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„Der Höhepunkt ist alles“ Der britische -Star , 24, über Stille, Lärm und gute Schocks INTERVIEW: CHRISTOPH DALLACH

KulturSPIEGEL: Mr Blake, Dubstep gilt als kalt, technisch Kinder damit zu quälen, diese alten Sachen nachzuspielen. Mu- und hektisch. Sie dagegen werden als Wunderknabe der sikunterricht müsste viel freier sein. Ich wollte immer improvi- elektronischen Musik gefeiert, weil Ihre Dubstep-Songs Hö- sieren, es war mir zu langweilig, die verstaubte Musik von ande- rer zu Tränen rühren. Was ist Ihr Trick? ren nachzuspielen, mit Ausnahme von Bach und Rachmaninow. James Blake: Ich kombiniere digitale Präzision mit analoger Ihr Debüt-Album „James Blake“ war ein Bestseller, der nicht Wärme. Also Gesang und klassisches Klavierspiel mit Laptop- nur in Clubs lief, sondern sich auch als Hintergrundmusik Beats. Neulich kam tatsächlich ein weinendes Mädchen zu mir. für Dinner-Partys eignet. Da sind die Erwartungen an das Es bedankte sich, dass meine Musik so bewegend sei. nächste Album natürlich hoch. Kurz nach den Attentaten des Norwegers Anders Breivik ga- Allerdings, diesen brutalen Druck konnte ich kaum ignorieren. ben Sie ein Konzert in Oslo. Vielen Zuhörern standen Tränen Zumal „“ und „“, die in den Augen. Ihnen auch? zwei bekanntesten Songs des ersten Albums, nicht von mir ge- Ganz Oslo war in Melancholie gehüllt, als ich ankam. Es lag eine schrieben worden waren. Das beschäftigt mich wirklich seit zwei Trauer über der Stadt, die kaum in Worte zu fassen war. Da hilft Jahren. Bei jedem Konzert waren es diese zwei Songs, die für die dann Musik tatsächlich, weil sie innere Regionen erreicht, die meisten Reaktionen sorgten. Die klare und bittere Erkenntnis Worten nicht mehr zugänglich sind. Vor dem Auftritt hatte ich war: Meine eigenen Stücke können da nicht mithalten. mir noch Sorgen gemacht, ob ich das angemessen über die Bühne Und trotzdem versammeln Sie auf dem neuen Album nur bringen könnte. Aber dann war das Konzert wirklich überwälti- eigene Kompositionen. Warum? gend und befreiend, auch für mich. Ein ähnliches Erlebnis hatte Ich wollte herausfinden, ob meine Songs gut genug sind, damit ich bei einem Auftritt in Tokio kurz nach Fukushima, wo die meine Karriere dauerhaft Bestand haben kann. Meine Eltern Zuhörer auch sehr emotional reagiert haben. sind beide selbständig, mein Vater ist auch Musiker, das machte Im Werbetext zu Ihrem neuen Album „“ steht, mir klar, wie wichtig Tantiemen als Lebensgrundlage sind. Letzt- dass Sie mit Ihrer Musik auf der Suche nach der „größtmög- lich ist das Schreiben eigener Songs entscheidend für das wirt- lichen emotionalen Wirkung“ seien. Tränen als Triumph? schaftliche Überleben. Damit will ich sagen, dass eigene Songs Menschen zu Tränen zu rühren ist mir eher unheimlich. Aber kein Ego-Ding sind, sondern eine finanzielle Notwendigkeit. natürlich ist es mein Ziel, die Hörer zu beeindrucken, und zu Wenigstens sind die Tantiemen zum Teil in der Familie viel Emotion gibt es nicht. Dubstep-Tracks können im optimalen geblieben, denn Ihr Vater hat die Vorlage zu „The Wilhelm Fall eine Achterbahnfahrt der Gefühle auslösen. Erst wird die Scream“ geschrieben. Stimmung hochgeschraubt, dann Energie abgelassen, und schließ- Ja, richtig, den Scheck habe ich gerade ausgestellt. Ein wirklich lich kommt die Melodie mit mehr Wucht als zuvor zurück. Letzt- tolles Gefühl, auch weil der alte Song meines Vaters so ein neues lich funktioniert Dubstep wie Gospel: Der Höhepunkt ist alles. Publikum fand. Aber so was wissen nicht alle zu schätzen. Chilly Jedes Flüstern jagt dem Hörer Schauer der Aufregung durch den Gonzales, ein Kanadier, hat den Song „Limit To Your Love“ mit Körper. Ich studiere seit langer Zeit intensiv alte Gospelplatten, Feist geschrieben, und er war nicht begeistert von meiner Version. und wenn so ein Chor loslegt, viele Stimmen einen Raum fluten, Bei einem seiner Konzerte lästerte er auf der Bühne: „Dieser ist das gewaltiger als jeder Electro-Beat und überwältigt mich James Blake macht sich über meinen Song her, und was habe regelmäßig. ich davon?