Gesellschaft

Sieger Ali, Verlierer Williams in (1966): Wenn Ali die Boxhandschuhe anzog, dann kämpfte jemand gegen die alte Ordnung, es

72 der spiegel 41/2003 LEGENDEN Alis letzter Sieg Für ihn standen Menschen aller Kulturen mitten in der Nacht auf, bis heute ist ein Liebling der Menschheit. Er boxte wie kein anderer, er redete wie Osama Bin Laden, und jetzt kämpft der Parkinson-Kranke gegen Mächte, die stärker sind als er. Von Thomas Hüetlin

er Rodeo Drive in Beverly Hills, Die Menge wächst weiter, die ersten Los Angeles, ist eine der teuersten Autos stoppen. Und Ali, der Mann, dem DEinkaufsstraßen der Welt – so teu- die Parkinson-Krankheit das Gesicht hat er, dass sogar die Bürgersteige mit Mar- starr werden lassen wie eine Maske, was mor gepflastert sind. tut Ali? Er steht vor dem Laden von Er- Bei 28 Grad im Schatten stapfen die Leu- menegildo Zegna und zaubert. Zaubert! te an den Schaufenstern von Tiffany und Er hält den Zeigefinger vor den Mund, Bulgari vorbei, getrennt nur durch die Far- und als es still ist, dreht er sich um und hebt be der Kreditkarten – in die Kaste jener, ab. Schwebt etwa vier Zentimeter über die wirklich shoppen, und jener, die ihnen dem Boden. „Oh“, wispern die Leute, als dabei zuschauen dürfen. wollten sie Ali endgültig zum Heiligen aus- Es ist kurz nach halb vier an einem Don- rufen. „I tricked you“, flüstert Ali, er hat nerstagnachmittag, als diese Apartheid des sie reingelegt. Dann erklärt er sein Kunst- Turbokapitalismus zusammenbricht. stück. Schuld daran hat ein Mann, der sich für „Man darf die Leute unterhalten“, sagt zwei Tage im „Beverly Wilshire“-Hotel ein- Ali später im Hotel, „aber niemals täuschen.“ quartiert hat und jetzt einen Spaziergang Peter aus Detroit wirkt auch Minuten unternimmt. Der Mann heißt Muhammad nach Alis Auftritt, als wäre er von einer Ali, er trägt eine schwarze Hose, ein guten Fee verzaubert. „Damals, in den schwarzes Hemd, und sein Gang wirkt, als Sechzigern, haben viele Menschen Ali hätte jemand die Gummisohlen seiner einen Angeber geschimpft, aber das war schwarzen Schuhe in Klebstoff getaucht. damals falsch und ist es noch heute. Denn Aber 20 Meter genügen. 20 Meter von Ali hat nie etwas versprochen, was er nicht Muhammad Ali reichen, um diese Show halten konnte.“ des Protzes auf den marmornen Bürger- Der berühmteste Boxer aller Zeiten ist steigen zu unterbrechen und ein Lächeln mehr als nur der berühmteste Boxer aller der Demut in die Gesichter der Menschen Zeiten – er wurde zu einem der meistfoto- hüpfen zu lassen. Sie bleiben stehen, wol- grafierten Menschen, zu einem Idol wie len ein Foto, ein Autogramm. Und sie wol- John F. Kennedy, wie Elvis Presley, Mari- len ihn umarmen. lyn Monroe oder Ché Guevara. Ein Mann namens Takakasi, Sushi-Chef Wenn er den Ring betrat, ging es um aus Tokio, drückt sich an Alis Brust, sagt: mehr als um Schläge. Da verteidigte einer „Für mich bist du der Cham- pion – immer noch.“ Ein Mädchen mit einer Chanel-Ta- sche gibt Ali einen Kuss, sagt: „Ali, I love you.“ Ein Typ aus Ägypten greift Alis Hand, flüs- tert: „Allah sei mit dir.“ Und dann ist da noch Peter aus De- troit, Chef einer Putzkolonne. Peter trägt blaue Sandalen, blaue Shorts und hat die Figur eines Big Mac. Ali albert mit ihm herum. Hält, als Peters Frau auf den Auslöser drücken will, Peters weiße Faust auf seine braune Nase. „Nein“, ruft Peter, „nein, Champ, tu das nicht. Ich will kein Foto, auf dem ich dich TASCHEN / NEIL LEIFER TASCHEN schlage, nicht einmal im Spaß. ILLUSTRATED IOOSS / SPORTS / WALTER TASCHEN kämpfte Arm gegen Reich, Gut gegen Böse Ich will dich nur drücken.“ Idol Ali: Symbol für urmenschlichen Trotz

der spiegel 41/2003 73 mit seinen Fäusten den Idealismus der Ja, es stimmt, dass Ali in den Sieb- sechziger Jahre, da kämpfte einer ge- zigern Dinge sagte, die Osama Bin gen den Rassismus, gegen einen er- Laden heute für eine seiner Video- barmungslosen Krieg in Vietnam. ansprachen verwenden könnte. Wenn Ali die Boxhandschuhe anzog, „Amerika hat keine Zukunft“, dann kämpfte jemand gegen die alte schimpfte Ali, „Amerika wird zer- Ordnung; es kämpfte Arm gegen stört werden! Allah wird auf göttliche Reich, die Dritte Welt gegen die Erste, Weise Amerika kaputtmachen. Wenn Gut gegen Böse, David gegen Goliath. Amerika die Schwarzen nicht end- Ein Staatsmann wie Nelson Man- lich gerecht behandelt, dann wird es dela – auch einer aus dem Dutzend brennen.“ Das hat Ali gesagt. Aber er der großen Menschen, die von Men- sagte es nicht in einer Höhle im Hin- schen aller Kontinente und Kulturen dukusch, er sagte es im „Playboy“. verehrt werden – schaut bis heute zu Und, ja, es stimmt, Ali war nur ein ihm auf: „Ali ist mein Held“, sagt Boxer, aber er war schlau genug, Mandela. „Muhammad Ali hat viele über die Ringseile blicken zu kön- junge schwarze Menschen auf der nen: „Wir sind nur zwei Sklaven im ganzen Welt dazu gebracht, Erfolg Ring. Die Bosse holen zwei von uns danach zu beurteilen, ob es einem alten schwarzen Sklaven und lassen gelingt, die Unfairness des Lebens uns kämpfen, während sie wetten: herauszufordern. Ich danke Muham- ,Mein Sklave kann deinen Sklaven mad Ali für die Kraft seines Charak- verprügeln.‘“ ters und die Kraft seiner Taten. Ich So redete er, als er noch boxte. danke ihm für den Mut, den er mir Dann kam Parkinson und machte ihn

