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Der „Sandgrund-EEuchilus“ ist eine Naturhybride!

Anmerkungen zu Cheilochromis euchilus und Chilotilapia rhoadesii

Andreas Spreinat auch andere Wulstlippen-Buntbarsche aus dem Malawisee, nur ansatzweise die eindrucksvolle Lippenform der freilebenden Artgenossen aufwei- Im November 1990 fotografierte ich Fische in der sen. Somit dürfte ein Zusammenhang zwischen der Hälterungsanlage von Stuart Grant, dem im Okto- Art der Nahrungsaufnahme und der Ausbildung ber 2007 verstorbenen Malawisee-Fischexporteur. der Wulstlippen nahe liegend sein. Seine einheimischen Angestellten brachten mir einen etwas eigenartigen Fisch, der zwar ein Vor diesem Hintergrund erschienen mir die An- Zeichnungsmuster wie Cheilochromis euchilus gaben der Fischfänger plausibel, und ich veröffent- aufwies, aber die für diese Art so charakteri- lichte 1992 ein Foto des oben erwähnten Fisches stischen, hakenförmigen Wulstlippen nur andeu- und gab die erhaltenen Informationen weiter tungsweise zeigte. Zudem sah der Fisch auch etwas (Spreinat 1992): „In diesem Zusammenhang ist es „stumpfköpfiger“ und hochrückiger aus als die C. bezeichnend, dass nach den Informationen der euchilus, die ich bisher gesehen hatte. Zierfischfänger am Malawisee bei Cheilochromis euchilus, einer Art, die eine weite Verbreitung im Die Aquarienfischfänger berichteten, dass sie See aufweist, die Wulstlippen nicht oder nur an- Cheilochromis euchilus manchmal über Sandgrund satzweise bei den Exemplaren ausgebildet sind, die fangen würden und dass diese Tiere keine ausge- über Sandgrund gefangen werden. Den Zierfisch- prägten Wulstlippen hätten - so wie das mir stolz fängern ist dies bereits seit längerer Zeit bekannt, präsentierte Exemplar, von dem ich selbstverständ- und sie bezeichnen derartige Tiere dieser Art ein- lich einige Aufnahmen schoss. Normalerweise lebt fach als „Sandgrund-Euchilus“. Vergleicht man die die Art – das ist hinreichend bekannt - über felsigen beigefügten Aufnahmen, so kann man eigentlich und gemischten Untergründen und zeigt die oben nur erstaunt sein über ein solch hohes Maß an erwähnten Wulstlippen. Nun weiß man aber schon innerartlicher Variabilität beziehungsweise An- lange, dass in Aquarien gezüchtete C. euchilus, wie passungsfähigkeit.“ (Ende des Zitats.)

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Seite 197: 1990 am Malawisee foto- grafiert: Dieser ursprüng- lich als „Sandgrund- Euchilus“ bezeichnete Cichlide ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Naturhybride zwischen Cheilochromis euchilus und Chilotilapia rhoadesii.

Dasselbe Exemplar wie auf Seite 197 abgebildet: Beachte die angedeuteten Wulstlippen (= euchilus), die steile Stirn (= rhoade- sii) und die ansatzweise erkennbaren Querstreifen (= rhoadesii).

