PRESS REVIEW

Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

Monday, September 21, 2020

PRESS REVIEW Monday, September 21, 2020

Frankfurter Rundschau, BSA Anpassung an außenpolitische Belange. Jacob Eders Studie „Holocaust-Angst“

Berliner Morgenpost Musik braucht Körperliche Nähe. Petrenkos neue Pläne bei den Philharmonikern

Der Tagesspiegel Berliner Philharmoniker erwarten hohes Defizit

Die Welt am Sonntag Liebe Deutsche Oper - „Walküre“ Premiere für mehr Zuschauer aber mit Maskenpflicht

Der Tagesspiegel Der Dirigent Robin Ticciati sieht in der Krise eine Chance

Süddeutsche Zeitung Teodor Currentzis mit dem SWR Sinfonieorchester

Die Welt Katharina Wagner über die schweren Herausforderungen der Zukunft

Berliner Morgenpost Bayreuth, Oksana Lyniv erste Dirigentin bei Festspielpremiere

Süddeutsche Zeitung Lang Lang wagt sich an die Goldberg-Variationen von Bach

Frankfurter Allgemeine Museum der Kronberger Malerkolonie zeigt Musikerportraits von Barbara Klemm

Frankfurter Allgemeine Alice Harnoncout erste Konzertmeisterin Österreichs

Frankfurter Allgemeine Der dreiwöchige Lockdown in Israel Print Quelle: Frankfurter Rundschau D vom 19.09.2020, S.34 (Tageszeitung / täglich ausser Sonntag, Frankfurt (am Main)) Auch in: 2 weiteren Quellen » Reichweite: 53.509 Auflage: 12.301 Ressort: Feuilleton Quellrubrik: FR Deutschlandausgabe

Anpassung an außenpolitische Belange Jacob S. Eders Studie "Holocaust-Angst" belegt, wie Helmut Kohl sich dazu durchrang, der Shoah zu gedenken. Von Micha Brumlik

an mag sich kaum vorstellen, Ermordung der europäischen Juden Bei alledem ließen die Gerüchte M dass in Ankara jemals ein Denk- durch Deutsche wirklich ging. Beides und Intrigen nicht nach: So machte mal für die von den Jungtürken er- – die Planung des Washingtoner Ho- kurz vor der Eröffnung des Washing- mordeten Armenier stehen wird. In locaust Museums sowie die Ausstrah- toner Museums eine Meldung Furore, Berlin – immerhin – steht im Herzen lung der Fernsehserie "Holocaust" wonach die deutsche Bundesregie- der deutschen Hauptstadt seit 2005 und zum – motivierten vor allem das rung plane, dem Museum Gelder für ein Denkmal für die in arbeitsteiliger Auswärtige Amt dazu, intensive Kon- eine Ausstellung über das gewandelte Täterschaft ermordeten Juden Euro- takte zu us.amerikanisch-jüdischen Nachkriegsdeutschland anzubieten. pas, seit 2012 auch eines für die eben- Organisationen wie der "Anti–Diffa- Gleichwohl schien die Debatte auch falls von den Nationalsozialisten er- mation-League" oder dem "American beim regierenden Personal Einsichten mordeten Sinti und Roma. Jewish Committee" aufzunehmen – zu befördern: Gab doch einige Jahre Wer nun aber meint, dass die Er- wobei die von Eder ausgewerteten später der noch regierende Kanzler richtung dieser Denkmäler Resultat Schriftwechsel keinen Zweifel daran 1998 ein Interview, in dem er sich als einer reuigen Einsicht der deutschen lassen, dass im deutschen Diplomati- Befürworter eines in der Bundesre- Gesellschaft gewesen sei, irrt sich schen Dienst antisemitische Annah- publik bereits seit Längerem disku- gründlich. Das hat der an der Baren- men über Macht und Einfluss der tierten, aber auch umstrittenen Denk- boim-Said Akademie in Berlin lehren- "Ostküste" keine Seltenheit waren. mals für die ermordeten Juden Euro- de Historiker Jacob S. Eder bereits In einer Notiz des CDU- Bundesta- pas zu erkennen gab – eine Äußerung, 2016 in einer zunächst auf Englisch gabgeordneten Peter Petersen – eines die – wie Jacob Eder vermerkt – ei- publizierten Studie nachgewiesen – zur Demokratie und zum Christen- nen "markanten Wandel" von Kohls einer Studie, die nun endlich, spät ge- tum, Jg. 1926 bekehrten Nationalsozi- Geschichtspolitik anzeigte. nug, auf Deutsch erschienen ist. alisten – ist festgehalten, dass Kohl Als Motiv sowohl der deutschen Gestützt auf penible Auswertungen der Meinung war, dass "die Juden" in Kritik am Washingtoner Museum, vor allem von Materialien des Aus- Washington ein Museum bauen woll- kurz der "Holocaust-Angst" weist wärtigen Amtes kann Eder zeigen, ten. Eder überzeugend die Annahmen dass es vor allem die Befürchtung der Der von Helmut Kohl 1985 unbe- deutscher Diplomaten und auch Hel- Regierung von Helmut Kohl gewesen dingt gewünschte gemeinsame Besuch mut Kohls "über den angeblich über- ist, dass das seit den späten 1970er mit Präsident Reagan auf dem Solda- mäßigen Einfluss amerikanischer Ju- Jahren geplante und schließlich in tenfriedhof Bitburg, auf dem auch SS- den auf Prozesse der politischen Ent- Washington eröffnete "United States Soldaten beerdigt waren, verschärfte scheidungsfindung" – gepaart mit Holocaust Memorial Museum" letzt- die Debatte weiter. So warnte der Dip- dem Willen, mitbestimmen zu kön- lich ein "antideutsches" Museum sein lomat Peter Hermes, Jg. 1922, seit nen, wie die Geschichte des Holocaust werde, das das Bild Deutschlands – 1979 Botschafter der Bundesrepublik im Ausland erzählt und dargestellt damals der Bundesrepublik – in den in Washington, in einem Schreiben werde. Am Ende stand dann gleich- Augen der us.amerikanischen Bevöl- davor, dass das Museum in Washing- wohl die Einsicht, dass ein angemes- kerung nachhaltig verschlechtern ton – vor allem für Jugendliche – den senes Gedenken des Holocaust werde: mit allen diplomatischen, ver- einzigen Berührungspunkt mit Deutschlands Ansehen im Ausland so- teidigungspolitischen und auch wirt- Deutschland darstellen könne "mit gar stärken werde. schaftlichen Konsequenzen. der seit Kriegsende nie erloschenen Daran zeigt sich, dass es bei der Er- Ein solches Museum war in den Gefahr einer Identifizierung des ge- richtung der Berliner Gedenkstätte für USA seit Präsident Carter, seit 1978 in samten deutschen Volkes mit dem to- die ermordeten Juden Europas zu- Planung und Gespräch – eröffnet talitären Regime Hitlers ". nächst überhaupt nicht um einen im wurde es schließlich im April 1993. Ähnlich äußerte sich Helmut Kohl engeren Sinne moralischen Lern- und Ohnehin erwiesen sich die späten 1983 – zwei Jahre vor Bitburg – vor Einsichtsprozess ging, sondern um ei- 1970 und 1980er Jahre als entschei- dem CDU-Bundesvorstand, als er sag- ne geschickte Anpassung an vermeint- dend für die auch globale Implemen- te: "Die Intention der führenden ame- lich außenpolitische Notwendigkeiten. tation des Holocaust-Gedenkens – rikanischen Juden ist natürlich nicht Man mag in diesem Zusammenhang wurde doch in jener Zeit, seit 1979 in primär (sic! M.B.) eine antideutsche an Hegels "List der Vernunft" oder – der Bundesrepublik die NBC-Serie Sache, (...) sondern sie wollen prak- cum grano salis – an Goethes Mephis- "Holocaust- Die Geschichte der Fami- tisch einen moralischen Hebel anset- to denken, "jene Kraft, die stets das lie Weiss" ausgestrahlt. Mit nachhal- zen, um der amerikanischen Öffent- Böse will und stets das Gute schafft." tigster Wirkung: wurde doch damit lichkeit fortdauernd zu sagen, ihr Aber wie dem auch sei: Wer als Bür- erst breitesten Kreisen der deutschen müßt Israel auf Gedeih und Verderb gerin oder Bürger der Bundesrepublik Bevölkerung klar, worum es bei der unterstützen." dieses Land und seine Geschichte ver-

