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Von »Old Media« zum interaktiven Radio?

Julia Lorke

Man startet gemeinsam in den Tag, sobald der Ra­dio­ Charakter zu bewahren. Es scheint also häufig so, als wecker klingelt, man liest gemeinsam Zeitung und würde man als Hörer tatsächlich Zeit mit den Mode­ fährt gemeinsam zur Arbeit. Spätestens zur Rush ratoren­ der Radiosendung verbringen. Aller­dings Hour trifft man sich im Auto wieder, kocht gemein- scheint die Kommunikation hier eher unidirektional sam, geht zu Bett und ist am nächsten Morgen, wenn zu sein, und das ist eine eher wenig attraktive Kom­ der Wecker klingelt, wieder vereint. Die Rede ist hier munikationsform in zwischenmenschlichen Bezieh­ nicht von zwischenmenschlichen Beziehun­gen son- ungen.­ Dank des technologischen Fort­schritts sind dern es geht um die Beziehung zwischen dem Radio jedoch auch im Bereich von Radio und seinem Pub­ und seinen Hörern. Radio wird nicht umsonst als likum vielfältige Kommu­nikations­ for­ ­men möglich. Dr. Julia Lorke Imperial College „the intimate medium“ bezeichnet, denn Radio be- Nach Tiziano Bonini lässt sich die historische Ent­ London gleitet uns in Alltagssituationen, sogar solche, die wir wicklung der Beziehung des Mediums Radio zu sei- MSc Science Communication sonst nur mit unserem Partner oder unserer Familie nem Publikum in vier Phasen einteilen (siehe Tabelle 1). South Kensington verbringen. Aber selbst wenn wir ganz alleine Radio Diese Phasen zeigen deutlich, wie technologi- Campus - oder natürlich Podcasts – hören werden wir meist sche Entwicklungen dazu beigetragen haben, dass London SW7 2AZ +49 2821 8067 39730 direkt angesprochen von den Moderatoren. Zudem neue Kommunikationsformen fürs Radio möglich [email protected] sind Radiosendungen häufig live, oder zumindest als wurden. Durch Smartphones und Social Media kann „as-live“-Format produziert, um genau diesen live- das Publikum nun nicht mehr nur passiver Kon­ *Vortragsmanus- kript (gehalten auf sument sein, sondern aktiv zur Programmgestaltung der Frühjahrsta­- beitragen. Mehr Partizipation aufseiten des Publi­ gung des vfm am Phasen Merkmale 25. April 2017) kums, hat aber auch Konsequenzen für die Tätigkeit von Pro­duzenten und Redakteuren, so gewinnt bei 1) 1920-1945 - Propagandainstrument interaktiven Formaten das Kuratieren an Bedeutung. - Medium für Bildungs- und Zudem ermöglichen Plattformen wie , Twit­ Erziehungszwecke ter & Co die direkte Kommunikation zwischen Radio­ - Publikum ist unsichtbar für machern­ und Hörern außerhalb der Sendezeit. Radiomacher und vice versa Wie so oft ist also in der Theorie vieles möglich, Leserbriefe - aber finden diese Möglichkeiten wirklich Eingang in => top-down/ one -to-many unseren Alltag? Sind wir wirklich schon in Phase 4 broadcast angekommen? Sind die Tage des einsamen Radioma­ 2) 1945-1994 - Transistorradio erhöht Mobilität chers, der seiner anonymen, passiven Hörerschaft Freie Radiosender, Piratensender - Nachrichten ins Ohr spricht, wirklich gezählt? Wird Call-ins - das Potential von Social Media zur Interaktion zwi- 3) 1994-2004 - Citizen journalism schen Radiomachern und Hörern für einen echten - Email­, ­Textnachrichten Dialog mit ihrem Publikum oder lediglich als kosten- - Podcasttechnologie günstiges Marketinginstrument genutzt? 4) 2004-heute - Social network sites (social Diesen Fragen bin ich in meiner Abschlussarbeit media) im Rahmen meines „Science communication“- Master- => Kommunikationsformen: ­studiengangs­ am Imperial College London nachge- horizontal; one-to-one, one-to- gangen und zwar an einem konkreten Beispiel: Ra­ many, many-to-one und many- diosendun­ gen­ rund um Technologie und Wissen­ to-many schaft. Aus der Perspektive der Wissenschafts­kom­ AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG 49