gegeben hat.“ AXEL KOESTER leiser. Nicht mehr seine Fäuste und Alis Leben ist ein großes Drama, Ali im Taschen Verlag (2003): Monument aus Papier sein Großmaul bewunderten die Leu- ein Schauspiel von Sieg und Nieder- te nun, sondern seinen urmenschli- lage, von Hoffnung und Demütigung, von Leben beleuchtet. Ali atmet ein, atmet aus. chen Trotz. „Er verprügelte Leute für sei- Widerstand und Triumph, und Muhammad Sein Gesicht ist starr wie ein Eiswürfel, nen Lebensunterhalt“, schreibt David Rem- Ali ist an diesem September-Tag nach Los aber seine Augen leuchten. „Ich wusste nick, Chefredakteur des „New Yorker“, Angeles gekommen, um sich dieses Drama nicht“, sagt Ali, „dass ich so groß war.“ „aber in seiner Lebensmitte wurde er nicht anzuschauen. Ali ist 61 Jahre alt, und seinen letzten nur ein Symbol für Mut, sondern für Lie- Die amerikanischen Büros des Taschen Fight führt er nun gegen eine Krankheit, be, für Anständigkeit, sogar für eine Art Verlags liegen am Sunset Boulevard im ers- die ihm das nimmt, was ihn groß gemacht von Weisheit.“ ten Stock. Eine enge Treppe mit einem hat: seine Sprache und seine Athletik. Die Amerikaner lieben ihn, und auch die, blaugrauen Teppich führt hinauf. Ali ist Parkinson ist grausam, ein Knockout, die Amerika hassen, lieben ihn. Er ist der immer noch ein breiter Mann, er füllt das der Jahrzehnte dauern kann. Eine Ner- Botschafter seiner Nation, weil er für das Treppenhaus, aber er klettert diese 20 Stu- venkrankheit, die den Körper in eine le- steht, was die USA bewundernswert macht: fen hinauf, als bewegte er sich auf einer bende Mumie verwandelt. Die Muskeln Erfolg, Mut, Reichtum, Show. Und er steht Meereshöhe von 8000 Metern, als ginge er werden steif, es bleibt nur ein Zittern, das gegen das, was die Leute den USA vorwer- auf den Gipfel des Mount Everest. Er steigt immer stärker wird. Der Fluch Parkinson fen: Rassismus, Elend, Gewalt, Krieg. Er ver- langsam, aber ohne Pausen. macht Menschen klein und lahm, treibt sie körpert den amerikanischen Traum, und er Da oben liegen 830 Seiten, die ihn als in die Depression. Nicht Ali. „Es fällt mir verkörpert den antiamerikanischen Einwand. den feiern, der er immer sein wollte. Es ist schwer zu sprechen“, flüstert er An diesem Morgen, im Büro kein Buch, es ist ein Monument aus Papier: verzerrt, entschuldigend und „Allah über dem Sunset Boulevard, 50 Zentimeter breit, 50 Zentimeter hoch, röchelnd. „Keine Schmerzen, wird auf blättert sich Muhammad Ali 29 Kilogramm schwer. Das größenwahn- nur Parkinson.“ göttliche zurück an den Anfang seiner sinnigste Buch der Kulturgeschichte, das Keine Schmerzen, nur Par- Legende. Er sieht sich wieder in größte, schwerste und schillerndste Ding, kinson. Er braucht für diese vier Weise Amerika seinem ersten Cadillac, umringt das je gedruckt wurde, Alis letzter Sieg. Wörter eine halbe Minute. kaputt- von stolzen Kindern aus der In fünfjähriger Arbeit hat der Kölner Wie viele Rebellen war Ali kein machen.“ Nachbarschaft. Auf Seite 50 Verleger Benedikt Taschen, ein Ali-Fan seit Heiliger. Er war früher nicht die- stößt er auf ein Foto, aufgenom- mehr als 30 Jahren, die besten Fotos, Tex- ser sanftmütige Teddybär, der das olympi- men im Fifth Street Gym in Miami, da war te und Dokumente über Ali zusammenge- sche Feuer in Atlanta mit zitternden Händen er 21 Jahre alt. Er trägt ein T-Shirt mit der tragen. Zehn Millionen Euro habe er in anzündete und Millionen zu Tränen rührte. Aufschrift Cassius Clay, jenem Namen, auf „Greatest of All Time“, kurz „G.O.A.T.“, Ali war nicht Gandhi, er war nicht Mar- den er getauft wurde. Er versprüht mit- investiert, sagt Taschen. Immer wieder hat tin Luther King. Er glaubte nicht daran, reißenden Optimismus. Ali schaut lange er mit Ali zusammengesessen, um das dass die Dinge besser werden, wenn ein auf das Foto, seine Gesichtsmuskeln blei- Buch zu entwerfen, zu formen, zu voll- schwarzer Mann einem weißen Mann die ben steif. Dann beginnt sein Oberkörper enden. Nun liegt hier der erste Andruck in andere Wange hinhält. langsam hin- und herzuwiegen – wie einer textilbezogenen Schmuckkassette. Ja, es stimmt, Ali gehörte zur Sekte der ein Ei, kurz bevor das Wasser kocht. Ali stützt sich auf einen frisch polierten „Nation of Islam“, die in den Sechzigern „Jemand hatte mir unmittelbar vorher ei- Glastisch, vor ihm ausgebreitet sein Leben. lehrte, dass alle weißen Menschen Teufel nen Witz erzählt“, murmelt er, „der Witz Ali tritt einen Schritt zurück, seine Schul- sind und dass irgendwann der Tag der Ver- ging so: ,Auf der Rückbank eines Autos tern fallen nach vorn, die Hände baumeln geltung kommen wird. Dann, wenn Allah sitzen ein Puertoricaner, ein Chinese und herab. Der Mann, der von sich sagt, er sei mit 1500 Flugzeugen aus dem All, gesteu- ein Schwarzer. Wer sitzt am Steuer? Die der Größte aller Zeiten, scheint überwäl- ert von schwarzen Piloten, die Erde bom- Polizei.‘“ tigt. Unzählige Bücher, TV-Dokumenta- bardieren lässt und alle verbrennen außer Ali liegt schwer in seinem Stuhl, er lacht, tionen, drei Hollywood-Filme haben sein den Gerechten. sein Lachen klingt, als würde jemand ver-