“ Einer aus dem Publikum rief daraufhin: „Ganz schön Dubstep und Gospel erzielen die gleiche Wirkung? Meinen viele Tantiemen.“ Aber vermutlich ist Gonzales einfach beleidigt. Sie das ernst? Er wollte mit mir etwas aufnehmen, was ich aus Zeitgründen Selbstverständlich. Jede Musik kann emotionale Wucht entwi- ablehnen musste. Das nahm er nicht sehr souverän. ckeln, das weiß jeder, der etwas von Musiktheorie versteht. Das Ihr Vater war Gitarrist in der britischen Jazzrockband Colos- ist allein eine Frage von Akkorden, die die Gene der Musik sind seum. Gab er Ihnen Tipps für Ihre musikalische Laufbahn? und ihre Wirkung bestimmen. Das Variieren nur einer Note Er riet mir nur, nie Gesangsunterricht zu nehmen. Ich verstehe, kann darüber entscheiden, ob eine Melodie euphorisch oder was er meinte, als er meine Stimme unkonventionell halten wollte, traurig klingt. Es gibt Kombinationen von Akkorden, die immer aber eine richtige Gesangsausbildung ist auch nicht so schlecht. funktionieren, einen zuverlässig berühren. Alle Musikgenres ha- Die Sängerin der New Yorker Band Chairlift hat zum Beispiel ben ihre spezifischen Akkorde und Harmonieabfolgen. eine klassische Ausbildung, und das hört man, im positiven Sinn. Ab welchem Alter erkannten Sie die Kraft von Harmonien? Aber untrainierte Sänger klingen vermutlich oft überraschender. Man wird mit einem Gefühl dafür geboren. Spielen Sie Kindern Um Ihre hohe, fragile Stimme wird viel Aufhebens gemacht … bestimmte Akkorde vor, und Sie werden immer einige finden, … fangen Sie bloß nicht mit diesem Quatsch an. Klar freue ich die darauf intensiver reagieren als andere. Leider gibt es zu viele mich, wenn meine Stimme Menschen berührt, aber dass ich mit- Menschen, die kein Feingefühl für Musik haben. unter als „Soulsänger“ bezeichnet werde, ist lachhaft. Soul ist Sie sind Musiker und DJ und haben eine klassische musi- lange tot. Das war eine tolle Musik, die durch die kulturellen kalische Ausbildung. War die hilfreich für Ihre Karriere? und sozialen Umstände ihrer Zeit, die Sechziger und Siebziger Ja. Dieses Wissen schafft das Vokabular, um eigene Ideen umzu- also, geprägt wurde. Aber Soul ist eine abgeschlossene Geschichte, setzen. Denn nur mit Kenntnissen der musikalischen Basis kann so wie Jazz auch. Soul in der Stimme zu haben ist heute fast eine man seine Emotionen akkurat ausdrücken. Ich war gut im Mu- Beleidigung. Das hören Sie in diesen schrecklichen TV-Talent- sikunterricht, aber Spaß hat er mir nie gemacht. Natürlich ist es shows. Da quälen sich irgendwelche Verlierer, die das lange im

FOTO: ANDREASFOTO: LUX notwendig, Noten zu lernen. Aber ich halte es für einen Fehler, Schlafzimmer geprobt haben, möglichst viel Inbrunst in ihre