3 stehen will, kommt an Eders Studie (Abbildung) nicht vorbei. J.S. Eder: Das Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals in Ber- lin mit dem Reichstag im Hintergrund. epd Man war nicht einsichtig, sondern re- Holocaust-Angst. Die Bundesrepub- © epd-bild / Marko Priske agierte strategisch lik, die USA und die Erinnerung an den Judenmord. Wallstein Verlag, 365 S., 42 Euro.

Alle weiteren Quellen: Frankfurter Rundschau Online • Fuldaer Zeitung Online zum Anfang dieses Artikels zum Inhaltsverzeichnis

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1 von 1 21.09.2020, 08:54 Vor 3000 Jahren Von wem die Europäer das Schreiben lernten Seite 22

FDIE WELTEUILLETONMONTAG, 21. SEPTEMBER 2020 SEITE 21

as Jahr 2020 ist das An- November hätte wandern sollen, sich es schriftlich habe. Denn es wird auf je- nus horribilis für Kathari- um Covid-19-kompatiblen Ersatz be- den Fall wegen der vielen Extramaßnah- na Wagner. Erst musste mühen muss. Tut sich da nicht mental men teurer werden, und wir werden viel die Wagner-Urenkelin ein schwarzes Loch auf? weniger einnehmen, ich gehe von unter und Leiterin der Bayreu- WAGNER: Nein, denn anderen ist das 50 Prozent aus. Wir sind aber verpflich- ther Festspiele den diesjährigen Grüne- auch passiert, und die sind bis heute tet, Lösungen anzubieten, so schwierig Hügel-SommerD samt „Ring des Nibe- teilweise viel schlimmer dran. Da bin das ist, und dann muss eine Entschei- lungen“-Neuinszenierung dem Co- ich pragmatisch. Es wurde ja auch ge- dung fallen. Bayreuth Baroque hat es vid-19-Virus opfern. Dann erkrankte sie mutmaßt, mein Körper hätte sich ge- künstlerisch wie organisatorisch sehr lebensbedrohlich für Monate, musste meldet, nachdem er irgendwie gemerkt gut gelöst, das sollte auch für die Bay- sich in der Leitung durch den bewähr- hat, dass jetzt erst mal kein Stress ist. reuther Festspiele Hoffnung machen. ten Heinz-Dieter Sense vertreten las- Das ist mir zu romantisch, obwohl es sen, der weiterhin als Corona-Beauf- jetzt so gesehen wirklich die beste Peri- Wie sieht es mit den Baumaßnahmen tragter dem Wagner-Festival verbunden ode war, um lange krank zu sein. Unsere am historischen Gebäude aus, von de- bleibt. Und schließlich wurde ihre Inszenierung des „Lohengrin“, übrigens nen es hieß, sie könnten womöglich schon in Barcelona ausgefallene „Lo- eine der größten Choropern überhaupt, den Spielbetrieb beeinträchtigen? hengrin“-Inszenierung beim Koproduk- wird aber trotzdem kommen. In Barce- SENSE: Da sind wir gut vorangekom- tionspartner Leipzig vorerst abgesagt. lona wurde die Premiere auf 2025 ver- men. Zwar reichen die ursprünglich ge- „Ich lag fünf schoben. Das ist zwar lange hin, aber nehmigten 30 Millionen Euro nicht aus, VON MANUEL BRUG eine Perspektive, die Arbeit war also aber wir haben sowohl die Statik des nicht ganz umsonst. Und mit Leipzig Gebäudes wie auch den Brandschutz im Doch der 42-jährigen Wagner-Uren- hoffe ich, dass im Hinblick auf deren Griff, dass es zunächst einmal weiterge- kelin geht es wieder gut. Ab heute sitzt Wagner-Komplett-Festival 2022 viel- hen kann. Die Betriebsgenehmigung ist sie wieder am Schreibtisch. Hier spricht Wochen lang leicht im Herbst 2021 die ja bereits ferti- soweit gesichert. Wir haben nach wie sie gemeinsam mit Sense erstmals aus- ge Produktion in den Spielplan einge- vor ein Problem mit dem Arbeitsschutz, führlich über die vergangenen Monate speist werden kann. Für mich selbst ist sitzen mit zu vielen Leuten in zu klei- und die Bayreuther Zukunftspläne. Und es gut, nach so viel unfreiwilliger Abwe- nen Räumen. Da muss schnell zur Ent- was sie noch nicht verrät: Die Senta im senheit im Festspielhaus erst mal wie- zerrung ein Anbau her, aber das sollte neuen „Holländer“ 2021 soll Starsänge- im künstlichen der dort präsent zu sein. sich bewerkstelligen lassen. Das kann rin Asmik Grigorian sein. man so planen, dass jedes Jahr im Fest- Haben Sie eigentlich am Bayreuther spielhaus die Saison stattfindet. Anders WELT: Katharina Wagner erkrankt, Ersatzprogramm Anteil genommen? macht es keinen Sinn. Denn in Bayreuth hat es das schon mal vorher gegeben? WAGNER: Passiv, das Notprogramm für ist, anders als überall sonst, das Gebäu- KATHARINA WAGNER: Schon, aber sie “ die Festspiele 2020 wurde von Herrn de und seine Akustik wesentlicher Teil hat meist trotzdem weitergearbeitet. Sense und meinem künstlerischen Be- des Opernerlebnisses. KOMA triebsdirektor geplant. Nachdem ich in Wie Ihr Vater? der Erholungsphase alle Bücher, welche Kann man denn schon Konkretes WAGNER: Zähne zusammenbeißen und ich schon lange lesen wollte, und ge- über den neuen „Holländer“ sagen? weitermachen, auch nicht drüber reden, fühlt sämtliche Geografiedokumenta- WAGNER: Ja, ganz offiziell: Mit Oksana das habe ich von ihm gelernt. Nach langer Krankheitspause sitzt tionen angesehen hatte und es mir von Lyniw wird erstmals eine Frau hier eine Tag zu Tag besser ging, war es mir ein Premiere leiten, und mit Dmitri Darf man fragen, was hat Sie so nach- Katharina Wagner ab heute wieder in inneres Bedürfnis, mich auch wieder Tschernjakow habe ich einen spannen- haltig aus der Bahn geworfen? ihrem Büro in Bayreuth. Ein Gespräch um die Zukunft der Festspiele zu küm- den Wunschregisseur. Wir haben auch WAGNER: Dürfen Sie, denn es ist bes- mern. Es liegt jetzt sehr viel Arbeit an, eine sehr feine Besetzung, mit einer ser, das jetzt ein für allemal zu klären. mit der Wagner-Urenkelin und ihrem denn alles muss um- oder neu geplant spektakulären, viel gefragten Soprani- Ich hatte weder Corona noch Krebs, werden. stin an der Spitze, die ich aber erst ver- noch Burn-out oder Depressionen, was Geschäftsführer Heinz-Dieter Sense über die künden werde, wenn die Verträge zu- ja vielfach gemutmaßt wurde. Ich hatte schweren Herausforderungen der Zukunft Gibt es nächstes Jahr Festspiele? rück sind, denn auch die mussten alle offenbar schon länger Thrombosen, die HEINZ-DIETER SENSE: Da antworte neu gefasst werden. Bei den übrigen Re- sich unbemerkt in der Lunge abgelagert jetzt ich. Ja, ich gehe fest davon aus. pertoirestücken sind wir bemüht, die haben und zu Lungenhochdruck samt gefeierten Besetzungen der letzten