- wirtschaft (S. 59) infolge ansteigender 48). ren, ohne die Erde auszuplündern. Wechselkurse, aufgeblähten öffentli- Im Weiteren geht der Autor auch München: Siedler Verlag, 2011, chen und privaten Konsums und inef- auf die Plünderung der Meere, die Pro-

272 Seiten, € 22,99. fektiver Investitionen. blematik des CO2-Ausstoßes und die Rohstoffreiche Länder brauchen Nahrungsmittelversorgung ein. „Das Regierungen, die in der Lage sind, ein Zeitalter des billigen Überfl usses der gutes Ressourcenmanagement zu be- Natur ist vorbei“ (S. 247), lautet seine treiben. Leider machen eben diese Feststellung. Wo Natur ein knappes Reichtümer es schwieriger, die benö- Gut ist, muss sie neu bewertet werden /// Hoff nung für „die unterste Milliarde“ tigten Institutionen aufzubauen (S. und braucht neue Regeln für die Nut- 75). Zu groß ist die Gefahr von asym- zung. Wie diese aussehen sollten, dazu MIT ROHSTOFFEN AUS DER ARMUT metrischer Information, Bestechung hat der britische Ökonom eigene Vor- und Plünderung. Collier zeigt Schritt stellungen, die er in klarer Abgrenzung für Schritt nicht nur die Stolpersteine zu anderen Ansätzen vorstellt. So be- entlang der Entscheidungskette des zeichnet er die Emissionsrechte als Paul Collier ist Professor für Ökonomie cen-Fluch? Nein, meint Collin, aber Ressourcenmanagements auf, sondern modernen Ablasshandel (S. 181). Ener- und Direktor des „Centre for the Study verpasste Gelegenheiten. Der enorme spricht auch Handlungsempfehlungen gie aus Getreide, das Verbot gentech- of African Economies” an der Universi- Wert der Ressourcen ist eigentlich ein aus. Dies beginnt mit der professionel- nisch veränderter Lebensmittel und tät Oxford. Sein Forschungsgebiet be- Segen. In der (richtigen) Ausbeutung len Erkundung und Einschätzung des die Erhaltung der kleinbäuerlichen Le- fasst sich mit den ärmsten Ländern der liegt für ihn der Schlüssel für die wirt- Wertes sowie der geschickten Vergabe bensweise sind für ihn schädliche po- Erde, die er in seinem international be- schaftliche Transformation der ärms- der Förderrechte, verbunden mit ei- pulistische Programme (S. 228). Mit achteten Buch von 2008 als „Die un- ten Gesellschaften (S. 53). nem klaren, vernünftigen System an seinem Buch unternimmt der Autor terste Milliarde“ bezeichnete. In der Damit dies gelingt, sind jedoch ei- Steuern und Abgaben. Wirtschafts- mit eigenen Worten den Versuch, das aktuellen Publikation legt der Autor nige Herausforderungen zu bewälti- prüfer, Anti-Korruptionsmaßnahmen Ziel des globalen Wohlstands mit einer ein mit 250 Seiten umfangreiches Werk gen, die Collier prägnant mit der For- und der kollektive Druck einer infor- ethischen Haltung gegenüber der Na- vor, das dem Raubbau an natürlichen mel „Natur + Technologie + Regeln = mierten Bevölkerung bzw. internatio- tur zu verbinden (S. 9). So hehr dieses Ressourcen nachgeht. Wie kann es Wohlstand“ beschreibt (S. 20). Das be- naler Initiativen und Übereinkommen Ziel auch ist, dürften seine Argumen- sein, dass ein Land viele Bodenschätze deutet: Die natürlichen Ressourcen sollen als Kon trollinstanzen wirken. tationen und Schlussfolgerungen stel- hat, etwa Öl, Kupfer oder Diamanten, sind ungleich verteilt und sie müssen Zu guter Letzt geht es um den Umgang lenweise doch auch streitbar sein. und dort doch die Menschen arm sind erst entdeckt werden. Manche werden mit den Einnahmen. Hier plädiert er Dazu mag auch der Stil beitragen. Der und es ihnen an Nahrung und Infra- durch neue Erfi ndungen erst wertvoll dafür, einen Großteil der Einkünfte zu Autor hat zugunsten eines breiten Le- struktur fehlt? Gibt es einen Ressour- (etwa Coltan, das für die Herstellung sparen. Sie sollten mit Blick auf ihre serkreises bewusst auf die „präzise,

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aber schwer verständliche Sprache der komponenten wie Diplomatie oder kul- modernen Wirtschaftswissenschaf- turelle Anziehungskraft, für welche Nye ten“ (S. 9) verzichtet, auf Statistiken, den Begriff „soft power“ geprägt hat. Tabellen, Graphiken und Quellenan- Nye, Joseph S.: Macht im 21. Beide Machtinstrumente gründen je- gaben. Mag über das „Wie“ also noch Jahrhundert: Politische Stra- doch auf ökonomischer Macht, so Nye. Uneinigkeit herrschen, liefert die Ana- tegien für ein neues Zeitalter. Da auch weiche Macht nicht die Lö- lyse doch einen wertvollen Einblick in München: Siedler-Verlag, sung für alle Probleme ist und Macht, die Mechanismen der Ressourcenplün- 2011, 384 Seiten, € 24,99. wie der Autor völlig richtig erkennt, im- derung. Dies ist auch gut so, denn „in mer abhängig vom Kontext ist, in wel- einer Demokratie kann die Regulie- chem sie wirken soll, führt er nun den rung der Natur nur so gut sein, wie die Begriff der „smart power“ ein. Nye sagt, Gesellschaft versteht, warum sie not- Macht ist nach Max Weber „jede Chan- „[s]mart power is not simply ‚soft power wendig ist“ (S. 23). /// ce, innerhalb einer sozialen Beziehung 2.0.’ It refers to the ability to combine Silke Franke den eigenen Willen auch gegen Wider- hard and soft power into effective strate- streben durchzusetzen, gleichviel wor- gies in varying contexts” (xiv). Zu die- auf diese Chance beruht“(i). Soll diese sen variierenden Kontexten sind im 21. Macht jedoch zur Anwendung kom- Jahrhundert technologische Neuent- men, so stellt sich im Anschluss an diese wicklungen wie soziale Medien zu zäh- Definition die tiefer liegende Frage, wor- len, aber auch immer weiter voran- auf diese Chancen beruhen? Der Har- schreitende Macht- und Einflussgewin- vard Professor und ehemalige stellver- ne nicht-staatlicher Akteure wie trans- tretende Staatssekretär im U.S. Außen- national agierender Großkonzerne. ministerium, Joseph S. Nye, geht in sei- Dieser gewandelte Kontext bedeute, so nem neuesten Buch „The Future of Pow- Nye, zwar nicht das Ende des National- er“ genau dieser Frage nach. Angetrie- staates, doch zwingen sie diesen, den ben von dem vermeintlichen Macht- und Einsatz ihrer Machtmittel im Kontext Einflussverlust der USA auf internatio- dieser veränderten Rahmenbedingun- naler Ebene untersucht er, ob der Vor- gen zu planen. sprung in harter militärischer und öko- Insbesondere in Zeiten finanzieller nomischer Macht oder eher weiche Engpässe ist daher also die Fähigkeit, Machtkomponenten wie Ideen und kul- klug über das zur Anwendung kommen- turelle Anziehungskraft die Durchset- de Mischverhältnis weicher und harter zungsfähigkeit amerikanischer Interes- Machtmittel zu entscheiden, für den sen steigern. Autor die Grundlage von Macht. Die Während in der Vergangenheit Mittelwahl entscheidet somit über die Macht meist mit militärischer Stärke as- Realisierungschance, den eigenen Wil- soziiert wurde, weißt Nye darauf hin, len auch gegen Widerstreben durchzu- dass angesichts veritabler Sicherheitshe- setzen und kann unter Umständen auch rausforderungen nuklear gerüsteter dazu führen, dass das Gegenüber lang- Staaten (z. B. Nordkorea) harte Macht fristig denselben Willen entwickelt. zwar weiterhin relevant, jedoch keines- Der Autor gibt in seiner Einleitung falls mehr das einzige oder wichtigste zu bedenken, dass es sich um ein Werk Instrument zur Durchsetzung staatli- handelt, welches für die breite Öffent- cher Interessen sei. Macht gründet min- lichkeit geschrieben ist und dieses Ziel destens ebenso auf „weichen“ Macht- erreicht Nye. Kenner der Materie und

