Die Windsors

Glanz und Tragik einer fast normalen Familie

von Tom Levine

1. Auflage

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campus Frankfurt am Main 2005

Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 593 37763 6

Inhaltsverzeichnis: Die Windsors – Levine In der Morgendämmerung des 6. Februars 1952, so geht die Legende, sitzt Prinzessin Elizabeth fern jeglicher Zivilisation auf einer Plattform in der Krone eines riesigen wilden Feigenbaumes, dem so genannten »«, wo sie mit wenigen Freunden und ihrem Mann die Stille des Tagesanbruchs mitten in der afrika- nischen Wildnis erleben möchte. Hier beobachten sie, wird Michael Parker, Philips Adjudant und langjähriger Freund, später beschrei- ben, wie ein einsamer Adler majestätisch seine Kreise zieht. Im fernen Sandringham stirbt in dieser Nacht George VI. still im Schlaf. Es braucht seine Zeit, bis die Nachricht vom Tod des Königs die Reisegesellschaft erreicht. Die offiziellen Depeschen aus London landen ungelesen in einem Posteingangskorb der Botschaft, in der aber niemand ist, weil alle auf dem Weg zur Prinzessin sind. Zum Glück hören einige Journalisten die Kurzwellennachrichten. Erst kurz nach 14 Uhr wird den anwesenden Höflingen die Todesmel- dung aus London bestätigt. Philip wird unauffällig heraus gewun- ken. Um 14.45 Uhr Ortszeit eröffnet er seiner Frau Elizabeth, dass sie in Kürze in der Heimat – das erste Mal seit George I. in absen- tia – zur Königin ausgerufen werde. Philip scheint von der Nach- richt am schwersten getroffen zu sein. »Er sah aus, als habe man die halbe Welt auf ihn fallen lassen«, erzählt Parker später. Die neue Queen gibt sich gefasster. Als sie, immer noch in Jeans, verlässt, stehen die Journalisten schweigend in einer Reihe, ganz uncharakteristisch selbst für jene Zeit. Der Pri- vatsekretär Elizabeths, Martin Charteris, hat darum gebeten, dass keine Fotos gemacht werdeen. Man folgt dieser Bitte. Das Foto, das in die Geschichte eingeht, wird am Tage später aufgenommen. Es zeigt, wie die neue Königin in Heathrow aus dem Flugzeug steigt. Sie geht, 25 Jahre jung, schön und mit stillem Gesicht in einem schwarzen Mantel, die Gangway herunter, vor allem aber: allein. Unten, am Fuß der Treppe, warten drei Premier- minis-ter, Stock und Hut in der Linken, den Kopf zur Verbeugung geneigt. Der Premier Churchill, 77 Jahre alt. Clement Atlee, Opposi-tionsführer, den Churchill im Oktober abgelöst hat. Anthony Eden, Außenminister, der Churchill in drei Jahren beerben wird. Philip, der Herzog von Edinburgh, wird erst in einigen Momenten aus dem Flugzeug kommen. Von nun an bleibt das so für ihn: im- mer ein paar Schritte hinter seiner Frau. Das Regnum Elizabethanum beginnt mit dem Abschied von ei- nem sehr geliebten König. Churchill preist am Nachmittag im Un- terhaus, poetisch, als Orator die Würde und die menschlichen Tugenden des Verstorbenen. Atlee spricht auch, nicht kunstvoll, aber mit feuchten Augen. Dieser König sei mehr als jeder König vor ihm geliebt worden. Übertreibt er? Die Trauer ist echt. Das Begräbnis des Kriegskönigs wird noch ein bisschen größer, noch ein bisschen perfekter als das seines Vaters. Ein halbe Million Menschen steht an, um an seinem Sarg vorbeizuziehen. Churchill, mit glänzendem Auge für den Moment, lässt am Kranz des Parla- ments, der vor dem Sarg aufgestellt ist, eine kleine Karte anbrin- gen. »For Valour«, hat er eigenhändig darauf geschrieben, »Für Tapferkeit«. Das ist die Inschrift auf dem Victoria Cross, der höchs- ten militärischen Auszeichnung der Briten. Das muss sie beeindruckt haben, die Tochter, die neue Königin. Bei fast allem, was sie von nun an tun wird, orientiert sie sich an ihrem Vater. Sie ist vielleicht nicht ganz so protokollvernarrt wie er, gerät auch nicht in Wut (nein: nie), schon gar nicht über Petitessen. Sie ist als Persönlichkeit beinahe noch bescheidener als er, sie ist beinahe noch weniger gern unter Menschen, die sie nicht kennt. Aber was die Haltung anbelangt, das eigene Verständnis davon, wie man sich als Monarch zu verhalten hat, da ist sie wirklich seine Tochter: Man tut, was sich gehört und was erwartet wird, und wenn man in Zweifel gerät, dann lässt man prüfen, was die Tradition befiehlt. »Elizabeth II. wurde Königin mit der klaren Entschlossenheit, nichts zu verändern außer ihrer Kleidung«, schreiben Piers Bren- don und Phillip Whitehead in ihrem Buch The Windsors. Martin Charteris, der seit 1950 eng mit Elizabeth zusammengearbeitet hat und zwischen 1972 und 1977 Königlicher Privatsekretär war, ist naheliegenderweise etwas weniger bissig. Er ist zudem ein Höfling und äußerst sich gerne auf umständliche Art: »Die Königin hat eine absolut makellose negative Urteilsfähigkeit … sie kann immer se- hen, was falsch ist. Sie ist sehr sicher, aber nicht ausnehmend positiv auf diese Art. Sie ist nicht die Person, die leidenschaftlich mit dem Fuß aufstampft, weil sie alles ändern möchte.