Jah- akuter Lungenembolie führten. Diese Wie wird sich das anfühlen? re wieder zusammenzubringen. Ich will unentdeckten Verstopfungen führten SENSE: Ich entwickle gerade ein schlüs- unbedingt auch am inzwischen etablier- wiederum zu massiven Herzproblemen. siges Konzept, das man verantworten ten „Diskurs Bayreuth“ festhalten, aber Es war ernst, ich lag fünf Wochen lang kann. Dafür habe ich mich in Salzburg das ist leider jetzt eine Frage der Mittel. im künstlichen Koma. Allerdings wenn während der Festspiele umgeschaut diese sogenannte pulmonale Hyperto- und auch andere Erkenntnisse einflie- Und weitere Ausblicke? nie operabel ist, und das ist das Ent- ßen lassen, von Bayreuth Baroque etwa, WAGNER: Perspektivisch gibt es 2022 scheidende, dann ist hinterher alles gut. dem neuen Alte-Musik-Festival im den neuen „Ring“. Die eigentlich für Ich bin vollständig geheilt, auch dank Markgräflichen Opernhaus. Dazu müs- 2020 verpflichtete Besetzung möchte meiner großartigen Regensburger Ärz- sen sich jetzt die Behörden unter Einbe- ich natürlich unbedingt, wenn vonsei- te, einem hervorragenden Operateur in ziehung der aktuellen Pandemie-Ent- ten der Künstler möglich, beibehalten. Bad Nauheim und einer bestens verlau- wicklungen positionieren. Wir wollen Allerdings war 2021 und 2022 nur die fenen Reha-Maßnahme. Ich habe mir, das konsequente Schachbrettsystem, Wiederaufnahme mit einer wesentlich auch zwangsweise, das Rauchen abge- dazu personalisierte Karten und Mas- kürzeren Probenzeit geplant. Bei einer wöhnt, darf aber schon wieder meine kentragen bis zum Beginn der Vorstel- Neuproduktion des vierteiligen Werks geliebte Cola light und Kaffee trinken. lung. finden die Proben normalerweise ab April statt. Die international sehr ge- Und wie geht es jetzt weiter? Und wie machen Sie das mit der feh- fragte Besetzung ist aber 2022 im April WAGNER: Ich muss mich regelmäßiger lenden Klimaanlage? und Mai schon anderweitig langfristig bewegen und wie jeder, der eine Embo- SENSE: Wir haben eine Belüftungsanla- verplant, weshalb der neue „Ring“ jetzt lie hatte, präventiv Blutverdünner neh- ge. Die ist ausreichend bis eine Stunde größtenteils in der laufenden Festspiel- men und Thrombosestrümpfe tragen. 15 Minuten Opernspielzeit. Da bekom- saison 2021 vorgeprobt werden wird. Aber ansonsten, der Arzt hat es eben men wir im aktuellen Spielplan Proble- 2023 ist ein neuer „Parsifal“ geplant. noch bestätigt, bin ich gesund. Die vie- me mit dem dritten Akt „Meistersinger“ Piotr Beczala hat ja bereits die Über- len kleinen Embolien waren wohl durch – darüber muss ich mit Barrie Kosky nahme der Titelpartie verkündet. Je- ein nicht erbliches Blutgerinnungspro- sprechen, ich habe da eine Idee – und doch ist auch diese Neuproduktion um blem verursacht. Es ist beruhigend, der angedachten konzertanten „Walkü- ein Jahr nach hinten verschoben. Ich dass jetzt wirklich alles komplett durch- re“. Beim „Fliegenden Holländer“, der hoffe sehr, dass Herr Beczala auch 2023 gecheckt wurde. Nach den regulären ja inzwischen durchgespielt wird, müs- genügend Zeit für die Proben einer Betriebsferien freue ich mich jetzt mit sen wir nach einem Akt Pause machen. Neuproduktion mitbringen kann. Das viel Tatendrang wieder auf mein Büro Aber das war hier auch früher so. Wir prüft gerade seine Agentur. und die Festspiele. haben überlegt, ob wir 2021 den auf 2022 verschobenen „Ring“ komplett in Was passiert mit dem Musikdirekto- The Boss ist back, freut das die Beleg- einer nicht szenischen Form anbieten, renvertrag von Christian Thiele- schaft auch? aber auch da gibt es mit „Rheingold“ mann? WAGNER: Die Anteilnahme meiner und „Götterdämmerung“ Probleme. WAGNER: Der steht Ende des Jahres Mitarbeiter war überwältigend, und ja, zur Verlängerung an. Da sind wir im Ge- das macht den Neuanfang eigentlich Wo soll das Publikum in den Pausen spräch, wie dieser in Zukunft gestaltet noch schöner. Viele haben gesagt, lass sein, wenn es regnet? Da ist ja im werden kann. In jedem Fall hat er wei- dir so viel Zeit, wie du brauchst, aber Haus nicht viel Platz. terhin Dirigierverträge in Bayreuth. komm auch bitte schnell wieder! Auch SENSE: Wir haben ja viele große Park- die Anteilnahme von Freunden, Be- plätze, da könnte man Zelte aufstellen, Jetzt müssen Sie erst einmal einen kannten, Verwandten und Arbeitskolle- auch mit Gastronomie. neuen Verwaltungsdirektor finden … gen hat mich gerührt. WAGNER: Ja, das steht unmittelbar an, Und wie wird es mit den Chören? wir haben mehrere Bewerbungen, und Sie hatten viel Zeit, darüber nachzu- SENSE: Das muss irgendwie gehen, ich ich bin zuversichtlich. denken, ob Sie diesen Knochenjob weiß aber noch nicht, wie. Eine Mög- wirklich weitermachen wollen … lichkeit wäre die Übertragung aus dem Es gab auch immer mal wieder Ge- WAGNER: Ja, zumal erst kürzlich ein Chorsaal mit Statisten auf der Bühne, rüchte, der Bund als einer der vier Ge- neuer, bis 2025 laufender Vertrag unter- aber das ist alles nicht zuletzt auch eine sellschafter der Festspiele GmbH schrieben wurde. Ich habe im Kranken- Geldfrage … denke darüber nach, die Federfüh- stand gemerkt, wie teuer mir dieses rung komplett zu übernehmen, auch Haus ist und dass ich dessen Zukunft Und der enge Orchestergraben? finanziell. Ist da was dran? weiterentwickeln möchte. Gerade nach SENSE: Da würden wir uns, wie auch WAGNER: Mir ist solches nicht be- dieser ausgefallenen Saison. Nach so viel bei den Solisten, mit regelmäßigen Te- kannt. Dieses Gerücht habe ich aber be- traurigen Nachrichten vom Grünen Hü- stungen behelfen. Enger als Salzburg reits mehrfach über den Freistaat Bay- gel soll es jetzt positiv weitergehen. Ich Katharina Wagner bei der „Elektra“ sitzen die Musiker bei ern gehört. Aber zunächst ist mir wich- komme dankbar und mit großer Freude im März 2020 uns auch nicht. Doch auch hier müssen tig: Von der Gesellschafterseite ist der an diesen einzigartigen Ort zurück. wir erst Lösungen mit den örtlichen Kli- absolute Wille da, Festspiele 2021 mög- niken finden. lich zu machen. Mein Team und ich be- Trotzdem, Sie haben coronabedingt reiten jetzt die nächsten Spielzeiten EUROPA PRESS NEWS PRESS GETTY/ EUROPA VIA IMAGES PRESS UROPA