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von Nyes Werken werden jedoch kaum des Kosovo-Krieges dazu führten, das nerhalb der Solana-Administration so- Stahl in seinem Beitrag herausarbeitet, Neues zu lesen bekommen, was sie nicht ursprünglich administrativ angelegte wie zwischen dieser und den EU-Insti- vor allem eine „normative or civilian schon an anderer Stelle gelesen hätten. Amt durch die Nominierung des dama- tutionen. Im Mittelpunkt stehen dabei power“ sei. „He strongly believes in ins- Für die interessierte Öffentlichkeit ist ligen NATO-Generalsekretärs Javier die Beziehungen von Solana zur Kom- titutions and conceives of a world cha- dieses Buch jedoch sehr zu empfehlen, Solana politisch aufzuwerten. Zudem mission – und insbesondere zum Au- racterized by negotiable confl icts” liefert der Autor doch eine gut geschrie- hoffte man, mit der Benennung Solanas ßenkommissar –, zum Europäischen (Stahl, S. 170 f.). Gerade hierin wird bene Einführung in die Komplexität in- britische Bedenken vor einer Relativie- Parlament sowie zu den Mitgliedstaa- aber auch eine Schwäche von Solanas ternationaler Politik, welche mit holz- rung der NATO durch die im Aufbau ten bzw. dem Europäischen Rat; auch Außenpolitikverständnis deutlich, da schnittartigen Theorien immer seltener befindliche ESVP zu zerstreuen, was das Spannungsverhältnis von „Mister ein solcher Ansatz immer eine entspre- zu verstehen ist. Claudia Major in ihrem Beitrag unter- GASP“ und EU-Ratspräsidentschaft chende Resonanz auf der anderen Seite ALEXANDER WOLF streicht: „Solana was expected to re- wird intensiv diskutiert. Trotz der un- voraussetzt. Dies könnte erklären, war- concile the main positions, namely the terschiedlichen Problemlagen kommen um Solanas Politik auf dem Balkan als Atlanticists ... and the Europeanists.“ die Beiträge weitgehend übereinstim- durchaus erfolgreich angesehen werden (S. 182). Bedauerlich ist, dass dieser Be- mend zu dem Ergebnis, dass es Solanas kann, während er im Nahostkonfl ikt, fund nicht im Hinblick auf seine Impli- Persönlichkeit war, die die institutionel- dem zweiten inhaltlichen Schwerpunkt Müller-Brandeck-Bocquet, kationen für die Nach-Solana-Zeit re- len Spannungen zu überbrücken half. seiner zehnjährigen Arbeit, nur be- Gisela / Rüger, Carolin (Hrsg.): flektiert wird. Denn eine rein biogra- Vor allem bei den schwierigen Abstim- grenzt Wirkung entfalten konnte. The High Representative for phisch erklärte Fähigkeit zur Überbrü- mungs- und Koordinierungsprozessen Insgesamt handelt es sich bei dem the EU Foreign and Security ckung unterschiedlicher Grundkonzep- zwischen den Mitgliedstaaten kamen Sammelband um ein lesenswertes Policy – Review and Prospects. tionen kann langfristig keine Problem- ihm dabei seine Erfahrungen als spani- Buch, das die Solana-Zeit und damit Baden-Baden: Nomos Verlag, lösung darstellen. scher Außenminister und NATO-Ge- die erste Dekade einer wirklichen Eu- 2011, 303 Seiten, € 54,00. Die besondere Persönlichkeit Sola- neralsekretär zugute. Die besondere ropäischen Außen-, Sicherheits- und nas wird in allen Beiträgen auch immer Fähigkeit Solanas, trotz schwieriger in- Verteidigungspolitik in all ihren Facet- wieder als Grund angeführt, warum es stitutioneller Rahmenbedingungen eine ten darstellt. Besonders gewinnbrin- ihm gelungen ist, das Amt des „Mister relativ erfolgreiche Bilanz vorlegen zu gend ist, dass die Beiträge den schwie- Der von Gisela Müller-Brandeck-Boc- GASP“ weit über dessen eigentliches können, lenkt den Blick aber zugleich rigen Spagat zwischen grundlegender quet und Carolin Rüger herausgegebene Potenzial hinaus auszugestalten. Denn auch auf die grundlegenden Struktur- Einführung in die Problematik einer- Sammelband ist sowohl eine umfassen- gemessen an seiner Stellung innerhalb probleme der GASP, die auch mit den seits und inhaltlich tiefgehender Analy- de Bilanz der inhaltlichen Arbeit von des europäischen Institutionengefüges Neuerungen des Lissabonner-Vertrages se andererseits bewerkstelligen, so dass Javier Solana als Hoher Repräsentant und den administrativen Ressourcen bzw. dem „High Representative 2.0“ der Sammelband sowohl als Einfüh- für die Gemeinsame Außen- und Si- konnte Solana ein erstaunliches Maß (wie Müller-Brandeck-Bocquet und Rü- rungswerk als auch als Grundlage für cherheitspolitik als auch eine detaillier- an Außenwirkung und Gestaltungs- ger es in ihrem Beitrag formulieren, S. weitergehende Forschungsprojekte zu te institutionelle Analyse dieses im Jahr kraft entfalten. Damit leistet die Analy- 259) nicht vollständig überwunden empfehlen ist. 1999 geschaffenen und mit dem Lissa- se aber auch einen wertvollen Beitrag werden konnten. DANIEL GÖLER bonner-Vertrag im Jahr 2009 in der zur Prägekraft von Einzelpersonen in Neben den strukturellen Aspekten neuen Position des „Hohen Vertreters neu geschaffenen Ämtern sowie zur setzt sich der Sammelband in den Bei- der EU für Außen- und Sicherheitspoli- Diskrepanz von Vertragstext und Ver- trägen von Gallach, Algieri, Stahl und tik“ aufgegangenen Amtes. Dabei be- tragswirklichkeit bei der Bewertung in- Major auch intensiv mit den inhaltli- schränken sich die Beiträge nicht auf stitutioneller Arrangements. chen Schwerpunkten und dem Politik- die Amtszeit von Javier Solana, sondern Was die Einbindung des Hohen Re- stil Solanas auseinander, der selbst tief beleuchten auch die historischen Hin- präsentanten in das Institutionengefüge von einer „European Manner of con- tergründe, wodurch die besondere ins- der EU angeht, so diskutieren vor allem ducting policy“ (Gallach, S. 13) über- titutionelle Konstruktion erst verständ- die Beiträge von Regelsberger, Duke, zeugt war. Diesem lag ein erweiterter lich wird. So wird in verschiedenen Bei- Dijkstra, Adebahr und Bengtsson / Al- Sicherheitsbegriff sowie Solanas Über- trägen dargelegt, dass die Erfahrungen len die verschiedenen Problemfelder in- zeugung zu Grunde, dass die EU, wie

