Stanley Kubrick Napoleon Und Oskar Werner Bonaparte
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Stanley Kubrick Napoleon und Oskar Werner Bonaparte Ein Filmklassiker, der nicht realisiert wurde: Materialsammlung zu „Stanley Kubrick‘s Napoleon“ jetzt als prachtvolle Hardcover-Ausgabe von Marc Hairapetian In Angriff genommene, aber letztendlich doch nicht realisierte Filmprojekte üben auf Cineasten einen ganz besonderen Reiz aus, vor allem dann, wenn die Regisseure einen glanzvollen Namen haben. Der Anlass zur Spekulation lässt beim Kinofreund eigene Bilder im Kopf entstehen - unweigerlich ertappt man sich dabei, selbst in die Inszenierung eingreifen zu wollen, geht imaginäre Besetzungslisten durch, ersinnt kühne Kamerafahrten oder denkt über den Einsatz der Musik nach. Wie hätte wohl David Lean seine langgeplante Joseph-Conrad-Adaption „Nostromo“ auf die Leinwand gebracht? Zumindest bildgewaltiger als die spätere TV-Miniserie von Alastar Reid aus dem Jahr 1996. Wäre Stanley Kramers „Andersonville“, der das Kriegsgefangenenlager der Konföderierten im amerikanischen Bürgerkrieg als Vorläufer der KZs im Dritten Reich zeigen wollte, ein Politikum geworden? Sicherlich eher als John Frankenheimers lahme Fernsehverfilmung von 1996. Hätten „Die Physiker“ nach Friedrich Dürrenmatt schauspielerisch Maßstäbe gesetzt? Durchaus möglich, wenn die Finanzierung der mit Peter Ustinov, Danny Kaye und Oskar Werner in den Hauptrollen vorgesehene Tragikomödie ebenfalls unter Stanley Kramers Regie nicht gescheitert wäre. Und dann ist da noch Stanley Kubricks „Napoleon“, der wie sein ehemaliger Ausführender Produzent und jetzige Nachlassverwalter Jan Harlan sagt, einer großen Frage in vier Stunden Laufzeit nachgehen wollte: „Wie konnte es dazu kommen, dass jemand, der so begabt war und viele Erfolge feierte, am Ende scheiterte?“ Doch noch eine Frage ist interessant: Warum konnte jemand wie Kubrick, der im Filmbereich als Genie gilt wie Napoleon als Feldherr, seinen Wunschtraum nicht auf Zelluloid bannen? In der heutigen Zeit wird mit Superlativen nicht gerade gespart; erst recht nicht im Filmgeschäft und auf dem Buchmarkt. Und so ist kaum verwunderlich, dass der Untertitel der von Alison Castle herausgegebenen Publikation über dieses nicht zustande gekommene Historien- und Personenepos, lautet: „The Greatest Movie Never Made“ („Der größte Film, der nie gedreht wurde“). Wenn man sich die 1112 (!!!) Seiten der Hommage an Kubricks unfertigen Film zu Gemüte führt, die zuerst Ende 2009 als limitierte Luxusausgabe zehn Bände in einer ausgehöhlten Reproduktion eines Geschichtsschmökers verbarg und nun sämtliche Originalelemente in einem Buch vereinigt, kommt man zur Auffassung, dass es sich bei weitem nicht nur um einen cleveren Werbeslogan handelt. Ein Monumentalfilm, der mit einer Aufnahme von Napoleons Teddybär beginnt - und endet. Dazwischen gewaltige Schlachtenpanoramen mit Tausenden von Komparsen, choreographiert wie klassisches Ballett, unendlich grausam und zeitlos schön zugleich. Dazu hätte sich das internationale Schauspieler-“Who-is-Who“ die Ehre gegeben: Peter O‘Toole, Richard Burton, Alec Guinness, Jean-Paul Belmondo, Audrey Hepburn und Vanessa Redgrave in tragenden Nebenrollen. Oskar Werner als Erstbesetzung von Napoleon Bonaparte (später waren der ihm ähnlich sehende David Hemmings und - noch vor „The Shining“ - Jack Nicholson vorgesehen). Dies enthüllen euphorisch geführte Briefwechsel der beiden kompromisslosen Künstler Kubrick und Werner vom Oktober 1968, die als Faksimile beigefügt sind. Die Produktion, die unmittelbar nach dem Kinostart von „2001: Odyssee im Weltraum“ , beginnen sollte, und daran scheiterte, weil Sergei Bondartschuks respektables „Waterloo“ sein selbiges 1970 an den Kinokassen erlebte, weswegen MGM und später United Artists vermeinten, Historienepen wären aus der Mode gekommen, ist mit Sicherheit das bestrecherchierte Filmprojekt aller Zeiten. Der akribische Perfektionist Kubrick, der Abel Gances „Napoleon“-Stummfilm-Klassiker von 1927 verabscheute, trug mit Unterstützung Dutzender Mitarbeiter sowie Felix Markham, dem Spezialisten von der Universität Oxford Professor, eine beispiellose Sammlung zusammen, darunter 15000 Ablichtungen von möglichen Drehorten und 17000 Dias zum Titelhelden selbst. Bevor noch der Siegeszug von Computern Einzug erhielt, hortete er einen Großteil des Materials in einem ganz speziellen Karteikastenschrank. Nachdem sein Film über Bonaparte nicht zustande kam, drehte er kostengünstig mit der visuellen „tour de force“ „Uhrwerk Orange“ (1970/71), die gerade bei den Filmfestspielen in Cannes zum 40jährigen Jubiläum eine Galavorführung erlebte, eines seiner besten Werke. „Stanley Kubrick‘s Napoleon“ enthält nicht nur seinen endgültigen Drehbuchentwurf (den Jan Harlan 2002 Ang Lee anbot, der aber mitten in den Vorbereitungen zu „Hulk“ steckte), sondern auch das Original-Treatment, Kostümstudien, Essays und eine aufschlussreiche Abschrift der Fachsimpelei die Kubrick mit Markham führte. Zu dem Buch gibt es eine Keycard, die den unbegrenzten Online-Zugang zu Kubricks gesamter Bilderdatei gewährt. Einziges Manko der preisgünstigeren Hardcover- Ausgabe: Die Schrift ist manchmal sehr klein, so dass sich das Lesen mit einer Lupe empfiehlt. Ansonsten wäre man fast geneigt, zu sagen: „Stanley Kubrick‘s Napoleon“ ist das größte Filmbuch, das je realisiert wurde! Marc Hairapetian (SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de) Alison Castle (Hrsg.): „Stanley Kubrick‘s Napoleon: The Greatest Movie Never Made“, Taschen Verlag, Ausgabe Hardcover & Keycard , Köln 2011, Mehrsprachige Ausgabe in Deutsch, Englisch, Französisch, 21.1 X 34.4 cm, 1112 Seiten, 49.99 Euro, ISBN 978-3- 8365-2335-6 .