Ihren neuen „Lohengrin“ in Barcelo- E Wie finanziert sich das? künstlerisch vor. Heinz-Dieter Sense na kurz vor der Bühnenreife absagen SENSE: Das müssen die Gesellschafter plant bezüglich des Hygienekonzepts müssen, dann die eigenen Festspiele. entscheiden, die mir aber signalisieren, flexibel und mit allen Unwägbarkeiten Eben wurde bekannt, dass auch der dass sie Festspiele wollen. Sonst würde für diverse Szenarien. Unsere ganze „Lohengrin“-Koproduktionspartner ich all diese Planungen jetzt nicht ma- Energie konzentriert sich auf künstle- Leipzig, wohin die Inszenierung im chen. Ich glaube es aber erst, wenn ich risch spannende und sichere Festspiele.

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Die zweite ist Rosalyn Tureck, 1914 in Chicago geboren, in New York zur Legende geworden. Ihre Einspielung von 1957 ist vor allem pionierhaft verdienstvoll, leider auch die von 1981, und die Aussage Glenn Goulds kaum nachvollziehbar, Tureck habe ihn beeinflusst, wogegen er das Spiel von Landowska „nicht mochte“. Vielleicht ging es eher darum, dass Landowska für das Cembalo eintrat, während Tureck den modernen Flügel favorisierte.