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nenlicht zu desinfi zieren. Es geht in al- Braun schlägt vor, landwirtschaftli- Naturgemäß werden nicht alle len Berichten also um punktuelle, loka- ches Wachstum mit sozialem Schutz – Nebe, Johannes Michael denkbaren Themen angesprochen, le Ansätze, wo Ausländer in Zusam- sprich Versicherungen – zu verbinden. (Hrsg.): Herausforderung etwa übergreifende Afrika-Politik und menarbeit mit Slumbewohnern eine Was Gerhardt als „anormal“ be- Afrika. Gesellschaft und -Wirtschaft oder aktuelle Konfl ikte. Verbesserung der Lebenssituation anre- zeichnet, wird hier bestätigt. Die übli- Raum im Wandel. Baden-Ba- Der Tenor des Bandes liegt vielmehr auf gen. che Tendenz der westlichen Entwick- den: Nomos Verlag, 2011, Bereichen, wo etwas zur Entwicklung Dies führt zu der Frage, die der Titel lungspolitik lässt sich nicht leugnen; die 432 Seiten, € 49,00. Afrikas beigetragen werden soll, womit des gesamten Bandes – „Herausforde- „Macher“ kommen vom Westen. Nebe also Politik und Wirtschaft gestärkt rung Afrika“ – aufwirft: Herausforde- ermutigt deshalb, darüber nachzuden- werden und Konfl iktbereitschaft idea- rung an wen? Das mag vorschnell zu ken, inwiefern dies einer Kurskorrektur lerweise gemindert wird. Zwei Themen- der Antwort verleiten, es handle sich bedarf (S. 17). Darum kommen Autoren bereiche seien stellvertretend etwas ein- „natürlich“ um eine Herausforderung zu Wort, die der eingefahrenen Ent- Der Herausgeber von „Herausforderung gehender besprochen: Die Studien und an Afrikaner. Aber ist das so? Spricht wicklungspolitik kritisch gegenüberste- Afrika“ lässt in 26 Beiträgen 33 Autoren die Arbeit von Studenten der Universi- nicht die Mehrzahl der Beiträge – wenn hen. Am radikalsten äußert sich der Ke- zu Wort kommen, darunter sechs afri- tät Trier in Slums von Nairobi sowie auch in der Regel unausgesprochen – nianer Shikwati. In drastischen Bildern kanische, einschließlich des scharfsich- Fragestellungen zur Entwicklung Afri- von einer Verantwortung des Westens? vergleicht er die Entwicklungshilfe mit tigen Karikaturisten GADO. Shikwati, kas. In seinem Beitrag „Warum die Entwick- der Technik der Wasserfolter (water der Liebling deutscher Entwicklungs- Der erste Themenkreis steht unter lungshilfe in Afrika gescheitert ist“ sagt boarding) oder mit nicht funktionieren- Veranstaltungen, ist zweimal vertreten. der Überschrift „Bildung und kreatives Gerhardt: „Mit Schwarzafrika ... muss den Überwachungskameras, die nie zei- Fünf Artikel sind auf English. Das um- Lernen“. Es geht um Leben und Initiati- etwas grundfalsch gelaufen sein, wenn gen, was wirklich passiert, nämlich, fangreiche Buch von 432 Seiten gliedert ven in Slums von Nairobi. Erstens um sein weitaus größter Teil auch nach ei- dass die Geber das Versagen Afrikas sich in acht Kapitel mit Akzenten auf die Schulsituation (Erhardt): Zum ei- nem halben Jahrhundert massiver ex- verursachen, aber die Schuld Afrika- Medien, Entwicklungszusammenar- nen erlaubt das Leben in extremer Ar- terner Hilfe ... nach wie vor an der Na- nern zuschieben. Danner zeigt, dass die beit, Gesundheit und (Verkehrs-)Sicher- mut nur etwa der Hälfte der Slum-Kin- belschnur reicher Länder hängt. ... Die Sambierin Moyo mit ihrem Buch „Dead heit, auf politischer und wirtschaftlicher der einen Schulbesuch, zum anderen Menschen hüben wie drüben haben Aid“ auf einer ähnlichen Linie liegt. Entwicklung, Migration und Bevölke- engagiert sich der Staat in den Slums sich an diesen Zustand so sehr gewöhnt, Auch sie sagt, Entwicklungshilfe helfe rung, Umwelt und Verkehr, „Bildung“ nicht und überlässt NGOs und anderen dass er ihnen kaum noch als anormal Afrika nicht nur nicht, sondern sei auch sowie schließlich auf dem Diskurs über privaten Initiativen einen Unterricht in auffällt“ (S. 364). schuld an Afrikas schlechter wirtschaft- Entwicklungspolitik für Afrika. Die einfachsten Verhältnissen. Der zweite Lesen wir die einzelnen Beiträge licher und politischer Situation. Moyo Aufsätze sind im Stil und Anspruch ver- Beitrag von Fallis / Öhmann / Tesfai ist zur Entwicklung Afrikas und der Ent- argumentiert allerdings wesentlich dif- schieden – kontemplativ wie Bitalas ein studentischer Erfahrungsbericht wicklungszusammenarbeit unter der ferenzierter als Shikwati. Die Schwäche „Afrikabild in den Medien“, kritisch wie über drei Projektstudien. Zwei Ansätze Fragestellung, an wen sich denn die ihrer Argumentation liegt jedoch unter etwa Roths Analyse der Millenniums- zeigen Verdienstmöglichkeiten für Ju- Herausforderung richtet, dann ergibt anderem in dem einseitig ökonomi- Entwicklungsziele, mit Daten und Zah- gendliche auf, eine weitere Studie be- sich folgendes Bild: InWEnt (Paust) schen Ansatz. Im Gegensatz zu Shikwa- len gespickt wie beispielsweise Bährs fasst sich mit HIV / AIDS und zeigt, wie möchte europäisches Wissen nach Af- ti und Moyo versucht der Ugander Darstellung der Bevölkerungsentwick- Armut die Bewältigung der Krankheit rika transportieren, wir Europäer zei- Mwenda eine ausgewogenere Kritik: lung und Armutsbekämpfung, aus ganz besonders erschwert. Der dritte gen, was gemacht werden muss. War- Die afrikanischen Regierungen seien in- praktischer Erfahrung und Arbeit be- Bericht schließlich stellt „Lichtblick-In- nings Darstellung der Prämissen des kompetent und korrupt. Doch während richtend wie jene Beiträge, die Slum- itiativen in den Slums von Nairobi“ vor Evangelischen Entwicklungsdienstes handlungsfähige Regierungen notwen- Aktivitäten darstellen, aber auch grund- (Groß / Nebe / Stemmler), nämlich die steht für einen idealistischen, westli- dig seien, um einen freien Markt zu legende Fragen aufwerfend wie etwa Kartographierung von Slums, Kommu- chen Anspruch, was machbar sein soll. stützen, habe die sozialistische Planung Huberts Gegenüberstellung der nikationsformen innerhalb der Slums, Die Millenniums-Entwicklungsziele in Afrika die Wirtschaft zerstört. deutsch-südafrikanischen Technischen etwa mit Hilfe von lokalen Radiosen- (Roth) und die Paris-Deklaration (Hu- Schwache und korrupte Staaten seien Zusammenarbeit und der Paris-Dekla- dern, Frauen- und Mädchen-Förderung bert) orientieren sich ebenfalls an Zie- mit Entwicklungshilfe am Leben erhal- ration. und eine Methode, Wasser durch Son- len und Systemen des Nordens. Von ten worden.