74 der spiegel 41/2003 Gesellschaft suchen, ein Schlauchboot aufzupumpen. Als er noch Cassius Clay war, hatte er ter träumte davon, große Gemälde für die Sein Freund und Berater Howard Bing- Energie und sonst nichts. Den Rest, einen Stadt zu malen. Er galt als talentiert, be- ham, der möchte, dass Ali immer so redet, Namen, eine Religion, eine Identität – sei- kam aber nie einen Auftrag. Stattdessen als wollte er Botschafter bei der Uno wer- ne Freiheit – musste er sich erkämpfen. betrank er sich nachts, hielt große Reden, den, sagt: „Nein, Ali, das ist kein guter Auf der Veranda seines Vaters Cassius sagte, er sei ein arabischer Scheich oder ein Witz.“ Aber Ali lacht still sein Schlauch- Sr. in Louisville (Kentucky) saßen manch- indischer Adliger, malte tagsüber Schilder boot-Lachen. mal 50 Jungs herum. Er unterhielt sie alle. für Läden wie „King Carl’s Three Rooms Ein anderes Foto zeigt Ali und den radi- Er war fünf Jahre alt, als er seinen Vater of New Furniture“. Der Sohn Cassius woll- kalen Prediger . „Er“, sagt Ali, fragte: „Der Mann im Lebensmittelgeschäft te nicht so werden wie er. „hat mein Leben verändert.“ Und dann – weiß. Der Mann in der Apotheke – weiß. Clay war ein Unterhalter. Wenn es Streit beginnt etwas, das fast so rhythmisch klingt Der Busfahrer – weiß. Warum kann ich gab, dann löste er ihn durch einen Scherz. wie ein Rap: „Clay ist der Name eines nicht reich sein?“ Der Vater deutete auf Aber als sein neues, rot-weiß gestreiftes weißen Mannes. Du hörst Ching, und du seine dunklen Hände und sagte: „Des- Fahrrad gestohlen wurde, er war zwölf, lief weißt, der Mann ist Chinese. Du hörst Lu- halb.“ er zur Polizei, verlangte eine Suchaktion, mumba, afrikanisch. Goldberg, jüdisch. Ein In Büchern über die Clays heißt es, sie landesweit – und außerdem drohte er dem paar Schwarze heißen George Washing- hätten zur schwarzen Mittelklasse gehört. Dieb schreckliche Prügel an. ton. Der Name eines weißen Mannes. Mu- Konkret bedeutete das: Die Mutter durfte „Weißt du denn, wie man boxt?“, frag- hammad Ali ist mein wahrer Name.“ die Toiletten der Weißen putzen. Der Va- te ihn der Polizist namens Joe Martin. „Nein“, sagte Cassius, „aber ich werde trotzdem kämpfen.“ Martin, in seiner Freizeit ein Boxtrainer, sagte dem Jungen, er solle bald mal im Gym vorbeikommen. Der Junge hatte die schnellsten Beine, Augen und Reflexe, die Martin je gesehen hatte. Und der Junge blieb cool, wenn es gefährlich wurde. Außerdem hatte er Disziplin. Er begann zu rennen. Um 5 Uhr morgens zum ersten Mal, dann gegen 8.30 Uhr die 20 Stationen neben dem Schulbus her. Er rannte auch noch, wenn er mal ein Mädchen nach Hau- se brachte. „Runnin’ the girl home“ nann- te er das. Abends hatte er keine Zeit. Er war im Gym – bis Mitternacht. Als ihn ein Lehrer zum Football einlud, war er ent- setzt: „Da kann man sich wehtun“, sagte er und lehnte ab. Auf seiner Reise durch das Buch ist Ali bei den Bildern, die ihn als jungen Boxer zeigen. Athletisch, schön, tänzelnd. Es ist 11.30 Uhr am Vormittag im Taschen Verlag und schon sehr heiß. Ali, von dem es heißt, dass es ihm morgens viel besser gehe als abends, sackt tiefer in seinen Sessel, die Augen geschlossen. Und dann beginnt Alis Körper zu beben. Es ist kein Zittern, son- dern ein Beben. Es beginnt im rechten Arm, zieht hinunter in das rechte Bein, er- fasst die gesamte rechte Seite und schüttelt Ali hin und her, wie eine Boje, wenn Wind aufkommt. Es gibt Leute wie Alis früheren Arzt Fer- die Pacheco, die sagen, Parkinson komme von den vielen Schlägen, die Ali im Laufe seiner gut 30-jährigen Laufbahn einge- steckt habe. Und es gibt Leute, wie sein treuer Be- gleiter Howard Bingham, die behaupten, auch Michael J. Fox habe Parkinson und nie in seinem Leben auch nur einen Box- handschuh angehabt. „Es konnte früher vorkommen, dass Ali plötzlich fragte, wel- chen Monat haben wir eigentlich? Damals lachten alle. Heute schauen sie betreten“, sagt Bingham. Ali habe schon immer in ei- ner anderen Welt gelebt. Er habe geredet und geredet, und dann sei er plötzlich ein-

TASCHEN / FLIP SCHULKE TASCHEN geschlafen, wie ein erschöpftes Kind. Boxer Clay in Miami (1961): „Wer sitzt am Steuer – die Polizei“ Früher waren die Leute begeistert, weil sie

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te, „dass der weiße Mann besser ist als der Neger“. Jack Johnson siegte – für die meisten weißen Zuschauer ein unerträgliches Spek- takel. Sie schrien: „Kill the nigger“, und als das nicht half, kam es im ganzen Land zu Unruhen, so gewalttätig, wie erst wieder in den sechziger Jahren. Statt nach dem Sieg in der Versenkung zu verschwinden, setzte Johnson mit sei- nem Lebensstil ein Ausrufezeichen hinter seinen Triumph. Johnson hatte Sex mit weißen Frauen, er fuhr riesige Autos, und er wickelte beim Training seinen Penis in Mullbinden, damit sich die engen Shorts wölbten. Weil das Zähmen der Bestie im Ring misslungen war, musste nun das Straf- gesetz her, sie erwischten ihn mit einer Prostituierten. Johnson musste flüchten – erst nach Kanada, dann nach Europa. Die Lektion wirkte. Über Jahrzehnte wagte sich kein schwarzer Champion mehr so aufzutreten wie Johnson. Wenn es schon unvermeidlich war, dass einer von den Baumwollfeldern triumphierte, dann bitte wie Joe Louis: leise und bescheiden, genau so, wie sich ein rassistisches Land einen Schwarzen wünschte. Johnson war vergessen – bis Clay kam: „Ich fing an, Jack Johnsons Image zu mö- gen. Ich wollte rau, tough und arrogant sein. Der Nigger, den die Weißen nicht

