Anlockwirkung Von Windenergieanlagen Auf Nachtaktive Insekten
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Carolinea 78 (2020): 73-128, 30 Abb.; Karlsruhe, 29.01.2021 73 Anlockwirkung von Windenergieanlagen auf nachtaktive Insekten ROBERT TRUSCH, MICHAEL FALKENBERG & ROLF MÖRTTER Kurzfassung the attractiveness of such constructions to nocturnal in- Auf einer Windenergieanlage (WEA) bei Karlsruhe sects. A total of nine samples showed that the amount wurden während der Vegetationsperiode im Jahr 2018 of insects recorded on top of the wind turbine at a height Untersuchungen mit Lichtfallen durchgeführt, um die of approx. 100 m was extremely low. An exception was Anlockwirkung dieser Anlagen auf nachtaktive Insek- a windless night in June, when 267 specimens were ten zu untersuchen. Bei insgesamt neun Beprobungen found at the altitude of the turbine. This corresponds to zeigte sich, dass die Menge der auf der WEA in ca. two thirds of the total of 353 individuals recorded on the 100 m Höhe nachgewiesenen Insekten ausgespro- wind turbine during the year. In the reference trap on chen gering war. Eine Ausnahme bildete eine windstil- the ground, on the other hand, the 4,017 animals found le Untersuchungsnacht im Juni, in der 267 Exemplare were distributed nearly normally over the course of the auf Kanzelhöhe nachgewiesen wurden. Das entspricht season. If still air is indeed the cause of the higher in- zwei Dritteln der im Laufe der Beprobung auf der WEA- sect activity, then an increased attracting effect of wind Kanzel insgesamt nachgewiesenen 353 Individuen. In turbines on nocturnal predators (e.g. bats, Chiroptera), der Referenzfalle am Boden waren dagegen die 4.104 which may result from increased food supply, should be festgestellten Tiere im jahreszeitlichen Verlauf nahezu unproblematic: Such nights are associated with a low normal verteilt. Eine aus reicherem Nahrungsangebot risk for predators (e.g. bats) to become victims since in windstillen Nächten möglicherweise resultierende the wind turbine rotor is then not in motion. A glue trap erhöhte Anlockwirkung solcher Anlagen auf nachtak- installed in June and July to verify the low catch num- tive Prädatoren (z. B. Fledertiere, Chiroptera) dürfte bers on the wind turbine as well as the extension of somit weniger problematisch sein. Denn solche Näch- the sampling periods to approx. one week from August te sind mit einer geringen Gefahr für die Prädatoren onwards confirmed the weak insect activity on the wind verbunden, Schlagopfer zu werden, da der Rotor der turbine and showed that sampling was not accidentally WEA dann nicht in Bewegung ist. Eine zur Überprü- coincidental with days of low insect activity. The results fung der geringen Fangzahlen auf der WEA eingesetz- obtained in this study allow the conclusion that wind te Klebefalle in den Monaten Juni und Juli sowie die turbines have no significance in terms of the current Verlängerung der Beprobungszeiträume auf ca. eine phenomenon of insect loss. The taxonomic composi- Woche ab dem Monat August bestätigten die geringe tion of the insects recorded at a height of 100 m and Insektenaktivität auf der WEA. Auch die Betrachtung on the ground below shows significant differences: on längerer Zeiträume ab August zeigt, dass nicht zufällig the wind turbine a large number of very small insects Tage mit geringer Aktivitätsdichte beprobt wurden. Die (maximal size 2 to 5 mm) were represented, especially in dieser Untersuchung erzielten Ergebnisse lassen of the Homoptera (order Hemiptera, true bugs) and den Schluss zu, dass WEA keine Bedeutung hinsicht- rove beetles (family Staphylinidae, Coleoptera). On the lich des aktuellen Phänomens des Insektenschwundes ground the moths (Lepidoptera) made up the majority. zukommt. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Nocturnal migrating moths were not found in this study. nachgewiesenen Insekten in ca. 100 m Höhe und am Boden zeigen sich deutliche Unterschiede. So waren Auroren auf der WEA sehr viele Kleininsekten von max. 2 bis Dr. ROBERT TRUSCH, MICHAEL FALKENBERG, Dr. ROLF MÖRT- 5 mm Größe besonders der Gruppe der Gleichflügler TER, Staatliches Museum für Naturkunde Karlsruhe, (Homoptera, Ordnung Hemiptera, Schnabelkerfe) und Erbprinzenstr. 13, D-76133 Karlsruhe; der Familie Kurzflügler (Staphylinidae, Ordnung Cole- E-Mails: [email protected], [email protected], optera, Käfer) vertreten. Am Boden bildeten hingegen [email protected] Nachtfalter (Lepidoptera) die Hauptmenge der nachge- wiesenen Insekten. Nachtaktive Wanderfalter wurden Inhalt bei dieser Untersuchung nicht festgestellt. 1 Einleitung . 74 2 Methodik . 76 Abstract 2.1 Geräte . 76 Attracting effect of wind turbines on nocturnal 2.2 Versuchsdesign . 80 insects 2.3 Verbleib von Material und Daten . 81 On a wind turbine near Karlsruhe (Germany), inves- 2.4 Abkürzungen . 