Sonderbare Wildfänge Kurze Zeit später erhielten Löfflad und Lepel zwei Es dauerte 17 Jahre, bis ich wieder einen solchen weitere derartige Hybriden, die von ihrem an der Fisch zu Gesicht bekam. Allerdings nicht am oder tansanischen Ostküste stationierten Fangteam im Malawisee, sondern in der Hälterungsanlage erbeutet worden waren. des auf ostafrikanische Buntbarsche spezialisierten Importeurs Helmut Löfflad (Cichliden-Stadel, Dass es sich um Hybriden und nicht um „Sand- Alerheim-Bühl). Dessen Mitarbeiter Thomas Lepel grund-euchilus“ handelt, lässt sich wie folgt ein- war der sonderbare Wildfang sofort aufgefallen, leuchtend begründen: Sowohl das 1990 von Grants weshalb er das Tier separat setzte. Als ich im Team gefangene Exemplar als auch die drei von September 2007 zu Besuch war, zeigte er mir den Lepel auf den vorangegangenen Seiten vorgestell- Buntbarsch. Allerdings, Lepel sah das Exemplar ten Exemplare zeigen mehr oder weniger interme- keineswegs als C. euchilus an, sondern als Misch- diäre (in der Mittel liegende) Eigenschaften, also ling zwischen C. euchilus und Chilotilapia rhoade- Eigenschaften zwischen denen der beiden Arten sii. Und damit hatte Lepel völlig Recht, wie heute Cheilochromis euchilus und Chilotilapia rhoadesii. für mich zweifelsfrei feststeht (vergleiche den vor- Lepel hat diese Merkmale bereits erwähnt, sie angegangenen Bericht von Lepel auf den Seiten seien der Vollständigkeit halber hier dargestellt: 193 bis 196).

Vollgefärbtes Nachzucht- männchen von Cheilochromis euchilus

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Intermediäre Eigenschaften betreffen die Lippen- Viel stärker wiegen aber die anderen, ebenfalls klar form, die Steilheit der Stirnlinie, die Körperhöhe intermediär ausgeprägten Merkmale der vier und das Zeichnungsmuster. Bei der Lippenform Naturhybriden. Die Stirnlinie verläuft bei Chilo- sind anhand der vier bekannten Exemplare sehr tilapia rhoadesii wesentlich steiler und die unterschiedliche Grade der Wulstlippen-Aus- Schnauze ist kürzer als bei Cheilochromis euchilus. prägung zu erkennen. Von nur wenig verdickten Bei einem Vergleich der Naturhybriden mit den Lippen bis kräftig entwickelten Hakenlippen ist beiden Elternarten fällt der „gemittelte“ Verlauf der eine breite Variabilität zu erkennen. Die Erklärung Stirnlinie sofort ins Auge. Die Stirn ist nicht so liegt auf der Hand: Je nachdem, ob sich mehr oder „bullig“ wie bei Chilotilapia rhoadesii, verläuft weniger die Gene von Cheilochromis euchilus aber dennoch steiler als bei Cheilochromis euchi- durchgesetzt haben, variiert dementsprechend die lus. Ähnliches gilt für die Körperform, genauer Lippenform. gesagt für die relative Körperhöhe, wobei hier die Varianz der vier Naturhybriden anscheinend so Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit Aqua- groß ist, dass ein so weiter Bereich abgedeckt wird, riennachzuchten könnte man an dieser Stelle argu- dass es sowohl eine Überlappung mit der großen mentieren, dass die Art der Nahrungsaufnahme für Körperhöhe von Chilotilapia rhoadesii als auch die unterschiedliche Ausbildung der Lippen ge- mit der relativ geringeren Körperhöhe von sorgt hat. Dagegen spricht aber bereits die Fest- Cheilochromis euchilus gibt (vgl. die Aufnahmen). stellung, dass zumindest die drei jüngst bekannt gewordenen Exemplare gemäß Mitteilung von Schließlich ist das Zeichnungsmuster zu erwähnen. Lepel über felsigem beziehungsweise gemischten Cheilochromis euchilus zeigt keine Querstreifen, Untergrund gefangen wurden - und nicht über bei Chilotilapia rhoadesii sind solche aber stim- Sandgrund. mungsabhängig deutlich zu sehen. Die Natur- hybriden zeigen alle mehr oder weniger stark angedeutete Querstreifen, wodurch sie sich von Nahezu ausgewachsenes Männchen von Chilotilapia Cheilochromis euchilus klar unterscheiden. rhoadesii; beachte die senkrechten Körperstreifen.

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Ausgewachsenes Wildfangweibchen von Cheilochromis euchilus.

Unten: Nachzuchtmännchen von Cheilochromis euchilus: Die Lippen sind nur ansatzwei- se entwickelt.