TASCHEN / NEIL LEIFER TASCHEN mochten.“ K.-o.-Sieger Ali, Verlierer Liston (1965): „Ich bin der König der Welt“ Ali hatte genug. Er wollte nicht länger mit einer Goldmedaille um den Hals um dies für einen Teil von Alis Exzentrik hiel- schirm auf dem Rücken. Clay hatte Angst ein Glas Saft betteln. Er wollte den Weißen ten. Heute schauen sie betroffen und mur- vorm Fliegen. auf den Nerven herumtrampeln. Er wollte meln: „Parkinson.“ Nach dem Sieg nahm er seine Medaille die große Show, und nicht nur ein paar „Ich habe nicht vor, das Boxen mit ein nicht mehr ab. Rannte im olympischen Dorf Runden lang. „Wo glauben Sie, wäre ich paar hässlichen Souvenirs zu beenden“, herum und redete. Redete so viel, dass ihn nächste Woche, wenn ich nicht wüsste, wie sagte Ali früher. „Ich will nicht aussteigen die anderen zum „Bürgermeister“ ernann- man Rabatz macht und die Leute dazu mit Schnitten im Gesicht, zerfransten Oh- ten. Wieder zu Hause, wurde er mit einer zwingt, einen zur Kenntnis zu nehmen? ren und einer platt geschlagenen Nase. Es Kolonne von 25 Autos abgeholt. Aber als er, Ich wäre wieder ein armer Mann, unten in wird mir gelingen, denn mein Boxstil die Medaille immer noch um den Hals, ei- Louisville, meiner Heimat, ich würde Fens- schützt mich vor Verletzungen.“ nen Hamburger-Laden betrat und ein Glas ter putzen oder einen Fahrstuhl führen und Drei Jahrzehnte lang musste Ali Hiebe Saft bestellte, hörte er: „Nur für Weiße.“ sagen ,Yes, Sir‘ und ,No, Sir‘.“ einstecken. Hiebe, die manchmal so stark Unter solchen Umständen muss man es Ali war nicht der erste Boxer, der Worte waren, sagt Joe Frazier, der große Gegner wahrscheinlich als großes Glück bezeich- wie Waffen benutzte, aber er war schneller Alis, „dass man damit hätte Stadtmauern nen, dass sich ein Komitee aus und lustiger als alle zuvor. „The einreißen können“. Pferdezüchtern und anderen Alis Augen Louisville Lip“ wurde sein Spitz- Trotz seiner 61 Jahre ist Alis Haut immer weißen Provinzkapitalisten be- öffnen sich name, er war der erste Rapper. noch glatt wie die einer Aubergine. Das Zit- reit fand, ihn zu mieten wie ei- halb, „ich Ali kann diese sprachlichen tern hat aufgehört. Ali sieht ein Foto aus nen Preisbullen. So fiel er we- Pirouetten noch denken, aber sie dem Jahr 1971. Er trägt einen dunkelblauen nigstens nicht in die Hände der entschuldige finden nicht mehr aus seinem Nadelstreifenanzug, er wirkt sehr glamourös. Mafia. mich bei Mund. Früher, vor Parkinson, „Sie sehen aus wie der Hollywood- Boxen in Amerika, in einem niemandem“. unterhielt Ali, das Improvisa- Schauspieler Sidney Poitier“, sagt einer im Land, dem die Ausbeutung von tionsgenie, Journalisten auf Pres- Raum. Sklaven zu Reichtum verholfen hatte, war sekonferenzen ebenso mit Geschichten wie Ali schüttelt den Kopf, langsam. „Nein“, stets mehr als bloß der Schlagabtausch von Hausfrauen im Supermarkt mit selbst ge- sagt er. „Prettier“ – hübscher. zwei Männern vor einem Publikum, das schriebenen Gedichten und Imitationen. Jetzt lächelt er, seine Augenlider heben Blut sehen wollte. Boxen war eine Meta- Heute ist für ihn jedes Wort eine Leistung sich. „Und bin ich nicht immer noch pher für den Kampf Schwarz gegen Weiß, und jeder Satz eine Qual. hübsch?“ für das Auflehnen gegen die Unterdrücker. Auch an diesem Morgen in Los Angeles Er war 18, da gewann er die Gold- Boxen war ein Funken Wahrheit in einem ist es mit Alis Sprache wie mit einem alten medaille bei den Olympischen Spielen in Staat der Lügen, und Ali sah in Jack John- Feuerzeug, das nach vielen Versuchen Rom, und das Gefährlichste an diesen son den Schwarzen, dem er es nachma- noch manchmal eine Flamme hergibt, aber Kämpfen war für ihn der Hinflug. Er knie- chen wollte. Johnson hatte am 4. Juli 1910 eine kurze. te im Gang der Maschine, stundenlang, den weißen Weltmeister Jim Jeffries ge- Was fand er, der so viele Leute zum La- und betete, mit einem selbst gekauften Fall- schlagen, einen Boxer, der beweisen woll- chen brachte, lustig als Kind? Schwer hebt

78 der spiegel 41/2003 TASCHEN / HOWARD BINGHAM / HOWARD TASCHEN Ali in einem Cadillac, Nachbarskinder in Louisville (um 1960): „Der Nigger, den die Weißen nicht mochten“ sich Alis Brust unter seinem schwarzen bear“, als großen, hässlichen Bären, und Endlich, jetzt wird er das Großmaul rich- Hemd. Dann keucht er: „Schwarze Men- weil er Liston das persönlich sagen wollte, tig verprügeln. schen, die Gespenster sahen und davon- setzte er sich in seinen 30-Sitzer-Bus und Aber Liston saß nur da mit glasigen rannten …“ hielt schließlich vor Listons Haus in Den- Augen. Keuchen. ver, morgens um drei Uhr. Der Champion „That’s it.“ „… und Haare hatten, die zu Berge stan- öffnete die Tür in kurzen Pyjamahosen. Dann spuckte er den Mundschutz aus. den, wie die von Don King, und so schnell „Was willst du, schwarzer Mother- Er hatte aufgegeben. rannten, dass sie davonfliegen wollten …“ fucker?“, fragte Liston. Es ist heiß im Büro des Taschen Verlags Keuchen. „Dich verprügeln, jetzt“, antwortete über dem Sunset Boulevard. Alle trinken „… und rannten, bis sie stehen blieben Cassius Clay. Liston schlug nicht. Er hatte Wasser aus kleinen Plastikflaschen. Nur und sagten: ,Ich bin müde‘, und der Geist schon genug Ärger mit seinen Vorstrafen. Ali nicht. Seine Hände zittern zu stark. Ali blieb ebenfalls stehen, lachte und sagte: „All night, all night, float like a butter- dämmert in seinem Sessel. Schaut auf die- ,Ich bin auch müde.‘“ fly, sting like a bee, rumble, young man, ses Foto. Seite 208. Das Foto von Liston auf Haben Sie Angst vor einem rumble.“ Schwebe wie ein seinem roten Hocker. Ali hebt den Kopf, Gegner gehabt? Ali hebt Schmetterling, stich wie eine so, als hätte ein Wecker geklingelt, und „. Er schlägt hart.“ den Kopf Biene. Kämpfe, Junge, kämpfe, schlägt mit der Faust auf das Foto. Bumm. Wie haben Sie Ihre Furcht be- und schlägt rief Drew „Bundini“ Brown, Dann flüstert er: „He was no fool, he siegt? eine Art moderner Medizin- stayed on the stool.“ Er war kein Narr, er „Gar nicht. Du musst Furcht mit der mann aus Clays Ecke. Zwei Tage blieb auf dem Stuhl. Dann schließt Ali die haben. Mit Furcht kämpfst du Faust auf später, abends um 22 Uhr, der Augen. Es folgen Schnarchgeräusche. Dann besser. Furcht ist eine gute Sache das Foto. Kampf begann. In den ersten das Gebrüll eines Löwen. „Tricked you.“ – manchmal.“ beiden Runden tanzte Ali um Vor 39 Jahren, als Liston in seiner Ecke Gibt es einen Gegner, dem Sie Angst Liston herum, ohne schlimm getroffen zu sitzen blieb, hüpfte Ali wie ein kleines eingejagt haben? werden. Dann schlug Clay zu. Liston blu- Mädchen durch den Ring. „Ich bin der Keuchen. Dann schweigt er. tete unter dem linken Auge und aus der König“, schrie er. „Ich bin der König! Der „Gibt es einen Gegner, den Sie belei- Nase. König der Welt!“ digt haben und bei dem Sie sich entschul- Nach der dritten Runde gab Liston den „Es schien kein großer Schritt zu sein, digen müssten, zum Beispiel bei Joe Fra- Befehl, seine Handschuhe mit einem säu- dass ein Kämpfer das Boxgeschäft zum Show- zier, den Sie mal einen Gorilla genannt rehaltigen Lösungsmittel einzureiben. Clays business ausbaute“, schrieb Tom Wolfe. haben?“ Augen begannen zu brennen, er geriet in „Aber verdammt wenige vor Cassius Clay Keuchen. Alis Augen öffnen sich halb. Panik, schrie: „Ich kann nichts sehen, zieht taten es.“ Als Popstar wurde Ali schnell zu „Ich entschuldige mich bei niemandem.“ mir die Handschuhe aus.“ einer großen Figur der Swinging Sixties, es Die meisten Journalisten haben ihn für Der Gong rettete ihn. In der Pause spül- war eine neue Welt, die Leuten wie Lis- seine große Klappe gehasst. Aber sie wa- te sein Trainer die Augen mit klarem Was- ton zusetzten. „Sind das die Motherfucker, ren sich sicher, dass ihn jemand zum ser aus. Clay kam zurück, und kurz bevor wegen der all die (jungen) Leute schreien?“, Schweigen bringen würde. der Gong die sechste Runde beendete, hatte Liston über die Beatles gesagt. „Mein Sonny Liston sollte so einer sein. In den schlug er ein paar linke Haken. Liston blieb Hund kann besser Schlagzeug spielen als Kampf am 25. Februar 1965 ging er wie stehen, dann taumelte er langsam zu sei- dieses Kind mit der großen Nase.“ eine Art Auftragskiller. Liston war ein Ex- nem Hocker. „That’s it“, sagte er, als er Die alte Ordnung, sie stand noch, Sträfling. Ali verhöhnte ihn als „Big, ugly sich hinsetzte. Seine Betreuer dachten: aber mit dem Knockout ihres Auftrag-