Abbildung 1: Screenshots der ana- lysierten Websites munikation tangiert diese Fragestellung einen zen- Neben Unterschieden in Bezug auf die Dauer der ­tralen akademischen Diskurs. So hat in der Theorie Verfügbarkeit von Streaming- und Downloadan­ge­ der Wissen­schaftskommunikation ein Paradigmen­ boten sowie der Bandbreite und Regelmäßigkeit von wechsel vom Defizit-Modell zum Dialog-Modell statt- Multimediainhalten, zeigten sich auch unterschiedli- gefunden. Die Frage ist nun, inwieweit sich jedoch che Social-Media-Strategien. Während Programm­ traditionelle Formate wie Radioprogramme zu Natur­ websites von Deutschlandfunk einheitlich auf die wissenschaf­ ­ten und Technik dem Dialog zwischen Social Media Accounts des Senders linkte, wirkte die Experten und Gesellschaft öffnen. Gerade durch den Verlinkung von Social Media Accounts auf den Fokus auf ein bestimmtes Themengebiet macht hier Programmwebsites der BBC eher willkürlich (Tabelle 2). eine Analyse auf Programmebene mehr Sinn als auf Generell linken aber alle Programmwebsites, au- Senderebene. ßer die des Nature Podcasts, zu Social Media Ac­ counts. Bis auf eine Ausnahme sind die Accounts je- VERGLEICHENDE WEBSITENANALYSE doch nicht programmspezifisch, sondern Accounts des Senders, der Moderatoren oder allgemeinere Ein erster Anlaufpunkt für Hörer, um mit einem Radio-­ Facebook-Newsseiten. Click ist die einzige Sendung, programm online zu interagieren, ist die Web­site der die zu einer programmspezifischen Präsenz linkt. Tabelle 1: Die histori- entsprechenden Sendung. Im Rahmen der Studie habe Bei der Listeners Gruppe handelt es sche Entwicklung der Beziehung zwischen ich im Zeitraum Juli-August 2015 Websites der folgen­- sich um eine Facebook-Gruppe, die von Hörern initi- Radio und seinem den neun Radioprogramme und eines Podcasts ana- iert wurde und zu der der Moderator der Sendung Publikum (verändert nach Bonini, T., 2014. lysiert. erst nachträglich Administratorrechte bekommen The new role of radio hat. Diese Sonderstellung von Click gab Anlass dazu, and its public in the age BBC Radio 4: of social network sites. die Interaktionen zwischen dem Click-Team und den First Monday, Volume • Inside Science Click-Hörern genauer zu untersuchen. Vergleichend 19, Number 6) BBC World Service: dazu wählte ich Inside Science aus, da es in dieser Tabelle 2: Links zu • Click Sendung zweimal im Jahr eine Sonderausgabe gibt, Social Media Accounts • Science in Action in der Experten Fragen der Hörer beantworten. Diese auf den Programm­ • Health Check websites Deutschlandfunk • Sprechstunde Programm Facebook • Wissenschaft im Brennpunkt Health Check BBC World Service (Page) BBC World Service • Computer und Kommunikation Click (vormals Digital Planet Listeners (Group) Presenter, Producer & Co-Host RBBradioeins • Die Profis Digital Planet) DRadio Wissen Inside Science - BBC Radio 4 • Hörsaal Science in Action BBC Science News (Page) BBC Science Nature Podcast 50 AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG info7 2|2017

Facebook-Seiten/Gruppen BBC Science News Digital Planet Listeners

• 234283 Follower • 9236 Mitglieder • 77 Posts • 59 Posts (18 Mitglieder) • 363 Kommentare & 3440 likes • 414 Kommentare & 643 likes

Tabelle 3: Ergebnisse • 323 geteilte Beiträge • : der Analyse der • 1 Kommentar von BBC Science News 4 Posts & 11 Kommentare Hashtags­ der Radiosendungen • 23 Posts über die STEM- Radioprogramme • 2 Posts Audience Engagement

