16 ATHLETEN

Bachelorarbeit „Zielphotographie“ Kathleen Friedrich war in den 1990er und frühen 2000er Jahren eine der bes- ten deutschen Läuferinnnen „Ich habe damit auf der Mittelstrecke. In ihrem Leben nach dem Sport widmet sich die 38-jährige Potsdamerin der Fotografie. meine persönliche Ihren Bachelorstudiengang „Europäische Medienwis- senschaften“ hat sie mit einer Arbeit abgeschlossen, Brücke geschlagen“ die ihr altes und ihr neues Leben miteinander verbindet. Deren Thema: „Zielphoto- graphie in der Leichtathletik“.

Kathleen Friedrich, wie würden Sie den folgenden Satz weiterführen: „Leichtathletik und Fotografie sind für mich … ?“ … meine beiden Leidenschaften. Und auch in der Leichtathletik untrennbar miteinander verbunden.

Zum Abschluss Ihres Bachelorstudiums haben Sie beide Leidenschaften in ihrer Bachelorarbeit mit dem Thema „Ziel- photographie in der Leichtathletik“ zu- sammengebracht. Wie kam es dazu? Ich habe damit meine persönliche Brücke geschlagen – von meinem zurückliegenden Leben hin zu meinem neuen. Ich bin z. B. inner- halb der Fotografie viel intuitiver geworden, als ich es während des Sports war. Dort lief alles nach Plan ab, aber mit meinem Studi- um und mit der Entwicklung hin zur Fotografie rückte die Intuition viel stärker in den Mittelpunkt..

Welche Rolle hat die Fotografie wäh- rend Ihrer Zeit als aktive Leichtathletin für Sie gespielt? Bereits in meiner Kindheit hat das Gestalterische bei mir eine große Rolle gespielt. Einer meiner Berufs- wünsche war es zum Beispiel, Mode- designerin zu werden. Das Verlan- gen zum Fotografieren kam aber erst relativ spät, weil ich lange Zeit eigentlich Rechtsanwältin werden wollte (lacht). Ich hatte mich dann aber so stark auf den Sport „fokus- siert“ – um mit schönen Wörtern zu spielen –, dass nebenher nicht viele andere Dinge Platz hatten.

Zielfotografie ist aus Haben Sie in Ihrer Karriere mal vom der heutigen Welt der Zielfoto profitiert? Oder auch anders- Leichtathletik nicht mehr herum: Lagen Sie bei einem Zielfoto- wegzudenken. Entscheid auch mal hinten? Ja, beides ist passiert (lacht). 1996 war ich als Jugendliche bei den Deutschen Meisterschaften in Erfurt. Dort habe ich mit zwei Hundertsteln vor

Fotos: Getty Images (1), IMAGO/Chai v.d. Laage Privat (1) gewonnen und bin Deutsche 17

Jugendmeisterin geworden. Im durch seine Reihenfotografie die selben Jahr sind wir beide dann zu Auflösung lieferte und beweisen Kathleen Friedrich den Junioren-Weltmeisterschaften konnte, dass es tatsächlich einen wurde von 2000 bis 2004 fünf Mal nach gefahren. Dort hat Moment gibt, in dem alle Beine Deutsche Meisterin. Claudia Gesell über 800 Meter gleichzeitig in der Luft sind, wur- nach einem Zielfoto-Entscheid den Pferde im Galopp auf Bildern gewonnen – dieses Mal mit zwei immer mit einem Bein auf dem Hunderts teln Vorsprung vor mir. Boden dargestellt.