80 der spiegel 41/2003 Gesellschaft killers Liston hatte sie die ersten Risse Sonne, alle Planeten. Es gibt kein Wort, klingelte. Er sei 1A hieß es, also voll taug- bekommen. das groß genug ist, Gott zu beschreiben. lich, das war das Top-Musterungsergebnis. Das Establishment lief Amok, als Clay, Aber Gott weiß alles, über jeden von uns. Zwei Jahre vorher, 1964, war er ausgemus- jetzt Weltmeister, sich von der alten Ord- Deshalb müssen wir Gutes tun.“ tert worden, wegen mangelnder Intelli- nung lossagte. Als er seinen Namen än- Etwas weiter hinten im Zimmer über genz. Nun sollte er nach Vietnam. Gleich derte und seine Religion, als er sich wei- dem Sunset Boulevard steht ein schwarzer danach rief einer von der Zeitung an. Und gerte, noch eine Minute länger auf ein Glas Mann in einem dunklen Anzug. Er ist sehr Ali sagte diesen Satz, der zum wichtigsten Saft zu warten, als er 400 Jahre Sklaverei kräftig, heißt Jay und ist der amerikani- Ausspruch seines Lebens wurde. in die Mülltonne der Geschichte stopfte. sche Verkaufsleiter von Taschen. „Man“, sagte Ali, „I ain’t got no quarrel Er war jetzt Muslim, gehörte zur Nation Ali schaut mit halb geöffneten Augen with them Vietcong.“ – Mann, ich habe of Islam. Diese Sekte war ein Haufen von hinüber zu ihm und sagt: „Junge, du erin- keinen Ärger mit den Vietcong. paranoiden, machtbesessenen Spinnern, nerst mich an Liston, genauso groß, ge- Das war’s. Das amerikanische Establish- die es auf Clays Geld abgesehen hatten nauso stark. Ich bin nicht sicher, ob ich ment schrie auf. „Cassius macht sich ge- und auf seinen Ruhm. Aber für Clay funk- dich mag.“ nauso lächerlich wie die ungewaschenen tionierte der Deal. Er bekam einen neuen Jay lächelt ein wenig. Er ist verlegen. Bengel, die gegen den Krieg demonstrie- Namen und eine Identität. Ali wollte sich „Junge, betest du jeden Tag?“, fragt Ali. ren“, schrieb ein Kolumnist namens Red nicht mit den Weißen einigen, er wollte Jay bejaht. Smith. Er war noch der Netteste. „Verrä- einen schwarzen Staat. „I am black and I „Warum betest du?“ ter“, „Idiot“ brüllten andere. Es war, als am beautiful“, sagte Ali. „Damit ich hier ein besseres Leben habe wäre Jack Johnson, der schwarze Provo- Heute ist er ein friedlicher Muslim. Al- und hinterher auch.“ kateur des Boxrings, wiederauferstanden lah und Parkinson sind seine letzten Her- Ali lacht. Dann kommt sein Klassiker. und hätte mit seinem riesigen schwar- ren, aber Allah ist stärker. Er ist heute um „Der Kerl ist gar nicht so dumm, wie er zen Penis auf die gesamte amerikanische fünf Uhr aufgestanden, hat gebetet, das aussieht.“ Armee gepinkelt. erste von fünf Gebeten am Tag. Jetzt, bald Als Ali noch redete wie Osama Bin La- Sie boten Ali einen Kompromiss an. Er acht Stunden später, ist er müde. „Allah“, den, klebten ihm die Diener der alten Ord- sollte zur Armee und in Vietnam Schau- murmelt Ali, „hat mir diese Krankheit auf- nung Wanzen unter sein Bett und in sein kämpfe boxen. Aber sie waren an den ALLE FOTOS 1963 © STEVE SCHAPIRO, COURTESY FAHEY / KLEIN GALLERY, LOS ANGELES LOS GALLERY, / KLEIN FAHEY COURTESY SCHAPIRO, 1963 © STEVE FOTOS ALLE Clay im Haus seiner Eltern in Louisville (1963): Flieg wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene, kämpfe, Junge, kämpfe – fly like a butterfly, erlegt – als Prüfung. Allah hat mich oft ge- Trainingslager. Und Ali schlug im Ring Falschen geraten. Ali war nicht Elvis, den testet in meinem Leben. Parkinson ist der zurück. Ernie Terrell, ein braver, schwarzer man mit einem Bananenmus-Sandwich letzte Test.“ Christ, hatte den Fehler begangen, Ali nicht und einer Blondine befrieden konnte. Ali Denken Sie über den Tod nach? mit seinem neuen Namen anzusprechen, wusste nicht genau, wo Vietnam lag, aber „Jedes Gebet ist eine Meditation über sondern mit seinem alten. „What’s my er war sich sicher, dass er dort nichts den Tod. Man bittet um Vergebung.“ name? What’s my name?“, fragte Ali bei verloren hatte. „Warum soll ich 10000 Mei- Früher sagten Sie, dass Gott ursprüng- jedem Schlag, den er Terrell in das ver- len weit weg von hier Bomben und Kugeln lich schwarz gewesen sei und die Weißen zweifelte Gesicht drückte. Und als klar war, auf Menschen mit brauner Haut in Viet- seine Hautfarbe gefälscht hätten, um die dass es im Ring und außerhalb des Rings nam werfen, während die so genannten Schwarzen zu versklaven. Glauben Sie im- niemanden gab, der den erklärten Staats- ‚Neger‘-Menschen in Louisville wie Hunde mer noch, dass Allah schwarz ist? feind zu Fall bringen konnte, kam die alte behandelt werden. Ich habe nichts zu be- „Gott hat keine Hautfarbe, er hat keine Ordnung mit einem neuen Trick. fürchten, wenn ich aufstehe und meinem Haut. Gott isst nicht, und er geht nicht aufs Ali saß in einem Plastikstuhl vor seinem Glauben folge. Wir waren 400 Jahre lang Klo. Gott hat die Erde gemacht und die kleinen Haus in Miami, als das Telefon im Gefängnis.“

