Eurovision Song Contest 2018 Im Spannungsfeld Zwischen Emanzipation Und Antisemitismus Würzburger Studien Zur Europäischen Ethnologie
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WÜRZBURGER STUDIEN ZUR EUROPÄISCHEN ETHNOLOGIE Band 4 Konstantin Mack Politischer Pop Der Eurovision Song Contest 2018 im Spannungsfeld zwischen Emanzipation und Antisemitismus Würzburger Studien zur Europäischen Ethnologie Diese Reihe des Lehrstuhls für Europäische Ethnologie/Volkskunde veröf- fentlicht aktuelle Forschungen des Faches an der Universität Würzburg. Sie bietet Einblick in vergangene und gegenwärtige Alltagskulturen, in gesellschaftliche Lernprozesse und Problemlagen. Vor allem Studierende und wissenschaftliche Mitarbeitende fi nden hier ein Forum, ihre Arbeiten der Öffentlichkeit vorzustellen. © Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dieses Dokument wird bereitgestellt durch Institut für deutsche Philologie den Publikationsservice der Universität Lehrstuhl für Europäische Ethnologie/Volkskunde Würzburg. Am Hubland 97074 Würzburg Universitätsbibliothek Würzburg Am Hubland www.volkskunde.uni-wuerzburg.de 97074 Würzburg Würzburg 2019 +49 931 31-85906 www.opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de Layout und Satz: Konstantin Mack ISSN: 2511-9486 Konstantin Mack Politischer Pop Der Eurovision Song Contest 2018 im Spannungsfeld zwischen Emanzipation und Antisemitismus Würzburger Studien zur Europäischen Ethnologie Herausgegeben von Michaela Fenske und Susanne Dinkl Band 4 Vorwort Konstantin Mack hat seine Studie einer der weltweit größten und po- pulärsten Musiksendungen, dem Eurovision Song Contest, welcher nicht nur als Plattform von Konstruktion und Projektion nationaler Identitäten fungiert, gewidmet. Ausgelöst wurde das Interesse von Konstantin Mack an dem Event, als dieses 2018 durch den Erfolg der israelischen Sängerin Netta Barzilai zum Spannungsfeld medialer wie politischer Aushandlungs- prozesse wurde, die weit über den eigentlichen Kontext hinauswiesen. Diese Aushandlungsprozesse, von diversen Interaktionen und Akteur*in- nen bestimmt, werden hier fokussiert sowie Lesarten und Rezeptionen aufgezeigt. Insbesondere die darauf bezugnehmende am 15. Mai 2018 in der Süddeutschen Zeitung publizierte Karikatur von Israels Ministerprä- sidenten Benjamin Netanyahu gab zu erkennen, dass nicht nur eine poli- tische Aneignung, sondern auch Nutzbarmachung des Wettbewerbsaus- ganges zur öffentlichen Kritik an Israel stattgefunden hatten. Dem geschuldet konzentrierte sich Konstantin Mack auf Ausdrucks- formen des Antisemitismus, um zu rekonstruieren, auf welche Stereotype, Mythen oder gar kulturelle Codes zur Platzierung von Protest zurückge- griffen wurde. Der Fragestellung geschuldet analysierte Herr Mack so- wohl historisches Material als auch Quellen populärer Medien, die er kom- paratistisch auswertete. Mit dieser Arbeit gelang es deutlich aufzuzeigen, dass Stereotype aus dem Nationalsozialismus rezipiert wurden. Anhand von Kommentaren zu dem Event aus unterschiedlichen Quellen bestätigte sich des Weiteren, dass derartige Stereotype immer noch dechiffriert und damit in ihrer ursprünglichen Bedeutung gelesen werden können, was sie als wirkungsmächtige „kulturelle Codes“ ausweist. Gegenwärtige gesellschaftliche