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Auch Gerhardt unterwirft die Ent- an wen denn die Herausforderung ge- einer atomwaffenfreien Welt erneuten re Schritte zur erfolgreichen Abrüstung wicklungshilfe einer grundsätzlichen richtet sei: letztlich an den Westen. Das Schub. Obwohl seitdem erste wichtige auf dem Weg zur „globalen Null“ er- Kritik. Sie sei gescheitert. Einem sinn- Buch informiert nicht nur, es provoziert Schritte gemacht wurden wie z. B. durch reicht werden können. Das ist einerseits vollen Subsidiaritätsprinzip stehe eine auch Nachdenklichkeit. das Inkrafttreten des START-Vertrags sehr interessant, andererseits aber nicht destruktive Bemutterung gegenüber. CHRISTIAN HEGEMER zwischen den USA und Russland, ist immer gewinnbringend, da die Hand- Diese habe die Behinderung der afrika- zwei Jahre später allgemeine Ernüchte- lungsvorschläge oftmals noch zu sehr nischen Eigeninitiative und Selbstent- rung eingekehrt. „Global Zero“ scheint an der Oberfl äche bleiben bzw. bekann- mündigung zur Folge und damit Ab- nur noch ein Thema unter vielen auf der te Forderungen wiederholen. Die Beiträ- hängigkeit und Untüchtigkeit. Sie sei weltpolitischen Agenda zu sein. Die ge liefern aber in erster Linie interessan- letztlich eine Verletzung der Würde der Wirtschafts- und Finanzkrise sowie die te Einblicke. Alexander Kmentt fragt, Afrikaner und rassistisch. politischen Umwälzungen in den arabi- ob die Zeit für die Ratifi zierung des Abschließend muss der allererste schen Staaten am Mittelmeer sind in Atomteststoppvertrags in den USA Beitrag erwähnt werden, nämlich Klaus Gärtner, Heinz (Hrsg.): Obama and den Vordergrund gerückt und Obamas zwölf Jahre nach der Ablehnung im US- Töpfers Grußwort. Dort wird nämlich the Bomb. The Vision of a World Initiative ist aus den Medien weitgehend Senat gekommen ist. Sehr anschaulich im Sinne von Grundsätzen für eine Be- Free of Nuclear Weapons, Frank- verschwunden. stellt er dar, wie trotz technischer Fort- gegnung zwischen Afrika und dem furt am Main: Peter Lang Verlag, Vor diesem Hintergrund ist das vor- schritte und dem durchaus vorhande- Westen Richtungsweisendes gesagt: 2011, 311 Seiten, € 39,00. liegende Buch zur Vision über eine Welt nen politischen Willen konservative Entwicklung könne keine Stabilität er- ohne Nuklearwaffen besonders interes- Kräfte sich gegen eine Unterzeichnung reichen, wenn die kulturelle Vielfalt und sant. Der englischsprachige Band, der in Stellung bringen und das auch in der Prägung Afrikas dem wirtschaftlichen Seit Januar 2007 steht das Ziel einer nu- von Heinz Gärtner, Professor am Öster- Vergangenheit mit großem Erfolg getan Fortschritt geopfert werde. Das abend- klearwaffenfreien Welt wieder ganz reichischen Institut für Internationale haben. Andere Beiträge fordern sogar ländische Effi zienz- und Rationalitäts- oben auf der Agenda der internationalen Politik (OIIP), herausgegeben wurde, bewährte Argumentationsmuster her- verständnis dürfe nicht unbefragt Maß- Politik. Damals verfassten vier ehemali- umfasst 16 Beiträge, die in drei große aus, so etwa der von Hakan Akbulut zur stab und Richtlinie für die Entwicklung ge hochrangige US-Politiker, allesamt Kapitel sowie eine Einleitung und einen türkischen Position in Bezug auf das Afrikas sein. Töpfer fordert eine ganz- vormalige „Realpolitiker“, darunter Schluss unterteilt sind. Das Buch setzt vermutete iranische Atomwaffenpro- heitliche Sicht, „ein menschliches Ver- Henry Kissinger, einen Artikel im Wall sich das Ziel, den Zusammenhang zwi- gramm. Der Autor argumentiert über- ständnis, das nicht nur auf die ökonomi- Street Journal, der dazu aufrief, ernst- schen Abrüstung und Nichtverbreitung zeugend, dass die allseits behauptete schen Determinanten zurückgeführt hafte und unumkehrbare Schritte zu ei- aufzuzeigen und zu diskutieren, wie nukleare Aufrüstung der Türkei bei ei- werden kann, sondern die Menschen in ner Welt ohne Atomwaffen einzuleiten. Nichtverbreitung und Abrüstung mitei- ner Atommacht Iran keineswegs sicher dieser globalisierten Welt insgesamt zu Im April 2009 griff der neu ins Amt ge- nander verbunden sind. Das erste große ist bzw. vieles dafür spricht, dass die verstehen bereit ist“ (S. 12). Mit anderen kommene US-Präsident Barak Obama Kapitel beschäftigt sich mit der „globa- Türkei diesen Schritt nicht gehen wird. Worten: Gegenseitiges Verstehen muss in seiner viel zitierten Rede in Prag den len Vision“. Kapitel zwei behandelt das Durch die breite Anlage des Bandes die Voraussetzung jeder Begegnung von Gedanken auf und machte „Global Thema „Nuclear Posture“, also den werden viele Themen, die im Kontext Afrika und dem Westen sein, eben auch Zero“ – also eine Welt ohne Atomwaf- Komplex der Nuklearstrategie. Das drit- der Nichtverbreitungspolitik bzw. der für Entwicklungszusammenarbeit. fen – zu einem Pfeiler seiner außenpoli- te Kapitel wirft einen Blick auf die Rolle atomaren Abrüstung von Bedeutung Der Band „Herausforderung Afrika“ tischen Leitlinien. Der Höhepunkt wur- der multilateralen Institutionen. Erfri- sind, angesprochen und mit Beiträgen ist ein Lesebuch zu Afrika mit vielen de schließlich mit der Vergabe des Frie- schend ist, dass neben österreichischen bedacht. Diese grundsätzliche Stärke Beispielen von Entwicklungsanstren- densnobelpreises an Präsident Obama Autoren auch internationale Politikwis- wird aber da zur Schwäche, wo wichtige gungen, mit zahlreichen Daten und Fak- im Jahr 2009 erreicht. Er erhielt den senschaftler und (ehemalige) Vertreter Themen ausgelassen werden. So fehlen ten, auch mit Anregungen. Die kriti- Preis, weil er sich als Präsident für die von Regierungsbehörden zu den Verfas- leider Beiträge zu Nordkorea und Iran schen Stimmen zum Diskurs über die Stärkung der internationalen Diploma- sern zählen – darunter etwa der frühere und deren Rolle in der aktuellen Abrüs- Entwicklungszusammenarbeit erschüt- tie und vor allem für eine Welt ohne IAEA-Generaldirektor Mohamed ElBa- tungsdebatte – lediglich der Schlussarti- tern das quasi naive Selbstverständnis Atomwaffen einsetzte. Durch diese Ent- radei. kel spricht diesen Themenkomplex in von Aktivitäten, Projekten und Pro- wicklungen erhielt die seit Jahrzehnten Der Band bzw. die Beiträge verbin- einem kurzen Kapitel an. Auch die an- grammen und beantworten die Frage, existierende Bewegung zur Erlangung den Analyse mit Ratschlägen, wie weite- deren Nuklearmächte und deren Positi-

