Mittwoch, 24. April 2013 Agenda Seite 31 Showtime www.bernerzeitung.ch 27 Aufgefallen Die Lebensanzeige der Heuschrecken

FRANK TURNER

Da steht er, in Holzfällerhemd und Jeans, schrummelt mitten im Grünen auf seiner Akustik- gitarre, besingt in einem simplen Lied die Kraft des Rock’n’Roll. So weit, so nett. Das Erstaunli- che: Mehrere 100 Millionen schauen ihm dabei zu. Obwohl der Folk-Punk-Troubadour in einen weltweit im TV ausgestrahlten Megaevent ungefähr so gut reinpasst wie ein chemisch hochgezüchteter Su- persportler in einen verrucht- verrauchten Musikclub, ist er am 27. Juli 2012 bei der Olympia- eröffnungsfeier in London nicht nur dabei. Er ist mittendrin. Vor der Nachbildung einer Land- schaft in Glastonbury singt er «I Bestens gelaunt: Der 70-jährige Toni Vescoli (links) und der 66-jährige Düde Dürst beim Interview zum Anlass des ersten der Sauterelles seit 45 Jahren. Markus Hubacher Still Believe». Mit einer Passion, von der sich so mancher hoch- bezahlte Sportler eine Scheibe POP Die Sauterelles hüpfen wieder: «Today» ist das erste neue Studioalbum der «Swiss Beatles» «Nur weil wir wie «Let’s build a better world to- abschneiden könnte. seit 45 Jahren. Heimlich begann das Quartett mit den Aufnahmen – entstanden ist ein gether» weht eine leicht verklär- voller Spielfreude. Und mit der selbstbewussten Message: «Wir sind heute besser als damals!» unserem Stil treu te Flower-Power-Sommerbrise. Und plötzlich ist Frank Turner bleiben, kann man Doch als reines Nostalgiepro- mitten im Mainstream gelan- Normalerweise ist eine Todes- dem «Yesterday» zu. Die Ge- müssten, «ohne dass der andere dukt sehen Dürst und Vescoli die det. Das mag unwahrscheinlich anzeige eine ziemlich endgültige schichte der Band begann 1962, gleich sagt: Dann steige ich aus». doch nicht sagen, neue Platte nicht. «Nur weil wir klingen – schliesslich lancierte Sache. So schien denn auch das als die Beatles gerade ihre erste «Das ist wie in einer Ehe», fügt das sei Nostalgie! unserem Stil treu bleiben, kann der 31-Jährige seine Karriere Ende der Sauterelles besiegelt, offizielle Single «Love Me Do» Toni Vescoli an. All dies mache man doch nicht sagen, das sei einst mit der lärmigen Hardco- als Sänger Toni Vescoli 1970 To- veröffentlichten. In den folgen- die aktuellen Sauterelles zur bes- Wenn du ein Coci Nostalgie! Wenn du ein Coci reband . Doch sein desanzeigen für seine Beatband den Jahren stiegen die Saute- seren Band als die 60er-Ausgabe. trinkst, sagst du trinkst, sagst du auch nicht, ich fünftes Soloalbum «Tape Deck verschickte. Und jetzt das. Weit relles zur populärsten Beatband Tatsächlich ist die Spielfreude trinke ein nostalgisches Ge- Heart» führt die Entwicklung über vier Jahrzehnte später sin- der Schweiz auf. Bald waren sie den neuen Songs, bei denen alle auch nicht, ich tränk», betont Düde Dürst. Zu- weg von den musikalischen gen die Heuschrecken selbstbe- die «Swiss Beatles», die Hitsingle Bandmitglieder mitkomponiert trinke ein nostal- dem schauen die Sauterelles Schleichwegen hin zur Mitte der wusst im Chor: «Today, here we «Heavenly Club» thronte sechs haben, jederzeit anzuhören, die durchaus mit einer Portion Iro- Strasse konsequent weiter. Zwar are again, even better than we Wochen lang auf Platz eins der Gesangsharmonien sind ebenso gisches Getränk.» nie auf die frühen Tage zurück – serviert Turner kein kalorien- have been before!» Heute sind sie Schweizer Hitparade, wurde in stimmig wie die Gitarrensounds. Düde Dürst, Les Sauterelles etwa wenn sie sich in «Dear Af- armes Hitparadenfutter – aber wieder da, besser noch als früher den USA und in Japan veröffent- Mal rocken und rollen die Saute- fair» an die Tage der freien Liebe seinem hemdsärmeligen Folk- – und erstmals seit den Studio- licht. Die Band trat im Vorpro- relles in bester Sixties-Manier, erinnern, als «die wahre Liebe Rock-Sound hat er gemeinsam alben aus den Jahren 1966 und gramm der Rolling Stones auf, mal spielt Vescoli eine bluesige ein Verbrechen war». mit dem Produzenten Rich Cos- 1968 mit