wie politische Diskurse unterstrei- chen nicht nur die Aktualität dieser Studie, sondern verdeutlichen überdies ihre Wichtigkeit. Susanne Dinkl, Würzburg im Juni 2019 „Politischer Pop - Der Eurovision Song Contest 2018 im Spannungsfeld zwischen Emanzipation und Antisemitismus“ entstand als wissenschaftli- che Abschlussarbeit zur Erreichung des akademischen Grades Bachelor of Arts (B.A.) am Lehrstuhl für Europäische Ethnologie/Volkskunde der Julius-Maximilians-Universität Würzburg unter der Betreuung von Dr. Su- sanne Dinkl. Die Bachelorarbeit wurde im Oktober 2018 an der Julius-Ma- ximilians-Universität Würzburg vorgelegt und für die Veröffentlichung leicht überarbeitet. Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 8 2 Forschungsstand und Quellenlage 11 3 Theoretische Grundlagen 14 3.1 Christlicher Antijudaismus & moderner Antisemitismus 14 3.2 Antisemitismus nach Auschwitz 16 3.3 Stereotype, Mythen und Codes 19 4 Die Macht der Bilder 20 4.1 Politische und gesellschaftliche Kontextualisierung 22 4.2 Analyse 23 4.3 Bewertung 30 5 „Singt nicht mit Jüdinnen_Juden!“ 31 5.1 Der ideologische Rahmen: die BDS-Kampagne 33 5.2 Delegitimierung Israels 36 5.3 „Queer Sells“? 37 5.4 Fazit 40 6 Next Year in Tel Aviv 41 A Literatur- und Quellenverzeichnis 46 Würzburger Studien zur Europäischen Ethnologie 1 Einleitung „But I think it’s an empowerment song in general. It’s for everybody who’s been struggling being themselves. They’re told they’re not good enough, not skinny enough, not pretty enough, don’t sing big enough.“1 Die Sängerin Netta Barzilai, die den diesjährigen Eurovision Song Cont- est (kurz: ESC) gewonnen hat, erklärt ihren Song „Toy“ zu einer Hym- ne der Emanzipation. Als Reaktion auf die sogenannte MeToo-Bewe- gung geschrieben, die Sexismus und Frauenfeindlichkeit anprangert, thematisiert das Musikstück weibliche Selbstbestimmung. Vor allem denjenigen Frauen, die wie die Künstlerin selbst nicht dem gegenwär- tig vorherrschenden Schönheitsideal entsprechen, will sie Gehör ver- schaffen. Auch innerhalb der LGBT2-Community wird Barzilai gefei- ert, so trat sie in Tel Aviv, Berlin und Zürich auf Christopher Street Day-Paraden auf und positionierte sich öffentlich als Unterstützerin der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare.3 Generell stamme, so Untersuchungen von Dafna Lemish und Brian Singleton et al., ein nicht geringer Anteil der ESC-Fans aus der LGBT-Community, ins- besondere unter schwulen Männern sei die Popularität des Formats überdurchschnittlich hoch.4 Dass die Musiksendung aus guten Grün- den bisweilen sogar als „the Gay Olympics“ bezeichnet wird, zeigt die Repräsentation von Queerness sowohl vor, als auch auf der Bühne: 1997 trat mit Páll Óskar der erste offen schwul lebende Sänger auf, 1998 gewann die israelische transgender Frau Dana International den Wett- bewerb und Conchita Wurst, die Siegerin des Jahres 2013, stellte als Bart tragende Frau gesellschaftliche Geschlechterrollen auf den Kopf.5 Angesichts dessen, dass Homosexualität zwischen Männern bis 1994 in Deutschland ein Straftatbestand war und transgender Menschen bis 2011 zur Unfruchtbarkeit gezwungen wurden, wenn sie ihren Namen 1 Barzilai, Netta. In: Brugen, Sophie van/Tam, Jimmy: Netta: Meet Eurovisions 2018’s #MeToo voice. In: BBC, 10.05.2018, url: https://www.bbc.com/news/av/enter- tainment-arts-44073911/ netta-meet-eurovision-2018-s-metoo-voice (besucht am 20.09.2018). 