Letztere behauptete ja, Gould habe sie einfach nachgespielt, die gleichen Verzierungen verwendet, ohne tieferes Verständnis. Eindeutiger sind die Einflüsse Goulds auf die nachfolgenden Musiker. Das zeigt sich zum einen im Grundtempo der Aria, einer Sarabande, also einem Schreittanz, der in Goulds erster Aufnahme ein flotter Dreiertakt ist und in seiner späteren Einspielung ein gemächlich dahinschlurfender Leichenzug, wie bei Tureck. Leider hat sich dieser Standard erhalten. Auch Lang Lang neigt hier zur Langsamkeit.

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Und dann gibt es da ein Detail, dessen Ausführung auch die Neuaufnahme von Lang Lang näher erklärt. Es geht um die Wieder‐ holung des Anfangsmotivs, wobei der erste Melodieton nun in ein Arpeggio eingebunden ist, also einen gebrochenen Akkord, den man normalerweise von unten nach oben abspielt. Landowska arpeggiert dagegen abwärts, Gould ebenso, aber auch Tureck. Ist sie doch seine Bach-Göttin? Nicht nach ihrer Aussage, denn er verziert anders und leidet eher an einem übergenauen Ver‐ ständnis der Partitur, sodass ihm das spielerisch Musikantische abhandenkommt. Und genau daraus strickt er ein Prinzip, das über Tureck und Landowska hinausgeht. Dennoch bleibt die Arpeggio-Frage offen. Es gibt berühmte Gegenspieler, die aufwärts arpeggieren: , Murray Perahia, Grigory Sokolov, Pierre Hantai. Und es gibt den hochbegabten Bach-Spieler Konstantin Lifschitz mit einer logisch tragfähigen Variante.

Was aber macht Lang Lang? Beim ersten Mal arpeggiert er aufwärts, in der Wiederholung umgekehrt. Er entzieht sich der Ent‐ scheidung, bringt unterhaltsame Beliebigkeit ins Spiel. Er fürchtet sich geradezu, profiliert zu gestalten, einen Standpunkt zu behaupten. Dafür hält er eine fast fröhliche Grundstimmung, wie sie ihm und Pianisten der jüngeren Generation wie etwa Jan Lisiecki eigen ist: Es geht nicht mehr um den Ernst des Absoluten. Es geht um das Auffächern von Möglichkeiten, die in einem Stück verborgen sind. Unter den Älteren ist es Gustav Leonhardt, der auf seinem Cembalo ein so farbenreich differenziertes Spiel entwickelt hat, wie dies Lang Lang auf dem Flügel gelingt.

Dazu kommt sein 3-D-Gefühl – er schafft eine enorme Raumwirkung, die durch die ruhige Gefasstheit seines Spiels noch ver‐ stärkt wird. Gleichzeitig führt Lang Lang die großen Richtungen der Bach’schen Aufführungstradition zusammen und bringt sie in seiner Studioaufnahme auf einen Nenner. Das klingt anfangs etwas übervorsichtig, schülerhaft gelehrig. Aber man spürt schon die unbändige Neugier dieses Pianisten, in eine fremde Klangwelt einzutauchen. Man sieht ihn förmlich durch unbekannte Räume schreiten und sich staunend umsehen. Dabei lässt er sich begleiten von all den berühmten Pianisten, die sich einst dem Stück widmeten. Und darin entwickelt er dann einen eigenen Weg, der über die Synthese altehrwürdiger Traditionen hinausgeht.

Aber wie wäre es, wenn er einmal all dieses Wissen vergäße und sich noch einmal, ganz befreit, an den Flügel setzte, um seine ganz persönliche Erfahrung mit diesem Stück in Klang zu setzen? Er hat es getan, die Plattenfirma hat mitgespielt und Studio- wie Live-Mitschnitt in ein Album gepackt. Wenn es so etwas wie interpretatorische Wahrheit gibt, dann sieht sie vielleicht ge‐ nau so aus.

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F.A.Z. - Feuilleton Montag, 21.09.2020

Sie erwischt den Augenblick

Bilder, die sich vom Dokumentarischen gelöst haben: Kronberg zeigt Musikerporträts von Barbara Klemm

Fotografie und Musik scheinen ganz entgegengesetzte Künste. Hier das Auge, dort das Ohr, hier die Stille, dort der Klang. Vor allem aber: hier der Bruchteil einer Sekunde, dort lange Abfolgen in der Zeit. Musik ist überdies geplante und geformte Zeit, Fotogra- fie hingegen lebt oft von der Kontingenz dessen, was sich nur einen Augenblick lang zeigt.

Für die Fotografien Barbara Klemms gilt das ganz gewiss. Das Museum der Kronberger Malerkolonie nahe Frankfurt zeigt gerade eine Auswahl der Musikerporträts, die sie größtenteils für die F.A.Z. angefertigt hat: Komponisten (Hans Werner Henze, Adriana Hölszky, György Ligeti beispielsweise) mit und über ihren Notenblättern, Dirigenten (Klaus Tennstedt, Claudio Abbado, Simon Rattle) in maximal unterschiedlicher Aktion, Instrumentalisten (Wladimir Ashkenazy, Wladimir Horowitz, Tabea Zimmermann in unserem Bild) beim Üben oder nach dem Konzert.

Diese Bilder haben die Texte, denen sie in der Zeitung beigegeben waren – die Ausstel- lung zeigt in Vitrinen, wie –, nicht nur überdauert. Sie haben sich auch von ihrem doku- mentarischen Sinn gelöst und behaupten sich als eigene Werke. Denn was immer über ihre Entstehung erzählt werden kann, sie selbst erzählen nichts, sondern halten einen unwiederholbaren Moment fest, den die Fotografin nicht produziert, sondern erhascht hat: die Zehntelsekunde, in der sich die rechte, taktstocklose Hand von Pierre Boulez so über seinen Kopf hebt, dass schwer zu sagen ist, wo sich ihr Daumen überhaupt befin- det; den Augenblick, in dem die Neigung der lockigen Köpfe von Tabea Zimmermann drinnen und Beethovens draußen entlang der Bogenlinie übereinzustimmen scheint; den Moment, in dem Ashkenazys Hände transparent scheinen, als könne man die Tastatur durch sie hindurch sehen.