neuen Songs. Warum war mit den Kinks auf Tournee. Mundharmonika, mal gucken tey (Muse, Franz Ferdinand) ein hat es so lange gedauert? «Jeder Auf die Highlights jener Zeit an- wie im atmosphärischen «Show Morgen: «Wenn wir nicht gefälliges Gewand umgelegt, das hatte seine Projekte», sagt Toni gesprochen, sagt Dürst: «Die Auf- Me» die Beatles um die Ecke. mehr gut sind, hören wir auf» ihm bereits Vergleiche mit Bruce Vescoli,dermitSchlagzeugerDü- bruchstimmung, die neue Musik: Zwar ist das abschliessende Das ist die Gegenwart – und jetzt Springsteen eingebracht hat. de Dürst zum Interview erschie- Jeder Tag war ein Erlebnis.» Mit- «Time to Say Bye» etwas gar freuen sich die Sauterelles in ers- Tatsächlich lehnen sich Songs nen ist. Les Sauterelles spielen unter auch ein gefährliches. Die schlagerhaft schwülstig geraten. ter Linie auf die anstehenden wie «Recovery» mit groovender zwar nach dem Comeback bereits langen Haare der Musiker pass- Doch Melodien wie diejenige des Konzerte. Ob es in Zukunft noch- Rhythmusgruppe, melodiösem seit 20 Jahren in der Formation ten längst nicht allen. So kreuz- Titelstücks kommen wunderbar mals neue Songs geben wird, Piano und engagiert-emotiona- mit Vescoli, Dürst, Gitarrist Peter ten bei Konzerten schon mal eingängig daher – und der Idea- steht in den Sternen. «Wenn wir lem Gesang am «Boss» an. Glanzmann und Bassist Freddy Leute mit Scheren auf und woll- lismus ist in all den Jahren nicht wirklich einmal nicht mehr gut Mangili – aber neue Songs? Das ten Vescoli und Co. an die Mäh- verloren gegangen. In Textzeilen sind, dann hören wir auf», sagt Das ist tadellos umgesetzt – und fand Vescoli zuerst gar keine so nen. Und dann, so erinnert sich Drummer Düde Dürst. Und dann lässt doch etwas die unverkenn- gute Idee. Der Sänger schrieb an der Frontmann, verdrängten DJs schreibt Toni Vescoli die defini- bare, eigene Note vermissen. Es seiner Autobiografie, der Zeit- die Bands je länger, je mehr aus tive Todesanzeige? «Ich bin mit sind andere Momente, die «Tape punkt war «saublöd». Aber dann den Clubs – als Profiband zu solchen Sachen vorsichtiger ge- Deck Heart» aus der Masse der sagte er sich: «Man weiss ja nie, überleben, wurde immer schwie- worden», sagt der Sänger. «Ich Neuerscheinungen herausragen wie lange wir noch zusammen riger. Schliesslich löste Vescoli würde heute nie mehr sagen, das lassen. Die stille Intimität von sein können. Und wenn die Che- die Sauterelles auf. Das war 1970, ist die letzte Tour.» «Anymore», die Dringlichkeit mie so gut stimmt...» Also be- als auch die Beatles gerade in ihre Verständlich. Denn über 40 von «Tell Tale Signs». Oder «Four gann das Quartett heimlich mit Einzelteile zerfielen. Jahre nachdem die Heuschre- Simple Words», das mehrere Lie- den Aufnahmen. «Wir wollten cken offiziell gestorben sind, ist der in einem zu vereinen scheint zuerst wissen, was dabei heraus- Heute: Spielfreudig, «Today» vor allem eines: eine – die Pianoballade nimmt eine kommt», blickt Dürst zurück. harmonisch, «immer besser» eindrückliche Lebensanzeige. punkige Wendung, bevor ein Mit «Today» sind die Heuschre- Michael Gurtner Walzer eingestreut wird. Spätes- Gestern: (Fast) im cken jetzt also in der Gegenwart tens da wird klar: Frank Turner Gleichschritt mit den Beatles angekommen. Und wie: «Wir Les Sauterelles: «Today» auf hat sein «Tape Deck Heart» am Das Resultat der Aufnahmeses- spielen seit 20 Jahren zusammen CD oder als Vinyldoppel- rechten Fleck. Michael Gurtner sions ohne jeglichen Druck: sieb- – und es wird immer besser. Wir album. Live: 14. Juni, Mühle zehn brandneue Songs auf einem haben viel dazugelernt», sagt Hunziken, Rubigen. Radio: Frank Turner: «Tape Deck Album namens «Today». Aber Düde Dürst. Die Bandmitglieder Die Sauterelles mit Toni Vescoli (rechts) und Düde Dürst (Mitte) am 14. April 28. April, «Les Sauterelles Special», Heart», Universal. wenden wir uns zuerst nochmals wüssten, wie sie Kritik anbringen 1967 als Vorgruppe der Rolling Stones im Zürcher Hallenstadion. Keystone 19–20 Uhr Radio BeO.