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onen zur atomwaffenfreien Welt werden sorge zur Existenzsicherung und zum kommt zu einem ernüchternden, aber scheidungsfi ndung durchaus einbezo- nicht oder nur stiefmütterlich behan- Erhalt menschenwürdiger Lebensbedin- doch differenzierten Ergebnis. Die Zu- gen werden, der Staat jedoch die Mög- delt. Haben (und wenn ja wie) die ande- gungen beizutragen und die Gestal- kunftsvorsorge ist je nach Politikfeld von lichkeit behält, einseitig zu agieren – ren Nuklearmächte ihre Nuklearstrate- tungsfreiheiten und Zukunftschancen unterschiedlicher Qualität. Während in wenn also im „Schatten der Hierarchie“ gien im Zuge der amerikanischen Initia- zukünftiger Generationen zu erhöhen“ der Bildungspolitik die Defi zite zum verhandelt wird. Kritisch merkt der Au- tive verändert? Die Beantwortung dieser (S. 58). Explizit untersucht Wurster die Vorschein kommen, fällt das Urteil in tor an, dass Deutschland auch deswe- Fragen hätte man sich als Leser ge- Frage, inwieweit die gegenwärtige Politik der Forschungs- und Umweltpolitik weit gen teils so schlechte Performanz-Ergeb- wünscht. Schließlich lässt der Band auch die Interessen zukünftiger Genera- positiver aus. In der Energiepolitik er- nisse erzielt hätte, weil die „Anpassung auch den Leser am Ende etwas allein, tionen berücksichtigt. Dabei bezieht er reicht Deutschland nur eine schwache an die Bedingungen einer fortgeschritte- wenn es darum geht, die an vielen Stel- sich auf vier Politikfelder, die für die „output“-Performanz, hinsichtlich einer nen Wissensgesellschaft“ nicht hinrei- len angesprochenen und im Detail ana- kommenden Generationen nicht von der drei „outcome“-Dimensionen, näm- chend gelungen sei (S. 376). Zu lange lysierten Zusammenhänge von Nicht- ausschließlicher, aber doch von beson- lich im Umweltschutz, jedoch ein über- habe Deutschland Strukturen gefördert, verbreitungspolitik einerseits und nuk- derer Bedeutung sind – der Bildungs-, durchschnittliches Niveau. die auf die industriedominierte Wirt- learer Abrüstung andererseits zusam- Forschungs-, Umwelt- und Energiepoli- Von großem Gewinn ist die Studie, schaftstätigkeit ausgerichtet waren und menzufügen. Ein abschließender und tik. Etwas zu kurz kommt in dieser Stu- weil der Autor die Performanz-Unter- zukunftsorientierte Ressourcen eher zusammenfassender Beitrag wäre hier die allenfalls die Bedeutung der Staats- schiede systematisch anhand unter- vernachlässigt. Insgesamt liegt eine fun- wünschenswert gewesen. Als Fazit kann verschuldung, was jedoch möglicherwei- schiedlicher Ansätze der Staatstätigkeit dierte, sorgsam ausgearbeitete und sehr festgehalten werden: Ein lesenswerter se eine eigene Untersuchung erfordert zu erklären versucht. So spielt etwa eine schön lesbare Studie vor, die ganz sicher Band, einige Blindstellen trüben aller- hätte. Im Kern fragt Wurster, ob die heu- Rolle, dass innerhalb der Politikfelder über die wissenschaftliche Debatte hin- dings das Bild. HERBERT MAIER tige Politik hinreichend dafür Sorge eine unterschiedliche institutionelle aus Aufmerksamkeit verdient. In wel- trägt, dass die natürlichen Ressourcen Struktur vorherrscht („Politikverfl ech- chen Kontexten sich nachhaltiges Han- für zukünftige Generationen geschont, tung“), die Verbände über unterschiedli- deln am ehesten entfaltet, bleibt eine der die Innovationsfähigkeit der Gesell- ches Gewicht verfügen, die Konfl iktin- spannendsten Fragen der interdiszipli- schaft bewahrt und die Wettbewerbsfä- tensität zwischen den Parteien divergiert nären Forschung. Stefan Wurster hat zu Wurster, Stefan: Zukunftsvor- higkeit der Wirtschaft gesichert wird. und letztlich auch soziokulturelle Ver- dieser Debatte einen ganz entscheiden- sorge in Deutschland. Eine Mit anderen Worten: Unternimmt die änderungen („Wertewandel“) auf eine den Beitrag aus politikwissenschaftli- vergleichende Untersuchung Politik genug, um den heutigen und zu- unterschiedliche Art und Weise Einfl uss cher Perspektive geleistet. HENRIK GAST der Bildungs-, Forschungs-, künftigen Kindern und Jugendlichen ein nehmen. Gerade im Hinblick auf die Bil- Umwelt- und Energiepolitik, ausreichendes Lebensniveau als Erwach- dungs- und Umweltpolitik weist Wurs- Baden-Baden: Nomos Verlag, sene zu ermöglichen? ter überzeugend nach, dass zentrale Re- 2010, 432 Seiten, € 64,00. Um einen Maßstab für die Beant- formimpulse von der internationalen wortung der Frage zu erlangen, ver- Ebene kamen. Zu kritisieren wäre allen- gleicht der Autor die Anstrengungen falls, dass der Autor zu Beginn der Stu- Die Frage, wie Deutschland „Zukunfts- Deutschlands mit denen von 21 OECD- die etwas abrupt mit den Fallbeispielen Schwarz, Gerhard / Wohlgemuth, vorsorge“ betreibt, ist angesichts der ge- Mitgliedstaaten anhand von rund 30 un- beginnt und eine systematische, theore- Michael (Hrsg.): Das Ringen um genwärtigen Krisen in der Finanz, Wirt- terschiedlichen Indikatoren pro Politik- tische Herleitung der günstigen oder un- die Freiheit. „Die Verfassung der schafts- und Umweltpolitik von kaum feld. Hinsichtlich der Bildungspolitik günstigen Kontexte für nachhaltiges Freiheit“ nach 50 Jahren, Zürich: zu überbietender Relevanz. Stefan Wurs- bezieht er etwa die Bildungsausgaben, Handeln vermissen lässt. Dies wird je- Verlag Neue Zürcher Zeitung, ter wendet sich diesem Thema in seiner die Personalausstattung („output“), aber doch insofern kompensiert, da er zum 2011, 220 Seiten, € 40,00. außerordentlich verdienstvollen Disser- auch die tatsächlichen Ergebnisse bei Abschluss unterschiedliche Hypothesen tation zu. In der methodisch durchdach- den PISA- oder den weniger bekannten formuliert, die auf günstige Arrange- ten Studie legt der Autor zunächst dar, IGLU-Tests („outcome“) ein. Mit diesem ments für zukunftssicherndes Handeln Nach dem Fall des Sowjetimperiums hat was unter „Zukunftsvorsorge“ zu verste- aufwendigen empirischen Ansatz son- hindeuten. Wichtig erscheint, dass zu- sich der Kreis der Freiheitsfreunde, na- hen ist – nämlich jene Maßnahmen, „die diert der Verfasser die Position Deutsch- kunftssicherndes Handeln eher dann mentlich der intellektuellen, allem An- dem Ziel dienen, mithilfe von Risikovor- lands im internationalen Vergleich und gelingt, wenn die Verbände bei der Ent- schein nach nicht vergrößert. Ein Ende