Hashtags

#BBCInsideScience #BBCClickRadio

124 (106+ 18 Antworten) 44 (40 + 4 Antworten) 15 vom Moderator 9 vom Moderator 11 von anderen BBC-Mitarbeitern 8 vom Co-Moderator 0 vom Producer 6 vom Producer Tabelle 4: 5 von Gästen 4 von Gästen Ergebnisse des Vergleichs der BBC Science News 60% Promotion 9% Promotion Facebook-Page und 27% Behind the scenes 74% Behind the scenes der Digital Planet Listeners Facebook- 13% Antworten 17% Antworten Gruppe 0% Audience Engagement 0% Audience Engagement

fand auch im Untersuchungszeitraum von April bis Click-Team Twitter eher zu nutzen scheint, um Ein­ Juni 2015 statt. Die Hörer wurden in den Sendungen blicke hinter die Kulissen der Sendung zu geben. zwar aufgefordert, über Email und Twitter in Kontakt Alternativ zur Interaktion über Hashtags, er- zu treten, allerdings wurden nur in 2 von 12 regulä- möglicht Twitter auch den direkten Kontakt mit den ren Sendungen Kommentare der Zuschauer in die Moderatoren der Sendung. Der Vergleich der Akti­ Sendung aufgenommen. Click hingegen fordert Hörer vitäten der Moderatoren auf Twitter am Tag der er- auf, über die Facebook-Gruppe oder Twitter in Kon­ sten Ausstrahlung der wöchentlichen Sendung und takt zu treten. Hörerbeiträge wurden im Untersu­ dem Tag danach zeigt, dass Adam Rutherford (Inside chungszeitraum­ zwar nicht in die eigentliche Sen­ Science) deutlich aktiver ist als Gareth Mitchell dung aufgenommen, aber in die Podcast-Extras und (Click). Diese Suche nach @AdamRutherford ergab das in 11 von 12 Episoden. Im Rahmen des Podcasts 366 Tweets in zwei Tagen, davon waren 60 Tweets wurden auch Livestreams über Periscope angekün- vom Moderator selbst gepostet. Im Vergleich dazu er- digt. Inter­ak­tio­nen mit den Hörern scheint also bei gab die Suche nach @GarethM nur 22 Tweets, davon Inside Science eher eine Ausnahme im Rahmen der sind allerdings 10 vom Moderator selbst. 32% der eigentlichen Sendung zu sein, während es bei Click Tweets von Adam Rutherford beziehen sich auf die ein fester Bestandteil des Podcasts ist. Radiosendung, bei Gareth Mitchell sind es 70%. Twitter wird also von beiden Moderatoren genutzt, CASE STUDIES um über die Radiosendung zu kommunizieren. Twit­ ter hat demnach Potential als Kommunika­tionsplatt­ ­ Eine Analyse der Tweets mit den Hashtags der Pro­ form für Moderatoren. Dabei ist einerseits eine hohe gramme #BBCInsideScience und #BBCClickRadio über Aktivität der Moderatoren auf Twitter aus Hörersicht den Zeitraum von zwölf Wochen, zeigt deutliche Un­ sicherlich erwünscht, allerdings stellt sich die Frage, terschiede. #BBCInsideScience ist deutlich aktiver ob die Aktivität wie im Fall von Adam Rutherford als #BBCClickRadio (Tabelle 3). Der Anteil der Tweets nicht auch zu hoch und zu wenig auf die Sendung be- vom Click-Team ist allerdings höher als der vom In­ zogen sein könnte, um Hörer zum Folgen und zur side Science-Moderator. Eine qualitative Analyse zeigt, Interaktion auf Twitter anzuregen. Die fehlenden Au­ dass der Schwerpunkt der Tweets bei Inside Science dience Engagement-Aufrufe und der geringe Anteil auf der Promotion der Sendung liegt, während das von Antworten zeigen vielleicht an, dass Twitter Von »Old Media« zum interaktiven Radio? AUS WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG 51