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Stimme zu legen und möglichst laut zu nicht cool, ein Publikum zu irritieren singen. Danach jubeln zuverlässig die und zu verschrecken. Okay, es gibt gute Juroren, wie beseelt das gewesen sei: Schockmomente und schlechte Schock- was für ein Blödsinn. Denn das ist lei- momente. Ein „guter Schock“ ist bei- der immer Müll. spielsweise ein rapider Wechsel des Sie dagegen spielen in Ihren Songs Tempos, was im Idealfall intensive Eu- mit Stille und Verzögern. Wie wichtig phorie auslösen kann. Ein „schlechter sind die Leerräume zwischen den Schock“ ist, ein total unpassendes Stück Tönen? zu spielen, was die Stimmung rasant rui- Noch so ein Blödsinn, den ich mir oft nieren kann. Alle Songs meines Albums über meine Musik anhören muss. Gut, habe ich erst in Clubs getestet. ich habe ein paar effektvolle Pausen in Etwa auch Ihre aktuelle Single „Re- manche Songs eingebaut. Aber mehr trograde“? nicht. Dafür krönten mich ahnungslose Klar, und die kam nicht toll an (lacht). Journalisten zum „Silent Prince“ oder, Ich dachte, das sei die perfekte Tanznum- noch besser, zum „King of the quiet re- mer, was sich als Irrtum herausstellte volution“. Damit werde ich zu einem (lacht lauter). Kaum einer bewegte sich, Avantgarde-Mastermind stilisiert, das ich ich leerte im Handumdrehen die Tanzflä- definitiv nicht bin. che. Trotzdem war ich von dem Song Dubstep kann auch aggressiv und überzeugt, ich habe ihn nur etwas über- wild klingen, so wie bei Ihrem US-Kol- arbeitet. Aber andere Stücke, die beim DJ- legen Skrillex. Mögen Sie die Musik? Test durchfielen, habe ich beerdigt. Letzt- Ich konnte lange nicht glauben, dass vor lich denke ich, was im Club durchfällt, allem Frauen auf diesen Lärm stehen, wird auch nirgendwo anders punkten. aber ich habe mich eines Besseren be- Wie wichtig ist Ihnen der Zuspruch lehren lassen. Wobei dieser Lärmeffekt des Publikums? von vielen Kollegen übertrieben wird. Sagen wir es mal so: Es reicht nicht Die erinnern mich oft an kleine Jungs, mehr, wenn meine Arbeit vor allem mir die damit prahlen, wer am weitesten gefällt. Das ging noch bei der ersten pinkeln kann. Im Dubstep wäre die Ent- Platte, aber jetzt habe ich ein viel grö- sprechung, wer den wildesten und ßeres Publikum, das ich mit coolen grellsten Lärm programmiert. Nun ja, Experimenten schnell wieder los wäre. diese Angeberei ist typisch männlich. Meine abenteuerlicheren Tracks ver- Ähnlich wie Ihr US-Kollege Skrillex öffentliche ich weiterhin bei kleinen wurden Sie vom Underground-Hel- Undergroundfirmen. Ich habe sogar den zum Mainstream-Star und muss- gerade ein eigenes Label gestartet, das ten sich dafür von einigen Kollegen „1-800-Dinosaur“ heißt. Da sollen nur als „Leichtgewicht“ beschimpfen las- Vinyl-Singles in Kleinstauflagen erschei- sen. Ärgert Sie das? nen. Da kann ich mich dann austoben. Geschimpft haben vor allem DJs, die alle Sind Sie noch regelmäßig als DJ un- selbst gern bekannter wären. Ich nenne terwegs? keine Namen, sondern sage nur so viel: Fast jede Woche irgendwo. Ich habe zum Viele ehemalige Underground-Dubstep- Beispiel mit vier Freunden eine eigene DJs sind heutzutage hinter den Kulissen regelmäßige Clubnacht im Londoner La- sagenhaft erfolgreich als Produzenten den Plastic People. Erst ließen wir da der Superstars, bleiben aber anonym. ganz cool unsere Namen weg. Blöd nur, Beim ersten Anzeichen von Erfolg haben dass dann auch kaum einer kam. 30 Leu- die jegliche Leidenschaft und Kreativität te vielleicht am ersten Abend, ein De- aufgegeben und stumpf auf Autopilot saster. Dann packten wir meinen Namen umgeschaltet. Die lassen als DJs heimlich auf die Plakate, und seitdem platzt der schon vorprogrammierte Sets laufen und Laden regelmäßig aus allen Nähten. gehen auch sonst kein Risiko mehr ein. Popu lär zu sein hat schon Vorteile. Und ja, die dürfen sich gern beschweren über mich und meine Musik. Wollen Sie Ihr Publikum erziehen? James Blake: „Overgrown“ (Universal). Nein, das ist eine idiotische DJ-Attitude, die ich noch nie mochte. Ich finde es

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