Es ist die oben genannte Kombination an Eigen- Sinn und Unsinn von Naturhybriden schaften, die nun an vier Exemplaren nachge- Während Hybridisation im Pflanzenreich recht wiesen wurden und die genau zwischen den beiden häufig unter natürlichen Bedingungen vorzukom- Arten liegen, was keinen Zweifel daran lässt, dass men scheint, dürften Naturhybriden unter Tieren es sich um Naturhybriden handelt. Und es ist das große Ausnahmen darstellen. Mitunter sind es nah Verdienst von Thomas Lepel, der die Mischlinge verwandte, eigentlich räumlich getrennte Arten, in als solche erkannte und nun erstmals in den DCG- deren Überlappungsgebieten Hybride (Bastarde) Informationen darauf aufmerksam macht. entstehen. Ein bekanntes Beispiel für eine natürli- che Bastardierung in Mitteleuropa betrifft den

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Chilotilapia rhoadesii: Weibchen (oder Männchen in Unterlegenheits- färbung?).

Unten: Relativ junges, aber bereits geschlechtsreifes Männchen von Chilotilapia rhoadesii mit starken gel- ben Pigmenten.

* Das „kl.“ steht für Klepton (griechisch Kleptos = Dieb), was sich auf die Tatsache bezieht, dass sich die Bastarde nur dann fortpflanzen können, wenn sie die Geschlechtszellen einer der Elternarten „steh- len“ (vergleiche Nöllert & Nöllert 1992: 313).

Teichfrosch (Rana kl. esculenta*, siehe Kasten Artbildung durch Hybridisierung nicht ausge- oben), der nach den vorliegenden Erkenntnissen schlossen. eine Hybridform aus den Elternarten Seefrosch (R. ridibunda) und Kleiner Wasserfrosch (R. lessonae) Erst vor Kurzem hat Roland F. Fischer in dieser darstellt. Laut Nöllert & Nöllert (1992: 313) beste- Zeitschrift (2008) über Naturhybriden, insbesonde- hen allerdings kaum Hinweise darauf, dass es sich re bei Fischen geschrieben, so dass hier keine wei- bei diesen Bastardfröschen um in der Entstehung teren Beispiele angeführt beziehungsweise keine begriffene Arten handelt. In der Evolutionstheorie weiteren allgemeinen Ausführungen gemacht wer- wird aber generell die theoretische Möglichkeit der den sollen.

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Bei diesem Exemplar, gefangen 1990 vor Chipoka, könnte es sich um einen Naturhybriden zwi- schen Nimbochromis poly- stigma und Nimbochromis linni handeln (beachte die Kopf- und Maulform).

ZumVergleich: Nimbochromis linni und …

...Nimbochromis polystigma

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Grundsätzlich muss man aber davon ausgehen, leicht eher wundern, dass bislang nicht mehr dass Bastardierungen in der Natur durch einen Naturhybriden gefunden geworden sind. „Irrtum“, quasi durch ein „Missverständnis“ ent- stehen. Diese Erkenntnis ergibt sich zumindest bei Mir selbst ist ansonsten nur noch ein weiteres bisexuellen Arten leicht durch die Beobachtung, Beispiel für einen Naturhybriden aus dem Malawi- dass ein großer Aufwand betrieben wird, um die see bekannt geworden. Es handelte sich um ein richtige Partnerwahl sicherzustellen. Anders for- Exemplar, das offensichtlich aus einer Paarung muliert: Jedes Weibchen, das artfremd befruchtet zwischen den nahverwandten Arten Nimbochromis wird, stellt für die betreffende Art einen Verlust an polystigma und N. linni hervorgegangen war; die Reproduktionspotential dar. Das gilt umgekehrt Schnauzenform war genau intermediär. Der Fisch auch für die Männchen, wenngleich die männli- war im Herbst 1990 von Grants Fängern bei chen Keimzellen mit deutlich geringerem Energie- Chipoka an der südlichen Westküste erbeutet wor- aufwand herstellbar sind und ein Verlust deshalb den (Spreinat 1993). nicht so schwer wiegt. Nichtsdestotrotz ist leicht erkennbar, dass jede Fehlpaarung einen Nachteil Kein Freibrief für Artenpanscher für die Arterhaltung darstellt und deshalb in der Das Auftreten von Naturhybriden ist in keiner Regel strikt vermieden wird. Weise als Argument zur Rechtfertigung von Bastard-Züchtungen in der Aquaristik geeignet. Unter bestimmten Bedingungen treten sie dann Wie gesagt, sind Naturhybriden Ausnahmen, ihr aber dennoch auf, die Naturhybriden. Und wenn Auftreten ist immer als Einzelfall zu werten. Es man berücksichtigt, dass der Malawisee als Le- wäre völlig abwegig zu argumentieren, Bastarde bensraum mit starker evolutiver Aktivität und als treten ja auch in der Natur auf, und der Züchter, der Spielwiese der Evolution bezeichnet wird, die unterschiedlichste Cichlidenarten durch Aus- innerhalb relativ kurzer Zeit viele Hundert, wenn nutzung sexuellen Notstandes miteinander ver- nicht über tausend endemische, engverwandte paart, würde ja nur der Natur etwas auf die Arten hervorgebracht hat, so muss man sich viel- Sprünge helfen.