82 tigations with light traps were carried out during the 3 Ergebnisse . 83 growing season of the year 2018 in order to investigate 3.1 Lichtfallen auf und unter der WEA . 83 74 Carolinea 78 (2020) 3.2 Klebefalle auf der WEA . 85 3.3 Manueller Lichtfang . 86 3.4 Nachgewiesene Schmetterlinge der Roten Liste . 86 4 Diskussion . 87 4.1 Locken WEA nachtaktive Insekten an? . 87 4.2 Zusammensetzung der Insektenausbeuten in Kanzelfalle und Mastfußfalle . 89 4.3 Gefährdungssituation der nachgewiesenen Schmetterlingsarten . 90 4.4 WEA als Ursache für das Insektensterben . 91 5 Ausblick . 93 Dank . 94 Literatur . 94 Anhang A Fotoübersichten der Fallenfänge auf und unter der WEA . 96 B Artenlisten Schmetterlinge der Lichtfallen auf und unter der WEA . 103 C Artenlisten Schmetterlinge manueller Lichtfang . 109 D Gesamtartenliste Schmetterlinge . 119 1 Einleitung Man nimmt an, dass Windenergieanlagen (WEA) nicht nur tagaktive Insekten anlocken, die sich z. B. an den WEA-Masten niederlassen (z. B. Abbildung 1. Die Windenergieanlage (WEA) auf dem HAEN SEL & ITTERMANN 2013-2016), was auch ei- Gelände des Fraunhofer-Instituts für Chemische Tech- gene Beobachtungen bestätigen, sondern dass nologie in Pfinztal (ICT) vom Silzberg, dem Standort WEA aufgrund ihrer höheren Temperatur gegen- des manuellen Lichtfangs (mLF) aus gesehen. Sie ge- über der Umgebung auch nachtaktive Insekten hört mit 100 m Nabenhöhe und 82 m Rotordurchmes- anlocken könnten. Ferner wird berichtet, dass ser zur dominierenden dreiblättrigen Bauform. Mit ihren Ansammlungen toter Insekten auf den Rotorblät- 2 Megawatt (MW) Leistung rangiert sie im unteren Lei- tern gelegentlich die Leistung von WEA um 25 stungsbereich heute gängiger Onshore-Anlagen. Sie wurde für das ICT errichtet, um die Zwischenspeiche- bis 50 % reduzieren könnten (CORTEN & VELDKAMP 2001), was auf große Mengen erschlagener Indi- rung der mit der WEA erzeugten elektrischen Energie in einer Redox-Flow-Batterie mit einem Endausbau viduen schließen ließe. Wegen dieses Insekten- von 20 MWh Kapazität zu testen. – Foto: R. MÖRTTER. schlags sind vor dem Hintergrund des starken Rückgangs von Fluginsekten seit 1989 (HALL- MANN et al. 2017) auch kürzlich die Auswirkungen auch durch aktive Dispersionsflüge, insbesonde- von WEA auf die Insektenwelt thematisiert wor- re bei Wanderungen, in den Einzugsbereich der den (TRIEB et al. 2018). Rotoren von WEA und scheinen sich in manchen Es bestehen zwei Möglichkeiten, warum WEA Fällen, ähnlich wie beim Hilltopping-Effekt, be- nachts wärmer sind als der umgebende Luftraum. vorzugt in deren Umfeld anzusammeln (RYDELL Zum einen kommt es zu einem Aufheizen der ge- et al. 2010). samten WEA als Folge der Insolation tagsüber, Nach unserer Kenntnis gibt es noch keine Unter- zum anderen entsteht beim Betrieb der Turbine suchungen, welche die Menge nachtaktiver In- und des Generators Abwärme, die in Kanzelhö- sekten in Kanzelhöhe an einer WEA durch Fänge he entweicht bzw. aktiv abgeblasen wird. Sollten quantifizierten und damit über Modellannahmen damit Insekten angelockt werden, könnte nachts hinaus (z. B. TRIEB et al. 2018) auf „harten Zah- gegenüber der Umgebung ein vermehrtes Nah- len“ basierende Daten schufen. Eine Ursache rungsangebot für nachtaktive Prädatoren beste- hierfür ist, dass es nicht ohne Zustimmung von hen. Darüber hinaus gelangen Insekten durch Betreiber und Eigentümer möglich ist, auf einer passives Verdriften mit der Luftströmung wie WEA Fallen zum Erfassen nachtaktiver Insekten TRUSCH et al.: Nachtaktive Insekten an Windenergieanlagen 75 zu installieren. Ferner machen es die einzuhal- Dabei stellt die Lage dieser Forschungs-WEA – tenden Sicherheitsvorschriften zeitaufwändig sie befindet sich in einem strukturreichen Gebiet und personalintensiv, eine solche Anlage für das (Abb. 2) mit artenreicher Insektenfauna – eine gute Ausbringen und die Kontrolle einer Lichtfalle auf Voraussetzung dafür dar, diese Fragestellung zu der WEA über Serviceaufzug und Leitern zu er- bearbeiten. Denn wegen einer hohen Zahl ver- reichen. Unseres Wissens sind im Rahmen des schiedener Biotope in der unmittelbaren Umge- geplanten baden-württembergischen Windtest- bung der WEA können nicht nur ggf. durchziehende felds ebenfalls Untersuchungen zum Auftreten Insekten nachgewiesen werden, wie es z. B. in der von Insekten an WEA vorgesehen (Projekt WIN- intensiv genutzten Agrarlandschaft wahrscheinlich SENT im Rahmen von WindForS). ist, sondern auch Arten, die im Umfeld der WEA Mit der WEA (Abb. 1) auf dem Gelände des ihre Lebensstätten (Habitate) haben. Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie Zur Beantwortung der Fragestellung wurden in Pfinztal (ICT) steht im Raum Karlsruhe eine über die Vegetationsperiode 2018 die nacht- Anlage bereit, an der grundsätzlich solche Un- aktiven Insekten mit Lichtfallen erfasst. Dabei tersuchungen