82 der spiegel 41/2003 Die Antwort war die Höchststrafe: fünf der Angst hat, lebt nicht.“ Ali wurde zum Foreman stieg mit roten Hosen und blau- Jahre Gefängnis plus eine Geldbuße von Helden des neuen Amerika. Obwohl er im em Bund in den Ring, den Farben der ame- 10 000 Dollar. Dazu nahm ihm die New Ring nie mehr so tanzte wie vorher. rikanischen Flagge. Ali trug einen weißen York State Athletic Boxing Commission Das Alter hatte ihm die Schnelligkeit ge- afrikanischen Umhang. Er blickte Foreman den Weltmeistertitel. Ali war 25 alt, auf raubt. Er hatte, wie man in der Ringspra- in die Augen und sagte: „Du hast von mir dem Höhepunkt seiner Kraft und Karrie- che sagt, „seine Beine verloren“. Er lern- gehört, seit du noch klein warst. Du hast re, und er war arbeitslos. Er mag Angst te einzustecken. Ken Norton brach ihm mich verfolgt, seit du ein Junge warst. Jetzt und Zweifel um seine Zukunft gehabt ha- den Unterkiefer, Joe Frazier ver- musst du mir begegnen, deinem ben, aber er zeigte sie nicht. „Fegt schon prügelte ihn fürchterlich. Aber Kennedy und Meister.“ mal eine Zelle aus“, sagte er. nach sieben Jahren durfte Ali Malcolm X 29 Jahre später, bei seinem Gegen eine Kaution von 5000 Dollar blieb wieder antreten in einem Kampf hatten mit Marsch durchs Leben, im Zim- Ali frei, aber es war eine bescheidene Frei- um jene Krone, die ihm ein paar mer über dem Sunset Boulevard, heit. Er lebte in einem kleinen Haus der Bürokraten gestohlen hatten. ihrem Leben muss Ali um jedes Wort kämp- South Side von Chicago. Er sagte, dass sei- Der Gegner hieß George Fore- bezahlt, Ali fen, aber plötzlich steht er auf. ne Frau eine gute Köchin sei, sie könnten man, er war sieben Jahre jünger hatte überlebt. Wenn er schon nicht über einen auch für drei Dollar am Tag essen. Er bekam als Ali, und er galt als unbesiegbar. seiner wichtigsten Fights spre- 500 Dollar für Vorträge in Universitäten; in Er war eine motorisierte Version von chen kann, dann will er ihn wenigstens den Lebensmittelläden, Wäschereien und Sonny Liston. Seine Schläge klangen, nachspielen. Er trippelt rückwärts zurück in Schönheitssalons der South Side tat er es schrieb Norman Mailer, als würde jemand die Ecke des Raumes und ballt seine Hän- gratis. Er sagte, er sei bereit, ein Priester mit einem „Baseballschläger auf eine Was- de. Sie sind erstaunlich klein. Wie auf ei- Allahs zu werden. So redete er, aber er woll- sermelone dreschen“. In seinen 40 Kämp- nem Förderband gleitet er aus seiner Ecke, te natürlich wieder in den Ring, zurück ins fen hatte Foreman seine Gegner 37-mal und wenn seine Fäuste durch die Luft Scheinwerferlicht, auf die ganz große Bühne. ausgeknockt. segeln, zischt es immer noch. Nur dass er Nach dreieinhalb Jahren war es so weit. Schauplatz des Kampfes war Kinshasa, in diesem Augenblick nicht Ali in Kinsha- Am 26. Oktober 1970 stieg Ali in Atlanta Zaire, Afrika. Die Kampfbörse von zehn sa ist, sondern Foreman. „The mummy“, wieder durch die Seile. Sein Gegner Jerry Millionen Dollar hatte kein amerikanischer flüstert Ali, „die Mumie“, so habe er ihn

sting like a bee

Quarry, ein Weißer, der früher für 99 Dollar Veranstalter finanzieren können, also stell- genannt. „Er boxte steif, als hätte er Platt- die Woche die Reifen von Greyhound-Bus- te der afrikanische Diktator Mobutu das füße.“ sen wechselte, hatte keine Chance. Ali war Geld zur Verfügung. Er wollte zeigen, was Damals, nach einer brillanten ersten wieder da, und er besiegte nicht nur Jerry für ein fortschrittliches Land Zaire sei. Runde, hängte Ali sich in die Seile wie ein Quarry an diesem Abend, sondern all die, Natürlich ging Ali diesen Kampf poli- Bergsteiger, der in einen furchtbaren Sturm die ihn wegsperren wollten. John F. Kenne- tisch an. „Mein ganzes Leben wollte ich gekommen ist. Foreman prügelte auf ihn dy, Robert Kennedy, Martin Luther King, zurück nach Afrika, wo 22 Millionen Men- ein und wurde müde. Und dann, in der Malcolm X, sie alle hatten ihren Einsatz für schen aus ihren Häusern gekidnappt wur- achten Runde, erwischte ihn Ali mit einem mehr Gerechtigkeit in einem ungerechten den“, hatte er vor Jahren gesagt. Ali, der linken Haken und einem rechten Cross. Land mit dem Leben bezahlt. Ali hatte über- Rächer der Sklaven. Ali joggte im Mor- Foreman guckte überrascht, als er am Bo- lebt. Ohne einen einzigen Bodyguard. „Ich gengrauen an den Hütten vorbei, wo die den lag. Es sollte 17 Jahre dauern, bis er es brauche keine Männer, die mich mit Waffen Leute altarähnliche Bilder von ihm mal- wieder wagte, um den Titel zu kämpfen. bewachen“, sagte er. „Gott ist mein Body- ten. Bald schallte der Schlachtruf „Ali Bo- Ali war jetzt nicht nur der Boxer, der den guard. Allah passt auf mich auf. Ein Mann, maye“ durch den Kongo – Ali, töte ihn. stärksten Mann der Welt besiegt hatte. Er