Wildfangmännchen von Cheilochromis euchilus mit markant ausgeprägten Wulstlippen

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Dieses Nachzuchtweibchen von Cheilochromis euchilus zeigt nur schwach ent- wickelte Lippen.

Unten: Noch nicht voll ausgefärb- tes Cheilochromis-euchilus- Männchen. An diesem Nachzucht-Exemplar, das wie der „Sandgrund- Euchilus“ nur schwach ent- wickelte Wulstlippen auf- weist, erkennt man sehr gut den Unterschied zum „Sandgrund-Euchilus“ an der gestreckten Gestalt und der relativ flachen Stirn.

Man darf wohl davon ausgehen, dass es Naturhy- Erscheinungsbild. Vermutlich fallen die wenigen briden zwischen Cheilochromis euchilus und Chilo- Naturhybriden nicht weiter ins Gewicht. Falls sie tilapia rhoadesii nicht erst seit 1990 gibt. Dennoch sich mit Exemplaren der einen oder anderen Art haben sich durch das gelegentliche Auftreten von vermehren, so macht sich der Einfluss der jeweils Bastarden offenbar keine wesentlichen Verän- artfremden Gene in der Gesamtheit der Gene der derungen für die „Genpoole“ der beiden genannten jeweiligen Spezies offensichtlich nicht bemerkbar - Arten ergeben: Beide Arten existieren nach wie vor zumindest nach allem, was wir über diese beiden in der bekannten Form, mit dem gewohnten Arten heute wissen.

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Geschlechtsreifes Männchen von Chilotilapia rhoadesii.

Cheilochromis ist eine gültige Gattung! Chilotilapia rhoadesii, unterscheidet sich aber in Die Gattung Chilotilapia wurde bereits zu Beginn der Maulstruktur und Bezahnung.“ („This species des vergangenen Jahrhunderts eingeführt, mit appears to be closely related to Chilotilapia rhoa- Chilotilapia rhoadesii als einziger Art (Boulenger desii, but differs in the structure of mouth and den- 1908). Als Besonderheit und dementsprechend zur tition.“ Trewavas 1935: 95.) Begründung der neuen Gattung wurde die außerge- wöhnliche Bezahnung dieses spezialisierten 1989 erschien dann eine grundlegende Bearbeitung Molluskenfressers hervorgehoben. und Revision durch Eccles und Trewavas, in der für etliche bis zu diesem Zeitpunkt in der Sammel- Die Erstbeschreibung des euchilus wurde 1935 von gattung „“ geführte Malawisee- Trewavas in ihrer bekannten Synopse über die cichliden neue Gattungen geschaffen wurden Cichliden des „Lake Nyasa“ veröffentlicht. Die Art (Eccles & Trewavas 1989). Für das Taxon Haplo- wurde seinerzeit als Haplochromis euchilus auf der chromis euchilus TREWAVAS, 1935 wurde eine Basis von zwei Belegexemplaren von „Deep Bay“ monotypische Gattung eingeführt: Cheilochromis (nahe Chilumba) beschrieben. Schon damals wies euchilus heißt die Art von diesem Zeitpunkt an. Als Trewavas auf die Ähnlichkeit mit Chilotilapia rho- besondere Kennzeichen werden in der Diagnose adesii hin: „Diese Art erscheint eng verwandt mit das Zeichnungsmuster (zwei Längsstreifen), die

Chilotilapia rhoadesii: Halbwüchsiges Männchen; beachte die steile Stirnlinie.