« Elizabeth ist aber auch keine Queen Victoria. Die hat jeden Wandel, wie erwähnt, gleich als solchen gehasst. Elizabeth ist eher übervorsich- tig: Sie ist eine introvertierte Person, die die Dinge lieber zweimal durchdenkt, bevor sie etwas riskiert. Sie hat auch einen deutlichen Hang zum Konformismus: Sie möchte eine Rolle spielen, die den Erwartungen ihres Publikums entspricht. Von ihrem Vater hat sie gelernt, dass man sehr verantwortungsvoll mit diesen Erwartungen umgehen muss. Man darf als Souverän nie populistisch sein, nie dem Zeitgeist verfallen. Man darf nie den Kontakt verlieren. Man muss darauf setzen, dass die Menschen an einem Monarchen vor allem das Kontinuum goutieren, selbst wenn sie manchmal, aus dem Moment heraus, radikale Schritte fordern. Bisweilen muss man es deshalb aushalten, ein bisschen unbeliebt zu sein. »For valour«. Für Tapferkeit. Es wird, auch wenn so mancher es anders erhofft hat, keinen Wachwechsel geben in . Die Frontfrau ist neu. Alles andere bleibt beim Alten. Die Stimmung hätte auch anderes ausgehalten. Die Jugend der neuen Königin tröstet nicht nur. Im Unterhaus und in den Gazetten hat sich die Frage nach einem »Zweiten elisabethanischen Zeital- ter« Bahn gebrochen. Sie liegt angeblich auf der Hand: Elizabeth I. ist als 26-Jährige auf den Thron gekommen, Elizabeth II. als 25- Jährige. Und man bräuchte jetzt solch einen Aufbruch zu neuer Größe, nicht wahr? Das Empire bricht gerade auseinander, die Inder sind schon weg (und damit der Kaisertitel), die Iren auch, der Wohlstand hinkt der Welt hinterher, und jede Woche gibt es ir- gendwo einen neuen Streik. Die progressiven Geister jener Zeit fragen sich derweil, ob das Land einer Art »royalen Religion« verfalle, einem kollektiven Ur- glauben an übersinnliche Kräfte. Im Vorfeld der Krönungsfeierlich- keiten, die mit großem Abstand zur Thronbesteigung erst am 2. Juni 1953 in der Westminster Abbey stattfinden, wird Großbritan- nien in der Tat von einem monarchistischen Fieber ergriffen. Die Vorbereitung des Spektakels hält die halbe Nation in Atem. Zehn Tage vor dem Ereignis schon besetzen Leute die Positionen am Straßenrand. Tagelang wird ganz Westminster für den Durch- gangsverkehr gesperrt. Die Regierung und das Königshaus sind anders involviert. Politi- ker und Höflinge ringen um den Titel der neuen Königin (die nicht mehr über die Kronkolonien, sondern über Übersee-Territorien wacht, die keine Kaiserin mehr ist, dafür aber als Kopf des Com- monwealth ausgerufen werden soll). Noch weit emotionaler ist das Gefecht um den Familiennamen, den das Königshaus in Zukunft tragen soll. Streng genommen müsste die Linie nun Mountbatten heißen, da Familien (damals) gemeinhin den Nachnamen des Ehemanns annehmen. Nachdem aber Lord Louis Mountbatten daheim in Broadlands deshalb schon eine Party gegeben hat, ist der halbe Hofstaat dagegen, Queen Mary und Queen Elizabeth, die Ältere, allen voran. Auch Churchill ist sich, so gern er »Dickie« Mountbatten mag, in der Ablehnung sicher: George V. habe das Königshaus auf alle Zeiten zu Windsor umbenennen wollen. Dar- um erhebt Elizabeth – in staatlicher Pflichterfüllung und auf Anra- ten des Kabinetts – Windsor zum Familiennamen (sie wird das später halb zurücknehmen: Da trennt man dann den Königshaus- namen Windsor vom Familiennamen Windsor-Mountbatten, der alle bezeichnet, die nicht in der Thronfolge stehen). Ihr Gatte ist darüber so erbost, dass es dem Vernehmen nach zu heftigsten Auseinandersetzungen in den Schlafzimmern des Königspaares kommt (bei Hochadels gibt es nicht ein gemeinsa- mes Elternschlafzimmer, man hat mehrere mit Verbindungstüren). Für Elizabeth aber geht die Staatsräson und Krone vor dem Ehe- frieden. Jetzt, in Zukunft und für alle Zeiten.