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des „Ringens um die Freiheit“, wie der „Kälte“ des Marktes zurechtzukom- Korrektheit attackiert Andreas Unter- seiner Einführung in Hayeks Schriften vorliegende Band betitelt ist, ist nicht men, ist indessen Wasser auf die Müh- berger. Hayek würde sie „zweifellos als blicken sollen, dann hätten sie gewusst, abzusehen. Vor 50 Jahren ist die deut- len der Politiker, die der immer noch neue ‚Knechtschaft’ bezeichnen“. Mi- dass eine Währungsunion ohne Fiskal- sche Ausgabe von Friedrich A. von höchst virulenten sozialistischen Ideo- chael Wohlgemuth fragt, ob Hayek ein union auf Dauer nicht funktionieren Hayeks wohl bedeutendstem Werk er- logie zuneigen. Auf vielfältige Weise klassisch-liberaler Paternalist ist. Nach kann. schienen: „Die Verfassung der Freiheit“. missbilligen mehrere Verfasser der Bei- Wohlgemuth ist er es auf paradoxe Art: Mit Hayeks Einsichten – so das Fazit Und so haben sich 16 Autoren zusam- träge den in emotionaler Beziehung In private Wahlakte dürfe sich der Staat – können die heutigen Probleme nicht mengefunden, um auf die gerade heute zwar begreifbaren, aber in rationaler nicht einmischen, bei kollektiven Ent- nur klar erfasst werden, sondern sie sa- besonders aktuellen Ideen Hayeks auf- Hinsicht äußerst anmaßenden, zerstöre- scheidungsfi ndungen könne aber ab gen uns auch, was wir zu tun haben, merksam zu machen. Die Verfasser der rischen Versuch, die Großgesellschaft und an ein „schonendster Paternalis- wenn es um den Erhalt der stets, aber Beiträge geben aber nicht nur Einblick nach den Prinzipien einer zielgerichte- mus“ angebracht sein. Viktor J. Vanberg gerade heute besonders gefährdeten in Hayeks Freiheitsverständnis, sondern ten Organisation zu „konstruieren“. Ei- geht auf Erkenntnisse von Neurologen Verfassung der Freiheit geht. So sind sie erörtern auch die gegenwärtig ziem- nige Autoren kritisieren scharf, dass die ein, denen zufolge es menschliche Wil- dem Band viele Leser zu wünschen – ei- lich verworrene politisch-wirtschaftli- Europäische Union nach und nach zu lensfreiheit nicht gäbe, weil unser Ver- nerlei, ob diese das Werk Hayeks ken- che Lage und zeigen Lösungen auf. einer derartigen Organisation umgestal- halten neuronal determiniert sei. Aber nen oder nicht. FRANZ KROMKA Das in Hayeks „Verfassung“ gezeich- tet wird. es scheint hier ein Kategorienfehler vor- nete Gesellschaftsbild hat nichts zu tun Eine Auswahl: In seinem einleiten- zuliegen. mit scheinbar idealen Sozialutopien. In den Beitrag legt Gerhard Schwarz dar, Der Neurowissenschaftler bietet seinem Werk entwickelt der Autor die dass Hayeks „Verfassung“ alles andere eine rückblickende und somit zwangs- Grundlagen einer freiheitlichen Ord- ist als ein radikal-liberales Manifest. Sie läufi g deterministische Perspektive, wo- nung. Hayek, der in der Tradition David zeigt realistische, gewachsene Struktu- hingegen der Ordnungsökonom voraus- Humes und Adam Smiths steht, ist es ren berücksichtigende Lösungen auf. blickt und sich bemüht, durch geeignete Hartmann, Jürgen: Staat und ein Anliegen, für das Zusammenleben Hayek hält das Konzept der negativen Vorkehrungen zukünftiges Verhalten in Regime im Orient und in Afrika. verschiedenartiger Menschen Regeln zu Freiheit hoch: Willkürlicher Zwang eine gewünschte Richtung zu lenken. Regionenporträts und Länderstu- fi nden, die es dem Einzelnen ermögli- durch andere sei abzulehnen; hinzuneh- Dass es dabei Freiheit und Verantwor- dien. Wiesbaden: VS Verlag für chen, seine individuellen Ziele zu verfol- men wären natürliche Widrigkeiten und tung gibt, liegt auf der Hand. Philip Pli- Sozialwissenschaften, 2011, gen. Die von ihm beschriebene evolutio- die Übel des Lebens. Bernd Kramer ckert untersucht die Folgen der beiden 506 Seiten, € 34,95. när entstandene „Großgesellschaft“ stellt hinsichtlich der Finanzmarktkrise Strömungen der Aufklärung, der ratio- zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr fest, dass die Freiheit nur dann wertvoll nalistischen französischen und der er- viel mehr „verstreutes“ Wissen genutzt ist, wenn von ihr selbstverantwortlich fahrungsgeprägten englischen. Er be- Das subsaharische Afrika und der Ori- wird, als die umsichtigste Planungsbe- Handelnde Gebrauch machen. Bankiers fürchtet, dass das „Haus Europa“, im- ent teilen eine traurige Gemeinsamkeit. hörde je nutzen könnte. Während in der gingen ungehemmt immer größere Risi- mer mehr vom französischem Dirigis- In der selektiven Wahrnehmung des „Kleingesellschaft“ das Prinzip der dis- ken ein, weil es für sie „eine Art staatli- mus beherrscht, seinen freiheitlichen grosso modo politisch stabileren, wirt- tributiven („sozialen“) Gerechtigkeit che Einkommensgarantie“ gegeben hat. Charakter verlieren könnte. Hayek, der schaftlich erfolgreicheren und materiell seinen Sinn hat, funktioniert die Groß- Dem von Hayek oft erörterten Zusam- sich nur am Rande mit Integrationsfra- besser situierten Westens dominieren gesellschaft nur dann störungsfrei und menhang von Freiheit und Ungleichheit gen befasste, war übrigens der Ansicht, Themen medialer „K-Berichterstattung“ das heißt effi zient, wenn in ihr die Leis- spürt Karen Horn nach. Sorge bereitet dass in einer supranationalen Föderati- wie Kriege, Krisen, Krankheiten und tungsgerechtigkeit den Ton angibt. So ihr nicht der gegenwärtige Grad an Un- on, die sich gewöhnlich durch Interes- Katastrophen. Während die arabisch- wie wir die Kleingruppe zerstören, wenn gleichheit, sondern „die Apathie, die senheterogenität auszeichnet, eher als in muslimische Welt seit den Terroran- wir auf sie die Regeln des Marktes an- heute die Ungleichheit begleitet“. Em- einem Nationalstaat wirtschaftliche schlägen von 9/11 unter pauschalem wenden, so beeinträchtigen wir die Ord- manuel Garessus tritt dem Vorurteil Freiheit gedeihen könne. Die Geschichte Extremismusverdacht steht und den nung der Wirtschaft, wenn wir versu- entgegen, dass Hayek ein Laissez-faire- der Europäischen Union scheint ihm lei- Nahost-Konflikt, die Kriege in Afgha- chen, alle Menschen wie Familienange- Liberaler sei. Hayek komme es vor allem der nicht Recht zu geben. Stephan Bal- nistan und im Irak, konfessionelle Riva- hörige oder Freunde zu behandeln. Dass auf die Art und nicht auf das Ausmaß ling geht es um ein stabiles Finanzsys- litäten innerhalb der Umma sowie es vielen Menschen schwer fällt, mit der der Staatsaktivitäten an. Die politische tem. Die Schöpfer des Euro hätten vor jüngst die Eruptionen der „Arabellion“