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aufgeworfenen Wulstlippen sowie die vorderen, immer in natürlichen Populationen vorhanden sind, äußeren zweispitzigen Zähne angeführt. Durch veranlaßten den Autor, sie Chilotilapia zuzuord- diese Merkmalskombination ist dieser Buntbarsch nen.“ Den Grund, warum nach Konings Dar- – für jedermann gut nachvollziehbar – von allen stellung die „fleischigen Lippen“ auch in „natürli- anderen Malawiseebuntbarschen unterscheidbar chen Populationen“ nicht immer vorhanden sind, und die Einordnung in eine eigene (monotypische) kann man ein paar Zeilen höher erfahren: „Bei Gattung gut begründet. Tieren, die vom Sand fressen (wie in Senga Bay; Grant, persönliche Mitteilung), fehlt jedes An- In der gleichen Arbeit weisen die genannten zeichen von verdickten Lippen.“ Autoren auch auf die Einzigartigkeit der breiten Zahnbänder mit den stumpfen, abgerundeten Konings bleibt einen direkten Beweis für diese Zähnen von Chilotilapia rhoadesii hin und unter- Aussage schuldig, denn er veröffentlicht keine Ab- streichen damit nochmals (trotz der ausdrücklich bildung eines über Sandgrund gefangenen bezie- erwähnten Ähnlichkeit der Art mit Cheilochromis hungsweise über Sandgrund fotografierten euchilus, euchilus), die Notwendigkeit einer Einteilung in so dass man prüfen könnte, ob es sich tatsäch- eine eigene Gattung. lich um einen artreinen euchilus und nicht um einen Naturhybriden handelt, sondern bezieht sich So weit, so gut, könnte man meinen. Unverständ- allein auf die Mitteilung von Grant. In der Folge- licherweise vertritt Konings (1992: 135) kurze Zeit zeit führt Konings in seinen diversen Buch- nach der oben genannten grundlegenden Veröffent- publikationen immer wieder die obige Argumen- lichung von Eccles & Trewavas die Ansicht, dass tation in mehr oder weniger abgewandelter Form Cheilochromis euchilus besser in der Gattung an, um die Einordnung von Cheilochromis euchilus Chilotilapia aufgehoben ist. Zur Begründung führt in die Gattung Chilotilapia zu rechtfertigen. In Konings an: „ … ihre große Ähnlichkeit mit einer seiner jüngeren deutschen Buchpublikationen Chilotilapia rhoadesii und die Tatsache, daß eines der Hauptmerkmale, die fleischigen Lippen, nicht Direkt von vorne ist das breite, stumpfe Maul von Chilotilapia rhoadesii am besten erkennbar.