der spiegel 41/2003 83 Gesellschaft TASCHEN / BOB GOMEL / TIME LIFE PICTURES / GETTY IMAGES PICTURES / BOB GOMEL TIME LIFE TASCHEN Bürgerrechtler Malcolm X, Ali in New York (1964): „Ein Mann, der nie auf die herunterschaute, die zu ihm hochschauten“ hatte den Rassismus herausgefordert und die zen Mann, der den Schwergewichtstitel wurde zum traurigsten Sieger aller Zeiten. Army, er war gegen den Krieg angetreten gewann, der Humor hatte und der ver- „Ich will, dass die Menschen wissen, wie und gegen das weiße Establishment und hat- suchte, jeden gut zu behandeln. Als ein stolz ich bin, meine Kunst von Ali gelernt te alle Schlachten gewonnen. Mann, der nie auf die herunterschaute, die zu haben“, sagte er nach dem Kampf. „Ich Danach geschah das Undenkbare. Prä- zu ihm hochschauten, und der so vielen bin stolzer darauf, mit ihm trainiert zu sident Gerald Ford lud Ali ins Weiße Haus seiner Leute half, wie er nur konnte – haben, als er jung war, als ihn jetzt im Alter ein. „Es war ein großer Fehler, mich hier- finanziell, aber auch in ihrem Kampf um geschlagen zu haben.“ her kommen zu lassen“, scherzte Ali, „weil Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit.“ Geld. Dollar. Millionen von Dollar. Es ich jetzt Ihren Job haben will.“ Damals, nach dem Kampf gegen Fore- sind Worte, die ihn nicht wachklingeln kön- Warum hat er nicht aufgehört damals, man, blieb er die ganze Nacht wach. Im nen an diesem Tag in Los Angeles, an dem auf dem Höhepunkt? Er hat sich die Frage Morgengrauen empfing er Delegationen er durch sein Leben blättert. Ali stellt sich damals nicht gestellt, und heute will er sie afrikanischer Stämme. schlafend. „Geld interessiert ihn nicht“, nicht beantworten. Sein Kopf kippt zur Sei- „Sie brachten ihm mehr als nur Vereh- sagt Howard Bingham. „Ali war immer der te, der Mund öffnet sich. Schnarchgeräu- rung entgegen“, schreibt Norman Mailer, Meinung, dass er sich um Geld nicht zu sche. Ali stellt sich schlafend. der dabei war, „er war Gott. Und kümmern braucht, weil er immer neues Dann blinzeln seine schweren Ali hämmert er sprach sehr einfach an diesem verdienen wird.“ Augenlider. Es ist die Frage, mit Punkte auf Tag und sehr schön. Er sagte: Über hundert Millionen Dollar hat Ali der man ihn am meisten genervt die Serviette, ,Afro-Amerikaner in Amerika allein an Kampfbörsen kassiert. Das meiste hat in den vergangenen 30 Jah- sind nicht so gut wie ihr. Einige ist weg. Geblieben ist ihm genug, er hat ren. Alis rechter Mundwinkel als machte von uns haben mehr Geld als ihr, Trust Funds angelegt für seine neun Kin- hebt sich ein klein wenig zu ei- er ein aber ihr habt eine Würde in eu- der; er hat ein paar Immobilien in Virginia, nem spöttischen Grinsen. „War- Testament. rer Armut, die wir nicht haben. seine Farm in Michigan. Pro Woche unter- um wollen Sie das wissen?“ Wir haben verloren, was ihr zeichnet er ein paar hundert Autogramm- Ali musste eine Menge Schläge ein- noch habt, und ihr müsst es behalten.‘ Und karten, die ein Geschäftsmann dann ver- stecken, als er älter wurde. In der ersten ich dachte: Mein Gott, dieser Mann ist auch kauft. „Ich schreibe“, sagt Ali, „wir essen.“ Phase seiner Karriere, bis zum Jahr 1964 noch ein politischer Führer.“ Es gibt Hunderte Geschichten über etwa, stand er durchschnittlich 5.5 Runden Er war es, aber ohne Parlament und Par- Ali, wie er sein Geld verteilte. Wie seine pro Kampf im Ring. In der zweiten Phase, teiapparat und festgeschriebenem Pro- 50-köpfige Entourage von damals noch zu Foremans Zeiten in Zaire, waren es 9.9 gramm. Alis Regierungssitz blieb der Ring, Jahrzehnte später in den Geschenkshops Runden. In der dritten Phase, von 1975 bis er war jetzt ein Botschafter für alle, die in der Hotels auf seinen Namen anschreiben 1981, musste er 12.6 Runden pro Kampf ihm ihren Vorkämpfer sahen. ließ. Wie er einen Tramper mitgenommen durchstehen. Die dritte Phase war eine Art Vielleicht machte er deshalb weiter. Prü- hatte und ihn am nächsten Tag mit einem Selbstmord auf Raten. „Warum haben Sie gelte sich mit Frazier in Manila, bis der Flugticket ausstattete. Wie er einen Viet- sich das angetan?“ nach der 14. Runde aufgab, weil seine Au- nam-Veteranen überredete, sich nicht von Ali deutet auf das Buch, das auf dem gen so geschwollen waren, dass er Ali nicht einem Hochhaus zu stürzen und ihm eine Glastisch liegt. Dort steht, am Anfang, auf mehr sehen konnte; verlor seinen Titel ge- neue Wohnung anmietete. Wie er einem großen Doppelseiten, dass Ali nie genug gen Leon Spinks und gewann ihn ein hal- jüdischen Wohnheim für Behinderte, das kriegen konnte von der Liebe jener Leute, bes Jahr später zurück, ein drittes Mal; trat geschlossen werden sollte, mit hundert- die ihn bewunderten. an gegen Larry Holmes, einen seiner Spar- tausend Dollar aushalf. „Ich will, dass die Menschen mich in ringspartner, der ihn durch den Ring wir- Ali bleibt in Bewegung. Statt sich auf Erinnerung behalten als einen schwar- belte wie eine Spielzeugpuppe. Holmes seiner 30 Hektar großen Farm in Michigan