Kommen wir zu Ihrer Arbeit: Eine Die Untersuchungen von Muybridge wesentliche These darin lautet, dass führten dazu, dass schnelle Bewe- die Entwicklungen im Sport, die zur gungen auf einem Foto festgehalten Einführung der Zeitmessung und der werden konnten. Die ersten Zielfotos Zielfotografie führten, auf gesellschaft- gab es dann ja auch bei Pferderennen. lichen Veränderungen basierten, allen Ja, das hat vor allem etwas mit der voran der industriellen Revolution. Geschwindigkeit der Pferde zu tun, Wie kamen Sie zu diesem Ansatz? mit der Trägheit des Auges und der Während meiner Recherchen habe Schwäche, räumliche Unterschiede ich festgestellt, dass der Topos bei diesen Geschwindigkeiten nicht „Rekord“ im deutschen Sprach- ausmachen zu können. Und natür- gebrauch erst gegen Ende des lich ging es bei Pferdewetten auch 19. Jahr hunderts auftrat. Meine um sehr viel Geld. Die Veranstal- Überlegung war, dass dahinter ja ter konnten es sich nicht erlauben, eine Idee stecken musste und ich falsche Entscheidungen zu treffen. habe mich gefragt, wo diese Idee herkam, Rekorde und Werte festzu- In der Leichtathletik erlebte die Ziel- halten und miteinander zu verglei- fotografie ihre erste offizielle Eintra- chen. In diesem Zusammenhang bin gung in die Geschichtsbücher bei den ich auf die industrielle Revolution Olympischen Spielen 1912 in Stock- gestoßen. Denn dort ging es ja auch holm. Und wie es der Zufall will, so- um vergleichbare Werte – jedes Jahr gar in ihrer ehemaligen Disziplin, den sollte mehr produziert werden, als 1.500 Metern … im vorangegangenen Jahr. … genau (lacht). So viel dann auch zum Thema Intuition. Es kamen Wie sahen die Anfänge der Zielfoto- schon einige glückliche Umstände grafie im Sport aus? Der Name des briti- zusammen, wodurch ich gemerkt schen Fotografen Eadweard Muybridge habe: Das Thema ist wie maßge- spielt da ja eine zentrale Rolle. schneidert für mich. Es war wirk- Die Diskussion, in die Eadweard lich schön, als ich gesehen habe, Muybridge verwickelt war, hatte dass die allererste Zielfoto-Ent- mit Sport zunächst gar nicht viel zu scheidung in der Leichtathletik tun. Es ging dabei um die Frage, ob über 1.500 Meter – der Männer – ein Pferd in vollem Galopp und in getroffen wurde. einer Phase mit allen Hufen gleich- zeitig vom Boden abhebt. Das war Sie nennen das Zielfoto „ein Doku- Erfolg, weil in diesem Fall die Ent- bekam die Goldmedaille. Ich weiß in der Gesellschaft und auch in der ment im Sinne eines Beweisstückes“. scheidung des Renngerichts nicht noch, dass ich das total ungerecht Kunstgeschichte ein lange wäh- Können Sie das genauer erläutern? anfechtbar gewesen sei. Der interes- fand. Das Zielfoto war hier wich- render Streit. Bevor Muybridge Ich habe das an einer Stelle anhand sante Punkt ist: Foto ist nicht gleich tiger als der Wunsch der Athleten. eines Beispieles beschrieben. Bei Foto. Dem Zielfoto, das automatisch den Olympischen Spielen 1912 in ausgelöst wurde und bei dem kein Ist die Zielfotografie mittlerweile per- Stockholm kam es zu einem öffent- Mensch drumherum stand, wurde fekt ausgereift? lichen Eklat über den Ausgang der eine höhere Beweiskraft zugeord- Perfekt mit Sicherheit noch nicht. 4 x 100-Meter-Staffel der Männer. net, als einem Foto, das mitten auf Im Fazit meiner Arbeit verweise ich Die deutsche Staffel hatte Ambi- der Bahn geschossen wurde. auf langwierige Diskussionen der tionen auf Gold. Beim vorletzten Kampfrichter bei sehr engen Zielein- Wechsel musste der deutsche Läu- Eine Anekdote aus Ihrer Arbeit über den läufen. Ich denke, dass es möglich fer abstoppen, um innerhalb der Wettkampf über 50 Kilometer Gehen der ist, Entscheidungsprozesse zu be- Wechselzone zu bleiben. Der deut- Männer bei der Leichtathletik-WM 1991 schleunigen und die Technik zu per- sche Schlussläufer holte die vor ihm in Tokio zeigt, dass es auch mit Zielfoto fektionieren. Dabei bin ich mir aber liegenden Staffeln aus Schweden nicht immer gerecht zugehen muss. ziemlich sicher, dass die Entwicklung und England aber noch ein. Dennoch Das ist tatsächlich ein Bild, an das ich in die Richtung 3D-Zielfoto geht. Es sprach der Zielrichter England den mich aus meiner Kindheit erinnern ist in sämtlichen medialen Bereichen KATHLEEN FRIEDRICH Sieg vor Deutschland zu. Diese Ent- kann. Die beiden Geher Aleksander ein Thema und war ja auch schon LAC /SC scheidung wurde dann aber durch Potaschow und Andrey Parlov sind eins innerhalb der Zielfotografie. Geboren: 13. Juli 1977 das Zielfoto korrigiert und Deutsch- damals Arm in Arm ins Ziel gegangen Bei den Olympischen Spielen 1936 Geburtsort: Potsdam land war Olympiasieger, wurde dann und wurden auch mit der gleichen in Berlin wurden den Kampfrichtern Disziplinen: Mittelstrecke (Haupt- disziplin: 1.500 Meter) aber doch noch aufgrund des angeb- Zeit gewertet. Beide fühlten sich bereits Zielfotos in 3D vorgeführt. Persönliche Bestleistung: 1.500 m: lichen Wechselfehlers disqualifi- als Sieger und haben die Leistung Diese Entwicklung, so meine These, 4:04,27 min, 800 m: 2:01,45 min ziert. Deutschland legte Protest ein, des anderen anerkannt. Das war ist durch den Zweiten Weltkrieg un- Erfolge: 5 x Deutsche Meisterin und ein auf der Bahn geschossenes für mich die Aussage dieses Bildes. terbrochen worden. Ich bin aber ab- (2000–2004), 2 x Deutsche Hallen- Bild konnte auch belegen, dass der Allerdings wurde dann das Zielfoto solut davon überzeugt, dass 3D in der meisterin (2002, 2004), Vize-Junioren- Wechsel korrekt abgelaufen war. herangezogen und Potaschow wurde Zielfotografie wieder zum Thema weltmeisterin (800 m) 1996 Dieser Protest hatte aber keinen am Ende als Sieger geführt und werden wird. Interview: Daniel Becker