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formuliert Konings: „Manchmal wird Ch. euchi- Falsches Kriterium lus in Strandnetzen über reinem Sandboden gefan- Man muss an dieser Stelle aber klarstellen, dass gen. Interessanterweise fehlen solchen Tieren die auch die hypothetische Existenz artreiner, freileben- geschwollenen Lippen …“ (Konings 2001). Einen der, wulstlippenloser Euchilus überhaupt kein Beleg für diese Aussage bleibt der Autor aber auch Argument dafür darstellt, die Art in die Gattung diesmal schuldig; eine Abbildung eines freileben- Chilotilapia einzugliedern. Chilotilapia rhoadesii den, wulstlippenlosen euchilus wird in all den unterscheidet sich von allen anderen Malawisee- Jahren nicht ein einziges Mal publiziert, auch buntbarschen durch seine ungewöhnliche Bezah- nicht in der jüngsten englischen Publikation nung. Diese war und ist der Grund für die Auf- (Konings 2008). stellung der monotypischen Gattung Chilotilapia, nicht etwa die „Wulstlippenlosigkeit“ von Chilo- Es liegt deshalb der Verdacht sehr nahe, dass es tilapia rhoadesii im Vergleich zu Cheilochromis sich auch bei den von Konings angeführten, sand- euchilus! bewohnenden Cheilochromis-euchilus-Exemp- laren um Naturhybriden handelt und seine Er- Dass die beiden Arten, Cheilochromis euchilus und kenntnis nur auf vereinzelten Individuen oder Chilotilapia rhoadesii eng verwandt sind, ist hinrei- sogar allein auf der Mitteilung von Grant bezie- chend bekannt; Trewavas wies schon vor 73 Jahren hungsweise dessen einheimischer Fänger basiert. darauf hin (Trewavas 1935). Folglich wäre Konings’ Begründung zur Ein- Das Auftreten von Naturhybriden unterstreicht die ordnung des euchilus in die Gattung Chilotilapia enge Verwandtschaft, ist aber im übrigen auch kein komplett hinfällig. Argument für eine Zusammenfassung der beiden Arten in die Gattung Chilotilapia. Eine Zusammen- fassung der beiden Arten in die Gattung Chilo- tilapia würde zuallererst eine Neudefinition dieser Beachte die hakenförmige nach unten und oben aus- Gattung notwendig machen. gezogenen Wulstlippen dieses Cheilochromis-euchilus- Dafür besteht aber überhaupt kein Grund. Mit der Wildfangs.

Fotos: Andreas Spreinat

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Einteilung der beiden jeweils für sich sehr unge- Fischer, R. F. (2008): Der „kleine Unterschied“: Anmerkungen wöhnlichen und hochspezialisierten Arten in zur Selektions- und Bastardzucht (2. Teil). DCG-Informationen monotypische Gattungen wird der stark unter- 39 (3), 49–60. Konings, A. (1992): Konings Buch der Cichliden und aller ande- schiedlichen evolutionären Entwicklung beider ren Fische des Malawisees. Bede, Kollnburg, 495 pp. Arten – auch im Vergleich mit Arten anderer – (2001): Malawi-Cichliden in ihrem natürlichen Lebensraum. Gattungen dieses Sees - in taxonomischer Hinsicht Press, El Paso, USA, 3. Auflage, 352 pp. nachvollziehbar Rechnung getragen. – (2008): Malawi in their natural habitat. Cichlid Press, El Paso, USA, 4. Edition, 424 pp. Nöllert, A. & C. Nöllert (1992): Die Amphibien Europas. Man muss sich demgegenüber fragen, welches Bestimmung – Gefährdung – Schutz. Franckh-Kosmos, taxonomische Problem Konings mit seiner willkür- Stuttgart, 382 pp. lichen Umstellung von Cheilochromis euchilus in Regan, C. T. (1922): The cichlid fishes of Lake Nyasa. Proc. die Gattung Chilotilapia lösen will, wenn es doch zool. Soc. Lond. (1921), 675–727. Snoeks, J. & M. Hanssens (2004): Identification guidelines to gar kein Problem gibt. other non-mbuna. In: J. Snoeks (Ed.): The cichlid diversity of Die Ichthyologen Turner (1996: 190) sowie Snoeks /Nyasa/Niassa: identification, distribution and taxo- & Hanssens (2004: 273), die sich intensiv mit den nomy. Chapter 11, 266–310. Cichlid Press, El Paso, USA. Fischen des Malawisees befasst haben, sehen das Spreinat, A. (1992): Lichnochromis acuticeps. Zur biologischen Funktion seiner ungewöhnlichen Kopfform und der Wulstlippen wohl ähnlich. In ihren Büchern wird der euchilus anderer Cichliden. In: Buntbarsch Jahrbuch 1993, Ruhmanns- selbstverständlich als Cheilochromis euchilus felden, 28–33. geführt. – (1993): Die Gattung Nimbochromis ECCLES & TREVAWAS, 1989. In: Buntbarsch Jahrbuch 1994, Ruhmannsfelden, 15-24. Trewavas, E. (1935): A synopsis of the cichlid fishes of Lake Literatur Nyasa. Ann. Mag. nat. Hist. 10 (16), 65–118. Boulenger, G. A. (1908): Diagnoses of new fishes discovered by Turner, G. F. (1996): Offshore Cichlids of Lake Malawi. Cichlid Capt. E. L. Rhoades in Lake Nyasa. Ann. Mag. nat. Hist. 2 (8), Press, Lauenau, 240 pp. 238–243. Eccles, D. H. & E. Trewavas (1989): Malawian cichlid fishes. The classification of some genera. Lake Fish Dominante Männchen von Cheilochromis euchilus sind Movies, Herten, 334 pp. einfarbig blau gefärbt. Ein Zeichnungsmuster ist bei diesen Exemplaren nicht mehr zu erkennen.