Gemeinsam ist den Bildern nicht nur die oft beobachtete Diskretion der Fotografin gegenüber den Porträtierten. Klemm erwischt den Augenblick, sie versucht nicht, die Person bei etwas zu erwischen. Was die Behauptung korrigiert, Fotografie sei eine tonlose Kunst, ist darüber hinaus, dass es sich um leise Bilder handelt. Sie halten weder pathetische Gesten noch ekstatische oder laute Momente fest, von denen es in der Musik viele gibt. Barbara Klemm porträtiert keine Menschen, die außer sich sind, sondern Momente verkörperter Konzentration und Nachdenklichkeit. Jürgen Kaube

Barbara Klemm – Musikerporträts. Museum Kronberger Malerkolonie, Kronberg im Taunus; bis 11. Oktober. Kein Katalog.

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F.A.Z. - Feuilleton Montag, 21.09.2020

Ein tolles Leben

Alice Harnoncourt war Österreichs erste Konzertmeisterin. Mit ihrem Mann Nikolaus hat sie das Musikleben umgekrempelt – auch, indem sie sich bestimmte Fragen gar nicht erst gestellt hat. Von Jan Brachmann, St.Georgen im Attergau

Wie alle innerlich großen Menschen ist Alice Harnoncourt völlig umstandslos und hat die Gabe, ihrem Gegenüber sofort jede Befangenheit zu nehmen. „Ach, es ist wunder- bar, dass Sie kommen“, sagt sie schon am Telefon, rasend schnell plaudernd wie eine weltversessene Achtzehnjährige, die einen ungeheuren Appetit auf die Zukunft hat. Danach schickt sie gleich eine SMS mit der richtigen Station „vom Bähnchen“, das von Vöcklamarkt gen Attersee fährt. „Vielleicht holt Sie meine Tochter ab. Freue mich sehr. Bis bald!“

Elisabeth von Magnus, Tochter von Alice und , zugleich exzellen- te Sängerin, ist genauso munter und verschmitzt wie ihre Mutter. „Wenn Sie hinterher noch zum See wollen, können Sie gleich die Abkürzung durch die Felder nehmen. Es ist nicht weit, zwanzig Minuten vielleicht“, sagt sie, als wir die paar hundert Meter zum Haus der Familie in Sankt Georgen fahren. , einer ihrer Brüder und Alice Harnoncourt leben hier gemeinsam auf dem alten Pfarrhof, den die Familie 1973 bezog. Die Stallungen in den Seitenflügeln sind zu Wohnungen ausgebaut. In der Mitte lagert Heu. „Als wir einzogen, gab es noch Kühe und Hühner“, sagt Elisabeth von Magnus.

Musik muss sprechen können

Das eigentliche Haus ist schlicht, aber massig: unterm Wohngeschoss von 1730 ein gotisches Gewölbe, das älteste Zimmer von 1494, in dem noch der Schaukelstuhl steht, worin Nikolaus Harnoncourt täglich seine Kaffeepause verbrachte, gleich daneben liegt seine Schnitzwerkstatt. „Die alten Fensterrahmen im Haus hat der Vater alle selbst restauriert“, sagt die Tochter, „jeder einzelne ist durch seine Hände gegangen.“ Sie schnappt sich flugs die Sonnenbrille, die sie zuvor im Haus vergessen hatte, verabschie- det sich und übergibt den Gast einer anmutigen Frau im umbrafarbenen Leinenkleid, die schon im ersten Stock gewartet hatte: Es ist Alice Harnoncourt. Sie lacht, und sie bewegt sich so lebhaft, wie sie redet.

Sie war es, die sich für dieses Haus entschied, nachdem ihr Mann seine Stelle als Cellist bei den Wiener Symphonikern gekündigt hatte und als Professor ans Mozarteum im nahen Salzburg berufen worden war: „Durch meinen Schwager, der Geistlicher ist, haben wir diesen Hof hier gefunden. Er wusste, in Sankt Georgen ist der Pfarrhof zu verkaufen. Wir sind mit dem Radl vorgefahren, der Pfarrer war zu Hause, ich bin zur Türe hereingekommen und hab gesagt: ,Das ist es!‘ Es war das ganze Ensemble mit dem Haus und dem U-Hof, das mich ansprach. Es war natürlich wahnsinnig viel Arbeit. Die Kinder haben uns viel geholfen. Wir waren alle fleißig.“ Ihr Mann habe bis auf die Installateursarbeiten alles selbst gemacht.

Alice und Nikolaus Harnoncourt waren dreiundsechzig Jahre lang verheiratet. Sie, als Geigerin, und er, als Cellist, Dirigent und Forscher, haben – mit ihrem eigenen Ensem- ble, dem , genauso wie am Opernhaus Zürich und in manch anderem Orchester – die größte Umwälzung des Machens und Hörens von Musik nach dem Zweiten Weltkrieg bewirkt. „Historisch informierte Aufführungspraxis“ wird das genannt, ein Wort, das sie auf die Palme bringt: „Wenn heute jemand ein Studium an einer Musikhochschule aufnimmt, dann muss er historisch informiert sein, oder er ist

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ein Depp.“ Das sei Basiswissen. Es gehe auch nicht um „Historisierung“ von Musik, sondern um „Vergegenwärtigung“, darum, in Kenntnis der alten Instrumente und ihrer Spielweisen Musik so zu uns sprechen zu lassen, dass sie uns berührt, schockiert, ergreift.

„Ich höre heute sehr wenig Musik, weil ich’s nicht aushalte“, gesteht Alice Harnoncourt. „Die Interpreten sprechen nicht. Und Musik ist zu einem Großteil Sprache. Man muss die Lehrbücher kennen, man muss etwas über musikalische Rhetorik wissen. Sicher. Aber dann muss man sich auch trauen zu atmen. Es gibt fast keinen Musiker mehr, der sich traut, einen Atem zu machen! Wie sollen Sie eine Sprache verstehen, die nur einförmig ,blablabla‘ macht? Sie würden nichts verstehen! Der Mut zum Atem und zur Rhetorik darf nicht aufgesetzt sein; aber er muss da sein. Das muss man in eine Selbst- verständlichkeit überführen. Wenn man aber nie darüber nachgedacht hat, wird beim Spiel alles eine Sauce.“

Nikolaus Harnoncourt, dessen Bücher „Musik als Klangrede“ und „Der musikalische Dialog“ heute Grundlagenwerke der Aufführungspraxis sind, starb am 5. März 2016. Seine Frau hat aus dessen Nachlass mittlerweile drei Bücher herausgegeben: über die Entstehung des Concentus Musicus, über Harnoncourts Familie sowie Essays und Vorträge. Von Harnoncourts adliger Familie – dem lothringisch-luxemburgischen Zweig der väterlichen Seite, dem österreichischen der mütterlichen Seite, der bis ins Haus Habsburg reicht – können wir uns nun ein Bild machen. Aber wie sieht es mit der Familie Hoffelner aus?