nicht die beste Plattform für horizontale Kommuni­ Einstellungen der Radiomacher abhängen: kation innerhalb einer Community ist. “To me there is no point in radio unless people Auf den BBC Websites wird, etwa im Fall von are interacting and being involved. It enhances Science in Action, auf die Facebook-Page BBC Science the programme. Radio should be a conversatio­ News verlinkt und im Fall von Click auf die Digital nal, interactive medium. Luckily the social me­ Planet Listeners (DPL)-Facebook-Gruppe. Nicht über- dia has come along and allows us to do that.” raschend ist hier, dass die News-Page deutlich mehr Gareth Mitchell, 2015 Follower hat als die DPL-Facebook-Gruppe, dement- sprechend höher ist auch die Anzahl der Likes Gerade bei öffentlichen Radiosendern stellt sich die (Tabelle 4). Die Anzahl der Posts im Untersuchungs­ Frage, wie man den Zugang zur Interaktionsplattform zeitraum war hingegen auf einem ähnlichen Level, sicherstellt. Will man sich von Drittanbietern abhän- mit 77 Posts in BBC Science News und 59 Posts von 18 gig machen oder gibt es dazu eigentlich schon keine verschiedenen Mitgliedern der DPL-Gruppe. Die Alternative mehr? Anzahl der Kommentare war mit 414 sogar höher in Auch rechtliche Regelungen sind ein interessan- der DPL-Gruppe als mit 363 auf der News-Page. Der ter Aspekt. Wer hat die Rechte an Tweets und Face­ Moderator ist in der DPL-Gruppe aktives Mitglied book-Posts? Besteht ein Konflikt bei öffentlich-recht- mit vier Posts und, im Sinne der horizontalen Kom­ licher Finanzierung von Inhalten welche dann Wer­ munikation noch wichtiger, elf Kommentaren. Bei beeinnahmen­ für Social-Media-Plattformen erzielen? zwei der Posts handelt es sich um klare Auffor­ Wie verhält es sich mit den Rechten an user-generier­ derungen zum Audience Engagement. Diesen kamen ten Inhalten, die Eingang ins Radioprogramm finden? die Hörer in Form von Kommentaren nach, welche Wie sind Monitoring und Archivierung geregelt? dann wiederrum vom Moderator im Podcast aufge- Und was sollte archiviert werden - Posts vom Sender­ griffen wurden. account, von persönlichen Accounts der Radiomacher In der DPL-Facebook-Gruppe finden also tatsäch- und von Hörern? Eine Dokumentation der Interak­ lich Interaktionen zwischen Moderatoren und tionen mit Medien würde sicher großes Potential bie- Hörern sowie Hörern untereinander statt. Hörer kön- ten etwa für die Medienrezeptions­forschung. nen kontinuierlich aktiv zur Programmgestaltung Im Rahmen der Diskussion im Anschluss an den beitragen. Im Untersuchungszeitraum galt dies nur Vortrag wurde auf die Schaffung von Stellen für für die Podcast-Extras, mittlerweile sind aber auch Community Manager beim Deutschlandradio hinge- Kommentare im Rahmen des Radioprogramms er- wiesen und darüber spekuliert, wie wohl die nächste wähnt worden. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Phase der Beziehung zwischen Radio und seinem hier tatsächlich Kommunikation im Sinne von Boni­ Publikum aussehen könnte. • ni’s vierter Phase stattfindet, ist ein von einer Hörerin verfasster Audiobeitrag, der als Folge eines Aufrufs zum Audience Engagement vom Moderator in der Facebook-Gruppe entstanden ist, im Radiopro­gramm gesendet und dann in der Facebook-Gruppe von Hörern und der Hörerin selbst diskutiert wurde. Als Ergebnis der Studie lässt sich also festhalten, dass interaktives Radio im Sinne von Boninis vierter Phase möglich ist, auch für Naturwissenschafts- und Techniksendungen. Ein solcher Ansatz kann von Hörern initiiert werden, braucht aber die kontinuier- liche Unterstützung durch die Radiomacher. Die ge- ringe Anzahl programmspezifischer Social Media- Accounts zeigt, dass das Potential hier noch bei Weitem nicht ausgeschöpft ist. Die Auseinandersetzung mit dem Thema führte für mich zu weiteren noch offenen Fragen. So bin ich mir gar nicht mehr so ganz sicher, was eigentlich ein Radioprogramm ist – die ausgestrahlte Sendung, der Podcast oder beides und alle Konversationen rund um die Sendung in den sozialen Medien? Wessen Aufgabe ist die Interaktion mit den Hö­ rern? Sollte das vertraglich geregelt und vergütet werden? Oder soll die Ausgestaltung der Interaktion, wie im Fall von Click, von der Motivation und