112 POLITISCHE STUDIEN // 440 440 // POLITISCHE STUDIEN 113 REZENSIONEN

zu bewältigen hat, ist der Problemkata- fassung agieren. Vielmehr entscheiden Das Afrika-Kapitel nimmt einerseits Kontrollverlust in Afrika vornehmlich log Afrikas nicht minder lang. Der Kon- Despoten, die Staat und Regime als Mit- Länder wie Nigeria, Ghana, Kenia und in der Horizontalen, wofür Warlords tinent leidet massiv unter seiner koloni- tel zum Zweck instrumentalisieren, Südafrika in den Fokus, die demogra- das deutlichste Indiz sind, wohingegen algeschichtlichen Erblast, Armut, Dürre über die politischen Geschicke. Diesen phisch oder als afrikanische Demokrati- im Orient vor allem die Kontrolle der Si- und Hunger, skrupellosen Diktatoren sind persönlicher Machterhalt, ein luxu- en herausragen. Zum anderen werden cherheitsapparate entscheidet und der und ethnischen Fehden, die blutig eska- riöser, konsumorientierter Lebensstil (schwache bzw. gescheiterte) Staaten Machtverlust in der Vertikalen (Militär- lieren. Funktionierende Demokratien nach westlichem Muster und die Patro- wie Sierra Leone, Ruanda, die beiden putsch, Verschwörung) droht. Zudem sind in beiden Weltgegenden die Aus- nage loyaler Elitegruppen für gewöhn- Kongo, Simbabwe und der Tschad un- ist hier der politische Diskurs hochgra- nahme, autoritäre Egoismen der Stan- lich wichtiger als das Wohlergehen der tersucht, deren Innenleben von Ereig- dig moralisch aufgeladen, der Antago- dard. Bevölkerung, demokratische Teilhabe nissen in der Nachbarsphäre negativ nismus Macht / Geld versus Moralität / Jürgen Hartmann formuliert im Ein- oder gerechte Ressourcenverteilung. Ein beeinfl usst wird. Gesondert widmet Gerechtigkeit ist wirkmächtig – in Afri- leitungskapitel seines konzeptionell (mit schroffer Kontrast zwischen einer privi- sich Hartmann dem kriegsgeplagten ka interessiert eher, wer sich den Zugang geringen Abstrichen bei der Gliede- legierten Schicht weniger Reicher und und hochfragmentierten Sudan, in dem zu Macht und Geld sichert. Zwar sind rungssystematik), analytisch und der verarmten Masse ist die Folge und die arabische Kultur auf die Traditionen freie Wahlen hier wahrscheinlicher, sprachlich ausgezeichneten Überblicks- der Nährboden für soziale Proteste. der Sahelzone und Zentralafrikas trifft, doch ändern sich danach oft nur die Na- werks das Ziel, nicht bei isolierten Län- Hartmanns Buch wurde vor der „Ara- was zu einer explosiven Mischung führt. men der Regierenden, nicht aber die derfallstudien stehen zu bleiben, son- bellion“ fertiggestellt und doch legt er Die kombinierte Betrachtung beider Re- Verhältnisse. Mit Blick auf den Orient dern vielmehr eine Summe zu ziehen. präzise die Gründe frei, auf denen die gionen in einem Werk entfaltet dabei ein attestiert Hartmann dem Islam weiter- Hierfür sei die reine Gegenwartspers- inzwischen erfolgten epochalen Um- Panoptikum ähnlicher Probleme, hin ein enormes Potenzial für die Sozial- pektive untauglich, denn „vor dem Ur- wälzungen fußen. Freilich ist es unzu- schärft jedoch auch das Bewusstsein für und Herrschaftskritik und äußert damit teil kommt das Verstehen, und ein Ver- lässig, markante Unterschiede zwischen Beispiele gelungener Modernisierung, einen Gedanken, der angesichts der stehen ohne die Kenntnis historischer den beiden Regionen zu nivellieren. Ist die hoffentlich Nachahmer fi nden. jüngsten Ereignisse der „Arabellion“ und kultureller Hintergründe ist ein Un- Politik im Orient stets von der religiösen Im, leider zu kurzen, abschließen- ebenso aktuell wie bedeutsam ist. Ein ding“. Der an der Hamburger Bundes- Autorität des Islam als „Parameter aller den Vergleich schält Hartmann das tabellarischer Anhang mit Datenprofi - wehr-Universität lehrende Professor sozialen Aktivität“ bestimmt, erkennt Überwiegen autoritärer Herrschaft als len zu den vorgestellten Ländern rundet stellt den beiden regionenspezifi schen Hartmann für Subsahara-Afrika in der typologische Gemeinsamkeit heraus den Band didaktisch sinnvoll ab. Abschnitten des Bandes daher sehr in- Ethnizität „das große gemeinsame The- und verdeutlicht zugleich zentrale Ge- ULRICH HEISTERKAMP struktive Ausführungen zu der kolonia- ma“, das auch sprachliche und religiöse gensätze. So manifestiert sich staatlicher len Vorgeschichte und den kulturellen Konfl iktlinien impliziert. Grundlagen des orientalischen / afrika- Für die chronologisch angelegten, nischen politischen Systems voran. Die- aufschlussreichen Detailstudien hat der se Passagen helfen, ein differenziertes Autor 12 orientalische und 19 subsaha- Verständnis der Komplexität zu entwi- rische afrikanische Staaten nach ver- ckeln, die den Herausforderungen in schiedenen Kriterien ausgewählt. So Staat und Gesellschaft der einzelnen werden unter den primär religiös-kultu- Länder zugrunde liegt. Als Charakteris- rell verstandenen Orient-Begriff neben tikum identifi ziert Hartmann den so- Ländern des Maghreb, Maschrek und Erratum: „Stern“ statt „Stein“ wohl im Orient als auch in Afrika prä- der Golfregion auch der Iran und die In der Ausgabe Nr. 439 wurde der Name der Autorin des Beitrages senten Neopatrimonialismus, der als Türkei subsumiert. Zwar gehören Letz- „Vorgehens- und Funktionsweise von Wikileaks“, Kathrin Morgen- theoretisches Scharnier seiner Darstel- tere nicht zum arabischen Kulturkreis, stern, versehentlich als „Katrin Morgenstein“ gedruckt. Wir bedau- lung fungiert. Der Begriff bezeichnet doch repräsentierten der Iran das „Zu- ern diesen Lapsus und entschuldigen uns bei der Autorin und unse- autoritäre „Herrschaftsausübung ohne sammengehen von Islam und moderner rer Leserschaft. DIE REDAKTION Regel- oder Zweckbindung“, die sich Staatlichkeit“ und die heutige Türkei die nicht auf Institutionen stützt, die im Verbindung von „Demokratie und Islam Rahmen von Recht, Bürokratie und Ver- im Rahmen eines säkularen Staates“.

114 POLITISCHE STUDIEN // 440 440 // POLITISCHE STUDIEN 115 JAHRESÜBERSICHT

Autor Titel Heft Seite

Bofinger, Peter Kann Ausfuhrstärke Sünde sein? 438 48

Brandl, Reinhard Die Freiheit des Einen die Gefahr 439 34 des Anderen?

Cileli, Serap Politische Studien-Zeitgespräch 435 6 mit der Menschenrechtlerin: JAHRESÜBERSICHT DER Ist Multi-Kulti gescheitert?

POLITISCHEN STUDIEN 2011 Dreblow, Miriam Konsumkompetenz von 437 39 Jugendlichen im Handlungs- feld Ernährung Heft 435 Die neue NATO-Strategie auf dem Prüfstand Fahrenschon, Georg Export beflügelt die deutsche 438 30 Heft 436 Klimawandel als sicherheitspolitische und bayerische Wirtschaft Herausforderung Fahrenschon, Georg Der Euro in der Krise? 440 35

Heft 437 Ernährung und Verbraucherschutz Franke, Silke Einführung zum Thema: Wie 436 14 wollen wir in Zukunft leben? Heft 438 Sackgasse Export?! Kann Erfolg Sünde sein? Franke, Silke Einführung zum Thema: In aller 437 16 Heft 439 Sicherheit und Freiheit in der vernetzten Welt Munde: Essen als Lebensstilfrage

Heft 440 Der Euro im Stresstest Gallois, Louis Neue Märkte erschließen – 438 39 nationale Wurzeln stärken PS Sonderausgabe, Politische Partizipation und gesellschaftliches En- Feb. 2011 gagement in Bayern aus Sicht unterschiedlicher Ge- Glück, Alois Politische Studien-Zeitgespräch 439 6 mit dem Politiker: Energiewende nerationen und Regionen – Generationenstudie 2010 – Vom Konfliktthema zum Gemeinschaftsprojekt

Autor Titel Heft Seite Görke, Lucia Vorgehens- und Funktionsweise 439 16 von Wikileaks Aigner, Ilse Mehr Transparenz bei 437 49 Lebensmitteln ist nötig Gottwald, Franz-Theo „Du bist, was du isst“ – 437 18 für eine Ethik des Essens Balleis, Siegfried Die Renaissance der kommunalen 436 61 Selbstverwaltung Hacke, Christian Plädoyer für eine neue Iran-Politik 439 42

Bodensteiner, Paula Gestalten und Erkennen 438 96 Hartig, Falk China pflegt sein Image mit Konfuzius 435 44

Böhr, Christoph Intellektualität und Spiritualität 438 94 Hasselfeldt, Gerda Warum nun ausgerechnet eine Frau? 436 86

116 POLITISCHE STUDIEN // 440 JAHRESÜBERSICHT

Autor Titel Heft Seite Autor Titel Heft Seite

Hauff, Luba von Internationale geopolitische Interessen 437 69 Meier, Max Georg Die zentralasiatische Republik Kirgisistan 439 60 in Zentralasien Meier-Walser, Editorial: Frischer Wind 435 3 Heckmann, Dirk Politische Studien-Zeitgespräch mit dem 437 6 Reinhard Wissenschaftler und netzpolitischen Fachmann: Leben im Web 2.0 – Haben Meier-Walser, Einführung zum Thema: Kalter Krieg 435 13 wir das Internet noch im Griff? Reinhard war gestern