„Mein Vater war Graphologe“, erzählt Alice. „Er hat sich bis dahin unglaublich hinauf- arbeiten müssen, aus ganz einfachen Verhältnissen. Eigentlich hat er unbedingt aufs Gymnasium gewollt; das hat ihm aber der Vater nicht erlaubt. Er durfte nur die Mittel- schule besuchen und zu Hause abends nicht lesen, denn das hat Stromgeld gekostet. Also ging er in den Stadtpark, setzte sich unter die Laternen und lernte Latein.“ In der Zwischenkriegszeit gründete er die Zeitschrift „Der Fotojäger“, bald darauf „Wir Frauen“, in der Alices Mutter mitschrieb. „Total modern, eigentlich!“, sagt sie. Die Mutter sei „fabelhaft ausgebildet“ gewesen. „Sie ging in Wien auf das Gymnasium der Eugenie Schwarzwald, wo auch Oskar Kokoschka und Egon Friedell gewesen waren. Eine hochintellektuelle Schule. Sie hatte ein Stipendium, weil sie so begabt war, und machte die Matura mit Auszeichnung. Sie sprach Englisch, Französisch, Italienisch und Ungarisch, ging nach Budapest und arbeitete dort als Übersetzerin.“

Hört man Alice Harnoncourt zu und kennt man die Lebensgeschichte ihres Mannes, begreift man schnell, dass die Geradlinigkeit, der Mut und die Vorstellungskraft ihres Musizierens nicht allein aus der historischen Forschung kommen. Es sind die Aufge- schlossenheit, der Bildungshunger, die soziale Modernität der Elternhäuser und die Not der Kriegs- und Nachkriegsjahre gewesen, die beiden einen bestimmten Blick auf die Welt mitgaben. Auf den Einwurf, Mangel wecke die Phantasie, Wohlstand verblöde, entgegnet sie, wieder mit explosivem Lachen: „Ja, würde ich sofort sagen: Ja!“

Alice Hoffelner, spätere Harnoncourt, wusste schon mit sechs Jahren, dass sie Musike- rin werden wollte. Sie begann auf dem Klavier, wechselte mit zehn Jahren zur Geige, spielte beide Instrumente lange auf hohem Niveau. Studiert hat sie in Wien und Paris. Ein Stipendium verhalf ihr dazu. „Ich nahm dieses Stipendium an, war aber innerlich ein bisschen zweigeteilt, weil ich gewusst hab, es hat keinen Sinn, weil ich eh heiraten werd. Dann gebe ich alles wieder auf“, erinnert sie sich. Aber es kam anders.

In einer Zeit, da Frauen noch ihren Mann um Einwilligung zur Berufstätigkeit bitten mussten, forderte Nikolaus sie auf, wieder zu üben. „Na, darf ich das denn?‘, fragte ich ihn. Und er: ,Ja, natürlich.‘ Damit war die Sache erledigt. Gott sei Dank!“ Alice Harnon- court wurde Konzertmeisterin beim Concentus Musicus, die erste Konzertmeisterin Österreichs. „Wenn ich anderswo hätte wollen in einem Orchester spielen, hätte ich nur ins Radio-Orchester gekonnt. Denn da hätte man mich nicht gesehen. Oder ins Burg- theater-Bühnenorchester: Da hätte man auch nicht gesehen, dass ich eine Frau bin. Die

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großen Orchester haben prinzipiell keine Frauen aufgenommen damals“, berichtet sie.

„Als ich als Konzertmeisterin mit dem Concentus auftrat, ist das schon aufgefallen. Jahrelang war ich überhaupt die einzige Frau im Ensemble; später sind dann zwei, drei weitere Frauen dazugekommen. Ich selbst habe über diese Dinge nicht nachgedacht. Dass ich eine Frau in dieser Position war, das spielte für mich überhaupt keine Rolle. Hier und da kamen Leute und haben mir gratuliert. Aber ich selbst fand gar nichts dabei. Wir waren so von unserer Sache fasziniert, von der Arbeit absorbiert, dass wir über solche Fragen nicht nachgedacht haben.“

Sie hat Epoche gemacht als Solistin. Die Einspielung der zwölf Konzerte op. 8 von Anto- nio Vivaldi mit dem Concentus Musicus Wien war eine Sensation. Theatralisch, mit kühnster Tempofreiheit, aber enormer Plastizität exponierte sie sich, angespornt von ihrem Mann, geradezu karnevalesk als Solistin. Danach kam Gidon Kremer, gewiss einer der größten Geiger der Nachkriegszeit, zu den Harnoncourts „und war total scho- ckiert, aber auch hin und weg und sagte: ,So ist’s richtig.‘ Er hatte gemerkt, dass das in den Noten drinsteckt.“

Wie schafft man das alles: vier Kinder, keine Haushaltshilfe, Solistenkarriere, in jeder freien Minute Noten abschreiben, weil es für viele alte Stücke noch keine gedruckten Aufführungsmaterialien und keine Kopierer gab? Ganz einfach: fleißig sein, jeden Morgen um sechs aufstehen und außerhalb des Berufs und der Kinder weitgehend auf Gesellschaft verzichten. „Wir sind praktisch nie eingeladen gewesen, weil wir uns nicht einladen ließen, und wir selbst haben auch nie eingeladen“, erzählt Alice Harnoncourt. „Mein Mann hat ja eine Riesenfamilie; besonders die Meranischen sind weit verbreitet. Er hat als unfamiliär gegolten.“

Große Trauer, unbewältigt

Es sei nicht leicht gewesen, die Frau an der Seite eines so starken Mannes zu sein, denn solch ein Mann brauche keine schwache Frau, die sich zurücknehme, ist Alice Harnon- court überzeugt. „Mein Mann suchte und brauchte Widerspruch. Und wenn er den nicht bekam, war er irritiert. Wir haben einander oft korrigiert, aber wir waren in der Sache, im Verständnis von Musik, immer nah beieinander.“ Was sie auch verbunden habe, sei der christliche Glaube. Sie habe mit den Kindern gebetet, und sie tue es noch heute in der Familie vor den gemeinsamen Mahlzeiten; sie seien in die Kirche gegan- gen, aber darüber hinaus sei ihnen alles Demonstrative im Christentum fremd.