Foto: Erwin Schraml

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Kurzsteckbrief Kurzsteckbrief Cheilochromis euchilus (TREWAVAS, 1935) Chilotilapia rhoadesii BOULENGER, 1908

Foto: Erwin Schraml

Cheilochromis euchilus ist im Malawisee weit ver- Chilotilapia rhoadesii wurde bereits 1908 von breitet, aber nirgends häufig anzutreffen. Man fin- Boulenger beschrieben und aufgrund seiner außer- det die knapp 20 Zentimeter lang werdende Art gewöhnlichen Bezahnung in eine eigene Gattung meist einzeln, seltener auch zu zweit, vorzugsweise gestellt. Es handelt sich um einen hochspezialisier- über felsigen und gemischten Untergründen, wo ten Schneckenfresser, der etwa 20 bis 25 Zenti- sie zumeist im Flachwasser auf der Suche nach meter, mitunter auch bis 30 Zentimeter lang wird. Nahrung umherzieht. Auffällig sind die steile Stirn und das breite, stumpf wirkende Maul, was der Art einen „bulligen“ Charakteristisch sind die wulstigen, hakenförmig Charakter verleiht. nach oben und unten verlängerten Lippen in Ver- bindung mit dem Längsstreifenmuster, das beson- ders deutlich bei Jungtieren und Weibchen zu sehen ist. Dominante Männchen können einfarbig blau werden; das Zeichnungsmuster ist dann nicht mehr erkennbar. Die Art ernährt sich von Klein- tieren und Aufwuchs; Beobachtungen im natürli- chen Lebensraum zeigen, dass C. euchilus häufig Felsoberflächen „abgrast“. Den wulstigen Lippen könnte dabei eine Dichtungsfunktion zukommen: kleinere Wirbellose könnten auf diese Weise regel- recht eingesaugt werden.

Cheilochromis euchilus ist aquaristisch seit langem Fotos: Andreas Spreinat bekannt. Die Art wird hin und wieder eingeführt und auch nachgezüchtet. Die Nachzuchten zeigen keine so prächtig ausgebildeten Wulstlippen wie C. rhoadesii besiedelt sandige und mit Pflanzen die Wildfänge; bei ihnen sind Wulstlippen nur an- bestandene Bereiche bis in Tiefen von mindestens satzweise zu erkennen. Vermutlich hat die Art der 45 Meter. Männchen sind in der Regel territorial Nahrungsaufnahme wesentlichen Einfluss auf die und verteidigen Reviere. Weibchen und nicht-terri- Entwicklung der Lippen. toriale Männchen leben einzeln oder in Gruppen.

Die Gattung Cheilochromis ist monotypisch. Auch Chilotilapia rhoadesii ist aquaristisch schon Cheilochromis euchilus unterscheidet sich von lange sowie gut bekannt und bereits häufig nachge- allen anderen Buntbarschen des Malawisees durch züchtet worden. Dominante Männchen werden die unverwechselbare Kombination aus Wulst- gelb-blau, manchmal auch einheitlich metallisch- lippen und typischem Zeichnungsmuster. blau.

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