2 Akronym für lesbian, gay, bisexual, transgender. 3 Vgl. o.A.: Eurovision-Gewinnerin Netta singt beim Berliner CSD, url: https://www. queer.de/ detail.php?article_id=31620 (besucht am 15.09.2018). 4 Vgl. Lemish, Dafna: Gay Brotherhood. Israeli Gay Men and the Eurovision Song Contest, in: A Song for Europe. Popular Music and Politics in the Eurovision Song Contest, hrsg.v. Tobin, Robert Deam/Raykoff, Ivan (Ashgate Popular and Folk Mu- sic Series), Hampshire 2007, S. 123–134; Singleton, Brian; Fricker, Karen/Moreo, Elena: Performing the Queer Network. Fans and Families at the Eurovision Song Contest, in: SQS: Journal of Queer Studies in Finland 12 (2007), S. 12–24. 5 Vgl. Baker, Catherine: The ‚Gay Olympics‘? The Eurovision Song Contest and the Politics of LGBT/European Belonging, in: European Journal of International Rela- tions 23 (1) (2017), S. 97–121, hier S. 101–108. 8 Konstantin Mack Politischer Pop und Personenstand offiziell ändern lassen wollten, sind jene Auftritte auffallend progressiv und richtungsweisend für die Emanzipation der LGBT-Community gewesen.6 Der Eurovision Song Contest entwickelte sich nach seiner Premiere im Jahr 1956 zu einem der größten TV-Ereignisse in Europa und ist mit knapp 200 Millionen Zuschauer_innen7 die weltweit erfolg- reichste Musiksendung.8 Die teilnehmenden Länder entsenden jeweils eine sie repräsentierende Musikgruppe mit dem Ziel, sich gegen die anderen Bands bzw. Sänger_innen durchsetzen zu können. Über Erfolg und Misserfolg entscheidet dabei ein Abstimmungsverfahren, das seit 1997 aus einer Kombination von Zuschauer_innen- und Juryvoting be- steht: Publikum und Jury können jeweils für die zehn besten Beiträge – nicht aber für den der eigenen Nation – einen bis acht, zehn oder zwölf Punkte vergeben, anschließend werden beide Sätze addiert. Das Land mit der insgesamt höchsten Wertung gewinnt und darf im nächsten Jahr den Wettbewerb austragen.9 2018 fand der ESC vom 8. bis 12. Mai in Lissabon statt; für die diesjährige Austragung meldeten sich 43 Län- dern an, von denen schließlich 26 das Finale bestritten. Der Gewinnerin Netta folgten auf Platz zwei und drei Zypern und Österreich.10 Dass Populärkultur politisch ist und politisierend wirkt, wird von Seiten der wissenschaftlichen Beschäftigung mit ihr vorausgesetzt; wenn also Musik im Allgemeinen eine zentrale Rolle in der Heraus- bildung und zur Artikulation von Identitäten spielt, muss der ESC als größte Musiksendung der Welt eine besondere Bedeutung haben. Ne- ben seiner Eigenschaft, konstitutiv für die queere Identitätsbildung zu sein, stellt das Event auch eine Plattform zur Konstruktion von natio- nalen Identitäten dar. Indem die musikalischen Acts auf die Nationa- lität der Künstler_innen reduziert werden, können die teilnehmenden Länder der internationalen Öffentlichkeit gezielt ein bestimmtes Nar- rativ präsentieren. Insbesondere die ehemals kommunistischen Staaten 6 Vgl. Neunundzwanzigstes Strafrechtsänderungsgesetz vom 31. Mai 1994; Bun- desverfassungsgericht: Beschluss des Ersten Senats vom 11. Januar 2011, 1 BvR 3295/07, Rn.v1-82. 7 Anm. In diesem Text wird der sogenannte Gender-Gap