Hegemer, Christian J. Editorial: Die arabische Welt im Aufbruch 436 3 Meier-Walser, Neukonzeption der Jahrbücher des 435 65 Reinhard Forschungsinstituts der DGAP Hegenbart, Christine Einführung zum Thema: Leben in einer 439 14 vernetzten Welt Meier-Walser, Editorial: Frieden ist wichtiger als Schulden 440 3 Reinhard Heuer, Thorsten Ernährungsverhalten und 437 27 Ernährungskompetenz Merten, Detlef Staat und Gesetz bei „Michael Kohlhaas“ 440 70 und „Prinz Friedrich von Homburg“ Hirscher, Gerhard Editorial: Neue Farbenlehre im Südwesten 437 3 Morgenstern, Kathrin Vorgehens- und Funktionsweise von 439 16 Höpfinger, Renate Institut für Zeitgeschichte (IfZ) 437 89 Wikileaks unter neuer Leitung Münch, Ursula Politische Bildung 440 90 Hoffmann, Ingrid Ernährungsverhalten und 437 27 Ernährungskompetenz Müller, Stefan Europa demokratisch kontrollieren 437 79

Jesse, Eckhard Der Bau der Mauer 1961 und ihr Fall 1989 438 63 Piller, Wolfgang Einführung zum Thema: Germany – 438 26 no points Kamp, Karl-Heinz Afghanistan und die Langzeitfolgen für 435 24 das atlantische Bündnis Ratka, Edmund Bilanz und Perspektiven des 440 58 „Arabischen Frühlings“ Kindermann, Der Ferne Osten im Fokus politik- 436 79 Gottfried-Karl wissenschaftlicher Analyse Rolofs, Oliver Joachim Vernetzte Sicherheit – Verantwortung 438 100 für den Bürger in Europa Kleinschmidt, Jochen Drogenkrieg in Mexiko – Staats- 435 54 zerfall oder Modernisierungskrise? Rubner, Jeanne Was das Jahr 2010 die Welt klimapolitisch 436 40 gelehrt hat Kürschner, Isabelle Die Quote – Kulturrevolution in 436 68 der Arbeitswelt? Rühle, Michael Die NATO im Zeitalter der Globalisierung 435 16

Larrabee, F. Stephen Die USA, die ESVP und das Verhältnis 435 35 Schmid, Susanne Migrationspotenzial zwischen 439 48 von NATO und EU kontrastierenden Räumen

Luft, Stefan Hemmschuh für eine rationale politische 438 73 Debatte?

118 POLITISCHE STUDIEN // 440 440 // POLITISCHE STUDIEN 119 JAHRESÜBERSICHT

Autor Titel Heft Seite Autor Titel Heft Seite

Schmidt-Bleek, Politische Studien-Zeitgespräch mit dem 436 6 Witterauf, Peter Editorial: Radikalreformen im Steuerrecht? 438 3 Friedrich Kern- und Physikochemiker: Ressourcen- produktivität gegen die Wirtschaftskrise? Wolf, Alexander Einführung zum Thema: Kalter Krieg 435 13 war gestern Schoenheit, Ingo Konsumkompetenz von Jugendlichen im 437 39 Handlungsfeld Ernährung Zehetmair, Hans Editorial: Hanns Seidel zum 439 3 110. Geburtstag Seehofer, Horst Der Euro hat Zukunft –Das Casino nicht 440 19 Zehetmair, Hans Einführung zum Thema: Europa 440 16 Seidel, Christian Hanns Seidel – Zeitzeugengespräch mit 438 6 im Stresstest? dem Sohn des ehemaligen Ministerpräsi- denten Hanns Seidel Zehetmair, Hans Eröffnung des Festkolloquiums zum 440 81 50. Todestag und 110. Geburtstag Seiler, Wolfgang Der globale Klimawandel – 436 16 von Hanns Seidel Entwicklungen und Auswirkungen Zehnpfennig, Barbara Die Immigrationsdebatte und die 438 84 Simon, Hermann Wachstumstreiber Globalisierung 438 53 Herrschaft der Political Correctness

Sonnleitner, Gerd Die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) 437 58 nach 2013

Stamm, Barbara Rede der Landtagspräsidentin 440 85

Stögmüller, Thomas Sicherheit in digitalen Zeiten 439 26

Sucher, C. Bernd Politische Studien-Zeitgespräch mit dem 440 6 Theaterkritiker und Autor: Wieviel Kultur braucht eine Gesellschaft?

Tänzler, Dennis Ein sicheres Klima? Perspektiven nach 436 30 den Klimaverhandlungen von Cancún

Wagner, Gert G. DIW unter neuer Leitung 436 84

Waigel, Theo Bisherige Entwicklung und aktuelle 440 30 Herausforderungen

Walter, Norbert Die Zukunft der Gemeinschaftswährung 440 54

Weimer, Theodor Mehr Mut zur Weiterentwicklung 440 44

Witterauf, Peter Die internationale Währungsordnung 436 50 in der Kritik

120 POLITISCHE STUDIEN // 440 440 // POLITISCHE STUDIEN 121 ANKÜNDIGUNGEN

Folgende Neuerscheinungen aus unseren Publikationsreihen können bei der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Sonderausgabe 2/2011: Konrektorenstudie II – Vergleich der Er- Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Lazarettstraße 33, 80636 München gebnisse der Befragungen 2002 und 2010 (Telefon: 089/1258-263) oder im Internet www.hss.de/publikationen.html bestellt werden: BERICHTE UND STUDIEN Nr. 94: Es lebe die Jugend! Vom Grenzgänger zum Gestalter (im Er- AKTUELLE ANALYSEN scheinen) Nr. 58: Politik mit „Kind und Kegel“ – Zur Ver- einbarkeit von Familie und Politik bei Bundes- STUDIES & COMMENTS tagsabgeordneten The Future of Security

WEITERE PUBLIKATIONEN Lamprecht. Fritz Lamprecht 1892-1945: Arzt und Maler

ARGUMENTE UND MATERIALIEN ZUM ZEITGESCHEHEN Nr. 77: Ist der Kommunismus wieder hoffähig? Anmerkungen zur Diskussion um Sozialismus und Kommunismus in Deutschland Stephan Deutinger / Renate Höpfinger: Hanns Seidel – Aufbruch in eine neue Zeit Impressum

Herausgeber: Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbrei- © 2011, Hanns-Seidel-Stiftung e. V., München tet werden. Das Copyright für diese Publikation Lazarettstraße 33, 80636 München, liegt bei der Hanns-Seidel-Stiftung e. V. Tel. +49 (0)89 1258-0, E-Mail: [email protected], Online: www.hss.de Die Beiträge in diesem Heft geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers Vorsitzender: Dr. h. c. mult. Hans Zehetmair, wieder; die Autoren tragen für ihre Texte die Staatsminister a. D., Senator E. h. volle Verantwortung. Unverlangt eingesandte Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Manuskripte werden nur zurückgesandt, wenn Leiter der Akademie für Politik und Zeit- ihnen ein Rückporto beiliegt. geschehen: Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser Leiter PRÖ/Publikationen: Hubertus Klingsbögl Bezugspreis: Einzelhefte € 4,50 Redaktion: Jahresabonnement € 27,00 Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser Schüler/Studenten-Jahresabonnement bei (Chefredakteur, V. i. S. d. P.) Vorlage einer gültigen Bescheinigung kostenlos. Barbara Fürbeth M. A. (Redaktionsleiterin) Die Zeitschrift Politische Studien erscheint als Verena Hausner (Stv. Redaktionsleiterin) Periodikum und Themenheft. Darüber hinaus Susanne Berke, Dipl. Bibl. (Redakteurin) erscheinende Sonderausgaben sind im Claudia Magg-Frank, Dipl. sc. pol. (Redakteurin) Abonnement nicht enthalten. Abobestellungen Marion Steib (Redaktionsassistentin) und Einzelheftbestellungen über die Redaktion Graphik: Publishers Factory, München und den Buchhandel. Druck: Negele Druck, Augsburg Kündigungen müssen der Redaktion schriftlich Alle Rechte, insbesondere das Recht der Verviel- mindestens 8 Wochen vor Ablauf des Abonne- fältigung, Verbreitung sowie Übersetzung, vorbe- ments vorliegen, ansonsten verlängert sich der halten. Kein Teil dieses Werkes darf in irgendei- Bezug um weitere 12 Monate. ner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Hanns-Seidel-Stiftung e. V. re- produziert oder unter Verwendung elektronischer Bildnachweis für Titel: © MAST / Fotolia.com