„Ich hab ein tolles Leben gehabt“, sagt Alice Harnoncourt. „Besondere Anerkennung hab ich weder wahrgenommen noch gesucht. Hier und da werde ich von Journalisten gefragt, ob ich mich nicht zurückgesetzt gefühlt habe, und ich muss immer antworten: Nein, nie! In diese Richtung hab ich nie gedacht; ich hab das alles als normal empfun- den. Es war immer ein hoher Arbeitsdruck da, aber ich hab die Arbeit gern gemacht. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich eine gute Kondition habe und das aushalten konnte.“

Und doch gab es in diesem Leben großen Kummer: die tödlichen Unfälle eines Sohnes und eines Enkels. Da half auch die Musik nicht. „Die kann man überhaupt nicht verar- beiten. Die beschäftigen mich weiterhin. Wenn ein junger Mensch stirbt, ist das schrecklich. Wenn ein alter Mensch stirbt, ist das auf andere Weise schrecklich: Der ist nicht mehr da. Plötzlich ist man allein. Aber einen Sohn zu verlieren mit 33 Jahren und einen Enkel mit 32, das verkraftet man nicht. Mein Mann und ich haben darüber nie sprechen können. So sehr wir auch sonst über alles reden konnten, da herrschte Schweigen. Wir haben über die beiden Menschen viel gesprochen, aber nie über das Problem, das deren Tod für uns war. Mein Mann war sehr geprägt durch seine Mutter; und seine Mutter war streng erzogen worden. Sie hat ihm auch viel mitgegeben und das immer ,Haltung‘ genannt.“

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Alice Harnoncourt, die von sich selbst sagt, früh erwachsen geworden zu sein, wird am 26. September neunzig Jahre alt. Sie ist Tag für Tag damit beschäftigt, das Archiv des Concentus Musicus zu ordnen und den Nachlass ihres Mannes zu sichten, der viele noch unpublizierte wissenschaftliche Aufsätze enthalte. „Ich hoffe, was wir geleistet haben, wird bleiben“, sagt sie. „Es darf ja ruhig ein Mehr an Erkenntnissen geben oder an Beschäftigung damit.“ Aus ihr spricht ebenso viel Erfahrung wie Zuversicht.

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F.A.S. - Feuilleton Sonntag, 20.09.2020

Nachrichten

Lockdown. Der dreiwöchige Lockdown macht Israel zum ersten Land, das derart stren- ge Restriktionen auf nationaler Ebene ein zweites Mal verhängt. Während Ministerprä- sident Netanjahu behauptet, er habe keine andere Wahl, kritisieren Experten die einschneidenden Maßnahmen und deren wirtschaftliche Auswirkungen. Schaut man sich die Statistiken an, dann ist klar, dass es nicht allein das Virus ist, das mein Land in den zweiten Lockdown zwingt; es ist der Mangel an Vertrauen, es ist sogar Hass zwischen verschiedenen Teilen der israelischen Gesellschaft. Mehr als neunzig Prozent der jüngsten Covid-Fälle in Israel wurden entweder aus orthodox-jüdischen oder aus arabischen Städten gemeldet. Die Infektionen in säkularen Städten wie Tel Aviv zum Beispiel liegen weit unter denen in orthodoxen wie Bnei Brak. Zunächst präsentierte der „Corona-Zar“, der offizielle Beauftragte Ronni Gamzu, den „Ampelplan“: Städte werden unter komplette Quarantäne gestellt, wenn sie „rot“ sind, also eine hohe Zahl von Neuinfektionen vorliegt; sanfte Quarantäne wird verhängt, wenn sie „gelb“ sind, bei mittleren Fallzahlen. Bei „Grün“ gibt es dementsprechend keine Einschränkungen. Nach Meinung der Experten hätte mit dem „Ampelplan“ der Strom neuer Infektionen wirksam bekämpft werden können. Experten und Wissenschaftler wurden jedoch schnell von den Politikern zum Schweigen gebracht. In einem politisch zerrissenen Land wie Israel kann man nicht garantieren, dass das Vorhaben, arabische Städte unter Quarantäne zu stellen, ohne Konflikte abgeht. Und in der Debatte zwischen Säkularen und Orthodoxen innerhalb der jüdischen Mehrheit wurde der Plan, den Lockdown über orthodoxe Städte zu verhängen, von den Führern der Orthodoxen als „antisemitisch“ bezeichnet. Die Pandemie erreichte Israel nach Jahren der Hassrede zwischen verschie- denen Teilen der israelischen Gesellschaft. Die Säkularen sagen, die Orthodoxen seien irrational, wenn sie entgegen den Bestimmungen auf Massengebeten an hohen jüdi- schen Feiertagen bestehen. Die Orthodoxen widersetzen sich einem Lockdown, wenn der nicht über alle Bereiche der Gesellschaft verhängt wird, weil sie der Regierung nicht trauen. Wenn wir einander nicht derart misstrauten, hätte der „Ampelplan“ funktionie- ren können. Der Preis des Lockdown ist der Preis des Hasses. Staaten sind wie Indivi- duen. Eine starke, gesunde Demokratie, die sich mit dem Coronavirus infiziert, wird sich wahrscheinlich davon erholen. Demokratien, die an unterschwelligen und kompli- zierten Krankheiten leiden, dürften gravierendere Symptome entwickeln und womög- lich sogar kollabieren. Die zweiundsiebzigjährige israelische Demokratie hat das Virus zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt getroffen, da das Land angeschlagen ist nach drei Wahlkämpfen, zerrissen zwischen rivalisierenden Gruppen und ohne funktionie- rende Regierung. Da der israelische Staat so instabil ist, hat das Virus ein schnelles multiples Systemversagen ausgelöst. Ayelet Gundar-Goshen

Die Autorin ist Psychologin, Journalistin und Schriftstellerin. Auf Deutsch erschien zuletzt ihr Roman „Lügnerin“ (Kein & Aber).

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