84 der spiegel 41/2003 Gesellschaft zu verstecken, einem Anwesen, das In den Boxring auf der Serviette früher einmal Al Capone gehört ha- zeichnet Ali jetzt Strichmännchen. ben soll, reist er durch die Welt. „Er Er möchte nicht reden, er malt. ist die ganze Zeit unterwegs“, sagt Möchte er Fragen beantworten? Er Howard Bingham, „er kann nicht nickt mit den Augen. anders. Er mag Menschen, und die Amerika oder Afrika? Menschen mögen ihn.“ „Amerika.“ Bingham ist Alis bester Freund – Bush oder Clinton? seit mehr als 40 Jahren. Ein Mann, „Clinton.“ der schon früher stotterte und jetzt Wäre er, der sich weigerte nach Alis oft unverständliche Worte wie- Vietnam zu gehen, in den Irak ge- derholt. Auf die pünktliche Einnah- gangen? me der Medizin achtet Lonnie, eine „Auf Muslime schießen, auf resolute schwarze Dame mit Som- Menschen mit brauner Hautfarbe?“, mersprossen, mit der Ali seit 16 Jah- murmelt Ali. „Niemals, never.“ ren verheiratet ist. Lonnie ist seine Ein Strichmännchen hat große vierte Frau, eine Nachbarstochter Fäuste, eines kleine. Neben das mit aus Alis Heimat in Louisville, nach den großen schreibt er Ali, neben gescheiterten Ehen mit einer Nacht- das mit den kleinen Frazier. clubsängerin, einer strengen Musli- Frazier, flüstert Bingham, verfolgt min und einem Fotomodell. Aber ihn noch heute. Alis vierte Frau Lon- auch Lonnie hat wenig zu melden, nie könne nicht in einem Bett mit wenn Ali reisen will. Ali schlafen, weil er nachts oft um Es gibt keinen Plan. Er geht, wo- sich schlage. Er träumt von seinen hin er will, wann er will. Kämpfen gegen Frazier, Kämpfen, Neulich war er in Kabul, um dort von denen er damals sagte, er habe

eine Mädchenschule einzuweihen. / FLIP SCHULKE TASCHEN den Tod gespürt. Dann war er in Dublin, um mit sei- Ali unter Wasser (1961): Schön und unschlagbar Aber das interessiert Ali jetzt nem Freund Nelson Mandela die Be- nicht, denn Ali beginnt neben den hinderten-Olympiade zu eröffnen. Dann sen, fast 500 Quadratmeter groß, in der Ring und die Kämpfer kleine, schwarze traf er sich mit dem Dalai Lama. Zwi- Mitte ein riesiger Boxring, darin Alis Le- Punkte auf die Serviette zu hämmern. Es schendrin besuchte er Kinderkrankenhäu- ben, 830 Seiten dick, zum ersten Mal der sind Hunderte von Punkten, und es dauert ser und Obdachlosenheime. Welt präsentiert. Es gibt für den Boxer im- lange, 10, 15 Minuten, viel länger als der Es ist für Ali kein Widerspruch, einer- mer noch nichts Schöneres, als einen Raum Ring und die Strichmännchen zusammen. seits mit seinem alten Freund Fidel Castro voller Menschen zu betreten, die er nicht Es ist, als malte er ein Testament. Was ein paar Tage in Havanna zu verbringen kennt, und zu spüren, dass sie ihn mögen. bleibt nach all den Kämpfen, nach seinen und über ihn zu sagen: „Ein guter Mann, Das „Beverly Wilshire“-Hotel in Los An- Schlachten um Black Power und Vietnam, Fidel, hat sich nicht unterkriegen lassen geles ist eine Festung der alten Ordnung. um Mohammed und Amerika? Die Punk- von den Amerikanern.“ Und andererseits „Pretty Woman“ wurde hier gedreht, und te. Die Zuschauer. Die Leute. den Vorständen der New Yorker Börse ei- an diesem September-Nachmittag dämmert Man braucht eine Portion Größenwahn, nen Besuch abzustatten. „Wenn der Markt im Salon das reiche, weiße Amerika mit wenn man es mit den Herausforderungen nach oben geht“, sagte er der versammel- grimmigen Gesichtern einmal mehr von ei- aufnimmt, denen Ali die Stirn geboten hat. ten Finanzelite, „dann habt ihr das meinem nem ereignislosen Nachmittag in einen er- Aber seine Großzügigkeit, seine Liebe zu Segen zu verdanken. Wenn er nach unten eignislosen Abend hinein. Hauptsache, der den Menschen ist größer als sein Größen- geht, habe ich nichts damit zu tun.“ Nichts, Earl Grey hat die richtige Farbe. wahn. auch Parkinson nicht, scheint es, kann die- Ali geht an den Tischen vorbei und zau- Die Zuschauer haben das gespürt. Sie sen Mann einschüchtern, der einmal vor bert sogar in diese Gesichter noch ein spüren es noch heute. Breschnew stand und über ihn sagte: „Er Lächeln. Er setzt sich. Aber er hat keinen Ali ist der große Freund der Menschen, ist gar nicht so dumm, wie er aussieht.“ Hunger. Mit wackeligen Händen zieht er weil alle sich in ihm sehen: Er war so schön In dieser Woche wird er auf der Frank- eine Stoffserviette aus einem Brotkorb. Er und unschlagbar, wie sie es gern wären, furter Buchmesse antreten. Dort hat der schiebt Teegeschirr und Gläser beiseite, und nun ist er so schutzlos und zäh, wie sie Taschen Verlag einen Stand aufbauen las- breitet das Tuch aus, nimmt einen schwar- es sind. zen Filzstift und beginnt zu Eigentlich muss einer früh sterben, um malen, mit fester Hand. derart verehrt zu werden. So wie Marilyn Drei Striche sind zu erken- oder Ché. Ali lebt. Gelähmt und geschüt- nen, ein dickerer Strich. Es telt von Mächten, gegen die er nicht ge- könnte ein Boxring werden, was winnen kann, aber bewundert von denen, merkwürdig ist, denn Ali hat die ihn immer noch siegen sehen wollen. das Interesse am Boxen fast vollständig verloren. „Wenn ich Das Buch „G.O.A.T“ weg bin“, hat er vor Jahren ge- erscheint im Taschen sagt, „wird das Boxen wieder Verlag, hat 830 Seiten gar nichts sein. Die Männer mit und ist 50 mal den Zigarren und den herun- 50 Zentimeter groß. tergezogenen Hüten werden Es kostet 3000 Euro wieder zurück sein. Ich war der (Auflage: 9000 Exem- plare) oder 7500 Euro einzige Boxer in der Geschich- (mit Jeff-Koons-Skulptur und vier signierten AXEL KOESTER te, dem die Leute Fragen stell- Silverprints, Auflage: 1000 Exemplare). Ali im Hotel in Los Angeles (2003): Gelähmt und geschüttelt ten wie einem Senator.“

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